32. Sonntag im Jahreskreis B - 7. November 2021

„Ha Kotel“ - „MAUER“ - nennen die Juden jenen Teil des Tempels von Jerusalem, der nach der Zerstörung übrig geblieben ist. „Klagemauer“ nennen wir sie, obwohl die Juden aus der ganzen Welt an dieser Mär in Jerusalem nicht nur „klagen“, sondern ihren Herrn und Gott, „Ha schem“, „den Namen“, der für sie aus Ehrfurcht unaussprechlich ist, loben und preisen, und ihm danken. 

Bei der Zerstörung des großen Tempels in Jerusalem im Jahr 70 n. Chr. hat nur diese Mauer  die Katastrophe überlebt.  Es sind Teile der Umfassungsmauer jenes Plateaus, auf dem der Tempel stand. Herodes, der uns im Zusammenhang mit dem Kindermord von Betlehem aus dem Lukasevangelium bekannt ist, hatte sie erweitern lassen. Und wir finden eine alte jüdische Legende, warum gerade dieser Teil der Tempelanlage bestehen blieb: Die schweren, bis zu zwölf Meter großen Steine dieser Mauer mußten bei ihrem Bau, wie so fort in der Geschichte der Menschheit - die sogenannten „kleinen Leute“ schleppen. Und weil Gott, der Herr, immer auf der Seite der Armen und Entrechteten steht, verweilte die Schechina, die heilige Wolke, die thronende Gegenwart Gottes, nach der Zerstörung des Tempels auf der Mauer der „kleinen Leute“. Denn die „kleinen Leute“ haben immer - bis heute - die Kosten der Unrechtssysteme zu tragen. Gott erweist aber auf diese Weise seine Nähe zu den Kleinen, den Armen, den Rechtlosen.

Von einer aus der Schar dieser kleinen Leute spricht das heutige Evangelium. Von einer armen Witwe. Vorgebildet schon im ersten Buch der Könige in jener armen Witwe von SArepta, die trotz ihrer Mittellosigkeit ein offenes Herz für den Propheten erwies und dafür so reich belohnt wurde. 

Wir dürfen erkennen, dass die Evangelisten zwar festhalten, dass Jesus die Tradition der jüdischen Religion wahrt und Wallfahrten nach Jerusalem unternimmt. Interessanterweise wird aber niemals davon berichtet, dass er dort die entsprechenden Opfer darbringt. Vielmehr hören wir immer wieder, wie er im Tempel als Lehrer auftritt. So auch heute. 

Das einfache Opfer der Witwe nimmt er zum Anlass, den Jüngern eine Lehre der besonderen Art mitzugeben. 

Diese arme Witwe, die Jesus hier am Opferkasten beobachtet, wird für ihn in diesem Zusammenhang zum lebendigen Zeichen für das, was e in seinem prophetischen Herzen will: Gottesdienst und Menschendienst zusammen führen. Lebendiges Zeichen, heiliges Zeichen, nennen wir Sakrament. 

Jesus erkennt, dass die arme Witwe nicht nur etwas gibt, sondern alles, was sie für diesen Tag hat. Und damit stellt er uns vor die Frage: „Wieviel bin ich bereit zu geben? Bin ich bereit, für meine Überzeugung, für meinen Glauben, meine Hoffnung, für mein Engagement für den Nächsten, alles zu geben? Stehe ich dafür ganz und gar gerade?

An der armen Witwe, die Jesus und die Jünger beobachten, wird letztlich auch Jesu Weg selbst sichtbar. Er ist bereit, für die Seinen alles zu geben, sogar das eigene Leben! Er ist bereit, in den Tod zu gehen, dass die Seinen das Leben haben. Er ist bereit, alles hinzugeben, um den Seinen alles zu schenken. 

Die Frage wird heute an uns gestellt. Insbesondere an jene, die einen Berufungsweg zum Priester- oder Ordensstand gehen. Kommt das „Ich bin bereit!“ bei den Versprechen zur Weihe oder Profess wirklich aus tiefster Seele und innerster Überzeugung? Oder bleibt ein Hintertürchen offen, eine verborgene Gelegenheit zu einem Doppelleben, Karrieredenken, Jagd nach Titeln oder kirchlichen Ämtern?

Der Tempel in Jerusalem hat die römische Zerstörung nicht überlebt, irdischer Glanz und Reichtum verfielen. Die Mauer der kleinen Leute aber hat überlebt - und wir dürfen uns vergegenwärtigen, wie die Stimme Jesu hier, an dieser Stelle, mit ganzer prophetischer Härte auch unser Herz berühren will. In der Erinnerung des Evangeliums hat eine arme jüdische Witwe überlebt, die alles gab, was sie hatte. Sie wurde darin für Jesus und seine Jünger zur Lehrerin.

Mit einem Wort dürfen wir zusammenfassen, was uns der Herr sagen will: Bereitschaft zur Ganzhingabe, zum vollen Einsatz für IHN und sein Reich, und damit für unsere Mitmenschen. 

Amen. 

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