6. Sonntag im Jahreskreis A - 12. Februar 2023

»Nimm doch endlich Vernunft an, sei doch vernünftig!« – Vielleicht haben Sie diesen Satz als Kind oder Jungendlicher von ihren Eltern gehört, mitunter haben Sie ihn schon selbst verwendet, den eigenen Kindern oder Enkeln gegenüber, dem Ehepartner, dem Bruder, der Schwester, einem Freund gegenüber. 

Bei dieser Aufforderung schwingt zumeist im Hintergrund eines mit: nimm MEINE Vernunft an, nimm MEINE Meinung an. 

Wenn wir die heutigen Texte betrachten, die uns soeben aus der Heiligen Schrift geschenkt wurden, dann wird diese Aufforderung an uns gerichtet: nimm Vernunft an, versuche, die Weisheit in deinem Leben umzusetzen. Nun aber hat diese Anweisung eine ganz andere Qualität. Es geht nicht um irgendeine »irdische Vernunft«, sondern um die Weisheit Gottes, sein Gebot, seine Regeln für uns Menschen, die unser Zusammenleben in geordnete Bahnen bringen sollen, unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen ebenso wie zu Gott selbst.

Das Buch Jesus Sirach, dieses Schulbuch aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert sagt uns eines: du hast die Wahlfreiheit. Du kannst dich entscheiden zwischen Leben und Tod, zwischen Gut und Böse. Du kannst deine Hand zum Wasser ausstrecken, die Kühle genießen, die Reinigung. Oder du kannst deine Hand ins Feuer strecken, dich verbrennen, verletzen, sogar töten. Die Wahlfreiheit wird besonders durch den einen Satz ausgedrückt: »Wenn du willst, wirst du seine Gebote bewahren und die Treue, um wohlgefällig zu handeln.« (Sir 15,15) Es liegt an uns Menschen, unseren Willen dahingehend einzusetzen. 

Jesus lenkt unseren Blick auf die Thora, auf das Gesetz Gottes für uns. Und er zeigt, wie das Halten dieser Gebote im Herzen des Menschen verwurzelt sein sollte. Es geht nicht nur darum, den Mitmenschen im Zorn nicht zu töten, sondern um die Bereitschaft, den Zorn zu besänftigen, Frieden zu schließen, nicht auf das eigene Recht zu pochen, sondern den Wert des Lebens, den Wert des Menschen zu achten. 

Es geht nicht darum, nur einen Treueeid – sei es in der Ehe, sei es ein Gelübde im Priester- und Ordensstand – äußerlich einzuhalten, im Herzen aber ganz anders zu denken und sich mitunter ein Leben auszumalen, wie es hätte sein können. Es geht darum, auch die tiefsten, innersten und geheimsten Gedanken und Gefühle zu klären, um mit Gottes Hilfe ein wirkliches »Ja« zu dem zu sagen, was man einst versprochen hat. (Vielleicht auch ein Hinweis darauf, vor Ablegen eines Treueeides nachzudenken, ob man wirklich aus ganzem Herzen dazu »Ja« sagen kann.)

Wir dürfen uns die Aussage des Jesus Sirach vor Augen halten: »Vor den Menschen liegen Leben und Tod, was immer ihm gefällt, wird ihm gegeben.« (Sir 15,17) und unser Denken, Wollen und Handeln neu in dieses Licht stellen. 

Denn dort, wo wir mit ganzem Herzen – aus Liebe zu Gott – seine Wegweisung für unser Leben annehmen können, werden wir glaubwürdige Zeugen für seine Nähe und Gegenwart sein können. Dann gilt, was Paulus den Gläubigen der Gemeinde von Korinth sagt: »Wir verkünden, wie es in der Schrift steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.« (1 Kor 2,9)

Amen. 

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