Geistliches Tagebuch von Maria Sieler
und Schriften über Maria Sieler
* 3. Februar 1899 in
Winterdorf, Steiermark;
† 29. Juli 1952 in Rom
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Gesamtes Dokument
Seiten: 1.309
Wörter: 677.379
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Mittwoch, 12.
September 2018
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Digitalisiert von
Romano Casanova
Bearbeitet von Dominik Wagner
Herausgegeben vom Verein Priesterforum
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D4
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Bearbeitungen und
Hinzufügungen
Etliche Korrekturen
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Endnotenverweise (die Endnoten selbst sind in Bearbeitung und wurden vorerst
ausgelagert)
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Aufgrund des
Umfanges werden die Briefe Maria Sielers in einem separaten Dokument gesammelt
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Geistliches Tagebuch von Maria Sieler und Schriften über Maria Sieler
Geistliches
Tagebuch von Maria Sieler
Vorwort
des Digitalisierers über die Bearbeitung des Textes
Einiges
aus meinem privaten Tagebuch
Schriften
über Maria Sieler Verschiedene Zusammenfassungen
Grundlegende
Umrisse über das Priesterwerk
Ausführliches
Inhaltsverzeichnis
Geistliches Tagebuch
von Maria Sieler
Vorwort
des Digitalisierers über die Bearbeitung des Textes
Maria
Sielers Tagebuch wurde von Hand geschrieben. Es gibt bei Frau Sieler zwei Arten
von Tagebüchern: Ein persönliches und jenes, welches über die
Priestererneuerung im Geiste Gottes berichtet. Das hier vorliegende Werk gehört
der zweiten Art an. Vereinzelt sind jedoch auch Inhalte aus dem persönlichen
Tagebuch eingeflossen. Die zugrundeliegenden Manuskripte (künftig M), die ich
bei mir hatte, sind mit Schreibmaschine geschrieben und daher bereits als eine
Auswahl und Bearbeitung zu betrachten – Maria Sieler arbeitete nämlich handschriftlich.
Alle M's weisen für sich eine kontinuierliche, einheitliche Schreibweise auf.
Ich konnte zwei Arten von M's ausmachen: (1) Eine Art von M (künftig M1), die
kein „ß“ haben. Sie weisen zusätzlich auch einen einheitlichen
übereinstimmenden Schreibstil auf und sind betreffend der Grammatik fast ohne
Fehler. (2) In der zweiten Art von M (künftig M2) wurde die „ß“-Regel beachtet.
Sofern vorhanden wurde immer M1 als Grundlage genommen, da auf diesen Skripten
meist ein Vermerk war: „Komplett“. Die Angabe darüber, welches Skript als
Grundlage genommen wurde, steht unterhalb des jeweiligen Titels.
Grundlage M1
[Seite 1 fehlt …]
2 |
Aber ich will meinem Jesus nicht nur heute
dienen, da er mir so fühlbare Freude gegeben, nein, auch wenn er mir jeden
Trost entzieht, wenn's recht traurig und kalt in meiner Seele, wenn ich mich so
ganz allein fühle.
3 |
Ein großes Kreuz hat mir der Heiland
geschickt: Mein treuer Bruder, gefallen. – Schier zu groß war es mir, es zu
tragen. Wie schwer wurde mir die Ergebung in Gottes Willen! Wie habe ich mich
dagegen gesträubt! Endlich habe ich mich darin gefunden. Ich gebe mein Kreuz
nicht her; ich liebe es. (Schon vorher, als ich für den Bruder betete, trat mir
im Gebete wiederholt durch innere Erkenntnis die Möglichkeit nahe, dass mein
Bruder nicht heimkomme). – Nicht in Glück und Freude nur soll man Gott dienen,
sondern auch wenn er Unglück und Schweres schickt. – Ich hoffe fest von Gottes
Barmherzigkeit, dass er eine glückliche Sterbestunde hatte. Ich habe ja so viel
für ihn gebetet. Wie oft habe ich ihn dem barmherzigen Herzen Jesu empfohlen
nach der heiligen Kommunion, habe für sein körperliches wie für sein geistiges
Leben gefleht, um eine glückliche Sterbestunde. Ich glaube, Jesu Herz ist zu
gut, als dass er mich nicht erhört hätte. O Jesus, gib ihm die ewige Ruhe!
4 |
Am 3. September heilige Kommunion! Welche
Freude für mich! – Montag, 2. September war ein schwerer Tag; ich fühlte meine
Kraft zu Ende gehen. Viele Versuchungen, die mir den Herzensfrieden nahmen. Ich
sehnte mich hinein in mein Stübchen, um am Fuße des Kreuzes den Frieden zu
finden. Ach, wie schwach fühlte ich mich! Der Gedanke an die morgige heilige
Kommunion erfüllte mich mit Trost.
5 |
Also, am Dienstag, den 3. September bei der
heiligen Kommunion schöpfte ich neue Kraft aus dem Herzen Jesu. Den ganzen Tag
fühlte ich so sehr die Nähe des Herrn! Der Gedanke, am Morgen kommuniziert zu
haben, beseligte mich den ganzen Tag. O mein Jesus, lass mich nicht scheiden
von dir! – 11:00 Uhr abends: Jetzt werde ich mein Abendgebet verrichten und
dann schicke ich noch ein inniges „Gute Nacht“ zum Heiland im Tabernakel und
werde mich zur Ruhe legen. –
6 |
Freitag, den 6. September. Viele drängende
Arbeit, aber erster Monatsfreitag! Heute muss ich zur heiligen Kommunion gehen,
und wirklich hab ich's erreicht! Wie groß war mein Verlangen danach und meine
Freude! – Ich habe reichlich gefunden, was ich gesucht habe. Den ganzen Tag hat
dann die Sonne gescheint in meinem Herzen.
7 |
Samstag: auch wieder Gelegenheit zur heiligen
Kommunion. Ja, ich verstehe dich, o Herr. Es ist wahr, wie du gesagt hast:
Meine Freude ist es, bei den Menschenkindern zu sein. O Herr, auch meine größte
Freude ist es, bei dir zu sein! – Dann kommt der heiß ersehnte Sonntag, an dem
ich immer sicher zum Heiland kommen kann. Komm, o Jesus, komm zu mir. Ach, wie
sehne ich mich nach dir! – Und er hat sich mir geschenkt. Wer kann deine Liebe,
o Herr, zu den Menschen begreifen? Ich stehe vor einem Rätsel. Welche Freude,
welcher Frieden! Ganz will ich mich in Jesu Herz versenken. Ach, bräuchte ich
doch nie mehr in die Welt zurückkehren! O, dass ich ganz rein wäre vor deinem
Blicke – aber wie habe ich mein Kleid beschmutzt? Ach, könnte ich dich so innig
lieben, wie du mich liebst! Ich verlange nur nach Liebe, nach wahrer
Gegenliebe. – Ja, unermesslich viele Gnaden habe ich heute empfangen und wie
hab ich sie benützt? – Wie bin ich so traurig und missmutig! Nur mit Klagen
trage ich mein Kreuz. Ich verlange, von Menschen getröstet zu werden. Ich suche
die Gesellschaft der Welt, mein Jesus aber sagt mir, die Einsamkeit zu lieben.
– Abends nun denke ich zurück an den Tag. Alle Gedanken ziehen an meinem Geiste
vorüber. Seltsame Gefühle! So traurig und einsam! Ach, mein Gott, sei du mein
Trost! Niemand, gar niemand habe ich, der mich tröstet. Allein bin ich, so allein,
niemand versteht mich. Mein Jesus, in dein Herz hinein, da leg ich alle meine
Bitten, meine Sorgen, meine Lieben, meine Sünden, ganz tief hinein meine Leiden
und Freuden, alle meine Fragen und neuen Tage. – Doch warum schreibe ich dies
nieder? Feder, du bist nicht imstande, ein Menschenherz zu ergründen mit seinem
Verlangen und Sehnen nach Glück und Befriedigung. Heiligstes Herz Jesu, erbarme
dich meiner!
8 |
Schon lange habe ich nicht mehr geschrieben.
Monate sind vergangen. Wie viel Leid ist seither schon vorüber! Eine schwere
Krankheit brachte mich zu Weihnachten an den Rand des Grabes. Doch es war noch
zu früh zum Sterben. Der göttliche Heiland, der einst die Kranken von Palästina
heilte, kam in nächtlicher Stille zu mir, berührte mich und ich war gerettet.
Ja, der heilige Heiland hat den Ruf seines Kindes gehört: „Herr, die du lieb
hast, ist krank!“ Wochen sah ich vergehen, und noch immer lag ich im Bett. In
schlaflosen Nächten sehnte ich mich nach dem Herrn. Wochenlang den heiligen
Sakramenten fernbleiben zu müssen war mir wohl das Allerschwerste. Doch meine
Tränen und Bitten rührten Jesus und er kam wieder, mir zur Stärke und zum
Trost. In gesunden Tagen bin ich zu meinem Jesus gegangen und er kam zu mir, da
ich krank war.
9 |
Endlich, nach Wochen konnte ich wieder das
Bett verlassen und doch, jetzt nach Monaten bin ich noch krank. Aber ich kann
wieder an Sonntagen wenigstens die heilige Kommunion empfangen, obwohl es mich,
ob meiner Schwäche, auch hart ankommt.
10 |
Lange Leidenstage hat der Herr über mich
gesandt. Vielleicht werden sie früher oder später mit dem Tode enden. In diesen
dunklen Stunden fühlt man so recht, dass Gott der beste Trost ist. Wie eine
gewisse Macht zog es mich hin zu ihm.
11 |
Und noch immer bin ich krank. Vielleicht werde
ich nicht mehr gesund. Vielleicht stehe ich schon sehr nahe meinem Grabe. Ich
weiß es nicht, doch ein etwas sagt mir: Ich werde nicht mehr gesund. Nun ja,
wenn Gott es will, ich will mich ihm ganz ergeben. Herr, wie du willst, nicht
wie ich will! Ich wünsche aber auch viel lieber zu sterben als noch einmal
gesund werden; ja, ich freue mich aufs Sterben. Auf der Welt habe ich noch
nichts gehabt als Leid und Kummer. Nach dem wird Gott alle Tränen von meinen Augen
abwischen. Aber ich wünsche einmal gut und selig zu sterben, auf dass ich auch
zu meinem Heiland in den Himmel komme. – Jesus hilf, dass ich dich doch bald in
ewiger Lust schauen kann!
12 |
Was heißt Opferseele sein? – Wenn Jesus sich
täglich unzählige Male auf dem Altar im heiligen Sakrament seinem himmlischen
Vater opfert und er jedes Mal seine Leiden, seine Verdienste, seinen Tod am
Kreuz für die Sünden der Menschen darbringt, soll sich eine Opferseele mit dem
Opfer des göttlichen Herzens Jesu vereinigen. – Und ich will Opferseele sein.
Fürs erste will ich mich dem liebevollen Herzen Jesu ganz hingeben als SEIN
Opfer. Ich will ganz und ohne Vorbehalt meinem Heiland gehören. Ich weihe ihm
mein Leben, meine Leiden, vor allem will ich [mich] bemühen, voll und ganz
meinen Willen ihm zu opfern. – O mein lieber Jesus, nimm du meinen Willen ganz
in Besitz. Ach, so oft folge ich meinem Willen und nur so selten vereinigte ich
mich mit dem deinen.
13 |
Ich will mich recht bemühen, meinem
Eigenwillen zu entsagen. Ach, mein lieber Jesus, als du für uns auf die Welt
kamst, hast du zu deinem himmlischen Vater gesagt: Siehe ich komme deinen
Willen zu tun. – Hilf mir, auch mich dir ganz hinzugeben; ich bitte dich um die
Gnade, dies immer besser und vollkommener tun zu können. Mit dem Gedanken
„siehe, ich komme, o Gott, deinen Willen zu tun“ will ich jeden Tag aufstehen.
Das soll der Grundsatz jeder Opferseele sein und auch der meine.
14 |
Als Opferseele weihe ich dem Herzen Jesu alle
meine Leiden, meine Krankheit. Ich will ihm zuliebe mein Kreuz tragen. Der
göttliche Heiland hat ja gesagt: Wer mein Jünger sein will, nehme täglich sein
Kreuz auf sich und folge mir nach! Und Kreuzesjüngerin will ich sein. Mein
Jesus, in dein Herz hinein, da leg ich all meine Leiden, alle Mühseligkeiten
und Schwächen, jeden Schlag meines Herzens und vereinige meine Armseligkeiten
mit dem Opferleben deines liebreichen Herzens im heiligen Sakrament. Das soll
ja der Hauptzweck der Vereinigung der Opferseelen sein, dem göttlichen
Erlöserherzen unsere Opfer und Leiden zu weihen und sie mit den Seinigen zu
vereinigen und dadurch das Erlösungswerk vollenden und Seelen für den Himmel
retten.
15 |
Als Opferseele will ich meinen Heiland recht
innig lieben. Ich will ihn für jene lieben, die ihn nicht lieben. Er ruft ja
vom Tabernakel uns zu: „Ich habe einen glühenden Durst, im allerheiligsten
Sakrament geliebt zu werden, und so wenige sind es, die meinem Verlangen
entsprechen und mein Herz durch ein wenig Gegenliebe erfreuen“. – O mein
liebevoller Jesus, ich will dich recht innig lieben und mich bemühen, dir für
deine Liebe recht viel Gegenliebe zu erweisen. Aber wie kalt ist meine Liebe,
wie lau und gleichgültig bin ich zu oft! O lebensglühendes Herz, verzeihe mir
und erfülle mein Herz mit jenen heiligen Flammen der Liebe, die dein Herz im
Tabernakel verzehrt. Und besonders bei der heiligen Kommunion schenkt sich mir
der liebe Heiland mit seiner ganzen Erlöserliebe. Da will ich ihn recht innig
bitten: Ich liebe dich, mein Jesus, aber ich liebe dich so kalt. Gib mir doch eine
glühende Liebe zu dir! Und wenn ich meinem Erlöser nach der heiligen Kommunion
1000 mal dies sagen würde, es wäre noch viel zu wenig oft, kommt mir vor, denn
schau, mein liebster Jesus, ich möchte dich so recht von ganzem Herzen lieben.
16 |
Beichtzuspruch: Ich will in diesem Monat Maria
besonders verehren, sie mit kindlicher Liebe öfters grüßen, zu ihr beten, dass
sie auch meine Mutter sei.
17 |
Der Wille Gottes führte mich hierher in die
Heilanstalt. Und es gefällt mir gut hier. Der liebe Jesus hat schon für sein
Kind gesorgt. Jeden Tag hab ich das große Glück, die heilige Kommunion zu
empfangen. Niemals werde ich die Liebe meines Heilandes begreifen können. (In
einer Art Beschauung geschrieben:) Wenn ich bedenke: Jesus, der sich unseres
Sündenelends erbarmte, kam als kleines Kind in dieses Jammertal, lebte hier 33
Jahre, war nur Liebe und Güte zu den Armen und Kranken … Und wie er am Kreuze
unter so großen Schmerzen sein Leben für uns hingab – wie er am Abend vor
seinem Leiden im Sakrament der Liebe sich für uns zur Speise hinterließ: Ja, da
Jesus die seinen liebte, liebte er sie bis ans Ende. – Aber ach, wie bin ich
ihm oft gar so undankbar für seine Liebe! Jesus gibt sich mir täglich in der
heiligen Kommunion mit seiner ganzen Erlöserliebe, mit seinem heiligen Herzen,
welches ja die Quelle dieser seiner übergroßen Liebe ist. Er, der Heiligste und
Vollkommenste, der Schönste kommt in mein armes, armes Herz.
18 |
„Ich habe die größte Freude, in reinen Seelen
zu wohnen“, sagte Jesus einst zu seiner heiligen Braut Gertrudis. Aber ach,
wenn ich in mein Herz hineinschaue, was finde ich? Gleichgültigkeit, Kälte,
Sünden. Ich fühle meine Unwürdigkeit, ach, ich fühle sie viel zu wenig. Herr,
mach mich rein! Nimm du mein Herz, es gehört ja dir. Du willst darin jetzt
einziehen und wohnen darin, aber ich bitte dich, bereite es zu einer dir
würdigen Wohnstätte! Sieh, o Herr, was ist all mein Bemühen? Ich will mich nur
nach dir sehnen. – Jesus täglich in der heiligen Kommunion besitzen, welches Glück!
Wer Jesus hat, der hat alles: o wahres Wort. Was kann die Welt mir Glück
gewähren? Mir hat die Welt noch kein Glück gebracht. Meine glücklichsten
Stunden sind die nach der heiligen Kommunion, vereint mit Jesus. Jesus in der
heiligen Kommunion besitzen, welche Freude! Gar so vergänglich sind die
irdischen Freuden; es sind nur Scheinfreuden. Jesus besitzen ist wahre Freude.
Nein, o Jesus, ich will keine andere Freude, nur dich allein! In dir will ich
mein Glück und meine Freude suchen.
19 |
Weil ich nun so allein bin, will ich wieder
einmal in dieses Büchlein schreiben. Aber was soll ich schreiben? Ich fühle in
mir eine so quälende Unruhe – es dauert schon einige Wochen – und ich fühle
mich innerlich so traurig und verlassen; nichts freut mich, ich sehne mich nach
etwas Unbekanntem. Ich habe so große Sehnsucht nach dem Heiland und ich kann
ihn nicht finden. Und so oft wiederholen sich diese Seelenleiden.
20 |
Habe diese Woche viermal die heilige Kommunion
empfangen; ich bemühte mich jedes Mal, mich so gut ich es vermochte darauf
vorzubereiten, aber ich bleibe dennoch kalt und leer. Heute, Sonntag, nahm ich
mir besonders vor, recht gut zu kommunizieren, konnte aber wieder so wenig
Andacht finden. Das tut mir so weh, gegenüber meinem Jesus so kalt zu sein. Ich
habe immer so sehr Verlangen, Jesus zu besitzen, ja, ihn immer mehr und ganz zu
besitzen; ich kann es aber nicht erreichen. Ja, ich fühle es, ich bin viel zu
arm und sündhaft, als dass Jesus mir fühlbare Tröstung gebe. Aber so recht
innig einmal den Heiland besitzen, danach sehne ich mich gar so sehr. Ich
möchte ihm alles sagen, was mein Herz bewegt, aber in der Stunde der heiligen
Kommunion, da fühle ich mich so kalt. Aber du weißt, o liebster Jesus, dass ich
dich liebe, dass ich nur dir gehören will. Du weißt alles, was ich denke, fühle
und was mich bewegt. Wenn du dich auch scheinbar mir entzogen hast, so hast du
mich dennoch nicht ganz verlassen. – Ich will mich bemühen, in Geduld zu warten
bis du wieder kommst, bis die Zeit der Prüfung vorüber ist.
21 |
Ich bin noch so jung und sollte doch in der
Jugend glücklich sein, aber ich bin es nicht. Ein Etwas, was ich selbst nicht
begreifen kann, liegt auf mir, was kein wahres Glück aufkommen lässt. Manchmal
fühle ich mich gar so niedergedrückt. Meiner Jugend erstes Sehnen hat sich
nicht erfüllt. Mein innigster und aufrichtigster Wunsch, dem lieben Heiland im
Kloster zu dienen, hat sich nicht erfüllt. Und das tut weh, tut noch immer so
weh, immer brennt noch die alte Wunde im Herzen, weil ich mich halt gar nicht
glücklich fühle in der kalten Welt. Ach, wie ekelt mich die Welt an! Ich finde
keine Freude in ihr; alles ist Schein und Trug. Statt ins stille Kloster hat
mich der Heiland einen anderen Opferweg geführt, den Weg der Krankheit und des
Entsagens. Manchmal ist es ein harter Kampf, mich einzufinden. Aber dem Herzen
Jesu zu lieb, das doch immer das Beste vorhat, will ich mich ihm ergeben. Ich
will mich bemühen, im Geiste der Opferliebe Jesu mein Kreuz zu tragen, Jesus
gegenüber willenlos zu sein. Und wenn ich mich ganz dem Willen Jesu übergebe,
so finde ich in ihm einen großen Trost, dass ich mit keinem Menschen in der
Welt tauschen möchte. Der liebe Heiland will ja, dass wir ihm nicht nur dann
treu dienen, wenn wir Befriedigung dabei haben. Er freut sich viel mehr, wenn
wir seinem Willen dienen.
22 |
Ich will keinen anderen Trost als Jesus
allein. Ich wünsche, ich sehne mich, ihn ohne Unterlass zu besitzen. Ich habe
manchmal eine so große Sehnsucht nach dem Heiland, dass ich nirgends bei Tag
und Nacht Ruhe finde. Ich glaube, ich würde nicht erschrecken, wenn meine
Krankheit schnellere Fortschritte machen würde. Dann dürfte ich schon bald ganz
mit Jesus vereint sein. Das ist das Ziel meines Verlangens. Jesus, hilf, dass
ich doch bald dich schauen kann in ewiger Lust! Aber, o Herr, dein Wille
geschehe! Ich bin bereit, weiter den Opferweg zu gehen. Ich wünsche nur, dass
ich immer geduldiger, demütiger, reiner werde und mein Herz immer mehr und
endlich ganz dir ergeben sei. (Ich litt besonders darunter, dass mir ein großes
Verlangen nach Heiligkeit gegeben war, ein besonderes inneres Ideal mir
vorschwebte, dem mein Leben nicht so entsprach, wie ich es wollte).
23 |
Du allein, o geliebtester Bräutigam meines
Herzens, sollst alle meine Sehnsucht, meine Ruhe und meine Liebe sein. Ich will
sein eine Opferseele des göttlichen Herzens.
24 |
Endlich will ich wieder in mein Büchlein schreiben.
– Heute, Sonntag, 19. Februar habe ich dem lieben Heiland bei der heiligen
Kommunion versprochen, ja nichts Ehrenrühriges über meinen Nächsten zu sagen.
Ich will dafür recht oft an Jesus im heiligen Sakrament denken und alle
unnötige Zerstreuung meiden.
25 |
Ich habe heute meinem Heiland versprochen,
jetzt überhaupt eifriger zu sein. Ich will mich recht des inneren Lebens
befleißen und habe den Heiland recht innig um seine Gnade gebeten. Ach, ich war
jetzt immer so lange laufen, habe so wenig auf die Stimme des Heilandes gehört,
aber jetzt, mein Heiland, soll's anders werden; ich will von jetzt an das
Irdische verlassen und Weltliches abstreifen, um desto inniger Jesus zu finden,
will die Einsamkeit des Herzens leben, mich an nichts hängen, in der Welt ein
Klosterleben führen. O mein Jesus, lass mich dadurch einen Ersatz finden dafür,
dass ich dem Sehnsuchtsrufen meines Herzens nicht folgen kann. Ich will eine
dem Herzen Jesu geweihte Opferseele sein, will mit dem geheimnisvollen
Opferleben Jesu im Tabernakel mich vereinigen, will recht oft an seine
Opferliebe denken. Alles, was ich da schreibe, ach, es ist so eine Anregung und
ich will es öfter lesen, will jeden Tag mein Vorsatz für die Woche erneuern.
26 |
Ich war jetzt lange Zeit so lau; ach, das tut
mir so weh; wie wird es erst dem Heiland wehgetan haben. Ich fühlte mich
geistig so schwach. Ich weiß auch die Ursache: Weil ich so viel mit der Welt
hielt, weil mein Herz von so viel irdischen Dingen erfüllt ist. Darum war meine
Liebe zu Jesus so kalt und fühlte ich mich von ihm so verlassen. Aber von jetzt
an will ich mich Bestreben, dich innig über alles zu lieben. In meinem Herzen
ist eine so große Sehnsucht, den lieben Heiland vollkommen zu lieben, immer mit
ihm vereinigt zu sein. Ach, wenn ich nur einen recht frommen Beichtvater und
Seelenführer hätte, der es mich lehrte, Jesus über alles zu lieben. Aber ich
will ihn bei jeder heiligen Kommunion bitten, dass er es mich lehre, so, wie
mir einst bei den Exerzitien ein Priester sagte. – O Jesus, ernähre mich mit
deinem heiligen Herzblut, erziehe auch mein Herz nach deinem Herzen!
27 |
In meinem Herzen ist immer ein gewisses heißes
Sehnen nach einem ungestillten Glück, ach ich fühle, es ist die Sehnsucht nach
dem stillen Klosterleben. Das macht mich manchmal so unruhig. O Jesus, stille
du diese Sehnsucht mit dir selber, denn nur du kannst mich voll und ganz
glücklich machen.
28 |
Ich will von nun an mich bemühen, ein dem
Herzen Jesu geweihtes Opferleben zu führen.
29 |
Ich will jeden Sonntag einen bestimmten
Vorsatz für die kommende Woche machen. – Ich will mich recht bemühen, eine dem
heiligen Herzen Jesu geweihte Opferseele zu sein.
30 |
Die Faschingstage haben mir viele Freude
gebracht. Ich konnte jeden Tag die heilige Kommunion empfangen, konnte so viel
knien vor dem lieben Heiland im heiligen Sakrament; leider war ich wohl lau,
sollte noch viel andächtiger gewesen sein.
31 |
(Aus der heiligen Beichte): Ich soll Jesus
danken für die bewahrte Unschuld, eine der größten Gnaden. Ich solle mich dem
lieben Heiland ganz aufopfern, das letzte und größte Opfer, das Opfer meines
Lebens, immer wieder erneuern. Meine einzige Freude und Trost soll Jesus sein.
Ein betrachtendes Leben führen (Leiden Christi), Stoßgebetlein zum heiligen
Sakrament; festhalten an dem Gelübde der Jungfräulichkeit; es jedes Mal bei der
heiligen Kommunion erneuern; mich Bestreben, recht rein und immer behutsamer zu
sein.
32 |
Erster Grad der Hingabe für Opferseelen: Ich
will mich ganz dem liebevollen Herzen Jesu hingeben, mein Leben, meine
Krankheit und alle inneren und äußeren Leiden, alle Körper- und Seelenkräfte.
Ich will ganz dem Heiland gehören und will diese Aufopferung recht oft
erneuern.
33 |
Ich will diese Aufopferung in die Tat
umsetzen. Der Heiland will vor allem mein Herz besitzen. Er soll darin
herrschen, nicht ich mit meinen sündhaften Neigungen. Ich will jetzt recht
arbeiten und kämpfen gegen meine eitlen und eigensüchtigen Neigungen. Weg mit
allen eitlen Gedanken, mit eitler Selbstbeschäftigung und aller Eigenliebe! Ich
will dem lieben Jesus alle meine Sinne zum Opfer bringen, recht demütig sein.
Ich fühle, dass Jesus das von mir verlangt. Er will mein ganzes Herz.
34 |
Hilf mir, mein Heiland, das zu erreichen;
sonst bin ich keine wahre Opferseele. Nimm du meine Gedanken in Besitz, all
mein Wünschen und Wollen! Sei du das Ziel meines Verlangens, dass ich nicht
mich suche in meinem Tun! Du, o Jesus, sollst herrschen in meinem Herzen. Hilf
mir, recht demütig und abgetötet [zu] sein und hilft mir, mich selbst zu
verleugnen. – Der Heiland will ein leeres Herz, wo nicht das Ich und die Welt
herrscht. Darum will ich Jesus bei jeder heiligen Kommunion bitten, dass er
mein Herz ändere und für ihn umgestalte, dass es ihm ganz allein gehöre, nicht
mir und nicht der Welt. Ich will in meinem Inneren jetzt fleißig wegräumen,
putzen und abstauben, und Jesus wird mir dabei helfen; es ist ja ganz allein
für ihn. Das sei mein Vorsatz; ich lege ihn hinein in Jesu Herz, in seine
Liebeswunde, dass er ihn segne und zur Ausführung bringe, denn ohne seine Gnade
vermag ich nichts.
35 |
Schon ein paar Tage fühle ich mich so kalt;
kein Opfergeist für den lieben Heiland ist in meinem Herzen. Es ist mir so
schwer, mich zu überwinden, gegen meine Selbstsucht und den Ich-Geist zu
kämpfen. Und dabei ist mir so bange ums Herz. Gewiss möchte ich anders sein.
Sicher habe ich die Gnade des Heilandes nicht gut benützt und er entzieht mir
darum jetzt seine Hilfe. – O mein Jesus, in dein Herz hinein lege ich meine
Schwäche und meinen Wankelmut. Ich bitte dich, gib mir die Gnade, auf die
Einsprechungen deiner liebe mehr acht zu haben. Ich sehne mich nach Kraft, ich
sehne mich nach dem Heiland.
36 |
Heute habe ich wieder das große Glück gehabt,
Jesus in der heiligen Kommunion zu empfangen. Ich freute mich schon darauf,
denjenigen zu besitzen, der gesagt hat: „Kommet alle zu mir, die ihr mühselig
und beladen seid; ich will euch erquicken“. – O mein Jesus, mein Alles, bleib
in meinem Herzen und wache über mich und sei du allein der Vielgeliebte meines
Herzens. Sei du meine Freude und mein Glück, auf dass ich nach nichts in der
Welt mich umsehe. Hilf mir, eine wahre Opferseele [zu] sein und mich dir ganz
[zu] ergeben, mein eigenes Ich [zu] bekämpfen und allein für dein liebreiches
Herz [zu] leben und [zu] opfern.
37 |
Heute heilige Kommunion. Ich habe den lieben
Heiland heute recht innig gebeten, dass er das Licht seiner Gnade in meine
Seele leuchten lasse, denn ach, ich fühle mich so niedergeschlagen und allein;
kein Licht und kein Stern leuchtet mir. Bei der Beichte war es mir schon so
bange; so finster war [es] in meinem Herzen. Ach, könnte ich mein Gewissen
meinem Beichtvater enthüllen, aber das kann ich nicht. Wenn ich ihn um dies
oder jenes fragen könnte, so wäre mir viel leichter, aber so muss man sich
immer durchringen, bis man sich wieder auf dem rechten Weg weiß. Ich will
gewiss alles tun, dass ich das richtige Ziel erreiche. Ich habe mich in dieser
bangen Angelegenheit meinem Jesus empfohlen. Ich fühlte mich angeregt, recht
ruhig darüber zu sein, demütig und ergeben und über nichts nachzugrübeln,
sondern mich zu bemühen, den Willen Gottes zu tun, so gut ich ihn eben erkenne
und mich über nichts unnötigerweise zu beunruhigen. Und jetzt ist es mir viel
friedlicher im Herzen. Ich weiß, dass Jesu Liebe und Sorge über mich wacht.
Heiligstes Herz Jesu, ich vertraue auf dich!
38 |
Jetzt habe ich wieder Gelegenheit, dem lieben
Heiland ein Opfer zu bringen, wenn ich ihm zu lieb all diese inneren Leiden
geduldig auf mich nehme; denn ich will ja eine Opferseele des göttlichen
Herzens sein. O mein Jesus, hilf mir, mir selbst entsagen und jeden Augenblick
des Tages dir meine verkehrten Neigungen zum Opfer [zu] bringen, besonders alle
geistige Eitelkeit und Selbstgefälligkeit!
39 |
Heute heilige Beichte und Kommunion. Ich fühle
mich innerlich immer noch so traurig und verlassen und konnte bei der heiligen
Kommunion keine rechte Andacht finden. Das fühle ich so schmerzlich, denn ich
möchte dem lieben Heiland wahre Gegenliebe entgegenbringen. Aber du weißt, dass
ich dich liebe. Wenn es dein Wille ist, dass ich dir ohne geistigen Trost
dienen soll, so will ich demütig fiat sagen. Ich wollte diese
Seelenangelegenheit meinem Beichtvater sagen, aber es kommt mir so schwer an,
dies zu tun. Ich fürchte, es könnte doch Eigenliebe oder Einbildung dabei sein.
Wenn es bis zur nächsten Beichte nicht besser ist, will ich es sagen.
40 |
O mein Jesus, gib mir Geduld! Diese inneren
Leiden zu tragen ist viel schwerer als körperliche Schmerzen: sich so vom
Heiland verlassen fühlen, diese Finsternis im Herzen und diese quälende
Sehnsucht nach Jesus und ihn nicht finden zu können! Und da bin ich so schnell
mutlos und weiß dann nicht, was ich tun soll. Aber ich will ja eine Opferseele
sein und da muss ich ja für alles bereit sein, was der Heiland schickt. Ich
will mich bemühen, stark zu sein, mich mit dem stets sich opfernden Herzen Jesu
vereinigen und mich ihm hingeben, wie es sich für eine Opferseele gehört.
41 |
Vorsatz bei der heiligen Beichte: „Fiat
voluntas tua“ bei jedem Herzschlag, ja in allen Augenblicken des Tages. Ich
will danach kämpfen gegen meine Natur und meine Empfindungen, dass mein Leben
bis zur nächsten Beichte ein „fiat“ gegenüber dem lieben Heiland sei.
42 |
Vorabend von Mariä Verkündigung: Heute bei der
heiligen Kommunion, endlich meinen Heiland gefunden! Wie glücklich bin ich! O
Jesus, du mein Alles, meine Freude und mein Glück! Wie freue ich mich auf
morgen, wo ich wieder das Gelübde der Jungfräulichkeit erneuern kann, wo ich
wieder sagen kann: Jesus, du bist mein und ich bin dein. Dir will ich gehören,
ganz und ungeteilt meine ganze Liebe, meine Herzensreinheit. O Herr, lass mich
eine Lilie sein, woran du eine Freude hast! O seliger Tag, wie ersehne ich
dich! Ach, wäre ich auch so rein, dass ich meinem himmlischen Bräutigam ganz
wohlgefällig sein könnte! O mein Vielgeliebter, mach mein Herz zu einem
Brautgemach deiner Liebe! O Maria, jungfräuliche Gottesmutter, schmücke mein
Herz für den kommenden Festtag! Hilf mir, deinem lieben Sohne Freude [zu]
machen!
43 |
Ja, das Fest Mariä Verkündigung war ein
geistiger Freudentag für mich!
44 |
Schon lange habe ich nicht mehr in mein
stilles Büchlein geschrieben. Wie viel Schweres hat mir das Leben seither
gebracht! Welchen Kummer, wie schwer fühlte ich das Kreuz, das mir der Heiland
auferlegte! Mein Jesus, in dein Herz hinein, da leg ich alle meine Leiden, dass
du mich lehrest stille sein …
45 |
Aber mehr als alle diese Leiden fühle ich die
inneren Kreuze. Wie ist mir immer so bange bei der heiligen Beichte! Wenn ich
mich einmal in dieser Hinsicht mit meinem Beichtvater aussprechen könnte, aber
ich getraue mich nicht. (In jener Zeit sprach Jesus schon fühlbar zu mir, was
mir eine große innere Ratlosigkeit brachte. Das innere Ziel wurde mir höher
gestellt) – mein Heiland, gib du mir Licht, dass ich mich nicht verirre! Ich
vertraue auf deine Hilfe. Mach du meinen Willen rein und nur dir zugewandt! –
In der Nachfolge Christi steht: es gibt keinen Weg zum wahren inneren Frieden
als den Weg des Kreuzes und der täglichen Abtötung. – Ich will mich bemühen,
diesen Weg gehen zu lernen.
46 |
O Jesus, reiß mich los von allen irdischen
Dingen, von allen Geschöpfen; denn ich glaube, jede Liebe und Zuneigung, die
man den Menschen zuwendet, entzieht man gewissermaßen dem Heiland. Er soll mein
Alles sein, mein Trost und meine Zuflucht. ihm allein will ich meine Leiden klagen.
Ich will nur jene Freuden suchen, die aus Kreuz und Leiden erblühen, nur
Kreuzesblumen will ich, sonst keine.
47 |
Mein Jesus, hilf mir, dies besser und
vollkommener tun. Lehre du mich Kreuzesjüngerin sein! Sei du mein Lehrmeister!
Ich vertraue mich dir an. Du hast schon so viele Seelen deine Nachfolge
gelehrt. Ich will dich bei jeder heiligen Kommunion bitten, du sollst mein
Seelenführer sein. Sei du mein Licht, lehre mich meine Sünden und Fehler
erkennen, dass mich die Eigenliebe nicht blende. Ach, da ist mir so bange und
ich fürchte mich, ob ich wohl auch auf dem rechten Weg bin.
48 |
Heute Fronleichnamsfest, das Hochfest der
Liebe. Da soll ich dem lieben Heiland recht von Herzen dank sagen für die
Einsetzung des heiligen Sakramentes.
49 |
Ach, wenn Jesus nicht dieses Liebessakrament
uns gegeben hätte, wie traurig wäre es auf der Welt! Wem könnte man Freud und
Leid erzählen, wer würde uns helfen, unsere täglichen Kreuze und Kreuzlein zu
tragen? Aber so sind wir so glücklich, Jesus in unsere Mitte zu haben. Leider vergessen
die Menschen, vergesse auch ich so oft, dem Heiland für diese große Liebe zu
danken. – Mein Heiland, heute an diesem hohen Fest nimm meinen innigsten und
heißesten Dank entgegen! – Wenn ich bedenke, wie viele, unzählige Gnaden du mir
durch deine liebevolle Gegenwart im Tabernakel gegeben hast, ach, da bin ich
wohl ein großer, großer Schuldner. Wie viele Kälte, Undank, Gleichgültigkeit,
ja vielleicht sogar laue Kommunionen ich dir für deine Liebe gab, das muss dir
wohl recht weh tun. Aber guter Jesus, ich knie mich geistigerweise hin vor dem
Tabernakel und es kommt von meinem undankbaren Herzen: Mein Jesus,
Barmherzigkeit! Verzeih mir, jetzt will ich aber anders werden, wirst es sehen,
mein Heiland! Schenk mir, ich bitte dich, auch ferner deine Liebe! Nicht wahr,
liebster Jesus, kommst wieder gerne in mein Herz bei der heiligen Kommunion?
Schau, ich komme auch so gern zu dir! Bereite du mein Herz jedes Mal vor, denn
ich bin es nicht imstande. Gib mir, o Jesus, ein recht großes Vertrauen auf
deine Liebe, besonders bei der heiligen Kommunion, denn das Vertrauen ist ja
der Schlüssel zu deinem Herzen!
50 |
Ich habe immer ein solches Verlangen nach dem
Heiland und, wenn ich so sagen darf, eine gewisse Sehnsucht nach Leiden. Kommt
das von Jesus oder ist es seine Täuschung? Ich fühle immer eine solche quälende
Sehnsucht, die sich nicht befriedigen lässt. – Du hast unser Herz für dich
geschaffen und unruhig ist es, bis es ruht in dir, o Gott!
51 |
Ich will immer mehr nach der Vereinigung mit
Jesus streben. Welches ist der kürzeste Weg dahin? Ich glaube, Liebe und
Leiden, ein verborgenes Leben, wahre Kreuzesliebe. – Mein Heiland, sei du mir
Licht, sei du mein Seelenführer, dann werde ich nicht irregehen.
52 |
Heute habe ich den lieben Heiland wieder
beleidigt; darüber ist mir so bange. Was soll ich tun? Mich ihm zu Füßen werfen
und ihn um Verzeihung bitten, dann wird er mir wieder gut sein; bei der
nächsten Beichte es sagen mit dem Vorsatz, diesen Fehler mit seiner Gnade nicht
mehr zu begehen. – Wenn es in mir manchmal so unruhig ist und ich genau
nachdenke, dann habe ich bestimmt den Heiland in irgendeiner Weise beleidigt.
Das ist eine ernste Mahnung von ihm.
53 |
Heute Abend will ich eine Stunde lang
aufbleiben, um dem Heiland in geistiger Weise Gesellschaft zu leisten vor dem Tabernakel,
besonders aber, um seine Todesangst am Ölberg zu verehren, so wie er es von der
heiligen Margareta Maria verlangt hat.
54 |
Mein Jesus, mach mich zu einer wahren
Opferseele deines heiligen Herzens, so wie es Zweck und Ziel des Vereins ist!
55 |
Wie glücklich bin ich, dieser Vereinigung
anzugehören, dir Liebe und Sühne und Opfer darzubringen für jene Seelen, welche
dich verachten und beleidigen! Hilf mir immer vollkommener [zu] werden; ich
gehöre dir, bin dir geweiht durch das Gelübde der Jungfräulichkeit. Hilf mir,
mein liebster Bräutigam, reinen Herzens sein, um dich einst ewig zu schauen.
Jesus hilf, dass ich doch bald dich schauen kann in ewiger Lust!
56 |
„Mein Jesus, ich will nichts als dich, was du
mir nimmst; ich beuge mich. Nimmst mir mein Liebstes: Herr, es sei, bricht auch
das Herz mir, wird's doch frei. Ja, nimm nur alles hin von mir, nur Eins – das
flehe ich heiß zu dir – und lass mir, lass mir bis ans End: Die Nähe von deinem
Sakrament!“
57 |
Heute Herz-Jesu-Sonntag, einer meiner liebsten
Festtage des Jahres. Besonders heute sollen wir dem Herzen Jesu Sühne und Liebe
bringen und ihm Abbitte leisten für all die Sünden und Verbrechen, die seinem
heiligen Herzen zugefügt werden. Ehre, Liebe, Sühne dem göttlichen
Erlöserherzen!
58 |
Ach, ich fühle mich heute so allein und
niedergedrückt. Meine Seele sehnt sich nach Licht. Heiligstes Herz Jesu, ich
vertraue auf dich!
59 |
Wenn ich mich nur einmal mit einem Priester
aussprechen könnte, aber so habe ich immer wieder Zweifel und Bangigkeit. Ich
habe auf der Welt niemand, dem ich mich anvertrauen könnte. „Aber wenn ich auch
wandle in Totesschatten, so fürchte ich kein Unheil, weil du bei mir bist“. Der
Herr ist mein Licht, was soll ich fürchten?
60 |
Aber nur nicht verzagen! Jesu Herz wird mich
nicht verlassen. Ich bin ja eine Opferseele; da darf ich nicht sogleich verzagt
sein.
61 |
Mein Jesus, in dein Herz hinein, da leg ich
mein Seelenheil, alle Unruhe! Sei du mein Seelenführer, auf dass ich mich nicht
verirre! In dein Herz lege ich das Opfer, das du jetzt wieder von mir verlangst,
die Verkennung und Verdemütigung, so schwer es mich auch ankommt, den letzten
Trost, den ich noch auf der Welt hatte. Ich leg dieses Opfer in dein heiliges
Herz; gib mir dafür recht innige Liebe zu dir!
62 |
Los von allem, was du, o Herr, nicht bist! Lös
mich los von allen irdischen Banden! Herr, dich allein! Ich will eine
Opferseele sein, ganz dir hingegeben für alles Kreuz, das du für mich bestimmt
hast!
63 |
Durch Leiden kann man am wirksamsten an der
Rettung der Seelen für den Heiland wirken. Ich will großmütig sein gegen den
Heiland. Nur keine Kreuzesscheu, mutig und ohne Zögern dem Heiland das zum
Opfer bringen, was er von uns verlangt!
64 |
Als Opferseele muss man auch bereit sein, dem
Heiland Sühne und stellvertretende Genugtuung zu leisten für alle unglücklichen
Seelen, die in der Sünde fortleben. Durch Opfer und Leiden müssen wir als
Opferseelen dem Heiland einen Ersatz bieten, um Ihnen dafür die Bekehrung zu
erflehen.
65 |
Ich möchte dem göttlichen Herzen gern ein
Opfer bringen für Seelen, die mir nahe stehen. Ich möchte dem Heiland das Opfer
meines Lebens bieten, um Seelen vor dem ewigen Verderben zu retten, aber noch
fühle ich nicht ganz den Mut und die Kraft dazu. Da sehe ich wieder, wie sehr
ich noch am Leben und am Irdischen hänge, und zudem muss man noch die Erlaubnis
des Beichtvaters haben und das getraue ich mir nicht zu sagen. Mein Jesus, gib
mir die Kraft! Wenn es dein Wille ist, wird es schon noch geschehen.
66 |
(Jesus verlangte von mir im Jahre 1922 das
Opfer des Lebens, gebracht am 15. August 1922. – Jesus versprach mir damals:
„Wenn du das tust, wird keiner deiner Angehörigen verloren gehen.“)
67 |
Mein Heiland, sei du mein Licht, dass ich mich
nicht verirre! Erleuchte mich, dass
ich meine Sünden erkenne! Da ist mir immer so bange! Sei du, o Herr, mein Licht,
dass mich die Eigenliebe nicht blende! Gib mir wahre Demut, dass ich mich
selbst erkenne! O Jesus, gib mir die Gnade der Demut und Erkenntnis meines
eigenen Nichts!
68 |
Exerzitien 1922: Ich will mich bemühen, gute
Exerzitien zu machen; ich bitte dich, mein Heiland, gib mir deine Gnade! Dazu
hast du mich hierher gerufen, um einige Tage die weltlichen Dinge zu vergessen
und mit dir allein zu sein. Ein einziger Gedanke: Jesus und ich! – Das soll der
Grundgedanke dieser Tage sein: Dich, mein Heiland, immer mehr zu erkennen in
deiner großen Liebe, in deine grenzenlose Hingabe an die Geschöpfe; mein eigen
Ich zu erkennen, all meine Sünden und Schwächen, meine Gleichgültigkeit dir
gegenüber. O Jesus, hilf mir, mich selbst erkennen! Gib mir die Gnade einer guten
Exerzitienbeichte. Ich will all meine Zweifel und Unruhen dem Priester sagen.
Sprich du durch ihn zu mir, dass ich den richtigen Weg finde, der mich immer
näher zu dir führt!
69 |
Gib mir, mein Heiland, die Gnade, das Opfer (=
das Opfer meines Lebens anbieten) zu bringen, das, wie ich glaube, du von mir
verlangst. Gib mir Großmut gegen dich, dass ich kein Kreuz und kein Opfer
scheue!
70 |
Maria Himmelfahrt: (1922) ein Tag reinster
Freude für mich! Bei der heiligen Kommunion mich dem göttlichen Herzen ganz
aufgeopfert, so wie ich erkenne, dass er es will (das Opfer meines Lebens
angeboten). Und ich bin so überaus glücklich darüber. O mein Jesus, nimm mich
hin, wann ich dir am liebsten bin!
71 |
… Ich will mich von jetzt an mehr bemühen,
mein nichtswertiges Ich zu bekämpfen, auf dass Jesus immer mehr in meinem
Herzen zur Herrschaft komme und ich endlich sagen kann: „Ich lebe, doch nicht
ich, sondern Jesus lebt in mir!“
72 |
Mein Heiland, bewahre du dein Kind rein von
jeder Sünde; ich hätte dann auch eine große Freude.
73 |
Die heilige Kommunion – mein Himmel auf Erden!
Mein größtes Glück! Mein Jesus, mein Alles! Mein Lehrmeister, mein
Seelenführer. – Mein Jesus, in seliger Vereinigung gibst du mir alles zu
erkennen, was du von deinem Kinde willst! Ein reines, stilles Herz, leer von
der Welt, immer bereit, deiner Stimme zu folgen, volle Hingabe an deinen
heiligen Willen, reine, glühende Liebe, die sich im Opfergeist äußert.
74 |
Wie süß die Rast nach Leid und Last, an Jesu
Brust, der treuen! Wie muss das Herz trotz Kreuz und Schmerz beim Heiland sich
erfreuen!
Gebetssammlung
November:
75 |
Mein Heiland, hilf, dass ich es auch einmal zu
was bringe! Ich will nicht früher ruhen als bis ich meinen verdorbenen Willen
und meine bösen Neigungen gänzlich unterdrückt habe und Jesus allein in meinem
Herzen herrscht. Sonst kann ich nie eine wahre Opferseele sein.
76 |
Eine Opferseele des Herzens Jesu in ihrer
Vollendung! O du mein höchstes Ideal!
77 |
Mein Heiland, mach aus mir eine vollkommene
Opferseele, ich biete mich dir an, vernichte allen Widerstand, den dir meine
Armseligkeiten und Sünden entgegenstellen! Mit der glühenden Liebe deines
Herzens fülle den Abgrund, der mich von dir trennt, dass ich dir immer näher
komme!
78 |
Wenn ich auch durch das Opfer meines armen
Lebens irgendwie zur Rettung der Seelen beitragen kann, Herr, so nimm es hin!
79 |
Mach mich stark zu jedem Opfer und wenn es
mein Herzblut wäre! Du weißt, mein Heiland, du weißt alles!
80 |
Neujahrstag. Was soll ich meinem Jesus als
Neujahrsgeschenk bringen? So dachte ich mir heute Morgen bei der heiligen
Kommunion. Was wird ihm am meisten Freude machen? – „Mein Kind, gib mir dein
Herz!“ So rufst du immer wieder den deinen zu.
81 |
Mein Jesus, ich gebe dir heute mein Herz und
als Gegengabe, mein Heiland, was gibst du mir? – O senk in dieses dir geweihte
Herz neue, glühende Liebe zu dir hinein!
82 |
Ganz lege ich ins heiligste Herz Jesu das
ganze kommende Jahr und alles, was es bringen wird, Freud und Leid, all meine
geistigen und leiblichen Angelegenheiten.
83 |
Mein Jesus, eine Bitte: Gib mir mehr
Vollkommenheit, mehr Seeleneifer, mehr Opfergeist, mehr Liebe, mehr Hingabe!
84 |
Im neuen Jahr nur eine Liebe – Jesus; nur eine
Sehnsucht – Jesus; nur ein Wunsch – Jesus; nur eine Freude – Jesus; nur ein
Ziel – Jesus!
85 |
Mein Jesus, ich erneuere heute wieder meine
Hingabe an dich als Schlachtopfer. Herr, nimm an das Opfer deines Kindes!
86 |
Ich biete mich dir für alles an als dein
Opfer, über das du verfügen kannst nach deinem heiligen Willen. Ich biete dir
an das Opfer meines armen Lebens. Mein Jesus, du weißt alles, du weißt, dass
ich dich liebe. O mein Jesus, nimm mich hin, wann ich dir am liebsten bin!
87 |
Endlich bin ich eine mit Jesus auf dem Altare
dargebrachte Opferhostie. Mein Heiland, wie danke ich dir für diese so
unendliche große Gnade! Du hast gesiegt, und was soll dein Kind anders als sich
dir ergeben? Du hast mir deinen Diener gesandt, hab Dank, mein Heiland, dafür!
88 |
Und jeden Tag opfert mich jener Gottgesandter
immer wieder mit dem Heiland vereint bei der heiligen Messe. Meine Seele,
bedenke, was das für eine große Gnade ist!
89 |
Täglich opfert mich ein Priester bei der
heiligen Messe dem lieben Heiland und jeden Tag morgens vereinige ich mich mit
jenem Priester, der mich bei der heiligen Messe zum Opfer bringt.
90 |
Sooft ich tagsüber oder in der Nacht denke,
erneuere ich dieses Opfer. Jeder Schlag meines Herzens soll es erneuern.
91 |
Schon seit Wochen lagert in meiner Seele tiefe
Nacht und Verlassenheit. Kein Licht, kein Sternlein leuchtet mir. Mein Jesus,
ist das deine Antwort, die du deinem Kinde schickst?
92 |
Wohlan, mein Jesus, deine übergroße Liebe war
es, die mich zu jener Hingabe befähigte, deine Liebe hat mich an dein Herz
gezogen, deine Gnade wird mich stützen, die Folgen dieser Hinopferung zu
tragen.
93 |
Trotz dieser inneren Verlassenheit und Dürre
bin ich so voll Ruhe und Ergebung. Nur die Sehnsucht nach dem lieben Heiland
quält mich, und die Furcht, ihn zu beleidigen.
94 |
Bei der heiligen Kommunion am Mittwoch
leuchtete wohl ein Sternlein durch die dunkle Nacht meiner Seele. – Da, am
Herzen Gottes erkennt man so vieles, was ich nicht imstande bin,
niederzuschreiben. O mein Jesus, wie bist du so gut! Dir vertraue ich mich ohne
Vorbehalt an.
95 |
Heute heilige Kommunion. Nachmittags will ich
zurückdenken an diese wonnevolle Stunde. O, dass ich die Liebe meines Heilands
besser begreifen könnte! Mein Jesus, dein Kind hat immer so sehr Sehnsucht nach
dir!
96 |
Ich habe heute Jesus gebeten, dass er immer in
meinem Herzen bleiben möge, nicht nur bei der heiligen Kommunion, wenn auch
nicht in fühlbarer Weise, auch dann, wenn ich mich scheinbar von ihm verlassen
fühle in innerer Trockenheit und Traurigkeit.
97 |
Mein Heiland, verlasse dein Kind nicht! An
deinem süßen Herzen lässt du mich erkennen, dass deine Gegenwart aller Opfer
wert ist, dass du mich vollkommen beglücken willst. Nur volle Hingabe verlangst
du. Ach, wie wenig entspreche ich deinem Verlangen. Habe Geduld mit mir! Du
weißt, dass ich dein schwaches Kind bin. Mit deiner Gnade werde ich dir doch
immer wohlgefälliger werden.
98 |
Wie oft wundert es mich, dass ich dir nicht zu
untreu bin. Wie viele Rückfälle an einem Tag! Wie ist es mir dann bange, wenn
ich das so erwäge: Wie kann der liebe Heiland an mir Freude haben mit meinen
vielen Untreuen?
99 |
Herr, du allein genügst! Das war der Ruf
deiner Auserwählten. Herr, dich allein! Das soll der Sehnsuchtsruf meines
Herzens sein. Und wie viel ließest du mich über dieses Wort erkennen bei der
heiligen Kommunion! Nach dir soll all mein Streben gehen, all meiner Sehnsucht
Ziel sollst du sein. Du mein alles, mein einziger Schatz und mein liebster
Bräutigam. Dir habe ich die Lilie meines Herzens geweiht. Du bist mir Alles
geworden.
100 |
Zu dir erhebt sich mein Geist des Morgens,
dich wenigstens geistigerweise auf dem Altare anzubeten, wenn ich es nicht
wirklich tun kann. Nach dir sehne ich mich, nach sakramentaler Vereinigung oder
doch wenigstens geistig im Verlangen, dich zu empfangen.
101 |
Und untertags will ich mich auch bemühen,
recht oft die innigsten Grüße zum Tabernakel zu schicken, um immer in deiner
Gegenwart zu sein. Und über den Zerstreuungen des Tages sucht mein armes,
unruhiges Herz wieder Ruhe abends im Gebetsverkehr. Jeden Tag freue ich mich
auf das Abendgebet, um mein kaltes Herz wieder am Herzen Jesu zu erwärmen. Wenn
ich nachts erwache, so bist du wohl mein erster Gedanke, dich im Tabernakel zu
grüßen.
102 |
Mein Jesus, du hast mich bewogen, mich dir als
Schlachtopfer deiner Liebe hinzugeben. Wie viele andere Seelen werden dir aber
treuer als ich! Dieser Gedanke hat mich lange Zeit angehalten, mich dir in
dieser Weise zu opfern.
103 |
Wie wenig Gegenliebe erweise ich dir, wie bin
ich so kreuzesscheu und zaghaft, wenn ich mich überwinden soll, meiner
Eigenliebe [zu] entsagen, meinen Willen [zu] brechen!
104 |
Ach, mein Jesus, ich mache dir wohl wenig
Freude. Und das tut mir selbst weh und betrübt mich. Ich möchte dir gegenüber
glühend sein. Mein Heiland, schick mir einen frommen Führer, der mich lehrt,
dir recht treu zu sein, auch im Kleinen!
105 |
Jesus muss herrschen, ich muss abnehmen! Das
soll mein Kampfesruf sein, denn ich täglich erneuern will. Jesus, um diese
Gnade bittet dein Kind.
106 |
Was habe ich heute am Anfang des
Herz-Jesu-Monats meinem lieben Heiland bei der heiligen Kommunion versprochen?
107 |
Gleichsam tot und abgestorben sein mir selber,
keinen Willen, keinen Wunsch zu haben; nur Jesus soll in mir herrschen.
108 |
Wie viele Gnaden habe ich in letzter Zeit von
Gott erhalten! Ich durfte durch besondere Anregung der Gnade das Gelübde ewiger
Jungfräulichkeit ablegen. Welch große Gnade, die Gott nicht jeder Seele gibt!
Exerzitien 1924 im
Vinzentinum
109 |
Wie lange schon lagert tiefe, dunkle Nacht
über meiner Seele; kein Sternlein, kein Sonnenstrahl erhellt das Dunkel. Mein
Herz sehnt sich nach Licht von oben, meine arme Seele verlangt nach Ruhe und
Frieden, aber wie sie auch ruft: Es bleibt Nacht. Wenn Jesus, das ewige Licht,
zu mir kommen wird, so ist vielleicht morgen meiner Seele Sonnentag. Mein
Jesus, wenn du bei mir einkehrst, dann werden die Nebel verschwinden, denn ich
habe schon so sehr Sehnsucht nach dir; und wenn es auch Nacht bleibt in mir, du
gibst mir doch Kraft zum Durchhalten in den Prüfungen, die du über meine Seele
verhängt hast. – Und wenn mein Herz so mit Sehnsucht nach meinem Heiland
erfüllt ist, so ist das immer ein gutes Vorzeichen. Jesus wird mich dann bald
heimsuchen.
110 |
Mein erster Gedanke am Morgen: Heute kommt
mein Jesus zu mir. Viel leichter als sonst ist es in meiner Seele; eine innige
Freude erfüllt mein Herz. Jesus, mein Jesus, ach, wäre der Augenblick schon da,
der mich mit dir vereint! Sonst bin ich so kalt, so trocken; heute ist mir
alles so klar! Mein Gott, mach mich so rein, so heilig, ganz wie deine Mutter
es war, als sie dich empfangen hat, ganz so, dass ich dir gefalle! – Ein
inniges Vertrauen erfüllt mein Herz; es zieht mich so mächtig hin zum
Tabernakel, zu ihm, dem Geliebten meiner Seele. – Und endlich, endlich habe ich
ihn, o Seligkeit! O Glück nach langen, langen Leidensnächten! Heute darf ich
bei Jesus sein und Jesus würdigt sich, seinem unwürdigen Kinde Zeichen seiner
Gegenwart zu geben. Ich fühle gleichsam seinen Herzschlag in mir; ich fühle
mich eingetaucht in ein Meer von Glück und Freude und Liebe, die mich ganz
überfluten. Alle Zweifel schwinden wie Nebel vor der Sonne.
111 |
Heute kann ich bei Jesus sein. Wenn ich meinen
Heiland sehen könnte, es würde keine größere Freude sein, als die ich jetzt
empfinde. Alle Leiden, alle Zweifel und alle meine Kämpfe, alles Schwere
erzähle ich ihm wie ein Kind seinem Vater. Jesus spricht zu mir, zu meiner
Seele; ich darf mit ihm reden, so wie man mit Menschen verkehrt. Ja, wenn ich
ihn bitte in den übervollen Gefühlen meines beglückten Herzens: „Rede Herr,
dein Kind hört“, sagt Jesus so vernehmlich: „Ist meine Gegenwart nicht eine
laute Sprache?“ – Niemals wäre ich imstande niederzuschreiben, was ich
empfunden. Jesus belehrt mich, wie ich ihn mehr lieben, ihm treuer sein kann;
wie es mir leichter sein wird, seinen inneren Einsprechungen zu folgen, wie ich
immer mit ihm vereinigt bleiben kann.
112 |
Jesus zeigte mir, wie ich gleichsam immer in
ihm sein soll, leben soll von seinem Leben. Ich fühlte mein Herz sich in seinem
Heiligsten Herzen verlieren; ich war so unbegreiflich eins mit ihm. So solle es
immer sein: ein Herz mit dem göttlichen Herzen, ein Leben von seinem Leben, ein
Opfer mit dir, du immerwährendes Schlachtopfer; ein Opfer in deinen Händen, dir
ganz ergeben, ob Freude oder Leid. Leiden sollten meine Freude sein. Du
zeigtest mir, o Jesus, die Gesinnungen deines Herzens; du willst mir diese
Gesinnung einflößen. Ich solle ganz durchglüht, ganz durchdrungen sein von dir,
mein Jesus, mein alles.
113 |
Wie wenig kann man von allem erwähnen. Es muss
selbst gefühlt und erlebt sein, was in dieser Viertelstunde nach der heiligen
Kommunion Jesus mir erwiesen hat. Schon ein Augenblick dieses seligen Genießens
macht vergessen alle Seelenleiden, alle Kämpfe und Versuchungen. Ich fürchte
keine Leiden mehr; im Gegenteil, das Kreuz ist es, was mich mit Jesus vereint.
114 |
Am Nachmittag kann ich es nicht unterlassen,
in die Kirche zu gehen und Jesus nochmals zu danken für alle Gnaden der
heiligen Kommunion. Ja, heute war meiner Seele Sonntag. Aber abends zog schon
wieder Trockenheit in meine Seele, und Jesus, die ewige Sonne, verbarg sich
hinter schwarzen Wolken.
115 |
Montag beginnt wieder das gewöhnliche,
opferreiche Leben. Trockenheit, und innere Finsternis, ist ja die Tagesordnung;
doch gibt Jesus hie und da ein Lichtstrahl, der das Dunkel meiner Seele
erhellt. Einen Augenblick seliger Ruhe im Herzen Jesu: Jesus zeigt sich mir als
der liebste Freund und Führer meiner Seele, dem ich in jeder Weise vertrauen
kann; er wolle nur das Beste für mich; er wolle mein ganzes Herz besitzen, ganz
und ungeteilt. Nichts schmerze ihn mehr als Misstrauen und Wankelmut, mit dem
ich so oft sein Herz verwunde. Nur Liebe und Hingabe verlange er und beständig
gleichen Opfergeist.
116 |
Und ich bitte Jesus, er möge nicht achten auf
das Widerstreben meiner Natur; er möge diesen Widerstand vernichten, durch den
ich immer wieder seine Liebe abweise. – Mein Jesus, hab mit mir Geduld; ich
will alles, was du willst. Gib mir eine große, innige Liebe zu dir, denn die
Liebe überwindet alles. – Dann wieder dunkle Nacht.
117 |
Nach dem Abendgebet sagte mir eine innere
Stimme: „Was würdest du tun, wenn jetzt Jesus zu dir käme?“ – Ich antwortete:
„Ich würde mich an sein heiliges Herz werfen und nie mehr von ihm weggehen.“
Und sogleich war ich mit meinem Erlöser vereinigt. Er gab sich mir in fühlbarer
Weise.
118 |
Ach, könnte ich so rein, so heilig sein, dass
Jesus nur Freude an mir habe! Aber alles, was ich tue, ist so unvollkommen und
mangelhaft. Ich wünsche, immer glühend zu sein Jesus gegenüber.
119 |
Ein Tag voller innerer Kämpfe und
Schwierigkeiten. Vollständige innere Verlassenheit; viele Zweifel und
Versuchungen steigen in meiner Seele auf. Diese beständige innere Abtötung, die
Jesus von mir verlangt, fällt mir so schwer. Ich kann zum Heiland rufen und
flehen, er hört mich nicht. Mein Herz sehnt sich, meinem Seelenführer sich
auszusprechen, aber das kann ich nicht mehr so leicht wie früher.
120 |
Als ich aber abends den schmerzhaften
Rosenkranz betete – bei den Geheimnissen „der für uns das schwere Kreuz
getragen hat“ und „der für uns gekreuzigt worden ist“ –, da würdigte sich
Jesus, mich zu erleuchten. Er gab mir zu verstehen, wie er aus Liebe zu uns das
Kreuz, das Holz der Schmach und Schande nach Kalvaria trug, wie er verspottet,
beschimpft und wie ein Auswurf der Menschheit behandelt wurde. Alles war mir
klar, alle Bosheit, die man an ihm verübt hat, wie er dann am Kreuze starb, verlassen,
verlacht, als der größte Missetäter. Jesus gab mir über sein schmerzvolles
Leiden so viel zu erkennen und zu begreifen. Er gab mir zu verstehen, dass sein
Lebensweg auch der meine sein werde, dass ich verachtet und verkannt würde,
dass ich einmal auch so sterben werde. Er wolle mich als treuen Gefährten auf
seinem Kreuzweg; ich möge nur Vertrauen auf ihn haben und nicht mutlos werden –
zuerst bäumte sich etwas in mir auf gegen das, was Jesus mir zu verstehen gab;
eine leise Furcht erfüllte mich. Aber dann gab mir Jesus so viel inneren Trost,
dass ich mich bereit erklärte, mit ihm diesen Kreuzweg zu gehen.
121 |
Ich machte wieder den Vorsatz: Mein Jesus,
alles, nur keine Sünde! Ferner nahm ich mir vor, ganz auf den lieben Heiland zu
vertrauen, mich ihm ganz zu überlassen. Innig freute ich mich auf die heilige
Kommunion. Und Jesus ließ mich seine gnadenvolle Gegenwart fühlen. Ich war so
eins mit seinem lieben Herzen. Er belehrte mich, wie ich immer so eins sein
soll mit ihm. Ich müsse mich seiner Führung ganz überlassen, ihm ganz
vertrauen, wenn ich auch scheinbar von ihm verlassen sei. Und wenn ich in
vollständiger innerer Verlassenheit und in Seelenleiden wäre und doch ganz auf
ihn vertraue und ihm die gleiche Liebe entgegenbringe wie zur Zeit seiner
Gegenwart, so mache ich ihm die größte Freude.
122 |
Jesus verlangt so sehr nach meiner Liebe; er
bittet mich gleichsam, ihn zu lieben über alles. Soll das mein Herz nicht
rühren?! Ich wünsche, tausend Herzen zu haben, um sie ihm zu weihen. O, dass
mein Herz immer rein und glühend wäre, aber du siehst, lieber Heiland, wie kalt
und öde es in meiner Seele ist. Das ist mein größtes Leid, dass ich meinen Gott
nicht so lieben kann, wie ich möchte.
123 |
Der Morgen brachte mir viel Freude; ich fühlte
ja die Welt nicht mehr; ich war bei Jesus. Aber unter tags so viele innere
Kämpfe. Satan bemüht sich, mich abzubringen vom rechten Weg; er will mich
abhalten vom Gehorsam gegen meinen Seelenführer; er flößt mir ein solches
Verlangen nach äußerem Trost ein, dass es mir schwer wird, vollkommen von allem
losgeschält zu sein und Jesus ALLEIN zu vertrauen.
124 |
Gestern und heute ist wieder Trockenheit mein
Anteil und tiefe Trostlosigkeit, aber ich will nicht verzagen und mutlos sein,
sondern ganz auf den Heiland vertrauen. Ich will mich recht bemühen, beständig
ganz leer zu sein von mir selbst, mein Herz, all meine Geisteskräfte in ihn
versenkt sein zu lassen. Morgen habe ich ja Gelegenheit zu kommunizieren. Ich
will mich heute schon durch innere Abtötung darauf vorbereiten.
125 |
Der heutige Tag brachte mir das Glück der
heiligen Kommunion. Aber so leer, so kalt fühlte ich mich bei der Vorbereitung.
Auch nachher bei großer Trockenheit mein Anteil. Ich fürchte dann immer:
Vielleicht habe ich etwas nicht recht gemacht oder bin ich in Sünden. Ich
fürchte in solchem Zustand immer, Jesus beleidigt zu haben. Aber wenn ich auch
nichts von seiner Gegenwart fühle, er ist doch bei mir. Für diesen Glauben wäre
ich bereit mein Leben hinzugeben, jederzeit. – Ich will mich in solcher
Trockenheit recht bemühen, mit dem lieben Heiland recht herzlich zu sein. –
126 |
Auch den ganzen Tag hindurch war ich leer und
fühlte ein solches Widerstreben gegen Jesus in meiner Seele, dass der bloße
Gedanke an ihn mir direkt zur Qual wurde. Ich sah in mir nichts als drückende
Leiden im Dienste Gottes; so wenig Freude bringe es mir; die Hingabe an den
Heiland schien mir wie drückende Sklavenketten. Und ach, diese innere
Finsternis! Ich kann Rufen und Schreien zu Gott: Es verdoppelt noch meine
Seelenqual! O, wie lang ist solch ein Tag und wie viele solche Tage liegen
hinter mir! Und doch, nicht verzweifeln und mutlos sein oder verzagen! Jesus
wird mir auch die Kraft geben, durchzuhalten, wenn ich nur festen Willen habe.
Er hat mich einmal nach der heiligen Kommunion belehrt, in solchen inneren
Leiden solle ich mir vorstellen, ich sei in einem Kerker. Da sei es immer
finster und traurig und öde, aber dieser Kerker sei sein heiliges Herz. Und
wenn ich alles noch so schmerzlich empfinde, wie könnte ich da mutlos sein?
Wenn ich mit seinem heiligen Willen vereint sei, wäre ich ja immer in ihm, und
zu ungeahnter Zeit käme er, mir einen lieben Besuch zu machen. – O Jesus, gib
mir ein unbegrenztes Vertrauen auf dich!
127 |
Am Sonntag war meine Seele nach der heiligen
Kommunion voll von Freude und Frieden. Ja, ich durfte wieder am Herzen Jesu
ruhen. – Der liebe Heiland belehrte mich, wie ich ihm ganz hingegeben sein soll
und mir selbst abgestorben. Je mehr ich mich selbst verlasse, desto inniger
würde ich mit ihm vereinigt. Jesus ließ mich das unendliche Glück der
Vereinigung mit ihm kosten. Ich war ganz erfüllt und durchdrungen von ihm; ich
fühlte mich gleichsam selbst nicht mehr. Der liebe Heiland zeigte mir, wie ich
ihm ein beständiges Opfer sein soll. Das wenige, das ich für ihn tun könne,
würde er alles mit seinen unendlichen Verdiensten umgeben und bereichern. Er
würde mich seinem ewigen Vater als stellvertretendes Opfer für die Sünden der
Menschen vorstellen, und Gott Vater würde mich annehmen Jesu wegen. Ich müsse
beständig mit seinem heiligen Willen vereinigt sein, ihm immer zu Diensten und
mir selbst ganz abgestorben.
128 |
Ich hatte so ein glühendes Verlangen, dem
Herzenswunsch meines Erlösers ganz zu entsprechen. Es war mein größter Schmerz,
dass ich es so wenig kann. Ich bot mich für alles an, was er für mich wolle.
Mein Jesus, mach mit mir, was du willst, aber gib mir auch deine Gnade dazu!
Achte nicht auf das Widerstreben meiner Natur, sondern tue mit mir, was dich am
meisten verherrlicht! – Wie klein und nichtig erscheinen mir in solch
glücklichem Zustand alle Opfer und Leiden! Wie leid tut mir alle Zaghaftigkeit
und Leidensscheu, womit ich so oft das liebe Heilandsherz betrübe.
129 |
Die kurze Zeit der heiligen Kommunion ging
vorüber. Ich fühle Jesus nicht mehr bei mir. Innere Verlassenheit und
Trockenheit herrschen wieder in mir. Ich sehe ihn mir nichts als drückende
Leiden und ein unbegreifliches Widerstreben gegen das, was Jesus von mir
verlangt. Ich wähne mich in einem tiefen Abgrund, in dem es nur Finsternis und
Seelenqualen gibt. Ich fühle mich so trostlos, und doch verlangt mein Herz so
sehr nach äußerem Trost. Jeder Gedanke an inneren Trost ist mir zur Qual. –
130 |
Ich habe doch noch das Glück gehabt,
Exerzitien machen zu können. Ich freue mich schon sehr darauf, aber nicht, weil
ich vielleicht viele Tröstungen erwartet hätte, nein, um mich innerlich zu
stärken und zu festigen. Es gibt da in diesen Tagen so viel innere Kämpfe; auch
die innere Finsternis umgibt mich. Mein Jesus, gib mir die Gnade der Beharrlichkeit!
– Ich will recht innig beten zu Schwester Therese vom Kinde Jesu. Ich habe so
großes Vertrauen auf sie; sie wird mir den richtigen Weg zeigen. –
131 |
Es lebe Jesus in meiner armen Seele! Das ist
ja die beständige Forderung, die der liebe Heiland immer wieder an mich stellt.
Aber ich wünsche auch nichts so sehr, als dass Jesus ganz in mir lebe, nicht
bloß nach der heiligen Kommunion, sondern IMMER. – Jesus lebt in dem Maße in
mir, als ich mich selbst vernichte und alles in mir zerstören lasse, was von
mir noch da ist. Er muss herrschen, ich muss abnehmen!
132 |
Wie viele Belehrungen hat mir der liebe
Heiland über diesen Punkt gegeben, namentlich nach der heiligen Kommunion, wo
er mir durch seine heilige Gegenwart so viele Gnaden gewährt, wo ich gleichsam
seinen Herzschlag fühle, wo er mich in den Schleier seiner Gegenwart einhüllt,
wo ich wirklich bei Jesus sein darf und äußerlich mir alles entschwindet. Es
ist unmöglich, dies auszudrücken; man muss es selbst erlebt haben. Aber nicht
dieses Leben allein meint der Heiland, sondern etwas anderes, was meiner Natur
sehr widerstrebt. –
133 |
Heute ist mein Herz so leer, so trocken. Ich
habe das lebhafte Gefühl, dass Jesus in mir ist, aber es bringt mir nur
Schmerz, weil ich ihm gar nichts an Liebe schenken kann. Wenn ich mich auch
noch so sehr bemühe, es scheint unmöglich, dass Jesus an mir Freude habe, so
arm, so träge, so kalt bin ich. –
134 |
Sind auch die Leiden manchmal sehr schwer,
Jesus gibt mir dann auch wieder große Gnaden.
135 |
Heute ließ mich Jesus nach der heiligen
Beichte schauen, mit welcher Liebe er seine liebe Mutter in den Himmel aufnahm,
aber nicht nur in den Himmel: Er versenkte sie auch in sein heiliges Herz zum
Lohne dafür, dass sie ihn mit so großer Liebe in ihrem Herzen trug.
136 |
Und Jesus sagte mir innerlich vor der heiligen
Kommunion, er wolle mir heute die Gnade geben, dass er mich in sein heiliges
Herz aufnehme; doch müsse ich zuvor alles, was von mir ist, ablegen; nur die
Kleinen, die Armen und Losgeschälten könnten in sein Herz eingehen. Und ich sah
und fühlte geistig, wie mir alles abgenommen wurde, was mich natürlicherweise
erfüllt – gerade so, wie man ein beschwerendes Kleid abnimmt; es wurde mir so
frei und leicht, nur ganz Geist.
137 |
Nach der heiligen Kommunion hat mir Jesus jene
Gnaden in ganz fühlbarer Weise geschenkt. Ich war ganz durchdrungen von ihm,
ganz im Herzen Jesu. Er gab mir dann so kostbare Belehrung und das Versprechen,
er würde mich immer in seinem Herzen tragen, wenn ich mich bemühen würde, in
ihm zu bleiben. Er sagte mir: „du bist meine Auserwählte; ich habe dich
auserwählt als mein Herzenskleinod; wo immer auf der ganzen Welt ich mich in
der heiligen Messe meinem himmlischen Vater zum Opfer bringe, biete ich auch
dich meinem Vater dar; ich bringe dich dar, du kannst mich aufopfern“.
138 |
Er gab mir sein Herz zur beständigen Wohnung
als den Ort der Ruhe, wo ich ausruhen könne von allen Leiden, als Quelle der
Kraft, um mich geistig zu erneuern, als Ersatz meiner eigenen Unfähigkeit und
Schwäche. Er stellte mir all seine Tugenden und Reichtümer und die Heiligkeit
seines Herzens zur Verfügung, dass ich mich damit bekleidete und sie mir
gleichsam aneigne. Jesus schenkte mir die Fülle der Liebe seines Herzens.
139 |
Dies ist die Stunde der Gnade, um stark zu
werden, in ihm, den diese Vereinigung mit ihm sei die Quelle vieler Leiden.
[sic!] Alle Leiden hätten ja in seinem Herzen ihren Ursprung genommen. Er
zeigte mir alle Leiden seines heiligen Herzens wie einen Abgrund aller Arten
von Seelenpeinen. Alles hätte er in seinem Herzen durchgekämpft und
vorausgekostet. Ach, so ein Meer von Schmerzen tat sich vor meiner Seele auf,
so unermesslich – er zeigte mir, wie er in seinen Leiden allein war; niemand
konnte es recht begreifen.
140 |
Dann zeigte mir der Heiland seine äußeren
Leiden und alle Absichten höchster Verherrlichung in seinen Leiden, die er mit
mir vorhabe. – Ich fühlte ein verzehrendes Verlangen in mir, diese Leiden mit
ihm zu teilen, mit ihm Schlachtopfer zu sein.
141 |
Ich opferte mich ihm ohne Rückhalt auf und gab
ihm all meine Freiheit, um ganz in seinem Banne zu leben. Was denkt man da an
die Wirklichkeit der kommenden Schwierigkeiten! Da wird man nur von der Liebe
beherrscht: O Jesus, du für mich und ich für dich!
142 |
Alle Gnaden und Einsprechungen, mit denen
Jesus mich bedenkt, zielen hin auf das Mitleiden mit ihm, und zwar durchging
ich drei Abschnitte der Vorbereitung:
1.
Mitleiden der schauenden Seele;
2.
Mitleiden mit ihm oder in ihm;
3.
Leiden an seiner Stelle, ihm einen leidensfähigen Leib und
Seele
bietend, da er jetzt nicht mehr leiden kann.
143 |
Der liebe Heiland will sich nochmals seinem
himmlischen Vater opfern können. – Alles in innigster Beziehung zur heiligen
Eucharistie und heiligen Messe (dann zeigte mir Jesus das innere und äußere
Mitleiden).
144 |
145 |
Oktober
146 |
Durch die Vereinigung mit dem Herzen Jesu
fühlte ich einen unbeschreiblichen Schmerz in mir, gerade als ob unzählige
Bande, die mich an mich und an die Welt fesselten, abgeschnitten würden, damit
ich mich ganz Jesu Leiden hingeben könne.
147 |
Am 28. wurde es in mir etwas leichter; ich
fühlte mich aber körperlich krank. Jesus sagte mir, ich würde bald krank und
schwächer werden. Er wolle auch meine leiblichen Kräfte in Besitz nehmen, damit
ich auch in dieser Hinsicht keine Befriedigung habe.
148 |
Am Montag sagte mir Jesus nach der heiligen
Kommunion, es würden heftige Seelenleiden über mich kommen, sodass alle
leiblichen Kräfte davon aufgebraucht würden. Er zeigte mir dann, dass ich mich
ihm ganz, meine Natur überlassen solle, um mit seiner gottmenschlichen Natur
vereinigt zu werden. Es war mir alles so klar, unaussprechlich.
149 |
Am Dienstag sagte mir der liebe Heiland nach
der heiligen Kommunion, er lasse mich heute in den Abgrund seines Herzens
schauen. Nachher fühlte ich mich innerlich ganz versenkt in das göttliche Herz,
als in den Ort des Anfangs aller Liebe und Leiden und Bitterkeit, alles dessen,
was er in seinem Leben gelitten habe; ich schaute, wie seine unendliche Liebe
immer die Triebfeder all seiner Werke war, wie sich seine menschliche Natur
ganz der Liebe seines Herzens unterordnete. Jesus verlangte von mir die
innigste Nachfolge. Ach, wie ist man da begeistert, wie klein kommen mir da
meine Leiden vor im Hinblick auf Jesus! Wie bittet man das so innig: Lass mich
aus dir Kraft schöpfen, lass deine Liebe übergehen auf mich! Man fühlt nur den
einen Schmerz: Dass man so wenig lieben und leiden kann.
150 |
Keine Menschenzunge ist imstande, alle Gnaden
und Herablassung Jesu auszusprechen. Der Unterschied zwischen Schöpfer und
Geschöpf scheint aufzuhören. – Auch untertags fühlte ich oft Jesu Gegenwart.
151 |
Am Mittwoch hatte ich während des Empfanges
der heiligen Kommunion einen bitteren Geschmack (Gefühl) derselben. Jesus sagte
mir dann innerlich: „So bitter wird dir meine Gegenwart sein“. – Er zeigte mir
dann, wie er in seiner größten Liebe ganz Leid und Schmerz sei. Diese Gegenwart
müsse mir gerade so lieb sein. Er werde mir diesen Zustand schenken, aber mit
seinen Leiden auch seine göttliche Kraft.
152 |
er belehrte mich, wie ich mich ihm ganz
überlassen solle, wie er in mir gleichsam seine Leiden erneuern wolle. Er
mahnte mich, seine heilige Gegenwart recht auf mich wirken zu lassen, um
dadurch stark zu werden in der Liebe und im Vertrauen … Auf meine Zaghaftigkeit
hin sagte er mir: „du musst mir vorher deine Liebe geben“. – Ich kann nicht
anders als Vertrauen; ich kann mich seiner Gnaden nicht entziehen. Es ist doch
so süß, bei Jesus zu sein. Gewiss werden mir schwere Leiden bevorstehen, aber
wenn er der Urheber alles dessen ist, was in mir vorgeht, brauche ich nicht zu
fürchten. Meine einzige Furcht wäre nur, dass ich in der Welt bleiben müsste.
Doch auch hierin kann ich nicht anders als Vertrauen auf das, was er mir sagt.
Und dies (dass ich in der Welt bleiben müsste) hat er noch nie von mir
verlangt.
153 |
Ich kann nur das Wenigste beschreiben; das
Meiste entfällt mir wieder, oder ich bin nicht fähig, es auszudrücken.
154 |
Am Tage vor Allerheiligen fühlte ich mich so
krank, dass ich nur mit Mühe zur Kirche gehen konnte. Den ganzen Tag fühlte ich
mich krank und schwach und erschöpft. – Nach der heiligen Kommunion sagte mir
Jesus, ich müsse natürlicherweise aufhören zu leben, alle meine Körperkräfte
müssten im Dienste des Leidens mit Jesus verwendet werden. Er zeigte mir, wie
sich meine menschlichen Kräfte mit den Seinigen vereinigen. Eine
unaussprechliche Vereinigung ließ er mich schauen.
155 |
Am Allerseelentag hatte ich beim Empfang der
heiligen Kommunion den unbegreiflich bitteren Geschmack und zugleich fühlte ich
im Herzen Jesu einen bitteren Schmerz. Ich sah wieder die Leiden, mit denen Es
vom Anfang seines Lebens bis zum Kreuze erfüllt war. – Der liebe Heiland ließ
mich mit sich mitfühlen und zeigte, wie ich alles empfinden werde. Ich war ganz
verzehrt vom Verlangen danach, obwohl ich beinah bewusstlos war im Anblick
dessen, was ich erlebte. – Jesus sagte mir dann, das sei nur ein Tropfen aus
seinem Leidenskelch.
156 |
Er gab mir viele Belehrungen: Ich solle seine
Gegenwart recht auf mich wirken lassen, auch wenn sie nur verhüllt sei; das
reinige mich. In der Liebe seines Herzens müsse ich vollendet werden; darum
solle ich dem schmerzhaften Gefühl nicht ausweichen. (Das habe ich leider oft
getan, indem ich mich äußerlich mehr beschäftigte; dadurch verlor sich die
innere Qual). Jesus sagte mir, wie rein ich sein müsse, um seine inneren Leiden
mehr mitfühlen zu können; denn jeder Fehler vermindere die Liebe und das
Mitleid. Er wolle mich zur höchsten Reinheit führen. – Kein Menschen Mund kann
sagen und begreifen, wie Jesus sich zu mir herablässt …
157 |
Ach, welch tiefe, finstere Nacht herrscht
jetzt wieder in meiner Seele! Alle Gnaden scheinen mir Täuschung und Traum.
Peinvolle Zweifel quälen mich. Und doch fühle ich mich auch wieder mit dem
Herzen Jesu vereinigt. Aber das ist ein Schmerz, dass das Herz fast ohnmächtig
zusammenzuckt. Von ihm geht dieser unaussprechlicher Schmerz aus, so arg, dass
ich fast jeden Tag abends ganz krank und schwach bin. – Jesus hat mich das
voraussehen lassen. Doch dies bringt mir keinen Trost, weil mir alles Täuschung
zu sein scheint. Hie und da lässt mich aber ein Blick in das schmachgesättigte
Herz Jesu erkennen, dass alles, was ich fühle, nur ein Tropfen ist aus seinem
Leidenskelch. Dann neue Liebe und Hingabe – und wieder unbegreifliche
Finsternis.
158 |
Ach, so viel Sehnsucht: Weg von der Welt, in
ein stilles Plätzchen! Hier halte ich es auf die Dauer nicht mehr aus. Der
Gedanke daran macht mich schon mutlos. So allein, ohne Führung! – Wie froh wäre
ich, wenn alles Täuschung wäre und wenn doch alles aufhören würde! – Der liebe
Heiland findet viel treuere Seelen, als ich es bin. Solange keine Antwort von
meinem Seelenführer! Das macht mir so viel Zweifel.
159 |
Am Sonntag (5. November) fühlte ich beim
Genuss der heiligen Hostie einen ganz bitteren Geschmack und sogleich in meinem
Herzen durch die Vereinigung mit Jesus ein ganz schmerzhaftes, bitteres Gefühl.
Ein Blick in das leidende Herz Jesu! Es ist ein großer Trost, mit Jesus fühlbar
zu leiden, auch wenn es schmerzlich ist. Aber wenn er die fühlbare Gnade
zurückzieht und man ganz den natürlichen Empfindungen hingegeben ist, dann
fühlt man so etwas, wie Jesus fühlte, als sich nach seinem Willen seine
Gottheit mehr in die Heilige Dreifaltigkeit zurückzog und er ganz seiner
heiligen Menschheit hingegeben war. Und zu diesem Grade des Mitleidens will
mich der liebe Heiland führen. Darauf gingen in letzter Zeit alle
Einsprechungen und die innere Führung aus.
160 |
Mein Jesus, lass mich nicht mutlos werden!
Doch er tröstet mich oft mit den Worten: „Mit meinen Leiden gebe ich dir auch
meine göttliche Kraft“. – Darum wünsche ich auch, so schwer es ist, nichts
anders als Leiden; denn je mehr ich durch Jesus leide, desto mehr lebt er durch
seine Leiden in mir, – und das ist der sehnlichste Wunsch meines Herzens, das
er GANZ in mir lebe. – Nur weg von der Welt! Das ist meine einzige Bitte an
ihn.
161 |
„Himmlischer Vater, ich opfere dir das Herz
deines Sohnes auf als Quelle aller Liebe, aller Leiden, das Herz, das sich für
uns geopfert hat, um uns zu erlösen und uns von unseren Sünden abzuwaschen.“
Dies Gebet hat mich Jesus gelehrt und jedes Wort besonders erklärt.
162 |
Ich solle mich recht von dem Gedanken
durchdringen lassen, dass Jesus mich liebt. – Mein Jesus, ich glaube an deine
Liebe zu mir! – Ich müsse den höchsten Grad der Vereinigung mit Jesus Erlangen,
ein ähnliches Freisein von allem, wie es die ersten Menschen hatten bei der
Erschaffung. Es soll ein Zustand des Friedens und der Ruhe in Gott sein.
163 |
Jesus zeigte sich meiner Seele fühlbar, wie er
bei seiner Auferstehung war, in seinen Wunden, die er bei seinen Leiden
empfunden hatte. – Er sagte mir, ich solle das Leben, das er bei seiner
Auferstehung angenommen habe, in mir weiterleben lassen. Er wünsche es von mir
fortgesetzt, wie er in der heiligen Eucharistie sich uns beim letzten Abendmahl
geschenkt habe. Seine Leiden und Wunden sollen sich geheimnisvollerweise
ständig in mir erneuern. – Die Gesinnungen seines Heiligsten Herzens sollen die
meinen sein; so innig solle ich mit ihm vereinigt sein wie Leib und Seele …
164 |
Jesus fragte mich immer wieder, ob ich ihn
aufnehmen wolle mit seinen heiligen Wunden und mit seinem Herzen. Im Vertrauen
auf seine Gnade bot ich mich an für alle seine Absichten, die er mit mir habe.
Wie könnte ich anders, da er mir dadurch die höchste Vereinigung mit sich
versprach!
165 |
Der liebe Heiland eröffnete dann immer mehr
seine Absichten, die er mit mir habe; wie ich seine Leiden mitfühlen werde und
wie ich mich dabei verhalten soll. (Das muss innerlich selbst erlebt werden;
ich kann es nicht aussprechen). –
166 |
Diese Tage waren wirklich Tage der Vereinigung
mit Jesus, voll Freude und Frieden in ihm. Gar bald wird diese freudvolle
Vereinigung in Leiden übergehen, wie Jesus mir gesagt hat; nur seine Leiden
sollen der Beweis seiner Gegenwart in mir sein. Ich fühle aber keine Angst und
bin innerlich ruhig.
167 |
Am Ostermontag sagte mir Jesus: „Lass mich
dich überfluten mit meiner Gegenwart!“ – ich solle mich ganz von ihm in Besitz
nehmen lassen, besonders von seinen Leiden. Diese sollen für mich die größte
Demütigung sein, – wie es war bei seinen Leiden, wo er ganz seiner heiligen
Menschheit hingegeben war. Er zeigte mir dann, wie er unter der Verachtung und
Schmach von Seiten der Menschen gelitten habe, und wie ich es miterleben werde.
–
168 |
169 |
Basiert auf
Manuskript 2 (M2)
M1 enthält keine
Datumangaben.
170 |
Wie sind Gottes Wege doch wunderbar! Wie hatte
er mich doch wunderbar in dieses Haus geführt und mich diesen Priester … finden
lassen. Ich danke dir recht innig dafür, mein Heiland! Wie viele Freude des
seelischen Einsseins in deinem heiligen Herzen hast du damit gegeben! Ja, wir wollen
dir recht treu sein. – Du gabst mir auch die Möglichkeit, mich vollends
auszusprechen mit meinem Seelenführer und gabst so viele Gnaden inneren
Lichtes. War auch meine Seele gewöhnlich in Finsternis, so sprachst du doch so
oft zu meinem Herzen.
171 |
Eine besondere Gnade war es, dass ich das
Gelübde der „vollkommenen Hingabe an Gott“ machen durfte. Das war wieder eine
Gnadenstunde. Du wolltest, o mein Heiland, ich solle mich dir vor der heiligen
Kommunion aufopfern; zuerst möge ich mich dir schenken, dann wolltest du dich
mir geben.
172 |
In besonderer Weise ließ mich Jesus wieder
eins werden mit sich; ich war gar nicht mehr vorhanden; alles in mir bei Jesus,
doch war ich dabei so klar, so ruhig und fühlte mich so sicher in ihm. – Er
sagte immer: so wahr du glaubst, dass ich jetzt (in der heiligen Hostie) zu dir
gekommen bin, so sicher kannst du an die Gnaden glauben, die ich dir schon
gegeben habe und immer noch gebe, besonders an jene, dass ich in dir die Folgen
der Erbsünde ausgelöscht habe und dich mein heiliges Herz bzw. dessen innere
Leiden miterleben lasse. – Jesus gab mir im Einzelnen viel Licht über die
unermesslichen Gnaden, die mir immer noch so unbegreiflich waren und mir
deshalb zum Gegenstand wiederholter Zweifel und Verzagtheit wurden.
173 |
Jetzt bin ich so eins mit dem Heiland, nicht
in Süßigkeit und Tröstungen, sondern im sicheren Bewusstsein der Echtheit und
Übernatürlichkeit meines Seelenlebens. – Ich will an seine Gnaden glauben, auch
ganz nach dem Auftrag meines Führers. Eine innere Ruhe ist jetzt in mir und es
ist in mir so ganz wunschlos geworden. – Der liebe Heiland sagte mir über
diesen Akt der Hingabe an ihn, er wolle dadurch in mir die Gnaden der geistigen
Vermählung erneuern und noch mehr zur Vollendung bringen. Ihm sei gedankt!
(Herz-Jesu-Freitag)
174 |
„Ich will neue Gnaden über das Priestertum
ausgießen, da der Priester mit den gewöhnlichen Gnaden2 den
Anforderungen3 der Zeit nicht mehr entsprechen kann. Ich will meine
Priester zu einer Macht heranbilden und diese der Hölle und dem Zeitgeist
entgegenstellen. Meine Priester, ganz von mir erfüllt, werden die bösen Geister
in den Abgrund der Hölle zurückbannen.
175 |
Ich will, dass die Priester in dem von mir
bestimmten Geiste erzogen werden, dass sie an die besonderen Gnaden glauben,
dass sie ganz von meiner Liebe beherrscht seien. Meine Liebe soll in den
Priestern wieder herrschend werden, um die erkaltende Welt durch die Liebe
wieder zu erwärmen. Ich will ihnen gleichsam mein Herz öffnen und sie ganz an
mich ziehen. Von ihnen erwarte ich alles.
176 |
Die Seelen sollen durch die Priester wieder
den Weg zu meinem Herzen finden. Doch so viele Priester leben in Selbstsucht
und Leidenschaft und die Seelen können dadurch nicht zu mir gelangen, da der
Weg, der über die Priester führt4, nicht durchsichtig und klar ist.
Ich will von den Priestern alles entfernen, was die Seelen hindern könnte, zu
mir zu kommen. Ich will die Priester ganz an mein Herz ziehen und sie lehren,
was ich für die Seelen von Ihnen erwarte.
177 |
Ich will mit ihnen teilen, was der Vater mir
an Liebe für die Seelen in mein Herz gelegt hat. Ich will sie ganz teilnehmen
lassen an mir, aus Ihnen einen zweiten Erlöser und Heiland machen, um die
leidende und gedrückte Menschheit wieder an mich zu ziehen.
178 |
Doch sollen sie vor allem an meine große5
Liebe glauben. Mein Herz steht Ihnen offen. O, dass sie an meine große Liebe
glauben möchten! Ich will meine Liebe gleichsam verströmen lassen auf alle
Priester meiner Kirche.
179 |
Ich will sie aber besonders in einem Werke
ausströmen lassen, das ich bilden werde für meine Priester. Dies soll zur
Zentrale der Gnaden werden und gleichsam das Senfkörnlein sein, das sich über
die ganze Welt verbreiten soll, da ich alle Priester an mein Herz ziehen will.
180 |
Wenn ich Wunder und Gnade wirkte, so tat ich
es in meinen Aposteln, da wenige die Welt für mich gewannen. Ich lebte ihn
ihnen; sie glaubten an mich, ihren Meister; das war das Geheimnis ihrer Kraft.
Der Glaube (an ihr Priestertum) ist in den Priestern fast erstorben. Sie
glauben zu wenig an ihr Priestertum. Mein Leben lebt nicht so recht in ihnen;
sie leben sich selber. Ich will den Glauben an ihr Priestertum wieder stark und
mächtig machen6. Ich will ihr Leben sein, ganz mit ihnen eins werden,
mich ihnen mitteilen. Mein Herz soll ihr Herz werden.
181 |
Mein Herz hat so viel Liebe für die Priester
bereit, dass noch wenige dahin gelangt sind, diese Schätze zu entdecken. Aber
jetzt will ich sie meinen Priestern zeigen, da die Not meiner Kirche so groß
ist und die Seelen zu mir um Erbarmen und Hilfe schreien. O, dass doch alle
Priester zu mir kämen, dass ich allen mitteilen könnte, was ich so lange in
meinem Herzen verschlossen habe!
182 |
In meinem Herzen werden die Priester alles
finden, was sie für die Seelen brauchen, besonders die Liebe. Die Priester,
meine Priester sollen ganz von meiner Liebe beherrscht sein, von meiner Liebe
ohne Ende.
183 |
EINE Liebe, ein Herz mit mir soll der Priester
haben. Er soll ganz eins sein mit mir und mein Freund, dem ich Seelen
anvertrauen kann. EINE Liebe soll ihn täglich zum Altar führen, um sich mit mir
meinem Vater zu opfern für die Seelen; EINE Liebe soll ihn gleichsam beständig
am Opferaltar festhalten, um zu sühnen, wie ich gesühnt und geopfert habe. Er
soll den Seelen nochmals Erlöser werden und die Seelen in meinen
eucharistischen Bann ziehen. Am Altar soll der Priester sein Leben verbringen.
Das soll der Mittelpunkt seines Strebens und Verlangens sein. Hier bin ich mit
meinen Priestern und mit den Seelen in Verbindung. Und hier kann ich Wunder der
Liebe in ihnen wirken. Ich will die Priester7 ganz in meiner Nähe
haben, um sie ständig zu beeinflussen, ihr eigenes Ich aufzugeben.
184 |
Was gibt der Priester auf, wenn er sich selbst
aufgibt? Ein schwaches, unfähiges Nichts. Was gebe ich ihm dafür? Ich lasse ihn
an meiner Göttlichkeit teilnehmen und will gleichsam sein Herz werden, durch
das ich mich den Seelen mitteilen will.
185 |
Meiner Gesellschaft (Jesus des Hohenpriesters)8
will ich den Vorzug9 geben, diese neuen Gnaden an meine Priester zu
verkünden. Es sollen wirklich neue Gnaden sein. Überall kann man sehen, dass
die Priester den Anforderungen der Zeit nicht mehr entsprechen können und dass
der Glaube an ihr Priestertum zu wenig lebendig ist. Ich erwarte von den
maßgebenden Persönlichkeiten, die ich an die Spitze meiner Kirche gestellt
habe, dass sie meine Priester an mein Herz kommen lassen und sie zu meinem
Herzen führen.
186 |
Das Werk soll den Namen haben: Das Werk Jesu
des Hohenpriesters, weil ich selbst der Gründer des Werkes sein werde; darin
werden sich meine Absichten verwirklichen, die ich für die Erneuerung des
Priestertums vorhabe, so, wie ich es meinem Kinde geoffenbart habe. In diesem
Werke will ich eine Anzahl Priester bilden, die ganz nach meinem Geiste leben,
so wie ich sie dem heutigen Zeitgeist entgegenstellen will. In meinen Absichten
werden sie Apostel sein.
187 |
Ich habe einen Priester schon lange
vorbereitet, damit er in dem Werk gleichsam meine Stelle vertrete. Durch diesen
will ich die Gnaden für meine Priester ausgießen. Er soll der Geist des Werkes
sein. Der inneren Ausgestaltung nach muss es das Werk meiner Dienerin Luise
Margareta sein, der ich schon lange vorher diese meine Absichten gezeigt habe,
die ich für die heutige Zeit vorbereitet habe. Es wird sich herausstellen, dass
es im Grunde nur ein Werk ist und dass ein Ganzes sich bildet aus zweien.
Daraus wird man auch ersehen, dass alles vom Heiland ausgeht.
188 |
Gleichsam eins mit dem Priesterwerk soll jenes
Werk der Gesellschaft Mariens sein, in einem verbunden. Es darf nicht getrennt
werden, da ich dadurch meine Mutter ehren will als die Vermittlerin der Gnaden
für das Priesterwerk10 und da ich gleichsam fühlbar und sichtbar
werden lassen will, was gegenseitiges Beten und Opfern für die Früchte in der
Kirche bringen kann. Man ist von diesen Absichten, die ich bei der Gründung der
Kirche hatte, zu weit abgewichen und hat zu menschlich gehandelt. Das muss in
der kommenden neuen Zeit geändert werden. Ich will meine Kirche gleichsam auf
eine neue Grundlage stellen und die Einheit der Kirche wiederherstellen, wie
sie in der ersten christlichen Zeit war. Maria will mitwirken am Neubau der
Kirche, der durch die Priester geschehen soll. – Es soll eine neue Art der
Tätigkeit der Gesellschaft Jesus sein, ähnlich wie z. B. die überseeischen
Missionen. Ein Teil der Gesellschaft Jesu soll sich dazu hergeben.
(Wahrscheinlich können Weltpriester mittun.)11
189 |
Meine Wahl ist es, meine Gnaden zu offenbaren,
wem ich will. Wenn ich das kleinste Kind erwählte, so habe ich dabei meine
allerweisesten Absichten. So wenig Widerstand erwarte ich von den maßgebenden
Persönlichkeiten, dass sie mit Kindeseinfalt an die Gnaden und Wege glauben,
durch die ich meine Kirche zur Einheit führen will. Meine Liebe will mehr
Einheit in der Kirche herrschen lassen. Die Einheit macht meine Kirche stark.
Die Feinde haben dann keinen Zutritt.
190 |
Alles Gute soll in der Kirche verwertet
werden, von dem man in reichlicher Prüfung annehmen kann, dass es von mir
kommt. Ich will das Haupt der Kirche sein; die Priester sollen mein Herz sein;
alle Glieder sollen sich durch das Herz zum Haupte wenden. Ich will, dass die
Einheit der ersten Christenheit wiederhergestellt werde, um dadurch die Feinde
zu besiegen und meiner Kirche zum Triumphe zu verhelfen.
191 |
Ich habe M. zur Botin meiner Liebe zu den
Priestern gemacht.12
192 |
Ich will mir ein Werk gründen, das ganz für
die Priester ist. Da will ich die Gnaden meiner Erneuerung ausgießen. Es soll
wirklich MEIN Werk sein, weil ich es ganz nach meinen Absichten ausgestalten
will.
193 |
Ich will mich zu den Priestern herablassen,
sie als meine Söhne und Freunde behandeln und sie bilden13, dass sie
ganz gefügig in meiner Hand den Seelen dienen können. Ich will sie bilden, wie
ich meine Apostel befähigt habe, eine Welt voll des Heidentums für mich zu
gewinnen.
194 |
Ich will die Priester an mein Herz ziehen, das
ihnen so viel Schätze der Liebe und Auserwählung bereithält, mit denen ich sie
erfüllen will. Ich will ALLE Priester für mich gewinnen; darum soll es ein
weltumfassendes Werk werden. Ich will es den Söhnen meiner geliebten
Gesellschaft Jesu14 anvertrauen, von denen ich erwarte, dass sie
meine Absichten kräftig unterstützen und die Einflüsse des bösen Feindes, der
sich dagegen erheben wird, möglichst fernhalten. Es werden sich auch Priester
dagegen erheben, die unter dem Schein meiner Freundschaft gegen das Werk
kämpfen werden; doch ihre Macht wird zerschellen. Allen jenen, die mein Werk
nach meinen Absichten fördern, werde ich gut sein und meine Liebe besonders
beweisen; vor allem in ihrer Sterbensstunde werde ich sie in mein Herz
aufnehmen.
195 |
Ich habe mir einen Priester herangebildet, dem
ich die innere Gründung meines Werkes anvertrauen will. Er soll aus seiner
innersten Überzeugung heraus den Priestern meine Absichten verkünden, da er
selbst Zeuge ist, wie viele Gnaden ich für das Priestertum in der heutigen Zeit
bereithalte und wie viel ich ihm selbst davon geschenkt habe. Er soll der
Apostel meiner Absichten sein, weil ich keinem so viel geoffenbart habe wie
ihm. Er soll in dem Werk meine Stelle vertreten und ich erwarte von ihm, dass
er für meine Absichten ganz Opfer sei.
196 |
Das Werk soll in innigsten Zusammenhang gebracht
werden mit den Offenbarungen, die ich meiner Dienerin Luise Margareta gegeben
habe und die vornehmlich dieser Zeit angepasst sind; jetzt will ich diese
Absichten verwirklichen. Meine Liebe soll wieder meine Priester beherrschen und
so die Seelen an mich ziehen und sie einen Gott der Liebe und zumal unendliche
Barmherzigkeit finden lassen.
197 |
Mein Herz hat Erbarmen mit so vielen Seelen,
die eines Führers bedürfen, so vieler Armer, die nach einer Zuflucht verlangen
und in die kalte Welt hinausgestoßen sind. Meine Priester sollen wieder meine
Liebe und Barmherzigkeit verkünden und vor allem sollen sie selber lebende
Abbilder meiner selbst sein. Mein Leben soll in ihnen herrschen.
198 |
Was der Welt heute am meisten fehlt, ist die
Liebe. Meine Liebe soll wieder der Anteil meiner Priester werden; darum müssen
sie an mein Herz kommen, um daraus Liebe zu schöpfen. Meine Priester sollen
meine Liebe predigen, sollen sein Leben „leben“, sollen mir ähnlich werden in
der Hingabe an mein Erlösungswerk, für das sich als Gott Mensch geworden bin.
Sie sollen wieder den Wert der Seelen begreifen und sich in den Dienst meiner
Seelen stellen.
199 |
Was mich beleidigt und betrübt, ist dies, dass
die Priester für sich selbst15 leben, im Beruf ihr zeitliches
Fortkommen sehen und so wenig höhere Interessen haben. Mein Herz ist so
beleidigt deswegen. Wer gibt mir die Seelen zurück, die durch die
Nachlässigkeit der Priester verwirrt und verirrt sind und so eine Beute der
Welt und meines Feindes werden? Wer entschädigt mich für so viele Kinderseelen,
die einen Freund suchen, dem sie sich mitteilen können und von dem sie Liebe
erwarten – die aber keinen solchen finden und so der Verführung anheimfallen
und für mich verloren sind?
200 |
Meine Priester sollen wieder Hirten der Seelen
werden; mein Hirtenherz will ich ihnen schenken. Ihr Leben soll mein Wandel
sein. Dazu gebe ich ihnen meine besondere Gnade und ich will, dass man daran
glaube. Die Priester sollen zu diesem Glauben geführt werden. Sie sollen wieder
ihren Heiland und Meister kennenlernen.
201 |
In meiner Kirche werde16 ich mein
Erlöserleben fortsetzen. Vor allem soll sich bewahrheiten: „Die Pforten der
Hölle werden sie nicht überwältigen“. Darum gebe ich diese Gnaden jetzt, da die
Not meiner Kirche und der Seelen so groß ist. Zeichen und Wunder werden meine
Priester begleiten, wenn sie an meine Gnade und vor allem an die Gnade des
Priestertums glauben. Warum sollte meine Macht weniger groß sein als zur Zeit
der Apostel?
202 |
Ich will wieder groß werden in meinen
Priestern. Mein Leben wird sich in ihnen widerspiegeln und sie werden meine
Priester sein. O, dass sie es erkannten, wie ich sie liebe, was ich von ihnen
erwarte, welche Schätze der Gnade ich in ihre Hand gelegt habe, und wie die
Seelen meist nur durch sie zu meinem Herzen finden!
203 |
Ich habe nun einmal diesen Weg (doch das Werk)
gewählt um die Priester an mich zu ziehen. Ich will dort die Gnaden direkt
ausströmen lassen durch den Priester, den ich mir dazu erwählt habe. Mein Leben
soll wieder in den Priestern herrschend werden. Darum ist notwendig:
1. Ehrfurcht vor sich selbst und vor
dem Zweck, zu dem die Priester bestimmt sind;
2. Glauben an ihr Priestersein, d.
h., sie sollen alle Gnaden verwerten, die ihnen damit geschenkt sind, und
sollen diese den Seelen zuwenden.
3. Ihr Leben soll Abtötung und
Entsagung sein; nicht dass sie sich unter Menschenwürde erniedrigen sollen,
doch ihr INNERES Leben soll MEIN Leben sein.
4. Sie sollen ihr Leben geistig17
auf dem Altar verbringen, sollen ein Opfer mit mir sein in beständiger Hingabe
an den Vater, sollen ein Leben der Sühne für die Sünden leben.
5. Sie sollen ihr Leben auf dem Altar
leben18, d. h., meine Gegenwart im heiligen Sakrament sollen sie zum
Mittelpunkt ihres priesterlichen Lebens machen. Da sollen sie einen Freund
finden, der sie versteht; da die Kraft, sich ganz zu opfern. Was mich betrübt
ist dies: dass meine Gegenwart im Sakrament von den Priestern so wenig
geschätzt wird. Und doch bin ich ihnen so nahe und möchte ihnen alles geben. Da
sollen die Seelen wieder zu mir geführt werden. Alle Mühe der Priester wird
vergeblich sein, wenn sie die Seelen nicht mit mir in Verbindung bringen.
6. Die Priester sollen wieder
Vorbilder der Menschheit werden. Habe ich Menschen zu so hoher Würde erhoben,
so kann ich sie auch durch meine Gnade zu größtmöglicher sittlicher Höhe
bringen, dass sie meiner Gnade Ehre machen. Ich will heilige Priester erwecken.
Meine Heiligkeit soll wieder in den Priestern herrschend sein. Jeder Priester
soll sich zur Aufgabe machen, seinem Meister ähnlich zu werden. Meine Liebe
muss wieder in den Priestern lebend und herrschend sein.
204 |
Nichts kann mich davon abbringen, auch wenn
man versucht, meinen Absichten entgegenzutreten19. Meinen Kindern,
die ich damit beauftragte, gebe ich Martyrergeist. Sie werden mir kein Opfer
verweigern und werden mir gefügig sein. Alle jene, die mitarbeiten, werden
großen Segen erfahren. Meine Feinde werde ich in den Abgrund der Hölle stürzen;
meine Absichten werden sich verwirklichen und meine Kirche wird erneuert und
verjüngt werden20.
205 |
Ich will, dass meine Gedanken21
jedem Einzelnen beigebracht und von den Priestern geglaubt werden. Darum will
ich ein eigenes Institut, wo das gelehrt und berücksichtigt wird, weil es in
dieser Form am meisten vertieft werden kann. Der Priester soll es im Einzelnen
aufnehmen, für sich verwerten und hinaustragen und Apostel sein. Es soll sich
über die ganze Kirche verbreiten.
206 |
Zu diesem22 Werk verbunden soll das
meiner heiligen Mutter sein. Ihre Fürbitte für die Priester hat vieles bei mir
erreicht. Ihr zu Ehren soll es EIN Werk sein. Sie soll die Freiheit haben, ihre
Hilfe zu betätigen für die Erneuerung der Priester. Ich will sie dadurch ehren
als die Vermittlerin aller Gnaden für das Priestertum. Sie will ihr Leben und
alles, was sie mir gegeben hat, für diesen Zweck nochmals fruchtbar machen.
207 |
(Der Heiland sagte mir, er habe Pater
Ferdinand Baumann zur Gründung und Leitung dieses Werkes nach seinen Absichten
sich vorbereitet; das sei der Priester, der mir geistig23 schon seit
Jahren bekannt war und für den ich opfern und beten musste, ohne dass ich ihn
persönlich kannte. Im Jahre 1936/3724 führte mich der Herr mit ihm
zusammen.)
208 |
Hauptzweck der Gründung ist:
1. Selbstheiligung und innere
Umgestaltung der einzelnen Mitglieder in Christus dadurch, dass sie sein Leben
in sich aufnehmen.
2. Einführung aller Priester der
Kirche in diesen Geist und ihr Zusammenschluss in diesem Geist.
3. Zusammenschluss von Priester und
Volk zur Einheit der Kirche.
209 |
Das Werk soll ganz „jesuitisch“ sein, was die
Ausbildung der Mitglieder im Noviziat betrifft. „Der Geist des heiligen
Ignatius“ darf nicht verloren gehen.
210 |
Seelisch werden sie gebildet nach dem Vorbild
Jesu des ewigen Hohenpriesters, sein Leben in sich aufnehmend. Sie sollen:
a) an alle neuen priesterlichen
Gnaden glauben; denn Jesus will neue Gnaden des Lichtes und der Einsicht in die
Bedürfnisse der heiligen Kirche und der Jetztzeit geben.
b) an die Macht und Würde des
Priestertums glauben, in einem neuen Glaubensleben bezüglich ihres heiligen
Berufes. Sich stützend auf ihre göttliche Sendung sollen sie von ihren Würden
und Gewalten ganz Gebrauch machen. Sie sollen sich als von Gott gesandt
betrachten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“. – Sie sollen
in allem Christi Stelle einnehmen wollen: Der Priester, ein zweiter Christus!
211 |
„Ich habe das
Werk erwählt zur Zentrale aller neuen Gnaden für mein Priestertum. Ich werde es
mit meinem Lichte und meiner Kraft umgeben. Die Mitglieder des Werkes werden
diesen Geist bis an die Grenzen der Erde tragen. Es wird neues Leben in meiner
Kirche entstehen25“.
212 |
Ausgangspunkt
und Mittelpunkt der Erneuerung der Priester ist das rechte Mitopfern mit der
heiligen Messe.26 Der Priester soll ein Opfer sein mit dem
göttlichen Erlöser und Hohenpriester. Von da werden jene neuen Gnaden der
Vereinigung mit Christus und neue Fruchtbarkeit des priesterlichen Wirkens
ausgehen.
213 |
Jesu Leben
soll des Priesters Leben werden. Jesu Interessen und Anliegen müssen im
Priester zur Tat und Verwirklichung werden. Der Priester soll tun, was Jesus
getan hat, gleichsam als dessen zweite Persönlichkeit sein Wirken fortsetzend.
– „Ich werde in ihnen lebend sein, und sie werden nicht enttäuscht werden.“
214 |
Die Priester
sollen die Leiden des Herzens Jesu zu ihren eigenen machen, sollen Jesu
Erlöserleben und seine Sorge um die Seelen in sich selbst fortsetzen. Der
Priester soll an Christi statt und nach seinem Vorbild der große Büßer, der
Versöhner der göttlichen Gerechtigkeit sein. Er soll eindringen in Christi
Herz, das ein beständiges Schlachtopfer für die Sünder war. In dem Maße, als
der Priester vor Gott der Versöhner an Jesu statt ist, im gleichen Maße wird er
den Seelen die Erlösungsgnaden Christi zuwenden und sie fruchtbar sehen in den
Seelen. Alle Gnaden der Erlösung und der Heiligung für die Seelen müssen vom
Priester sozusagen mitverdient werden durch ein beständiges Mitopfern mit
Christus. Nur ein priesterliches Opferleben wird die Erlösungsgnade Jesu für
die Seelen zu ihrer vollen Frucht, Kraft und Wirksamkeit vollenden. Dies ist
ein Hauptübel, dass die Priester ihr Leben in dieser Beziehung nicht für
maßgebend betrachten27.
215 |
„Alle Gnaden,
die ich meinen Aposteln gegeben habe, werde ich neu ausgießen und dadurch neues
Leben in den Seelen wirken. Die Schäden meiner Kirche brauchen ein neues
Heilmittel und das werde ich sein. Mit dem Heiligen Geist ausgerüstet, sandte
ich meine Apostel aus. Mein Leben in den Priestern dieser Zeit wird nicht
weniger Frucht bringen. Aber man soll an dieses neue Leben glauben, das ich den
Priestern vermitteln will. Aus dem Glauben wird die Kraft kommen, dass die Priester
mein Erlöserleben in der Kirche fortzusetzen vermögen. Meine Kraft, mein Leben
wird sich in meiner Kirche neu entfalten, aber alle Gnaden sollen vom Priester
mitverdient werden“.
216 |
Die Liebe
zwischen Priester und Volk, die fast erstorben ist, und vielfach dem Hasse
weichen musste, soll durch Christi Liebe in den Priestern wieder neues
Verstehen und aufrichtiges Zusammenarbeiten erwirken. So wie die Apostel es
getan haben, so soll heute wieder ein neues Zusammenwirken zwischen Priester
und Volk entstehen28.
217 |
Die Welt
befindet sich wie in einem neuen Kampf zwischen Himmel und Hölle. Wie die Hölle
alle ihre Vertreter ausschickt, so will Christus in seinen in ihm umgestalteten
Priestern die Welt wieder für sein Reich gewinnen.
218 |
Dem Werk
Jesu, des Hohepriesters, soll angeschlossen sein die Tätigkeit für die
Erneuerung der Familien im christlichen Geiste. Von den Mitgliedern sollen
Laienhelfer ausgebildet werden, und zwar:
a) männliche, die durch
entsprechenden Unterricht29 und Aufklärung einen neuen Geist in die zu
gründenden Familien tragen. Sie sollen besonders in Jugendvereinen in diesem
Sinne arbeiten. Es sollen auch ausgebildete Kreise sein30, die sich
ganz dem Werke des Hohenpriesters als Mitarbeiter anschließen;
b) die weiblichen Helferinnen sollen
ebenso in Mädchenvereinen gute christliche Mütter heranbilden und sollen den
heutigen unsittlichen Ehezuständen wirksam entgegenarbeiten durch Aufklärung,
durch Schulung und diesbezügliche Tagungen und Kurse in den Jugendvereinen.
219 |
Der Priester
soll auch in dieser Aufgabe direkt für die Erneuerung der Familie und damit für
die Kirche arbeiten. Priesterarbeit ist Volksarbeit.
220 |
Den
ignatianischen Geist soll man besonders pflegen durch Priesterexerzitien in
diesem Geiste. – Die Priester sollen im Werk ein Heim finden, wo sie die
Möglichkeit haben, für kürzere oder längere Zeit sich in diesem Geiste
auszubilden. Es sollen priesterliche Schulungskurse in dem von Gott gewollten
Geist gehalten werden, damit diese Priester sich wieder untereinander in diesem
Sinne betätigen können. Es sollen Priesterheime, Ferienheime errichtet werden,
wo der einzelne Priester einen Mitbruder findet, wo Fehlende und Wankende neu
aufgerichtet werden. Alles soll im Geiste des Herzens Jesu geschehen, dessen
Leben ein Leben der Liebe ist.
221 |
Alles dies
will Jesus voll Liebe getan wissen. Seine Liebe soll in diesem Werk neu
erstehen. Jesus will der Menschheit wieder näherkommen, ähnlich wie damals, als
er auf Erden lebte. Jesus mit seinem menschlichen Leben nach den Menschen
unserer Zeit greifbar nahe: Er will es werden durch ganz in ihm umgestaltete
Priester! –
222 |
MARIA wird
die Führerin sein in der Erneuerung der Priester nach den Absichten des
heiligen Herzens Jesu. Sie wird sich auch heute noch als starke Frau erweisen,
die der Schlange den Kopf zertreten hat, und sie wird ihre Würde und macht als
„Miterlöserin“ dem verderblichen Geist der Jetztzeit entgegenstellen.
223 |
Niemand steht
dem Herzen Jesu so nahe wie der Priester. Deshalb will Maria ihre ganze
Mutterliebe aufwenden, um ihrem göttlichen Sohn würdige Priester zu vermitteln.
– Man soll mehr glauben, wie sehr sie um das Heil und Wohlergehen der Kirche
besorgt ist; man glaubt viel zu wenig daran.
224 |
Maria war
nach dem Tode ihres göttlichen Sohnes die Mutter der jungen Kirche. Sie war es,
die die ersten Priester erst so recht in den Geist und in das Wesen ihres
göttlichen Sohnes eingeführt hat und ihnen vollends das Innerste des Heilands
mitteilte und sie darin festigte.
225 |
Maria hat
sich für diese Zeit von Jesus die besondere Gnade erbeten, ihr Leben nochmals
für die Priester zu schenken. Dies sei eben eine neue Gnade, um sich dadurch
als Vermittlerin aller Gnaden für dieses Priestertum zu zeigen und um ihre
Würde als „Miterlöserin“ geltend zu machen.
226 |
Um dies zu
erreichen, wünscht Maria, ihr Leben gleichsam nochmals gelebt zu sehen von den
Schwestern der Gesellschaft Mariens. – Maria will sich diesen Seelen gleichsam
leihen, um deren Gebete und Opfer für das Priestertum fruchtbar zu machen und
um dadurch die Vermittlerin der Gnaden für31 das Priestertum zu sein.
227 |
Diese
Schwestern sollen das Leben Mariens nachleben und ihre Tugenden sich aneignen,
besonders ihre Verborgenheit und ihre Demut – denn kein Heiliger hat das
verborgene Leben so geübt wie Maria; dazu ihre beständige volle Hingabe an den
Willen Gottes, ihre ständige Bereitschaft gegenüber den Absichten Jesu, ihre
tiefe Verbundenheit mit Jesus auch nach der Mutterschaft, ihr Weiterleben des
Heilandes auch nachher, als sie das Leben Jesu in einem wahren Sinne
weitergelebt hat32. – Die Schwestern sollen, wie Maria, die
Absichten Jesu bezüglich der Not der Kirche und der Erneuerung der Priester
ganz erfassen. Maria gibt diesen Seelen die besondere Gnade, sich ganz mit ihr
vereint für dieses größte Anliegen des Herzens Jesu zu opfern. –
228 |
Durch das
Nachleben des Lebens Mariens und durch Mariens besondere Fürbitte und Gnade
wird das Leben, Beten und Opfern der Schwestern einen viel höheren Wert
erlangen; dies wird sie ihrem göttlichen Sohne zur Verfügung stellen, um die
neuen Gnaden auf das Priestertum herabzuziehen. Sie will sich Seelen
heranbilden, um ihr Leben für die Priester weiterzuleben.
229 |
Je mehr die
Schwestern das Leben Mariens in sich aufnehmen und weiterleben, desto mehr
werden sie das Leben Jesu in sich zur Wirklichkeit machen. Dieses „Leben Jesu“
werde durch die Fürbitte Mariens den Priestern übermittelt und in das Leben
Jesu in den Priestern übergeben. Der Heiland will seine Mutter in dieser Weise
ehren und will neue Gnaden für das Priestertum geben. Dadurch will er das
Wirken Mariens für die Priester zur Anerkennung bringen, da Maria, und ihr
Leben, von den Priestern zu wenig geschätzt wird …
230 |
Niemand hat
sich für die Absichten des Herzens Jesu so bereitgestellt wie Maria. So sollen
die Schwestern der Gesellschaft Mariens ganz im Geiste Mariens sich dem Herrn
opfern und hingeben, und sich für diese Gnade bereit machen. Sie sollen sich
selbst ganz aufgeben, um Jesus in sich leben zu lassen und dadurch den
Priestern diese Gnaden zu verdienen. – Mit Jesus sollen sie im Geiste Mariens ein
Opfer auf dem Altare sein.
231 |
Die
Genossenschaft soll dadurch die notwendigen Gnaden durch Gebet und Opfer auf
die Kirche und für die Erneuerung des Priestertums herabflehen, „um die Welt
aus dem heutigen Neuheidentum zu retten. Die betenden Frauen sind die Kraft der
Kirche“. – Es muss33 vielmehr auf das gegenseitige Beten und Opfern
in der Kirche vertraut werden, auf dieses gegenseitige Sich-ergänzen und
Sich-stützen. Es soll damit das volle Zusammenarbeiten, und die Einheit in der
Kirche, betont werden.
232 |
Die neuen
Gnaden werden dem Priester durch das beständige Mitopfern mit der heiligen
Messe zufließen. Durch das gänzlich sich Hingeben und Opfern in Gemeinschaft
mit Christus und durch die Bereitschaft, mit ihm Sühnopfer zu sein, empfängt
der Priester von Jesus tatsächlich jenes versprochene Einssein mit ihm. Jesus
nimmt den Willen zur Tat, zieht den Priester ganz an sich, formt ihn nach
seinem Herzen und gibt ihm dadurch die Kraft, sich aus den menschlichen
Niederungen in jene für den Priester bestimmte Christusähnlichkeit zu bringen.
233 |
Der Priester
ist nach den Absichten Jesu, als bevorzugter Jesu Christi bestimmt, die vollen
Früchte der Erlösung in sich Wirklichkeit werden und sie auf sich selbst als
Ersten wirken zu lassen. Durch das beständige Mitopfern mit dem Opfer Jesu in
der heiligen Messe soll der Priester:
a) sich Christus ganz zur Verfügung
stellen für diese Art der priesterlichen Teilnahme an ihm.
b) Mit ihm Opfer sein wollen, um
dadurch zur Teilnahme und zum Einssein mit Jesus zu gelangen.
c) Mit Christus mitsühnen, täglich
gleichsam mit ihm auf den Kalvarienberg gehen, sich als wirkliches Opfer mit
dem unblutigen Opfer Jesu vereinigen, in der heiligen Messe ganz eingehen in
die Gesinnungen34 und Eigenschaften Jesu, sodass wirklich nicht nur
Christus Opfer sei, sondern alle Priester mit ihm und dass sie dadurch
gleichsam eine neue „Erlösung“ der Menschheit herbeiführen.
234 |
In jedem
Priester soll wieder das Opfer Christi, die Erlösung der Menschen erneuert
werden, und der Priester soll dadurch zur Christusähnlichkeit herangebildet
werden; damit sollen neue Gnaden für die Menschheit verdient werden. Das soll
keine bloße Gefühls- oder Formsache sein, sondern der Priester wird durch ein
wirkliches, volles Bereitschaftsopfer in die Opfergesinnung und in das Erlöserleben
Jesu hineingezogen, wodurch ihm dann diese „neuen Gnaden“ des wirklichen Lebens
mit Jesus mitgeteilt werden.
235 |
Diese
Lebensverbundenheit mit Jesus wird zur Quelle der Gnaden für die Seelen werden.
Dadurch wird der Priester zum lebendigen Kanal und Mittler35
zwischen Jesus und den Seelen.
236 |
Aus dieser
fruchtbaren Lebensgemeinschaft des Priesters mit Jesus ergibt sich eine äußere
Nachbildung des Priesterlebens nach dem Leben Jesu, sodass er auch äußerlich
sein Leben für die Seelen zu einem beständigen Kreuzopfer gestaltet. Dazu
werden die Priester immer mehr sich Jesu Herz zu eigen machen. Als Ersterlöster
soll ja der Priester das Leben Jesu leben.
237 |
Welcher Art
sind nun die „neuen Gnaden“, die der Herr verspricht?
238 |
Es sind
wirklich neue Gnaden, die der Herr geben will, Gnaden, die im Erlöserleben und
in den Erlöserverdiensten enthalten und eingeschlossen sind, die aber bis jetzt
noch nicht so ganz verwertet und nicht so allgemein eröffnet worden sind. Jetzt
will der Herr sie neu jenen Priestern geben, die bereit sind, die Früchte der
Erlösung in der Form zu gebrauchen und sich anzueignen, wie es in den
fortlaufenden Offenbarungen und Aufzeichnungen angegeben ist.
239 |
Dies wird für
die Priester zu einer (subjektiven) „Vollerlösung“ führen36, zu
einer aufsteigenden Entsündigung, zu einer sittlichen Erhebung des „alten
Menschen“ in einen neuen, erlösten Menschen, der Kraft dieser sittlichen
Erhebung einer inneren Umwandlung in Christus nahekommt.
240 |
In der Kraft
Christi werden dann die Priester imstande sein, das Angesicht der Erde zu
erneuern. Der Herr will aber den Glauben daran, dass diese Gnaden einer
Vollerlösung wirklich in seinem Erlöserleben eingeschlossen sind, und er will,
dass diese Gnaden angestrebt und verwertet werden. – Er will sie aber zuerst
gleichsam grundlegend im Priesterinstitut, dessen einzelne Mitglieder es sich
zur Pflicht machen sollen, nach diesen Gnaden zu streben und alle Priester in
diesen Geist und in dieses Streben einzuführen und so die ganze Welt dafür
vorzubereiten. – Es wird eine Zeit kommen, da diese jetzt noch „neuen“ Gnaden
allgemein zugänglich gemacht und gegeben werden. Es ist darin nichts gegen den
Geist des Evangeliums oder gegen die Lehre der Kirche. Es muss nur ein
vertiefter Glaube geübt und danach gelebt werden. Mit Gottes Gnade ist es
möglich, dass der gefallene Mensch sich erhebe zu einer stufenweisen Befreiung
von den sittlichen Folgen der Erbsünde und dass er damit Christus anziehe, wie
der heilige Paulus sagt: „Zieht an unseren Herrn Jesus Christus!“ Durch eine
tiefere Kenntnis des innersten Erlösergeheimnisses soll der Reichtum der uns
erworbenen Erlöserverdienste gleichsam neu entdeckt werden und sollen die
Früchte der Erlösung voll anerkannt und angestrebt werden.
241 |
Es sind
Gnaden einer fortschreitenden und aufsteigenden Entsündigung und Freimachung
von den sittlichen Folgen der Erbsünde, Gnaden der sittlichen Erhebung des
„alten Menschen in einen neuen“, erlösten Menschen, der Kraft dieser sittlichen
Erhebung und auch subjektiven „Vollerlösung“ einer inneren Umwandlung in
Christus nahekommt, und dies aufgrund des Eingehens auf die gottgewollte
Glaubensvertiefung. „Es sind wirklich neue Gnaden, die ich gebe, Gnaden, die in
meinem Erlöserleben und in meinen Erlöserverdiensten eingeschlossen sind, die
aber bis jetzt noch nicht so verwertet und noch nicht allgemein eröffnet
wurden. Jetzt aber gebe ich sie neu den Priestern, die bereit sind, die Früchte
der Erlösung in jener Form zu gebrauchen und anzuzeigen, wie es in den
fortlaufenden Offenbarungen angegeben ist. Dies wird für die Priester zu einer
Vollerlösung werden, zu einer aufsteigenden Entsündigung, zu einer sittlichen
Erhebung des alten in einen neuen, erlösten Menschen … In meiner Kraft werden
dann die Priester imstande sein, das Angesicht der Erde zu erneuern. Ich will
aber den Glauben daran, dass diese Gnaden einer Vollerlösung wirklich in meinen
Erlöserverdiensten eingeschlossen sind, und ich will, dass diese Gnaden
angestrebt und verwertet werden.
242 |
Ich will sie
aber zuerst grundlegend im Priesterinstitut, dessen einzelne Mitglieder es sich
zur Pflicht machen sollen, nach diesen Gnaden zu streben und als Priester in
diesem Geiste und in dieses Streben einzuführen und so die ganze Welt dafür
vorzubereiten.
243 |
Es wird eine
Zeit in der Kirche kommen, da diese jetzt noch 'neuen' Gnaden allgemein
zugänglich gemacht und gegeben werden. Bis dahin wird aber noch ein großer
geistiger Umschwung in der Kirche kommen, um die Menschen allgemein darauf
vorzubereiten. Es kommt ein neues geistiges Zeitalter der Kirche.
244 |
Nichts darin
ist gegen den Geist des Evangeliums oder gegen die Lehre der Kirche. Es muss
nur ein vertiefter Glaube geübt und danach gelebt werden. Mit Gottes Gnade ist
es möglich, dass der gefallene Mensch sich in einer stufenweisen Befreiung von
den sittlichen Folgen der Erbsünde erhebe und dass er damit Christus anziehe,
wie der heilige Paulus sagt: 'Zieht an unseren Herrn Jesus Christus!'
245 |
Durch eine
tiefere Erkenntnis des innersten Erlösungs-Geheimnisses soll der Reichtum der
uns erworbenen Erlösungsverdienste gleichsam neu entdeckt werden und sollen die
Früchte der Erlösung voll anerkannt und angestrebt werden.
246 |
Ich selbst
würdige mich, der Menschheit zu zeigen, welches Mittel sie aus der heutigen
Verderbnis retten und erhöhen und wieder zu mir zurückführen kann. Darum offenbare
ich dieses Mittel, das sie selber anwenden sollen. Ich selbst will die Welt
retten und ich bin selbst das Heilmittel, das sie im Reichtum meiner
Erlöserverdienste finden. Es soll nichts menschlich Erdachtes, nicht
menschliche Weisheit sein, wodurch die Menschheit wieder zu mir zurückgeführt
werde, sondern ich selbst zeige ihr den Weg.“
247 |
Christus
schenkt sich neu der Menschheit in den Priestern, die nach seinem Herzen
gebildet sind.37
Grundlage M1
248 |
Durch die
Priesterweihe tritt der Priester in innigste Lebensgemeinschaft mit Christus.
Das Priesterleben soll in jeder Beziehung das Leben Jesu wiedergeben. Jesu
Erlöserleben soll im Priester wiedergelebt werden.
249 |
Was Jesus im
Kreuzesopfer uns an Gnaden und Verdiensten erworben hat, das soll in der
heiligen Messe gleichsam neu wieder den Seelen zugewendet werden und das soll
vor allem die Aufgabe des Priesters sein. Jesu Aufgabe als Welterlöser soll in
Kürze im Priester bei der heiligen Messe wiederholt werden.
250 |
Stufengebet und Kyrie: Beim Confiteor tritt der Priester mit Christus
hin vor seinen Vater als der beständige Versöhner und Vermittler zwischen
Himmel und Erde. Mit Jesus nimmt er die Sünden der Menschen auf sich und
bekennt sie vor dem ewigen Vater als seine Schuld. Es ist ein Hauptzweck der
heiligen Messe, Gott zu versöhnen und seine Barmherzigkeit neu auf die
Menschheit herab zu flehen. Vor dem Geiste des Priesters sollen nicht nur seine
eigenen Sünden stehen, sondern die ganze Schuld der Welt. Mit Christus geht er
nun hin, um Barmherzigkeit von Gott zu erbitten. Er bietet sich mit ihm an,
Erlöser der Seelen bzw. Miterlöser zu sein, und wird dadurch mit einbezogen in
das Erlöserleben Jesu. Die Gesinnung des Priesters soll die Gesinnung Jesu
sein, mit der er freiwillig die Schuld der Menschen auf sich nahm und sich
selbst als Lösepreis einsetzte. Der Priester steht eben nicht als Einzelperson
vor dem Altar, sondern im Auftrag Christi, als Vertreter der sündigen
Menschheit. So will es seine Auserwählung als Priester und so erwarten es die
Seelen von ihm. Bei der heiligen Messe soll sich der Priester nicht als
gewöhnlicher Mensch betrachten, sondern als Mittler, als Christus, der
Versöhner des beleidigten Gottes. An Christi Stelle schenkt er wieder
Verzeihung, Lossprechung, Gnade und Erbarmen. Tritt der Priester in dieser
Opfergesinnung „als Christus“ zum Altar hinan, wird ihn der ewige Vater gleich
seinen Sohn in seinen ewigen, göttlichen Erlösungsplan miteinbeziehen und durch
ihn neue Barmherzigkeit und Gnade ausgießen. An Christi Stelle soll er der Sohn
des Vaters sein und durch dieses stellvertretende Opfer will der Vater nochmals
ähnliche Gnaden geben. Des Priesters Flehen um Erbarmen wird vom Vater gehört
werden, wenn er sich selbst ganz ausschaltet und vor Gott als der Schuldige
hintritt wie Jesus – beim Stufengebet und Kyrie.
251 |
Gloria: Dann
tritt der Priester schon zuversichtlich, auf Gottes Barmherzigkeit vertrauend
zu dessen Throne hin und dankt ihm und lobt ihn beim Gloria, dass er auch anstelle
der Seelen des Volkes als Lobgesang Gott darbringen soll. Im Namen und anstelle
Christi soll der Priester vor Gott ein beständiges Lobopfer sein. Als der
vielgeliebte Sohn, an dem der Vater sein Wohlgefallen hat, als ein neuer Ersatz
an Treue, Liebe, Anbetung und Verherrlichung für das, was die Sünder dem Herrn
durch ihre Abkehr versagen, soll der Priester als zweiter Sohn Gottes durch
seine Lebensgemeinschaft mit Christus gelten.
252 |
Dominus vobiscum: Im Vertrauen, dass Gott sein Lob und seine
Anbetung angenommen hat und ihm dafür seine Teilnahme an Christi Leben geben
wird, will der Priester seine Freude darüber auch den Anwesenden mitteilen und
bietet auch ihnen die Teilnahme an Gott an – im Dominus vobiscum. Er soll ja
das Leben Jesu weitergeben; er empfängt es nicht für sich.
253 |
Orationes:
Als der große Beter mit Christus will er nun alle Anliegen des Volkes Gott
vortragen, wiederum als Vermittler in Christi Namen in innigster Gemeinschaft
mit der heiligen Kirche. Die Anliegen Jesu und die der Gläubigen sind die
seinigen geworden.
254 |
Epistel und Evangelium: Als dem Lehrer und Verkünder der göttlichen
Wahrheiten an Jesu Stelle will ihm Gott gleichsam die Schatzkammern der
göttlichen Geheimnisse öffnen, in die einzudringen nur seine Auserwählten, die
Priester, berufen sind. Was er den Seelen verkündet, dafür soll er ständig
bereit sein, sein Leben zu opfern. Sein Leben soll ein getreues Abbild dessen
sein, was er seinen Gläubigen lehrt und was er ihnen zu befolgen empfiehlt.
Hier wird sich besonders die Kraft der göttlichen Gnade zeigen: Das Leben des
Priesters nach dem heiligen Evangelium wird den Seelen die Gnade verdienen,
ganz einzudringen in die Absichten Gottes und den Priester als ihr Vorbild und
ihren Lehrmeister zu betrachten.
255 |
Credo:
Der Glaube ist das Fundament des religiösen Lebens, die Kraftquelle, woraus
sich das übernatürliche Leben der Gnade entwickelt. Darum ist der Priester der
Erstberufene, seinen Glauben vor Gott und den Gläubigen zu bekennen. Der
Priester soll glauben an Stelle aller Ungläubigen, Schwachgläubigen, Heiden und
Sünder. Seine apostolische Liebe soll sich auf alle erstrecken. Er tritt vor
Gott hin als Vertreter, auch aller Irregegangenen und Abgefallenen und bietet
sich ihm als Werkzeug an, diese verlorenen Seelen wiederzugewinnen. Von Gott
und der heiligen Kirche ist er gesandt, den Glauben an den dreieinigen Gott auf
der ganzen Welt zu erhalten und zu verbreiten in Gemeinschaft mit den Gläubigen
und in Einheit mit der Kirche und seinen geistlichen Mitbrüdern. Alle Priester
zusammen bilden vor Gott gleichsam nur ein Priestertum in Christus.
256 |
Dominus vobiscum: Als Ausspender der göttlichen Gnade bietet der
Priester dem Volke abermals „den Herrn“ an. Ist sein Herz von lebendigem
Glauben an Gott und an seine Priesterwürde und Priestermacht erfüllt, so wird
Gott seinem Diener diesen Wunsch zur Wirklichkeit werden lassen und die Seelen
zu sich an den Altar heranziehen und sie zur innigsten Teilnahme am heiligen
Opfer befähigen.
257 |
Opferung:
Wie Brot und Wein eine Gabe der Natur sind, so ist der Priester gleich allen
Menschen allen menschlichen Schwächen unterworfen. Wie aber auch Brot und Wein
bei der Opferung aus dem gewöhnlichen Gebrauch herausgehoben werden, so soll
der Priester durch den Dienst Gottes, wozu ihn Gott als Auserwählten berufen
hat, diesem reinen Brote gleichen, und soll dem Willen nach nichts mit der
niedrigen Verderbtheit des Alltagsmenschen zu tun haben. Wie der Wein etwas
Geistiges, Höheres versinnbildet, so soll des Priesters ganzes Streben sein,
Christi Geist und Kraft in sich aufzunehmen und göttliche Kraft den Seelen zu
vermitteln. Brot und Wein und des Priesters Leib und Seele sollen zusammen und
zugleich Opfergabe sein, ausdrücklich für Gott zubereitet zur Annahme seines
göttlichen Lebens. Im heiligen Messopfer soll der Priester zum Opfer Christi
das Opfer seines eigenen Wesens hinzufügen, um Gott dem Vater auch ein
wirkliches, lebendiges Opfer zu bieten. Je mehr der Priester sich selbst ganz
aufgibt und, dem reinen Opfer von Brot und Wein gleich, sich als lebendige
Opfergabe zur Umgestaltung in Christus bereitet, desto mehr wird er die
Verwandlungskraft Jesu in sich wirksam machen. Eine vollkommene Selbstaufgabe
wird eine noch höhere Art des Eingehens in das Leben Jesu bewirken.
258 |
Lavabo:
Beim Lavabo will sich der Priester mit dem Unschuldigen und Reinen vereinen, um
Gott in Christus ein würdiges Lobopfer zu werden. Seine Sorge soll sein, sich
selbst rein zu bewahren, den Dienst am Altar würdevoll und heilig zu gestalten,
nichts gemein zu haben mit denen, die die Welt und ihre Freuden lieben. Seine
Ehre und Freude soll die Verherrlichung der heiligen Dreifaltigkeit sein, die
ihn als Vermittler zwischen Gott und den Menschen erwählt hat. Das Volk sieht
auch auf die Händewaschung und erwartet vom Priester ein Vorbild, einen treuen
Spiegel, der das Leben Jesu wiedergibt.
259 |
Suscipe S. Trinitas: Nochmals bittet der Priester um gnädige Aufnahme
seiner Opfergaben zum Andenken des Leidens Jesu Christi usw. Er legt sich
selbst mit all seinen Opfern, Mängeln und Schwächen als Opfergabe hinzu und
bietet die reinste Jungfrau und die übrigen Heiligen um ihre Fürsprache bei
Gott. Er soll sich auch in diesen Gebeten selbst mit zu einem Opfer machen.
260 |
Orate fratres:
Nochmals wendet sich der Priester zu den Gläubigen und bittet sie ebenfalls um
Gebet, dass „mein und euer Opfer vor Gott wohlgefällig sei“. Mein Opfer = die
Opfergaben UND mein eigenes Opfer meiner selbst; euer Opfer = Brot und Wein UND
eure Mitopferung; das Opfer meiner Selbsthingabe und Brot und Wein, was nach
der heiligen Wandlung in EIN Opfer verschmelzen soll; Brot und Wein und euer Mitopfern,
was sich ebenfalls mit dem Opfer Christi vereinigen soll. – Der Priester steht
eben als Vertreter des Volkes und Vollbringer göttlicher Opfergewalt am Altar.
261 |
Heute will
ich dir, liebster Jesus, noch einmal danken für alle Gnaden, die du mir in der
letzten Zeit geschenkt hast. Jetzt gehöre ich dir noch vollkommener an durch
das Gelübde, dein Leben weiterzuleben und mit dir selber deine Leiden in mich
aufnehmen zu wollen. Ich möchte dich so herzlich bitten: Lebe ganz in mir mit deiner
Liebe, mit deinem vollen Heiligen Leben, das du deiner heiligen Mutter
geschenkt hast bei deiner Menschwerdung! Ich möchte dir auch diese heilige
Reinheit und vollkommene Hingabe bieten wie Maria, möchte dir für deine
Absichten mich so zur Verfügung stellen wie sie, die voll der Gnade war.
262 |
Das ist es,
was du lieber Heiland so oft von mir gefordert hast, die Art der Hingabe
Mariens. Ein liebens- und leidensfähiges Menschenkind suchtest du, indem du
dein Lieben und Leiden erneuern willst. Ich darf, ähnlich wie Maria, geistige
Mutterstelle vertreten, um dadurch Mutter der Priester zu werden. – Dies
Gelübde hast du mir, mein Heiland, schon jahrelang vorausgezeigt. Ich habe es
aber nie begriffen, welch weiten Weg du mich bis dahin führen würdest, bis du
mich, voller Geduld mit deinem schwächsten Kinde, so weit gebracht hättest. O,
dass ich nun nie mehr zu mir zurückkehre! – Viele Leiden, ja ein Leben voll
Leiden wird die Folge dieser Hingabe sein und eigentlich der Beweis für dieses
von dir gewollte Gelübde. Am meisten Angst hatte ich vor dem teilweise schon
voraus erlebten Leiden, das aus dem „Sühne-sein“ folgt, nämlich „alle Sünden
der Priester nochmals zu sühnen, um dadurch neue Gnaden für dein Priestertum zu
verdienen“.
263 |
Wie du mir am
Gründonnerstag gezeigt hast, willst du dein zu gründendes Priesterwerk und
damit das neue Priestergeschlecht mit überschwänglichen Gnaden ausstatten,
gleichsam neu lebenskräftig machen. Deine Gerechtigkeit verlangt aber dafür
Entschädigung und Sühne. Auch die Sünden und Nachlässigkeiten der heutigen
Priester verlangen Sühne und Genugtuung. Wie sehr wirst du, lieber Heiland,
heute in deinen Priestern entehrt! Deiner Kirche gereichen sie zur Schmach. Das
willst du gutmachen und gleichsam alles neu machen.
264 |
Deine heilige
Mutter will sich dafür verwenden. Ihre Lebensbereitschaft soll in den für deine
Absichten bestimmten Seelen neu fruchtbar werden, um neues übernatürliches
Leben in den Priestern zu wirken. Mir scheint: Das soll ein viertes Gelübde in
der zu gründenden Genossenschaft sein, das die Mitglieder aber erst nach
reiflicher Prüfung ablegen.
265 |
Am heiligen
Karfreitag durfte ich mich in der von dir gewollten Weise opfern. Meine
vorhergehende Angst ging in Freude und Zuversicht über, mich endlich ganz
aufgeben und verlieren zu dürfen. Ich glaube, dass Jesus mich, sein ärmstes
Kind, mit Freuden aufgenommen hat. Es war eben alles Freude in mir, so stille,
heilige Freude. Ich war wie ganz er.38 Ich fühlte von mir nichts,
auch vom Heiland nichts. Es war ein Geist geworden aus uns. Ich kann diese Art
der Vergeistigung nicht verstehen, viel weniger erklären. Und doch verstehe ich
die Worte Jesu so klar. Er sagte mir – aber „sagen“ ist nicht der richtige
Ausdruck; es ist ein Erfassen der innigsten Liebe, die er mir erwies und in der
er mich begreifen ließ. – „Ich habe dich so rein gemacht, wie die Menschen bei
der Erschaffung waren; denn nur in einem Zustand solcher Reinheit kannst du
meine Gegenwart und mein innewohnendes Leben ertragen. Ich habe alle
Erlösungsgnaden, alle meine Leiden dir so voll zugewendet, als hätte ich alles
für dich allein gelitten und geopfert.“ (Jesus ließ mich früher sooft erkennen,
dass er alle Priester in diesen geistigen Zustand der vollen Wirksamkeit seines
Erlöserlebens und Leidens führen wolle.)
266 |
Jesus
versprach mir, er wolle diesen Seelenzustand und diese Reinheit in mir erhalten
und er werde für immer in mir bleiben und mich als „sein leidensfähiges Leben“
gebrauchen. Zugleich mit ihm würden auch seine Leiden, sein „Sühnopfer-sein für
die Sünden“ in mir wachsen. Wie er vor seinem himmlischen Vater wie ein Sünder
dastand, so würde ich dies mit ihm und wie an seiner Stelle leiden. Ich würde
mit diesen Sünden, die er gesühnt haben wolle, (mit den Priestersünden) zu
kämpfen haben, als wären es meine eigenen Sünden. Ich würde wie belastet sein
mit dem, was ich gutmachen und sühnen und tragen müsse. Das würde ein großer
Teil meines Leidens sein. Durch die allerhöchste Reinheit, die er mir geschenkt
habe, würde ich den kleinsten Fehler, der mir wie mein eigener erscheine, und
das kleinste dieser Leiden schwer empfinden und mich dadurch immer mehr für
größere Leiden befähigen. Meine Lebensaufgabe sei, „seine Leiden um die
Priester nochmals zu leiden und dadurch neue Gnaden auf das Priestertum
herabzuziehen“. – Um diese in höchstmöglicher Vollkommenheit zu erwirken,
schenke er sich mir derart.
267 |
Wie habe ich
mich am Karfreitag auf die heilige Kommunion gefreut! Jesus war in mir; alles
in mir war Jesus! Ich kann mich nicht anders ausdrücken. Ich habe aber nie
irgendwelche geistige Tröstungen, sondern das sichere Erleben Jesu.
268 |
Ein Leben
Mariens solle mein Leben für ihn sein; Maria habe sich in mir wieder, wie
damals, ihrem lieben Jesus zur Verfügung gestellt. Sie sei in mir die
Vermittlerin, dass Jesus in mir leben könne. Es sei eine Gnade Mariens für mich
und zugleich für die Priester, dass sie dadurch die Vermittlerin des „neuen
Lebens Jesu in den Priestern“ werde.
269 |
Ich sah und
begriff innerlich alles so klar in einem geistigen Wissen und Erkennen. In
Worten könnte man das nicht so bestimmt zeigen.
270 |
So darf ich
dem ewigen Vater gleichsam ein doppeltes Leben bieten. Durch Mariens Gnade
werde ich das Leben Jesu vollkommener leben. – Es ist eine große Ruhe über mich
gekommen. Könnte ich immer felsenfest an die großen Gnaden glauben! Doch er
sagt mir oft, gerade meine Leiden seien ein Beweis der Gnade Jesu.
271 |
Ich will
nichts mehr für mich. – Jesus verlangt jetzt oft von mir, ich müsse hingehen
und für seine mir geoffenbarten Absichten Zeugnis geben und eintreten. Es werde
ein großer Triumph werden für sein Herz. Ich muss mich im Voraus so herzlich
darüber freuen oder freut sich Jesus darauf? Ich kann es nicht unterscheiden.
Mach das bald, lieber Heiland! Komm mit deiner göttlichen Allmacht deiner
glühenden Liebe entgegen!
272 |
Indem ich
Mariens Leben-Jesu nochmals darbringe und auch gänzlich auf Trost vonseiten
Mariens verzichte, würde von ihr den Priestern Trost und Licht und Gnade
gegeben. So würde ich in tiefster Weise Jesu, ihr Leben, nochmals leben. Mein
Glaube, das innere Wissen und die tief innerliche, geistige Betätigung müssen
mir genügen. Auf diese Weise würde Maria zur Vermittlerin der Gnaden für das
neue Priestertum.
273 |
Ich solle in
vollkommenem Verzichten, ohne Rücksicht auf meine geistigen Bedürfnisse und ohne
Verlangen nach Trost usw., Jesu innerstes Leben erfassen und mich darin
verlieren. – Gewiss ist das in Worten nicht auszudrücken, doch mein Inneres ist
darüber sicher und lichtvoll. – Sein Leben soll ich in mir zur vollen
Wirksamkeit kommen lassen und dies allein solle mir genügen, um dadurch neue
Gnaden für die Priester zu verdienen und gleichsam auf Vorrat zu sammeln; sie
sollen dadurch anderen überreichlich geschenkt werden. Jesu Leben war ja auch
ein beständiges, selbstloses Verdienen für die Seelen und für die Kirche.
274 |
Die Tiefe und
Weite dieser Forderung Jesu lässt sich nicht ausdrücken. Damit trete ich in das
Innerste des Herzens Jesu ein und erfasse ihn innerlich. Er lasse mich an ihm
in einer vollkommenen Art teilnehmen. Alles dies steht klar vor meinen Augen.
275 |
Ich trete
gleichsam ein in Jesu Erlöserleben und erlebe damit das innerste des Herzens
Jesu. Vor zehn Jahren etwa hat mir Jesus oft versprochen: „Ich werde dich das
Innerste meines Herzens erleben lassen; ich werde dir die Geheimnisse meines Herzens
offenbaren“. Er machte es im höchsten Sinne war. – Ich bin so ruhig und
vertrauensvoll, dass ich auch kann, was Jesus von mir verlangt. Wenn die Gnade
echt ist, muss sich daran die geistige Wirksamkeit knüpfen. Das soll mir das
sicherste Zeichen der Echtheit sein.
276 |
Bis jetzt ist, mein Innenleben betreffend,
alles geistig vorher geschaute wahr geworden und kann ich mit der führenden
Gnade innerlich das wirklich ausführen. So leitet mich Jesus schon 16 Jahre
lang von Stufe zu Stufe. – Ich fühle mich seelisch wie neu, an einer bestimmten
Entscheidung meines Innenlebens angelangt. Etwas Ruhiges, Sicheres und Festes
beherrscht mich. Er sei gepriesen!
277 |
„Lieber Heiland! Nimm mich ganz hin als dein
zweites Ich, dein erneutes menschliches Leben, um die Absichten deiner Liebe zu
erreichen! Nimm mich hin als ein vollkommenes, vollständiges Opfer für deine
Kirche, für ihre Erneuerung durch heilige Priester! Ich will dir dienen mit
jener Bereitwilligkeit und Hingabe, mit welcher dir einst den von deiner
heiligen Mutter angenommenen Leib in allem unterworfen war. Ich will dir mit
jener Liebe ganz zu Diensten sein, mit der Maria, deine heilige Mutter, es tat,
um dir nach deinem heiligen Willen eine neue Menschheit in mir zu schaffen. O
Jesus, du enttäuschest deine dir vertrauenden und dir ganz geopferten Kinder
nicht!“
278 |
Beim ersten
Erwachen heute früh war ich wie vernichtet und zerschlagen durch meine
seelische Unfähigkeit, geistige Armut und mein „Nichtssein“. Aus diesem
Vernichtetsein entstand in mir etwas wie ein neues Leben Jesu. Im Voraussehen
waren mit den inneren Leiden Jesu auch seine körperlichen Leiden verbunden. Ich
würde sein Erlöserleben in mir erneuern, sodass ich infolge des Aufnehmens
seines „ganzen Lebens“ auch in jener Weise ihm ähnlich sein werde. – Nach
diesem geistigen Voraussehen kam wieder die gewöhnliche innere Vernichtung.
279 |
Nach der
heiligen Kommunion war ich wieder im Zustand des fühlbaren Seins im Heiland. Es
war ein wirklich erlebter Zustand: Jesus in seinen Leiden lebend in mir; ich,
als Opfer für die Kirche, von Gott gesandt als Licht und Gnade zur Erneuerung
der heiligen Kirche, als Werkzeug, durch das Jesus neue Gnaden vermittle, ihm
ganz restlos als sein zweites Ich zur Verfügung gestellt, ganz für seine Absichten
bereit. Zugleich war mein armes Wollen hineingestellt in Jesu allerhöchstes
Wollen. Ich war so eins mit Gott, für mich nicht mehr vorhanden. – Es ist mir
alles so sicher. Ich bin in dem Zustand meiner Aufgabe.
280 |
Den ganzen
Tag über war ich innerlich vernichtet, unfähig, seelisch ruhig zu sein; mein
Leben schien mir wie wertlos und umsonst. – Beim heiligen Segen am Abend war
ich wiederum bewusst in jene geistige Aufgabe hineingestellt. Ich sehe alles in
mir gegenwärtig, nein, ich bin oder soll sein, was ich sehe; und es kommt wie
aus mir selbst.
281 |
Jesus in der
heiligen Hostie würde mir nicht zur fühlbaren Kraft oder äußeren Anregung
werden, sondern er sei „mein Leben“, d. h. sein Leben aus mir heraus, die Kraft
seines Lebens, das Sein in mir, oder besser gesagt: Ich bin das, was ich sage,
ein Opfer für die heilige Kirche. Die Kirche rüstet oder vielmehr Jesus rüstet
seine Kirche zum großen Entscheidungskampf. Er wolle in mir der Kirche Beistand
und Licht sein; ich solle ihm für diese Absichten ganz geopfert sein (in Worten
ist es nicht auszudrücken. Jesu Leiden und Leben solle neu seiner Kirche in
dieser bedrängten Zeit zugewendet werden durch mich.)
282 |
Ich sah mich
wie nochmals an Jesu statt leidend und opfernd und seine Stelle vertretend im
Leiden. Ich solle ganz Ja sagen zu meiner Aufgabe. Jesus sagte: „du bist nicht
mehr; ich bin in dir.“ Wie in den Zeiten der Apostel gebe er auch jetzt seiner
Kirche eine Mutter, dass neues Leben in der Kirche hervorgehe. (Man bedenkt zu
wenig, wie sehr Maria Jesu Stelle vertreten hat.) – viele Seelen beten und
opfern in dieser Absicht mit mir. Eine große Aufgabe stand teilweise
unverhüllt, zum größten Teil verhüllt von mir. Ich bin in diesem Zustande Jesu,
seine Stelle vertretend, seine Leiden erneuernd, irgendwie Ratgeberin und
Stütze (der Kirche und des Papstes), wodurch Jesus seiner Kirche in dieser
bedrängten Lage zu Hilfe kommt.
283 |
Ich bin mir
selbst ganz wertlos. Bin ganz den Bedürfnissen seiner bedrängten Kirche
anheimgestellt.
284 |
285 |
286 |
Nach vielen,
unbegreiflichen Leiden wurde ich in den Zustand des wirklichen „Seins Jesu“
geführt. Ich war nicht mehr; er war das Leben, das Alles. Und ich sah, d. h.,
er ließ mich wissen, in menschlichen Worten ausgedrückt: Ich sei seine zweite menschliche
Natur. (Ich war es, in der mir das erklärt wurde). Wie einst Maria, so ähnlich
soll und sei ich sein zweites Leben. Eine zweite Art der geistlichen Vermählung
gebe er mir, aus der viele, besondere Gnaden für mich fließen [würden].
287 |
Es war ein unaussprechlicher
Zustand der Ruhe, und ich war wie er geworden. Ich sah auch die Verbindung mit
Maria zur Möglichkeit eines Erlöserleibes. Ich solle ihm durch diese Art der
Verbindung als Werkzeug dienen zu einer besonderen Erneuerung seiner Kirche
durch die Priester. Es sei ein Grad der Einheit und Vereinigung, zu der Gott
bis jetzt niemand geführt oder zugelassen hätte; Maria sei meine einzige
Freundin und Vorbild. Wie aus ihr Jesus als Werkzeug (menschlich gedacht)
hervorging, so werde aus dem Leben Jesu in mir neues Leben für die Kirche
hervorgehen. Baumann habe die Berufung, als reine Quelle alle neuen Gnaden
weiterzugeben.
288 |
Ich solle
glauben an diese große Gnade, so sicher wie ich glaube an die Menschwerdung in
Maria. Der Glaube werde sich auch aus der Wirksamkeit dieser Gnade in mir
ergeben.
289 |
So tief sah
ich die Gottheit herniedersteigen, um sich mit einer Menschheit zu verbinden;
zum Vergleich sah ich, was in Maria geschah. Deshalb gingen in mir die vielen
Leiden der inneren Vernichtung und Verdemütigung voraus, damit Jesus sich
vollen Raum schaffen könnte, damit von mir nichts mehr da sei. Ich fühlte und
sah mich darum auch vorher ganz aufgelöst und wie einen Geist oder wie nicht
vorhanden, wie ein Wesen, das nicht mehr existierte. So war es auch heute früh,
als Jesus mir dies erklärte; man verliert da sozusagen den Boden unter den
Füßen.
290 |
Und nun fühle
ich eine neue Art der Einheit und sein volles Leben in mir; wir sind eins
geworden für immer.
291 |
Bleibe, O
Jesus, immer! – So musste ich immer wieder bitten – ich will dir alles sein,
wie Maria es dir gewesen! Was kann doch deine Liebe ersinnen, um sich mit dem
ärmsten Menschenkinde zu verbinden! Ich will, O Jesus, ich will! – Das war
meine einzige Antwort auf die große Gnade Jesu.
292 |
Als ich ihm
in dieser fühlbaren Einheit alle meine besonderen Anliegen vorbrachte, sagte er
mir: „du wirst immer mit deinen Bitten Zutritt haben zu meiner Gottheit“. – Und
ich sah das Priesterwerk aus dieser Art der Vereinigung als Frucht hervorgehen.
Er würde es gerade so hochstellen, wie seine Gnaden in mir groß und
überfließend seien.
293 |
Ich bin so
voller Ruhe, nein ich bin die Ruhe, die Einheit, das Leben, der Glaube; zu
deutlich ist die Wirksamkeit dieser Gnade in meiner Seele. Es war ein volles
Versenktsein in seine Gottheit, in der nur Gott war und die ein Wesen in sich
aufnahm.
294 |
Herr, nie
mehr zurück zu meinem elenden Nichts! Vernichtet sein für mich auf immer!
295 |
Vorher sah
ich die Art der heutigen Priestererziehung: Wie man einen guten Menschen, einen
pflichtgetreuen, reinen Priester machen will.
296 |
Das werde
anders werden: Jesus werde den Priester erziehen; er werde volle Gewalt über
die Priester erhalten durch die Einwirkung seiner Gnade und durch das
Bewusstsein und Mitopfern des Priesters. Sein (Jesu) Leben werde alles
bewirken. Und ich sah große Scharen von Priestern, wie sie jetzt sind – und
dann, wie sie später sein werden, voll Glauben und Leben Christi. Es war ein
großer Unterschied: früher ihr eigenes Tun, später das Leben Jesu in ihnen.
297 |
Bei der
heiligen Wandlung in der heiligen Messe wurde mir wieder das Wesen und die
Aufgabe einer Hostie in Bezug auf meine Aufgabe gezeigt, und zwar in Verbindung
mit Maria: ganz rein, aufnahmefähig für Jesus, ganz und willenlos seinen
Absichten dienend.
298 |
Es wurde mir
auch gezeigt: Maria als das Werkzeug für die Möglichkeit des menschlichen
Lebens Jesu, ganz bereit, in sich den Allerhöchsten bilden zu lassen, sich darbieten
für das Leben Jesu zum Zweck der Erlösung und Hinopferung am Kreuze, zur
Hingabe Jesu in der heiligen Eucharistie für die Seelen.
299 |
Meine innere
Aufgabe: In ihr Leben, ihre Gesinnung ganz – nicht dem Gefühle oder dem Willen
nach – einzugehen und dies Jesus darzubieten, in ähnlicher Art wie Maria, für
ein neues Leben in der heiligen Kirche; mich ganz zu opfern, um ein „neues
Leben Jesu“ in mir bereiten und geben zu können für die Erneuerung in den
Priestern: „Es werden Ströme neuen Lebens Jesu in den Seelen der Priester
daraus hervorgehen“.
300 |
Alle Priester
sollen einer Hostie gleichen, in der Jesus zum Leben gelangt und vollendet wird
durch die eigene Mitwirkung. In der Vollendung dieses Geistes wird die
Erneuerung des Priestertums bewirkt werden.
301 |
Der ganze Tag
war eine Vorbereitung, eine Wegnahme alles dessen in mir, was den Absichten
Jesu noch hinderlich wäre, ein weiteres Aufgeben meiner selbst.
302 |
Schon Ende
1922 hatte ich die beständige Mahnung, ich müsse mich dem lieben Heiland in der
Art opfern, wie er sich ständig vor seinem himmlischen Vater opfere. Wie Brot
und Wein als Opfergaben in der heiligen Messe in seinen Leib und sein heiliges
Blut verwandelt werden, so müsse und würde ich in ihn umgewandelt und dadurch
ein brauchbares Werkzeug für seine Absichten werden. Oft nach der heiligen
Kommunion zeigte mir Jesus diese Art der Umgestaltung in ihn …
303 |
Durch den
Begriff seiner Menschwerdung wurde mir diese innere geistige Umwandlung
begreiflich gemacht; wie er als Gott eine menschliche Natur annahm, so ähnlich
wolle er in mir wiederum eine menschliche Natur annehmen. Maria bot ihm die
Möglichkeit einer leidensfähigen Menschheit. Was durch menschliche Seele und
Leib gefehlt wurde, das sollte durch das Werkzeug der heiligen Menschheit Christi
gutgemacht werden. Jesus, Gott mit göttlichen Eigenschaften, ließ sich herab in
diese arme menschliche Hülle, um durch die menschliche, mit der göttlichen
verbundenen Natur das gefallene Menschengeschlecht wieder zu Gott zu erheben
und zu vergöttlichen. Der erste Zweck des menschlichen Lebens Jesu war Sühne;
dann aber die Einbeziehung und Umgestaltung der Menschheit in göttliches
übernatürliches Leben. Jesu Leiden und Sterben war der göttliche Preis und
Einsatz, um den Menschen dieses übernatürliche Teilhaben an seinem Leben
mitzuteilen, damit der Mensch wieder werde, wie er im Paradiese war. Der ewige
Vater nahm diese Liebestat Jesu an und schenkte allen Menschen durch die
Verdienste des Leidens und Sterbens Jesu dieses göttliche Teilnehmen als Frucht
der Erlösung. (Diese durch die Verdienste je so erworbene Einbeziehung der
Menschen in das höhere, göttliche Leben der Gnade wurde mir Wochen und Monate
lang erklärt.)
304 |
Wie er mir
versprochen hatte, sandte mir Jesu einen Priester, den ich bitten sollte, dass
er mich bei der heiligen Messe opfere, wie Brot und Wein geopfert werden. Durch
dieses beständige Mitopfern und diese fortwährende Opfergesinnung, die nach und
nach in mein tägliches Leben überging, sollte sich diese geheimnisvolle
Umwandlung und Einbeziehung meiner armseligen Menschheit in sein göttliches
Leben vollziehen. Jeden Tag eine Opferhostie sein, die bestimmt ist, mit Jesus
auf dem Altare er zu werden: Das war die ständige Forderung Jesu an meine
Seele. Was anfangs vielleicht nur Willenssache und Gewohnheit war, sollte in
wirkliches Leben im Heiland übergehen. – Freilich kann man erst dann in das
Wesen eines anderen vollends und dauernd eingehen, wenn vom ersten Wesen nichts
mehr vorhanden ist; so erklärte mir der liebe Heiland oft. Darum heißt es, den
alten Menschen ausziehen und ein neues Leben annehmen, sich selbst sterben,
Jesu Leben annehmen …
305 |
Nach ein paar
Jahren sagte mir der liebe Heiland: „du bist jetzt eine zubereitete Hostie, um
mein göttliches Leben in dich aufzunehmen“. Er ließ mir das oft fühlbar werden
und gab mir Einsicht in sein fortschreitendes Leben in mir. Bei der Opferung
gab ich mich ganz dem lieben Heiland hin, d. h., ich vereinigte mich jeden Tag
mit der heiligen Messe jenes Priesters, dass Jesus an mir das Wunder der Umwandlung
in ihn vollziehe. Wie nach der heiligen Wandlung Brot nicht mehr Brot, sondern
Jesu Leib ist, so wolle er über das Opfer meiner selbst die Worte sprechen: Das
ist mein Leib, mein Leben, das ich für meine Absichten gebrauchen will. Das
wurde mir zum inneren, so sicheren Erlebnis, und dies war im Allgemeinen der
Grundgedanke der göttlichen Führung in meiner Seele.
306 |
Jesus sagte
mir aber oft auch dies: „du sollst mir ein Opfer sein für die Erneuerung meines
Priestertums. – Ich will mir neue Priester schaffen, die mein Leben leben, die
ganz in mich umgewandelt werden. Der Mittelpunkt der priesterlichen Tätigkeit
soll und muss mein beständiges Hinopfern an meinen himmlischen Vater für die
Sünden der Menschen sein. Jeder Priester soll teilhaben an dieser meiner
täglichen Hingabe an meinen Vater. Ich will jeden Priester in eine solche
Opferhostie umgestalten. Mein Leben wird dann in ihnen leben und sie werden mit
mir eine wahre Versöhnungsgabe sein. Jeder Priester ein Opfer mit mir, Opfer in
seinem ganzen Sein und Wesen und besonders bei der heiligen Messe! Da, wo er
unmittelbar meine Stelle vertritt, soll er eins sein mit mir als Opfergabe. Da
soll er eintreten in diese geheimnisvolle Umwandlung seines Wesens in mein
Leben. Das Leben des Priesters soll sich auf dem Altar vollziehen. Die Zentrale
der Mitteilung des göttlichen Lebens an die neuen Priester ist der Altar. Ich
werde durch ihre tägliche Hinopferung jene geheimnisvolle Verbindung mit ihnen
bewerkstelligen, die nach und nach ihr ganzes Priesterleben durchdringen wird
und sie in mich umgestaltet. Ich werde in diesen eucharistischen Opfern ihre
Seele mit mir selbst erfüllen, dass sie in ihren täglichen Pflichten mein Leben
wiedergeben können. Von diesem Opfersein mit mir auf dem Altare wird neues
Leben ausgehen auf die einzelnen Priester. Sie werden eine lebendige Quelle der
Gnade für die Seelen werden. Soviel ich im einzelnen Priester lebe, soviel wird
er mein Leben den Seelen vermitteln können. – Allen Priestern, die sich mit mir
auf dem Altar opfern und diese Opfergesinnung in ihr priesterliches Leben
hineinzutragen sich bemühen, werden mein Leben in sich verwirklicht sehen. Ich
will damit allen Priestern einen neuen Strom ganz neuen Lebens eröffnen, der
ich selbst bin, und sie werden neues geistiges Leben in den Seelen wecken. Ich
stelle mich allen Priestern sozusagen zur Verfügung, dass sie am Altare von mir
nehmen, d. h., ich nehme sie durch ihre Mitopferung in mich auf, gebe mich
ihnen zurück. Dieser Strom meines Lebens wird meine ganze Kirche überfluten.“
307 |
Alle
angehenden Priester sollen in dieser Opfergesinnung erzogen werden. Sie sollen
in der Ausbildungszeit innerlich für dieses Ziel geformt werden, dass Jesus sie
zur Zeit ihrer Weihe für diese Gnade bereit finde. In diesem Sinne wird den zum
Priestertum Berufenen neues Licht zukommen, dass sie sich mit Eifer dieser
Gnade fähig machen. Durch eine entsprechende Aufopferung sollen sie sich ganz
dem Herzen Jesu für diese Annahme seines Lebens bereit und zur Verfügung
stellen. Diese Art der Priestererziehung wird im Priesterwerk ernstlich
gepflegt werden und wird eins zur Grundidee der allgemeinen Priestererziehung
der heiligen Kirche werden. Dies hat Jesus in den Jahren 1929-31 oft gesagt und
versprochen.
308 |
Der Priester
soll wirklich und in Wahrheit ein „zweiter Christus“ sein, soll in höchstem
Maße teilhaben an seinem Leben, seinem Priestertum, seiner Erlöseraufgabe,
seinem ständigen Sich-opfern für die Ehre des Vaters und das Heil der Menschen;
er soll ganz aufgehen in Christi Leben, Lieben und Interessen.
309 |
Deshalb soll
er schon ein vorbereitetes Opfer sein, wenn er zur Priesterweihe kommt; da soll
er dann wirklich ganz eins und gleichförmig werden mit Christus; nichts
Menschliches soll mehr im Wege stehen; mitverdienend und miterlösend soll er
die Gnaden vermitteln und spenden, die aus diesem Einssein mit Christus kommen
– ähnlich wie es Maria getan hat, die durch ihr Einssein und Mitopfern mit
Christus die Königin der Priester und Apostel wurde.
310 |
Der Beweis,
dass der Heiland wirklich solch große, neue Gnaden allen Priestern geben will,
soll – nach dem Willen des Heilandes – das Innenleben von M. sein: Sie soll
sühnend und das Leiden Jesu nachleidend diese Gnaden verdienen, vorbildlich in
Empfang nehmen und soll dieses Leben leben, das der Heiland seinen Priestern
geben will zur Erneuerung der Kirche und der Welt.
311 |
Deshalb
führte sie der Herr in Wahrheit zu jenem Einssein mit ihm und zu jenem Aufgehen
in seiner Gottheit, wie es in höchstem Maße seine heiligste Menschheit hatte
und wie es im Übrigen schon das Wesen der heilig machenden Gnade als Ziel und
letzte Bestimmung für jeden Getauften mit sich bringt, „bestimmt, gleichförmig
zu werden dem Bilde seines Sohnes“ (Römer 8,29).
312 |
Die heilige
Menschheit Christi fand nun aber ihren Abschluss, ihre Vollendung, nur in der
göttlichen Person des ewigen Wortes. Das allein schon bedeutete für die
Menschheit Christi ein beständiges Leiden, das eigentlich schon Erlösung war.
Sie sah sich in einem Zustand der Vernichtung, leer, veranlagend; sie litt
unter der eigenen Unfertigkeit, die ihre Vollendung nur in dem unendlichen
Wesen der Gottheit fand.
313 |
Sie litt aber
auch unter der Vereinigung mit der Gottheit (die an sich hätte höchste
Beseligung sein müssen), insofern sie deren unendlich hoher Abstand in
ständiger Verdemütigung hielt.
314 |
Sie litt
unter dem Alleinsein, da sie innerlich weit weg war von allen Geschöpfen und
auch wieder unendlich verschieden von der Gottheit, die sich mit ihr in der
Einheit der Person verbunden hatte.
315 |
Sie litt
ferner unter dieser besonderen Menschheit, die „in allem uns gleich war, die
Sünde ausgenommen“, und die an sich die Möglichkeit und den Keim der Unordnung
in sich trug, freilich für die Auswirkung unmöglich gemacht durch die
Verbindung mit dem Wort Gottes. In dieser Menschheit sollte und wollte Christus
die große Unordnung des geschöpflichen Stolzes und Unabhängigkeitsstrebens und
die entsetzliche Weltschuld sühnend wegleiden und tilgen.
316 |
Die heilige
Menschheit Christi litt auch unter der überschwer und unmöglich scheinenden
Aufgabe. Da Jesus die Gottheit nur so weit auf seine menschlichen Fähigkeiten
einwirken ließ, als es seiner Erlöseraufgabe dienlich war, musste Christus als
Mensch heroischen Glauben haben an die Erfüllung einer Aufgabe, die ganz
unmöglich und bei der er ganz allein schien, ja sogar Gegenstand des Abscheus
vor seinem himmlischen Vater – wobei er anderseits immer dessen viel geliebter
Sohn blieb und seiner höheren Erkenntnis nach sich als solcher wusste. M. soll
nun Jesu Herz erleben, den inneren Zustand seiner heiligen Menschheit
nachleben, seine Leiden durch ihr Einssein mit ihm nochmals leiden und
neuerdings wie Jesus und an seiner Stelle, vorbildlich für die Priester,
fruchtbares Opfer, Erlöser und Heiland sein. Die Muttergottes leiht ihr Herz
und ihr Leben, das von neuem Christus geboren werde und wachse in den Priestern
und damit in der Kirche und Welt.
317 |
Deshalb ging
ihre Gnadenführung immer schon darauf hinaus, sich mit dem Heiland zu einem
liebenden Opfer zu machen, so wie er es tat und tut vor dem himmlischen Vater.
Wie Jesus aus und in Maria eine menschliche Natur annahm und diese als Werkzeug
seiner Erlösungsabsichten gebrauchte, will er es ähnlich nochmals mit und in
ihr tun.
318 |
Wie er durch
seine Menschwerdung die ganze Menschheit, deren Glied er wurde, wieder in
Verbindung mit der Gottheit brachte, so will er es heute gleichsam nochmals
tun, eine neue Erlösung bewirkend. (M. Maria von Jesus Deluil-Matiny sagte
schon: „Es braucht eine zweite Menschwerdung, um die gegenwärtige Menschheit zu
retten, eine mystische Menschwerdung Jesu in den Seelen der Priester vor allem
…“)
319 |
Wie M. durch
Gottes wunderbare Gnade in ihn umgewandelt ist, an seiner Stelle steht, ihn
lebt, so soll auch der Priester nicht mehr sich selbst leben, sondern Christus
herrschen und leben lassen, opfernd, liebend, sühnend, erlösend, Verzeihung,
Gnade und Belehrung spendend.
320 |
Bei der
heiligen Messe mit dem Höhepunkt der heiligen Wandlung soll diese Hingabe
seiner selbst und Umgestaltung in Christus täglich neu, inniger und bewusster
werden, dass Christus auch vom Priester sagen kann: Das ist mein Leib.
321 |
Um aber
derart übergehen und aufgehen zu können in Christus, ist das volle Erstreben
seiner selbst notwendig, das Verleugnen alles entgegenstehenden Menschlichen.
322 |
Jesus bei der
heiligen Kommunion: Mit der Hingabe Mariens, seiner Mutter, solle ich ihm einen
leidensfähigen Leib bieten, dass er bei seiner Kirche bleibe. Ich sah die
restlose Hingabe Mariens. Ich solle ihm alles mit Liebe geben, wie sie es getan
habe und wie sie es jetzt an meiner Stelle tun würde. (Man hat kein Wort
dafür.) – Jesus wolle alle „neuen Gnaden“, die er den Priestern anbiete,
vorbildlich mir geben. Ich solle alles mit der Liebe Mariens in Empfang nehmen.
323 |
Jesus wolle
alle Gnaden, die er für das Priestertum bereithalte, in meine Seele legen als
Beweis, dass er sie wirklich geben wolle. Ich solle das Opfer sein. – Ich bin
in einem unaussprechlichen Leiden, in einem beständigen Todeskampf. Jesus
sagte: „Durch dieses Leiden verdienst du die wirklichen Gnaden für die
Priester. Alle Gnaden, die ich zum Beweis dir gebe, will ich allen Priestern
geben, aber es muss erlitten und verdient werden“.
324 |
Mein inneres
Leben soll ein Beweis sein für die Echtheit der Absichten der Erneuerung des
Priestertums. Meine Leiden sollen mir der Beweis dafür sein, dass er mich als
Werkzeug in diesem Sinne gebrauche.
325 |
Maria hat dem
Heiland das leibliche Leben gegeben. Der Priester soll es ihm gleichsam
nochmals geben, und zwar in zweifacher Art:
1. indem er sein „zweites Ich“ sein
soll.
2. in anderer Weise kraft seiner
Vollmacht der Konsekration bei der heiligen Wandlung.
326 |
Jesus will
das „Leben“ in seinen Priestern sein. Der Priester soll sich ihm gleichsam
lebens- und leidensfähig leihen, oder vielmehr schenken und sich ihm geben,
Maria ähnlich, die ihm das Leben geschenkt hat.
327 |
Der Heiland
gebe den Priestern diese Gnade seines Lebens in Ihnen. Er gebe sie mir
vorbildlich zum Beweis seines Versprechens, indem er in mir jene Gnaden
ausgieße, die er nun im Begriff sei, seinen Priestern zu schenken.
328 |
Ich sah
innerlich so vieles über Maria und das Priestertum: eine gewisse Ähnlichkeit
des Berufes: Christusträger(in), Lebensspender(in). Das innige Verhältnis zum
Heiland, wie es auch bei Priestern sein soll und muss. Maria nach dem Tode
ihres göttlichen Sohnes die Hilfe und Stütze der Apostel, die Ratgeberin der
ersten Priester; – die Mitbegründerin der Kirche, Führerin und Mutter der
jungen Kirche, anwesend bei der Herabkunft des Heiligen Geistes, wie sie die
Apostel noch tiefer in das Wesen und den Willen ihres göttlichen Sohnes
einführte.
329 |
Die Apostel,
die ersten Priester, die Jesus ihren Meister nannten, brauchten Maria, seine
Mutter, um ihn noch besser kennenzulernen, da sein Beruf mit dem Mariens eine
gewisse Ähnlichkeit hat.
330 |
Maria ist die
Mutter nicht nur ihres göttlichen Sohnes, sondern aller Priester; wie sie die
Priester als das „zweite Ich“ ihres Sohnes liebe, für sie bitte und ihnen das
„Leben“ ihres Sohnes mitzuteilen bereit sei. Maria, die „Leben-Jesu-Spenderin“
für die Priester.
331 |
Jesus will
mehr Gemeinschaftssinn in seiner Kirche, mehr gegenseitiges Zusammenarbeiten
und mehr Verstehen. Große Nöten in der Kirche könnten nur durch echten
Gemeinschaftssinn behoben werden. Darum wünsche er, dass auch seine
Offenbarungen zur Behebung der kirchlichen und geistigen Nöte gewertet werden,
wo kein dringender Grund zur Annahme eines Irrtums gegeben sei.
332 |
Er erwarte
auch vonseiten der kirchlichen Behörde volles Entgegenkommen, und dass man nach
seinen Absichten alles tue, was nur immer getan werden könne, um der Kirche,
ihrem Ansehen und ihrer inneren Erstarkung zum Siege zu verhelfen im Begriff
der Absichten seines Herzens.
333 |
Er habe den
Aposteln und damit seiner Kirche für immer das Versprechen gegeben: „Siehe, ich
bin bei euch alle Tage“. Nach dem Maße seines Versprechens und in der
Unendlichkeit seiner Liebe offenbare er sich fortgesetzt durch die von ihm
erwählten Seelen, um seiner Kirche seine Gnaden und seine besondere Hilfe in
den Notzeiten angedeihen zu lassen. Darum wolle er auch, dass seine Absichten
Gehör fänden.
334 |
Als das
„größte Anliegen seines Herzens“ zeigte mir Jesus wiederholt die Erneuerung des
Priestertums. Durch die Priester wolle er neues Leben in seinem Geiste und
wieder neue Liebe in der Welt erwecken.
335 |
Als den Weg
zur Erneuerung der Priester zeigte er mir – wie schon erwähnt – mehr einiges
Zusammenarbeiten. Ich sah eine Kluft, entstanden zwischen Priester und Volk.
Die Einigkeit, die Kraft allen Bestandes, war zerstört. Eine gewisse
Uneinigkeit und ein Getrenntsein in den Absichten und Meinungen bot den Feinden
der Kirche und der Hölle Gelegenheit, noch mehr zerstörend einzuwirken. Ich sah
und begriff die Bitte Jesu an seinen himmlischen Vater: dass alle eins seien
wie du und Ich eins sind.
336 |
Jesus wolle
wieder die Einheit in seiner Liebe, das so charakteristische und grundlegende
Kennzeichen in der ersten Zeit seiner Kirche und der Apostel, herbeiführen. Die
Einheiten seiner Liebe zwischen Priester und Gläubigen müsse eine der
Hauptwaffen gegen die Angriffe der Feinde der Kirche werden. Jesus sagte mir
wiederholt: „Ich will dich zu einem Opfer für die Priester und für meine Kirche.
Ich will durch dich meine Kirche ihrem inneren Geiste nach erneuern“. Wenn er
sich zu mir herablasse, um mir – einem Kinde aus dem Volke – die Nöte seiner
Kirche zu zeigen, so sei es dabei vornehmlich seine Absicht, zu zeigen, welche
Art der Einheit er in seiner Kirche wünsche. Die Gnaden, die er mir gebe,
sollen wie eine Brücke sein, um die Abgründe zwischen Priester und Volk zu
schließen. Durch das Band der Liebe und des Verstehens und des Einführens in
die große Aufgabe, die seiner Kirche gestellt werden, wolle er wieder neues
Leben und neue Gnaden auf die verwirrte Menschheit ausgießen.
337 |
In dem Maße,
als seine Stimme gehört werde, würden seine Gnaden in den Seelen fruchtbar
werden. Mit der Einheit in seiner Liebe würde die Liebe wieder das triumphierende
Zeichen seiner Jünger werden. Die erkaltende Welt soll wieder in seiner Liebe
fruchtbar und neu belebt werden.
338 |
Seine Liebe
zu den Menschen, zu den Seelen, soll die Haupteigenschaft seiner Priester sein.
Die Liebe müsse wieder die Priester beherrschen, die Liebe seines Herzens, wie
es das letzte Vermächtnis, die letzte Mahnung Jesu an seine Jünger war.
339 |
Gestern ging
ich zu den Addolorata-Schwestern. Es war so klar und wohl nicht von mir: Jesus
will, ich solle mein Leben für immer abschließen, um das seine ganz anzunehmen
und zu leben. Ich sah mich innerlich fähig und auf dieser Stufe angelangt. Jesu
Leben mein Leben! An diese unbegreifliche Gnade solle ich für immer glauben. Es
schien mir so klar und selbstverständlich. Seine Liebe und sein Leben ist ja
mein Leben; seine Ruhe, wie ein unbegrenztes Sein, eine geistige Fülle, die
alles bietet und ersetzt und die sich in mir durch seine besondere Gnade
wiederholen soll.
340 |
Gewiss ist es
unbegreiflich, aber wenn ich auf all die Jahre dieses Weges bis heute
zurückschaue, finde ich alles klar.
341 |
Ich sah den
Willen Jesu, dass ich für ihn durch einen besonderen Akt der Hinopferung für
immer ganz bereit sei, ihm opfernd sein Leben nochmals zur Verfügung zu stellen
für die Absichten seines Herzens für Kirche und Priestertum. Jesus will
sichtbar sein inneres Leben wieder gelebt haben als Offenbarung für die
Priester. Jesus will diesen Akt in Form eines Gelübdes für immer besiegelt.
342 |
Nach dem
höchsten geistigen Erleben seines „Seins“ in mir würde ich allmählich
zurückfallen in sein inneres Leben als Opfer vor seinem Vater, in das Erleben
der Leiden seines Herzens besonders für die Priester. Ich würde dies in einem
mir wie ganz natürlichen Zustand erleben als meine Leiden, innerlich
umgewandelt in ihn, aber menschlich erlebt.
343 |
Jetzt bangt
mein ganzes Inneres vor einem solchen Schritt; darf ich es wagen? Ich fürchte
mich so sehr vor dem Kommenden.
344 |
O, dass Jesus
Leben ganz in uns zur Vollendung komme nach den Absichten seines Herzens; ich
möchte schon ganz treu sein, aber wie sehr fühle ich zugleich eine Furcht und
Angst in mir, nicht Unruhe, aber die Furcht, ob ich dann auch entsprechend treu
sein werde nach dem Maße der Forderungen Jesu. – Es ist ein vollkommenes
Verzichten für immer auf mich, ein Eingehen für immer auf die Pläne Jesu – nie
würde ich einen solchen Schritt ohne geistliche Leitung wagen.
345 |
Ich erlebte
die dreifache Tätigkeit des Heilandes: Zunächst sein ständiges Leben und Sein
in der heiligsten Dreifaltigkeit, in einem ständigen, unzugänglichen Licht, das
irgendwie immer bleibt – und das auch bei mir irgendwie bleiben wird bei aller
Finsternis und bei allem Leiden.
346 |
Dann sein
Leben als „Erlöser“: Das unzugängliche Licht seiner Gottheit, und die
allerhöchste Reinheit seiner Menschheit, ist verbunden mit der gefallenen
Menschheit. (Das ist eben das unbegreifliche Erlösergeheimnis, das man nicht in
Worten sagen kann, obwohl man es innerlich begreift). Schon dieser Gegensatz
bewirkte ein beständiges Leiden. – Dazu kam, dass er die Sünde der Menschen auf
sich nahm, gleichsam als ob es die seinen wären. Durch den Kampf dagegen sollte
er die gefallene Menschennatur wieder der Gottheit näherbringen. – So musste
auch ich größtmögliche Reinheit erringen und werde ich die Sünden, besonders
der Priester, erleiden, die ich zu sühnen haben werde.
347 |
Der dritte
Zustand im Leben Jesu war jener, der sich bei seinen Wundern zeigte. Dabei
strahlte die Kraft seiner Gottheit aus, verband sich mit der Menschheit zu
einem und durch einen Akt seines Willens wirkte er, für gewöhnlich, die Wunder
durch das Werkzeug der menschlichen Natur. Die Gottheit war aber nur als
tragende Kraft wirksam. Jesus war eben der nach außen sichtbare Gesandte des
Vaters in seinem öffentlichen Leben, in seinen Wundern, wobei sich seine
Gottheit äußerlich zeigte. So werde auch ich eine entsprechende äußere
Tätigkeit haben.
348 |
Diese drei
Zustände waren aber bei Jesus wie in einem verbunden und nicht getrennt, und
sie hinderten einander nicht; so werde es auch bei mir sein. Ich werde das
Leben Jesu so erleben, dass es mein eigenes scheine und doch ganz das Leben
Jesu ist (soweit es eben mit der besonderen Gnade menschlich möglich ist). Ich
erlebte in diesem geistigen Ziel mein bevorstehendes Innenleben als das innere
Leben Jesu. (Meine Seele lebt in Gott, in Jesus, wie ein Wesen in einem
geistigen Licht, voll Kraft. – Ich habe kein Wort, dies zu erklären).
349 |
Ich erlebte
den unermesslichen Abstand zwischen dem Leben Jesu in mir und meiner eigenen
armen Persönlichkeit, die Jesus so hoch in sich erhob. Sein Einstrahlen der
Gottheit in mir ist mir eine unaussprechliche Vernichtung, die mich gleichsam
ganz auflöst; ich erlebe in ähnlicher Art den Gegensatz: Jesu göttliche Natur
und seine menschliche.
350 |
Ich hatte ein
großes Sehnen, ganz wie der Heiland zu sein, so wie ich ihn kenne, außer dem
Verlangen, ganz bei ihm zu sein. Ein Sehnen, die Grenze und Schranke zu
überbrücken, die durch die Sünde aufgerichtet wurde; ein Sehnen, wieder zu dem
Besitz und Einssein mit Gott zu kommen, das die Menschen vor der Sünde hatten.
So hatte der Heiland in seiner Menschheit auch immer das Verlangen nach der
Herrlichkeit, die ihm zustand und die er hatte vor Anbeginn der Welt. – Bei all
diesem Leiden bin ich aber doch heiter und glücklich.
351 |
Einssein, ein
Leben, ein Wesen, ein Geist, ohne Grenzen oder Gegensatz.
352 |
Ich erlebte
die Verbindung der beiden Zustände des Lebens Jesu: das Erlöserleiden und das
Sein in Gott. Ich bin ganz eins mit dem Heiland und dabei selig wie ein Kind;
es ist unbegreiflich, was der Heiland vorhat. – Es scheint mir: Wenn mir dies
geläufig ist, dann wird die äußere Tätigkeit kommen. Jetzt bin ich ganz eins mit
ihm, ein GEIST und EIN Geist, ein Wesen; von mir fühle ich nichts.
353 |
Ich erlebe
eine weitere Stufe des Lebens Jesu in mir, die mir allerdings früher schon oft
angekündigt wurde: Sein Leben derart, dass er sich durch mich den Priestern
zeigen, offenbaren kann; dass dieses Leben überströmt auf das Werk. – Dieses
Leben gebe ich dem Heiland wieder und gebe es dem Vater und gebe es der
Muttergottes.
354 |
Es tat mir
leid, dass ich nicht mehr wie früher zu Maria beten konnte; da hatte ich die
Erkenntnis, das sei die größte Freude für Maria, wenn sie dieses Leben in einer
Seele wiederfindet und sieht.
355 |
Dieses
„gelebte“ Leben Jesu sei überhaupt das beste Gebet, lebendes Gebet. So sollen
auch die Priester Jesu Leben leben und so will es der Heiland ihnen geben: sein
beständiges Leben im Vater, sein Sühnen und Erlösen, sodass sie nur mehr seine
Interessen und Anliegen kennen und aus dem heraus wirken.
356 |
Ich bin wie
in einem weiten, unermesslichen Raum, der nirgends angrenzt; da kann das Leiden
nicht hin; da ist alles Geist; da hat man alles, was man braucht; da fehlt
nichts; da braucht man nichts; man ist ganz gesättigt.
357 |
Wie könnte ich
meinen Seelenzustand schildern? „In ihm lebe ich, in ihm bewege ich mich“. Ich
bin wie ein Geist, in dem nichts Irdisches besteht. – Es genügt mir, meinen
Gott in so geistiger Art zu besitzen. Es ist kein Trost, nichts was menschlich
gefühlvoll oder fühlbar wäre, nein: ein endloser Geist, ohne Grenzen. – Oder
ich bin dieser Geist geworden! – Ich kann nicht zu ihm beten, er ist ja in mir;
oder bin ich in ihm ganz aufgelöst? In Jesus habe ich alles. Und ich bin
wunschlos und ohne Willen.
358 |
Als ich
während der heiligen Messe in diesen Tagen die Messgebete beten wollte, sagte
mir Jesus – oder tat er es in mir? – Das höchste Gebet ist dies: ihn ihm wieder
zu geben, mit all den Wirkungen seiner Gnade, mit der er sich mir geschenkt
hat, in jener vollkommenen Vereinigung, wo er sich selber gleichsam wieder
empfängt. Und diese Mitopferung bei der heiligen Messe gebe durch ihn seinem
Vater die höchste Ehre, weil man Gott nichts Höheres geben könne als: Jesus und
Seelen, in denen er lebe. Ich bemühe mich seither, in diesem Sinne die hl.
Messe zu leben. So wie Jesus sich gibt, bin ich in ihm ein wortloses Opfer.
359 |
Ich kann das
eben nicht in menschlichen Worten ausdrücken; ich bin eben innerlich ganz
„Geist“, und das kann ich in Worten nicht sagen.
360 |
Wo ich bin,
ist alles Ruhe, Fülle, Erfüllung, Kraft und Einheit. In diesen höchsten Teil
der Seele, wo alles Geist ist, kommt jetzt kein Leiden hin.
(Anfang!)
361 |
Wenn auch
diese Vergeistigung von bleibender Wirkung ist, so ist sie doch nicht immer
gleich spürbar erlebt. Vieles muss noch weggeschafft werden, was die geistige
Vollendung in mir behindert.
362 |
„ihn GANZ
leben, nicht nur in seinem beständigen, göttlichen Leben in der heiligsten
Dreifaltigkeit“.
363 |
Jesus lebte
als Mensch wie in einem geistigen Lichte „seine Gottheit“, die ausging von der
Heiligsten Dreifaltigkeit und wieder gleichsam (zu Ihr) zurückging. Mit dieser
Gottheit war die Erlösernatur verbunden, beständig von Ihr getragen und
durchleuchtet. Selbst der aus dem reinsten Leib Mariens genommene Erlöserleib
Christi war vor seiner Gottheit ein Anlass und gewissermaßen Gegenstand
beständiger Vernichtung und Verdemütigung.
364 |
Jesus gab mir
diesbezüglich viel Licht; ich erlebte in mir jenen Gegensatz: Seine Gottheit
verbindet sich in mir mit einer leidensfähigen Menschheit, um in einem
leidensfähigen Wesen für die Menschheit, bzw. für die Priester neue Gnaden zu
verdienen. Bei der hl. Kommunion verbanden sich diese zwei, das Licht der
Gottheit mit dem menschlichen Wesen zu EINEM. Ich kann diesen Seelenzustand
dauernd ertragen. Dieser Seelenzustand wurde mir schon lange voraus erklärt.
365 |
Nach vielen
unbeschreiblichen Leiden der inneren Verdemütigung und Vernichtung bin ich nun
wieder in einem neuen Einssein mit Jesus, noch einfacher, noch mehr Geist. Ich
habe alles, was ich brauche; ich habe Überfluss, bin glücklich.
366 |
Alle Leiden
der letzten Zeit sollten diese bleibende Möglichkeit herbeiführen. Früher war
es nur für kurze Zeiten, um es der Seele begreiflich zu machen; die menschliche
Seele könnte auf einmal so viel geistiges Licht nicht ertragen.
367 |
Es ist, wie
wenn die Seele gleichsam ein Knäuel wäre, aus dem sich vieles löst und wegfällt
und schließlich etwas ganz Einfaches herauskommt. Der Wille arbeitet sich
kräftig durch.
368 |
Ich verstehe
so gut, dass dieses Leben Jesu das Wertvollste ist, was man tun und geben kann.
Ich sehe innerlich, wie Jesus „sein Leben in mir“ wieder fruchtbar werden
lässt, wie es neues Leben wirkt, und weitergeht auf andere Seelen. Selbst wenn
man gar nicht tätig sein kann, wirkt das doch weiter und geht weiter auf
andere. Jesus will mich bereit machen zu einem „erneuten Leben an seiner
Stelle“, um dadurch seiner Kirche „neue Gnaden“ zu geben.
369 |
Ich erlebe
jetzt Jesus in mir, und zwar so viel von ihm, kann es aber nicht erklären. Oder
eine Erklärung: In ihm lebe ich, bewege ich mich. Er ist eine lichtvolle Kraft.
370 |
371 |
Grundlage M1
Andeutungen der Hl.
Schrift über Jesu Erlöserleiden
Jesajas Kap. 53: Es
hat der Herr auf ihn gelegt die Schuld von uns allen. – Wie ein Kleid das ihn
bedeckt. (Et Dominus posuit in eo iniquitatem omnium nostrum)
Jesaias Kap. 53: Wir
sehen ihn wie einen Aussätzigen.
2 Korinther 5,21:
Ihn, der die Sünde nicht kannte, hatte für uns zur Sünde gemacht. (Eum qui non
noverat peccatum, Deus pro nobis peccatum fecit)
Galater 3,13:
Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes losgekauft, indem er für uns zum Fluch
ward. (Christus non redemit de maledicto legis factus pro nobis maledictum)
Römer 8,29: Die er
vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes
gleichförmig zu werden, denn dieser soll der Erstgeborene sein unter vielen
Brüdern.
Epheser 4,13: bis
wir gelangen … zur vollen Mannesreife, zum Altersmaß für die Fülle Christi –
alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.
Galater 2,20: nicht
mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.
Kolosser 1,24: Nun
ergänze ich an meinem Fleische, was von den Leiden mit Christus noch aussteht,
zugunsten meines Leibes, der Kirche.
Epheser 1,23: Haupt
der Kirche, die sein Leib ist, erfüllt von ihm, der alles in allem erfüllt.
372 |
Ich war
abends in der Kapelle, ich war in Jesus. Er sagte zu mir: „Wie liebe ich dich,
mein Kind, das ich mir auserwählt und aus vielen herausgehoben habe! Ich liebe
dich wie mein menschliches Leben aus Maria. Ich bin im Begriff, Großes zu tun.
373 |
Ich habe mein
Leben in dir gepflegt; ich werde es zur Vollendung bringen. Nach diesem
erneuten Leben, nach diesem meinem fortlaufenden Leben in dir wird meine Kirche
erneuert werden.
374 |
Ich habe mir
in dir eine neue Erlösung geschaffen.“ (Ich sehe das in zweifacher Art: Als
Herstellung meiner Menschheit wie vor der Sünde und dann in Form neuer Gnaden
für die Erneuerung der Kirche.)
375 |
Jesus wolle
„neue Gnaden“ ausgießen, die Erlösung in einer neuen, besonderen Art fruchtbar
machen, wozu ich ihm Werkzeug sein soll.
376 |
Ich bat Jesus
für Pater Baumann – „er ist die erste Frucht meines Lebens in dir. Viele, viele
werden dann nach seinem Geiste sein. Ich werde Großes tun für meine Kirche.“
377 |
Vieles ist
nicht in Worten auszudrücken. Ich lebe Jesus, aber es ist ganz einfach, ein
Geist voll Ruhe und Einheit.
378 |
Es scheint
mir: Ich kann mein Innenleben nicht mehr beschreiben; alles ist tief geistig
und doch so klar erlebt. Ich lebe Jesus, aber dieses innere Erfassen geht immer
tiefer; ich verliere mich immer mehr in seiner Gottheit und in seiner
Geistigkeit. Mein Verhältnis zu ihm soll ähnlich werden und sein, wie das SEINE
zum Vater und zum Heiligen Geiste war: Eine volle Einheit; und aus diesem
vollen Erfassen (das Ziel ist mir geistig klar) wird sich meine innere Aufgabe
entwickeln: sein Leben und Leiden nochmals mystisch wiederholend, für die
Kirche fruchtbar machen.
379 |
Es fehlen mir
die Worte für das „Tun“ Jesu in mir. Ja, Jesus TUT es in mir; er sagt nichts,
aber er arbeitet in mir wie in seinem „sein“, mich vorbereitend auf meinen
kommenden Weg.
380 |
Er ordnet
unser geistiges Verhältnis als ein wirkliches, treues Zusammenarbeiten für
seine Absichten und ein gegenseitiges Sich-Unterstützen.
381 |
Er gibt
Bereitschaft meinerseits, alles zu verlassen, damit er in mir sein Werk
begründen könne. Er in mir, nicht ich! Er tut alles, ich gehe hin, …
382 |
Es war zuerst
ein großer, mir unbegreiflicher Schmerz in mir, ein Sterben; dann löst es sich
in mir und fängt an sich fühlbar zu regen als sein Leben, sein Sein. Er
gestaltet mich für sein Wollen, dass es nur das seine sei, ich bin mit allem
einverstanden. Er nur in mir, ich tue nichts. – Es kommen innere Zusammenhänge
mit früher Erlebtem in meiner Seele; es zeigt sich die durchlaufende Führung,
die Erwählung für sein Werk, das er in mir, aus mir heraus, gründet.
383 |
„Warum, o
Jesus, eine Frauenseele zu so Großem?“ – Ich bin es, der sich in der
Schwachheit verbirgt.
384 |
Ich bin
ruhig. Es ist alles in Ruhe in mir, auch im Erstreben meiner selbst, im Leiden.
– Ich habe Kraft in mir bis zum Überströmen, und doch so viel Schwäche, dass
ich mir beständig von ihm geben lassen muss. – Das Verlangen, in ihm vollendet
zu sein, wird mir zur größten Qual. Es ist das Verlangen, mich ganz
aufzubrauchen. Ich habe so viel in mir, das zur vollen Entfaltung drängt, schon
von Kindheit auf einen gewissen Idealismus. Ich fühle dann das Zusammenhängende
in meinem Leben.
385 |
Ich sehe und
erlebe das Werden seines Werkes: Geschützt, behütet von seiner väterlichen Hand
wird sein Werk entstehen, klein, unscheinbar, aber innerlich stark.
386 |
Jesus
bereitet mich auf viele Opfer vor, aber unser geistiges Einssein wird nur
gestärkt sein, wenn auch örtlich getrennt. Später würden wir für immer
zusammenarbeiten dürfen.
387 |
Es tut mir
schon weh, sehen und erleben zu müssen, wie Jesus mich mir selber nimmt, aber
er gibt mir „sich“, und ich bin reich entschädigt dafür. – Es ist so still in
mir, nichts lauter Nichts, ein Geist.
388 |
Ich leide
körperlich unter diesem „Tun“ Jesu in mir. Es sind innere Leiden, die mit
nichts verglichen werden können. Nichts mehr, gar nichts mehr von mir oder für
mich, alles „DU“. Eine Regung meinerseits ist eine Qual, weil man nur Jesu
Leben sein will. Alles drängt zur inneren Vollendung, die man nie nach dem Maße
des innerlich erlebten Zieles erreichen kann, und dies ist das größte Leid. Man
möchte ganz in diesem Geistigen aufgehen, aber Jesus tut es zu unvermerkt und
still.
389 |
Soll ich es
wagen, ganz in ihm unterzugehen, fraglos über meine Zukunft, allein? Ja, da
fühlt man dieses „allein“ mit Gott, in dem jede Seele ist, eigentlich ein Reich
für sich, wo niemand so ganz herankann.
390 |
Ich glaube
schon, dass der Heiland mir in der nächsten Zeit woanders einen Platz bereitet.
Verschiedenes, früher Vorausgeschautes deckt sich damit.
391 |
Es ist nur
wenig im Vergleich zu dem Erlebten. Ich habe eigentlich zu allem kein passendes
Wort. – Jetzt, am Abend, bin ich ruhig, wenn auch ein wenig leidend. Der
Heiland gebe seine alles überwindende Kraft. Maria, reine Hoffnung!39
392 |
Ich bin
ruhig; zwar bin ich in leidendem Zustand, aber ich fühle die Leiden nicht so
sehr; es vollzieht sich vielmehr alles „geistig“, wie wenn ich nicht beteiligt
wäre. Es betrifft aber mein innerstes Wesen. Alles konzentriert sich auf das
„Sein“ JESU in mir. Alles an Kräften und Fähigkeiten in mir wird langsam, sei
es mir bewusst, sei es auch unbewusst, von „ihm“ in Besitz genommen. Es ist
dies ein innerer Vorgang, den man nicht erklären kann, und doch erlebe ich es
klar. Ich lebe dann wieder bewusst JESU innerstes „Sein“; alles in mir wird von
diesem „Sein“ aufgesaugt und aufgenommen.
393 |
Stelle ich
mich diesem inneren Leiden fremd gegenüber, so kann es wie ein „zweifaches
Leiden“ sein – ich kann es nicht anders erklären; bejahe ich es, so empfinde
ich mitsamt dem Leiden eine unaussprechliche Ruhe und Seligkeit, die
unzerstörbar in mir wohnt.
394 |
Ich will mich
für die kommende Fastenzeit bemühen, alles in mir „bewusst“ zu bejahen, mich
bewusst „ins Wasser zu stürzen“, ins Meer seiner Gottheit und seines „Lebens“.
– Ich habe in mir die Forderung Jesu: Ich soll „wollen“. Ja, dieses Wollen hat
so viele Stufen: im Allgemeinen, im Besonderen, im Einzelnen, für ganz, um in
den Fluten zu verschwinden, unterzugehen oder fortgerissen zu werden, in ihm
„zu schwimmen“, mich „dem Wasser anzuvertrauen“ – wie Petrus; all das liegt
darin und ist in diesem „Wollen“ eingeschlossen.
395 |
Er ist das
Sein, die Kraft. Er wird alles in mir erreichen: in seinem „Leben“ sich selber,
sein Werk, wenn sein „Leben“ meine arme Menschheit überflutet hat, wenn diese
ihn ganz zu seinem Leben dienstbar gemacht ist. – Alles soll „ihm“ dienen;
dieses „Erleben seines Lebens“ ist das tiefste und geheimnisvollste, und doch
ist es mir klar und enthält das Wesen meines Innenlebens.
396 |
Jesus will
abermals menschliches „Tun“ und „Wollen“ brauchen, um in seiner Menschheit der
Kirche nahezukommen. Zuerst soll sein Leben langsam erlebt werden in seinem
kleinsten Kinde, dann gnadenvoll gegeben werden in seinen Priestern. – Jesus
will in der Kirche leben; sein Geist, ER selbst will sie erneuern in seinen
Priestern. Er fängt so klein, im Verborgenen an, sich opfernd mit dem Herzblut
seiner kleinsten Kinder; es soll dies der Same sein für eine spätere Ernte. Wir
haben keine andere Aufgabe als diese; alles Andere macht er selbst.
397 |
In der
Fastenzeit will ich dieses „Leben“ in mir mehr und vollends, auch bewusst,
bejahen. Gewiss tut es weh, bei allem inneren Frieden, aber dennoch!
398 |
Später … wird
nach diesen inneren Erlebnissen, die nur Offenbarungen für die Kirche sind,
vieles in der Kirche geändert und nach diesem „Leben Jesu“ eingerichtet werden.
Der Wert der Gnade wird in ein neues, höheres Licht gestellt werden.
399 |
Ich sah es
heute voraus: Nach vielen Jahren wird aus diesem „Leben Jesu“ eine
durchgreifende, tiefe Erneuerung der Kirche erfolgen. Jesus will seiner Kirche
wieder mehr nahekommen in seinem gelebten Leben, sich dem einzelnen Priester
gebend und wirklich kraftvoll erlebt in dieser Art seines Lebens, den Einzelnen
erneuernd, umwälzend. Er will dies vorzeigen und schauen lassen in meiner
Schwachheit, die getragen sein wird von seiner Kraft, von der Kraft seines
„Seins“.
400 |
Es wurde mir
erklärt durch den Vergleich mit der Herz-Jesu-Andacht. Wie diese heute die
Seelen erfasst hat bis in die letzte Gemeinde, so wird es auch in dieser Sache
sein: Alles, die Kirche wird von einer neuen Kraft durchdrungen werden. – Ich
kann mich eben nicht anders ausdrücken.
401 |
Jesus zeigt
sich und gibt sich in mir seiner Kirche. Einmal wird sie nach den Grundlagen
meiner geistigen Führung eingerichtet werden. Es wird ein großer Triumph für
die Kirche werden.
402 |
Ich soll mit
der Kirche in innigster Gemeinschaft „geistig“ verbunden sein, weil sie
sozusagen „jetzt“ geistig neues Leben erhält, das sie später wirksam erneuern
wird. Das soll für mich wie eine Triebfeder sein zu grenzenloser Hingabe.
„Neues Leben fängt nicht erst an im Augenblick 'des Lebens'; es geht vielmehr
zurück bis auf den ausgestreuten Samen, der gelegt, befruchtet, keimend,
wachsend, reifend für neue Ernte bestimmt ist“. Jesus will mich als solches
Ackerland für seine Kirche. „Sein Leben“ ist der Same, der hundert- und
tausendfältige Frucht bringen wird.
403 |
Dieses innere
Wissen meiner Aufgabe ist zwar beschämend und verdemütigend für mich, gibt mir
aber viel Kraft im Voraus, die mich befähigt, im Voraussehen meiner Aufgabe der
Gnade grenzenlos zur Verfügung zu stehen.
404 |
Jesus wird
mich unfähig machen, seinem „Leben“ zu widerstehen. Er wird sein Leben ganz
vorherrschend werden lassen in mir für die Kirche, aber still, unvermerkt, bis
zu „seiner Stunde“.
405 |
Ich will mich
verbergen, vernichten, zertreten lassen –
406 |
Weiter kam
ich nicht; es ward finster in mir; das vorher so klare Ziel meiner Seele
verschwand in scheinbarer Aussichtslosigkeit aller Opfer und Leiden. Ich war
meinem Willen selbst weggenommen. – Eine öde Wüste trat an dessen Stelle. Kein
Mensch kann begreifen, in welchen Zustand des Leidens man kommen kann:
Zertreten in sich selber, sich selbst unwert, voll Ekel und Überdruss gegen
sich; es tun sich in einem selbst Abgründe auf; man ist vor sich selber
verborgen, vernichtet, zertreten. Solche Leiden sind mir ein Beweis, dass Jesus
weitermacht, aber in solchen Zeiten scheinen mir die Leiden wie ein Hohn. –
407 |
Und wie viele
Arten von Leiden kann es geben! Auflösend, zerstörend, vernichtend; man kann
unfähig werden, sich irgendwie zu beschäftigen; alle Geisteskräfte haben am
Leiden teil und sind beansprucht. – Der Heiland weiß, warum er mich für diese
Zeit jeder drängenden äußeren Beschäftigung entzogen hat. Ich habe es heute
wieder erfahren: Unmöglich könnte man derartige Leiden mit einem nach außen
tätigen Leben vereinen. Da wird man sich seiner verborgenen geistigen Kräfte
bewusst. Glücklich, wer sie in diesem Leben erfährt! Wie schrecklich müssen die
Leiden in der Ewigkeit sein, wo diese Seele sich erst ihrer Selbst, ihres
„Seins“, bewusst wird. Das Merkwürdige dabei ist: Man erfährt: „Diese Art des Leidens
habe ich noch nicht in dieser Tiefe erlebt“. Freilich muss man immer das
gleiche Wort gebrauchen, weil die Ausdrucksweise fehlt für die vielen Stufen
und Grade dieser inneren Leiden. Wie aber der Vereinigungszustand, auch im
Voraussehen, sich immer mehr erhöht, so geht es auch mit den inneren Leiden:
Sie vertiefen und erweitern sich ständig. Es werden gleichsam neue Kräfte der
Seele herangezogen; es tun sich neue Leidensmöglichkeiten der Seele auf. –
408 |
Jetzt bin ich
ruhig, wie wenn immer Ruhe gewesen wäre. Mittags wurde mir wieder
vorausgezeigt, dass ich von hier wegkäme. Ich müsse dann die Sache Jesu
vertreten und darum müsse er mich ganz in Besitz genommen haben. In solchem
Zustand bin ich so bereit, dass ich imstande wäre, sogleich alles zu verlassen.
Ich werde da das wirkliche Leben Jesu inne, in dem Kraft für alles ist.
409 |
Heute
Vormittag wurde mir – das geht so in einem Augenblick – die verborgene Art
meiner inneren Führung erklärt: Verborgen, mir selbst verborgen, vor den
Menschen verborgen, scheinbar ein gewöhnliches Leben. Das war eine große Freude
für mich!
410 |
Ich sah auch
voraus, oder ich sah abends zurück auf das große Leiden am Nachmittag. Ich
meinte bei mir, es müsse sich um eine Art Ekstasezustand handeln, weil alles so
rasch verschwindet, als sei es nicht gewesen, und weil alle Seelenkräfte, auch
die des Geistes, daran beteiligt sind. Es wurde mir innerlich erklärt, Jesu
Leiden waren „bewusst“ gelitten im gewöhnlichen, menschlichen Zustande. Es sei
bei mir nur eine Art Tiefenwirkung in der Seele. Später werde sich das bei mir
so steigern, dass meine äußere Tätigkeit dadurch unterbunden sei. Ich sah aber,
dass dann „jemand“ alles für mich tun wird.
411 |
Bei der hl.
Messe vor dem Marienaltar in der Gruft von St. Peter opferte ich die hl. Messe
zu Ehren Mariens auf, dass sie bei Jesus fürbitten möchte, im großen Anliegen.
Ich überließ alles „ihr“.
412 |
Bei der hl.
Wandlung erlebte ich Jesu „Tun und Leben“ fühlbar, obwohl es in den letzten
Leidenszeiten unterbrochen schien. In seinem „Leben“ erkannte ich dann meine
geistige Aufgabe: Das Leben Jesu leben als Offenbarung für die Kirche, für die
Priester. Nach diesem seinem „Leben“ möchte Jesus alle Priester umgestaltet
sehen. Ich sah mich innerlich an einem bestimmten Wendepunkt meines Innenlebens
angekommen. Ich bin vorbereitet für das, was meine seelische Aufgabe
umschließt. – Das „Sein Jesu“ führte mich in den Zustand des Glaubens an diese
meine geistige Aufgabe für die Kirche. Durch das erneute Leben Jesu wird mein
Leben eine Offenbarung für die Priester bzw. ein Mittel zur Erneuerung der
Kirche.
413 |
Ich bin in
innigster Gemeinschaft mit und in MARIA, an ihrer Stelle, ihr Leben lebend.
Daraus entsteht dann Jesu Leben für eine Erneuerung in der Kirche; hierfür soll
ich Jesus ganz als Opfer und Mittel dienen. Ich werde von Maria das „Leben
Jesu“ und alles empfangen; durch ihre besondere Fürbitte und Vermittlung wird
der Kirche dieses Erneuerungsmittel gegeben. Ich sehe den ganzen Plan als eine
Aktion Mariens, weshalb auch eine „Frauenseele“ an ihrer statt erwählt wurde.
414 |
Ich sah den
Geist der „Gesellschaft Mariens“. Mariens Verborgenheit, Demut und Schlichtheit
waren der Gegenstand des besonderen Wohlgefallens Gottes. Diese Geradheit der
Seele – so wie der Mensch aus der Schöpferhand Gottes hervorging – sollen sich
jene Seelen aneignen. Was darüber ist, hat sich der Mensch selbst dazu gemacht;
die berufenen Seelen müssen „heruntersteigen“, nicht „hinauf“, um diese vom
Schöpfer gewollte Natürlichkeit sich aneignen zu können. Ich sah diese
entsprechend dem Wesen Gottes, der die Einfachheit und Geradheit ist. In diesem
Geiste Mariens fand Jesus die erste und hauptsächliche Vorbedingung zur
Menschwerdung in ihr und die Möglichkeit einer Angleichung vorbereitet. Diesen
Geist sah ich als erste Grundlage der „Gesellschaft Mariens“.
415 |
Nach
wochenlangen Läuterungsleiden ist wieder die innere Ruhe in mir. Gewiss, in
einem Teil des Inneren ist immer Ruhe und irgendwie Unberührtheit von den
Ereignissen des „unteren Teils der Seele“. Das erste Prüfungsleiden war ähnlich
den passiven Läuterungsleiden, wo gleichsam alles früher Erworbene
zusammengestürzt und alles Täuschung und Nichts erscheint. Die zweite
Prüfungszeit war meist ganz geistig, wo der höhere Teil der Seele gar nicht
berührt wurde. Man scheint in solchen Leidenszeiten gleichsam zwei Wesen in
sich zu haben, zwei Tätigkeiten, von denen sich die eine irgendwie des Erlebens
und Seins Gottes erfreut in vergeistigter Art während die andere in
unaussprechlichen ganz vergeistigten Leiden verwickelt und wie darin begraben
ist.
416 |
Ich erfahre
überhaupt zwei Arten von Seelenleiden: ein mehr an die Sinne der Seele
gebundenes und ein ganz geistiges. Das Sinnengebundene vollzieht sich im
unteren Teil der Seele; man scheint daran selbst beteiligt, man ist hineingezogen,
muss mitkämpfen und dagegen kämpfen, muss irgendwie dafür oder dagegen Stellung
nehmen. In der letzten Zeit war ich wie ein verdorrter Grashalm in der großen
weiten, endlosen Wüste; alles schien weggenommen, die Seele zum Tode, zum
Nichts verurteilt, doch wieder zum Leben bestimmt, das man in sich begründen
müsse. Die unaussprechliche Verlassenheit von innen und außen ist wie ein Hohn
auf alle früheren Gnaden, die irgendwie in Erinnerung kommen. Man will begraben
sein im Nichts, zu dem man verurteilt ist und das einem zukommt. – Aus dem
Nichts wolle der Heiland sein Leben und sein Sein schaffen, erklärte er mir
nachher einmal.
417 |
In der
zweiten Art dieser Leiden, im ganz geistigen, ist man selbst wie nicht
beteiligt; alles vollzieht sich scheinbar ganz geistig; es ist ein furchtbares,
geistiges Feuer, das einen bis ins Höchste, Letzte durchdringt, wie das
verzehrende Feuer Gottes selbst, das die Seele bis ins höchste geistige
Genießen und Sein Gottes erhebt und doch unaussprechliche, geistige Qual in
sich ist. In diesem Leiden ist Gott ein reinigendes Feuer.
418 |
Gott will
nochmals das „Wunder einer erneuten geistigen Menschwerdung“ in mir wirken.
MARIA war durch ihre Unbefleckte Empfängnis von Anfang an auserwählt und
vorbereitet, um dem Heiland diesen Erlöserleib zu bieten (Trotz des inneren
Wissens um ihre geistige Reinheit kann man es eben nur in trockenen Worten
ausdrücken). Jesus bereitet sich geistig in mir eine „neue Menschheit“, um sein
Leben geistig doch wirklich erneuern zu können. Was Maria von Anfang an durch
ihren Gnadenvorzug verliehen war, das würde JESUS ähnlich durch wirkliche,
praktische Vorbereitung, durch Reinigungsleiden, in mir erreichen; dadurch
wolle er die Harmonie und Anpassungsmöglichkeit an ihn herbeiführen; darum
gelte dies ständiges Absterben des eigenen Seins, damit Jesus mein Sein für das
seine benützen und beherrschen könne.
419 |
Durch dieses,
sein erneutes Leben will er sich seiner Kirche nochmals offenbaren, den
Bedürfnissen der Zeit entsprechend, dass daraus eine geistige Erneuerung
entstehe.
420 |
Dieses innere
Wissen um die Art meiner geistigen Aufgabe entspricht jetzt dem, was Jesus mir
vor 10 bis 15 Jahren so oft sagte, wofür ich aber damals keine nähere Erklärung
finden konnte: „Ich will mich durch dich meiner Kirche nochmals zeigen; ich
will in dir meiner Kirche nahekommen“.
421 |
Immer klarer
zeigt mir mein inneres „Sein“, dass Gott ein großes Erneuerungswerk für die
Kirche plant und dass mir an Maria statt diese Aufgabe zukommt. Wiederholt wird
mir das Kommen eines neuen „Zeitalters der Kirche“ gezeigt, eine neue
Entwicklung und Vertiefung des Glaubenslebens, „sein nochmals geoffenbartes
gelebtes Leben, das sein Leben in den Priestern bewirken wird“.
422 |
Meiner Art
und Schwachheit mehr angepasst sei es, wenn ich ganz das Leben Maria mir zu
eigen mache und lebe. Maria gibt mir dieses Leben, woraus das Leben Jesu wird.
Ich solle mittun und wirklich Mariens geistiges Leben leben wollen.
---
423 |
Jetzt bin ich
in einem unbegreiflich vergeistigten Zustand, ganz Geist, wirkliches „Sein im
Geiste“, der alles aus sich hat und nichts von außen empfängt, ohne Grund, ohne
Boden und ohne Grenzen.
424 |
Ich lebe das
geistige Sein von innen heraus, angefangen vom erneuten „Jesus gibt sich mir“.
Er bleibt in dem Maße in mir lebend als ihm durch die inneren Leiden, bzw.
durch das Absterben meiner selbst Raum geschaffen wird. Dieser Weg ist der
geistige Entwicklungsgang seit vielen Jahren (fühlbar seit etwa 20 Jahren).
Dieses innere Absterben bewirkt ein beständiges Sichauflösen in mir,
Vernichtung, Leere, Leichtsein; man verliert die „Schwere des eigenen Seins“ –
ich habe keinen anderen Ausdruck für das, was ich gerade in letzter Zeit so
besonders erlebte.
425 |
Das geistige,
aber nicht fühlbare Erleben Jesu wirkt ein beständiges Sein von innen heraus in
mir, obwohl mir das im Einzelnen gewöhnlich nicht zum Bewusstsein kommt, weil
ich ständig von dieser Geistigkeit getragen bin.
426 |
Meist wird es
mir vor den entsprechenden Vernichtungsleiden erklärt und nachher erlebe ich
diese erhöhte Geistigkeit, dieses Leichtsein, in mir.
427 |
Seit Langem
erlebe ich viele Abstufungen der Geistigkeit. Der Begriff: „Gott ist ein Geist“
ist eben für den Menschen etwas Unbegreifliches, aber in diesem inneren Leben erfährt
man dieses „Geist-sein Gottes“. Mir scheint, die Seele wird dieser Geistigkeit
angepasst und geist-aufnahmefähig gemacht. Jesus kann sich der Materie, dem
Körperlichen, nicht voll mitteilen. – Zugleich werden auch die „menschlichen
Fähigkeiten seiner gottmenschlichen Seele“ mir angepasst, um ihm gesichert für
seine Absichten und Pläne zu dienen. Aber alles geht so unsagbar einfach vor
sich.
---
428 |
Vor dem
Allerheiligsten trat wieder meine innere Aufgabe ganz klar mir vor Augen: Das
Leben Jesu erleben als Offenbarung für die Kirche. Für diesen Zweck soll ich
mich dem Heiland leihen.
429 |
Jesus „sagt“
nichts mehr wie früher. „Etwas“, eine höhere geistige Macht tut das in mir oder
richtet mein geistiges Sehen und Erkennen hin auf das Tun und Wollen Jesu. Es
vollzieht sich alles rein geistig, oder wie wenn er meine Geistesfähigkeit
gebrauchen würde, um mir seine Absichten klarzumachen. Nach diesem erneuten
Fordern Jesu um mein ganzes Sein, das ich ihm als das seine bereitstellen soll,
kam ich aber in Furcht ob der Größe der darin verborgenen Gnade Gottes; ich
hatte Angst, ich könnte irregehen und zu hohen Dingen anhängen. Gleich aber
trat an der Stelle meiner inneren Angst das Verbundensein und Einssein mit
Maria; ich hatte das innere Erkennen und zugleich das Erlebnis der Wirksamkeit
der Gnade, mein Leben in ihrer Art, d. h. „ihr Leben“, das sie mir zu diesem
Zwecke überlasse und das ich mir aneignen solle, dem Heiland für seine
Absichten zur Verfügung zu stellen. Ich war ganz in Maria und erlebte dieses
Leben der Reinheit, der Demut, der Einfachheit, das man geistig erkennen, aber
nie in Worten wiedergeben kann. Dieses Leben solle ich Jesus nochmals bieten,
auf dass er damit „sein Leben“ erneuern könne zum Heil der Kirche.
430 |
Diese so klar
erlebte Gnade gab mir vollends die innere Ruhe und Klarheit: Mariens Leben mir
zu eigen machen, damit Jesus es nochmals für sich gebrauchen könne.
431 |
Es ist darum
mein Vorsatz: Jesu Leben soll nochmals durch Maria in mir gestaltet werden. In
ihr will ich mich dem Heiland für seine Absichten ganz zur Verfügung stellen. –
Alles in mir ist so einfach; in ihr bin ich verborgen und geborgen. Einmal hat
sie mir in schweren Zweifeln und Leiden bei ihr eine Zuflucht geboten mit den
Worten: „Bei der Mutter gibt es keine Täuschung und keine Enttäuschung.“
432 |
Im Zustand des tiefen „Seins“ in Jesus sah und
erlebte ich: Jesus als Gott (= das ewige Wort, die zweite Person in er
Gottheit) verband sich mit der Menschheit, die er aus Maria annahm, zugleich
aber nahm er die durch die Sünde gefallene und „von Gott getrennte Menschheit“
an, um in sich die Möglichkeit der Sühne zu schaffen. Jesus erlebte in seinem
Herzen alle Möglichkeiten zur Sünde und sühnte sie vermittels des Gegensatzes
seiner allerheiligsten Menschheit; diese, verbunden mit seiner Gottheit, schuf
durch die Leiden des Gegensatzes die entsprechende Genugtuung.
433 |
Ich sah
innerlich die Menschwerdung: Die Gottheit Jesu verband sich mit der Menschheit
in Maria; er nahm zugleich das gefallene menschliche Wesen mit allen geistigen
und leiblichen Schwächen an. Der Heiland erlebte irgendwie jede
Sündenmöglichkeit zugleich als der beleidigte Gott, da er immer in der hl.
Dreifaltigkeit lebte; als Mensch schuf er die entsprechende Sühne.
434 |
Jesus will in
ähnlicher Weise dieses Leben seiner Sühne in mir wiederholen, um zu offenbaren,
in welcher Art die wirkliche Erlösung in seinem Herzen vollzogen wurde. Er hat
nicht so sehr durch seine äußeren Leiden, durch seinen Kreuzestod, die Sünden
der Menschen gesühnt, sondern hauptsächlich durch eine geistige Sühne in seinem
Herzen, weil die Sünde ein geistiges Tun und dadurch vornehmlich eine geistige
Gutmachung verlangte.
435 |
Die
Möglichkeit der erlösten Seele, sich von der Sünde freizuhalten und diese zu
überwinden, hat Jesus durch die Leiden des Gegensatzes geschaffen (sein inneres
Bemühen ist uns zur „Kraft“ geworden, die wir die Gnade nennen). Die Erlösung
hat sich hauptsächlich geistig vollzogen; gewiss hat das ganze menschliche
Wesen Jesu als Mittel und Werkzeug alles mitgelitten und wurde dieses Leiden
zuletzt durch den Kreuzestod bis in das höchstmögliche Hinopfern gesteigert und
vollendet.
436 |
Jesus will
Ähnliches in mir wiederholen; es wird durch eine entsprechende Vorbereitung der
Gegensatz zwischen „Jesus Leben“ und einer geistigen Sündenmöglichkeit
gebildet; ich solle mich entsprechend bilden lassen. Es wird sich gleichsam
alles in einem Teile meines Seins (wie etwa „links“) vollziehen.
437 |
Jesus
erfasste mich innerlich mit seinem vollen „Sein“. Wir sind eins, wie Seele und
Leib zu einem Wesen zusammengeflossen.
438 |
Jesus will
den Akt der Aufopferung im Sinne meiner geistigen Aufgabe: ihm als „eine Art
zweiter Menschheit“ zu dienen, damit er sich seiner Kirche offenbaren könne.
Seine Menschheit war ihm das Mittel, um sich opfern zu können; meine
Menschheit, mein leidensfähiges Ich, soll ihm die Möglichkeit bieten, „seine
innere Erlöserart, sie nochmals erleidend“ zeigen zu können.
439 |
In ihm habe
ich mein volles Leben: alles in ihm und von ihm. Wir sind eins für seine
Absichten.
440 |
Ich habe im
Voraus das Vertrauen auf die Kraft von ihm, die mich dem Leibe nach erhält, wo
der gewöhnliche Mensch versagen müsste. Das „Sein in ihm“ wird mich erhalten.
Ich muss im Voraus glauben, dass er meine menschliche Kraft erhält, wie einst
jene aus Maria, damit er sich opfern und offenbaren könne.
441 |
Jesus
verlangt unbedingten Glauben an seine Gnaden, die er bereit halte und für die
er mich gebrauchen will. Das ist eigentlich meine Lebensaufgabe: Mein „Leben“
ihm leihen, dass er es gebrauche als das seine. Daher die lange Vorbereitung,
dass ich mich vollends verlasse oder mich „ihm“ anpasse, ohne noch je einmal zu
mir zurückkehren zu wollen. Nur eines noch: ihm dienen als sein „Sein“.
442 |
Jesus
verlangt nichts als Glauben, das volle Eingehen auf seine Absichten, für die er
mich schon jahrelang vorbereitet.
443 |
O Jesus, es
geschehe alles nach deinen Absichten! Ich will dir ganz zur Verfügung stehen. –
Maria ist unsere Mutter!
444 |
Aufopferungsakt:
O Jesus, Heiland der Welt, durch Maria, deine und unsere Mutter, opfere ich
mich dir ganz und endgültig auf für die Absichten deiner unendlichen
Erlöserliebe. Alle Kräfte und Fähigkeiten des Geistes und Leibes stelle ich mit
vollem freien Willen und unwiderruflich dir zur Verfügung, dass du damit nach
deinem unergründlichen, heiligen Willen, von neuem opfern, und offenbaren
kannst. Ich verspreche dir, immer daran zu glauben, dass du dich deines
kleinsten Kindes bedienen willst, um gleichsam in einer zweiten menschlichen
Leidensfähigkeit mit meiner menschlichen Natur, dich für das Priestertum und
die Kirche zu opfern und deine innere Erlöserart, sie nochmals erleidend, zu
zeigen. Ich verspreche dir auch, unerschütterlich zu vertrauen, dass dein Sein
mir Kraft sein wird, die mich erhält und die mir allein ganz genügt. – O Maria,
meine Mutter, lass mich gleichsam an deiner Stelle dem lieben Heiland so ganz
und treu zur Verfügung stehen und für seine Absichten dienen, wie du es getan hast!
Amen.
---
445 |
Heute habe
ich mich – im Gehorsam – dem Heiland als sein „zweites leidensfähiges Leben“
für immer aufgeopfert. Die jahrelange Vorbereitung befähigte mich für diese Art
der Hingabe für immer. Maria erbot sich mir ganz zu schenken und zur Verfügung
zu stellen, damit meine Aufopferungen an Jesus durch sie desto vollkommener
sei. Ihre zärtliche Liebe gibt mir Mut und Vertrauen. Sie lässt ihr Kind nicht
falsche Wege gehen. –
446 |
Am
Sonntagmorgen bat ich sie kindlich, dass eigentlich sie es sei, die diesen
Hinopferungsakt in mir vollbringe: sie in mir, an meiner Stelle. Dies ist ja
meine einzige Bitte an sie: Mutter, so wie du möchte ich Jesu nochmals ein
leidensfähiges Leben bieten, mit deiner Liebe und Bereitschaft; du musst alles
in mir vollbringen.
447 |
Ich bin
voller seelischer Ruhe, obwohl gestern ein Tag des Kampfes war: Im unteren Teil
der Seele lag ich wie im Todeskampf, im höheren Teil war vollkommene Ruhe und
ich war doch wieder wie nicht daran beteiligt.
448 |
Durch den
Aufopferungsakt bin ich in eine unbegreifliche Einheit mit dem lieben Heiland
zusammengeflossen; es ist eine Einheit, die ich früher nicht erlebte, und doch
ist alles so einfach und selbstverständlich, dass man keine Worte dafür findet.
Ich möchte zum Vergleich hinweisen auf die Wirkung der Mittagssonne. Wenn die
Sonne am Mittag am höchsten steht und am hellsten scheint, kann man sie nicht
anschauen, sie ist eben da; das ist nur möglich beim Morgen- und Abendgrauen.
So ist es gleichsam Mittag in meiner Seele: Das göttliche Sein um- und durchlebt
die Seele, aber es ist so einfach und selbstverständlich, dass man es nicht
erklären und aussprechen kann. – Jesus und ich sind nun wie Seele und Leib zu
einem Wesen verbunden – für immer. Wenn Jesus früher immer ganz besonders den
Glauben an die Gnade verlangte, so ist dieser Glaube jetzt erlebte Wirklichkeit
…
449 |
O Jesus,
vollbringe in mir deine Absichten, die du mit meiner Hinopferung hast! Nimm
mich mir für die Absichten deiner Liebe für deine Kirche!
450 |
Dieser
Zustand der Einheit ist nun dauernd. Früher hat mich der liebe Heiland diese
Einheit zeitweise vorauserleben lassen; jetzt bin ich mit ihm „ein Leben“. Er
hatte mir ja voraus erklärt, es würde wie eine zweite Art der geistigen
Vermählung sein, ein dauerndes „Sein in ihm“. Es ist aber nicht fühlbar,
sondern alles Geist, voll unbeschreiblicher Einfachheit, wofür man keine
Erklärung geben kann.
451 |
Dieser Tage
war ich trotz der ständig geistig erlebten Einheit mit Jesus wieder in einem
inneren Leidenszustand. Das göttliche Sein in mir bewirkt immer wieder neue
Arten von Vernichtungs- und Verdemütigungsleiden. Er hat geradezu mit Eile
jeden Tag zu tun, um mich vollständig vorzubereiten, mich fähig zu machen für
das „Erleben seiner inneren Erlöserart“, wie er mir erklärt. Er wollte das
innere Erlösungsgeheimnis seinen Priestern und seiner Kirche offenbaren und
bilde sich in mir ein neues leidensfähiges Wesen zu seinem „zweiten Leben“ für
diesen Zweck.
452 |
In einer
Landkirche war mir das „Sein Jesu“ fühlbar und bewusst. (Diese Einheit löst
sich irgendwie, wie in zwei Teile, man wird sich gegenseitig fühlbar bewusst).
In diesem Zustand erlebte ich ein weiteres gnadenvolles Tun des Heilands in
mir; er wolle in mir „sein Verhältnis zum Vater bilden“, das er einst als
Mensch hatte, er, die menschgewordene Liebe Gottes, durch die sich der Vater
offenbart. Es ist ein Abstand zwischen Jesus und dem Vater: Jesus ist der, der
etwas zu vollbringen hat, wozu ihn der Vater gesandt hat; sein Verhältnis ist
Unterordnung und doch wieder Einheit …
453 |
Jesus
erklärte mir: Wir beten zusammen, als Eines zum Vater: Vater unser … Jesus
will, ich solle an meine Stellung glauben, an seine Stellung zum Vater. Wir
sind eins für die Absichten des Vaters. – Begrüßen zusammen als eins die Mutter
Maria; sie ist unsere Mutter. Der Heiland lehrt mich ein neues Gebetsleben, das
früher nicht war … Wir leben EIN LEBEN, ein neues Jesusleben, ein neues
Erlöserleben. Eine geistige Kindlichkeit, ein Glaube an Jesu Absichten ist in
mir; alles ist ohne Bemühen, getragen von unbeschreiblicher Geistigkeit …
454 |
Die Einheit
mit dem Heiland in einem Sein und Leben ist dauernd, ohne Bemühen, ständig
gnadenvoll gelebt. Das Verhältnis zum Vater ist das seine: Wir beten zusammen
zum Vater, wir Opfern uns zu einem Opfer bei der heiligen Messe. – Eigentlich
ist es ja nur Eines, aber ich kann mich nicht anders ausdrücken als mit „uns,
wir“.
455 |
Immer mehr
und weiter wie Jesus sein „Leben“ ganz „lebensfähig“ (auf sich gestellt,
selbstständig) machen. Ich bin dieser Tage, trotz der ständig erlebten
Lebenseinheit im Leiden, in einer noch höheren Entäußerung und Vernichtung. –
Um einen Vergleich zu gebrauchen: Es ist so ähnlich, wie wenn man ein neues Haus
baut; das Haus ist fertig gebaut, aber es sind noch Stützen und Pfeiler da,
innen und außen, die man während der Arbeit gebraucht hat: Diese müssen
entfernt werden. So habe ich vielleicht in meiner Seele noch
Anlehnungsbedürfnis an den Heiland, und das muss entfernt werden; denn er will
und macht, dass wir gleichsam nicht mehr zwei, sondern nur noch „ein“ seien.
456 |
Nachmittags,
vor dem Allerheiligsten, erlebte ich den Heiland als Opfer für die Sünden vor
dem Vater: Es entstand zwischen Jesus und dem ewigen Vater ein großer Abstand,
den seine Gerechtigkeit aufgerichtet hat. – Ich war wie an Jesu Stelle,
gleichsam ein Wesen mit ihm, und es war mir meine geistige Aufgabe wie
enthüllt, nämlich nochmals dieses Opfer zu werden. – Da wurde mir bang aus
Furcht vor dem Bevorstehenden. Jesus aber war mit mir in meiner Angst und sagte
mir: „Wir tragen es zusammen, wir leben zusammen ein Leben.“ – Sein kraftvolles
Sein ist meine volle Ruhe und Ergebung. Das Wissen um meine Aufgabe gibt meiner
Seele jetzt nichts Erdrückendes, nein vielmehr etwas bereitvolles in ihm, seine
Ergebung vor dem ewigen Vater.
457 |
Bei der
heiligen Messe lebe ich Jesus in EINEM Opfer, in ihm die Gleichheit unseres
Lebens, Jesu Erniedrigung vor dem Vater als Opfer für die Sünden und sein inneres
Opfer in mir wiederholend. (Ich sehe da wiederum meine Aufgabe.)
458 |
Nach der
heiligen Kommunion sind wir zu EINEM Leben, ein neues sich offenbarendes
Erlöserleben. – Ich habe kein Wort, um dieses „EIN Leben“ zu beschreiben. Wir
leben „EIN Leben“ nochmals. – Seine Liebe und Herablassung steht vor mir und
teilt sich mit in neuer gegenseitiger Hingabe. Er verlangt von mir ein volles,
freies, gern gegebenes Ja zu diesem seinen Leben als Opfer; es soll nicht
gleichsam in einer Ekstase ohne freien Willen geschehen, sondern ein voller,
freier Mensch soll seine Zustimmung geben und mitwollen. – In neuem Licht
erscheint mir die Güte und Liebe Jesu. Mit Maria betete ich wiederholt ein
inniges Magnificat, das ja seit vielen Jahren der erste Gruß an den Heiland
nach der heiligen Kommunion ist.
459 |
Jesus hat, so
scheint es, noch viel Arbeit in mir. Den ganzen Tag war er tätig in mir; ich
bin teilweise im Leiden und möchte zur Erklärung den Vergleich mit der Arbeit
eines Schmiedes heranziehen: Dieser hält das Eisen ins Feuer und hämmert dann
daran herum, um ihm eine bestimmte Form zu geben, und das wiederholt er so
lange, bis sein Plan gelungen ist. – Ich bin in Finsternis bezüglich seines
Lebens in mir, aber fühlbar arbeitet Jesus in mir, dort und da etwas wegnehmend
und ersetzend. –
460 |
Das
merkwürdige bei meiner jahrelangen Gnadenführung war und ist, dass ich in
solchen inneren Prüfungsleiden keinen Schritt voraussehe, bis der Heiland nicht
selbst wieder das Ziel sehen lässt. Für gewöhnlich gehe ich gleichsam planlos
und ziellos mit ihm. –
461 |
Heute bin ich
– als sein Leben – schon freier und selbstständiger geworden. Schon bei der
heiligen Messe bin ich an „seiner“ Stelle, ihn vor dem Vater nochmals
vertretend, stellvertretend, ihn wiederholend. Sein sakramentales Leben bestätigt
dieses erneute Sein. Es ist eine unsagbare Ruhe und geistige Kindlichkeit dabei
in mir. –
462 |
Jesus
entfernt allmählich seine früheren geistigen Stützen und lässt mich geistig an
seiner Stelle seine eigenen Schritte gehen. Der Heiland „gebraucht“ mich als
sein Leben. – So klar und stark auch die innerlich erlebte Gnade ist, es gibt
doch kein Wort um sie zu erklären. Sein göttliches Sein durchlebt mich und wird
zur lebendigen Kraft, – die er ist oder die ich bin? Ich bin wie „sein sich
wiederholendes Sein“, doch ruhig, bereit und voll Sicherheit als „er“ – es IST
das Leben an seiner Stelle, dass er mir schon seit so vielen Jahren in
geheimnisvollen Gnadenstunden, ganz an ihn gebunden, vorauserleben ließ: Voll
erfasst von ihm, an seiner Stelle für seine Absichten, sein zweites
leidensfähiges Leben. –
463 |
Der Heiland
macht bis ins Kleinste alles wahr; was er mich oft, so oft schauen und voraus
erleben ließ, ist nun zur ständigen Wirklichkeit geworden. –
464 |
Die ganze
Woche hindurch war ich in seelischen Leiden wie begraben; d. h., diese wickeln
sich im unteren Teil meines Seins ab. Ich leide, bin aber zugleich wie nicht
leidend, bin darum wie nicht beteiligt. Mein oberes Sein ist Ruhe, volles
einheitliches Leben Jesu, wenn auch im Zustand der sich weiter entwickelnden
Prüfungsleiden. Die Einheit mit dem Leben Jesu ist immer da, ein dauernder
Zustand, immer wirksam. Ich bin „sein Leben“, das er für seine Absichten
ausgestaltet und „gebrauchsfähig“ macht. – Nach der heiligen Kommunion bin ich
„im Vorausleben“ gebrauchsfähig als Jesu sich wiederholendes Leben.
465 |
Jesus ist
ganz Mensch mit allen menschlichen Fähigkeiten, von denen jede Einzelne bis ins
Höchste entwickelt und ausgeprägt ist. Er ist Mensch mit vollem freien Willen
und ist selbstständig in all seinen Handlungen. Sein Wille ist vollkommen frei,
doch vermöge [sic!] seiner Erlöseraufgabe dem Willen des Vaters untergeordnet:
ein fertiger Mensch, in dem alle möglichen Akte des Wollens in Selbsttätigkeit
gesetzt werden können.
466 |
Mit all
diesen Fähigkeiten erlebe ich Jesus als sein sich wiederholendes Leben vor dem
Vater und dem Heiligen Geiste. Der liebe Heiland will, ich solle immer im
tiefsten Glauben meine Aufgabe leben. In der Kapelle sagte er mir: „Mein Leben,
du sollst immer im Zustand deiner Aufgabe sein“. Immer bewusst, soweit es
möglich, im bleibenden Akte des Glaubens sein, um sein Leben in mir lebend zu
verwerten. –
467 |
Nach zwei
Wochen schweren Leidens, eine Art Prüfungszeit, wie ein gleichsames „Todleiden“
in höherer Art selbstständiger Willens- und Seelentätigkeit, kommt heute wieder
Licht und Entspannung in die Seele, das mir meine Aufgabe neu zeigt. –
468 |
Jede eigene
Seelentätigkeit soll gleichsam in mir ausgelöscht werden, schon von der ersten
Willensregung an, jede unwillkürliche Aktmöglichkeit in ihrer ersten Regung und
Wurzel an umgebildet und für Jesu in mir nachgebildete Seelentätigkeit fähig
gemacht werden. Und um gleichsam immer im tiefsten Sein, im geistigen Tun ganz
für Jesu Absichten mich abschließen zu lassen, auf jede von außen einströmende
Hilfe verzichten zu können, kam ich in diese Art rein geistiger
Läuterungsleiden in einen unerklärlichen Leidenszustand: Abgeschlossen als
Geist in unaussprechlicher Verlassenheit, abgesondert von jedem geistigen Trost
und jeder nur im kleinsten Ausmaß möglichen geistigen Betätigung, ganz Geist,
um immer mit rein geistigem Umgang innerlich zufrieden sein zu können, im
geistigen meine ganze Lebensbetätigung zu finden und diese als geistig erworbenen
Güter Gott wieder zurückzugeben. Der Heiland will in mir seine innere
Erlösertätigkeit nachbilden, um sie nochmals in mir, mich als Werkzeug
gebrauchend, erleidend, sie wiederholend, seiner Kirche zu offenbaren.
469 |
Aber immer
blieb in diesem schweren Geistesleiden das tiefste Sein Jesu in mir zu einem
Wesen wie ein neues Leben verbunden, und dieses Sein Jesu wirkte wie ein Feuer,
das nicht belebt, wie im gewöhnlichen ruhigen Seelenzustande, sondern totmacht.
470 |
Jetzt bin ich
im Zustand, dass ich meine geistige Lage gleichsam überschauen kann und
erkennen in seinem Sein. Im tiefen, doch wieder wie im selbstverständlichen
Schauen, in einem Lichte, das in mir das Licht und mein ständiges Licht und
mein Wesen ist, aber nicht immer gleich wirksam ist, erkenne ich Gottes
Absichten in seiner Schöpfertätigkeit im Menschen, die Seele in ihrer
Urbestimmung, die Sünde im Entstehen, den seelischen und leiblichen Verfall des
Menschen, die Erlösungsnotwendigkeit, den Erlöser usw. –
471 |
Nach diesem
inneren Erkennen hatte die aus der Schöpferhand hervorgegangene Menschenseele
nach Gottes ewigem Ratschluss und Urgesetz zwei Möglichkeiten:
1. Die vorhandenen Keime zum Guten
zur vollen Entfaltung und zur Tätigkeit zu bringen, alle Anlagen zur
Entwicklung zu benützen; die keimhaft veranlagten Tugenden zum vollen Ebenbild
Gottes auszugestalten; oder
2. durch den freien Willen jene
Möglichkeiten in den, der Tugend entgegengesetzten, Akten zu verwirklichen, die
wir die Sünde nennen.
472 |
Alle von Gott
geschaffenen, entwicklungsfähigen guten Anlagen sind im Augenblick der freien
Willensentscheidung der ersten Menschen in „mögliche“ gottwiderstrebende und
gottwidrige Akte verwandelt worden, seelisch und dem Leibe nach: Der Mensch
verfiel in sich dem Gesetz der Sünde. – Zufolge der Willensentscheidung des
Menschen verwandelten sich die Anlagen in Gott widerstrebende Möglichkeiten.
473 |
Zum
Unterschied vom Menschen vollbringt Gott mit göttlich freiem Willen immer nur
gute, göttliche Akte. Der Mensch aber muss sich unter Gott erniedrigen und
unterordnen. Die erste Sünde war nun im Augenblick des Geschehens ein Abkehren
von Gott, ein Gott-gleich-sein-wollen, eine Überhebung der Gott untergeordneten
Menschennatur, ein Nicht-achten auf das ewige Gesetz: Es gibt nur einen Gott –
woraus sich eine absolute Abhängigkeit aller Geschöpfe ergibt. Gott hatte den
Menschen aus Liebe geschaffen, um ihn teilnehmen zu lassen an ihm, nicht aber,
dass der Mensch Gott gleich sein wolle. Die Seele überhob sich wider den
Schöpfer, wollte ihm gleich sein, ohne sich an den göttlichen Plan der
Entwicklung zu halten, wonach die Seele, Gottes Ebenbild voll entwickelnd, als
neuer göttlicher Ertrag zu Gott zurückkehren sollte, um von ihm in ewiger
Seligkeit wieder aufgenommen zu werden. Der Plan Gottes, sich in seinem
Geschöpfe gleichsam wiederzufinden, wurde durch die Sünde zerstört, das
Ebenbild Gottes zerrissen. – Und da Gott in der ersten Menschenseele, bzw. den
ersten Menschen nach seinem ewigen göttlichen Ratschluss die Richtung geben
wollte und so gewissermaßen der ganzen Schöpfung, dem gesamten
Menschengeschlecht, verfiel der Mensch nach Adam [und] die ganze
Nachkommenschaft, selbst verschuldet, einer noch höheren göttlichen
Unterordnung und zugleich Strafwürdigkeit. –
474 |
Wie nun Gott
der Menschenseele bei ihrer Erschaffung die Entscheidung über zwei
Möglichkeiten gegeben hatte, so war damit auch die Belohnung oder Bestrafung
für Gut und Bös gegeben. Selbst wenn man sich Gottes Gerechtigkeit wegdenkt,
liegt im Wesen des Guten schon eine bestimmte Frucht, eine Belohnung, eine
Befriedigung, die in der gottgewollten Betätigung der vorhandenen Anlagen und
Keime verborgen ist. Jeder gutgetane Akt ist für sich schon der Seele eine
natürliche Belohnung, die nach Gottes Gesetz und Willen die Betätigung der
gottgewollten Anlagen mit sich bringt, es folgt daraus eine Freude, ein Glück,
vom Schöpfer hineingelegt.
475 |
Anderseits
trägt – auch abgesehen von der Gerechtigkeit Gottes – jede Sünde Gottes
gesetzwidrige Handlung in sich eine Strafe, einen der Naturanlage folgenden
Schmerz, der Befriedigung entgegengesetztes Gefühl, weil ja die Seele die hohe
Bestimmung hat, Gottes Ebenbild in sich möglichst auszugestalten, durch die
Sünde aber dieser naturgegebenen Bestimmung entgegengehandelt wird. Der Mensch
verfiel damit der Seele und dem Leib nach dem Gesetz des Leidens. Dazu kommt
die naturgemäße Strafe durch die Gerechtigkeit Gottes, weil die Seele absolut
abhängig ist von Gott.
476 |
Durch die
Empörung der ersten Sünde wurde der ganze Mensch, Seele und Leib, dem Ausbruch
aller in ihm schlummernden, durch die freie Willensentscheidung verkehrten
Anlagen überantwortet, bis der Erlöser kam und gleichsam eine Heilung, eine
Neuordnung aller Aktmöglichkeiten vornahm. – Der Leib hatte eingewilligt in das
Begehren der Seele: Seine Trennung von Gott wurde zur Strafe – eine zeitliche;
er verfiel dem Gesetz des Todes, bis Gott am jüngsten Tag das menschliche Leben
wieder erhebt durch die Verdienste der Leiden und des Todes des Erlöserleibes.
477 |
In einem
Ausfluss des Erbarmens des Vaters und der Liebe des Heiligen Geistes schuf Gott
gleichsam eine zweite, neue Menschenseele und übergab sie seinem Sohn. – In der
gottmenschlichen Seele wurde dem Vater ein neuer göttlicher Ertrag geboten
infolge der Bereitschaft des göttlichen Wortes, das wie ein Mensch werden
wollte. Was in der ersten Seele verdorben wurde, sollte in der „zweiten“ als
voller Erfolg und Ersatz der Gerechtigkeit Gottes geboten werden.
478 |
Weil die
Sünde zuerst in der Seele geschah, das Ebenbild Gottes zerstörend, war darum
die „SEELE JESU“ der Hauptfaktor in der Erlösung.
479 |
Die zweite
göttliche Person wurde nach Gottes liebendem Ratschluss in die Welt gesandt, um
die gefallene Menschheit wieder mit der beleidigten Gottheit zu versöhnen und
zu verbinden. Dazu bedurfte es des Zusammenwirkens der Gottheit und der
Menschheit. In einem Ausfluss göttlicher Liebe bot sich das ewige Wort
freiwillig an, die menschliche Natur anzunehmen, die einst aus der Schöpferhand
des Vaters hervorgegangen war und darum einbezogen in Gottes unendliche Liebe
und Herablassung.
480 |
Wie jedes
Geschöpf in sich die Spuren der Weisheit und Allmacht Gottes trägt, so war der
Mensch, als Krone der Schöpfung nach Gottes Ebenbild erschaffen, vor allen
Geschöpfen von Anfang an bestimmt, Gottes übertragbares Wesen und sein in sich
zu gestalten. Die Absicht Gottes war, sein inneres Wesen dem Menschen gleichsam
mitzuteilen und ihn teilnehmen zu lassen an der Glückseligkeit seines innersten
Wesens.
481 |
Dazu erhielt
die Menschenseele die höchstmöglichen Anlagen. Ein Hauch vom unendlichen Wesen
Gottes war sie von Anfang an bestimmt und veranlagt für göttliches Erleben. Als
Ebenbild Gottes mit freiem Willen begabt war sie bestimmt, ein neues,
übernatürliches Ebenbild Gottes in sich zu schaffen und zu erwerben. Sie war im
Anfang der Erschaffung veranlagt und fähig, Gott in sich aufzunehmen, sich zu
höchstmöglichem, gleichsam neuem „göttlichen Tun“ zu entwickeln, und dies alles
der göttlichen Majestät als Produkt und neuen Ertrag der göttlichen
Schöpferliebe zurückzugeben. So sollte in jeder Seele sich wiederfinden und
neue Selbstverherrlichung in Empfang nehmen. [sic!] – Nicht, dass der Mensch
Gott werde, sondern: Wie jedes Geschöpf den Stempel göttlicher Herkunft und den
Keim zu weiterer Ausgestaltung und Vollendung in sich trägt, so sollte der
Mensch den in seine Seele gelegten Keim göttlichen Ursprungs in vollendeter Art
entfalten und entwickeln und Gott den Ertrag seines göttlichen Schöpfergeistes
wie ein „göttliches Werk“ als neuen Akt der Selbstverherrlichung bieten. Die
Menschenseele sollte den von Gott geschaffenen göttlichen Wesenskeim, das
übernatürliche Ebenbild Gottes, MITWIRKEND zur Vollendung bringen.
482 |
Die Gottheit
der zweiten göttlichen Person hat sich allen Glanzes und aller Herrlichkeit
entkleidet und sich in der Seele Jesu verborgen. Immer wohnend und wirksam in
der menschlichen Natur, lebte Sie zugleich verbindend wie ein göttlicher Strahl
im Vater und im Heiligen Geist, wieder zurückkehrend in das menschliche Sein.
483 |
Die Seele
Jesu war, gemäß ihrer Bestimmung, befähigt, ein unermessliches Wesen, die
Gottheit des ewigen Wortes, voll in sich zu tragen; sie hatte dementsprechende
Anlagen. Die Gottheit war im höchsten geistigen Teil der menschlichen Seele
Jesu wie in einem geistigen Lichte anwesend, wie auf der höchsten Spitze des
Geistes seiner Seele.
484 |
Das göttliche
Wort hat als Erlöser zeit seines Lebens als höchste Verdemütigung freiwillig
verzichtet auf göttliche Macht und Herrscherrechte, um in allem als Mensch
befunden zu werden. Der Erlöser hat zeitlebens die Wirkung seiner Gottheit wie
in scheinbarer, und doch wieder wirklicher Abhängigkeit seinem Vater
anheimgestellt, für sich als höchste Verdemütigung, die vor seinem himmlischen
Vater der erste und größte Akt und Grad der sühnenden Genugtuung wurde.
485 |
Diese
gänzlich göttliche Willensentäußerung dem Vater gegenüber vollbrachte Jesus,
das göttliche Wort, als ersten Akt vor seiner Menschwerdung: in allem wollte er
dem Willen des Vaters unterworfen sein wie ein Mensch. Und der Vater nahm diese
gänzliche Entäußerung an, wohlgefällig, liebend, als höchsten
erlösungskräftigen Akt, in dem sich die zweite göttliche Person erniedrigte. Da
Jesus zugleich bereit war, alle Schäden der Menschenseele innerlich zu tragen
und zu heilen, war der Vater auch bereit, mit dem Sohn alle Menschen wieder an
Kindesstatt anzunehmen.
486 |
Der Heiland
hat somit als Erlöser seine göttliche und menschliche Freiheit seinem Vater,
und damit zugleich der göttlichen Gerechtigkeit übergeben und zeitlebens in
einem ständigen Genugtuungsakt sich dieser unterworfen.
487 |
Mit seinem
göttlichen Wissen sah Jesus alle Sünden und Schäden der Menschenseele in all
den tiefsten Auswirkungen voraus, die er bereit war, in sich zu erfahren,
obwohl ganz rein und sündenlos; dies war mit eingeschlossen in seiner ganzen,
unermesslichen Erlösertätigkeit. – Durch göttliche Unterwerfung, ständig
innewohnend seinem menschlichen sein wollte der Heiland die Empörung der ersten
Menschenseele gutmachen, verzichtend auf die Ausübung göttlicher
Herrscherrechte.
488 |
Dieser seiner
Erlöseraufgabe in ihrer ganzen Auswirkung war Jesus vom ersten Anfang seiner
Bereitschaft und seiner Menschwerdung an sich ständig bewusst in seiner
Gottheit und in seiner gottmenschlichen Seele, die eine wundervolle Harmonie
bildeten. Doch hat dieses höchste, göttliche, geistige Wissen menschlich sich
ausgewirkt als sich entwickelnd: Sich steigernd wie mit der erwachenden
Vernunft des Kindes, wachsend und an Ausdehnung und Tiefe zunehmend; im
Mannesalter sich auswirkend wie in einem Zustand des Ringens bis zum Letzten,
bis zum Tode, da im allerschwersten Ringen eine unermessliche Aufgabe gelöst
WERDEN MUSSTE. Dazu kamen dann als letzter Abschluss und Verdemütigung die
äußeren Leiden. –
489 |
Jesus hatte
als zweite göttliche Person ein eigenes göttliches Bewusstsein. Wohl ist in der
EINEN Gottheit nur ein göttliches Bewusstsein; aber jede göttliche Person hat
dieses Bewusstsein wie ein eigenes, ihr zugehöriges. – Das göttliche
Bewusstsein des menschgewordenen Wortes war in göttlicher Einheit mit dem Vater
und dem Heiligen Geiste einverstanden und doch wieder in jedem Entschluss
selbstständig und den anderen göttlichen Personen in voller Einheit sich
mitteilend; es war der zweiten göttlichen Person eigen und doch wieder in
geheimnisvoller Einheit untrennbar mit den anderen göttlichen Personen
verbunden und von Ihnen in vollem Einverstandensein und in voller Einheit dem
menschgewordenen Wort zurückgegeben. Dieses göttliche Bewusstsein machte Jesu
Erlöseraufgabe voll wirksam, ließ den Erlöser seine Aufgabe absolut anerkennen,
wirkte auf seine heiligste Erlösermenschheit, die bemüht war, sich voll,
liebend einzusetzen, um dem beleidigten dreieinigen Gott die entsprechende
Genugtuung zu leisten. – Dieses göttliche Bewusstsein bewirkte auch, dass jene
Genugtuung zugleich als „göttliche“ geleistet wurde.
490 |
Welch
unaussprechliche Wege völliger geistiger Vernichtung der Heiland mich führt,
das bin ich in den letzten Tagen wieder innegeworden. – All diese inneren
Leiden sind tief geistiger Art. Man hat kein Wort dafür. Im Hintergrund dieser
Leiden steht aber doch manchmal das erlebte Ziel … Jesu Erleben in seiner
seelischen Tätigkeit, wozu er mich durch diese Leiden umbildet. –
491 |
In völliger
Vernichtung jeder eigenen Regung in mir stehe ich nach der heiligen Kommunion
an Jesu Stelle. Ich bin gleichsam „er“ geworden; ich = er, seine liebevollen
Absichten in mir verwirklichend. – Dieses Erleben ist in Worten nicht
auszudrücken, es ist zu einfach und klar: Ich bin an Jesu Stelle, bin „er“,
weil er sich offenbaren will in einem erneuten sein in mir. Es ist alles Ruhe,
sein voll Ruhe, gesättigt, erfüllt, wunschlos. – Man kann, auch ohne zu
sterben, Jesus in voller Einheit und Wirklichkeit erleben …
492 |
Dieses „ich
an Jesu Stelle“ ist mir gegeben, damit er mich unumschränkt gebrauchen kann als
ein Wesen, das im dient als sein „ich“. Es wird sich nach dem Maße seiner
Absichten noch erweitern und vertiefen. –
493 |
Bei aller
Ruhe trage ich eine große Last in mir: die Fülle seines „Seins“ mit so viel
Vertiefung- und Ausbreitungsmöglichkeit, zum Überströmen. –
494 |
Mittags kam
eine fühlbare innere Bewegung in dieses ruhevolle Ich-an-Jesu-Stelle-sein. Mein
innerstes Leben fragte mich: Willst du mir als mein „ich“ dienen und alles
annehmen, was „ich“ bin? Ich erkannte, wie ich ganz auf ihn gestellt sei. Ich
gab mein „ganzes Sein“ zu einem erneuerten Ich für ihn … Und er sagte mir: „du
wirst immer die vielgeliebte Tochter des Vaters und die auserwählte Braut des
Heiligen Geistes sein.“ – Und es war in mir: Vater und Heiliger Geist vermählten
sich mit mir (in einer geheimnisvollen geistigen Berührung) wodurch der Sohn
gebildet würde, geistig sich wiederholend in mir. – Dies wurde vom Vater und
vom Heiligen Geist bestätigt und bejaht. – Alles ist ein dreifaches geistiges
Zusammenwirken der heiligsten Dreifaltigkeit, ein dreifaches Bejahen, und
meinerseits ein volles Bereitstellen. Aber alles unsagbar einfach. –
495 |
Ich war ganz
beschämt im tiefsten Wissen meines Nichts und des ganz Geschenkten. –
496 |
So tiefst im
Geheimnis Gottes verborgen und aufgenommen, ward Maria noch in besonderer Weise
Mutter im Sohne, ihr Muttersein wiederholend. –
497 |
Alles ist
Einfachheit und Geistigkeit. Als „er“ habe ich alles in mir. Als „er“ bete ich
zum Vater, zum Heiligen Geist. Ich lebe aus der Fülle des inneren Seins, das
ich bin.
498 |
Es ist alles
in Worten nicht auszudrücken, und dies ist nur eine kleine Andeutung von dem
inneren Erkennen meiner Aufgabe. „In diesen Leiden wirst du das Blühen des
Werkes (für die Priester) sehen“, – wurde mir versprochen.40
499 |
In den
vergangenen Tagen war ich in ein unaussprechliches geistiges Leiden versenkt. –
500 |
Heute, obwohl
sehr im Leiden, hat mir der Heiland kostbares Licht gegeben über seinen Erlöserleiden.
– Mein jetziges Leiden sei ganz Vorbereitungsleiden.
501 |
So, wie ich
ständig mit meinem „Nichts“, mit meiner Ohnmacht zu kämpfen hätte, so musste
der Heiland ständig „die Sünden sehen“, alle, jede Einzelne, in allen
schrecklichen Auswirkungen für die Seelen und er sah sich wie ohnmächtig denen
gegenüber und litt darunter, als wären es die „Seinigen“. Seine Gottheit war
gleichsam ein abgeblendetes Licht.
502 |
Zum Vergleich
wurde mir gezeigt, wie ein feinfühliger, reinlicher, gebildeter Mensch sich
fühlen müsste, wenn er ständig in einem ganz beschmutzten, mit Ungeziefer
behafteten Kleid sein müsste. Oder: Ein ganz reiner Mensch, die reinste Seele,
mit allen nur möglichen Sünden bedeckt. So stand Jesus vor dem Vater und vor
sich selbst.
503 |
Die ganze
reine Seele Jesu musste die „sündige Seele“ zeit seines Lebens wie „in sich
beherbergen“, war durch seine unaussprechliche Erlöserliebe wie
„verantwortlich“ gemacht, musste auch die Bosheit der menschlichen
Leidenschaften ertragen. Oder Jesus hatte die sündige Menschenseele gleichsam
in sein Herz aufgenommen, und durch stellvertretendes Gutmachen mit den
Vollkommenheiten seines göttlichen Herzens der göttlichen Gerechtigkeit
Entschädigung geboten. –
504 |
Er will auch
in diesem tiefsten Geheimnis seines Herzens anerkannt und verehrt werden, in
seiner innersten Erlösertätigkeit.
505 |
Jesus hat
dies freiwillig, nach dem Willen des Vaters, auf sich genommen. – Das war zum
Teil die Seelentätigkeit Jesu, diese Sühnebetätigung vor der beleidigten
Gottheit.
506 |
Meine
ähnliche Aufgabe sei darum: zu größtmöglicher Reinheit zu gelangen und dann die
„sündige Seele“ aufzunehmen. In diesem Akt, in dem Gegensatzleiden zwischen
Reinheit und Sünde liegt die eigentliche Sühnekraft, weil dadurch die Sünde
nochmals verabscheut, getilgt, gutgemacht und die Seele, die Wunden der Seele,
durch die Erbsünde von all den dem Guten entgegengesetzten Aktmöglichkeiten
ausgebessert und geheilt werden. –
507 |
Es war mir
entsetzlich bange vor dem Kommenden, aber der Heiland war trotzdem immer der
Heiland und hat dadurch nichts von sich verloren. Er wurde nicht befleckt,
sondern hat die „Seele“ der Menschheit geheilt von ihren Sünden, Schäden und
Wunden.
508 |
Ich würde
mich so verlieren, dass nur die „sündige Seele“ bleibe, wie es beim Heiland in
seinem höchst gesteigerten Leiden war, aber immer bleibe die göttliche Kraft,
das Sein in ihm. – Auch das Versprechen der geistlichen Hilfe und des
Verständnisses dafür wie in einem Herzen wurde mir gegeben. –
509 |
Es ist alles
in Worten nicht auszudrücken, und dies ist nur eine kleine Andeutung von dem
inneren Erkennen meiner Aufgabe.
510 |
„In diesem
Leiden wirst du das Blühen des Werkes (für die Priester) sehen,“ – wurde mir
versprochen.
511 |
Arm bin ich
und nichts und leer, aber ruhig und klar und auch bereit …
512 |
Keine eigene,
innere Betätigung, ganz darauf verzichten! – Mit ihm, mit seinem Leben genug
haben! – In Maria sein, ihn leben, in ihm zum Vater, zum Heiligen Geist beten!
– Alles von ihm erwarten und mit ihm und den seinen zufrieden sein! –
Bereitschaft zur entscheidenden Hingabe dieser Art – für immer! – In diesem
Beten „in ihm“ wirst du alles erlangen. –
513 |
Jesus nahm
als Erlöser die Sündenschuld der Welt auf sich. Wohl konnte er nicht das
Unrecht der Sünde als solches, als sein eigenes betrachten, aber er nahm auf
sich das Gefühl der Schuld und des Beschuldigtseins, das auf die in der Sünde
liegende Befriedigung folgt. Seine Aufgabe war es ja, die Schuld der Menschen
gutzumachen, indem er sie auf sich nahm, indem er innerlich als der die Schuld
tragende galt vor seinem himmlischen Vater, indem er durch seine liebende
Barmherzigkeit zum Beschuldigten und sich „schuldig fühlenden“ wurde. – Die
Größe dieses seines inneren Leidens erklärt sich aus seinem gottmenschlichen
Wissen:
1. Um die Größe Gottes, der durch die
Sünde beleidigt wird.
2. Um das schuldbare Verlieren
Gottes;
3. Um die Auswirkung jeder Sünde für
Zeit und Ewigkeit.
514 |
Die Schuld
der Sünde hat der Erlöser durch entgegengesetztes inneres Leiden bzw. durch
entsprechende innere Akte gesühnt. So z. B. bezüglich der Sünde des Zorns
erfuhr und ertrug er – als Beschuldigter, der er vor seinem himmlischen Vater
wurde – die Auswirkungen dieser Sünde in seinem Herzen: die dadurch bewirkte
Entehrung Gottes, die Wirkung in der Seele des Menschen, die Wirkungen dem
Nächsten gegenüber, die Wirkungen für die Ewigkeit. Er hatte ja die Schuld
stellvertretend auf sich genommen, soweit es möglich war, d. h., die Folgen und
Wirkungen der Sünde, da er selbst von der Sünde nicht berührt werden konnte.
Und an den Wirkungen der Sünde, die er als Erlöser freiwillig auf sich genommen
hatte, fühlte er sich schuldig.
515 |
Diesen
verschiedenen Wirkungen, beispielsweise der Sünde des Zornes gegenüber, entfaltete
sich seine gottmenschliche Sanftmut als entsprechende Sühne vor Gott. Und so
hat Jesus als Erlöser alle Sündenschuld durch entgegengesetztes inneres Leiden
bzw. durch seine gottmenschlichen guten Akte gesühnt. Dadurch wurde sein Herz
zu einem ständigen Schlachtopfer; dies wirkte sich auch an seinem Leibe zu
einem „Ganzopfer“ aus in seinem Tode. – Durch die Akte des menschlichen
Bemühens Jesu wurde zugleich für die Sünder die „Kraft“ erworben, sich von der
Sünde befreien zu können.
516 |
Bei der
heiligen Taufe wird die Seele dieser Kraft und der Verdienste teilhaftig, die
Jesus durch seine innere Erlösertätigkeit erworben hat.
517 |
Der liebe
Heiland will: Ich solle an nachstehend erwähnte Gnaden glauben und mich
dementsprechend opfern:
1. Dass seine Gnade durch die
jahrelangen Vorbereitungsleiden mich dahin in den Zustand der ersten Menschen
bei der Erschaffung gebracht hat, dass er mir alle seine Erlösungsgnaden
vollkommen zugewendet und diese auch von mir entsprechend angenommen und
verwertet wurden. Und dass mein Wille mit seinem reinsten Willen im Stande ist
zu harmonieren, soweit es der menschlichen Schwäche zukommt.
2. Dass alle meine inneren Leiden
nicht meiner sündhaften Natur entspringen, sondern übernatürliche, durch seine
Gnade verursachte Leiden sind, Leiden in der Art seiner inneren
Erlösungsleiden, geistige und stellvertretende Leiden, bzw. das Nacherleben des
Widerstrebens der menschlichen Natur, des Leidens unter den Leiden;
3. Dass ich bereit bin, sein
Innenleben aufzunehmen, dieses zu erfahren, zu erleben und zu erleiden;
4. Alles von seinem wirklichen sein
in mir zu erwarten, alles an Kraft und Wissen, „in ihm von seinem Sein“ in
Empfang nehmen zu wollen, im Glauben an seine Gnade und im Vertrauen auf meine
innere Aufgabe; gleichsam „ihn“ zu leben, von seinem Sein, mit allem zufrieden
sein zu wollen von ihm;
5. Als sein „zweites sich
wiederholendes sein“ mich vom Mütterchen ganz bedienen zu lassen, wie er alles
von der Mutter erwartet und in Empfang nahm. – „ihn Leben“ und damit zum Vater
und zum Heiligen Geiste beten. –
518 |
Diese
Aufopferung soll gleichsam der Abschluss sein von den früheren Reinigungswegen;
ich würde nachher in einen neuen Weg des Lebens in Jesus „an seiner Stelle“
gelangen.
519 |
O Jesus, mein
wahres Leben und meine einzige Liebe, ich glaube dir, dass deine Gnade mich
(durch die jahrelangen Vorbereitungsleiden) in den Zustand der ersten Menschen
bei der Erschaffung gebracht hat, insofern als mein Wille imstande ist, mit
deinem reinsten, allerheiligsten Willen zu harmonieren – soweit dies der
menschlichen Schwäche zukommt. –
520 |
Ich will
daran glauben, dass alle meine Leiden nicht meiner sündhaften Natur
entspringen, sondern dass es übernatürliche, durch deine Gnade verursachte
Leiden, Leiden in deiner Art, geistige und stellvertretende Leiden, bzw. das
Nacherleben des Widerstrebens der menschlichen Natur, des Leidens unter den
Leiden sind. –
521 |
Ich erkläre
mich freiwillig und aus Liebe bereit, dein Innenleben aufzunehmen, es zu
erfahren und zu erleiden;
522 |
Ich
verspreche alles von deinem wirklichen innersten sein in mir zu erwarten, alles
an Kraft und Wissen „in dir“ von deinem sein in mir in Empfang nehmen zu
wollen, im Glauben an deine Gnade und im Vertrauen auf meine innere Aufgabe.
Ich will dich leben, von deinem Sein leben, mit allem „von dir“ zufrieden sein.
523 |
Als dein zweites,
sich wiederholendes sein will ich mich ganz von Mütterchen bedienen lassen, wie
du alles von der Mutter erwartest und in Empfang nahmst, und dir alles von ihr
geben ließest. – Ich will dich leben und so zum Vater und zum Heiligen Geist
beten! –
524 |
Heute habe
ich mich, nach dem Willen Jesus bereit erklärt, seine inneren Leiden bzw. seine
innere Erlösertätigkeit auf mich zu nehmen und diese nochmals zu erleiden,
soweit es in den Absichten Jesu liegt. Durch die vielen seelischen
Vorbereitungsleiden sollte mir die volle Einheit und Harmonie geschaffen
werden, die mich befähigen sollte, sein inneres sein in mir gleichsam
wiederholen zu lassen, bzw. meine Kräfte und Leidensfähigkeiten ihm als die seinen
zur Verfügung zu stellen und dienen lassen zu können. –
525 |
In den
letzten, inneren Läuterungsleiden lag ein ständiges Abkehren, ein vollständiges
Aus-mir-herausgehen, ein Vernichten jeder persönlichen Akte. – Zugleich war
damit ein schmerzliches „Mich-Sehen-Müssen“ in meiner ganzen Ohnmacht und
Unfähigkeit, Sündhaftigkeit und Nichtswürdigkeit verbunden. Es war wie eine
ständige verzerrende Sucht, mich ganz zu verlieren zu wollen und zu müssen – um
ganz den Heiland an meiner Stelle zu leben. – Man hat kein Wort, um die Tiefe
des Erlebens und Erleidens dieser ganz geistigen, zutiefst inneren
Reinigungsleiden zu erklären. Nur durch das Ziel könnte dieser innere
Geistesweg angedeutet und erklärt werden – irgendwie. –
526 |
Heute habe
ich mit ruhigem Herzen – wiewohl im tiefsten und höchsten sein meiner Seele
trotz aller inneren Leiden immer Ruhe herrscht – die Aufopferung gemacht. – Nun
ist alles tot in mir, wie wenn von mir überhaupt nichts vorhanden wäre. – Jesus
muss beginnen, an meiner Stelle, anstelle meines toten Seins sein innerstes
Leben bzw. seine inneren Erlöserleiden zu entfalten. Ich gehöre ihm; alle meine
Kräfte und Leidensfähigkeiten sind ihm mit diesem Akte ganz zur Verfügung
gestellt, so, als wären es die Seinigen. –
527 |
Kurze
Augenblicke nach der heiligen Kommunion sah ich voraus einen Grad meiner Leiden
anstelle des Heilandes: Alle menschenmöglichen Sünden würde ich innerlich
erfahren und erleiden, als Opfer an Stelle Jesu. –
528 |
Der liebe
Heiland zeigte mir dann die dritte Art seines inneren Erlöserleidens. (Die
erste Art der inneren Erlöserleiden, das Umgeben- und Bekleidetsein –
Beladensein wurde mir erklärt am 30. Mai; die zweite Art: das Schuldtragen,
Beschuldigtsein, verantwortlich sein für die Folgen und Wirkungen der Sünde, am
25.6).
529 |
Heute die
dritte Art: Jesu allerhöchste gottmenschliche Reinheit erhob sich vom tiefsten
Wissen um die Sünde in einem beständigen Sühne- und Entschädigungssein zu
höchsten entgegengesetzten Akten vor seinem himmlischen Vater. – So würde auch
ich wie er und an seiner Stelle alle menschenmöglichen Sünden als Opfer für die
Menschen innerlich erfahren, erleiden und so das Opfer Jesu wiederholen. – Alle
Sünden würden wie auf einem neuen Kampfplatz auftreten, aber mein geläutertes
Inneres würde davon nicht befleckt werden, und der Glaube an Jesu Gnade würde
mich aufrecht halten. Die Vorbereitungsleiden haben diese Fähigkeit in mir
geschaffen und entwickelt. Das sei jetzt, an Jesu Stelle, meine Aufgabe.
530 |
Je reiner und
heiliger die der Sünde entgegengesetzten Akte sind, desto mehr wird der
beleidigten Gottheit gleichsam neue Sühne geboten; – im Herzen Jesu aber waren
diese Akte in höchstmöglicher Vollkommenheit vor dem Vater tätig. – Und je mehr
diese Sühne an Stelle Jesu geboten wird, ihn nochmals vertretend, desto höher
ist der Wert der Leiden. –
531 |
Ich erlebe,
innerlich in unbegreiflicher Ruhe, Jesu Sein in mir tätig, mich zutiefst in
sein Inneres einführend. Es ist eine tiefe, kraftvolle Ruhe in mir. Jesus hat
mich mit seinem „sein“ vollends in Besitz genommen und ich habe mein volles „ja“
gegeben zu seiner gnadenvollen Berufung.
532 |
Maria – der
Mutter hab ich mein ganzes Innere mit allen Gnaden ihres göttlichen Sohnes
übergeben. Ihr sei es geweiht und in ihr Mutterherz gelegt. – So wie Jesus als
Kind ganz „ihr Eigentum“ war und sie als Mutter gleichsam Anspruch auf ihn
hatte, so sei dieses „erneuerte Jesuleben“ in mir ihr nochmals übergeben.
533 |
Die erste
Woche nach der endgültigen Aufopferung an den Heiland (um sein Innenleben, bzw.
seine innere Erlösertätigkeit in mich aufzunehmen) war ruhig, ohne besondere
Leiden, wie eine klare, überzeugende Betätigung meines innersten Berufes, um
die volle Bereitschaft in mir zu schaffen, mit entscheidender Hingabe einen
„neuen Abschnitt“ meines Seelenlebens zu beschreiten. –
534 |
Am Montag (8.
Juli), morgens bei der heiligen Messe, wurde ich von einer ruhigen, geistigen
Kraft erfüllt und erfasst; sie führte mich über mich selbst hinaus,
überstrahlte mich von „oben“ her und belebte mich gleichsam neu; alle meine
Geisteskräfte wurden mit „hinauf genommen“; sie wurden mir wie weggenommen oder
über mein gewöhnliches geistiges sein gestellt und mit jener allerhöchsten
Kraft und mit jenem sein vereinigt. – Bei der heiligen Kommunion war eine
wundersame Einheit zwischen diesem göttlichen und meinem armen geistigen sein.
Eine bisher nicht erlebte Ruhe und Menschen- und Weltferne ließ mich das volle,
göttliche, geistige sein JESU erfassen und verkosten. – Es wurde mir aber keine
weitere innere Erklärung vom lieben Heiland gegeben, über den Zweck dieser in höchster
Art erlebten Einheit mit ihm. –
535 |
Im höchsten
Teil meines Seins blieb zwar diese wunderbare Einheit, aber im unteren Teil
meiner Seele wurde ich in den zwei folgenden Tagen in schwere geistige Leiden
hineingezogen. Es galt ja noch „höher“ zukommen; es musste vollends irdischer
oder menschlicher Palast weggeschafft oder zurückgelassen werden, denn an „dem
Ort“, wo ich war, musste vollkommene Freiheit von sich selbst, auch im guten
Sinne, herrschen. – Immer wieder strahlte die „mich von oben herab beherrschende
Kraft“, das göttliche Sein, auf mein armes, leidendes und ringendes sein herab
und wirkte wie ein verzehrendes, durchdringendes Feuer, um alles unter ihren
Strahlen aufzulösen und zu vernichten. Doch in all diesen Leiden war Ruhe, ich
möchte sagen, tödliche Ruhe, die die Seele in jeder eigenen Selbstbestätigung
totmacht oder unfähig für jede persönliche Regung. – (Geistige Regung).
536 |
Bei der
heiligen Messe, und besonders nach der heiligen Kommunion, kehrte das volle
„Erleben des göttlichen Seins des Heilandes“ in mir wieder. – Es war „er“, der
mich lebte und mein armes, schwaches sein aufnahm, damit es fortan ein „sein“
bilde, wo Jesus sein erneuertes sein zur höchstmöglichen Entwicklung bringen
wollte. – Ich war mit Jesus „auf den Berg seines Herzens“ gestiegen, welchen
geistigen Aufstieg er mir schon vor so vielen Jahren angekündigt hatte („ich
will dich führen auf den Berg meines Herzens, dort wirst du mein inneres sein,
mein Innenleben, erleben“).
537 |
O, welche
Freiheit von mir selbst, von der eigenen, geistigen Gebundenheit! – Es war
wahrlich wert, in so vielen Leiden und Beschwerden dieses inneren Aufstieges
beharrlich zu bleiben! Wie weit entfernt von aller Welt, von allen Menschen,
von aller Anhänglichkeit! Ich war „in Jesus oben“ in seinem höchsten sein. –
Unter mir war bodenlose Fülle und Kraft, wie ein Wasser ohne Grund; oben
herrschte unumschränkte Freiheit, immerwährendes Leben und volles Erleben,
vollständiges „Eingetretensein“ in eine göttliche, unermessliche Weite, ohne
Grenze, eine Weite, die immer offen ist in Fülle.
538 |
Und Jesus und
sein Sein war diese über Himmel und Erde erfasste Höhe. Ich erfasste in diesem
göttlichen sein: Hier wolle er mich ein neues Gebet lehren, das Beten zu seinem
Vater, sein Gebet wiederholend; hier werde ich sein inneres Erlöserleben und
Erlöserleiden erfahren; hier könne keine menschliche Täuschung sich einmischen,
weil alles Eigene „unten gelassen sei“. Dieses höchste sein in dieser Art habe
er noch keine Seele erleben lassen. –
539 |
Doch, wie ist
alles so einfach! In meinem armen Geiste hat sich ein neuer Geist gebildet, der
in der höchsten Betätigung nur Einfachheit und Einheit ist, in dessen Grenzen
die immerwährende Ruhe und Fülle ist. – Diese „Ruhe“ ist aber immer tätig; und
weil die Seele in den jahrelangen Übungen sich daran gewöhnt hat, sind die
Wirkungen dieser „tätigen Ruhe“ für die Seele viel klarer als in den früheren
Jahren des Innenlebens, wo der Heiland vielleicht viel lauter zur Seele sprach,
wo seine Stimme noch viel eigene seelische Tätigkeit übertönen musste und wo
seine fühlbare Gegenwart die Seele voll Trost und fühlbarer Freude machte;
jetzt ist das innerste Erleben Jesu ohne Trost, aber zur erlebten Wirklichkeit
geworden, die für die Seele nicht mehr überraschend, sondern wie
selbstverständlich wirkt.
540 |
Dieses
höchste sein in mir ist aber gleichsam noch „leer“; ich bin wie ein Buch ohne
Blätter. Diese Leere wird aber nach und nach tätig werden, wie ein neues Wesen,
das seiner Aufgabe zugeführt wird, dessen Fähigkeiten gleichsam im tiefsten
Grunde der Betätigung harren.
541 |
Dieses
allerhöchste sein wird nun mein dauernder Seelenzustand bleiben. Ich kann
diesen Zustand ertragen, ohne davon im unteren Teil meiner Seele mich bedrückt
oder beschwert zu fühlen; es ist alles Harmonie in mir; der untere Teil folgt
dem höheren. –
542 |
Bei der
heiligen Kommunion war wieder „alles“ Geist in mir, das höchste Sein Jesu. Es
wurde mir gezeigt: Dies ist das innerste Sein Jesu, das ich erlebe, das
beständige Wesen und sein seines Herzens, das er mir schenke für immer wie zu
meinem Sein und geistigen Leben. Jesus schenkte mir sein inneres sein, dass es
nochmals wie zu einer sich wiederholenden Tätigkeit gelange, fruchtbar werde
für die Seelen und für die Kirche, neue Erlösungsfrüchte bringe; in diesem
seinem innersten sein lag sein göttliches Gebetsleben als Erlöser, lagen aber
auch alle Erlöserleiden; dies bereitet „sich wie zu einer Wiederholung“.
543 |
Jesus
verlangt von mir oder gibt mir festen Glauben an meine innere Aufgabe; Glauben,
dass ich mein armes menschliches Wesen zurückgelassen habe, dass alle meine
Kräfte seinem Sein dienen und dass ein neues, leidensfähiges, mit seinem
göttlichen sein verbundenes Leben entstanden ist. –
544 |
Ich erlebte
so klar Jesu innerstes Sein in seinem menschlichen Leben, die ständige
Grundhaltung seines Herzens, die ich in mir besitze, und die neue Früchte
bringen soll.
545 |
Ich konnte
die Herz-Jesu-Litanei beten oder/und sah und begriff bei jeder Anrufung das
Geheimnis des Herzens Jesu. Bei der Anrufung: „Herz Jesu, im Schoße der
jungfräulichen … gebildet“[sic!] sah [ich] das göttliche Sein der zweiten
göttlichen Person – ich erlebte und erfasste innerlich – wie es sich mit einem
menschlichen sein in MARIA vereinigte und wie diese zwei EIN neues Leben in
voller Harmonie und Einheit bildeten: Die Gottheit und die Menschheit begegnen
sich und vereinigen und vollenden sich zu einem gottmenschlichen Leben, dessen
tragende Kraft die göttliche Erlöserliebe ist, der sich bejahend die
menschliche Liebes- und Opfer- und Leidensfähigkeit unterordnete.
546 |
Ich möchte
mit der Reinheit und der Hingabefähigkeit Mariens dem Heiland alle meine Kräfte
geben können, damit diese ihm dienen in jener Bereitwilligkeit, mit welcher der
aus Maria genommene Erlöserleib sich dem göttlichen sein restlos zu Verfügung
stellte!
547 |
Nach der
heiligen Kommunion lebte und war ich in voller Einheit und Harmonie im höchsten
geistigen Sein Jesu; es war eine unbeschreibliche Ruhe, Klarheit und besondere
Freiheit von sich selbst. Ein ruhiges sein, gänzlich über sich selbst und den
eigenen menschlichen Niederungen stehend, lässt die vollkommene Freiheit eines
erlösten Gotteskindes verkosten.
548 |
Ich sah
Maria, auserwählt vor allen Geschöpfen, von der Sünde nie berührt und dadurch
bereit und fähig, der gefallenen Menschheit den Erlöser zu geben, der der
Menschheit damit die Erlösung brachte, wie am Eingangstor einer neuen Zeit. Ich
war eins mit Maria. Eine andere Aufgabe erlebte ich in meinem geistigen Wissen:
Ich soll dem Heiland Werkzeug sein, um ein neues geistiges Zeitalter zu
eröffnen. – Eine vertiefte Auffassung der Erlösungslehre wolle er seiner Kirche
als neue Quelle der Gnaden offenbaren. – Jesus habe mir all seine
Erlösungsgnaden voll zugewendet und geschenkt und somit eine Vollerlösung in
meiner Seele bewirkt.
549 |
Alle Seelen
sollen trachten und streben, sich der vollen Früchte seiner Erlösung teilhaftig
zu machen, d. h., innerlich sich freizumachen von den Folgen der Erbsünde,
Kraft der Erlösungsgnaden, die auch diese Möglichkeit in sich schließen
(gemeint sind die Fesseln und Wurzeln der Sünde, die Austilgung der Schäden der
Menschenseele, die durch die erste Sünde entstanden sind, die Herstellung der
geistigen Ordnung, die Gott von Anfang an wollte, die innere Harmonie der Seele
mit Gott, die der Heiland als Erlöser zwischen Gottheit und Menschheit wieder
möglich gemacht hat.)
550 |
Die inneren
Erlösungsgnaden sah ich so reichlich und kraftvoll, dass sie, voll zugewendet,
wie eine Entsündigung zu wirken imstande sind, und dies sah ich auch als den
Zweck der Erlösung.
551 |
Dieses volle
Aufnehmen der dieserart wirkenden Erlösungsgnaden sah ich im neuen Zeitalter
der Kirche in erster Linie den Priestern vom Heiland angeboten.
552 |
Untertags sah
ich innerlich: den Priestern, jedem als zweiter Christus, wolle der Heiland
diese Gnaden geben. Der Priester soll als „Ersterlöster“ sich freimachen von
den Folgen der erbsündlichen Unordnung und zu voller Harmonie und zur Einheit
mit seinem Meister zu gelangen suchen. Infolge seiner hohen Berufung, in der er
Christus zu vertreten habe, solle er sich wirklich als in der Notwendigkeit
sich zuerst zu erlösen (= als zuerst zu Erlösender) betrachten.
553 |
Der liebe
Heiland hat mir auch wiederholt versprechend gezeigt: er wolle diese Gnaden den
Priestern „neu“ geben. Ich sah diese Gnaden zuerst niedergelegt in dem zu
gründenden Priesterwerk. Ich sah voraus, wie manche Priester dieses Werkes
diese Gnaden rascher wie in einer geistigen Umwälzung in ihrer Seele erhielten,
andere sah ich diese Gnaden erringen in dem Geiste, der die geistige Grundlage
der Genossenschaft bildet, nämlich im beständigen Mitopfern mit Jesus auf dem
Altar. In dem sie diese Opfer Gesinnung Jesu sich in ihrem täglichen
Priesterleben zu eigen machen, werden sie als Folge eine Umwandlung in die
Gesinnung und in das Innere Sein Jesu erfahren. Alle Priester dieses
Priesterwerkes sollen aber dieses Ziel, diese innere Entsündigung anstreben.
554 |
Ich sah alle
meine Leiden (alle diesbezüglichen und auch alle anderen Leiden) gleich wie in
neuen Gnaden für das Priesterwerk niedergelegt und aufgespeichert, dass Jesus
diese mit seinen göttlichen Erlöserverdiensten nach Belieben verteile. Da stand
in mir das Verlangen auf, möglichst viel leiden zu können, dass vermöge dieser
Leiden das Werk geistig reich ausgestattet werde.
555 |
Welche
unbegreiflichen Wege der Gnade führt mich der liebe Heiland! Er will anstelle
meines Seins ganz sein eigenes einst auf Erden gelebtes Leben aufbauen und alle
meine Kräfte und Fähigkeiten für diesen Zweck in sich umgestalten. – Aber der
Heiland hat mühsame Arbeit mit einem so unbeholfenen, armen Wesen. Mein
oftmaliges inneres Versagen verzögert seine Absichten. Aber besonders auch die
Unermesslichkeit und Tragweite seiner Gnaden machen mich oft ängstlich und
hemmen das Fortschreiten seines Lebens in mir. –
556 |
Ich muss ganz
blind werden für mich, blind mich leiten lassen von seinem führenden „sein“ in
mir. Wenn ich auf mich sehe, auf mein armes Nichts, auf meine Unfähigkeit,
könnte ich ihrer werden, aber wenn ich immer auf ihn sehe, auf den
allmächtigen, dann wird der Abgrund überbrückt durch seine grenzenlose Liebe
und Herablassung. –
557 |
Besonders in
der letzten Zeit, wo ich eigentlich innerlich wieder einen neuen Läuterungsweg
gehe, hat mir Jesus oft den Zweck und das Ziel seiner gnadenvollen Herablassung
gezeigt: Jesus bereitet ein neues, geistiges Zeitalter in seiner Kirche vor; er
wolle sich seiner Kirche in einer besonderen Art offenbaren, die den geistigen
Schäden der heutigen Zeit entgegengesetzt und ihren Bedürfnissen angepasst
wäre; sein innerstes Erlöserleben soll besonders anerkannt werden und als neue
Gnadenquelle sich über seine Kirche „wie neu“ ergießen. Bisher habe man ihn in
der Kirche mehr von „außen“ erkannt, jetzt wolle er die Schätze seines „inneren
Seins“ wie einen neuen Strom über seine Kirche fließen lassen.
558 |
Auch die Art,
in der Jesus mir jetzt seine Absichten erklärt, hat sich gegenüber der besonderen
Führung früherer Jahre sehr geändert. – Früher „sprach“ er gleichsam in einem
gnadenvollen, fühlbaren Vereinigtsein zu mir, geistig fühlbar, aber doch klarer
und deutlicher als eines Menschen Mund es erklären könnte; mit seinem Worte
fließt ja zugleich Licht und Verständnis und Durchdringen seiner Worte mit. –
Seine Gegenwart in mir oder um mich oder von mir ließ jede eigene
Verstandestätigkeit wie stillstehen und seine geistig gesprochenen Worte und
Erleuchtungen in einem vollen „Verschenktsein in ihm“ entgegennehmen. Damals
schien mir mein inneres Leben „außergewöhnlich“. Wenn ich das große Leben
meines eigenen Unvermögens und meiner Nichtigkeit seiner Herablassung
gegenüberstelle, war es mir ganz unerklärlich. –
559 |
In letzter
Zeit „spricht“ Jesus nicht mehr zu mir wie früher. Sein Leben und sein Sein
offenbaren sich mir mit den tiefsten Absichten seines Herzens. – Wie ein Gut,
das man in sich trägt, still, verborgen, und dessen Wert und Fülle und
Eigenheit man mit dem Besitz erfährt, so ist Jesus in mir. – In ihm erlebe ich
die Fülle seiner Absichten, die Unermesslichkeit seiner Liebe zur Kirche, die
er neu bereichern will mit den Schätzen seines Herzens. Und ich trage und
erlebe dieses göttliche Gefäß, das daran ist, nochmals seine Liebe in einer
besonderen Art seiner schwer bedrängten Kirche zu zeigen und zu schenken. Mit
seinem Sein in mir erfahre ich die Wege meiner geistigen Umwandlung, um ihn
vollends erfassen zu können und für die Fülle seines Lebens reif zu werden,
damit mein menschliches Sein kein Hindernis mehr sei für seine Absichten.
560 |
Es wurde mir
dieses Sein Wirken in einem Vergleich deutlich gemacht: Die Erde, auf der wir
leben, dreht und bewegt sich immer, und bringt dadurch Tag und Nacht hervor,
obwohl wir Menschen von den eigentlichen Drehungen der Erde gar nichts
wahrnehmen. Wir spüren und erfahren nur die Folgen und Wirkungen, die
Veränderungen der Erde, und damit ist uns alles gegeben, was wir zum Leben
brauchen. So ähnlich ist es in meinem Innenleben: Sein Leben bietet Kraft,
Licht und Lebendigkeit, wenn es mir auch nach dem gewöhnlichen Erleben nur
Ruhe, Stille, Selbstvernichtung, Lahmlegung jeder persönlichen Geistes- und
Seelentätigkeit zu bedeuten scheint. – Jesus gleichsam die Erdkugel in mir,
dreht und bewegt sich und macht tot jedes eigene Vermögen, um immer mehr an
Ausdehnung zunehmen zu können; jeden Augenblick spendet die Fülle seines Seins
in mir Leben zum Überströmen, so wie die Erde ihren Kindern in der
Fruchtbarkeit ihrer Urbestimmung.
561 |
Und Jesus
will zur Vollreife und Vollendung seines Lebens in mir gelangen. Verschiedene
Male wurde mir dieses in folgender Weise erklärt: Mein höchstes Vorbild sei
MARIA. – In ihr wurde das höchste Geheimnis Gottes verwirklicht; aus ihrem
menschlichen Leben hat die zweite göttliche Person Ihr menschliches Leben
genommen, den allerheiligsten Erlöserleib, damit Gottes Liebe sich sichtbar
offenbaren konnte. Aus des Erlösers Leben ward der Welt Erlösung, das
versprochene Heil, die Erfüllung aller Hoffnung für die Zeit und Ewigkeit. Die
Sünde der ersten Menschen hatte einen Abgrund aufgerissen zwischen Gott und der
Menschheit, den die Liebe des göttlichen Erlösers wieder überbrückt hat. In ihm
waren den Menschen alle Gnaden gegeben, die eine Neuordnung der Fähigkeiten der
Menschenseele nach ihrer Urbestimmung möglich machen sollten. Die Verdienste
des Erlösers und die Annahme und Verwertung der Erlösungsgnaden brachte der
Seele wieder die verlorene Teilnahme an Gott, die er in seiner unbegreiflichen
Liebe dem Menschen zugedacht hatte. Die Freigebigkeit Gottes, bzw. des Erlösers
wollte mit dem Bemühen, der Aufnahmefähigkeit, dem Willen des Menschen
zusammenwirken, dass dieses Zusammenarbeiten in der einzelnen Seele, wie eine
in ihr hervorgebrachte Erlösung, Frucht bringe. – Gewiss wollte Jesus durch
sein Erlöserleben und -leiden die gesamte Erlösung der Menschen bewirken, aber
er will ebenso seine Erlösergnaden in der Einzelseele betätigt sehen. Seine
Erlösergnaden haben ja in sich die über volle Kraft aus der gefallenen
sündlichen Unordnung eine wirklich „erlöste“ Seele zu gestalten, deren Grade
und Maße41 von den zugeteilten Erlösungsgnaden und von der
Aufnahmebetätigung der Einzelseele abhängen. –
562 |
Der
Grundgedanke aller in letzter Zeit vom Heiland erhaltenen Erkenntnisse ist
also: Die Erlösungsgnaden haben in sich die umgestaltende Kraft, um in der
aller sündlichen Unordnung unterworfenen Menschenseele eine Neuordnung aller
geistigen und seelischen Fähigkeiten hervorzubringen, und zwar bis zur
sittlichen Vollkommenheit des Zustandes, in dem die Menschenseele in ihrer
Urbestimmung von Gott geschaffen wurde. –
563 |
Damit ist
aber nicht gemeint, dass der Zustand der gefallenen Menschennatur gänzlich
ausgelöscht oder nicht mehr vorhanden sei; die gefallene Menschennatur bleibt
vielmehr immer vorhanden, aber durch die Zuwendung der Erlösungsfrüchte ist die
Gnadenkraft vorhanden, um die betreffenden Schäden in entgegengesetzte gute
Akte zu verwandeln, eine Umwandlung des gefallenen Menschen in einen voll
erlösten, durch die Erlösung umgestalteten Menschen zu vollziehen. – Es wurde
mir dies mit folgendem Vergleich erklärt: In dem Samenkorn eines großen Baumes
ist schon die Möglichkeit für das Wachstum, das Hervorbringen dieses Baumes
gegeben; die Entwicklung hängt aber ab von dem Erdreich, in das das Samenkorn
gelegt wird, von den Klimaverhältnissen und Gezeiten. So hat Jesus in seinem
Erlöserleben den fruchtbaren Grund und die Möglichkeit gegeben zur vollen
Umgestaltung der gefallenen Menschenseele; er hat als Erlöser nach dem Willen
seines himmlischen Vaters Vollarbeit geleistet. – Es liegt aber in Gottes bzw.
Jesu Absichten, die erworbenen Gnaden mehr oder weniger vollwertig und
vollkommen den Seelen zuzuwenden und an sie auszuteilen.
564 |
Ich sehe mit
der Erlösung gegeben eine Entwicklung und Entfaltung in der Zuteilung der keimhaft
vorhandenen Erlösungskräfte, die kraft ihres göttlichen Wertes unerschöpflich
in ihrer Wirkmöglichkeit sind. So sehen wir, die Jahrhunderte herauf, in
wundervoller Entwicklung eine fortschreitende Bereicherung und Gestaltung der
Kirche, entsprechend den Zeitbedürfnissen und Zeitverhältnissen. –
565 |
Schon in den ersten Jahren meiner besonderen
Gnadenführung wurden mir alle noch für mich bereitgehaltenen Gnaden gezeigt,
entsprechend dem Zweck und Ziel der besonderen Absichten Jesu. Diese haben ihr
Endziel in einer Erneuerung seiner Kirche, bedingt durch eine Erneuerung der
Priester.
566 |
„Neue Gnaden“
wolle der Heiland seinen Priestern geben, die weiterströmen werden als
Erneuerung der heiligen Kirche.
567 |
Die Tragweite
dieser Absichten Jesu, die ich in früheren Jahren nicht verstanden und
begriffen habe, zeigt er mir in letzter Zeit immer näher und klarer. Zuerst
solle ich jene Gnaden selbst erfahren, in ihr Wesen umgestaltet werden und
dadurch Kraft dieser gleichsam „erworbenen und vom Heiland gegebenen neuen Gnaden“
das Opfer für seine Absichten werden. Dies soll zum Beweis der
Übernatürlichkeit meines Seelenlebens werden. – Wie Maria soll ich mich dem
Heiland gleichsam leihen, hingeben, dass er sich wie in einem „neuen, anderen
menschlichen Leben“ in mystischer Weise wie „wiederholen“ könne in einer
ähnlich erlebten und erlittenen inneren Wiederholung seiner inneren
Erlösungsleiden. – Durch dieses, sein wiederholtes inneres Leiden und Leben
wolle er diese Gnaden begründet zeigen. –
568 |
Ich bin mir
innerlich wie tot; jede Seelentätigkeit ist mir wie weggenommen; eine
unbeschreibliche Leere gibt dem doch immer gegebenen Sein Jesu voll geistiger
Fülle Raum. „Jesus annehmen, aufnehmen, erleben und erleiden als Begründung
seiner besonderen Absichten!“, das wird mir als Ziel der inneren Führung
gezeigt. – Seine Gerechtigkeit verlangt Entschädigung, die zugleich Beweis und
Offenbarung seines inneren Erlöserlebens sein wird. –
569 |
In den
letzten Wochen war ich immer im Zustand seines völligen Ausschaltens meiner
selbst; ich kann nicht „beten“, bin mir selbst fern geworden. Es geht
stufenweise: Nach dem Maße meines eigenen „Totseins“ wird das Leben Jesu
wachsen, zur Fülle und zur Vollendung gelangen. –
570 |
Am Abend des
25. August 1926 hat mir Jesus seine Absichten mehr anschaulich und klar
gemacht. Nach peinvoller innerer Verdemütigung, die wohl jeder besonderen Gnade
vorausgeht, wurde ich in einen fortgeschrittenen Zustand des „Lebens“ Jesu in
mir versetzt. – Ich erlebte den Heiland nicht nur geistig; er teilte sich mir
auch in einer körperlich fühlbaren Art mit. Das innerste Sein Jesu in mir
„sagte“ mir oder ließ mich wissen: „Ich will mit dir ein geheimnisvolles
Brautfest feiern, ein Kreuzfest; ich will das Kreuz sein, woran du gekreuzigt
wirst.“ – Jesus war unbegreiflich in mir lebend, auch körperlich fühlbar; sein
göttliches, geistiges Leben durchströmte mich ganz in meinen Gliedern; es war
eine geheimnisvolle wonnige Glut, die mich durchlebte. Ich fühlte seine Wunden
in einem geistigen Erfassen seines erlebten Seins in mir. So habe ich Jesus
noch nie erlebt, obwohl es mir vor vielen Jahren als das Ziel meines
Innenlebens erklärt wurde. – Ich war in einem geheimnisvollen, nicht zu
erklärenden Zustand der geistigen Fülle in ihm, durchglüht von ihm, oder er war
in mir Leben, das mein Leben ist. – Ich gab dem Heiland mein Alles, das ihm ein
neues sein bieten soll. Da war alles wonniges Sein an ihm, aber ich verstand,
dass es ganz in ein leidendes sein übergehen wird, weil eben die Leiden, seine
Leiden, der Beweis für ihn sein werden. – Dieser Zustand dauerte, mehr oder
weniger spürbar erlebt, bis zum nächsten Tag mittags. –
571 |
Am 23. August
hatte der liebe Heiland von mir verlangt, ich solle mit ihm in die Einsamkeit
der Exerzitien gehen, in denen er Führer sei. Aber dieser Führer „spricht nichts“.
Er „tut“ nur in mir Verschiedenes: Er nimmt mich mir immer noch mehr weg, um
seinem Leben noch mehr Raum und Ausbreitungsmöglichkeit zu geben. Ich bin nicht
die „Zuhörerin“, sondern die Seele, die alles geschehen lässt. – Jesus arbeitet
ständig in mir und ich verstehe seine Arbeit und Tätigkeit ohne Worte. Ich
brauche überhaupt „nichts zu tun“, oder darf nichts tun, weil dies seiner
Arbeit hinderlich wäre, weil er eben alles sein will in mir. –
572 |
„Leiden“ kann
ich diesen Zustand nicht gerade nennen, obwohl in früheren Zeiten solche
inneren Läuterungsperioden große seelische Leiden waren. Es ist eben
merkwürdig, dass ich jetzt an nichts mehr leide, wo ich früher in ähnlichen
seelischen Stadien so arg gelitten habe. – Alles ist jetzt Geist, eine geistvolle
Ruhe durchlebt mich ständig, doch kommt mir alles wie gewöhnlich und nichts
Außerordentliches vor.
573 |
Vor kurzem
(3. September) „sagte“ mir Jesus – ich habe keinen anderen Ausdruck für das
fühlbare Mitteilen Jesu oder für das Innewerden seiner Absichten in mir: Ich
will dir besondere, große innere Gnaden geben als Beweis für meine äußeren
Absichten, damit du mit Vertrauen den Weg gehst und damit du glaubst, dass es
von „mir“ ist, was ich dir bezüglich meiner äußeren Absichten „sage“. – Die
inneren Gnaden sollen dir der Beweis für meinen Auftrag hinsichtlich des
Priesterwerkes sein. – Er zeigte mir wiederholt, dass es „weitergehe“. Er würde
den Weg weisen. Die Größe seiner inneren Gnaden gebe mir Mut und Kraft und
Zuversicht.
574 |
Dann war ich
in letzter Zeit sehr im Leiden, die sich immer auf kommende Gnaden beziehen.
Eine geistige „Langeweile“ quälte mich wegen der geistigen Untätigkeit und
Leere, in die ich versenkt war. Ich konnte nicht beten; bei der heiligen Messe
und Kommunion ist mir jede Betätigung genommen. Ich bin wie „nicht mehr zu
Hause“ bei mir, bin mir selber fremd, wie jemand, den man aus seinem eigenen
Hause gewiesen hat. Dazu kommt noch die scheinbare Erfolglosigkeit aller
bisherigen Opfer und Leiden. Ich komme mir vor, wie jemand der „umsonst auf der
Welt“ ist infolge seiner Nichtigkeit und Unbrauchbarkeit. Ich irre seelisch
umher, bin aber ein friedlich Verstoßener, weil er eben nichts sein Eigen nennt
oder weil er seine Güter einem Höherem übergeben hat, der alles gut verwertet.
Darum muss ich meine Leere und Nichtigkeit lieben, denn diese dient einem
höheren Zweck, der darauf aufgebaut ist. –
575 |
Trotzdem bin
ich heiter und zufrieden; ich will ja nichts für mich. Jesus „nimmt“ das Meine,
und gebraucht es als das seine, und dieses innere, immer tiefere „Wegnehmen“
erzeugt eine Art Leiden in mir. Aber es sind friedliche Leiden, die einmal
einen Schatz bilden werden für die Kirche als „neue Gnaden“. –
576 |
Ich war in S.
Cruce. Unterwegs kam es zu einer geistigen Scheidung in meiner Seele: Sein
Leben überwand das Meinige und wuchs empor, stark, unabhängig, ein neues Sein,
das sich in voller Selbstständigkeit entwickelte. –
577 |
Bei der
heiligen Messe war Jesus in mir derjenige, der sich am Altar opferte und mich
mit sich nahm. Er ließ mich erleben: Sein Leben in mir ist und wird sein das
Zeichen einer neuen Zeit in seiner Kirche. Ich bin ja nicht mehr; er will in
mir dieses Zeichen werden. Mich gebraucht er nur, (wie er das Holz brauchte,
als Kreuz, woran er gekreuzigt wurde), weil er eben für seine Absichten
nochmals eine leidensfähige Natur braucht, wie einst jene die er aus Maria
annahm. Meine Kräfte sollen ihm Mittel und Möglichkeit bieten. –
578 |
Er ist ganz
ER in mir. Er nimmt alles in Besitz wie sein eigenes. Er herrscht in seinem
„eigenen Hause“. Ich bin ruhig und stelle ihm alles zur Verfügung. Nach der
heiligen Kommunion ist Jesus eben Jesus in mir, an meiner Stelle. – Er nimmt
mich zu seinem Sein und ist gleichsam erneut wie in seinem Erdenleben, als er
in einem menschlichen sein wohnte.
579 |
So klar ist
sein Sein in mir. Da ist nichts Gefühltes; er ist wirklich an die Stelle meines
armen Seins getreten! Ich trete ganz zurück. Ich will ja nichts für mich,
sondern nur, dass Jesus zur Fülle und Vollendung komme.
580 |
Wie einfach
ist dies! Vor Jahren waren wir zu zweien; heute ist nur eines: „JESUS“. – Jesus
ist das Gebet in mir, das wirkliche, lebendige Gebet vor seinem Vater; schon
sein Sein genügt vor dem Vater, bringt ihm unendliche Ehre und Verherrlichung
durch die Herablassung seines Sohnes, der mystisch „nochmals geworden“ ist. –
Der Vater stimmt eben zu und ist höchst befriedigt über die Absichten seines
Sohnes. –
581 |
Jesus will
nicht, dass ich persönlich irgendetwas bete; er ist das lebendige Gebet in mir.
Sein gleichsam wiederholendes Leben ist ständig Gebet, Hingabe und Sühne, da
sein Sein alles Gute einschließt und enthält. Jede persönliche Selbstbetätigung
soll nicht in Form des Gebetes sein, sondern ihn zur Vollendung gelangen
lassen, alles ihm zur Verfügung stellen, dem inneren Gnadenzuge folgend ganz
zurücktreten, damit sein lebendiges sein wie eine neue Gnade für die Welt
erstehen kann. „Beten“ wird er dann in einem neuen, anderen Leben. –
582 |
Jesus lehrt
mich oder ich lebe dann sein Gebet vor dem Vater, seine ständige freiwillige
Abhängigkeit, seine Hingabe. Ich leihe mich ihm ja zum neuen Sein; deshalb
erlebe ich alles, wie wenn ich Jesus wäre, was er mit mir vorhat und ich bin
Jesus, weil aus zweien nur eines wurde. Gewiss wird bis dahin noch manche Stufe
der geistigen Entwicklung folgen, aber ich erlebe heute im Voraus das Ziel.
583 |
Jetzt muss
ich so zufrieden sein, bis Jesus in mir „lebendig“ und tätig wird. Ich sehe
„Maria, als sie das Kindlein in sich trug, hat es ihr in diesem sein genügt“;
so soll auch mir sein Leben genügen, mit allem, was es in sich ist und mir
bietet. Ich kenne und erlebe, was dieses Leben in sich ist: Ein Zeichen, dem
man widerspricht, das sich verzehrte in einem geheimnisvollen Dasein bis zur
vollen Hinopferung am Kreuze. Dieses geheimnisvolle Leben mit seinen innersten
verborgenen Geheimnissen will sich offenbaren, eröffnen, zeigen. Die Apostel
glaubten an sein göttliches Sein, weil sie ihn kannten. Der Heiland will sich
so seiner Kirche „zu erkennen geben“, damit sie diesen ihren Bräutigam mit
neuer Liebe ihren Gliedern zeige.
584 |
Ich darf also
nicht „beten“, bis er mich das Gebet zum Vater lehrt, sein Gebet in seinem
anderen sein. Ich weiß, wie ich mich innerlich verhalten muss, aber wie könnte
ich ein Wort finden, um es zu erklären? Dies Verhältnis zwischen uns (in uns)
ist zu „geistig“ und darum nicht in Worten wiederzugeben, aber es ist so klar
und wirklich. Unser sein, das Jesus-Sein, ist Friede, Harmonie, so wie einstens
auch sein menschliches Leben, sein Leib und seine göttliche Seele. –
585 |
Es bleibt
aber eine kleine Sorge in mir: Jetzt kann ich nicht mehr zum Mütterchen beten.
Mit diesem Kummer ging ich zu ihr und klagte es ihr. Aber die Mutter wusste
einen guten Rat: In der Zeit, wo ich sonst die Lauretanische Litanei betete
(dreimal täglich), soll ich ganz besonders in der Gesinnung sein, in der sie
Jesus in sich getragen, erlebt und sich ihm gegeben hat für das menschliche
Sein. – Ich nehme dann ihre Liebe und Hingabe in mich auf und diese sei die
fruchtbarste und wohlgefälligste für den Heiland. „ihm nochmals Mutter sein“,
geistig mit der Gesinnung der leiblichen Mutter: Wann könnte man genügend
eindringen in das heiligste Verhältnis, das infolge seiner höchsten Heiligkeit
und Bestimmung immer Geheimnis bleiben wird. Maria will mich doch ein klein
wenig einweihen in dieses Geheimnis, weil dies ihrem göttlichen Sohne Ehre
macht; sie will sich mir „leihen“, mir ihre Gesinnung einflößen, weil sie damit
sozusagen dem Heiland ihre mütterlich reine Liebe nochmals darbringen kann. –
Wie gut kann ich Mütterchen verstehen! Wie bin ich so eins mit ihr! Wie gerne
möchte sie sich dem Heiland gleichsam nochmals darbringen, mit allem, was sie
ihm einst bieten konnte! – Darum will ich „alles“ von ihr nehmen, um es Jesus
als „ganz das Ihrige“ nochmals zu geben. –
586 |
„Es sei eine
große Gnade“, die ich heute vom Heiland erhalten habe; so lässt er mich wissen.
Er sagt nichts, aber ich erlebe diesen Fortschritt in mir. – Wir sind wie zwei
schweigsame Wanderer, es herrscht zwischen uns das tiefste, geheimnisvolle
Verstehen; er ist der Führer; er nimmt den anderen, meine Seele mit bis zu den
höchsten Bergesgipfeln. – So tut Jesus in mir; er „nimmt mich mit“ in sich
hinein, hinein in sein Innerstes, wo nur „eines“ bleibt, im vollen Erleben des
Anderen und des Aufgenommen-Werdens und Aufgenommen-Seins in das Innerste
seines Herzens.
587 |
„Dem Heiland
mystisch Mutter sein“, so wurde mir gestern in S. Cruce vor dem Bild der
Schmerzensmutter mein innerer Beruf erklärt. Aber ich wagte gestern nicht,
dieses innere Erleben niederzuschreiben. Es schien mir wie eine Anmaßung; noch
nie wurde mir meine Aufgabe in dieser Form erklärt. Heute hat der Heiland
dieses „Erleben“ wiederholt. Ich bin durch seine Gnade hineingezogen in den
Glauben an dieses Geheimnisvolle. Was mir gestern unerklärlich schien, ist
heute klar, ja eine Erleichterung, denn MARIA wird ihr Kind nie irregehen
lassen und an ihre Seite und mit ihrer Gesinnung und Liebe verliert der böse
Feind mit seinen Täuschungen die Kraft. –
588 |
Der liebe
Heiland vertraute sich ganz Maria an. Sie gab ihm wirklich von ihrem Leben zu
seinem leiblichen Leben, aber sie trennte sich nicht von diesem lebendigen
sein, als sie es nicht mehr in sich trug. Sie lebte und litt es vielmehr weiter
in geheimnisvoller Einheit bis zum leiblichen Tode dieses von ihr „gegebenen
Lebens“. Damit wurde ihr diese Gnade der Auserwählung zum größten Schmerz, den
je eine „Lebensspenderin“, eine Mutter getragen hat. Im Himmel besitzt sie das
Leben Jesu von innen heraus als ihren besonderen Lohn und „lebt“ ständig wie in
„seinem verklärten sein“ zum Unterschied von den anderen Heiligen, die Jesus
„von außen“ besitzen, je nach dem gradeweisen Eindringen in die innerste
Gesinnung Jesu. –
589 |
Im tiefsten
geistigen Erkennen durchschaute ich dieses Geheimnis. Ich sah die Ähnlichkeit
meines geistigen Berufes, meine innigste Einheit mit Maria; ich ging gleichsam
auf in ihr und wir flossen zusammen in EINER Hingabe an Jesus, in einer
geistigen, mystischen Lebensbereitschaft und Lebensbereitung für ihn. –
590 |
Seit der
gestrigen großen Gnade bin ich wie in ein zweites wirkliches Leben Jesu
eingetreten. Ich bin mit Jesus auf einer vom Meere umgebenen Insel; niemand
kann zu mir herüber, ich kann auch nicht zurück, bin allein „er-ich“ in einem
sein, das alles in sich hat und nichts zu empfangen braucht, weil es in sich alle
Lebens- und Gnadenfülle trägt. –
591 |
Alles aber
ist so einfach und ruhig, als wäre es nicht, und doch wieder so klar und
bestimmt, voll Kraft und lebendiger Sicherheit. Jesus hat mir gestern die
Möglichkeit des persönlichen Gebetes genommen, aber als Ersatz sich selbst, die
Fülle lebendigen Gebetes geschenkt, zugleich damit auch das Wissen und die
Anleitung, alle Bedürfnisse zu Gebetsaffekten in mystisches sein und Hingabe zu
verwandeln. –
592 |
Es ist jedoch
anstelle meines persönlichen Gebetes nicht leere Nichtstuerei getreten, wie ich
es in der letzten inneren Prüfungszeit als Vorbereitung durchlitten habe,
sondern ich bin jetzt in ein anderes gleichsam aktuelles sein mit Jesus
eingetreten, wo immer tätiges, erlebtes Leben mit ihm herrscht. – Ich bin in
einem außergewöhnlichen, wirklichen Leben an Jesu Stelle, wo dieses Leben alles
ersetzt. – Jesus hat mir aber versprochen, er werde mich an Stelle meines
persönlichen Gebetes ein anderes lehren, „sein Gebet“, das Beten zu seinem
Vater.
593 |
Ich war dann
nochmals bei der heiligen Messe. Dabei empfing ich die Anleitung, die heilige
Messe, mit ihm zu erleben.
594 |
Vom Anfang
bis zur Opferung die Gesinnung, Lebenshingabe und Lebensbereitschaft Mariens
annehmen, ihr ganzes Sichbereitstellen für die göttliche Seele Jesu, um ihm einen
lebens- und leidensfähigen Leib zu bieten. –
595 |
Mit dieser
ihrer, mir gleichsam geliehenen und geschenkten, inneren Verfassung bei der
Opferung eingehen in das Opfersein mit Jesus, das er mir gleichsam erneut gibt
und ich in ihm empfange. Ich erhalte Jesu innerstes, geistiges sein; Jesus
nimmt mein leidensfähiges sein in Besitz, damit das Opfer Jesu am Kreuz sich
wie nochmals leiblich in einer mystischen und wieder wirklichen gelebten
Opferung wiederholt, auf dem Altar vollziehe …
596 |
Bei der
heiligen Wandlung stellt sich mir Jesus in mir, ähnlich wie einst auf Erden,
als jetzt sich wiederholendes, leidensfähiges Opfer seinem Vater dar. Jesus
kann gleichsam wieder „leiden, opfern, geopfert werden“ in einem lebens- und
leidensfähigen sein, mit dem er sich nach seinen geheimnisvollen Absichten in
dieser Art verbunden und vermählt hat. Der ewige Vater ist einverstanden mit
dieser erneuten Opferbereitschaft und ähnlich erneuerten Opferwirksamkeit. –
597 |
Ich sehe im
kommenden Zeitalter der heiligen Kirche dieses tiefste Eindringen und wirkliche
Beteiligtsein am Opfersein Christi auf dem Altar vor dem ewigen Vater, den
tiefsten Kern und Mittelpunkt des religiösen Lebens und eine neue Gnadenquelle,
das Gegen- und Heilmittel gegen die Selbstsucht der Zeit, ein aufleuchtendes
Zeichen und eine charakteristische Eigenheit der kommenden Zeit der Kirche.
598 |
Bei der
heiligen Kommunion empfängt der Priester Christus, das lebendige Opfer. Wenn
ich so in Jesus und mit ihm Opfer und mitgeopfert bin, wenn ich ständig zu
seinem mystisch erneuten sein mich ihm gebe, erhalten die Priester als
besondere unsichtbare Gnade einen Anteil an dem Opferleben Jesu in mir oder an
meinem inneren Opferleben als sein Sein und Opfer in Jesus, weil ja mein Leben
in besonderer Weise der Erneuerung des Priestertums in diesem Geiste zukommt
und dafür geopfert ist. – Der Heiland hat mir dieses so erklärt: Weil ich von
jetzt an in ihn, in eine wirkliche, aktuelle Lebensgemeinschaft eingegangen
bin, die ich früher nicht hatte, beginnt auch meine oder seine erneuerte
Wirksamkeit und Frucht für die heilige Kirche und für die Priester.
599 |
Heute
verstehe ich den Sinn der Worte Jesu von gestern: ich gebe dir eine ganz große,
entscheidende Gnade. –
600 |
Ich bin auch
in einem ganz veränderten seelischen Zustand; ich lebe nicht mehr mich; ich
lebe ihn, mit dem ich in mystischer Weise „ein neues, gebrauchsfähiges Leben
bin“. –
601 |
Heute Morgen
nach der heiligen Kommunion ließ mich der liebe Heiland seine Freude und Liebe
zu den Seelen erleben, die bereit sind, für die Absichten seines Herzens
einzustehen. –
602 |
Ich erhielt
die innere Mahnung, nicht aus „falscher Bescheidenheit“ irgendwie seinen klar
erkannten Willen abzuschwächen, sondern im Vertrauen auf die besonderen Gnaden
die Sache seines Herzens zu verteidigen; seine Absichten könnten sich „mehr
oder weniger vollkommen erfüllen“. Die größte Gnade sei, dass Jesus mich vor
der Sünde bewahre, in gewissem Sinne die Folgen der Erbsünde in mir ausgelöscht
habe und mich vor der Versuchung zur Sünde bewahre. Darüber hinaus müsste ich
an meine innere Aufgabe glauben; das seien die Untreuen, wenn ich zu wenig
glaube. –
603 |
Wenn diese
meine äußere Aufgabe vollendet sei, beginne meine innere, nämlich sein inneres
Erlöserleben und -leiden nachzuleben.
604 |
Jesus war in
seinem ganzen Leben Erlöser; sein ganzes inneres und äußeres Leben war dem
Zweck der Erlösung geweiht. Seine Priester, sein „zweites ich“ haben die
gleiche Aufgabe: die eigene Erlösung möglichst voll zu verwirklichen und alle
Seelen „mit zu erlösen“. Diese zutiefst erfasste Aufgabe bringe dem Priester
nicht ungebührliche Knechtung und Belastung, sondern im Geiste Christi wahre
Freude, Friede und Freiheit.
605 |
In Maria
verbunden erhielt ich die Weisung, ich solle an meine Sendung glauben, die
zunächst eine Sendung Mariens sei. Durch sie wolle der Heiland dieses große
Werk vollbringen und es sei meine Aufgabe, Mariens Stelle zu vertreten, wozu
sie mir in erster Linie die Gnade verleihe. In ihr werde alles vollbracht
werden. – Wie sie ständig ganz im Inneren des Herzens Jesu lebte und dort seine
Absichten erkannte, so könne und solle ich im gleichen Sinne glauben, was ich
im Inneren des Herzens Jesu erfahre.
606 |
(Über Maria
hatte ich diese Tage auch folgende Erkenntnis: Maria hat auch eine geistige
Vorbereitung erlebt, bevor sie fähig war, die Mutter Jesu zu werden. Ihre
Unbefleckte Empfängnis genügte sozusagen nicht. – Sie lebte genau nach dem
mosaischen Gesetz, glaubte unbedingt an die Ankunft des Erlösers und erfuhr
innerlich eine geistige „Angleichung an die gottmenschlichen Eigenheiten Jesu“,
um diese in sich aufnehmen und ertragen zu können. Maria hat von ihrer Geburt
bis zur Verkündigung eine große seelische Erhebung und Erweiterung durchlebt.
Bewusst oder unbewusst? Das konnte ich nicht unterscheiden.)
607 |
Ich bin in
einem inneren Läuterungsleiden, um noch vollkommener jede eigene
Geistestätigkeit in mir auszuschalten, um noch vollendeter in das Innere des
Heilandes einzugehen, um sein Inneres zu erfassen und zu erleben, sodass
gleichsam mein ganzes Inneres „seinem Sein“ diene. –
608 |
„Nie mehr für
mich etwas wollen“; in dieser gänzlichen Loslösung von mir selbst ging ich
heute früh, nach der heiligen Kommunion, ein in das Innere des Herzens Jesu.
Dort traf ich meine geistige Schwester Margarethe Maria, von der mir Jesus als
kennzeichnend schauen ließ: „Sie hat überwunden und geglaubt“. Den Sinn dieser
Worte verstand ich so: Alle Leiden und menschliche Widersprüche, die sich ihrer
Aufgabe entgegenstellten, hat sie überwunden und im Glauben an ihre Aufgabe hat
sie für das heiligste Herz Jesu den Sieg errungen. – Immer helfe mir meine
Schwester, aber nicht fühlbar, sondern durch das Heiligste Herz Jesu, von innen
heraus; so versicherte sie mir und ich war in diesem Herzen schwesterlich mit
ihr verbunden.
609 |
Es wurde mir
wieder in Erinnerung gebracht, in welcher Form mir vor 15 Jahren der liebe
Heiland meine innere Aufgabe erklärte: „Meiner Dienerin Margareta Maria habe
ich mein Herz gezeigt. Dich will ich es erleben lassen.“ Dieses Eingehen in das
Innere des Herzens Jesu ist das Ziel meiner besonderen Gnaden und Jesus will,
dass ich unbedingt an dieser meiner Aufgabe festhalte. Im Heiland schaute und
erlebte ich diese meine Aufgabe wieder neu: ihm die Vertraute seines Herzens zu
sein, wie es bis jetzt noch keine Seele erlebt hat. Er will eben seiner Kirche
die innersten Geheimnisse der Erlösung schauen lassen. –
610 |
Ich bin von
allem Geschöpflichen und von mir selbst getrennt, bin eingegangen in das
„innerste sein“ des Heilandes. – Er will, ich solle mich durch eine besondere
Aufopferung ganz diesem erfassten, inneren sein des Herzens Jesu weihen und
meinen unbedingten Glauben an meine geistige Aufgabe erneuern und bekräftigen,
den Glauben nämlich: Dass von ihm kommt, was ich geistig erlebe, dass ich sein
Herz, sein inneres sein erlebe. Ich soll ihm versprechen, mich vom „Geiste
seines Herzens“ leiten zu lassen, nie mehr zu mir zurückkehren zu wollen, nur
immer mehr in ihn aufgenommen werden zu wollen, in ihm alles zu haben, womit
Jesus in seinem Leben zufrieden war. –
611 |
Ich bin ruhig
und bereit; mein inneres Leben ist Ruhe, Freisein vom Urteil der Menschen. Ich
bin mitgenommen und hineingenommen in ein geistiges Aufgehen im Inneren des
Herzens Jesu. –
(Bezüglich des
Priesterwerkes)
612 |
Das
Priesterwerk und mein Innenleben, bzw. meine innere Aufgabe können und dürfen
nicht getrennt werden.
613 |
Der Heiland
will nämlich im Voraus den Zweck und die Folgen seiner Gnaden in meinem
Innenleben zeigen und will das innere Erlösungsgeheimnis dann dem Geiste des
Priesterwerkes als geistige Grundlage eingegliedert wissen, gewiss heute noch
privat, aber doch schon jetzt auf die Grundlage des Glaubens übertragen und darauf
aufgebaut. Die Grundlinien treten ja jetzt schon hervor. Diese inneren
Offenbarungen werden dem Werke als geistige Güter übergeben und müssen später
vom Priesterwerk aus begründet und verteidigt werden.
614 |
Wenn der
liebe Heiland das Werk …42, so dürfe gerade der Kern der Sache nicht
vermindert oder umgedeutet werden. Gewiss müsse geprüft werden, aber der innere
Geist, die innere Kraft, darf nicht gestört werden, weil dann das Werk die
feste, tiefste Grundlage verlieren würde, nämlich das tiefere Erfassen und
Eingehen in das innere Erlösungsgeheimnis.
615 |
Bei der
Klarstellung des Werkes müssen die besonderen Absichten des Heilandes
berücksichtigt werden und alles von einem erfahrenen Geistesmann geprüft und
begründet werden. Mein Innenleben sei so weit [sic! soweit?], dass man die
Grundlinien des Werkes schon herausnehmen könne. Der liebe Heiland will es
„Jetzt“, weil dieses „Jetzt“ nach menschlichen Begriffen eine Zeit lang dauern
wird. Aber er will in keiner Weise die Zeit verzögert haben.
616 |
Ich bin in
der geistigen Vorbereitung auf die letztgenannte Aufopferung. Diese ist ein
vollständiges „Sich-hinein-wagen in das innerste des Herzens Jesu“. Ich sehe
die Folgen dieser letzten Hinopferung für immer: Gänzlich untergehen in „ihm“,
ganz mich ihm ausliefern im Verzichten meinerseits für immer auf alle
geistig-persönlichen Rechte, auf meine „Ich-Rechte“. –
617 |
Ich sehe die
Folgen dieser Hinopferung für die Kirche: Ich bin zutiefst miteinbezogen in die
geheimnisvollen Absichten des Heilandes und in seine Pläne bezüglich der
Erneuerung seiner Kirche; aus dem Inneren Jesu wird diese hervorgehen. –
618 |
Mein innerer
Weg ist mir klar: ihn erleben, in sein „Ich-sein“, um jenes tiefste Geheimnis
erfassen zu können, das sich zwischen Vater und Sohn entwickelt hat im inneren
Erlösungsgeheimnis. Und doch ist mir alles auch geheimnisvoll verborgen: Ich
kann nur jene Schritte machen zu diesem Ziel, die ich innerlich von der
leitenden Gnade geführt werde. Persönlich stehe ich vor einer
undurchdringlichen Wand. Nur mit dem Lichte der Gnade kann ich diese Wand
durchbrechen in dem Augenblicke, wo mir dieses Licht gegeben wird. –
619 |
Ich war
morgens ruhig im Vertrauen auf die Führung des Heilandes, dem ich mich im
Höchsten, Unbegreiflichen ganz überlassen will. Jetzt kam Schweres bezüglich
des Werkes von außen. – Ich leide sehr, aber es ist meine Aufgabe, opfernd und
leidend die Stelle Jesu zu vertreten. Er braucht gleichsam jemand, wo er das
Opfer seiner selbst, seiner einst erlittenen Leiden wiederholen kann. Einmal
werden diese Leiden den Triumph und den Sieg seiner Kirche herbeiführen. –
620 |
Ich bin und
fühle mich wie ein Felsen im Meer. Die Wogen und Stürme dringen an den unteren
Teil meiner Seele heran und möchten den Felsen, den Glauben an Jesus Absichten,
brechen und zerstören. Aber diese Stürme dringen nicht hinauf in die oberen
Teile meines geistigen Seins; dort herrscht ständig Ruhe und Friede. – Dort
oben, wo gleichsam der Gipfel meiner Seele ständig vom Lichte von oben
beleuchtet wird, dort oben ist alles wie „unerschütterlich“ fest begründet und
liegt alles wie im ewigen Sonnenschein. Die Leiden im unteren Teil meiner Seele
können meine körperlichen Kräfte erschüttern, wie das Wasser eindringen könnte
in die Ritzen des Felsens, aber durch die „Sonne von oben“ werden auch die
Schäden meiner körperlichen Schwäche aufgesaugt und ausgebessert werden. Und
wenn man immer wieder die Möglichkeit aufwirft, der böse Feind könne der
Urheber meines Seelenlebens sein, so stört doch nichts die unerschütterliche
Ruhe in der Spitze meiner Seele. Dort leben Kräfte, die nie zerstört oder auch
nur angetastet werden können. Dies ist das große Geheimnis, das Jesus in mir
aufgerichtet hat. Ich kann eben nicht anders im höchsten Teil meines Seins als
„stark“ sein. Und diese Kraft und Stärke kann manchmal so groß sein, dass meine
schwache Natur darunter leidet im Drang, sich diesem höchsten Erleben ganz zur
Verfügung zu stellen.
621 |
Ich bin wohl
sehr im Leiden, kann aber nicht anders als ruhig sein. Ich bin von allem
Geschöpflichen getrennt, in eine geistige „Verlassenheit“ und Einsamkeit
versenkt, die man in Worten nicht erklären kann. – „Ganz rein, frei von sich,
ohne Ich“ eingehen in das Innere Jesu! – Und dieses Innere Jesu ist ein
„bestehendes Dunkel“, das mit den Augen der Seele nicht mehr erfasst werden
kann. – Das Ziel verschwindet gleichsam, während der Weg dahin durchbrochen und
durchlitten werden muss. –
622 |
Warum führte
mich der Heiland so geheimnisvolle Wege, wo man, menschlich gesprochen, immer
allein sein wird, wo niemand mehr herankann, nie betretene Wege, wo eigentlich
kein Führer mehr Aufschluss geben kann? – Und ich muss mitgehen; eine
geheimnisvolle Macht nimmt mich mit sich und wenn ich allen ein Rätsel bin. –
623 |
Ich glaube,
ich bin fähig, die Aufopferung zu machen; ich bin innerlich frei von mir; die
„Wand“ ist durchbrochen, die mich vom inneren Sein Jesu noch zu trennen schien.
624 |
Alles in mir
ist Freiheit, Freiheit in Jesus, keine Hemmung meinerseits. – Ich bin ruhig und
kann mich bei mir nicht mehr aufhalten, weil es in mir kein „bei mir“ gibt;
alles ist in das „sein des Heilandes“ übergegangen. –
625 |
Es war mir
doch bange vor dem entscheidenden Schritt, mich so ganz zu verkaufen und zu
verlieren an den Heiland. Wie kann man da in diesem Augenblick noch an Fäden
hängen, die einen noch am alten, bösen „Ich“ gefesselt halten? Auch diese
müssen zerschnitten werden, wenn das Herz auch darob zu brechen scheint. Das
sind heilsame Schmerzen, die ein neues Leben in Gott (in Christus)
hervorbringen.
626 |
Auch die
Bangigkeit vor der Zukunft möchte sich heranschleichen, die Furcht oder
vielmehr die lächerliche Unmöglichkeit, selbst etwas mit meinen kleinen Sorgen
tun oder wissen zu wollen und damit dem Heiland erweisen zu können. Weil ich
weiß, jetzt macht er alles selbst, kümmert es mich nicht oder ich kann mich
nicht mehr kümmern, was seine Absichten angeht in mir oder was seine Sache
betrifft. Ich bin mir verloren für immer. –
627 |
Gewiss hatte
sich in mir schon allmählich der Tausch vollzogen. Sein Inneres nimmt ja schon
meinen einstigen „Ich-Platz“ ein. – Jetzt bin ich ganz in seine Ruhe und
Freiheit eingegangen. Meine Geisteskräfte sind durch die inneren Leiden wie aufgelöst
und mit den seinen vereinigt und nun zu einem „neuen“ leidensfähigen sein und
zu neuer geistiger Lebensmöglichkeit erstanden. Ein innerer Vorgang jahrelanger
Entwicklung, um dem Heiland eine neue geistige Leidensfähigkeit zu schaffen,
hat einen gewissen Abschluss erreicht. – Alles in mir ist Harmonie, wie im
höchsten Teil meines Seins festgelegt. –
628 |
Bei der
heiligen Messe wollte ich zum gleichen Leben mit dem Heiland erstehen, wie es
sich vollzieht in der heiligen Hostie, die ganz „er“ wird, nur mit dem
Unterschied, dass dieses neue Leben bestimmt sein soll für immer, zeit meines
Lebens, als sein leidensfähiges sein zu bestehen. Ich bin die Hostie, die er
für „sich“ gebraucht und brauchen will und die sich brauchen und verbrauchen
lassen will für seine Absichten.
629 |
Nach der
heiligen Kommunion – am Grabe des heiligen Petrus – habe ich die Aufopferung
gemacht in nachstehenden Worten, um eben dem inneren Akt eine äußere Form zu
geben:
630 |
„Mein Jesus,
durch und in Maria, meinem himmlischen Mütterchen, weihe ich mich ganz und
unwiderruflich dem inneren sein deines Herzens, um es zu erfahren und zu
erleben, vom Geiste deines Herzens geführt und geleitet. Mit deiner Gnade und
nach deinem Willen verspreche ich dir, immer unbedingt an diese meine geistige
Aufgabe zu glauben und deshalb zu glauben, dass von dir kommt, was ich dort
geistig erlebe.
631 |
Ich
verspreche dir auch, nie mehr zu mir zurückzukehren, sondern immer mehr hinein
genommen werden zu wollen ihn das Innere deines heiligsten Herzens, mein
Genügen und alles zu haben an dem, womit du in deinem Leben zufrieden warst, o
mein Jesus!“
632 |
Das innere
Wissen geht tief hinein in das „Erfasst-haben“ Jesu, in ein vollständiges
Übergehen in dieses innere Erfassen und Erleben. – Dort, tief im Herzen Jesu
ist alles begründet, wo es keine Worte mehr gibt, wo die Geister sich verstehen
und ineinanderfließen.
633 |
Jetzt bin ich
ruhig und einfach; ein „neuer Raum“ ist in meinem höchsten, geistigen sein
entstanden, der heute noch „leer“ ist, aber einmal dem inneren Erlösungsleiden
dienen wird. –
634 |
Nach der
heiligen Kommunion erlebte ich heute die Folgen der gestrigen Aufopferung. Ich
bin eingegangen in das Innere des Herzens Jesu, das er mir eröffnet hat als
mein eigentliches sein. Ich habe kein Wort, um das Erlebte zu erklären, aber es
wird immer so bleiben: Hier werde ich bleiben, um sein Inneres erfahren zu
können. – Hier spricht man kein Wort mehr, sondern man versteht sich von Herz
zu Herz. –
635 |
Ich habe in
mir den unbedingten Glauben, dass es das Herz Jesu ist, was ich lebe; ich will
und muss glauben, was ich in diesem Herzen erlebe. Es sind keine Gefühle,
sondern unbedingte Seins-Wirklichkeit. –
636 |
Jetzt hat
Jesus die Bitte wahr gemacht, die ich schon in jungen Jahren so oft an ihn
richtete: „Ich will dich mit deiner Liebe lieben; lass mich „du“ werden, damit
dich als „du“ dich lieben kann; dann bist du wirklich so geliebt von mir, so
vollkommen, wie ich es wünsche.“ (möchte.) [sic!]
637 |
Aber es gehen
schon wieder die inneren Läuterungsleiden weiter. „Ich muss glauben, was mir
Jesus in seinem Herzen als seinen Willen zeigt.“ –
638 |
Alles ist
Bereitschaft und Freiheit, so wie Jesus gegenüber seinem himmlischen Vater war.
– In mir gibt es kein „bei mir“ oder „in mir sein“. Alles ist „in ihm“
geworden, alles ist in „ihm“ übergegangen.
639 |
Die inneren
Läuterungsleiden gehen weiter; zugleich entwickelt sich auch mein seelischer
Zustand weiter. Ich habe innerlich das innere sein des Heilandes, sein Herz,
erreicht und erfasst, bin eingegangen in sein Inneres. Im höchsten Teil meiner
Seele, wo alles nur Geistigkeit ist, da ist dieses innere sein entwickelt und
als dauernde Wirklichkeit begründet. Alle Kräfte der unteren Seelenfähigkeiten
drängen nach oben in ihrer Bestimmung, sich dem höheren sein einzugliedern und
das obere gnadenvolle Geschehen zur Vollendung zu bringen.
640 |
Heute früh
ging eine weitere Entwicklung vor sich in diesem höchsten Seelenleben, indem
ihr das Innere Jesu gegeben wurde: Es ging in das „Ich-Sein Jesu“ über. Nach
der heiligen Kommunion bin ich in mystischer Weise „er“ geworden; sein inneres
sein wiederholt sich in mir in einem neuen Entwicklungsvorgang. Ich erlebe dies
klar: Nein, ich bin es. Der Glaube ist mir mit dem inneren Wissen um seine
Absichten gegeben. Jesus will es so: Sein inneres personhaftes Ich soll sich
wiederholen, um dieses Sein einst wirkliches „Ich“ wiederholend zeigen zu
können. Ich lebe im Voraus das Ziel seiner Absichten: alles für die Kirche. Aus
seinem einstigen „Ich“ ging die Erlösung hervor; aus dem Innersten jetzt noch
verborgenen „Ich“ geht die Erneuerung der Kirche hervor. –
641 |
Ich kann mich
nicht wehren gegen diese unglaubliche Gnade; sie ist mir gnadenvoll gegeben. Ich
kann nur erklären, wie ich es innerlich empfinde. – Eigentlich dauert die
Entwicklungszeit hierfür mein ganzes bisheriges Leben; alles wurde auf dieses
höchste Ziel hingeordnet, in dem [mich] der Heiland seine Absichten bezüglich
der Kirche begründet schauen ließ. Und doch ist alles wieder eine in mystischer
Art gegebene Gnade.
642 |
Im höchsten
Teil meiner Seele, wo sich das „Ich-sein“ Jesu vollzogen hat, erlebe ich, wie
durch einen Schleier getrennt, den Vater. Dort oben war Jesus ständig mit
seinem Vater in Verbindung. Der Vater lächelt mir gleichsam zu. – In Christus
erlöst und geheiligt und in ihm zur Vollendung gelangt, wird man in ähnlicher
Weise „ein Kind dieses Vaters“ – geht man ein in den Vater.
643 |
Ich erlebe:
Der Vater will in jedem Priester in ähnlicher Weise seinen Sohn wiederfinden:
So viele Priester, so viele Christus, und derentwegen wird dem Vater unendliche
Freude, Ehre und Verherrlichung [zuteil], gießt er „neu“ seine Vaterliebe über
die Menschheit aus.
644 |
Die inneren
Läuterungsleiden dauern an, doch dringen sie nicht hinauf in den höchsten Teil
meines Seins, wo sich Jesu Ich-sein weiter ausbildet. Das Wissen um „mein Ich“
hat sich verloren; an dessen Sein ist das innere Sein Jesu getreten, das sich
immer mehr ausprägt: sein „Ich-sein“ vor dem Vater innerlich zu erleben, damit
sich Jesu innere Menschheit in mir durch eine besondere Gnade nach seinen
Absichten ausbilde. Ich lebe dieses Leben der Reinheit, der Freiheit, wie es
sich durch die jahrelangen Vorbereitungsleiden entwickelt hat. Ich bin als
„Jesu Sein“ vor dem Vater wie in seiner geistigen Persönlichkeit. Ich bin wie
er. Es ist mir gegeben, ich habe nichts dazu getan, ich konnte nichts tun als
mich blind von der Gnade führen zu lassen. Und jetzt ist das Ziel Wirklichkeit
geworden, das mir der Heiland jahrelang gezeigt hat: ihn erleben, sein
innerstes Ich erleben, damit sein innerstes Erlöserleben bekannt werde. –
Ich-Jesus ist frei von jeder geschöpflichen Unordnung; durch eine wundersame
Harmonie ist geordnet das Verhältnis zwischen Leib und Seele, deren höchsten
Abschluss die Gottheit bildet und alles ist in einem sein zusammengeschlossen.
645 |
Meine
Menschheit ist die Trägerin dieses Geheimnisses, ein vergeistigtes,
leidensfähiges Wesen, eingeordnet und untergeordnet in die Gott-Seele Christi.
– Wenn ich diese Harmonie in mir erlebe, begreife ich, wie schon dieses
Verhältnis, nämlich Gott-Seele-Leib Christi, dem Vater ein Gegenstand
unendlichen Wohlgefallens war. Schon dieser Grad der Herablassung der zweiten
göttlichen Person hätte reichlich genügt, um der sündigen Menschheit
Barmherzigkeit zu erlangen und zu schenken. Man erfährt ja zugleich die
unendliche Größe Gottes bzw. der zweiten göttlichen Person, die in Ihrer
unbegrenzten Freiheit des Willens und jeder Regung einen begrenzten Menschenleib
annahm und sich dessen Gesetzen und den Gesetzen der Menschheit unterordnen,
und davon leiten lassen wollte. In diesem Erleben bin ich oder ist Jesus der
Gegenstand der entzückenden Liebe des Vaters, durch die Gottheit ständig in
unzertrennlicher Liebe verbunden. Der Vater ist wie die Sonne, die sich wie im
Spiegel sieht und wiederfindet, obwohl der Sohn durch die freiwillige
Selbsterniedrigung aus Liebe zum Vater diesem untergeordnet ist und scheint.
„Ich und der Vater sind eins“. Voll der Freude und des Entzückens im Schauen
des Sohnes in dieser begrenzten Menschheit ist der Vater bereit, im Sohne alle
Menschen wieder als Kinder anzuerkennen. Der Vater hat im Sohne den Menschen
hochgeschätzt, der einst aus seiner Schöpferhand hervorging, als der Vater sie
erschaffen hat „und es war gut“. – Ich sehe die hohe Bestimmung des Menschen.
646 |
Durch die
Menschwerdung scheint sich die Ehre, Freude und Liebe des Vaters im Schauen des
Sohnes noch zu erhöhen, weil die zweite göttliche Person im Begriff war, die
Liebe des Vaters zu verkünden und sich schauen zu lassen. Maria hat dieses
göttliche Gefäß, die Liebe und Freude des Vaters in sich getragen; sie war
auserwählt, dem Sohn Gottes die menschliche Begrenztheit zu bieten, das Mittel,
wodurch sich der Vater im Sohn offenbaren konnte.
647 |
Es ist mir
eine Überwindung, diese inneren Erlebnisse zu schreiben, aber ich wurde auf
Maria hingewiesen. Ich soll in dem, was die Gnaden des inneren Berufes
betrifft, von ihr ausgehen und wieder zurückkehren, in ihr mein Vorbild finden,
in ihr und ihrer Einfachheit bleiben. Der Vater hat dir den Sohn anvertraut;
Jesus hat sich ganz Maria anvertraut. –
648 |
Für mich
persönlich ist dieses innere Schauen, Erleben des Verhältnisses zwischen dem
Vater und dem Sohn wie eine Art „Bestätigung des wirklichen Daseins Gottes“.
Der Glaube wird damit „gelebt-erlebt“. –
649 |
Ich will
glauben, was ich „als Jesus“ erlebe; ich erlebe es als er-ich. Ich bin
hineingezogen in das Ich-Sein Christi. –
650 |
Gestern, und
in der vergangenen Nacht war ich in schweren Läuterungsleiden. Der untere Teil
in mir wird vom oberen „Jesus-sein“ ständig vernichtet. –
651 |
Jetzt bin ich
ruhig, bin ganz Geist in Jesus. Ich sehe und erlebe die „Seele“ nach der
Bestimmung Gottes.
652 |
Die Seele des
Menschen, ein Ebenbild Gottes, ein Anteil vom Geist Gottes, ganz Geist, fähig
„Gott aufzunehmen und zu erfassen“ wurde durch die freie Willensentscheidung
des Menschen bei der ersten Sünde von Gott getrennt, in die Materie
heruntergezogen und in diese eingehüllt. Vor der Sünde hatte die Seele ständig
Zutritt zu Gott, war sie frei und diese Freiheit gab ihr etwas Erhabenes, einen
Anteil an der unendlichen Freiheit Gottes. Das Höchste, was Gott der Seele gab,
war die Freiheit in sich selbst, die Freiheit und die Bestimmungen jederzeit
sich zu Gott zu bewegen. Durch die erste Sünde ging diese „Freiheit“ verloren,
die Freiheit „zu Gott“ und die Freiheit in sich selbst. Die Seele wurde in etwa
von dem beherrscht, was sie durch die Sünde begehrte; sie verlor sich selber
und wurde fortan vom niederen Menschlichen, von der Materie beherrscht. Die
Verbindung zwischen Gott und der Seele war durchbrochen und zerstört. Kein
Mensch, keine Seele konnte zu Gott gelangen, mit Gott vereinigt werden, wie es
eben die Bestimmung des Menschen war. Wenn Gott auch die Väter des Alten Bundes
an sich heranzog, und sich ihnen offenbarte, so war doch die ursprüngliche
Verbindung mit Gott und die Anteilnahme an ihm nicht möglich. –
653 |
Bei MARIA
machte Gott eine Ausnahme; im ersten Augenblick ihres Daseins gab ihr Gott jene
Seele, wie sie ursprünglich aus der Schöpferhand hervorging, voll Freiheit zu
Gott und Freiheit in sich selbst, um sich für Gott zu erweitern und sich noch
höher zu entwickeln zu einem höheren und vollkommenen Ebenbild Gottes; es wäre
ja eines Gottessohnes unwürdig, aus einem durch die Sünde erniedrigten
Geschöpfe hervorzugehen.
654 |
Der Heiland,
der Gottmensch, stellte durch die Annahme der menschlichen Natur die Verbindung
zwischen Gottheit und Menschheit wieder her. Die zweite göttliche Person
verband sich mit der reinen Menschheit in Maria; die Gottheit nahm die
Menschheit wieder in sich auf und die Verbindung war da.
655 |
Die vom Vater
geschaffene Seele Jesu war entsprechend befähigt, die Gottheit in sich zu
tragen. Im höchsten Teil der Seele Jesu, in der Geist-Seele, wohnte die
Gottheit. Leib und Seele wurden vom göttlichen „Ich“ beherrscht. Jesus hatte
eine ähnliche Menschenseele wie wir, ähnlich wie die Menschenseele zuerst von
Gott geschaffen wurde, aber mit der höchsten Entwicklungsmöglichkeit.
656 |
Ich erlebte
verschiedene Stufen und Entwicklungsanlagen in meiner Seele. – Für gewöhnlich
spürt man die Seele nicht; sie ist der Materie verborgen und die meisten
Menschen werden sich ihrer Seele erst nach der Trennung von der Materie nach
dem Tode bewusst. – Es kann aber in diesem Leben schon zu einer gewissen
Scheidung kommen zwischen Leib und Seele. Diese wird ermöglicht durch das
Gegenteil oder die entgegengesetzten Akte von dem, wodurch der erste Mensch die
„Seele“ in sich verloren hat. Die Sünde ist eine Befriedigung der niederen
Naturanlage und das der Sünde entgegengesetzte Heilmittel ist Aszese oder
Leiden (Abtötung, Selbstverleugnung usw.). Dadurch muss die Seele wieder von
der Materie getrennt und losgelöst werden. Kraft der Erlösungsgnaden Christi
(Sakramente, Gebet) vollzieht sich durch das Leiden (in der oben genannten Art)
eine gewisse Reinigung der niederen Naturanlage und das Erheben der Seele zu
Gott. Ohne Leiden, das der Sünde entgegengesetzte Mittel, kann der Mensch seine
Seele nimmer für sich erlangen.
657 |
Die niedere
Lage oder den unteren Teil der Seele erlebte ich als sinnlich-gefühlig; man
nimmt da die Seele noch durch die Sinne wahr. In einer vorgeschrittenen Art ist
die Seele geistig-fühlbar; man erlebt sie als Geist, aber man erlebt sie noch.
Im höchsten Teil ist die Seele vorhanden ganz als Geist, als wenn sie nicht da
wäre (für das Gefühl) und doch ist sie (rein geistig) umso sicherer erlebt. Sie
ist schon vollständig frei in sich geworden. – Ich habe diese verschiedenen
Erfassungsmöglichkeiten der eigenen Seele und deren Loslösung vom Körperlichen
in folgender Weise erlebt: Durch viele von Gott bewirkte Leiden macht sich die
Seele, durch die göttliche Gnade (Sakramente usw.) gestärkt, von der Materie
los, rafft sich gleichsam auf, wird sich ihres Rechtes bewusst, wird „in sich
frei“ gemacht. Gott zieht in besonderen Gnadenzeiten durch sein Einströmen die
Seele gleichsam noch mehr aus dem Materiellen heraus; in solchen Zeiten wird
die Seele in sich und für Gott freigemacht und hat sie zum Teil ihre eigene
Freiheit wiedererlangt. Sie wird sich ihrer höchsten Bestimmung bewusst und für
diese freigelegt. Hat die Seele durch die Gnade solche Freiheit erlangt, so
erstarkt sie, steigt über die ihr noch eigenen Hindernisse hinaus, wird
„geistig“ oder besser gesagt, es kommen ihre geistigen Eigenheiten zum
Durchbruch, die im Stande sind, alles Materielle zu überwinden. Auf dieser
höheren Entwicklungsstufe erlebt oder erfährt man die Seele als Geist, der die
Kraft hat, alle unter ihr liegende Materie zu beherrschen und zu überwinden.
Sie wird gleichsam zur Herrin im eigenen Hause und steht über allem als der
herrschende Geist. Wie ungehindert kann sie nach ihrer ersten Bestimmung zu
Gott gelangen. –
658 |
Auf der
früheren Stufe kommt Gott zur Seele, hebt sie aus sich heraus, vereinigt sich
mit ihr; die Seele erlebt ihre Freiheit in sich selbst. Auf der zweiten Stufe
kann und will sich die Seele zu Gott erheben; sie ist ihrer ersten Bestimmung
wieder innegeworden, erlebt ihre „Freiheit zu Gott“. Die Vergeistigung der
Seele schreitet dann fort durch eine noch höhere Absonderung vom
Geschöpflichen, Sinnfälligen, Sterblichen. Sie muss gänzlich heraus aus dem
Sterblichen, muss in sich ein dauerndes, geistiges Reich begründen. Sie steigt
vollständig empor über das Materielle, steigt gleichsam über sich selbst, über
ihre niederen Fähigkeiten hinaus. Die rein geistigen, wie keimhaft veranlagten
Eigenheiten kommen zur höchsten Entwicklung. Nachdem die Seele in dieser
Entwicklung gleichsam über sich selbst hinaus gestiegen ist, gelangen sie auf
eine gewisse „geistige Ebene“, wo der höchste geistige Teil wie vollständig zur
Ruhe kommt und die Geistseele ihrer Bestimmung nach ohne Bemühen in vollem
Frieden wieder zu Gott einmündet. –
659 |
Auf dieser
höchsten geistigen Stufenfolge ist die Seele fähig Gott gleichsam ständig in
sich zu tragen, weil ihre Geistigkeit dem Geiste Gottes schon irgendwie
angepasst ist. Gott ist ein Geist und kann sich der Materie nicht voll
mitteilen, weil diese die göttliche Geistigkeit nicht zu ertragen vermöchte und
durch sie wie vernichtet würde. Darum kommen auf diesen höheren Stufen der
Vergeistigung die unaussprechlichen Vernichtungsleiden. Der göttliche Geist
überstrahlt die Seele ständig in einem entweder dunklen oder auch klaren
Wissen, vernichtet sie gleichsam und löst sie in sich vollständig auf; so
werden die schlummernden Geisteskräfte für Gott aufnahmefähig gemacht, geweckt
und enthüllt. –
660 |
Nach meiner
Erfahrung hat die Seele in sich die schon gegebene (und dem Maße der von Gott
vorgesehenen Gnadenzuteilung entsprechende) Möglichkeit, Gott schon in diesem
Leben zu ertragen und zu erleben, nachdem sie auf dieser höchsten geistigen
Ebene angelangt und die entsprechende Geistlichkeit wiederhergestellt ist, die
durch die Erbsünde verloren ging. Gott kommt eben der Seele durch viele,
gewiss, unsagbare Leiden entgegen; diese schaffen, zusammen mit der Gnade und
der eigenen Mitwirkung, in der Seele die Möglichkeit oder sind das Mittel, um
das Erbsündliche, das niedere Menschliche in sich mehr oder weniger
vollständiger zu überwinden und die einst geschaffene und keimhaft vorhandene
Geistigkeit der Seele wieder zurückzugewinnen.
661 |
In MARIA sah
ich das anders. Sie war zutiefst miteinbezogen in den Erlösungsplan Gottes,
weil die zweite göttliche Person aus ihr Mensch werden wollte. Maria hat darum
diese infolge der Erbsünde „in sich verlorene“ Seele nie gehabt. Da sie von der
Erbsünde frei blieb, war auch ihre Seele vom ersten Augenblick ihres Bestandes
an „frei in sich“; sie brauchte nicht erst durch schwere Läuterung vom
Materiellen freigemacht zu werden. Darum war sich Maria vom ersten Anfang an
ihrer Seele „bewusst“. Sie erlebte aber ständig eine Erweiterung und
Vergeistigung im Hinblick auf ihre allerhöchste Auserwählung. Die Seele Mariens
war nicht sogleich fähig, die „Mutter eines Gottes“ zu werden. Sie brauchte
eine geistige Anpassung, die grundlegend in ihrer Seele zwar schon vorhanden
war, aber gleichsam erst ausgebaut werden musste. Doch waren zu diesem Zweck
bei ihr keine eigentlichen, auf dieses Ziel hingeordnete Leiden notwendig, weil
die geschöpfliche, durch die Sünde verursachte Unordnung in ihr nie vorhanden
war. Ihre Seele erhob sich vom ersten Anfang an frei zu Gott und entsprechend
fand ihre geistige Entwicklung statt bis zur höchsten Vergeistigung, in der
ihre Seele einmündete in Gott und der Heilige Geist sie sich angepasst fand, um
das Wunder der Menschwerdung Jesu in ihr zu wirken. Diese Vorbereitung dauerte
für Maria unbewusst. Ohne diese Vorbereitung aber hätte ihre Seelen nicht die
Fähigkeit gehabt, weder die Gottheit Christi in sich aufzunehmen noch die
Einwirkung des Heiligen Geistes zu erfahren.
662 |
Die Seele
Jesu wurde vom Vater entsprechend geschaffen, um vom ersten Anfang ihres
Bestandes an die Gottheit in sich zu tragen. Der Leib Jesu ist durch die
Einwirkung des Heiligen Geistes in Maria „geworden“ und gewachsen nach den
Naturgesetzen. –
663 |
Heute, bei
der heiligen Kommunion, erlebte ich wieder klar die in die Menschenseele
hineingelegte letzte Möglichkeit und höchste Bestimmung, durch Gottes freie
Gnadenzuteilung „Gott“ in sich ertragen zu können, wenn die Seele das Höchstmaß
ihrer Vergeistigung erlangt hat, aber nur auf diesem Wege. In diesem Zustand
hat die Seele die Fähigkeit, Gott zu erfahren und zu erleben.
664 |
Weil es der
menschliche Verstand nie erfassen kann, wurde mir heute wieder „wie
eingegossen“ (ähnlich den eingegossenen gaben des Heiligen Geistes) der Glaube
an meine Aufgabe: Jesu „Ich“ als mein Ich in mir zu erleben, in sein „inneres
Person-sein“ einzugehen. Gewiss, die „Person Christi“ als solche wird und kann
sich nie wiederholen, aber das innere Erleben von Jesu „Ich“ kann nach seinen
Absichten durch eine besondere Gnade „wiederholend erlebt“ werden.
665 |
Die geistige
Entwicklung auf diesem Weg und in dieser Art schreitet fort, ist mir „gegeben“.
–
666 |
Ich bin in
einem geistigen Übergangszustand, um ein tieferes „sein“ in Jesus zu erlangen.
Ich kann nichts dazu tun zu allem, sondern es nur geschehen lassen in mir. Hie
und da erlebe ich geistig eine „Veränderung“, ein „Hineinbewegen“ in Jesus.
Danach würde ich übergehen in das „sein des Gottmenschen“, dieses innere
Geheimnis erlebend, in diesen Zustand aufgenommen werdend.
667 |
Alles ist
Geist in mir. Der frühere erreichte Zustand bleibt, wenn auch scheinbar ohne
Betätigung. Jener Zustand im obersten Teil meiner Seele, wo ich mit Jesus seine
Gottheit erfasst habe und wo diese mit dem Vater verbunden hat: Jener Zustand
scheint „herunterzusteigen“ in mir, die niederen Seelenfähigkeiten anzufüllen
und mich ganz zu durchdringen. –
668 |
Dementsprechend
vollzieht sich auch durch eine gewisse geistige Läuterung das gänzliche
„Leerwerden“ von mir selbst in einer noch höheren Art, die dem menschlichen
Ausdruck und Erklärung ist. Man erlebt ein höheres „Verlieren“ seiner selbst,
ohne dass man dafür ein Wort hat, weil der ganze gnadenreiche innere Vorgang
für die Seele selbst ein Geheimnis ist. –
669 |
Fühlbar
erlebt bleibt die volle Bereitschaft, die immer tiefer sich auswirkt: seinem
eigenen „Leben“ gänzlich zu entsagen und ein anderes Leben, das des
Gottmenschen, in sich aufzunehmen, vom eigenen sein in ein anderes sein
übergehen zu wollen. –
670 |
Es kommt zu
einer immer vollkommeneren und vollendeteren Scheidung in mir. Wenn ich auch in
den früher erlebten Stufen glaubte, Jesu Leben bis zur höchstmöglichen Grenze
in mich aufgenommen zu haben, so sehe ich jetzt ein, wie mein sein noch
vorhanden, mit dem Sein Jesu vermengt war, um doch einen Bestand bilden zu
können. Jetzt kommt es zu einer höheren Art der Scheidung in mir, die mich
befähigen soll, den Heiland in einer „reineren Art“, frei von mir, ertragen zu
können. –
671 |
Bei aller
Passivität bleibt doch das eigene Wollen, das tiefere Eingehen-wollen in Jesu
Absichten bestehen. Während ich früher durch den göttlichen Besitz Jesu den
Vater von den höchsten, geistigen Seelenfähigkeiten aus – über diese
hinübergehend und hinüberreichend zum Vater – erlebte und erfasste, scheint
sich jetzt das Erfassen des Vaters als „in mir“ zu entwickeln, noch tiefer
gehend, mich durchdringend.
672 |
Ich leide
heute sehr. Ich bin ohne Halt, ohne Existenz, ohne „ich“. Alles ist nichts und
wie nicht in mir. Und dieses unaussprechliche „Allein-sein“, wofür man kein
Wort hat. Nachmittags meinte ich, es gehe nimmer, so ständig in ein „Nichts“
hineinleiden. Alles schien so ungewiss. Vom äußeren Werk ist noch kein Zeichen
zu sehen; lauter scheinbare Misserfolge.
673 |
Was habe ich
in den letzten Wochen des Werkes wegen gelitten, von allen Menschen verlassen!
Dieses Verlassen-werden von jeder äußeren Hilfe muss Schritt für Schritt
innerlich bitterlich durchlitten werden. – Wie hat mich der Heiland so
furchtbar „allein“ gemacht und allein gelassen! Und dazu kommt dann noch das
Heimweh. – Und dann das innere Vorauswissen um das innere Opfer; das Totleiden
bis ins letzte, wo der menschliche Ausdruck versagt, wo man ganz in eine
Geisteswelt eingegangen ist! Ich kenne ja Jesu innere Leiden, dieses ständige
Erlösersein in der tiefsten Auswirkung, weil ja mein ganzes Inneres durch die
Vorbereitungsleiden darauf hingeordnet wird. Darum kam ich am Nachmittag in ein
unaussprechliches Widerstreben dagegen: Immer leiden, immer leiden und so
allein; kein Mensch, kein Trost kann mehr an mich heran. Ich kenne ja den
Heiland.
674 |
Mitten in
diesem Kampf aber wollte er meinen freien Willen entscheiden lassen.
(Überhaupt: Wenn man gewöhnlich annimmt, der eigene Wille sei wie aufgehoben,
so ist dem doch nicht so.) Je höher man innerlich voranschreitet, desto freier
scheint mir die Willensentscheidung zu werden; man kommt in die klar erkannte
Lage, wo man ein freies 'Ja' sprechen kann. – So auch heute: „bis ins Höchstmögliche
auf mich für immer verzichten und dafür ihn gewinnen können; damit gewiss
hienieden ein Leben unaussprechlicher Leiden, das sein Leben ist, aber dafür
'ihn' haben [und] mit ihm alles, was er als Gottmensch an Gütern und
Liebenswürdigkeit in sich schließt; ihn ganz in mich aufnehmen und alles mit
ihm wagen“: ob ich wolle? – Ja, ich will dich, ich will dich ganz, wie du bist,
in deinem ganzen Sein; ich will „du“ werden. – Jenes Verlangen hast du mir
schon von Jugend auf eingeflößt. Ich will „du“ werden, weil ich dann in dem
Maße dich besitzen kann, wie es mein innerstes Verlangen ist; weil ich dich in
dieser Weise auf die tiefste Art besitzen kann. – Ich will auf alles
verzichten, um „dich“ zu erleben und zu erfahren und zu erfassen, weil du alles
bist! –
675 |
Aber meine
arme Nichtigkeit! Ist dir diese kein Hindernis? Wenn ich mich ständig so in
meiner abgrundtiefen Nichtigkeit schauen muss, nichts, lauter nichts in mir, so
scheint mir, ich kann gar nicht leben, meine Nichtigkeit erdrückt mich. – Und doch
muss ich sie immer sehen, nein erfahren, erleben, durchtränkt sein von ihr. –
Aber noch größer als diese ist doch die Glut und das Verlangen in mir, in ein
Nichts aufgelöst zu werden, damit an dessen Stelle „dein volles Sein“ erstehe,
unbehindert von mir; denn nur das, was noch von mir kommt, ist deinem vollen
Sein hinderlich. Ich will für mich nimmer sein, weil ich nichts so hasse als
mich, und weil ich nichts so herbeisehnen und herableiden möchte, wie dein
„Ich“ an meiner Stelle, damit erfüllt werde, was du damit erreichen willst,
damit du deine Absichten erfüllt siehst für deine Kirche. „Alles für meine
Kirche „, das sehe ich als dein höchstes Verlangen.
676 |
Heute Morgen
bin ich ruhig, obwohl die inneren Vernichtungsleiden andauern. Ich bin wie ein
„leerer Geist“, der nirgends Anlehnung und Stütze findet. Ich habe alles
verloren in mir: es gibt kein „in mir“ oder „bei mir“. – Desgleichen scheint
auch das in früheren Stufen schon erreichte Ziel des „Seins als Jesus“ wie
nicht vorhanden. Alles Leere und Nichts. – Und doch finde ich eine gewisse
Befriedigung darin, weil dies der tiefste Drang in mir ist: Auflösung,
Vernichtung meines ganzen Seins, um ganz „er“ zu werden. –
677 |
Täglich
sterben! Sterben für sich, bis in das tiefste eigene Leben und Sein. Und dieses
Sterben geht mit großen Leiden vor sich. Dort, wo man sich nimmer vorhanden
glaubt, sich selber ganz versteckt, muss Jesus immer noch eigenes Tun finden. –
Und wo noch eigene Tätigkeit herrscht, muss alles ausgelöscht und ertötet werden.
–
678 |
In diesem
inneren Todleiden erlebt man die nie zu erreichende Höhe der Seele, die nicht
von den Folgen der Erbsünde berührt wurde: Jene Reinheit und Freiheit von sich,
wie sie sich in Maria fand, ein ganz auf Gott hin gerichtetes Leben, frei von jeder
Ichsucht und von der eigenen Ichgebundenheit.
679 |
Man erlebt
damit zugleich die ebenmäßige Angleichung, die Jesus bei seiner Menschwerdung
in Maria vorfand: Jene heilige Harmonie, die Maria befähigte, den Gottmenschen
in sich zu tragen, und jene heilige Unterordnung ihrer eigenen Fähigkeiten
unter die ihres göttlichen Sohnes. In diesem Erfahren erlebt man die
Erhabenheit Mariens, ihre wunderbare Auserwählung, ihre eigene Zugabe zum
Erlöser. Jesus hat ihre heilige Menschheit für die seine gebraucht und damit
jene ihre heiligen mütterlichen Anlagen in sich aufgenommen und für sich
gebraucht. Und Maria gab sich ihrem Kinde mit den wunderbaren Schätzen ihrer
heiligen Menschheit, die sie von Gott empfangen und durch ihre eigene Hingabe
und Bereitschaft noch entwickelt und erhöht hatte. –
680 |
Zugleich
erlebe ich auch die Grundlage aller Leiden des Erlöserlebens Jesu: Der Sohn
Gottes lebte in der Herrlichkeit seines Vaters. Dadurch, dass er Mensch wurde,
hat er allem entsagt und hat sich den engen Gesetzen der Menschheit
untergeordnet. Seine Gott-Seele fand in Maria jene entsprechende, ihm ähnliche
Angleichung, einigermaßen doch eine Entschädigung. [sic!] Doch schon in der
Menschwerdung an sich lag eine unaussprechliche Verdemütigung. – „du hast, um
uns zu erlösen, den Schoß der Jungfrau nicht gescheut“. – In diesen Worten
erlebte ich die unendliche Herablassung des Gottessohnes im Geheimnis seiner
Menschwerdung. Jesus fühlte die ärgste Verdemütigung nicht bloß hinsichtlich
des Leibes, sondern auch in der geistigen Auswirkung, weil er in seiner
göttlichen Freiheit sich dem menschlichen Sinnen unterordnete und dadurch in
geistige Gebundenheit sich begab. – Dieses Leiden Jesu war entgegengesetzt der
Ungebundenheit der menschlichen Freiheit, dem Selbstleben und Selbstbesitzen
der gefallenen Menschheit. Die verschiedenartigen Auswirkungen des Wortes der
Schlange im Paradies: „Ihr werdet sein wie Götter“, hat Jesus durch seine
göttliche Unterordnung unter die Gesetze der Menschheit gesühnt (der eigenen,
wie der gefallenen Menschheit, weil er in allem ihr überantwortet war). „er
trug, d. h. er trug sie, er, der ganz Reine, und unterwarf sich der gefallenen
Menschheit“[sic!]. Er litt vom ersten Augenblick seines menschlichen Daseins an
unter dieser Verdemütigung, die ihn äußerlich sowie seinen geistig-seelischen
Fähigkeiten nach einem „Menschen“ ähnlich machte. –
681 |
Wenn man den
lieben Heiland so erlebt in seiner nackten Menschheit, und wenn man all den
menschlichen Hochmut und die Selbstanmaßung gegenübergestellt schaut, so erlebt
man einen anscheinend unüberbrückbaren Gegensatz. Und Jesus musste diesen
Gegensatz ständig schauen, sehen, nein erfahren und erleiden durch die stolze
Selbstüberhebung, mit der man ihn in seinem Erdenleben behandelte und mit der
er sich infolge seiner Allwissenheit von allen Menschen behandelt sah. –
682 |
Die göttliche
Allwissenheit führte dem Heiland als Erlöser die Auswirkung des Falles der
Menschheit vor Augen. Das eigene göttliche Bewusstsein des Erlösers wirkte sich
in seinem Erlöserleben zugleich als die beleidigte Gottheit aus, (infolge der
Untrennbarkeit des göttlichen Wesens und der göttlichen Einheit). – Diese seine
göttliche Allwissenheit war wie das klare Sonnenlicht, das alle Schäden in der
Menschenseele aufdeckte, denen der Erlöser in der Wiedergutmachung sich liebend
unterwarf. –
683 |
Man erlebt
dabei die wunderbare Einheit in Jesus: die göttliche und die menschliche Natur
in der Erlösertätigkeit in einer Person verbunden. – Es sieht sich behandelt
wie einen Menschen, den man meint täuschen zu können, und er liebt und lässt
sich scheinbar täuschen und leidet und erleidet verdienend für uns jenes klare
Erkennen der eigenen Seele, das schon einen ganz hohen Fortschritt der Seele
bedeutet: Sich selbst erkennen und Gott erkennen! –
684 |
Jesu
Allein-sein in seinem Erlöserleben.
685 |
Wer könnte
das innere Alleinsein Jesu erfassen! – Als Erlöser war der Heiland in jene
tiefste Einsamkeit versetzt, die für ihn eine vollständige Trennung von jeder
persönlichen Befriedigung und Tröstung und Trostannahme bedeutete und mit sich
brachte. – In äußeren Leiden findet der Mensch immer noch eher Trost und Hilfe.
In seinem inneren Erlösersein war Jesus als „eine Erlöser-Person“ von allem
getrennt, weil ihm eben niemand ebenbürtig war.
686 |
Im Leben des
Menschen wirken Seele und Leib zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen
und gleichsam Trost zu geben und zu verschaffen. Das ist ein Naturgesetz. –
Darum auch in diesen Arten der inneren Reinigung das Bittere der Trennung von
sich, die Trennung zwischen Seele und Leib: Die Seele muss „allein“ gemacht
werden, muss vollständig in ihrer nackten Geistigkeit bestehen können. – Im
Erlöserleiden Jesu wirkten Seele und Leib in einem ganz auf Gott hingerichteten
Zustand sich aus, um auf allen Trost zu verzichten, da in jedem menschlichen
Trostsuchen außerhalb Gottes in gewissem Sinne eine ständige Abkehr von Gott
stattfindet. In diesem Erleben: „Jesus allein“ erfährt man einen ungeheuren
Abgrund von Leiden, die der Heiland ständig gelitten hat und die er in seiner
größten Verlassenheit am Kreuze geäußert hat und wo dieses Allein-sein die
höchste Leidensstufe in diesem Sinne erreicht hatte. –
687 |
Ich meine,
das hier Beschriebene lässt mich der Heiland nicht so sehr als mein
„Nacherleben“ erfahren, als vielmehr um mir meine Vorbereitungsleiden zu
erklären. Ich erkenne und schaue darin, wie notwendig diese Läuterungsleiden
für mich sind und wie tief das eigene Abgestorbensein vor sich gehen muss, um
seinem inneren Sein angeglichen werden zu können. Dafür fällt eben der
menschliche Ausdruck. – Man erlebt ständig eine innere Erweiterung und
Vertiefung, ein Totwerden für sich selbst. Zugleich aber erlebe ich: Mit dem
Sterben des Eigenen erweckt Jesus in mir alle meine Geistesfähigkeiten wie zu
neuem Leben. Es wird totgemacht, aber zugleich zu neuem Leben erweckt für seine
sich in mir zu wiederholende Tätigkeit. Jesus will sich eben in mir sein neues,
leidensfähiges Sein schaffen. –
688 |
Darum erlebe
ich auch seit Kurzem in mir, dass mein Wille jetzt wieder die volle Freiheit
erlangt hat und freiwillig hindrängt und bereit ist, sich dem göttlichen Sein
des Heilandes zu unterwerfen, wie es meine innere Aufgabe in sich schließt:
Jesus als Gottmenschen, als Erlöser zu erleben. – Jahrelang meinte ich nämlich,
von meinem Willen nichts zu spüren, weil ich diesen immer mitgenommen oder
hineingenommen glaubte in den Willen Jesu; durch die Vereinigung mit Jesus
schien mein Wille rein ausgeschaltet, wie wenn ich der eigenen Freiheit beraubt
gewesen wäre. – (Dies bedeutet auch eine schwere Stufe der inneren Reinigung).
Es ist aber gewiss, dass der Heiland die eigene Entscheidung des freien Willens
immer dann geschehen lässt, wenn es sich um eine „neue“ Hinopferung oder um den
Beginn einer weiteren Stufe der geistigen Entwicklung handelt. – Nie wird man
innerlich gezwungen oder genötigt zur vollen Hingabe; diese beruht immer im
gewissen Sinne auf freiwilliger Entscheidung. – (Jesus betonte seit den ersten
Jahren meiner besonderen Gnadenführung: er wolle ein „freiwilliges“ Opfer, wie
das seine gewesen sei.)
689 |
Es ist mir,
als wenn alle meine Geistesfähigkeiten zuerst für mich totgemacht, und dann
gleichsam in die des Heilandes umgestellt würden, damit hierdurch jene innere
Angleichung und Einigung an ihn möglich gemacht werde. –
690 |
Gestern Abend
und heute früh war ich in unaussprechlicher innerer Verdemütigung, doch brachte
mir diese auch eine große innere Ruhe und Befriedigung, weil ich „die Wahrheit“
darin erkannte. Ich bin das Gefäß aller Schwäche und Nichtswürdigkeit, wert,
verachtet zu werden. Dies ist die größte Gnade, die der Heiland gibt: diese
eigene Vernichtung klar einzusehen und bejahen zu können.
691 |
Alles muss in
mir vernichtet werden, damit „er“ zu Vollendung und Fülle gelangen kann. – Ich
bin auch in unaussprechlicher, seelischer Freiheit von allem Geschaffenen und
allen Geschöpfen. –
692 |
Am Altar der
Kreuzigung des heiligen Petrus – als ich heute in St. Peter noch einer dritten
heiligen Messe beiwohnte, erlebte ich in mir die ganze, große, unendliche Liebe
Gottes, des Heilandes, zu den Seelen und zugleich den unerschöpflichen Reichtum
seiner Erlösungsfrüchte. Ich sah, wie diese sich in meiner armen Seele betätigt
haben und dieses tiefe Erkennen meiner inneren Nichtigkeit und zugleich der
Größe der Liebe Jesu hervorgebracht haben.
693 |
Ich sah, wie
Jesus bereit wäre, allen Seelen in ganzer Fülle von seinen Erlösungsgnaden
mitzuteilen. Ich fragte innerlich: Warum teilst du diese Gnaden nicht
allgemeiner aus? Sie sind bis jetzt nur einzelnen Seelen voll zugewendet
worden! – Er, das Leben in mir, antwortete mir: „Ich will darum gebeten sein“.
– In dieser Antwort Jesu erkannte ich, er wolle den Glauben an diese Gnaden und
aus diesem Glauben heraus die Bitte um die volle Zuwendung der Erlösungsfrüchte
für seine Kirche. – Ich schaute dann auch, wie schon öfters den großen Wert der
Menschenseele in den Augen Jesu: Dieser Wert ist so groß, dass Gott selbst, der
Erlöser, die Menschenseele annehmen wollte, um sie zu erneuern. Ich sah die
gefallene Menschheit, die Menschenseele durch die Erlösung umgestaltet, d. h.,
dass die Gnade gegeben ist, durch die sie umgestaltet von dem Fluch der
Erbsünde erlöst und geheiligt werde. Mit den Leiden der Erlösung ist auch die
Möglichkeit, d. h. die schon verdiente Gnade gegeben zur vollen Erlösung der
Seele. Ich sah dies alles so bestimmt und folgerichtig und wie
selbstverständlich und sah dabei die unendliche Liebe des Erlöses zur erlösten
Seele. Ich staunte, und es schien mir unbegreiflich, dass bei diesem Reichtum
der Erlösungsgnaden die volle Erlösung doch nur in wenigen „begnadigten“ Seelen
ihre ganze Auswirkung zeige, obwohl doch diese Gnaden allen Seelen zugänglich
schienen. Ich bat den Heiland, diese Schätze seines Herzens auf alle Seelen
auszugießen. –
694 |
Im Heiland,
meinem Sein, erlebte ich dann die Fülle seines Verlangens, diese vollen
Erlösungsgnaden (gewiss in bestimmten Graden) wie „neue Gnaden“ über seine
Kirche auszugießen. Ich sah sein Herz übervoll von diesen Gnaden; ich möchte
sagen: Jesus „litt“ unter Überfülle seiner Liebe und unter dem Verlangen, der
Kirche, bzw. den Seelen diese Gnaden mitteilen zu können. – Ich schaute diese
vollen Erlösungsgnaden dann für alle Seelen offen und wie in nächster Zeit
zugänglich gemacht.
695 |
Ich schaute
dies als eine besondere Aufgabe des Priesterwerkes, die vollen Erlösungsgnaden
auf die Kirche herab zu flehen, nach diesen Gnaden im Glauben begründet zu
streben und die Menschen deren Wertschätzung und das Streben darnach zu lehren.
696 |
Ich erkannte
und bewunderte die vielerlei Arten von Gnaden, die der Heiland über meine Seele
ausgegossen hat zum Heil und zur Bereicherung seiner Kirche. Dieses Licht hatte
ich, als ich auf der Stiege bei unserer Marienstatue vorbeiging. Da war mir,
als breite MARIA die Arme aus und spreche: „Alles wird gegeben auf meine Fürbitte,
indem es mir gestattet ist, die Schätze der Erlösungsgnaden an die Kirche
auszuteilen“. – Nachher, in der Kapelle, sah und fühlte ich mich vollständig
von Maria abhängig, wie wenn sie für alle inneren Gnaden verantwortlich wäre.
Dies habe ich in letzter Zeit schon öfters erlebt. Ich war wie ihr Kind, wie
der Heiland ihr gegenüber, als wenn sie volle Mutterrechte habe über mich, wie
einst über das Jesuskind.
697 |
Das ist mir
eine große Beruhigung. Maria wird für alles sorgen, und die Einflüsse des Feindes
fernhalten. –
698 |
Nach einigen
Tagen schwerer, innerer Leiden ist heute nach der heiligen Kommunion neue,
vollständige Ruhe in meine Seele gekommen. In großer unsagbarer Freiheit und
Ruhe besteht Jesus in mir in vollständiger Unabhängigkeit. – Es ist aber alles
so einfach, wie selbstverständlich. Man kann wohl immer nur das gleiche Wort
gebrauchen, um immer Neues und Tieferes auszudrücken. – Jetzt ist Jesus, das
„ich als Jesus“ freier noch wie in den früheren Stufen, ist wie vollständig frei
von jeder Anlehnung. Es scheint aber diese jetzige Stufe noch in der
Entwicklung zu sein.
699 |
Alles ist so
einfach unaussprechlich ruhig in mir, oder besser gesagt, es ist nichts in mir
als der Heiland; „er“, nicht ich! – Ich habe kein Wort dafür. – Alles ist ihm
untergeordnet, wie wenn es seine Fähigkeiten wären; es ist kein Gegensatz oder
Widerspruch zu spüren. – Was ich fühlbar erlebe, ist jetzt mein Wille; alles in
mir drängt zum vollen Glauben, dass Jesus vollendet in mir erstehe, wie wenn
alle meine Fähigkeiten in gewissem Sinne ganz frei wären von mir und bereit,
einem neuen, anderen Sein das Bestehen zu bieten, wie früher dem meinen. –
700 |
Es ist immer
eine große, seelische Ruhe in mir, doch verbunden mit rein geistigen Leiden; es
scheint ein Zusammendrängen all meiner geistigen Fähigkeiten, um dem Leben Jesu
in mir einen vollständig freien Bestand bieten zu können. – Es ist nicht ein
fühlbares Vorauserleben wie in Gnadenzeiten, die man außergewöhnlich empfindet;
es ist vielmehr ein Erleben wie in gewöhnlicher selbstverständlicher Art, wobei
alle seelischen Fähigkeiten durch die langen, vorausgegangenen Reinigungen die
Möglichkeit in sich erlangt haben, dem Heiland zu einem neuen Sein zu dienen.
Es ist aber alles so einfach, dass man kein Wort dafür hat. –
701 |
Der Wille ist
bereit; wie wenn es ganz natürlich wäre und keiner weiteren Anregung bedürfte,
strebt alles danach, sich dem Sein des Gottmenschen anzupassen. Die Natur
leidet zwar noch unter dem Drang und Streben der Geisteskräfte, und vielleicht
ist das ein Zeichen, dass noch irgendwo unbewusstes Eigenes vorhanden ist, aber
der geistige Schmerz ist ruhig und hält die Seelenkräfte nicht gebunden. – Es
liegt in diesem Leiden auch eine gewisse „Scheu“ der Natur vor der
unbegreiflichen Gnade, die Gott mir zu geben im Begriff ist. –
702 |
Nach der
heiligen Kommunion lebt Jesus in mir wie eine „leere Fülle“; alles in mir ist
sein „Sein“, wie wenn es etwas Gewöhnliches, Selbstverständliches wäre; sonst
ist nichts da. – Man hat kein Wort dafür, höchstens einen Vergleich:
703 |
Wenn man in
der Sonne wohnen würde, so könnte man sie nicht beschreiben, weil man sie dann
nicht außergewöhnlich finden würde; man wäre ihr ja angepasst, sonst könnte man
nicht in ihr leben. Wenn man aber plötzlich von der Erde in die Sonne versetzt
würde, könnte man den Unterschied besser erklären, als [man] es bei langsamem
Übergehen kann. – So ist der Heiland in mir oder ich bin, oder ist er das Wesen
der Sonne in mir geworden. – Man kann ihn nicht beschreiben, weil er alles
erfüllt hat und diese Fülle zugleich Ruhe ist und ihre Wirksamkeit so einfach
und wie selbstverständlich ausübt. –
704 |
Diese
scheinbar ruhevolle Fülle hat aber lebendiges Leben in sich. Es entwickeln sich
geheimnisvolle Vorgänge in mir. Ich erlebe die volle Harmonie, die das Leben
Jesu für sein Bestehen in mir verlangt oder beansprucht. Alles muss Einheit,
Freiheit sein, um eine „neue Einheit“ zum Bestehen zu bringen. –
705 |
Wiederum schaue
ich als Vorbild MARIA und die Erhabenheit ihrer Natur, die nicht unterworfen
war dem Gesetze der Sünde und ihren Folgen, der eigenen Gebundenheit. Im Sinne
ihrer Aufgabe und auf ihrem Weg erlebe ich die Möglichkeit einer Angleichung
der Menschheit an die Gottheit, an den Gottmenschen: Durch die „erste
Menschenseele“ – wie sie im Paradies geschaffen wurde und wie Gott sie Maria im
ersten Augenblick ihres Lebens gab – war die Möglichkeit einer natürlichen
Angleichung an Gott gegeben. Aber Gott gab Maria nicht bloß die „reine Seele“
wie bei der Erschaffung der ersten Menschen; im Hinblick auf ihre Auserwählung
wurde ihr noch eine besondere Entwicklungs- und Erweiterungsmöglichkeit
gegeben, die sich wie in selbstverständlichem, natürlichem Bemühen auswirkte
und sie emporführte und bildete zur Befähigung für die Höhe und Würde ihrer
Berufung. – Es ist dies ein nicht wiederzugebendes Geheimnis, das ich da
innerlich schaue. Ich begreife und erfahre damit den Weg, der als Vorbereitung
zu einer harmonischen Angleichung an Gott erforderlich war. Und in Maria war
die höchstentwickelte Harmonie; in jenem Höchstmaße, dass sie Gott, dem
Gottmenschen eine Mutter sein konnte, dass sie wirklich Gott in seinem
göttlichen Wesen und seinen Vollkommenheiten ertragen und erfahren konnte, so
sehr war ihre Seele vorher „gottaufnahmefähig“ gemacht worden. Maria hat der
Welt den Erlöser gegeben und wurde hierzu schon in natürlicher Hinsicht
befähigt durch die besondere, allmähliche seelisch-geistige Angleichung an
Gott.
706 |
Zusammen mit
der höchsten menschlichen Würde Mariens schaue ich meine Aufgabe, in ähnlicher
Art den Erlöser zu erfahren und zu erleben, (gewiss in mystisch verliehener
Gnade) ohne dass freilich jemals der Gnadenvorzug Mariens erreichbar wäre. Die
göttliche Mutterschaft Mariens in ihrer nie zu erreichenden Höhe und
Auserwählung – worin auch ihre persönliche Makellosigkeit miteingeschlossen ist
– wird keinem Menschen mehr gegeben, weil Gott nur einmal Mensch wurde. Gott
will aber der Kirche den Erlöser in seinem inneren Erlösungsgeheimnis zeigen. –
Und so schaue ich zusammen mit dem Weg der Angleichung Mariens einen zweiten,
ähnlichen Weg der Angleichung, den meine Seele durchgehen muss, um ein Erleben
des Gottmenschen als Erlöser möglich zu machen. Es ist ein Weg des mühsamen
Erhebens der gefallenen Menschenseele bis zur harmonischen Angleichung an die
Geistigkeit Gottes. Die erbsündliche, im Zustand der gefallenen Natur
befindliche Menschenseele muss durch Überwindung der Sündenfolgen, durch das
volle Auswirken-lassen der Erlösungsgnaden und durch einen besonderen Weg der
Vergeistigung und Angleichung an die Geistigkeit Gottes bzw. des Heilandes zur
Möglichkeit kommen, den Gottmenschen als Erlöser zu erleben.
707 |
Was mir in
meiner Schwäche und Armseligkeit zu erreichen nicht möglich ist, will mir Maria
ersetzen. Ich sehe, Maria will die Vermittlerin des Erkennens Jesu in der
Kirche werden, dadurch, dass sie mir durch innere Reichtümer und Gnadenvorzüge
ersetzt, was mir noch fehlt und infolge meiner Armseligkeit noch mangelt, damit
jene möglichst vollständige Harmonie geschaffen werde, die eine solche Gnade
verlangt.
708 |
Ich soll
glauben, oder der Glaube ist mir gegeben, dass mir durch Maria und durch ihre
Vermittlung der für meine Aufgabe notwendige und zu erreichende Gnadenzustand
geschenkt wird. Maria leiht sich mir und schenkt sich mir in diesem Sinne; es
ist alles ihr Werk. Sie hat der Welt den Erlöser gegeben und sie zeigt ihn
wieder der Welt, indem sie alles tut und vorbereitet, indem sie die [zu]
befreiende Seele erwählt und führt und das Fehlende und Mangelnde ersetzt durch
ihre von Gott geschenkten und von ihr erworbenen geistigen Reichtümer und
Gnaden. Auf diese Weise will Maria der Kirche den Heiland „als Erlöser“ zeigen,
vornehmlich im inneren Erlösungsgeheimnis, dessen Offenbarung eine Erneuerung
der Kirche herbeiführen soll und wird. Ich komme in eine noch höhere Verbindung
mit Maria, in ein wirkliches, geistiges „Ineinanderfließen“; ich nehme sie auf
in mir, oder sie gibt sich mir in jener Weise, die mich für meine Aufgabe
befähigen soll.
709 |
Zugleich mit
meiner inneren Vorbereitung will der Heiland hier aber auch die hohe Befähigung
der Menschenseele zeigen. In der Seele leben Kräfte, die von der Mehrheit der
Menschen überhaupt nie in Gebrauch oder in Anspruch genommen werden; Kräfte,
die aber doch von Gott und für Gott geschaffen wurden und die ihrer Betätigung
harren. Darum der hohe Wert der Menschenseele und ihrer Kräfte, die Gott
„gebraucht“ und bestätigt haben will; – ich begreife dabei auch das „Wesen“ der
Seele, einer geistigen Substanz mit vielen Kräften und Fähigkeiten. Ich erlebe
klar meine Seele. – Ich kann als „Seele“ bestehen und in diesem „Bestehen“
erlebe ich das „Wesen der Seele“: ein geistiges Lebewesen, ein vollständiges,
unabhängiges „Selbsttätigsein“. –
710 |
Man versteht
dadurch auch mehr den großen Verlust, den die „erste Menschenseele“ durch die
Sünde Adams erlitten hat. – Ferner will wohl Gott dabei den unendlichen,
unerschöpflichen Reichtum der Erlösungsfrüchte zeigen, die, von der Seele
angenommen, sie entsündigen und dadurch, bei eigener Mitwirkung, jene höchsten
Fähigkeiten der Seele anregen und in Tätigkeit bringen.
711 |
Mein
Seelenzustand ist ähnlich wie in den letzten Tagen. Meine Seele scheint wie
vollständig frei geworden zu sein in sich. – Dieses „Freiwerden“ von der
eigenen Gebundenheit, ihre Loslösung vom Materiellen, scheint mein Leben zu
einem Geistigen zu machen. Die Seele scheint sich außerhalb oder oberhalb des
Menschlichen zu bewegen. Es ist aber alles sehr einfach und wie wenn es selbstverständlich
und naturhaft wäre. – Es ist ein weiterer Vorbereitungsweg zum vollen
Erleben-können meiner Aufgabe.
712 |
Heute, nach
der heiligen Kommunion, erlebte ich in mir diese reine Geistigkeit, die mir als
Weg dahin erklärt wurde, dass ich Jesus erleben könne. Ich erlebte das
vollständige Beherrschen der niederen Naturanlage, das „volle Freiwerden des
Willens“, der dadurch fähig wird, sich dem göttlichen Sein Jesu anzugleichen
und anzupassen, ohne von diesen „erdrückt“ zu werden und wie wenn diese Anpassung
sich auf natürlichem Wege vollziehen würde. In diese Richtung bewegt sich mein
Inneres. – Gewiss, wenn ich mich so ganz als ein Geist fühle, ohne die früher
gewohnte Anlehnung an das eigene Menschliche, dann möchte es mir bange werden
beim Erleben dieses außerordentlichen Zustandes.
713 |
In diesem
Bedenken stand aber dann von meinem Geiste wieder Maria in ihrer vollständigen
Freiheit von der eigenen menschlichen Gebundenheit, frei in sich und frei
bereit, sich dem höchsten Geschehen der Menschwerdung des göttlichen Wortes zur
Verfügung zu stellen. – „Maria ließ es geschehen“; in diesem Schauen begriff
ich ihre höchste Freiheit, in der sie sich dem Willen Gottes unterordnete und
zu der sie Gottes Absichten vorbereitet und befähigt haben. Daraus kam mir dann
wieder jene innere Ruhe und Bereitschaft, die mich dem Willen Jesu hingegeben
machte – trotz des Widerstrebens und der Furcht vor außergewöhnlichen Dingen.
714 |
Jetzt, da ich
so viele Gnaden von Maria erhalte, und sie es ist, die sich herablässt,
gleichsam zur Führerin meines Innenlebens zu werden, jetzt kommt mir eine
besondere Gnadenstunde in Erinnerung, deren Bedeutung ich früher nie ganz
begriffen [hatte] oder daran vielmehr nicht zu glauben wagte; doch jetzt kenne
ich die Absichten, mit denen der Heiland mir jene Gnaden gegeben hat.
715 |
Es war am 6.
Januar 1931; ich kann mich noch gut dessen erinnern (anderer Umstände halber).
Ich war an einem Wallfahrtsort der schmerzhaften Muttergottes (in Weizberg, in
der Nähe meiner Heimat). Nach der heiligen Kommunion am Sakramentsaltar wurde
ich von Jesus ganz in Besitz genommen, sodass ich wie nicht mehr vorhanden war;
alle meine Geistesfähigkeiten standen gleichsam still, und er beherrschte mich
ganz. – Es wurde mir vom Heiland wieder meine geistige Aufgabe gezeigt, und zwar
in einem außergewöhnlichen Licht und übernatürlichen Hineingenommensein in ein
gewisses Vorerleben, das mir noch sehr deutlich in Erinnerung ist: Jesus wolle
mit mir in eine Art innige Gemeinschaft eingehen, wie es sich gewöhnlich
zwischen Seele und Leib vollzieht und besteht; wir flossen geistig ineinander,
wie zu „einem Sein“. – Es war mir unbegreiflich, wie Jesus das machen wolle,
doch war mir die augenblickliche Gnade so klar und sicher, dass meine Hingabe
und mein Glaube an seine Absichten sich unbedingt seiner liebenden Herablassung
unterwarf. Aber wie und auf welchem Wege würde sich das dauernd vollziehen,
wofür ich dem Heiland mich ganz schenken sollte? Da stand gleichsam Maria vor
mir. – Ich hatte ja die Wallfahrt in der Meinung gemacht, um von ihr Licht und
Hilfe in meinen gefahrvollen Seelenweg zu erbitten. – Maria reichte oder gab
mir ihr göttliches Kind in das Herz. Ich sah das Kindlein im Voraus in mir
wachsen und sich entwickeln und groß werden und es wurde – alles in rein
geistigem Erleben – der Heiland daraus, wie ich ihn da in mir erlebte, als er
mich das Geheimnis seiner liebenden Absichten im Voraus wissen ließ. Und es
wurde der „Leidende Heiland“ daraus, so, wie sie ihn dort auf dem Hochaltar auf
ihrem Schoße trug. –
716 |
Weil nun mein
ganzes Streben immer dahin ging, Jesus voll und ganz in mir zu besitzen, und
weil Maria ihn mir gab, und geben wollte, so opferte ich mich dem Heiland
gänzlich auf für seine Absichten. (Dieses „Vorauserleben“ meiner geistigen
Aufgabe ward mir schon öfter vorher und auch nachher zu Teil, aber damals war
es in einem außergewöhnlichen Maße). Es brachte mir aber auch den Umstand
schwerer Bedenken, dass ich keinen Priester hatte, dem ich mich ganz eröffnen
konnte – der Umstände halber – um zur vollen inneren Klarheit in den sich
wiederholenden Gnadenzeiten zu kommen. Da wurde mir damals (wie schon öfters)
der Priester gezeigt, dem Jesus die besondere Gnade geben würde und den er
darauf vorbereitete und den er einbezogen habe in seine Absichten in besonderer
Weise, mich und mein Innenleben und das Wirken seiner Gnade in mir zu
verstehen. Mit den gewöhnlichen Gnaden könne ein Priester das nicht, aber
diesem Priester gebe er die Gnade der Einsicht und eine besondere Gnade des
„Einfühlen-Könnens“ in mein Innenleben, auch bezüglich seiner Absichten; denn
dieses Verstehen sei ein rein geistiges, ein Verstehen von Herz zu Herz, von
Seele zu Seele. –
717 |
Ich bin nun
vollständig ruhig, und erlebe meine Seele als freien Geist, dessen oberste
Fähigkeit die freie Selbstbestimmung ist, der freie Wille, wodurch eine eigene,
freie Ich-Person abgeschlossen und vollendet ist. Im Heiland bildete die
Gottheit diesen Abschluss und diese Umschlossenheit, weil die göttliche Person
die seelisch-menschlichen Fähigkeiten beherrschte infolge seiner „Einperson“ in
zwei Naturen. –
718 |
Für
gewöhnlich erlebt der Mensch nur in wenigen Fällen seine eigene freie
Willensentscheidung. Diese hängt meistens von den anderen, niederen
Seelenfähigkeiten ab, von denen der Wille und die letzte Entscheidung meist
beeinflusst und beherrscht wird: von der niederen Naturanlage, von der
menschlichen Einsicht, von den Leidenschaften, die den seiner Anlage nach
vollständig freien Willen trüben und beeinflussend bestimmen. Zu einer dem
höheren Willen nach wirklich ganz freien Entscheidung kann es nur dann kommen,
wenn der Wille in der Seele diese Alleinherrschaft erlangt hat und die eigene
Gebundenheit durch lange, mühevolle Selbstbeherrschung darunter zu stehen
kommt. –
719 |
Ich habe noch
nie in solchem Maße die vollständige Freiheit meines Willens erlebt, wie in der
letzten Zeit. Früher beherrschten meist andere Fähigkeiten und Möglichkeiten
den Entschluss des Willens, wie z. B. fühlbare Gnaden, innere Führung, die auf
ein bestimmtes, gottgegebenes Ziel hindrängte; innere Leiden, die den Willen
gleichsam zwingen von dem oder jenem abzulassen, dies oder jenes zu tun. Man
begreift dabei die Erhabenheit Gottes, des göttlichen freien Willens, der nie
gehindert oder bedrängt werden kann, weil es eben nur Gott eigen ist, jederzeit
göttlich frei und gut zu entscheiden, und weil seine Entschlüsse nur göttlich
gut sein können.
720 |
Heute Morgen,
bei der heiligen Messe, ging ich im Sein Jesu zum Vater über. Ich und der
Vater! Welch inniges Verhältnis zwischen uns! Eigentlich nur Eins, doch mit dem
Unterschied eines gewissen Abstandes oder einer gewissen Abhängigkeit, in die
sich Jesus infolge seiner Erlöseraufgabe und seines Erlösungswerkes versetzt hat.
Dabei aber doch wieder jene volle, heilige Harmonie, die im untrennbaren Wesen
der Gottheit besteht! Welche Ruhe und Bereitschaft und Liebe im Sohne dem Vater
gegenüber! Die gegenseitige göttliche Liebe und Bewegung und Einheit lässt klar
den Heiligen Geist in der dreifaltigen Einheit des dreieinigen Gottes
unterscheiden. Er ist wie ein göttliches Band, ein Abschluss und eine
Umschließung des Gottesgeheimnisses. –
721 |
Der Vater ist
voll Freude, gleichsam nochmals seinen Sohn zu umfangen und zu besitzen, der mit
einem Menschen zu einem Wesen verbunden ist und durch den er das Geheimnis der
Erlösung offenbaren will. – Ich fühle mich geborgen im Herzen des Vaters; wie
unzertrennlich scheint jetzt unsere Harmonie zu sein, die Jesus in mir
geschaffen hat, damit ich ihn vor dem Vater vertreten könne. – Maria ist jetzt
wahrhaft Mutter dieses Geschehens, sie steht dem Vater so unglaublich nahe und
ist ganz einbezogen in das Erlösungsgeheimnis. Ich erlebe sie als die
vielgeliebte Tochter des Vaters, die Mutter seines göttlichen Sohnes, jetzt die
Vermittlerin neuer göttlicher Absichten. – Welche Freiheit von meiner früheren,
eigenen Gebundenheit! Alles in mir ist „Jesus“ geworden und als er bin ich
jetzt das wirklich geliebte Kind des Vaters. (Das Wissen um das „Sein als Jesus“
ist in gewöhnlich scheinende Wirklichkeit übergegangen.)
722 |
Nach der
heiligen Wandlung schaue ich in mir den Vater, wie er bereit ist und daran ist,
den Sohn, den Erlöser in dessen innerster, jetzt noch verborgener Art der
Kirche zu zeigen und zu offenbaren. Darum wurde meine Seele befähigt und ihr
die Möglichkeit zu erreichen gegeben, dass sie in das innerste Wesen seines
Sohnes eingehe, damit jenes Geheimnis (des Erlösers) wie in einem Nacherleben
offenbar werde. – Der Vater zeigt seiner Kirche den Erlöser auch in ihrem
innigsten gegenseitigen Verhältnis (des Vaters und Sohnes): Die Unterwerfung
des Sohnes unter den Willen des Vaters, wodurch der Welt die Erlösung geschenkt
wurde; das Opfer des Sohnes, der wie ein Mensch werden sollte und darum zeit seines
Lebens auf göttliche Rechte verzichtete, um ganz als Mensch leiden zu können;
auch den Heiland als Opfer der Gerechtigkeit Gottes – Jesus beladen mit der
Schuld aller Sünden. –
723 |
Ich habe in
mir die Bestimmung und die Aufgabe, ganz in die Person Jesu (in der Art seiner
Erlöseraufgabe) einzugehen, seine Aufgabe erlebend, wie die meine. Darum auch
bei der heiligen Kommunion ein noch höheres Freiwerden von meinem Eigenen, um
ganz Jesu Sein für dauernd anzunehmen und mit ihm, als er vor dem Vater, dieses
Geheimnis zu erfahren und zu erleben. Ich habe in mir kein Widerstreben
dagegen; das Sein Jesu ist vollkommen harmonisch erlebt im Vater wie in einem
Wesen. –
724 |
Doch mit
welcher Einfachheit ist heute alles vollzogen worden! Wie selbstverständlich
scheint es, ohne fühlbares Befangensein, mit der Selbstverständlichkeit der
wesentlichen Wirklichkeit und des tatsächlichen Bestandes. Ich habe auch das
früher so klar erlebte „Gefühl“, Jesu Leben als das Meine zu besitzen,
verloren; es ist wirklich geworden, ohne das fühlbare Wissen darum; alles ist
nun einfach und bestimmt bestehend: Ich bin das vielgeliebte Kind des Vaters,
jenes, das das Wesen des Sohnes angenommen hat, um sein innerstes Geheimnis
nacherleben zu können, jener Mensch, durch den der Vater seinen Sohn in
bestimmter Art offenbaren will. –
725 |
Es ist
merkwürdig, wie ich mich selber verloren habe und wie sich eigentlich dieses
geistige Ineinanderfließen zwischen dem Heiland und mir vollzogen hat. Ich bin
wie in ihm aufgelöst und es ist ER daraus geworden. Es verliert sich aber immer
mehr dieses Wissen um „ihn“; es geht in ein gewöhnliches Ich-sein in mir über,
doch mit dem Unterschied, dass ich sein göttliches Sein wie das meine besitze,
mit dem ich lebe und das mir für meinen Gebrauch als das seine gegeben ist.
726 |
In der
Vorbereitungszeit schien es mir, als ob „er“ von mir Besitz nehme; jetzt, wo
ich in ihn „aufgelöst“ bin, nehme ich Besitz von Jesus und erlebe diesen
Besitz. Daraus entwickelt sich dann das Nacherleben seiner. – In den
vergangenen Tagen ward mir beim Erleben meiner Seele und ihres Freiseins
wiederholt das Innere Jesu gegenübergestellt, das sich nun wie zu EINEM Sein
vereinte und das wie mein Eigenes nun übrigblieb. –
727 |
Es vollzieht
sich aber alles in unbeschreiblicher Einfachheit. Durch das Sein Jesu, das ich
als das meine erlebe, scheint auch als eine selbstverständliche Folge die
Verbindung oder das ganze Einssein mit dem Vater sich entwickelt zu haben. Ich
bin infolge meiner Aufgabe gleichsam in den Kreis eingegangen, in welchem sich
das Leben der Heiligen Dreifaltigkeit bewegt, und bin darin wie mitbeteiligt
(in einer mystischen Art).
728 |
Alles
entwickelt sich wohl noch weiter. Das Sein Jesu muss mich noch mehr in einem
mir gewöhnlich scheinenden Ich-Sein durchdringen und mich seine gottmenschlichen
Fähigkeiten wie die meinen gebrauchen lassen, damit dieses innere Werden zur
Höhe und Vollendung gelangen kann. Ich muss also ihn als das Meine gebrauchen,
und dadurch als „er“ in ihm befestigt werden; ich muss ihn mir ganz aneignen,
und daraus ergibt sich wie von selbst meine geistige Aufgabe.
729 |
Alles ist
Ruhe und Bereitschaft in mir. Die Ruhe ist eigentlich meine geistige
Lebensbedingung und Lebenskraft geworden. –
730 |
Fest der
unbefleckten Jungfrau:
731 |
Der heutige
Festtag scheint mir wie ein geistlicher Grenzstein zu sein in meinem
Innenleben. Schon gestern Nachmittag entstand in mir eine vollständige
Loslösung, gleichsam ein Aufhören meines eigenen Innenlebens, des Persönlichen.
An dessen Stelle trat ein anderes, wirkliches Leben, von dem ich Lebenskraft
und Sein erhielt und das mir wieder wie das meine schien. – In dieser Art hatte
ich das Abschließen mit mir selbst noch nie erlebt (es ist eben das
Merkwürdige, man meint immer, jetzt habe man die höchstmögliche Stufe des Seins
Jesu erreicht, aber trotz dieser scheinbaren Fülle entwickelt es sich doch
weiter). Abends kam ich in ein geistiges Leiden, ein weiteres Absterben, doch
blieb bei allem die Ruhe und Bereitschaft. Meist erlebt man im Leiden das
entscheidende Wirken und Wollen Jesu, weil sich die Leiden immer auf das zu
erreichende Ziel hinrichten und hinstrahlen.
732 |
Heute ist
alles Geist und Ruhe in mir, ohne jede Bewegung oder eigene Tätigkeit.
„Nichtstun und alles geschehen lassen, nichts Wollen und alles Annehmen!“ – Es
regt sich auch nichts Widerstrebendes in mir. –
733 |
Nach der
heiligen Kommunion betete ich den Aufopferungsakt an MARIA, durch den ihr das
Werk des Hohenpriesters ganz geweiht wurde und sie für immer als die
Vermittlerin aller Gnaden des Priesterwerkes anerkannt sein wird, so wie es mir
der Wille Gottes schien. Weil nun alles IHR Werk ist, ist es auch ihre
Herzenssache, für die sie einstehen und kämpfen muss und wird. In diesem Fall
wurde das Kind schon der Königin geweiht, noch ehe es geboren wurde. Umso
besser, weil Maria damit die Möglichkeit gegeben ist, die Mutterrechte und
Mutterpflichten auszuüben. –
734 |
Die
Aufopferung gab mir auch vollständiges unüberwindliches Vertrauen bezüglich
meines Innenlebens. – Es ist nicht Gefühl, sondern Wirklichkeit in mir: Ich
lebe ein anderes Leben, das Maria der Welt geschenkt hat: Jesus; und das zu
leben, hat mir immer wieder Maria vermittelt.
735 |
Mein früheres
Leben scheint wie abgeschlossen, es beginnt ein anderes, ein neues. Aber wie
könnte man das innerlich so klar diesbezüglich Erlebte ausdrücken? –
736 |
Im Erleben
seines Lebens wird mir Jesu Inneres, sein Erlöserleben, als „Nacherleben“ zu
erfahren gegeben. Ich lebe ihn und von ihm, als „er“, doch nicht fühlbar,
sondern tatsächlich. Als Beweis dafür müsse das Erlebnis von heute und der
weiteren Entwicklung und der Zukunft gelten. – Doch ich finde kein Wort, um
diese innere Einfachheit und Wirklichkeit zu erklären. –
737 |
Innig mit
Maria verbunden und mit herzlichem Vertrauen will ich ihr danken für Ihre
mütterliche Güte, mit der sie ihr Kind umhegt; sie ist meine ganze wirkliche
Hoffnung.
738 |
Ich glaube, o
meine liebe Mutter Maria, dass ich durch deine Vermittlung jene Stufe des
„Seins Jesu“ in mir erreicht habe, die als Bedingung seines „Nacherlebens“
notwendig ist. Ich erwarte auch alles Weitere von dir. Ich glaube und
anerkenne, dass deine überreiche Gnadenfülle das Fehlende und Mangelnde ersetzt
hat und dass mein ganzes Innenleben das Werk deiner mütterlichen Güte und Liebe
ist. Ich verspreche dir, dieses Leben Jesu, das du zu tragen gewürdigt wurdest,
in mir durch den Glauben zu bewahren, es zu leben, nie mehr zu meinem eigenen
Leben zurückkehren zu wollen, sondern es nach den Absichten Jesu zur Vollendung
und vollen Auswirkung in mir gelangen zu lassen, nicht für mich, sondern zur
Erhöhung der heiligen Kirche, ganz als Opfer nach den Absichten des Herzens
Jesu. – Aber alles, o Mutter, ist und bleibe dein Werk, nur deines allein! –
Ganz von dir ist und sei dieses Leben abhängig. – Amen.
739 |
Ich bin nicht
mehr; ich will Jesus Leben. – Mutter, wenn ich einmal darunter müde werde, dann
stütze mich! Ich erwarte alles von dir! –
740 |
„Vollende und
befestige, O Herr, was du in mir gewirkt hast!“ – In diesem Sinne war wohl in
der vergangenen Woche die innere Gnade ständig in mir tätig. – Das Jesus-Sein
in mir muss noch mehr von jeder Einmischung meinerseits gereinigt werden; es
muss wie „von mir persönlich getrennt“ werden.
741 |
In den ersten
Tagen war es mir, als verliere sich das Leben Jesu, als entferne es sich von
mir. Es bestand zwar, doch war es mir, als müsse es sich gleichsam „ohne mich,
frei von mir“ voller entfalten. Der Heiland will geistig-menschliche Kräfte
gebrauchen, um sich ein neues, leidensfähiges Sein zu schaffen, aber dieses
neue Sein muss frei von den persönlichen Besonderheiten und Eigenheiten der
betreffenden Lebens- und Kraft- und Seinsgeberin, ohne Anlehnung daran,
entstehen und sich vollenden. Dementsprechend waren auch die inneren Läuterungsleiden.
Ich war ruhig, denn die Ruhe ist ja meine ständige Lebensgrundlage geworden –
aber das „Jesus-sein“ entfernte sich gleichsam von mir. – „Jesus“, das andere
Leben, das alles in sich und aus sich hat, muss in sich erstarken, muss von mir
persönlich vollständig losgelöst werden, um einen in sich vollständig freien
Bestand zu entwickeln und zu haben. Es muss getrennt werden von der Anlehnung
an meine persönlich-familiengebundenen Anlagen und Eigenheiten. Es muss eine
reine, gleichsam „neutrale“ rein geistbeherrschende Menschheit geschaffen
werden. –
742 |
Dies auch aus
folgenden Gründen: Wie mir klar gezeigt wurde, sind alle Gnaden, die mir Gott
auf diesem Wege gibt, nicht so sehr Gnaden für mich, oder private Gnaden,
sondern sie beziehen sich alle auf eine geistige Erneuerung der Kirche und des
Priestertums. Dementsprechend entwickelt sich auch meine geistige Einstellung,
dieses volle Loslösen von mir, um einem allgemeinen Zweck zu dienen. –
743 |
Ich erlebe
innerlich den Zusammenhang mit den ersten diesbezüglichen Offenbarungen, die
mir der Heiland im Jahre 1923/24 gab, als er oft nach der heiligen Kommunion
die Forderung [an] mich stellte: Du sollst mir ein Opfer sein für die
Erneuerung meiner Kirche und des Priestertums. – Damals war mir allerdings der
Weg und die Art vollständig verhüllt und fern. Die führende Gnade brachte mich
aber durch dieses klare Erkennen und Wissen um Jesu Absichten und Willen so
weit, dass ich mich ihm als Schlachtopfer für seine klar erkannten Absichten
hingab; jetzt steht das ganze Ziel im Einzelnen klar vor mir. –
744 |
Es ist jetzt
eine weitere neue Entwicklung in mir. Das Sein Jesu ist im Begriff einer
vollständigen Trennung von meinen persönlichen Besonderheiten des Charakters,
der Familie und Abstammung usw. Ich werde einbezogen und gehe ein in die reine
Menschheit Christi, die vollkommen frei ist von jeder Mischung und Anteilnahme
an fremden Einflüssen, weil sie eben in allem Gott angeglichen war. Das sehe
ich als die Charakteristik Christi als Mensch, als die Eigenheit, die ihn von
unseren gewöhnlichen-menschlichen Besonderheiten unterscheidet. –
745 |
Ich erlebe in
mir oder ich nehme an die unbeschreibliche reine und freie Menschheit voller
Harmonie und Ausgeglichenheit: ich an Jesu Stelle die Eigenheit des Menschen
Jesu vertretend.
746 |
Einer nur ist
unser Vorbild und unser Ideal als Mensch, dem angeglichen zu werden das Ziel
und Streben aller Menschen sein soll. Weil nun nach den Absichten Gottes
„Christus“ im ganzen Umfang als Erlöser beleuchtet und gezeigt werden soll, so
wird – wie ich innerlich sehe – Christus als charakteristisch hervortreten in
dem Geheimnis, das geoffenbart werden soll.
747 |
Es vollzieht
sich in mir ständig ein „Zurücktreten“ meiner selbst. Dieses wird bewirkt durch
die feinen Regungen einer geistig tätigen Kraft der Gnade in mir, die eine
immer weiter sich entwickelnde Bewegung im Inneren hervorruft, die mir selbst
ein Geheimnis ist. – Was von mir an Persönlichem dem Heiland zum Bestehen
gegeben wird, das tritt scheinbar zurück, um geistig höheren Kräften die Stelle
einzuräumen, sodass ich heute das Sein Christi ihn mir in einer höheren,
vollkommeneren Art abhebt. Ich erlebe mich rein geistig, doch klar
hervorgehoben in der Person Christi, dessen Sein und Bestand noch ständig im
Vollenden begriffen ist. – Es ist ein großes Geheimnis, was ich da innerlich
erlebe. In diesem inneren Erheben und noch höheren Eingehen in Jesus erlange
ich auch die Bereitschaft auf einen noch vollständigeren Verzicht auf mich
selbst, sodass mir das Sein Christi immerwährend genügt.
748 |
In einer
weiteren völligen Entfernung von mir gehe ich tiefer ein in die reine
Menschheit Christi. Ich stehe wie vor einem Tor, das offensteht und dessen
voller Eintritt mir bevorsteht: Christus in seinem Erlösungsgeheimnis. –
749 |
Als unbedingt
notwendig zu diesem Erkennen und Erfassen Christi sehe ich das vollständige
Entfernen oder Zurücklassen meiner selbst; andere, neue menschliche Kräfte
bieten dem Heiland eine neue Lebensmöglichkeit, die aber im gewissen Sinne frei
sein muss von meinem Eigenen, Persönlichen.
750 |
Ich erlebe
den Heiland als Menschen in seiner ganzen Vollendung: Eine durchaus
vergeistigte Persönlichkeit, der alle zum vollen Menschsein gehörigen
Eigenschaften, Fähigkeiten und Kräfte in höchster Einheit und Zusammenordnung
eingeordnet sind. Daher die höchste, vollendete geistige Größe und Macht seiner
Menschheit. Die Einheit und das Zusammengeschlossensein zu einem Ganzen
entwickelt eben diese volle harmonische Kraft. – Würde der Heiland das
Persönliche meinerseits dulden, so würde seine Menschheit in mir eine bestimmte
Einseitigkeit erfahren. Darum verstehe ich gut dieses immer weiter
fortschreitende Mich-entfernen von mir.
751 |
Ich schaue
und erlebe Christus als den vollkommensten Menschen. Würde man die besten
Menschen alle zusammennehmen und mit dem Heiland vergleichen, so wären sie ihm
gegenüber nur Stückwerke und gleichsam Teile; es fehlte eben daran diese
bewundernswerte Einheit eines Ganzen, Vollendeten, des harmonisch Geordneten. –
752 |
Wie ist der
himmlische Vater im „zweiten Menschen“ reich entschädigt für das, was im
„ersten Menschen“ verdorben wurde! – Ich erlebe in Christus den übervollen
Ersatz, der dem Vater im Menschensohne geleistet wurde. Ich kann gut begreifen
und verstehen, wie Gott um „dieses“ Menschen willen der ganzen Menschheit wieder
Barmherzigkeit schenkte. Im Sein Christi, in seiner vollendeten und
vollkommensten Menschheit, finde ich das wie selbstverständlich. –
753 |
Ich durchlebe
auch die geistige Fülle dieses Gottmenschen: Ein Gefäß, würdig und darauf
hingeordnet, um als Mensch zugleich „Gott“ sein zu können und Gott-würdig, d.
h., so wie es einem Gott geziemt, in sich tragen zu können. Diese, „einem
Menschen“ gegebene Möglichkeit, sehe ich zurückgehen auf Maria. In ihr war der
erste Grund gelegt und die erste Vorbedingung und Möglichkeit gegeben für jene
Verbindung von Gottheit und Menschheit. Maria war es, die im gewissen Sinne die
Menschheit wieder gottaufnahmefähig gemacht hat, indem sie jene Menschheit gab,
die befähigt war, einen Gott in sich zu tragen.
754 |
Ich erlebe
auch Christus in seinem Selbstzeugnis: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“,
indem ich seine durchdringende Geisteskraft erfahre. – Christus in der Fülle
seiner Geisteskraft, die alles beherrscht und überwindet, die auch die
Unordnung des „ersten Menschen“ überwunden hat. Die Erlösung der Menschheit hat
sich in seiner geistigen Kraft entwickelt, in der Wiederherstellung der vollen
Ordnung, die Gott im „ersten“ Menschen geschaffen hatte, die aber verloren ging
und die im „zweiten Menschen“ wiederhergestellt wurde und zu einer Überfülle
sich steigerte, als göttliche Entschädigung. Die Erlösung hat sich im
Wesentlichen geistig in Christus vollzogen, in einer höchsten Wiederordnung der
ungeordneten menschlichen Fähigkeiten. In diesem Sinne schaue ich Jesus als den
Beherrscher und Bezwinger aller Geistesfähigkeiten und Geisteskräfte, als einen
Herrscher, dessen Reich im wahrsten Sinne ein Reich des Geistes ist. –
755 |
Ich bin mit
Jesus eingegangen in dieses Reich des Geistes, um diesen Akt der inneren
Erlösung zu erleben, der sich in ihm vollzogen hat. – Ich sehe meinen Weg
voraus und es war mir, als fragte mich die Stimme Christi: Willst du da immer
bleiben und wie teilhaben an meinem Sein und nie mehr zu dir zurückkehren? –
„Ja, Herr, ich will bleiben; lass mich hierbleiben in diesem Reich des Geistes,
wo es nur Freiheit und Kraft und Ruhe gibt! In dir will ich mein volles Genügen
finden.“ –
756 |
Ich spüre den
unermesslichen Unterschied, der zwischen mir und dem Leben und Sein Christi
besteht. (Es ist eben dieses merkwürdige Geheimnis in mir entwickelt: Es ist
mir, und das ist wohl tatsächlich: Der Heiland braucht zu seinem Bestehen in
mir meine Kräfte und Fähigkeiten wie die seinen, ich erlebe sein Sein als von
mir gegeben, während ich zugleich die „Zuschauerin“ in diesem Erleben bin). Es
ist mir, als fielen die Strahlen seiner Geistigkeit auf mich, als wolle eine
unaussprechliche Kraft mich erdrücken; ich entferne mich aber dann vollständig
von „mir“, dass ich ganz „Geist“ bin, denn im vollen „Geistsein“ wird der
Gegensatz einigermaßen ausgeglichen, weil der Geist „leicht“ (erhaben) ist.
Darum sehe ich auch voraus, dass in meinem Innenleben immer wieder
Läuterungsleiden eingeschaltet werden, weil ich Christus in einer sich in mir
steigernden Art erleben werde; das macht ein ständiges Wachsen in mir
notwendig, damit ich ihn ertragen kann. –
757 |
Ich sehe auch
in Christus ein gewisses, ständiges, geistiges Wachsen und sich
weiterentwickeln der Auswirkung seiner Erlöseraufgabe, die zwar schon am Anfang
seines menschlichen Seins in ihm grundgelegt und vorhanden war, aber sich in
einem menschlichen Entwickeln gesteigert und ausgewirkt hat. Dementsprechend
wird meine Seele stufenweise befähigt werden, immer tiefer in dieses Wachsen
Christi, seiner Persönlichkeit und seines Erlösungsgeheimnisses einzugehen und
wie daran teilzunehmen. Es wird eben dies kein bloßes „Schauen“ sein, sondern
sich zu einem Miterleben steigern, und zwar bis zur Vollendung, als in Christus
der Mensch in die höchste Art der inneren und äußeren Hinopferung nach Gottes
Ratschluss einbezogen wurde. –
758 |
Gewiss, man
meint immer wieder eine noch höhere Steigerung und eine noch höhere geistige
Befähigung sei nicht mehr möglich, sei ausgeschlossen; man habe das
Höchstmögliche schon erreicht. Aber dies gehört zu dem Geheimnis, das Jesus in
mir aufgerichtet hat: Ich stehe geistig ständig wie vor einer Mauer, die mir
undurchdringlich ist. Soweit er sie öffnet, erlebe ich dahinter Neues, noch nie
Geschautes. Es wäre mir ganz unmöglich, mit meinem Verstand irgendetwas
dazuzutun oder auch wegzunehmen von dem, was ich da erlebt habe. – Sicher
bleibt die erreichte Stufe des Innenlebens bzw. des Erlebens Jesu immer
bestehen, aber sie wird überholt von einer neuen. Es ist wie eine geistige
Leiter, auf der man immer höher steigt und die wie notwendig scheint. Aber
immer ist mir verborgen, was die nächste Stufe, die zu erreichen ist, an
Erleben mit sich bringt. Gewiss, die vorausgehenden Läuterungsleiden sind auf
das jeweils nächste geistige Ziel hingeordnet in einem dunklen Wissen, aber
doch irgendwie undurchdringlich. –
759 |
Wenn die
Tiefe und Schärfe der inneren Leiden abflaut, dann kommt an deren Stelle immer
eine große, geistige Ruhe und Ausgeglichenheit. Anscheinend ist dann der Grund
der betreffenden Leiden nicht mehr in der Seele vorhanden, ist der Gegensatz
und das Hindernis zu der zu erreichenden Stufe weggelitten oder durch das
Leiden selber entfernt. –
760 |
Es ist ein
durch die Gnade hervorgerufenes Streben und Drängen in mir, vollkommen in
Christus unterzugehen, von ihm aufgenommen zu werden. „Nicht mehr ich, alles
er!“ Im vollen Erleben seines Seins will ich mein ganzes Genügen haben und
suchen. Mein Sein muss vollends aufgelöst werden, der mit „ER“ erstehen,
ähnlich wie einstens in seinem Erdenleben. – Ich will nicht rasten und ruhen,
bis Jesus dieses von ihm vorausgezeigte Ziel in mir erreicht hat. Damit
erreicht er ja dann seine tiefsten Absichten, dass er wie neu für die Welt
erstehe in einem neuen Verstanden- und Erkanntwerden. (So wie er es mir vor so
vielen Jahren erklärte: Ich will durch dich meiner Kirche in meiner Menschheit
nahekommen und mich dadurch mehr zu erkennen geben.)
761 |
Dieses
Verlangen kann sich zu einer verzehrenden Glut steigern angesichts der eigenen
Ohnmacht, da man einsieht, dass nur Gottes Gnade ein höheres Hineinkommen in
Jesus bewirken kann und dass man trotz des eigenen Bemühens ständig vor einem
verschlossenen Tore steht und doch im Vorauswissen des gottgegebenen Zieles
unter dem inneren Drang danach leidet. – Alles aber wird seine Gnade tun, wenn
die innerlich fortschreitende Reife der Seele sich vollzogen hat.
762 |
Mein ganzes
Inneres verzehrt sich in dem großen Verlangen, ganz im Heiland aufzugehen; dies
steigert sich zu einer inneren Qual, die alles in mir auflösen möchte. Vor mir
steht das große Ziel meiner seelischen Aufgabe: Christus, den Erlöser zu
erleben, in ihn einzugehen, ihn in mir vollends werden zu lassen. Für diesen
Zweck muss all mein menschliches Sein vernichtet werden, damit dafür seine43
heilige Kräfte ihm zur Verfügung stehen. –
763 |
Ich erlebe
Christus in mir wie am Eingang eines „geistigen Tunnels“; ich muss vollends von
ihm aufgenommen werden; ich werde mich in seinem Inneren verlieren, um ihn zu
erfahren. Es ist ein Geheimnis in mir: Jesus lebt in mir, ich lebe ihn, aber
noch bin ich nicht eingegangen in sein Inneres. –
764 |
Ich sehe dies
aber bevorstehen und darum der Überdruss an mir. Alles ist er, ich will nichts
mit mir zu tun haben, weil Jesus alles ist. O könnte ich diese Wahrheit ganz
durchleben: Christus ist alles und es ist in Wirklichkeit so! Wer ihn einmal
erfahren hat, der muss sich selbst in gewissem Sinne hassen, sich selbst
vernichten wollen, weil im Überwinden und vernichten seiner selbst die wahre Ordnung,
Christus im Menschen, wiederhergestellt wird. –
765 |
Was ist es
Großes um die innere Wiederordnung und die volle Harmonie der menschlichen
Fähigkeiten! So wie Gott den ersten Menschen schuf, war er „gut“ und wohl
geordnet, waren alle seine Fähigkeiten, die höheren geistigen, sowohl wie die
niederen. Das gab dem Menschen jene Ruhe und Freiheit, die so recht das Glück
des Gotteskindes ausmachte im Paradies.
766 |
Diese
wundervolle Ordnung wurde aber gestört durch die erste Sünde: Das geistige
Begehren und Strebevermögen lehnte sich auf gegen die von Gott gesetzte Ordnung
– der Mensch wollte Gott gleich sein – und diesen höheren folgten dann die
niederen: Wir wollen genießen. – Es entstand im Menschen der Widerspruch gegen
das Gesetz Gottes. Nicht, dass Gott das geistige Streben des Menschen lahmlegen
oder unausgenützt hätte haben wollen; er hat es vielmehr als noch mehr
entwicklungsfähig gegeben zum Weiterstreben in der gottgewollten Ordnung, damit
der Mensch zu noch größerer Gottähnlichkeit gelange. Vor Gott war auch das
niedere Strebevermögen und Begehren (wie Essen und Trinken usw.) gut und von
ihm gewollt, wenn es ihn den Grenzen der gottgeschaffenen Ordnung bleibt. Aber
der einen Unordnung folgten andere, sodass der Mensch völlig die Herrschaft
über sich verlor, worin die Sünde lag.
767 |
Im „zweiten
Menschen“, in Christus, der gleich allen Menschen dieselben
Begehrungsfähigkeiten hatte, ward vom ersten Augenblick seines menschlichen
Daseins an die höchste Ordnung, ein Ersatz und eine Überfülle [vorhanden],
wodurch allen Menschen gleichsam ein Überströmen von neuen, geistigen
Ordnungskräften geboten wurde. Gerade die innere Ordnung, die Einwendung aller
Fähigkeiten auf den gewollten Zweck wurde im Menschen Christus zu jener
Überfülle an geistiger Größe und Erhabenheit. –
768 |
Was den
gewöhnlichen Menschen schwach und in sich zu höherem geistigen Erheben unfähig
macht, ist eben das ungeordnete Begehren verschiedener Fähigkeiten, weil
dadurch die Einheit der gesamten Kräfteanspannung behindert wird. Nun aber
gewinnt der Mensch durch die eigene Anstrengung immer mehr an Kräften und
Energien in sich selber; vereint werden diese noch stärker, und zusammen mit
der Erlösergnade Jesu Christi, „jener Überfülle an Kraft“, befähigen sie den
Menschen, die innere Unordnung mehr und mehr und schließlich vollständig zu
überwinden. Waren die durch die Natur gegebenen höheren Energien und Kräfte
durch den Fall des ersten Menschen und durch das eigene Nachgeben der Menschen
gegen sich selbst gleichsam eingeschlummert und schwach geworden, so erlangt
und erwirbt der erlöste, in Christus, in seine Erlösungsgnade durch die Taufe
einbezogener Mensch durch den Kampf gegen sich selber immer mehr an Kraft und
immer mehr die Herrschaft über sich selbst. Der Mensch leidet ja in sich am
meisten unter der eigenen Gebundenheit, einer Folge der Erbsünde, die ihn
scheinbar unfähig macht den höheren guten Regungen in sich zu folgen, die trotz
der Erbsünde noch in ihm vorhanden sind.
Abends:
769 |
Es ist ein
verzehrendes Leiden in mir: So kann ich nicht weiter bestehen; weil mir alles
entzogen und weggenommen wird für Jesus; ich habe nichts, was mir irgendwie
genügt; alles drängt in mir: Nicht mehr ich, sondern DU! –
770 |
Gewiss, er
erfüllt mein Sein, aber es ist wie leer, nicht „geöffnet“; ich muss in „ihn
hinein“. – Immer in ihm mein volles Genügen haben! Das will ich, und obwohl
eine verzehrende Qual mich dahin drängt, kann ich in meiner Unwürdigkeit und
Nichtigkeit doch nicht einen Schritt weiter machen. Der Heiland ist wie
verschlossen vor mir und doch zieht und lockt er mich so unglaublich. –
771 |
In meinen
Leiden fliehe ich zu MARIA. Ich bitte sie, mich ganz und vollends für den
Heiland zu bereiten. Bei ihr finde ich doch Trost und Verstehen. Ich möchte nur
immer zu ihr beten: Mutter, gib mir dein Kind ganz, ganz zum Erleben, so wie
ich es als innerstes Ziel schaue und erringen muss. Du kannst es beschleunigen,
indem du mir aus deiner Liebe und Reinheit ersetzest. –
772 |
Als ich sie
heute Morgen wieder so ähnlich bat, gab sie mir innerlich antwortend zu
verstehen: „Es muss alles durchlitten werden, um es anderen zu verdienen.“ –
Ja, ich will leiden, immer leiden, Jesus erleiden für die Kirche und die Seelen
in der Form, wie er sich geben will.
773 |
Wie bin ich
vernichtet und beschämt, wenn ich so meine Ohnmacht und Armut schauen und damit
das Ziel und den Weg meines Innenlebens vergleichen muss; beides ist sich
gegenübergestellt und das erhöht mein Leiden. –
774 |
Ich muss
vergehen, damit „ER“ vollends Raum gewinne. Der Heiland kann in seiner Liebe
und Herablassung sich aus Schutt und Asche, in das er mich innerlich auflöst,
ein neues Haus bauen und er findet nichts Besseres in mir. Das ist erdrückend,
denn ich möchte ihm ein warmes Heim bieten, wie Maria; aber es ist auch meine
Armut recht so, denn alles muss sterben. Leer muss ich werden und jede
Möglichkeit zu handeln und zu besitzen muss mir weggenommen werden, damit der
Heiland selbst alles tun kann in mir.
775 |
Heute bin ich
ruhig; die Art der Leiden von gestern ist in stille Bereitschaft und
unbedingtes Vertrauen auf die innere Führung übergegangen. – Vielleicht hat
Jesus in jenem inneren verzehrenden Verlangen noch etwa vorhandenes
Widerstreben gegen seine Absichten in mir weggenommen.
776 |
Ich bin
tiefer in ihm, bin tiefer in sein Inneres eingetreten, fühle mich darin
heimelig und geborgen und bereit. Immer wieder ließ mich Jesus tröstend
verstehen: In ihm, wenn ich doch nichts wolle als „ihn“, sei nichts zu
fürchten, „in mir ist nichts zu fürchten“. – Und Gott weiß, dass ich nichts
will, als dem Heiland gefallen, nicht um besondere Gnaden wegen, sondern einzig
um Christi wegen. –
777 |
Gewiss
fürchte ich, vielleicht einen besonderen Weg der Offenbarung gehen zu müssen,
andere Wege als bis jetzt genannte und bekannte; davor habe ich das größte
Widerstreben, aber es sei alles um Seinetwillen um seiner Ehre willen!
778 |
er wird mir
nichts Schwereres auferlegen als seine Ehre verlangt, weil ja damit dann seine
Absichten gefährdet wären.
779 |
Meine größte
Zuversicht ist meine liebe Mutter MARIA. Ihr ist mein Inneres anvertraut. Sie
kann ihr Kind nicht gefahrvolle Wege führen, und wenn sie wirklich gefahrvoll
wären, so wird sie mich sicher geleiten und an den Gefahren des Irrtums oder
einer falschen Auffassung vorbeiführen. Ich halte mich ganz an MARIA und das
gibt mir die tiefste Ruhe.
780 |
Wohl macht
das Kreuzesleiden des Erlösers als etwas Anschauliches mehr Eindruck auf den
Menschen und üben die äußeren Leiden Christi zunächst größere geistige
Anziehungskraft aus. Darum entsprach es dem Bedürfnis der Menschen und der Art
Gottes, zunächst das Sichtbare, Greifbare, Anschauliche wirken zu lassen, wie
es sich in den äußeren Erlöserleiden zeigt. Aber wenn auch zunächst die äußeren
Leiden in den Vordergrund gestellt wurden, so sind doch die inneren und äußeren
Leiden Jesu, die beide dem gleichen Zweck dienen, gleichwertig vor Gott. Das
Kreuzesleiden bleibt bestehen als das hervorragendste Erlösungsopfer, aber es
wird nun noch mehr seine innere Ursache gezeigt; denn das Kreuzesopfer und die
äußeren Leiden Jesu gehen aus seinen inneren Leiden, aus seinem Herzen hervor –
sind deren Folge und Steigerung. –
781 |
Von außen für
Gott nach innen. Der Heiland will die äußeren Erlöserleiden als in seinem Inneren
begründet zeigen. Er will sein inneres Leiden als gleichwertig mit den äußeren
offenbaren, will das Wesen der Erlösertätigkeit erklären, die schon von außen
veranschaulicht und begriffen ist. Damit führt Gott die Kirche in den Mittel-
und Ausgangspunkt der Erlösung ein. Den Zeitbedürfnissen und der Entfaltung und
Entwicklung der Offenbarung entsprechend zeigt sich Christus seiner Kirche in
einer „neuen Art“. –
782 |
Wenn man
annimmt, Christus habe nur durch seinen Kreuzestod – der freilich überreichlich
genügt hätte – die Welt erlöst, so liegt eher der Gedanke nahe: Ich bin fertig
erlöst, denn Christus hat alles getan. Das Kreuzesopfer aber, zusammen mit dem
inneren Opfer und Leiden Christi zur Wiederherstellung der sittlichen Ordnung,
fordert folgerichtig ein eigenes Mitarbeiten und Selbst-Erlösen wollen. Was
nämlich Christus durch seine Leiden für die Seele möglich gemacht hat, das muss
die erlöste Seele in sich gleichsam fertigmachen und vollenden. Die sittliche
Wiederherstellung des Ebenbild Gottes in der Seele des Menschen geschah in
erster Linie durch eine wirkliche Wiederherstellung im Gottmenschen. Aus der
Überfülle der Heiligkeit und der Verdienste seiner reinsten Menschheit kommen
die helfenden Gnaden, auf die in der Taufe, zugleich mit der heiligmachenden
Gnade, das Anrecht gegeben wird. Die Gerechtigkeit Gottes und das Wesen der
Sünde und der Erlösung verlangen nicht bloß eine Genugtuung, sondern auch eine
Wiederherstellung der gewollten Ordnung.
783 |
Wenn man die
äußeren Erlöserleiden und den Kreuzestod allein als Sühne und Genugtuung
bezeichnete, so wäre dem Heiland die Anerkennung eines wesentlichen Teiles
seines Lebens als Erlöser entzogen. Schon in seinem ersten Entschluss, gemäß
dem Willen des Vaters Mensch zu werden, kann man aber eine Genugtuung sehen.
Christus wollte „Mensch“ werden, um in dieser Eigenschaft dem
Menschengeschlecht überfließend das zu ersetzen, was es durch den allgemeinen
Sündenfall verloren hatte. Insofern auch wird Christus im ersten Anfang seiner
Menschwerdung zum „Haupt“, zum „ersten“ Menschen, der infolge der Vereinigung
der Gottheit mit der Menschheit in sich die Möglichkeit hatte, der göttlichen
Gerechtigkeit einen überfließenden Ersatz und überreiche Genugtuung zu bieten.
– Wenn nun schon das äußere körperliche Leben Jesu eine solche Fülle und Kraft
des Ersatzes und der Genugtuung in sich trug, so musste dies vielmehr noch von
den inneren, „neuen“ Menschen gelten, da doch das Äußere aus dem Inneren
hervorgeht. – Hat der Heiland das sichtbare Leben als Erlösungspreis hingegeben
und zu diesem Zweck es überhaupt angenommen, so ist es ebenso sicher, dass Jesu
Inneres in einer tiefen Bedeutung an der Erlösung beteiligt war. Mit dem
Menschsein als „reiner gerechtfertigter Mensch“, zum Ersatz und zur Genugtuung
nahm er sich zugleich der gefallenen, innerlich verdorbenen, verwundeten
Menschheit an, nahm sie gleichsam in sein Inneres, in sein Herz auf, damit sie
dort unmittelbar von ihm wieder geheilt und geordnet werde. – Im Kreuzestod hat
sich dann das sichtbare Opfer mit dem inneren Opfer und Leiden verbunden. Kreuz
und Herz Christi greifen eben ineinander und können im Wesentlichen nicht ohne
Einseitigkeit getrennt werden.
784 |
Der Heiland
wollte die Folgen der Sünde in sich als solche erleiden und dadurch zugleich
gutmachen. Seine inneren und äußeren Leiden sind eben die natürlichen Folgen
der Sünde, denen er sich freiwillig als Erlöser überantwortet hatte. In dieser
Hingabe, die er anstelle der sündigen Menschheit vollzog, liegt die
unergründliche, unendliche Liebe seines Herzens. –
785 |
Christus
wollte als Mensch in seiner Menschheit das gutmachen, was die Menschen an sich
verdient hatten. Daher ist jedes seiner Leiden eine natürliche Auswirkung der
Sünde; nicht so sehr der Zorn des Vaters über die Menschheit hat sie verhängt,
sondern Jesu stellvertretende Liebe, zusammen mit der Liebe des Vaters, hat sie
ihm auferlegt. Der Vater war einverstanden mit der Erlöserliebe des Sohnes, die
ganz der Liebe und dem Willen des Vaters entsprach, im Sohne der Menschheit
Erlösung und Befreiung von der Sklaverei der Sünde zu schenken. – So trafen den
Gottmenschen nach seinem freien Willen die entsprechenden Folgen und Strafen
der Sünde, d. h., jene, die von Rechtswegen der Sünde gebührten. –
786 |
In diesem
Sinne steht der Erlöser als Mittler, als Erleider vor dem Vater, wozu er sich
angeboten hatte, und was, zusammen mit dem Vater, nur „göttliche, unermessliche
und unendliche Liebe“ ersinnen kann. – In dieser unendlichen Erlöserliebe liegt
der Adel der Menschheit Christi, die unergründliche Liebe seines Herzens. Er
nahm die Sünde auf sich und büßte sie an sich, innerlich und äußerlich. Er
rechnete auch mit allen Möglichkeiten der Leiden, die durch die gefallene
Menschheit, der er sich überantwortet hatte, einem vermeintlichen Sünder und Verbrecher
als gerecht scheinende Strafe und Schande und Qual zugefügt werden konnten. –
Darin liegt die unaussprechliche Demut und Selbstvernichtung des Erlösers, dass
er sich ganz in die Gewalt der Sünde und der Sünder begab. –
787 |
Noch bevor er
die Auswirkung in seinem körperlichen Leiden über sich ergehen ließ, war er in
seinem Herzen ständig in ein ähnliches seelisches Leiden versetzt, durch den
Gegensatz seiner allerheiligsten Menschheit und den Sünden, die er als Erlöser
in ihren Auswirkungen auf sich genommen hat. Das Wissen um die göttliche
Gerechtigkeit, die er selbst als Gott besaß, und um die Sünde der Menschheit,
versetzte seine reine und unendlich zarte heilige Menschheit in einen Zustand
ständiger Leiden, die in der Art des Verabscheuens und des Gutmachenwollens
bestanden. Nur die heiligsten Gefühle der Menschheit Christi waren eben
imstande, die Erniedrigung des Menschen voll und ganz zu erfassen, die in der
Widersetzlichkeit gegen Gottes unendliche, in der Erschaffung gezeigte und
kundgegebene Liebe lag. – Ersetzend und stellvertretend bot sich da Jesu
Hingabe der göttlichen Gerechtigkeit als Opfer dar. –
788 |
Christus war
in seiner Eigenschaft als Erlöser derjenige, der die Sünde an sich strafen
ließ, und alle seine inneren und äußeren Leiden waren Auswirkungen der Sünde.
In diesen Leiden wurde er durch seine unendliche Liebe das Opfer der göttlichen
Gerechtigkeit. Nicht der Vater zürnte dem Sohne, sondern die Sünde forderte
Gottes Gerechtigkeit heraus, wie es sich in den Leiden offenbarte, die der Erlöser
über sich ergehen ließ. –
789 |
In mir ist
alles Liebe, Hingabe und Bereitschaft. Mein Inneres verzehrt sich in dem einen
Verlangen, ganz im Heiland aufzugehen, ganz von ihm aufgenommen zu werden. –
790 |
Alles ist nun
zur Ruhe gekommen. Es herrscht nur Einheit, volle Sicherheit in Christus in
mir.
791 |
Zu Mittag in
der Kapelle war diese volle Einheit in Fülle in mir. Der Heiland fragte mich:
„Willst du ganz teilnehmen an MIR, an meinem Erlöserleiden, es gleichsam teilen
mit mir?“ Und ich war ganz in ihm; seine heiligste Menschheit ward mir wie die
meine gegeben. – O Heiland, endlich, endlich sollte ich dich ganz erfasst
haben, denn im Erleben und Erleben deines Seins wird sich die ersehnte Fülle
zeigen. – Ja, ich will teilen, ja, alles an deiner Stelle leiden und erleben
will ich, weil ich doch damit dich ganz besitzen kann und darf. Du weißt: Wenn
du nicht leidend in mir lebst, finde ich keine volle Ruhe. Eigentlich kannst
nur du mir ein solch verzehrendes Verlangen, einflößen, das mich für deinen
vollen Besitz zugleich befähigen soll. –
792 |
Der liebe
Heiland bot mir aber zugleich seine reinste Menschheit zum ständigen Erleben
an, denn „nur in dieser und mit dieser und kraft dieser sei ich imstande, das
in mir zu erfahren, zu erleiden und zu ertragen, was sein inneres Erlöserleiden
ausmache“. Meine Menschheit, auch in der höchstmöglichen reinen Art, sei dazu
nicht fähig; sie würde darunter erliegen und vollständig in Verwirrung geraten.
Darum müsse ich mir seine heilige Menschheit, in die er die meine „umgewandelt“
habe, ganz aneignen, mit Ihr leben, von dir ganz erfüllt sein, und ich dürfe
nie mehr zu mir zurückkehren wollen. Und ich müsse glauben, fest glauben an die
große Gnade, dir er mir gebe und glauben an seine Absichten, die er mit mir
habe. –
793 |
Ich bin
innerlich gesättigt, ganz erfüllt von ihm doch erlebe ich dies in einem
unermesslichen „Wohlfühlen“ und „Sichersein“ in ihm, in seiner gottmenschlichen
Kraft. – Alles ist frei von mir, vom Eigenen, „Alles ist in ihm“ geworden, in
seiner Einfachheit und Einheit – ohne dass ich es in Worten ausdrücken könnte.
– O, dass nie mehr eine eigene Regung diese wundervolle Harmonie stören möge! –
Ich will ganz und für immer an ihm genug haben; gewiss sehe ich als Folge nur
Leiden, Leiden, die ich nur kraft seines Seins ertragen werden können. –
794 |
Ich bin in
großem Frieden im Sein der reinsten heiligsten Menschheit Jesu. – Darf ich für
ständig hier leben und weilen? Oder ist es nur ein Erleben, um von seiner
gottmenschlichen Liebe ganz durchdrungen zu werden? Ich glaube an das Erstere,
weil ich ohne Beschwerde und ohne einen Druck meinerseits bleiben kann. Jesu
Heiligkeit hatte nichts Erdrückendes, nichts Beschwerendes für mich. Ich lebe
Jesus in großer Einheit und Harmonie, wie wenn es selbstverständlich wäre, ohne
irgendwelches, auch nur unbewusstes Verlangen, das sich in einem inneren
Widerstreben äußern müsste – nochmals zu mir zurückzukehren.
795 |
Ich kann nun
den Heiland in seinen gottmenschlichen Eigenheiten und Eigenschaften dauernd
ertragen! – Wie wenig ist das, was ich verlassen habe, mein eigenes Sein im
Vergleich zu dem, was mir dafür in Christus gegeben ist! – Und welche Leiden,
fast möchte ich sagen Härte, musste die Liebe Jesu anwenden, bis er die arme,
an sich selbst gebundene Seele so weit brachte, dass sie sich von sich selber
loszumachen imstande war! – Und welcher Ersatz dafür! O, wüssten die Menschen,
was es ist um Jesu heilige Persönlichkeit, welche Überfülle sie enthält und wie
nur diese das Menschenherz sättigen kann: Es müsste sich allgemein wiederholen
und zu dem Ergebnis kommen, das im heiligen Evangelium von den Aposteln
berichtet wird: „Und sie verließen alles und folgten ihm nach“. – Das ist eben
die bezwingende und beherrschende Macht seines Seins. – Und welches ist erst
der Genuss seines innersten Wesens im Weilen und Verkosten seines Seins? Wenn
schon die Liebe, die seinem Inneren entströmt, so erhaben und beseligend, so
fein und weich und milde, so zart und süß ist, was bietet erst sein Innerstes,
[das] das Zentrum und die Quelle all seiner gottmenschlichen Vollkommenheiten
[ist]! In ihm erlebe ich die Fülle alles Guten! Und mit St. Paulus muss ich
bestätigen: Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört und keines Menschen
Herz ist gekommen, was Gott … Und mit Jesus hat man für immer genug. –
796 |
O, ich darf
verweilen im Allerheiligsten, nein nicht nur dort weilen, es ist mir vielmehr
zu meinem Besitz und wirklichen „Leben“ gegeben als mein „Sein“. – Christus hat
sich mir zu eigen gegeben: Er will sich mir mitteilen, mich teilhaben lassen an
sich! Es scheint mir kein Leiden so groß sein zu können, dass die innere, aber
so sanfte und ruhige Kraft des nicht überwinden könnte. –
797 |
Und doch hat
mir gestern Jesus gesagt: „Nur in Kraft meines Seins kannst du imstande sein,
alle Leiden zu ertragen, die mein Inneres, meine inneren Erlöserleiden, in sich
bergen.“ Christi heiligste Menschheit ist dieses Geheimnis an Liebe und Leiden,
an Erlöserliebe, die aus seinem innersten ihren Ausgang nahm.
798 |
Jesus hat mir
auch ein tröstliches und kostbares Versprechen gegeben, das mir Kraft und Mut
bis zu meinem Leben- und Leidensende geben soll: „So sicher du jetzt mich
lebst, mein gottmenschliches Sein erlebst, das sich dir mitteilt und das dich
meine Erlöserliebe erleben lässt, so bestimmt kannst du erwarten, dass dies
einst dein ewiger Besitz sein wird; das bedenke, wenn du unter den Leiden, die
mein Sein eigen sind, 'schwach' werden möchtest!“ –
799 |
Darum
verlangt der Heiland immer wieder: Glauben, Glauben an seine Gnade, die er mir
gibt, und an die Absichten, die er damit hat.
800 |
Ich übergebe
alles, was mich und mein Inneres betrifft, meiner liebsten Mutter MARIA. –
801 |
Jedes Mal,
wenn ich mich angeregt fühle, meine inneren Erlebnisse niederzuschreiben,
empfehle ich es immer innig Maria. Schon beim Erleben eines weiteren inneren
Wissens empfehle ich dieses ganz ihr an und übergebe es ihr als „ihr Eigentum“,
dass sie es (in ihrem Mutterherzen) mir bewahren möge, bis sich Gelegenheit zum
Schreiben habe, eingedenk der Worte der Heiligen Schrift: „Maria bewahrte all
diese Worte in ihrem Herzen.“ So übergebe ich ihr alles und bitte sie, dass sie
mir die rechten Worte gebe, um mich entsprechend und immer richtig ausdrücken
zu können. – Sie allein hat die Geheimnisse ihres göttlichen Sohnes erkannt und
durchlebt wie niemand anderer. Ihr ward ja durch die Mutterschaft gleichsam der
Weg freigemacht zum Herzen ihres Kindes; Maria und ihr Kind waren wie eines.
Mit der Empfängnis des Erlösers ging Maria gleichsam ein göttliches Licht auf,
in das sie hineingezogen wurde, das sie mitlebte und das im fortschreitenden
Wachsen und Entwickeln des Kindes in ihr immer mehr zu einer Fülle wurde.
Trennte sich dann auch das leibliche Leben ihres Kindes von ihr, so wurde sein
inneres, übernatürliches Leben in ihr dauernd und weiterbestehend; ja, es wurde
noch tiefer und höher, weil sie im Wesen und in der Art des Kindes in sich die
Bestätigung seines innerlich erlebten und erfahrenen Seins fand. Die wahre
Erkenntnis Christi können wir darum nur in Maria lernen, weil niemand ihn so
erkannt und durchlebt hat, wie sie. –
802 |
Ich bin und
bleibe ständig in dem Sein der heiligsten Menschheit Jesu; Sie ist mir zu
meinem Sein und Leben gegeben. Ich bin ganz frei von mir selbst, ich leide nicht
mehr unter dem, was ich an mir selbst verloren habe – wie das früher und
besonders in Läuterungszeiten so heftig war, weil noch immer ein Anklammern,
ein unbewusstes Sich-selbst-besitzen-wollen in mir war.
803 |
Welchen
Frieden gibt mir seine heiligste Menschheit! Mit welcher Einheit bin ich eins
mit ihr! Sie ist die Meine, auf der sich jetzt weiter fortschreitend meine
inneren Erlebnisse aufbauen. Diese werden mir nicht durch ein „Voraussehen“
gegeben, sondern es ist Tatsache, was ich in mir erlebe und woraus sich alles
Folgende weiterentwickeln wird. Im Heiland ist mein Sein begründet und
festgelegt, in ihm bin ich geborgen und sicher! Die Liebe und Zartheit, mit der
ich in Jesus, von ihm aufgenommen und durchlebt bin, ist unvergleichlich
inniger und größer als je eine liebende Mutter ihr Kind umfangen hat. Diese
seine unendliche Liebe, ihre Freiheit und Milde gibt mir die volle Sicherheit
des Vertrauens, die sich ihm vollkommen für seine Absichten überlässt.
804 |
Und ewig
einmal diesen göttlichen Besitz erleben dürfen! Denn ich schaue voraus: So wie
jetzt – dann ewig! Ich bin beschämt darüber, weil ich mit seiner Gnade das
Wenige verlassen und aufgegeben habe, das doch nur böse und unberechenbar und
sündhaft war, ich bin in den Besitz seines heiligsten gottmenschlichen Seins
gelangt; und er verspricht mir: Ewig wird dies dein Anteil sein. – Und doch hat
im Grunde er alles getan; ich war und bin immer nur die Empfangende. –
805 |
Heute aber
ward mir in Christus ein Geheimnis gezeigt und seine sich darin offenbarende
unendliche Liebe hat mich erschüttert.
806 |
Ich sah meine
weitere Entwicklung in seiner heiligsten Menschheit und es schien mir ein
ständiges Bemühen meinerseits notwendig zu sein. Ich lebe Jesus, aber dies wird
zu einem Erleben seines Erlösungsgeheimnisses führen und dieses Erreichen wird
immerfort von meinem eigenen Mitwollen abhängen. Ich muss ständig glauben, muss
alle meine Geistesfähigkeiten bis ins Letzte anspannen, muss mich gleichsam
dazu opfern bis in die letzte Opfermöglichkeit. Was meine innere Aufgabe in
sich schließt, wird sich alles „menschlich-fortschreitend“ erfüllen.
807 |
Ich sehe mich
jetzt in dem „Kindsein“ seiner heiligsten Erlösermenschheit. Was ich innerlich
erlebe, ist das Wesen seines gewöhnlichen Seins, die Grundlage seines
Menschseins, dessen innerster Inbegriff. Ich bin also dort, wo ich anfange. Die
erste Stufe ist anscheinend erreicht: Ich habe mich mit seiner Gnade „selbst
verlassen“ können und bin fähig, ihn in seinem gewöhnlichen gottmenschlichen,
ruhigen Sein und Zustand zu ertragen. Von da fängt mein Weg eigentlich erst an.
Ich bin gleichsam in den „Kinderschuhen Christi“. – Ich hatte heute viel Licht
über Jesu Erlösermenschheit, über das Geheimnis der Verbindung von göttlicher
und menschlicher Natur in einer Erlöserperson, über die Tätigkeit und das
Zusammenwirken beider Naturen im Erlösergeheimnis. Ein solches Geheimnis konnte
nur Gottes unendliche Liebe ersinnen. –
808 |
Ich erlebte
entwickelt die Erlösungsnotwendigkeit. Ich schaute „den ersten Menschen“ aus
der Hand Gottes hervorgehen; er war „gut“. Es folgte die Auflehnung, die
Widersetzlichkeit gegen Gottes Gesetz und die angedrohte Folge und Strafe. –
Gott entzog dem Menschen seine Freundschaft; der Mensch kam in die Gewalt
dessen, dem er gefolgt war und auf den er gehört hatte, in die Gewalt des bösen
Feindes. Zugleich verlor er in sich die höhere Richtung, die ihn früher ständig
auf Gott hingerichtet hatte; er kam zum Bewusstsein seiner selbst und seiner
inneren Anlagen, und es erwachten in ihm all die verschiedenen Möglichkeiten
und Fähigkeiten, die nun nach der ersten Unordnung sich gegen Gott betätigen
wollten. Der Mensch verlor in sich den Halt und die Gewalt über sich selbst,
die früher durch die Freundschaft mit Gott wie selbstverständlich war. Wie
Wasserquellen brachen die schlummernden Anlagen und Fähigkeiten im Menschen
hervor und wollten sich betätigen, wollten herrschen in der Richtung gegen
Gottes Gesetz. Und der Mensch war seiner eigenen Schwäche und zugleich der
Gewalt des bösen Feindes ausgeliefert; die Natur des Menschen war verdorben,
krank, widerstandslos in sich selber, in der Gewalt des Bösen. Der Mensch litt
darunter; er wollte zwar noch das Gute, aber es gelang ihm nicht, weil die
Kraft es zu vollbringen nur mit der Gnade und Freundschaft Gottes möglich war.
Es war eine unheilvolle Kluft entstanden zwischen Gott und den Menschen.
809 |
Dieses Unheil
übertrug und vererbte sich bei der Vermehrung des Menschengeschlechtes von
einem Menschen auf den anderen und auf alle Menschen, weil
1. das Naturgegebene, Übertragbare
als Anlage sich weiter vererbt hat nach dem von Gott geschaffenem Naturgesetz
und
2. weil niemand fähig war, Gottes
Barmherzigkeit und Freundschaft zu erwerben und die Gewalt des bösen Feindes zu
brechen, in die der Mensch sich begeben hatte.
810 |
Es handelt
sich also um etwas Leibliches, Natürliches und um etwas Geistiges. Und dieses
zweifache Übel nennen wir die Erbsünde; Vererbungsgemäß war der Mensch in einem
gewissen Grade dem Teufel anheimgegeben.
811 |
Ich habe
innerlich diese natürliche Übertragung in Form der „Erbsünde“ vom ersten
Menschen auf alle erlebt und geschaut. Ich muss gestehen: Ich habe immer an die
Erbsünde und deren Folgen geglaubt, schon deshalb, weil ich sie ja selbst
erlebt habe, aber dieses jetzige Erkennen war so klar und selbstverständlich,
dass es mir wie natürlich schien. Der Mensch konnte sich selbst nicht helfen
und erretten, weil seine Natur verdorben war. Gott aber wollte ihn retten und
Gottes Liebe ersann das höchste Wunder, den Weg zur Befreiung des
Menschengeschlechtes aus der Gewalt des Menschen in sich selbst und aus der
Gewalt des Teufels.
812 |
„Gott selbst
kommt und erlöst uns“. Die zweite göttliche Person verband sich mit einer
„neuen Menschheit“ in Maria. Diese reine, neue Menschheit war durch Gottes
unendliche Liebe bestimmt, eine Neuordnung im gefallenen Menschen herzustellen.
Dieser Erlösernatur ward von Gott eine Menschenseele mit den gleichen
Fähigkeiten wie die der „ersten Menschenseele“ gegeben, aber zugleich mit der höchsten
Entwicklungs- und auch der höchsten Leidensfähigkeit. Diese Seele war zusammen
mit dem Erlöserleib bestimmt, eine Neuordnung der seelischen und leiblichen
Anlagen, Kräfte und Fähigkeiten im Menschen vorzunehmen. Gottheit und
Menschheit, zusammen in der einen Person, waren zugleich an dieser Neuordnung
und Erlösung beteiligt.
813 |
Ich erlebe
diese reinste, heiligste Menschheit, diese göttliche Erlöserperson. Ich schaue
als die stärkste Macht in den erlösungsbedürftigen Menschen die Macht des bösen
Feindes, die eine ewige Überantwortung an diesen mit sich bringen kann; deshalb
bot Christus sein Leben als Lösepreis an und begab sich in den Tod, um die
Menschen vom ewigen Tod zu befreien. Das war das größte und wichtigste in
seiner Erlösertätigkeit.
814 |
Die höchste
innere Ausübung der Erlösertätigkeit bestand in einer Erneuerung der
geistig-menschlichen Fähigkeiten. Jesu reinste Menschheit schaute durch das
Licht und Wissen, das er als Gott hatte, den unermesslichen Abgrund und die
große Kluft, die zwischen Gott und Mensch bestand. Die göttliche Gerechtigkeit
forderte eine entsprechende Überbrückung, Gutmachung, Heilung. Der Mensch
sollte wieder in eine geordnete Harmonie mit Gott kommen und der Seele sollte
die Kraft gegeben werden, sich in Freundschaft mit Gott zu befinden, von dem er
getrennt war. Diese Möglichkeit zur Neugestaltung und Befreiung ward der
verdorbenen Menschenseele in Christus gegeben.
815 |
Ich bin leer
von allem, was ein Mensch sonst zum inneren Leben braucht. Ich lebe Jesu
inneres rein geistiges Sein, wie in einem Geiste, der nichts an Leben bietet,
weil dieses geistige Sein Jesu mir jetzt leer scheint. Es ist dies aber ein
Zustand einer höheren Läuterung, um für immer mit dem Heiland als meinem Sein
auskommen zu können. Vollständig frei von mir muss dieses werden, damit Jesu
Menschheit die volle Kraft und überhand gewinnt. Er arbeitet und poliert an
mir, aber wie könnte ich sein ständiges „Mich mir ganz wegnehmen“ beschreiben?
Er sieht wohl die feinsten Regungen meinerseits, die sich in „sein Leben in
mir“ einmischen wollen oder noch nicht entfernt sind. Und ich lasse ihn gerne
machen; ich will nichts für mich; er vollendet sich selbst in mir. Zuweilen
kann das wohl wehtun, aber so ist es recht. Nur er, nicht mehr ich!
816 |
Gestern Abend
sah ich, wie in seiner Menschheit voraus oder diese ließ mich schauen: Das
Erleben seines inneren Erlösungsgeheimnisses soll nicht allein zum Zweck einer
Offenbarung für die Kirche dienen; es fließen damit zugleich auch „neue große
Gnaden“ für die Kirche; Kraft dieser Gnaden wird ein „neuer Geistesweg“ gezeigt
und erklärt, wie nämlich die erlöste Seele die durch Christus überreich
vollzogene Erlösung mehr oder weniger vollständig in sich verwirklichen könne.
– Die durch die inneren Erlöserleiden schon gegebenen und verdienten Gnaden
werden den Seelen durch das Erleben der Erlöserleiden mehr zugänglich gemacht.
Christus ist bereit, die schon erworbenen Gnaden für die Seele in einer
weiteren, volleren Art zu eröffnen.
817 |
Ich bin
unsagbar ruhig und bereit; ich will in allem Jesu Absichten zur Verfügung
stehen. Ich fühle in mir alle Rücksicht auf mich selbst überwunden; dieses
Freisein von mir gibt unglaublichen Frieden und Kraft, weil so dann Christus
mich voll erfüllen und durchleben kann.
818 |
Heute Nacht,
bei der heiligen Kommunion, in der Mitternachtsmesse ward ich ganz frei von mir
in Jesu heiligster Menschheit. Ich fühle und es steht fest: Ich bin an einem
Wendepunkt meines Innenlebens angelangt. Ich lebe Jesus wie mich, und zwar so,
dass es mir selbstverständlich scheint und gar nichts Besonderes. Alles ist in
ihm geordnet. Nur die Fülle des Geistes und der Kraft, die mich durchlebt und
die mich über mich selbst hinausgehoben zu haben scheint, macht mich so
unerklärlich leicht und frei und vergeistigt. –
819 |
Ja, der
Heiland ist getreu, und genau nach dem vorausgeschauten Ziel bewegt sich die
innere Erfüllung. Nur ist die Wirklichkeit des Erlebens ungemein tiefer und
stärker, und somit scheint der Heiland weit mehr zu geben, als man es im
Vorausschauen erfassen konnte. – Nach der heiligen Kommunion war mir in und mit
ihm das Wissen gegeben, dass jetzt sein eigentlicher Weg beginnt, dem alle
jahrelangen Vorbereitungsleiden galten: Christus in seinem inneren
Erlösungsgeheimnis erleben, denn nicht im „Schauen“ oder „Offenbaren“ sei
dieses Geheimnis zu erklären, sondern im Nacherleben in seiner heiligsten
Menschheit, wie an seiner Stelle es erfahrend und erleidend. Es ist so schwer,
in Worten auszudrücken, weil es mir der Heiland nicht in „Worten“ erklärt; in
seinem Sein empfange ich vielmehr das Wissen um ihn und seine Absichten; ich
schaue und erlebe die weitere Entwicklung „in ihm“, der sich ständig in mir
vollendet und dementsprechend mir seine Mitteilungen zukommen lässt. In der
nächsten Zeit scheint nun eine vollständige Änderung in meinem Innenleben
einzutreten. Das innere Erfahren wird sich in einem „Erleiden“ vollziehen.
820 |
Ich weiß ja
einigermaßen aus dem oftmaligen Erkennen und Schauen seiner inneren
Erlöserleiden, in welcher Art sich dieses, sein inneres Leiden vollzogen hat
und wie sich in „seine Seele die Sünde gelegt“ hat, aber für dieses Geheimnis
besteht keine menschliche Erklärung und würde auch keine genügen, um es klar
und tief genug ausdrücken zu können, weil dies ein „rein geistiges Gebiet“ ist.
– Anders verhält es sich mit seinen äußeren Leiden, die zugleich als eine
greifbare Tatsache sichtbar geschaut werden können und die der Heiland auch
durch manche Seelen schon veranschaulicht hat. Anders sei es auf dem rein
geistigen Gebiet der inneren Leiden; ich würde durch die Teilnahme an ihm,
durch das Erleben seines Seins ganz da hineingezogen werden und es würde mir
alles innerlich so begegnen wie ihm. –
821 |
Ich begreife
meinen inneren Weg, und er hat für mich jetzt nichts Erschreckendes und
Niederdrückendes mehr, weil meine natürlichen Anlagen „in ihm“ geworden und
gleichsam in ihm umgewandelt sind. Es ist nur das Streben in mir mich ganz
ausschalten zu können, um in möglichst vollkommener Weise in ihm vollendet zu
werden.
822 |
Schon in den
ersten Jahren der inneren Begnadigung sprach Jesus wiederholt in Gnadenstunden
zu mir: „Ich möchte eine Seele finden, in der ich mich innerlich wie
wiederholen kann; ich will mich in dir wiederfinden; ich will in dir meine
Leiden nochmals wiederholend zeigen – durch dich an meiner Stelle“. – Öfters
auch gebrauchte er die Worte: „O könnte ich eine Seele finden, in der ich so
ganz leben kann!“ Und ich fühlte die Glut seines Verlangens, sich mir ganz
mitzuteilen. – Ich habe mich ihm jedes Mal voll Liebe angeboten: „Ich bin
bereit, nimm mich, ich will nur das eine: Ganz 'du' werden zu können, weil ich
dann auf das Vollkommenste dich lieben kann“. –
823 |
Und ich war
durch eine außergewöhnliche Vereinigung ganz in ihn hineingezogen, sodass ich
vollkommen von ihm durchlebt war. Damals verstand ich aber bei Weitem nicht
ganz den Sinn seiner Absichten, aber Jesus arbeitete dauernd in meiner Seele
zur Vorbereitung auf dieses hohe Ziel. –
824 |
Und jetzt
scheint der Heiland das wahr gemacht zu haben, und ich bin darüber voll Freude
und Frieden. –
825 |
Nach einem
schweren inneren Läuterungsleiden ging ich gestern Abend in einen neuen
geistigen Zustand ein. In großer innerer Ruhe in der Kapelle durchströmte mich
Jesus mit sich. Er war es, der blieb, und das Meine war nicht mehr vorhanden.
826 |
Er ist es, der
mich lebt, aber es scheint nichts Besonderes, sondern es ist das vollendet, was
er in mir aufgebaut hat, sein Sein. – Es gibt kein Wort, um mein Inneres zu
erklären; es ist lauter Geist, Harmonie und Einheit; nicht nur mit ihm, sondern
es ist nur eines: „er“. – Ich meinte, unter der Fülle des Geistes unmöglich
schlafen zu können, weil ein geistiges Element mein inneres Sein beherrscht. –
827 |
Heute Morgen
vollendet sich die gestrige Stufe weiter. Es gibt kein Wort dafür. Ich lebe ein
neues Leben, das Leben Christi; ich brauche das nicht mehr zu glauben; es ist
so. – Nach der heiligen Kommunion ist mir dieses Sein Christi in mir „ein
Unterpfand des einstigen ewigen Besitzes“. In dieser Bürgschaft sei die Kraft
vorhanden, ihn ertragen zu können bis zur Vollendung der irdischen
Wanderschaft.
828 |
Ich genüge
mir so; ich habe alles, was ich brauche; in ihm ist alles gegeben. – Auf mich
ist gelegt das geistige Schicksal der Kirche, auf mir lastet eine geistige
Hebung der Kirche. Mit ihm bin ich der Erleider neuer Ströme von Gnaden, durch
die er sich in einer neuen Art seiner Kirche offenbaren will. – Ich nehme voll
von ihm Besitz, denn „je nach der Fülle seines Lebens, das offenbar werden
soll, werden sich seine Absichten mehr oder weniger erfüllen und Frucht
bringen“. – Ich will meine Aufgabe bis zur letzten Möglichkeit getreu sein,
damit seine Gnaden über das Werkzeug voll ausströmen können.
829 |
Christus ist
Ruhe und Kraft und Leben; dies bin ich nun in mir, ohne es in Worten erklären
zu können. – Ich kann nichts beten, nicht einmal gut ein Ave Maria, weil mir in
meinem Inneren alles gegeben ist, und alle geistigen Güter in mich
eingeschlossen sind, auch MARIA. Ich habe jedoch keine Ahnung, wie sich nun
alles weiterentwickeln wird. Ich stehe vor einem verschlossenen Tor, das ich
selbst bin. Es ist mir nur das eine Verlangen gegeben, diese Stufe mir ganz
anzueignen und sie zu durchleben als Vorstufe zur nächsten. –
830 |
Seit gestern
bin ich in einem merkwürdig schweren geistigen Leiden. Christi Sein vollendet
und vervollkommnet sich fortgesetzt in mir.
831 |
In der
letzten Zeit war ich in und mit und durch Christi Sein gleichsam über mich
hinausgehoben, war in Jesus als „ER“ wie über meinem früheren eigenen Sein
stehend. Die unaussprechliche Geistigkeit trug mich gleichsam und gab mir
ständig etwas Erhabenes, von meinem früheren, gewöhnlichen Freien. Ich wurde
gleichsam von Christus getragen, durchdrungen, und das gab mir etwas
Außergewöhnliches, Spürbares, wenn auch Vergeistigtes. Gestern Nachmittag nun
verschwand dieses ganze, gleichsam über mir entwickelte Jesus-sein. Ich erlebte
die innige Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur zu einem Wesen,
das aber, von außen gesehen, rein menschlich und von Christus auch so erlebt
schien. So tief und innig war die Gottheit mit der Menschheit verbunden, dass
sie für den Menschen in Christus etwas Selbstverständliches, wie Natürliches
war, das ihm unbedingt eigen, zugehörig, notwendig war. Sie war ein unbedingt
notwendiger Abschluss seines Erlöserseins. Die gottmenschliche Erlösernatur
schien allen anderen Menschen gleich, obwohl sie von göttlicher Kraft und
wirklichem göttlichen Sein durchlebt war. Beide Naturen waren so innig
miteinander verbunden und verschmolzen, ich möchte sagen, wie das Blut, das
alle Teile des Körpers durchdringen muss, um die Lebenstätigkeit im Menschen zu
erhalten; so durchdrang die Gottheit der zweiten göttlichen Person die heiligste
Erlösermenschheit und machte nur Eines daraus: einen Gottmenschen. Wie aber das
Blut das Lebensspendende im menschlichen Körper ist, so war die Gottheit in
Christus das Höhere, Bestimmende, Regierende, das Letzte, was die Menschheit
Christi gleichsam „fertig“ und lebensfähig machte für ihre Erlöseraufgabe.
832 |
Gestern Abend
entschwand jene Geistigkeit über mir und schien mich in mir ganz zu durchleben,
wie wenn sie mir zugehörig sei. Dabei entging mir scheinbar jene tragende
Kraft, die mich „von oben herab“ gestützt und geleitet hatte und die mir
unbedingt notwendig schien, damit ich meinen inneren Seelenzustand aushalten
und ertragen konnte. Ich kam wie in eine unaussprechliche Verlassenheit und
geistige Kraftlosigkeit; ich glaubte, fast nicht leben zu können, weil mir
diese obere Stütze fehlte. So schien es mir.
833 |
Zugleich aber
mit diesem großen, inneren Leiden erlebte ich, als würde jenes „höchste Leben“
über mir nun in mich versetzt und übertragen; ich wurde ganz durchdrungen von
dem, was ich vorher als „über mir“ erlebt habe.
834 |
Heute bin ich
ausgeglichen und ruhig in mir, doch erlebe ich klar die Änderung, die Jesus mit
seinem Sein in mir bewirkt hat; wie das Blut hat mich dieses höchste Sein
durchdrungen, und ich lebe jetzt ganz von dem, was eigentlich mein Leben ist.
Jesus scheint ein wirkliches Wunder in mir zu schaffen: Jesu gottmenschliche
Erlösermenschheit soll ich nachleben, so, dass sie mir als die meine erscheine;
dadurch soll eben nach seinen göttlichen Absichten dieses Geheimnis geoffenbart
werden. –
835 |
Immer weiter
vollendet sich dieser gnadenvolle Zustand in mir. Ich brauche es nicht mehr zu
glauben wie früher; mit dieser inneren Umwandlung ist mir vielmehr alles
gegeben; ich lebe Jesu Leben, seine heiligste Erlösermenschheit. Doch scheint
mir dies bei allem ganz einfach, ruhig, natürlich. Gewiss leide ich unter dem
Ungewohnten, Erhabenen, unaussprechlich Reinen; da aber durch das geistige
Leiden das eigene „Abgestorbensein“ sich immer tiefer vollzieht, scheint mir
auch dieses „Leben“ immer mehr wie natürlich und notwendig, weil ich sonst
nichts mehr habe, um „leben“ zu können. Und zudem wird mir ständig Christi
Leben angeboten. –
836 |
Weil der
liebe Heiland es will, möchte ich seiner unendlichen göttlichen Liebe und Gnade
die Ehre geben und folgende Erklärung schreiben: So wie heute habe ich Jesus
noch nie „gelebt“. Ich bin von ihm durchdrungen und durchlebt, wie das Blut den
Körper durchströmt und ihm das Leben gibt. Ich lebe Jesu Leben. – Ich glaube
das und will es immer glauben, auch wenn dieses Leben vielleicht einmal im
Gegensatz mit dem heutigen ruhigen Sein sich nur als Leiden und Widerstreben
äußern wird. Ich glaube, dass ich in Jesu „Sein“ eingegangen bin. Gewiss, der
Heiland in seiner Person kann sich nicht wiederholen, aber er hat tatsächlich
ein großes Wunder der Gnade in mir gewirkt; sein Leben hat sich wie
„wiederholend“ in mir innerlich gebildet. –
837 |
Ich leide mit
ihm, dass er seine innere Erlösertätigkeit, sie gleichsam wiederholend, zeigen
kann. Wie sich das vollzogen hat, ist mir ein Geheimnis, auf welche Art sich
das auswirken wird. [SIC!] – Jetzt ist sein ruhiges Sein in mir, oder ich bin
in dieses umgewandelt worden. Es ist in mir eine unaussprechliche Ruhe,
Freiheit, Fülle und ein Zusammengeschlossensein aller Fähigkeiten zu einem
harmonischen Leben und Sein. Ich spüre nicht die geringste, ungeordnete,
sündhafte Neigung (und das schon seit langer Zeit), aber es vervollkommnet sich
das noch immer. Alles in mir ist auf das Gute gerichtet; ich bin eingegangen in
jene Harmonie, wie Jesus mir so oft sein inneres Sein zum Leben angeboten hat.
–
838 |
In diese
Richtung fortschreitend sehe ich nun eine weitere Vollendung und Umgestaltung
meines persönlichen Seins in ihm. Das Ziel ist eben: Jesu Erlösermenschheit zu
erleben; von dieser Reinheit und Freiheit aus, Jesu inneres Leiden als Opfer
für die Sünden der Menschen zu erfahren und damit das innere Erlösungsgeheimnis
zu erleben und zu erleiden. Wie sich das vollziehen wird, ist mir, trotz der
inneren Fülle, wie ein verschlossenes Tor; doch Jesus will, dass ich dies als
Zweck und Ziel all seiner Gnaden glaube.
839 |
Ich sehe in
meinem Innenleben seit meiner Kindheit zwei Ziele: Das erste, das mir schon in
den Jahren der Unterscheidung und bei der ersten besonderen Gnade (mit sechs
Jahren) eröffnet wurde, war das Streben: Ich muss zurück zu jener Reinheit, wie
sie der Mensch einst bei der Erschaffung im Paradies hatte; (in einem, mich
stets begleitenden inneren Lichte war mir darüber eine bestimmte Erkenntnis).
Das war schon das mehr unbewusste und wie selbstverständliche Streben meiner
Kinderjahre und steigerte sich in meinen Jugendjahren zu einem unbedingten,
bestimmteren: Ich muss es erreichen. – Über dieses Streben hinaus wurde mir
dann durch ganz besondere Gnaden (mit 21 Jahren) als zweites Ziel eröffnet:
Jesu Sein und Leben in mich aufzunehmen, in ihm umgewandelt werden, weil er
eben sein inneres Erlösersein wiederholend zeigen, und mich dazu heranbilden
und befähigen wolle, und zu diesem Zweck solle ich mich „ihm leihen“.
840 |
Gewiss war es
ein mühsamer Weg der Läuterung und Leiden. Doch Jesus bestätigt mir heute
wiederholt: „Ich habe dieses Ziel in dir erreicht“.
841 |
Ich habe die
entsprechende Reife in ihm (so bestätigt mir der Heiland immer wieder). Es ist
so; denn wie ich mein Innenleben fühle, das und so kann nicht ich sein. – Und
doch ist dieses „Leben“ so selbstverständlich und einfach erlebt, dass es
scheint: Ich bin es. –
842 |
„Lieber
Heiland, ich glaube an deine übergroßen Gnadenwunder, die du mir zur Erfüllung
deiner Absichten gewirkt hast. Ich will ganz und vollkommen das Opfer deiner
Absichten sein und werden. Dein erlebtes Sein in mir ist mir die Bürgschaft,
dass mein Inneres keine Täuschung ist, weil der Mensch auf gewöhnlichem Wege
nie und nimmer diese innere Freiheit und Reinheit erreichen kann. Ich glaube an
deine Gnade und an das Wunder, das du an mir wahr gemacht hast, wenn mir auch
der Weg und die Auswirkung deiner Absichten verborgen und verhüllt sind.
843 |
Durch dieses
Bekenntnis will ich deiner Gnade die Ehre erweisen. Ich schließe vollständig ab
mit mir, so wie heute das alte Jahr schließt. Ich beginne ein neues,
vollkommeneres Leben zum Heil deiner Kirche. Ich will mich weiter ganz deinem
Leben und Sein überlassen, damit es, dein inneres Erlösersein in seiner inneren
Auswirkung wiederholend, sich möglichst vollkommen erklären kann.“
Maria von Jesus dem
Erlöser.
Grundlage M1
844 |
Ich habe
heute innerlich erfahren: Es gibt noch einen höheren Grad des Eingehens in
Jesus. – Die heutige Stufe, die ich bei der heiligen Kommunion erhielt und
jetzt im weiteren Entwickeln ist, hat noch etwas Tieferes, obwohl mir gestern
wegen der inneren Fülle des Seins in Jesus ein weiteres Fortschreiten unmöglich
schien. Das heutige Erleben ist bewusster, klarer, vollendeter, mehr erfasst;
meine Natur leidet zwar unter der Tiefe des inneren Erlebens, als wenn die
geistige Höhe das unterhalb Liegende, die niedere Natur verdemütigte und
vernichtete. Das ganze Streben geht aber dem lichtvollen Ziele zu: Jesus
vollkommen und vollendet leben. Der Heiland hat wohl deshalb gestern von mir
eine bestimmte Erklärung des Glaubens verlangt, weil er auf dieser in mir erreichten
Höhe weiterbauen will. Ich spüre ja innerlich: Jesus will Glauben, unbedingten
Glauben an seine Gnaden und dazu freiwillige, weitere Hingabe, sodass seine
göttliche Freigebigkeit, seine liebenden Absichten und meine freiwillige
Hingabebereitschaft sich zusammenschließen. Er will aber zugleich, dass ich die
Folgen der Hingabe als die Auswirkungen der Höhe und Tiefe seiner Gnaden
anerkenne.
845 |
Ich erlebe
auch eine Änderung in mir: Früher war mein Innenleben mehr ein „Annehmen und
Entgegennehmen seines Seins“, verbunden mit einem scheinbaren „Todmachen meines
Eigenen“. Jetzt aber scheint diese Stille aktiv zu werden; ich soll „wollen“
und, der inneren Führung entsprechend, alle Kräfte auf die seinen in Tätigkeit
setzen. Darum ist Jesus heute anders in mir als gestern: Er will „leben“, sich
entfalten, tätig werden; alles muss ihm dienen. Er wird meine Kraft gebrauchen
für sich und er ist es, der sie gebrauchen wird. Darum wird das vorher
anscheinend „stille“ Leben tätig und bewusst. Jesus gebraucht und lebt mich.
Alle Energien in mir werden tätig für ihn. Ich erfahre und erlebe in mir seinen
Willen: Willst du alles sein, was ich bin? – Ich will alles sein und erfahren,
was du bist in deinem Erlöserleiden. – Und doch ist diese Anregung eine weitere
Offenbarung der stets fortschreitenden Erhöhung seines Lebens, das mich für
sich gebraucht, damit ich, einbezogen in „ihn“ und seine Leiden, alles sein
wolle, was „er“ ist.
846 |
Ich bin in
schweren geistigen Leiden, bin allein in Jesus, getrennt von mir selber, weit
weg von allen Geschöpfen. Er ist allein eine Person ohne Anlehnung an andere
Stützen, die ihm irgendwelche Hilfe und Trost geben könnten, weil Jesus eben
allein „Erlöser“ ist.
847 |
Ich habe
alles in mir, was ich brauche an geistigen Gütern, an Kraft und Trost. Es ist
aber jetzt ein Übergang in mir, um die Fülle Jesu als die meine gebrauchen zu
lernen. Deshalb nimmt er mir das Eigene, meine Person Stützende, damit ich
gleichsam gezwungen sei, die überfließenden Güter Jesu als die eigenen zu
verwerten.
848 |
Dies ist ein
Geheimnis, das Jesu nachzulebendes Sein in sich schließt: Mit ihm und mit
allem, was er in sich ist, für immer genug haben. Mir scheint, diese rein
geistigen Leiden führen mich ein in die innere Fülle Jesu, in der alles gegeben
ist.
849 |
Jesus hat sich
als Gott begnügt mit dem, was ihm der Vater mit dem aus Maria genommenen Sein
gab; die Enge und Beschränktheit dieses menschlichen Seins fand Ersatz im
göttlichen Sein, das ihm alles bot, was seine heiligste Erlösermenschheit
bedurfte. Es ist aber der gewöhnlichen menschlichen Natur eigen, in
Gleichgearteten, im Menschen eine Stütze zu suchen und zu finden. Daher spüre
ich eine feine, hohe Art des Leidens in dem Sinne: in Jesus für immer genug zu45
haben; ihn mir ganz anzueignen und zu gebrauchen. Dabei fühle ich mich aber so
leicht und frei; ich spüre, wie ich in Leiden weiterschreite, hinein in ihn, wo
volles Genügen herrscht. Und das gibt denn unaussprechlichen Frieden, die Fülle
seines Friedens und seiner inneren Ausgeglichenheit.
850 |
Das ist der
Unterschied zwischen der jetzigen und der früheren Art meiner inneren Führung;
früher wurde mir Jesus gegeben; jetzt eigne ich ihn mir an; ich durchlebe ihn,
ich erfahre ihn im Erleben. Und er genügt mir reichlich. Mag es auch für mein
niederes Sein ein natürlicher Schmerz sein, dass es sich dem höheren Streben
ganz unterordnen muss: Ich will kein Mitleid haben, sondern es gibt nur ein
Ziel: Jesus durchleben in seinem tiefsten Sein.
851 |
Man kann auch
im Leiden ruhig und zufrieden sein. Es fehlt aber für die tiefen inneren
Erlebnisse der richtige Ausdruck; die Worte sind viel zu grob dafür. Alle
Leiden und Vorgänge im Inneren Jesu, die ich erlebe, sind so unsagbar fein und
vergeistigt und zart.
852 |
In diesen
feinen inneren Erlebnissen verstehe ich erst, wie viele harte, grobe Leiden
vorher kommen mussten, ehe Seele diesen feinen „Schliff“ erhielt, wo man die
feinste innere Bewegung wahrnimmt und beachtet, die stille Regung der Gnade
sofort aufnimmt und auch das kleinste Vorkommnis in der Seele nicht gering
achtet. Das bezieht sich auch auf eigene Regungen und kleine Fehler, die dem
allerreinsten Sein Jesu widersprechen. Daher diese unaussprechliche innere
Verfeinerung des eigenen Gemütslebens und der geistigen Empfindsamkeit.
853 |
Dieser
Vorgang der Verfeinerung der inneren Akte entspricht meiner Aufgabe, die Tiefe
und feine Art des Gemütes und der Seele Jesu annähernd erfassen und begreifen
zu lernen, weil sich nur daraus seine inneren Leiden erklären lassen. Das
gleichsam harte, derbe und trockene Gemüt muss lange gehämmert und poliert
werden, um Jesu feinste Regungen aufnehmen und beachten zu können.
854 |
Einen großen
Teil dieser inneren Verfeinerung bewirkt schon die Liebe und durch die Liebe
geht man zuerst in das Gemüts– und Gefühlsleben Jesu ein. Was man liebt, will
man im kleinsten zu erfahren suchen; daher der erste Weg46 des
Einfühlens in Jesu Absichten, das innere Erforschen-wollen seines leisesten
Willens und Wunsches. Durch dieses Streben bekommt man ein feines Gefühl für
die leisesten Herzenswünsche Jesu, die deshalb nicht minder stark und bestimmt
sind. Im Gegenteil: Je mehr das früher sinnengebundene Gefühl vergeistigt wird,
desto klarer und bestimmter, wenn auch stiller und zarter, erkennt man den
Willen Jesu.
855 |
Diese innere
Verfeinerung verschärft auch die inneren und äußeren Leiden, weil dadurch die
Empfindsamkeit gesteigert wird. Es wird aber auch das schmerzliche Widerstreben
der Natur durch die Bereitwilligkeit zum Leiden gemildert, weil mit dem inneren
Fortschreiten alle Leiden im Voraus bejaht werden und das eigene
Abgestorbensein wächst. Man geht auch hierin über sich hinaus und will das
eigene, widerstrebende Gefühl nicht beachten.
856 |
Mein inneres
Eingehen in Christus und Teilnehmen an seinem Inneren entwickelte sich weiter
in mir. Ich bin mit ihm wie in einem geistigen Tunnel. Es sind aber nicht
mystische Gnaden, wie sie in früheren Jahren scheinbar von außen an die Seele
herantraten, und wie außerhalb der Seele von dieser aufgenommen wurde, sondern
es vollzieht sich jetzt alles unmittelbar in mir.
857 |
Ich bin in
diesem „Tunnel“ wie vollkommen abgeschlossen von mir: Zu beiden Seiten ist
gleichsam eine „Wand“, die Trennung von mir und von allen Geschöpfen. Vor mir
ist in einem geistigen Schauen fast ständig Jesu Inneres, an dessen Eingang ich
stehe. Je mehr ich in dieses Geheimnis seines Herzens, innerlich
weiterschreitend, eindringe, desto mehr verschwindet alles Frühere meines
Lebens und meines einstigen Seins. Es ist mir dabei, als nehme ich nach dem
Grad des unbedingten Zurücklassens alles Eigenen ihn innerlich auf, sodass er
in mir das Vollkommene, Beherrschende wird.
858 |
Ich kann
dieses innere Weiterschreiten in ihn hinein geistig gut unterscheiden, aber es
fehlt das rechte Wort, um es auszudrücken. Es sind so feine und doch so starke
Erlebnisse, aber nicht nur Erlebnisse, sondern Wirkungen und Veränderungen in
mir.
859 |
Dieser
geistige „Tunnel“ ist das Innere Christi; ich bin am „Hineingehen“, ich nehme
ihn auf, um ihn zu leben. Freilich vollzieht sich dieser letzte, volle Übergang
in rein geistigen Leiden. Das Eigene, scheinbar Notwendige versinkt wie in
Finsternis; angesichts des „Lichtes“ und des vollkommenen Besitzes und Ersatzes
hat es keine Bedeutung mehr. Ich lasse es zurück, weil das eigene Freisein
grenzenlos sein muss in Anbetracht des unendlichen Besitzes, der mit dem
Inneren Jesu aufgenommen wird.
860 |
Es ist nicht
möglich, Christi heiligste Menschheit allein anzunehmen; da sie nicht trennbar
ist von der göttlichen Erlöserperson, muss mein eigenes Sein dieser angeglichen
werden. Deshalb dieser weiter andauernde Aufstieg und Angleichungsprozess.
Geschah meine innere Umwandlung früher in mehr passiver Art, so gehe ich jetzt
mehr aktiv, selbst mitarbeitend in Jesus Inneres ein. Es ist mehr ein
„Mitgehen–wollen“, ein „Teilnehmen–wollen“ an Jesus. Zeitweise sehe ich das
Ziel: Mit dem Eingehen in Jesu Inneres wird sich auch, je nach der erreichten
Stufe, das innere Erfahren seines Innenlebens entwickeln.
861 |
Bei dem
„Zurücklassen des Eigenen“ handelt es sich nicht mehr so sehr um bewusste
Anhänglichkeit an sich selbst, an eigenen Tätigkeiten oder um ein
Sich–selbst–besitzen–wollen, sondern um unbewusste eigene Betätigungen und
Anlagen, die man in Worten nicht mehr zu erklären imstande ist. Die noch
vorhandenen Hindernisse erschaut man nur im Lichte Christi; man erkennt sie nur
durch den Gegensatz zwischen dem vollendeten und vollkommenen Sein Jesu und den
jedem Menschen notwendig anhaftenden Eigentümlichkeiten. Darum ist dieser
jetzige Grad des Eingehens in ihn ein Zurücklassen der eigenen Besonderheiten,
eine höhere Angleichung an den Gottmenschen, ein Aufnehmen und Ertragenlernen
seines Seins.
862 |
Weil aber
mein ganzer, innerer Weg neben der besonderen, gegebenen Gnade ein persönliches
Mitwollen und Mitwerben zu fordern scheint, so entwickelt sich auch dieses
höhere geistige Gebiet gleichsam auf einem Weg des Erwerbens und Aufsteigens,
dem das göttliche Licht ständig vorangeht. Das scheint der Unterschied zwischen
dem Erfahren der schauenden Seele, – wobei diese Art der inneren Führung nicht
notwendig scheint – und meinem Seelenweg des Erlebens Christi zu sein, wo ich
nach Gottes Absichten durch eigenes mit der Gnade ermöglichtes Erleben und
Erfahren in ihn aufgenommen werden soll. Nach dem Grade, wie ich in ihn eingehe
und ihn lebe, werde ich ihn innerlich erfahren und erleben. –
863 |
Ich bin in
großer innerer Ruhe trotz all der vorwärtsdrängenden Leiden; alles in mir
scheint aktiv zu sein. Es gibt keine Zeit mehr zum Ruhen, bis ich nicht
vollständig in Christi Sein und Wesen ruhe. Ich fühle in mir nichts mehr, was
nicht „mit wollte“; es drängt vielmehr alles vorwärts. Mein Weg ist
„unabsehbar“. Er wird Jesu Erlöserleben durchgehen und wird enden am Ölberg und
auf Kalvaria.
(mitgeteilt!)
864 |
Die letzten
Tage war Maria in dem geistigen „Tunnel“; ringsherum schien Finsternis, aber
vor ihr war das Licht, das Jesu Inneres ist und das lockte, einzutreten. Hat
die Finsternis immer etwas Beengendes, so weckt Drängen und leidvolles
Verlangen das lichtvolle Leben (vgl. „In ihm war das Leben und das Leben war
das Licht der Menschen; das Licht leuchtete in der Finsternis …“ – Johannes
1,4f)
865 |
Gestern Früh,
nach der heiligen Kommunion, war sie dann, ohne zu wissen, wie es geschah, in
dem Licht, von ihm umflutet und umgeben; Sie lebte in und von dem Licht, das
Jesu Inneres ist. An dieses Licht kann keine Finsternis, kein Dunkel, keine
Störung heran; auch die unwillkürlichen Regungen der natürlichen Anlagen können
nur außen an diesem lichtvollen Leben vorbeiziehen, aber sich nicht festsetzen.
Und dieses Leben im Lichte des Herzens Jesu hat etwas unbeschreiblich
Heimeliges, Beglückendes, Freies, Lichtes, Leichtes, Reines und Beseligendes.
In diesem lichtvollen Leben erfasste Maria einmal ein erneutes, wortloses
Angebot und Jesus fragte, ob sie in diesem Leben immer bleiben wolle, und
zugleich antwortete ihr Wille mit neuer Bereitschaft.
866 |
Als früher
einmal Maria den Heiland gebeten hatte, er möge auch die unwillkürlichen
Regungen der eigenen Seelenfähigkeiten wegnehmen, da ließ der Herr sie
verstehen und wissen: Bevor ihr nicht – in langsamem Hineinwachsen – Jesu
Seelentätigkeiten ganz mitgeteilt seien, könne sie es nicht ertragen, ganz von
jeder unwillkürlichen Betätigung ihrer Fähigkeiten frei zu sein; es gehört
nämlich zur Natur der Anlagen, dass sie sich betätigen.
867 |
Nachdem diese
neue Stufe der Lebensfülle Jesu in ihr wieder gefestigt und erstarkt ist,
drängt sich – obwohl die erreichte Lebensstufe bleibt – wieder mehr ein Dunkel
ins Bewusstsein, das wohl der Ausdruck für ein weiteres Weggenommenwerden und
Zurücklassen eigener Anlagen ist. Zugleich kommt wieder das leidvolle Drängen
und Verlangen, tiefer und höher in das gottmenschliche Leben Jesu
hineinzukommen, wenn auch dieses Verlangen nicht auf etwas Bestimmtes gehen kann,
da das Ersehnte ja ein Geheimnis ist. Die schon bestehende und bleibende
Lebensfülle sichert wohl einen unverlierbaren Frieden, Ruhe und Freiheit im
tiefsten Grund der Seele, macht aber im Bewusstsein doch dem Verlangen nach
noch größerer Fülle und der Verdemütigung über die eigenen menschlichen Anlagen
Platz, die an sich ja gut und wertvoll sind, aber in ihrer Einseitigkeit und in
ihren Grenzen doch keinen Vergleich mit den Vollkommenheiten Jesu aushalten
und, im Vergleich damit, beschämend minderwertig scheinen und sind.
868 |
Der Vorbote,
das Anzeichen und die Atmosphäre des mystischen Wirkens Gottes ist anscheinend
immer eine gewisse himmlische Ruhe, die einmal erlebt sein muss, um verstanden
zu werden, die aber niemals ganz durch Beschreibung klargemacht werden kann.
869 |
Seit gestern
Abend bin ich, wie mir scheint, ganz eingetreten in Jesu inneres Sein. Ich bin
in dem Zustand, der in den letzten Tagen in einem Läuterungsprozess errungen
werden musste. Ich lebe Jesu inneres Sein und lebe es in Fülle. Jesus bot es
mir an für immer.
870 |
Es ist
freilich unaussprechlich. Alles ist mir entschwunden, auch ich mir selbst, und
geblieben ist er, den ich nun lebe wie mich. So habe ich bisher den Heiland
noch nie erfahren: Ich bin in seinem Inneren und er ist an meiner Stelle, aber
so, als wäre es ich. Er beherrscht mich ganz und in ihm beherrsche ich auch die
unwillkürlichen Regungen. Es ist also so einfach und scheint mir selbstverständlich.
871 |
Ein großer
Friede erfüllt mich. Ich fühle mich eingehüllt in Jesu Sein, das mir alle
Lebenskraft ist. Ich lebe mit dem Sein Jesu wie früher mit meinem Eigenen und
es bedrückt mich nicht; es ist mir im Gegenteil Erlösung und Befreiung von meiner
früheren Gebundenheit. Ich lebe Jesus klar, ruhig und einfach.
872 |
Ganz will ich
mir Jesus zu eigen machen, seinen göttlichen Reichtum auswerten, dass er neue
Früchte für ihn bringe.
873 |
Mein ganzes Sein ist vom Heiland durchlebt.
Ich bin und lebe ständig ein lebendes Licht, ein seiendes Licht, ein lebendes
Leben. In Kraft dieses unaussprechlichen Lebens ist alles in mir diesem Licht
untergeordnet, von ihm durchdrungen und geführt.
874 |
Es ist ein
erhabener und unerklärbarer Zustand und doch so einfach, ruhevoll und stark. In
diesem allerhöchsten Leben ist alle Herrschaft über mich selbst; nichts mangelt
mir, weil in und mit diesem Leben alles vorhanden und darin inbegriffen ist.
875 |
Wenn man in
diesem Leben die Größe Gottes erlebt, dann begreift man auch, wie verschwindend
klein ihm gegenüber die ganze Welt ist, wie er sie gleichsam mit einem Hauche
beherrscht und lenkt. Man erlebt auch etwas von der Seligkeit, Ruhe und
Einfachheit Gottes; es ist wie ein ständiges glücksgesättigtes Lächeln und
friederfülltes Strahlen.
876 |
Dennoch bin
ich seit gestern Abend zugleich wieder in einem weiteren Läuterungszustand.
Nach dem gestern geschauten Ziel soll ich innerlich zu einer noch vollendeteren
Erhebung gelangen. Obwohl ich aber deshalb etwas im Dunkeln bin, bleibt doch
die wesentliche, erreichte Stufe mit der entsprechenden inneren Auswirkung des
Friedens, der Ruhe und der Heiterkeit bestehen.
877 |
„Beten“ aber
kann ich nicht. Wenn ich versuche, ein „Ave Maria“ zu beten, so erlebe ich
Maria, die eingelebt ist in dieses Leben, das ich lebe und es ist, als lächle
sie mir darin zu. Es könnte mir leidtun, nicht zum „Mütterchen“ beten zu
können, wenn nicht alle Ruhe und der Vollbesitz alles Guten in mir herrschen
würde. – Ich darf mich nicht auf einer geistig (niedereren) tiefer liegenden
Stufe bewegen, als sie47 ist, die mir von Gott gegeben wurden. Ich
bin eben jetzt in dem Stadium: Jesus mir ganz aneignen und zu eigen zu machen,
ihn „durchleben“, ihn verwirklichen und in mir wiederholen.
878 |
Ich bin in
großem Frieden, wenn auch in seelischer Dunkelheit und im Prüfungszustand. Die
wesentliche innere Gnade, „Jesus leben“, bleibt ungetrübt und ist ein
bleibender Zustand. Mein ganzes Sein ist von Christi Leben durchdrungen, ist
frei von mir und wird, wie mir scheint, nicht vom eigenen Widerstreben
gehindert. Im Gegenteil: Alles in mir strebt wie natürlich zu einer noch
höheren Vollendung in Christus.
879 |
Das eigene
Streben und Wollen ist auch bei den größten Gnaden nicht ausgeschaltet; je
freier vielmehr die Seele von der eigenen Gebundenheit wird, desto mehr drängt
alles wie naturgemäß dem höchsten Ziele zu: Gott. In Gott, in seinem vollen
Besitz, im vollen Eingehen in ihn und aufgenommen werden von ihm erfährt die
Seele erst die tiefste Vollendung.
880 |
Ich lebe
dieses höchste Ziel der Menschenseele, bin von Jesus durchlebt und getragen. In
diesem erhabenen Zustand erkennt man viel klarer die hohe Bestimmung der Seele
und die hohe Befähigung, die sie von Gott erhalten hat.
881 |
Zugleich
erlebe ich auch die unendliche Größe Gottes, die von einem seiner Geschöpfe
getragen und aufgenommen werden kann, ohne dass sie dieses beenge und bedrücke.
Jesus schafft sich in der Seele gleichsam einen neuen „Aufenthalt“, ein zweites
Sein, und die arme Seele ist durch seine göttliche Gnade befähigt, dieses Sein
ihm zu bieten und zugleich den vollen Frieden und die heilige Ruhe zu genießen,
die der Besitz Gottes mit sich bringt.
882 |
Im Erleben
der Größe Gottes bzw. Christi erscheint mir die ganze Welt wirklich „klein“.
Wenn ich in mir seine göttlichen Eigenschaften erfahre, finde ich es der Größe
Gottes ganz angemessen, entsprechend und selbstverständlich, dass er mit einem
Akt seines Willens die ganze Welt regiert.
883 |
All die
großen Gnaden aber sind nur ein Vorgeschmack des ewigen Besitzes. Noch liegen
die Schleier der Zeitlichkeit über diesen gewiss erhabenen Erlebnissen. Einst
aber, im Licht der Ewigkeit, wird sich dieses Erleben in Vollkommenheit
fortsetzen.
884 |
Die jetzigen Gnaden dienen im gewissen Sinne
dazu, mich dem Heiland voll anzugleichen, sein einstiges menschliches Sein
möglichst vollkommen in mir zu verwirklichen, um Ihm dann so für seine
göttlichen Absichten zu dienen.
885 |
Die nächste
Zukunft ist mir ständig wie ein verschlossenes Tor; Jesus ist dieses
verschlossene Tor, das sich mir nur noch nach dem Maße meines Eingehens in ihn
öffnet. Es scheint mir freilich kein höherer Zustand mehr möglich, weil alles
in jener Fülle in mir enthalten ist, für die man kein Wort hat. Und doch
bereitet sich ein höherer Aufstieg in mir vor und vertieft und befestigt sich
schon in dieser jetzigen Prüfungszeit das gegenwärtige Erleben Jesu.
886 |
Nach einem
mehrtägigen inneren Prüfungszustand bin ich heute tiefer noch im Sein Jesu. Er
lebt mich, aber so als wäre ich es. Ich scheine derart in Christus aufgenommen
zu sein, dass von uns beiden nur „Eines“ geblieben ist, nämlich mein ganz
vergeistigtes Sein als „er“.
887 |
Mein
Seelenzustand ist zu einfach, um geschildert zu werden; es gibt kein
erklärendes Wort dafür. Jesus hat mich ganz in sich aufgenommen. Er lebt
gleichsam nochmals ein menschliches Sein und dieses, sein menschliches Sein,
beherrscht und durchdringt in einfacher und wie selbstverständlicher Weise mein
Inneres, und doch ist es so, als sei das ich. Ein wunderbarer Friede und
Stille, eine milde Heiterkeit und geistige Fülle ist in mir. Eine alles
überwindende Kraft und Leichtigkeit erfüllt mich so sanft. Ich lebe aus der
wunderbaren Fülle, die mir in mir gegeben ist, in der alles enthalten ist, die
ich unerschöpflich und ohne Bemühen gebrauchen kann, weil ich in mir diese
Fülle bin und erlebe.
888 |
Ich bin nun
wohl auf der Stufe angelangt, wo ich Jesus ganz nach meinem Bedarf gebrauchen
kann. Das Meinige ist zurückgelassen, das Seinige ist in mich übergegangen und
setzt sich in mir fort. Das Seinige ist mein Leben geworden und ich bin es, der
dieses Leben lebt.
889 |
Das
Allerhöchste, was ich in Jesus erfahre, ist die unaussprechliche Harmonie und
Einheit aller Seelenfähigkeiten, die zusammengeschlossen sind zu einem Sein.
Ich erlebe dieses geistige Gebiet, diese Eigenheit Christi, die das Sein des
gottmenschlichen Lebens ausmacht; ich erlebe seine allerhöchste Reinheit und
Ausgeglichenheit, die er von Natur aus hatte: Alles in ihm war seinem Willen
untergeordnet und dieser gehorchte dem göttlichen Willen in ihm ohne Kampf und
ohne Widerstreben. In Christus war alles in Einheit, war ein beständiges
„Ja-Sagen“ zum göttlichen Willen und Sein in ihm. – Was diese innere Ausgeglichenheit,
Reinheit und Einheit Jesu betrifft, war in ihm nicht nur das „Notwendige“
vorhanden, was seine gottmenschliche Erlösernatur vollkommen heilig und
vollendet machte; es war vielmehr darüber hinaus eine Überfülle vorhanden,
überfließende Schätze als Ersatz vor dem Vater, als Gnaden für die Menschheit.
890 |
Die zwei
Naturen in Christus waren so eng in sich verbunden, dass in ihm alles
Menschliche jeder göttlichen Regung Untertan war. Diese vollkommene
Unterwerfung und dieses Eingegangen-sein des Menschen in das göttliche Sein in
Christus erzeugte das große Verdienst48, den göttlichen Überfluss,
der uns geschenkt wird als Gnade des Einbezogenwerdens in Christus, in sein
Erlöserleben. Der „eine“ Mensch erfüllte somit vor Gott, unmittelbar in Gott,
als Gottmensch, die Schuldigkeit des ganzen Menschengeschlechtes, indem er sich
in allem der gerechten und allheiligen Gottheit unterordnete. Der Mensch in
Harmonie mit seinem Gott und Schöpfer: Dies wäre das höchste Ziel aller
Menschen, dass sie wieder zu jener möglichst großen Nähe und Einheit mit Gott
gelangten, von der der Mensch einst ausgegangen ist.
891 |
In den Erlösungsgnaden Christi ist auch diese
Möglichkeit eingeschlossen. In ihm ist alles in reicher, unerschöpflicher Fülle
vorverdient, was die Seele braucht, um wieder zu Gott zurückkehren zu können,
um den inneren Widerspruch, den die Sünde aufgerichtet hat, auszugleichen im
Vertrauen auf die schon erworbenen Güter und Gnaden des Erlösers. „Mit Freuden
sollen wir schöpfen aus den Quellen des Erlösers.“ In Christus sollen wir vor
Gott „wiedergeboren“, innerlich erneuert, mit Christus bekleidet werden; wir
sollen Christus uns ganz als „Erlöser“ aneignen, an all seinen Verdiensten
teilhaben und teilnehmen wollen, in ihm wiederhergestellt werden vor dem Vater,
in ihm und mit ihm wiederaufgenommen werden, im „ersten Menschen“, im
Menschensohn zum Vater zurückkehren und wieder eingehen zum Vater. Darum wurde
Christus vom Vater in die Welt gesandt, dass er alle Verlorenen wieder in sich
aufnehme, dass alle in Fülle an ihn teilhaben und er sie wieder heimbringe zum
Vater. Alle Gnaden einer geistigen Wiederkehr zum Vater sind in Christi
Erlöserleiden eingeschlossen. In Christus kann alles wiedergutgemacht,
ausgebessert, erneuert, von ihm bedeckt und umkleidet werden.
892 |
Jesus hat in
sich Heil in Fülle und an ihm liegt es, dieses erworbene Heil nach dem Maße
seiner Absichten und je nach der Not seiner Kirche ausströmen zu lassen. Die
Schätze seiner Gnaden reichen überfließend hin, um aus allen gefallenen
Menschen wieder Heilige, vollerlöste Seelen zu schaffen.
893 |
An uns liegt
es, daran zu glauben, dass Gott Vater im Gottessohn die Möglichkeit gegeben
hat, dass seine Kirche wirklich eine „Gemeinschaft der Heiligen“, eine „erlöste
Gemeinschaft“ werde. Jesus will in dieser Zeit seiner Kirche neu den
unerschöpflichen Reichtum seiner Gnaden zeigen. Er will sie „neu“, d. h. in
größerer, neuer Fülle ausströmen lassen, will alle Seelen um sich sammeln und
teilnehmen lassen an sich.
894 |
Die Kirche
soll voll teilhaben am Erlöser, der sich ihr ganz als Bräutigam geschenkt hat.
Er will sein Herz öffnen und seine leidende, geprüfte Braut erneuern mit den
Schätzen seines Herzens. Und es wird neue Kraft über sie kommen; Christi Leben
wird sich in ihr erneuern; ihre Priester werden wie Herolde sein, die alle
Seelen um Christus scharen, und von seinem Herzen, von seinem Inneren wird der
Triumph seiner Kirche ausgehen, d. h., die Überwindung und Besiegung aller
heutigen Zeitirrtümer. Christi Leiden werden wie eine neue, d. h. in größerer,
neuer Fülle ausgestreute Saat tausendfältige Frucht bringen.
895 |
„Ja, Herr, du
kannst mit mir machen, was du willst; ich will mich von dir für deine Absichten
gebrauchen lassen. Ich kenne deine Forderungen, die du heute wiederholt an mich
stellst. Das große Werk deiner Liebe, die Offenbarung deines inneren Lebens
willst du auf mich legen; du brauchst jemand, der gleichsam dich zu vertreten
bereit ist; damit du deine Liebe, deine unendliche Erlöserliebe zeigen kannst,
muss sich dein einstiges wirklich gelittenes Leiden wiederholen. Darauf willst
du dann das Werk deiner Liebe aufbauen. – Ich bin bereit; lege deine Absichten
auf mich; wiederhole dich in mir! Ich glaube, dass du es bist, der nicht
betrügen und nicht irreführen kann. Mit dir werde ich alles erlangen, was du
bist, und das erfüllt das ständige Sehen meines Herzens. Ich will nur dich!“
896 |
Gestern Abend
war ich in schweren geistigen Leiden, für die49 ich keine Erklärung
hatte. Alles in mir litt: sterben, in noch höherem Maße sterben und vergehen,
damit noch Größeres in mir werden könne. — Diese Leiden trafen mich gleichsam
im Mittelpunkt meines Inneren; dort wollte der Heiland mit mir aufräumen, um
sich an diese Stelle zu setzen. Ich litt die ganze Nacht weiter, obwohl ich
inzwischen schlafen konnte; der Geist schläft nicht und gewöhnlich setzt Jesus
bei Nacht fort, was er untertags nicht in mir erreichen kann. Auch am Morgen,
bei der heiligen Messe und Kommunion, blieb ich in diesem leidenden Zustand,
obwohl ich mich immer wieder ganz dem Heiland übergeben wollte. Für gewöhnlich
kann ich „nichts“ zu ihm sagen; ich überlasse mich dem Leiden und allem, was er
damit erreichen will. –
897 |
Ich spüre
nun, es geht innerlich höher, ganz in ihn hinein; er muss das Überragende, das
Vorherrschende in mir werden; er will ganz die Oberhand gewinnen. In den Leiden
erkenne ich im Voraus Weg und Ziel, und leide in mir die bestehenden
Hindernisse weg. Trotz der Leiden bin ich ruhig, obwohl sich dabei eine kleine
Bangigkeit heranschleichen möchte, weil ich fühle, „in welchem Grade“ ich mich
verlieren werde.
898 |
Doch gerade
jetzt erfasste ich Jesu wiederholtes Werben um meine volle Zustimmung und
Einwilligung in seine Absichten. Er will Großes für seine Kirche. Er will sich
hier in seinem inneren Erlösersein mitteilen. Dazu braucht er „jemanden“, durch
den er sich offenbaren, zeigen kann. Die betreffende Seele muss ganz in sein
Inneres, in sein Sein eingehen, muss ihn erleben und erleiden, damit er sich
gleichsam geistig „wiederholen“ kann.
899 |
Ich fühle in
mir, wie ich mich immer mehr verliere, aber „er“ kommt als Ersatz und setzt
sich in mir fort. – „Nun, mein Heiland, ich will dir ganz Opfer und zu Diensten
sein, wie du mich für dich gebrauchen willst. Ich wage es im Vertrauen auf dein
liebes Herz. Nimm mich für deine Absichten!“
900 |
Seit gestern
bin ich wohl sehr im Leiden, doch finde ich kein Wort, um diese Leiden genügend
zu erklären. Es ist wie eine unaussprechliche Verlassenheit, innere
Verdemütigung und Vernichtung. Es durchdringt mich wie das Feuer im Verbrennen
das Holz durchglüht. Ich bin aber merkwürdig ruhig dabei und finde meine
Zufriedenheit darin, weil ich klar einsehe, dass dies mir zukommt: Auflösung
und Vernichtung.
901 |
Ich glaube,
mich in voller Einheit mit dem Heiland zu befinden, denn in den bestehenden
inneren Leiden fühle ich kein Widerstreben gegen Jesu Leben in mir. Alles ist
vielmehr Einheit und „Leben“, „EIN“ Leben, das ich lebe. In mir trage ich die
Ursache meiner Leiden, der jetzigen und der zukünftigen, weil es das Leben und
die Leiden desjenigen sein werden, dessen Sein ich in mir trage und lebe. In
ihm habe ich alles, weil er in sich die Ruhe und Kraft und das ist, was meine
Sicherheit ausmacht. In Gott, in Jesus, in seinem Besitz, den ich wie
selbstverständlich lebe, ist diese Sicherheit, die kein Geschöpf, auch nicht
die vertrauteste Seele einer anderen geben könnte, jene Sicherheit, die wohl
nur Gott geben kann.
902 |
Ich habe nur
eine Aufgabe: Bereitschaft zum Leiden, „ihn“ leiden; darin liegt alles, weil
Jesus die Ursache von allem und auch von jenen Leiden ist, die „seine“ Leiden
sind. Er verspricht mir, dass dies die Bürgschaft seines einstigen ewigen
Besitzes ist.
903 |
Ich will aus
dieser inneren Ruhe leben, die trotz der inneren Leiden und Bedrängnis so
überreich in mir ist.
904 |
Wie in den
vergangenen Tagen, so war ich auch heute in schweren geistigen Leiden. Ein
geistiges Feuer erfüllt und verzehrt mich. Das erzeugt so vergeistigte Leiden,
die mit nichts verglichen werden können. Trotz dieser Leiden herrscht aber
immer Ruhe in mir und volle innere Ausgeglichenheit. Die Einheit mit dem
Heiland scheint vollständig zu sein; wenigstens habe ich anscheinend jenen Grad
erreicht, der mir vom Heiland früher immer als Ziel gezeigt wurde: Ich kann
Jesus in ruhevoller Einheit leben, ohne einen inneren Widerspruch in mir zu
fühlen.
905 |
Nachmittags,
als die inneren Leiden den Höhepunkt erreicht zu haben schienen, ging ich in
die Kapelle. Da schaute ich innerlich den Heiland als Erlöser, d. h. als jenen,
der den in der Sünde liegenden Widerspruch zwischen Gott und Menschen auf sich
nahm und der das Opfer ward, um diesen Widerspruch auszugleichen. In einem
Augenblick schaute ich den Anfang der Menschheit, den Sündenfall, die
Erlösungsbedürftigkeit der Menschen und die Erlöserbereitschaft Jesu, sein Eingehen
in eine menschliche Erlösernatur. Jesus als Gottmensch nahm als Mittler die
Sünde auf sich. Ich schaute dies Geheimnis, das jetzt noch Geheimnis ist. Es
war aber alles in mir, wie wenn Jesus in mir sich in diesem Geheimnis öffnete.
Und in der Einheit mit ihm bin ich der, durch den Jesus dies nacherleben lässt.
Ich bin die Seele, auf die dieses Erleben gelegt ist; ich gehe ein in dieses
Geheimnis.
906 |
Ich fühle die
Last Gottes, die auf mir liegt. Ich erschaudere von diesem ungeheuren Kreuz
Christi, das einst das seine war. Ich schaue die Entsündigung der Menschheit,
die in der Mittlerschaft Jesu sich vollzogen hat. Eine unaussprechliche Last
ist in mir: Jesus, der Erlöser, den ich erleben werde.
907 |
Es erfasst
mich eine Angst vor dem Bevorstehenden; das kommende Kreuz scheint mich zu
erdrücken, aber es ist wie unentrinnbar und unmittelbar in mir vorbereitet im
Leben Jesu, in dem, der die Kraft und das „Leben“ ist, mit dem alles gegeben
ist. Und so streckt sich doch alles in mir diesem Kreuz entgegen, weil Jesus
daran ist, und das genügt. –
908 |
Jetzt, am
Abend, bin ich ruhig und bereit. Im Gehorsam kann ich weiter mich der inneren
Führung und den Absichten Gottes hingeben. Es ist nur das eine Streben in mir,
ganz von Jesus aufgenommen zu werden in sein Erlösersein. Alles Sonstige ist
mir gleichgültig, wenn er nur seine Absichten der Liebe erreicht. Mit ihm ist
volle Bereitschaft: „Siehe, einen Leib hast du mir bereitet; ich komme, deinen
Willen zu tun“. – Seele und Leib zum Leiden hast du dir neuerdings bereitet in mir;
siehe ich bin bereit!
909 |
Mein innerer
Weg geht seit gestern ein Stück weiter. Ich werde innerlich eingeführt in das
Leben Jesu als des Erlösers, in den Zweck seiner Menschwerdung. Durch Jesu
Leben in mir bin ich daran, teilzunehmen an seiner Mittlerschaft, die er als
Erlöser ausübte. Durch die führende Gnade drängt alles in mir auf diese
Anteilnahme am Erlösersein des Heilandes hin, was eigentlich der Zweck aller
mir gegebenen Gnaden war. Ich leide unter diesem inneren Vorwärtsdrängen: Immer
tiefer hinein in Jesu Innerstes!
910 |
Beim heiligen
Segen war ich ganz tief in ihm und schaute weiter meinen geistigen Weg. – In
Jesus ward mir die innere Versicherung: Die Einheit des Seins in ihm, in der er
mich mit sich vereinigt hat und an sich teilnehmen lässt, wird nie gestört oder
unterbrochen werden. Diese Einheit mit ihm wird sich über den Tod hinaus ewig
fortsetzen, wenn ich bereit bin, ihm ganz zur Verfügung zu stehen. Er habe
damit seine besonderen Absichten. –
911 |
Der Heiland
ließ mich Ferner innerlich wissen: Die Vollerlösung, die er in mir bewirkt
habe, sei ein Beweis, wie tief und erhaben seine Erlösergnaden wirksam seien.
All diese Gnaden, die er mir gegeben habe, seien aber nicht nur für mich,
sondern sie werden fruchtbar werden für viele Seelen und werden das
„Priesterwerk“ befruchten, dem alle „neuen“ Gnaden als geistige Güter übergeben
werden.
912 |
Das ist auch
ein allgemeines Gesetz in der Gnadenzuwendung: Wo immer in einer Seele seine
Erlösergnaden fruchtbar werden, da haben sie die Bestimmung und die Kraft,
weiterzuströmen auf andere Seelen, Frucht zu bringen und fruchtbar zu werden,
auch für andere Seelen. Das ist die geistige Fruchtbarkeit der Erlösungsgnaden
Jesu. Jede „vollerlöste“ Seele wird in Christus zur „miterlösenden“ Seele, nach
den Absichten Gottes „ergänzend, was noch aussteht“.
913 |
Jetzt bin ich
in großem inneren Frieden; es ist wie ein Ausruhen nach den letzten inneren
Leiden, die heute Morgen noch sehr heftig waren.
914 |
In mir, bzw.
vor mir eröffnete sich ein weiterer Weg des Eingehens in Jesus, noch tiefer
hinein in sein Innerstes. Alles in mir drängte dahin, doch litt ich zugleich
unter mir selbst unbewussten Hindernissen, die wohl in mir noch vorhanden sein
mussten. Dazu kam eine innere Verdemütigung, die mich wie vernichtend
durchdrang.
915 |
Vor mir stand
das Ziel: Jesus in seiner Stellung als Mittler und Wiederhersteller erleben,
der darum und deswegen Mensch geworden ist und die Menschheit angenommen hat,
um als „zweiter“ Mensch den Widerspruch zu lösen und den Zwiespalt aufzuheben,
den der „erste“ Mensch in Adam zwischen Gott und den Menschen geschaffen hatte.
Gott-Sohn bot sich zu dieser Mittlerstellung an und wollte als „Mensch“ diesen
Zwiespalt überbrücken, indem er die Wurzel dieses Zwiespaltes, die in der Sünde
liegt, auf sich nahm.
916 |
Adam, der
rein und gut war, als Gott ihn schuf, unterlag in der Prüfung; Christus, der
Gottessohn, als höchster und reinster Mensch überwand innerlich, was Adam zu
Fall brachte. Dort, wo Adam nachgegeben hatte, griff Christus ein, im Inneren
der Seele, und setzte in sich die Gegenleistung, die Überwindung dessen, was
Adam zu Fall brachte. Nicht als Versuchung trat die Sünde an Jesus heran wie
bei Adam, aber als etwas, was Jesus gutmachen, sühnen, überwinden und ersetzen
wollte. Jesus wollte gleichsam tun, was Adam nicht getan hatte: Das Böse
bekämpfen und überwinden, und er wollte wegleiden, was die Menschen nicht voll
sühnen konnten. So waren in der Seele Jesu als des Überwinders der Sünde drei
Arten von Leiden (die aber durch Nacherleben und Nachleiden noch werden klarer
werden):
1. jene Akte, die der Mensch
unterlassen hat und wodurch die Sünde nicht geschehen wäre;
2. jenes Leiden, das notwendig der
Sünde folgt, weil Böses und Gottwidriges getan wurde;
3. vor allem die Akte der höchsten
Reinheit und Vollkommenheit, die Jesus der göttlichen Gerechtigkeit als Ersatz
und Überwindung entgegenstellte. –
917 |
Der Reinste
machte rein das Unreine, der Höchste erhob das Gefallene, indem er geistig, und
zwar als Gottmensch, in sich das tat und anwandte, was Adam unterlassen hatte.
Adam wollte sich aus sich erhöhen und fiel; Christus nahm gleichsam das
Gefallene an und auf sich und erhob es.
918 |
Christus nahm all das Gottwiderstrebende und
Widersprechende auf sich, das in der Sünde liegt, angefangen von der ersten
Abkehr von Gott bist zu all den folgenden schrecklichen Sünden und auch in den
feineren Abstufungen bis zur vollerlösten, reinen Menschheit, die der
heiligsten Menschheit Christi einigermaßen ähnlich wird. All dieses
Gottwiderstrebende nahm Christus auf sich im ersten Augenblick seiner
Bereitschaft zur Menschwerdung, um in sich alles zu überwinden, was in Adam zur
Trennung von Gott geführt hatte.
919 |
Christus
kannte die Sünde nicht, weil er in göttlicher Reinheit nicht fähig war zu
sündigen. Vermöge ihrer Würde und Bestimmung kommt nichts der Menschheit
Christi gleich. Auch die vollerlöste Seele, die ihr am ähnlichsten ist, bleibt
immer weit von der Heiligkeit der Menschheit Christi entfernt; gewiss wird sie
derart Christus ähnlich, dass sie an Gott irgendwie auch im höchsten Graden
teilhaben kann, doch bleibt sie eben dadurch weit hinter Christus zurück, weil
sie von Christus erlöst und dazu befähigt wurde, während er seine Vorzüge
infolge seiner Natur in sich hat. – Christus lernte aber die Sünde
stellvertretend für Adam und somit für die ganze Menschheit kennen. Er nahm sie
in ihren ganzen und verschiedenartigen Auswirkungen auf sich, machte sie gut,
überwand sie, heilte die Wurzeln vermögen seiner menschlichen
Überwindungskraft, indem seine Menschheit unmittelbar vor Gott das Opfer dieser
zu leistenden Überwindung wurde. Auf Christus als dem Erlöser lag die Sünde der
Menschheit. Er übernahm sie freiwillig, machte jede Möglichkeit der Sünde wie
zu seiner und überwand sie mit seinen gottmenschlichen Akten, wie wenn er
selber die Sünde begangen hätte, oder hätte begehen können. In ihm, dem
Gottmenschen, forderte die Gottheit mit vollem göttlichen Recht unmittelbar
jene Reinheit der Menschheit zurück, in der diese vom Schöpfer gedacht und
geschaffen war.
920 |
So erfuhr
Jesus als Gottmensch in sich menschlich den Widerspruch, der zwischen seiner
höchsten Reinheit und der Sünde liegt, und jeder einzelnen Möglichkeit der
Sünde wurde seine entsprechende entgegengesetzte allerhöchste Vollkommenheit
entgegengestellt. – Diese Art der Leiden, der Überwindung und Bemühung, die für
Christus den Mittler und Wiederhersteller die göttliche berechtigte Forderung
und der Widerspruch der Sünde erzeugten, wurde den Menschen als Kraft
geschenkt, damit sie, jeder in sich, wirksam überwinden können, was der Erlöser
für die Gesamtheit durch seine eigene Kraftanwendung ermöglicht hat. Mit der
geheimnisvollen Anteilnahme am Leben Jesu in der Taufe wird auch diese Kraft
zur Verfügung gestellt.
921 |
Jesus als
Gott entkleidete und entäußerte sich seiner „Macht und Herrlichkeit“, die er
beim Vater besaß. Weil der Vater der Menschheit Rettung bringen wollte, nahm
Jesus eine menschliche Natur an, die in ihrer Reinheit seiner göttlichen
Heiligkeit angepasst war, aber zugleich nahm er geistig die gefallene
Menschheit auf sich, um sie in ihrer Wurzel zu heilen. In einem Vergleich
gesagt: Nehmen wir an, ein vollkommen gesunder Mensch könnte eine aussätzige
Natur annehmen, damit durch die volle Gegenwirkung des vollkommenen gesunden
Organismus die Krankheit des Aussatzes überwunden werde. Der gesunde Mensch
würde den Aussatz wie in sich erleiden, ohne davon angesteckt zu werden; er
wäre davon bedeckt, würde sich seines Zustandes schämen, aber aus Liebe zur
Menschheit – damit dieses Übel seine verheerende Kraft verliere – würde er
diese schreckliche Krankheit tragen, an sich haften lassen; seine vollkommene
Gesundheit würde die Auswirkungen dieser Krankheit brechen und der Menschheit
die Möglichkeit voller Heilung und Befreiung bringen. – Ich habe kein Wort, um
es weiter zu erklären, wie ich es innerlich erkenne: Christus, die zweite
göttliche Person, wesenhaft Gott, entäußert sich seiner Herrlichkeit, nimmt mit
der reinen menschlichen Natur zugleich die sinnliche, gefallene Menschheit in
sich auf, damit diese geheilt und gesund gemacht werde durch seine
gottmenschlichen Vollkommenheiten und Tugendakte. Er, der reinste Mensch, der
Gottmensch, war mit den Auswirkungen der Sünde umkleidet; die Sünde von allen
Menschen war auf ihn gelegt in ihren Folgen und Auswirkungen; er war gleichsam
dafür verantwortlich gemacht. –
922 |
Bei der heiligen Messe, heute früh (am Sankt
Georg Altar in Sankt Peter), schaute ich Jesus in seinem göttlichen Mittleramt
als Gottmensch, der in sich die Kraft hatte, alles gutzumachen, was im Menschen
durch die Sünde verdorben wurde. Jeden Augenblick ist Christi Mittlerschaft mit
dem einst vollzogenen Erlöserleiden vor der Gerechtigkeit Gottes gegenwärtig
und tätig. Es ist wie eine immerwährende heilige Messe, in der sein
Erlöseropfer50 dargebracht wird.
923 |
Durch die Priesterweihe tritt aber jeder
Priester geheimnisvoll in dieses Mittleramt Christi ein, in diese Mittlerschaft
mit Christus. Jeder Priester übernimmt damit die Aufgabe, zunächst in sich
selbst durch die Überwindung des eigenen Sündhaften, sich zu befähigen, zu
möglichster Nähe und Teilnahme an Christus emporzusteigen, dann aber auch
obliegt ihm die Aufgabe, in und wie Christus, die Sünde des anvertrauten Volkes
stellvertretend innerlich gutzumachen und zu überwinden und so, in Vereinigung
mit Christus, Anderen die Kraft zur Entsündigung mit zu vermitteln. So soll der
Priester gleichsam zweifach „Überwinder“ sein und so selbst zum Mittler
zwischen den Seelen und Christus werden, wie Christus der Mittler wurde
zwischen Gott und der Menschheit.
924 |
Vormittags: Ich bin in unaussprechlicher
Einheit mit Jesus, aber es ist so unsagbar einfach. Alles ruht in mir, ist
stille, ohne besondere Leiden. Ich lebe gleichsam im Mittelpunkt Christi, in
meinem Mittelpunkt, in Jesus Erlösersein. Ich bin wie umhüllt von ihm, ganz in
ihm. In ihm schaue und erkenne ich seine Erlösertätigkeit, den Zweck seiner
Menschwerdung. In diesem Sinne gehe ich ein in ihn, um daran teilzunehmen, um
dieses Geheimnis nachzuerleben. Wiederholt bietet mir Jesus diese Gnade der
vollen Anteilnahme an ihm an: Ob ich ganz für seine Absichten bereit sei? – Ich
weiß, in welchem Grade ich mich verlieren werde und wie sehr er das
Beherrschende in mir sein wird. Ich kenne die Folgen: Mit Jesus die Sünden auf
mich nehmen, um die Art seiner inneren Leiden erfahren, mit ihm zum „Sünder“
werden vor dem Vater und damit vor Gottes Gerechtigkeit erleben und erleiden,
in welcher Weise die geistige Überwindung der Sünde sich vollzogen hat, mit dem
Heiland das Opfer der Sünde werden, mit ihm zum Überwinder werden: Das alles
schaue und erlebe ich in Jesus. Nie mehr werde ich mir gehören können, immer
werde ich im „seinen“ mich befinden, um in seinen Interessen mich
aufzubrauchen, so wie es für ihn der Zweck seiner Menschheit war.
925 |
Jesus blieb
aber bei allem immer Jesus; er verlor nichts in sich und kehrte in gleicher
Wesenheit, wie er ausgegangen war, wieder zum Vater und in sein Reich zurück.
So muss ich glauben, dass in mir die vollerlöste, reine Menschheit ist und
bleibt, und dass die Sünden, die ich bekämpfen und überwinden werde müssen,
mich innerlich nicht berühren, auch wenn ich darunter leiden werde, als wäre es
meine Sünden – wie es bei Jesus war.
926 |
Ich bin voll
Friede und Freude und bereit; denn ich nehme auf jede Weise dann in höchster
Art am Erlöser teil und werde von ihm aufgenommen und verbraucht. –
927 |
Abends: „Wenn
du ganz auf dich verzichtest, werde ich dir meine Geheimnisse offenbaren“.
Vom Geheimnis des
Gottmenschen:
928 |
Insofern Gott
in sich ein unveränderliches Wesen ist und sich selbst seinem Wesen nicht
entziehen kann, insofern war Christus eine ständige Anschauung Gottes eigen.
Auch als Jesus sich selbst „entäußert“, das heißt, alles nicht „Notwendige“
abgelegt hat, blieb der naturnotwendige göttliche Eigenbesitz immer bestehen,
erfreute sich sozusagen Jesus ständig im Vater und dem Heiligen Geist, schaute
und besaß er sich ständig. Dieses naturnotwendige Schauen Christi war ständig
vorhanden. – Durch die eigene Selbstentäußerung Jesu als Erlöser war dieser
schauende Selbstbesitz auf das Gott–zugehörige51 Maß beschränkt,
weil Christus freiwillig auf „seine Herrlichkeit“ verzichtete und diese für die
Zeit seines Erlebens gleichsam „ablegte“, ohne ganz davon getrennt werden zu
können.
929 |
Die
Erlösermenschheit hätte übrigens nicht bestehen und auch jede Leidensfähigkeit
[sich] nicht voll auswirken können, hätte Jesus nicht ständig die Strahlen
seiner Gottheit auf ihr ruhen lassen. Darum war die Gottheit in der heiligsten
Menschheit Jesu wirksam wie ein abgeblendetes Licht, das zwar immer das gleiche
unveränderliche Licht bleibt, aber seine Strahlen in sich und im Vater52
zurückhält. Die Gottheit wirkte auf die Menschheit Christi ein, mehr als die
Fordernde, die Beleidigte, die das Unrecht der Sünde Beleuchtende, die
Genugtuung Verlangende, die Gerechte, zugleich aber als die Stützende und
Stärkende, weil immer untrennbar und unveränderlich mit dem göttlichen Wesen des
Vaters eins. Die Gottheit vergöttlichte nicht bloß das menschliche Tun Jesu,
sondern erhöhte auch seine Erlöserleiden, deren Aufgabe darin bestand, die
beleidigte Gottheit wieder zu versöhnen und gutzumachen, was die Menschheit
gefehlt hatte.
930 |
Gewiss war die
Menschheit Jesu in sich so vollendet heilig und vollkommen und in allem „Gott
angepasst“, dass keine Erhöhung oder Vervollkommnung mehr notwendig oder
möglich und denkbar war. Doch bestand immerhin noch jener große Unterschied
zwischen Gottheit und Menschheit, der in gewissem Sinne nie überbrückt und
ausgeglichen werden kann, weil Gott ein unendliches Wesen, der Mensch aber,
auch in seinem vollkommensten Zustand, sterblich und endlich ist.
931 |
Christus
konnte infolge der Fülle seiner Vollkommenheit auch nichts für sich verdienen,
weil er in sich aufs Höchste vollendet war und alles im höchsten Maße besaß.
Aber gerade dadurch wurde sein Erlöserleben im höchsten Maße verdienend und
verdienstlich für die Menschheit, weil er seine Vollkommenheiten benützte, um sie
opfernd und leidend für die Menschheit zu verwerten. Dieser göttliche Schatz
seiner Vollkommenheiten wurde zu einer Überfülle „gebraucht“, aber nicht
verbraucht und auch nicht eigentlich vermehrt. Jesus benützte seine
Vollkommenheiten, um sie der göttlichen Gerechtigkeit als Ersatz zu bieten und
um die Sünde zu überwinden und gutzumachen. Dadurch war Christi Leben ein
ständiges Verdienen und sich Bereichern für seine Brüder, die Menschen, und ist
uns in Christus „alles Heil“ geworden, das er uns verdient hat.
932 |
In einem
gewissen Sinn konnte das stets verdienende und opfernde Leben Jesu seine
göttliche Glorie und Herrlichkeit nicht vermehren, da er als Gott diese
Vollendung besaß; sie wurde aber vermehrt durch alle Seelen, denen er die
Erlösung brachte, ferner dadurch, dass Jesus von seinem Vater verherrlicht
wurde, als er zu ihm zurückkehrte.
933 |
Auch als
leidensfähiger Erlöser konnte Jesus die Gottesschau ständig besitzen, da doch
die Seele in sich die Möglichkeit hat, zugleich Freude und Schmerz ertragen zu
können; er ließ sie so weit auf seine Menschheit einwirken, als es seiner
Erlöseraufgabe dienlich war. Darum blieb die Wirkung der Ruhe und Kraft und
einer gewissen Freude wohl immer. Er besaß sich ja immer selbst und nichts
wurde ihm gegeben. Nur insoweit besaß er nicht die volle Auswirkung seiner
göttlichen Herrlichkeit und Macht, als er freiwillig als Erlöser darauf
verzichtete und sich gleichsam seinem Vater unterstellte.
934 |
Es gibt eben
verschiedene Formen und Arten der Gottesschau und des Gottesbesitzes.
935 |
Im Zusammenhang
mit den obigen Erkenntnissen wurde mir von Neuem erklärt: Die Unbedingtheit der
Abstammung der Seele von Gott, wodurch sie vollständig Gottes Eigentum ist;
ihre Geistigkeit, ihre absolute Abhängigkeit von Gott. – Durch die Sünde wurde
Gottes unbedingtes Eigentum missbraucht und sein Recht geschädigt; es wurden
Gebiete verunehrt, über die im höchsten Sinne nur Gott zu verfügen hatte. Somit
greift die Sünde in erster Linie in eine Geisteswelt hinein. Geisteskräfte
wurden in der Sünde zuerst missbraucht und diese zur Sünde missbrauchten
Geisteskräfte wurden im Gottmenschen, im Menschen in Christus, wieder erneuert,
gereinigt durch entsprechende innere Reinigungsvorgänge, durch Leiden, die
einer in der Sünde liegenden Befriedigung entgegengesetzt und entgegengestellt
sind.
936 |
Wir Menschen
denken zu wenig an das unbedingte Eigentumsrecht Gottes über unsere Seele, über
den ganzen Menschen. Nur ein Gottmensch konnte die der Verunehrung des
Gotteseigentums entsprechende Wiedergutmachung übernehmen. –
937 |
Für das
Geheimnis der Gottesschau im Menschen Christus hat man in den Erlebnissen auf
den höheren Vereinigungsstufen, besonders von der geistlichen Vermählung an,
eine gewisse Bestätigung.
938 |
Die
wirkliche, wesentliche Vereinigung, die Kraft der Einheit mit Gott bleibt in
gewissem Sinne unveränderlich bestehen, auch in den weitergehenden
Läuterungsstufen. Diese ändern aber oft die Auswirkung jener bleibenden
Vereinigung. Sie besteht nicht mehr so sehr in der Art eines fühlbaren Trostes,
sondern als Kraft im wesentlichen Sinn, als etwas Vorwärtsdrängendes,
Beleuchtendes. In ganz großen inneren Leiden scheint gewiss ihre Wirkung zu
verschwinden, aber man hat dabei den Eindruck, als sei Gott in einer die Seele
unmittelbar durchdringenden Art tätig, als sei er im Leiden selbst verborgen.
Es ist, als wenn Gott unmittelbar selbst die Seele läutere, und reinige; das
erhöht die Leiden, ist aber zugleich auch die Kraft. So erfahre ich auch
weiterhin die Tätigkeit Gottes in meiner Seele. Gott wird zum verzehrenden
Feuer, das die Seele durchdringt und durchglüht. – Man könnte auch sagen: Die
Fühlbarkeit der Vereinigung vermindert sich, die Vereinigung wird noch
geistiger, wird zum beherrschenden Geist in der Seele und schließlich zum
völlig Beherrschenden, sodass man in einen scheinbar gewöhnlichen Zustand
zurückzukehren glaubt, alles wie selbstverständlich findet und fast nichts
Außergewöhnliches mehr darin sieht. Und doch erlebt man stark und
unveränderlich, dass man von einer göttlichen, tragenden Kraft durchlebt ist. –
So entwickelt und verändert sich von der geistlichen Vermählung an aufwärts
ständig die Auswirkung der Vereinigung. Die Vereinigung der „geistigen
Vermählung“ ist noch weit entfernt vom Erleben Gottes in sich. Ja, die
„Vereinigung“ hört sozusagen auf und geht in das „Erleben Gottes“ über. Das ist
die Stufe, auf der ich mich jetzt bewege, im Nacherleben des Gottmenschen
Christus.
939 |
Dementsprechend
steigern sich aber auch die inneren Leiden bzw. die Leidensfähigkeit in der
Seele. Man erlebt beide Zustände in einem: Gott und das Leiden; beide wirken
sich aber voll aus und keines wird durch das andere vermindert oder gestört. In
diesen höheren Zuständen kann man überhaupt Verschiedenes zugleich erleben,
weil viele früher schlummernde Kräfte in der Seele herangezogen wurden und
betätigt werden können.
940 |
Etwas
Ähnliches, freilich viel53 vollkommeneres, sehe ich in der
Menschheit Jesu. In ihm war die Gottheit etwas wie Selbstverständliches, das
zum Wesen des Ganzen gehörte, und auch ihre Wirkung vollzog sich wie
selbstverständlich. Die Gottheit war auch dort wie ein Feuer, das die
Menschheit Christi durchglühte und sie zu unaussprechlichen Leiden für die
Menschen befähigte.
941 |
Dunkel sehe
ich voraus auf später kommende, diesbezügliche Erkenntnisse und Erfahrungen
über die Art und Weise, wie sich die Gottheit Jesus auswirkte in seine größten
seelischen Leiden, die sich bis zur Gottverlassenheit steigerten.
942 |
Heute, bei
der heiligen Messe (in St. Peter beim Altar des Heiligen Gregor des Großen, bei
der heiligen Wandlung) wurde mir innerlich der letzte, kommende Abschluss in
meinem Innenleben erklärt, der mich für meine Aufgabe voll befähigen soll.
943 |
Mein
bisheriger Weg war anscheinend eine ständige Vorbereitung, eine dauernde
Angleichung und ein Hineinleben in Jesu Inneres. Die letzte Vollendung wird nun
eine innere Einprägung und Besiegelung bilden, die mir durch Christi Menschheit
gegeben wird. Durch eine wirkliche Anteilnahme an der Erlösermenschheit Jesu,
für die mein jetziges Sein vollständig in Beschlag genommen, „reserviert“
werden wird und die mein Dasein und gleichsam den letzten Zweck meines Daseins
ausmacht, wird mein ganzes Sein unausweichbar und unverlierbar auf das
Nachleben der heiligsten Menschheit Jesus festgelegt werden.
944 |
Es wurde mir
innerlich klar gezeigt: Im jetzigen Zustand bin ich gewiss schon in einem
wahren Sinn eingegangen in Jesu Sein, aber ich bin trotzdem auch noch von
meinem Sein geleitet und beherrscht. Das bringt doch noch eine gewisse
Veränderlichkeit in meinem Innenleben hervor; so kann man sich z. B. dem Leiden
einigermaßen entziehen, kann man sich etwas schwerer oder leichter machen, als
es in Wirklichkeit ist, kann man das innerlich Erfahrene mehr oder weniger klar
ausdrücken und empfinden. In meinem jetzigen Zustand wäre darum keine
einheitliche Erklärung des Innenlebens Jesus möglich. Durch eine letzte
Besiegelung und Beschlagnahme in Christus wird mir daher in Folge seiner
göttlichen, dauernden und im höchsten Sinne genommenen Einwirkung einer Art
Unveränderlichkeit in ihm verliehen, sodass mein Dasein klar und unverrücklich
sein Inneres wiedergibt, wie das meine gelebt. – Ich erkannte genau, wie Jesus
das machen wird, aber es ist ein geistiger Begriff, für den ich kein Wort habe.
945 |
Nach der
heiligen Kommunion schaute ich in Einzelheiten dieses, mein letztes Ziel: Es
vollzieht sich in einem vollständigen Verzichten auf jeden Gebrauch
meinerseits; sein Leben ergibt und zeigt sich unabänderlich als „das meine“ in mir.
Zugleich erlebe ich die Auswirkungen der göttlichen und der menschlichen Natur
und ihre Verbindung im Erlöserleben Jesu, das Verhältnis Jesu zur heiligsten
Dreifaltigkeit, wie er die Sünde in sich empfand usw. Ich erkannte genau, in
welcher Weise ich das erleben werde: Eben ganz in seiner Person, gleich
wahrhaft wie ein eigenes Erlebnis. Das alles soll ja nicht für mich persönlich
und privat nur gelten, sondern soll als Offenbarung und „neue“, weitere
Erkenntnis über Christi Inneres und Erlöserleben der heiligen Kirche zukommen.
946 |
Im
Vorausschauen auf dieses mein Leben des Herzens Jesu fragte ich mich, wie schon
öfter: Muss ich dann die ganze Zeit des Erdenlebens Jesu nachleben? Es wurde
mir aber erklärt: Dieses innere Erleben ziehe sich auf eine „geistige Zeit“
zusammen.
947 |
Ich fühle
nun, wie ich innerlich zu diesem letzten Ziel hinbewegt werde, in einem noch
höheren, beständigen Verlassens meiner selbst, auch des jetzt schon erworbenen
Zustandes (des Seins Jesu), der im letzten Abschluss noch eine bedeutende
Veränderung erfahren wird. Ich gehe damit vollständig in eine Geisteswelt ein.
Gewiss bleibe ich dabei äußerlich im gewöhnlichen, normalen Zustand, ohne
Ekstase, aber ich bin mir und meinem menschlichen Urteil über die inneren
Erlebnisse entzogen und erfahre fühlbar die Erlebnisse Christi als die eigenen.
948 |
Ich bin in
großem Frieden und voll bereit für Jesu Absichten. Mit ihm ist mir die Kraft
zum Durchhalten gewiss, weil ja er mich lieben wird. –
949 |
Die vergangenen Tage waren schwer und voll geistiger,
läuternder Leiden. Es gilt mich noch mehr freizumachen von möglichen eigenen
Einflüssen, um ganz in das Geistesleben Jesu eingehen zu können. Es handelt
sich nicht um bewusste Dinge, sondern um die dem Menschen anhaftende
Einseitigkeit oder natürliche Schwäche. Die inneren Leiden sind daher stets auf
dieses Ziel hingerichtet: Mich ganz von mir zu entfernen und hinein in „eine
andere Geisteswelt“, in das Erlöserleben Jesu!
950 |
Ich habe kein rechtes Bild oder Wort, um diese
Leiden zu erklären. Ich verliere gleichsam unter mir und in mir jeden Halt,
fühle mich wie ein Strohhalm zwischen Himmel und Erde, und auch dieser
Strohhalm muss noch verbrennen und aufgelöst werden, um ganz dem vergeistigten
Sein Christi angepasst zu werden, um alles in sich selbst befestigen zu können,
weil der eigene Geist, alle Kraft und Bedürfnisse ganz dem Sein Jesu
untergeordnet werden müssen. Der Geist muss dazu gleichsam aufgelöst und
umgestellt werden, muss [dem] Jesu angeglichen werden, um ihn ertragen zu
können und in ihm das Lebenselement zu erhalten. Jede weitere Entwicklungsstufe
bringt aber etwas, was man noch nicht „kann“, was der Natur noch widerstrebt,
was gleichsam einen Widerspruch der eigenen Geistesnatur auslöst.
951 |
Mein geistiges Empfinden und Leiden war: Ich
habe mit mir nichts mehr zu tun; ich habe ja nichts mehr, was mir etwas zu tun
gäbe; es ist alles leer und ausgebrannt. – Aber unmittelbar über diese Leere
ist ein geistiges Wesen entstanden, voll innerer Fülle und Lebenstätigkeit.
Freilich kann ich mich auch mit diesem Wesen nicht betätigen, werde aber davon
angezogen und hineinbewegt. Ich bin wie ein Fremdling im eigenen Haus, weil ein
anderer in diesem herrscht, und diese Herrschaft kann der Seele
unaussprechliche Leiden bringen.
952 |
Wohl das
größte Leiden aber ist dabei für mich, nicht „beten“ zu können. Unwillkürlich
will man „beten“, um Hilfe rufen, mit dem Heiland vertraut sein wie früher,
aber es ist mir geradezu die Möglichkeit hierfür genommen; wenn ich es
versuche, scheint alles leer und wertlos, ich kann nicht empfangen, weil ich
mit dem auskommen kann, was ich in mir besitze. In ihm ist alles und ich muss
mir nur Jesus ganz aneignen. Ihn gebrauchen und zur Quelle aller Kraft machen.
So werde ich geradezu gezwungen, Jesu Sein zu gebrauchen und damit zu leben.
Schon der Versuch, in gewöhnlicher Weise zu „beten“, beunruhigt mich; gleichsam
„von ihm zu nehmen“ bringt mir aber große Ruhe und Kraft, weil alles vorhanden
ist.
953 |
Gestern Nachmittag kam eine auffallende innere
Erlösung und Erleichterung über mich. Es war mir, wie wenn ein Stein, der mich
sehr beschwerte, von mir fiele. Anstelle der früheren Schwere ging eine große,
unaussprechliche Geistigkeit in mir auf, eine neue Freiheit von mir selbst, die
in mir die noch vorhandenen Hindernisse wegnahm. Ich war in einen
unbeschreiblichen großen Raum eingetreten, wo nichts Eigenes, Beengendes oder
Bedrückendes herrschte, wo ich alles abgelegt hatte und mich frei bewegen
konnte. Das gab mir eine noch nie begriffene Ruhe und Klarheit und Kraft.
954 |
Über eigene Hindernisse hinweg bin ich wieder
tiefer in Jesu Innerstes eingetreten und genieße als köstliche Frucht der
vorhergehenden Leiden diese unbegreifliche Freiheit von mir selbst, erlebe
anstelle der eigenen Gebundenheit Jesus in seiner unendlichen Freiheit, Ruhe,
Kraft und Fülle. Es ist kein „Fühlen dieses erhabenen Zustandes“, sondern ein
Sein in diesem Zustand, das Besitzen einer nun vorhandenen, erreichten Stufe
des Lebens Jesus. – Das innere Erleben Jesu erfährt eben immer weitere
Vertiefung. Es ist wie beim Gang in einen Tunnel. Man ist bald „drinnen“, aber
geht man weiter, so kommt man tiefer hinein, obwohl es immer noch der gleiche
Tunnel ist. So ähnlich erfährt man jede einzelne Vollkommenheit Jesu immer
tiefer, erfasst man ihn reichhaltiger, wird man immer mehr von ihm erfüllt und
gesättigt, von ihm aufgenommen und belebt, und schließlich ist er von mir
„gelebt“. – Leider fehlt mir der Ausdruck, um diese weiter erfassten Wege und
Stufen klarstellen zu können.
955 |
Gar bald, schon am Abend, kam ich über diese
erreichte Stufe hinaus in ein neues Leiden. Die erreichte Freiheit, das tiefe
Sein im Heiland bleibt, aber eine neue Last ist auf mich gelegt: Wie eine
Wiederholung der Erlöserleiden lastet es auf mir und ich kann dem nicht
entrinnen; es ist mit dem Sein Jesu in mir vorbereitet; infolge der Absichten
Gottes bin ich diesen Leiden überantwortet. – Ich spüre die ganze Last, die ich
bis jetzt getragen habe: All die Ungerechtigkeit des Urteils der Menschen in
der Sache Gottes und dazu die Unmöglichkeit, mich irgendwie zu verteidigen oder
die Absichten Jesu beschleunigen zu können: Mit Jesus verurteilt nach dem
Gesetz der Menschen. Und ich erlebe die Schwere des ähnlichen Zustandes, denn
der Erlöser ganz als Mensch ausgekostet hat. –
956 |
So tief habe
ich die Last dieses schon jahrelang getragenen Kreuzes noch nie verkostet. Je
geistiger eben die Seele wird, desto tiefer wird das Leiden, und dadurch, dass
man so tief mit Jesus in seine Liebesabsichten eingeht, wächst auch das
Verständnis für ihn. Jesus erfuhr aber in seinem ganzen Leben eine ständige
Verkennung und ein Übersehen und Nichtbeachten seiner Absichten; er ward als
ein „bloßer“ Mensch erachtet.
957 |
Ich gehe tief
ein in diese seine Leiden, in all seine diesbezügliche Leidensmöglichkeit.
Jesus ward zum gewöhnlichen Menschen, zum „lächerlichen“ Übermenschen, zum
Verbrecher in den Augen der Menschen. Alle meine Leiden der Verkennung und
Entrechtung sind in mir der Weg, um diese Art der Leiden Jesu zu verstehen. Und
Jesus ließ es über mich54 ergehen. Mit der Kraft seines Herzens
ertrug er sein Leben. – Diese weitere Stufe des Eingehens in Jesus und das
vorweggenommene „Bejahen dieses Erlebens“ im Annehmen seines Seins weckt in mir
zunächst einen Widerspruch der Natur. Jesus in diesem Leiden aufnehmen
widerstreitet mir, aber nicht nach meinem Gefühl; denn dieses gibt sich ja gern
dem Heiland. Man erfährt jedoch „Tieferes“ in sich: Jene Fähigkeiten, die
dieses Leiden ertragen sollen, wehren sich dagegen. Dieser Kampf, zusammen mit
Jesus Gelassenheit und Leidensbereitschaft, erzeugt das besagte geistige
Leiden. Dieses ist aber für mich der Weg hinein in die Geisteswelt Jesu, tiefer
hinein in ihn. (Freilich hat man kein Wort für dieses „tiefer hinein in ihn“).
– Die ganze Nacht litt ich unter dieser Art seines Leidens, unter diesem Eingehen
in Jesus. – Es ist aber alles rein geistig gelitten; der früher erlangte Grad
der Freiheit und Geistigkeit bleibt bestehen.
958 |
Heute Morgen (27. Januar) war ich wieder
ruhig. Ich habe das Hindernis in mir durchgebrochen und durchlitten, sodass ich
Jesus in der geschilderten Art seines Erlöserseins ertragen kann. – Nach der
heiligen Kommunion und bei der heiligen Messe bin ich weit von mir entfernt,
lebe ich in und mit dieser Geisteswelt Jesu. Sie bietet mir alles. In ihr kann
ich mich selbst ganz entbehren, weil in Jesus alle Fülle vorhanden ist.
959 |
Der Heiland scheint „Eile“ in mir zu haben. In
meinem Innenleben ist ein Tag dem anderen gleich. Aber wie könnte ich seine
Arbeit in mir beschreiben? – Leiden ist immer der Weg zu einer höheren Stufe in
meinem55 Innenleben; und von jener Stufe aus führt dann wieder ein
weiterer Weg noch tiefer in ihn hinein. Und doch scheint alles ganz gewöhnlich.
– Nur die feine Geistigkeit kann diese inneren Regungen und Bewegungen
erfahren. –
960 |
In jenem vollkommenen Aufgenommensein von ihm
und Bleiben in ihm kamen mir die äußeren Umstände wie eine schwere Last in
Erinnerung. Die scheinbare Aussichtslosigkeit seiner das Werk betreffenden
Absichten will mir Bange machen, wenn ich auch nicht gerade zweifeln kann. Ich
möchte, wenn ich könnte, dem Heiland einen Vorwurf machen: „Aber das hast du
doch nicht wahr gemacht!“ Wir Menschen wollen eben immer das Äußere sehen.
Ebenso bedeutet der andere Umstand für mich ein ständiges Opfer, dass ich schon
so lange meinen (rechtmäßigen) Seelenführer entbehre. – In solcher Stimmung,
die eine leichte Bangigkeit und Furcht vor noch höherer Hingabe in mir
aufkommen lassen wollte, sagte mir Jesus in geistigen Worten: „Wenn du dich
ganz verlässt und auf alles verzichtest, werde ich für alles sorgen, und alles
übernehmen.“ Und ähnlich wiederum: „Verzichte ganz auf dich; ich übernehme
alles.“
961 |
Bei solchen rein geistigen Worten ist immer
„Wort und Wirkung“ zugleich. So war ich auch in jenem Augenblick mir selbst
schon in einer noch höheren Art weggenommen und trat die Wirkung sofort ein,
weil ja in der Seele kein persönliches, willentliches Widerstreben herrscht. –
Im zweiten, kürzeren Wort war der Sinn des Erstgenannten enthalten. Das tiefere
Wort war das Zweite, die tiefere Wirkung aber lag im Ersten. Sie bezogen sich
beide auf die Tiefe seiner Absichten, auf die Art, in der ich mich nach seinem
Willen verlassen soll, um meinem Eigenen ganz entzogen zu sein und dafür das
„seine“ aufzunehmen. Jedes Mal war die innere Wirkung der tröstlichen Worte
Jesu volles Vertrauen und neuer Mut. „Im weiteren Verzichten übernahm Jesus
alles“. – Solche Worte sind wie ein Blitz, der beleuchtet.
962 |
Bei der
heiligen Messe habe ich mich heute von Neuem ganz mit ihm für seine Absichten
geopfert in großer innerer Sicherheit, dass „er“ der Urheber meines Innenlebens
ist: Jesus, an den ich glaube, auf den ich hoffe und vertraue, und den ich über
alles liebe. Das genügte mir, um mich ganz in ihn hineinzuwerfen: Ich vertraue
DIR, weil du alles bist. – Und ich bin in großem Frieden und voll Vertrauen,
dass Jesus alles „macht“, weil er „alles“ mit mir übernommen hat. [sic!] –
963 |
Seit gestern Abend bin ich wieder in eine
höhere Stufe des „Seins“ in Jesus eingegangen. Freilich waren die Leiden der vorausgehenden
Tage innerlich peinigend.
964 |
Über die jetzigen inneren Leiden im
Allgemeinen: Es ist schon ein merkwürdiges Geheimnis um diese Läuterungsleiden,
die der liebe Heiland verursacht. Die letzterreichte Stufe des Seins in ihm
bleibt für gewöhnlich bestehen. Man festigt sich darin, sodass man sich wie
selbstverständlich und in voller Klarheit darin befindet. In letzter Zeit
vollzog sich das in wenigen Stunden, weil ja der Wille schon ganz auf Gottes
Wirken und Absichten hingerichtet ist und kein eigenes Widerstreben und
„Selbstbesitzen–wollen“ mehr vorhanden ist. – Dann aber erlebt man innerlich,
wie mir scheint, im Voraus wieder einen höheren Zustand. Ein weiteres Ziel tut
sich im Inneren auf und darauf wird das ganze innere Streben hingerichtet. Es ist,
als genüge einem die frühere Stufe nicht mehr, weil Höheres in Aussicht steht.
965 |
Hierauf „verdunkelt sich“ das vorhergehende
Erleben Jesu. Das höhere, geschaute Ziel strahlt in dieses „Dunkel“ hinein und
lässt es als zu wenig und nicht genügend erscheinen. Dadurch wird der Wille
angeregt, mit voller Energie dem Höheren entgegenzustreben. Aber da erlebt man
die eigene Unfähigkeit, irgendeinen Schritt auf das erschaute und ersehnte Ziel
hinzutun. Es ist ein schmerzliches Leiden und Erleben der eigenen Unfähigkeit
und der Unmöglichkeit, wobei die früheren Gnadenzustände still und passiv und
wie nicht mehr vorhanden scheinen. – Jesus greift meistens „von oben herab“
ein. Das höchste Licht, das höhere Wissen, durchstrahlt ständig mein Inneres
und bewirkt damit jene peinigenden inneren Auflösungsleiden, die vollkommene
Loslösung von sich selbst.
966 |
Das zu erreichende Ziel und die eigene
Unfähigkeit hierfür begegnen sich ständig in der Seele. Man scheint innerlich
an das gebunden zu sein, was in der Seele noch als ein Hindernis vorhanden ist
und was sie noch fernhält von der geschauten, höheren Stufe. Das Erleben dieses
Hindernisses in sich erzeugt das schwere Leiden, das dem zu erringenden Ziel
entspricht. Handelt es sich um einen höheren Grad der Loslösung von sich und um
ein tieferes Eingehen in Jesus, so erlebe ich als Hindernis die eigene
Gebundenheit, die nicht willentlich ist, die aber ein unbewusstes Zurückhalten
des Dranges zum Höheren bedeutet. – Es entsteht gleichsam ein Zweikampf
zwischen dieser eigenen Schwäche und dem geschauten und erstrebten höchsten
Ziel in Jesus. Man wird dabei in sich niedergerungen und erdrückt in der durch
das Licht von oben erkannten eigenen Nichtigkeit und Unfähigkeit. Man hat das
Empfinden, als würde das ganze Innere mit einem glühenden Kamm durchgekämmt.
Das ganze Innere wird wie mit einem geistigen Feuer durchglüht. Auch das
frühere gelebte Jesus–Leben scheint dabei nochmals durchgeläutert und gefestigt
zu werden. Ein Zustand greift in den anderen hinein.
967 |
Es sind dies aber nicht jene sinnengebundenen,
fühlbaren Leiden früherer Jahre, sondern sie sind tief vergeistigt. Trotz
dieser inneren Leiden bleibt die innere Ruhe oder wenigstens die Kraft der
Ruhe. Ich kann sagen: Bei all diesen Leiden fühle ich mich nicht beschwert oder
bedrückt, weil das sinnliche Anlehnungsgefühl schon längst weggelitten ist und
der Geist sich frei in sich bewegt. Es sind eben rein geistige Leiden, die aber
umso schärfer in die Seele eindringen und sie durchglühen. – Allmählich
verschwindet jedoch das Hindernis in der Seele; der unwillkürliche geistige
Kampf hört auf und an dessen Stelle tritt eine große innere Ruhe und
Ausgeglichenheit. Ohne dass man gewahr wird wie, leuchtet neu der frühere Grad
des Erlebens Jesu auf und wie in Gottes Kraft gelangt man zu dem erstrebten
Ziel, zu jener weiteren Erhöhung, die wie ein dunkler Begriff in der Seele war
oder auf die man durch die Eigenart der Läuterungsleiden hinbewegt und
hineingehoben wurde.
968 |
Das Merkwürdige ist, dass man an diesen
inneren Geschehnissen auf diesen höheren Stufen beteiligt und doch wieder nicht
beteiligt scheint. Jesus tut alles in mir, ich brauche nichts zu tun, als
geschehen zu lassen, was er in mir tun will. Er nimmt von mir Besitz nach
seinen Absichten. Er sondert in mir aus und reinigt, was noch hinderlich ist.
Er vervollkommnet und belebt, was er zu „seinem Leben“ in mir braucht.
969 |
Die Leiden
der letzten Tage bezogen sich vor allem auf ein vollkommenes „Verzichten auf
mich“, damit meine eigene, geistige Tätigkeit vollkommen ausgeschaltet werde
(ich habe freilich kein Wort, um diese Grade immer höheren Verzichtes auf sich
selbst wiedergeben zu können). Das Schmerzliche dabei ist, dass ohne eigenes
Wollen immer wieder Selbsttätigkeit und eigenes Streben wie unbewusst im
Inneren aufsteigt. Es handelt sich da um Fähigkeiten und Regungen, die – ohne
böse zu sein oder Böses zu wollen – tief verborgen gleichsam „ihr Unwesen
treiben“ oder wenigstens in sich die Kraft hätten, Jesu Leben in mir zu stören
oder zu beeinflussen. Da greift dann jenes reinigende Feuer ein und es entsteht
eine Qual des Verlangens, ganz von sich loskommen zu können. Man hasst und
verabscheut sich und wird durch diese menschlichen, ungeordneten Fähigkeiten
verdemütigt und vernichtet.
970 |
Diese
geistigen Hindernisse in mir sind jetzt Regungen des Unwillkürlichen,
„Unbewussten“: Innere Regungen der Sorge um Jesu äußere Absichten, der Gedanke
an meine äußere Lage, Angst oder Furcht vor Leiden, das vollständige
Weggenommenwerden meines eigenen Ich, wodurch die Seele wie in eine Sackgasse
hineingezwängt wird. Kurz: Bewegungen und unwillkürliche Reflexe der
Gedankenwelt regen und betätigen sich im Unterbewusstsein. Sobald sie aber dem
„höheren“ Willen und Bewusstsein unter dem schon begründeten Leben Jesu
gleichsam in die Nähe kommen, werden diese unbewussten Regungen sofort kraftlos
und ohne Weiteres ausgeschaltet. Beides geht nicht zusammen, weil das höhere
Seelenleben schon vollständig in Jesus eingeordnet scheint und das willentliche
Widerstreben keine Bewegungsmöglichkeit im Inneren mehr besitzt. Sobald diese
Regungen zum „höheren“ Bewusstsein gelangen, zerfließen sie sofort in nichts.
971 |
Ich erkenne
aber klar, wie diese Bewegungen das innere Fortschreiten stören. Darum hasse
ich das „Herumgeistern“ dieser Gedankenwelt in mir. Jedes unwillkürliche
Verweilen bei mir selbst muss von Grund aus ausgebrannt werden. – Es war in der
letzten Zeit in meinem Inneren so, dass es kein „in mir oder bei mir“ mehr
gibt; damit verlieren diese verborgenen „Schwarmgeister“ ihre
Unterschlupfwinkel. Alles muss von Jesu Sein aufgesaugt und in diesem Sinne für
mich vernichtet werden. – In Jesus ist vollständiges Beherrschen jeder Regung.
Es gibt eigentlich in ihm nichts um sich persönlich Sorgendes, sich
Schmeichelndes, weil in Gott alle Regungen wohlgeordnet sind und alle
Fähigkeiten harmonisch ineinandergreifen. Keine innere Bewegung ist da leer
oder „umsonst“; alles dient vielmehr einem bestimmten Akt wesentlichen
Inhaltes, einem wohlbegründeten Zweck und einer klaren Richtung, die keiner
Überlegung bedarf.
972 |
Gestern Abend
(29. Januar) in der Kapelle kam es dann in mir zu einer „Absonderung“. Jesus
wurde zum völlig Beherrschenden in mir. Er durchdringt mich gleichsam wie ein
elektrischer Strom, von dem alles belebt und bewegt wird. Von mir ist nur die
äußere Hülle; das Regierende und Belebende in mir ist „er“. Alles in mir ist
von Jesus „beschlagnahmt“; alles in mir gehorcht diesem seinem durchdringenden
Leben. Nichts ist für den eigenen Gebrauch geblieben, weil das Eigene
vollständig aufgelöst wurde. –
973 |
Es ist ein großer Unterschied gegenüber den
früheren Graden des Seins in Jesus. Jetzt bin ich wohl beim letzten Abschluss
angelangt. Heute Morgen scheint das gestern Erlebte noch stärker und tiefer und
von mir noch mehr abgesondert geworden zu sein. In jener großen Ruhe, die mir
Jesu Leben in diesem, vollendeten Zustand gibt, wollte ich ihn ihm wieder geben
bei der heiligen Kommunion, [sic!] dass er sich ganz in mir befestige.
974 |
Es ist wie ein neues Leben, das mich
beherrscht. Mein eigenes Tun ist vollständig aufgeräumt, und das gibt die
unsagbare, selige Ruhe. In Jesus kommt keine eigene Regung, die ihn bewegen
würde. In ihm ist alles Wirklichkeit und Tat, ich möchte sagen, „eine tuende
und seiende Wirklichkeit“ und Akt. Der aufsteigende Willensakt ist Tat, und sonst
bewegt nichts das Innere Jesu. Dadurch gelangt umso mehr die innewohnende Kraft
zur Auswirkung, weil ihm jede Fähigkeit und Tätigkeit unterstellt ist.
975 |
Jetzt erkenne ich erst, welchen Grad des
Verzichtens der Heiland von mir verlangte, und was Jesus in der Seele durch
Leiden möglich machen kann. Der jetzige Besitz beleuchtet das, was ich verließ
und was nun „unten liegt“. Und zu solcher Höhe ist die Seele schon in diesem
Leben geschaffen!
976 |
Nach dem
früher Geschauten scheint dieser Zustand die letzte Beschlagnahme durch Jesus
zu sein, wodurch alle Kräfte und Fähigkeiten in mir von ihm und für ihn
reserviert worden sind und alles in mir seinem Sein dient wie einstens seine
eigenen menschlichen Kräfte, aber mit dem Unterschied, dass er sich
herablassend meiner Armseligkeit anpasst, während das Leben aus Maria vollendet
ihm untergeordnet war. Sein göttliches Licht, das mich ganz erfüllt, beschämt
meine große Armut und es beschämt mich die Tatsache, dass er sich mit mir
begnügt, um seine Absichten der Liebe ausführen zu können. Aber alles in mir
will ihm froh und gern zu Diensten sein. Und wenn für ihn etwas nicht fähig
wäre, so möge er es unbarmherzig ausbrennen.
977 |
Jetzt erkenne
ich auch, wie weit selbst ein anscheinend vollkommenes Leben von Jesu Leben
entfernt ist. In Jesus ist alles überragend, vom göttlichen Sein und Willen
regiert. Das göttliche Ich beherrschte ihn und das gab meinem menschlichen
Leben jenen unendlichen Wert. Es ist eine unermessliche Gnade, die Jesus in mir
aufgerichtet hat: Ich erlebe Jesus wie mein früheres Leben, aber er ist es. Ich
habe diese unbedingte Sicherheit und auch die tatsächliche Wirksamkeit seines
Seins ist mir gegeben. Ich glaube aber, diese erreichte Höhe wird sich noch
vertiefen und ausbreiten und festigen. – O Jesus, nur nie mehr zurück zu dem
Ich, das ich verlassen habe! Nur immer mehr dich erfassen und durchleben in
deinem gottmenschlichen Geheimnis – wie du es mir als deine Absicht zeigst!
978 |
Der liebe
Heiland ist tätig in mir und nimmt mich nach und nach ganz für sich zu seinem
erneuten Sein. Diese seine Tätigkeit empfinde ich in seiner geheimnisvollen
Forderung auf meinen eigenen Besitz sowie in einer vollen Wegnahme meiner
selbst durch ihn. Ich stehe vor einem entscheidenden Abschluss meines
Innenlebens! Ich erkenne klar, in welcher Art Jesus mich ganz für sich
gebrauchen will, in welcher Form er meine Kräfte und Fähigkeiten in Beschlag zu
nehmen begriffen ist. Ich spüre innerlich unmittelbar die Folgen des
gänzlichen Verzichtes auf mich. Dies löst eine innere Entscheidung aus. Mich
ganz und für immer aufgeben im Sinne, dass ich auf jede Betätigung in mir
verzichte, dass ich keine Sorge oder Anlehnung an mich mehr haben kann, das ist
es, was ich innerlich als entscheidend fühle. Nicht, dass man dem Willen nach an
sich hinge; aber es ist eben ein Naturgesetz und als Bestimmung in die Seele
gelegt, dass sie sich um sich selbst kümmere, sorge und um ihretwillen
betätige. Im Verzicht darauf spüre ich daher das Große, das Hinausgehen über
das Geheimnis der menschlichen Natur, wonach jeder Mensch gemäß dem von Gott
gesetzten Plan sich selbst behauptet. – Gerade da erlebt man die Kraft der
göttlichen Gnade, die alles zu überwinden imstande ist und deren Forderungen
keine Grenzen gesetzt sind.
979 |
In jener Forderung liegt der weitere Umstand:
Alles, mich selbst unumschränkt dem Heiland überlassen. Durch das eigene
Erleben ist das von der Seele zwar klar begriffen und tief begründet, aber es
wird niemals möglich sein, diesen Grad des Beherrschtwerdens von Jesus in
Worten zu erklären.
980 |
Ferner liegt darin: Verzichten auf die eigene,
menschliche Sorge, wie sich „sein Werk“, das Priesterwerk, entwickeln wird. Das
menschliche „Ich“ möchte ja voranmachen und „etwas dafür tun“; es ist mir aber,
als würde mir alles aus der Hand genommen, weil er es in die Hand nimmt. Er
gebraucht mich dazu, aber es ist mir vollständig verborgen, in welcher Art, doch
weiß und fühle ich, dass er durch sein Wirken in mir „Licht“ macht für seine
Absichten. Es ist mir alles geheimnisvoll dunkel; ich spüre, dass ich das
Werkzeug sein werde, aber alles „tut“ er. Auch hierin soll und kann ich mich
nie mehr einmischen „wollen“. Es ist daher eine Wendung sowohl in meinem
Innenleben wie auch im äußeren: Was früher meine Arbeit und mein Bemühen noch
schien, das übernimmt jetzt der Heiland ganz selbst. – Ich sehe dabei, wie
selbstisch der Mensch ist, wie gern man selbst etwas tun „wollte“; man spürt,
wie man – ohne persönlichen, bewussten Willen – an sich am Erfolg hängt; man
spürt das erst ganz, wenn dem Eigenen alles aus der Hand genommen wird.
981 |
Und das
Letzte, was in dem von Jesus geforderten und bewirkten Verzicht liegt: Meine Zukunft,
ich selber bin mir weggenommen. All meine Kräfte, Fähigkeiten, Aktmöglichkeiten
dienen seinem sich gleichsam wiederholenden Sein. Jesus will das große Wunder
in mir wirken und vollenden: Sich offenbaren, sich erlebt und gelebt zeigen,
wiederholt durch meine menschlichen Fähigkeiten. Jetzt aber vollzieht sich in
mir seine entscheidende, letzte volle Besitznahme von mir. Er gebraucht alles
in mir für sich, so ähnlich wie er einst seine eigenen Lebenskräfte gebraucht
hat, um bestehen zu können. – Ich lasse mir gerne „alles“ nehmen, aber ich
spüre auch das Entschiedene, das für mich darin liegt, dass er es nimmt.
982 |
Heute früh
(31.01.1941), schaute und erkannte ich innerlich diese überragende Eigenheit
Jesu: Alles in ihm ist hingeordnet und konzentriert auf das göttliche Sein in
ihm! (Dieses Erkennen hat in der Auswirkung auf mein Innenleben etwas
Unsagbares). Es gibt in Jesu Innerem keine unnötige Regung und Bewegung; alles
ist der Hauptsache zugewendet; die vielen geistigen Fäden der inneren
Betätigung sind wohlgeordnet und dienen alle dem höchstens Sein in ihm. Und
diese innere Harmonie wird vom göttlichen „Ich“ beherrscht. Es gibt nur ein
„ich will“ in Jesus, und alles gehorcht. Es fehlt in ihm vollständig unser
menschliches „ich soll, ich muss“. Jesu menschliche, seelische Fähigkeiten sind
vollkommen dem göttlichen Ich eingeordnet und untergeordnet, ohne dass ein
Druck oder Zwang auf Jesu Seele ausgeübt wurde. Alle Bewegungen vollziehen sich
in voller Ruhe und Ausgeglichenheit untereinander, obwohl beide Naturen, die
göttliche und die menschliche, voll zur Auswirkung gelangen.
983 |
Und Jesus hat
mich bestimmt, dass dieses Geheimnis des Lebens Jesu in mir zu menschlichem
Begreifen und Erklären gebracht werde, damit dieses Geheimnis für die Kirche
offenbar und zum Gegenstand der Verehrung und der Würdigung werde. Dadurch soll
Jesus in seinem Erlösungsgeheimnis mehr erkannt werden, wodurch wiederum seiner
Kirche neue Gnaden zufließen werden.
984 |
Dabei erkenne
ich klar, wie verstreut und zerstreut meine Fähigkeiten in mir sich noch
bewegen, obwohl die jahrelange Reinigung sie geläutert hat. Jetzt gilt es, sie
zu sammeln, zusammenzuschließen und zu konzentrieren, damit eine abgerundete
geschlossene Kraft daraus entstehe. Alle meine geistigen Fähigkeiten gelangen
damit an den Ort ihrer Bestimmung und Aufgabe. Diese Zusammenfassung aller
Geistesbewegungen und Kräfte hat die Bestimmung und den Zweck, die volle
Harmonie, die in Jesus ist, nachzubilden, um ihm dargestellt zu dienen. Ich
spüre klar, wie Jesus das macht in mir und wie er mich für sich gebraucht. –
Wenn ich so weit in Jesu Sein eingegangen bin, wie ich es innerlich als Ziel
schaue, wird er mich durch einen besonderen Akt seiner Gnade unveränderlich
befestigt machen.
985 |
In mir ist volle Bereitschaft gegenüber den
Absichten Jesu. Ich fühle zwar sehr tief das entscheidende Opfer meiner vollen
Hingabe, aber ich überlasse mich „ihm“ ganz, sowohl mit meiner
Hingabebereitschaft wie mit dem noch unbewusst vorhandenen Widerstreben der
eigenen Natur und etwaiger leiser Furcht und einer gewissen Bangigkeit um meine
Armseligkeit. Bei allem befinde ich mich in großem inneren Frieden. –
986 |
Meine inneren
Leiden sind so groß und durchdringend, dass es mir nicht möglich ist, einen
richtigen Ausdruck dafür zu finden. – Und doch bin ich auch ganz glücklich
dabei; denn es ist die größte Gnade, in dieser Art mein Nichts und meine
Unfähigkeit erkennen und einsehen zu können.
987 |
Ich bin ganz
durchtränkt von meiner Nichtigkeit, Schwäche und Ohnmacht. Dieses tiefe
Erkennen der eigenen Unmöglichkeit und das ständige Schauen–müssen auf den
Abgrund meiner Armseligkeit ist mir eine wirkliche Wohltat, weil der Heiland
damit die Wahrheit zeigt. – Es trifft in mir zu, was der Prophet Malachias – in
der Lesung vom Fest Mariä Lichtmess – sagt: „… und wer kann bestehen bei seinem
Anblick? Er ist wie schmelzendes Feuer und wie Lauge des Wäschers …“
988 |
Im Wesentlichen bleibt der früher erreichte
Zustand des Erlebens Jesu bestehen und sein Leben in mir ist es, was dieses
verzehrende Feuer der inneren Leiden verursacht. Nichts ist rein vor seiner
Gegenwart; sein göttliches Licht aber durchleuchtet ständig die Seele und
durchdringt sie bis in die letzte Tiefe und versetzt sie dadurch in diesen
durchgreifenden Läuterungsprozess.
989 |
Ich bin aber ganz ruhig und wäre zufrieden,
wenn ich mein ganzes Leben in diesem Zustand zubringen könnte, weil es mir die
größte Wohltat ist, so tief und unverfälscht die lautere Wahrheit meiner
Nichtigkeit einsehen zu können. Das ist ja der Mensch vor Gottes Anblick und Gegenwart.
Daher muss ich immer und zutiefst anerkennen, dass „alles“ seine göttliche
Gnade in mir getan hat. Und dass seine Gnade in mir groß war, erlebe ich, wenn
ich auf den Gegensatz zwischen meiner geistigen Erhebung in Jesus und dem
Abgrund meiner Armut und Verdienstlosigkeit schauen muss.
990 |
Die Wahrheit beruhigt meine Seele. Herr, lass
mich immer in dieser Wahrheit bleiben! Ich bitte dich um nichts so innig als um
diese größte Gnade. –
991 |
Seit gestern Abend bin ich – nach großen
Leiden – wieder in großer innerer Stille und Ruhe. Die heftigen seelischen
Leiden haben aufgehört, und an deren Stelle ist eine unsagbare Stille über mich
gekommen. Gewiss tut es mir gut, einmal ein wenig ausruhen zu können. Sonst ist
alles in Dunkel gehüllt in mir. Ich weiß keinen Schritt weiter von dem, was der
Heiland nun in mir vollbringen wird. Ich bin ihm mit allem, was in mir ist,
gerne zu Diensten, und bereit.
992 |
„Mit vielen Leiden wirst du in mich eingehen“.
So hat mir vor zwölf und mehr Jahren der liebe Heiland oft im Vorauserleben das
letzte Ziel seiner Absichten mit meiner Seele schauen lassen. Im Vorauserleben
und Verkosten dieses gnadenreichen Zustandes sah ich mich damals schon ganz
nahe daran. Doch überwältigt und fast erdrückt von der Fülle seines Seins in
mir und dem Gegensatz meiner geistigen Schwäche musste ich den Heiland immer
wieder bitten: „Geh weg von mir; ich kann dich nicht ertragen.“ So selig und
glücklich und aller Welt enthoben auch das Erleben seines innersten Seins
machte, so klar erkannte ich den unermesslichen Abstand. Seine unaussprechliche
Geistigkeit und Heiligkeit war für meine arme Menschheit etwas Unerträgliches
und Erdrückendes. Wenn ich aber so im Erkennen meiner Ohnmacht innerlich ganz
entmutigt war und doch wieder das Verlangen nach seinem vollen Besitz mich
verzehrte, tröstete mich Jesus oft: „Ich werde mich deiner Schwäche anpassen“.
– Und Jesus ist heute noch daran, sich meiner Schwäche anzupassen.
993 |
Wie viel nahm mir der Heiland seither weg, wie
viel musste ich verlieren und aufgeben, mit welchen durchdringenden Leiden
reinigt er mich seit Jahren, dass ich mittels dieser Reinigung ihm angepasst
werde! – O Torheit des Menschen, der sich Gott „gleich“ stellen möchte!
994 |
Und doch schreite ich innerlich stets weiter
in ihn hinein. Es gibt keinen Stillstand in mir, wenngleich der innere Aufstieg
fast immer durch Leiden verdunkelt erscheint.
995 |
Heute erlebe und erfahre ich wieder die Frucht
der Leiden der vergangenen Tage, die freilich bitterschwer waren. Ich kann
jetzt „bleiben“ in der Geistigkeit Jesu, brauche keinen eigenen Anlehnungspunkt
in mir, kann mich gut entbehren. Ich wurde in eine reine Geisteswelt
hineinversetzt, ohne irgendwo sonst Stütze und Halt zu finden; weit weg von mir
und meinem eigenen Sein bin ich mir ganz verloren; ich muss für immer einen
anderen „Raum“ bewohnen und ihm mich anpassen. Dieser geistige „Raum“ hat
keinen Grund und Boden und bietet keine Anlehnungsmöglichkeit; ich muss mich
dort halten können, scheinbar ganz aus mir; ich bin dort ganz allein, ohne
Hilfe und Trost. Diese „Geisteswelt“ bietet mir alles. Ich muss sie mir ganz
aneignen, mich dort wohlfühlen. Sie wird mein Lebenselement.
996 |
Entsprechend schwer waren aber auch die auf
dieses Ziel hinführenden Leiden. Zwar bin ich in großer, seelischer Ruhe, aber
die Erfahrungen in dieser Geistigkeit, in der ich mich bewege, sind für die
Seele so unaussprechliches Leiden und ein Widerspruch und Gegensatz für das
Eigene, das nun in sich selbst ist. Ich möchte einen schwachen Vergleich
gebrauchen: Es ist, wie wenn man von der Erde in den weiten Himmelsraum
hinausversetzt würde und dort bleiben müsste, frei in der Luft schwebend, ohne
sich an etwas halten zu können; weil man aber unbedingt nun dortbleiben müsste,
so müsste man sich jenem Raume anpassen. Es müsste daher alles Beschwerende
abgelegt werden; das Verlangen zurückzukehren müsste einfach ausgeschaltet
werden; man müsste alles abgeben, was hindert, in diesem Zustand zwischen
Himmel und Erde auszuhalten. – Man wird anerkennen müssen, das geht nicht; das
ist zu viel für menschliche Leistungsfähigkeit. – So ergeht es mir innerlich.
Ich glaube auch, mir sagen zu müssen: Das halte ich nicht aus; das geht weit
über meine Kraft hinaus. Aber Jesus nimmt einfach meiner Seele alles
Beschwerende weg, macht mich „leicht“ in sich, macht mich gleichsam „zum
Geiste“, frei von mir und von allem Beengenden; denn nur Gleich und Gleich
fließt leicht ineinander. – Gerade erlebe ich in mir als Leiden jenes
Beschwerende, das mich so erdrückt und beengt. Durch das Erfahren des eigenen
Hindernisses werde ich davon befreit. Es sind dies aber rein geistige Vorgänge,
die man nicht beschreiben kann. Das jeweilige Hindernis erlebt man als einen
Gegensatz, als etwas Widersprechendes, wodurch diese geistigen Läuterungsleiden
hervorgerufen werden. Und Gottes Licht scheint gerade dann in besonderer Weise
tätig, mich ganz durchleuchtend und wie „suchend“ nach etwaigen Hindernissen im
verborgensten Inneren.
997 |
Nachdem ich Jesus annähernd angepasst bin,
nimmt er mich auf in seine innere Geistigkeit. Trotz all der durchdringenden
Leiden schaue ich, wie frei von mir, ständig ein großes Geheimnis, das ich
früher nie so klar erkannte: Die zweite göttliche Person, das „Ich“ dieser
göttlichen Person wird bei der Menschwerdung das „Ich“ im Menschen Jesus. Ich
erkenne das so klar, wie dass „2 mal 2 gleich 4“ ist. Es ist die gleiche Person
in Gott–Sohn und dem Heiland; es besteht nur der Unterschied, dass Gott–Sohn
sich der Macht seiner Herrlichkeit „entäußert“, und sie gleichsam im Vater
zurückgelassen hat, und sich unterdessen dem Vater unterstellte. Er bleibt in
sich ganz der Gleiche, bleibt dem Wesen nach „derselbe“ und verändert sich
nicht im geringsten, aber er hat für eine Zeit lang die Macht seiner
Herrlichkeit gleichsam auf die „Seite gelegt“, um inzwischen eine andere Stelle
zu übernehmen und um etwas ausführen zu können, was ihm bei der Ausübung seiner
Stellung als Gott–Sohn nicht möglich wäre. – Ich erkenne so klar diese Änderung
der „Funktion“, wobei das Wesen sich nicht ändert. Es ist – in einem Vergleich
gesagt – wie wenn ein Königssohn für eine Zeit lang die Stellung eines
Arbeiters mit allen Auswirkungen jenes Berufes übernähme. Der Königssohn wäre
wirklicher Arbeiter, obwohl er nichts von seiner Königswürde an sich verliert.
So erkenne ich klar auch die Auswirkungen der „Funktionsänderung“ in Jesus.
Obwohl sich die Person in Christus nicht geändert hat, ist er von der
Herrlichkeit seines Vaters in das arme Gewand unserer Menschlichkeit versetzt.
998 |
Ich schaue den Unterschied und ich komme mir
vor wie ein Mensch, der von der Erde wegversetzt wäre; infolge der eigenen
Entfernung von der Erde könnte er die Geheimnisse des weiten Himmelraumes und
der Sternenwelt besser erfassen, weil sie ihm „nähergekommen“ sind. So
durchschaue ich in großer Geistigkeit, im weiten, unermesslichen Raum der
Geistigkeit und weit getrennt und entfernt von allem, das besagte Geheimnis. In
gewissem Sinne wird man durch die beschreibenden Leiden „weltentrückt“ und
erlebt und erfasst [man] mit Leichtigkeit und wie mit Selbstverständlichkeit
übernatürliche, göttliche Geheimnisse.
999 |
Heute bin ich so froh und ruhig, diesen
entscheidenden Schritt von mir weg in Jesu Geisteswelt völlig gemacht zu haben.
Nicht verlangt es mich mehr zurück in mein elendes Sein. Ich will mich Jesu
Kraft und Sein anvertrauen, will hier wohnen und bleiben für immer, um immer
vollendeter ihm angepasst zu werden. — Es ist aber alles unaussprechlich
einfach in mir.
1000 |
In unsagbarer Einfachheit und Stille nimmt
Jesus ganz Besitz von mir. Von oben herab erfasst er meine Seelenkräfte,
sammelt sie und erfüllt sie mit sich, wie in einem letzten Abschluss, dem alles
in mir unterstellt ist. –
1001 |
Gestern schon war der liebe Heiland in diesem
Sinne in mir tätig. Das Geheimnis seiner hl. Menschwerdung war der Weg, durch
den er mir seine Tätigkeit in mir erklärte. Ich verstehe es so gut und
begreife, wie die zweite göttliche Person die Menschheit in Maria annahm, wie
die zwei Naturen eine Person wurden. Die göttliche Person war in der heiligen
Menschheit Jesu ebenso „Ich–Person“ wie einst in der Herrlichkeit des Vaters.
Gott–Sohn selbst wollte eben der Menschheit Erlösung bringen. Dies ist ein
unbegreifliches Geheimnis göttlicher Liebe, obwohl mir die vollzogene Tatsache
so klar und begreiflich und nahe ist. Die göttliche Ich–Person vollendete die
heilige Menschheit Jesu erst zu einem vollständigen, selbstständigen Wesen, dem
Gott–Menschen Christus.
1002 |
Heute, bei der heiligen Messe (es ist das Fest
der Erscheinung Mariens in Lourdes) gab ich mich durch die Hände Mariens
wiederum ganz den Absichten Jesu hin. Ich fühle ja, wie der Heiland mich zum
Letzten hinführt. Ich will mit mir nichts zu tun haben, sondern mich ganz
seinen Liebesabsichten überlassen. – Bei der heiligen Kommunion erfüllte mich
Jesus in so einfacher Weise ganz mit sich. Er ist das Tragende, Beherrschende
und Überragende in mir; von mir ist nichts geblieben. Eine bestimmte Innigkeit
in ihm gibt mir eine so stille Seligkeit und unsagbaren Frieden.
1003 |
Jesus will: Ich soll fest glauben, dass er,
der Heiland und Erlöser, sich in ähnlicher Weise mit mir verbinde, wie er es
mit der Menschheit in Maria tat. Er will eben jenes Geheimnis erlebt zeigen.
1004 |
Ich fühle mich, um einen naheliegenden
Ausdruck zu gebrauchen, wie ein Schifflein, das dieses Geheimnis in sich trägt.
Mit meinen geläuterten Seelenkräften, die er für sich anpasste, bildete er sich
die Möglichkeit einer Angleichung an ihn. Ist die Möglichkeit und Fertigkeit
für ihn in mir ganz hergestellt, so vollzieht er selbst die letzte
Beschlagnahme und Vollendung. Und in diesem Stadium, im Werden dieser letzten
Angleichung befinde ich mich jetzt. Wohl wird sich dieser Zustand langsam und
wie natürlich auswirken; Jesus macht alles so einfach und wie
selbstverständlich, damit meine Armseligkeit nicht erschrecke und nicht in
Aufregung und Furcht kommen kann. Sein Wirken in mir ist so still, wie nicht
vorhanden, und doch wieder so stark und umwälzend und durchdringend.
1005 |
Der liebe Heiland will von mir Glauben an die
Größe seiner vollzogenen Absichten und Gnaden. Nicht dass ich jetzt Jesus würde
– er wird und kann sich nie wiederholen –, aber er will wiederholend das
Geheimnis zeigen, dass sich in ihm als Erlöser vollzogen hat; er will zeigen,
in welcher Art Gottheit und Menschheit bei der Erlösung beteiligt waren und
zusammenwirkten. Auf diese seine letzte Absicht sind alle Gnaden in mir
hingeordnet.
1006 |
Ich übergebe alle Gnaden Jesu und damit mich
selbst dem lieben Mütterchen, dass sie alles übernehme und dass sie durch ihre
Mutterhand alles in mir vollendet werde. Mit ihr will ich sein eine Magd des
Herrn, die alles nach Jesu Absichten geschehen lässt.
1007 |
Heute Nachmittag, während einer Schreibarbeit,
wurde ich innerlich neu von Jesus erfüllt, bzw. von Jesu Ich–sein durchlebt. Es
ist nur „eines“, vom göttlichen „Ich“ geleitet. Ich habe keinen anderen
Ausdruck für das Erlebte.
1008 |
Jesus fragte mich: „Willst du ganz und für
immer auf dich verzichten, um mein Leben weiterhin zu leben?“ – In dieser Frage
war zugleich die Tragweite und Tiefe seiner Absichten beleuchtet. – Gewiss
sagte ich gern: Ja, Heiland, ich will dein „Ich“ leben, will für immer auf mich
verzichten, will nach deinen Absichten an deine Stelle treten, will dich
erleben. – Jesus will immer freien Willen und freiwillige Hingabe.
1009 |
Ich bin wie auf einer großen geistigen Ebene
in Jesus angelangt. – Ich möchte mein Innenleben vergleichen mit einer
Bergbesteigung. Je näher man dem Berg kommt, desto größer und gewaltiger
erscheint er. So ließ die Größe der Absichten Jesu mich erschauern. Langsam
aber, und wie unmerklich steigt man zur Höhe hinan. Es geht scheinbar in
Windungen, aber es geht doch aufwärts. Man wähnt sich schon oben, weil so
vieles unten scheint, wenn man zurückschaut. Schön wäre die Aussicht, belohnend
für die Mühen des Anstieges, aber es gilt, den Gipfel zu erklimmen. Man meint,
der Gipfel müsse eine Spitze sein, wo man sich eigentlich nicht so recht
wohlfühlen kann. Ist man aber oben angelangt, so sieht man sich auf einer
schönen, weiten Hochebene, wo man sich frei ergehen kann. Es ist oben auf der
Berghöhe so eben wie unten im Tal. Zudem besitzt und genießt man eine große,
unsagbare Freiheit von aller Unrast und allem Getrubel da unten. – Ähnlich ist
es in mir. Ich bin jetzt auf dieser großen „Ebene“ in Jesus. All mein Sein ist
aufgesogen von ihm und er beherrscht mich als „er“. Es ist viel zu einfach, ich
möchte sagen, zu „eben“, um in Worten ausgedrückt zu werden. Mein Sein ist so
unglaublich mit ihm zusammengeflossen auf dieser geistigen Ebene.
1010 |
Ich bin vollständig von mir weggeführt, von
mir entfernt, weggegangen von mir. Schon seit längerer Zeit weilte ich in einer
anderen Geisteswelt. Ich schaute sie oft als Jesu Geisteswelt. Wenn aber das
innere Licht erlosch, konnte ich mich nicht mehr zurechtfinden56 und
orientieren. In diesem Zustand war ich in der letzten Zeit. Ein ständiges,
immer weiteres „Mich–von–mir–entfernen“ bewirkte, dass ich mich ganz verlor in
einer geistigen Umgebung, wo man nichts mehr tun, nichts wollen kann, wo man
sich nur „mitnehmen“ und leiten lassen kann. Es ist ein den Menschen
fernstehendes, ungeklärtes Gebiet.
1011 |
Wie auf dem Meer eine Welle die andere schlägt
und erreicht, so ist auf diesem Gebiet, geistigen Wellen gleich, die einzige,
immer wiederkehrende Regung: Ganz und für immer auf mich verzichten, aufhören,
für mich zu sein, ein „anderes“ Leben annehmen.
1012 |
Im Aufleuchten dieses anderen kommenden
Zustandes erlebe ich Jesus: Sein Ich durchdringt mich; alles in mir ist
untertan seinem göttlichen Ich in mir. Ein anderes Leben ist in mir im
Entstehen.
1013 |
Die letzten Tage waren voll Pein in diesem
„sich ganz verloren haben“, ohne einen Ersatz dafür zu haben. Jesus arbeitete
in großer Stille in mir.
1014 |
Noch größer wird immer die Stille, wenn Jesus
wieder einen Abschnitt fertiggemacht hat. Ich gewahre und erlebe jetzt in mir
eine unaussprechliche Freiheit von mir, eine nie erlebte Geistigkeit, einen
viel höheren Zustand als bisher.
1015 |
Von diesem Zustand werde ich, wie in einem
Zusammenfließen, hinüberbewegt, dorthin, wo ich gleichsam aufgelöst werde, und
verschwinde, und wo Jesus das vollkommen und einzig Lebende und Belebende
scheint. Er ist das Höchste, Tragende in mir und braucht mein Sein als das
Niedere zu seinem Bestehen. Es scheint alles aus meinen geläuterten,
vergeistigten Fähigkeiten gebildet, aber zum letzten Abschluss von ihm belebt
und durchlebt.
1016 |
Ich sehe ein, dass ich im letzten Stadium
seiner Vollendung in mir bin, doch wird sich dieser Zustand noch weiter
ausdehnen, klären und befestigen. Nach meinem Erfassen ist es wie eine
„dauernde Ekstase“, die aber mein gewöhnlicher Zustand ist. (Jesus hat mir
schon vor vielen Jahren diesen Zustand im Voraus gezeigt und erklärt als einen
„ekstasenähnlichen Zustand“.)
1017 |
Ich kann mich in keiner Weise mit mir
beschäftigen; es scheint das eine Schwierigkeit für mich zu werden, aber ich
schaue voraus: Wenn ich einmal in diesem Zustand ganz befestigt bin, dann
gelange ich durch ihn, gleichsam durchschauend und durchschreitend durch ihn,
wieder in ein scheinbar gewöhnliches Leben, das aber das seine bildet, das
Erleben seines Lebens. Der Heiland will eben das Geheimnis seines
gottmenschlichen Lebens als Offenbarung für die Kirche zeigen.
1018 |
In der Kapelle wollte ich wenigstens alle
Anliegen sagen, für die Seelen ihn bitten, die mir nahestehen. Jesus aber
wollte nicht diese Art der eigenen Betätigung. Er wehrte es mir mit den
(geistigen) Worten: „Ich werde für alles sorgen.“ – Er verlangt nur grenzenloses
„ihm zur Verfügung stehen“. Er nimmt mich ganz mir weg und gebraucht mich für
sich, aber ich muss und soll das auch ganz wollen. Ich soll mich ganz in ihn
hineinstürzen, mich ihm ausliefern, dass er bestehen kann. —
1019 |
Ich übergebe alles dem lieben Mütterchen; aus
ihrem Herzen und aus ihrer Hand muss Jesus alles von mir in Empfang nehmen.
1020 |
Ich bin „eins“ geworden mit Jesus, ein neues
Leben, das von seinem Ich durchlebt ist. Es ist „eines“ und doch sind wir zu
zweien; die ganze Nacht blieb dieser gnadenvolle Zustand.
1021 |
Die Seele in mir schaut ständig die Gottheit,
kann ihren Blick nie von Ihr wenden, doch trägt die Seele die Gottheit. Alles
in mir ist wie „herausgehoben“ aus dem früheren Sein, aus dem sich ein neues
Sein gebildet hat; das Frühere scheint weit unten zurückgelassen.
1022 |
Meine Seele kann dieses neue Leben gut
ertragen; sie ist nicht mehr bedrückt davon, sondern bewegt sich in unsagbarer
Freiheit in Jesus. Es scheint mir auch nichts Außergewöhnliches; alles ist
einfach und wie wenn es so sein müsste. Da versteht man das langsame, mühsame
Heraus- und Hinaufführen meiner Seele, ihr Angleichen an Jesus und seine große
Herablassung, die zuletzt mit dieser Selbstverständlichkeit und Einfachheit
abschließt. Es ist gewiss ein Wunder geschehen in mir.
1023 |
Der Heiland bereitet mich zur größten Gnade,
die er noch nie gegeben hat und die er nur der Not seiner Kirche wegen gibt; er
will ihr eine neue tiefe Erkenntnis Christi geben, woraus ihr neue Kraft und
Gnade zufließen wird. – Jesus will nur Glauben, Glauben an seine Absichten der
Liebe, wozu er ein armes Menschenkind benützen will. Seine Gnade und meine
volle Bereitschaft müssen sich zusammenschließen.
1024 |
Alles in mir „will“ ihm dienen. Ich erkenne
den Umfang und die Ausdehnung dieses „ihm dienen“. Jesus braucht menschliche
Kräfte und Leidensmöglichkeiten, die er beherrscht und mit denen er
zusammenwirkt zu einer Wiederholung seines Erlöserlebens, soweit es seinen
Absichten entspricht. Mein Ich hat nichts mehr zu tun, ist ausgeschaltet; an
dessen Stelle ist sein „Ich“ getreten. Eine unsagbare Ruhe und Harmonie ist in
mir, eine unaussprechliche Freiheit von allem Geschaffenen. Nichts stört mehr
dieses Leben, das in mir geworden ist. –
1025 |
Während der liebe Heiland mich bisher so
geheimnisvoll dunkel seinen Weg der geistigen Angleichung an ihn geführt hat,
schien es mir, als wolle er mir heute offen von seinen Absichten mitteilen.
1026 |
Es ist ein ständiges Hinbewegen zu Jesus in
mir. Meine Seele bewegt sich aktiv, um ganz von Jesu Sein in Besitz genommen zu
werden. Zuweilen ist es wie eine vollständige „Landung“ in ihm, ein fertiger
Zustand. Doch scheint meine innere Verfassung noch nicht die völlige
Möglichkeit zu bieten, um dauernd ganz von ihm beherrscht zu werden, denn
zwischen hinein werde ich wieder in mich zurückversetzt. Trotz meines eigenen
Bemühens, das ja der ständige Zug der Gnade ist, kann ich mich nicht dauernd vollständig
in ihm halten. Zwar fühle ich in mir kein Hindernis, denn dem Willen nach ist
die volle Bereitschaft in mir, doch wird im verborgenen Inneren noch nicht die
Fähigkeit zu jenem bleibenden Einssein hergestellt sein. – Jede neue Stufe
scheint höher, vollendeter zu sein und zeigt Jesus in einer höheren, neuen Art.
1027 |
Heute, nach der heiligen Kommunion, war ich
ganz wie in Jesus vollendet und er sprach geistig zu mir: „Ich liebe die
Menschheit (den Menschen) so sehr, dass ich gleichsam nochmals eine Menschheit
annehmen will, um mich als Mensch nochmals, wie wiederholend, meinem Vater
opfern zu können. Ich will deine Menschheit benützen, um meinen Liebesdrang
erfüllen zu können. Ich liebe die Menschen so sehr, dass ich mich in allem
gleichsam wiederholen möchte, um den Zweck und die Absicht57 der
Erlösung und meiner Menschwerdung voll zu erreichen. Ich möchte in allen Seelen
den Zweck meiner Menschwerdung voll erreichen.“
1028 |
Im Zusammenhang mit diesem geistigen, in
Worten nicht wiederzugebenden Erfassen der Liebesabsichten Jesu schaute ich
zurück auf die Worte, die mir immer unvergesslich eingeprägt58
bleiben, seit der ersten diesbezüglichen außergewöhnlichen Offenbarung am
Herz-Jesu-Freitag 192459: „Ich will mich in den Seelen
vervielfältigen, ich will in den Seelen wieder lebend werden. Ich will dich
dazu benützen und werde mich mit dir so vereinigen, wie Seele und Leib ein
Leben sind, um durch dieses, mein gleichsam wiederholtes Leben meine Absichten
erreichen zu können“. (Damals waren mir diese Worte unbedingt „sicher“, aber
doch dunkel.)60
1029 |
Ich erfasste so tief Jesu Erlöserabsichten und
sein ganzes Erlösungswerk. Dessen erster Zweck war, die Menschheit durch das
Leiden und den Kreuzestod von der Knechtschaft Satans loszukaufen; die zweite
Absicht war: Durch die Annahme einer menschlichen Natur die Menschheit wieder
herzustellen d. h. durch die geistige Überwindungskraft, die in der
Erlösungsgnade enthalten ist, die durch die Erbsünde gebundene Menschheit
wieder heiligungsfähig zu machen. Ich schaute: Durch einen Menschen kam die
Sünde mit ihren Folgen in die Welt und alle Menschen wurden davon ergriffen;
wiederum durch einen Menschen, durch den Gott–Menschen, wurde die Überwindung
der Sünde möglich gemacht und die Menschheit gleichsam erneuert. Die erste Menschheit
war von Gottes Liebe geschaffen. Er will den Menschen nicht verloren gehen
lassen und so wurde der zweite Mensch, Christus, von Gott gesandt, um die
gefallene Menschheit zu erlösen und zu erneuern.
1030 |
Als bei der heiligen Wandlung der Priester die
heilige Hostie emporhob, sagte Jesus: „Lieber (als in der toten Hostie) möchte
ich mich in lebenden Menschen meinem Vater opfern“. –
1031 |
Der Heiland ließ mich sein großes Verlangen
erkennen, „der Menschheit wieder nahezukommen“, sich zu den Menschen
herabzulassen, denen er gleichsam Bruder geworden war. In einem Menschen sind
alle Menschen gerettet und geheiligt worden und nur durch Christus und in
Verbindung mit ihm kann der Mensch die Absichten Gottes bei der Erlösung
verwirklichen.
1032 |
Nach der dritten heiligen Messe wurde ich ganz
von Jesus aufgenommen. Er ließ mich nun so klar wie noch nie seine Absichten
mit mir erkennen und zeigte mir den Zweck seines „Einswerdens“ mit mir zu einem
neuen Leben, das er zu sein scheint. Dadurch wiederholt er mittels meiner Menschheit
sein Sein vor dem Vater, will damit die Tätigkeit seiner Menschheit bei der
Verwirklichung der göttlichen Erlösungsabsichten zeigen, aber auch erklären,
inwieweit die erlöste Menschheit fähig gemacht wurde, durch die Erlösung an ihm
teilzunehmen61. Er will ferner die Möglichkeit der Wiederherstellung
der gefallenen Menschheit zeigen, die durch seine leidende Menschheit gleichsam
überwunden und erneuert wurde; kurz, er will den ganzen Umfang der durch die
Erlösungsgnaden gebotenen inneren Erneuerungsmöglichkeit zeigen.
1033 |
Der Heiland62 will in allen
Menschen den Zweck seiner Erlösung voll erreichen und will alle Menschen zur
Teilnahme an und mit ihm befähigen. Jesus sagte mir dann: „Dazu will ich mich
meiner Priester bedienen63 und will in ihnen mein Leben fortsetzen,
damit den Menschen (wie aus eigener Erfahrung)64 die Fülle meiner
Erlösungsgnaden erklärt werde.“ – Zuerst soll der Priester der Erlösungsgnaden
Jesus voll teilhaftig sein und damit ganz von Christus beherrscht werden, dann
soll er den Menschen die Fülle der Erlösungsgnaden zeigen und mitteilen.
1034 |
Ich sagte zum Heiland, (nachdem er mir seine
Pläne zeigte)65: „Ja, warum benützt du aber eine Frauenseele?“ –
Jesus: „Das hat meine Mutter getan! Sie war die Erste, welche die Menschheit in
sich überwunden und gottaufnahmefähig gemacht hat.“ – Dann dankte ich „Maria“
für die große Gnade dieser meiner Auserwählung für Gottes Absichten. Ich sagte,
mich zu ihr wendend66: „Liebe Mutter, ich danke dir innig dafür!“ –
Maria: „Mein Liebling glaube mir, dass du mein Liebling bist!“ – „Es ist mein
größtes Verlangen, die Menschheit wieder zu meinem Sohne zu führen; das wird
immer mein Anteil sein.“
1035 |
Ich wunderte mich bei mir selber, wie ich so
einfach und wie selbstverständlich mit Jesus und Maria verkehren konnte; es war
alles so einfach. – Jesus sagte: „Immer wird die Türe dir offen sein zu den
heiligsten Geheimnissen.“ –
1036 |
Nachher kam mir der Gedanke, wie Jesus immer
nur von meinem Innenleben, von meinem eigenen Eingehen in ihn und von seinem
Einswerden mit mir und seinen Erneuerungsplänen67 spricht und nichts
sagt von seinen äußeren Absichten, von der Gründung des Werkes, das doch seine
Absichten verwirklichen soll. Da sprach der Heiland68 innerlich zu
mir: „Kümmere du dich nur allein darum, dass du ganz in mich aufgenommen
werdest; ich werde so Großes tun, dass du es nicht ertragen könntest.“
(Nämlich, wenn ich es jetzt schon wüsste; es würde meine Armseligkeit zu sehr
beschämen).
1037 |
In der Kapelle sagte mir dann später Jesus:
„Wenn du mich voll ertragen kannst, werde ich dir einen 'Stempel', ein Siegel
aufdrücken (geistig eine Art Unveränderlichkeit)69, dass du dich
meinen Absichten nicht entziehen kannst und dass du mir dienst wie mein eigenes
Sein“. –
1038 |
Ich bin im Inneren „Werden“ meines Lebens mit
Jesus, und zwar, so dünkt mir, in seinem letzten, höchsten Abschluss; er
„übernimmt“ mich.
1039 |
Die letzten Tage war ich in großer innerer
Verdemütigung und Beschämung. Es waren gleichsam zwei Akte in mir: Im höheren
Teil der Seele drängt Jesus auf meinen vollen Besitz; alles ist in hohes
geistiges Licht gestellt, doch ist dieses Licht nicht beleuchtend, sondern
zeigt ein absolutes, sich entwickelndes „Werden“. Dadurch wird das Niedere in
mir beschämt und verdemütigt, weil es unmittelbar für die Absichten Jesu
herangezogen wird und sie anerkennen muss. Im Schauen dieser sich in mir
erfüllenden Absichten Jesu einerseits, und meiner so großen Schwäche und
Armseligkeit anderseits möchte ich mich „zu Tode“ schämen. „O, wenn ich mich
doch bald tot geschämt hätte, wenn alles Böse, Menschliche, vollständig in mir
vernichtet wäre!“ Das ist wie eine quälende Sucht in mir.
1040 |
Gestern Abend (27.2.) kam dann eine Änderung
in mir. Es ist, wie wenn Jesus voll „auflebt“ in mir. Durch die vorhergehenden
Leiden ist ihm mehr Raum geschaffen worden in mir. Es durchdringt mich wie ein
elektrischer Strom, der eine Maschine treibt. Es ist aber alles so einfach und
wie selbstverständlich.
1041 |
Heute Morgen wurde ich in Maria versetzt und
ihre Hingabe und Bereitschaft, Jesus in sich „werden“ zu lassen. In ihrer
Gesinnung soll ich es „wollen“, mitgehen wollen, mich ganz „dazu hergeben“.
Maria leiht sich mir; ich lebe ihre Gesinnung, in der sie alles geschehen ließ.
Sie möchte dem Heiland wieder möglichst Vollkommenes bieten. Wie weit bin ich
von ihrer Reinheit und Vollkommenheit entfernt, aber sie hebt mich in sich
empor; wie in ihr wird Jesus seine Absichten mit mir vollbringen. Ich freue
mich sehr darüber, denn sie, die Mutter, trägt dann die ganze Verantwortung.
Sie wird es möglichst gut und vollkommen machen. In Maria, gleichsam
wiederholend, wird der Heiland sich mir mitteilen, wird er mir sein Leben
verleihen; wie er einstmals auch leiblich in ihr lebte, so wird er geistig in
mir leben, aber doch auch meiner Menschheit nach, mich für sich gebrauchend.
Ich erfasse es so klar: Alles geschieht durch Maria. In ihr wird der Kirche die
Erneuerung gebracht, wie durch sie der Welt die Erlösung wurde.
1042 |
In Maria bin ich ganz in Jesu Leben
aufgenommen. Er macht alles selbst; ich bin ihm das Werkzeug, das ihm dient
ähnlich jenem, das er einstens aus Maria nahm zur Erlösung. Er will eine
„Erneuerung“ der Kirche durch das Priestertum herbeiführen, und zwar will er es
vollführen durch das so oft gezeigte Priesterwerk.
1043 |
Heute sah ich das Priesterwerk70 in
seinem inneren Aufbau viel klarer. Es wird auf die tiefste Grundlage des
Glaubens gestellt, wie Jesus es mir schon früher gezeigt hat. Das Kommen des
Menschen von und zu Gott, das Erlösungsgeheimnis, Christus bis ins tiefste
verstanden: Das wird in den Mittelpunkt des Instituts gestellt. Daraus werden
die Folgerungen für den Priester gezogen: der Priester an Christi Stelle das
Erlösungswerk in der Kirche fortsetzend. Zuerst soll er sich bemühen, in tiefem
Glauben an die wirksame Gnade Christi, dessen Absichten bei der Erlösung in
sich voll zu verwirklichen. Ich sehe so klar: Nach dem Maße des Glaubens
fließen die Gnaden Christi; das entscheidende ist dieser unbedingte Glaube, vereint
mit eigener Mitwirkung, aber auf dem einfachsten evangelischen Weg (d. h. im
Geiste des Evangeliums).
1044 |
Im Glauben an Christus lag die Kraft, und der
Erfolg der Apostel. Der Priester aber ist unbedingt und unmittelbar der, zu dem
Christus wie zu den Aposteln sprach: „Geht hin und verkündet das Wort Gottes,
verkündet mich, den der Vater gesandt hat; und wie mich der Vater gesandt hat,
so sende ich euch.“ –
1045 |
Ich schaue im kommenden Priesterwerk diese
absolute Christuszugehörigkeit: Von ihm gesandt, zutiefst verwurzelt im
Vertrauen auf die Fülle der Erlösungsgnade, ist es das geistige Zentrum71,
aber wirkend in größter Einfachheit und Selbstverständlichkeit mit Christus.
1046 |
Das Priesterwerk, ganz auf den Grundlagen der
Absichten Jesu aufgebaut, wird zum „Senfkörnlein“ für die Kirche werden, zum
„Sauerteig“, der alles durchdringt. Jesus will im geistigen Aufbau seines
Werkes all das verwertet haben, was er mir gezeigt hat und was als grundlegend
in meinen Schriften steht: Das Werk sei all den heutigen Zeitübeln als ein
sicheres Heilmittel entgegengestellt. Es seien alle Heilmittel gegen die Übel
darin enthalten.72
1047 |
Ich habe noch nie so klar die geistige Tiefe
des Werkes des „Hohenpriesters“ geschaut und dessen hohe Bedeutung für die
Kirche. Jesus fängt klein an, mit wenigen, wie einst mit seinen Aposteln, aber
sein Werk wird so stark, dass es die ganze Kirche erneuend durchdringt durch
sein tiefstes Geheimnis: den Glauben. – Der Glaube bildet den einzelnen
Priester und damit schließlich in gewissem Sinne die ganze Kirche um. Wie einst
die Apostel so predigt und verkündet der Priester: Christus, den Erlöser, den
Gekreuzigten. –
1048 |
Ich bin in unaussprechlicher Einheit mit
Jesus, nein ich lebe ihn, mein ganzes Sein ist ihm unterstellt. Er verbraucht
meine Menschheit als sein Leben. – Jesus hat wahr gemacht, was er versprochen
hat. Es ist aber viel zu einfach, um das richtige Wort dafür gebrauchen zu
können. Er ist es, der mich lebt.
1049 |
Es wurde mir auch erklärt, weshalb der Heiland
das Priesterwerk in Form seiner Ordensgenossenschaft wünscht: Es entspricht der
Eigenart und dem Wesen einer geistlichen Genossenschaft, wo jedes einzelne
Mitglied in einer bestimmten Art geformt und erzogen und nach einem bestimmten
Ideal herangebildet wird. Durch diese Art der Ausbildung kann der Priester am
leichtesten nach der vom Heiland73 gewünschten Weise gebildet
werden. – Die Mitglieder des Werkes haben dann die Aufgabe, wieder andere
Priester, bzw. alle Priester in diesem Geiste zu bilden, (hauptsächlich
Priesterseelsorge soll die Beschäftigung der Mitglieder in Priesterexerzitien
sein usw.)74, oder als Priestererzieher in Priesterseminaren tätig
zu sein. In der Masse können die Absichten Jesu nicht in der von ihm gewollten
Art vertieft werden.75 –
1050 |
Dieser Tage76 war in mir ein
ständiges „Erhöhen“ und Vervollkommnen des Lebens Jesu, ein ständiges Wachsen.
– Ich bin nun ganz „weg“ von mir, habe mich ganz verlassen; der entscheidende
Schritt ist gemacht. Jesus ist das Belebende, Beherrschende in mir geworden.
1051 |
Ausgehend von diesem letzten entscheidenden
Übertritt in ihn fängt er nun an, sich in mir zu befestigen und „auszudehnen“.
Ich bin innerlich wie ein Kind, das sich tragen und bewegen lässt, wohin der
Heiland es will, weil es ja selbst nicht die Möglichkeit und Freiheit hat, über
sich zu verfügen. O, süßes Kindsein in Jesu Armen!
1052 |
Es ist nun wahrhaftig nur „eines“ aus uns
geworden. Nie hätte ich im Voraus es so erfassen oder auch nur ahnen können,
wie Jesus tatsächlich mich ganz in sich aufgenommen und zu „einem Leben“
gemacht hat, indem er der Lebende ist und alles in mir „ihm“ unterstellt
bleibt.
1053 |
In den letzten Tagen konnte ich schon dauernd
dieses gnadenvolle Leben ertragen. Heute erlebte ich im Voraus eine noch
größere Innigkeit und Tiefe, zu der ich innerlich hinbewegt werde. Auch die
völlige Befestigung in ihm ließ Jesus mich schauen. Ich bin in der Vorbereitung
darauf, für immer eines Lebens mit ihm zu werden. – Ich spüre aber auch das
Entscheidende dieser Gnade: Ich bin mir selbst nun für immer verloren und werde
immer in dem „seinen“ mich befinden. Daraus kommt die Auswirkung seiner
Absichten: das Erleben seines Seins.
1054 |
Merkwürdigerweise ist mir gar nicht bange
davor. Es ist Kraft und Mut im Überfluss da und nie wird sie versiegen; ich
lebe ja die Quelle aller Kraft. In ihm ist alles in Fülle. – Aber Jesus braucht
ein Leben ganz zum Leiden. Ich werde in ihm all die Bedrängnis und Bitterkeit
seines einstigen Daseins erleben, wo all die Kraft in ihm noch zu wenig schien
und ein Engel kam und ihn stärkte. – Jesus wollte leiden und es kam alles wie
ganz natürlich über ihn, so wie über uns schwache Menschenkinder. Aber er hat
alles überwunden und ist für alle Menschen zur Quelle der Kraft geworden.
1055 |
Es ist ein großer, unsagbarer Friede in mir;
es gibt keinen Kampf und kein Widerstreben, alles ist nur Ordnung und Harmonie;
mein ganzes Sein wächst in Ruhe und Bereitwilligkeit voll in Jesus hinein.
Durch die langen Vorbereitungsleiden sind unermessliche, geistige „Weiten“ in
mir geschaffen worden, denen sich der Unendliche anpasst. Wie groß hat Gott die
Menschenseele geschaffen, dass sie gar ihren Schöpfer in sich tragen kann und
er sie ganz für sich und sein Sein gebrauchen kann! –
1056 |
Heute bin ich wieder sehr im Leiden. Gestern
hat mich der Heiland wieder einen Blick werfen lassen auf eine weitere Erhöhung
des Lebens in ihm, auf einen innigeren, vollendeteren und bleibenden Zustand.
Als ich abends wieder die kommende neue Stufe vorausschaute, erschien sie mir
als ein fertiger Zustand. Zugleich erkannte ich das Entscheidende für mich:
Jesus wiederholte sein Versprechen, alles „wahr zu machen“, was er bezüglich
der Ausführung seiner Absichten versprochen hat, jedoch über meinen vollendeten
inneren Zustand. Ich war von einer absoluten inneren Sicherheit erfasst und
durchdrungen. –
1057 |
Der innere Prüfungszustand dauert an. Er
besteht vornehmlich in einer großen inneren Beschämung wegen meiner
abgrundtiefen Nichtigkeit, der die vielen Gnaden des Heilandes gegenüberstehen.
Wie soll man das zusammenreimen? Und doch muss ich mir in meiner großen
Armseligkeit die außerordentlichen Gnaden eingestehen; dabei ist mir aber, als
verlache mich die ganze Welt, weil es so unvereinbar ist. Ich fühle mich wie
ein eingebildeter „Narr“, dem die Gnaden Jesu wie ein „Narrenkleid“ stehen. Um
Jesus und seinen innerlich erfassten Absichten treu zu sein, muss ich sagen:
Der Heiland hat mir diesen Auftrag gegeben; er will dies und das. Und ich
verstehe gut, dass man darüber lacht und nichts tun will, weil nichts an mir
ist, was die Absichten Jesu bestätigen könnte. Jesus hat sich das kleinste,
unfähigste Werkzeug erwählt, das sich darüber schämt, dieses Werkzeug sein zu
müssen.
1058 |
In diesem Leidenszustand schaute und verstand
ich aber Jesus, den Sohn Gottes, in der armen Menschengestalt: In dieser für
ihn so verdemütigenden Gestalt musste er um der Wahrheit willen sagen: Ich bin
der Sohn Gottes. Ich erfasste dabei die ganze tiefe Beschämung des Erlösers. Um
der Wahrheit wegen musste er sich vor seinen Richtern als der Sohn Gottes, als
„König“ bekennen – und es schien lächerlich, Anmaßung, dass ein „Mensch“
solches von sich sagte. Die Wahrheit seiner Worte und die damit empfundene
Beschämung über seinen äußeren Zustand drückten ihn mehr als das Narrenkleid
und die Dornenkrone, die man ihm spottweise angetan hatte. – Ich erkenne die
ganze Tiefe dieses Leidens Jesu und dies dauerte sein ganzes Leben: Gottes
Sohn, auch als Mensch ganz rein, aber in der armen Gestalt der gefallenen
Menschennatur, die er angenommen – zugleich mit den Sünden der Menschen, die er
auf sich genommen – ist dem Urteil und den stolzen Anmaßungen der Menschheit
überantwortet bis zur höchsten Verdemütigung in seinen körperlichen Leiden.
Jesus, Gott, eingehüllt in die arme Menschlichkeit und in die stolze Menschheit
hineingestellt! – Und in diesen verachteten Heiland gehe ich innerlich ein, um
seine Leiden nachzuerleben.
1059 |
Jesus lässt mich im Voraus die Hauptstationen
seines Erlöserleidens erleben und gibt mir als Grund für dieses Vorerleben an:
„du musst wissen, wer ich bin – (und was du mit mir übernimmst!)“.
1060 |
Heute (5.3.41) fordert Jesus die volle ganze
Bereitschaft, das grenzenlose Vertrauen auf seine Führung: „Gänzlich und für
immer auf mich verzichten, und mich in den Abgrund seines Seins stürzen!“ – Ja,
ich liege in diesem Abgrund, aber es herrscht da lauter „nichts und wieder
nichts und Leere“. Nichts erwarten, aber alles mit ihm annehmen! Für mich wird
es nichts mehr geben, aber alles in mir wird für ihn werden. Dieser Zustand
muss durchlitten werden, bis er mir geläufig ist, und auch jedes unwillkürliche
Begehren nach irgendetwas für mich, in mir totgemacht ist. Als Leiden des
Gegensatzes entwickelt sich ungewollt in mir – nicht mehr das Verlangen, aber –
das Bedürfnis, mich irgendwie an mich halten zu können, weil es undenkbar und
nicht zum Aushalten scheint, dass man in diesen Abgrund des „Nichts“ versinken
muss. Und zwar für immer; denn dieser Abgrund gibt mich mir nie mehr zurück und
für immer bin ich mir und für „mich“ verloren. –
1061 |
Ich raffe mich aber mit voller Energie und
festem Willen auf und übergebe mich für immer „diesem Abgrund“ des Seins im
Heiland. Im eigenen Überwindungswillen strömt auch die Kraft und Gnade Gottes
ein.
1062 |
In ihm will ich dieser Abgrund seines Leidens
werden, der leidensfähig für ihn erstehen soll, in ihn umgebildet und von ihm
durchlebt. Alles in mir, bis ins Kleinste, muss für ihn brauchbar werden und
fähig, dass mein Sein ihm diene wie einst das Seinige. – Darin liegt das
Geheimnis dieser tiefen, geistigen Leiden, von denen an der Oberfläche meines
gewöhnlichen Lebens gar nichts gespürt wird. Diese Leiden bewegen mich
keineswegs äußerlich; so sehr greift Jesus in die „Tiefe“ in mir. – Es scheint
wie auf dem Meere. Die Oberfläche zeigt sich ruhig und blau und von der Sonne
umspielt, aber tief unten herrscht reges Leben vieler Fische und
geheimnisvoller Lebewesen.
1063 |
Ich habe mich heute Morgen aufgerafft und mich
neuerdings ganz dem lieben Heiland ausgeliefert, im Vertrauen auf ihn und ganz
auf ihn. Ich glaube, dass er der Urheber meines Innenlebens ist, der mich nicht
enttäuschen wird. Er ist der, an den ich glaube; Gott selbst ist der Gegenstand
meines Glaubens. In ihm ist alle Überwindungskraft gegeben.
1064 |
Diese Tage waren voll von Leiden, für die es
keinen Ausdruck gibt, weil sie zu tief und zu geistig sind. – Ich bin
„nirgends“, scheinbar ohne Halt und Grund, weiß eigentlich nichts um mich. Die
Leiden berühren mich derart tief, dass „ich“ davon wie nicht berührt werde; die
„Oberfläche“ in mir ist vollständig ruhig und klar, ich möchte sagen „sonnig“.
Nichts kann den inneren Frieden stören, obwohl die inneren Leiden so heftig
sind, dass es mir das Herz beengt und zusammenschnürt.
1065 |
Jesus gräbt gleichsam immer mehr in die Tiefe,
bohrt mich im tiefsten Grund auf und zieht immer neue Kräfte und Fähigkeiten
für sich heran. Ich spüre schon, was er damit will: Er macht mich immer mehr
leidensfähig, und zwar derart, dass ich alle Leiden mit unerschütterlicher Ruhe
ertragen kann.
1066 |
Gerade im Leiden gibt er mir viel Licht, aber
nicht „Licht“ wie sonst, wo man vieles geistig schaut und erkennt, sondern
Jesus „erzieht“ mich zum Leiden. Ich habe kein anderes Wort für dieses innere
Erleben. Es gibt keinen Trost für mich als den, leiden zu können. – Ich habe
auch kein Verlangen nach Trost. Jesus genügt mir vollständig im Leiden. Ich
habe auch kein Verlangen, dass es zu Ende gehe; das Leiden ist eine verborgene
Quelle geistigen Erstarkens; sie wird zum Strome, der mich mit sich nimmt und
in dem ich mich geborgen fühle. Es ist dies ein großes Geheimnis: Jesus ist
darin verborgen; er ist der Strom, von dem ich getragen werde. –
1067 |
Gut leiden zu können ist ein großes Geheimnis.
Ich kann begreifen, dass ich jetzt, nach den vielen, mit außerordentlichen
Leiden angefüllten Leidensjahren, in dieser Kunst schon besser geübt bin. Die
Leiden beunruhigen mich nicht mehr.
1068 |
Ja, gut leiden zu können ist ein großes
Geheimnis. Und er lehrt es mich. Es heißt: Das Kreuz lieben, weil man den
Heiland am Kreuze findet, oder noch tiefer gesagt: weil es eben ein Kreuz ist.
– Ich habe keine andere Hoffnung als das Kreuz; es ist mein einziger Schatz.
Alles hat er mir genommen und hat mir das Kreuz dafür gegeben. Und darin
erkenne ich das sicherste Zeichen, dass „seine Hand“ alles leitet und dass aus
diesem Kreuz einmal der Sieg, sein Sieg kommen wird. Hätte er mir Freuden,
Anerkennung, Freunde gegeben, so müsste ich bangen. –
1069 |
Wie sehr hat mich der liebe Heiland durch das
Leiden umgestellt! Vor 10 bis 15 Jahren fand ich großen Trost und Beruhigung
darin, als ich einmal vom hl. Paulus las: „Als meine Leiden … wünschte ich zu
sterben“; ich war nämlich oft in ähnlicher Stimmung und meinte, es im Leben
nicht mehr aushalten zu können; so groß und schwer waren meine Leiden. Und
jetzt wünsche ich, immer im Leiden bleiben zu können, nicht nur bis zum Tode,
nein weiter, solange Gott es will. Ja, so hart und bitter, ich möchte sagen, so
furchtbar hart sie auch sind, ich liebe die Leiden viel mehr als die größten
Gnaden. Die größte „Erleichterung“ im Leiden finde ich darin, dass ich mich mit
allen eigenen Interessen, Wünschen usw. vollständig aufgegeben habe und Jesus
mich in Besitz genommen hat. Das Leiden verliert seine Schärfe, wenn man sich
ganz verlassen und „totgemacht“ hat, wenn das Mitleid mit sich, und die Sorge
um sich selbst ganz aufgezehrt ist, wenn der eigene Widerstand völlig gebrochen
ist. Dann werden die Leiden in Ströme des Friedens verwandelt.
1070 |
Mutter, dein Kind ist müde vom Leiden! Lass
mich ein wenig an deinem Herzen ausruhen! Lass mich nicht „ermüden“ auf meinem
inneren Leidensweg! – Aber Mütterchen verhält sich so still. Mir unbewusst
lässt sie jedoch gewiss einige Tropfen Stärkung in mich überfließen.
1071 |
Die seelischen Leiden der vergangenen Tage
gehören wegen ihrer Tiefe und Geistigkeit wohl zu den schwersten der letzten
Jahre. Es ist auch das Ziel so hoch, das ich dadurch erreichen sollte. – Das
Aufgenommensein in Jesus ist, soweit ich es begreife, vollständig und bleibend.
Vermittels seines Seins in mir beherrsche ich die „unten liegenden“
Seelenfähigkeiten ganz. Es brauchte aber immerhin noch einen Akt, ein
willentliches Erfassen seines mir mitgeteilten Seins, um die innere Harmonie,
das volle Eingeflossensein in Jesus dauernd aufrecht halten zu können.
1072 |
Diesbezüglich schaute ich ein noch höheres
Ziel: Die Einheit, das Zusammenfließen zweier Wesen zu einem – wobei Jesus der
Beherrschende und Tragende ist – muss sich wie selbstverständlich und
natürlich–einfach, ohne Mühe und ohne Besinnung gestalten und dann in das
Bewusstsein seines erlebten Seins übergehen. Ich muss den „Heiland bewusst
erleben“ und muss derart von ihm aufgenommen werden, dass ich in das
Bewusstsein seines Seins eintrete und wie an seiner Stelle und in seiner
Eigenheit ihn erleben und erfassen kann.
1073 |
Darauf sind die jetzigen inneren Leiden
hingerichtet. In den Leiden erfährt man ja auch die Richtung der Gnadenführung;
sie beleuchten die dem vorausgeschauten Ziele noch entgegenstehenden
Hindernisse. Das Ziel tritt dabei zwar meist ins Dunkel zurück und man
schreitet im Leiden gleichsam planlos vorwärts, aber die Leiden ersetzen doch
gewissermaßen das innere „Licht“.
1074 |
Es ist jetzt gleichsam ein noch höheres
„Totleiden“ jeder eigenen Möglichkeit, das zu erreichende „Leben Jesu“
persönlich zu beeinflussen. Darum erlebe und leide ich eine schmerzliche
Ausschaltung der mir eigenen persönlichen Fähigkeiten. Diese scheinen wie
lahmgelegt oder, besser gesagt, entrückt und aufgehoben, um für das Jesu–Leben
umgeformt und befähigt zu werden. Dieser rein geistige Vorgang scheint wie eine
„Ekstase“ des Geistes zu sein, wobei bestimmte Fähigkeiten, besonders des
Verstandes, für mich vollständig unbrauchbar gemacht und aufgehoben sind.
Anstelle der früheren Tätigkeit tritt eine große Leere und gleichsam eine
Erstarrung. Wenn ich mich aber in manchen Augenblicken im Voraus in Jesus
vollendet schaue, so sind merkwürdigerweise gerade diese jetzt ausgeschalteten
Fähigkeiten am meisten betätigt und beteiligt; sie sind dann umgeschaltet in
ein geistiges Wissen in ihm, sind eingetreten in das Bewusstsein seines Seins.
Es handelt sich also wohl in diesem Leiden um ein Totleiden höchster geistiger
Fähigkeiten, die für meinen persönlichen Gebrauch ausgeschaltet, aber für das
Bestehen seines Seins gereinigt und dann neu geweckt und belebt werden.
1075 |
Es ist unglaublich, wie viel man auf diesem
rein geistigen Gebiet leiden kann. Man erfährt dabei auch die geistige Weite,
die durch solche Leiden geschaffen wird. Es ist eine neue Welt, die sich da
auftut. Erklärt und begreifend erlebe ich vieles in dieser Wunderwelt meiner
menschlichen Seele, in der Jesus sein Arbeitsfeld, seine Werkstatt
aufgeschlagen hat und mich ganz umformt in sich.
1076 |
Jesus hat mir auch in einer Ruhezeit zwischen
diesen Läuterungsleiden ein merkwürdiges Wort gesagt: „du bist nun 'deinen Tod'
gestorben; du lebst nun mein Leben und du wirst dann 'meinen Tod' sterben.“ Das
deckt sich mit dem, was mir der liebe Heiland schon vor Jahren wiederholt sagte
und was von mir klar begriffen wurde am Tage der geistigen Vermählung
(08.12.1934): „du wirst keines 'natürlichen' Todes sterben, sondern mit mir am
Kreuze.“ Damals erfasste ich klar die Worte Jesu; sie beleuchten im Voraus
meinen inneren Lebensweg, das Nacherleben seines Lebens und abschließend seinen
Tod, d. h. die geistigen Umstände seines Todes. – Ich muss nur immer wieder die
Treue Jesu bewundern: Nicht einen Schritt weicht er ab von dem einst geschauten
und von ihm beabsichtigten Ziel. Wenn auch mich Jahre davon trennten, vor
seinen göttlichen Augen stand seine Absicht immer in göttlicher Gegenwart. Was
für ihn immer gegenwärtig ist, geht für mich in ein wirkliches Erleben des
vorausgeschauten Zieles über, und darin habe ich eine unbedingte Bestätigung
seiner göttlichen Führung. Es wird eigentlich alles viel „mehr wahr“ als ich
früher, gewiss gläubig und hingebend, annahm. Ich erfahre ja leidend in mir
jene Wirklichkeit. Darum kann ich nicht genug seine göttliche Treue bewundern,
die nicht ablässt, seinem kleinsten Kinde immer wieder die Wahrheit des
Vorausgezeigten zu beweisen. Diese seine Treue wird für mich zu einer ständigen
Beschämung, weil ich so wenig imstande bin, ihm so ganz wie ich möchte zur Verfügung
zu stehen. Mein Wille eilt dem Können immer weit voraus. Darum muss Jesus
einfach mich mir „wegnehmen“, damit seine göttlichen Absichten voll zur Geltung
kommen.
1077 |
Es ist auch eine ganz merkwürdige Liebe zum
Leiden in mir vorhanden. In ihm wird man mit all seinen gottmenschlichen
Vollkommenheiten erfüllt; die Reinigungsleiden aber bezwecken die Möglichkeit,
dass man seine göttlichen Vollkommenheiten ertragen und sie für ihn, an seiner
Stelle, gebrauchen kann. Darin liegt das Geheimnis meiner Leiden. Umgestellt
und befähigt für ihn muss ich ihn allmählich ertragen und gebrauchen lernen;
der Heiland will sich ja in mir „erneuern“. –
1078 |
Als vor Tagen einmal (am 17.3.1941) meine
inneren Leiden geradezu unaussprechlich waren, wurde ich in einer kurzen Ruhepause
beim hl. Segen in der Kapelle hinübergeführt in das Bewusstsein seines Seins.
Ich war bewusst an seiner Stelle, ihn erlebend. Ich spürte, wie ich durch die
Leiden zum Sein Jesu emporstieg und ihn annahm. – Er ist einst zu uns
herabgestiegen und hat mit all seinen göttlichen Vollkommenheiten unsere arme
Menschheit angenommen, sie umgestellt und erneuert und uns dadurch Erlösung und
Heil gebracht. Ich steige nun aus meiner Menschlichkeit durch seine wirksam
gewordene und erworbene Gnade zu ihm empor und werde befähigt, ihn anzunehmen,
ihn mir anzueignen und zu erleben. Ich erlebe diesen doppelten Weg seiner
gottmenschlichen Liebe, die im Erlösungsgeheimnis und im Reichtum der
erworbenen Erlösungsgnaden eine solche Möglichkeit begründet hat. – Mein früheres
Sein war vollständig zurückgelassen; mein höheres Sein steigt zu ihm empor,
erfasst ihn, wird von Jesus durchdrungen und belebt. Sein bleibendes Leben
übernimmt die Funktionen des „Ich“ in mir und alles Niedere dient diesem „Ich“
einfach und selbstverständlich. – Es war ein Erlebnis von unaussprechlicher
geistiger Klarheit und Wirklichkeit.
1079 |
Seitdem ist in mir ein ständiges
„Hinübergehen“ zu ihm, ein Erfasst-Werden in höchster Weise, ein „Eingehen“ in
das Geheimnis seines Bewusstseins. Durch das Leiden ist eine Unbrauchbarkeit
meiner Fähigkeiten für mich, eine Erstarrung für mich geschaffen, aber darüber
hinaus ein ständiges „Hinüberbewegen“ in Jesus. Diese Leiden und diese Bewegung
dauern Tag und Nacht fort. Heute Nacht waren diese Leiden besonders heftig. Die
äußere Umgebung wird mir gleichsam „zu eng“; darum ging ich heute Morgen nach
einer hl. Messe und der hl. Kommunion auswärts in eine Kirche, um durch äußere
Bewegung den inneren Leiden ein wenig Erleichterung zu geben. Jetzt aber am
Vormittag) bin ich in großer geistiger Ruhe. Das Eingeflossensein zu einer
Einheit im Heiland besteht „ohne Mühe“, ohne besondere Akte, wie natürlich
einfach. – Vielleicht habe ich nun dieses Ziel vollkommen erreicht; es scheint
mir wenigstens so. – Oder ist es nur eine geistige Ruhepause? –
1080 |
Heute bin ich in großer seelischer Ruhe, als
ob ich nie im Leiden gewesen wäre. Alles ist Ruhe und Ausgeglichenheit in mir.
1081 |
Ich bin nun, wie mir scheint, vollständig über
mich hinausgeschritten, habe mich ganz verlassen, bin eingegangen in Jesus und
er ist der ganz Beherrschende in mir geworden. Somit habe ich ganz und für
immer auf mich verzichtet und will nie mehr von mir Gebrauch machen für mich.
Alles in mir ist ihm zu seinem Bestehen dienstbar geworden. Diese Tatsache,
diese innere Vollendung gibt mir eine unaussprechliche Ruhe und Gelassenheit.
1082 |
Der liebe Heiland erfüllt nun sein
Versprechen, mich ganz für sein Sein zu gebrauchen. – Vor der hl. Kommunion
wurde ich mir wie von Neuem weggenommen, meinem eigenen Gebrauche entzogen und
ihm ganz in Dienstbarkeit unterstellt. Es vollzieht sich aber alles in großer
Einfachheit. Danach hatte ich die innere Erklärung meines nun kommenden,
fortschreitenden Weges: Nachdem ich willentlich, und ganz frei entschlossen
mich Jesus vollständig dienstbar gemacht habe und damit die Möglichkeit und
Fähigkeit in mir hergestellt ist, seinem Wesen ganz zu unterstehen, bin ich
frei geworden, um seine göttlichen Absichten in mir ausführen zu können. Es
darf nichts Wankendes oder Beunruhigendes mehr in mir möglich sein, sondern nur
noch das volle Verzichtet–haben auf jeden Gebrauch und alle „Rechtsansprüche“
meinerseits. Dann geht Jesus daran, sein Recht über mich voll geltend zu
machen. Er kann sich dann ganz in mir „auswirken“. Vorher wäre das nicht
möglich. – Ich habe ganz klar erlebt, wie sein „Ich“ voll zur Auswirkung
gelangt und meine volle Dienstbarkeit beansprucht. Das Bewusstwerden meiner
seelischen Aufgabe kann dann vollständig in mich überströmen. Ich bin dann ganz
bewusst von Jesus beherrscht und vermittels seines ihm innewohnenden Wesens
wirkt sich dann das Erleben seines Seins aus. Wie ganz natürlich bin ich dann
in seine Eigenheit getreten und unterstehe dem Vater, aber der „Sohn“ lebt für
sich „sein“ Leben, seine Erlöseraufgabe, die er in der Zeit übernommen hat. –
Ich erkenne weiter mein fortschreitendes Erfassen und geistiges Durchleben
meiner Erlöseraufgabe.
1083 |
Ich bin ganz durchströmt und getragen von
Jesus. Wie „neu“ ist alles in mir. Ein „neuer Mensch“ von unaussprechlicher Vollendung
und geistiger Harmonie ist in mir entstanden. Und so groß und weit fühle ich
mich innerlich! In unerklärbarer Freiheit ist das Niedere vom Höheren
beherrscht, und ist alles zur Einheit geworden, die Jesus beherrscht und
erfüllt.
1084 |
Gewiss bleibt das eigene Wollen wie
ausgeschaltet, aber es ist doch zu einem freien, vergeistigten Wollen geworden,
das gleichsam in Jesus übergeflossen ist und in ihm seinem göttlichen Willen
dienstbar ist. – Es ist nur die eine Regung in mir spürbar: ihn ganz gebrauchen
zu dem neuen Leben, das in mir durch ihn geworden ist! –
1085 |
Ich lebe Jesus in unaussprechlicher Reinheit
und Vergeistigung. Ich bin ganz von mir weg und bin aufgenommen in ihn.
Wiederholt erklärt er mir diese nun durch seine Gnade in mir gewordene Reinheit
als den annähernden Zustand seiner heiligsten Reinheit als Mensch.
1086 |
Jesus sagte mir: „Glaube mir, dass du mir
dienst, ähnlich wie einst meine Menschheit. – In dieser Reinheit, die du
innerlich erfassest und erlebst“ – so erklärte mir der Heiland weiter – „bin
ich vom Vater herabgestiegen, habe mich vermählt mit der Menschheit aus meiner
Mutter, die mir das Heiligste geboten hat, was ein Mensch seinem Gott bieten
konnte. Aber im Augenblick der Annahme dieser reinen Menschheit umgab ich mich
auch mit der gefallenen, erlösungsbedürftigen Menschheit. Das Gleiche wird sich
in dir vollziehen.“
1087 |
Jesus zeigte mir so klar und begreiflich (was
ich eben in Worten nicht genügend ausdrücken kann): Ich bin „der“, so bin ich,
im Vater. – Dabei schaute ich (alles genau begreifend), abgesondert vom Vater,
Jesus in seiner göttlichen Reinheit. – Deine Menschheit ist vorbereitet, um mich
aufzunehmen. – Ich schaue dabei meine für seine Absichten vorbereitete
Menschheit. – „So bist du nun in dieser Reinheit vor Mir und vor dir. Deine
Reinheit wird immer bestehen bleiben, aber ich nehme zugleich eine gefallene
Menschheit in dir an; du wirst sie erleben, wie ich sie erlebt und überwunden
habe. Du wirst sie durch mein Sein erleiden, ähnlich wie ich sie erlitten habe.
Ich will eben dieses Geheimnis erlebt zeigen.“ – Jesus fügte hinzu: „Glaube mir
das!“
1088 |
Das Merkwürdige ist, dass Jesus immer mein eigenes
„Mitwollen“ verlangt, mein eigenes Mitwirken und Bemühen, das sich auf den
Glauben an seine Absichten gründet, damit nebst seiner unermesslichen Gnade
alles auch meinerseits „miterworben“ wäre.
1089 |
Die jetzige innere Erhebung empfinde ich
äußerlich, wie wenn ich körperlich „gewachsen“ wäre oder wie wenn ich die Erde
nicht berühren würde.
1090 |
Ich sehe alle vergangenen Leiden als
Vorbereitung, um diesen Zustand zu erreichen, der dem Heiland brauchbar
erscheint. Alles Bisherige diente der Vorbereitung dafür. – Wann wird Jesus den
letzten Übergang vollziehen? Ich weiß, wie er es machen wird, aber ich habe
kein Wort dafür; es ist alles rein geistig begriffen.
1091 |
Diese geheimnisvolle Verbindung mit dem
Heiland besteht weiter, ja, sie erhöht sich anscheinend fortwährend. Ich lebe
ein unaussprechliches Leben der Reinheit und der Freiheit von mir selbst. In
diesem Leben der Reinheit bin ich bewusst in Jesu Sein eingetreten und ich kann
es gut und ohne irgendwelches Widerstreben meinerseits ertragen. O, hätte ich
nur ein Wort, um mich genügend ausdrücken zu können!
1092 |
Jetzt kenne ich den Heiland, seine göttliche
Reinheit und seine Vollkommenheit als Mensch. – Nicht das mindeste Widerstreben
der menschlichen Natur ist vorhanden, noch irgendwelches, ungeordnetes Begehren
oder ein Verlangen nach Befriedigung der Natur, auch im guten Sinne. Jede
Fähigkeit ist vielmehr in sich befriedigt, weil sie auf Gott hingeordnet und
hingeströmt ist und dort ihre volle Sättigung gefunden hat. Alles dies ist
seiende Wirklichkeit. Das Niedere im Menschen ist, wie wenn es nicht vorhanden
wäre; so vollkommen wird es vom Höheren beherrscht.
1093 |
Mein Leben und meine Fähigkeiten sind nun ganz
dem Leben Jesu angeglichen. Jesu Leben aber ist nicht bedrückend oder
überwältigend, sondern lauter Ruhe und Einfachheit, weil es so dem Gottmenschen
natürlicherweise zukommt. – Jesus fragte mich immer wieder: „Genüge ich dir für
immer?“ Und im gleichen Augenblick strahlt noch höher sein Sein in mir auf. –
Ich kann nicht anders, als zur Antwort immer wieder mich ihm ganz hingeben. Er
versprach mir dann (in St. Peter): „Wenn dir hier mein Leben genügt“ – damit
meinte er aber in tieferem Sinne auch sein Leben der Leiden, das ich innerlich
erfasste – „wirst du mich die ganze Ewigkeit in unermesslicher Herrlichkeit
besitzen“. –
1094 |
Ich lebe Jesus und bin nun zu dem Zustand
gelangt, den er mir seit Langem versprochen hat: Sein Leben, sein „Ich“ ist mir
bewusst das meine geworden. – In der Kapelle fragte mich der Heiland: „Willst
du mir ganz 'Maria' sein?“ (D. h. ihm als Menschheit dienen.) Und jedes Wort
Jesu ist so reich an innerem Erfassen seiner Absichten. – Ja, es ist abgemacht:
Ich bin Jesu leidensfähige Menschheit.
1095 |
Ich erkenne so klar die Absichten seiner
Liebe. Ich bin eingetreten in ihn. Ich habe keinen Zweifel; es ist alles
absolut sicher und klar. Ich bin durchtränkt von ihm. – Es ist „eins“ geworden
aus uns, aber „er“ ist der „Lebende“.
1096 |
Der beschriebene seelische Zustand ist im
Wesentlichen bleibend. Obwohl ich heute wieder sehr im Leiden war, ist doch das
Wesentliche, Jesus bewusst erleben, unverändert. Ja, es wird tiefer wirksam
durch die Auswirkung seines Seins. –
1097 |
Ich scheine nun die höchste, wesentliche Stufe
des Erlebens Jesu in seinem inneren, grundlegenden Geiste erlangt zu haben, wie
er es mir zugedacht hat. Mein weiterer Weg wird nun darin bestehen, dieses
Erleben zu voller Auswirkung gelangen zu lassen.
1098 |
Der Heiland „durchlebt“ mich nun ganz, wie
wenn dies meine persönliche Eigenheit wäre, aber ganz einfach und wie
selbstverständlich. Ich möchte sagen: Es ist, wie wenn Jesus geistig eine
„Blutübertragung“ in mich vorgenommen hätte; so bin ich in einfachster Weise
von seinem bewussten Sein durchströmt, das auch meine niederen Fähigkeiten
erneuert.
1099 |
Es ist zu wunderbar und unaussprechlich, um in
Worten ausgedrückt zu werden. Und diese Ruhe und Stille! Dabei ist es, wie wenn
alles so sein müsste oder immer so gewesen wäre. Ja, Jesus ist immer so
gewesen; in ihm ist nichts „geworden“. Er hat alle seine göttlichen
Vollkommenheiten aus sich und durch sich; dieses heilige Geheimnis erlebe ich
nun in Fülle in ihm wesentlich. –
1100 |
er hat in jahrelanger Geduld in mir das Wunder
fertiggebracht, dass ich ihn in dieser Weise ertrage und lebe, und ihn für
seine Absichten gebrauchen kann, wie ich früher mit meinen menschlichen Anlagen
und Eigenheiten gelebt habe. Jetzt sind seine jahrelangen Versprechungen
Wirklichkeit geworden. Das ist nun „mein“ Leben. Aber nichts scheint
außerordentlich; alles ist so einfach und natürlich. –
1101 |
Ich erlebe auch das heutige Festgeheimnis:
Heute ist Gott-Sohn zur Jungfrau herabgestiegen und hat sein göttliches Wesen
zu einer menschlichen Auswirkung gebracht. Gott ist „Mensch“ geworden mit
seinem göttlichen Wesen und [seinen] Eigenheiten und Vollkommenheiten.
1102 |
Nach meinem inneren Erfahren scheint mir, dass
ich die volle Einigung mit Jesus erlangt habe. Freilich scheint jeder neu
erreichte Zustand die Höchstgrenze des Möglichen zu sein, weil Gott dem
menschlichen Erfahren gegenüber immer eine undurchdringliche Wand bedeutet, die
nur von ihm geöffnet werden kann.
1103 |
Gestern war wieder ein schwerer Leidenstag,
aber heute Morgen – und auch schon während der Nacht – änderte sich der
Leidenszustand wieder. Gewiss blieb auch im Leiden das wesentliche Sein und das
Erleben unaussprechlicher Reinheit und [die] Freiheit unabänderlich bestehen,
aber es wird in ein gewisses Dunkel gehüllt, und „darüber“ entstehen neue
Reinigungsleiden. Gestern drängten die inneren Leiden auf ein noch höher
„bewusstes“ Erleben Jesu hin.
1104 |
Heute Morgen, nach der hl. Kommunion, wurde
ich in einem Augenblick in ein höher bewusstes Erfassen seines Seins geführt,
noch mehr von mir entfernt, frei von mir und bewusst von Jesus durchdrungen.
Die vorhergehende Stufe hat sich anscheinend nicht wesentlich erhöht, aber
Jesus beginnt, „sich auszubreiten“, sich in mir zu besitzen. So scheint diese
Art seiner Auswirkung doch wieder einen Grad der Erhöhung zu bilden. – Alle
Bewegungen Jesu in mir sind aber nicht überwältigend, sondern so zart und sanft
und ruhig und doch wieder stark mich umbildend. Alles entwickelt sich in großer
Stille.
1105 |
Ich hoffe auch, dass der Heiland bezüglich der
äußeren Absichten für sein Werk vorwärtsmachen will. Nach der hl. Kommunion bat
ich ihn heute um Licht, wie und wann ich den mir bekannten77 Schritt
tun soll. Da antwortete er mir so sanft: „Mein Wille ist der Drang in dir zum
Tun“, d. h., mein Wille wird dich bewegen, etwas zu tun.
1106 |
Eigentlich bin ich ganz verändert. Jesus
breitet sich in mir aus und durchlebt mich ganz. Ein fortwährender Akt seines
„Ich“ beherrscht und durchlebt mich. Ich bilde in mir ein „Ganzes“, ein
fertiges, in sich abgeschlossenes Wesen, in dem Jesus erneut sich lebt. Und ich
spüre, dass dies gerade zur vollen Entfaltung und Auswirkung kommen muss: Ein
von meinem früheren Sein und Ich unabhängiges Jesusleben, das zwar mit meinem
Leben hergestellt wird, das aber doch von Jesus „gelebt“ wird, sodass er sein
Leben gleichsam wiederholt. Dieses Jesusleben wird in sich und durch sich,
durch seine eigene Lebenskraft frei und selbstständig. Es hat ja alles aus sich
und in sich. Es kommen Kräfte zur Auswirkung, die Jesus aus sich hat und die zu
gebrauchen ich befähigt wurde. So kommt das Jesusleben in mir zur Kraft und
vollen Entwicklung.
1107 |
Die ganze Entwicklung vollzieht sich aber in
wunderbarer Einfachheit. – Freilich beruht mein inneres Wachsen auch ständig
auf meiner Bereitschaft und meinem eigenen Mitwollen. Wenn auch Jesu Leben in
Fülle mir bereitsteht, so kommt es doch auch immer auf mein Zutun an, es
anzunehmen und zu durchleben. Jesu Leben wird mir also „zum Erwerben“ geboten.
Im freien Erwerben–wollen wächst seine Kraftentfaltung in mir. –
1108 |
Ich glaube,
dass ich jetzt in ein neues Stadium meines Innenlebens eintrete. Allem Anschein
nach habe ich die den Absichten des Heilandes entsprechende Einigung mit ihm
erreicht und wird sich diese volle Einigung nun an mir auswirken.
1109 |
In der
vergangenen Woche erlebte ich Jesus „bewusst“, war ich „hinübergegangen“ in
ihn, bin in ihn „aufgenommen“, habe ihn „angenommen“ und weiß in mir um sein
Leben, um sein Sein. Es ist ein Erfahren seines Seins in mir. Mein Sein wurde
für sein Bestehen in mir dienstbar gemacht und die Möglichkeit zu einer solchen
Dienstbarkeit erlebe ich bewusst im inneren „Zusammenfließen“ mit Jesus.
1110 |
Diese Einigung hat sich in großer Einfachheit
stufenweise vollzogen. Ich bin damit „bewusst“ Jesu leidensfähige Menschheit
geworden zum Zweck der Ausführung seiner Absichten. Es sind aber rein geistige
Vorgänge, die ich mit meinen, durch die vielen Reinigungsleiden vergeistigten
und verfeinerten Fähigkeiten innerlich wirklich erfahre; es sind wirkliche
innere Bewegungen, nicht Gefühle. Im Voraus-Fühlen und Erleben erfuhr ich
diesen seelischen Aufstieg schon bald 20 Jahre. Nun bewegt sich alles langsam
zum wirklichen Zustand hin und wird zum persönlichen Erleben.
1111 |
Vor zwei Tagen ließ mich der liebe Heiland
weiter schauen: Das „bewusste“ Wissen um sein Sein geht in ein
selbstverständliches Leben seines Seins über und ist nun meine Eigenheit. Es
ist „mein“ Zustand geworden, der mir ganz gewöhnlich scheint und keine
besondere Mühe kostet, wenn er auch bedingt ist durch eigenes Mitwollen. Die
Möglichkeit und Befähigung zu diesem Mitwollen wurde mir durch die immer wieder
eingeschalteten Läuterungsleiden gegeben, die ein ständiges Absterben meiner
selbst bewirkten und mich umso mehr fähig machten, mich der inneren Führung
vollkommen auszuliefern.
1112 |
Dadurch, dass ich mich vollständig verlassen
habe, bin ich über mich hinausgeschritten und in Jesus eingegangen. Dieses
„innere Eingehen“ als mein Erleben scheint nun mein kommender Weg zu sein.
Gestern stellten sich schon diesbezügliche Leiden ein, die in diese Richtung
führen. Vom „bewussten Erleben Jesu“ ging es zur Selbstverständlichkeit dieses
Lebens und von da aus trete ich in „Jesu Bewusstsein“ ein. Heute Morgen, nach
der hl. Kommunion, war mir dies ein vollständig neues Erleben: Ich trete in das
Bewusstsein Jesu ein.
1113 |
Die inneren Vorgänge haben sich nun noch mehr
verfeinert und vergeistigt, doch sind die inneren Bewegungen in mir vollständig
klar und erfassbar. Ich sehe darin die merkwürdige „Arbeit“ der inneren Leiden,
die eine solche Verfeinerung in der Seele ermöglichen. – Ich erfasste ganz klar
und bestimmt das Bewusstsein Jesu um sich, um seine Aufgabe, sein Wesen, um
das, was seine Stellung als Erlöser, als Gottmensch ausmacht. Ich erfasse das Wesen
seines Seins und gehe damit in diese seine Stellung und Eigenschaft über; sie
wird im sein78 Nacherleben zur meinen. [sic!]
1114 |
Dies ist jetzt das Geheimnis der inneren
Bewegungen in mir. Es fordert ein noch höheres Verlassen jedes persönlichen
Einflusses meinerseits, weil dieser ja die göttliche Führung stören könnte.
Darum bin ich in göttliche Gebiete Jesu übergegangen, die meinem Einfluss
fernstehen. Bei all diesen seelischen Vorgängen ist aber immer mein eigenes
Wollen erforderlich – vornehmlich, dass ich mich auf die betreffende Stufe
„mitnehmen“ lasse, alles mit der Gnade Jesu „miterwerbend“.
1115 |
Mit seinem Bewusstsein seines Seins gelange
ich in das Erleben, oder vielmehr in das „Erleiden“ des Seins und der
Eigenschaft der inneren Erlöserstellung Jesu, die im Erleben zur meinen wird.
1116 |
Heute Abend, beim hl. Segen, führte mich Jesus
in neue, geistige Gebiete. Ich trete in sein Bewusstsein ein, in seine
Erlöserstellung, in der das Höchste seine unaussprechliche, göttliche Reinheit
ist. – Aber auch seine heiligste, reine Menschheit war ganz Gott angeglichen.
Seine Menschheit diente ja den göttlichen Absichten der Erlösung und war bei
seiner göttlichen Leidensunfähigkeit das notwendige Werkzeug, der tätige Faktor
der Erlösung.
1117 |
Diese heiligste Menschheit diente der
Erlösung. In einem Menschen sind alle Menschen gefallen. In einem Menschen,
durch menschliche Akte des Gottmenschen, die durch die göttliche Person Christi
göttliche Akte wurden, ward die Menschheit wieder erneuert und hergestellt.
1118 |
Jesus hatte nicht nur göttliche Reinheit, die
ihm als Gott unbedingt eigen sein musste, er besaß sich auch unabänderlich in
seiner menschlichen Reinheit und Sündenlosigkeit. Er behauptete sich darin und
sie wurde entgegengestellt der von der göttlichen Gerechtigkeit geforderten
Reinheit des Menschen bzw. aller Menschen. Diese ständige, in den zwei Naturen
in Christus sich auswirkende Gegenüberstellung zwischen Gottes gerechter
Forderung und der ersatzleistenden reinen Erlösermenschheit bildete den
Schwerpunkt in seiner Erlöserperson und die tiefste Grundlage seiner
Erlöserleiden. Jesus war sich dieser Gegenüberstellung immer bewusst. Er besaß
sich aber selbst in den größten Leiden auch als Mensch in seiner Reinheit und
Sündenlosigkeit; obwohl die ganze Sündenlast der Menschheit auf ihm lastete,
fühlte er sich nie in unmittelbarem Sinne als Sünder.
1119 |
In dieses Gebiet seines Bewusstseins begebe
ich mich nun geistig. So trete ich in Jesus ein, erfahre und erlebe ihn, bin
einbezogen in dieses Wissen Jesu um seine Unsündlichkeit und nehme teil daran.
Ich bin nicht nur innigst beteiligt an Jesus in dieser seiner Erlöserstellung,
ich bin infolge seiner Absichten in diese seine Eigenschaft eingetreten, um sie
nachzuerleben, weil Jesus dieses Geheimnis erklären will. – Jesus ließ mich
erkennen und sprach zu mir: „du musst glauben an deine wiederhergestellte
Menschheit, die nicht mehr der persönlichen Begierlichkeit unterworfen ist. Du
musst dich behaupten in deiner Reinheit, die durch meine Gnade die Möglichkeit
erhielt, mir als „Menschheit“ zu dienen. Deine Reinheit bleibt, ebenso wie in
mir, unveränderlich bestehen“.
1120 |
Ich erkannte dann das Geheimnis der Menschheit
Jesu, die er aus Maria nahm. Durch einen Akt göttlichen Willens ward die
Reinheit in Maria bei ihrer Empfängnis hergestellt, obwohl sie an sich dem
Gesetz der Sünde unterworfen gewesen wäre. Vermöge der göttlichen Absichten,
wonach Gott-Sohn in ihr die Menschheit annehmen wollte und im Hinblick auf die
gleichsam göttliche Notwendigkeit der Reinheit, die ihm als Mensch zukam, wurde
in Maria jeder Keim der Begierlichkeit ausgelöscht, auf dass Maria die
Fähigkeit hätte, ein reines, der göttlichen Reinheit entsprechendes Fleisch zur
Menschwerdung zu bieten. Und gerade aus dieser menschlichen Reinheit und
Unversehrtheit, die der göttlichen Reinheit Jesu irgendwie ebenbürtig war,
wurde die heiligste Erlösermenschheit vom Heiligen Geiste gebildet. In dem
immerwährenden Akt und im wirklichen Sein der Reinheit Jesu lag der höchste
Sühneakt, der zum göttlichen Akt wurde durch die göttliche Person Christi.
1121 |
Was Gott in Maria durch einen göttlichen Akt
seines Willens hervorbrachte in der Wiederherstellung ihrer Menschheit, das hat
er – so zeigte mir Jesus – durch die jahrelangen Reinigungen annähernd in mir
hergestellt, insoweit ich in den Zustand versetzt bin, dass ich ihm nach seinen
Absichten dienstbar sein kann. Daran müsse ich mich immer festhalten und an
seine Gnaden glauben. Dieses geistige Gebiet wird am meisten zu leiden haben
und bekämpft werden; alle Leiden werden gleichsam dagegen anprallen, aber – so
erklärte mir der Heiland – ich müsse wie ein Fels unerschütterlich bleiben; ich
müsse mich auf die Tatsache stützen, dass Jesus mir durch die Teilnahme an ihm
diese besondere Gnade der Unsündlichkeit verliehen habe. Ich meine, er gibt mir
da eine bestimmte Gnade der Festigung.
1122 |
Ich erfasse jetzt ein tiefes Geheimnis Jesu.
Ich trete ein in das Bewusstsein meiner durch Jesu Erlöserverdienste
wiederhergestellten Menschheit. Durch die geheimnisvolle Verbundenheit mit ihm
nehme ich teil an seiner göttlichen Reinheit; sie wird wie zur meinen.
1123 |
Ich spüre, wie ich in einem noch höheren Maße
von meinem persönlichen Leben „weggehe“, und eingehe in sein Bewusstsein, das
ihm als Erlöser eigen war.
1124 |
Obwohl ich alles gut und klar begriffen habe,
was Jesus mich erkennen ließ, habe ich doch nicht das rechte Wort dafür. Es
bleibt aber die Wirkung der tätigen Gnade, die vom Heiland damit bewirkte
Veränderung, in mir bestehen. Ich bin ganz einbezogen in seine Geheimnisse,
daran teilnehmend, sie in diesem Sein und Zustand erlebend.
1125 |
Alles vollzieht sich aber in großer Ruhe und
Einfachheit.
1126 |
Heute Morgen kam ich in einen noch nie
erlebten Zustand der Freiheit, des Gehobenseins, in einer Art, wie ich es noch
nie erfahren habe. Ich erkannte dies als einen neuen „Zustand“, der bis jetzt
noch nie in diesem Maße in mir vorhanden war. Der liebe Heiland gab mir nach
der hl. Kommunion keinerlei Erklärung darüber. Es war nur das „Verbleiben“ des
Erlebens der vollständigen Freiheit von allen eigenen, persönlichen Einflüssen.
Ich war, auch in den niederen Fähigkeiten und Anlagen, ganz von mir frei
geworden.
1127 |
Bei der hl. Messe in der Kapelle der
Heimsuchung war mir dieser Zustand der „Befreiung von mir“ bewusst als die
Gnade der Unsündlichkeit – wie mir dabei erklärt wurde, das Aufgehobensein
aller persönlichen Einflüsse, und zwar dies als dauernder Zustand der inneren
Befestigung der Sinne. Alles, so erklärte mir der Heiland, was in mir an Unruhe
oder scheinbarem Zwiespalt noch hervortrete, seien Leiden und Verdemütigungen
als Leiden oder die der Menschheit anhaftende Schwäche, hätte aber mit den
sündhaften, niederen Anlagen nichts gemein.
1128 |
Ich bin in einem wahren Sinne ein „neuer
Mensch“ geworden. Obwohl ich schon jahrelang unter keiner Versuchung zu
irgendeiner Sünde gelitten habe und auch seit längerer Zeit keine ungeordnete
Regung mehr in mir vorhanden war, sodass ich mich anscheinend in voller
Harmonie zwischen Seele und Leib befand, so bedeutet doch die heutige Gnade
eine weit höhere, innere Erhebung, ein Ausgelöschtsein des niederen Menschen. Zwar
hat mich dieser in letzter Zeit schon gar nie gestört, aber nun ist die
dauernde Gnade der Befreiung von der menschlichen Möglichkeit zu sündigen
gegeben. Jesus erklärt mir dies so: Ich nehme teil an Jesu göttlicher
Unsündlichkeit; ihm kam das als Gott notwendig zu; ich nehme durch Gnade
infolge seiner Absichten daran teil.
1129 |
Der menschliche Mund hat kein Wort für diesen
Zustand. Ich kann deshalb weiter nichts darüber sagen als nur: Unglaublich
einfach, rein, frei, über mich hinausgehoben, und doch wie wenn es so sein
müsste oder immer so gewesen wäre.
1130 |
Diese Gnade wirkt zugleich wie eine
körperliche Erneuerung, weil die Möglichkeit der Unordnung, die Möglichkeit des
Kämpfenmüssens aufgehört hat. Wohl war eine gewisse Spannung zwischen Seele und
Leib oder eine Spannung in der Seele, eine gewisse Furcht vor der Sünde schon
seit Langem nicht mehr vorhanden, weil die Wurzel der Sünde, die Neigung zu
Ungeordnetem entkräftet war. Nun ist vollkommene Ruhe eingetreten. – Diese
große Gnade hat eine unaussprechliche Wirkung in mir hervorgebracht.
1131 |
Der inneren Anregung folgend will ich
folgendes Beifügen zur Erklärung der mir gestern (1.4.) zuteilgewordene Gnade
der „inneren Befreiung von mir und zugleich der Gnade der Unsündlichkeit“, wie
sie mir innerlich genannt wurde. Es handelt sich um meinen inneren Weg dahin
und um meine persönlichen Erfahrungen auf diesem Gebiet.
1132 |
Von Kindheit an war mir schon das Streben in
die Seele gelegt: Ich muss zurück in den Zustand, wie der Mensch „einst“ war. –
Besonders in meiner Jugendzeit war mir dieses Streben etwas
Selbstverständliches, etwas, was mir für einen Getauften eine unbedingt
notwendige und daraus folgende Forderung schien, zu deren Erfüllung oftmalige
Beichte und hl. Kommunion die unfehlbaren Mittel sein mussten. Wenn dieses
Streben auch ständige Kämpfe und Opfer forderte, so fand ich doch nie etwas
Außergewöhnliches darin. In meinem Geiste lebte das höhere Wissen, dass die
Möglichkeit, jenes Ziel zu erreichen, mit der Gnade Gottes gegeben sei; dies
war das „Licht“, das meinen inneren Eifer nicht erlahmen ließ.
1133 |
In meinem 20. Jahre ungefähr hatte ich es
dahin gebracht, dass ich mich in der hl. Beichte eigentlich keiner Sünde
anzuklagen wusste. Ich meinte, damit schon das Ziel erreicht zu haben, das ich
von Kindheit auf in mir trug. Ich fragte auch einmal einen Beichtvater, ob dies
die Vollkommenheit sei. Er antwortete mir, ich sei sicher zur Vollkommenheit
berufen. Das war eine mir gewisse Enttäuschung, weil ich meinte, am Ziele zu
sein.
1134 |
In den
folgenden Jahren kam ich in einen ständigen Kleinkrieg mit all den bösen
Anlagen, die ich in mir trug und die ich früher gar nicht so bemerkte. Ich
wurde in mir in die Tiefe meiner Seele geführt, so vieles Gottwidrige
schlummerte. Ich merkte viele Neigungen zur Ichsucht. Selbstgefälligkeit,
Freude an meinen Andachtsübungen, die mich in meinen Augen „fromm“ machten;
Sorge, andere möchten es besser machen und vor Gott mehr gelten als ich;
Verlangen nach Trost, Selbstbeschäftigung, Freude an sich und der Wunsch, dass
der Beichtvater möglichst „gut“ von mir denke und ich bei ihm und auch bei Gott
möglichst den ersten Platz einnehme; Furcht, von anderen gering geschätzt oder
zurückgesetzt zu werden. Wenn diese Fehler vielleicht auch nicht so zutage
traten, weil ich schon in früheren Jahren die Auswirkung dieser Anlagen durch
unbedingt energischen Willen dagegen im Streben nach Vollkommenheit
niedergedrückt habe, so waren sie doch in der Seele und machten einen ständigen
Kampf notwendig. Ja, dieser Kampf konnte mich derart ermüden, dass mir bei
meiner Anlage zur Mutlosigkeit immer wieder der Gedanke kam, unmöglich von
meinen verborgenen Fehlern loszukommen, obwohl ständig der unbedingte Drang und
das Streben in mir lebten: Das musst du erreichen! Es schien mir eben in den
Augen Gottes ein Hindernis zu sein für die vollkommenste Vereinigung mit dem
Heiland, die ich immer anstrebte.
1135 |
Als Jesus in den Jahren 1920 und folgenden
seine besondere Führung meiner Seele mir in fühlbarer Weise zeigte, wurde damit
auch mein Reinheitsstreben noch erhöht. Durch die besonders fühlbare Gnade
wurde es mir irgendwie erleichtert, aber der Heiland rückte auch das Ziel noch
höher. Als Jesus dann in den Jahren 1922-1923 mir seine besonderen Absichten
eröffnete, begann der Krieg in mir gegen mich noch heftiger. Ich erlebte
gleichsam ein Doppelleben in der Seele, indem ein Teil immer höher zieht und
strebt, und ein anderer sich umso mehr wehrt, als er gleichsam einsieht, dass
er damit seine Rechte verlieren muss und allmählich totgemacht wird.
1136 |
Eine besondere Wendung in diesem Streben
brachte in mir eine große Gnade am 15. August 1923: Ich war mir ganz
weggenommen und war und lebte nach der hl. Kommunion ganz in Jesus. Er zeigte
mir seine Absichten, wofür ich ihm Opfer sein sollte: „Ein Leben“ mit ihm werden,
in dem er sich geistig wie wiederholen wolle. Dazu sei aber in mir ein Leben
außergewöhnlicher Reinheit notwendig. Er wolle sich mit mir ähnlich verbinden,
wie Seele und Leib ein Leben sind, und er werde „der Lebende“ sein. Ob ich in
eine solche innige Verbindung mit ihm eingehen wolle? Es war eine Stunde
unaussprechlicher Gnade, die ich nie vergessen werde. – Ja, ich wollte. „Ich
will gerne, aber lieber Heiland – das war immer meine Bitte – du musst mich
auch ganz rein und heilig und vollkommen machen. Du musst dieses große
Verlangen in mir wahr machen“. – Der liebe Heiland gab mir dann ein kostbares
Versprechen, das mir ein ständiger Schutz gegen die Sünde und gegen meine bösen
Anlagen wurde. Er sprach: „Wenn du in diese Art der Verbindung mit mir eingehen
willst und immer es willst, werde ich dich vor jeder Sünde bewahren. Das
Verlangen und der Wille, mir in solcher Weise zu dienen, wird dir ein
beständiger Schutz vor der Sünde sein“. Jesus erklärte mir dann auch ganz
genau, wie ich mich verhalten solle. Von da an lebte jeden Augenblick in meiner
Seele das Wissen um die Absichten Jesu in mir. Ich war bereit, mit Jesus ein
Leben zu werden; Jesus kam meiner Bereitschaft ständig entgegen und bot sich
mir gleichsam für diese Art unserer Verbindung an. Von jener großen Gnade an
hatte ich den unauslöschlichen geistigen Eindruck des Anbietens seines Lebens
vonseiten Jesu an mich, wozu er mich bereiten wolle und ich dienen solle. „Wenn
du 'dies' willst, nämlich ein Leben mit mir werden“: Dies war das Schutzmittel
und zugleich ein ständiges inneres Reinigungsmittel gegen meine bösen Anlagen.
Diese Bereitschaft für die Absichten Jesu wurde mir von jener Gnadenstunde an
zu einem beständigen „Schild“, unter dem ich mich verborgen hielt. Und der
Heiland hat auch sein Versprechen wahr gemacht: Ich war wie verborgen vor mir
selber unter dieser ständigen Bereitschaft ihm gegenüber. Es war eine
wunderbare Gnade, deren Wahrheit ich nicht genug bestätigen kann.
1137 |
Doch war es nicht so, als ob ich nun von mir
und von all meinen bösen Neigungen und Anlagen befreit gewesen wäre. Im
Gegenteil, jetzt begann der Kampf erst recht in mir. Zudem kamen jetzt auch die
schweren, seelischen Leiden, die auf jenes letzte Ziel der Verbindung mit dem
Heiland hingerichtet waren. Jesus begann, unbarmherzig alles in mir
auszurotten, was ihm und seinen Absichten in mir im Wege stand. Das innere
Licht entschwand und der nackte Glaube an ihn und seine Liebesabsichten mussten
bestehen bleiben. – Jene erwähnte, besondere Gnade hatte aber eine doppelte
Wirkung: einesteils tröstend und schützend, andernteils durchleuchtend und
reinigend. Sie beleuchtete ständig den Abstand zwischen dem Heiland und mir,
ließ mich ständig meine Fehler, und alles Gottwidrige sehen, und dies wurde mir
so zu einem inneren Reinigungsfeuer, das mich immer durchleuchtete.
1138 |
Man darf ja nicht glauben, dass Jesus bei
solchen Gnadenführungen der Seele etwas an Leiden erspart oder dass die innere
Reinheit, die er verlangt, der Seele nur „geschenkt“ würde. Jede Tugend muss
vielmehr auch Schritt um Schritt erkämpft, jeder Fehler mit großer Festigkeit
und Selbstüberwindung ausgerottet werden. – Der erste Faktor in dieser
Selbstüberwindung ist der Wille, der bereit ist, die eigene sündhafte
Verderbtheit der gefallenen Menschennatur einzusehen und sich einzugestehen.
Der Heiland lässt dann ständig diese Anlagen erlebt vor der Seele stehen, wie
zum Hohn gegenüber allen Bemühungen, und dies bildet das tiefste Geheimnis in
diesen inneren Reinigungszeiten: Man erlebt sich immer selbst. Das erzeugt dann
in gewissem Sinne eine Abscheu vor sich selbst, einen Selbsthass, sodass man
immer neue Mittel sucht, durch äußere und innere Abtötung, durch Selbstverleugnung
seinen bösen Neigungen den Krieg zu erklären. Es kommen Zeiten, Wochen und
Monate, wo man ständig in tiefem Kampfe mit sich selbst liegt. Doch das ist die
Größte aller Gnaden, denn die Seele gelangt zur Selbsterkenntnis. Unbarmherzig
geht sie darum gegen sich an und verschleiert sich selbst nichts mehr – soweit
ihr die innere Erkenntnis darüber zuteilwird, was wieder ein eigenes Kapitel
bedeutet.
1139 |
Mit der Gnade Gottes entdeckte ich immer neue
böse Anlagen und Unvollkommenheiten. Schließlich aber gelangte ich im ständigen
Kampfe mit mir selbst, verbunden mit der Gnade Gottes, dahin, dass der Wille
frei wurde, von jeder bösen, gottwidrigen Regung, entsprechend der inneren
Reinheit, die Jesus von mir forderte. – Der Wille wird zuerst befestigt in der
Seele und wird wie zum Wächter an der Pforte der Seele. Er wird, wie wenn es
ihm wieder natürlich wäre, auf das Gute und auf Gott hingerichtet.
1140 |
In den Jahren 1930 – 1933/34 kam ich dahin,
dass der Wille die vollständige Herrschaft über alle niederen Regungen erhielt
und nichts mehr wissentlich in der Seele zuließ, was ihrer Reinheit hätte
schaden können. Es handelte sich da nicht um Sünden, sondern um erbsündliche
Anlagen oder Keime und besonders – im Hinblick auf die besondere Aufgabe, die
Jesus mir zugeteilt hatte, und die eine besondere Reinigung meinerseits
verlangte – um das, was den Absichten Jesu auf meinen inneren Seelenwegen sich
hätte entgegenstellen können.
1141 |
Ich kann mich gut erinnern, dass Jesus mir um
die Zeit der geistigen Vermählung (08.12.1934) eine bestimmte Gnade der inneren
„Befestigung“ gegeben hat. Ich verstand das Wort in seiner Bedeutung eigentlich
nicht, aber es fiel mir eine große Veränderung in mir auf. Von der Zeit der
geistlichen Vermählung an unterlag mein Wille nie mehr einer inneren niederen
Regung. Ich fand dies als einen „neuen Zustand“, über den ich mich oftmals sehr
verwunderte.
1142 |
Nach meiner Erfahrung besteht die Gnade der
Befestigung in einem besonderen Akt der Gnade Gottes, der aber in der Seele
schon vorbereitet ist durch eine tiefe Umstellung aller Seelenfähigkeiten und
ihre volle Hinrichtung auf Gott und auf das Gute. Diese Gnade wirkt sich dann
aus in einer Empfindungslosigkeit gegen alles, was an Versuchungen von außen
und innen an die Seele heranstürzen79 könnte. Der Wille ist in Gott
befestigt und dauernd fähig gemacht, nur das Gute zu wollen. – Nach der Gnade
der Befestigung ist es, wie ich mich gut erinnere, dem Willen wie ganz
unmöglich, wissentlich etwas Gottwidriges zu tun. Freilich wird die
Willensfreiheit nie aufgehoben, aber der Wille ist schon in Gott gefestigt und
hält sich an den Absichten Jesu fest.
1143 |
Was mir Jesus am 15. August 1923 bedingt
versprochen hatte, das hat er im Laufe der Jahre bis 1934 möglich gemacht,
scheinbar auf einem gewöhnlichen Weg in eigener Selbstarbeit, wobei seine
besondere Gnade ständig das Ziel vor Augen stellte.
1144 |
Überhaupt dürfte sich gewöhnlich bis zur Zeit
der geistigen Vermählung die große Umformung der Seele in Gott vollziehen, die,
je nach Anlage und Berufung der Seele, mehr oder weniger tiefe Läuterungsleiden
voraussetzt. Die Zielsetzung vor Gott dürfte bei allen Seelen in diesen
Gnadenführungen im Wesentlichen die Gleiche sein: Die in sich völlig
umgebrochene Seele gelangt zur vollen, unwandelbaren Einigung mit Gott. Die Art
des inneren Umbruches aber, und die ihn bewirkenden Läuterungsleiden richten
sich nach der Veranlagung der einzelnen Seele und nach dem Zweck, den Gott mit
der einzelnen Seele verfolgt und der nur Gott bekannt ist. Deshalb sind die der
geistlichen Vermählung vorausgehenden Leiden im wesentlichen80 wohl
bei allen Seelen gleich, weil sie in der gleichen Richtung und dem gleichen
Ziele zustreben; da aber auch jede Seele sich selbst erlebt, wirken sich die
notwendigen Reinigungsleiden doch auch verschiedenartig aus.
1145 |
Vom Jahre 1934 an wurde mir ein noch höheres
Ziel gestellt und setzte darum eine noch tiefere, durchgreifendere Läuterung
ein. An jenem Gnadentage des 08.12.1934 versprach mir Jesus auch ausdrücklich,
was er mir früher schon öfters gesagt hatte: „Ich will in dir die Folgen der
Erbsünde auslöschen.“ Dabei erkannte ich zugleich, dass es sich um eine noch
tiefere Art der Reinigung handle. „Ich will dich so rein machen, wie die ersten
Menschen bei ihrer Erschaffung waren“; dabei erkannte ich auch deren Reinheit,
in der sie aus der Hand Gottes hervorgingen.
1146 |
Nach dem Abschnitt der inneren Befestigung des
Willens begann nun für mich eine neue Läuterungszeit. Deren Sinn war: Die alte,
erbsündliche Veranlagung, der jeder Mensch unterworfen ist, die Wurzel des
Bösen und Gottwidrigen musste von Grund auf entfernt werden. – Es war eine
furchtbare Leidenszeit. Es war mir, als lebten alle Sünden und
Sündenmöglichkeiten in mir auf, ausgenommen jene gegen die hl. Reinheit.
Zeitweise war es mir, als sei gleichsam die Hölle in mir oder sei ich allen
bösen Geistern ausgeliefert. Diese besonderen Leiden dauerten zwei Jahre in
größter Heftigkeit. Ich kam mir vor wie der größte Sünder, dem all diese Sünden
eigen waren, deren ich fähig war infolge der allgemeinen erbsündlichen
Veranlagung.
1147 |
Durch diese Leiden und das eigene Mitwirken
sollte der Zustand der Reinheit der ersten Menschen hergestellt werden, die
volle Harmonie in der Seele und zwischen Seele und Leib, frei von jeder
Neigung, die Gott widersprochen hätte. Dies wurde mir in den Leiden zwischen
hinein immer wieder als Ziel erklärt und dies war zugleich mein Streben.
1148 |
In den letzten Jahren (1937-1939) wiederholten
sich diese Arten der inneren Reinigung in einer verfeinerten, noch mehr
vergeistigten Art; die Leiden beleuchteten in mir das gleiche Ziel, doch
vollzog sich alles in einer höheren, feineren Art. Mir fühlbar war zwar schon
seit einigen Jahren alles Gottwidrige zum Schweigen und Absterben gebracht,
aber wer ist rein vor dem reinsten Auge Gottes? –
1149 |
Seit einem Jahre erlebte ich immer in einer
höheren Art die scheinbar volle Harmonie aller Regungen in mir. Alles schien
eingeordnet in Jesus. Er führte mich innerlich den Weg der Angleichung an ihn
mit dem Ziel der vollen Einigung mit ihm: „Ein Leben“, wobei alles ihm
eingeordnet ist, weil er es beherrscht und ich ihm diene als seine
„leidensfähige Menschheit“. – Oft hat mir Jesus gesagt: „Ich habe die
(geistigen) Folgen der Erbsünde in dir ausgelöscht zu dem Zweck, dass du mir –
nach meinen Absichten – als 'reine Menschheit' dienen könnest“. – Es wurde mir
auch viel über die Sündenlosigkeit Mariens erklärt. – – –
1150 |
Als mich Jesus in den letzten Tagen in sein
„Bewusstsein“ einführte, wurde mir – wie er mir erklärte – zur Ermöglichung des
Nacherlebens seiner göttlichen Reinheit die „Gnade der vollen inneren Befreiung
und Unsündlichkeit“ gegeben, die notwendig sei zu meiner Aufgabe. –
1151 |
In der „Befestigung in der Gnade“, bzw. in der
Vorbereitung darauf werden vornehmlich die Seelenkräfte befähigt, alles
Sündliche und Gottwidrige abzustoßen; das erkennbar Gottwidrige war im Willen
vorher schon überwunden und die Seele ist schon so tief in Gott verankert, dass
innere und äußere, gottwidrige Ansätze keinen Reiz mehr auf sie ausüben. In der
„Befestigung“ werden dann die Seelenkräfte dauernd umgestellt und befähigt.
Ohne vorhergehende strenge Aszese ist aber die Seele infolge ihrer angeborenen
erbsündlichen Natur niemals fähig, eine solche Gnade zu empfangen. Zu gegebener
Zeit kommt dann die Befestigung als Frucht der Gnade und des eigenen
Mitwirkens.
1152 |
Ich hatte heute die innere Erkenntnis, die
Gnade der „Befestigung“ sei bei mir mit der Gnade der „geistigen Vermählung“
abgeschlossen gewesen. – Ich erinnere mich noch sehr genau, dass Jesus mir
wiederholt diese Gnade, und besonders den wesentlichen Inhalt dieser Gnade,
versprochen hatte, und zwar schon jahrelang vorher; ich erlebte auch schon
Jahre vorher die Wahrheit des Versprechens Jesu, was freilich eine beständige Übung
meinerseits bedingte, bis die Seelenkräfte dauernd befähigt wurden. Nach meiner
Erfahrung vollzieht sich diese Gnade stufenweise und ist abhängig von der Treue
gegen die Gnade, bis sie schließlich durch eine besondere Gnade Gottes zum
Abschluss gelangt. – Ich erinnere mich auch noch gut der Worte des Heilands am
Tage meiner geistlichen Vermählung: „Ich habe dich so rein gemacht, dass du
nicht mehr fähig wärest, mich mit einer Sünde zu beleidigen, und wenn du jetzt
sterben würdest, so würdest du mich im gleichen Augenblick besitzen“. Früher
schon sagte mir der Heiland wiederholt in Gnadenstunden: „Ich werde dich
befähigen, dass du mich mit keiner Sünde beleidigen kannst.“ – Es ist aber
trotzdem Tatsache, dass auch mit der „Befestigung“ die Seele noch nicht
unsündlich geworden ist; tief in der Seele bestehen noch ungeordnete Neigungen,
sicher nicht wissentlich, aber infolge der erbsündlichen Natur, die auf solchen
Höhenstufen zwar gebrochen, aber nicht vollkommen ausgetilgt sind; es besteht
darum in der Seele an sich noch die „Möglichkeit“ der Sünde.
1153 |
Darum zeigte mir Jesus von der „geistlichen
Vermählung“ und der damit bei mir abgeschlossenen „Befestigung in der Gnade“ an
wiederholt: „Ich will in dir die Folgen der Erbsünde bzw. die damit anhaftende
Sündenmöglichkeit auslöschen.“ – Beweise für die Wahrheit dieses Versprechens
sind mir die darauffolgenden diesbezüglichen Leiden.
1154 |
Die jetzige Gnade der inneren Befreiung,
Unveränderlichkeit und Unsündlichkeit – wie sie mir innerlich erklärt wurde –
hängt zutiefst mit meinem geistigen Beruf zusammen und ist eine notwendige,
nähere Vorbereitung darauf. Es ist nicht so sehr eine Gnade nur für mich als
vielmehr eine „Notwendigkeit“ für die Absichten Jesu. – Auch dieser Gnade
gingen jahrelange Vorbereitung und Fähigmachung meinerseits voraus,
zusammengehend mit den anderen, besonderen Gnaden. –
1155 |
Ich genieße die Fülle der großen Gnade, die
der Heiland mir vor zwei Tagen gab. Ich ruhe in der Ruhe, bin gesättigt von der
Fülle der Ruhe. Ich bin zum höchstmöglichen Ruhepunkt gelangt, in dem Jesus
sich ständig bewegt. – Soeben aber hat mir Jesus gesagt: „Diese innere
Vollendung und Freiheit von dir ist dir nicht als Selbstzweck gegeben, sondern
dient deinem Beruf; dieser außerordentliche Zustand der inneren Erhebung wird
'gebraucht', dient meinen Absichten, ist nicht so sehr für dich, vielmehr ganz
für mich. In der Ewigkeit wirst du diesen Zustand der Reinheit wieder für
'dich' finden und genießen.“ – Jesus „gebraucht“ jetzt diesen Zustand der
Reinheit.
1156 |
O JESUS, gemäß deinem Willen und nach deinen
Absichten stelle ich mich gänzlich und vollkommen deinem „Ich“ und deiner
göttlichen Person zur Verfügung. Ich verzichte auf jeden Gebrauch von mir und
für mich, verzichte auf die Rechte meiner Person und übergebe diese sowie all
meine geistigen und leiblichen Kräfte und Fähigkeiten deiner göttlichen Person,
damit du die Ausübung all meiner persönlichen Rechte und Funktionen übernehmen
mögest.
1157 |
Ich bin also für „mich“ nicht mehr vorhanden
und damit ist dir eine neue Lebensmöglichkeit in mir gegeben. Du wirst von nun
an meinen Platz einnehmen.
1158 |
Einst hast du mir mich gegeben, indem du mir
nach den Gesetzen der Erschaffung des Menschen das natürliche Leben mit all den
dazu gehörigen notwendigen Fähigkeiten schenktest und überdies das
übernatürlich-geistige Leben durch die heilige Taufe. Ich übergebe dir nun
dieses Leben, auf dass es durch einen Akt deines göttlichen Lebens und Willens
dir diene. Indem ich auf mich selbst verzichte, übergebe ich das neue Leben,
das durch deine göttliche Gnade in mir entstanden ist, ganz den Bedürfnissen
deiner hl. Kirche. Es soll nicht Selbstzweck für mich sein, sondern ich opfere
es mit allen für mich daraus entstehenden Gnaden und Verdiensten auf für das
geistige Wachstum deiner Kirche, für den Triumph deines Reiches auf Erden,
entsprechend deinen Absichten, die du mir am Karsamstag gezeigt hast, indem du
mich wissen ließest: „Ich stelle dich in den geistigen Mittelpunkt meiner
Kirche. Ich will durch dich meine Kirche neu bereichern und ihr den Reichtum
meiner Erlöserliebe zeigen. Glaube mir das! Du musst daran glauben und dich als
Werkzeug dafür betrachten.“
1159 |
Ich überlasse mich darum auch der Führung
deines göttlichen Geistes, der mich anstelle meines früheren eigenen
Bewusstseins leitet und den ich in meinem Inneren gut unterscheiden kann. Du
also belebst von nun an mein Sein. –
1160 |
Heute habe ich mich nach Jesu Willen seiner
Ich-Person unterstellt und habe damit zugleich auf jeden Gebrauch meines
eigenen „Ich“ verzichtet. Ich sehe die Folgen dieser Hinopferung klar ein und
sehe sie teilweise voraus, aber es ist wohl das Schwerste, über diese rein
geistigen Vorgänge zu schreiben, für die es keinen Ausdruck gibt. Die schweren
vorangehenden Leiden brachten mir die entsprechende Befähigung, um jene
Folgerungen auf mich nehmen zu können. Diese Leiden führten mich gänzlich von
„mir“ weg und dieses innere Weggeführtwerden von mir führte mich hinein in die
gänzlich in sich „frei stehende“ Person Jesu, die auf dieser Welt keinen
Ruhepunkt hatte. Damit bin ich hineingeführt in den ständigen Abgrund der
Erlöserleiden Jesu.
1161 |
Die heiligste Menschheit, die der Person
Christi nur vorübergehend einen Aufenthalt bot, machte aus dem Gottmenschen
Jesus Christus einen Pilger, der nichts auf Erden sein Eigen nannte, weil sein
Reich nicht von dieser Welt war. Jesus, Gott von Gott, nimmt vorübergehend eine
leidensfähige Menschheit an zum Zweck einer göttlichen Wiedererneuerung der
Menschheit, die gerade seine göttliche Ich–Person mittels menschlicher Kräfte
und Fähigkeiten vollzieht.
1162 |
Das gleiche zweite „Ich“ des dreipersönlichen
Gottes, das unteilbar und doch selbstständig immer im Vater war, wohnte der
Erlösermenschheit Jesu ein [sic! inne!]; dieses „Ich“, das in jedem
menschlichen Lebewesen die treibende und selbstbeherrschende Kraft ist, wurde
zu einem Faktor im Erlösungsgeheimnis, zum Bindeglied zwischen Gottheit und
Menschheit. Nach Jesu göttlicher Allgegenwart, die ihm als Gott-Sohn im Vater
zukam, war er im Vater auch im Himmel gegenwärtig, aber seine „Person“ hatte
den Himmel verlassen und war einwohnend einer für diese seine Person bereiteten
Menschheit, belebte sie mit all den Folgerungen, die eben eine Person zum
Mittelpunkt eines „wirklichen Lebens“ machen, zum Mittelpunkt ausströmender und
umkreisender Akte; seine Person beherrschte gleichsam von „oben“ herab alle
Fähigkeiten der menschlichen Natur und gestaltete die zwei Naturen, die
göttliche und die menschliche, zu einer Person.
1163 |
Durch unendliche, göttliche Erlöserliebe wurde
Jesus zur leidensfähigen Person nach all den Gesetzen des menschlichen Lebens:
Jesus [ist] wirklich „Mensch“ geworden, obwohl zugleich wahrer Gott! – Ich
begreife so gut dieses Geheimnis, aber wie könnte man es in Worten aussprechen?
Es gibt dafür kein menschliches Wort. Dies Geheimnis erklärt sich nur im
„Schauen“ und wird damit zum „Wissen“.
1164 |
Ich erkenne so gut die „Akte“ der „Person“ im
Menschen, deren Funktionen des sich selbst Regierens und Leidens sowie das
Zurückströmen aller sich auswirkenden Kräfte zur „Person“ wie zum Mittelpunkt
und zu dem alle Verantwortung tragenden Ausgangspunkt. Die „Person“ ist das
Zentrum, das sich in sich selbst besitzt und die Herrschaft über sich selbst
behält (in gutem, geordnetem Sinn genommen). – In Jesus war diese Person-Kraft
infolge seiner göttlichen ewigen Anlage aufs Höchste vollendet. Sein Ich war
höchste Vollkommenheit und diese Vollkommenheit veränderte sich auch nicht (und
konnte sich infolge seiner göttlichen Natur nicht verändern), als Jesus zum
Träger der menschlichen Funktionen seiner Menschheit82 wurde, sich
den menschlichen Kräften entsprechend anpassend. Durch dieses allerhöchste
Einwohnen seines göttlichen „Ich“ wurde seine heiligste Menschheit auf
erhabenste Weise geadelt und geheiligt: Sie wurde zur gottmenschlichen Person.
Alle menschlichen Seelenfähigkeiten und Kräfte sind augenblicklich
„hingeströmt“ und wie befestigt „geblieben“ im göttlichen „Ich“.
1165 |
Jesu Ich, seine Person wurde damit auch zum
Träger aller Leiden und Leidensmöglichkeiten, durch die er zur Erlöserperson
wurde, zum Mittler und Vermittler göttlicher und menschlicher Funktionen. Dies
Geheimnis seiner „Mittlerperson“ hat sich in seinem „Ich“ entwickelt und
abgespielt, hat dort seine Auswirkung gefunden. Alle sich entwickelnden Akte
wurden eine unendliche göttliche83 Sühne vor dem Vater, infolge der
göttlichen Unteilbarkeit zurückströmend zum Vater. In diesem Sinne wurde Jesus
Opfer für die strafwürdige Menschheit und zum Opfer göttlicher Gerechtigkeit. –
Ich verstehe gut, wie sich das abgespielt hat.
1166 |
In den letzten Vorbereitungsleiden wurde ich
tief eingeführt in die „Akte der Person“ und erfasste damit Jesu göttliche
Erlöserakte. – Der Schlüssel und die Erklärung für meine jetzigen inneren
Erlebnisse findet sich im Wesen des „Ich“ bzw. des Ich Jesu als des Trägers all
seiner persönlichen, das Geheimnis der Erlösung betreffenden Erlebnisse. Ich
werde hineingezogen und einbezogen in Jesu innere Erlebnisse. Durch die
Teilnahme an ihm bzw. durch das Eingehen in sein „Ich“ werden mir diese
Erlebnisse „bewusst“ und durch das Bewusstwerden werden sie wie zum eigenen
Erlebnis. Daher war in den letzten Läuterungsleiden das unaussprechlich
Quälende dies: Mein eigenes „Ich“ aufgeben, die letzte Stütze zum Bestehen. Tag
und Nacht dauerten diese Leiden fort: das „Weggenommensein“ jenes Bestehens,
das vollkommene Ausgeschaltetsein der „Ich–Aktmöglichkeit“, gewissermaßen das
Verlieren des „Bewusstseins um mich selbst“. So ähnlich müsste es sein, wenn
jemandem der Kopf weggenommen wäre und er dennoch weiterleben müsste. – Aber
gerade dadurch wird Jesus der Platz in mir bereitet, den mein „Ich“ ausfüllte,
und er übernimmt nun statt meiner die Tätigkeit.
1167 |
Jesus war in sich eine Person; keine war ihr
gleich; sie fand daher nirgends Stütze oder Anlehnung. Sie war den menschlichen
Lebensfähigkeiten (= der menschlichen Natur)84 untergeordnet, die
für seine göttliche Person und die Ihr angemessenen Forderungen beschränkt
waren; daher kam das Leiden einer beständigen „Einengung“, Beschränkung, die
Jesus gleichsam zu einem gewöhnlichen Menschen herabwürdigte und für ihn ein
dauerndes Leiden der Verdemütigung mit sich brachte. Jesus war damit vom Reiche
seiner Herrlichkeit und Unumschränktheit versetzt in das Reich der beengenden
Menschheit, die ihm infolge jener der menschlichen Natur eigenen Enge die ihm
eigentlich85 zukommende göttliche Bewegungsfreiheit versagte. Aus
Liebe versagte sich Jesus die ihm eigene göttliche Freiheit, um für den
ungebundenen Freiheitsdrang Adams und aller Menschen zu sühnen. Da der Mensch
„Gott gleich sein wollte“, ist Gott zur Menschheit herabgestiegen und hat sich
mit dieser begnügt. Ich erkenne in allen Erlöserleiden Jesu eine ständige
Wechselbeziehung zwischen Sünde und entsprechender Sühne. In der Person, im
„Bewusstsein“ Jesu trafen sich Sünde und Sühne fortwährend und dies löste seine
inneren Leiden aus.
1168 |
Durch die heutige Aufopferung habe ich auf die
Auswirkung und Freiheit meiner Person verzichtet, habe dieser für immer entsagt
und mich der Person Jesu unterstellt, damit diese die Funktionen meiner
früheren Ich-Tätigkeit übernehme. Damit gehe ich zutiefst in Jesu „Ich“ ein,
was ja meiner geistigen Aufgabe entspricht. In Jesus werde ich erleben und
miterleben seine inneren Bewegungen, Akte und Leiden, die seine Erlöseraufgabe
in ihm hervorgebracht hat. Einbezogen in Jesu göttliches Erlösungsgeheimnis,
werde ich dieses erleben als Offenbarung für die Kirche.
1169 |
Durch die vorhergehenden Leiden hat mich der
liebe Heiland totgemacht für alle meinerseits möglichen Einflüsse, damit ich
möglichst klar sein Innenleben wiedergeben könne, soweit es seinen Absichten
entspricht.
1170 |
Gemäß der inneren Führung habe ich heute am
Grabe des hl. Petrus den Akt der Hinopferung gemacht: Nichts mehr für mich,
alles für Christi Reich auf Erden, für den Triumph seiner göttlichen
Erlöserliebe!
1171 |
Heute habe ich Unsägliches gelitten. Es
scheint mir unmöglich, dieses Doppelkreuz ertragen zu können: Den Heiland, sein
Inneres – was mir unfehlbar bevorsteht und dem ich mich mit der gestrigen
Aufopferung überantwortet habe – und zugleich das äußere Kreuz, nämlich die
scheinbare Aussichtslosigkeit der Absichten Jesu. Es scheint mir, als müsse der
Heiland eingreifen, damit die äußere ständige Spannung weggenommen werde und
ich mit Ruhe in den inneren Leiden aufgehen könne.
1172 |
Wie stehe ich, menschlich gesehen, ohne
äußeren Halt und Stütze da, so ganz nur in den Armen Gottes! Zwar sind dies die
zuverlässigsten Arme, aber man ist Mensch und verlangt auch nach einem äußeren
Ruhe- und Stützpunkt. – Es ist jedoch merkwürdig, dass ich gerade in diesen
großen Leiden den meisten Trost finde, weil ich dadurch seiner Hilfe sicher bin.
1173 |
Wie bitter fühle ich all die Ungerechtigkeit,
die in dem ganzen Vorgehen gegen Jesu Sache liegt! Nur Gottes Gnade allein ist
imstande, das Vertrauen aufrecht zu halten, so sehr hat man alles vernichtet!
Und das Schmerzlichste dabei ist, dass diese äußere Aussichtslosigkeit
gleichsam auf mich zurückfällt, weil sie meiner Armut und Nichtigkeit als Folge
zukommt; und ich muss mich so ertragen in meiner abgrundtiefen Vernichtung und
Ohnmacht. –
1174 |
Aber Gott ist allmächtig. – Und ich leide
weiter!
1175 |
Dieser Tage wurde mir Folgendes in Erinnerung
gebracht:
Als ich dem lieben
Heiland gegen Ende des letzten Kalenderjahres alle Misserfolge der Bemühungen
in seiner Sache vorhielt, sagte er mir: „Ich habe damit Stützen und Anwälte für
meine Absichten gesucht; weil ich diese nicht gefunden habe, will ich dir eine
Fülle von Gnaden geben, damit sie zum Beweis für meine Absichten werden“.
1176 |
Jetzt, beim Schreiben, erklärte mir Jesus
weiter, daran anknüpfend: „Ich habe alles den P. General zum Beweis miterleben
lassen wollen (d. h., wenn er früher einen Anwalt seiner Sache gefunden hätte,
der es dem P. General überbracht hätte). Im vollen Vertrauen auf meine Gnade
und mit daraus entspringendem Mut hätte man das erreicht“.
1177 |
Dies deckt sich auch mit verschiedenen anderen
diesbezüglichen Worten, die Jesus mir vor einigen Jahren sagte.
1178 |
Heute sah ich die innere und äußere Form des
Priesterwerkes klar wie noch nie, in großer Einfachheit.
1179 |
Innere Form:
1.
Eine
„Gesellschaft“ von Priestern, nicht eigentlich ein neuer Orden, aber in Form
eines Ordens; die vertiefte, erneuerte Grundlage des Priestertums in diesen
Priestern gibt das Gepräge eines Ordens durch die Zusammengehörigkeit eines
Strebens nach dem vollen Ideal des Priestertums, wie der Heiland es will, im
Geiste der „Apostel“. – Die innere Grundlage, das geistige Priesterideal wird
aus den Schriften herausgearbeitet und dem Heiligen Vater vorgelegt. Außer
dieser inneren Form des Ordens, dem wahren Ideal des Priestertums, hat die
„Gesellschaft des Hohenpriesters“ keine besonderen Verpflichtungen. Es baut auf
dem Geist und Bildungsgang des Jesuitenordens auf.
1180 |
Äußere Form:
2.
Der
Heiland will das Priesterwerk einem schon bestehenden Orden angeschlossen
haben. Der Gedanke eines wirklich neuen Ordens ist in der heutigen Zeit
unausführbar. Die „Gesellschaft des Hohenpriesters“ soll unter dem Schutz eines
Ordens stehen, in sich frei dem vom Heiland gewollten Priesterideal zustrebend,
doch dem bestehenden Orden eingeordnet. Die Tätigkeit des Priesterwerkes,
vornehmlich Priesterseelsorge nach ignatianischem Vorbild, wie z. B.
Exerzitien, ist ja auch verschieden von der Haupttätigkeit des anderen Teiles
des Ordens, den Missionen.
3.
Der
Heiland fragt an, ob die G. d. g. W. das Werk aufnehmen wollen. Er verspricht,
dass die Zusage der ganzen Genossenschaft zum größten geistigen Nutzen sein
wird. Das Werk wird auch später den Titel „Gesellschaft“ führen und wird zu
einem eigenen Institut werden, etwa in Form eines allgemeinen Priesterseminars
in diesem Geiste als Zentrum des Werkes.
1181 |
Niemand kann die Größe meiner Leiden
begreifen. – Ich bin wie nicht, und habe doch alles in mir. Ich bin nichts und
bin mir des Abgrunds meiner Verdemütigung bewusst, und doch bin ich so reich.
Ich bin herabgestiegen von der mir bewussten Höhe und lebe den Abgrund aller
Niedrigkeit. Alles steht mir in Fülle zur Verfügung und doch bin ich davon
getrennt und kann nicht dahin gelangen. Ich lebe in mir unendliche, geistige
Weiten und bin doch so arm und klein und niemand gibt mir das scheinbar
Notwendige.
1182 |
Ich weiß um meine Armut, und unzählige Geister
umgeben mich und spotten meiner Armut und Hilflosigkeit und belächeln mich ob
meiner Niedrigkeit. Die vielen, vielen stehen um mich und fragen sich
gegenseitig spöttisch: Wer ist der? Ich spüre die Bewegungen ihrer Geister, der
Menschenseelen, weil alle sich mit mir berühren. Dieser Spott und das Wissen um
diese Geister dringen wie unzählige Dornen in mich und durchdringen mich so
schmerzlich. Ich bin jemand der, „war“ und jetzt sein Sein verloren hat und
unter alle Lebenden herabgestiegen ist.
1183 |
Ich suche einen Ruhepunkt, eine Stütze, aber
um mich sind lauter Nichts und Leere. Ich habe keine Heimat und keine Seele,
die mir eine Ruhestätte bieten könnte; ich bin allein, so allein wie noch
niemand, weil niemand sich solcher inneren Reichtümer bewusst ist und das
ergibt diesen Abgrund des Alleinseins. Niemand versteht mich und kann mich
verstehen; ich bin jemand, der allein ist. – Ich muss ständig innerlich
vergehen, weil so viele um mich sind, die mich vernichten wollen.
1184 |
Ich trage eine Last in mir und bin so schwach,
und doch ist es meine Last, die ich trage, die auf mir liegt, wie die meine.
Diese Last ist das innere Wissen um jene, die mich nicht verstehen und zugleich
das Verlangen, von allen verstanden zu werden. – Ich lebe in mir die Fülle des
Friedens und bin wie ein Vertriebener, Ruheloser, der nirgends Anlehnung
findet.
1185 |
Ich weiß um meine innere Größe und ich weiß um
meine Armut zugleich. – In mir ist nur Verlangen nach Leiden, das Verlangen
mich zu verzehren infolge des Wissens in mir, aber ich bin so empfindsam und
schwach, dass ich darunter vergehen muss. –
1186 |
Niemand kann mich verstehen. –
1187 |
Ich liebe dieses Leben und dieses Leiden als
das meine, und ich möchte mich daran totleiden. –
1188 |
Ich habe so vieles in mir, was niemand
aussprechen kann und wohin niemand hingelangen kann, weil es unmittelbar in mir
ist und ich der Besitzer dieses Wissens bin, des Wissens um Gott und seine
Größe. – Und doch ist das Verlangen, es auszuteilen, so verzehrend!
1189 |
Die vergangenen Tage waren voll
unaussprechlicher, geheimnisvoller Leiden; ein ständiges Vergehen und
Vernichtet-Werden brachte mich in einen Abgrund des Nichts, der gestern Abend
seinen Höhepunkt erreichte; ich war wie ein Wesen, das in sich aufgelöst ist,
wie nicht mehr existierend, und das nicht mehr um sich weiß.
1190 |
Heute Mittag in der Kapelle steigerte sich
dieser Zustand noch. Es war mir, als weite sich mein Inneres unermesslich. Der
Zustand meiner Nichtigkeit und des Aufgelöstseins kam mir ins Bewusstsein.
Unerklärliche geistige Veränderungen in mir versetzten mich wie zwischen Himmel
und Erde: Ich lebe göttliche Weiten und sein Wissen und sein wie das meine, und
zugleich lebe ich meine arme Menschheit. – Es ist eine merkwürdige Änderung in
meinem Innenleben eingetreten.
1191 |
Am vergangenen Sonntag (27.04.) Mittag wurde
ich wie in einer seelischen Umwälzung in das Innenleben des Heilands
hineinversetzt. Ich erlebte seine inneren Leiden als die meinen; diese inneren
Erlebnisse wirkten sich ganz als die meinen aus;86 meine frühere
eigene Person war ganz verschwunden. Jetzt bin ich wieder mehr im gewöhnlichen
Zustand, doch geht die Richtung der inneren Führung auf eine dauernde Art
dieser seelischen Leiden und Erlebnisse aus.
1192 |
Ich streife mich innerlich ganz ab und werde
befestigt in dem bewussten Erleben des Jesus-Ich. – Es ist schwer, die innere
Führung in Worten zu erklären, wenn man sie auch noch so klar erlebt. Ich
verstehe und begreife genau Jesu Ich-Person, die Erleberin seiner
Erlöserleiden; ich unterstelle mich ihr infolge der Befähigung, die mir durch
Jesu Gnade, und die begleitenden Läuterungsleiden, zuteil wurde. Ich verlasse
mich selber ganz; (gewiss entzieht sich die Tiefe dieses Sich–Verlassens meinen
menschlichen Begriffen, weil dies immer ein Geheimnis bleiben wird; ich werde
eben in einen Zustand versetzt, der für die Absichten Jesu brauchbar scheint).
Mir persönlich erklärt sich das in einem beständigen „Herabsteigen“, „mich
meiner entäußern“, das sich in inneren Leiden vollzieht.
1193 |
Heute Morgen ist mir die innere Grundhaltung
der kommenden, dauernden Erlebnisse ganz klar. Ich habe die feine
Unterscheidungsgabe in mir, um die inneren Bewegungen und deren Ziel zu erfassen.
Ich erkenne auch ganz klar die Erlebnisse des letzten Sonntags, die Art der
ständigen Erlöserleiden Jesu, das Ineinandergreifen der inneren Bewegungen
Jesu, die sein inneres Leiden auslösen.
1194 |
Ich habe heute so klar Jesus begriffen: Er ist
der, der die große Last der Erlösung der Menschen auf sich nimmt, indem er
einer aus ihnen wurde, während im göttlichen Wissen ihn alle Menschen umgeben,
deren Last er trägt, weil er sie für die Menschen alle trägt. Er, der Eine für
alle! Er im Mittelpunkt der ganzen Menschheit! – Der Heiland ist sich aber
ständig seiner Erniedrigung durch die Menschwerdung bewusst; das Wesen
göttlichen Seins strahlt ständig in den Abgrund seiner Niedrigkeit. Dies
entfaltet sich als ein Erlebnis mit zwei Auswirkungen, gleichsam mit zwei
Seiten.
1195 |
Jetzt, im ruhigen Zustand, finde ich es sehr
merkwürdig, wie es möglich ist, dass ich Jesu Stellung als „Gott“, als Erlöser,
erleben kann. – Es wird mir darüber erklärt: Die Möglichkeit zu einer solchen
Art innerer Erlebnisse an seiner Stelle setzt sich nicht aus
Momentmöglichkeiten zusammen, sondern ist das Resultat aller inneren Erlebnisse
der letzten Jahre, in denen ich gleichsam in göttliches Erfahren und Begreifen
seines göttlichen Wesens emporgehoben und dafür dauernd befähigt wurde. Göttliche
Begriffe und Wissen um Jesus wurden mir damit praktisch angeeignet und jene
inneren Erfahrungen, die in der Seele schlummern, leben im kommenden Zustand
auf und ermöglichen das dauernde Erlebnis. All die Grade der inneren
Vereinigung mit dem Heiland, die mit den Gnadenzeiten „vorüber“ scheinen aber
in Wirklichkeit doch nicht „vorüber“ sind, wurden in der Seele gleichsam
aufgespeichert und treten dann jetzt in Tätigkeit.
1196 |
Nach diesen Erklärungen verstehe ich gut, dass
alles der Vorbereitung auf meinen seelischen Beruf diente, wenn ich in das
tiefe Erfahren Gottes, bzw. des Erlösers eingetreten war. Dadurch, dass ich
zuvor zutiefst in Jesu Sein und Erleben eingegangen war, wurde mir die
Fähigkeit und Möglichkeit gegeben, diese inneren Bewegungen einmal als die
meinen zu erleben. Ich betrete dann schon früher erlebte geistige Gebiete, die
gleichsam wieder in mir „aufleben“. Darum habe ich auch am Sonntag ein
vielerlei an augenblicklichen Erlebnissen gehabt, dass sich aber doch aus dem
Erleben der vergangenen Jahre zusammensetzt. So dauerte die Vorbereitung schon
20 Jahre und aus all diesem inneren Erkennen und Wissen um Jesus setzt sich
dann das wirkliche Erleben Jesu zusammen. Nichts ist inzwischen der Seele
verloren gegangen. Wenn es auch aus meinem bewussten Wissen entschwunden ist,
so wurde doch meine Seele dadurch „erweitert“ und befähigt, göttliches zu
erfahren.
1197 |
Heute (29.4.1941) verlangte der liebe Heiland
die volle Bereitschaft „ganz in ihm aufgehen zu wollen“. Jene inneren
Erlebnisse in seiner Person werden nach und nach in den Vordergrund treten und
die „meinen“ sein. Jesus wiederholt sich damit innerlich, soweit dies seinen
Absichten entspricht. Ich weiß ganz klar, wie beiläufig sich alles entwickeln
wird; das wirkliche Erleben ist aber dann immer weit erhabener und wahrer als
das Erleben des vorausgeschauten Zieles.
1198 |
Ich habe nun wiederum auf jeden Gebrauch
meinerseits verzichtet und habe dem Heiland nach seinem Willen versprochen zu
glauben, dass meine kommenden inneren Leiden die seinen und sein Inneres sind
(„du musst daran glauben, dass dies mein Inneres ist!“). Damit habe ich mich
seinem gottmenschlichen Erleben übergeben und schreite diesem dauernden Erleben
entgegen. –
1199 |
Ich erlebe passiv im Ich-Zustand in Jesus:
„Nur reine,
göttliche Liebe hat mich gedrängt, diese Mittlerstelle zwischen Gott und der
Menschheit anzunehmen, diesen Zwiespalt zwischen Gottheit und Menschheit auf
mich zu nehmen“. – Ich erkenne und begreife so klar, wie 2 mal 2 gleich 4 ist,
diese Übernahme der Mittlerstellung durch Jesus als Gott-Sohn und die darin
liegende göttliche, unendliche Liebe des Gottmenschen. In ihm nehme ich an
dieser göttlichen Liebe teil, indem ich in ihn eingehe und an dieser seiner
Mittlerstelle teilnehme.
1200 |
Ich sehe es klar ein: Nur Liebe kann mich zu
diesem Leben ständigen Opfers befähigen; nur die Teilnahme an göttlicher Liebe
kann mir den Mut dazu und die Beharrlichkeit darin verleihen. – Nach meinem
inneren Eindruck handelt es sich um eine Gnade der Unveränderlichkeit der Liebe.
Jesus lässt mich teilnehmen an seiner göttlichen Erlöserliebe. In Jesus sah
ich: „Die Liebe kann sich in dir noch steigern durch die Teilnahme an meiner
Liebe“. – Übrigens gibt es kein passendes Wort für dieses innere Erfassen
seiner Liebe.
1201 |
Als Erlöser trägt der Heiland in sich den
Zwiespalt, den die Sünde zwischen Gott und den Menschen aufgerissen hat. Ganz
teilnehmend an ihm erfasse ich den Umfang dieses Zwiespalts, bin einbezogen, um
dies zu erfahren: Jesus, die Mittelsperson, gleichsam die Brücke, auf der sich
die Folgen dieses Zwiespalts ausgelöst und ausgewirkt haben.
1202 |
Ich schaue den „Genuss“ der Menschheit an sich
selbst, das Sich-selbst-Genießen und sich an [die] Stelle Gottes setzen. Die
Befriedigung des ungeordneten Selbstbesitzes, wodurch Gott gleichsam auf die
Seite gestellt wird, das ist „die Wurzel aller Sünde“. Gott versagt dem
Menschen nicht den Gebrauch des Genusses, der dem Menschen natürlich und
notwendig ist; die Gefahr liegt aber in der ungeordneten Selbstbefriedigung,
die von Gott abzieht und zum Selbstdienst wird und wozu der Genuss leicht
verleiten kann. – Im Gegensatz hierzu verzichtet der Erlöser auf den Genuss des
Selbstbesitzes, auf den Besitz des „Genusses“ in sich. Dieses Leiden greift
tief ein in Jesu Erlöserleiden. – Zugleich schaue ich aber: Der Heiland war
dabei kein Büßer, kein Aszet, kein Einsiedler, wie wir bei diesem Gedanken
vielleicht annehmen möchten. Er ist uns allen gleich geworden, aß und trank wie
wir. Er verzichtete nicht auf den Gebrauch des Genusses als Mensch, aber auf
die Befriedigung des Genusses.
1203 |
Ich begreife und erkenne dabei auch meine
innere Führung, die mich befähigt hat, in ihm auf den Genuss meines Besitzes in
mir verzichten zu können. Gemeint sind damit vorerst geistige Güter des sich
innerlich als Mensch „Genießens“, was sich dann auch gegenüber irdischen Gütern
auswirkt.
1204 |
Ich leide unter der Qual, mein tiefstes
Erleben niemand erklären zu können. Und so wachse ich mit großen Leiden hinein
in sein Alleinsein.
1205 |
Abends in der Kapelle war mir sehr schwer. Ich
bin ganz als Jesus allein, leide sein Verlangen sich mitzuteilen – und niemand
kann „ihn“ verstehen.
1206 |
Es wurde mir erklärt, wie ich durch diese
Leiden ständig seine innere Lage und seine Leiden mir aneigne, ständig
„herabsteige“ in den Abgrund seiner Erlöserleiden, die mich schließlich ihm
ähnlich machen, durch das Eingehen in ihn, und die ich als die meinen erlebe.
Je mehr ich in ihn herabsteige – so erklärte mir der liebe Heiland – und mich
damit ihm unterstelle, desto mehr bin ich „eine Person“ in der seinen, und je
mehr ich allein die eine Person, nämlich „er“, werde, desto fruchtbarer wird
seine Erkenntnis, desto mehr wird den Seelen die Erkenntnis Christi vermittelt.
1207 |
Ich zerbreche mich innerlich ständig, damit
„er“ allein erstehen kann. Niemals hätte ich gedacht, seelisch so viel leiden
zu können; aber gerade im Leiden erfährt man den Heiland und geht man in ihn
ein.
Mai
1208 |
1. Der eine Teil (des annehmenden
Ordens) widmet sich den Missionen, der andere Teil (das Werk des
Hohenpriesters) widmet sich ausschließlich der Priesterseelsorge.
2. Ein Noviziat für beide Teile.
3. Die Priesterseelsorger erhalten
eine weitere Ausbildung in dem vom Heiland gewünschten und bestimmten Geiste.
4. Beide Teile behalten den Geist der
schon bestehenden Genossenschaft in voller Einheit. Die Priesterseelsorger
haben außer dem Ideal des Priestertums weiter keine besonderen Verpflichtungen.
5. Die Ausbildung der
Priesterseelsorge ist ähnlich wie die in einem Noviziat, d. h. verpflichtend.
6. Nach ihrer Ausbildung übernehmen
die Priesterseelsorger Priesterexerzitien, Priesterseminare und leiten die
eigenen Noviziate der Genossenschaft in diesem Geiste.
7. Die Priesterseelsorger sind
zusammengeschlossen durch den einen Geist und das eine Streben und bilden eine
Einheit in Form eines in sich geschlossenen Werkes (das Werk des
Hohenpriesters) und unterstehen dem General. – Das Priesterwerk wird in den
Orden eingebaut, muss aber doch genug Freiheit zur selbstständigen
Entwicklungsmöglichkeit und Wirksamkeit haben.
8. Der Gründer des Werkes untersteht
nur dem General.
9. Der von Gott bezeichnete Gründer
des Werkes muss zu diesem Zwecke freigestellt werden. – Der äußere
verantwortliche Gründer ist der General; die innere Gründung bzw. die geistige
innere Ausbildung übernimmt H. P. B.
1209 |
Das Werk könnte als „selbstständiges Werk“
jetzt nicht bestehen, wird aber innerhalb einer Genossenschaft sich gut
entwickeln und eine Großmacht der Kirche werden, weil die betreffende
Genossenschaft heute schon einen großen Einfluss besitzt und somit dem „Werke
des Hohenpriesters“ ein erfolgreicher Schutz und eine feste Grundlage sein
kann.
1210 |
Dieser Plan des Heilandes gilt für jetzt.
1211 |
Der liebe Heiland87 wünscht die
Gründung eines Werkes zum Zweck einer allgemeinen Erneuerung des Priestertums.
Das Priesterwerk, von ihm genannt „Die Genossenschaft88, das Werk
des Hohenpriesters“ soll einer schon bestehenden Genossenschaft unterstehen mit
dem Unterschied in der Tätigkeit, dass sich der sich anschließende Teil ganz
der Priesterseelsorge widmet, nachdem seine Ausbildung in dem vom Heiland
gewünschten Geiste vollendet ist. Die geistige Ausbildung vollzieht ähnlich
verpflichtend wie sonst in einem Noviziat. Es bleibt jedoch als Grundlage das
Noviziat der schon bestehenden Genossenschaft für jene Mitglieder des Werkes,
die ihr früher schon angehörten, die sich aber der speziellen Tätigkeit
zuwenden.
1212 |
Die geistige Ausbildung der Mitglieder des
Priesterwerkes soll sich in jenem Geiste vollziehen, die der Heiland in meinen
Schriften als Grundlage bezeichnet hat. Die Mitglieder des Priesterwerkes sind
auf der Grundlage des gemeinsamen Strebens nach dem vollen, vertieften Ideal
des Priestertums zu einer Einheit im gemeinsamen Leben zusammengeschlossen.
1213 |
Es soll aber nicht gleich als ein Werk der
Erneuerung des Priestertums gelten, sondern der Heiland wünscht es vorläufig
so: Wir stellen die Ausbildung unserer Priester auf diese Grundlage. Ein Teil
von uns wendet sich auf der Grundlage der speziellen Ausbildung ausschließlich
der Priesterseelsorge zu.
1214 |
Das Werk wird sich durch die Art und Weise
seiner Wirksamkeit selbst empfehlen und rasch zu dem vom Heiland gewünschten
Ansehen und einer umfassenden Wirksamkeit entwickeln.
1215 |
Der neue Teil soll nur dem General unterstehen
und die gegenseitigen Beziehungen bei einem eventuellen Übertritt streng
geregelt werden. Das Priesterwerk soll in seiner Wirksamkeit selbstständig
sein.
1216 |
Der Heiland wünscht den Schutz und die
Verantwortung durch die Obrigkeit eines schon fest bestehenden Ordens, weil ein
anfangendes Werk mit der genannten Tätigkeit allein nicht bestehen könnte.
1217 |
Heute Mittag in großen Leiden sprach ich in
der Kapelle zu Maria: „Mutter, sieh dein leidendes Kind, verlass mich nicht!“
Und sogleich erlebte ich ihre mütterliche Beziehung in mir. Ich fühlte mich
einbezogen in die mütterliche Liebe, mit der Maria den Heiland als ihren Sohn
umgab, und sie versicherte mir diese ihre ständige mütterliche Liebe infolge
der besonderen Absichten Jesu und meiner inneren Teilnahme an ihm. Ich schaute
auch Maria in Nazareth ständig an den Leiden ihres Sohnes teilnehmend, nicht in
der Weise, als ob sie das Erlöserleiden erlitten hätte, sondern im Mitfühlen
als die Mutter des Erlösers. –
1218 |
Wie könnte ich den Abgrund meiner inneren
Armut und Entblößung beschreiben? – Ich stieg89 ständig in mir
„herunter“ zu noch tieferer innerer Verdemütigung. Ich entäußere mich andauernd
all meiner früheren geistigen Güter und erlebe damit den Abgrund geistiger
Armut. Wo sind die Zeiten des reichen inneren Erfahrens Gottes, des inneren
Erlebens und Gesättigtseins im Heiland, wo ich in ständigem inneren Licht ganz
durchtränkt war von Jesus und seinen göttlichen Reichtümern? Ja, arm bin ich geworden,
innerlich so arm, dass es keinen Ausdruck dafür gibt. Es ist mir, als würde ich
ständig innerlich entkleidet; es wird mir alles weggenommen, nur mein nacktes
Leben bleibt mir; und ich leide so sehr unter meiner Armut, weil mir die Stufen
meiner Erniedrigung so sehr bewusst sind. Und ich bin gebunden in meiner
geistigen Armut und kann mich nicht rühren; ich muss mich so ertragen und davon
gesättigt werden. Ich habe ein großes Verlangen im Wissen um all die geistigen
Güter, die ich einst in mir besessen und genossen habe; ich möchte mich dahin
aufschwingen, nicht so sehr um jene Güter zu genießen, als vielmehr um meine
innere Armut damit zu bedecken.
1219 |
Und doch liebe ich auch meine gänzliche innere
Entblößung. Ich liebe meine Armut, aber im Gegensatz dazu erlebe ich den ganzen
Hochmut der Menschen, ihr Herabsehen auf mich. Alle stehen über mir, weil
niemand so arm ist, wie ich. Der Hochmut der Menschen und ihr schrankenloser
Selbstbesitz und ihre Selbstherrlichkeit drücken mich noch mehr nieder, weil der
zwischen uns liegende Abstand dadurch gleichsam noch vergrößert wird. Ich fühle
den Hochmut der Menschen wie Dornen, die mich innerlich verwunden, und ihr
Selbstbesitz drückt mich noch tiefer in den Abgrund meines Nichts. Ich habe
Ekel vor dem Hochmut und der Hochfahrenheit, und alle stellen sich über mich.
Und ich muss alles mit ansehen und erleben und bin innerlich gebunden und muss
mich so ertragen. – Das Einzige, was mich beruhigt, ist meine eigene, innere
Kampflosigkeit, das Leben der Reinheit, das ich innerlich lebe. Diese Reinheit
ist mein einziger Schatz, dieses eigene Freisein von allem Ungeordneten, von
jener inneren Zerrüttung, die sich auf alle Kräfte der Menschenseele erstreckt.
Alle Kräfte meiner Seele sind „frei“ geworden für andere Arbeit und andere
Leiden. Es ist wie ein neues Sein in mir, dem eine andere Aufgabe zugewiesen
wird, weil die eigene aufgehört hat.
1220 |
Mein inneres Leben ist ein ständiges
„Eingehen“ in die inneren Erlöserleiden Jesu, bzw. in Jesus, weil ich mit
seinen Leiden sein inneres Sein aufnehme. Ich durchgehe innerlich viele Stufen
des inneren Erfassens Jesu, für die man aber keinen Ausdruck findet, weil sich
alles in rein geistigem Erleben vollzieht. Ich meine aber, dass all diese nicht
ausdrückbaren Stufen des Eingehens in Jesus später durch das wirkliche Erleben
nochmals auftauchen und erfahrungsgemäß werden.
1221 |
Eigentlich erhöht sich täglich meine innere
Besitznahme von ihm oder vielmehr Jesus nimmt mich täglich mehr in Besitz;
jeden Tag verändert sich meine innere Stellung. Alles aber vollzieht sich in
Leiden, in leidvollem „Entblößtwerden“ von mir und meinen eigenen Einflüssen.
1222 |
Die innere Armut, mein ständiges inneres
Herabsteigen erklärt mir die tiefe Verdemütigung, in die der Heiland in seiner
Menschwerdung, in der Annahme der Menschheit, sich versetzt hat. Unter alle
Menschen ist er gleichsam herabgestiegen und hat sich freiwillig unter alle
Menschen gestellt wie einer, der allein ist in seiner Armut. So wenig bot ihm
eigentlich die Menschheit im Vergleich zu seinem früheren Besitz; so groß war
der Gegensatz der armen Menschheit zu seinem unveränderlichen göttlichen
Selbstbesitz, den der Heiland immer in sich besaß. Dies ist ein Geheimnis, das
man nur im Erfahren der Größe Gottes erfassen kann: das Herabsteigen Gottes
bzw. des Erlösers und das Vorliebnehmen mit der Menschheit. – Dabei ist zu
bedenken, dass ich trotz all der inneren Umstellung mich noch weit mehr in
meiner Menschheit besitze, als der Erlöser sich besessen hat, infolge des
unendlichen Abstandes und des Gegensatzes zwischen Gottheit und Menschheit. Das
Erkennen dieses Gegensatzes ist ein Geheimnis, für das es kein Wort gibt. – Die
ganze Menschheit „freut“ sich und bildet sich Großes ein im Besitz der armen,
sterblichen Menschheit; sie triumphiert im Selbstbesitz und stellt sich über
alles Göttliche. –
1223 |
Einschließlich dieses inneren Erkennens erlebe
ich mein eigenes Mit-heruntergenommen-werden in die volle Erlöserstellung Jesu.
Durch das erfahrungsmäßige Erleben des betreffenden Leidens gehe ich anscheinend
in Jesus ein; ich „übe mich“ im Ertragenkönnen des betreffenden
Leidenszustandes Jesu, befestige die Möglichkeit des Erlebens seiner Leiden.
Seine inneren Leiden stehen dabei meinem inneren Eindruck nach tief „unter“
meinem menschlich wahrnehmbaren Zustand bzw. seinem in mir bleibenden
Seelenzustand. Anscheinend gehe ich in seine erfahrungsgemäße Geisteswelt ein
und erlebe die Reaktionen seines eigenen Seelenlebens mit (weil ich damit den
Zustand des Menschen erlebe). – Ich gehe ständig aus mir heraus und in Jesus
ein und das geschieht mit vielen Leiden, aber diese Leiden sind nicht
sinnengebundene Leiden, sondern rein geistige; die Sinneswelt oder die
Gefühlswelt wird davon wie nicht berührt.
1224 |
Ich bin heute im inneren Erfahren der Leiden
Jesu in den Abgrund seiner Selbstentäußerung und Armut geführt worden. Ich weiß
und kenne nun die Art seiner Losschälung, das Aufgeben seines Besitzes und der
Ausübung und des Genusses seiner göttlichen Macht und Herrlichkeit, sein
Herabsteigen in die menschliche Enge und Armut menschlichen Daseins, seine
unaussprechliche Verdemütigung, die man nur dann annähernd begreifen kann, wenn
man in das Erfahren der Größe Gottes und seines göttlichen Seins einbezogen war.
1225 |
Durch das Erleben dieser inneren Leiden Jesu
bin ich passiv in den Zustand der Selbstentäußerung des Erlösers eingeführt und
wie daran teilnehmend geworden. Seine innere Armut war aber nicht die Armut von
einem, der nun nichts mehr besitzt oder besitzen kann, sondern es war die Armut
des freiwilligen Verzichtes auf den Gebrauch seiner göttlichen Güter für die
Zeit seines Erdenlebens. Infolge seines göttlichen Wesens konnte er ja nicht
auf den göttlichen Selbstbesitz, auf das ewige Recht seiner Gottheit verzichten.
Aber gerade die göttliche Wesenhaftigkeit ließ Jesus den ganzen Abgrund seiner
Entblößung und Erniedrigung sehen, weil es niemand gab, der von solcher Höhe
herabsteigen konnte. –
1226 |
Jetzt, nach diesem Erfahren, bietet sich mir
Jesus ständig an, dass ich diese Selbsterniedrigung in ihm, zur meinen werden
lasse. – Ich entäußere mich gleichsam, der führenden Gnade folgend, all meiner
geistigen Güter des Erkennens Gottes usw. und gehe leer in ihn ein, wie im
Austausch ihn dafür besitzend; jene geistigen Güter sind mir aber Weg und
Möglichkeit geworden, diese göttlichen Erlösergeheimnisse durch „ihn“, mit ihm,
wie an seiner Stelle und in seiner Person tiefer erfassen zu können.
1227 |
Trotz seiner geistig-menschlichen Armut besaß
Jesus sich in seiner wesenhaften Göttlichkeit, war aber durch seine
Menschwerdung angewiesen auf seine menschliche Kraft, in der seine göttlichen
Eigenheiten und Eigenschaften zur Auswirkung kamen und sichtbar wurden. Jesus
nahm seine göttlichen Eigenschaften sozusagen mit in sein menschliches Leben,
wo sie menschlich in Tugenden und Vollkommenheiten zur Entfaltung kamen. Durch
die Enge der menschlichen Natur jedoch beschränkt, konnte Jesus seine
göttlichen Reichtümer nicht „aufbrauchen“; sie konnten sich nicht dergestalt
entfalten, wie es seiner göttlichen Natur eigen war. Dieser Gegensatz zwischen
seiner göttlichen Unbeschränktheit und der Einschränkung durch die Natur eines
wahren Menschen brachte für Jesus das unaussprechliche Leiden seiner
menschlichen Armut und Erniedrigung. Dazu kam infolge seiner göttlichen
Allwissenheit und der von ihm übernommenen Erlöseraufgabe sein Sühnezustand.
1228 |
Adam wollte „emporsteigen“ und ist gefallen;
Jesus stieg „herab“ und löste damit den Zwiespalt in der Seele der Menschheit
und erwarb der erlösten Seele die Kraft, dass sie, die Verdemütigung Christi im
Glauben anerkennend, sich Gott unterwerfe und unterstelle. Der durch die Taufe
in Christus einbezogenen Seele wird diese wirksame Erlösergnade mitgeteilt.
1229 |
Seit einigen Tagen bin ich in einer inneren
Qual des Verlangens, ganz in Jesus aufgelöst zu werden. Alles in mir strebt dem
innerlich erfassten Ziele zu; das Ziel erlebe ich passiv in mir, kann aber noch
nicht ganz „dort“ bleiben, nämlich im Bewusstsein Jesu, das sich in meinem
Inneren ausbreiten soll. Wie alles sich geistig empfangend und wieder geistig
gebend vollzieht, so erlebe ich auch jetzt zugleich zwei Zustände: Das
Empfangen des Bewusstseins Jesu – was, menschlich ausgedrückt, in mir bis zur
letzten Entwicklung und Vollendung vorbereitet ist – und dann das eigene aktive
Bemühen, das unaufhörliche Hinstreben-müssen, das Sich-hinbewegen, das
Sich-klammern-wollen an diesen Zustand. Dies geschieht in einem Verzehren
meiner selbst; es ist ein leidvolles Mich-ganz-aufbrauchen, weil in mir nichts
mehr vorhanden ist, was genügen könnte, und das höchst erkannte Ziel in Jesus
sein durchglühendes Licht hereinwirft. Es ist wie ein wonniges Feuer in mir,
das glühend mich lockt, von diesem geistigen Feuerstrom aufgenommen zu werden
und darin unterzugehen. Es ist dies eine Glut des Verlangens ohne Worte.
1230 |
Es ist das im tiefsten Innern eigentlich schon
erreichte und genießbare Sein Jesu, das zur Vollendung drängt. Etwaige
Hindernisse müssen noch verzehrt und entfernt werden. – Ich weiß, wie sich meine
Zukunft im Heiland gestalten wird, denn ich lebe sie zeitweise schon voraus.
Dieses Erfahren lässt mich auch die Notwendigkeit dieser Leiden einsehen,
nämlich in Hinsicht auf die große Entscheidung, die sich daraus für mich
ergibt. Aber es ist doch der Herr, der zieht und lockt und das vielleicht noch
vorhandene Eigene im eigenen Verzehren auf ihn umstellt.
1231 |
Und immer wieder verlangt der liebe Heiland
den Glauben an seine Gnaden und Absichten. Immer wieder bin ich angeregt, ganz
und für immer auf mich zu verzichten, um ihn gänzlich zur vollen Herrschaft
gelangen zu lassen. – „Ja, Herr, ich glaube, dass 'DU' es bist. Ich verzichte
ganz auf mich; du lebst dann dein Leben; das meine verschwindet“.
1232 |
Ich bin eins mit ihm wie ein Atemzug, der ein
Leben belebt. Jesu Sein ist mir so geheimnisvoll und doch so klar und bestimmt
und sanft gegeben, nicht „fühlbar“, aber in einem schon teilweisen Erleben.
1233 |
Heute hat mir der liebe Heiland eine ganz
außergewöhnliche Gnade gegeben, die mich wieder näher zu meiner inneren
Vollendung führt: Er ließ mich an seiner göttlichen Liebe teilnehmen.
1234 |
Ich durchlitt schon in den letzten Tagen
Qualen eines passiven Verlangens nach einer höheren Art der Teilnahme an Jesus.
Heute Morgen war ich gleichsam ganz am Vergehen, um in ihm vollendet zu werden.
– Nach der hl. Kommunion war ich in großer Ruhe, in seine göttliche Liebe
getaucht, wie von einer inneren, geistigen Glut erfüllt; ich konnte aber nicht
begreifen, was das zu bedeuten habe. Da wurde mir in Erinnerung gebracht, was
Jesus mir vor Kurzem versprochen hatte: „Die Liebe kann sich in dir noch
steigern; ich lasse dich teilnehmen an meiner Liebe“.
1235 |
Ich war ganz durchglüht von der Liebe, die im
Herzen Jesu war und die durch ihn nun in mir ist. Das kann nur erfassen, wer
diese Liebe erlebt hat. Ja, „Gott ist die Liebe“ – und „daran haben wir die
Liebe Gottes erkannt, dass er seinen Sohn in die Welt sandte …“ und ich erlebe
und erfasse diese Liebe und eigne sie mir an durch Jesus, den ich in
unbegreiflicher Einheit lebe. –
1236 |
Und die Liebe sprach Worte der Liebe: Nimm
teil an meiner Liebe! – Die Liebe vollendet dich! – Die Liebe stützt dich! –
Die Liebe führt dich! – Die Liebe ergießt sich in andere Herzen. – Die Liebe
macht dich unveränderlich; sie versagt nie, weil sie alle Kraft in sich trägt.
– (Alle Worte der Liebe brachten eine entsprechende Wirkung in mir hervor).
1237 |
In dieser Einheit der „einen“ Liebe erklärte
mir Jesus die Liebe: In dieser Liebe hab ich einst meine Menschheit angenommen
und umfangen und sie damit befähigt für alle Leiden. Mit dieser Liebe nehme ich
dich in mich auf und umfange ich dich (d. h., ich war mit dieser Liebe in ihm
umfangen; wiederum brachte sein Wort zugleich entsprechende Wirkung hervor).
1238 |
Jesus hat mir aber erklärt, diese Gnade sei
nun nicht mit der einmaligen Mitteilung abgeschlossen, sondern sie stehe mir
jeden Augenblick zur Verfügung; ich lebe von nun an von der Liebe. Die Liebe
macht unveränderlich, wankt nie, und das soll die dauernde Wirkung sein. –
1239 |
Ich bin nun ganz Liebe geworden und lebe die
Liebe, die Jesus selbst ist. – Liebe sein ist Schlachtopfer sein. Die Liebe
macht in sich das Schlachtopfer aus; sie verzehrt sich selbst. – Es ist aber
auch eine Qual, die Liebe ertragen und ihre Gluten in sich bergen zu müssen und
sie nicht erklären zu können. Die Liebe will verstanden werden, möchte
überströmen, möchte alles erfüllen, drängt zum Weiterströmen. So ist das größte
Leiden, die Liebe in sich tragen zu müssen und sie nicht mitteilen zu können.
Dem lieben Heiland hat diese Liebesqual am Kreuze erdrückt!
1240 |
Und diese göttliche Liebe hat Jesu Menschheit
immer erfüllt. Welches Leiden für sein Herz!
1241 |
Der liebe Heiland versprach auch: „Wenn du der
Liebe folgst, kannst du nie irregehen. Die Liebe führt dich sicher ans Ziel.
Alles entfaltet sich aus der Liebe, (d. h., all meine Vollendung entwickelt
sich daraus)“. –
1242 |
Ich bin nun in mir ganz Liebe geworden, aber
sie spricht keine „Worte“, sie gibt, sie lebt ein Leben. Sie ist ungeteilt und
genügt sich ohne Worte, weil sie unaufhörlich gibt.
1243 |
Ich bin in großer innerer Ruhe. Meiner inneren
Führung nach gibt mir der liebe Heiland eine besondere Gnade der Befestigung in
seiner Liebe, in der Kraft ist für alles [sic!]. Jesus bietet sich mir ja
ständig gleichsam an: Alles aus ihm nehmen! Aus seiner Unerschöpflichkeit der
Liebe mir seinen Reichtum aneignen! – Er gibt mir dann die Gnade der dauernden
Befähigung und Befestigung des Verharrens in seiner Liebe, d. h. die Gnade,
seine Liebe dauernd ertragen zu können.
1244 |
Wer seine Liebe einmal erfahren hat, der kann
sie nimmer lassen. Sie hat Kraft zum Überströmen. Aus dieser Liebe kommt dann
die letzte Vollendung. Aber nur im Herzen der „Mutter“, der Mutter der schönen
Liebe! In Maria vollendet werden!
1245 |
Mein innerer Weg und Leitgedanke ist jetzt:
Ich überlasse mich der „Liebe“; ich opfere mich der „Liebe“.
1246 |
Seit der letzten großen Gnade, die mir Jesus mit
der Mitteilung seiner Liebe gegeben hat, lebe ich diese Liebe. Ich lebe von der
Liebe, die sich jeden Augenblick neu mitteilt und gibt; ich brauche sie nur
anzunehmen, sie mir anzueignen und damit zu leben.
1247 |
Jetzt, da ich mich vollständig verlassen habe,
kann ich die Liebe annehmen und vermag sie zu leben, weil sie nicht mehr
gestört wird durch meine Selbstliebe. Die Selbstliebe ist ja eine Feindin der
wahren Liebe, weil sie ihre eigene Befriedigung sucht. Die Liebe Gottes sucht
nur, was Gottes ist.
1248 |
Ich lebe die Liebe; damit lebe ich Jesus, den
Erlöser, weil er die (menschgewordene) Liebe ist. Sein „Wesen“ ist die Liebe
und so bin ich zum „Wesen“ Christi, zum göttlichen Zentrum der Liebe gelangt.
1249 |
Damit ist eine Änderung in meiner inneren
Führung eingetreten. Früher bot sich mir der Heiland an; er führte und leitete
mich. Jetzt bietet sich mir die Liebe an (die der Heiland ist). Es gibt aber
nur eine göttliche Liebe, die da ist in Christus. – Jeden Augenblick bietet
sich mir „die Liebe“ an. In ihr werde ich noch tiefer in das Wesen Christi des
Erlösers eingeführt. Die Liebe „nimmt mich mit“; sie gestaltet mich in „sich“
um, und sie will sich dadurch offenbar machen. Damit gehe ich einen anderen,
inneren Weg, den Weg der „Liebe“. Die Liebe teilt sich mir mit und will sich
dadurch „neu“ erkannt machen und mitteilen. Die „Liebe“ will überströmen und
die ganze Welt erneuern. Sie will wieder herrschend und zu einem reinigenden
Strome werden.
1250 |
Vor zwei Tagen schaute ich auch die Liebe der
Apostel zum Heiland. Sie hatten die wahre Liebe; sie liebten ihn wirklich,
hatten ihn gern, waren von ihm ergriffen. Diese ihre Liebe wurde zur Kraft für
all ihre apostolischen Erfolge und Leiden und Opfer. Nur in ihrer starken Liebe
lag, wie ich sah, ihr weltumspannender Erfolg. Immer wieder schöpften sie
Kraft, neue Kraft aus der Liebe. – Besonders schaute ich die Liebe bei Petrus.
Wie steigerte sich dessen Liebe nach seinem Fall, da er den Meister beleidigt
hatte in seiner schwachen Stunde!
1251 |
Ich schaute ferner: Der „Geist“ im Reiche
Gottes, in Gott selbst ist die Liebe. Der „Geist“ im irdischen Reiche Gottes,
in seiner Kirche, ist die Liebe. Wenn die Liebe verschwindet, dann verschwindet
der Geist Christi. Wenn der Mensch zu sich herabsteigt, verliert er die wahre
Liebe. Seine „Liebe“ wird dann zum Selbstdienst und ist keine wahre Liebe mehr.
Nur von Gott kommt die wahre Liebe, weil er die Liebe ist. – In Jesus aber hat
sich die Liebe „gezeigt“ und will sich wieder „neu“ zeigen; nicht als ob sie
neu wäre, sondern es ist immer wieder die alte, aber auch immer wieder die neue
Liebe, die sich im Erlösungsgeheimnis gezeigt hat, die nun neue Tiefen zeigen
und die Grundquellen der Liebe überströmen lassen will.
1252 |
Seit der gnadenvollen Mitteilung seiner Liebe,
die mir der liebe Heiland gewährte, hat sich mein Innenleben geändert; es ist
ganz beherrscht von Jesu Liebe, die in seinem Innern das Beherrschende war. Ich
bin eingehüllt in seine Liebe; ich lebe ihn als „die Liebe“, von der ich
getragen und umgeben bin. Und in seiner sich mir mitteilenden Liebe erlebe ich
sein Sein.
1253 |
Die göttliche Liebe, die Jesus den Menschen
mitzuteilen kam und die sich in seinem Leben und Leiden zeigte, ist in ihm das
beherrschende, göttliche Element. Das wirkliche, göttliche „Liebe-sein“ hat für
den Heiland auch in gewissem Sinne alle Härten und Schärfe seines Erlöserlebens
gemildert; es hat zwar nicht die „Leiden“ weggenommen, aber seine göttliche
Liebe wurde zur Kraft, die ihn alles „gerne“ leiden ließ, weil es eben der
Liebe eigen ist, ein freiwilliges und bereites Opfer zu sein.
1254 |
Die Liebe wurde in Jesus zur tragenden und
treibenden Kraft und Fähigkeit. Die Liebe drängte vorwärts; die Liebe drängte
zur Menschwerdung, zum vollen Schlachtopfer-sein für die gefallene Menschheit.
Der Heiland stand ganz unter seiner göttlichen Liebesgewalt, die nur zu dem
Zwecke vom Vater ausging, um die göttliche Liebe zu offenbaren. Die
Erlöserliebe machte darum in sich sein größtes Leiden aus, weil sie
unaufhörlich „drängte“ sich „mitzuteilen“, sich zu opfern, diese Liebe zu
„beweisen“. Sie achtete nicht der „Leiden“, sie fand ihre höchste Befriedigung
darin, zu opfern und zu leiden und sich aufzubrauchen. Die Liebe Jesu konnte
auch trotz allen erlittenen Undanks nicht verbittert oder menschlich verletzt
werden, wie es sonst auch die edelste irdische Liebe sein kann. Die göttliche
Liebe des Erlösers, die zugleich unendlich barmherzig ist, kann nicht von
Verbitterung, sondern nur von seiner göttlichen Gerechtigkeit, wenn es diese
verlangt, bestimmt werden sich abzuwenden. Es wurde mir innerlich der Vergleich
gezeigt: Wie die Sonne in sich nur Feuer und Glut ist, so ist das Wesen Gottes
nur Liebe, barmherzige Liebe. – Ich schaue Jesu Erlöserleben ganz eingehüllt in
die göttliche Liebe, nein, es ist vielmehr „Liebe“, er selbst ist die Liebe. Es
gibt keinen menschlichen Ausdruck für die „Liebe“, die zum Erlöser geworden
ist; es ist die unendliche Liebe.
1255 |
Ich erlebe den Heiland, seine göttliche Liebe,
nicht gefühlsmäßig oder sinnnennmäßig, sondern geistig, sie erfassend und
durchdringend. Ich erlebe ihre sanfte Gewalt, die alles erfüllt und überwindet,
die zu allem befähigt und die nie endet, die immer gleiche, weiterströmende
Kraft in sich trägt, weil es eben die göttliche Liebe ist, die unendliche
Liebe. Mein Inneres ist erweitert, um diese unendliche Liebe als „unendlich“
erfassen zu können. Im gewöhnlichen Zustand könnte man das nicht, weil der
Mensch für gewöhnlich nicht die Liebesfähigkeit besitzt, um die unendliche
Liebe erfahren zu können; die Liebe würde sein Herz erdrücken. Infolge der
letzten großen Gnade aber habe ich diese göttliche unendliche Liebe „erfahren“.
Mit ihm habe ich sie in mich aufgenommen, soweit er es mir zugedacht hat, weil
er mich stützt und befähigt und diese unendliche Liebe von seiner Kraft getragen
wird.
1256 |
Innerlich so von seiner Liebe befähigt, werde
ich von Jesus seit einigen Tagen einen neuen Weg geführt: Mein Innenleben,
meine Erlebnisse und mein Erfahren um ihn tritt nun ganz zurück. Sanfte, innere
Bewegungen lassen alles dies ganz zurücktreten, es entsteht eine große Stille
und Leere – und es dämmert dafür Jesu Sein auf. Das ist ein Erleben, für das es
keinen menschlichen Ausdruck gibt. Wie die Sonne sich morgens erhebt und ihre
Strahlen voraussendet, alles vergoldend, so erhebt sich Jesu Sein in mir und
breitet sich belebend aus, wie die Sonnenstrahlen sich belebend ausbreiten über
die dunkle Erde. Mit dem Erheben seines Seins verschwindet das Meine. Aber
diese Sonne, Jesus, will in mir sich ein bleibendes, dauerndes Sein
ermöglichen; darum lässt mich Jesus schon im Voraus Teil für Teil erleben. –
Armes, menschliches Wort!
1257 |
Heute, am Fest der Himmelfahrt Jesu, ist sein
Erstehen in mir noch stärker und inniger. Ich schaute innerlich, wie Jesu
irdisches Erlöserleben, und seine Aufgabe, vollendet ist und er heimkehrt zum
Vater. Da fragte mich der liebe Heiland: „Willst du nun mein Leben, mein
inneres Dasein fortsetzen?“ Zugleich bot er es mir an. – Ich bot mich ebenfalls
an, ihn erleben zu wollen, sein inneres Sein fortzusetzen, bereit zu sein für
das, was er mir jeden Augenblick anbietet und zur Verfügung stellt. Es ist aber
unsagbar.
1258 |
Ständig überstrahlt mich Jesus; er belebt sich
in mir und führt sich selbst zur gänzlichen Herrschaft. Ich trete damit ständig
zurück und überlasse ihm meinen Platz. Aber Jesus bedeutet mir immer wieder:
„Es wird für immer sein“. – Ich werde damit in sein inneres Dasein eintreten,
das ganz einfach, wie selbstverständlich, das meine sein wird; ich weiß schon,
wie es sein wird: Ich unterstelle mich ihm ganz und seine Person beherrscht
mich. Ich kann dann sein inneres Dasein ebenso wenig austilgen, wie jetzt das
meine – ohne besondere Gnade – weil es eben dann gleichsam mein Wesen ist.
Jesus will halt nochmals gelebt sein, damit es die Menschen erfahren, wie sein
inneres Leben war.
1259 |
Ich bin in großem Frieden und alles vollzieht
sich geistig in unsagbarer Stille.
1260 |
Gestern war ein schwerer Tag voll unsagbarer
Leiden. Alles in mir war wie im Zerbrechen. Arm, ohne jede Stütze, verdemütigt,
aussichtslos scheinend die äußere Lage und dazu die inneren Leiden: es gibt
keine Worte für all dies!
1261 |
Und doch war ich dabei in tiefem Frieden: Nur
zu, nur zu! – Möge alles zerbrechen! Ich habe doch nie eine besondere Gnade
gesucht; ich habe auch kein Recht, diese zu behaupten. – Alles in mir drängte
trotz der heftigen Leiden vorwärts, irgendwohin. Das Ziel aber wusste ich
nicht, weil alles im Dunkel lag.
1262 |
Heute Morgen war alles ganz anders. Ich
brauchte mich um nichts bemühen. Ich war ein anderer geworden, ganz in sich
abgeschlossen und beherrscht von einer anderen Kraft, die aber die meine ist,
die ich selber bin. Alles aber in unsagbarer Einfachheit. Es scheint nicht der
Heiland – ich weiß eigentlich jetzt nichts um ihn – und doch lebe ich ihn. Es
ist so. Wenn ich sagen würde: Ich bin von ihm erfüllt, so stimmt das nicht,
denn ich spüre kein Erfülltsein. Wenn ich sagen wollte: Ich bin mit ihm
vereinigt, so entspräche das nicht der Einfachheit der Wirklichkeit. Wie das
Wasser in sich das Wesen des Wassers hat, das Feuer das Wesen des Feuers, so
einfach lebe ich Jesu Sein, nicht vereinigt, nein, gegeben wie mein Sein und
Wesen.
1263 |
So wie eine Wasserquelle aus der Tiefe der
Erde quillt und Wasser spendet, ohne Bemühen und wie ganz natürlich, so ist
eine geheimnisvolle Quelle in mir, die unaufhörlich gibt. Ich spüre aber kein
Geben, sondern es ist alles da; ich brauche nicht zu nehmen, denn es ist alles
da und ich brauche es nur zu sein; und ich bin es ohne Bemühen, denn es ist
gegeben. Jesus ist mir gegeben. Ich lebe aus dem gegebenen Sein Jesu.
1264 |
Welch unsagbare Ruhe! Es ist mir wie jemand,
der ausgekämpft hat, der alles im Überfluss hat und doch wieder so klein und
einfach sich fühlt, jeden Augenblick ohne Mühe empfangend, alles ohne Bemühen
besitzend.
1265 |
Jetzt, am Abend, bin ich wieder im Leiden,
während der oben beschriebene Zustand bleibt. – Möchte ich für immer befestigt
sein in diesem göttlichen, mühelosen Sein! Doch es drängt in mir noch weiter,
weiter. –
1266 |
Mein Inneres könnte ich mit einem uferlosen
Meer vergleichen. Meine Seele ist wie ein Wassertröpflein im Meere göttlichen
Seins gleichsam aufgelöst worden, ist darin untergegangen und ist nun nicht mehr
vorhanden. In Jesus bin ich untergegangen und er ist alles in mir geworden.
Ich, d. h. mein Sein, ist in der Fülle seines Wesens zerflossen und es ist
alles nur Fülle des Lebens (nicht des „Erlebens“, denn das wäre zu wenig
gesagt).
1267 |
Das „Leben“ drängt aber fortgesetzt zu
größerer Fülle, die es grenzenlos in sich trägt. Es hat alles in sich, empfängt
nichts, weil es die Quelle alles Lebens ist. Man kann auch dieses „Leben“ nicht
beschreiben oder erklären – es müsste die Fülle Gottes „erfasst“ sein; es muss
„erfahren“ werden.
1268 |
Es ist ein friedvolles Gesättigtsein, das aber
nie genug hat und zu immer höherer und tieferer Vollendung des „Durchlebens“
jenes Lebens drängt. Das ist ja mein eigentliches, inneres Ziel: Das göttliche
Leben Christi, des Erlösers, leben, und zwar in seiner Person wie in der
meinen, wie wenn es die meine wäre. Und in seine Person bin ich nun aufgenommen
und ich werde durch die führende Gnade darin geübt, sie dauernd ertragen zu
können. Das Wassertröpflein, mein einstiges Ich, findet sich nun nicht mehr,
hat seine Kraft verloren und es herrscht die Fülle des grenzenlosen Meeres.
1269 |
Alles dies sind nur schwache Vergleiche für
mein Innenleben. Was die Seele so klar und unabänderlich erfährt, kann der Mund
nicht aussprechen. Das menschliche Wort hat keinen Ausdruck für göttliches
Erfahren und für das Durchdringen göttlichen Wesens, wofür die Seele geschaffen
ist, was sie aber nie in Worte kleiden kann.
1270 |
Ich überlasse alles, was meine innere
Vollendung anlangt, ganz dem Heiligen Geiste. Er hat das Herz Jesu in Maria
gebildet; Jesus in mir muss auch sein Werk sein.
1271 |
Heute habe ich eine große Gnade vom Heiligen
Geiste empfangen: „Die Gnade der geistigen Befestigung für meine gottgegebene
Aufgabe“.
1272 |
Ich wollte mich auf das hl. Pfingstfest recht
gut vorbereiten durch möglichst vollkommene Treue gegen die innere
Gnadenführung. Ich überließ mich gänzlich dem „Leben Jesu“ und dessen geistigem
Wachstum in mir. – Heute Morgen, nach der hl. Kommunion wurde ich innerlich von
einer noch nie erlebten und gefühlten, geistigen Kraft ergriffen, aber in der
einfachsten Weise. Sacht und still war ich in mir ganz umgewandelt. Eine nie
erlebte Kraft und Mut kam über mich und darin erkannte ich klar meine innere
Aufgabe.
1273 |
Es wurde mir innerlich erklärt: „Heute wird
auch der Kirche durch dich große Gnade geschenkt.“ – Ich schaute dabei die
großen Gnadenwirkungen des hl. Geistes in den Aposteln am hl. Pfingstfest und
deren Befähigung für ihre apostolische Sendung. – Es wurde mir eine geheimnisvolle
geistige Umwandlung zuteil, die ich in Worten nicht erklären kann, deren
Wirkungen aber in mir unabänderlich bestehen: Ich bin nur Kraft und Mut und
Hingabe für Jesu Absichten in mir sowie für das äußere Anliegen. Die Ausführung
und Erreichung dieses Zieles braucht und duldet kein Bedenken meinerseits,
sondern steht fest in mir. Ich bin von einer großen geistigen Kraft getragen.
1274 |
Im Laufe des Vormittags wohnte ich noch
mehreren hl. Messen bei. Während der letzten hl. Messe erkannte ich besonders
klar meine „geistige Sendung“, die mir gezeigt wurde, und bei der hl. Wandlung
wurde mir innerlich die „Gnade der Befestigung für meine Sendung“ zuteil. Es
war ein rein geistiger Vorgang, der sich in Worten nicht beschreiben lässt. Ich
schaute das Wirken der drei göttlichen Personen: Der Vater hat alles
erschaffen; das Wort, der Sohn ist Fleisch geworden und hat alles erneuert; der
hl. Geist hat alles befestigt und geheiligt. Es war mir dieses Erkennen der
drei-persönlichen Wirksamkeit so unglaublich nahe und begreiflich. Ich sah und
fühlte mich einbezogen in diese dreipersönliche Wirkkraft, insbesondere durch
die geistige „Sendung“, die mir vermöge der Gnade übertragen wurde. Ich hatte
die innere Versicherung: „Stets wird der Heilige Geist mein Führer sein, weil
meine Sendung die geistige Erhöhung und Heiligung der Kirche betrifft.“ – Ich
schaute die streitende Kirche, sich durch Seelen „erneuernd“, die Gott zu
diesem Zweck gesandt hat. Alle Heiligen hatten daran irgendeinen Anteil und
eine besondere Sendung, sei es in dieser oder in jener Weise; alle stützen und
tragen das Gebäude der Kirche mit; jedes von Gott verliehene Charisma hat eine
besondere Bedeutung für das innere Leben der Kirche. – Ich schaute und erkannte
die ungeheure Menge jener frommen und starken Seelen, die hienieden nie genannt
werden, die aber großen geistigen und erneuernden Einfluss haben auf das
geistige Leben in der Kirche. Ich erkannte und schaute die große Einheit und
Zusammengehörigkeit in dem „einen“ Wirken des hl. Geistes in der Kirche. – Dann
schaute ich die triumphierende Kirche im Himmel, wo all diese verborgenen
Gnadenwirkungen offenbar sein werden, und der geistige Einfluss und die
Bedeutung der inneren Mitarbeit der einzelnen Seelen klar sein wird. – Mit
diesem Einblick in das Wirken des hl. Geistes habe ich wirklich große Gnaden
empfangen in der Kapelle des Carmelo del Sacro Cuore.
1275 |
Es wurde mir auch gezeigt: Alles, was Gott
jetzt im Verborgenen wirkt und grundlegt, wird ein anderer äußerlich ausführen
(H. P. B. Ich sah ihn innerlich ähnlich vom Heiligen Geiste geführt und dazu
befähigt. Es sei eine Führung in einem Geiste). So wird die Gnade Gottes
fruchtbar werden.
1276 |
Der Heiland91 will das Priesterwerk
gegründet haben, das der hl. Kirche eine große geistige Erneuerung und Erhöhung
bringen wird.
1277 |
Es wurde mir auch erklärt: „du bist innerlich
so weit durch die Gnade vorgeschritten, dass beides, die innere und die äußere
Aufgabe, sich zu einer Entscheidung entwickeln kann.“ Die innere Aufgabe ist
das Erleben des Erlöserlebens, die äußere: die Veranlassung und Gründung des
Priesterwerkes.
1278 |
Ich bin in mir nur Kraft und Mut und
Zuversicht betreffs der Absichten Gottes. In einer ähnlichen Stimmung mochten92
die Apostel gewesen sein am ersten Pfingstfest. Sie waren ihrer Aufgabe sicher,
denn zu klar war ihnen die Wirkkraft des hl. Geistes, und die damit gegebene
wirksame Gnade, als dass sie Bedenken haben oder zweifeln konnten.
1279 |
Gestern hat mir der hl. Geist große Gnaden
gegeben durch die „Befestigung meiner geistigen Sendung und Aufgabe“, wie mir
die Gnade innerlich genannt wurde.
1280 |
Heute Morgen wurde mir die Ausdehnung und
Wirkung dieser Gnade noch tiefer erklärt. Nach der hl. Kommunion war ich tief
in Jesus. Sein inneres Sein war mir ein geistiges Meer, in das ich aufgenommen
bin und das mir zum ständigen Aufenthalt wird. Ich bin ganz in Jesus aufgelöst,
von ihm getragen und belebt. Weit ab von mir selbst, von meinem eigenen Sein,
bewege ich mich in ihm. Und der liebe Heiland ließ mich klar erkennen und
vorauserleben: In diesem inneren Zustand, weit ab von mir, wird mir sein Sein
zum Erleben. Er ist das Schiff, das mich auf diesem geistigen, uferlosen Meere
trägt, und das Schiff ist zugleich der Steuer- und Fährmann, von dem es geführt
wird. Ich bin darin aufgenommen und bin Erleber und Erleider seines inneren
Wesens als Erlöser. Ich überlasse mich ihm ganz zu diesem Zweck.
1281 |
Ich sehe voraus: Nie mehr werde ich das Ufer,
mein eigenes Sein, betreten, das für mich ein verlassenes Land ist. Immer werde
ich mich in seinem Leben bewegen (nur mit diesem Vergleich kann ich
einigermaßen diese inneren Erlebnisse schildern, die man nie vollständig in
Worten ausdrücken kann). Aber wie merkwürdig schwach ist da die arme Seele! Es
ist wahr: Der Ertrinkende hält sich an einen Strohhalm und meint, daran eine
Hilfe zu finden. So ähnlich war auch mir im ersten Augenblick, als ich von
Jesus so weit hinaus in sein Sein geführt wurde und mir von ihm bedeutet wurde,
da würde nun für immer mein Aufenthalt sein. Ich meinte, versinken zu müssen,
weil ich die eigene Stütze – auf mich selbst – nicht mehr habe.
1282 |
Unwillkürlich wollte die Sorge aufsteigen: Ja,
dann kann ich für mein Innenleben nichts mehr tun, kann mich nicht mehr darum
bemühen, und das scheint zunächst ein Verlust als Aufgeben der eigenen Freiheit
und des eigenen Bemühens. – Aber allsogleich übernimmt Jesus alles und ich
übergebe mich ihm ganz mit allen kleinlichen Sorgen um mich. Er übernimmt mich
nun ganz und es überkommt mich eine stille Geborgenheit und selige Ruhe in ihm.
Ich bleibe nun ganz dort in seinem tiefen Sein. – Es wurde mir aber auch eine
besondere geistliche Hilfe versprochen.
1283 |
„Nie mehr zurück, lieber Heiland“, bettelte
ich – ohne Worte, denn in Worten kann ich nichts zu ihm sagen. Es vollzieht
sich alles in rein geistigem Verstehen, aber umso inniger. – Ich überlasse mich
dem Meere, dem Schiffe und dem Fährmann für alles, was ich dort erleben und
erleiden werde; denn ich weiß, dass „du“ es bist; ich kenne dich!
1284 |
Dieses vollkommene Übernehmen Jesu, das
Untergehen in ihn vollzieht sich heute fortwährend in mir. – Mittags war ich in
der Kapelle und sogleich war Jesus tätig in mir und erklärte mir meine geistige
Zukunft: In ihn aufgenommen, werde ich zum Erleider seines inneren Wesens als
des Erlösers; es steht mir alles unmittelbar bevor. Durch seine Gnade bin ich
innerlich so weit, „dass ich nicht mehr umkippen kann“. Dazu sei mir die Gnade
der Befestigung gegeben, für die ich in der Vorbereitungszeit befähigt wurde.
Ich sehe mich in seinem Sein befestigt und damit für meine innere Aufgabe
befähigt.
1285 |
Es ist ein unsagbarer Friede und eine
unaussprechliche Stille in mir infolge des Losseins von mir selbst; denn in
Jesus gibt es nur Friede, Ruhe, Zuversicht und Geborgensein. Mein Leben scheint
mir „vorüber“ und für alles, was ich verlassen habe, finde ich in ihm reiche
Entschädigung. Es93 sind so grobe und trockene Worte, die man für
diese rein geistigen Vorgänge und Gnaden gebrauchen muss. Jesus aber macht
alles so sanft und still und zart und ich verstehe ihn so gut und kann auch so
sanft mit ihm umgehen und verkehren; und alles dringt an sein Herz und alles
wird mir in seinem Herzen durch Antwort erwidert und ich verstehe alles so gut.
Unser Verhältnis ist eigentlich ganz „wortlos“ und doch so verstehend. Es ist
ja nur Eines und in dem „Einen“ gibt es keine Grenze. Es vollzieht sich alles
rein geistig.
1286 |
Ich bin nun
dort, an dem Punkte, der meinem Innenleben als Ziel gesetzt war, eigentlich am Anfang
des letzten Zweckes aller bisherigen Gnaden. „Mütterchen“ hat alles gemacht.
Gerade in ihrem Monat habe ich ihr das Erreichen dieses Zieles übergeben und
sie hat nun alles gemacht mit ihrer mütterlichen Güte und Treue!
1287 |
Ich bin, wie mir scheint, unmittelbar vor
meinem geistigen Ziele. Seit gestern früh ist mein inneres Leben ganz
umgestellt: Ich bin und bewege mich unmittelbar in Jesus. – In Jesus! Wie
könnte man das genügend erklären? Dies umfasst in einer Reinheit alle früheren
inneren Aufstiege zur Vereinigung mit dem Heiland, all die tiefen Erlebnisse
des Erfahrens Gottes und des Erfassens und Durchdringens seines göttlichen
Geistes sowie das durch wiederholtes Erfahren erlangte Wissen um die
Eigenschaften und Liebenswürdigkeiten Jesu, das Einbezogensein und das
teilweise schon erfahrungsmäßige Miterleben seines inneren Erlöserlebens. Wie
in einem großen Kreis ist alles dies eingeschlossen. Und immer „enger und
kürzer“ – so möchte ich mich ausdrücken – drängt sich alles zusammen, weil die
erfahrende und schauende Seele mit dem höheren inneren Aufstieg alles rascher
und kürzer erfasst und begreift und weil alle seelischen Vorgänge sich in
großer Vergeistigung abspielen. Man ist eingeführt in das Wesen Gottes bzw. des
Erlösers. Eine Gnade bildet eine weitere Stufe und zugleich eine Möglichkeit
für die nächstfolgende Stufe, die zudem in der bestehenden Stufe vorbereitet
ist. Da treten so wunderbar die Eigenheiten unserer Seele zutage, die, befähigt
durch die Gnade Gottes, eindringen kann in die tiefsten Geheimnisse und
Eigenschaften Gottes, wenn sie genügend befreit ist vom Joch der Sünde und wenn
sie damit ihre ursprüngliche Freiheit wiedererlangt hat, in der sie von Gott
geschaffen wurde. Die Seele ist für unendliches göttliches Erfahren und
Erfassen Gottes bzw. für innere Teilnahme an ihm angelegt. Durch diese Anlage
der Seele lassen sich alle mystischen Gnaden erklären und darauf müssen sie
auch zurückgeführt werden, soll dem Schöpfer damit die wahre Ehre und als
letzter Zweck die Verherrlichung werden.
1288 |
All die „formellen“ Arten des inneren Verkehrs
mit dem Heiland haben bei mir schon längere Zeit aufgehört; das ganze innere
Erleben ist in „wortloses“ geistiges Verstehen übergegangen. Es gibt in
gewissem Sinne keine „Akte“ mehr, sondern man „nimmt“ das innerlich durch Jesus
bzw. durch die Gnade Gebotene, weil die Seele ganz fein inspiriert und
feinfühlig ist, wenn sie treu mit der Gnade mitwirkt. Sie nimmt sofort jede,
auch die feinste Gnadentätigkeit auf. In diesem Sinne bietet mir Jesus selbst
alles mit sich; die Seele erfasst, begreift, durchdringt Jesus ohne Fragen oder
Bemühen und lässt sich ungehindert „mitnehmen“ in sein tiefstes Wesen und Sein.
Sie „empfängt“, „nimmt auf“ und gebraucht das Gebotene; sie ruht im
„Gegebenen“, wird davon stark und von der Liebe des Gebers überzeugt. Sie
durchdringt die Person des Gebers und wird von ihr erfüllt und gesättigt; sie
erwidert das Empfangene und lässt sich gern und willig alle Hindernisse
wegnehmen, die einem höheren Eindringen in Jesus noch im Wege stehen. Es gibt
hierin für die Seele nur mehr ein „Ja“, auch wenn die Auswirkung schmerzlich
fühlbar wird, dann, wenn Gott selbst für die Seele zum läuternden Feuer wird
und sie befreit von allen Hindernissen.
1289 |
Ich bin nun unmittelbar in Jesus mich bewegend
und lebend. Früher waren es seine Eigenschaften, Leiden und Erlöseropfer, die
ich lebte; jetzt lebe ich alles in seiner Person. Der Funke ist gleichsam im
Feuer selbst zum Feuer geworden, ist nun ein Feuer und erlebt in sich einen
Prozess des Brennens. Es ist dies das Stadium, das mir schon so lange als Ziel
vorausgezeigt wurde. Durch diese Art der Einheit wird das Erleben seiner Person
bzw. seiner Erlösertätigkeit möglich sein; es ward damit zum eigenen Erfahren,
wie in der eigenen Person.
1290 |
Trotz aller Leiden, die läuternd in mir tätig
sind, bewege ich mich in großem Frieden in Jesus. –
1291 |
In unaussprechlichen inneren Leiden entwickeln
sich merkwürdige Vorgänge in mir. Es scheint, dass die Seele so sehr vom
Körperlichen gelöst wird, dass sie sich nicht mehr auf dem gewöhnlichen Wege
durch die menschlichen Sinne betätigt und94 diese infolge ihrer
Veranlagung nötig hat. Die inneren Leiden scheinen jetzt auf das Ziel
hingerichtet zu sein, dass sich die Seele rein geistig betätigt und frei wird
von der Tätigkeit der Sinne, die als Hemmung für ihre Aufgabe empfunden wird.
1292 |
In gewissem Sinne richtete sich mein Inneres
schon jahrelang darauf hin; es wurde mir dies auch oft in Gnadenstunden
vorausgezeigt. In diesen Tagen aber, und besonders heute wird mir diese innere
Richtung und Führung bewusst, und ich merke bereits die sich daraus ergebende
Änderung in den inneren Seelenvorgängen.
1293 |
Dadurch vollzieht sich die Einheit mit Jesus,
ich möchte sagen „kurz“, direkt, unmittelbar, auf schnellstem, einfachstem
Wege. Der seelische Umweg über die Sinne wird ausgeschaltet und die Seele ist
unmittelbar in Jesus aufgenommen. Dadurch wird die vollkommene Einheit in ihm
hergestellt. Ich selber werde dadurch gleichsam „abseits gestellt und nebenan
gelassen“; die Seele, das rein geistige Sein in mir geht in die Geisteswelt
Jesu ein.
1294 |
Es entstehen damit eine unmittelbare Einheit
und eine unmittelbare Aufnahmefähigkeit für Jesu inneres Wesen, worauf alles in
mir hingerichtet und hingeordnet wird.
1295 |
Die inneren Leiden, die das vollends
ermöglichen sollen, sind ein ständiges Sterben, ein schmerzliches Totleiden der
Betätigung durch die menschlichen Sinne und durch die niederen
Seelenfähigkeiten.
Abends:
1296 |
Ja, es ist so; die letzte Trennung von mir
bzw. die höchste Stufe des Eingehens und des vollkommenen Aufgenommenwerdens in
Jesus vollzieht sich in der Ausschaltung jeder seelischen Betätigung durch die
Sinne. Meine Seele wird freigemacht von dieser Art des Erkennens und
Betätigens, die für gewöhnlich notwendig ist, die aber für meine Aufgabe eine
„Hemmung“ wäre. Die jetzigen inneren Leiden gehen darauf hinaus, das
„Hindernis“ der Betätigung über die Sinne zu beseitigen, ähnlich wie früher
schon die Betätigung der Fantasie ausgeschaltet wurde. Sonst betätigt sich die
Seele auch in ihren höchsten Akten noch auf dem Wege über die Sinne; auch der
Weg des höheren Verkehrs mit Gott in den mystischen Gnaden geht über die Sinne
und dann darüber hinaus. Dieser Mittelweg wird in den jetzigen Läuterungsleiden
weggeräumt und ausgeschaltet.
1297 |
Die Einheit mit dem Heiland ist ja schon
vorhanden, aber das direkte Aufnehmen bzw. Miterleben seiner Geistestätigkeit
erfordert zuerst noch die Entfernung der besagten Schranken. – So klar ich auch
diese inneren Vorgänge erlebe, so unmöglich ist es mir sie in Worten
auszudrücken.
1298 |
Durch die Entfernung bzw. das Entbehren-können
der durch die Sinne der Seele gebotenen Hilfsmittel geht das innere Miterleben
Jesu des Erlösers in rein geistige Gebiete über, in eine unmittelbare Einheit
mit Jesus. So habe ich es auch vor einigen Tagen im Voraus geschaut bzw.
probeweise erlebt. Meine Seele „überspringt“ mich – um mich annähernd
auszudrücken –, geht ganz über mich hinaus und findet in Jesus höheren Ersatz
für das Verlassene und für die frühere Art des Erkennens und Erlebens, wo die
einzelnen Elemente durch die Sinne zugeführt wurden. Die Erlebnisse des
Erlöserseins Jesu werden unmittelbar zu Erlebnisakten meiner Seele, als eigene
mir95 bewusst. Das eigene Produzieren jener seelischen Akte, die in
mystischen Gnadenzuständen mittels der Sinne, mithilfe der Gnade und des
Einströmens des Erfahrens Gottes und göttlicher Dinge sich entfalten, wird in
Zukunft bei mir aufhören und ausgeschaltet sein. Damit wird jede „Einmischung“
meinerseits unmöglich gemacht und wird meiner Seele durch diese höchste
Vergeistigung eine unmittelbare Aufnahmefähigkeit geboten.
1299 |
Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem
Mitfühlen und Miterleben einerseits, und anderseits dem Erleben als eigenem
Erfahren. Durch die Betätigung der eigenen Sinne, die ein Erlebnis in der Seele
bewusst werden lassen, wird das Erlebnis zum eigenen und ein Erlebnis des
Eigenen, auch wenn es sich um Übernahme der Erlebnisse eines anderen handelt.
Es ist ein eigenes Produzieren durch Mitfühlen, Miterleben, Übertragen des
anderen. Jener innere Vorgang wird nun aber bei mir ganz auf unmittelbares
Erfassen Jesu umgestellt. Meine Seele nimmt sofort als eigenes Erleben jenes
der Person Jesu auf.
1300 |
Es werden für eigene, persönliche Erlebnisse
jene Erlebensfähigkeiten ausgeschaltet, die ein von innen oder von außen
kommendes Erlebnis gleichsam der Person, der beherrschenden Kraft im Sein der
Seele, zuführen und damit ein Selbsterlebnis als eigenes Produkt veranlassen.
Jene Fähigkeiten werden hinübergeleitet und unmittelbar empfänglich gemacht für
die Erlebnisakte Jesu, sodass ich seine Affekte, Stimmungen, Leiden, als die
meinen aufnehmen kann. Die geistigen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Erlebens
finden dann im Heiland und nur in ihm ihre Betätigung. Es ist eben eine
merkwürdige Tatsache, dass ich für mich persönlich nichts als Selbsterlebnis
oder eigenen Genuss erleben kann.
1301 |
Was bei mir ausgeschaltet wird, all die
Fähigkeiten, die sonst ein eigenes persönliches Erlebnis hervorrufen und
hervorbringen, werden mir in Jesu Sein ersetzt werden. Die früheren eigenen
Erlebnisse werden dann gleichsam miterlebnisfähig gemacht werden, sodass ich
die Dinge, die mich betreffen, zugleich mit denen des Innenlebens Jesu erfassen
kann, aber nur durch Jesus. Insofern wird es nicht ein ekstatisches Leben sein,
wo ich für meine Bedürfnisse ausgeschaltet wäre, sondern es wird alles normal
scheinen und bleiben. In bestimmten Anlagen bin ich schon über mich hinaus, bin
und bewege ich mich in Jesu Geisteswelt; sie kann sich aber infolge meiner noch
unfertigen Umstellung nicht ganz auswirken.
1302 |
Heute bin ich in großem Frieden, aber wie ohne
geistigen Stütz- und Anhaltspunkt. Im Augenblick der hl. Kommunion hörten alle
Leiden auf und „es war eine große Stille“. – Ich scheine mich so vollständig
verlassen zu haben, wie es mir für diese Stufe als Ziel gezeigt wurde. Doch
kann man dies selbst nicht beurteilen, und es könnte auch eine geistige
Ruhepause sein. Ich hänge aber nicht mehr an den früher bezeichneten
„Hindernissen“, und erlebe volle geistige Einheit mit Jesus. –
1303 |
Der liebe Heiland führt mich innerlich immer
weiter. Er führte meine Seele „abseits“ von mir, einer rein geistigen
Betätigungsmöglichkeit zu. Die Auswirkung dieser inneren Führung war
merkwürdig: Ich war in mir wie „arbeitslos“ geworden. – Es ist damit in meiner
Seele eine neue Veränderung eingetreten: Meine Seele steht gleichsam abseits
vom Leibe, ist frei in sich wie ein Geist, aber merkwürdig in sich
zusammengeschlossen, „kurz und direkt“ in sich. Diese rein geistige Seele
erfasst unmittelbar Jesus, und auch Jesus erfasst sie direkt und nimmt sie in
sich auf. Damit erfährt sie Jesus einfacher und vergeistigter und durchdringt
ihn rascher, und Jesus wird in dieser Art mit tiefem Erfassen von der Seele
aufgenommen.
1304 |
In den letzten Tagen war das eine Neuheit für
mich, den Heiland in dieser vergeistigten Art zu besitzen. Es war gleichsam ein
Überfließen seines Seins in mir, dann wieder ein ständiges „Sich-mir-bieten“.
Jesus bot sich mir mit all seinen Reichtümern und Vollkommenheiten und ich bin
bereit, ihn anzunehmen, weil meine Seele in diesem vergeistigten Zustande
vorbereitet ist, ihn ertragen zu können. – Aber Jesus mahnte mich: „Mich
annehmen mit allem, was ich bin!“ Ich erfasste schon, was er damit meinte:
Nicht nur das Genießen seiner Vollkommenheiten und Reichtümer, sondern „seine
Leiden“ mit ihm annehmen! – Ich erlebte und erfasste Jesus in den letzten Tagen
so tief und vergeistigt und kam mir vor wie ein kleines Kind, das in einem
Haufen Goldstücke wühlt und doch nichts damit anzufangen weiß, weil das Kind
eben das Gold noch nicht gebrauchen kann.
1305 |
Zwischen hinein kamen wieder innere Leiden.
Sie gehen auf eine entscheidende Trennung von allem Selbstbesitz, was man aber
in Worten nie wiedergeben kann. Auf diesem Gebiete erfährt man so recht die
Unendlichkeit Gottes. Man meinte, schon alles hingegeben zu haben, und man
möchte fragen: Was könnte mir noch fehlen, um Gott vollkommen besitzen zu können?
Ja, Jesus weiß immer Neues auf diesem Gebiete, immer wieder einen neuen Grad
des Sich-Verlassens, eine weitere Stufe des „Verzichtens“. Dieser Weg führt nie
„zum Ende“, weil Gott ein unendliches und für die Seele nie ganz zu
durchdringendes Wesen ist.
1306 |
Auf der jetzigen Stufe verlangte Jesus volle
Freiheit, um meine nun vergeistigten Seelenfähigkeiten für „sich“, für sein
Wesen gebrauchen zu können. Gott zwingt der Seele nie eine Gnade auf. Er lässt
ihr immer die freie Entscheidung und lässt ihr die Folgen und die Auswirkungen
seiner Gnade für die Seele selbst sehen und begreifen. – Die Seele stellt sich
den Absichten Jesu, mit allen daraus folgenden Auswirkungen, zur Verfügung.
1307 |
Der liebe Heiland erfasst alle meine
Seelenfähigkeiten; sie unterstehen gleichsam ihm; er beherrscht sie. Ich stehe
abseits und lasse ihn machen. Ich habe mich ja aufgegeben. Er verfügt über mein
früheres Eigentum. – Ich erfahre dabei, wie tief jeder Mensch sich selbst als
absolutes Eigentum besitzt. Gott hat das Recht und die Macht des
Sich-selbst-besitzens als unveräußerliches Recht mit der Seele geschaffen.
Dadurch ist ein Mensch absolut vom anderen abgeschlossen, wird er in sich ein
fertiges Einzelwesen, ein Reich für sich, das „er“ selbst, [das] das „Ich“ im
Menschen beherrscht. – Ein Hauptübel der Zeit ist heute der ungeordnete
Selbstbesitz, das zu straffe Sich-Verkrampfen und Verschließen im eigenen
Selbstbesitz. Es sind da nicht die irdischen Güter gemeint, sondern das
geistige Sich-Abschließen des einzelnen Menschen in sich, weil dadurch die
Liebe in der Welt erkaltet.
1308 |
Heute Morgen in unserer Hauskapelle führte
mich Jesus weiter: All meine nun von mir selbst freien Seelenkräfte wolle er
gleichsam in Beschlag nehmen, davon Besitz ergreifen, sie nochmals einer
Betätigung für „ihn“ zuführen. In großer geistiger Stille und Klarheit begriff
ich: Er formt damit ein neues Wesen, das seine Person, sein „Ich“ ganz
beherrscht. Durch ihn, durch seine Person, erlebe ich dann sein Wesen. Meine
Kräfte dienen ihm leidensfähig, dass er sich gleichsam wiederholen kann. – Der
Heiland ließ mich erkennen: „Diese Gnade einer solchen Vereinigung mit mir habe
ich noch nie gegeben“. – Er hat damit besondere Absichten für unsere Zeit. –
Ich erfasse klar diese Art der Vereinigung und die daraus entstehenden Folgen.
Ich bin im inneren Werden dieses ganz geistigen Geheimnisses. –
1309 |
In der Herz-Jesu-Kirche der Salesianer am
Bahnhof war ich bei der heiligen Messe sehr traurig darüber, dass es heute
keine Fronleichnamsprozession gab und damit dem Heiland viel Ehre und
Verherrlichung entzogen würde. Da sprach Jesus zu mir: „Eine Seele kann mich
für alles entschädigen; die Liebe entscheidet, und Wert hat allein der Grad der
Vereinigung, in der sich eine Seele mit mir befindet.“ (Alles andere habe für
die Seele keine Bedeutung). – Ich war in einem unbegreiflichen Zustand in ihm:
In der „Vereinigung aus Liebe“, die in solcher Form Jesus in mir schaffen will.
Auch meinerseits aus Liebe. Aus Liebe auf alles verzichten, und aus Liebe „ihn“
leben wollen. Die Liebe vereinigt und überbrückt den Gegensatz zwischen uns. –
Ich erkannte: Dem Heiland macht diese Art der Vereinigung mit mir so viel
Freude und Ehre und Verherrlichung. – Ich will ihm als Opfer für seine Ehre und
Verherrlichung dienen. Ich habe mich ihm dann wieder ganz und vollkommen nach
seinen Absichten hingegeben. Auch in den letzten Tagen war dies die Forderung
Jesu und seiner Gnade: Im Vater „ihm“ zur Verherrlichung dienen!
1310 |
In Jesus schaute ich es wie selbstverständlich,
dass ein Mensch, der Gottmensch, zur Entschädigung für die ganze Welt wurde. Im
Augenblick erfasste ich das ganze Erlösungswerk und dessen unendlichen Wert. Im
Menschen Christus vollbrachte es die göttliche „Person“ und dies war das Wertvollste.
Ich erfasse auch die „Größe“ der göttlichen Person Christi in der armen
Ausführung seiner menschlichen Natur, die aber auch entsprechend angelegt war,
um mit der göttlichen Person „mitarbeiten“ und mitgehen zu können. – Es wurde
mir dabei auch erklärt: Meine menschliche Natur bzw. meine Seele sei
dementsprechend „erweitert“ und befähigt, dass der Heiland seine Absichten
ausführen könne.
1311 |
Ich bin in gänzlicher Bereitschaft dem Heiland
gegenüber. Ich habe in mir die Zuversicht, dass seine Gnade in mir nie versagen
wird, trotz all meiner Armut, und dass gerade die Schwäche des Werkzeuges ihm
zur größeren Verherrlichung sein wird. –
1312 |
Seit der letzten Aufzeichnung (vor fast drei
Wochen) habe ich eine tiefe geistige Entwicklung erfahren und durchlebt. Diese
war von ständigen schweren Leiden begleitet.
1313 |
Es galt der vollständigen „Befreiung“ von mir.
Jesus gebraucht meine Kräfte, die aber so von seinem Sein beherrscht werden,
dass sich ein Ganzes aus zweien bildet und ergibt. Und alles dies vollzieht
sich ganz tief geistig; bei diesem geistigen Geschehen bin ich meinem eigenen
Einfluss entzogen und kann alles nur geschehen lassen. Diese Entwicklung
vollzieht sich aber ununterbrochen: Kein Tag ist dem anderen gleich; jeder Tag
bringt gleichsam eine Vertiefung und eine geistige Erhöhung, wobei ich der
Erleider dieser inneren Geschehnisse bin. Während mein ich, mein früheres Sein,
immer mehr und ganz zurücktritt, erhebt sich Jesus in mir. Es ist aber alles
unaussprechlich einfach und wie selbstverständlich, wie mein eigenes Leben, nur
mit dem Unterschiede, dass ich früher in meinem gewöhnlichen Leben stets der
„Empfangende“ war, während ich jetzt der „Besitzende“ bin, der alles in sich
hat und der durch die führende Gnade angeleitet wird, das in sich Besessene zu
gebrauchen, es sich ganz anzueignen und davon zu leben.
1314 |
Dadurch entwickelt sich Jesu Leben als etwas
Selbstständiges in mir; es ersteht aus seinem Sein, lebt sein Sein. Mein
früheres Sein ist abseits gelassen, hat nichts mehr zu bedeuten, ist wie
ausgedient. Das neue Leben: Jesus ist wie ein Motor, dessen eigene Kraft das
Funktionieren der Maschine bewirkt. Dieser geistige Motor ist seine in mir
alles beherrschende Person, der alles Sein in mir unterstellt ist.
1315 |
Die Leiden dieser geistigen Umstellung waren
aber überaus schmerzlich. Man betritt damit Gebiete, die der Menschenseele für
gewöhnlich ganz fernstehen und fremd sind und in die man nur langsam eingewöhnt
werden kann. Es ist nur zu wahr, was mir der Heiland schon vor vielen Jahren
über meinen kommenden Seelenzustand sagte. Oft und oft ließ er mich dieses
„Sein aus ihm, sein Leben“, in Gnadenstunden im Voraus erleben und verkosten:
„Dahin will ich dich führen; du wirst dann ganz mein Leben leben, ganz von mir
beherrscht sein. In diesem Zustand in dir will ich mich meinem Vater nochmals
opfern, um das Geheimnis der Vereinigung der Gottheit mit der Menschheit in
meinem Erlöserleben zu zeigen“ – so ähnlich sprach der Heiland oft zu mir.
1316 |
In dieser Art der Führung liegt überhaupt das
Ziel meines ganzen Innenlebens. So ganz im Voraus in Jesus aufgenommen und von
ihm erfüllt und durchlebt, bat ich damals Jesus immer wieder: „Lass mich jetzt
schon in diesem deinem Sein verbleiben! Ich möchte nie mehr zu mir
zurückkehren. Wie unendlich glücklich macht diese selige Freiheit in dir!“ –
Jesus sagte mir dann oft: „In diesem Zustand kannst du mich jetzt auf die Dauer
noch nicht ertragen; mein Sein würde dich gleichsam erdrücken, weil daraus
viele Folgerungen und Leiden entstehen. Ich werde dich aber dahinführen. Du
wirst mich sicher „so“ erleben, wenn du ganz auf „dich“ verzichtest und mein
Leben in dir zur Herrschaft kommen lässt.“ – Und jenes Einssein mit Jesus, wo
er der Lebende war, ging vorüber und an dessen Stelle traten unaussprechliche Reinigungsleiden,
von denen Jesus mir sagte, sie seien der Weg zum gezeigten Ziel und sie würden
mich mit seiner Gnade für jenen Vereinigungszustand befähigen.
1317 |
Heute kann ich nicht genug die Treue des
Heilandes bestätigen; in meinem ganzen Leben ist seine göttliche Führung wie
ein ununterbrochener Faden, der auf das gezeigte Ziel hingeordnet ist, und
immer mehr führt mich Jesus meiner inneren Vollendung zu, d. h. der Auswirkung
jener Art der Vereinigung mit ihm.
1318 |
Die letzten Wochen waren deshalb doppelt schwer,
weil ich zusammen mit den Leiden der vollen inneren Befreiung von mir auch die
Leiden Jesu bzw. deren geistige Grundlage miterlebt habe als Vorbereitung auf
meinen eigentlichen geistigen Beruf. Ich erlebte und erlitt Jesu Herabsteigen
vom Throne seiner Herrlichkeit in die arme, beschränkte Menschheit, die seinem
göttlichen Wesen nichts entsprechend bieten konnte; sein Alleinsein, da er auch
als Mensch niemand Seinesgleichen hatte; sein nach außen unbedeutendes Leben im
Vergleich zu seiner göttlichen Veranlagung; die Verdemütigung seines Zustandes
als Mittler, umgeben vom Hochmut der Menschen, deren tiefstes, gefallenes Wesen
er in göttlicher Allwissenheit ständig durchschaute. Und diese Gefallene,
sündige Menschheit hat ihn noch tiefer hinuntergedrückt, da sie sich über ihn
erhoben und ihn in ihre Gewalt bekommen hat. Jesus aber hat sich unter diese
Menschen gestellt und hat sich den Auswirkungen der gefallenen Menschheit und
ihrer Sünden ausgeliefert. Es ist wahr, was Jesus mich darüber schauen und erleben
ließ: „Niemand ist von solcher Höhe in solche Tiefe und Niedrigkeit
herabgestiegen wie Ich.“ – Ähnliche Leiden waren mir angetan wie ein eisernes
Kleid, das man nicht ablegen oder entfernen konnte. Jesus bildet damit sein
Wesen in mir aus; darauf war die ganze innere Führung hingeordnet. Es gibt
jedoch kein Wort, um dies näher zu erklären; es ist zu tief geistig und zu
einfach und vor allem zu wesentlich und persönlich in mir, weil ich der bin,
der es trägt wie sein eigenes Wesen, das man ja auch nicht weiter erklären
kann. Wenn ich nicht eine besondere Gnade dazu habe, kann ich mich darum nicht
darüber aussprechen oder es beschreiben; ich kann mich nicht anders ausdrücken
als: Es ist eigentlich nichts Besonderes, sondern es ist mein Wesen, meine
Eigenheit, und es ist so unglaublich „intim“ und selbstverständlich in mir,
wenn es auch die schmerzlichsten Leiden sind.
1319 |
Seit heute (4.7.) Morgen bin ich in einem
veränderten Zustand. Ich lebe aus mir, bin aus mir und empfange nichts. Die
tiefste Quelle in mir ist das Leben, sein Leben. Und ich bin das Leben, das
sich mit einer unaussprechlichen inneren Geschmeidigkeit und Leichtigkeit, ohne
Mühe oder Gewalt vollständig selbst beherrscht. Die Quelle in sich selbst gibt
Wasser im Überfluss und belebt alles. Ich bin eine wundersame Harmonie von
Geistigkeit, Leichtigkeit, Kraft, Energie und Geschmeidigkeit. Und doch ist
alles so, als müsste es gerade so sein und es scheint nichts Besonderes. Ich
weiß eigentlich nichts von Jesus, aber die Harmonie und das innere Zusammengeordnetsein
meines inneren Wesens erschließt mir die Fülle eines unaussprechlichen
geistigen Lebens, das ich in mir selbst verwirklicht glauben muss.
1320 |
All diese erhabenen Zustände sind aber nicht
Selbstzweck. Schon drängt die innere Führung weiter und das „Leben“ in mir will
einer neuen Betätigung zugeführt werden. Es werden da keine Worte gebraucht wie
früher, wenn Jesus in besonderen Gnadenzuständen den künftigen geistigen Weg
erklärte. Jetzt „will das Leben gelebt sein“; es drängt aus sich zur Entfaltung,
weil es eben Leben und darum wirksam ist und Wirkkraft in sich trägt. Es ist
dies ein wunderbares Geheimnis, dieses innere Mitgenommenwerden, diese
Selbstentfaltung, dieses Selbstleben, das so unendliche, göttliche Geheimnisse
in sich schließt, die noch kein Menschenherz erfahren hat. Die Ewigkeit des
Himmels wird den schauenden Geistern immer Neues an Geheimnissen kundtun.
1321 |
„Alle Gnaden und der geistige Aufbau meines
Innenlebens dienen einem Zweck“. Es ist nichts Zufälliges, Bedeutungsloses,
Alltägliches. Vor Gott hat auch das kleinste Geschehen in der Menschenseele
einen Zweck, eine Ursache ein Ziel. – Christi Menschwerdung diente dem Zwecke
der Erlösung; sein Leben war für eine Wirksamkeit bestimmt, die in den erlösten
Seelen eine neue Fruchtbarkeit hervorbringen soll. Die Ursache seiner
Menschwerdung aber lag schon viel weiter zurück. Der Fall Adams drängte die
Liebe Gottes unaufhörlich, damit doch nicht das ganze Menschengeschlecht mit
ihm zugrunde gehe. Jesus nahm die Mittlerstelle als Erlöser auf sich. Die durch
die Sünde Adams in sich verdorbenen Kräfte der Seele mussten erneuert und durch
göttliche Kräfte, wie durch Einströmen göttlicher Kräfte in die Menschenseele,
wieder umgewandelt werden. Darum tat sich in Jesus die Gottheit und Menschheit
in einem Wesen zusammen und vollbrachte damit das Werk der Erlösung. Im
Augenblick der Menschwerdung nahm der Erlöser zugleich das Werk der inneren
Umgestaltung der gefallenen Menschenseele auf sich (– nicht als ob es für alle
Menschen nur „eine“ Seele gebe, aber um mich so am einfachsten ausdrücken zu
können).
1322 |
Ich schaue immer dieses Geheimnis: In einem
Menschen sind alle gefallen; in einem Menschen wurden alle wieder erneuert. In
der ersten gefallenen Menschenseele wurden mit dem Sündenfall alle Sünden
möglich gemacht, wurden augenblicklich alle Sünden gleichsam grundgelegt, die
alle Menschen zusammen vor Gott strafwürdig machten. In der einen, gefallenen
Seele Adams wurde damit das ewige Verderben aller ihm folgenden Menschen
angebahnt, weil nach Gottes Ratschluss die erste Seele für alle folgenden
Seelen maßgebend war. Gerade deshalb nahm die zweite göttliche Person eine
Menschennatur und -seele96 an, die, an sich vollkommen rein und
unbefleckt, den nun vorhandenen Zwiespalt lösen sollte. Mit seiner Menschheit
bzw. mit seiner Seele nahm der Erlöser den Fall der Menschheit auf sich,
nämlich die gefallene Menschenseele mit den Auswirkungen der Sünde, und zwar so
intim, wie wenn es nun seine Seele wäre. Diese sündige Seele wurde überwunden
mit den Kräften und Fähigkeiten seiner eigenen Seele und somit gleichsam
erneuert. Es war wie eine Überwindung des Krankhaften in der Menschheit und es
geschah etwas wie eine neue Blutzufuhr, wodurch die gefallene Menschenseele
wieder neues Leben und neue Lebensfähigkeit bekam. Nicht als ob Jesus wirklich
zwei Seelen in sich getragen hätte. Die eine, erste, ganz reine war vielmehr
die seine; die Gefallene nahm er an und sie war nun wie seine Aufgabe, die er
zu lösen hatte, zu der er im Augenblick seiner Menschwerdung „Ja“ gesagt hatte.
Es war somit ganz seine Aufgabe und Jesus unterzog sich dieser Aufgabe
freiwillig, gedrängt von der Liebe seines Herzens.
1323 |
Der Heiland trug damit in sich die
Auswirkungen der Sünde in ihrer ganzen Tiefe, Undankbarkeit, Hässlichkeit.
Durch diese Auswirkung der Sünde wurde er selbst wie zum Sünder vor seinem
Vater, weil er sich erbarmend der Sünder annahm und stellvertretend gleichsam
die Folgen der Sünde auf sich nahm. „Jemand“ musste das Unrecht der Sünde Gott
gegenüber einsehen; der Mensch in seinem gefallenen Zustande war dazu nicht
fähig, wenn er auch menschlich sehr litt unter seinem Fall und dessen
Wirkungen. Die Sünde verlangte darum ein Einsehen durch göttliche
Erkenntnisart, wenn der göttlichen Gerechtigkeit eine vollkommene Genugtuung
geleistet werden sollte.
1324 |
Viel klarer als es in Worten auszusprechen
möglich ist, erfahre ich dieses innere Erlösungsgeheimnis. Wie in Jesus bin ich
darin aufgenommen und es ist in mir die volle Bereitschaft, vermittels und
kraft meines inneren Vereinigungszustandes daran teilzunehmen. Jesus der
Erlöser: Das ist der Zweck dieses Grades meines Einsseins mit dem Heiland.
Nicht in Worten, nein, in innerem Erfahren schaue ich meine Aufgabe: „Wenn du
an mich, an den Erlöser, glaubst, so glaube an deine Aufgabe!“ Im Glauben an
Jesus muss ich mich seiner Aufgabe als der meinen unterstellen. „Glaubst du an
Gott, an den wirklichen Sündenfall, an den Erlöser und an die Erlösung, so
glaube in vollkommener Hingabe an den Zweck all deiner Gnaden!“
1325 |
Heute Mittag wurde mir wieder der wirkliche
Fall Adams, der Sündenfall des Menschengeschlechtes vorgeführt. Nur dieser war
die Ursache der Menschwerdung. (Gewiss hätte die zweite göttliche Person auch
ohne den Sündenfall Mensch werden können, aber es wäre dann keine leidende
Menschheit Christi geworden). Ich erfasse ganz klar: Die Menschwerdung Christi
ist das größte Ereignis der ganzen Menschheitsgeschichte; es gibt nichts
Wichtigeres, nichts Größeres auf dieser Welt. Christus ist somit zum
Mittelpunkt der ganzen Menschheit und alles Geschehens geworden. Wie oft wurde
mir dies schon beim Gebet des „Engel des Herrn“ erklärt: In welcher Tiefe habe
ich heute dieses größte Geheimnis erfasst! „Und das Wort ist Fleisch geworden“.
Eine unumstößliche Wahrheit; und die Ursache dieser Menscherdung Christi war
nur die Sünde. Man glaubt aber heute zu wenig an die Sünde und darum hält man
Christus, den Erlöser, weithin nicht mehr für notwendig. Und dieses Geheimnis,
Jesus der Erlöser, soll ganz tief in meinem Inneren zur Auswirkung kommen.
1326 |
Ich bin in voller, innerer Bereitschaft,
dieses Geheimnis mit Jesus mitzuerleben, es gleichsam zum meinigen werden zu
lassen. Es ist ein unbegreifliches Drängen in mir, dass dies in mir erfüllt
werde, dieses Erleben, das mich Jesus als große Gnade für seine Kirche und als
unermesslicher Segen für die Seelen vorausschauen lässt. Jesus wird dadurch
mehr anerkannt werden in seinem göttlichen Erlösergeheimnis. Er wird dann mehr
erkannt und geliebt werden in einer Art und Weise, in der er früher verborgen war.
1327 |
Und ich werde damit Jesus tiefer besitzen,
weil er dann leidend in mir gegenwärtig ist. Das ist aber das Allerhöchste:
Christus besitzen, alles für ihn aufgeben, ihm Raum schaffen, ihn leben lassen,
ihn zur Herrschaft führen! Mit S. Paulus will ich handeln: „Alles habe ich für
nichts, für Staub, erachtet, damit ich Christus gewinne.“
1328 |
Ich bin heute im geistigen Genießen einer
großen, unendlich geheimnisvollen Gnade, die mich Jesus gestern Abend
innewerden ließ: Ich diene ihm als seine Menschheit. –
1329 |
Dieses klare innere Innewerden und Berufensein
hat eine unaussprechliche Wirkung in mir hervorgebracht, die ich nicht tief
genug erfassen und ausleben kann. – Damit macht der liebe Heiland sein vor
vielen Jahren gegebenes Versprechen wahr: „du wirst Mir wie meine Menschheit
dienen; ich bereite mir in dir eine Menschheit, die mir dient wie einst jene,
die ich aus meiner Mutter annahm; ich habe damit meine Absichten“. –
1330 |
Diese innere Berufung war eine Gnade des
Erhebens in mir, ein Herausheben aus meinem eigenen Sein und dadurch ein: Ihm
allein anheimgestellt und überantwortet und von ihm ganz abhängig sein. Und die
selige Freiheit von mir und das ganz ihm überantwortet sein!
1331 |
Ich genieße Jesus in unaussprechlicher Weise,
doch ist dieses Genießen unmittelbar in mir, ganz in mir verwirklicht. – – –
1332 |
Gestern ließ mich der liebe Heiland die große
Gnade, „ihm als Menschheit zu dienen“, so recht genießen und in der ganzen
Tiefe und Bedeutung erfassen. – Die durch die letzten Reinigungsleiden
geschaffene, vollkommene Befreiung von dem Einfluss meiner Person versetzte
mich in den unaussprechlichen Zustand der Freiheit in Jesus. Dieser selige
Zustand lässt sich mit keinem Worte erklären. –
1333 |
Aber schon am Abend zeigte Jesus eine weitere
Folgerung und Fortsetzung dieser Gnade: „ihm als 'seine' Menschheit dienen!“
ihm angehörig und ganz angepasst sein, entsprechend seiner Person, seiner
persönlichen Eigenheit und seinen Absichten ihm dienstbar gemacht werden! Und
heute bin ich nun wieder sehr im Leiden, im geistigen Erringen jener Eigenheit.
Der vorhergehende Zustand bleibt in unaussprechlicher Weise bestehen, das Einssein
mit dem Heiland ist ganz persönlich und wesenhaft, und doch sind die inneren
Leiden wie unzählige geistige Dornen zwischen ihm und mir. Es ist anscheinend
ein weiteres Aufgeben meiner persönlichen Eigenheit und damit ein vollkommenes
Angepasst-Werden an seine göttliche Person, um damit die Fähigkeit zu erwerben,
möglichst vollkommen seinen inneren Akten und Antrieben folgen zu können,
sodass Jesus wirklich mit mir „leben“ bzw. mich für seine Absichten gebrauchen
kann. Das vollkommene von ihm Erfüllt- und Getragensein lässt ständig eine
unsagbare, innere Seligkeit genießen, und doch sind die Leiden dabei so heftig,
dass ich vergehen könnte97 vor innerem Weh. Es ist dabei auch die
verzehrende Sehnsucht, ganz in seiner Person untergehen zu können. Es ist mir
auch, als löse die Liebe, die eine Liebe, mich ganz auf; es ist wie ein Feuer
in mir, doch ist dieses Feuer zugleich so leicht und erfreuend und ständig mich
stärkend.
1334 |
In diesen Leiden tröstete mich der liebe
Heiland mit der Versicherung: „In den Leiden deiner inneren Umgestaltung wird
der Menschheit die Gnade verdient, das innere Erlösungsgeheimnis fruchtbringend
zu erfassen.“
1335 |
Die Leiden der vergangenen Woche dienten dazu,
die früher erhaltene Gnade, „dem Heiland als Menschheit zu dienen“, noch in der
Richtung zu vervollkommnen, dass ich „ihm als seine Menschheit“ eingeordnet
werde.
1336 |
Ganz „ihm“ unterstellt sein, seiner göttlichen
Eigenheit, die in der Erlösung zur Auswirkung kam, und dazu befähigt sein, ohne
Wanken, wie wenn mir das zugehörig wäre, so wie Seele und Leib die Einheit
eines Lebens bilden: In solche Art der Einheit mit Jesus wurde ich diese Tage
eingeführt.
1337 |
Seit heute Mittag bin ich in dieser Einheit
„eines Lebens“ gemäß der Besonderheit meiner inneren Berufung. Es ist mir dies
wie eine neue Kraftzufuhr vonseiten Jesu, weil nun sein Sein noch in höherer
Weise in mich überzuströmen vermag. Es ist in höherer Art ein Zustand des „auf
ihn gestellt sein“, „ganz aus ihm leben“, aber so, als wäre dies meine
Eigenheit. Von Jesus spüre ich eigentlich nichts; die Einheit ist so innig und
selbstverständlich, als wäre es überhaupt keine Einheit oder Vereinigung (denn
diese besteht in gewissem Sinne eben aus zwei oder mehreren Teilen); es ist
eben dies mein Zustand, der mir zukommt, ein Wesen, das gelebt wird.
1338 |
Zugleich erfüllt mich ein großes Verlangen,
dieses mein Leben ganz auszuleben. –
1339 |
Ich leide sehr und kann mich doch nicht
erklären darüber. Ich bin wie herausgenommen aus der Welt, bin von niemand
abhängig und brauche niemand, weil ich alles im Überfluss in mir besitze; und
doch wieder bin ich so arm und klein und nichtig, wie es noch niemand in sich
erfahren hat. Mein ganzes Sein ist unaussprechliche Selbstentäußerung und
Verzichten auf jede Befriedigung, aber dafür eingeordnet in göttliches Sein,
dem diese Leere von allem Geschöpflichen zukommt, weil es dies alles doch in
sich trägt und vom Geschaffenen nichts beansprucht.
1340 |
Mit diesen Leiden bereiten sich neue Wege für
mich vor. Immer wieder opfert sich alles in mir: Gib mich ganz dir nach deinen
Absichten! Ich finde nicht eher Ruhe, als bis du mich ganz nach deinen
Absichten gebrauchst! –
1341 |
Ich erlebe in diesen Leiden meinen kommenden
Weg: Ich nehme Anteil an den Leiden Jesu durch die Art der Einheit, durch die
ich ihn, an seiner Stelle, lebe. Ich überlasse mich den Auswirkungen der Sünde,
die Jesus als Erlöser auf sich genommen hat; diese treffen unmittelbar mich;
ich bin derjenige, der alles dies erleidet, die Auswirkungen der Sünde im
Inneren Jesu, in seinem Herzen und auch von außen her. Jesus hat sich dem allem
ganz hingegeben und ausgeliefert. – Die Sünde brachte Armut, Verfolgung von
Seiten der Mitmenschen, Müdigkeit, Schwäche, all die äußere Ruhelosigkeit der
Menschheit und alle Folgen der Sünde, wodurch die Menschen einander verfolgen
und worunter sie leiden. Jesus hat mit den Menschen mitgelitten und hat selbst
an den Folgen der Sünde teilgenommen, als wäre er der Mitschuldige an der
Sünde. Er ist in allem unser Bruder geworden und hat all unsere Schwächen mitgetragen.
All die Folgen der Sünde von innen und außen hat Jesus stellvertretend in sich
gelitten und dadurch die Menschheit befähigt, sie im Geiste der Buße ertragen
zu können.
1342 |
Ich bin im unmittelbaren Teilnehmen an Jesus
und seinen inneren Erlöserleiden. – Wie sehr ich auch darunter leide, ungleich
mehr drängt es mich doch, dass es erfüllt werde. –
1343 |
Heute kann ich eine weitere neue Entwicklung
in meinem Innenleben feststellen. Ich bin an der inneren Ausgestaltung seines
Seins bzw. am Übernehmen seiner Aufgabe als Erlöser.
1344 |
Ausgehend von den letzten Wochen, wo Jesus
mich als seine Menschheit bildete und mich dies auch innewerden ließ, gelangte
ich in eine große, unaussprechliche Entfernung von mir. Das Meine ist
verlassen, beiseitegestellt, zurückgelassen; es ist wie wenn ein Wanderer, der
vom Getriebe dieser Welt auf die höchste Bergesspitze gestiegen ist, sein
früheres Eigentum zu seinen Füssen sieht und nun keine andere Aufgabe mehr hat
als die, sich dort oben eine neue Existenz zu schaffen.
1345 |
In der ganzen vergangenen Woche war ich wie
existenzlos; es gab keinen Grund in mir, wofür ich eigentlich da wäre. Alles
eigene Bemühen, mir selbst etwas zu schaffen, ist mir ja unmöglich, weil ich
selbst nicht im Besitze meiner Fähigkeiten bin und mein ganzes Inneres einer
höheren Beschlagnahme unterliegt. Wenn Jesu Leben nicht wirkt in mir, scheint
alles tot zu sein; wenn die führende Gnade scheinbar stillsteht, ist es, als ob
ich den inneren Weg verliere, d. h., es ist ein ständiges Warten auf die
führende Hand Jesu, die in mir die geistige Entwicklung vollbringt. Die letzte
Woche war ein solches Warten auf eine weitere Ausgestaltung seines Seins in
mir; es war wie ein Schlusspunkt, dem nichts mehr zu folgen schien. Obwohl ich
für mich selbst nichts besaß und mein ganzes Sein dem Sein Jesu unterstellt
war, schien eigentlich eine Existenz zu fehlen; die Gnade, in die man eingeübt
ist, wird ja auch wie zu etwas Gewöhnlichem und bietet einem nichts Neues mehr.
Es steigen dann neue Strebefähigkeiten auf, weil die tiefsten
Betätigungsmöglichkeiten der Seele „leben“ und einer neuen Entfaltung und
Verwirklichung zugeführt werden wollen. So litt ich sehr unter dieser
scheinbaren Untätigkeit in mir.
1346 |
In Wirklichkeit aber war es nicht geistige
Untätigkeit, was Jesus in mir wirkte und veranlasste, sondern ein weiteres
Entfernen von meinem früheren Sein. Das löste eine große Stille in mir aus und
in dieser Stille wurden gleichsam neue Energien geweckt. Wie ein Kind auf
eigenen Füßen zu stehen kommt, so erlebte ich mich als Jesu Menschheit. Meine
innere Aufgabe tritt mir ins Bewusstsein und ersteht auf jener Grundlage, wo
mein Wille sich mit seinen Absichten trifft. Die eigene frühere Schüchternheit
ist zurückgelassen und mein Inneres lässt sich wie auf einem neuen Wege weiter
in Jesus umbilden. Heute bin ich nun wie in ein neues Stadium seines Seins
eingetreten: Mit Jesus nehme ich teil an seiner Aufgabe und Sendung vom Vater,
an der Aufgabe der Erlösung. Es ist in mir wie ein bewusstes Bereitstellen
dafür. In ihm bin ich – wie in seiner Eigenheit – dem hingegeben und diene ich
diesem Zwecke.
1347 |
Ich erfasse die Beweggründe der Sendung des
Erlösers: Die innere Entsühnung und Entsündigung der Menschheit als eine
Offenbarung der göttlichen Liebe, die sich in der Menschwerdung des Sohnes
gezeigt hat. Dies alles erfasse ich in einem Augenblick und passiv; es ist ein
Einblick in göttliche Geheimnisse, den man mit keinem Worte erklären kann. Die
Seele wurde jahrelang durch göttliches Aufnehmen dafür befähigt; ich möchte
sagen: Ich kenne mich im Göttlichen aus, bin in göttliche Geheimnisse
eingeführt.
1348 |
Nun treten auch die Akte seines Lebens in
Tätigkeit und Bewegung in mir, die Art der Vereinigung, die Jesus in mir
geschaffen hat, wirkt sich mehr aus. Ich erfasse den Grund seiner
Menschwerdung, die im Augenblick gleichsam zu meiner Aufgabe wird. Meine
Seelenfähigkeiten dienen diesem Zweck und Erleben. Es werden zugleich neue,
eigene Energien eingespannt und von ihm gebraucht, die mich befähigen, mit
diesem inneren Erleben „mitzugehen“, es als das meine zu erleben und
auszukosten. Ich bin nun in diese bewusste, passiv eingestellte Bereitschaft
versetzt. Mein Inneres ist in großer unsagbarer Ruhe, Einfachheit und
Entschlossenheit, geführt durch die göttliche Kraft seines Lebens in mir. Jesu
göttliches Leben in mir tritt in Kraft und wird in meinem Miterleben seines
Seins lebenstätig.
1349 |
In dieser Woche und besonders heute habe ich
innerlich die von Gott gewollte Art der Sendung des Priesters geschaut. – Der
Priester ist von Gott bzw. von Gott-Vater gesandt an Christi Stelle, um Christi
Aufgabe weiterzuführen. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“. Im
Augenblick der Priesterweihe nimmt der Priester vor Gott die Stelle Christi an,
um dessen Aufgabe unmittelbar fortzusetzen. Infolge seiner Berufung und Sendung
ist er vor Gott dafür verantwortlich gemacht. Er hat vor Gott und vor Christus
die gleiche Aufgabe und die gleiche Sinnbedeutung wie Christus selbst.
1350 |
Christus kam in die Welt, um die Menschheit zu
entsühnen und zu entsündigen, um den Abgrund zwischen Gott und der Menschheit
zu überbrücken, wozu er sich selbst gleichsam als Brücke bot. Diese Aufgabe
liegt auch in der Sendung des Priesters, bleibt für immer des Priesters Aufgabe
und Gebot. Der Priester soll gleichsam eine neue Brücke und ein neuer
Vermittler zwischen Gott und den Menschen sein; er soll die Stelle Christi
vertreten und ausfüllen. Seit der Priesterweihe ist er sozusagen dafür
verantwortlich; er hat diese Stelle und Stellung Christi übernommen und trägt
sie weiter vor sich selbst, für die Seelen und vor Gott. Er ist so von Gott
gewollt und soll so eingestellt sein, dass er die Welt durch sein Einssein mit
Christus der Aufgabe und der Gesinnung nach nochmals entsühne und entsündige
vor Gott und in den Seelen, dass er die Schuld der Welt abtrage.
1351 |
Sooft der Priester zum Altare geht, geht er
mit Christus auf den Kalvarienberg, um vor Gott die Welt zu entsühnen und das
abzutragen, was die Menschen vor Gott verschulden. In diesem Bewusstsein soll
der Priester die heilige Messe lesen. In Vereinigung mit Christus und an
Christi Stelle soll er die ganze Sündenlast der Menschheit sühnend vor Gott
tragen wollen und das ganze Priesterleben soll von diesem Gedanken beherrscht
sein, die Menschheit vor Gott zu entsündigen. – Durch das Vergessen und
Vernachlässigen dieser Aufgabe kommt es zur Trennung jener Vereinigung mit
Christus, für die der Priester doch bestimmt ist, kommt die Gefahr der
Verweltlichung. In der Vereinigung mit Christus liegt aber die Kraft des
Priesters. Durch den besonderen Grad der dem Priester gegebenen Vereinigung und
durch das Vertrauen auf das Erlöserleben Jesu werden die Verdienste Christi fruchtbar.
– In diese Richtung soll schon die Erziehung des Priesterkandidaten gehen: Der
Priester ist der Entsühner und Entsündiger an Christi Stelle für die Menschen
und vor Gott.
Abends:
1352 |
Es ist ein großes Verlangen in mir, in Jesu
Erlöseraufgabe aufzugehen, sein Leiden als das meine zu erleben. Durch ihn in
mir ist mir alles geboten. Eine ständige, verzehrende Bereitschaft in mir
bietet sich Jesus dar: „Nimm mich dazu! Ich will untergehen in deinem
Erlöserleiden; damit erlebe ich ja dich im innersten Wesen und Sein.“
1353 |
Ich habe keinen Ausdruck für dieses glühende
Verlangen, gleichsam Jesus erleben und geben zu können. Es ist nur eines, wovon
sein Herz erfüllt war – und er flößt es mir ein, dass nämlich seine eigene
Liebe nochmals gelebt, verwirklicht und ihm geboten werde und dass sie als
Frucht seiner Liebe eine Wiederholung finde. Alle Liebe und Treue der Seelen
ist ja vor ihm wie sein Eigentum, weil es die Früchte seiner Opfer und Leiden
sind, die er in seinen Getreuen ermöglicht hat. Jesus bietet sich damit seinem
Vater dar und der Vater nimmt es als die Erlösungsfrüchte seines Sohnes an.
1354 |
O Jesus! Du hast dich in mir bereitet. Ich bin
bereit, dass es erfüllt werde!
1355 |
Vorher war ich, wie immer vor besonderen
Gnaden, in großer, peinvoller, innerer Verdemütigung.
1356 |
Der liebe Heiland fragt mich immer wieder:
„Willst du alles so nehmen, wie du es innerlich erkennst? Bist du für alles
bereit?“ (Dieses Erkennen im ganzen Umfang der Absichten Jesu lässt sich mit
keinem Worte ausdrücken). Ich fühle keinen Widerstand in mir; alles drängt zur
Erfüllung.
1357 |
Jesus eröffnete mir dann heute seine Absichten
in klarer Form: „Ich will meinen Priestern mein Hirtenherz schenken. – Ich
schaute vom Himmel her die gefallene Menschheit in ihrer Not und Sündhaftigkeit
und Hilflosigkeit und mein Herz war voll Mitleid und Trauer darüber und Ich
beschloss: Ich selbst will kommen, will mich selbst opfern für die Rettung der
Seelen. – Der Priester, an meiner Stelle gesandt, soll dieses mein 'mich selbst
opfern und selbst gehen' zu dem Seinigen machen nach meinem Vorbild. Ich will
den Priestern mein Herz schenken, ihnen mein Herz eröffnen, auf das meine
Gesinnung in sie überströmen kann. – Nur dies ist der Zweck aller Gnaden, die
ich dir gebe; Ich schenke damit meinen Priestern mein Herz. Sie sollen kommen
und davon nehmen. Sie sollen von mir, von meinen priesterlichen Tugenden leben
und gesättigt werden; und sie werden gesättigt und erfüllt werden von den
Gesinnungen meines Erlöserherzens. Sie sollen Mich leben; ich bin ihnen zur
Verfügung. – Glaube mir, du bist das Werkzeug für meine Absichten. Das Erleben
meiner Erlöserliebe, für das Ich dich befähigt [habe], ist die Offenbarung
meines Herzens an die Priester und ist der Beweis für die Schenkung meines
Herzens.
1358 |
Ich stelle es allen Priestern zur Verfügung.
Diese Offenbarung meiner Erlöserliebe ist vornehmlich für die lehrende Kirche,
für die Priester bestimmt. Die Gläubigen könnten mich nicht so verstehen; an
diese gelangt es an zweiter Stelle durch die Priester. Durch die Früchte, die
es in ihnen hervorbringt, wird es Gemeingut der ganzen Kirche werden“.
1359 |
Jesus drängt mich erneut daran zu glauben,
dass dieses Erleben seiner Erlöserliebe bzw. seiner inneren Erlöserleiden durch
die Schenkung seines Herzens an die Priester begründet ist und dass dies der
Zweck all meiner Gnaden sei. Von diesem Standpunkt aus soll ich mein Innenleben
betrachten und mich selbst als Werkzeug ansehen. – Dieser letzte Zweck würde
mir auch alle Leiden leichter machen. – Ich fühle auch von diesem letzten Ziel
her eine große Erleichterung und Vereinfachung, weil damit allem ein letzter
und höchster Zweck gegeben ist.
1360 |
Ich bin in großem Frieden und vollkommener
Bereitschaft. Ich bin ganz abgewandt von meinem eigenen Früheren und lebe Jesu
Sein mit all meinen Kräften, die seiner Person in mir dienstbar gemacht sind.
Dieses Erleben lässt sich eben mit keinem Worte ausdrücken. Ich bin meinem
eigenen Sein vollständig abgewendet und der Person Jesu eingeordnet, aber es
ist ganz einfach und wie selbstverständlich. Dieser Zustand bildet sich ständig
steigernd in mir durch entsprechende innere Läuterungsleiden.
1361 |
Es ist wie eine vollkommene Bindung aller
Seelenkräfte, die seiner Person überantwortet sind; durch diese neue Einheit
wird eine neue Betätigungsmöglichkeit hervorgerufen, weil mein früheres Sein
unterbunden und dadurch eigene Betätigung wie unmöglich gemacht ist.
1362 |
Ich bin allem Äußeren, allen hemmenden
Einflüssen und Hindernissen abgewandt und lebe innerlich in voller Harmonie das
mir durch Jesus in mir Gebotene. Trotzdem leide ich sehr unter dem inneren
Druck meiner vielleicht noch möglichen und durch die Naturanlage mir
anhaftenden Hemmungen, die sich wie zufällig noch dazwischen drängen und die
volle Wirksamkeit der göttlichen Führung behindern könnten. Es sind besonders
die Anlagen meiner persönlichen Schüchternheit, Mangel an Vertrauen, auch auf
mich selbst, in gewissem Sinne Mangel einer bestimmten Selbstbehauptung, die
man der Gnade Gottes schuldig ist – was dann den übernatürlichen Mut und die
Kraft der Gnade behindert. Auch eine gewisse mir früher stark anhaftende
Schwäche der Mutlosigkeit und Wankelmütigkeit, wodurch die Gnade Gottes in
Gefahr kommen könnte. – Ich bin wie in einem inneren Feuer, im Erleben dieser
teils bewussten, teils unbewussten Hindernisse, die sich von meiner Seite der
Führung des Heilands, wenn auch nicht gewollt, doch unbewusst und wie zufällig,
in den Weg stellen könnten. All diese sich mir aufdrängenden Schwächen und
persönlichen Anlagen verdemütigen mich und lassen mich meine absolute Armut und
Nichtigkeit noch tiefer erkennen.
1363 |
Sonst werde ich auf dem gestern gezeigten Wege
weitergeführt und bin ich bei der hl. Kommunion darin gefestigt worden, die
Führung Jesu in der besagten Form aufzufassen. –
1364 |
Es wurde mir ferner erklärt, auch das äußere
Erleben der Sünden, wie es sich bei den Menschen im Umgang mit ihnen gibt,
gehöre in den Bereich der Sühne und des Erlöserlebens Jesu geradeso wie das
innere Erkennen des Falles der Menschheit.
1365 |
Ich erlebe auch im Erkennen den
unaussprechlichen Grad des Losgelöstseins von allen äußeren Hemmungen seitens
der Geschöpfe, von irgendwelcher persönlicher Anhänglichkeit sowie die innere
vollkommene Befreiung und Lösung von meinen eigenen Einflüssen bzw. auch vom
Mitleid mit mir selbst und von Weichheit und Ängstlichkeit, kurz die völlige
Abgestorbenheit aller möglichen äußeren und inneren Hindernisse und zugleich
die volle innere Harmonie des Seins in Jesus, wie sie den fruchtbaren Grund
seines Erlebens bildet.
1366 |
Ich bin ganz durchdrungen von der Überzeugung:
Der liebe Heiland hätte keine ungeeignetere, schwächere, nichtswürdigere Seele
finden können als mich. –
1367 |
Anscheinend komme ich in ein neues Stadium in
meinem Innenleben. Gestern schaute ich den kommenden Weg: Jesus will mich in
die ständige Grundhaltung seines Herzens einführen, in sein Sein im Vater, in
sein inneres Gebetsleben. – Durch die inneren Leiden schließe ich mein Leben
ab; es bietet mir persönlich nichts mehr, auch geistig nichts zu genießen für
mich persönlich; es geht in dem mir innerlich gebotenen Sein Jesu auf, ist
einem anderen Wesen eingeordnet, lebt dieses und für dieses.
1368 |
Der liebe Heiland versprach mir gestern auch,
ich würde in die innere Bereitschaft versetzt, sein Inneres erleben zu können;
mein eigenes Bemühen dahin sei nutzlos; nur in den inneren Leiden soll ich mich
entsprechend formen lassen. – Heute Morgen, nach der hl. Kommunion, hatte ich
darüber noch mehr Licht. Ich verstehe, wie es in mir geschehen wird: Ich werde
das Herz Jesu erleben; es wird so sein, als wäre es das Meine; ich werde in den
Zustand seines inneren Lebens versetzt werden. (Ich habe kein Wort, um es
genügend erklären zu können).
1369 |
Den ganzen Tag über war ich abwechselnd sehr
im Leiden, dann kam wieder Licht, wie es mir werden wird; dazu die
Bereitschaft: für mich gibt es nie mehr etwas; mein ganzes Sein geht im Erleben
Jesu bzw. seines Inneren auf, das mein dauernder Zustand werden wird; durch den
inneren Vereinigungsgrad wird es in mich übergehen.
1370 |
Jesus hat damit seine Absichten; er liebt und
leidet dann mit seiner Liebe. (Ich habe kein passendes Wort, aber es ist mir
sehr klar).
1371 |
Ich leide sehr, weil ich gerade im Übergang
bin, wie jemand, dem alles weggenommen ist, was er zum geistigen Leben
unbedingt braucht, der aber noch nichts dafür bekommen hat, noch kein inneres
Dasein hat. Dazu leide ich unter meiner äußeren Existenzlosigkeit und der
scheinbaren Aussichtslosigkeit des äußeren Werkes.
1372 |
Ich leide sehr; doch kann ich meine Leiden
nicht erklären. Ich bin innerlich und äußerlich wie existenzlos, heimatlos,
verdemütigt von allen Seiten, allein, wie ein Vöglein, das kein Nest hat und
nirgends eine Ruhestätte findet. Seelisch habe ich scheinbar jede Orientierung
verloren. Ich habe keinen Ausdruck für die Größe meiner Leiden. – Dennoch bin
ich in großer Ruhe, obwohl ich nicht weiß, wie alles noch enden wird. – Aber, O
Herr, ich will leiden, alles andere mache du! – – –
1373 |
Ich bin in unaussprechlichen, inneren
Verdemütigungen wie begraben. Niemals noch hat – so ist mir – so ein Nichtsnutz
gelebt, wie ich bin. All meine früheren Fehler stehen wie zum Hohn vor mir und
ich finde auch in meinem jetzigen Leben nichts, was mich rechtfertigen könnte.
– Es ist wie ein großes Feuer in mir, in das ich zum Verbrennen geworfen bin,
weil alles in mir nur der Vernichtung wert ist. Das dauerte die ganze Nacht
hindurch so an, obwohl ich sonst ziemlich gut geschlafen habe. Das Höhere in
mir schlief nicht und das Bewusstsein meiner Niedrigkeit stand immer beschämend
vor mir. Ich bin ob meiner Nichtigkeit ganz unaussprechlich beschämt und muss
immer darauf schauen und das vergrößert die innere Qual.
1374 |
Trotzdem bin ich in Frieden. Ich bin
überzeugt, dass nur diese Verdemütigung mir zukommt, und gegenüber der inneren
Überzeugung, die ich von meiner Nichtigkeit habe, ist es immer noch zu gelinde
wie ich mein Nichts und meine grenzenlose Armseligkeit erfasse und schaue. –
Ich bin bereit, mein ganzes Leben in diesem Zustand zu verbringen, denn das
wäre dann die Wahrheit von mir. –
1375 |
Die schweren inneren Leiden sind nun abgeflaut
und ich bin in großem Frieden. Ich bin auch für alles bereit, was nun kommen
mag. Durch die innere Einstellung, in die ich durch jene Leiden versetzt wurde,
erkenne und erlebe ich: Jesus gibt mir sein Herz zum Erleben und Erleiden; es
wird keine Ruhe und Befriedigung für mich mehr geben außer in seinem Herzen.
1376 |
Jesus will, dass ich glaube: Das Leben seines
Lebens waren die ständigen Opfer und das Verzichten auf alles, was menschliche
Ruhe und Genießen anlangt. Im göttlichen Sein aufgehen, Gott geben, was Gottes
ist, das war der Inhalt seines Erlöserlebens.
1377 |
Gewiss, meine Seele ist in göttliches Erleben
emporgehoben und schon an ständiges Verzichten auf alles Menschliche gewöhnt.
Von da aus werde ich nun noch mehr über mich hinaus- und in Jesu Sein und Leben
hineingehoben. Er will, dass ich ganz in dem seinen zufrieden bin und ganz
darin aufgehe.
1378 |
Ich bin bereit, für immer in ihm zu sein, sein
Leben zu leben und seinen Tod zu sterben. Er genügt. – (Ich habe kein Wort, um
diese meine Bereitschaft zu erklären, in die ich durch die vergangenen
Läuterungsleiden versetzt wurde.)
1379 |
Nach einer kurzen Ruhepause am Samstag (2.8.)
bin ich seither wieder sehr im Leiden. Die innere Vernichtung, die letzte
Auflösung meines eigenen Seins ist wie ein geistiges Feuer, das mich verzehrt.
Und doch bin ich so ruhig dabei, als würde ich nichts leiden.
1380 |
Ich glaube, durch diese inneren Leiden werden
ganz besondere Kraftenergien in mir entwickelt bzw. von Jesus in mich
hinübergeleitet und in Tätigkeit gesetzt. – Es ist auch dies ein merkwürdiges
Geheimnis, dass man bei allem so in Frieden sein kann. Ich kann daraus
erkennen, wie viele geistige Kräfte die Vereinigung mit Jesus mit sich bringt,
oder vielmehr, in welch großem Maß seine göttlichen Kräfte in mir gebraucht
werden; denn aus sich selbst könnte man niemals ein solches Maß von inneren
Leiden ertragen. Und doch ist dies alles nur eine Vorbereitung auf die
kommenden Leiden. – – –
1381 |
Dazu legt sich noch meine äußere
verdemütigende Lage: Der Ärmste kann vielleicht seine Rechte mehr behaupten,
als es mir meine Lage gestattet. Es heißt schweigen, immer schweigend leiden
und tragen. Das bringt wieder mit sich die scheinbare Aussichtslosigkeit der
äußeren, vom Heiland gewünschten98 Gründung, sodass man in
Verdemütigungen wie begraben liegt. Und doch ist eine Überzeugung in mir, die
nicht von mir sein kann. Gerade dieses Kreuz, dieses scheinbar aussichtslose
Kreuz ist meine ganze Hoffnung. Durch diese großen Leiden wird der Sieg Christi
und seiner Absichten vorbereitet. Jesus kann keine Schwächlinge und Feiglinge
brauchen; durch das Leiden wird Überwindungskraft in der Seele erzeugt und in
dieser Kraft, zusammen mit seiner Gnade und seinem göttlichen Lichte, müssen
alle bestehenden Schwierigkeiten überwunden werden. Darum nur nicht schwach
werden! In Christus ist Kraft für alles. In ihm haben die hl. Märtyrer alles
überwunden und alle großen Werke Gottes sind ein Sieg des Kreuzes. – Gewiss, es
kann schwache Augenblicke und Stunden geben, wo man im Übermaß der inneren und
äußeren Last meint: Es geht nicht mehr. Gerade haben mich solche Augenblicke
übermannt. Aber Jesus in mir versicherte mir: „Und es wird doch.“
1382 |
Ich erfasse auch gut die innere Führung, die
mich anleitet, über das Kreuz in Ruhe hinwegzuschreiten, als wäre es ein
Blumenweg und nicht ein Dornen- und Leidensweg; sich auch nicht an das Leiden
zu hängen oder unnötigerweise daran seine Kräfte zu vergeuden, sondern auch
hierin ein Pilger zu sein. In Jesus lasse ich mich umformen in seine
Pilgergesinnung, in der er nichts auf Erden sein Eigen nannte, auch nichts in
sich selbst, weil ja alles dies vorübergeht. Er leitet mich an, auf den
endlichen Sieg meine Hoffnung zu setzen und alle Kräfte nur im göttlichen Sein
zu bewahren, wodurch sicher alles menschliche Entgegentreten überwunden werden
wird. Nie aus dem Göttlichen herausgehen, alle menschlichen Kräfte im gebotenen
Göttlichen zu bewahren, eines Lebens mit ihm sein und diesen Zustand habituell
und dauernd werden lassen und bewahren: Das ist das Geheimnis der
Überwindungskraft Christi. So soll ich mich immer als Pilger betrachten, der
nichts sein eigen nennt auch nicht das Leiden, sondern dies als Mittel zum
Siege betrachten.
1383 |
Ich spüre, wie ich so hineinwachse und
umgeformt werde in Jesu Herz und allmählich mit seinen Gesinnungen leben kann.
Teilweise kann ich es schon in der Kraft seines mir gegebenen Seins. Durch die
Übung der Opfer und Leiden werde ich immer mehr in ihn umgeformt und in ihn
eingeführt.
1384 |
Morgens: Herr, ich will immer leiden, aber
verborgen!
1385 |
Untertags: Ich bin in einer geheimnisvollen,
inneren Umbildung, die sich nur im Leiden vollzieht. Es wird mir innerlich
ständig „etwas“ geboten, das ich mir aneigne und gebrauche. Von diesem „Etwas“
sagte mir Jesus in der Kapelle: „Glaube mir, dass du mein Herz erleben wirst,
das ich dir ständig anbiete.“
1386 |
Ich leide sehr. Es ist nämlich ein Gegensatz
in mir wie Feuer und Wasser. Das Feuer muss gleichsam das Wasser verzehren und
auftrocknen und es bleibt nur mehr das Feuer. Mit dem, was das Wasser
„erleiden“ würde, bis es vom Feuer aufgezehrt ist, möchte ich meine jetzigen
inneren Leiden vergleichen. Und alles vollzieht sich so intim, tief innerlich
in mir; ich bin selbst der, dem das alles geschieht, und ich selbst trage die
Folgen dieser geheimnisvollen Umwandlung. Es besteht da ein großer Unterschied
zwischen früheren mystischen Vereinigungsgnaden und dem jetzigen Erlebe. Es ist
gleichsam wie bei Kreisen, die einem gemeinsamen Mittelpunkte zustreben, dem
sie immer näherkommen, bis sie das tiefste „Ich“ des Seins der Seele treffen;
die Gnaden machen die Vereinigung mit Jesus immer kürzer, direkter,
unmittelbarer, bis sie schließlich den Mittelpunkt der Seele selbst, das
Persönliche der Seele, treffen, wo sich dann die geheimnisvolle Umgestaltung in
ihn vollzieht. Darum werden auch die Leidensreflexe, die Läuterungsleiden, die
jene geistige Umwandlung vollziehen, immer schärfer und durchdringender, je
näher man seinem Herzen kommt. So wie die Sonne jedes Lebewesen in der Nähe
verbrennen würde und wie nur ein sonnenähnliches Wesen in ihrer Nähe existieren
könnte, so ähnlich erlebe ich dieses geheimnisvolle Teilnehmen am Heiland in
mir.
1387 |
Die inneren Leiden werden verursacht durch das
Unendliche, das man in seinem Herzen erfährt und erlebt. Sein Leidensmut und
Opfergeist ist unermesslich, andauernd und beharrlich; da kommt nun die
schwankende, wenn auch gut gewillte Seele in unmittelbare Berührung mit diesen
gottmenschlichen Vorzügen, und der unwillkürliche Gegensatz scheint
unerträglich und löst dadurch diese inneren Leiden aus. Ich werde unmittelbar
in diese seine Opferbereitschaft hineingezogen, erlebe sie, als die meine – und
das bildet den besagten Gegensatz.
1388 |
Ebenso scheinen die Geduld und der göttliche
Gleichmut des Herzens Jesu der armen Seele unerträglich. Es scheint, wie wenn
eine Hand ins Feuer gehalten würde und sich nicht davon entfernen könnte, bis
schließlich die Hand brennt und dadurch vom Feuer gehalten wird; so war seine
Geduld und sein Gleichmut im Wesen seiner göttlichen Liebe, nur von der Liebe
getragen, gestützt und gehalten. – Alle Vollkommenheiten des Herzens Jesu sind
nur von der göttlichen Liebe gestützt und genährt, von der göttlichen Liebe,
von der sein menschliches Herz erfüllt war. Dieses Herz war Träger und Gefäß
der göttlichen Liebe, worin sich alle göttlichen Vollkommenheiten gesammelt
haben.
1389 |
Diese verschiedenen Vollkommenheiten Jesu in
sich in Fülle zu erfahren und zu erleben, löst immer wieder in mir etwas wie
einen Seufzer aus: Es ist unerträglich, es ist unerträglich! Aber im tiefsten
Sein in mir widerspricht das höhere Verlangen der leidenden Natur mit der
sehnsüchtigen Bitte: Noch mehr, O Herr! – Das wiederholt sich den ganzen Tag.
Ruhe scheint erst dann zu werden, wenn das Brennende in mir zum Feuer selbst
geworden ist.
1390 |
Ein anderes, großes und geheimnisvolles Leiden
Jesu war die Beschränkung durch seine menschlichen Kräfte, besonders durch den
menschlichen Verstand. Wohl besaß Jesus immer die göttliche Allwissenheit, aber
dies strömte ihm unmittelbar durch das Einssein mit dem Vater zu. Als Mensch
fühlte er sein Wissen insofern beschränkt, als sich das göttliche Licht und
Wissen den menschlichen Kräften harmonisch anpasste. Nun war wohl sein
menschlicher Verstand vollendet und vollkommen, aber es war eben doch der
Verstand eines wahren Menschen, „In allem uns gleich, die Sünde ausgenommen“.
Jesus litt unter dieser Beschränkung durch die menschlich begrenzten Kräfte,
ähnlich wie wenn jemand sich bewusst wäre, dass er seinen früheren Verstand
verloren oder dümmer geworden wäre. – Ich erlebe ein ähnliches Leiden dadurch,
dass die früheren Erkenntnisse und Erlebnisse verdunkelt sind, gleichsam
zugedeckt, wie etwa die Ziegel eines Hauses durch den Mörtel.
1391 |
Und erst das göttliche Schweigen und die
Verborgenheit Jesu! Fast 2000 Jahre z. B. hat Jesus geschwiegen von den Leiden
seines Herzens und hat dieses Sein Innerstes, Verborgenstes, Geheimnisvollstes
erst unserer Zeit aufbewahrt. Welcher Mensch könnte so lange schweigen? – Der
liebe Heiland hat mir schon früher gesagt: Ich habe es noch niemand „so“
erfahren lassen, worauf ich dich vorbereite; es sind die Geheimnisse meines
Herzens.) Das ganze Priesterwerk aber wird eine Frucht dieser inneren Leiden
Jesu Sein. Die göttlichen Früchte seiner Leiden sind ihm immer noch gewiss und
werden unfehlbar in den Seelen fruchtbar werden. – Der Mensch freilich möchte
sogleich oder doch bald die Früchte seiner Bemühungen genießen. Jesus aber hat
Zeit.
1392 |
Jetzt verstehe ich erst klar, was ich vor
15-20 Jahren nicht so recht begriffen habe, als Jesus mich innerlich so oft an
sein Herz zog und mir sagte: „Ich will dir die Geheimnisse meines Herzens
offenbaren. Du wirst mein Herz erleben“. Und ich erlebte damals schon eine
göttliche Überfülle. Wenn ich aber dabei meinte, in seinem göttlichen Sein
aufgelöst zu werden, fügte Jesus oftmals bei: „Es wird dies einmal ein
dauernder Zustand werden. Es wird dies dann dein gewöhnliches Leben sein“. –
1393 |
Keine innere Teilnahme an Jesus bzw. sein
inneres Erleben entwickelt sich weiter. Es vollzieht sich aber alles in
ununterbrochenen Leiden, die in der Ausschaltung meiner eigenen
Verstandestätigkeit und meiner persönlichen Einflüsse bestehen.
1394 |
Ich möchte diese meine eigene Ausschaltung mit
einem Fernrohr vergleichen. Der Astronom, der die Sternenwelt erforschen will,
bedient sich des Fernrohrs, um störende Nebeneinflüsse und Bilder
auszuschalten, die seinen Blick in den Himmelsraum hindern würden. Zugleich
bringen die feinen Instrumente und Gläser des Fernrohrs die Sonnenwelt
gleichsam näher und lassen sie klarer erkennen und unterscheiden. Durch eine
kleine Öffnung, durch das Rohr, schaut der Astronom in den Himmelsraum und das
Dunkel im Fernrohr wird ersetzt durch künstliche Lichtempfänglichkeit. – In
ähnlicher Weise bin ich mir selbst und den äußeren Einflüssen weggenommen. Ich
erlebe eine besondere Erhöhung, ja, eine vollständige Ausschaltung meiner
eigenen Geistestätigkeit, die das einströmende göttliche Licht wohl sehr stören
wurde.
1395 |
Für die eigene Natur bedeutet diese Umstellung
ein beständiges Leiden. Dafür werden aber neue Kräfte in Tätigkeit gesetzt; das
schon teilweise bestehende Erleben Jesu wird durch die höhere innere Umbildung
immer mehr ermöglicht, gewinnt an Kraft und drängt immer mehr zur Selbsttätigkeit
und zum persönlichen Erleben. Mein früheres Sein wurde ja durch die innere
Umbildung immer mehr verdrängt, und die Erlebnisse des Inneren Jesu werden
infolgedessen zu direkten, unmittelbaren, eigenen Erlebnissen. Diese innere
Erhebung und das völlige Verlassen des Eigenen werden in mir zur
Grundvoraussetzung des unmittelbaren Erlebens Jesu als eines eigenen
Erlebnisses. Je größer die Entfernung von sich selber wird, desto greifbarer
und erfassbarer bildet sich in mir Jesu Innenleben aus.
1396 |
Seit gestern erfasse ich wie noch nie das
Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit, das Wesen Gottes in sich. Ich schaue in
Gott fortwährend drei Bewegungen und Tätigkeiten: Der „Vater“ erzeugt in sich
das „Wort“, die ständig ausströmende und erschaffende Liebe Gottes. Das „Wort“,
durch das alles geschaffen wurde und durch das sich die Liebe des Vaters zeigt,
ist die zweite Person in Gott, vollkommen in sich frei und seines göttlichen
Seins sich bewusst: Göttliches Ausströmen, das die zweite göttliche Person
erzeugt. Die Bewegung zwischen Vater und Sohn, die das Ausströmen des „Wortes“
verursacht, wird ermöglicht und gleichsam veranlasst durch die dritte göttliche
Person, weil die ewige göttliche Liebe alles verursacht, erzeugt und fruchtbar
macht. Ich schaue alle drei Arten von Bewegungen voneinander geschieden, jede
in sich ihrer besonderen Tätigkeit bewusst, die aber in sich nur eine ist,
einem Wesen eigen. – Ich schaue das „Wort“, das in der Zeit vom Fleische
umkleidet wurde, um die Liebe des Vaters kundzutun. Nachdem Gott-Vater durch
die Erschaffung besonders seine Allmacht gezeigt hat, zeigt er durch das „Wort“
und dessen Menschwerdung besonders seine Liebe. Das Wort ist wesenhaft Gott von
Gott, Gottes Liebe, wodurch Gott sich offenbart und zeigt, sich sichtbar zu
erkennen gibt und menschlich spricht. Und dieses selbe Wort ist Fleisch
geworden. Das, was Gott kundtun wollte, was ihm selbst ausströmt, was seine
Liebe ständig in ihm hervorbringt, das ist der Menschensohn geworden. Also ist
Christus die Liebe, die der Vater sendet, seine Liebe.
1397 |
Und das Wort war infolge der einen göttlichen
Wesenheit immer untrennbar im Vater, auch während seines Erdenlebens. Ich
erfasse so gut diese göttliche Untrennbarkeit, weil der Vater sich ja ständig
durch den Sohn offenbart. Wohl war Jesus seiner menschlichen Natur nach
veranlasst, auf unsere menschlichen Wege und Weisen mit dem Vater zu verkehren
– weil er sich dieser menschlichen Natur ganz wie ein gewöhnlicher Mensch
überantwortet hatte – aber durch seine wesenhaft göttliche Anlage war sein
Einssein mit dem Vater immerwährend. Seine menschliche Seele besaß allezeit
Gott, aber nur die göttliche Wesenhaftigkeit, während der Erlöser, zeit seines
Erdenlebens das Genießen seiner göttlichen Wesenhaftigkeit abgelegt und auf
seine göttlichen Rechte verzichtet hatte. – Im Augenblick seiner Menschwerdung
begann seine Entblößung, sein Verzicht auf das Genießen dessen, was Gott ist,
begann sein Erlöserleiden. Das „Wort“ nahm Fleisch an, entblößte sich allen
göttlichen Rechtes und in der Knechtsgestalt, um des Falles der Menschheit
willen, gab es Gott, was Gottes ist. – – –
1398 |
Was ich in wenigen Augenblicken so klar
erkenne und begreife, dazu brauche ich viele Worte, denen noch dazu die volle
Klarheit mangelt. – Die jetzige Art des Erkennens ist auch nicht, wie früher,
die Art des „Schauens“, obwohl ich kein anderes Wort dafür habe. Es ist
vielmehr ein Durchfühlen, Durchleben, Durchdringen des göttlichen Geheimnisses.
Es ist eine Bestätigung des früher Geschauten, ein Erleben, das sich in mir
selbst vollzieht, sodass ich im Durchfühlen und Durchleben bestätigen muss: Ja,
es ist so; das ist Gott; das ist der Erlöser, die menschgewordene Liebe, von
der Liebe des Vaters gesandt.
1399 |
Heute Morgen habe ich dieses Geheimnis in der
einfachsten Weise erlebt und durchfühlt, wie wenn es nun meine Eigenheit wäre
und meiner Anlage entspräche. Ich schaute den „Ratschluss“ Gottes: „Lasset uns
den Menschen machen nach unserem Ebenbild und Gleichnisse!“ – Ich erfasse die
von Gott geschaffene Anlage der Menschenseele, die für göttliches Erfahren
angelegt und eigentlich nur zu diesem Zweck geschaffen ist. Die Seele hat
gottähnliche Anlagen, wozu auch die äußeren Anlagen des Schaffens, des
Beherrschens und Regierens der Schöpfung gehören. Ich schaue diese
gottähnlichen Anlagen des Menschen in seinen äußeren Betätigungen; ob sie sich
nun zum Wohl oder zum Wehe der Menschheit auswirken, immer stammen diese
Anlagen von Gott aufgrund jenes göttlichen „Ratschlusses“. Nach dem Ebenbilde
und Gleichnis Gottes ist der Mensch geschaffen, mit dem Unterschied, dass Gott
all seine Fähigkeiten aus sich selbst und ohne Bemühen besitzt, während das
Geschöpf, der Mensch, seine naturhaft angelegten Fähigkeiten selbst
herausholen, entfalten und durch entsprechendes Bemühen zu fruchtbarer Entwicklung
und Fertigkeit bringen muss. Alles aber stammt von Gott.
1400 |
Ebenso ist es mit den höheren Anlagen der
Seele. Die Möglichkeit, Gottes Wesen zu erforschen und zu durchdringen, ist
nach Gottes Ratschluss und Liebe in der Menschenseele grundgelegt, weil Gott
sich den Menschen, seinen Geschöpfen, zu erkennen geben und seine göttlichen
Eigenschaften zum Genuss bieten wollte.
1401 |
Ich meine, der liebe Heiland hat mich dies
erkennen lassen, weil mir manchmal doch ein wenig bange wird, wenn er mich in
so großer Einfachheit und Selbstverständlichkeit seine tiefsten Geheimnisse
durchleben lässt; und ich spüre, in welchem Maße sich das noch erhöhen wird. Da
habe ich in mir die Beruhigung: Die Seele ist für göttliches Erkennen
geschaffen; die Erkenntnis Gottes soll ihr vornehmstes Ziel sein. In meinem
Falle sehe ich das als meinen besonderen Beruf und erkenne ihn wiederum klar:
Die Person Christi, des Erlösers, in seinen inneren Geheimnissen erleben, so
von ihm aufgenommen werden, dass sein Leben zu meinem eigenen Erlebnis wird,
weil er sich in diesem Geheimnis besonders offenbaren will. – Ich werde in
dieser geistigen Aufgabe eine ständige Steigerung erleben, werde mich nie darin
vollendet fühlen, sondern eine immerwährende Entwicklung erleben. Vollendung
würde mir erst in der Ewigkeit [sein], wenn ich das genieße, was ich auf Erden
durchlebt und erlebt habe. Dort sei für mich die Zeit der Vollendung, der
Sättigung und des Genießens des Erlebten und im Glauben Erfahrenen. – Ich sah
auch: Ein Akt des Glaubens, auch im gewöhnlichen Seelenleben, bringt der Seele
einst eine besondere Erfüllung des Geglaubten in der Ewigkeit. Auch auf diesem
Gebiete gilt vor allem das Wort des Heilands: „Mit welchem Maße ihr ausmesst,
mit demselben wird euch wieder zugemessen werden“. Gott will vor allem, dass
man an ihn glaubt und ihn für das hält, was er ist. – Alles hier Geschriebene
habe ich teils gestern Abend, teils heute früh bei der hl. Messe wiederholt in
noch höherem Lichte erfahren. – – –
1402 |
Jetzt, am Nachmittag drängt mich das „Leben“, das
ich lebe, immerwährend: Mich dem Inneren des Erlösers, das mir das meinige
scheint, als eigenem Erleben hinzugeben! Ich soll glauben, dass ich Jesus so in
mir zum eigenen Erlebnis besitze und dass sich die Vereinigung zu einem
gleichsam wesenhaften Stadium entwickelt hat. Jesus verlangt immer wieder:
Glauben, Glauben an das, was er in mir vorbereitet hat und was sich bis zur
Erfüllung gesteigert hat!
1403 |
Gewiss, ich kann nur einfach und demütig
bekennen: ich selbst erfahre ja mein Inneres in diesem Stadium; es braucht nur
noch den Glauben, dass ich diese unaussprechliche Einheit in mir wirksam werden
lasse; denn Jesus nimmt immer auf den eigenen Willen und die eigene
Entscheidung Rücksicht. – Wenn ich schreibe, leide ich immer darunter, dass ich
nicht die einfachen Worte in der einfachen Art gebrauchen kann, wie ich alles
in Gott erfahre.
1404 |
Abends: Ich werde innerlich veranlasst, mich
dem Erleben des Erlösers hinzugeben. Gemäß der inneren Führung bin ich dafür
befähigt. Die unaussprechliche innere Entblößung und Losschälung hat mich
geführt in den Zustand des Verzichtens der zweiten göttlichen Person, als sie
die Menschheit annahm.
1405 |
In der Kapelle erlebte ich den Grad der
Entblößung vom Genuss der Gottheit, wohinein sich Jesus als Erlöser im
Augenblick seiner Menschwerdung begeben hat. – Ich erfasse dabei in mir auch
den Weg der Reinigung und des Strebens nach Heiligung, auf dem der Heiland mich
von Kindheit auf bis jetzt in unaussprechlichen Leiden und Prüfungen geführt
hat, um dies erfahren zu können, um annähernd den Zustand erreichen zu können,
den Jesus für notwendig hält, damit ich diese Geheimnisse erleben kann. Ich
habe aber keinen Ausdruck für die Art der Entblößung von allem Geschöpflichen
und vom eigenen sein, die erst befähigt, den Erlöser in seinen wesenhaften
Fähigkeiten und Vollkommenheiten ertragen zu können.
1406 |
Durch das Versetzt-Werden in den Zustand des
gewöhnlichen, menschlichen Seins des Erlösers, in die Grundhaltung seines
Herzens, bin ich zugleich auch im Wesen Gottes bzw. im Vater, von dem der Sohn
ausging, aber wesenhaft immer in ihm blieb. Es ist aber nicht eine Art der
mystischen Vereinigung mit Gott, wie ich dies erlebe, sondern ich erkenne es
als ein Aufgenommen-sein99 in Gott, ein Teilnehmen an Gott, das
zurückströmt zu mir und mich durchlebt und trägt. Es ist ein Zustand in Gott,
der schon ist und war und nicht erst gegeben wird und der nun mein Wesen und
Sein ausmacht. Dadurch, dass ich in Gott eingegangen bin, werde ich teilnehmend
an ihm im unmittelbaren Erfahren göttlichen Seins, in dem all das Feuer ist,
das gibt, ernährt und durchdringt.
1407 |
Aus diesem Erleben heraus begreife ich Jesu
Verzichten auf seinen göttlichen Genuss. Es ist ein dunkles Sein in Gott, das
sich mir wesenhaft mitgeteilt hat. – Nachdem ich heute Morgen das „Wesen des
Wortes“ erfahren habe, begreife ich auch den geistigen Zustand des Erlösers,
sein Wesen als Gott im Vater. – Vom gewöhnlichen mystischen Erfahren Gottes,
vom glückseligen jubelnden Gesättigtsein von Gott, vom Verzichten auf all
diesen Trost, bin ich nun geführt worden zu einem dunklen, wesenhaften Erleben
Gottes, zu einem unmittelbaren Teilnehmen an seinen göttlichen Geheimnissen.
1408 |
Bei diesem ersten Erleben in der Kapelle
konnte ich nur staunend erwägen: „Also das war der Erlöser; so war es in seinem
gottmenschlichen Inneren!“ – Ich stehe aber knapp am Anfang. – So tief ist er
herabgestiegen. – So lange und so schmerzlich musste ich hinaufsteigen, um das
erleben und erfahren zu können. – Und doch ist mein Zustand nur der, wie ich
ihn ertragen kann, wie er einem gewöhnlichen Menschen möglich und für Jesu
Absichten notwendig ist. –
1409 |
Der liebe Heiland will, dass ich neu meine
Hingabe bekräftige durch einen Akt des besonderen Glaubens an all die
Geheimnisse, die ich in ihm erleben werde, angefangen vom heutigen Erlebnis.
1410 |
Ja, Herr, ich glaube, dass DU das bist, was
ich in mir erfahre. Ich gebe mich ganz deinem Erleben hin und ich glaube, dass
du es bist, dein Wesen als Erlöser, dein Inneres, deine Herzensgesinnung. Ich
verzichte für immer ganz auf mich und opfere alle meine menschlichen Kräfte
deinem Erleben, das du damit bewirken willst. Ich will dir ganz als Werkzeug
dienen, dass dein Sein in mir möglichst klar und rein zustande kommen kann. Was
ich mir erlebe, das bist du. – Aber alles soll sich nicht in mir vollziehen,
sondern wie einstmals in Maria, in unserer Mutter. Ihr sei dieses Geheimnis
deines Werdens in mir ganz anvertraut. –
1411 |
Ich bin in einer merkwürdigen Veränderung in
Jesu wesenhaftes Erleben hineingehoben, aber es ist so einfach, als wäre es das
meine. – Im ersten Augenblick meinte ich, es müsse mich erdrücken, der Grad und
die Art des Verzichtens sei unerträglich, das Durchlebtsein vom
Göttlich-Wesenhaften müsse mich auflösen; aber jetzt kann ich es ruhig
ertragen.
1412 |
Es gäbe noch vieles zu schreiben, aber es gibt
kein menschliches Wort dafür. Es wirkt jetzt in diesem Erfahren so vieles
zusammen, wovon ich früher nicht verstanden habe, zu welchem Zweck es diene.
1413 |
Die Genossenschaft geht hervor aus der
besonderen Fürsorge Mariens für die geistigen Bedürfnisse der Kirche und
entspricht unseren äußeren Zeitverhältnissen. Maria will in dieser
Schwesterngenossenschaft gleichsam ihre mütterliche Liebe für die Kirche zeigen
und will in den Schwestern das ausgeführt haben, was sie in ihrem Herzen als
für unsere Zeit notwendig sieht.
1. Der Zweck der Genossenschaft ist eine geistige
Unterstützung der Priester nach dem Vorbilde Mariens. Die Gesellschaft sucht
den Priestern das zu sein, was Maria den Priestern gewesen ist, so ganz
vertraut mit den geistigen Nöten der Kirche, „ganz weit“ eingestellt und
gewillt, mitzuhelfen, um eine geistige Erneuerung der Kirche herbeizuführen.
Mit Mariens Augen und Einsicht will sie durch Gebet und Opfer hineingestellt
werden in dieses Erneuerungswerk. Dies muss das geistige Ziel der
Genossenschaft sein. Alles aber im Geiste Mariens, der Mutter des Erlösers und
der Königin der Apostel.
2. Die Genossenschaft muss so angelegt werden,
dass auch höhere Stände, d. h. gebildete Fräulein, nicht nur der Mittelstand
und der niedere Stand, da ein geistiges Betätigungsfeld finden. Ich schaue da
eine weite, allen Bedürfnissen entsprechende Anlage ohne Engherzigkeit. Deshalb
muss auch die äußere Anlage „modern“, den heutigen Verhältnissen angepasst
sein. Es muss der vornehme Stand ebenso wie der niedere eine
Einführungsmöglichkeit haben. Warum auch der höhere Stand? Weil er infolge
seiner Vorbildung in besonderer Weise die Möglichkeit besitzt, die geistigen
Nöte der Kirche zu erfassen und sich dafür zu opfern bzw. einzusetzen. Der
geistige Zweck dieses Berufes ist ja Mitarbeit mit den Priestern bzw. mit dem Priesterwerk,
ähnlich den Diakonissen der ersten Jahrhunderte.
3. Der Gesellschaft Mariens ist noch eine halb
weltliche Genossenschaft angegliedert, das Werk der Erneuerung der Familie, der
zweite weibliche Teil. Aufgabe des ersten Teiles ist es, diese Mitglieder des
zweiten Teiles zu unterstützen, ihre Ausbildung in dem von Gott gewünschten
Geiste zu übernehmen oder doch dabei mitzuhelfen, ihnen ein Heim zu bieten, wo
sie ihn allem nützlichen und praktischen Wissen unterwiesen werden, das ihr
Beruf fordert. Die höhere geistige Ausbildung dieser zweiten Gruppe steht den
Priestern des Werkes zu; alle frauliche Ausbildung erhalten sie von der
Gesellschaft Mariens. Dieser unterstehen sie und bei ihr haben sie heim und
Unterkunft. Von da muss das Werk der Erneuerung der Familie ausgehen als ein
Werk Mariens. Es wird zur Zentrale für den fraulichen Teil und damit eine
praktische Unterstützung der Priester. So ist der vom Herrn gewünschte örtliche
Zusammenschluss begreiflich. Es muss „ein Werk“ sein und darf nicht getrennt
werden. Die Gesellschaft Mariens soll ganz im Geiste Mariens auch in dieser
Hinsicht, die Nöte der Kirche erfassen, um ihnen direkt abzuhelfen und wirksam
an ihrer Überwindung mitzuarbeiten.
4. Neben dieser Betätigung ist die innere
Anlage beschauliches Leben mit Chorgebet im Geiste der Kirche. Die erste Gruppe
soll in allem das Leben Mariens nachleben und dieses Marienleben in
unmittelbarer Betätigung wirksam werden lassen, aber doch in Abgeschlossenheit,
während die zweite Gruppe sich nach außen betätigt. Der innere Geist, und die
besondere Eigenheit der Gesellschaft Mariens ist schon früher angegeben worden.
Als besonderes Kennzeichen geht der Geist der Einfachheit, Demut und Liebe nach
dem Vorbild Mariens, der Gründerin, und im Sinn des stillen Lebens in Nazareth.
5. Ich möchte das nicht in der Form von
sogenannten Chor- und Laienschwestern für die erste Gruppe ausgeführt haben.
Doch sehe ich es nach der ganzen Anlage nicht anders möglich als in zwei
Abteilungen, von denen jede sich entsprechend ihrer geistigen Ausbildung und
ihren Vorbedingungen für diesen Beruf betätigen kann, wobei aber beide nur eine
Familie ohne irgendwelche Abstufung bilden.
1414 |
Bei der letzten Aufzeichnung erwähnte ich zwar
ein Erleben der höchsten Stufe der geistigen Entblößung, die sich beim Erlöser
in seiner Menschwerdung vollzogen hat und die ich nacherleben und wodurch ich
eingehen solle in die innere Gesinnung und in den Zustand Jesu. (Ich meinte,
diese Stufe der inneren Entblößung und Entkleidung schon erreicht zu haben.)
Aber in den letzten Tagen erlebte ich doch noch eine diesbezügliche Erhöhung,
auch infolge der Veränderung meiner äußeren Lage, die nicht ohne entsprechende
Losschälung möglich war.
1415 |
Zuzeiten bin ich ganz an Jesu Stelle, ich
möchte sagen: Ich lebe seine Entblößung von allem eigenen Genuss. Jesus blieb
in sich in seiner Wesenheit als Gott, im Übrigen aber fühlte er sich als
gewöhnlicher Mensch, ein menschlich gelebtes, göttliches Sein. Es gibt keinen
Ausdruck für dieses innere Erleben, das ich in mir trage.
1416 |
In besonderer Weise erfasse ich das Geheimnis:
Jesu ständiges Sein im Vater. Der Vater zeugt jeden Augenblick den Sohn in
sich, das Wort, das die menschliche Natur annahm. Er zeugt fortgesetzt das
Wort, auch nach dessen Menschwerdung. Das ist ein wunderbares Geheimnis. Durch
den Sohn offenbart sich der Vater sichtbar im Sohne. Diese göttliche Betätigung
wurde nie unterbrochen, auch nicht, als das Wort fleischgeworden war. Das ist
das wunderbare Sein Jesu im Vater, das immer „wird“ und doch immer gewesen ist.
1417 |
Das Geheimnis, das ich in der vergangenen
Woche so geheimnisvoll schaute, kann ich jetzt durchdringen, erfahren,
begreifen: Der Vater zeugt jeden Augenblick den Sohn auch in dessen Menschheit.
Und doch erscheint der Heiland nach außen als gewöhnlicher Mensch. Sein
Inneres, seine göttliche Wesenhaftigkeit liegt verborgen. Darin liegt das
größte Geheimnis bei seiner Menschwerdung. Jesus ist wahrer Gott und fühlte
sich und war auch in sich wie ein Mensch. So sehr hat er sich allen göttlichen
Genusses und seiner göttlichen Rechte zeit seines Lebens entäußert. Aber gerade
durch diese göttliche Liebestat ist Gott „sichtbar“ geworden: Gott zeigt sich
im Sohn. Für die Menschen ist Christus ein sichtbarer Beweggrund des Glaubens
geworden. Wir sehen nicht den Vater, aber wir sehen den Sohn – die Welt hat den
Sohn gesehen –, durch den sich der Vater geoffenbart hat, und sich noch
offenbart.
1418 |
Durch die göttliche Führung bin ich
veranlasst, immer tiefer in diese göttlichen Geheimnisse einzudringen bzw. sie
in mir zu erleben. Durch die besondere Art der Vereinigung mit Christus wird es
zu meinem eigenen Erlebnis, kann ich es nacherleben und nacherfahren. Auf
diesen Stufen der Vereinigung mit Christus wirkt nicht mehr die fühlbare Gnade
des Einsseins mit Jesus, sondern die schon gegebene Gnade ist wirksam. Man ist
aufgegangen in Gott und Gott strömt zurück in die Seele (um eine kleine
Erklärung zu versuchen). Man erlebt diese göttliche Wechselbeziehung, ich
möchte sagen, diesen göttlichen Austausch, zu dem sich Gott der Seele gegenüber
herbeilässt [sic!]. Es ist „ein“ Strom geworden, der ununterbrochen „fließt“,
obwohl die Seele auf diesen Gnadenstufen alles dies wie für100
gewöhnlich hält. Die Wirkung aber ist unaussprechlich. Es ist ein
unaufhörliches „Nehmen und Geben“, ohne fühlbares Erfahren, aber umso wirksamer
und wie selbstverständlich scheinend. Das Tor ist für immer geöffnet, die
Hindernisse sind beseitigt. Der göttliche Strom wird selbst zum „Leben“, zum
treibenden Leben, das alles in sich besitzt. Die Fülle dieses Lebens ist nun
Gott selbst, der immer in der Seele zeugt und gleichsam neues Leben
hervorbringt, sodass Gott sich gleichsam wiederfindet oder vielmehr der Vater
seinen Sohn in der Seele wiederfindet, weil wir alles durch Christus empfangen
haben. So wird Christi Leben in der Seele wiederholt, wo der Sohn die Frucht
der Erlösung wird, und die Seele ist durch Christus eine Opfergabe für den
Vater. (Natürlich ist es nicht so gemeint, als würde die Seele nun wirklich
Gott …).
1419 |
Aus diesen eigenen Erfahrungen heraus begreife
ich auch das „ständige Werden“ des Sohnes, auch in seiner Menschheit. Gott der
Vater offenbart sich durch die „Tat“, durch das gelebte Sein des Sohnes.
1420 |
Ich erlebe auch die fortgesetzte eigene
Entblößung, die notwendig ist als Grundlage für das Erleben dieses
Geheimnisses. Nichts anderes soll für mich Bedeutung haben, denn dies ist mein
Beruf: Christi Erlösungsgeheimnis erfahren. Jesus fordert restloses Mitgehen,
vollkommenes Aufgeben des eigenen Seins, damit ich dadurch immer mehr in sein
Sein eingehen könne, wodurch ich zum Erleber seines Seins werde. (Es gibt kein
Wort, um diese Art des inneren Mitgehens ausdrücken zu können).
1421 |
Das oben Beschriebene lässt einigermaßen den
Weg verstehen, auf dem ich innerlich diese „ständige Zeugung“ des Sohnes im
Vater begreifen kann. Dies ist wohl das wunderbarste Geheimnis, das ich bisher
erfahren habe.
1422 |
In der vergangenen Nacht war ich immer in
Leiden, obwohl ich eigentlich recht gut geschlafen habe. Es war ein ständiges
„mich ganz verlassen“, mich verabscheuen, und zum Ersatz meines Eigenen
Vom-sein-Christi-aufgenommen-werden. Wie in einem Spiegel sah ich mich selbst
mit allem Gegensatz zu Jesus. – Morgens, bei der hl. Messe und Kommunion war
ich ganz getrennt von mir, ich möchte sagen: Jesus erstand neu in mir, aber so,
als wäre ich es.
1423 |
Diese schmerzliche Trennung von mir, die ich
so stufenweise erlebe, ist eine neue Möglichkeit für sein Erleben, eine noch
höhere Grundlage dafür. Wie viele Stufen des Verlassens meines Eigenen habe ich
schon durchschritten? Und immer wieder meint man, schon am Ziele zu sein und
ständig von Neuem steht man wieder wie vor eine Mauer, die den weiteren
Ausblick verhindert. Es kommen dann neue Wege und Möglichkeiten zu einem noch
höheren Erleben Jesu.
1424 |
Es bereitet sich auch eine große Aktivität in
mir vor, eine Bereitschaft, in der Kraft seines Seins seine Absichten zu
verteidigen.
1425 |
Eine solche Höhe des „Mich-verlassens-habens“
habe ich bis jetzt noch nie erlebt. Es tut mir unaussprechlich wohl, so ganz
von mir getrennt zu sein, weil das Sein Jesu umso mehr in mich einströmen kann
und mir unüberwindliche Kraft gibt.
1426 |
Heute Morgen, und auch schon während der
Nacht, war ich wieder in einem unaussprechlichen Zustand einer inneren
Befreiung und Einkleidung von mir, ein Leiden, das ich mit keinem Worte
erklären kann. Es schien mir: Ich muss vergehen, muss aufhören, ich bin nicht
mehr, bin ein Sterbender, der mit dem Tode ringt.
1427 |
Aber aus diesem Todleiden erstand ein neues
Leben in einer bis jetzt nicht erlebten Art, sein tätiges Leben in mir, oder
besser gesagt: Ich lebe den Heiland an seiner Stelle; so sehr hat er mich
überwunden und so stark lebt er mich. – In der Kapelle erneuerte Jesu das
Wissen um seine Absichten und seinen Willen, und die Forderung, mich vollends
gebrauchen zu können als Werkzeug zur Offenbarung seines Erlöserherzens für die
Priester.
1428 |
Es ist eine merkwürdige Änderung in mir: Jesus
offenbart sich mir durch mich selbst. Ganz intim, als er erlebe ich mich. Er
gebraucht mich für sich. Ich bin der, durch den er sich offenbart im
unmittelbaren Erleben seiner selbst. Er offenbart sich durch mich, im Erleben
seines Seins an seiner Stelle. Ich diene ihm für sein Sein. Er will die Leiden
seines Herzens in mir wiederholen als nochmals menschlich gelitten, damit sein
Inneres offenbar werde für die Priester. – So klar wie heute habe ich seine
Absichten noch nie erfahren, noch nie so unmittelbar seinen Willen erfasst.
1429 |
Ja, ich opfere mich dir, dass du dein
Innenleben in mir wiederholen kannst, dass du als Gottmensch neu erkannt
werdest – was du besonders deinen Priestern offenbaren willst. Nachdem ich aber
dein Herz in so unmittelbarer Nähe erfahren habe, begreife ich auch, dass eine
Wiederholung deines Innenlebens nur durch große Leiden in mir möglich sein
wird. Dein Leben war ja vom ersten Augenblick an ein unerhörtes Opferleben. Von
deiner Menschwerdung bis zu deinem Tode am Kreuz warst du ständig der Mittler
zwischen Gott und den Menschen. Dieses, dein inneres Leben willst du besonders
den Priestern zeigen und zugleich es ihnen bieten und darreichen mit dem
Versprechen, es ihnen zu eigen zu geben. Du willst es ihnen schenken. Du willst
damit deine Gesinnung in sie übergehen lassen, aus ihnen einen zweiten Erlöser
machen und damit eine geistige Erneuerung deiner Kirche herbeiführen. Ich soll
dir als Werkzeug dienen. Du brauchst dazu ein leidensfähiges Herz. – Und du
willst meinen Glauben an dieses Wunder deiner Liebe, das du im Begriff bist, zu
wirken.
1430 |
Ich will glauben, O Herr, so unbegreiflich es
auch ist und so schwer mich auch deine Herablassung niederdrückt, wenn ich auf
meine unaussprechliche Unwürdigkeit schaue. Aber du drängst mich: glauben,
glauben im Vertrauen auf dich! – Ich erkenne auch: Alle bisherigen Leiden
befähigen mich für das Erleben des Zustandes deiner Entblößung von deiner
göttlichen Herrlichkeit bei deiner Menschwerdung. Ich werde dadurch in jenen
Zustand geführt, dorthin, wo dein Erlöserleben angefangen hat. (Ich habe dieses
augenblicklich so geschrieben, wie mir Jesus durch sich seinen Willen vernehmen
ließ.)
1431 |
Der liebe Heiland hat mich wohl deshalb
hierher geführt, dass ich in einer anderen Art von Leiden geprüft werde, die
seinen Absichten mit meiner Seele in anderer Weise dienlich sind. Geistig
bedeutet dies eine Erhöhung der Leiden, freilich in anderer Form. Die Trennung
von der Welt ist eine vollständige, die Einsamkeit noch größer. Diese
Vorbedingung ist der führenden Gnade dienlich, eine noch größere Trennung in
mir, bzw. von mir selbst, herbeizuführen.
1432 |
Es geht jetzt innerlich wirklich auf Leben und
Tod; habe ich früher schon viel innerlich gelitten, jetzt geht es auf das
Tiefste. Es gibt keine Möglichkeit mehr, mich an etwas zu klammern, es ist
nichts mehr vorhanden, weil alles abgeschnitten ist. Nur Gott weiß, was ich zu
Zeiten leide. Ich habe auch keinen Wunsch nach Erleichterung, weil jeder eigene
Wille tot ist und weil ich blind von anderen Kräften geführt werde, die ich
selbst will und in denen ich aufgegangen bin.
1433 |
Ich bin jetzt wohl in das Stadium eingetreten,
wo ich, wie mir früher vorausgezeigt wurde, endlich in die Person Christi
eingehe. Ich habe mich ganz verloren, auch das Bewusstsein meines Seins. Ich
bin weit von allem Irdischen getrennt; es ist wie ein leerer Raum, der aber
alles besitzt und nirgends Mangel hat. Aber doch so arm und klein, dass ich
jeden Augenblick von dem innerlich Gebotenen nehmen muss. Dies lässt sich mit
keinem Wort ausdrücken. Die Leiden sind oft derart, dass ich meine, darunter
zusammensinken zu müssen, wenn ich nicht von unsichtbaren Kräften getragen
würde. Es gibt aber Kraft in mir im Überfluss, soviel, dass ich darunter leide.
Dies weist auf noch größere Leiden hin und gibt zugleich das Verlangen nach
Leiden.
1434 |
Nach all diesen Leiden scheint es, dass ich
bis jetzt immer noch Stützen an mir selber hatte, die aber jetzt weggenommen
sind. Darum dieses „von mir entfernt sein“, aber auch die „Bedürfnislosigkeit,
mich weiter zu besitzen“. Es MUSS gerade DAS gelitten sein, soll ich, ganz von
mir, und zwar auf die Dauer getrennt, mit dem Jesus-sein verbunden sein oder,
wie ich es jetzt innerliche erfahre, in seine Person eingehen, um seine
Innerlichkeit nacherleben zu können.101 Es ist unmöglich, all das in
den Leiden erfahrene in Worten auszudrücken. Es sind die wunderbaren Erlebnisse
der Person Christi, des Wortes, das Mensch geworden ist. – So war Jesus; das
war die göttliche Person des Sohnes, der der Menschheit eingewohnt hat. Er ist
nicht von der Erde wie wir. Er kam von der Ewigkeit. Er kam vom Vater. Er ist
das Wort selbst. – Dieses Erfahren lässt sich mit keinem Wort ausdrücken. Es
ist wie ein inneres „Befühlen“ und Bestätigen des früher Erfahrenen. Ich kenne
Christus in seinem inneren Wesen, ich kenne den Menschensohn. „Der“ wohnt in
der menschlichen Natur Christi.
1435 |
Ich begreife nun auch das Bild des Heilandes,
das mir einst, vor ungefähr einem Jahr, gezeigt wurde. Ich hatte schon lange
Jahre den Heiland gebeten, er möge mir einmal sehen lassen, wie er als Mensch
ausgesehen hat. Ich wollte Jesu menschliches Angesicht und seine menschliche
Gestalt kennen. Vor einem Jahr schaute ich unvermutet, ohne irgendeine
Vorbereitung, Jesu menschliches Aussehen, nicht mit menschlichen Augen, sondern
mir geistig sichtbar doch gut wahrnehmbar, und sein Aussehen prägte sich mir
ein. Jetzt, da ich in so außergewöhnliche Weise die Person Jesu erfasse,
begreife ich auch viel mehr den geheimnisvollen Gesichtsausdruck des Erlösers,
weil doch sein inneres Wesen sein Angesicht belebte. Ich begreife auch das Wort
des Judenvolkes: „Wie dieser hat noch keiner gesprochen“. Er kam vom Vater, von
der Ewigkeit und das machte das Unergründliche seines Wesens, dem keiner
widerstehen konnte. [sic!]
1436 |
Der Heiland war von großer Gestalt, richtig
ganz männlich und nicht von weiblicher Süßlichkeit, wie man sein Bild oft
darzustellen sucht. Er hatte ein längliches Gesicht, eine blassgelbe Hautfarbe;
die Gesichtszüge waren von ernster Männlichkeit, nicht hart, doch fest, ohne
irgendwelche Weichlichkeit. Die Stirn war ernst und majestätisch, die Nase
lang, das Gesicht schmal und gut ausgebildet, voll ernster Schönheit. Der Mund
ebenmäßig, das Kinn stark, überhaupt das ganze Gesicht das eines starken, gut
ausgewachsenen Mannes. Die Haare waren ganz dunkel, aber nicht schwarz, sie
hatten in der Mitte des Hauptes einen Scheitel und hingen zu beiden Seiten des
Gesichtes lose herunter, doch schön geordnet. Aber das Tiefste,
Unergründlichste waren seine Augen. Ja, er kam von der Ewigkeit. In diesen
Augen lag das Unergründliche seiner Herkunft, seine Göttlichkeit. Sie waren
dunkel, von einem geistigen Feuer belebt und lebhaft, voll Ernst und
Gerechtigkeit, doch wieder voll Milde und Güte. Der Blick ging über die Erde,
wieder der Ewigkeit zu, von der er gekommen ist. Von diesem seinem Blick
strahlte seine Gottheit aus, etwas Bezwingendes und Beherrschendes, dem niemand
widerstehen konnte. Das Wunderbarste im göttlichen Angesicht Jesu waren seine
Augen.
1437 |
Es stößt mich seither immer, wenn ich diese
weichlich-süßen Bilder des Heilandes sehe, mit den blonden Haaren und den
blauen Augen und dem fraulichen Gesichtsausdruck. Er ist gerade das Gegenteil
von dem, wie ich den Heiland sah. Er war ganz Mann von männlicher
Ausgeprägtheit und hatte nichts von weiblicher Weichlichkeit. Ich habe Jesus
genau gesehen: Wenn ich Zeichentalent hätte, so hätte ich ihn gut abzeichnen
können.
1438 |
Ich habe auch den Heiland als Kind gesehen.
Oftmals bat ich die liebe Mutter Jesu: „Lass mich einmal dein Kindlein sehen!“
– Es war um die Weihnachtszeit 1939, aber schon nach Neujahr 1940. Die
Muttergottes kann ich aber nicht beschreiben. Ich hatte das geistige Gefühl,
sie zeigte mir ihr Kindlein. Es hat auch nicht die Weichlichkeit anderer
kleiner Kinder; es war schon stark und ernst und hatte nichts Märchenhaftes,
das sonst auch kleine Knaben als Kinder haben. Das Gesicht war ernst, doch
ungemein lieblich, ganz vergeistigt, voll Leben und Wirklichkeit und Weisheit
und hatte nicht den stummen, nichtssagenden Ausdruck kleiner Kinder. Es lag
schon das Anziehende, das Göttliche darin, der Ernst der Sendung, seine
grenzenlose Liebe und seine göttliche Herkunft. Das Gesicht war länglich und
blass-gelb, aber nicht krankhaft, sondern voll großer Natürlichkeit, die in ihm
ausgeprägt war. Es war merkwürdig: Wie ich das Kind sah, war es klein, wie
Kinder in den ersten Monaten. Es fing an, vor mir zu wachsen, wurde ein Jahr
alt (nach der Größe zu schließen), einige Jahre, ein lieblicher Knabe voll
lieb-ernster Schönheit; es lag etwas ganz übernatürlich-göttliches in seinen
Augen, in dem gütig-ernsten Blick. Solche Augen habe ich noch nie gesehen. Hier
leuchtete das göttliche Wesen heraus und überstrahlte seine Menschlichkeit. Das
Kind wurde 10-12 Jahre alt, immer diesen ernst-erhabenen, übernatürlichen,
gütigen Gesichtsausdruck tragend. Es wurde ein Jüngling von 18-20 Jahren; ich
kann mich dessen noch so gut erinnern, wie Jesus als erwachsener Jüngling
aussah. Er wurde vor mir zum Mann und wurde diese ernst-gütige Gestalt, wie ich
ihn beschrieben habe (das andere Gesicht, das ich zuerst beschrieben habe,
hatte ich aber später).
1439 |
Immer, schon als Kind, trug der Heiland
dieselben Grundzüge seines Antlitzes wie im Mannesalter. Da war nichts von
weiblicher Weichlichkeit. Er war voll ernster Männlichkeit, voll
unaussprechlicher Milde und Güte, voll Anmut und Erhabenheit. Er trug ein
langes, fast gleichweites Gewand bis zu den Füßen reichend, mit weiten Ärmeln.
Ich habe noch nie einen solchen Mann gesehen, von solch erhabener Größe, ebenso
wenig ein solches Kind von solch erhabener Kindlichkeit und Natürlichkeit. Es
gibt keine Ähnlichkeit, weil eben seine Göttlichkeit seine Menschheit bildete
und überstrahlte und beherrschte. Als ich nachher das Bild Jesu nach dem
Leichentuch von Turin sah, fand ich die erste Ähnlichkeit. Ja, so waren seine
Gesichtszüge, so die Bildung seines göttlichen Hauptes, so war der lebende
Christus, wie ich ihn geschaut habe.
1440 |
Jetzt, wo ich in diesen Tagen in so
unaussprechlicher Weise innerlich die Person Christi erfahre, kommt mir das
geschaute Bild Jesu noch mehr in Erinnerung. Das war der Ausdruck seiner
göttlichen Person. So mochte sich seine Göttlichkeit in menschlicher Weise
gezeigt haben; das konnte wahrlich der menschliche Ausdruck seines Innenlebens
gewesen sein. Wenn schon oft im gewöhnlichen Leben die Seele sich auf dem
Angesicht zeigt, mit all den guten und bösen Anlagen, so muss dies umso mehr
beim Gottmenschen der Fall gewesen sein. Dessen Göttlichkeit konnte nicht ganz
verborgen geblieben sein; seine göttliche Liebe und Güte muss auch dem Äußeren
eingeprägt gewesen sein. Es war wohl die größte Sehenswürdigkeit, Christus in
seiner menschlichen Gestalt gesehen zu haben, wie er unter den Menschen
wandelte, der Menschen größter Sohn, ein Gott in Menschengestalt.
1441 |
Man kann aus seiner Erhabenheit auch
begreifen, dass seine Jünger alles verlassen haben und ihm nachgefolgt und bei
ihm geblieben sind und ihr Leben für ihn geopfert haben; dass Tausende ihm
nachgelaufen sind bis in die Wüste, und ohne Brot bei ihm ausharrten und sich
nicht losreißen konnten. Es waren die Strahlen aus seinen göttlichen Augen, die
dieses Hingerissen-sein verursachten, die nicht ohne Wirkung bleiben konnten.
Bei den Guten löste seine erhabene Erscheinung Liebe und Hingabe und Glauben aus,
bei den Bösen Hass und Abneigung gegen ihn. – So ist Christus heute noch zur
Entscheidung für jede einzelne Seele und für ganze Völker geworden.
1442 |
Ich habe heute wieder, obwohl ich sehr leide,
über meinen inneren Weg viel Licht empfangen. Jesus will sein Inneres seinen
Priestern bzw. der lehrenden Kirche zeigen; ich werde innerlich umgebildet in
Jesus, sodass er mittels meiner Leidensfähigkeit dies ausführen kann. Ich gehe
in seine Innerlichkeit ein, in seine Person. – Es sind nur einfache Worte, die
ich gebrauchen kann, und immer die gleichen, aber was hat das für mich für eine
Bedeutung! Welche Leiden schließen sie ein! – Ja, es ist wahr, was Jesus mir
gesagt hat über diesen inneren Übergang: „In großen Leiden wird sich deine
innere Umbildung vollziehen.“
1443 |
Und doch kann ich nicht zweifeln an den
Absichten Jesu, die meine innere Umformung bestätigen. Ich bin weit entfernt
von mir, wie jemand, der nicht ist und doch sein muss, der sich verloren hat
und dafür ein anderes Wesen angenommen hat, das aber jetzt doch das meine
scheint. Und doch bleibt alles so „gewöhnlich“ bei mir, ja, ich werde immer
noch kleiner und einfacher und eine unaussprechliche Opferbereitschaft ist mein
eigentliches Leben; ich bin Gott gegenüber unersättlich. Wenn ich leide, dass
ich meine, es könne nicht mehr höher gehen, dann habe ich die größte
Befriedigung; bin ich in leichterem Zustand, so bin ich nicht befriedigt. Es
verzehrt mich das Verlangen nach Vollendung, die sich nun im Leiden vollziehen
kann. Ich trage ein verzehrendes Feuer in mir, das Christus ist.
1444 |
Es gibt keinen Ausdruck für meine inneren
Erlebnisse, weil alles zu geistig erfahren ist; und doch ist mir alles so klar
und das Wirken der göttlichen Gnade und die Veränderung, die sie hervorbringt,
erhöhen sich fortwährend; ich lebe Jesus in mir. Ich werde innerlich
mitgenommen und ein inneres Feuer ist in mir tätig.
1445 |
Drei Tage lang wusste ich jetzt nichts von
meinem Innenleben; es schien abgeschlossen, oder ich hatte den vorher als Ziel
gesetzten Zustand schon erreicht. Heute früh nun, bei der heiligen Messe, war
ich gleich ganz über mich hinausgehoben, mehr noch als sonst, obwohl ich auch
im letzten Zustand mich nicht mehr berührte. Ich hatte in mir das Wissen, und
Jesus ließ mich vorausschauen: Er wolle mir eine ganz besondere Gnade geben; es
sei die größte von allen bisherigen Gnaden, die er aber besonders für seine
Absichten gebe. Es war auch die Gewissheit damit verbunden, ich käme
anderswohin; ich glaubte darunter wieder das „Herz-Jesu-Kloster“ verstehen zu
müssen, und ich hatte in mir die Bereitschaft, alles für ihn zu opfern und
dorthin zu gehen, wo dann alles in Ordnung käme.
1446 |
Ich meinte zunächst, dies sei schon das Neue,
was Jesus mir mitteilen wolle. Es war eine große Kraft, die ich nicht selber
war, die mich ganz erfüllte, es war ER. – Bei der dritten heiligen Messe aber
erhöhte sich unvermutet mein früherer Zustand und ich erlebte Jesus in einem
neuen Maße in seinem gottmenschlichen Leben, sein Leben als Gott und Mensch,
das ein göttliches und doch menschliches Leben war.
1447 |
Es wurde mir darüber erklärt: Jesus lebte als
Mensch den „Habitus“ als Gott weiter, den er nie ablegen konnte infolge seines
göttlichen Wesens; sein menschliches Leben war ein göttlicher „Habitus“ als
Mensch. – Ich kann mich nicht besser ausdrücken, kann nur das nackte Wort
gebrauchen, das aber so viel an innerer Erkenntnis in sich schließt, weil ich
es so genau begriffen habe.
1448 |
Ich schaute dann den Habitus in den
verschiedenen Stufen des mystischen Lebens: Auf den unteren Stufen besteht der
Habitus in „Gefühlen“ und einer Bemühung, die im Willen liegt; es ist eine
besondere Gnadengabe, aber noch nicht dauernd; daher auch die große
Gefühlstätigkeit der Sinne usw. in den Anfangsstadien. – Mit dem
fortschreitenden geistlichen Leben wird dieser Habitus oder das wirklich
übernatürlich gelebte Leben immer mehr vertieft und vergeistigt und das Gute
und die Tugenden werden zu einer wesentlichen Gewohnheit in der Seele.
1449 |
Auf den höheren Stufen und in den Graden der
vollkommenen Vereinigung, und darüber hinaus, wird dieser Habitus ein
wirklicher Dauerzustand, der Seele wirklich eigen; es wird ihr Wesen und
braucht keine weitere Bemühung. Die Hindernisse, die einem dauernden
Tugendleben entgegenstehen, wurden ja schon in den Reinigungsstufen entfernt,
und die so geläuterte Seele bringt das Tugendleben leichter und sozusagen ohne
Mühe oder wenigstens ohne besondere Mühe fertig. Die höhere Vereinigung mit
Gott hat schon das Übergewicht in der Seele erlangt, und das Böse in der
menschlichen Natur ist schon zurückgedrängt.
1450 |
Es gibt aber noch einen höheren Habitus, wo
die Seele das göttliche Leben Christi schon so wirksam in sich trägt, dass es
die dauernde Befähigung zu allem Guten bildet. Dieser Habitus ist dann
„naturhaft“ geworden.
1451 |
Bei Gott gibt es nur einen „göttlichen
Habitus“, der seiner göttlichen Vollkommenheit eigen ist, der immer gewesen ist
und sich nicht vermindern oder steigern kann. Bei der Menschwerdung Christi
bleibt dieser göttliche Habitus dem Erlöser eigen. Er konnte ihn niemals
ablegen, weil er sonst aufgehört hätte, Gott zu sein. Er lebte als Mensch
diesen göttlichen Habitus weiter, der ihm auch in seinem menschlichen Leben
absolut eigen war.
1452 |
In Maria war ein entsprechender Zustand schon
bei ihrer Empfängnis grundgelegt, durch ihre Unversehrtheit von der Erbsünde
und deren Folgen, der Begierlichkeit. Er erhöhte sie102
immer mehr bis zu ihrer göttlichen Mutterschaft. Es war schon immer ein
bleibender, aber doch sich immer mehr entwickelnder Zustand, wodurch sie fähig
wurde, Christus jenes menschliche Leben zu geben, das fähig war, göttliches
Wesen zu tragen. So war in Jesus der göttliche und menschliche Zustand (nicht
der Naturen) ineinandergeflossen und es war auch dem Leibe Christi oder seinem
leiblichen Leben die Möglichkeit gegeben, Göttliches und göttliche
Vollkommenheiten in sich zu tragen und wirksam werden zu lassen. Die göttliche
Person Christi wurde Haupt und Träger der menschlichen Natur, diese war ihm
ganz Untertan und es wurde so ein gott-menschliches Leben gelebt.
1453 |
Der göttliche Habitus wurde sein
gott-menschlicher Zustand und seine Eigenheit. Aber gerade dieser Zustand
bildete das größte Geheimnis seines Erlöserlebens, in dem göttliches und
menschliches Sein zu einem [sic!] harmonierte und sein göttliches Sein ständig
„neu“ vom Vater hervorging, obwohl Jesus in sich ein vollständig
selbstständiges Wesen war. In diesem Geheimnis der gottmenschlichen Einheit
liegt eigentlich das größte Wunder der Liebe Gottes und des Innenlebens des
Erlösers.
1454 |
Heute nun hat mir Jesus versprochen, er lasse
mich an diesem seinem Habitus teilnehmen, weil das notwendig wäre zum Erleben
seines Innenlebens. (Ich weiß ganz gut, worum es sich handelt, aber ich habe
kein Wort dafür; es ist zu tief geistig erfasst.) Das Geheimnis seines inneren
Seins wird mir durch die Vereinigung mit ihm mitgeteilt, nachdem ich dafür
befähigt worden bin. Ich gehe somit ein in seinen geistigen Habitus, in seinen
dauernden Zustand der Vollkommenheit, der für mich Mittel zum Erfassen seiner
inneren menschlich-göttlichen Geheimnisse ist. – Das ist aber eine Gnade nur
für meinen besonderen Beruf, nicht für gewöhnlich gegeben. Sie ist nicht
Selbstzweck, sondern wird nur gegeben, weil eben Jesus das innere Geheimnis
seines gottmenschlichen Seins den Priestern, bzw. der lehrenden Kirche
offenbaren will. Jesus aber nimmt mich dazu, ich habe nichts dazugegeben, er
braucht jemand dazu und es ist das Unglück – wenn ich es so sagen darf – dass
ich der bin, den er dazu nimmt.
1455 |
Ich weiß ganz gut, wie sich das in mir
auswirken wird, aber es gibt kein passendes Wort dafür. Er nimmt mich dazu,
damit er es zeigen kann. Ich erlebe dieses Geheimnis im Erleiden dieses
Zustandes. Er schenkt mir seine Vollkommenheiten – es sind ja die seinen –,
dass ich damit leben und ihn leben kann. Es wurde mir dabei auch das Wort des
heiligen Paulus erklärt: Ich lebe, doch nicht ich, Christus lebt in mir. Von da
aus entwickelt sich mein Zustand: Ich lebe Christus. Er schenkt sich mir, dass
ich damit ihn leben kann. Es ist eine besondere Gnade für unsere Zeit, für eine
Erneuerung des christlichen Geistes dadurch, dass Christus mehr in einem neuen
Verstehen erkannt wird. Diese Gnade dient besonders den Priestern: Damit
schenkt sich ihnen der Heiland zu einem neuen, tieferen Innewerden seines
gottmenschlichen Lebens, das bis jetzt noch mehr Geheimnis war.
1456 |
Der liebe Heiland will nun immer wieder meinen
Glauben an seine Absichten. Ich muss glauben an seine Liebesabsichten, denen
ich diene.
1457 |
Ich spüre aber, wie er schon in mir an der
Arbeit ist und einen weiteren Weg, nämlich den oben beschriebenen, in mir
vorbereitet. Er nimmt mich dazu. Ich gebe mich dazu her. Ich lasse mich
gebrauchen „für ihn“. – Er nimmt mich schon zu dem oben Beschriebenen und ich
habe Freude dabei, weil ich nun ganz aufhören und nur sein Sein leben werde.
„Das seine bleibt immer“, so verspricht er mir. Das macht mich so glücklich.
„Das seine bleibt immer“.
1458 |
Ich lebe eine große Qual des Verlangens, in
Jesus vollendet zu werden. Diese verzerrende Sehnsucht ist größer als alle
anderen Leiden der inneren Angleichung an ihn. Immer vorwärts, dem erschauten
Ziele zu: Christus erleben in seiner Erlöseraufgabe, ihn erleidend erleben,
seine inneren Vollkommenheiten mir gleichsam aneignend, weil ohne sie die
Eigenart seines gottmenschlichen Innenlebens nicht klar genug erfasst werden
könnte. Jesus führt mich immer tiefer ein in sich, oder besser gesagt, die
schon erfasste Einheit mit ihm wird ein noch höheres Umgewandelt-sein in ihn,
ein Durchlebt-sein von ihm.
1459 |
Bei all seiner ununterbrochenen Führung steht
das Ziel in mir fest: Er teilt sich mir mit in jener geheimnisvollen Weise, die
notwendig ist zum Erleben des gottmenschlichen Geheimnisses seines Seins, worin
sich die Erlösung der Menschheit vollzogen hat.
1460 |
Den Ausgangspunkt bildet das Geheimnis Gottes
der unbedingten Wirklichkeit seiner Existenz. Gott existiert wirklich; ich habe
es erfahren und erlebe diese Wahrheit jeden Augenblick real, wirksam in mir.
Ich bin eingegangen ihn dieses wirkliche Gottesgeheimnis, bin durchlebt von
dieser Wahrheit, weil ich sie jeden Augenblick in mir erfahre, ja
unauslöschlich erfahre. – In den vergangenen Tagen, als ich mehr „spürbar“ in einer
noch außergewöhnlich mir vorkommenden Art von Jesus durchlebt war, schaute ich
geistig das Wesen Gottes (es wurde mir so gezeigt): Wie EINE Flamme, die sich
in drei Flammen teilt, aber nur eine ist und wobei jede dieser Drei gleich groß
ist. Die Flamme in der Mitte ward mir als der Vater erklärt, die zwei zur Seite
als Sohn und Heiliger Geist, die vom Vater ausgehen. Jede göttliche Person hat
aber die gleiche göttliche Macht und ist in sich ganz selbstständig, obwohl
jede eine andere Betätigung bewirkt und alle drei doch nur ein Wesen ausmachen.
(Für diese Art des Erfahrens der Heiligen Dreifaltigkeit gibt es kein Wort,
weil sich alles in einem Augenblick im Schauen vollzieht; man kann nur tote
Worte gebrauchen.) In die göttliche Person zu Rechten des Vaters (des Sohnes)103
bin ich wie eingegangen, ja es ist mein Beruf, diese zu erleben. Ich bin so von
der zweiten göttlichen Person erfüllt, wie wenn dies zu meiner Natur und zu
meiner besonderen Eigenheit gehören würde.
1461 |
Ich erlebe die unaussprechliche Verbindung der
Person des Wortes mit der göttlichen Person des Vaters, das Sein und Wesen des
Sohnes, menschgeworden und doch im Vater seiend. Die göttlich wesenhafte
Reinheit des Sohnes war in nichts verändert in seinem menschgewordenen Zustand,
in seiner menschlichen Natur. Die besondere göttliche Vollkommenheit, die
innere Harmonie und Freiheit und die Macht des Sich-selbst-beherrschens behielt
Jesus in seiner Menschheit bei. Man kann das nicht in Worten erklären. Die
eigene Losgelöstheit von der menschlichen Gebundenheit und den niederen
Hemmungen, die volle geistige Freiheit – wohl die höchste Frucht jahrelanger
Selbstverleugnung und innere Reinigungsleiden – bringen die Seele diesem
Erfassen seiner göttlichen Vollkommenheit näher. In meinem Zustand, durch das
Leben und Sein Jesu, erlebe ich diese göttliche Freiheit des sich
Unumschränkt-Beherrschens. Ich bin wie teilnehmend daran. Wie die Augen eines
bittenden Kindes immer zum Vater gerichtet sind und wie wenn dies dem Kinde
infolge der Abstammung vom Vater wesenhaft wäre, so war Jesus in seinem
Erdenleben naturhaft zum Vater hingerichtet. Weil der Vater ihm ständig das
Leben gab, war Jesus wesenhaft, naturhaft, ohne Bemühung mit ihm verbunden und
doch war Jesus als Mensch ganz selbstständig. – Auf den Stufen der höchsten
Vereinigung der Seele mit Gott kann man das begreifen, wenn Gott schon das
Leben der Seele IST, schon wirksam, jeden Augenblick tätig, ohne Bemühung, ich
möchte sagen: Wenn die Seele schon wie in Gott aufgegangen ist, in Gott wie
vergöttlicht ist, und seine göttlichen Eigenschaften schon erfahren hat.
1462 |
In den letzten Wochen war ich in großen
Leiden, die es mir innerlich ermöglichen sollten, die göttlichen Vollkommenheiten
Christi gleichsam zu eigen zu machen bzw. sie ertragen zu können. – Diese
innere Angleichung geht unter großen Leiden vor sich, für die es keinen
Ausdruck gibt. Ununterbrochen, Tag und Nacht, arbeitete der Heiland in sehr
schmerzhafter Weise in mir. Die Art der Einheit, wie ich sie früher schon in
mir besaß, „genügte“ mir nicht mehr, weil Jesus mir Höheres in Aussicht
gestellt hat, nämlich ihn in einer noch höheren Weise zu erfahren, und weil er
mir diese höhere Art des Einsseins mit ihm schon „zugedacht“ hat. Diese
Spannung zwischen dem schon in Aussicht gestellten Ziel und dem bisher
Erreichten, das jetzt unvollkommen scheint und nicht genügt, ruft
unaussprechliche Leiden hervor. Man „erlebt“ schon in unvollkommenen Umrissen,
wie in ständigem Ahnen, das zu erreichende Ziel und dieses Erleben strahlt
hinein in die Seele wie Sonnenstrahlen in einen Winkel, wo es noch Staub gibt,
der nun ohne Nachsicht gezeigt wird. So ähnlich wirkt das göttliche Licht mit
dem innerlich schon gezeigten höheren Zustand. Diese geistigen Sonnenstrahlen
sind wie glühende Blitze und wie Feuer, wovon die Seele ständig und
unbarmherzig getroffen und durchglüht wird. Der schmerzliche Abstand zwischen
dem jetzt nicht mehr genügenden Zustand und dem erschauten Ziele wird zu einem
beständigen Aufsteigenwollen der Seele, die sich aber doch wie gebunden fühlt,
weil das Aufsteigen Sache der Gnade ist. Man fühlt im Inneren eine schmerzliche
Hilflosigkeit und dieses Wissen um die eigene Ohnmacht und Armut vergrößert das
Leiden und macht es vielfältig. Ich bemühe mich ständig, oder vielmehr, ich
werde ständig hinbewegt zu Höherem, das immer lockt und zieht, und doch kann
ich mich dort nicht festhalten; es ist, wie wenn ich es schon erfasse und doch
noch nicht erreiche. In diesen Leiden liege ich wie begraben. Ja, es war mir in
den letzten Wochen, als läge ich in einem kochenden Kessel. Um mich wie höhnend
die äußere, bedrängte Lage, die Leiden um der Sache des Herrn willen, die
Hilflosigkeit und Ohnmacht und doch wieder das Vorwärts-gedrängt-werden zur
Verwirklichung; all das lastet auf mir wie meine Last, die ich zu tragen habe.
– In mir einen Abgrund von Vernichtung und Verdemütigung, ständig unbarmherzig
wie durchglüht von den göttlichen Strahlen unbeschreiblicher Reinheit und Vollkommenheit
– was mein Ziel ist und unbedingt in mir hergestellt werden muss. Die arme
Seele schreit gleichsam immer zu: Herr, gib mir das, lass mich in dem
Ruhen, dort möchte ich sein, dort muss sich sein! – Diese große,
verzehrende Sehnsucht nach dem inneren Ziel ist noch das größte von allen
Leiden. Es gibt keinen Augenblick der Ruhe und des Befriedigt-Seins, bevor ich
nicht dort bin, an dem Ziel, das mir ständig winkt und mich einlädt.
1463 |
Und doch sind dies alles so glückliche Leiden,
möchte ich sagen, ohne innere Bitterkeit. Der Friede, und die Heiterkeit ist
unzerstörbar, weil die Leiden sich in großer Freiheit vom Niederen bewegen. Das
Einssein mit Jesus ist wie wesenhaft, unzerstörbar auch in den schmerzlichsten
Leiden. Es ist ähnlich wie bei einem hohen Berg, der ganz im Wasser steht, aber
dessen Gipfel aus dem Wasser herausschaut und von der Sonne beleuchtet ist. Der
Berg steht fest, auch im Wasser; er kann nicht davon zerstört werden; mögen
auch noch so viele Hochwasser und Stürme ihn umspülen, der Gipfel liegt doch
wie im ewigen Sonnenschein. – Jesus selbst ist ja das reinigende Feuer in mir.
Alles muss „er“ werden, alles muss von ihm aufgesaugt, in ihn umgewandelt
werden und diese innere Umstellung geht mit ganz großen Schmerzen vor sich.
Christus, der Begehrenswerte, wird der große Sehnsuchtsschrei meiner
menschlichen Armut. Nicht mehr ich, nein, nicht ich, nur du allein, sonst
nichts! Wie ich mich hasse und verabscheue, weil ich noch immer „mich“ sehen
muss in mir! Ich habe ein anderes Leben in mir erfahren, für dessen
Vollkommenheit es keinen Ausdruck gibt; ich muss durchlebt werden von ihm.
1464 |
Er bietet sich mir ständig, aber ich kann ihn
noch nicht so erreichen, wie mir die Sehnsucht danach eingeflößt ist. Ich muss
sterben und vergehen, damit er an meiner Stelle neu erstehen kann. Mein Ziel,
und meine Aufgabe ist, Christus in seinem gottmenschlichen Leben erleben. Und
dieses Ziel ist mir unauslöschlich eingebrannt, ist meine Eigenheit.
1465 |
Eine merkwürdige Eigenheit dieser inneren
Leiden ist, dass man in sich veranlasst wird, immer wieder, ja unzählige Male
am Tage auf sich, auf jeden Gebrauch meinerseits, zu verzichten. „Ich will mich
nimmer; ich will nur dich, nein, ich will mich nicht, ich verschreibe und
opfere mich ganz für dich, ich unterstehe deiner Person, immer nur du! – Ja,
ich bin bereit, ganz 'du' zu werden, schneide, brenne, zerstöre mich, aber
erhebe dich zum Leben in mir!“ Diese ständigen Hinopferungen und Beteuerungen
sind wie charakteristisch in diese Leiden eingeschlossen. Es scheint mir wie
bei zwei irdisch einander liebenden Seelen, denen jede gegenseitige
Liebesbeteuerung neuen Trost und Freude bringt. So bin ich innerlich ständig
veranlasst, Jesus meine Hingabe und meine Bereitschaft zu erklären. O, einmal
dort sein, ganz von Jesus aufgenommen, wo er lebt und das Meine ihm ganz zum
neuen Leben dient! Das ist mein unerklärliches verzehrendes Sehnsuchtsleiden. –
Und wie liebe ich dieses Leiden! Leiden und wieder leiden ist das Brot, nachdem
ich verlange. Denn diese Leiden verbinden mich in höherer Weise mit Jesus und
darum liebe ich sie.
1466 |
Ich bin innerlich so losgelöst von meiner
natürlichen Gebundenheit und dem Mitleid mit mir, dass ich mich für ein
immerwährendes Leiden an Jesu Stelle bereiterkläre. Christus erleben und ihn
erleiden, mein menschliches Sein erleiden, dieses Geheimnis erfahren und wenn
es auch mit den größten Schmerzen und Leiden verbunden ist: Es gibt kein
höheres Ziel als dieses. – Ich weiß aber ganz gut, um was es geht. Ich kenne
sein inneres Erlöserleiden, weil mir Jesus wiederholt erklärte: Diese Leiden
ermöglichen in mir die Fähigkeiten zum Erleiden seines Seins; ich eigne mir
damit die entsprechende Leidensfähigkeit an.
1467 |
Heute Morgen (27.10.1941) bei der heiligen
Messe, als der Priester bei der heiligen Wandlung die heilige Hostie in die
Höhe hob, kam eine große Freude über mich, dass ich einst Jesus so sehen werde,
wie er ist, nicht mehr unter der Gestalt des Brotes verborgen. Aber im gleichen
Augenblick war der Heiland wie lebendig in mir und es war mir: „er lebt in mir;
im Augenblicke meines Todes fällt nur der Schleier; ich erlebe ihn dann
wirklich schauend und er führt mich ein in sein Reich.“ – Das war mir mit
innerer Sicherheit versprochen.
1468 |
Ich erkannte dabei auch: Der Zustand des
Schauens Gottes in der Ewigkeit ist schon in diesem Leben vorbereitet und
begründet; ja, nach der Stufe der Vereinigung im Diesseits wird sich auch die
Vereinigung der Seele mit Gott im Himmel vollziehen. Nur der Grad der
Vereinigung mit Gott hat für die Seele und deren Ewigkeit Bedeutung und er wird
schon in diesem Leben vorbereitet.
1469 |
1470 |
Grundlage M1
Die Schreibweise von
M1 zu M2 differenziert sich auf einige Seiten, dass ich versuchte, NUR
wesentliche Unterschiede in den Endnoten zu erfassen -> Wie Auslassungen, evtl.
Sinnverschiebungen, fehlende Satzteile etc.
1471 |
Während der Läuterungsleiden, in denen ich in
letzter Zeit lag, prägte sich auch wieder mehr in mir das Ziel dieser Leiden
aus: An den Vollkommenheiten Christi teilnehmen, sie durch die Vereinigung mit
seiner göttlichen Person miterleben, bzw. zu meinen eigenen machen.
1472 |
Ich erkenne auch den Grund und Zweck dieser
außerordentlichen Gnaden, die mir Jesus mit sich selbst gewähren will: Wenn ich
seine göttliche Person, bzw. seine inneren Erlöserleiden erleben soll, ist
diese Gnade eine dazu notwendige Voraussetzung. – Jesus hat sein ganzes
Erlöserleben mit einem göttlich vollkommenen Habitus gelebt. Seine göttlichen Vollkommenheiten
wurden damit in der Menschheit Christi in menschlichen Vollkommenheiten
ausgeprägt und gelebt. So wurde in einem Menschen dem Vater für die gefallene
Menschheit die gebührende Sühne und Genugtuung geleistet. Diese menschliche
Sühne wurde durch die göttliche Person des Erlösers zu einer göttlichen. Es
wurde darum der göttlichen Gerechtigkeit eine wirkliche göttliche Genugtuung in
menschlicher Weise und doch mit göttlicher Vollkommenheit geleistet. Und das
machte das Erlöserleben Christi vollwertig und überfließend an Wert.
1473 |
Ich erkenne innerlich, oder vielmehr in
Christus erfahre ich seine einzelnen Vollkommenheiten. Gottes Langmut, Liebe,
Barmherzigkeit, Reinheit z. B. wurden in Christus in einen menschlichen Habitus
gekleidet. Dazu kamen noch die besonderen Vollkommenheiten Christi als des
Erlösers: sein kindlicher Gehorsam gegen den Vater, seine Hingabe, Demut,
Opferbereitschaft, Leidensliebe, Feindesliebe, seine absolute Unterwerfung
unter den Willen des himmlischen Vaters. Auch diese Erlöservollkommenheiten
wurden in göttlich-vollkommener Weise geübt und gelebt. Besonders in seinem
Leiden ist seine Demut, sein Herabsteigen unter alle Menschen, sein göttliches
Schweigen und seine Ruhe für einen gewöhnlichen Menschen unmöglich. Da zeigt sich
der göttliche Charakter des Erlösers, der auch den gerechtesten Menschen weit
überragt. Es bleiben dem Heiland als Erlöser trotz seiner Menschwerdung auch
verschiedene andere göttliche Vollkommenheiten, die mehr und ausschließlich dem
Wesen Gottes eigen sind. Obwohl z. B. Jesus als Erlöser seine göttliche
Allmacht gleichsam im Vater zurückgelassen hatte (so möchte ich mich irgendwie
ausdrücken), stand ihm doch der Gebrauch seiner göttlichen Allmacht wie auch
seiner göttlichen Allwissenheit immerwährend zur Verfügung, ja war infolge der
göttlichen Wesenseinheit mit dem Vater unzertrennlich in ihm. Für gewöhnlich
aber ordnete sich der Heiland ganz dem Vater unter als Mensch. Christus konnte
als Mensch immer „nehmen“ (wie einer, dem es gehört und der das Recht hat) aber
in Unterwerfung unter den Vater „empfing“ er, um damit sein göttliches
Erlöserleben überfließend für uns zu gestalten. – Dazu kommen noch die
innergöttlichen Vollkommenheiten, die in Christus auch einen menschlichen
Charakter mit seiner Menschwerdung anlegten, die aber doch das Erlöserleben
noch wertvoller machten. Die göttliche Reinheit und Geistigkeit verlor im
Menschen Jesus nichts an Vollkommenheit. Seine Seele war so außerordentlich
ausgestattet, dass sie gerade diese göttlichen Vollkommenheiten voll in sich
tragen konnte. Die göttlichen Wesensvollkommenheiten waren untrennbar von der
Person des göttlichen Wortes und gerade die göttliche Person des Sohnes wohnte
der Seele Christi und somit dem Leibe Christi inne. So verlor Jesus als Mensch nichts
von den104 göttlichen Vollkommenheiten.
1474 |
Wenn ich nun als meinen inneren Weg den
erkenne; [sic!] das innere Erlösergeheimnis bzw. die inneren Erlöserleiden
Christi zu erleben, und zwar wie in seiner Person, so zeigt mir die innere
Führung als notwendig damit gegeben, dass ich diese Leiden an Christi Stelle
auch in ähnlich vollkommener Weise erlebe. Da Christus die höchste
Vollkommenheit jedes Menschen in jeder Weise überragt, wurde ich jahrelang
einen besonderen Weg der Angleichung bzw. einer besonderen Vereinigung mit ihm
geführt, wodurch es mir möglich werden sollte, Christus in jener vollkommenen
Art und Weise zu erleben, wie es den Absichten Gottes entspricht, d. h. so,
dass der Zweck dieser besonderen Gnade erreicht und erfüllt werde.
1475 |
Seit heute Morgen bin ich in großer
Ausgeglichenheit des Geistes. Ich lebe ein Leben vollster Harmonie mit „mir“;
ich bin das, was ich lebe und ich lebe das, was ich bin. Es ist alles
vollkommen harmonisch, aber in einer unaussprechlichen Vergeistigung. Ich bin
in mir so „leicht“ als bestehe ich nicht; mein geistiges Sein ist über das
niedere in einer erhabenen Weise hinausgeschritten und das niedere Sein dient
dem Höheren in voller Ausgeglichenheit. Mein ganzes Sein ist nun vollkommen in
die göttliche Person Christi eingeordnet, so, dass ich von Ihr gar nichts
spüre, sondern das sie meine Person zu sein scheint.
1476 |
In Christus habe ich alles gefunden und alles
in mir wird von seiner göttlichen Person dirigiert und geleitet, ohne dass mir
dies zum Bewusstsein kommt, weil ja die Einheit schon so ganz harmonisch
besteht. Von diesem erreichten Punkt und Ziele aus ist mir nun die Möglichkeit
gegeben, seine Vollkommenheiten als Erlöser zu erleben und ertragen zu können.
Ich lebe somit seinen göttlichen Habitus mit. Durch die jahrelangen
Läuterungsleiden wurde in mir die entsprechende Fähigkeit, Haltung, Situation
geschaffen.
1477 |
Eine besondere innere Eigenheit ist meine
unaussprechliche Ruhe, Friede und geistige Heiterkeit. Diese Eigenheiten werden
durch kein inneres Leiden zerstört, möge mich dieses auch noch so sehr
bedrücken. Trotz aller Leiden bin ich in mir nur Freude und Heiterkeit,
unzerstörbare Ruhe, Festigkeit und Gleichmut. Und je mehr ich mich innerlich
lebe, bzw. aus mir selbst nehme, desto mehr Kraft und geistige Harmonie
entfaltet sich in meinem inneren Sein.
1478 |
Ich sehe aber heute noch eine besondere Gnade
der „Befestigung“ in diesem Geisteszustand voraus, womit dieser Zustand dann
ein dauernder, habitueller wird.
1479 |
Ich bin im Genießen der Erhöhung des Erlebens
der Vollkommenheiten Christi, in die ich gestern eingegangen bin. Ich spüre
aber nichts von Jesus, sondern durch die Einheit mit der göttlichen Person
Christi bin ich in diesem Zustand. Seine göttliche Person teilt sich mir mit,
sodass ich der Erleber seines innersten Seins als Erlöser bin. Und ich kann das
mir zugeteilte Maß seiner innersten Vollkommenheit gut ertragen.
1480 |
Es ist ein Leben völliger Kampflosigkeit; die
innere sittliche Vollendung ist vollkommen ausgeglichen; es ist wie eine
Sättigung, die nie eine Trübung berührt hat. – Ich lebe aus meinem innersten
Sein, das lauter Fülle ist. Je mehr ich mich hinein versenke, desto reicher
fließen die tiefsten Quellen meines Seins, die unergründlich sind. – Ich bin
mir alles, habe alles, bin grundlos in mir. – Es ist mir eine unaussprechliche
Seligkeit, so in mich hinabzusteigen und mich zu genießen. – Und dieses
Genießen meiner selbst wird nun nicht mehr gestört durch mein früheres Sein.
Ich bin ganz harmonisch aufgenommen und eingegangen in die tiefsten Quellen des
göttlichen „Ich“ Christi und kann mich daran satt trinken nach meinem Belieben
im Genuss dieses Selbstseins. Es ist eine Überfülle des eigenen „Ich“, dessen
Geheimnis eben diese Fülle ist; denn ich erlebe ja das göttliche „Ich“. Ich
erfahre die Worte nicht klar auszusprechende Wahrheit: Gott genügt sich selbst.
Er ist in sich unaussprechlich glücklich und selig und kein Geschöpf kann ihm
ähnlich hinzufügen oder seine innerste Glückseligkeit vermehren, weil eben105
Gott selbst der Urquell aller Seligkeit ist. Darum ist wahr: Gott brauchte die
Menschen nicht zu erschaffen, und wenn er sie erschaffen hat, dann hat es nur
seine göttliche Güte getan, um die Menschen teilnehmen zu lassen an seiner
eigenen Glückseligkeit.
1481 |
Ich bin in einer Fülle von Ruhe und Harmonie,
von Frieden und Kraft, Freude und Freiheit. Und der Grund dieser Fülle ist nur106
mein schrankenloser Selbstbesitz. Ich besitze mich, ich regiere mich, ich
behaupte mich in mir, ich bin wirkliches und wahres „Ich“, das vollkommen
unabhängig ist. Der Grund und die Quelle all meiner inneren Vollkommenheiten
und dieses Genusses ist das Geheimnis meines „Ich“. Daraus fließt alles; das
„Ich“ trägt alles, regiert alles und überfüllt alles, aus dem „Ich“ geht alles
hervor.
1482 |
Ich habe heute Morgen erfahren: Jesus als
Mensch behielt diese göttlichen Vorzüge vollkommen in sich. In sich und
wesenhaft verfiel er in seiner Menschheit nicht der Unterordnung oder einer
eventuellen Beengung durch sein menschliches Sein. Was im Erlöser eine Beengung
und eine Beschränkung schuf107, war das Aufgeben der Ausübung seiner
göttlichen Macht und Herrlichkeit, das Verlassen des Himmels und des Besitzes
der Seligkeit des Himmels, der ihm gebührenden Anbetung und Ehre, deren Besitz
er mit der Armut und Verachtung auf der Erde vertauschte. Insofern fühlte der
Heiland die Enge dieses menschlichen Lebens, das ihm wesentlich nicht zustand.
Darin108 lag auch seine göttliche Herablassung, weil er freiwillig
auf dieses Genießen verzichtete. Und dieses Leiden blieb ihm das ganze Leben
hindurch, bis er wieder zum Vater zurückkehrte. Dieses Leiden war ihm auch
„bewusst“. Er fühlte jeden Augenblick seines irdischen Lebens den gewaltigen
Abstand zwischen dem, was er jetzt besaß und dem, was er verließ und was ihm
gebührte. Weil aber Jesus sich in solchem Maß entäußern wollte, trug er diese
seine eigene Verdemütigung mit dem Habitus seiner göttlichen Vollkommenheiten,
d. h.109 mit der vollkommensten Liebe zu den Menschen, mit der
tiefsten Demut, mit der größten Geduld, mit der hingebensten Opferliebe und
Leidensbereitschaft, eben in einem solchen Maße von Tugend, wie es nur einem
göttlichen Wesen eigen sein konnte. Und aus diesem göttlichen Tugendhabitus
sprossten alle Erlösertugenden; sie hatten alle einen göttlichen Charakter.
Ebenso groß wie seine Herablassung und Demut war auch seine Hingabe in diese
Herablassung; ebenso vollkommene Hingabe war sein Tod am Kreuze. Was ihm im
Innern seines Seins die Kraft gab zu diesen Opfern, das war sein
innergöttlicher Habitus, seine Liebe, seine Ruhe und göttliche
Ausgeglichenheit, seine Heiligkeit. Das110 waren die göttlichen
Kraftquellen für sein ganzes Erlösersein. Und das111 konnte er
infolge seiner göttlichen Wesenhaftigkeit nie ablegen, denn sonst hätte er
aufgehört, Gott zu sein. Auch der innere Selbstbesitz, das eigene göttliche
„Ich“, die Quelle seiner Vollkommenheiten, war immer wirksam, konnte sich in
ihm nie vermindern trotz der äußeren Verdemütigungen und Leiden und trotz
seines schmachvollen Todes am Kreuze. Und gerade sein göttliches „Ich“ vollzog
mit seinem göttlichen Tugendcharakter das ganze Erlöserleben. Jedes112
Leiden war ein Leiden, das „ich“ trage. „Ich“ erleide; „Ich“ verdemütige mich.
Und das „Ich“ strahlte immer in größter Ruhe und Hingabe und voller Harmonie
mit sich selbst; es gab keinen Unwillen, trotzdem er diesem113
berechtigt war; aus seiner göttlichen Geduld heraus strömte die Geduld nach
außen. Aber Jesus fühlte die Leiden auch wirklich, wie eben alle anderen
Menschen, in denen sich ein bestimmtes berechtigtes „Wehren“ dagegen auflehnt.
Da war es wieder seine vollkommene Ergebung und Liebe114 zu den
Menschen, was ihm dieses Wehren überwinden half115. Und so empfand
Jesus im Einzelnen alle Leiden in ganz menschlicher Weise116. Ja, in
einer viel höheren und schwereren117 Weise, weil er sich stets
seiner göttlichen Würde bewusst war. Er fühlte riesengroß den Abstand seines
jetzigen Lebens und dem früheren im Himmel. Er war in allem vollkommen und so
wurde auch sein Zartgefühl, seine geistige und körperliche Empfindsamkeit, seine
innere Vornehmheit und sein Edelmut, all seine gottmenschlichen Anlagen wurden
in seinen Leiden und viel empfindlicherem Maße verletzt als bei gewöhnlichen
Menschen. Ebenso war es in seinen inneren Leiden. Er fühlte die Schmach der
Sünde, die er auf sich genommen hatte, in der verdemütigendsten Weise, weil er
der Reinste und Heiligste war. Zudem war es noch seine Schmach, in der er vor
seinem himmlischen Vater dastand in den Sünden der ganzen Menschheit. Und er
trug diese „Schande“ mit der hingebensten Liebe.
1483 |
Es ist dies das Geheimnis des „Habitus“, einer
schon bestehenden Tugend, die ihre Kraft entfaltet. Freilich gibt es da nicht
mehr die einzelnen Kämpfe, weil sie schon durchgekämpft118 und schon
„erkämpft“ sind. Die einzelnen Schwierigkeiten sind schon im Voraus ertragen
worden, aber sie waren nicht minder schwer, wie wenn der gewöhnliche Mensch in
seinen sündhaften Anlagen damit kämpft. Gewiss, wenn das Böse schon überwunden
ist, dann strömt die „Kraft“ der Tugend ein, die kein Wanken mehr zulässt. Die
Tugend „trägt“ dann die Seele und es bleibt trotz allen Leidens die Ruhe
bestehen; es gibt keine Verwirrung mehr, kein „Abspringen“ und kein Aufgeben.
Die Seele könnte zwar in diesem Stadium noch wankend werden, aber es ist eine
bestimmte Befestigung vorhanden, weil die Liebe zu Gott schon vollkommen ist.
Der alte Mensch ist schon überwunden und der neue Mensch herrscht schon mit
Christus und in der Kraft Christi in der Seele. Das ist sicher ein
begehrenswerter Zustand, in dem das Niedere schon überwunden ist. Aber Gott
gibt doch noch ebenso viele Gelegenheiten zu leiden, wodurch die innere Kraft
der Tugend erprobt und in der Übung befestigt und bewährt wird119.
Dann kommt die Frucht der früheren Übungen, die Ruhe, Gelassenheit, die
anscheinende Unüberwindlichkeit; die Tugend ist schon auf Felsen gegründet.
1484 |
Noch ein Umstand wirkt mit zu der inneren Ruhe
in Leiden und Verdemütigungen, die einen schon errungenen Tugendhabitus
voraussetzt: Die Seele hat sich nämlich schon von ihren eigenen Interessen
losgelöst. Die Freiheit von sich, vom eigenen Vorteil, die Losschälung von der
eigenen Bequemlichkeit und vom Mitleid mit sich selber, das Freigemachtsein von
der Furcht vor dem Verlust der Ehre und des Ansehens vor den Menschen: Das gibt
diesen Gleichmut. Man sucht sich nicht mehr selbst, sondern man hat sich mit
allem Gott übergeben, nicht in Worten, sondern in der Tat. Und das wird auch zu
einem Zustand, wo man keiner besonderen Übung mehr bedarf; es wird zu einer
glücklichen Gewöhnung der Seele. Ich habe in den ersten Jahren meines
besonderen Innenlebens oft und viel in ein Wort eindringen müssen, das mir
Jesus zum Begreifen und Durchdringen vorstellte, das Wort: „Dem der überwindet,
werde ich geben ein verborgenes Manna“. Ich habe dabei im Voraus verkostet den
Genuss einer schon erprobten Tugend, des schon überwundenen Menschlichen, die
wahre innere Freiheit, die wirklich einem verborgenen Manna gleicht. Das ist
wohl der höchste Genuss, der Genuss der eigenen Freiheit, in der die
selbstische Gebundenheit überwunden ist, die den Menschen zum Sklaven seiner
selbst macht. Gott ist das Vorbild der wahren Freiheit, und nur in Gott gelangt
man zur wahren Freiheit mit sich selbst. Auch in diesem Sinne ist wahr das
Wort, das einst Jesus gesagt hat: „Die Wahrheit wird euch freimachen.“ Die
wahre Selbsterkenntnis führt der Seele das traurige Geheimnis des eigenen
Nichts vor Augen, aber es ist dies die Wahrheit, und wenn man diese Wahrheit
anerkannt hat, dann geht es an das Freimachen von dem eigenen Bösen, um sich
dafür Gott mit seinen göttlichen Vorzügen anzueignen und diese Güter dafür zu
besitzen. Mit und in Gott eignet man sich ein ausgeglichenes Maß der Tugend an,
was auch eine große Wohltat ist für das irdische Leben, schon im Umgang mit den
Menschen.
1485 |
In Jesus war nun göttlich wesenhaft das Maß
des vollkommenen Tugendhabitus. Daraus schöpfte er in seinem Erlöserleiden und
dieser göttliche Habitus verklärte seine ganze Persönlichkeit. Er strahlte und
strömte so sehr aus ihr hervor, dass sogar die hasserfüllten Juden sprachen:
Wer ist DER? – So wie DER hat noch keiner gesprochen!
1486 |
Das göttliche Ich „trug“ und beherrschte auch
seinen Leib und doch hat sich in seinem ureigensten göttlichen120
Wesen nichts geändert. Seine göttlichen Vollkommenheiten erfüllten sein
menschliches Sein und wurde somit als menschlich „gelebt“ in menschliche Akte
übertragen. Jesus „besaß“ sich als Mensch in gleicher Weise, wie er sich vor
seiner Menschwerdung im Vater besaß. In seinem göttlichen Wesen blieb er der
Gleiche. Seine Seele war so angelegt, dass sie an sich seiner Gottheit keine
Beengung oder Schranke auferlegte. Christus besaß sich als Mensch dem Wesen
nach nicht weniger denn als Gott. Er konnte sein göttliches Wesen nicht ablegen
und konnte sich seinem tieferen inneren Wesen nach in Nichts einschränken oder
ändern.
1487 |
Diese göttlichen Vorzüge wurden aber nur
benützt, um die Erlösung vollkommener, herrlicher, wahrhaft göttlich zu
gestalten; sie waren ja Mittel und Werkzeuge der Erlösung. Sie gaben jene
geistige Spannkraft und waren wie121 Stärke, die alles vollbringen
ließ. – (Dieses innere Erfahren lässt sich nicht in Worten wiedergeben, es kann
nur „erfahren“ werden. Dies bezieht sich auf alle göttlichen Vorzüge, besonders
auf „das“ göttliche Wesen Christi im menschlichen Sein, so wie ich es erlebe. –
Die göttliche Unveränderlichkeit der göttlichen Person in seiner Menschheit ist
dabei das Erhabenste).
1488 |
Die Menschheit wurde mit göttlichen Kräften,
die im Menschen Christus herrschten, erlöst. Es waren göttliche
Vollkommenheiten, die sich dazu hergaben und dazu dienten. Und Jesus gab sich
in wahrhaft göttlicher Freiheit der Erlösung hin, wie eben die Freiheit seinem
göttlichen Wesen entspricht. Über die göttliche Freiheit aber herrscht das
Gesetz der Liebe und die göttliche Liebe war der erste Antrieb zu seiner
Menschwerdung und zur Erlösung.
1489 |
Hier liegt noch ein großes Geheimnis, das ich
zwar innerlich erfahre, aber noch nicht in Worten erklären kann. Jesus blieb
als Gott bei seiner Menschwerdung in jener vollkommenen Eigenschaft des Schaffenden,
Tuenden, wie ich ihn vorher als erkannt beschrieben habe; aber er übte diese
Eigenschaften nicht aus und passte sich seiner menschlichen Seele an. Es blieb
aber noch eine höchste Art der geistigen Betätigung, eine Art eingegossenen
Wissens, wenn sich dieses auch durch seinen menschlichen Verstand betätigt hat.
Behielt der Heiland in seiner Menschheit auch die göttliche Eigenschaft der
Allwissenheit? Ich kann das nicht unterscheiden, aber ich erkenne ihn als den
„Wissenden“; sein Wissen war ein eingegossenes, ein bestehendes Wissen. Hier
liegt ein ganz großes Geheimnis, das ich zwar erkennen, aber noch nicht in
Worten erfassen oder aussprechen kann. – Und gerade auf diese Art seiner
geistigen Betätigung, wie ich sie im Heiland innerlich erfahrend sehe, richtet
sich die oben beschriebene Ausschaltung meiner eigenen Geistigkeit, damit ich
jene höchst geistige Art miterleben könne, in der sich Jesus mit seinem
menschlichen Verstand betätigt hat. Soweit es sein Wille ist, soll ich diese
Art seiner geistigen Betätigung miterleben und ihr folgen.
1490 |
Dazwischen liegt nun die große Frage: Wie
wurde Jesus vom Zustand seiner innersten Glückseligkeit aus zum Leidenden? Ich
muss nach meinen inneren Erfahrungen bekennen, dass beides zugleich bestehen
kann; innerlich im höchsten Zustand des Genießens Gottes Sein und zugleich in
ein Meer von Leiden versenkt sein. – Jesus „nahm das Leiden auf sich“ und die
Leiden waren von seiner göttlichen Vollkommenheit „getragen“, d. h. von
höchster Liebe, von höchster Geduld, von vollkommenster Hingabe, in vollendeter
Ergebung und Opferliebe, in größter Demut und Schweigsamkeit, in der
vollkommensten Weise, wie sie eben nur ein Gott in seinen Vollkommenheiten
ertragen kann. Gewiss waren die Leiden mit menschlichen Kräften gelitten, weil
Gott leidensunfähig ist, aber das menschliche Leben Christi war von göttlichen
Geisteskräften getragen; in der Geisteskraft liegt aber die Möglichkeit und
Kraft des Ertragenkönnens auch für das menschliche Sein, und die
Geistesverfassung bewirkt und vollführt die Vollkommenheit des getanen Werkes
bzw. des gelittenen Leidens. Da kam der göttlich-vollkommene Habitus Christi
zur Wirksamkeit. Darum sind wir mit göttlicher Liebe, mit göttlich-vollkommenen
Akten erlöst worden. Jesus übte die Werke seiner Erlösung so aus, wie sie vor
dem Vater wohlgefällig waren, d. h., wie sie vor dem Vater vollkommen waren und
sie waren in den Augen des Vaters wohlgefällig und vollkommen, weil sie seinen
eigenen göttlichen Charakter trugen und damit eine vollkommene Sühne und Genugtuung
waren.122
1491 |
In meinem Erleben der göttlichen Person
Christi trete ich nun mehr in die innergöttlichen Vollkommenheiten ein, bzw. in
das Geheimnis Gottes „in sich“, wie es sich in der Erlöserperson Christi
begeben hat. – Heute Morgen habe ich dieses erhabene Geheimnis in
unaussprechlichem Erleben erfahren. Diesem Erfahren gingen wieder, wie es immer
geschieht, ganz große innere Erhebungsleiden voraus. Der in mir bestehende123
jeweilige Geisteszustand genügt nicht mehr zum Erleben der nächstfolgenden
Stufe des Erfahrens Christi, und es wird durch innere Leiden eine höhere Art
der Vergeistigung meiner Seelenkräfte und damit eine weitere Möglichkeit
geschaffen, das Geheimnis Christi, des Erlösers, in noch höherer Weise zu
erfassen. Derartige Geheimnisse liegen ja dem gewöhnlich menschlichen Denken
vollständig fern und können nur in der Einheit mit Gott bzw. mit Jesus erfasst
und durchdrungen werden.
1492 |
In meinem Fall ist der Weg zu diesen
göttlichen Erkenntnissen die Vereinigung und die Einheit mir der göttlichen
Person Christi. In „ihm“ stehen mir seine göttlichen Geheimnisse offen; mit
seinem göttlichen Lichte erleuchtet, durchdringe ich ihn; aber es ist nicht nur
ein Licht, das mich diese Geheimnisse erkennen und durchdringen lässt, sondern
meine Seelenkräfte werden langsam übergeführt zur Möglichkeit des Erlebens
seiner innergöttlichen Geheimnisse. Diese werden zu meinem eigenen Erfahren, d.
h., ich gelange zu jener geistigen Einstellung und bin in der Stellung des
Erlebens jener Geheimnisse, wie wenn „ich“ so in der Stelle Christi wäre, dass
ich aus eigenem Erfahren sprechen kann und muss. – Heute bei der hl. Messe
stellte Jesus wieder die innere Frage und124 Forderung an mich, ob
ich bereit wäre, „alles zu lassen, um in seinen göttlichen Erlösergeheimnissen
ganz aufgehen zu wollen“. Im gleichen Augenblick überschaute ich diesen
geistigen Begriff, „alles verlassen“: Dies bedeutet die immer vollkommenere
Ausschaltung meines eigenen Seins, meiner persönlichen Ideen, auch der geistig
guten, jeder eigenen Geistesbewegung, die eine Störung im Erleben Christi
bedeuten würde.
1493 |
Gottes Geheimnisse „in sich“ erfahren, ist
nicht möglich dem eigenen Wollen oder selbstständigen Durchdringen- und
Erfassenwollen. Meine Geisteskräfte werden daher „gebraucht“ und fähig gemacht;
sie müssen das eigene Wollen und Sterben ablegen lernen und still warten, bis
sie dazu befähigt sind und mitgenommen werden. Darum werden immer wieder diese
Läuterungs- und Erhebungsleiden eingeschaltet.
1494 |
Ausgehend von den früheren Erlebnissen über
den sittlich-vollkommenen Habitus Christi als Mensch wurde ich innerlich
weitergeführt und gelangte heute in den inneren Zustand des göttlichen Seins,
worin Christus als Mensch blieb. Ich erlebte den göttlich-wesentlichen Habitus
Christi.
1495 |
Gott ist in sich ein beständig „Tuender“, ein
Akt, eine „Tat“ nicht nach menschlichen Begriffen abhängig von früher
überdachten Taten. Das entspricht der Vollkommenheit seines göttlichen Habitus,
weil alles in ihm schon im ersten Ursprung des Entstehens bereits vollkommen
ist. Der Mensch hingegen muss sich in seinen Ideen stets verbessern; sein
erstes Wollen ist meist unvollkommener als die tatsächliche Ausführung des
zuerst Geplanten. Auch in den guten Taten muss sich der Mensch stets verbessern
in eigener Selbstarbeit und darin zeigt sich die Unvollkommenheit unseres
menschlichen Seins gegenüber dem göttlichen. Der Mensch ist ein Strebewesen, im
normalen Zustand auf die Selbstarbeit und Selbstverbesserung angewiesen. Er hat
in sich im normalen Zustand die Anlage, seine Werke stets verbessern zu können,
wenn er die in ihm schlummernden Kräfte und Mittel weckt und gebraucht. Darum
ist der Mensch ein „werdendes“ Wesen, einem beständigen „Werden“ und der
Veränderlichkeit unterworfen. Auch der Fortschritt oder Rückgang der Seele in
religiöser Hinsicht ist immer in Veränderung. – Die Hilfsmittel zu einer steten
Vervollkommnung der menschlichen Ideen bzw. seines inneren Wollens und seiner
äußeren Werke sind die geistigen Fähigkeiten, Verstand und Wille, die Fantasie,
das Gedächtnis und die ihnen zukommenden Bewegungen. Darin liegt das
eigentliche Arbeitsfeld der Seele auch für Werke, die nach außen gehen, die aber
in jedem Falle aus diesem inneren Arbeitsfeld hervorgehen. Darum ist der Mensch
ein „bedingtes“ mittelbares Wesen; die Güte seiner Werke hängt von dem Maße
seiner inneren Anlagen und vom Gebrauch der innerlich vorhandenen Mittel ab.
1496 |
In Gott schaue und erlebe ich dies völlig
anders. Vor Gottes Auge liegt alles, wie es ist. Darum ist Gottes Entschluss im
ersten Augenblick der richtige, der sich für die Tat bewährende. Darum ist Gott
ein „unmittelbares“ Wesen, in sich der „Unbedingte“. Er kann jene Möglichkeit
einer Vervollkommnung seiner Werke und Entschlüsse entbehren. Seine Werke und
Absichten gehen nicht vor der Ausführung zur Überprüfung erst noch durch seinen
Verstand, sondern sie werden ausgeführt, nach seinem Willen, der nicht vorher
noch der Abwägung oder des Überlegens bedarf. Gottes Entschlüsse gehen eben
schon vollkommen gut und recht125 aus seinen Vollkommenheiten hervor
und bedürfen keiner Verbesserung; Gottes Werke sind schon im ersten Augenblick
ihres Entstehens im göttlichen Entschluss wahrhaft vollkommen. Hervorkommend
aus dem göttlichen sittlich-vollkommenen Habitus tragen sie schon den Charakter
eines vollkommenen Werkes an sich und werden sie auch in der endlichen
Ausführung vollkommen sein. Darin liegt der große Unterschied zwischen göttlichen
und menschlichen Werken. Der Habitus, der Charakter des inneren Seins und
Wesens tut sich nach außen kund und zeigt sich in den Werken. Oft wird sich der
wahre Wert der religiösen Werke des Menschen erst in der Ewigkeit zeigen.
1497 |
Gottes Wesen ist in sich absolute
Unveränderlichkeit. Durch alle Ewigkeit ändert er sich nicht in seinen
göttlichen Anlagen. Alle drei göttlichen Personen haben die gleiche göttliche
Anlage der Unveränderlichkeit ihres göttlichen Wesens. Die zweite göttliche
Person nahm diese mit sich in ihre Erlösermenschheit und konnte in den
wesentlichen Vollkommenheiten nichts verlieren, wenn sie auch in den Wirkungen
nach außen sich einer besonderen Veränderung unterwarf, die jedoch freiwillig
und nur von zeitlicher Dauer war. Ihr inneres Sein bleibt dabei unverändert und
in dieser göttlichen Unveränderlichkeit liegt das erhabenste Geheimnis der
Menschwerdung Christi.
1498 |
Mit seiner göttlichen Person wurde in der
Menschwerdung Christi nicht nur sein göttlich-vollkommener Tugendhabitus in seine
Menschheit mitgenommen, sondern auch seine göttlich-wesenhaften Anlagen, auch
jene des Tuenden126, des „Actus“, wie ich ihn schaue127,
dem Wesen dieser Vollkommenheit nach. Jesus übte nun aber diese Anlage nicht
aus, sondern betätigte sich nach Art seiner menschlichen Seele. Im Augenblick
seiner Menschwerdung verließ er seine Stelle als ausübende göttliche Person und
wurde in den Zustand der Erlöserperson versetzt. – Die Seele Jesu war nun so
angelegt, dass sie die Art der wesenhaft-göttlichen Betätigung ertragen bzw. an
sich Geschehenlassen konnte; sie diente dem göttlichen Wesen des Wortes zur
menschlichen Art und128 Weise der Betätigung und war das Mittel zum
wahren menschlichen Leben Christi. Die Seele Jesu „empfing“ ja zuerst die
Gottheit bzw. die göttliche Person und machte sich dieser dienstbar zu Akten,
die der göttlichen Person Christi entsprachen. Obwohl die menschliche Seele
Jesu „geschaffen“ war wie unsere menschliche Seele, so konnte sie doch der
göttlichen Person Christi in einer Weise dienen, dass jene sich in ihrer
göttlichen Art durch sie129 betätigen konnte. Durch den menschlichen
Verstand und die übrigen Anlagen der Seele Jesu floss der göttliche Habitus des
Seienden, des Wissenden usw. Christi Leben war auch in seiner Menschheit „Tat“,
schon wirkliche, absolute „Tat“, nicht „Übung“; sein Wissen brauchte nicht
durch den Verstand erzeugt oder hervorgerufen werden; es war schon da; seinen
Verstand „trug“ sein göttliches Wissen in sich; er war der Behälter seines
Wissens.130 Das menschliche Leben Jesu entwickelte sich, wurde immer
umfangreicher, aber deshalb nicht vollkommener, weil es schon von Anfang an
höchst vollkommen war. Die Richtschnur im menschlichen Leben Jesu war die
göttliche Person und ihr vollkommener Habitus sittlicher Heiligkeit.
1499 |
Seit heute Morgen befand ich mich in der Art
der Verstandesbetätigung131 Christi als Mensch, nicht als der
„Übende“, sondern als der „Seiende“; gelebte „Tat“ ist das Resultat dieses
Lebens. Auf dem vollkommenen Tugendhabitus baut diese göttliche Vollkommenheit
des „Tuenden“ auf und es wird eine menschlich gelebte göttliche Vollkommenheit.
Ich konnte im eigenen Erleben dieses Zustandes das Wesen eines derartigen
Lebens gut unterscheiden und erklären, aber jetzt am Nachmittag bin ich wieder
im Dunkel und sehr im Leiden.
1500 |
Ich leide innerlich unaussprechlich; ich werde
seelisch wie „hingeschlachtet“ mit großen Schmerzen. Wo ich mich hinwende: es
ist nur geistiger Schmerz und Leiden. Dabei habe ich das große Verlangen,
wenigstens in Ruhe leiden zu können und nicht dabei noch an äußere Pflichten
gebunden zu sein.
1501 |
Doch es herrscht in mir der Wille: Ich will
leiden, will immer leiden.
1502 |
Heute bin ich innerlich ausgeglichener und
nicht mehr so arg im Leiden, aber doch in einem innerlich gekreuzigten Zustand
wegen der Leere meines Verstandes und wegen meiner Nichtigkeit; dieser Zustand
ist nicht minder schwer, obwohl in anderer Form. In dieser Art des Leidens bin
ich innerlich dem nächstfolgenden Ziele näher. Aber mit diesem Ziele ist mir etwas
anscheinend so Unerreichbares vorgestellt, dass ich mich frage: Wie wird Jesus
jetzt das in mir machen, dass ich tatsächlich jene Stufe des Eingehens in ihn
erreiche, die ich voraussehe? Es ist in Worten nicht auszusprechen, in welcher
Weise mich Jesus für sich gebrauchen will, um seine göttlich-geistige
Verstandestätigkeit als Mensch meinen Verstandesfähigkeiten näher zu bringen
und diese zu einer gewissen Wiederholung seiner geistigen Betätigung als Mensch
zu gebrauchen. – Doch ich lasse den Heiland in mir machen, was er will, wenn es
mir auch noch so wehe tut.
1503 |
Die großen Leiden sind nun etwas abgeflaut und
ich nähere mich anscheinend dem geistigen Ziele, dem sie den Weg bereiten
sollen.
1504 |
Heute Morgen, als ich unter einer Sorge
bezüglich einer äußeren Angelegenheit in Unruhe war und darunter litt, „nahm
mich Jesus mit dieser Sorge in sich auf“ und ließ mich innerlich verstehen:
„Wenn du bereit bist, auf jede geistige Selbsttätigkeit zu verzichten, so will
ich dich mit allem, was dich äußerlich oder persönlich betrifft,132
in Mich aufnehmen, und in Mir wird dir alles zukommen, was dir persönlich
entspricht“. – Im gleichen Augenblick war ich mit allen eigenen Bedürfnissen in
Jesus aufgenommen, sodass ich mich in keiner Weise mit meinen persönlichen
Angelegenheiten beschäftigen kann; alles wird mir in ihm und mit ihm besorgt.
Der geistige Sinn der inneren Erkenntnis oder vielmehr des in einem Augenblick
von Jesus in mir Bewirkten und Vollzogenen war der: Wenn ich vollständig auf
mich verzichte (und dabei schaute ich die Tragweite dieses Verzichtes), so wird
mir in ihm auch alles gegeben, was mir persönlich notwendig ist.
1505 |
So schreite ich innerlich immer mehr in Jesus
hinein, aber der Weg dahin ist so weit, dass es scheint, ich könne schier
nimmer ans Ziel gelangen.
1506 |
Heute bin ich wieder sehr im Leiden, die
unaussprechlich sind. Ich kann sehen, wohin ich will, in mir: Es ist alles
Leiden. Es gibt keinen Augenblick der Ruhe. Das sind geistige Schmerzen, die in
Worten keinen Ausdruck haben.133
1507 |
Obwohl es in mir etwas ausgeglichener ist, so
bin ich doch immer noch im Leidenszustande und habe die nächstfolgende Stufe
noch nicht erlangt, die mir als Ziel gesetzt ist und auf die ich in den Leiden134
zuschreite: Die Art des göttlich-wesentlichen Habitus Christi in seiner
Menschheit zu erfahren, bzw. hierzu gebraucht werden zu können zum eigenen
Erleben, so wie eben die Seele Jesu die göttliche Person Christi „bedient“ hat
bzw. von dieser „gebraucht“ wurde, während der göttlich-wesenhafte135
Habitus bestehen blieb in seiner göttlichen Unveränderlichkeit und doch wieder
ein wirkliches Menschenleben von Jesus gelebt wurde.
1508 |
Es dauern die inneren Leiden an, die mich dem
nächsten Ziele zuführen sollen: Christus als Mensch in seinem
göttlich-wesentlichen Habitus ertragen zu können. In den letzten Tagen
durchschritt ich aber in einer allmählichen Erhebung zum eigentlichen Ziel
verschiedene Zwischenstufen.
1509 |
Aus der Art der inneren Leiden erkenne ich,
was man in sich selbst verlässt und wie ich bisher meiner eigenen Natur nach
dem Naturgesetz gedient habe. Es werden in mir ständig gleichsam Fäden
durchschnitten, die man mit keinem Wort ausdrücken kann. Da erkennt man, wie
tief und fest unser menschliches Sein in sich geformt und befestigt136
ist, wie die menschliche Natur sich an ihrer Art in sich festhält. Mein Leben
soll eben nicht mehr für mich dienen, hat nicht mehr den Zweck, Selbstdienst zu
sein, sondern es wird umgeformt, um der göttlichen Person Christi dienen zu
können. Der Selbstdienst, diese von Gott in die menschliche Seele gelegte
Eigenheit, wird jetzt in mir in seinen tiefsten Anlagen umgebrochen, und das
geht mit ganz großen, geistigen Leiden vor sich.
1510 |
Der Mensch ist von dieser Erde genommen und
die Seele ist durch das Naturgesetz absolut den menschlichen Anlagen
eingeordnet; in diesem Sinne ist die Seele mit ihren Anlagen „diesseitig“, wenn
sie auch mit ihrem höheren religiösen Wollen darübersteht. Christus aber kam
vom Himmel und ist nicht von dieser Welt; dieser Umstand gab seinem
menschlichen Sein eine ganz andere Anlage und Richtung. Dies erlebe ich gerade
jetzt, wo meine Seelenfähigkeiten ganz dem geistigen Einfluss der göttlichen
Person Christi unterstellt, und für diese befähigt werden. Indem ich die ganz
gotthingeordnete Richtung seines gottmenschlichen Lebens erfasse, erkenne ich
die Verschiedenheit und den großen Abstand seiner menschlichen Natur von der
meinen. In seiner menschlichen Natur war die vollkommene Hinordnung, mit der
sie ihm zu Diensten war, eine wirkliche Naturanlage seiner Seele – absolut
dienstbar. Darum war vom ersten Augenblick des menschlichen Lebens Christi
alles auf die göttliche Person hingerichtet, wie diese es verlangte. Sein
irdisches Leben war nicht erdhaft, weil die göttliche Person es beherrschte.
Somit wurde Christi Leben zum Pilgerleben auf dieser Erde, auf der er wirklich
nichts besaß und keinen Ruhepunkt hatte, bis er wieder zum Vater zurückkehrte.
Dieser Umstand, so einfach er scheint, entspricht einer137
Naturanlage seiner Seele, die derart für diese göttliche Pilgerschaft
geschaffen und gestaltet war. Infolge der Umstellung meiner Seelenfähigkeiten
in jene göttliche Anlage erlebe ich nun aber den großen Abstand, der nur mit
Leiden in mir überwunden werden kann. Dadurch wird meine Seele weiter der
göttlichen Natur dienstbar gemacht. Ich erlebe hier einen ganz großen
Unterschied zwischen dem gottmenschlichen Leben Christi und unserem
Menschenleben. Dies ist die Wirkung der göttlichen Anlage, die auch im Menschen
Christus unverändert blieb. Ich kann dies auch aus den Leiden erkennen, die
jene Richtung in meiner Seele ermöglichen sollen. – Nichts auf dieser Welt
besitzen, auch nicht dem Geiste nach, wie es sich im Menschen Christus begeben
hat; das ist wiederum ein großes Geheimnis und entspricht der göttlichen
Unveränderlichkeit. Und doch schien und war Christi Leben ganz gewöhnlich, denn
er aß und trank und schlief, und die göttliche Person war das maßgebende im
menschlichen Sein Christi. – Für mich nun, obwohl ich in so langen Leiden schon
in manchen umgestaltet bin, ist diese Richtung etwas ganz Neues, und es ist
auch für meine Natur etwas Schweres, das menschliche Sein ganz in den
göttlichen Bereich zu verlegen; bedeutend sind auch die Folgen, denn mein
menschliches Leben wird sich in einem geistig-göttlichen Rahmen auswirken. In
diesem für mein kommendes Leben so folgenschweren Umstand liegt der Schwerpunkt
meiner geistigen Übung, deren Resultat und Ergebnis die göttlichen Bewegungen
oder Lebensakte der Person Christi sein werden. Ich kann nun aber den ruhigen
Zustand in dieser Art und deren mögliche Folgerungen ganz gut ertragen.
1511 |
Eine weitere Art des naturgegebenen
menschlichen Selbstdienstes sind die Bewegungen der Fantasie (die ich aber wohl
schon überwunden habe) und die ganze Gedankenwelt im menschlichen Sinne. – In
Christus war infolge seiner göttlichen Anlage des „Tuenden, des Actus“, die
nach unseren menschlichen Begriffen nicht zu entbehrende Gedankenwelt nicht
vorhanden, obwohl er in seiner natürlichen Anlage den gleichen Menschenverstand
besaß wie wir. Sein Wissen wurde aber nicht wie bei unserem menschlichen Denken
durch den Verstand produziert oder erzeugt, sondern es bestand schon in
göttlicher Weise. Das göttliche Wissen war beim Heiland schon Natur und brauchte
nicht erst erzeugt zu werden. Darum waren seine geistigen Bewegungen schon die
„Tat“ und Verwirklichung seines Wissens; das, was er „tun“ wollte, brauchte
keine Überlegung, auch nicht eine augenblickliche Erwägung, sondern sein Wissen
„floss“ durch seinen menschlichen Verstand, sein göttliches Wissen spielte sich
in seinem menschlichen Verstande ab und bewegte sich darin. Sein Verstand war
eben in solchem Maße vergeistigt, dass er diese Art göttlicher Betätigung
ertragen und in sich geschehen lassen, ja in menschlicher Weise dazu dienen
konnte. – Man kann dieses Geheimnis nicht in menschliche Worte fassen, obwohl
ich weiß, wie sich das abspielt138. Eine von Gott gegebene
Erleuchtung zum Beispiel geht auch durch den menschlichen Verstand und je höher
die Seele vergeistigt ist, desto unmittelbarer wird sie auf diesem Wege dem
menschlichen Bewusstsein nahegebracht. Der Weg zum Bewusstwerden der fühlbaren
Gnade oder einer göttlichen Einsprechung „verkürzt sich“ und wird immer
unmittelbarer, je mehr die Seele in ihren Anlagen vergeistigt wird. Die Anlage
des Gebers ist eben dann der des Empfängers nähergerückt139 und die
göttlichen Gnaden werden darum dann auch in einfacherer Form von der Seele
aufgenommen. Das „fühlbare“ Bewusstwerden der besonderen Gnade fällt dann weg
und es entwickelt sich dafür ein rein geistiger Weg, der stiller und
verborgener, aber unmittelbarer und klarer und für die Seele umso wirksamer
ist, weil gerade das fühlbare Aufnehmen der besonderen Gnaden eine bestimmte
gleichsam störende Bewegung140 oder – ich möchte sagen – ein
Geräusch in der Seele hervorruft. Die Seele wird nun immer mehr geistig
feinfühlig und feinhörig141; es braucht nur mehr eine göttliche
Bewegung in der Seele, ja, ein Akt seines wahrgenommenen Willens genügt142,
und sofort wird sie von dieser143 erfasst und augenblicklich durch
den vergeistigten Verstand ins Bewusstsein gebracht. Je höher die Seele in der
Vereinigung fortschreitet, desto mehr wächst auch die göttliche Beeinflussung,
die dann für gewöhnlich vielleicht gar nicht mehr als solche ins Bewusstsein
gelangt, sondern unmittelbar aufgenommen und vielleicht augenblicklich und
sofort in die Tat der Seele umgesetzt wird. Auf diesem Weg wird Gott zum
Beherrscher und Gebieter in der Seele selbst, obwohl der Seele vielleicht alles
ganz gewöhnlich scheint. So geschieht es auf den höheren und höchsten
Gnadenstufen der Vereinigung mit Gott, wo man dann meint oder es den Anschein
hat, als hörten die besonderen Gnaden auf. Der Grund dieser Veränderung liegt
aber in Wirklichkeit in der Unmittelbarkeit der besonderen Gnaden, die mit der
Vergeistigung der Seelenfähigkeiten gegeben ist. Im wirklichen Vorgang zwischen
Gott und der Seele hat sich nichts geändert, nur hat sich deren
Aufnahmefähigkeit erhöht durch die Vergeistigung bzw. durch die höhere Art der
Vereinigung mit Gott. Gott wirkt unmittelbar in der Seele, die „tut“
augenblicklich das, was sie selbst als vollkommen und heilig findet, wird aber
in Wirklichkeit von Gott geführt und geleitet. Es wirkt das göttliche Leben in
der Seele und sie „lebt“ das göttliche Leben, das ihr früher durch die Gnade
ins Bewusstsein gebracht wurde.
1512 |
Von diesem geistigen Stadium aus
weitergeführt, werde ich nun in die Möglichkeit versetzt, die göttliche Art der
Verstandesbetätigung in Christus zu erfahren und mitzuerleben und somit mich
selbst bzw. meinen Verstand als Mittel gebrauchen zu lassen, um das göttliche
Sein und Leben Christi in mich aufnehmen zu können. Das göttliche Wesen in
Christus wirkte unmittelbar in seinem Verstand, aber immerhin in seinem
Verstand, denn sonst wäre es kein wahrer Mensch gewesen; sein Verstand hatte
die Eigenheit, das „fließende“ göttliche Wissen aufnehmen zu können.
1513 |
Eigentlich wurde ich schon jahrelang den Weg
einer diesbezüglichen Vorübung geführt, damit mein Verstand in die Möglichkeit
jener Verstandestätigkeit des Menschen Christi umgeschaltet werde; doch war mir
der Zweck all dieser Vorübungen bzw. der verschiedenen Stufen der Vergeistigung
nicht klar bewusst geworden. Gerade die höchste Seelenfähigkeit des Verstandes
lag fast immer im Feuer der Läuterung. Wie mühsam war die Übung, in die ich vom
Heiland versetzt wurde, jede eigene Bewegung meines Verstandes auszuschalten!
Er weiß, was ich darum innerlich144 gekämpft und gelitten habe,
schon durch die beständige „Finsternis“, in die mein Verstand gehüllt war. In
Wirklichkeit wurde ich leer gemacht145 von eigener Betätigung und
gleichsam dem Heiland überlassen zum Umformen. Der Wille wird viel eher als
Verstand und Gedächtnis Gott gefügig gemacht. Die Art dieser Seelenfähigkeiten
ist tief in ihrer Naturanlage verwurzelt, und wenn der Wille schon längst
bereit und befähigt ist, wird erst noch146 die Anlage des
Verstandes, für die Seele selbst zu arbeiten, mit großen Leiden umgestellt.
Dies ist ja die tiefste Anlage in der Seele, ihr eigenes Sein zu unterstützen,
für sich selbst da zu sein, sich selbst zu dienen. In meinem Fall muss jeder
Selbstdienst aufhören und alles wird in mir zu Diensten der göttlichen Person
Christi umgestaltet. Das bedingt eine absolute Veränderung in meinem ganzen
Innenleben, die stufenweise herbeigeführt wird. Das endliche Ergebnis aber muss
eine dauernde Befähigung werden, der göttlichen Person vollständig zur
Verfügung zu stehen.
1514 |
Jetzt, am Abend, bin ich in großer
Ausgelassenheit mit mir selbst; d. h., in einer erhöhten Einordnung in Jesu
Sein, das aber das meine zu sein scheint. Die Leiden sind abgeflaut und ich
befinde mich in einem erhabenen Zustand völliger Kampflosigkeit; es ist ein
unaussprechliches „Ruhen“ in mir.
1515 |
Gestern war ein schwerer Tag, aber er zeigte
in den Leiden ein weiteres Ziel in Jesus. – Morgens nach der hl. Kommunion war
ich in den gewöhnlichen Zustand Jesu als Mensch versetzt: Seine göttliche Natur
war so innig mit der menschlichen Natur verbunden (aber nicht
zusammengeflossen), dass sich beide Naturen ergänzten und wirklich nur ein
Leben bildeten. Sein göttliches Wesen trug das menschliche Leben; die Gottheit
Christi verbarg sich darin und es schien alles ganz gewöhnlich, weil seine
menschliche Natur der göttlichen in ganz geheimnisvoller Weise zur Verfügung
stand. Das Geheimnis bildete die wunderbare Ergänzung beider Naturen in Ihren
Auswirkungen.
1516 |
Ich erkannte auch den geistigen Zustand Jesu
als Kind, kann es aber mit keinem Wort so recht ausdrücken. Die Gottheit schien
mir gleichsam wie ein Lichtkörper, von dem das Kind erfüllt war. Das Licht im
Kinde war aber nicht tätig, sondern es „ruhte“ gleichsam in ihm. Gewiss
bewahrte das Licht die Anlagen und die Wirkungen des Lichtes und es blieb
befestigt im großen Licht des Vaters, von dem es ausging. Mit dem Wachsen des
Kindes entfaltete sich dann das göttliche Licht im Kinde zu einer immer
regsameren Tätigkeit zum Vater und im Vater. Das göttliche Kind erfasste im
Licht seiner Gottheit seine Erlöseraufgabe und dieses Erfassen und Erkennen
wuchs mit den Jahren und mit der Entfaltung der Kräfte seiner menschlichen
Natur.
1517 |
Ich erlebte es so: Jesus hielt sich für
gewöhnlich in allem an die Gesetze seiner Menschheit und überschritt für
gewöhnlich deren Grenzen nicht. So hielt auch das Bewusstsein147
seiner Erlöseraufgabe in der auszuübenden Form – das ganze Ausmaß der
Erlöseraufgabe war sich Jesus schon bei seiner Menschwerdung voll bewusst –148,
gleichen Schritt mit dem Erwachen bzw. mit der Entwicklung seines menschlichen
Intellekts. Es war aber nicht so, als hätte das kleine Kind – oder auch schon
das kleine Wesen vor der Geburt – nichts von seinem erniedrigenden Zustand als
Erlöser gewusst. Jesus trat vielmehr schon im ersten Augenblick seines
gottmenschlichen Daseins bewusst in diesen erniedrigenden Zustand. Aber dieses
geistige Leiden, obwohl im höheren Teil der Seele mit Bewusstsein gelitten,
blieb im Kinde mehr verborgen und nahm erst mit dem Alter zu im Bewusstwerden
durch den menschlichen Intellekt. Das Leiden „ruhte“ gleichsam im Kinde, weil
es zum menschlichen Bewusstwerden seinen menschlichen Verstand brauchen musste,
der aber nach den gewöhnlichen Gesetzen der menschlichen Natur entfaltete. Das
Kind äußerte sich auch noch nicht über das Leiden, aber nicht etwa deshalb,
weil es gleich anderen Kindern noch nicht sprechen konnte, sondern in erster
Linie deswegen, weil der geistige Reflex des Bewusstwerdens durch den
menschlichen Intellekt sich dem entsprechenden Alter und dem damit sich
entwickelnden Gemütsleben anpasste. Was die geistige und seelische Entwicklung
betrifft, war Jesus allen Menschenkindern gleich. Weil aber die göttliche
Person, die Trägerin dieses Kindeslebens war, ihr göttliches Bewusstsein
niemals ablegen konnte, so war auch schon im ersten Augenblick das Bewusstsein
des göttlichen Seins vorhanden, wenn es sich auch in den Auswirkungen auf die
menschliche Natur deren Wachstumsgesetzen anpasste und sich allmählich
entsprechend erhöhte. So fühlte Jesus vom Augenblick seiner Menschwerdung an alle
die begleitenden Verdemütigungen, hielt sich aber auch hierin an die Grenzen
seiner Menschheit. Dabei war aber Jesus doch das geistig frühreife Kind, dessen
menschliche Entwicklung den Anforderungen und der Würde der Gottheit und der
göttlichen Person entsprach.149
1518 |
Es wurde mir darüber folgender geistige
Vergleich gegeben: Ein Königssohn hat sich mit einer armen Braut verbunden und
ist mit dieser in ihre arme, kleine Wohnung eingezogen; er hält sich nun mit
seiner Braut in der armen Hütte auf und begnügt sich damit, weil er eben die
Braut liebt und sich ihr angelobt hat und alles mit ihr teilen will150.
Er lebt das Leben seiner Braut, obwohl er sich ständig seiner Abkunft, seines
Reichtums und seiner Macht bewusst ist und seinen Adel nicht verlieren konnte,
da er von adligem Blute ist. Weil er aber seine Braut liebt, hält er sich in
allem an deren Leben und Lebensart. Er „geht nicht aus“ ohne die Braut und
beide leben zusammen. So hat Jesus unsere Menschheit angenommen und sich in
allem der menschlichen Natur bedient, weil er die Menschen liebt und sich
deshalb zur Menschheit herabgelassen hat. Er hielt sich für gewöhnlich in allem
an die Grenzen seiner menschlichen Natur, obwohl er sich seiner Gottheit stets
bewusst blieb. Er ließ sich in seiner Liebe so sehr zu seiner Menschheit und
durch diese zu jeder Menschheit herab und wohnte ihr so zu tiefst ein, dass er
sich fast zu vergessen schien. Jesus „ging nicht aus“, d. h. er ging nicht aus
sich heraus, sondern betätigte sich stets durch seine Menschheit und tat
nichts, ohne seine Menschheit als Werkzeug zu gebrauchen, diese war ihm das
Hilfsmittel zu einem menschlichen Leben.
1519 |
Jesus als Gott äußerte sich durch die
menschlichen Sinne. Wie er sich in allen durch seine Menschheit äußerte und
sich dadurch den Menschen kundtat, sich seiner menschlichen Sinne hierzu
bedienend, so nahm er auch als wahrer Mensch die Außenwelt durch die Sinne und
Seelenfähigkeiten in sich151 auf. Er ist uns eben in allem gleich
geworden. So drang, genau so wie bei uns, die Außenwelt über die Sinne und den
Verstand in sein Gemüts- und Seelenleben ein. Weil aber alles von seinem
göttlichen Person-Zentrum, dem Träger seiner Akte, aufgenommen wurde und damit
seine Gottheit traf, fand die eindringende Außenwelt auch göttliche Reflexe und
Reaktionen, die wieder mit göttlicher Feinheit und Feinfühligkeit in sein
Gemüts- und Seelenleben zurückgeworfen wurden und zurückstrahlten, deren
Entwicklungsstufe aber angepasst. Ähnlich reflektierten sich die äußeren
Leiden, schon die des Kindesalters Jesu, entsprechend dem Erwachsen und
Entfalten des Gemütslebens im Kinde.
1520 |
Jesus lebte ein göttliches Leben, das durch
die menschliche Seele und deren Hilfsmittel und Kräfte bzw. durch seine gesamte
menschliche Natur zu einem wahren, wirklichen Menschenleben wurde. Wenn Jesus
z. B. den Unglauben der Juden mit seinem menschlichen Verstand und Gemüt
aufnahm, so war das Wissen um diese Geisteshaltung des Volkes, das Durchschauen
des Unglaubens, infolge seiner göttlichen Allwissenheit schon vorher in ihm und
brauchte nicht erst durch überlegen und Nachdenken in seinem Verstand erzeugt
und erarbeitet zu werden. Sein menschlicher Verstand wurde aber zum
menschlichen Träger dieses seines göttlichen Wissens und war das Mittel zur
Aufnahme des göttlichen Reflexes und zu dessen Weitergabe an das ganze Gemüts-
und Seelenleben Jesu, ohne dass in ihm das Wissen erst erzeugt oder produziert
hätte werden müssen. Und auf diese Weise wurde Jesus zum Leidenden.
1521 |
Ich erkannte aber innerlich: Jesus bediente
sich seiner göttlichen Allwissenheit für gewöhnlich nicht im großen Format –
ich habe kein anderes Wort für dieses innere Erfahren – sondern er ließ das
Leben und dessen Begleitumstände so an sich herankommen, wie die
augenblicklichen, jeweiligen Erlebnisse jeden Menschen treffen. Gewiss schaute
sein allwissendes Auge in die Ferne, aber er ließ die Gegenwart nicht minder
als wahrer Mensch auf sich wirken. Er war in jedem Augenblick ganz seinen
menschlichen Aufnahmefähigkeiten und den entsprechenden seelischen Akten und
Reflexen hingegeben. Sonst wäre Jesus kein wahrer Mensch gewesen, denn es hätte
ihm die Grundlage und Bedingung dafür gefehlt. Im Verkehr mit dem Vater und im
Sein im Vater wurden freilich die von außen eindringenden Erlebnisse in
göttlicher Weise gleichsam verarbeitet und dem Vater und vor dem Vater als
göttliche Werke und Leiden weitergegeben und dargebracht. Dieses Weitergeben
und Darbringen geschah schon im Leben und Leiden selber; denn Jesus war, obwohl
ein selbstständiges göttliches Wesen, doch wesentlich immer im Vater und bot
sich selbst mit seinem Erlöserleben jeden Augenblick zum Opfer dar. So wurden
die Eindrücke der Außenwelt von Jesus in menschlicher Art und Weise
aufgenommen, gingen seiner göttlichen Person zu, wurden von dieser in das
Gemütsleben reflektiert und zurückgeworfen und gingen als gottmenschliches Tun
und Leiden durch seine göttliche Person im wesentlichen göttlichen Sein zum
Vater, alles dies aber in Augenblicksgeschwindigkeit.
1522 |
Ich erlebe heute, wie mein ganzes menschliche
Sein immer mehr in den göttlichen Bereich Christi gezogen wird. Ich spüre aber
nichts von Jesus, sondern ich bin einfach dem Träger meines Seins ganz
unterstellt. Mein früheres Sein ist wie losgelöst, weggefallen und
zurückgelassen. Das gibt mir einen großen inneren Frieden, und eine neue Kraft
durchströmt mich, die Kraft des Trägers und Beherrschers meines Seins und
Lebens. Ich bin in einer noch viel höheren Konzentration als früher und dies
erleichtert meine innere Lage, weil ich im Höchsten meines Seins befestigt bin.
Das gibt mir die große Ruhe und Bereitschaft für das Kommende.
1523 |
Jesus verlangt immer wieder neue Hingabe und
Bereitschaft und er „nimmt“ mich immer mehr für sich.
1524 |
Heute glüht alles in mir von inneren Leiden.
Ich bin ganz aus meinem früheren Sein herausgehoben; die Grundlage dafür ist
entfernt und ich fühle mich geistig wie zwischen Himmel und Erde. Wohin ich
mich wende in mir, überall ist nichts, lauter Nichts, nur Ekel und Widerstreben
gegen mich. Mein armes, verachtungswürdiges Sein muss verbrannt werden im Feuer
der göttlichen Liebe.
1525 |
In diesen schweren Leiden bin ich hingerichtet
auf ein weiteres geistiges Ziel in mir: ganz im göttlichen Bereich mein Sein zu
finden und zu fundieren. – Nichts mehr für mich, ganz in Christi Person
aufgehen, dort für immer befestigt werden! – Von der Person Christi geht das
Leben aus, für das ich gebraucht werde; sie erfasst und durchdringt mich zu einem
Leben.
1526 |
Aber wie sind die Leiden, die mich
umgestalten, so furchtbar lebendig und durchdringend! Ja, es ist wahr – so
möchte ich beinahe auch diesbezüglich sagen – dass es schrecklich ist, in die
Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Ich bin wie ein Baum, der aus seinem
gewöhnlichen Standort ausgegraben und anderswohin versetzt wird, aber dies
geschieht gleichsam mit glühenden Werkzeugen.
1527 |
Doch alle Leiden sind auch wiederum nichts
gegen den Genuss des Friedens und der vollen Harmonie, die ich gestern Abend
und heute früh in Jesus vorerlebt habe. Dann bin ich für immer in ihm gerettet
und gesichert.
1528 |
Soeben hatte ich in der Kapelle beim Hl. Segen
wiederum das klare Erkennen innere Erkennen und Erfahren, dass Jesus schon vom
ersten Augenblick seiner Menschwerdung an geistig gelitten hat. Schon beim
Entschluss, Erlöser werden zu wollen, überschaute Jesus das ganze Ausmaß seiner
Erlöseraufgaben und deren Auswirkung für ihn. Er war sich dann seiner
Verdemütigung voll bewusst, als er in den Schoß Maria herabstieg. Er fühlte da
den unermesslichen Abstand zwischen der ihm gebührenden Stellung und dem
verdemütigenden Zustand des Weges aller Menschenkinder. Infolge seiner
göttlichen Vollkommenheit der Unveränderlichkeit konnte er sein göttliches
Bewusstsein keinen Augenblick ablegen. Er blieb sich also immer seiner göttlichen
Würde bewusst, aber es blieben doch für gewöhnlich nur die habituellen
Wirkungen dieses göttlichen Bewusstseins bestehen, da er als Erlöser der ihm
als Gott gebührenden Ehre, soweit möglich entsagen und zur innigsten Verbindung
mit der Menschheit sich erniedrigen wollte. Es blieb die wesentlichen Wirkungen
seines habituellen göttlichen Bewusstseins, während er als Erlöser auf gewisse
Auswirkungen seines göttlichen Seins und Bewusstseins verzichtete; er begnügte
sich mit dem tiefsten eigentlichen Wesen, das er unverlierbar war, entsagte
aber, soweit möglich der Ehre, die ihm gebührte.
1529 |
Und in dem, was seine Erlöseraufgabe schon in
dieser Einsicht mit sich brachte, erkenne und erlebe ich die Leiden des
göttlichen Kindes, wahre und schmerzliche, geistige Leiden, obwohl die Leiden
des Gefühls- und Gemütslebens erst allmählich und immer mehr sich steigernd
nach den gewöhnlichen Gesetzen der menschlichen Natur einsetzten. Als Jesus z.
B. bei seiner Geburt von den Menschen abgewiesen wurde und in jener armen,
verdemütigenden Weise das irdische Leben beginnen musste, fühlte er seine Armut
und litt darunter. Es waren wirkliche Leiden, weil die göttliche Person, die
das Bewusstsein ihres Seins nie verlieren konnte, sich der neuen Lage immer
bewusst war. Im Menschen Christi litt eben die göttliche Person Christi, die
ihr ganzes Menschenleben vom ersten Augenblick an „bewusst“ als göttliche
Person getragen und die wesentlichen Auswirkungen der Gottheit immer an ihrer
menschlichen Seelen erfahren hat – sonst wäre sein Leben kein gottmenschliches
gewesen, was es aber doch jeden Augenblick war und sein musste. In der höchsten
Spitze der Seele, in der Gottseele überschaute die göttliche Person Jesu den
Abstand gegenüber ihrem früheren Sein und die jetzigen verdemütigenden äußeren
Umstände und so wurde ihre Lage bewusst zum Leiden.
1530 |
Nehmen wir zum Vergleich an, unsere Seele wäre
sich im Augenblick ihres Entstehens ihrer Lage und ihres Aufenthaltes während
der aller ersten Lebenszeit bewusst, oder gar: Sie hätte vorher eine bestimmte
Stellung eingenommen, die sie nun, um sich wissend, mit der beengenden Lage in
der ersten Lebenszeit vertauschen müsste: Wie müsste sie sich verdemütigt
vorkommen! Doch unsere Seele ging aus dem Nichts hervor und erwacht erst mit
der Vernunft zum Bewusstsein und zur geistigen Betätigung. Die zweite göttliche
Person aber hatte ihr Sein und Bestehen von Ewigkeit her und musste die
Veränderung ihrer Stellung bei der Menschwerdung bewusst wahrnehmen. In
Christus betätigte sich die Gottheit schon im Mutterschoß durch und vermittels
der geistigen Seele dem Vater gegenüber und bediente sich, vom ersten
Augenblick des menschlichen Seins an, der menschlichen Seele im Verhältnis zum
Vater, da die menschliche Seele Jesu ja vom ersten Augenblick an bewusst von
der göttlichen Person getragen war. Darum war Jesus auch schon als kleinstes
Kind und schon im Mutterschoß leidensfähig und bewusst leidensfähig. Die
weiteren Auswirkungen auf die „Sinne der Seele“ bzw. auf das Gefühl, Gemüt und
alle Anlagen, die eine Betätigung des menschlichen Verstandes voraussetzen,
entwickelten sich nach den gewöhnlichen Naturgesetzen mit der Vernunft des
Kindes und steigerten und weiteten damit psychologisch die geistig schon
bestehenden Leiden. Im ersten Lebensalter Jesu vollzogen sich darum die
Leidensmomente in den höchsten Anlagen der Seele und allmählich mit der
Entwicklung des Kindes erfassten sie auch die tieferen und niederen Anlagen.
Immer aber kam sowohl sein göttliches wie sein menschliches Sein irgendwie zum
Ausdruck, weil sein göttlich-wesentlicher152 Habitus immer wirksam
war, aber sich durch die menschliche Seele betätigte und auswirkte.
1531 |
Jesus spürte auch die äußeren Umstände seines
ersten Kindeslebens, die Armut, Verfolgung, Kälte usw. Auch dies wurde als
wirkliches Leiden von seiner gottmenschlichen Seele aufgenommen und dem Vater
schon als gelebte und gelittene Erlösungsakte dargebracht. Es war aber nicht
so, als hätten diese Leiden für gewöhnlich das Frohsein des Kindes Jesu
gehindert und eine melancholische Wirkung auf seine Kinderjahre ausgeübt. Wohl
wirkten die seelischen Ereignisse auch auf das Gemütsleben des Kindes, aber
dieses war auch insofern ein göttliches Kind, als seine Geisteskraft die
Trägerin des ganzen Gemütslebens war und folglich darüberstand und es
beherrschte. Die menschliche Entwicklung, die sich durch die Sinne der Seele zu
äußern begann, ließ dann allmählich im gesamten Seelenleben des Kindes die
Erlöseraufgabe in immer vollerer Auswirkung sich ausprägen und aufleuchten. Es
war so, als dringe das Bewusstsein des Erlösers zunächst von oben, von der
höchsten Spitze der Geistseele und von den höchsten Geistesfähigkeiten hinab
nach unten in die tieferen Anlagen und Fähigkeiten der Seele, bis dann die
Entwicklung des Kindes so weit war, dass es auf dem gewöhnlichen menschlichen
Weg die äußeren Eindrücke und Einflüsse von außen nach innen und von unten nach
oben leiten und führen konnte. Mit dem zunehmenden Alter wuchsen in der Seele
Jesu auch die Auswirkungen seiner Erlöseraufgabe, d. h. die Erlösung wurde
menschlich dem Erlöser immer intensiver bewusst als seine Last, die abzutragen
er gekommen war. Jesus wurde damit auch psychologisch zum Mittelding zwischen
Himmel und Erde und durch die Last seiner Aufgabe zum Mittler. Er trug in sich
die Last, die er auf sich genommen hatte und die der eigentliche Zweck seiner
Menschwerdung war. Sie war mit seinem menschlichen Leben so eng verbunden, dass
sein eigenes Leben ganz der Erlösung diente. Er lebte diese Erlöserleben jeden
Augenblick, und mit jedem Augenblick trug er die Schuld der Sünde der ganzen
Menschheit ab, indem er sich zum Träger des Zwiespaltes machte, der durch die
Sünde zwischen Gott und der Menschheit aufgerissen war, der seitdem auf die
Menschheit lastete und den er als zu lösende Aufgabe auf sich genommen hatte.
Auf ihm lag darum das Gesetz des Zwiespaltes, das die Sünde in ihren
Auswirkungen zwischen Gott und den Menschen hervorgebracht hatte. Jesus erlebte
und fühlte die Folgen dieses Zwiespaltes in ihrer ganzen Schmach und Schuld,
die er abzutragen hatte, alles, was die Sünde als Folge mit sich brachte, den
Stachel der Sünde, das Verletzende und Schmerzhafte für die Seele, das die
Sünde zur Folge hatte, das Verdemütigende, das die Sünde für die Seele brachte.
Es waren sie seelischen Auswirkungen der Sünde, die Jesus auf sich genommen
hatte und für die er Opfer wurde. Das alles hatte die Sünde angerichtet und so
tief hat sie die Menschheit erniedrigt.
1532 |
Eine Folge des durch die Sünde hervorgerufenen
Zwiespaltes zwischen Gott und der Menschheit war auch der Tod Jesu am Kreuz.
Auf der Sünde lag das Gesetz des Todes und Jesus hat auch diesen auf sich
genommen, um die Gewalt des Todes zu brechen. Christus wurde Mensch, um für die
Menschen sterben zu können, damit dem Tod das ewig Tödliche genommen wurde.
Durch ihn und seinen Tod führt nun der Tod wieder zum Leben in Gott. Jetzt, am
Abend bin ich in großem Frieden in Christus bzw. in meinem Sein. – Morgen, am
Feste der Darstellung Jesu im Tempel und seiner eigenen Einopferung an den
Vater, will ich mich ohne Vorbehalt ganz mit Jesus opfern, um ihm ganz zu
Diensten zu sein nach seinen Absichten. Aber so wie Jesus mit Maria und in
Maria sich opferte, so ist sie auch jetzt gleichsam die Opferpriesterin und die
eine Mutter, die uns darbringt.
1533 |
Heute Morgen habe ich mich durch die Hände
Mariens Jesu ganz zum Opfer gebracht und durch ihn und wie er im Tempel seinem
himmlischen Vater. Ich will dem Heiland das bieten in mir, was er nicht mehr
hat: Eine Leidensfähigkeit, die ihm nach seinen Absichten zu einer geistigen
Wiederholung seiner inneren Leiden dienen soll. Ich weiß wohl im inneren
Erfahren, welches Ausmaß der Hingabe er von mir verlangt. Aber im Glauben an
ihn, im vollen Vertrauen auf seine göttliche Treue bin ich ihm ganz zur
Verfügung gestellt, denn ich erfahre in meinem Leiden die Treue seiner
göttlichen Verheißungen.
1534 |
Ich bin in großem Frieden und in Einheit mit
Jesus; das ist nicht fühlbar, sondern ein habituelles Erleben seines Seins und
der Wirkungen, die Jesus in sich trägt; ich lebe ihn.
1535 |
Der liebe Heiland ließ mich auch, als Beweis
seiner wirklichen tatsächlichen Leiden vom Augenblick seiner Menschwerdung an,
diese innerlich erfahren, besonders den Hochmut der Menschen, der sich in
seinen Kinderjahren auf seine Hilflosigkeit ausgewirkt hat. Ich habe diese
seine Leiden, im eigenen Erfahren innerlich erlebt, aber es gibt kein Wort, um
sie wiedergeben zu können.
1536 |
Jesus war klein und hilflos geworden und ließ
die sündigen hochmütigen Menschen über sich herrschen. Er wusste aber dabei um
sich und seine Würde, und empfand in seiner unendlichen Heiligkeit und
Gerechtigkeit unaussprechlich das Unrecht des Stolzes und der ihm angetane
Geringschätzung, Zurücksetzung und Verachtung. In zwei Worten könnte man
vielleicht sein geistiges Leiden so andeuten: „Das alles (an Würde, Größe,
Reichtum) bin ich – und so (wie ein Nichts, das unerwünscht und lästig ist)
behandeln die Menschen mich und setzen sich verächtlich über mich hinweg“. Und
dieser Hochmut der Menschen drang wie glühende Pfeile in das Herz des Kindes. –
Ich durchschaute die ganze Menschheit in ihrem Hochmut und Stolz, in ihrem
Eigendünkel153 und ihrer Anmaßung und wie die Menschen, von denen
ich mich umgeben fühlte, mit Abneigung und Verachtung auf mich herabsahen. Es
war ein geistiges Durchschauen der Seelen und dessen geistige Auswirkung auf
den armen, unscheinbaren Erlöser. So wie Jesus die Menschen durchschaute und
als Wirkung daraus sich für ihn das Leiden unter seiner armen, verdemütigenden
Lage ergab, so habe ich es innerlich in eignem Erfahren erlitten. Die Wand,
hinter der sich die Seele vor sich selbst verborgen [hat], hatte sich geöffnet
und in Jesus durchschaute ich die Abgründe der Sünde in den Seelen, besonders
ihren Hochmut und Stolz. Dies sehen zu müssen erzeugt einen so großen Schmerz
in der Seele, dass es keinen Ausdruck dafür gibt. – (Soeben versprach mir der
Heiland, es werde in meinen Leiden bzw. im Nacherleben seiner Leiden bestätigt
werden, dass es sich mit den Leiden Jesu bei seiner Menschwerdung und in seiner
ersten Lebenszeit wirklich so wie beschrieben verhalten hat.) – Ich stelle mich
aber dem Heiland und seinen Leiden ohne Vorbehalt zur Verfügung.
1537 |
Seit gestern Abend erlebe ich in mir einen bis
jetzt noch nie erfahrenen ausgeglichenen Geisteszustand. Ich bin mir alles; in
diesem „bei mir“ herrscht volle Ruhe und – was das Köstliche ist – vollkommene,
geistige Kampflosigkeit. Alles in mir „ruht“ in mir. Ich bin angelangt an
meinem geistigen Zentrum und dieses Zentrum ist mein Sein und mein „bei mir“. –
O, wie glücklich, selig, ruhig ich bin! Ich bin aber aus mir selbst so
glücklich, selig, ruhig, weil ich in mein Sein zutiefst eingetaucht und davon
durchlebt bin.
1538 |
Ich schaue in mir, von der höchsten Spitze
meines Seins bis zu meinem unteren Sein: Es ist ein Augenblick seligen
Genießens, weil alles in mir zu meinen Füßen liegt und ich alles mit einem Akt
meines Wollens regiere. Ich kann in mir tun, was ich will, denn alles gehorcht
mir auf den Wink, weil jedes geistige Atom mir selbst unterstellt ist. Dieser
Akt meines Wollens ist aber nicht ein gebieterischer und gebietenmüssender
Wille, nein, er ist schon Leben selbst, ist schon das Tun. Ich wende mich auf
jedwelche Seite meines Seins und es ist ein schon getaner Akt. Ich „tue“ immer
das, was ich will, und es ist immer schon getan in mir, so sehr sind meine
Geisteskräfte in mir zur Verfügung. Mein ganzes Sein ist „Leben“, schon
wahrhaftiges, wirkliches Leben, das keiner Vorübung oder selbstischen Bemühung
bedarf. Ich „tue“ alles aus der Quelle meines Seins, die immer schon wirkliche
„Tat“ hervorbringen kann. In mir strömen Kraftquellen, die immer schon Taten
hervorbringen können; wie die Fluten eines Wasserfalls nehmen sie mein Sein
mit. Es sind immer fließende Quellen in mir, die aber eine Eigenheit haben,
dass sie nämlich nimmer fühlbar sind und kein Geräusch machen. Ihr Merkmal ist
die Stille, die Ruhe, und aus dieser unergründlichen Ruhe fließen meine ganze
Kraft und mein Sein.
1539 |
Ich bin wie eingebettet in ein Herz, das so
weich, so warm und so still ist. Ich bin von den zärtlichsten Armen umfangen
und ständig an ein liebendes Herz gedrückt. Dieses Herz ist mein „Daheim“ und
mein Sein und ich lebe dieses lieb-warme Herz. Mein Leben ist der Schlag dieses
Herzens; darum braucht es keine Anregung und keine „Bemühungen“ mehr, weil
dieses Herz lebenswarm ist und ewig und immer schlägt und lebt. In so weichen
Kissen hat Jesus mich in sich gebettet und selig bin ich in ihm zur Ruhe
gekommen. O Himmel, wie selig wirst du einst sein! –
1540 |
Ich habe Unaussprechliches für alle Leiden und
Kämpfe hier schon erhalten. Ich lebe den, dessen tiefstes Sein „das Sein und
die Tat“ ist, ohne Vorübung und Vorbemühung. Ich bin in dieser Teilnahme an ihn
und ich habe dieses herrliche Ziel erreicht; ich kann Jesus in dieser
Vollkommenheit ertragen und er kann mich für diese göttlichen Akte gebrauchen.
1541 |
Ich habe heute Morgen viele innere
Erkenntnisse gehabt, weitere Erklärungen über das, was ich gestern geschrieben
habe.
1542 |
„Auf Jesus, den Erlöser, war das Gesetz des
Zwiespaltes zwischen Himmel und Erde gelegt“. – Dieses Wort wurde mir heute
erklärt:
1543 |
Wie Gott dem Menschen bei der Erschaffung eine
besondere Belohnung für den Fall der Treue gegen sein Gebot in Aussicht stellte,
so kündigte er auch eine Strafe an für den Fall der Nichtbeobachtung. – Als die
Sünde geschehen war, folgte auch schon die Strafe: Die ersten Menschen „sahen
ein“, was sie getan hatten. Sie „litten“ unter ihrem eigenen Vergehen und die
Sünde brachte das Leid in seiner inneren und äußeren Form in die Welt. Das
Leiden wurde zu einem Gesetz, das Gott über die Menschen verhängte, und zwar
war es für Gott ewig so bestimmt. Und das Ende dieses Lebens sollte der Tod
sein, dem auch eine ewige Trennung von Gott folgen sollte. – Jede Sünde, mag
sie noch so verlockend scheinen, gebiert in der Seele des Menschen den Schmerz.
Der Sünde Folge ist das Leid: Das wurde zu einem unabänderlichen Gesetz für die
Menschheit. Schon das „Einsehen“ des Menschen nach begangener Sünde bedeutet
für ihn immer einen Schmerz; denn das Gefühl und Bewusstsein, ein Unrecht
begangen zu haben, steht unabsichtlich vor ihm. Und wenn der Mensch in diesem
Zustand stirbt, so folgt gerade dieses Leiden schon ewig oder zeitlich. Kein
Mensch kommt an diesem Gesetz vorbei, ob er an die Sünde selbst glaubt oder
nicht154.
1544 |
Da kam Christus. Er stand nicht unter diesem
Gesetz, aber er nahm es auf sich, damit es für die Menschheit nimmer auf ewig
zum Tode führen solle. Er wollte „einsehen“, was die Menschen nicht sehen
wollten noch wollen: ihre große Schuld vor Gott. Er wollte den Schmerz dieses
Einsehens auf sich nehmen, damit er für die Menschen zur Heilung und Befreiung
von der Sünde würde. Er wollte ein Leben solchen Leidens führen, damit die
Menschheit gerettet werde. Er wollte „sterben“ damit die Macht und das Gesetz
des ewigen Todes gebrochen werde, und der Mensch nicht ewig für seine Sünde
leiden solle. Er stellte sich freiwillig unter dieses Gesetz, die Sünde und
ihre Schuld vor Gott erkennen zu müssen – auf dass die Menschen durch ihn
wieder zum Heil und zur Versöhnung mit Gottes Gerechtigkeit gelangen können.
1545 |
Christus nahm auf sich den Stachel der Sünde;
er erlitt ihn an seiner gottmenschlichen Seele und an seinem heiligen Leibe.
Jesus ertrug den Stachel der Sünde nach außen: Er unterstellte sich hienieden
dem Leben der Sünder in ihrer Bosheit, Laune und Grausamkeit. Er erlitt die
Sünde in ihren Folgen an seiner Seele und an seinem Leibe: Die Sünden nämlich,
die von außen ihn verwundeten, den Unglauben, den Hass, den durch die Sünder
über ihn verhängten Tod. Er starb am Stachel und an der Bosheit der Sünde. –
Das innere Maß, womit der Erlöser die Sünde maß, war seine Heiligkeit und
Reinheit gegenüber den Abgründen der Sünde in all ihren Möglichkeiten und
Auswirkungen für die Seelen. Christus muss die Sünde dem Zustand der Reinheit,
in dem die Menschen aus der Schöpferhand Gottes hervorgingen und mit dem
zeitlichen und ewigen Verderben, in das die Sünde den Menschen nach Gottes
Gerechtigkeit gebracht hat. Christus schaute die Sünde mit den Augen der
Gerechtigkeit Gottes.155 Er schaute und erkannte jede einzelne
Sünde, die für die Seele ewigen Tod bedeuten sollte. Freiwillig „erlitt“ er
innerlich das Böse und Hässliche und den Undank der Sünde. Er sah sie an156
mit göttlichen Augen und verabscheute sie anstelle der Menschen vor Gottes
Gerechtigkeit. – Und um dieser Leiden willen, bzw. um anstelle der gefallenen
Menschheit diese große Schuld vor Gottes Gerechtigkeit anzuerkennen, ist
Christus Mensch geworden. Er wollte die Sünde „erleiden“ und um dieser Leiden
willen und um dieses göttlichen Ersatzes willen im Erlöser157 gab
Gottes Gerechtigkeit wieder Erbarmen und hob das ewige Gesetz des Zwiespaltes
auf um seines Sohnes willen, der sich freiwillig unter das Gesetz gestellt hat
und die Folgen der Sünde an sich erlitt, auf dass Versöhnung werde zwischen
Gott und den Menschen. Damit der Mensch durch sein eigenes Einsehen und
Erkennen seiner Sünden die Möglichkeit der Überwindung der Sünde und der
Befreiung aus ihr erlange, dazu erwarb Christus von Gottes Gerechtigkeit das
Gesetz der Erlösung und der Barmherzigkeit158 und besiegelte es mit
seinem Tode.
1546 |
Ich kann nun ganz gut den inneren Zustand
ertragen, den ich gestern beschrieben habe und in den ich am 2. Februar abends
eingegangen bin. Es ist kein bloßes Vorauserleben, sondern es ist schon mein
wirklich erreichter und bleibender Zustand. Es ist eine ungemein große Wohltat,
mein früheres Sein so erstorben zu wissen, dass es mich nimmer stört; es ist
überschritten vom neuen, wirklichen Leben, das ich in Christus, bzw. in seiner
göttlichen Person schon ertragen kann. Der köstliche Genuss meines inneren
Zustandes ist die völlige eigene Kampflosigkeit, das vollständige Ruhen in mir
selbst, weil alles, was ich an geistigen Gütern brauche, in mir schon vorhanden
ist; ich brauche sie nur zu leben. Ich nehme immer aus den unerschöpflichen
geistigen Vorräten in mir. Es braucht keine Bemühung, diese oder jene Tugend zu
„üben“, ich lebe vielmehr das Tugendleben in jeder Form, denn es ist mir
gegeben. Es kostet mich keine Überwindung, dies oder jenes Unangenehme zu tun;
ich tue es und kann es machen und ich habe die Kraft in mir, das Unangenehme
dieser Handlung mit auf mich zu nehmen, ohne dass dadurch mein innerer Friede
und die geistige Harmonie gestört wird.
1547 |
Ich bin in mir ganz „daheim“. Ich lebe immer
das Zentrum meines Seins und dies ist die Quelle, aus der ich leben und nehmen
kann. Ich lebe die Quelle selbst; ohne mich darauf besinnen zu müssen, schöpfe
ich wie naturhaft aus ihr. Sie ist mein gewöhnliches, naturhaftes Sein
geworden. Darum ist so viel an einem „Erringen-müssen“ weggefallen. Ich stehe
ständig auf der Spitze meines Seins und tue augenblicklich alles, was das
tiefste leiseste Empfinden verlangt. Der Kampf ist im vollen Besitz
übergegangen und das Selbstbeherrschen der leisesten Regung in mir ist errungen
und ist naturhaft, ohne Notwendigkeit einer Bemühung oder Besinnung geworden. –
Ja, es ist wahr: Gottes Wesen ist die Ruhe und Einfachheit. Wie einfach ist
mein Leben geworden! Ich erfahre Gottes wesenhafte Vollkommenheiten im Erleben
der göttlichen Person Christi, der ich dienstbar sein kann zu einem
menschlichen Erfahren und Erleben seines göttlichen Seins.
1548 |
Aber schon steht ein neues, weiteres Ziel vor
mir: Diese geistige Kampflosigkeit, dieses tiefe, geistige Nicht-Berührt-Werden
von den Anforderungen, die von außen herankommen, diese volle Befestigung in
mir selber bietet mir die Möglichkeit zum Erfahren der nächsten geistigen159
Stufe, in die mich Jesus im Erleben seines Erlöserseins einführen will: Den
inneren Zwiespalt ertragen zu können, den die Sünde in die Welt gebracht hat,
bzw. dessen Auswirkungen, die der Erlöser auf sich genommen hat. Jesus stellte
sich unter das Gesetz des Zwiespaltes. Er wollte ein gottmenschliches Erleben
und Erfahren der Tiefe des Zwiespaltes durchkosten, wollte die Sünde in ihrer
tiefsten Wurzel im eigenen Erleben ihres Wesens kennen, so wie sie in seinem
menschlichen Leben an ihn herantrat. Er durchschaute die Sünde in ihrer
tiefsten Wurzel in den Seelen, durchschaute mit göttlichen Augen die Abgründe
der Sünde und ließ sie in ihrer ganzen Gemeinheit und Hässlichkeit auf sich
wirken.
1549 |
Dies schaue ich als das nächste Ziel in meinem
Innenleben, dem ich in der kommenden Zeit zugeführt, und wozu ich befähigt
werde.
1550 |
Schon
gestern Morgen, nach der hl. Kommunion, konnte ich in Jesu eine noch höhere Beschlagnahme meines Seins
durch die göttliche Person Christi
vorausschauen. Im Vorauserkennen schien mir der nächstfolgende Zustand in Christus mehr in die niederen Lagen meines Seins zu dringen und zugleich schien mir, Christi Sein in mir werde
das ganz Überragende, das Tragende werden.
– Der Zustand der beschriebenen Harmonie und Ausgeglichenheit in mir ist
dauernd. Ich lebe „mich“ und besitze mich und aus diesem Selbstbesitz strömt
die innere Lebensfülle, die nicht mehr als fühlbares Zuströmen wahrgenommen wird, sondern einfach da ist. Alles Leben kommt aus mir selber; es kommt mir keine „Übung“
zum Bewusstsein, denn das innere
Sein äußert sich durch die Tat, durch die habituellen Wirkungen meines inneren
Seins bzw. durch das „Leben“ der göttlichen Person in mir, dem ich diene und dem zu dienen ich nun befähigt
bin.
1551 |
Gestern Nachmittag war ich
wieder sehr im Leiden, obwohl im Wesentlichen der innere Zustand blieb. Ich litt das
Leiden aus und mit dem Wesen und der Kraft meines inneren Seins, d. h. aus mir
selbst160, wie jemand, der aus eigener Kraft erringend und erkämpfend einem
höheren Ziele zustrebt. Das Leiden selber war der Weg zur Höhe, die ich mit eigener Kraft und
Energie erringen
musste. Mein Sein in mir wurde zum eigenen, selbstständigen Wollen, zu dem ich zutiefst von Jesus
dirigiert wurde. Es kam Leben, selbstständiges Leben in mich, aber es schien ganz das meine zu sein:
Meine eigenen Mittel dienten dem Zuschreiten zu einer Erhöhung in Christus.
1552 |
Heute Morgen erkannte ich
weiter, obwohl alles schwer auf mir lag, die Absichten Jesu hinsichtlich der Art, wie er mich für sich
gebrauchen will. Ich
überschaute den allmählichen Aufstieg zum endlichen Ziel und musste bestätigend die Wahrheit und
Konsequenz der göttlichen Führung in mir wirksam anerkennen. Der letzte Zweck
aller göttlichen Gnaden stand wiederum161 klar vor mir: Jesus
gebraucht mich zu einer Wiederholung seiner innersten Geheimnisse als Gottmensch,
wozu ich ihm dienen soll. Auf mich ist jetzt seine Absicht gelegt: Ich bin „in ihm“ aufgegangen, um
kraft seiner göttlichen
Person jenes Geheimnis wiederholen zu können. Jesus hat mein menschliches Sein umgestellt und zu
einer Teilnahme an seiner göttlichen Natur in dem Maße befähigt, dass es ihm damit möglich
ist, seine Absichten zu vollbringen.
1553 |
Ich schaute innerlich das Ausmaß
seiner göttlichen Erlöse Aufgabe und die Auswirkungen, die sie in meinem Innern hervorbrachte. Ich erkannte, wie sich
Jesus zum Mittler machte, um das Gesetz des Zwiespaltes zwischen Gott und den Menschen in ein Gesetz der
Versöhnung und göttlichen Barmherzigkeit zu verwandeln. Ich erfasste in diesem
Geheimnis die Akte der göttlichen Person des Erlösers, seine göttlichen
Mittlerakte. Er selbst führte das Amt des Mittlers bewusst in seiner göttlichen
Person aus. Die Auswirkungen und Reaktionen trafen seine göttliche Person und
er selbst überwand sie kraft seines göttlich-wesentlichen Habitus. Diese
Erlösung wurde somit zu seinem eigenen Werke, das Christus selbst geleistet
hat. Seine allerheiligste Menschheit war ihm das Hilfsmittel dazu und sie war es,
die ihm leidend hierfür diente, während die göttliche Person die eigentlichen
erlösenden Akte vollbrachte und ausführte.
1554 |
Der liebe Heiland fragte mich
nun (im geistigen Verstehen), ob ich ihm so zu Diensten sein und mich von ihm
so gebrauchen lassen wolle, wie ich es innerlich erfahre? Dabei erkannte ich
meine Stellung und Aufgabe in ihrem Ausmaß und in ihren Folgen und
Auswirkungen. – Ich war ja längst bereit und stellte mich neuerdings dem
Heiland zur Verfügung, nicht so sehr in ausdrücklichen Worten als vielmehr
durch eine neue Hingabe. Da erhob sich Jesus in mir, d. h., Jesus trat an die
Stelle meiner Person, so, dass sie wirklich die meine scheint und ist, weil er
die göttlichen Akte inspiriert, die zu meinem eigenen Erleben sein werden (so
einfach dieses innere Erfahren war, lässt es sich doch mit keinem Wort
ausdrücken). – Jesus fragte mich: „Genüge ich dir 'so' für immer?“ Und ich war
dabei im Zustand, wie er mir als Person genügen soll. – „Herr, ja, du genügst
mir so für immer!“ Es war wirklich eine freudige Antwort meinerseits. Ich hatte
auch voll den Willen Jesu und seine Absichten begriffen.162 Ich
opferte mich in Worten und in der inneren163 Tat ganz seiner
göttlichen Person und diese gab sich mir für immer als meine Person. -
1555 |
Jesus versprach mir auch ganz
sicher: Er wolle mir durch sich selbst alles ersetzen, was ich durch das Opfer
meiner eigenen menschlichen Person aufgegeben habe; er sei und wolle mir Ersatz
sein; ich möge mich ihm ruhig überlassen. – Im Erfahren „meines“ göttlichen Wesens
hatte ich die volle Garantie seines Versprechens.
1556 |
Ich schaute aber auch die
Wirkungen seiner göttlichen Herablassung für mich: Ich bin damit wie an seine
Stelle getreten – oder ist Jesus an meine Stelle getreten? Ich erlebe es so:
Ich bin an seiner Stelle, d. h., ihn gleichsam ergänzend mit meinen
menschlichen Kräften, aber so, dass nur ein Leben und eine Person ist, die in
Wirklichkeit nun die Funktion meiner Person ausübt. Ich erkenne die Folgen
dieser Art des Einsseins mit Jesus in dem, was den eigentlichen Zweck dieser
wunderbaren Gnade betrifft: Ich werde somit164 zum Leidenden, zum
Kämpfenden in meiner inneren Aufgabe; mich treffen die geistigen Auswirkungen
und Reaktionen seiner Mittlerstelle vor dem Vater. – Ich erkannte ferner: Mein
geistiges Gegenüber ist der Vater;165 zu ihm gehen alle meine
inneren Akte, weil ich in Jesu Stelle bin bzw. im tiefsten Wesen von Jesus, im
Nacherleben seiner inneren Erlöserleiden dirigiert und geleitet werde. – Ich
konnte voll und klar meine ganze Lage für die Zukunft überschauen und erkennen
und ich war doch voll großen Friedens über den Tausch, den Jesus mit mir
gemacht hat.
1557 |
Mit diesem göttlichen Akte Jesus
in mir hat sich sein inneres Leben nun noch mehr vereinfacht: Es ist nur eines
geblieben und nur eines ist wirksam; es stützt sich in mir alles auf „mich
selbst“ und „ich selbst“ bin mir alles. – Ich bin nun im höchsten Maße auf mich
gestellt und stehe auf der Spitze des Seins in mir.
1558 |
Mein ganzes Leben ruht in
unaussprechlichem Frieden und Bereitschaft und Vertrauen. Heute hat sich Jesus
in mir im höchsten Ausmaß zur Person erhoben. -
1559 |
Jesus bot mir am Morgen sich selbst als mein
„Ich“, aber untertags wurde es wieder recht schwer für mich. Es kamen wieder
Leiden, die mir aber eine Bestätigung der in der Frühe erhaltenen Gnaden waren.
– Jesus macht sich selbst in mir zum Tragenden, zum „Ich“. Er ringt sich durch
und wünscht empor. Alles Frühere in mir muss vergehen und vergeht im Leiden, weil
nun kein Platz und keine Betätigung mehr dafür da sind. Das löste eine
peinigende, geistige166 Langeweile in meinem Inneren aus, die nicht
zu beschreiben ist.
1560 |
Beim hl. Segen am Abend aber „bin ich ganz an
meiner Stelle“, d. h. so, wie sich Jesus mir als mein „Ich“ gegeben hat. Ich
bin ganz auf mich gestützt und gestellt und tue alles aus mir. – Jesus macht
jetzt eigentlich ganz das wahr, was er schon so lange voraussehen ließ: Er
vereinigt sich derart mit mir, dass er meine Stelle einnimmt und wie „Ich“
scheint. Ich erlebe „ihn“ als sei er mein „Ich“ und dies wird sich im Leiden so
auswirken, dass ich der Leidende und Ringende werde. Ich leide dann alles an
seiner Stelle, wobei aber er der Beherrscher ist und die Funktion der Person in
mir ausübt. Ich „spüre“ aber nichts von Jesus, nur bin ich von einer Fülle von
Geisteskraft belebt, welche die meine scheint und aus der ich lebe. Es ist aber
so wunderbar einfach. Ich bin mir alles und sonst ist keine Bewegung in mir
vorhanden. Ich kann aber bestätigen, dass Jesus mich wirklich in jenem Zustand
versetzt und mich wirklich zu dem geführt hat, was immer als Ziel er mich
vorausschauen ließ, und was er immer als notwendig vorauserleben ließ für seine
Absichten in mir: Jesus will in mir seine inneren Leiden wiederholen.
1561 |
Seit ein paar Tagen bin ich wieder mehr167
im Leiden. Insbesondere bin ich sehr verdemütigt über die bisherigen
Misserfolge und die scheinbare168 Aussichtslosigkeit des äußeren
Werkes, das Jesus will. Es ist merkwürdig, wie ich geistig (im Herzen Jesu)
verbunden bin mit jener Priesterseele, die der Heiland vorbereitet hat und zur
Ausführung seiner göttlichen Absichten will. Mit dieser Seele vereint leide ich
unter der Demütigung169, dass bisher jede Mühe und jedes Opfer
scheinbar vergeblich war. Es ist mir, als litten wie zusammen die Schmach des
Misserfolges aller Bemühungen und aller Opfer und Leiden, die wir für die Sache
des Heilandes ertragen haben. Es ist mir, als „lache und spotte die Hölle und
auch die Menschen170 uns aus wegen unseres Vertrauens auf Gottes
Allmacht und Treue“. Aber wir wollen gern, im Herzen Jesu vereint, alle
Beschämung, und diese „Schande“ für Jesus tragen, denn wenn er selbst auf Erden
ein solches Werk gründen wollte, würde es ihm auch so widerfahren; er hat noch
größere Schmach, Verfolgung171 und Verdemütigung gelitten und wir
wollen es nicht besser haben als er selbst. Freilich sind wir ohnmächtig und
gebunden durch den Widerspruch und Kampf des Menschen gegen die Absichten
Gottes; aber wenn wir die Ohnmacht sind, so ist Christus die Allmacht.
1562 |
Außer diesen Leiden trage ich noch sehr an
anderen geistigen Leiden, die ich mit keinem Worte beschreiben kann. – Allem
Anschein nach geht es innerlich wieder weiter.
1563 |
Nun liege ich seit über einer Woche in einem
inneren Vorbereitungsleiden, für das es keinen Ausdruck gibt. – Wohl bleibt der
vorherige Zustand in Jesus bestehen und auch die Wirkungen des gegebenen Seins
in Jesus betätigen sich weiter. Ich leide darum all diese inneren Leiden ganz
„aus mir“; ich bin der Erringer, der einer neuen Stufe bzw. einer höheren
Auswirkung des Erlebens der göttlichen Person zustrebt, die ich an seiner
Stelle, als meine Person, erleben soll. Ja, der Weg ist weit und mit viel Mühen
gelangt man tiefer in Jesus hinein. Ich bin dabei den habituellen Wirkungen
seines Lebens in mir hingegeben, „spüre“ aber von Jesus selbst nichts. Ich
„lebe“ aus dem Sein Jesu in mir und das genügt mir vollständig, weil meine
geistige Umstellung dem Einströmen seiner göttlichen Person angemessen ist.
1564 |
Es ist aber merkwürdig, wie sich über diese
bleibende Höhe hinaus ein neues Ungenügen meiner menschlichen Fähigkeiten
einstellt, Jesus erhöht sich anscheinend in mir, will sich noch mehr ausbreiten,
mich noch mehr in Anspruch nehmen und mir sein Leben als mein Leben mitteilen.
In dieses innere, sich wieder steigernde Ungenügen greift gleichsam die
nächstfolgende Stufe ein, die sich aus diesen Leiden ergeben soll. Ich erfuhr
wohl eine sich gleichsam in die Höhe bewegende Veränderung in mir, aber es war
mir noch kein bestimmtes, klares Ziel in mir gestellt. Man hat aber für diese
inneren Vorgänge kein eigentliches Wort, weil es rein geistige Wahrnehmungen
und tief erlebte göttliche Inspirationen sind, von denen ich innerlich geleitet
und beeinflusst werde. –
1565 |
Seit gestern und heute aber erfahre ich in mir
eine weitere, höhere Entwicklung in Christus. – Jesus hat mir gestern in St.
Peter merkwürdige Versprechungen für die Priester gegeben. So erfahre ich in
ihm seine göttlichen Liebschaften für die Priester:
1566 |
er will allen Priestern die Gnade einer
ähnlichen Vereinigung mit seiner göttlichen Person anbieten, wie er sie mir
gibt. Das bedeutet die „Schenkung seines Herzens an die Priester“. Die Priester
sollen daran glauben und diese Gnaden anstreben und sich darum bemühen,
zunächst durch Überwindung der erbsündlichen Sündhaftigkeit und Unordnung im
Glauben an die Erlösungsfrüchte Christi.
1567 |
Mein Innenleben und alle Gnaden, die er mir
gibt, sind Offenbarungen seines Herzens, besonders an die Priester. Ich bin das
Opfer für die neuen Gnaden, die er jetzt den Priestern geben will. Er will sich
allen Priestern in einer ähnlichen Weise der Vereinigung, wie er sie mir
gegeben hat, mitteilen. Diese Art der Vereinigung mit ihm wurde mir vorbildlich
für die Priester gegeben, mit dem Unterschied, dass diese Vereinigung beim
Priester auf dem gewöhnlichen (nicht so bewussten) Gnadenwege entsprechend
seinem Berufe wirksam und tätig sein wird. Mein Innenleben ist eine172
Offenbarung Christi bzw. seines Innern an die Priester; es ist die
Eingangspforte oder der Weg zum Eindringen des Priesters in das Innere des
Herzens Jesu, in sein göttliches Wesen und Sein. Damit stellt Jesus den
Priestern sein Herz zu Verfügung, dass sie nach ihrem Belieben daraus nehmen
und sich aneignen können.
1568 |
Die Wirksamkeit und Wirkkraft des Priesters
liegt in der Vereinigung der Priesterseele mit dem Sein Jesu. Darum will Jesus
alle Priester gleichsam zur höchsten Einheit und Vereinigung mit ihm aufrufen.
Er gab mir das sichere, innere Versprechen: Er wolle und beabsichtige sich
allen Priestern in jener mir vorbildlich gegebenen Einheit mitzuteilen, weil
nur in der Einheit mit ihm die Wirkkraft und das Geheimnis der Wirksamkeit des
Priesters bestehe. – er gibt diese Gnaden „neu“, den neuen Anforderungen der
Zeitverhältnisse entsprechend; kraft und zufolge seines Lebens und Seins im
Priester wird die Kirche den Geist des Unglaubens und der heutigen Verwirrung
der Geister überwinden. Er selbst will im Priester wirksam sein und kraft
seines Lebens im Priester wird dieser den neuen Anforderungen der heutigen Zeit
genügen können. Jesus sprach zu mir: „Glaube mir das! So wahr ich in dir lebe!
(D.h.: Ich bin bereit, diese Gnaden den Priestern zu geben, und zwar als 'neue
Gnaden'). Sie sollen daran glauben und sie anstreben.“
1569 |
Der Heiland ließ mich verstehen, dass er die
wesentliche Gnade der Einheit mit ihm und seiner Person den Priestern geben
wolle, nicht die begleitenden Gnaden und Umstände, die ich im Zusammenhang
damit erfahren habe. Er will durch mich zeigen, dass er diese Art der
Vereinigung in der Seele hervorbringen kann, die bis zur Teilnahme an seiner
göttlichen Person geht. Der Priester in erster Linie aber sollte zu dieser
persönlichen Anteilnahme an Christus gelangen, weil dies seiner hohen Berufung
und Auserwählung entspreche. Infolge seiner Weihe und Berufung hat ja der
Priester einen kürzeren Weg, als ich ihn zurückzulegen hatte, bis zu dieser
Einheit, weil ja der Priester als solcher Christus schon näher steht, als ich
ihm stand. – Auf diesem Wege würde der Priester in Wahrheit Jesu „zweites Ich“,
weil er durch eine solche wesentliche Einheit mit Jesus die entsprechende
Gewähr trägt, dass seine äußere Würde und Berufsausübung wirklich von Christus
getragen und geleitet wird. Das innere Sein des Priesters gibt sich ja in der
äußeren Tätigkeit kund und nur in der Einheit mit Christus vermag der Priester
wahrhaft fruchtbar für die Seelen zu wirken. Damit wird dann auch sein äußeres
Ansehen wieder mehr gesteigert173, geschätzt und anerkannt werden.
1570 |
Ich bin mir innerlich sicher, dass „mein Leben
und alle von Gott erhaltenen Gnaden für die Erneuerung des Priestertums
bestimmt sind“. Ich soll mich als Opfer für diese göttlichen Liebesabsichten
betrachten. Infolge der besonderen Fürbitte MARIENS fließen diese neuen Gnaden
durch eine Frauenseele den Priestern zu.
1571 |
Ich schaue aber innerlich auch wieder das
Priesterinstitut, das Jesus unbedingt gegründet haben will und in dem und
wodurch die Priester in diesen vertieften Geist eingeführt werden sollen. Ich
schaue auch, konzentriert und zusammengefasst die Art und Weise, wie dies den
Priestern dargelegt werden soll. Einzelnes kann ich jetzt nicht unterscheiden,
schaue aber voraus, dass es mir innerlich mitgeteilt und näher gezeigt werden
wird.
1572 |
Ich erinnere mich noch sehr174
genau, dass mir Jesus dieses Versprechen schon öfters gab. Besonders klar und
entscheidend sagte mir dies Jesus anfangs September 1936, als ich bei meinem
damaligen Seelenführer Dr. List Exerzitien machte. Jesus sprach zu mir: „Ich
will den Priestern neue Gnaden geben, und zwar Gnaden der Vereinigung mit mir;
ich will dich zu einer besonderen Gnade der Einheit mit mir führen, aber ich
gebe diese Gnaden dir vorbildlich für die Priester. Ich bin bereit und will den
Priestern ähnliche Gnaden der Vereinigung mit mir geben, so175 wie
ich sie dir gebe. Du sollst dich als Opfer für die Erneuerung für das176
Priestertum betrachten, die ich jetzt vorbereite. Aber diese Gnade der
Vereinigung mit mir in den Priestern wird für sie ihrem Berufe entsprechen sein
und sich dementsprechend auswirken. Nur in der Einheit mit MIR vermag der
Priester wirklich segensreich zu wirken. Jeder Priester, der sich außerhalb mir
bewegt, wird wenig Frucht in seinen priesterlichen Arbeiten erfahren (und hat
auch wenig Frucht).“ – Ähnliches sagte mir der Heiland schon oft. Und Jesus
verlangte, dass ich mich ihm als Opfer hingebe für diese seine Absichten; ich
musste an seine Absichten glauben und auf diese Hingabe hat sich überhaupt mein
ganzes Innenleben aufgebaut und begründet177. Das war der erste
Anlass dazu. Schon in den ersten Jahren meiner besonderen Führung wollte Jesus
von mir: „du sollst mir ein Opfer sein zur Erneuerung meines Priesterstandes178.“
Und wiederholt: „du sollst mir das Opfer sein für meine Absichten bezüglich der
Erneuerung des Priestertums.“ – Jesus zeigte mir sehr oft seine Pläne und sie
standen in jenen Jahren immer vor meinen geistigen Augen. Er ließ mich auch den
Enderfolg voraussehen und er sprach dann zu mir: „Dazu sollst du mir Opfer
sein“. – „Ich will alle Priester in einem Geiste zusammenführen“, und ich
schaute diese seine Absichten und Pläne auch ausgeführt.
1573 |
Auf dieses Versprechen und letztes Ziel
begründete und führte der Heiland mein Innenleben hin.
1574 |
Ich habe auch das innere Wissen, dass mein
Erleiden der inneren Leiden Jesu der Beweis sein wird, dass Jesus den Priestern
wirklich diese Gnaden geben will und dass mein Innenleben wahr und kein
Ausfluss meiner Einbildungskraft ist, noch sein kann. –
1575 |
Heute schaue und erlebe ich ein weiteres Ziel
in Jesus in mir, das wohl einem Abschluss gleichkommen könnte: Jesus will mein
eigenes Sein vollkommen auslöschen. – (Am 02.09.41 habe ich in Bethanien
geschrieben: „Wenn ich mich nicht täusche, hat Jesus mir versprochen, er werde
mein vergangenes Leben ganz auslöschen und mir ein „neues Leben“, das seine,
geben, seinen Habitus, mit dem ich dann werde leben können“.)
1576 |
Ich werde innerlich immer wieder gleichsam
„gefragt“ (aber nicht in Worten, sondern im göttlichen Wirken in mir), ob ich
bereit wäre, vollständig und für immer auf mich zu verzichten und ganz in
seiner Person und mittels seiner göttlichen Person mein menschliches Leben ihm
darzubieten zu einer Wiederholung seines Innenlebens. – Ich erfahre aber das
Wirken der göttlichen Person Christi und seine Inanspruchnahme meines Seins
schon insofern, als ich für mich in einer so vollständigen Leere bin, die man
mit keinem Wort erklären kann.
1577 |
Mit dieser kommenden Stufe der Erhöhung
scheint mein Eingehen in Christus sich zu vollenden und abzuschließen. Ich bin
mir aber vollständig klar, in welcher Weise ich von ihm gebraucht und in
Anspruch genommen werde, weil sein Wirken dementsprechend ununterbrochen in mir
tätig ist. Dieses göttliche Wirken und die vollständige geistige Entblößung und
Entziehung meiner Geistesfähigkeiten für meinen eigenen Gebrauch erfüllt mich
mit großer Freude und Befriedigung und Ruhe. Mir ist, als werde ich für mich
ganz „arbeitslos“ (was in den vergangenen Wochen und Tagen oft das schmerzliche
Empfinden einer faden Leere erzeugte). Es ist eine große, unaussprechliche
Stille und Leere in mir; es wird in mir nichts an Wissen und Wollen erzeugt,
denn – so sehe ich es voraus – die göttliche Person Christi trägt alles in sich
und bringt alles mit sich, was die menschliche Seele und das menschliche Leben
Jesu brauchte und bedurfte. Die Seele Jesu war nur die Trägerin und
Vermittlerin und damit die Erleiderin und Erleberin der Funktionen der
göttlichen Person, weil Christi göttliches Wesen habituell in seiner Menschheit
bestehen blieb. Die Seele Jesu vermittelte die äußeren Eindrücke in seinem
Leben und führte sie der göttlichen Person zu, aber in ihr wirkte sich auch das
göttliche Leben Christi aus. So vereinigte und vermittelte die Seele Jesu
göttliche und menschliche Funktionen zu EINEM Leben. –
1578 |
Ich bin heute in einem merkwürdigen Zustand
völliger Leere und geistiger Untätigkeit, aber auch in voller Bereitschaft und
Hingabe an Jesus. Ich will ihm ganz und mit Freuden zu Diensten sein.
1579 |
Ich bin auf eine unaussprechliche geistige
Höhe meines Seins in mir gestellt, das frei ist von Abhängigkeit von meinen
tiefer liegenden geistigen Anlagen in mir. Eigentlich ist es mir schon gleichsam
„Natur, in dieser Weise über mir zu stehen und frei zu sein von der
Notwendigkeit einer niederen Geistesbetätigung“; denn ich habe all meine
geistigen Güter und Werte aus mir selbst, um „leben“ und existieren zu können.
Diese Unabhängigkeit von jeder Notwendigkeit und Möglichkeit einer tiefer
liegenden Betätigung gibt mir innerlich jene erhabene Unumschränktheit meines
Wesens, die mich wirklich zum vollen Besitzer meines Seins macht, {und} gibt
mir dieses „Geborgenseins in mir“, die Sicherheit meiner geistigen Existenz.
Ich bin in mir Ruhe und Harmonie und Freiheit.
1580 |
Jesus hat sich in unglaublicher Weise mit mir
vereinigt und mich wirklich zum Erleben seiner göttlichen Person erhoben, und
zwar so, dass ich ihn als seine Person erleben kann. Diese Art der Vereinigung
ist mir geradezu eingeprägt und der „Besitz“ seiner göttlichen Person in mir
ist so unauslöschlich, dass ich in sein Wesen zwar nicht wirklich, aber doch
„habituell“ (= dem Habitus nach) eingegangen bin und die Wirkungen seines Seins
und Wesens als meine eigene erfahre und erlebe. Trotz dieser geistigen Höhe und
des wirklichen Genießens meiner Höhe in mir leide ich aber unaussprechlich,
schon durch die vom Heiland in mir zugelassene Beschämung über die
außerordentlichen Gnaden und über das tatsächliche Erreichen dieses Zieles, das
ich erlebend in mir erfahre und bestätigen kann.
1581 |
Es hat sich auch jene wunderbare Einfachheit
in mir ausgeprägt und179 ausgebildet, in der es nur „Sein“ und
„Leben“ und ständiges180 „Tun“ gibt; dieses „Tun“ ist aber schon wie
naturhaft, sodass es für gewöhnlich nicht mehr als solches ins Bewusstsein
tritt. In den tiefer liegenden Anlagen meines Seins „möchte“ zwar die Natur dem
Höheren in mir doch etwas „bieten“ und ihm „helfen“, weil eben der Selbstdienst
in der Natur liegt und diese sich in unwillkürlichen Bewegungen äußert. Ich
leide aber unter diesem „Bieten Wollen“ der niederen Kräfte meiner Seele, weil
„ich“ mir vollständig genüge. Daraus erkenne ich auch, dass im
„Tieferliegenden“ noch nicht alles erstorben ist und die Natur sich noch
einmischen will, wenn auch unwillkürlich und unbewusst. Mein höheres Sein aber
„stößt“ all diese niederen Bewegungen ab und dies geschieht in großen Leiden.
Es ist mir, als wären diese tieferliegenden Bewegungen, die noch „Eigenes“
hervorbringen wollen, wie glühende Pfeile, die mich treffen und durchdringen.
Ich kann gut unterscheiden, wie durch diese höhere Abwehr (die wie naturhaft
ist) die eigene Betätigung absterben muss. Diese Art der inneren Leiden
steigert sich bis ins Unaussprechliche. Je mehr „ich“ mich in mir behaupte,
desto mehr stoße ich wie natürlich die frühere gewohnte eigene181
Tätigkeit ab; denn ich genüge mir selbst überreich und mein „Ich“ trägt alles
in sich zum Sein und Leben. Die niedere geistige Tätigkeit kann zwar die
höchste Stufe des Seins in mir nicht mehr stören, aber ich leider sehr, weil
dieses „Tieferliegenden“ noch nicht mit „mir“ harmonisch ist und weil ich
daraus erkenne, dass noch ungeordnete Möglichkeiten in mir bestehen; denn alles
in mir drängt zur Vollendung, zu einem Ganzen, das ich innerlich als letztes182
Ziel schaue, – nein, nicht „schaue“, sondern „weiß“; denn das innere Schauen
ist in „Wissen“ oder „sich bewusst sein“ übergegangen. – In Jesus wusste ich
heute früh, dass er mein eigenes Sein (d. h. das „für-mich-selbst-sein“, das
Sein in der früheren Weise) auslöschen wolle. Ich weiß nun um die Art des
Auslöschens meines früheren „Seins“ und darum sind mir die diesbezüglichen
Leiden eine Bestätigung der göttlichen Verheißungen.
1582 |
Ich lebe „mich“ in großer Einfachheit und
Ruhe, obwohl ich noch sehr in Leiden bin, die vor der hl. Kommunion in der
gleichen Weise, wie gestern anhielten. Seit der hl. Kommunion aber dringe ich
immer mehr in den Mittelpunkt und das Zentrum meines Seins vor und ich erfasse
damit noch tiefer das Wesen meines „Lebens“. Ich gelange zu einem noch
geschlossenerem Behaupten meines Seins; ich breite mich in mir aus und weiß um
mich183 und mein Sein. Ich lebe die Ruhe und meine Unumschränktheit,
und habe in mir keine Grenze oder Abschließung. Es ist in mir nur Freiheit,
glückliche Freiheit ohne Mühe, weil diese Freiheit nicht erkämpft oder erst
gegeben wird, sondern aus mir ist. Ich „ruhe“ vollkommen in mir und genieße
diese Ruhe, die mein Sein wesenhaft in sich trägt.
1583 |
Trotz dieses unaussprechlichen Genießens
meines „Selbst“ war ich aber sehr im Leiden. – Mein Sein kam in eine
merkwürdige „Einengung“; die Unumschränktheit kann sich nicht auswirken, weil
die Seele, die sie trägt, beschränkt und begrenzt ist. Die inneren wesentlichen
Vorzüge sowie der Genuss dieser Vorzüge bleiben bestehen, aber die Auswirkung
dieser Vorzüge ist beschränkt. Gottes Wesen ist ja in sich wesentlich
uneinschränkbar, naturhaft unbegrenzt, aber die göttliche Person Christi
unterwarf sich als Erlöser diesen Schranken nach außen, während er die innere
Unbeengtheit und Unumschränktheit, die ihm wesenhaft ist, sich bewahrte. So
erlebe ich, an Jesu Stelle, eine Fülle von Unbeschränktheit184 in
mir, die nicht höher sein könnte, und doch leide ich unaussprechlich unter der
Enge, die meine innere Unumschränktheit nach außen begrenzt. Ich trage in mir
eine Fülle seligen Genießens meiner selbst, aber ebenso groß sind die Leiden,
weil ich diese selige Fülle „in mir“ tragen muss. Ich genieße meine Freiheit
uneingeschränkt in mir und ergehe mich wonniglich darin, aber diese185
Freiheit ist in menschliche Grenzen gespannt und kann diese Grenzen nicht
überschreiten. Ich bin voll Einfachheit und damit voll der großen Lust eines
Wesens, das nicht geteilt ist und sich nicht zersplittern lässt, und doch bin
ich angewiesen auf die Hilfe meiner Seele, um Leben und existieren zu können.
In mir ist alles Ordnung, und diese allerhöchste Ordnung lässt mich in mir
vollkommen „ruhen“, aber ich trage sehr an den Gesetzen und der Ordnung meiner
Seele, der ich übergeben bin. Ich genieße mich in unaussprechlicher Reinheit
und auch die Seele, die mich trägt, ist mir entsprechend zugemessen und
angepasst, aber zugleich trage ich eine unaussprechliche Last des Zwiespaltes
und der Unordnung, die ich auf mich genommen habe und die nun mein Anteil ist.
Ich durchlebe mit mir, mit meinem Leben alle Leben der186 Menschen,
und deren Lebensweisen sind wie glühende Pfeile, die mich ins Tiefste
verwunden. Ich trage gleichsam alle Menschen in mir und habe sie alle mit
meinem Leben auf mich genommen und dies wurde meine brennende Last, die tief in
meinem Wesen verbunden ist. Wohin, und auf welche Seite ich mich auch wenden
mag, ich empfinde diese Last. Und sie ekelt mich an, weil sie eine Last voll
Unordnung und Zwiespalt ist – und in mir ist alles Ruhe und Harmonie und
Heiligkeit. Das ist der Widerspruch mit meinem Wesen, dem ich mit meinem Leben
überantwortet bin.
1584 |
Die göttliche Person nahm mit ihrer
Menschwerdung den Widerspruch auf sich, den die Sünde zwischen Gott und den
Menschen aufgerichtet hat, und in der Seele Jesu, der Trägerin der göttlichen
Person, kam dieser Widerspruch zur Auslösung. Die Seele Jesu war ähnlich der
erstgeschaffenen Seele, die aus der Hand des Schöpfers hervorging, aber sie war
höchst vergeistigt und gleichsam vergöttlicht, um ihrem höchsten Zwecke
vollkommen dienen zu können. Infolge Ihrer Reinheit und Heiligkeit war sie
vollkommen befähigt, der göttlichen Person zu einem menschlichen Leben zu
dienen. Mittels dieser Seele nun empfand die göttliche Person die Umänderung
ihrer Lage und sie litt durch die Seele, weil sie mit dem menschlichen Leben in
einem Augenblick in die Unordnung der Welt eingetreten und damit augenblicklich
dem Zweck der Menschwerdung überantwortet war.187
1585 |
Ich erlebe den äußeren Widerspruch, den die
Sünde in die Welt und unter die Menschen brachte und den Christus als
Erlöser-Mensch erlitt und dem er ausgesetzt war. Christus, als Gott die höchste
Ruhe und Ordnung und Harmonie in sich, kam naturgemäß188 in
Widerspruch mit der äußeren Unordnung und Disharmonie, die das menschliche
Leben für ihn mit sich brachte. – Ich erkannte dies vergleichsweise so, wie
wenn ein reiner, ordnungsliebender Mensch plötzlich in eine unsaubere,
unordentliche Wohnung einziehen und dort mit allem niederen, leichten Gesindel
und allen möglichen Untugenden zusammenleben müsste. In ähnlichem Sinne erlebte
ich Jesu innere Leiden bei seiner Menschwerdung. Aber Jesus stieg zu uns allen
herab, die wir diesen bösen Anlagen behaftet sind und er189 hat alle
Menschen mit Liebe und Barmherzigkeit ertragen, indem er sich selbst und alles,
was ihm von diesen Menschen widerfuhr, zum Opfer machte190.
1586 |
Der gewöhnliche Mensch kann sich keinen
Begriff machen von dem feinen Empfinden, das dem Wesen Gottes in sich
entspricht und eigen ist (so, wie ich innerlich erfahre)191, und
dass Gott auch in ähnlicher Weise192 der ersten Seele bei der
Erschaffung mitgegeben hatte. Auch die erste Seele war in vollkommener Ordnung
in sich und mit ihrer Umgebung. Diesen ihren hohen Anlagen war auch die niedere
menschliche Natur eingeordnet. Der erste Mensch im Urzustand trug nichts von193
den Unarten und niederen Gesinnungen oder Sonderlichkeiten und Extravaganzen
des gefallenen Menschen in sich. Er war frei von der Kompliziertheit und
Verschrobenheit und Verworrenheit der heutigen, sich wandelnden Anschauungen.
Er war ganz einfach und gerade und natürlich und erfreute sich auch seiner
Einfachheit und Geradheit. Ebenso war es für die ersten Menschen selbstverständlich,
alles Notwendige an Gütern zu besitzen und keinen Mangel zu haben, weil sie
noch nicht dem niederen, ungeordneten Begehren unterworfen waren und die Güter,
die ihnen Gott gab,194 mit Maß und Ordnung und zugleich mit Genuss
gebrauchten. Sie empfanden weder Armut noch Hunger noch irgendeinen Mangel.
Wenn sie auch nach Gottes Anordnung das Paradies bebauten, um sich davon zu
nähren, so erlitten sie dabei doch nicht die Ermüdung oder das hemmende
Ruhebedürfnis. Es war den ersten Menschen natürlich, das Leben angenehm und
schön zu haben.195 – Die Sünde mit ihren Folgen brachte die
vollständige Umänderung. Der Mensch verlor nicht das Bedürfnis und Verlangen
nach jenen, angenehmen Gütern des Lebens, aber gerade dieses angeborene
Bedürfnis und die angeborene Anlage des Menschen, jene Güter zu besitzen und zu
genießen, brachte den Widerspruch zwischen seiner Natur und ihrer gefallenen
Lage mit sich. Des Menschen Leben und Lage wurden damit zu einem beständigen
Leiden und Kämpfen nach dem früheren Genießen und der früheren Sorglosigkeit.
Der Mensch wollte sich für die gottgegebenen und nun verlorenen natürlichen196
Güter einen anderweitigen Ersatz in den irdischen Gütern suchen; er wollte im
Genießen der neu errungenen Güter aufgehen, konnte aber darin kein Maß und
Gleichgewicht und keine wahre Befriedigung finden.197 Und der Mensch
musste dies auch, weil er von der früheren Sorglosigkeit im Paradies
ausgeschlossen, und das schon von Gott Gegebene mit selbst erworbenen
Lebensgütern ersetzen musste, um leben zu können. Damit kam auch das von Gott
ihm eingeprägt Ideal Gottes (Gott stets als das höchste Gut anzuerkennen) ins
Schwanken, und der Mensch machte sich falsche „Götter“ zurecht; damit versank
er immer mehr im Irdischen, konnte aber auch darin keine Befriedigung finden.198
So versank der Mensch immer mehr in den irdischen Gütern, in denen er Ersatz
finden wollte. Und so wurde das menschliche Leben in all seinen Formen unruhig
und unstet, und verrohte der Mensch immer mehr in seinen Sitten und Anlagen.
1587 |
In diese Welt und Umgebung trat nun Christus,
der Reinste und in sich Geordnetste. Auch seine menschliche Natur war, wenn
auch unserer Menschennatur gleich, doch in all ihren Bedürfnissen aufs Höchste
geordnet und vornehm199.
1588 |
Ich habe heute Morgen das unsagbar schmerzliche
Empfinden erlebt, mit dem Jesus als Mensch seine menschliche, ungeordnete und
durch die verschiedensten sündhaften Anlagen erniedrigte200 Umgebung
in sich aufnahm. Er stieg herab und lebte mit den Menschen zusammen und ertrug
deren Unarten, als wäre er einer aus ihnen. Und doch litt Jesus schon vom
ersten Augenblick seines menschlichen Seins unglaublich darunter.
1589 |
Ich empfand die menschliche Enge, in die sich
Jesus in seiner menschlichen Natur begeben hat, und wie er unter den
menschlichen Unarten und der Anmaßung seiner Umgebung litt. Ebenso erlitt ich
sein Empfinden der Armut und der äußeren Not. Dieses Empfinden stand in einem
unaussprechlich schmerzlichen201 Gegensatz und Widerspruch mit den
göttlichen Reichtümern, die er in sich besaß; und er wollte Angewiesensein auf
den täglichen Broterwerb der gewöhnlichen Menschheit.202 Ebenso
standen Kälte und Hunger und Durst203 und die gewöhnlichen
menschlichen Bedürfnisse und Leiden im höchsten Widerspruch mit seiner
göttlichen Art. Dies umso mehr, weil Jesus als Gott die wesenhaften göttlichen
Güter (im geistigen Sinne) in sich trug und die Armut nur als Erlöser, aber in
wirklichem Erleiden als Mensch, auf sich nahm.204 Gemessen an seiner
göttlichen Person und seiner göttlichen Art, an seiner reinsten, heiligsten
Menschheit, und am Zustand der Reinheit der erstgeschaffenen Menschen und ihren
herrlichen Vorzügen, bedeutete die gefallene Umgebung für Jesus einen
schmerzlichen Gegensatz und Widerspruch. Und gerade der Umstand machte das
Missverhältnis und den Gegensatz so schneidend scharf und durchdringend, dass
nämlich die göttliche Person Christi und ihre allerheiligste, zarte und
empfindsamste Menschheit die Tiefe und Größe des Abstandes und Gegensatzes und
das Maß der entsprechenden Leiden bestimmte. Und dieser große, scharfe
Widerspruch und Gegensatz machte Jesu diesbezüglich Leiden überschwer und
übervoll.
1590 |
Ich erlebte diese Leiden in der Stelle und an
Stelle Jesu, eben als die meinen, und es war mir, als trage ich alle Menschen
in mir, oder sie waren um mich mit all ihrer Unordnung und Unruhe und
Unwahrhaftigkeit und Gier und Hast und all ihren Eigenheiten und üblen
Gewohnheiten, die in unaussprechlicher Weise meinem eigenen Empfinden
widersprachen und widerstrebten.
1591 |
Ich weiß aber, dass ich erst knapp am Anfang
meines Erlebens der inneren Erlöserleiden bin. Mittels des Erlebens der
göttlichen Person werde ich langsam zum Erleben seiner inneren Leiden befähigt.
Indem ich immer tiefer in das Wesen Christi eindringe und vordringe, und es mir
gleichsam aneigne, um in seine gottmenschlichen Empfindungen eingehen und sie
im eigenen Erfahren erleben zu können, wird sich jenes innere Erleiden und
Erleben steigern und dauernd befestigen.
1592 |
In der letzten Woche habe ich wohl einen der
tiefsten und schwersten inneren Läuterungsprozesse durchlitten. Es gibt keinen
Ausdruck, um diese schmerzlichen, durchdringenden Leiden zu beschreiben.
1593 |
Gestern, im Laufe des Morgens kam eine kleine
geistige Entspannung in meinem leidendem Inneren und ich „wusste“ in Jesus von
Neuem ganz klar seine Absichten: Jesus will das Priesterinstitut, eine
Gesellschaft von Priestern, die nach seinen, in meinen Aufzeichnungen
enthaltenen Weisungen in den Geist einer inneren Erneuerung eingeführt werden
unter der Leitung von Pater Baumann und die damit für den Zweck ihrer
priesterlichen Betätigung befähigt werden, alle Priester zu erfassen und in
diesen Geist einzuführen. – Jesus will alle Priester in einem Geiste
zusammenführen. – Mein Innenleben soll der Beweis sein, dass Jesus es so will.
1594 |
Nach zwei Wochen schwerer, innerer Leiden, die
eine weitere geistige Erhebung in mir zum Ziele hatten, bin ich seit gestern
Nachmittag wieder in einen Ruhezustand gekommen. Die Heftigkeit der Leiden ist
etwas abgeebbt und ich kann nun schon das erlittene geistige Ziel erleben und
genießen. – Schon vor diesem schweren Läuterungsprozess hatte mich der liebe
Heiland wissen lassen, welche Absichten er damit habe: Er wolle mein eigenes
Sein (= das Sein für mich nach früherer Art) ganz auslöschen und mich, soweit
es seinen Absichten entspricht, vollkommen befähigen, ihm als Menschheit zu
dienen, und zwar so, dass dieses Leben in ihm wie mein eigenes, gewöhnliches
Leben erscheint. – Dementsprechend waren auch die inneren Läuterungsleiden in
mir tätig. Es ist immer etwas Geheimnisvolles, wenn Jesus dieses überaus
schmerzliche Feuer der Leiden in mir entzündet. Im höchsten Sein bleibe ich
dann in dem vorher erreichten und erhobenen Zustand, ja ich werde zuweilen
schon im Voraus in das nächstfolgende geistige Ziel versetzt, aber „darunter“
werden dann wie in einem geistigen Feuer die noch vorhandenen eigenen
Hindernisse geweckt und verbrannt. Es kommt zu einem Widerspruch und Gegensatz
in mir, der eben diese durchdringenden Leiden auslöst. Es gibt aber kein
menschliches Wort, um dieses geistige Feuer zu beschreiben.
1595 |
Gestern Nachmittag kam ich in eine
unaussprechliche Ruhe und seitdem bin ich in bisher noch nicht erfahrener
höchster Weise in das Wesen der göttlichen Person Christi eingeführt und
aufgenommen. Ich erlebe damit „Gottes Wesen“ in seiner ihm stets eigenen Ruhe
und absoluter Kampflosigkeit in sich. Es wird mir dies nicht in einem Zustand
des geistigen „Schauens“ mitgeteilt, sondern es wird zu einem eigenen Erleben
und zum eigenen Wissen darum.
1596 |
Ich erlebe Gottes Wesen in seiner stets
gleichbleibenden Ruhe. In Gott gibt es keine Bewegung oder Akte nach unseren
menschlichen Begriffen: Aus der Tiefe und Fülle205 seines göttlichen
Wesens strömen schon die Tat und das Wissen. Das ist ein wunderbares Geheimnis!206
Aus seinem „Sein“ kommen schon das Wissen und die Tat, ohne Vorbereitung. Diese
göttliche Vollkommenheit ist seinem Wesen eigen und in seinem Wesen begründet.
Gottes Wesen fließt immer aus seiner eigenen, ureigensten Quelle, die er selbst
ist. Wie ein Licht sich nach allen Seiten hin verströmt, erwärmt und belebt, so
strömt aus Gott das Sein hervor, das sich aber nie verzehrt und verströmen
kann, weil seine Quelle in sich ewig und unverändert bleibt. Es ist dies wohl
das Wunderbarste, was ich bis jetzt in Jesus erlebt habe. Da ich immer höher
dazu befähigt werde, steigert sich das Erleben des göttlichen Wesens der Person
Christi immer mehr in mir.
1597 |
Jesus bleibt auch als Mensch in diesem
göttlichen Zustand der Vollkommenheit als der Seiende, der Tuende. Die ganze
Ewigkeit scheint nicht zu genügen, um dieses göttliche Wunder ganz zu
durchschauen und zu verkosten. Mit seiner göttlichen Person „nahm“ Jesus diese
göttliche Vollkommenheit „mit“ in seine menschliche Natur. Ich erfasse jetzt
dieses Geheimnis viel tiefer als in den früheren Stadien, weil ich durch die
letzten Leiden in höherem Maße vergeistigt wurde und es deshalb in höherer
Weise ertragen kann. Mein inneres Leben ist der oben beschriebene Zustand Jesus
geworden, weil ich nun in höherer Weise befähigt bin, der göttlichen Person in
dieser Art dienstbar zu sein.
1598 |
Heute Morgen ist mein Leben dies besagte Leben
der göttlichen Person Christi. Zugleich erfasse ich die Art der Beziehungen
jener göttlichen Vollkommenheit zu seiner menschlichen Natur bzw. die
Auswirkungen jener Vollkommenheit in seiner menschlichen Natur. – Die göttliche
Person brachte alles an Wissen und an Vollkommenheiten mit in seine Menschheit;
das Wissen usw. brauchte in seiner menschlichen Natur bzw. in seiner Seele
nicht erst erzeugt werden; es war alles mit der göttlichen Person schon
vorhanden. – Das Wunderbarste aber in diesem göttlichen Geheimnis in Christus
war, dass er sich ganz den Fähigkeiten seiner Seele, bzw. der menschlichen
Entwicklung und dem Wachstum seines menschlichen Körpers anpasste und nur
dementsprechend diese göttliche Vollkommenheit wirksam werden ließ207.
Es ist eben das größte Geheimnis und das größte Ereignis in der ganzen
Menschheitsgeschichte: Gott – ist – Mensch – geworden! Gott hat sich dem
menschlichen Wesen und dessen Anlagen eingefügt, ohne das Menschliche, die
ureigensten menschlichen Anlagen zu überschreiten oder irgendwie zu beseitigen
oder auszuschalten. In Wirklichkeit hatte Gott den Menschen bei seiner
Erschaffung auch so gedacht, dass die unmittelbar aus Gottes Schöpferhand
hervorgebrachte Seele über dem Leib stehen und der Mensch in all seinen Anlagen
herrlich und wunderbar208 geordnet sein sollte. In Christus ist der
göttliche Plan herrlich gelungen: Gott selbst lebte die Menschheit in ihm; es
war ein göttliches Leben, das seine menschliche Natur belebte. Gott wurde
„Mensch“, blieb aber der gleiche Gott in seinem Wesen und veränderte sich
urwesentlich in nichts [sic!]. Er gebrauchte nur die menschliche Natur, um das
göttliche Sein in menschliche Akte zu verlegen, um es der Menschheit „sichtbar“
und greifbar werden zu lassen, in gottmenschlichen Akten und Taten; die tiefste
Quelle dieser göttlichen Taten, die im Menschen Christus sichtbar gelebt
wurden, blieb aber das gleiche göttliche Sein in seiner wirklich göttlichen
Art. Das Erströmen des göttlichen Seins und Lebens im Menschen Christus war
gleich „mühelos“ wie einst im Vater; die Akte selbst, d. h. das göttliche
„Leben“ nach unserem menschlichen Begriffe wurde augenblicklich von der
menschlichen Seele aufgenommen und so in menschliches Tun umgesetzt; damit
waren es wirklich göttliche Lebensakte und Werke, von Gottes Wesen informiert,
aus Gottes Wesen hervorgegangen und somit haben sie in Wahrheit göttlichen
Lebenswert.
1599 |
Ich erlebte dieses wunderbarste Geheimnis
heute in einer Weise wie bisher noch nie: Gott ist Mensch geworden! In all
seinen Akten wurde sein göttliches Leben zugleich zum menschlichen Leben; es
wurden Taten im menschlichen Sinne, ganz angepasst den jeweiligen Forderungen
und Umständen seiner menschlichen Natur, auch nicht auf Vorrat und im großen
Format, sondern so, wie es jeder andere Mensch auch gebraucht hätte, – obwohl
dem Heiland jederzeit alles an göttlichen Gütern zur Verfügung stand, weil er
selbst die Quelle dieser Güter war.
1600 |
Ich habe gestern auch noch eine andere
besondere Erfahrung gemacht in mir, die mir bisher nicht in diesem Maße auffiel:
In der göttlichen Person bin ich in unaussprechlicher Weise in seine göttliche
Einfachheit, Einfalt und – um mich irgendwie auszudrücken – „Kindlichkeit“
eingegangen. Diese Einfachheit und Einfalt ist eine wunderbare göttliche
Vollkommenheit; dem gewöhnlichen Menschen scheint sie unbegreiflich und doch
ist Gottes Wesen Einfalt. So groß, erhaben, weise und mächtig Gottes Wesen in
sich auch ist, so sind all diese Vollkommenheiten gleichsam eingehüllt in
Einfachheit und Einfalt. Auch in seinen mächtigsten Schöpfungen und Werken
zeigt der Geist Gottes das, was ich mit dem Geist des Kindes oder der
Kindlichkeit vergleichen möchte. (Um dies Geheimnis in menschlichen Worten zu
erklären: „Ich bin mir alles“, ich bin mir sicher209, daraus fließt
Gottes „Kindesgeist210“). – Alles, was von der schlichten
Kindeseinfalt abweicht, ist nicht vom Wesen und Geiste Gottes. Der Geist des
Bösen und der Welt bläht auf, weicht ab von der Kindeseinfalt, fühlt sich zu
erhaben, um mit der Einfalt bestehen zu können. Das war schon die erste Ursache
der Sünde im Paradiese und ist jetzt noch immer die erste Ursache jeder Sünde211.
– Wenn ich mittels der göttlichen Person Christi Gottes Wesen erlebe, lebe ich
damit die Einfalt eines Kindes, so klein und schmiegsam und ergeben, so freudig
und auf mich selber vertrauend, ohne Furcht mich zu verlieren, weil ich mir
selber unverlierbar bin. Die Einfalt und „Kindlichkeit“ des Wesens Gottes ist
in sich selbst, in seiner göttlichen Allmacht und im göttlichen Vertrauen auf
sich selbst begründet, worin er sich unverlierbar besitzt und in sich gesichert
ist. – Dies ist auch etwas Bezeichnendes am Wirken Gottes in einer Seele, dass
diese allmählich in diesen Kindesgeist, in diese Einfalt und Einfachheit
zurückgeführt wird, die durch die Sünde verloren ging. Gott verachtet nicht das
Kleinste in der Seele, so wenig wie in der sichtbaren Natur. Er schafft und
erhält Welten und schaut zugleich auf die unscheinbarsten Vorkommnisse dieser
Welt und des menschlichen Lebens; besonders erzieht er die Seele zu dieser
geistigen Kleinheit, weil nur darauf der geistige Fortschritt begründet ist.
1601 |
Jesus behielt den Kindesgeist der Einfalt in
seinem menschlichen Leben bei, wo er menschlich gelebt wurde, nicht bloß in
seinem Kindesleben, sondern auch unverändert bestehen blieb in seinem
Mannesalter, weil dieser Geist eben dem göttlichen Wesen eigen ist. Diese
„Kindlichkeit“ im Wesen Gottes zu erleben ist entzückend! So groß und mächtig
und erhaben und so einfach und wie kindlich und einfältig!
1602 |
Heute Morgen nach der hl. Kommunion habe ich
Gottes Wesen im Menschen Christus in einer bisher nie erfahrenen Weise erlebt.
Und diese Art des Erlebens bleibt meine Art mittels der göttlichen Person, die
mir als meine Person „dient“ oder vielmehr, der ich diene zum menschlichen
Leben. Gottes Wesen wird im Menschen Christus ebenso vollkommen gelebt wie
einst im Schoße des Vaters, dem Wesen nach unverändert. Gerade diese Tatsache
bildete die göttliche Erhabenheit der Sühnekraft seines Lebens vor dem Vater
und machte sein Leben zum göttlichen Ersatz für alle Entehrungen und
Beleidigungen, die Gott von der gesamten Menschheit zugefügt werden. Christi
Leben ist göttliches Leben und Sein in menschlichen Akten und Taten und Opfern.
In einem Menschen haben alle Menschen gesündigt. In einem
Menschen, in Christus, wurden alle Menschen erlöst und können alle wieder
gerettet werden und diese allerheiligste Menschheit steht bis zum Ende der
Zeiten „bittend“, ersetzend und sühnend vor dem Vater. (Es gibt kein
menschliches Wort, um dieses Erlebnis und dieses geistige Wissen in menschliche
Worte zu fassen, weil es zu erhaben und doch wieder zu einfach und zu bestimmt
ist. Das menschliche Wort ist zu „kraftlos“ in seinem Ausdruck.)
1603 |
Heute erlebe ich ein weiteres Geheimnis
Christi, das mir vollständig neu ist: Christus starb am Kreuze und stand am
dritten Tage wieder vom Tode auf in seiner verklärten Menschheit, die wieder
lebend ist – und in eben ganz der gleichen Menschheit aus Maria, nur höchst
vergeistigt und leidensunfähig, sitzt er nun durch alle Ewigkeit „zur Rechten
des Vaters“. Ich weiß aber nun auch, in welcher Weise Christus sein göttliches
Leben im Himmel lebt: Er lebt es wie auf Erden mittels seiner menschlichen
Natur in höchst vergeistigter Weise, doch immer noch mittels seiner Menschheit.
Er hat die Menschheit nicht abgelegt in seiner Herrlichkeit im Himmel, sondern
er „Lebt“ sein göttliches Sein mittels seiner verklärten Menschheit. In diesem
Sinne setzt er sein göttliches Erlöserleben im Himmel fort und ist er dadurch
noch unser immerwährender Mittler, indem er unablässig sein göttliches Sein
durch seine verklärte Menschheit der göttlichen Gerechtigkeit darbringt bis zum
Ende der Zeiten. Und gerade diese göttliche Mittlerschaft Christi im Himmel
ersetzt jetzt noch all unsere Mängel und Sünden vor dem Vater, und dessentwegen
verzeiht der Vater die Menge der Sünden. – Christus, unser Mittler im Himmel in
seiner verklärten Menschheit! Dies war das Neue, das ich heute Morgen erlebte.
Alle Leiden des Erlösers sind dem Vater immerwährend durch Christus in seiner
göttlichen Person vergegenwärtigt und stehen somit wieder „neu“ vor dem Vater.
Alles erreichen wir durch Jesus, unser Erlöser, durch die und alles Heil
geworden212, durch seine hl. Menschwerdung, durch seine „leidende
Menschheit“, die er noch im Himmel als Versöhnungsmittel immerwährend vor dem
Vater zeigt und darbringt (und die dem ewigen Vater auch immerwährend bei der
heiligen Messe dargebracht wird)213. – Christus lebt das Leben
seiner Herrlichkeit durch seine heiligste Menschheit in verklärtem
Zustand durch alle Ewigkeit; seine verklärte Menschheit ist das Zeichen seiner
Barmherzigkeit und göttlichen Mittlerschaft bis zum Ende der Zeiten; dann hört
die Sühne auf und ist die Zeit der Barmherzigkeit abgeschlossen und es kommt
die Zeit der Erfüllung.
1604 |
Ich hatte die Anregung, heute früh nach „al
Gesu“[sic!] zu gehen, anlässlich des Jahrestages der Heiligsprechung des hl.
Ignatius. Obwohl ich in den vergangenen Tagen in großen Leiden war, wurde ich
dort nach der hl. Kommunion in große innere Ruhe versetzt, die den ganzen Tag
hindurch blieb. Ich war in merkwürdiger innerer Verbindung mit dem hl.
Ignatius, wie ich sie bisher nie hatte; er war mir wie „mein geistlicher Vater“
und es schien, als lebten wir einen Geist; eine nie erfahrene geistige
Zusammengehörigkeit mit ihm erfüllte mich.
1605 |
Nach dem hl. Segen am Abend erhöhte sich
dieser Zustand noch und ich schaute mit dem hl. Ignatius und seinem Geiste das
zu gründende Priesterinstitut. Ich wusste und erkannte die Möglichkeit eines
Zusammenschlusses des Priesterinstitutes mit dem Orden des hl. Ignatius, ja ich
erkannte dies als den Willen des hl. Ignatius. Jesus bietet das „Werk des
Hohepriesters“ der Gesellschaft Jesu an, weil es den Geist des hl. Ignatius in
sich trägt.
1606 |
Das Priesterinstitut birgt in sich das Ideal
des hl. Ignatius, eine Weiterführung seines geistigen Weges, eine Vertiefung
seiner Bestrebungen. Man solle prüfen und es würde dies bestätigt werden. Es
sei eine Ehrenaufgabe, die der Heiland dem Orden anbiete, für eine grundlegende
Erneuerung der Kirche in der Form dieses Werkes durch die Erneuerung des
Priestertums tätig zu sein.
1607 |
Ich schaute auch voraus, welch unermessliche
Wirkkraft speziell für das Werk des Hohenpriesters im Zusammenhang mit dem
Jesuitenorden gegeben sei, und welche Ehre dem Herzen Jesu, durch die Annahme
dieses Werkes der Gesellschaft Jesu geboten würde. – Es sei wirklich eine
Ehrenaufgabe für den Orden, die Jesus diesem anbiete.
1608 |
Ich war erstaunt über das, was ich da
innerlich in Jesus erkannte über den Herzenswunsch des hl. Ignatius und seine
geistige Aufgabe und seinen Zusammenhang mit dem Priesterwerk. – Ich weiß
nicht, wie das alles geschehen könnte, da ich den Widerstand kenne, doch konnte
ich aus dem innerlich Geschauten annehmen, dass es so wird oder werden könnte.
1605 |
Als den Wesenskern eines wirklich fruchtbaren
geistigen Ordenslebens erkenne ich: zuerst das Leben nach den
Forderungen des Evangeliums, und danach die Beobachtung der evangelischen Räte.
Wenn man zuerst die Gebote Gottes in aller Gewissenhaftigkeit beobachtet und
die alltäglichen Christentugenden übt, dann strebt die Seele wie naturgemäß
einem höheren, fruchtbaren Gnadenleben zu.
1606 |
Das Ordensleben, so scheint mir, baut sich
folgerichtig auf den einfachsten Tugenden auf; diese müssen sich wie naturgemäß
weiterentwickeln und müssen schließlich gipfeln in einer, den gewöhnlichen
Christen überragenden Tugend, die aber in Wirklichkeit nur vollkommen geübte
Christentugend ist.
1607 |
Bei den verschiedenen Erfahrungen meines
Zusammenlebens mit Ordenspersonen habe ich immer wieder gefunden: Man strebt
eifrig nach einer genauen Beobachtung der Ordensregel und des dem Jesuiten
eigenen Ideals und man rühmt sich, dass „die hl. Regel sehr genau beobachtet“
werde, aber das alltägliche, gewöhnliche Tugendleben wird nachlässig geübt. Man
begnügt sich mit dem „Leben nach der hl. Regel und den betreffenden
Konstitutionen“ und dabei hat man nicht selten den Eindruck, als sei das ganze
Gebäude dieses Ordenslebens hohl und leer, weil der solide Unterbau des wahren
Ordenslebens fehlt, ohne den die gediegenste Ordensregel wenig fruchtbar sein
kann.
1608 |
Man vernachlässigt z. B. oft die gewöhnlichen
Forderungen eines wirklich harmonisch geordneten Zusammenlebens, d. h., man
unterlässt die gegenseitige wohlwollende Liebe, die sich gewöhnlich Christen in
der Welt mit Selbstverständlichkeit bieten. Ich habe beobachtet, dass einfache
Weltleute oft viel mehr wahre, aufrichtige Hilfsbereitschaft und Wohlwollen
sich entgegenbringen als Ordenspersonen, die vielfach sich mit starren Formen
„gegenseitiger Liebe“ begnügen. Oft möchte man fast sagen: So viele Schwestern
im Hause, so viele Klüfte; jede steht allein und man meint, damit nach
Vorschrift der hl. Regel sich nicht auf Menschen zu stützen. Das mag in
gewissem Sinne richtig sein, aber eine solche Auffassung macht das Ordens- und
Gemeinschaftsleben kalt und öde, weil die Befolgung des einfachsten Gebotes der
christlichen Nächstenliebe fehlt, die im Kloster ebenso Gebot ist wie in der
Welt. Ich habe oft erschüttert feststellen müssen, dass einfache, ungebildete
Weltleute viel mehr aufrichtiges Wohlwollen haben und üben als Ordensleute.
1609 |
Ein solches Ordensleben, in dem nur die
Ordensregel, wenn auch mit großer Genauigkeit beobachtet wird, und die
gewöhnlichen Tugenden eines wahren Christen vernachlässigt werden, scheint wie
ein Ackerfeld, das schlecht umgepflügt ist und auf dem darum das Unkraut nicht
ausgetilgt ist; was darauf wächst, mag nach außen schön scheinen, entbehrt aber
des inneren Wertes; so kann man im Ordensleben Scheintugenden sehen, die aber
vor Gott wenig wert haben; man trägt nach außen gleichsam den schönen Mantel,
aber innen trägt man das gewöhnliche Werktagskleid.
1610 |
Was vor Gott Wert hat, ist immer nur die alte,
einfache, gewöhnliche Forderung: Die Sünde und Leidenschaften durch
Selbstverleugnung möglichst vollkommen ausrotten und an deren Stelle Tugenden
pflanzen. Und gerade das Ordensleben soll diese höchste und einfachste
Forderung möglichst vollkommen erfüllen. Der Ordensstand soll das Mittel sein,
um die wichtigste und einzige Aufgabe unseres Lebens, zur vollen Vereinigung
mit Gott zu gelangen, leichter und tatkräftiger zu erfüllen. Die besondere
Eigenheit einer Kongregation soll dieses wichtigste Werk unseres Lebens
zielbewusster und klarer machen und mit dem geistigen Sonderziel der
Kongregation verbinden. Die Heiligung der Seele soll durch die Eigenheit des
betreffenden Ordens erleichtert, näher umschrieben und vertieft werden; das
Erste wird durch das Zweite bedingt und erreicht.
1611 |
Nur soweit ich wirklich der Sünde absterbe und
mir selbst Gewalt antue, komme ich Gott, dem Heiligsten, wirklich nahe; alles
andere ist nur Scheintugend und trügerisch. Viele Ordensleute aber weichen
dieser einfachsten Forderung des täglichen Lebens aus und begnügen sich mit der
Befolgung der Ordensregel nach den Buchstaben. Sie tragen gleichsam die Schale
des Ordenslebens an sich, dringen aber nur selten zum Kern vor, der das
Wichtigste wäre und ist. Nur in dem Maße aber wird die Seele wirklich
vollkommen, als sie sich übt, ihre angeborenen Leidenschaften und Sünden zu
überwinden und so wie naturgemäß zu einem wahren fruchtbaren Ordensleben zu
kommen.
1612 |
Deshalb soll nach meinem Erkennen schon dem
Neuling dieser Weg vorgelegt werden und muss er darin geübt werden,
bevor er auf das höhere Ziel der Eigenheit des betreffenden Institutes
besonders hingeführt wird. Das letzte Ziel bleibt ja für alle das gleiche, wenn
auch die Sonderideale des betreffenden Ordens bestimmte Mittel und Wege
aufweisen. Jeder Neuling, der es nicht ernst nimmt mit dem notwendigen Unterbau
des geistlichen Lebens, wird niemals tauglich werden, die Eigenart des Ordens
sich voll auswirken zu lassen und dessen äußeren Aufgaben recht zu erfüllen.
1613 |
So aufgefasst scheint das Ordensleben etwas
Einfaches und Gewöhnliches, aber es trägt in sich den Kern des religiösen
Lebens und das Wichtigste, was der Mensch auf dieser Welt zu tun hat und
wodurch allein er Gott nahekommen kann. Man ist nur in dem Maße mit Gott
vereinigt und wirklich in Gott lebend, als man sein böses, angeborenes Ich der
Sünde abgelegt hat. Das ist auch und gerade im Ordensstande das wichtigste Ziel
und soll dort in höchster Vollendung und Vollkommenheit erreicht werden. Der
besondere Weg zu diesem einen Ziel ist dann die Eigenheit dieses oder jenes
Ordens die Hilfe und Zielsicherheit bieten soll. Ist das tiefste, eigentliche
Streben nach wirklicher Selbstüberwindung kräftig und anhaltend, so entwickelt
sich das besondere Ideal des betreffenden Ordens wie naturgemäß; der
wesentliche Weg zu dem eigentlichen, letzten Ziel ergänzt sich wie von selbst
durch die besondere Eigenart214, die ihm das besondere Gepräge gibt.
Dann könnten beispielsweise auch die heutigen äußeren Anstandsregeln fallen,
die man zuweilen als gegenseitige Liebe bezeichnet, die aber auch Weltleute
befolgen, damit sie einander nicht zu nahe kommen und sich gegenseitig nicht
verletzen. Es genügt die wirkliche, solide Tugend, die immer das Ihrige tut und
nie versagen wird. Das Streben nach wirklicher, gegenseitiger Liebe sollte
durch die äußeren Anstandsregeln im Gemeinschaftsleben durchleuchtet und zu
tatkräftiger Liebe werden, sodass die Anstandsregeln dann wirklich Tugend sind.
Wenn die bösen diesbezüglichen Anlagen überwunden sind, müsste an deren Stelle
wie von selbst die wahre Liebe erblühen.
1614 |
Die Einheit und Geschlossenheit des einen
Strebens zu Gott auf der einzig richtigen Grundlage der Überwindung alles
Sündhaften eröffnet von selbst die Fülle der Tugenden mit all den Wirkungen
zarter, gegenseitiger Rücksichtnahme; ohne diese wahre Tugend fasst man sich
nach meinen Erfahrungen vielleicht mit Glacé-Handschuhen an, unter denen aber
dornige Hände verhüllt sind. Ist die Seele liebevoll und wirklich wohlwollend,
dann werden auch ihre Worte und Taten wohlwollend sein. Mit äußeren
Anstandsregeln die innere Unausgeglichenheit verdecken: Das tun auch die Kinder
dieser Welt. Gotteskinder müssen höher stehen und mehr vermögen.
1615 |
Die ganze Erziehung des Neulings muss in diese
Bahnen geleitet werden. Nur auf diesem Weg erreicht das Ordensleben seinen
wirklichen Zweck und wird es geistig fruchtbar in Christus, der uns durch seine
Erlösung eine Fülle der Gnaden zu diesem einzigen Ziel und Zweck215
verdient hat. Dies ist der Weg zur wahren Heiligkeit: die Überwindung unserer
selbst, um angeglichen zu werden der heiligsten Menschheit Jesu, der dann ewig
im Himmel beigestellt zu werden wir befähigt sein sollen.
1616 |
In unserem Falle wollen wir das höchste Ideal
in Maria finden. Es war mir merkwürdig, dass das Ordensleben in der
beschriebenen Form mir geistig so als gottgewollt „bewusst“ war. Ich ging zur
Lourdesgrotte und bat Maria um Licht und Sicherheit; denn mein inneres Wissen
schien mir zu einfach und zu gewöhnlich, da man heute vielfach, wenn nicht für
gewöhnlich, sich der genauen Erfüllung der Ordensregel rühmt. Da schaute und
wusste ich im Augenblick durch ein besonderes göttliches Licht das „Leben“
Mariens in dieser einfachen Form, mit den gewöhnlichen216, täglichen
Tugenden angefüllt und doch so Gott am höchsten wohlgefällig, wie nie ein
Menschenkind. Mariens Leben ist das Ideal unseres Lebens und Strebens. – Ich
wurde durch das innere Licht ermuntert, mein geistiges „Wissen“ niederzuschreiben.
1617 |
Ich leide nun wieder sehr. Es ist ein hohes
Ziel in mir in Vorbereitung, das ich eigentlich schon in etwa erlebe, das aber
doch noch nicht ganz von mir erlebt werden kann.
1618 |
Nach einer langen Zwischenpause, die ganz mit
inneren Erhebungsleiden angefüllt war, bin ich heute Morgen in St. Peter zu
einer neuen Stufe meines Innenlebens gelangt.
1619 |
Ich kam in Jesus zum vollen Kindschaftsverhältnis
gegenüber dem Vater. Dieses geistige Ziel, das ich in manchem schon lange
erfahren habe, ist nun der Inbegriff eines dauernden Zustandes. Das
Kindschaftsverhältnis Jesu zu seinem himmlischen Vater – bzw. mein Nacherleben
in Jesu Stellung als Mensch zum Vater – wurde mir in den vergangenen
Leidenswochen vorbereitend erklärt und begründet, sodass ich sein Sein im Vater
als eine notwendige Folge in seinem gottmenschlichen Leben begreife und auch
als meinen Zustand erleben kann.
1620 |
Die letzten Wochen der Läuterung sollten mich
für das hohe Ziel befähigen, wie Jesus es mir erklärte: das Sein für mich (=für
meine Person, als eigener Genuss und selbstständiges Lebensresultat) auslöschen
und in Jesus, im Nacherleben seines inneren Lebens, eine neue Lebensaufgabe,
eine Entschädigung zu finden. Ich würde damit in ein neues Geistesgebiet, in
einen neuen inneren Lebensinhalt versetzt, den mir anzueignen meine eigentliche
Aufgabe sei, damit ich dadurch in Jesu menschliche Lebensaufgabe eintreten könne.
1621 |
In der letzten Aufzeichnung habe ich erwähnt,
wie ich im Vorleben durch die entsprechende innere Führung diesen Zustand
erlebt und genossen habe. Dazwischen liegen nun fast acht Wochen schwerster
Leiden, für die es keinen Ausdruck gibt. In gewissem Sinne bekleidete mich der
liebe Heiland schon damals mit dem neuen Gewand seines Seins, aber dann kamen –
wie es in meinem Innenleben in der Regel ist – die entsprechenden Leiden z. B.
des Unvermögens und der scheinbaren mir immer wieder vorgeführten Aussichtslosigkeit
den erwähnten Zustand in Jesus dauernd ertragen zu können. Es sind dies die
immer sich wiederholenden Leiden der eigenen Schwäche und Armut und des
absoluten Einsehenmüssens der eigenen Mangelhaftigkeit und des Unvermögens.
Trotzdem aber steht das Ziel unverrückbar in der Seele; diese ist gleichsam
damit umhüllt und wird, trotz allem, angehalten und genötigt, die neue Bürde zu
tragen. Das löst dann die Leiden eines gewissen inneren Zwiespaltes aus: Zwar
ist das Wollen, und die Bereitschaft da, aber es drückt doch die Last und das
Wissen um ein dunkles Mitgenommenwerden auf Wegen, die der Seele letztlich doch
ein undurchdringliches Geheimnis sind. Man wird gleichsam mit verbundenen Augen
geführt und getragen. Das Wissen des geistigen Weges ist Jesus selbst: Das
„Leben“ Jesu ist der Weg und dieses „Leben“ bietet mit sich selber alles.
Dieses Erleben bildet den Grundzug meiner inneren Leiden in den vergangenen
Wochen: Das Leben Jesu bietet alles und alles kommt und fließt aus „dem Leben“.
Das „Leben“ ist Licht und Kraft und Sicherheit und Ruhe. Es handelt sich um das
unbedingte Gewöhnen meiner Seele an diesen göttlichen Lebensquell, den ich in
mir trage und nur zu „leben“ brauche, und mit dem alles gegeben wird. Damit
hört der gewöhnliche Weg des Empfangens und Bittens im gewöhnlichen Sinne auf;
die Quelle wird durch das „leben“ von selbst zum Fließen gebracht. Aber dieses
endgültige Entsagen (der Art des Empfangens aller geistigen Lebensgüter und
Hilfsmittel auf den früheren Wegen), die Übung und Kraft des Verharrenkönnens
darin, und das absolute „Selbstleben“ brachte meine arme Seele in die Abgründe
des Nicht-Könnens und des Unvermögens und des Unvermögens zu ertragen.217
Die Seele musste in Leiden gewöhnt werden, alle inneren Güter aus dem „Leben“
selber zu nehmen und auf das gewöhnliche „Empfangen“ verzichten zu können. Es
war mir dabei, als wiederholten sich alle früheren Prüfungsleiden der letzten
Jahre, und zwar so, als wären sie in diesen Wochen zusammengezogen und
konzentriert.
1622 |
Zudem bietet das Leben Jesu am Anfang den
Eindruck des Überfließenden, das für die Seele zur Qual sein kann. All dieses
Leben ist gleichsam eingerahmt in einen engen Geistesraum, was der Seele
unerträglich ist und scheint: Es ist das Erleben-Müssen des Lebensquells aller
geistigen Güter als meines eigenen, den ich mit Jesus wie aus mir selbst
entströmend gebrauchen muss. Dieser Umstand, so einfach er scheint, ist in den
höchsten Steigerungen dieses Erlebens für einen Menschen wie unerträglich.
Gottes Wirken fließt eben wie naturgemäß aus einem Wesen, ist schon wirkliches
Leben und Tun und Entfaltung; der Mensch aber ist durch seine Natur an einen
Zwischenraum, einen zeitlichen Abstand und ein Nacheinander gebunden und
braucht dies, um seine eigenen Güter zur Entfaltung und zur Verwendung kommen
zu lassen. In Jesus erhalte ich nun jenen unmittelbaren Lebensquell, schon
fertig und bereit zum „leben“. Diese Unmittelbarkeit des Lebens aus mir selbst
muss mir geläufig und gewohnheitsmäßig werden durch das Aufgeben meines
früheren eigenen Seins und Lebens. Das „Leben“ ist alles: Das Empfangen und
Gebrauchen nach der früheren Art hört auf und hat in gewissem Sinne schon
aufgehört und wird steigernd unterbunden.
1623 |
Dieses Innewerden der Tatsachen jenes inneren
Zustandes ist im ersten Stadium wie erdrückend. Es bedeutet die Umstellung des
ganzen Menschen auf den neuen „eigenen Lebensquell“; es braucht gleichsam ein
ständiges, geistiges Hinhorchen- und Hingerichtet-sein auf diesen. Auch auf
diesen hohen und höchsten Stufen des geistigen Lebens und der Vereinigung mit
Gott verbindet sich die Aktivität mit der Passivität. Das eigene Wollen geht
zusammen und zugleich mit dem passiven Eingehen in Gott bzw. in Christus. Wie
auf den niederen Stufen des mystischen Lebens die eigene Bemühung Hand in Hand
mit dem passiven Empfangen geht und wie dies auch das Grundgesetz im
gewöhnlichen Christenleben ist, so ist auch nach meiner Erfahrung das Wollen
die erste Vorbedingung zum Empfangen der Gnade; man muss die gebotene Gnade
annehmen wollen und die Empfangene anwenden und gebrauchen und übend mitwirken.
1624 |
Ein anderer Umstand, der mir in den letzten
Wochen mehr zum Bewusstsein kam, ist die Verschiedenheit des Selbstgenusses
Gottes vom Selbstgenuss des Menschen. Gott ist sich selbst alles; sein Sein
genügt ihm vollkommen zur Befriedigung; er bedarf dazu keiner Selbsterwägung218
seiner göttlichen Vollkommenheiten, keine Betrachtung seiner eigenen göttlichen
Güter, um sich darin zu erfreuen zu können. Wenn Gott sich auch an den von ihm
geschaffenen Gütern erfreuen kann und diese ihn verherrlichen, so genügt er
doch sich selbst im vollsten Sinne zu seinem eigenen Glück und Genuss. Gottes
Wesen genießt sich selbst und braucht dazu keine Erwägung seiner
Vollkommenheiten, um diesen Selbstgenuss zu erhöhen. Der Mensch im Gegenteil
genügt sich selber nicht. Seine eigenen Güter, weil geschaffen, sind von Natur
aus für ihn selbst unbefriedigend und streben bei normalen Menschen zum Ausbau
des eigenen Wesens. Um seine Güter zu genießen, muss sie der Mensch einer
Prüfung und Selbstbetrachtung unterziehen; er braucht eine Vorstellungsgabe, um
zum eigentlichen Selbstgenuss zu gelangen. Der normale Mensch braucht in
gewissem Sinne diesen Selbstgenuss und dieses Selbstgefühl, damit sich sein
menschliches Leben zu Wirksamkeit entfalten kann. Damit beginnt für den
Menschen die Befriedigung219 im geordneten Sinne, die ihm angeboren
ist, und die zur Entwicklung gebraucht wird durch das Sich-Vorführen der
eigenen Güter. Wenn diese vom Schöpfer gegebene Anlage in gewissen Grenzen gehalten
wird, ist dieses Selbstgefühl zum Nutzen für die geistige Entwicklung des
Menschen. Sein Wesen bedarf dazu gleichsam eines Spiegels und gelangt erst
durch die wenn auch manchmal unbewusste Vorstellung seiner Selbst zum
Selbstgenuss. Gott hat dieses Gut aus sich selbst220 und kann diesen
„Selbstspiegel“ entbehren. – Diese Vollkommenheit in Jesu ertragen zu können,
braucht auch ein bestimmtes Leiden, das man in Worte nicht erklären kann. Jenes
göttliche Sich-Selbst-Genügen war mir ein großer Schmerz, ebenso das Verzichten
auf das eigene Sein und Bestehen als selbstständiges Wesen, das naturgemäß ein
Recht hat auf den Genuss des eigenen Seins. Gottes unmittelbares, gleichsam
bemühungsloses Wesen, das sich selbst221 vollauf genügt, scheint dem
Menschen zunächst222 „trocken und zu kurz“, weil für gewöhnlich
unsere menschlichen Gefühle und Sinne unsere geistigen Akte erweitern,
gefühlsmäßig ausbauen und unsere menschlichen Fähigkeiten angepasst machen.
Gottes Selbstgenus vollzieht sich direkt, unmittelbar und wesenhaft; es liegt
schon in seinem Wesen, während der Mensch diesen Selbstgenuss erst hervorholen
und zur Entwicklung bringen muss.
1625 |
Im Erleben dieses göttlichen Selbstgenusses
Christi als meines eigenen, schien mir dieser Selbstgenuss nicht zu genügen; er
erscheint mir zunächst als zu kurz und zu leer, da er der Mitarbeit des eigenen
Vorstellungsvermögens entbehrt. Erst mit der Ausschaltung meiner eigenen
gewohnheitsmäßigen Tätigkeit wurde in mir die entsprechende223
Erlebnismöglichkeit geschaffen, um Gottes göttlichen Selbstgenuss unmittelbar
ertragen zu können, was ein unaussprechliches Selbstglück bedeutet und eine
Befriedigung in sich selbst, für die es keine Erklärung gibt. Die Ausschaltung
meiner eigenen diesbezüglichen Tätigkeit wurde hauptsächlich durch passive
Leiden vollzogen, in denen meine Seele in große eigene Enge und Leere, ohne
irgendwelchen224 Selbstgenuss getrieben wurde. – Im jetzigen Erleben
Jesu kann ich den Ausdruck gebrauchen: Ich genüge mir selbst, weil ich selbst
der Besitzer meiner Güter bin und alles aus mir habe.
1626 |
Eine andere wesentliche Vollkommenheit Gottes,
die ich in Jesus erlebe, ist Gottes Einzigkeit und Unwiederholbarkeit. In dem
Maße wie ich mich selbst zu verlassen und in Jesus einzugehen innerlich
dirigiert wurde, ging ich auch ein in den Einzigen, All-Einen. Darin liegt ein
großes Geheimnis: Gott hat nicht seinesgleichen; er bleibt und ist immer der
Eine. Und dieser Eine muss genügen und die Seele wird in Gott auch die eine,
die diesen Gott besitzt. Es kommt zur Trennung von allem Geschaffenen, um
diesen einen Gott besitzen und erleben zu können. Dieses absolute Genügenkönnen
des einen Gottes und einen Gutes bis zur Höchststufe, wie sie mein Erleben
Gottes jetzt bietet, hat sich wohl schon jahrelang aufgebaut.225 Das
kam mir insofern zum Bewusstsein, als ich innerlich226 zur
Gewissheit und Überzeugung kam: Ich gehe einen Weg allein, ich weiche ab von
der Masse und trenne mich damit von der geistigen Gesellschaft der Menschen.
Diese Wahrnehmung ist von großen inneren Erschütterungen begleitet; denn der
Mensch braucht für sein Leben nicht nur eine äußere Zusammengehörigkeit mit den
Menschen, sondern er ist auch für eine geistige Gemeinschaft geschaffen. Ich
habe die Abzweigung meines geistigen Weges sehr schmerzlich empfunden. Schon in
den Jahren 1925-1926 ist mir mein besonderer Weg ins Bewusstsein getreten. Das
Gefühl und das Wissen, anders zu sein als andere Menschen, innerlich eine
Absonderung und Abzweigung zu erleiden, trat in meinem Innenleben immer stärker
auf und ich wandte folglich zu Zeiten meine ganze innere Kraft und Energie auf,
um in der Bahn gewöhnlicher Menschen zu bleiben. Aber der Geist, der mich
lenkte, war stärker als meine Energie und Kraft; sanft und zeitweise unmerklich
nahm mich der Geist Gottes mit sich (das ist aber nicht so gemeint, als würde
man den Menschen nach außen fremd, sondern es handelt sich nur um eine innere
Absonderung; es zerbricht die innere Gemeinschaft mit der Welt)227.
Gottes Führung zersprengt die Ketten einer geistigen Gemeinschaft mit den
Gepflogenheiten des irdischen Lebens; es kommt zu einer Entfremdung mit den
Meinungen der Umgebung, auch wenn diese nicht böse und sündhaft wären. Gottes
Geist sondert die Seele ab und führt sie seine Wege. Es entwickelt sich
gleichsam ein volles Heraustreten aus diesem Leben und ein Eingehen in ein
anderes Leben, in das Leben des Geistes. In meinem Falle führte Jesus mich
seine Wege im Eingehen in einen speziellen geistigen Beruf: das Erleben seines
Inneren. Die besagte Trennung vollzieht sich nicht nur gegenüber der Außenwelt;
es ist auch die unbedingte228 Trennung von den eigenen persönlichen
Meinungen, gleichsam eine Entleerung vom Eigenen. Man wird innerlich angeregt,
einem Alleinleben nachzustreben, und wird innerlich dahin229
geformt. – Auch in den höheren Stadien des Erlebens Jesu habe ich die
schmerzliche Erfahrung gemacht, die fast erdrückende Wahrnehmung, einen Weg zu
gehen, auf dem man von Menschen nicht verstanden wird; es war die Absonderung
in das Alleinsein mit Gott, in das göttliche Wesen, das Üben des Genügens mit
dem alleinigen Besitz Gottes. Jetzt, in den vergangenen Wochen230
trat dieses Leiden wieder sehr in den Vordergrund und gipfelte im Genügen des
Erlebens Jesu bzw. im Genughaben an seiner göttlichen Person. „Ich genüge mir!“:
Die göttliche Person Christi dient mir als meine Person; für mich ist
mein Leben beendet; ich diene dem seinen. – In der letzten Zeit trat das
Empfinden der Vereinsamung als Mensch und das Bedürfnis, in einem gleich
geführten Menschen ein Gegenüber und Verstehen zu finden, sehr hervor und Jesus
gab mir einen großen Trost durch eine besondere geistige Verbindung in seinem
Herzen231 mit einer ähnlich geführten Priester-Seele232.
Ich erlebte diese geistige Verbindung schon viele Jahre voraus: Es ist eine geistige
Gemeinschaft in seinem Herzen „von Seele zu Seele“, die kein Wort erklären
kann.233
1627 |
Es ist schwer, in menschlichen Worten dieses
Geheimnis der Einzigkeit Gottes auszusprechen, die Jesus mit seiner göttlichen
Person in seine menschliche Natur mitnahm und die ich in dieser Art der
erhabenen Vereinigung als die meine erlebe.
1628 |
Die besondere Eigenart234 meines
heutigen, tieferen Eingehens in Jesus ist aber getragen von der göttlichen und
wunderbarsten wesentlichen Vollkommenheit Gottes: von seiner schenkenden, sich
mitteilenden Liebe. Ich habe dieses Geheimnis in einer wunderbaren Weise
erfahren, wovon ich früher keine Ahnung hatte.
1629 |
Gottes Wesen ist Liebe, sich verschenkende
Liebe. Diese fand einen höchsten Ausdruck in der Erschaffung der sichtbaren
Schöpfung, die ein Abbild seines göttlichen Reichtums und seiner Herrlichkeit
ist. Von Ewigkeit her gedachte Gott die Welt zu schaffen, und zwar zu dem
Zweck, sich dieser mitzuteilen. Das Urvorbild bei des Vaters sichtbarer
Schöpfung ist das immerwährende göttlich-ewige Hervorgehen des Sohnes, des
göttlichen Wortes, vom Vater. Diese göttliche Lebens- und Liebesverbundenheit
gedachte der Vater auch auf die sichtbare Schöpfung zu übertragen in Wesen, die
aus seiner Schöpferliebe hervorgehen, um teilzuhaben an seiner göttlichen Liebe
und Herrlichkeit und Vaterschaft. Das erste Ideal dieser sichtbaren Wesen, die
der Vater zu schaffen gedachte, war das Urbild seines göttlichen Sohnes, das
erste Menschenbild, das dem Vater vorschwebte und nach dem er die Menschen zu schaffen
gedachte.
1630 |
Ich habe dieses Geheimnis so klar erfasst:
Gott Sohn, das erste Urbild der Menschheit! Im Menschen wollte sich Gott Vater
sichtbare Wesen schaffen, denen er, ähnlich wie seinem Sohne, sich mitteilender
Vater sein könne, an die er sich gleichsam verschenken könne. Und Gott schuf
den Menschen nach seinem Ebenbilde und er gedachte dabei des höchsten
göttlichen Urbildes der gesamten Menschheit, seines göttlichen235
Sohnes, der die Krone der sichtbaren Schöpfung werden sollte.
1631 |
Christus war von Gott als Krone der Menschheit
gedacht. Ich habe innerlich erlebt: Christus wäre auch dann Mensch geworden,
wenn die Sünde nicht geschehen wäre; denn die ganze Schöpfung ist von Gott in
erster Linie für seinen Sohn, für das „Wort“ geschaffen worden. In diesem Falle
wäre Christus in einer menschlichen Herrlichkeit als König der gesamten
Menschheit erschienen, weil der Vater alles für ihn geschaffen hatte. In der
Zeit hätte er die menschliche Natur angenommen, um als Haupt der Menschheit dem
Vater zu huldigen.
1632 |
Nach dem ewigen Vorbild des Wortes wollte sich
der Vater Söhne, Kinder schaffen, die ihn – ähnlich wie das Wort –
verherrlichen würden durch das Geistesgesetz, das er in ihre Seelen schreiben
wollte: Durch die Kindschaft, in der er Menschen erschuf. Der Vater wollte den
Menschen ähnlich wie seinem Sohne Vater sein in einem wahren und wirklichen
Kindes- und Vaterverhältnis, ähnlich der Gemeinschaft der heiligsten
Dreifaltigkeit, bzw. des göttlichen Wortes mit dem Vater. Nie sollte nach der
Absicht des Vaters diese göttliche Liebe unterbrochen werden, die vom Vater im
Heiligen Geiste zum Sohne strömte und durch den Sohn zur gesamten Menschheit.
Kinder wollte sich der Vater schaffen, die ihn in seinem Sohne als Haupt der
Schöpfung huldigen und236 verherrlichen. In Christus sollte der
höchste und erhabenste Mensch erstehen. Gott in menschlicher Gestalt; so sehr
wollte der Vater die Menschheit erhöhen und auszeichnen.
1633 |
Ich schaute Christus als den237
ersten Menschen, als die Krone der Menschheit, dem göttlichen Wesen des Vaters
gleich, aber als Mensch dem Vater dienend als Vorbild und Urbild der gesamten
Menschheit. Es ist unaussprechlich. So wollte sich der Vater im Sohne an die
Menschheit gleichsam verschenken! Seinen göttlichen Sohn wollte er ihr mitteilen.
– Gottes Wesen ist mitteilende Liebe. Gerade in der Karwoche hatte ich das
innere Erleben der göttlichen Herrschaft Christi über die Menschheit in
sündenlosen Zustand und darauffolgend das Erleben der Stellung Christi als
Haupt der Menschheit in ihrem sündigen Zustand. Bei der Lesung der Passion am
Karfreitag, näherhin bei der Frage des Pilatus an den Heiland: Bist du ein
König, hatte ich das innere Schauen und Wissen: Ja, Christus war von Ewigkeit
als König und Haupt und Krone238 der Menschheit und der Schöpfung
von Gott „gedacht“.
1634 |
Die Sünde hat den ersten, ewigen Plan des
Vaters gestört, aber nicht zerstört. Wäre Christus ohne die Sünde der Menschen
als herrlicher, leidensunfähiger Mensch erschienen, so kam er infolge der Sünde
im leidensfähigen Zustand seiner Brüder, weil er ihnen in allem gleich werden
wollte. Er nahm auf sich die Armut und Not, die durch die Sünde gebracht und
geboren wurde. Er nahm auf sich das Leiden, das die Sünde als Strafe nach sich
gezogen hatte. Er trug alle Leiden dieser gefallenen Menschheit, für die er
gekommen wäre und kam, weil er als unser Bruder vom Vater bestimmt war. Er
wurde ein Mensch wie wir, die Sünde ausgenommen. Sein göttliches Wesen
beibehaltend diente er als Mensch dem Vater, sühnend für unsere Schuld. Göttliches
Leben in menschlichem Sein vor dem Vater löschte die Schuld und um seinetwillen
versöhnte sich der Vater wieder mit den Menschen. Damit behielt Christus seine
erste Stellung als Haupt der Menschheit bei: Er gab sich für alle. Er, der
Eine, für alle. Immer noch der erste Mensch, der König der Menschheit.
1635 |
Christus lebte als Mensch das Leben des Kindes
Gottes, so wie Gottvater sich das Leben der Menschen gedacht hatte – aber durch
seine göttliche Person ward es zugleich zum göttlichen Leben und zum vollen
Ersatz für die sündige Menschheit. Wie Gott den239 erstgeschaffenen
Menschen ein Geistesgesetz in die Seele schrieb: Das Kindschaftsverhältnis zum
Vater, so erfüllte der ewige Sohn dieses zerstörte Kindschaftsverhältnis, in
dem er das wesentliche Gesetz Gottes, alle wesentlichen sittlichen
Vollkommenheiten in menschlicher Form lebte und erfüllte und dadurch den
unabsehbaren Abstand und Abgrund zwischen Gott und der Menschheit wieder
ausfüllte und schloss. Das Kindschaftsverhältnis zwischen Gottvater und der
Menschheit war nun wieder hergestellt, durch den Sohn und vorbildlich im Sohn.
Damit bleibt Christus unser König in Ewigkeit.
1636 |
Der Urplan Gottes ist im Grunde der gleiche
geblieben: Der Mensch war bestimmt, das Kindschaftsverhältnis des göttlichen
Sohnes zum Vater nachzuleben, im Sohne sich dem Vater zu geben und durch ihn
den Vater zu verherrlichen. Nach der Sünde bzw. nach der Erlösung, d. h.,
nachdem wir in der Taufe kraft der Verdienste des Erlösers wieder eingehen in
die Kindschaft des Vaters, sollen wir mit seiner Gnade dieses Verhältnis wieder
leben, das uns durch Jesus wieder geschenkt wird. Ohne dieses können wir nicht
zum Vater eingehen. – „Wir sind Kinder Gottes durch Jesus, das Haupt der
Menschheit!“ Es ist unmöglich, dieses göttliche Geheimnis ganz in menschliche
Worte zu fassen, und im geistigen Erfahren kann man nur bewundernd den Vater
preisen. So innig sind wir einbezogen in den göttlichen Plan!
1637 |
Nach der heute in St. Peter erhaltene
besondere Gnade gelange ich nun in eine höhere Stufe des Erlebens Jesu. – Schon
gestern war ich nach Wochen großer Leiden in einer unaussprechlichen geistigen
Ausgeglichenheit. Mein Inneres war vollkommen geordnet, das Sein für mich war
wie ausgebrannt und volle Harmonie führte die Herrschaft in mir. Ich fühlte von
Jesus nichts, doch ich lebte ihn wie mein eigenes Leben und alles bin ich mir
selber. Heute Morgen nun, nach der hl. Kommunion (in der Gruft bei Pius X),
„nahm mich Jesus mit zum Vater“. Ich bin nun an seiner Stelle das lebende Leben
des Sohnes durch das Gesetz seines Lebens, das Jesus in mir geschaffen und
ermöglicht hat. – Ich erkannte auch den neuen Abschnitt des Lebens, der durch
das Verzichten auf mein früheres eigenes Leben für mich beginnt.
1638 |
Mein jetziges Leben ist Jesu Leben vor dem
Vater, nach dem Gesetz, das Jesus durch seine göttliche Führung in mir
vorbereitet hat. Ich bin nun hineingehoben in das Leben Jesu. Mein Inneres ist
umgewandelt und ich kann ohne Besinnung die innere Lebensart Jesu vor dem Vater
erfüllen, soweit es der Heiland eben für seine Absichten braucht. Damit ist das
Sein „für mich selbst“ abgeschlossen und ich gebe in den Erlöserzustand Jesu
ein, in den er sich in seinem irdischen Leben begeben hat. Ich weiß: „Mein
inneres Leben habe ich aus mir selbst“ d. h. aus der göttlichen Person Christi,
und seine Vollkommenheiten kann ich in dem Maße ertragen, als Jesu sie mir
zuzuteilen gemäß seinen Absichten240 für notwendig hält. Es ist
alles da, was ich innerlich brauche. Ich lebe „aus mir selbst“, ohne Akte, denn
das „Leben“ ist alles.
1639 |
Damit bin ich ganz vom Vater abhängig, um
alles bitte ich den Vater, dem Vater bin ich ganz unterstellt. Ich erlebe
damit, wie Jesus als Erlöser sich ganz dem Vater unterordnete, immer im Vater
war, nur sein Wohlgefallen suchte und nur seinen Willen tat, weil der Vater die
beleidigte göttliche Person war, die der Sohn durch diese göttliche
Unterwerfung wieder versöhnte. Diese göttliche Unterwerfung war der erste und
höchste Akt der Erlösung. Und der Vater „bestimmte“ auch die Sühne für die sündige
Menschheit, der sich der Sohn kindlich unterwarf. – Es ist ein
unaussprechliches Kindschaftsverhältnis, das Jesus vor dem Vater erfüllte.
1640 |
In Jesus ging ich heute Morgen in diesen
seinen Zustand ein und ich muss gestehen: Es ist mir neu und ungewohnt und es
braucht noch Übung meinerseits. Ich war angeregt, ganz auf den Gebrauch der
früheren Art meines Lebens und Betens zu verzichten und diesem inneren Leben
Jesu zu folgen, das mir in ihm geboten ist; ich kann es in großen Frieden und
unaussprechlicher Einfachheit.
1641 |
Jetzt ist mir vollständig klar, was der
Heiland damit meinte: Das Sein für mich auslöschen und dafür sein Leben
annehmen. Ich bin nun Jesu Leben im Vater und ich bin sehr ruhig; es scheint
aber ganz mein eigenes Leben zu sein.
1642 |
Für diesen Zustand wird mir nun immer wieder
eine besondere Gnade der Befestigung versprochen, wenn ich dafür befähigt bin.
1643 |
Immer mehr, sich täglich mehr entfaltend,
prägt sich Jesu Leben als Mensch vor dem Vater in mir aus und seit gestern wird
mir mein innerer Zustand „bewusst“. Es ist das bewusste Tun und „Leben“ aus dem
schon vorhandenen inneren Leben Jesu heraus; die innere Fülle entfaltet sich zu
menschlichen Akten; alles, was das innere Leben betrifft, ist mir schon geboten
im habituellen Sein, wodurch ich Jesus lebe.
1644 |
Dadurch bin ich ganz in mir konzentriert, bin
ich mir selbst alles und empfange ich nichts. Wie naturgemäß schöpfe ich aus
mir selbst, und alles, was ich brauche, ist schon in mir grundgelegt. Es
braucht keine Übung im gewöhnlichen menschlichen Sinne; in Jesus kann ich alles
vollkommen tun, d. h., soweit sich Jesus in seiner Vollkommenheit mir mitteilt.
Es scheint aber, als komme alles „von mir“; ich stütze mich auf „mich selbst“.
Damit kommen gleichsam neue Energien zur Entfaltung, die ich in mir besitze und
die mir im „Leben“ zum Bewusstsein kommen.
1645 |
„Jesus lebte seine göttliche Vollkommenheit in
menschlichen Akten; es waren infolge der Selbstständigkeit seiner göttlichen
Person ganz und gar seine eigenen Vollkommenheiten, die er in einem Leben in
menschliche Form vor dem Vater lebte.“ – Auf diesem inneren Stadium bin ich
jetzt angelegt.
1646 |
Wenn ich schreibe: „In menschlichen Akten“
lebte Jesus seine göttlichen Vollkommenheiten, so will das nicht heißen: „Ich
glaube, vertraue, will geduldig, demütig sein“, sondern: Ich bin das aus mir,
aus der Fülle meines inneren Seins und in dem Maße als Jesus sich mir
mitteilte. Meine menschliche Natur, bzw., meine Seele ist nun genügend
geläutert und gereinigt, um die Anforderungen, welche die Vollkommenheiten des
Habitus Jesu an sie stellen, zu leisten und zu tragen und dabei nicht unruhig
oder unfähig zu werden; meine Natur bleibt nun in völligem Frieden gegenüber
den Anforderungen, die das innere Leben Jesu an mich stellt. – Jesu menschliche
Natur und Seele war schon vom ersten Anfang an vollkommen heilig und seinem
göttlichen Habitus angepasst; wenn auch seine menschliche Natur unter der
göttlichen Fülle litt, so herrschte doch stets volle Harmonie, weil das
Menschliche vollkommen der göttlichen Person eingeordnet war. – Meine
menschliche Natur musste erst entsprechend geläutert und vorbereitet werden, um
die Anforderungen seines inneren Lebens leisten und ertragen zu können, und
zwar bis zu der Stufe, auf der ich mich jetzt bewege und auf der ich der
göttlichen Person Christi diene als ihr menschliches Leben. Da aber dieses
Leben Jesu als mein eigenes erscheint und ich es wie mein eigenes lebe, so habe
ich mit seiner göttlichen Person alle Vollkommenheiten „aus mir“ und meine
Natur bzw. meine Seele ist so umgeformt, dass ich diese Vollkommenheiten sofort
und augenblicklich, nur im Besinnen auf mein Leben betätigen und leben kann;
aber auch dieses Besinnen ist Zustand und besteht nicht in einzelnen bewussten
Akten, sondern in der Fülle des inneren Lebens in Jesu, in seinem göttlichen
Habitus. Es ist – um es in Vergleichen zu sagen, wie beim Springbrunnen, der
sich von selbst ergießt, weil die entsprechende Vorrichtung schon eingebaut ist
oder wie bei der elektrischen Klingel, die läutet, wenn man auf den Knopf
drückt.
1647 |
Das innere bewusste Leben prägt die
Vollkommenheiten in wirklichen „Taten“, in innere, schon vollzogene und gelebte
„Akte“ aus. Das Leben in der gewöhnlichen aktmäßigen Form ist überhaupt nicht
mehr vorhanden; dies ist längst überschritten und an dessen Stelle ist das
Leben „ohne Akte“, d. h. ohne übungsmäßige Akte getreten. Die „Tat“ selbst, z.
B. Geduld ist habituell und stützt sich wie naturgemäß auf die eigene Fülle und
den Selbstbesitz, woraus die gelebten inneren Vollkommenheiten sich ohne
Bemühung ergeben. Mein jetziger Zustand ist aber höher wie der vorhergehende,
weil das innere Leben Jesu nun „bewusst“ vor dem Vater im Habitus des göttlichen
Sohnes gelebt wird. Es bedurfte darum einer noch höheren Bereitung und
Bereitschaft, um mich bewusst an Jesu Stelle dem Vater zu opfern in den Taten
und Leiden des inneren Lebens Jesu. Jesu inneres Sein241 wird wieder
zu menschlichen Werken und Leiden242 durch meine menschliche Natur,
die jene Werke und Leiden kraft seiner göttlichen Person hervorbringt – soweit
es eben den Absichten Christi entspricht, der dieses Geheimnis seines
gottmenschlichen Lebens offenbaren will. Mein eigenes Sein wird dadurch immer
vollständiger ausgelöscht und von Jesu Leben verdrängt.
1648 |
Dieser, mein innerer Zustand lässt sich schwer
in menschliche Worte fassen, weil er eben „Zustand“ ist, ein schon bestehender
und gegebener Zustand. Er erscheint mir aber nicht „fremd“, sondern ist das
Ergebnis und die Folge so vieler, jahrelang aufgebauter Bemühungen unter der
Führung der göttlichen Gnade. Ich nähere mich nun sehr – so vermessen der
Ausdruck auch scheinen243 mag – dem habituellen gottmenschlichen
Zustand des göttlichen inneren Seins244 Jesu in seinem Erdenleben.
1649 |
Mit der göttlichen Person war seiner hl.
Menschheit bzw. seiner Seele alles gegeben, was sie an Vollkommenheiten
brauchte, weil ja seine göttliche Person die Trägerin und Vollbringerin all
seiner menschlichen Taten war. Das „Ich“ in Christus war das „Leben“; seine
Seele, und seine heiligste Menschheit war ihm entsprechend eingeordnet und
damit wurde sein menschliches Leben zu einem göttlichen Leben, und das
Göttliche war das führende und richtungsgebende Prinzip in Jesus. (Ich verstehe
dieses Geheimnis zwar ganz klar, aber meine Worte sind zu schwach und unklar,
um es auszudrücken und erklären zu können).
1650 |
Hierin liegt auch das Geheimnis der vollen
Gleichförmigkeit des Erlöserlebens Jesu mit seinem himmlischen Vater und daraus
folgt wiederum der übervolle Ersatz seines Erlöserlebens für die Menschheit. –
Christi menschlich-sittliche Vollkommenheiten waren den göttlichen
Vollkommenheiten des Vaters gleichförmig infolge der göttlichen Wesenhaftigkeit
Christi im Vater. Christi menschliche Werke erreichten deshalb an
Vollkommenheit vollständig die göttliche, wesenhafte, habituelle Heiligkeit
Gottes des Vaters, die im Menschen Christus in menschlicher Art gelebt wurde.
Somit war Jesus „immer im Vater und tat allzeit den Willen des Vaters“, weil er
wesenhaft in sich die Möglichkeit besaß, ganz gleichförmig mit dem Vater
menschlich-vollkommene Werke zu verrichten. So blieb Jesus als Mensch in der
göttlich-wesentlichen Gleichförmigkeit mit dem Vater, genau so wie vor seiner
hl. Menschwerdung. Des Vaters göttlich-wesentliche Vollkommenheit und
Heiligkeit wurden nun im Sohne wirklich zu menschlichen Taten und Werken:
Welches Entzücken für den himmlischen Vater! Darum reichte dieses „eine
göttliche Menschenleben“ übervoll als Ersatz für die ganze Welt mit den
ungezählten Menschen für immerwährende Zeiten. Und nur ein göttliches
Erlöserleben konnte dieses volle Maß göttlichen Ersatzes erreichen. In dem
einen göttlichen Sohne, in Christus, ist jeder einzelne Mensch vom Vater wieder
aufgenommen in ewige Kindschaft, denn die Gotteskindschaft wurde durch Jesus
sohnschaftliches Menschenleben wiederhergestellt.
1651 |
Und Jesus tat alles, „um den Vater zu
verherrlichen“, um dem Vater durch seinen eigenes gottmenschliches Leben alles
an Ehre zu ersetzen, was ihm an Unehre von der ganzen Menschheit angetan und
zugefügt wurde. Der Heiland war das liebende Kind, das durch seine Liebe das
Herz des Vaters für alle irregegangenen Kinder wiedergewann, indem er alles so
tat und litt, wie es der Vater nicht vollkommener hätte tun und leiden oder
wünschen können. Jesus blieb als Mensch in der göttlichen Gleichförmigkeit mit
dem Vater und damit hatte er den Vater gleichsam in seiner Gewalt und der Vater
tut alles, um was er ihn bittet.
1652 |
Die Vollkommenheit unserer Werke ist es, womit
wir das Herz Gottes bezwingen können. Je mehr unser Leben und unsere Werke der
Vollkommenheit des göttlichen Sohnes nahekommen, desto mehr Gewalt haben sie
beim Vater, weil gleichsam „der Sohn“ zum Vater spricht. Nur durch den Sohn können
wir dem Vater nahekommen und nur er ist unser Weg zum Vater. Darum ist das
einzig wesentliche Werk unseres Lebens dies: Im Leben Christi dem Vater
nahekommen, denn Jesus „zeigt“ uns den Vater.
1653 |
Vor einigen Tagen schaute ich, wie das erste
Kindschaftsleben, das der Vater in den Menschen bei ihrer Erschaffung
grundgelegt hatte, in MARIA nie gestört, sondern immer nur erhöht wurde. Ihre
Seele ging durch ein besonderes Privileg als Gotteskind aus der Hand des Vaters
hervor im Hinblick auf das menschliche Leben Jesu, das aus Maria hervorgehen
sollte und im Voraussehen der göttlichen Erlöserschaft Christi, zu der Maria
durch ihre Hingabe beitragen sollte. Maria war und blieb darum immer Kind des
Vaters und ihr Kindschaftsverhältnis erhöhte sich noch mehr und bis zum
höchsten Sinn, als der Vater ihr „seinen Sohn übertrug“. Maria tat immer den
Willen des Vaters, wie immer er auch an sie herantrat.245 Sie lebte
höchste Gotteskindschaft, wie es kein Mensch je erreicht hat.
1654 |
Heute Morgen nach der hl. Kommunion war ich in
einen wunderbaren Zustand versetzt, dessen Tiefe ich bis jetzt nicht erreicht
hatte: Ich erlebte das letzte Ziel meines Seins im Vater anstelle Jesu, und
zwar als habituellen Zustand. Im Vorerleben ging dem voraus das vollständige Verzichten
auf meine persönlichen Rechte auf mich selbst, ein wirkliches Auslöschen meines
persönlichen Seins, um dafür nach den Absichten Jesu ganz sein inneres Leben
als Mensch vor dem Vater zu wiederholen, aufgenommen von seiner göttlichen
Person. Ich war „ganz von mir selbst befreit“, als „Jesus“ im246
Vater und vor dem Vater. – Das innerste Geheimnis dieses Erlebens lässt sich in
Worte nicht erklären.
1655 |
Ich war in voller innerer Gleichförmigkeit mit
dem Vater, vollkommene Harmonie; wir waren eins. Es ist eine unaussprechliche
Lust, so ganz im Vater zu weilen, dieses wirkliche und endliche „Daheim“ in
seiner Vaterliebe zu verkosten, an seiner inneren Unumschränktheit teilzuhaben,
die volle Ausgeglichenheit zwischen uns zu genießen. Das Eigene meines Seins störte
mich nicht mehr; es war nicht mehr. Es ist auch die volle Bereitschaft im Vater
gegeben, worin der Sohn, das Kind, alles tut und tun kann, was und wie der
Vater will. – Die Liebe und Hingabe und Unterwerfung unter den Willen des
Vaters ist mein ständiger Herzschlag. Im Vater gibt es nur Jubel und freudige
Ergebung, weil er alles lenkt und volles Geborgensein herrscht. – O, wann werde
ich, völlig vollendet in Jesus, diesen dauernden Zustand genießen?! – Im Vater
ist absolute Wahrheit und in seinen Armen bin ich gefahrlos. – Aber ich habe
das innere Wissen, dass ich „bald“ dauernd eingehen werde an Stelle Jesu in den
Vater, d. h., sobald ich die entsprechende Befähigung hierfür habe. – Ich habe,
gemäß der inneren Führung, ganz auf mich verzichtet und bereitwillig in Jesus
mich dem Sein im Vater übergeben.
1656 |
Jesus ganzes menschliches Leben hat sich vor
dem Vater und im Vater abgespielt. Wer könnte so ganz in dieses Geheimnis
eindringen und es in Worten wiedergeben? Jesus ganz im Vater und dem Willen des
Vaters jeden Augenblick hingeben, in allem nur die Ehre des Vaters suchend,
indem er sich selbst bis in den Tod vernichtete, damit der Vater wieder
anerkannt werde; o vollkommene Liebe des Sohnes in der Gleichförmigkeit mit dem
Willen des Vaters!
1657 |
Solange der Mensch sich selbst lebt und
genießt, kann er die Liebe Gottes bzw. die göttliche Liebe der heiligsten
Dreifaltigkeit nicht schauen und erfahren; nur die eigene Entblößung von sich
selbst und ein höheres Hineingehobensein in Gott, bzw. in Christus, lässt dieses
wunderbare Geheimnis gleichsam mit göttlichem Empfinden und Fühlen erfahren und
durchkosten.
1658 |
Und Jesus bietet sich mir selbst als mein
Leben, damit ich an seiner Stelle das Geheimnis der Liebe Gottes in der
Erlösung erleben könne. Jesus will dies für die heutige Zeit, damit die Liebe
Gottes wieder die kalte Welt erwärmen könne. – Wie ich mich so ganz verloren
hatte und in Jesus im Vater weilte, rief ich unwillkürlich in mir aus: O, dass
die Menschen an dich glauben möchten! – Da ward mir die Antwort: „Sie werden
durch dich glauben“. Und ich schaute eine große Erhöhung und Vertiefung des
Glaubens in den Völkern durch die Offenbarung dieses innersten Geheimnisses der
Liebe Gottes in der Erlösung.
1659 |
Mein ganzes Leben wird sich vor dem Vater und
im Vater vollziehen. Ich weiß den Weg: Die Liebe Gottes ist der Weg. – Seit
heute Morgen ist eine Glut des Verlangens in mir entfacht, in Jesus ganz
vollendet zu werden, um immer im Vater sein und weilen und in allem seinen
Willen erfüllen zu können, denn das kann man nur im Sohne vollkommen.
1660 |
In den letzten Tagen wurde mir auch seine neue
Gebetsweise gezeigt: das Gebet des Lebens Jesu. Gewiss spricht und sprach Jesus
zum Vater von der Menschheit und den einzelnen Seelen; aber Jesus ist der erste
und höchste Sohn des Vaters, in dem alle anderen Söhne und Kinder unmittelbar
vereinigt und verbunden sind. Wenn der Vater den Sohn sieht, so schaut er auch
die ganze Menschheit, alle in Christus erlösten und besonders alle auf Christus
getauften. Jesus ist das Haupt der Menschheit; im Haupte schaut der Vater alle
Glieder. Wendet sich das Haupt zum Vater, so gedenkt der Vater naturgemäß auch
aller Glieder. Hat das Haupt gelitten, so gilt das Leiden für die ganze
Gemeinschaft. Liebt das Haupt, so „lieben“ vor dem Vater auch die Glieder.
Jesus konnte in seinem Erdenleben nichts tun und leiden und lieben, ohne dass
nicht auch die ganze Menschheit geistig daran teilgehabt hätte,247
bzw. ohne dass es der ganzen Menschheit zum Heil gewesen wäre. Die Liebe Gottes
ist unendlich und somit sind die Leiden des göttlichen Erlösers unbegrenzt
wertvoll und wirksam. In Christus ist daher die ganze Menschheit vor dem Vater
wieder in Gnaden248 aufgenommen, wenn sie an Christus glaubt.
1661 |
Jesu Leben war ein ständiges Gebet, weil eine
ständige und vollkommene Unterwerfung unter den Vater. Nicht das Beten mit
bestimmten Worten ist ja das höchste Gebet, sondern dies: „den Willen des
Vaters zu tun“. – Das Leben in Gott, das Tun seines Willens steht höher als
jedes Gebet in Worten, weil in jenem Gebet des Lebens die unendliche Liebe
Gottes wirksam ist und es zum Herzen des Vaters dringen lässt. – In meinem
Innenleben hört das Beten in Worten beinahe vollständig auf und es tritt dafür
ein das Gebet des Lebens Jesu. Die innere Vollkommenheit des Lebens Jesu
verbürgt eine sichere Erhörung; es braucht nur die Absicht zum Beten und Bitten
vor dem Vater, denn das Tun und Opfern Jesu im Vater ist alles wert und
erreicht alles. Wenn ich darum in letzter Zeit das Bedürfnis hatte, für ein
bestimmtes Anliegen zu beten, bzw. den Vater zu bitten, so hatte ich öfters die
innere Mahnung: Jesu Leben bewirkt alles, umfasst und erreicht alle Seelen und
ihre Bedürfnisse, besonders jene, die ich in meinen Leiden erreichen und denen
ich helfen möchte (es wurde mir aber auch innerlich erklärt, dass all mein
Opfer und Leiden in Jesus vornehmlich für eine verborgene Art einer inneren
Erneuerung der Kirche und des Priestertums Frucht bringen wird)249.
1662 |
Ich bin in Jesus in sein Gebet vor dem Vater
eingegangen. Es beruhigt mich sehr und ich übe mich darin. Die Liebe Gottes ist
allgemein und die Liebe umschließt und erreicht auch den Einzelnen. Darum lebe
ich das größte Geheimnis des Gebetes: Jesu Leben ist alles und erreicht alles!
1663 |
In Jesus habe ich heute ein weiteres Geheimnis
seines Erdenlebens im Verhältnis zu seinem himmlischen Vater erfahren: Jesus
besaß als Mensch immerwährend die unmittelbare Gottesschau, die wesentliche
Schau des Vaters.
1664 |
Jesus besaß auch als Mensch sich ständig in
seinem göttlichen Wesen und konnte dieses göttliche, bewusste Wesen niemals
ablegen, sonst hätte er als Mensch aufgehört, Gott zu sein – aber da er sich so
ganz seinem Erlöserleben hingab und das menschliche Leben ganz in menschlicher
Weise auf sich nahm, so waren in ihm für gewöhnlich nur die
göttlich-habituellen Wirkungen seines göttlich-wesentlichen Seins tätig. Ich
möchte sagen: Mit seiner Menschwerdung trat Jesus gleichsam so sehr aus dem
göttlichen Bereich heraus und erniedrigte er sich so tief, dass er – menschlich
ausgedrückt – den Vater als seinen Herrn und Gott anerkannte und sich ihm in
allem unterwarf. Selbstverständlich blieb die wesentliche göttliche Einheit
immer bestehen, aber als Erlöser entblößte sich Christus so sehr, dass er von allen
als Mensch erfunden wurde. Anders aber war sein göttlich-wesentlicher Verkehr
mit dem Vater. Ich will hier nicht wiederholen, was ich schon früher erwähnt
habe – obwohl ich heute dieses Geheimnis neu schaute: Die zweite göttliche
Person, das Wort, ging jeden Augenblick vom Vater hervor als selbstständige
göttliche Person usw. Dies Geheimnis blieb in seinem Menschenleben unverändert
bestehen und Jesus gab dadurch als Mensch ständig Zeugnis für den Vater. So
blieb die wesentliche habituelle Einheit mit dem Vater bestehen, der aus dem
Vater hervorgeht, der gibt sich diesem wieder zurück in menschlichen Akten und
Lebensbetätigungen. Dadurch blieb bestehen der göttlich-wesentliche Habitus
zwischen Vater und Sohn in der Verschiedenheit der göttlichen Person und der
Weise ihrer Betätigung und zugleich die wesentliche Einheit des einen Gottes.
Da aber Jesus als Mensch sich vor dem Vater-Gott erniedrigte und alles dem
Vater übergeben hatte, was sein menschliches Leben betraf, so war der Vater
wirklich der Herr und Gott des Erlösers, von dem er alles erbat und erhalten
hatte, auch sein Leben, das er dem Vater wieder zurückgab.
1665 |
Die innere wesentliche Einheit mit dem Vater
bedingte daher für den Sohn ein beständiges „Gegenüber“, das ihm in der
Vaterschaft Gottes gegeben war. In dieser Weise „schaute“ Jesus ständig
wesenhaft den Vater; denn der himmlische Vater war das „Gegenüber“ des Erlösers
in seinem Erdenleben. Da aber Jesus die göttliche wesenhafte Einheit mit dem
Vater besaß, so war „der Vater immer in ihm“, sodass der Sohn sagen konnte:
„Wer mich sieht, der sieht auch den Vater.“ Trotzdem war der Vater das
„Gegenüber“ des Sohnes, weil er in allem sich vom Vater abhängig gemacht hatte.
Gewiss blieb trotz aller Hingabe an den Vater die habituelle Selbstständigkeit
der göttlichen Person des Erlösers250 bestehen, aber Jesus unterwarf
sich auch als Gott der Führung des Vaters. (Freilich konnte Jesus jeden
Augenblick von der vollen göttlichen Selbstständigkeit Gebrauch machen, aber
dieses Geheimnis liegt im tiefsten wesentlichen Verkehr mit dem Vater und lässt
sich in Worten nicht erklären; man kann es nur im geistigen Schauen erfahren.)
1666 |
Die „Gottesschau“ des Erlösers war aber ganz
verschieden von der mystischen Gottesschau in den mystischen Gnadenzuständen.
Die mystische Gottesschau ist ein Innewerden Gottes, ein Erfahren Gottes, eine
Vereinigung mit dem erfahrenen Gott, ein Eingehen in die Geheimnisse Gottes,251
ein Genießen und Zusammensein mit diesem Gott, in verschiedenen Formen und
Stufen252. Sie wird auf den unteren Stufen des mystischen Lebens
immer wieder unterbrochen und dauert dort253 für gewöhnlich nur
kurze Zeit. Es müssen in der Seele erst wieder neue geistige
Aufstiegsmöglichkeiten vorbereitet werden, damit das Erfahren Gottes sich
steigern und erhöhen kann zu einem tieferen Eingehen in Gott. An den höheren
Gnadenstufen des mystischen Lebens wird das Erfahren Gottes sich steigernd
habituell und dieser Zustand tritt nach meiner Erfahrung zur Zeit der
geistlichen Vermählung ein. Auf diesen Gnadenstufen prägen sich aus, die
Vereinigung der Seele mit Gott und ein bestimmtes Erfahren Gottes als Zustand,
der aber doch wieder zu Zeiten von einer außergewöhnlichen Fülle Gottes, in der
Eigenheit eines noch höheren Besitzes Gottes in der Seele überboten wird.254
Im gewöhnlichen findet man Gott immer in sich und ist vom göttlichen Erleben
getragen; wenn auch diese Gnaden von schweren Leiden verdeckt sein können, so
„ist Gott doch in mir da.“ – Die mystische Gottessschau bedingt für die
betreffende Seele ein „Suchen Gottes“, ein Verlangen nach Gott, eine
Vorbereitung auf Gott. Diese Gottesschau und das Erfahren Gottes ist auch einem
gewissen Wechsel, einem Aufsteigen und Erhöhen unterworfen. Auch auf den
höheren255 Gnadenstufen ist das Erfahren Gottes bedingt durch ein Hingeben
an Gott. Die Schau Gottes selbst, d. h., das Wesen dieser Gnade ist
veränderlich und kann mehr oder weniger klar von der Seele erfahren werden; sie
ist für gewöhnlich256 bedingt und mittelbar. Doch ist nach meinem
Erfahren auch hier eine höhere Möglichkeit, eine Art unmittelbaren Erlebens und
Erfahren Gottes nicht ausgeschlossen. Nach der Zeit der geistlichen Vermählung,
wo die Seele vielleicht noch höheren inneren Reinigungen unterworfen wird –
denn im inneren Leben und Fortschritt gibt es kein Stillstehen oder ein genug
haben – stellt sich dementsprechend eine höhere Ausschaltung des Persönlichen
in der Seele ein, wodurch dann eine Disposition zu einem unmittelbaren Erkennen
und Durchdringen Gottes und seines göttlichen Wesens geschaffen wird. – Der
alte Mensch mit seinen eigenen Vermittlungen weicht dem neuen Menschen in
Christus im höheren unmittelbaren Eingehen in Gott.257
1667 |
Die Gottesschau Christi aber war infolge
seiner wesenhaften Einheit mit dem Vater unbedingt, unmittelbar, habituell. Die
mystische Gottesschau wird vom Glauben an Gott bedingt, Christus schaute den
Vater im Wesen Gottes – ohne Glauben. Er durchdrang das Wesen des Vaters durch
seine göttliche Wesenhaftigkeit als zweite göttliche Person. Darum besteht
zwischen der Gottesschau Christi als Mensch und der mystischen ein nie
auszugleichender Unterschied. Gewiss hatte ich oft ein Erfahren Gottes, dass
ich meinte: Höher als ich jetzt Gott bzw. den Heiland erfahren, geschaut und
durchdrungen habe, kann man es sich nicht mehr denken und ist es nicht mehr
möglich, weil mein Gott das Wesen doch schon durch und durch erfahren und
durchkostet hat, und doch habe ich dann noch viel höhere Stufen überschritten,
die also doch möglich waren.258 Und diese Erfahrung werden wohl alle
Mystiker haben. Gott teilt sich eben der Seele jeweils in der höchsten Weise
mit, die für die Seele möglich und erträglich ist; aber diese Möglichkeit kann
sich durch Läuterungsleiden und Aufgeben des Eigenen bzw. durch Aszese259
ständig steigern.
1668 |
Christus schaute zudem den Vater mit seinen
göttlichen Vollkommenheiten der Allwissenheit und mit der Kraft göttlichen
Durchdringens. Er schaut Gott-Vater „wie er ist“. Unser Erkennen dagegen im
Erfahren Gottes ist immer schwach, auch wenn wir es für das höchstmögliche und
unüberbietbare halten; unser menschliches Wesen ist eben bedingt und
beschränkt. Christus schaute ungehemmt und göttlich-unumschränkt den Vater und
mit seinem göttlichen Lichte durchdrang er ihn, während wie Menschen Gottes
Wesen sozusagen nur an der Oberfläche in diesem Leben erfahren können. In das
tiefere Wesen Gottes gehen wir erst nach dem Tode ein in unmittelbaren Schauen.
Die mystische Seele erfährt Gott, soweit es ihr zugeteilt wird; Christus
erkannte und „wusste“ den Vater, wie er ist. Mit seinem göttlichen Habitus
schaute und wusste Jesus den Gott-Vater. Und doch hatte er das Kleid seiner
Herrlichkeit abgelegt, und war außen ein armer Pilger wie wir. Es liegt
überhaupt ein unendliches Geheimnis der Liebe Gottes in der Menschwerdung
Christi: Gott und Mensch zugleich!
1669 |
Heute Morgen habe ich wieder tiefer in meine
geistige Entwicklung geschaut. Es wurde mir durch die innere Führung bestätigt:
Ich erlebe das innere Erlöserleben Christi und zu diesem Zweck gehe ich ein in
das Wesen des Erlösers, in seinen inneren Habitus. Mit diesem bin ich imstande
das innere Leben Jesu als das meine zu erfahren. Ich bin nun dort angelangt,
„wo Jesus schon als Mensch in mir besteht“ und sich noch immer vervollkommnet
(meinem inneren Habitus nach), soweit es eben Jesus gemäß seinen Absichten für
notwendig findet. Und „Jesus übergibt sich in allem dem Vater und der Vater ist
sein Gegenüber und ihm allein wird das Erlöserleben dargebracht, das als
'bewusst unterworfen' vom Sohne gelebt wird.“
1670 |
Der Vater ist nun auch mein „Gegenüber“, den
ich immer schaue, weil ich immer nur für ihn lebe und ganz auf mich verzichtet
habe. Dieses innere Verzichten vollzieht sich in diesen Tagen ständig, es ist
ein beständiges Aufgeben aller eigenen Lebensbetätigungen. Selbstlosigkeit ohne
Ausdruck hat Christus in seinem Menschenleben geübt und gelebt. Sein Leben war
nur dem Vater und seinen Brüdern geweiht. In diesem Sinne werde ich dem Heiland
angeglichen und deshalb kann ich auch nie in Worten annähernd die Tiefe meiner
inneren Entblößung begreiflich machen. –
1671 |
Wenn ich scheinbar immer wieder früher
Erwähntes wiederhole, so hat dies seinen Grund darin, dass auch Jesus schon
früher Erlebtes und Erklärtes in gewissem Sinne in mir wiederholt. Eine innere
Stufe baut sich auf der anderen auf, und um mir selbst den ganzen inneren Weg
begreiflich zu machen, stellt mir Jesus bzw. die innere Führung wiederholt das
ganze Bild meines inneren Weges260 im Zusammenhang dar; ich erlebe
dann Weg und Ziel nochmals in einer Wiederholung, aber meist auch Vertiefung
des inneren Erlebens. Durch die Armut der menschlichen Worte ist man aber
gezwungen, fast immer die gleichen Ausdrücke zu gebrauchen wie früher, wenn
auch das innere Erleben schon längst eine geistige Vertiefung und Erhöhung
erfahren hat. Im Grunde wiederholt sich das innere Leben einfachhin nie,
sondern jede Stufe und jede neue Entwicklung ist durchdringender und innerlich
umgestaltender; es ist eine ständige Vertiefung und Erhöhung, sodass man sagen
kann: Kein Tag ist dem anderen gleich und es vollzieht sich ein beständiges
geistiges Wachstum.
1672 |
Heute Morgen hatte ich den inneren Antrieb,
nach St. Peter zur hl. Messe zu gehen. Ich war in großer innerer Harmonie
bezüglich der Anforderungen der Gnade und in unaussprechlicher Bereitschaft
gegenüber dem Willen Gottes. Ich war ganz im Vater.
1673 |
Während der heiligen Messe kam es wie eine
geistige Welle über mich in der Einheit mit dem Vater und ich habe mich in
Jesus vor ihm ganz aufgeopfert, um Jesu, des Erlösers Stelle vor dem Vater
einzunehmen. Ich war ganz in Vertrauen und Hingabe an ihn und in diesem
grenzenlosen Vertrauen auf seine göttliche Allmacht habe ich vollständig auf
mich selbst und mein eigenes Sein für mein ganzes Leben verzichtet, um mich dem
Heiland für seine Erlöserstellung hinzugeben.
1674 |
Die innere Einheit in Jesu im Vater ist
wunderbar; der innere Friede und die Ruhe und Befriedigung über diesen Akt der
Hingabe ist überirdisch – ich kann kein anderes Wort dafür gebrauchen. – Mein
Leben ist für mich beendet und ich habe mich mit Jesus in die Arme des
allmächtigen, allerweisesten, allergütigsten Vaters begeben. In solchen
Gnadenstunden erfährt man wohl am tiefsten die Treue Gottes, die nie
enttäuschen kann und in der man für Zeit und Ewigkeit vollkommen geborgen ist.
Man geht auf im Wesen Gottes und verkostet, durchdringt, durchlebt die
unendliche Liebe Gottes. – Ich lebe ja Jesus, und sein Leben in mir ist die
sicherste Bürgschaft, dass ich immer in den Armen des Vaters ruhen werde.
1675 |
Es ward mir aber innerlich erklärt, dass diese
Aufopferung vor dem Vater eine große Bedeutung hat, die ich nicht zurücknehmen
könne, und dass der Vater mich dementsprechend aufnehme, und Folgerungen ziehen
wird. Vor dem Vater ist das „ernst“ gemeint, und dieser Akt bedeutet einen
neuen Abschnitt meines Lebens. – Ich bin aber so von Vertrauen auf den
himmlischen Vater erfüllt, dass ich keine Furcht oder Unruhe wegen meines
künftigen Lebens habe; denn der Vater macht alles gut.
1676 |
Ich bin derart über mein eigenes Sein sowie
über alle irdischen Dinge und über die ganze Welt hinausgehoben, dass es mir
schwerfällt, meine äußere Arbeit zu verrichten; es ist wie eine Ekstase des
Geistes; ich möchte immer „ruhen“ in dem, was mein „inneres Leben“ ist. Gewiss
stört mich die Arbeit gerade nicht im Erleben Gottes, aber der Geist ist wie
abwesend und das eigene irdische Leben hat nichts zu bedeuten. Ich möchte nur
rufen: Lasst, lasst mich „dort“ weilen, wo das wahre Leben ist, vollends in
Gott!
1677 |
Heute, während des Hochamtes in der Kapelle
wurde mir in besonderer Weise und klar wie nie der innere Geist des vom Heiland
gewünschten Priesterinstitutes gezeigt. Zugleich wurde mir so überzeugend
sicher wie noch nie vom Heiland versprochen, d. h. im Sein Jesu hatte ich die
unbedingte Sicherheit: Das Erleben des inneren Erlöserlebens Jesu ist der
Beweis dafür, dass Jesus bereit ist, neue, besondere Gnaden seinen Priestern zu
geben, Gnaden einer besonderen Lebenseinheit des Priesters mit Jesus. (Der
innere Begriff dieser versprochenen neuen Lebensgemeinschaft Jesu mit seinen
Priestern lässt sich nicht in Worten ausdrücken.)
1678 |
Es wurde mir die Wirksamkeit des Sakramentes
der Priesterweihe erklärt. Durch die Priesterweihe tritt der Priester gleichsam
die Stelle Christi an, nimmt er damit Christi eigene Tätigkeit, Lebens- und
Opferaufgabe auf sich und geht in eine Erlösergemeinschaft mit Christus ein.
Gewiss ist und bleibt Christus der alleinige Erlöser, doch der
Priestercharakter lässt den Priester an Christi Stelle treten, um die
Erlösergnaden wirksam den Seelen zu eröffnen und zuzuwenden. Christi Leben in
der Kirche ist ein verklärtes Leben; der Priester tritt durch seine Weihe und
Lebensgemeinschaft mit Christus kraft des Sakramentes des Priestertums in einen
stellvertretenden, leidensfähigen Christuszustand ein. Er soll jetzt
verwirklichen und betätigen, was Christus schon getan und ausgeführt hat. Dem
Priester obliegt die Aufgabe, die Erlösergnaden fruchtbar zu machen und die in
der Erlösung schon bereitgestellten Früchte den Seelen zuzuwenden.
1679 |
Diesen Priestercharakter kann nun ein Priester
mehr oder weniger fruchtbar in sich tragen und sich auswirken lassen. Nach
Gottes Ratschluss hängen aber für gewöhnlich die Wirksamkeit der Kirche und das
Heil der Seelen von der größeren oder geringeren Fülle und Betätigung des
priesterlichen Charakters und Geistes ab. Gewiss kann Gott durch einen weniger
vom wahren Geiste des Priestercharakters erfüllten und durchlebten Priester die
Seele retten – also mehr durch unmittelbares Wirken der Gnade Gottes in der
Seele -, aber der gewöhnliche und allgemeine Weg ist der mittelbare durch den
Priester. Deshalb ist auch nicht so sehr die äußere Tätigkeit das Letzte und
Entscheidende im Wirken des Priesters, sondern das Höchste und Wirksamste ist
in erster Linie sein innerer Geist. Der gelebte innere Geist des
Priestercharakters ist das weittragende Fundament für den Priester. Und dieses
Fundament im Priester ist Christus selbst. Christus rettet und heiligt die
Seelen durch den Priester, der durch seine Weihe in diesem „Christus-Charakter“
eintritt.
1680 |
Die geistige Fülle des gelebten priesterlichen
Christuscharakters hängt nun aber von einem mehr oder weniger tiefen und
ausgeübten Glaubensleben des Priesters ab. Der Priester darf sich nicht
begnügen mit einem allgemeinen, mehr theoretischen Glauben an Gott, sondern er
muss diesen Glauben in allem und in jeder Weise praktisch betätigen. Das mag
zunächst fremd und fast anstößig klingen, als ob der Priester im gewöhnlichen
Leben vielfach sich nicht vom Glauben an Gott leiten ließe – und doch wurde mir
heute ganz klar gezeigt: Die geistige Erneuerung des Priestertums hat ihren
Ausgangspunkt in einer Vertiefung und wahren Übung des Glaubens; das Bejahen
und Annehmen der Glaubensgnaden, bzw. der Forderungen und Gnaden eines wahren
Glaubenslebens ist das geistige Fundament des zu gründenden Priesterwerkes. –
Das Leben des Priesters stützt sich damit auf die einfachsten Formen wahren
christlichen Lebens. Alle Gnaden, die ein praktisch geübtes und bestätigtes
Glaubensleben erfordert und bietet, sollen vom Priester zuerst konsequent geübt
und gebraucht werden, und zwar in den einfachsten Forderungen
religiös-vollkommenen Lebens. Was er anderen lehrt, soll der Priester zuerst
selbst schon geübt haben.
1681 |
So sollen die Eigenschaften Gottes im Priester
ebenso wie im einfachen Volke ihre Bedeutung und Auswirkung finden können. (Es
würde zu weit führen, wollte ich alle diesbezüglichen Einzelheiten, auf die ich
hingewiesen wurde, anführen, wie z. B. die Folgerung aus dem lebendigen und
konsequenten Glauben an die Weisheit und Allmacht Gottes und seiner Vorsehung,
an die Güte, Barmherzigkeit, Langmut, Einfachheit und Treue.) Tatsächlich ist
aber vielfach und weithin im praktischen Priesterleben der (unausgesprochene
oder auch uneingestandene) Grundsatz herrschend geworden: Der moderne,
gebildete Mensch sorgt für sich selbst; er stellt praktisch Gott beiseite, tut
in vielem, als brauche er Gott nicht mehr und lässt dafür mehr seine eigene
Vernunft gelten.261 Damit entzieht aber Mensch und Priester den
göttlichen Eigenschaften und der göttlichen Gnade die Möglichkeit des Wirkens.
Dieser Geist und Grundsatz ist aber nur allzu sehr auch in das religiöse Gebiet
und Geistesleben eingedrungen und kann nur von einem vorbildlichen und
konsequenten Glaubensleben, von einer neuen, tiefen Glaubensströmung überwunden
werden. Die absolute Abhängigkeit des Menschen von Gott und seiner Vorsehung
und damit ein ersprießliches Leben aus und für Gott muss zuerst im Priester
sozusagen wieder verkörpert werden. Es wurde mir gezeigt, dass der Priester
sich eher noch in seiner Amtsstellung als in seinem privaten Leben an Christi
Stelle fühlt und doch muss das Privatleben des Priesters die Stufe sein, auf
der seine Amtswürde in Christus sich aufbaut. Wo das Erste fehlt, wird das
Zweite weniger fruchtbringend sein.
1682 |
Der Priester soll ganz und nur von den
Interessen Gottes, bzw. Christi und seines Reiches auf der Erde beherrscht und
erfüllt sein. Als Beispiel hierfür wurden mir die Emausjünger gezeigt: Sie
sprachen von dem, was sich zugetragen hatte und waren traurig: Ihr Herz war von
Christus und seinem traurigen Tode erfüllt – und Christus gesellte sich zu
ihnen. Ebenso wurde mir in Erinnerung gebracht das Wort des hl. Apostels
Johannes: Kindlein, liebet euch untereinander! – Christus soll zum
Lebensprinzip des Priesters werden, und zwar ebenso in seinem Privatleben wie
seinem amtlichen Leben. Christus soll Gestallt gewinnen im Priester.
1683 |
Ich schaute diesen Geist in dem zu gründenden
Priesterwerk verwirklicht und erfüllt. Aber – so schaute ich es innerlich – nur
einfache, fügsame Seelen können es sein, die fähig sind, sich zu diesem Ideal
bilden zu lassen. All jenen Priestern aber, die aufrichtig gewillt sind, auf dieses
tiefste Glaubensleben zurückzugreifen und sich davon erfüllen zu lassen, kommt
Christus selbst entgegen. Christus bietet sich dem Priester gleichsam
persönlich an. Christus durchdringt und durchlebt dann den Priester und führt
sich selbst im Priester immer mehr zur Herrschaft. – Ich schaute eine Heerschar
von Priestern, mit Christus umkleidet, vor dem Throne Gottes. Aus dieser
priesterlichen Heerschar bildet sich der Triumph der Kirche über die gottlosen
Zustände der heutigen Zeit.
1684 |
Ich schaute im Priesterwerk drei besondere
Merkmale: Glaube, Hoffnung und Liebe. Das Priesterinstitut baut sich
hauptsächlich auf der praktischen und konsequenten Übung und Betätigung der
theologischen Tugenden auf. Diese drei göttlichen Säulen tragen das gesamte
religiöse Leben mit allen Gnaden, die es bietet, und sie steigern es bis zur
höchsten Vollendung sittlicher Vollkommenheit in den einzelnen Mitgliedern.
(Auf mein Bedenken, dass solche Priester dann zu einfältig würden, ward mir
erwidert, dass mit den theologischen Tugenden auch die vier Kardinal- und alle
anderen Tugenden mit der christlichen Klugheit erblühen werden.) Der Priester
soll den Glauben durchleben und gleichsam alle Gnaden des Glaubens in sich
selbst erleben und ausschöpfen und262 im Glauben findet er dann
Christus als sein neues Leben. Christus soll das Leben des Priesters sein; das
heißt aber: Durch den Glauben wird Christus im Priester tätig, denn Christus
kann dann im Priester wirken, wenn das eigene „Ich“ der Selbstliebe und die
übertriebene eigene Vorsorge nicht mehr die Wirksamkeit der Gnade hindern. Wie
schon oft wurde mir auch heute wieder erklärt: Es gibt nur ein Mittel zur
Rettung der heutigen gottlosen Welt: Zurück zum kindlichen Glauben! Im
Priesterleben aber soll die Glaubensquelle eröffnet und vorbildlich vorgelebt
werden. Ich wurde hingewiesen auf das Beispiel der hl. Apostel: Warum wählte
sich Jesus die unverständigen, einfachen Fischer? Im geistigen Schauen ward mir
die Antwort: Die Schlichtheit des Geistes, die kindliche Annahme Gottes, bzw.
Christi und seiner Lehre sind das Fundament und die Grundlage, worauf Gott die
Erneuerung der Welt gestellt hat. – Als Frucht eines solchen tiefen
Glaubenslebens verspricht Jesus seinen Priestern sich selbst. Der Priester
findet dann ihn in seinem Inneren, in seiner Wirksamkeit in seinen Erfolgen:
Die Kraft Christi ist mit ihm. Und dieses Leben Christi in den Priestern wird
die Welt wieder erneuern und gläubig machen.
1685 |
Zu diesem tiefen Glauben tritt dann das Opfer
Christi im Priester. Kraft des Lebens Jesu in ihm vermag der Priester auch ein
Leben des Opfers zu führen, so dass Jesu Erlöserleben sich sozusagen im
Priester wiederholt. Dadurch steigt der Priester zur höchsten
Christusähnlichkeit empor und sein Leben wird in Christus neu wirksam, weil er
sich von Christus und seinem Geiste leiten und führen lässt. – Es ist aber
alles viel zu geistig und zu einfach, als dass man es in der erkannten Tiefe
wiedergeben könnte. Was man nur in trockenen Worten niederschreiben kann, das
muss das Licht Christi innerlich durchschauen und durchdringen. Der Heilige
Geist muss den eigentlichen Sinn der Absichten Christi für den Einzelnen
verständlich machen: Jesus führt den Priester in sich selber, in sein Inneres,
ein, und zwar auf dem Weg über das zu gründende Priesterinstitut.
1686 |
Ich schaute auch eine merkwürdige, große263
Ähnlichkeit zwischen den Gnaden, die Christus im Allgemeinen den Priestern neu
geben will, und den Gnaden der Vereinigung, die er mir gab.
1687 |
Schon vor mehr als zehn Jahren wurde mir
öfters vom Heiland gesagt: „Ich will dir ganz besondere, neue Gnaden geben.
Aber es werden insofern nicht 'neue' Gnaden sein, als es Gnaden eines
wirklichen fruchtbaren Glaubenslebens sind, um zu zeigen, welche Gnaden die
Erlösung der Menschheit durch meine Menschwerdung in sich schließt. Es sind
Gnaden der Ausschöpfung der Erlösungsgnaden, des Erlebens der Früchte der
Erlösung“. – Obwohl ich dies wiederholt meinen Führern mitteilte, verstand dich
doch nicht den Sinn dieser Worte Jesu, wenn auch eigentlich die ganze innere Führung
sich auf die Erfüllung dieses Versprechens Jesu hinrichtete. In den letzten
Jahren wurde mir vieles klarer, manches aber blieb dunkel. Jesus ließ mich
wiederholt schauen, ich würde alle Möglichkeiten der Glaubensgnaden durchleben,
bis zur höchsten Steigerung des Erlebens Jesu. Und zwar wurde mir mein
Innenleben im Voraus immer im Zusammenhang mit „neuen Gnaden für das
Priestertum“ gezeigt, zum Zwecke einer allgemeinen Erneuerung der Priester Jesu
versprach mir oft: „Ich will den Priester ähnliche Gnaden der Vereinigung mit
mir geben, wie ich sie dir gebe; und dies wird für die Priester zu einer
geistigen Erneuerung führen“. Und wieder: „Ich will die Priester zu einer
ähnlichen Vereinigung mit mir führen und Kraft dieser Vereinigung und Einheit
mit mir werden sie die heutigen Zeitübel in der Welt überwinden und ein neues
Glaubensleben schaffen. Ich gebe diese Gnaden der Not der Zeit und den
Bedürfnissen der Kirche entsprechend“. Und im Glauben an diese „neuen Gnaden“
für das Priestertum verlangte er, dass ich mich ihm ganz zum Opfer bringe, um
diese neuen Gnaden zu eröffnen. Heute erkenne ich im Großen den Zusammenhang
meines Innenlebens „mit den neuen Gnaden für die Priester“.
1688 |
Wie mich Jesus oft über mein Innenleben
belehrte, sind meine Gnaden der Vereinigung mit ihm „erworbene Gnaden“, zwar
mit einer besonderen Gnade erworben, doch auch mit beständiger eigener
Mitwirkung, wie auf gewöhnlichem Wege, gleichsam mit erworben, eben eine
Steigerung und ein Aufbau der Früchte des durchlebten Glaubenslebens, damit man
sehen könne, was man mit seiner Gnade vermag und welche Art der Vereinigung
durch die Mitwirkung mit den Erlösungsfrüchten erreichbar ist. Mein Innenleben
bleibt insofern dem inneren Streben nach „gewöhnlich“, d. h. es wurde mir nur
im außergewöhnlichen Erleben der Gnade der Weg und die Art der Vereinigung
sowie das Ziel und der letzte Zweck aller Gnaden bewusst gemacht. Freilich war
es doch wieder in dem Sinne außergewöhnlich, weil es eine höchste Anspannung
aller Seelenkräfte forderte und eine außergewöhnliche Einheit mit Jesus zum
Ziel hatte, was sich immer wieder im Voraus erlebte und durchkostet. Der letzte
Zweck all dieser „erworbenen Gnaden“ der Einheit mit Jesus ist das Erleben
Jesus bzw. seiner innerer Erlöserleiden, und seines Innenlebens als Frucht der
Vereinigung. Die Art meiner Vereinigung hatte zum Ziel ein Eingehen in Jesus
Inneres zum Zweck des Erlebens seines heiligsten Herzens. Das sei die letzte
Frucht dieses „erworbenen Lebens Jesu“.
1689 |
Im Zusammenhang mit den neuen Gnaden für das
Priestertum findet die Einheit des Priesters mit Jesu auf einem ähnlichen aber
gewöhnlichen Wege eine entsprechende priesterliche Auswirkung, eben seinem
heiligen Berufe entsprechend; es sind aber doch neue Gnaden der Vereinigung mit
Jesus, der Kraft, der sittlichen Vervollkommnung, einer besonderen wirksamen
Lebensgemeinschaft mit Christus. Jesus belehrte mich öfters: Mit dieser Art der
Vereinigung mit ihm würde ein neuer Geistesweg durchbrochen, der im
Priesterleben fruchtbar zur Auswirkung käme und eigentlich vornehmlich den
Priestern als neue Art der Berufungsgnaden in einer besonderen Vereinigung des
Priesters mit Jesus zugutekomme. – Der einzelne Priester aber müsse diese
Gnaden anstreben, die den Priester zu einer Vertiefung des Glaubenslebens
führen und damit zugleich befruchtend in das Volk eindringen werden.
1690 |
Vor Gott ist mein innerer Weg, dem angebotenen
Weg der Gnade in den Priestern ähnlich; in meinem Fall aber wird der wenig mir
durch besonderes Licht der Gnade klar bewusst, während die Gnade im Priester
weniger bewusst, aber infolge seiner hohen Berufung umfassender und
umfangreicher wirken, wenn der Priester ehrlich danach strebt. Es wurde mir
aber versprochen, dass diese erworbene Christus Gemeinschaft in manchen
Priestern sich auch in außergewöhnlichen Erfolgen zeigen wird. – Der Priester
steht ja durch seinen Beruf Gott näher und seine Christusverbundenheit soll
sich nach Gottes Absichten in seinem Priesterleben auswirken.264
1691 |
Ich war in einem außergewöhnlichen Zustand des
Einsseins in ihm, sein Leben in mir war mein Sein, und da versprach er mir
wiederum: „So wie mein Sein und Leben sich in dir steigern zum Erleben und
Erfahren meines inneren Erlöserlebens und -leidens, so wahr werde ich diese
neuen Gnaden (die ich dabei innerlich erfahren und begriffen habe), die Gnaden
meines besonderen Lebens den Priestern geben“. – Es war keine Täuschung und es
ist mir sicher: Jesus führt die Priester in sich selber, in sein Inneres ein,
auf dem Weg über das zu gründende Priesterinstitut. Beweis dafür wird sein mein
Erleben des Innenlebens Jesu. Ich habe schon öfters ganz klare, sichere
Eindrücke dieses göttlichen Versprechens erhalten, aber die heutige Gnade hat
alle bisherige Sicherheit noch überboten.
1692 |
Jesus stellte dann an mich die Frage und
Forderung: „Willst du dieser Beweis werden und sein?“ (Dabei stand das innere
Leben und Leiden Jesu mir offen, um darin einzutreten.) – „Ich habe nie etwas
anderes gesucht als dich allein, und mit dir will ich265 alles, was
du in dir selbst bist!“ – Alles aber, was ich heute innerlich erfahren und hier
beschrieben habe, spielte sich nicht mit Worten ab, sondern rein geistig, im
Verstehen und Aufnehmen und Zurückgeben, und zwar schneller als mit
Gedankenschnelle, nämlich im Erfahren des Seins und Wesens Gottes, das ich in
mir erlebe. Ich war nun ganz dem Leben dieses „Beweises“ hingegeben und
ausgeliefert, aber in großem Frieden: Denn in Gott gibt es trotz aller Leiden
nur Friede und Freude des Geistes.
1693 |
(B. soll dieses Lebens des Glaubens vorerst in
sich verwirklichen, auch in seinem persönlichen Leben sich ganz vom Geiste
Christi beherrschen lassen. „Die Liebe Christi und das Leben Christi drängt
mich“, das sei der Inhalt seines ganzen inneren und äußeren Lebens. – Die Liebe
Christi wieder vorleben, die Liebe Christi zeigen und verwirklichen, zur Tat
des Priesters machen! Er soll vorher üben, was er anderen zur Pflicht machen
muss. Er muss vorher zum Ideal der Absichten Jesu werden.)
1694 |
Heute nach der heiligen Kommunion und
teilweise schon gestern erkannte ich in wunderbarer Weise und in tieferen
Zusammenhang das Geheimnis der zweiten göttlichen Person in der Erlösung,
Christus als das Haupt der Menschheit, Christus als der „erste Mensch“.
1695 |
In innerem Erkennen und Wissen wurde ich bis
auf den letzten Grund zurückgeführt und hineingeführt in das Geheimnis der
Heiligsten Dreifaltigkeit. Der Vater gedachte von Ewigkeit her die Welt zu
schaffen für die zweite göttliche Person, die Mensch werden und damit Urbild
und Vorbild ähnlicher Geschöpfe sein sollte, welche der Vater schaffen und
gleichsam an seiner verschenkenden und mitteilenden Liebe teilnehmen lassen und
dadurch beglücken wollte. Urvorbild für die Erschaffung des Menschen ist das
ständige Zeugen und Hervorgehen der zweiten göttlichen Person vom Vater und das
immerwährende Sich-wieder-zurückgeben in jubelnder göttlicher Einheit des
göttlichen Wortes im Vater. Diese heilige göttliche Einheit und Gemeinschaft
der göttlichen Personen sollte in dem zu schaffenden Menschen gleichsam eine
Nachbildung finden. Man kann dieses Geheimnis nur in den kurzen Worten fassen:
Geheimnis der Liebe Gottes; Gott ist die Liebe; der Vater ist die erschaffende
Liebe. Aus Liebe „wollte er erschaffen“, und zwar Wesen, denen er sich ähnlich
wie seinem göttlichen Sohne schenken und von denen er wiederum Liebe empfangen
wollte. Der erste „Gedanke Gottes“, der Urantrieb, war nur Liebe und Liebe
wiederum – wie im ungeschaffenen Worte – wollte er empfangen. – Für diese
jubelnde Einheit des sich im Sohne in der Liebe des Hl. Geistes schenkenden Vaters
gibt es kein menschliches Wort; es kann nur im inneren Wissen und Erkennen
erfasst werden.
1696 |
Gott Vater hatte „große Gedanken“ (um sich
menschlich auszudrücken), als er den Menschen erschaffen wollte. Gottes
innergöttliche Ideen waren ihm zum Vorbild. Nach dem Ebenbilde Gottes hat sich
Gott Vater die Form der Menschen „gedacht“ und zum Ziel gesetzt. So, wie der
Mensch aus seiner Hand entstehen sollte, so sollte in der Zeit die zweite
göttliche Person inmitten der Menschheit wandeln. In ihr sollte die freie,
selbstständige Liebesbetätigung Gott gegenüber in menschlichen Akten geübt
werden.
1697 |
Der Mensch, nach Gottes Ebenbild und Vorbild
aus des Vaters Schöpferhand entstanden, blieb aber durch freie
Willensentscheidung nicht in diesem gottgewollten Zustand und fiel in den
Zustand der Feindschaft Gottes, den wir die „Sünde“ nennen. Oft schon habe ich
dieses Geheimnis des Falles der ersten Menschen und ihre herrliche, von Gott
geschenkten ersten Gütern innerlich geschaut, und doch dringe ich immer wieder
noch tiefer ein in das Wesen dieser bei der Erschaffung gegebenen geistigen
Güter und in deren Zusammenhang mit der zweiten göttlichen Person als dem
Haupte der Menschheit sowie in die Ebenbildlichkeit des Menschen mit der
göttlichen Person des Wortes. Heute aber habe ich diese gottgedachte
Ebenbildlichkeit des ersten Menschen mit dem ungeschaffenen Worte wohl am
tiefsten erkannt und ich „weiß“ nun um dieses Geheimnis. „So wollte es Gott
Vater“. Urvorbild in der Erschaffung des Menschen war das Geheimnis der heiligsten
Dreifaltigkeit.
1698 |
Nach dem Sündenfall blieb der göttliche Plan,
im Wesentlichen bestehen. Gott änderte in der Hauptsache, prinzipiell, nicht
seinen Plan. Er schuf sich Ersatz in seinem göttlichen Sohne; der eine Mensch
Christus diente Gott dem Vater als Ersatz für die ganze Menschheit. – Christus
kam nun nicht in der herrlichen leidensunfähigen Gestalt, wie es ohne den Fall
der ersten Menschen geschehen wäre; er kam in der Gestalt des Ersatzes, des
Genugtuers. Sein innergöttliches Leben im Vater und mit dem Vater blieb das
gleiche. Der Vater „sandte das Wort“ in leidensfähiger Gestalt, in der Gestalt
des Sünders, indem Christus alle Leiden des Sünders auf sich nahm, alle Leiden,
welche die Sünde in die Welt brachte. Christi inneres Verhalten blieb das
gleiche an Reinheit und Heiligkeit wie einst im Vater, aber dieses göttliche
Verhältnis des Sohnes zum Vater betätigte sich durch die Akte der menschlichen
Seele. (Das wäre zwar auch im leidensunfähigen Zustand Christi der Fall
gewesen, aber die Akte hätten dann den Verklärungszustand an sich getragen.) –
Die Seele Christi im Erlöserzustand war leidensfähig gleich unserer Seele;
statt des Verklärungszustandes trug sie in sich den Sühnezustand, den Charakter
des Ersatzes für die ganze Menschheit.
1699 |
Jesus Christus machte sich als Haupt der
Menschheit vor dem Vater zum verantwortlichen Träger aller Menschenseelen. Die
Akte der Seele Christi waren ebenso heilig, wie seine göttlichen
Liebesbetätigungen im Vater vor seiner Menschwerdung; es266 waren
die gleichen göttlichen Akte, nur mit dem Unterschied, dass sie durch seine
Seele in menschlicher Betätigung dargebracht wurden. Es blieb ja die
beherrschende Einheit des einen Gottes bestehen. Die wesentlichen göttlichen
Akte (um ein Wort für diese gegenseitige göttliche Betätigung zu gebrauchen und
die Wirklichkeit des Erkennens zu bezeichnen) sind ein Sein, ein seiendes
Verhältnis. Diese seiende göttliche Betätigung zwischen Vater und Sohn blieb
auch im Menschen Christus erhalten, nur mit dem Unterschied, dass nun durch die
Menschheit Jesu diese wesentlich-göttliche Betätigung dem Vater zuströmte.
1700 |
Diese innergöttliche Betätigung der drei
göttlichen Personen ist das wunderbarste Geheimnis der Heiligsten
Dreifaltigkeit. Ich schaue und durchschaue dieses Geheimnis, ausgehend von dem
Vereinigungszustand, den ich in Christus erreicht habe, d. h. eben in einem
ähnlichen Zustand im Vater. – Es ist ein Zustand innerer göttlicher
Gleichförmigkeit, ein beständiges „Ja“ zueinander, nicht ein „Ja“ des Wortes,
sondern des Lebens und Vollbringens und schon Vollbracht-Habens und des
Harmonierens im höchsten wesentlichen Sinne.
1701 |
Alle leidensfähigen und zugleich leidenden
Betätigungen der Seele Jesu im Erlöserzustand waren ersatzkräftig,
sühnebetätigend durch die eigenartige Verbundenheit Christi des Hauptes mit der
gesamten Menschheit; dadurch kamen sie notwendig allen Seelen zugute; denn
Christus als Haupt trug gleichsam alle Menschenseelen in sich. Dies lag schon
im Urplan Gottes, den er im Wesentlichen nie geändert hat. So sehr war in den
Gedanken Gottes von Anfang an die zweite göttliche Person mir der geschaffenen
Menschheit verbunden.
1702 |
Durch die Betätigungen der Seele Christi
gegenüber dem Vater – Betätigungen, die göttlich waren – vollzog sich der
geistige Erhebungsprozess der gefallenen Menschenseele. In Christus wurde die
sündige Menschheit wieder „gottfähig“ gemacht, wieder zu Gottes Freundschaft
erhoben. In den Akten der Seele Christi vor dem Vater wurde unserer sündigen
Seele die Möglichkeit der Heiligung gegeben, wurde sie für gottgefällige Akte
fähig gemacht; denn niemand kann zu Gott kommen, dem es nicht von Christus
verdient und damit vom Vater gegeben wird. Das Erheben des Todsünders aus
seinem tiefen Fall bis zum höchsten Tugendleben und zur innigsten Vereinigung
mit Gott ist ermöglicht und vermittelt durch die menschlich-göttlichen Akte
Christi gegenüber dem Vater. Es gab keine Sünde, deren Christus nicht gedacht
hätte, und es gibt keine Sünde, die nicht vergeben werden könnte, weil eben
Christus als Erlöser dieser Sünde und des Sünders gedacht hat. Christus
erschauerte beim Anblick der Sünde und dieses Erschauern ward zum gottmenschlichen
Anerkennen vor Gott und brachte der Seele des Sünders die Heilung und Erlösung
von der Gewalt der Sünde; die betreffende sündige Seele wurde dadurch fähig der
Hinwendung und Erhebung zu Gott.
1703 |
Mit diesen stellvertretenden Verdiensten
Christi ist für den einzelnen Sünder nicht nur die Sündenvergebung von Gott
erlangt worden, es ist auch – bei ernstem Mitarbeiten – die innere Befreiungs-
und Erhebungsmöglichkeit mitverdient worden. Der Mensch kann nun im Vertrauen
auf die schon erworbene Erlösergnade Christi sich in erster intensiver
Mitarbeit mit den ihm zufließenden Gnaden befreien und erheben zur Freiheit
eines wahren Gotteskindes, die durch die Sünde und deren Folgen verloren ging.
Die seit Ewigkeiten von Gott geplante Kindschaft kann wieder zu einem dauernden
Verhältnis zwischen Gott und der Seele werden. Gott-Vater wollte ja in seinem
Menschheitsplan ein vollkommenes Kindschaftsverhältnis begründen, indem uns die
göttliche Person des Wortes Vorbild ist.267 Was durch den Fall Adams
unmöglich und zerstört wurde, das ist durch Christus wieder möglich und
aufgebaut worden.
1704 |
Ich habe heute so ganz klar geschaut und
begriffen: Gott wollte mit der Erlösung nicht nur die Sündenverzeihung
ermöglichen, sondern in den Erlöserverdiensten ist auch eingeschlossen die
Pflicht der Mitarbeit der einzelnen Seele und dadurch die Möglichkeit der
Befreiung von der Sündhaftigkeit in aufsteigender Reinigung der Seele von den
Fesseln der Sünde. Es wurde mir innerlich erklärt: Nur das Erstere annehmen,
hieße die Erlösungsverdienste Christi schmälern und sie nicht in ihrer ganzen
Konsequenz und Folgerichtigkeit annehmen. Es muss in der erlösten Seele das
Streben vorhanden sein, kraft der Verdienste Christi eine Vollerlösung zu
erreichen. Ja, ich schaute in großer geistiger Klarheit und Sicherheit: Jede
erlöste Seele soll wieder das erste Kindschaftsverhältnis zu Gott anstreben,
wie es im Paradies begonnen hat, um eben in diesem Leben oder wenigstens nach
dem Tode in jenem höchstmöglichen Vollbesitz Gottes gelangen zu können. So lag
es im Plane der Erlösung und Menschwerdung Christi, und es hieße der Gnade
Gottes und seiner unendlichen Liebe und Barmherzigkeit268
widersprechen, wollte man diese Absichten Gottes für unmöglich oder unnötig
oder überflüssig bezeichnen.
1705 |
Der Mensch soll wieder zu einem möglichst
vollkommenen Kindschaftsverhältnis zu Gott gelangen, ähnlich wie es sich im
Christus dem Vater gegenüber begeben hat; er ist uns ja, und zwar von Ewigkeit
her, Weg und Vorbild. In wunderbarer Klarheit und geistiger Sicherheit schaute
ich heute diesen vollkommenen und vollendeten Erlösungsplan Gottes. In diesen
Erlösungsplan soll jede erlöste Seele ihr religiöses Leben einbauen und darin
fruchtbar werden lassen. Was uns durch den Fall Adams verloren ging, ist uns
durch Christus wiedergeschenkt und ermöglicht worden. Damit wird jener
göttliche Liebeskreislauf wieder hergestellt, den die unendliche Liebe Gottes
sich von Ewigkeit „erdacht“ und festgelegt hat. Gott will die einzelne Seele an
seiner ewig beglückenden Liebe voll teilnehmen lassen; der Mensch soll sich
Gott wieder zurückschenken, ähnlich wie es sich im Geheimnis der heiligsten
Dreifaltigkeit in Ewigkeit vollzieht. Die einzelne Seele wird so weit
hineingezogen in dieses Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit, als sie sich
kraft der Erlöserfrüchte Christi durch eine tatkräftige eigene Miterlösung von
der Sünde in diesem Leben mit Gott verbunden hat.
1706 |
Ich habe so klar begriffen: Gottes unendliche
Liebe will in unseren Zeiten dieses Geheimnis neu erkannt haben und er ist bereit,
der einzelnen Seele mit entsprechenden Gnaden entgegenzukommen. Gott will, dass
die einzelne Seele seine schon verdiente Gnade anfordert und sich
dementsprechend den Anforderungen der Gnade überlässt und die einzelne Seele
soll auch Gott mit ihrem Streben entgegenkommen.269 Besonders soll
dieses Streben, und dieser Geist das geistige Ziel und die Grundlage des zu
gründenden Priesterinstitutes werden. Der Priester ist ja in erster Linie zum
Leben des Kindschaftsverhältnisses mit Gott berufen und gerufen in Christus,
dessen Stelle der Priester infolge seiner Berufung270 zu vertreten
hat.
1707 |
Ich bin in einer unaussprechlichen geistigen
Ausgeglichenheit wie noch nie. „Ich bin bereit, einzugehen in das Leben des
menschgewordenen Wortes.“ Ich weiß um die Tragweite dieses Schrittes, der mir
bevorsteht, aber es ist keine Furcht oder Unruhe in mir; ich bin lauter
Vertrauen auf den Vater, in völliger Harmonie mit ihm.
1708 |
Es ist alles wunderbar einfach in mir, aber es
ist vieles in mir, was sich in Worten nicht aussprechen lässt, weil es dafür
ein menschliches Wort nicht gibt, weil es zu einfach ist. Mein geistiges Leben
ist nicht Erleben, sondern Sein!
1709 |
Mein inneres Sein (des Lebens Jesu) als MEIN
Zustand durchdringt mich und erweitert sich in mir immer mehr. Es ist alles
mein, was ich bin: ich bin „mir selbst alles, bin mir selbst zum Ziel“. Aus
diesem „meinem eigenen Sein“ heraus vervollkommnet sich fortschreitend noch
weiter alles in mir.
1710 |
Heute in St. Peter bat ich die Hl. Apostel
Petrus und Paulus um ihre Führsprache bezüglich der Gründung des gottgewollten
Priesterinstitutes. Da kam ich in eine merkwürdige geistige Verbindung mit
ihnen und ich bin nun mittels einer inneren Erkenntnis „ihrer heiligen
Gemeinschaft zugestellt“. Ich bin in einer vertrauten geistigen Gemeinschaft
mit den heiligen Petrus und Paulus.
1711 |
Ich bin in mir so unaussprechlich froh und
glücklich, weil ich in mir und mit mir in so wunderbarer Harmonie und Einheit bin.
Ich „kann alles, was ich will“ und bin in mir so selig und glücklich und
wunschlos.
1712 |
Es ist etwas wundersam Großes, was Jesus in
mir aufbaut und ich weiß darum: Ich bin gerufen, das „Leben des menschgewordenen
Wortes zu leben“, das menschliche Leben Christi vor dem Vater zu wiederholen.
Nicht dass Christus sich wiederhole, aber das innere Leben Christi, sein
verborgenstes Geheimnis vor dem Vater soll dadurch geoffenbart und erneuert
werden. Grundbedingungen für diesen inneren Zustand in Christus ist die
Vollkommenheit, die innere Gleichförmigkeit und Ausgeglichenheit seines mir
mitgeteilten Habitus, um dadurch dem göttlich-wesentlichen Habitus des Vaters
nahezukommen. (Ich bemerke ausdrücklich: Soweit dies für die Absichten Gottes
in mir notwendig ist; denn wer könnte je sich rühmen, Gott gleichzukommen?)
1713 |
Mein Innenleben wird nicht mehr durch spürbare
Erleuchtungen geleitet; es beruht gleichsam auf eigene Entwicklung; das „Leben“
ist zugleich Licht, um innerlich zu leben und zu werden. Das Leben Christi in
mir führt mich und ist mir selbst zum Ziel. Es ist wie eine selbsteigene
Inspiration, eine Selbstführung, die in der Beschlagnahme meiner Geistes- und
Seelenfähigkeiten durch Jesus ihren Grund hat. Ich möchte sagen: Ich lebe in
unaussprechlicher, seelischer „Finsternis“; mein Verstand ist an meinen inneren
Erlebnissen wie nicht beteiligt; aus der Tiefe meines Seins entströmt das Licht
des „Lebens“. Diese geistige eigene Finsternis ist eigentlich der „Finsternis
und Trockenheit“ in den gewöhnlichen seelischen Aufstiegen zur mystischen
Vereinigung mit Gott ganz ähnlich, nur sehr verschärft, verfeinert271
und eingebaut in die besondere Berufung.
1714 |
In den Zeiten der „Finsternis“, die der
mystischen Gnadenordnung eigen sind, kann auch der eigene Verstand usw. sich in
gewisser Hinsicht nicht betätigen; es scheint alles tot und lahmgelegt. In
solcher „Finsternis“ kann die Seele nicht mehr betrachten, nicht eindringen in
vorher gewohnte geistige Betätigung; sie bleibt trotz aller Bemühungen leer und
trocken. In diesen Zeiten wird die Seele einer wirksamen Reinigung unterzogen,
damit sie Gottes Wesen und Vollkommenheit in umso hellerem Licht erleben und
erfahren kann. In Wirklichkeit bleiben in solchen Leidenszeiten wohl die
seelischen Betätigungen bestehen, aber gewisse Reaktionen Folgen und Erlebnisse
bleiben aus, sodass sich die Seele gleichsam umsonst bemüht. Umso mehr aber
wird durch diese infolge der inneren Finsternis erzeugte geistige Leere für das
kommende Einströmen der Gnade und des Besitzes Gottes Raum und Lichtmöglichkeit
geschaffen. Der Grund für diese seelischen Leiden ist also das Verlassen-Können
und Aufgeben selbst erzeugter Reaktionen und selbst geschaffener geistiger
Befriedigungen, um dem Einfluss und dem besonderen Wirken der Gnade Gottes Raum
und Lebensmöglichkeit zu schaffen. Darum ergibt sich nach einer solchen
überstandenen Leidensperiode für die Seele eine immer noch größere Freiheit von
sich selbst, ein inneres Gewachsen-sein und ein höheres Aufnehmenkönnen Gottes.
Gott und mein Besitz, das Glück und der Trost der Vereinigung mit Jesus kann
dann in einem höheren Grade erlebt und erfasst werden als es auf den
vorhergehenden Gnadenstufen oder mit eigener Betätigung und Bemühung möglich
war; es ist ja nun nicht selbst Erzeugtes, sondern eine von Gott geschenkte
wirksame Gnade der Vereinigung.
1715 |
Eigentlich hat sich mein ganzes Innenleben auf
dieser Grundlage aufgebaut. Ich erinnere mich noch an die ersten Anfänge der
Leiden innerer Finsternis schon in meinem 16. und 17. Lebensjahr; sie
steigerten sich dann immer mehr und dehnten sich zeitlich aus. Das Produkt und
Grundergebnis dieser inneren Leiden in ihren verschiedenen Formen ist immer die
Reinigung der Seele von ihrer Selbstliebe und ihren eigenen Selbstbefriedigung.
Die verdorbene Natur muss ertötet und gleichsam ausgeschaltet werden, soll Gott
und seiner Gnade freier Spielraum gesichert sein. – Es wird wohl jede mystisch
geführte Seele die Erfahrung gemacht haben, dass auch in Gnadenzeiten – wenn Gottes
Sein wieder die Seele erleuchtet und erfüllt – die eigene Tätigkeit der Seele
zum großen Teil schweigen muss. Gewiss bleibt die Seele Gott gegenüber aktiv,
insofern sie die gebotene Vereinigung mit Gott annimmt und sich damit
entsprechend der Führung der Gnade betätigt, aber das Einströmen Gottes in der
mystischen Gnadenordnung ist und bleibt für die Seele immer passiv. Ja, mit dem
fortschreitenden Innenleben steigert sich die Passivität. Gott kommt zu seiner
Zeit und nimmt die Seele in Besitz; die Seele lässt das Wirken der Gnade in
sich geschehen und gibt sich ihr immer unumschränkter hin; die eigenen
Betätigungen der Seele schweigen immer mehr. Ebenso ändert sich die Gebetsweise
der Seele, die immer mehr zur „empfangenden“, zur „geführten“ wird. Die mystische
Vereinigung mit Jesus nimmt immer mehr den Charakter der Passivität an. Gott
„nimmt“ die Seele zu seiner Vereinigung, während ihre eigene Betätigung
gleichsam stillzustehen scheint. Das Wirken der Gnade geht in eine eingegossene
Art über. Ich erinnere mich dieses Überganges genau. Es fiel mir sehr auf und
es war mir, als bliebe mein eigener Verstand während der Zeit der mystischen
Vereinigung mit Jesus still. Wenn Jesus zur Seele spricht und sie in sich
hineinzieht, dann lässt diese es geschehen und nimmt auf, was ihr von Gott
geboten wird. Gewiss bleiben die Seelenkräfte der betätigende Faktor und
vollzieht die Seele die bereitende Hingabe zum Wirken Gottes, aber diese
Bereitschaft selbst ist dem Einfluss der Gnade überantwortet.
1716 |
In den Zeiten der Prüfung nimmt mit der
steigernden Vereinigung mit Gott die innere Finsternis nur noch zu. Es scheint
alles Eigene verdeckt zu werden, um die überirdischen Güter desto reichlicher
empfangen zu können. Doch gerade in diesen Zeiten der inneren „Finsternis“ empfängt
diese Seele in gewissem Sinne großes „Licht“ über ihre göttliche Führung. Gott
wird zum Licht in der Finsternis der geistigen Nacht. Gott verzehrt das Eigene
in der Seele und baut sich selbst in ihr ein, bis jene charakteristische
Gleichförmigkeit und Einheit in der Seele geschaffen ist, die sie für die
geistliche Vermählung fähig macht. Da wird dann die Seele in einer dauernden
und unwandelbaren Vereinigung mit Gott verbunden. Auch darüber hinaus bleibt
aber die innere Finsternis und „Verlassenheit“ das charakteristische Leiden der
Seele, wenn es auch andere, höhere und feinere Formen annimmt. Es wird zum
verzehrenden, in höchster Weise reinigenden Feuer, das eigentlich in der Seele
nie ganz und völlig aufhört, wenn es auch zeitweise unterbrochen wird. Je höher
das Ziel Gottes für die Seele ist, desto mehr nimmt Gott den ganzen Menschen
für sich in Gebrauch und desto mehr erhöhen sich die inneren und äußeren Leiden
und Bedrängnisse. In dieser Hinsicht kann man Gott einen „zerstörenden Gott“
nennen. Nicht, dass er die Seele zerstört, sondern er löst sie gleichsam in
sich auf und führt sie zu einer Neuordnung, in der er sich selbst zum Gebieter
und Beherrscher einbaut. In unaussprechlicher Weise habe ich diese Art des
eigenen Zerstörens in mir mittels der Gnade und Führung Gottes erlebt und
durchlitten. – Im Grunde geht wohl jede Seele, die nach Vollkommenheit strebt,
diesen Zerstörungsweg des Eigenen – ob ihr das bewusst wird oder nicht; der
alte sündige Mensch kann eben nicht zusammen mit Christus bestehen. Das Leben
Christi in der Seele, also Gott selbst verzehrt und unterdrückt das
Menschliche, Sündhafte in der Seele und führt sich selbst zur unumschränkten
Herrschaft, und zwar in einem geheimnisvollen Reinigungsprozess.
1717 |
Mein inneres Leben verlief bis zu meinem
jetzigen Zustand in einer ähnlichen Reinigungsordnung, wie es sich im
gewöhnlichen mystischen Leben begibt. Als letztes und höchstes Ziel in meinem
Innenleben wurde mir vom Heiland immer die Zerstörung meines Eigenen und als
Folge und Ersatz das Leben Christi vorausgezeigt: in Christus eingehen, in ihm
im Vater leben, Christi Leben in mir wiederholen und es zur Folgerung machen.
1718 |
Dieses Leben Jesu, das er mittels seiner
besonderen Führung und Aufgabe mich auf einer gewöhnlichen mystischen Grundlage
erwerben ließ, soll sich in einem Nacherleben der Kindschaft bzw. Sohnschaft
Christi dem ewigen Vater gegenüber ausprägen. Damit werde ich in eine
nachgebildete Sohnschaft Christi eingeführt, die grundbedingt ist im Urplan Gottes,
in dem Kindschaftsverhältnis der Menschheit zum Vater, wofür der göttliche Sohn
das ewige Urbild ist. Diese mit der besonderen Gnade erworbene Kindschaft und
Sohnschaft Christi in mir eröffnet mir die Erlebensmöglichkeit für das innere
Erlöserleben, für das innere Leben des erlösenden Christus, nachdem eben die
oben beschriebene Umwandlung des alten, gefallenen Menschen in den neuen in
Christus verdienten, erlösten und endlich in ihn umgewandelten und in ihn
erhobenen Menschen sich vollzogen hat.
1719 |
Geheimnisvoll still, aber unaufhaltsam trotz
seiner Unwürdigkeit und Armut wächst mein Innenleben bzw. das Leben Jesu in
mir. Auf dem früheren Stufen des inneren Aufstieges entwickelte sich alles
„auffälliger und gleichsam geräuschvoller“; der Wechsel zwischen Gnadenzeiten,
d. h. fühlbaren Erlebnissen, und Leidenszeiten kam mir damals in einer mich
tiefer bewegende Art zum Bewusstsein, während jetzt mein Innenleben in eine
merkwürdige, fast gleichbleibende Ruhe gehüllt ist. Doch in dieser Ruhe wird
Jesus „groß“ in mir; es ist ein geheimnisvolles „werden lassen“ in mir, das ich
mich mit allen Kräften bereitstelle. Ich werde zum „Träger“ des neuen Lebens,
dem ich meine geistigen Fähigkeiten überlasse und hingebe. Ich weiß auch keinen
Schritt weiter und es ist alles in meinem Innenleben Kommende in großes Dunkel
gehüllt; nur die Bewegung des Lebens Jesu sind das Licht, das mir vorwärts
zeigt. Ich bin mir selbst wie weggenommen, was den eigenen Lebensgenuss und
Lebensertrag betrifft, den man im gewöhnlichen Leben hat und haben muss. Eine
große Finsternis hat gleichsam mein eigenes Leben bedeckt, sodass ich es nicht
mehr für mich schauen und erleben kann, doch diese Finsternis wird zum
aufgehenden Licht für Christi Leben in mir.
1720 |
Es scheint somit eine gewisse Trennung in mir
sich zu vollziehen, als ob sich meine Geistesfähigkeiten von mir trennten, um
sich in immer höherem Ausmaß der göttlichen Person Christi zu unterstellen.
Ich, d. h. meine eigene Person steht „leer“, ist für das eigene Leben wie
arbeitslos geworden, wie beiseitegestellt, und lässt das „andere Leben“ in mir
emporwachsen. So wird mein früheres, gewöhnliches Leben zum Träger des neuen
Lebens. Und doch scheint alles mein Sein zu sein, ohne Teilung. Die inneren
Anforderungen des Lebens Jesu wie geheimnisvolle Bewegungen, die meine Hingabe
immer vollendeter und vollständiger beanspruchen; ich werde genommen, um Jesus
ein möglichst vollkommenes Leben zu bieten. Gewiss braucht es dazu meinerseits
auch eine willentliche272 Selbst-Mitarbeit, doch die Passivität
überwiegt weit die Aktivität; es ist mehr ein „Geschehen-lassen“ und „mich ganz
zur Verfügung stellen“. Die begleitenden Leiden dieses inneren „Wachsens“ sind
aber fast ständig andauernd, weil es für die Natur ein Schmerz ist, dass sie
ihrem guten Recht und Genuss, für sich zu leben, fast oder schon ganz entzogen
ist.
1721 |
Jedes Leben drängt naturgemäß zum
Selbstbehaupten und Selbstgenießen, aber in meinem Falle entwickelt sich eine
bedeutungsvolle Umschaltung dieses berechtigten „Lebens für sich selber“. So
fest und treu273 steht ja jeder Mensch in sich selber – das ist ein
großes Geheimnis der Menschenseele -, dass es ihr unter gewöhnlichen
Bedingungen wie unmöglich ist, in die Lebensbedingungen einer anderen
Menschenseele einzugehen. Die Seele ist absolut ein Einzel- und Eigenwesen und
kann sich nie mit einem anderen, ähnlichen Wesen verwechseln oder sich in eine
andere Seele auflösen. Die einzelne Seele ist ewig in dem ihr eigenes Wesen
begründet.
1722 |
In meinem Fall kann ich dem Heiland meine
Kräfte leihen und zur Verfügung stellen, aber es bleibt immer meine eigene
Seele, in der sich dieses stellvertretende Leben Jesu entwickelt und vollzieht.
Wenn die göttliche Person Christi gewissermaßen die Stelle meiner Person
übernimmt, und meine eigene Person auszuschalten scheint, so ist es in
Wirklichkeit doch eine Über- und Umschaltung meiner Fähigkeiten auf die
göttliche Person, die nun in gewissem Sinne die Funktionen meiner Person
übernimmt und der meine Person ganz zu Diensten gemacht und durch viele, viele
Läuterungsleiden so angeglichen ist, dass Christus mir in seiner Person das
Überragende und Beherrschende bieten kann. Nie aber kann man die
Eigenständigkeit seiner Seele274 verlieren, nicht einmal zugunsten
Gottes und seiner höchsten Absichten.
1723 |
Das einzige „Licht“, das mir in meinem Dunkel
leuchtet und mir meine Richtung zeigt, ist das Licht des „Lebens“ selbst, das
ich in Jesus „lebe“. Das Leben ist selbst Licht: Es sind also lichtvolle
Bewegungen, die mir die innere Richtung weisen. Gestern gab mir das „Leben“
oder das „Sein“ in mir zu erkennen: „Mein inneres Gnadenleben sei einem
impulsiven Antrieb überantwortet, der von mir selbst nicht kontrollierbar ist“.
Obwohl ich diese „Worte“ nicht verstand, empfand ich doch das Licht und die
Wirkung dieser Mahnung, weil ich zu dem genommen wurde, was damit gesagt war.
„Die inneren Bewegungen des Lebens Jesu bewegen mich und nehmen mich mit“; das
ist jetzt mein inneres Leben. Für mich bedeutet diese innere Führung:
Unwillkürliche Bereitschaft und Fähigkeit, mich „mitnehmen“ zu lassen,
unbedingte Notwendigkeit, mich dem seienden Zustand Christi in mir
anzuschließen und in die seiende Ruhe aufgenommen zu werden, wo das wahre Leben
herrscht.
1724 |
Gottes Wesen ist Sein und „Leben“, d. h.
wirkliches Leben und Tun; Gottes Sein ist schon vollkommenste Tat, weil
vollkommenstes Sein das ureigenste Wesen Gottes ist; in der Tat und
Wirklichkeit der Vollkommenheit bewegen sich die Vollkommenheiten Gottes. – Wir
kommen insoweit275 dem Wesen und Sein Gottes näher, als wir unser
Tun und Wollen seinen göttlichen Vollkommenheiten anzugleichen suchen, was ja
Pflicht und Aufgabe jedes Christen ist. Unser Verhältnis zu Gott wird dann ein
Zustand, ein seiendes Verhältnis, ein bleibendes Resultat und Ergebnis unseres
Lebens, wie es schon mit der Gnade der Taufe durch die Verdienste Christi in
der Seele grundgelegt und begründet ist. Alle Tugenden und Vollkommenheiten,
die wir zu üben imstande sind, werden immer mehr habituell und gleichen uns
Gott an; wir gehen in einen wirklichen Seinszustand des Guten ein, der uns ihm
mehr ähnlich macht. Gottes Wesen ist ja immer vollkommener, bleibender Seins-
und Tatzustand aller Vollkommenheiten; in Gott „ist“ immer alles Gute. Im
Kleinen ist dieser Zustand auch in uns durch die Taufgnade grundgelegt und kann
sich ständig erhoben und vervollkommnen, wenn das Gute zum dauernden Zustand
und Verhalten in uns wird. Dieser Zustand erhebt uns erst zum wahren Leben,
weil er es zur wirklichen „Tat“, zum beständigen Tun und wirklichen Vollbringen
macht. Gott muss uns für sich und seine Absichten in uns „gebrauchen“ können
und dazu müssen wir in uns die Situation begründen und schaffen, dass wir
augenblicklich auf seine Anregungen eingehen können.
1725 |
Auf dieser Grundlage beruht das besagte
Mitgehen mit dem Leben Jesu in mir. In meinem Fall ist es das Leben Jesu, das
mich führt, und für sich in Beschlag nimmt, und mit dem mitzugehen ich befähigt
sein soll. Für gewöhnlich sind wir Menschen gehalten, uns selbst zu
kontrollieren, uns Rechenschaft zu geben und Rechenschaft von uns selbst zu
verlangen über unsere inneren Erlebnisse und Vorgänge. Früher konnte auch ich
meine inneren Erlebnisse wirklich erleben und somit überprüfen und mir darüber
Rechenschaft geben, aber seit einigen Wochen kann ich nicht mehr in der
früheren gewohnten Art in mein Erleben eindringen. Es ist zu sehr wesentliches
eigenes, mit mir selbst verbundenes Erleben. Sowenig ein Mensch über sich
selbst, d. h. über sein eigenes Wesen Aufschluss geben kann, weil es eben sein
Wesen ist, sowenig kann ich nunmehr mein Innenleben kontrollieren, weil es eben
zu meinem Wesen geworden ist. Umsonst bemühte ich mich in letzter Zeit um eine
Selbstkontrolle; dies brachte mir nur Unruhe und wurde mir zum inneren
Hindernis. Auch in dieser Hinsicht ist das Genießen meines eigenen Lebens
vorüber; ich bin einem höheren „Diktator“ überantwortet, in dessen Tun und
Walten ich nicht nach meiner Willkür eindringen kann. Ich scheine nun mich
selbst in dem Maße verlassen zu haben, dass Christi Leben „alles“ und das Einzige
in mir ist. Die notwendige Konsequenz für mich ist nun, alles in mir geschehen
zu lassen und mich dem „impulsiven“ Antrieb seines Lebens hinzugeben.
1726 |
Gestern schon hatte ich wiederholt das innere
Wissen: „Ich habe nun jene Stufe des Lebens Jesu in mir erreicht, die mir in
letzter Zeit als Ziel gesetzt war. Ich bin eingegangen in das
Kindschaftsverhältnis Christi zum Vater, in eine nachgebildete Sohnschaft dem
Vater gegenüber, so wie ich mich dem Vater bei der letzten Aufopferung
überantwortet habe“. – Durch die vielen276 begleitenden Leiden
scheine ich nun die notwendige, geistige Harmonie erlangt zu haben, um jene
Folgerungen ertragen zu können, die in den Absichten Gottes für mich liegen.
Die unaussprechliche Ruhe und Harmonie in mir, als seiender Zustand, auch in
den größten Leiden, kann nicht mehr durch ein willkürliches „mich selbst
erleben wollen“ gestört werden, weil ich mich für mich selbst verloren habe;
meine eigene Freiheit ist in gewissem Sinne aufgehoben, aber wie könnte ich
diesen geheimnisvollen Zustand erklären? Er ist, aber als Dauerzustand, jenem
ähnlich, der mir früher vorübergehend (etwa während der Dauer einer hl. Messe)
gerade dadurch auffällig wurde, dass ich mich vollständig in den Heiland
aufgenommen fühlte, dass meine eigene Freiheit aufgehoben war und ich mich in
Jesus befand, in einem persönlichen Verhältnis zueinander277, als
„ich und du“. – Ich war zwar bei der hl. Messe – meist handelte es sich um die
Zeit nach der hl. Kommunion -, ich sah auch mit den Augen des Leibes die hl. Messe
oder meine Umgebung, aber mit den Kräften der Seele war ich so sehr in Gott
hineingezogen und von ihm beschlagnahmt, dass alles andere, und auch ich mir
selbst, entschwunden und nur Jesus für mich vorhanden war. Eigentlich
entschwand mir nicht das Äußere, aber die innere Konzentration in Gott war so
stark, dass mir alles andere gleichgültig und wie nicht vorhanden war, weil
eben die Kräfte der Seele alle nach innen gekehrt waren. Jesus hat mir dann
damals (vor 20 Jahren) schon wiederholt versprochen: „Dies wird für dich ein
dauernder Zustand werden“. – Ich sah auch damals in jener fühlbaren Vereinigung
meine äußere Umgebung, so wie heute, aber die Seelenkräfte sind heute wie
damals für meinen eigenen Gebrauch aufgehoben und ganz in Gott konzentriert. Gerade
in den letzten Vorbereitungsleiden tat mir dieser fortschreitend sich
entwickelnde und erweiternde Zustand sehr weh. Aber aus diesen Zuständen, die
fühlbare Vereinigung waren, hat sich nun diese rein vergeistigte Beschlagnahme
meiner Seelenkräfte gebildet. Die diesbezüglichen Leiden zu dieser
vergeistigten Höhenstufe, die so geheimnisvollen Vorgänge im Inneren, kann man
nicht beschrieben. Nur durch die Umänderung der Zustände kann man die geistige,
fortschreitende Entwicklung wahrnehmen und beschreiben. Alle Geisteskräfte
waren in diesbezüglichen Leidenszeiten vollständig beschlagnahmt und ganz nach
innen gekehrt und dort wie in eine Kette gelegt, dass ich sie nicht gebrauchen
konnte. Die äußere Arbeit tat ich nur mechanisch, ohne dass scheinbar der Verstand
usw. dabei war; dies war auch der Umstand, dass ich mich auch anderseits
geistig nicht beschäftigen konnte, z. B. studieren und lernen, ich war dauernd
wie einem halb ekstatischen Zustand. Nur mit dem Auge des Leibes stand ich
gleichsam in diesem Leben, mein Inneres schien mir entrückt. Gewiss konnte ich
meine äußere Arbeit so weit in Ordnung verrichten, aber mit welchen inneren
Leiden! Es war ein unaussprechlich schmerzhaftes Doppelleben, dass man niemand
mitteilen konnte, ohne dass eine Missdeutung möglich gewesen wäre. Gott weiß,
was ich in diesem Sinne geleistet habe in den letzten Jahren. – Aber jetzt
erkenne ich die Bedeutung dieses inneren Weges, der sich so geheimnisvoll in
mein Inneres gelegt hat, weil ich schon die Frucht dieser Leiden genieße, die
innere Konzentration in Jesus, weil mein inneres Sein in ihm nicht „Gefühl“,
sondern wirklicher Zustand ist.278
1727 |
Heute scheine ich nun in ein weiteres Stadium
meines Innenlebens, bzw. des Erlebens Jesu, zu gelangen, und es scheint sich
mir einen neuen Weg zu eröffnen. In der Frühe, nach der hl. Kommunion erfasste
ich Jesus in einem tieferen Geheimnis, das ich früher nicht in dem Maße
begreifen konnte.
1728 |
Ich werde nun wieder zurückgeführt zum
Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit. Im Vater lag von Ewigkeit die ganze
Schöpfung; aus ihm ging jeden Augenblick das göttliche Wort hervor, das alles
ins Dasein rufen sollte. Durch das „Wort“ sprach sich der Vater geheimnisvoll
aus; in ihm war das Wort gezeugt, das ihm wesentlich ist, aber doch eine
selbstständige göttliche Person. – Das Hervorgehen des Sohnes war sinnbildlich
für die Schaffung anderer, dem Sohne ähnlicher Wesen, der Menschen, die vor des
Vaters Augen „hinter“ der zweiten göttlichen Person, aber vorbildlich im Sohne,
lagen. – Ich habe das merkwürdige Geheimnis erkannt: Von Ewigkeit her lag der
zweiten göttlichen Person die ganze Menschheit, das kommende Menschengeschlecht
gleichsam verborgen. Es war ein göttlicher Plan voll lauterster, schenkender
Liebe an Geschöpfe, die durch das „Wort“ geschaffen werden sollten. Nicht dass
Gott die Menschen des Sohnes wegen ins Dasein rufen MUSSTE; in Gott gibt es
kein „muss“; alles tut er freiwillig und alles schafft er aus Liebe. Seine
schenkende Vater-Liebe ließ aber mit dem göttlichen Zeugen und Hervorgehen des
Wortes in seinem Plan auch gleich die Menschheit erstehen „in der göttlichen
Person des Sohnes“. So war die Menschheit unzertrennlich mit der zweiten
göttlichen Person verbunden, ich möchte sagen, Ihr ganz überantwortet; denn
durch das „Wort“ sollte der Mensch erstehen und im Wort ruhte die Menschheit.
Somit279 war die göttliche Person des Sohnes als erster wesentlicher
Sohn das Haupt der geschaffenen Sohnschaft, das Haupt der Menschheit.
1729 |
Dem Sohne unterstand die gesamte, geplante
Menschheit, die er als König einmal in sichtbarer Gestalt regieren und
beherrschen sollte. Nach dem Fall der ersten Menschen ließ der göttliche Sohn
die Menschheit nicht für immer von ihm getrennt bleiben und nicht zugrunde
gehen, wie es seine Gerechtigkeit verlangt hätte. (Gott hätte die Menschen ins
Nichts zurücksinken oder ewig bestrafen können). Gott-Sohn behielt die
Menschheit in sich, ja man möchte fast sagen, als Erlöser gedachte er die
Menschheit noch enger an sich zu ziehen dadurch, dass er sogar ihre Gestalt
annahm und einer aus ihnen wurde. Im göttlichen Wesen des Sohnes ruhte die
gesamte Menschheit, wie sie aus dem liebenden Schöpferwillen des ewigen Vaters
mit der Zeugung des Sohnes hervorging. Nur die Liebe, göttliche, unendliche
Liebe hat die Verbindung unzertrennlich gemacht. Diese im göttlichen liebenden
Plan begründete „Unzertrennlichkeit“ ist das Geheimnis der allgemeinen
Fruchtbarkeit der Erlöserleiden und Verdienste Christi. Mit der Menschwerdung
der zweiten göttlichen Person nahm diese in einem noch tieferen Sinn – im
stellvertretenden Sinne für alle Menschen – die ganze Menschheit in sich auf;
denn wie alle Menschen gottebenbildlich geschaffen waren, so wurde Christus den
Menschen nun in der gefallenen Natur ähnlich. Diese geheimnisvolle, liebend
geplante Zusammengehörigkeit Gottes und der Menschheit vollbrachte im
Erlösermenschen Christus die Erlösung. Man hat kein Wort, um auszusprechen, was
mich das göttlich-wesentliche Verhältnis zwischen Gott-Vater und
Erlöser-Christus erkennen und erleben lässt; es ist der bleibende, seiende
Zustand der Gottheit, die dem Vater göttliche Werke im Menschen darbrachte. Das
„Wort“, das der Vater in sich zeugt und ausspricht, ist im Menschen Christus
zur liebenden göttlichen Tat geworden. Der Liebende göttliche Wille des Vaters,
der gefallenen Menschheit Verzeihung und Gnade und Barmherzigkeit zu schenken,
ist im Erlöser-Sohn wirkliche Tat und wahrhaftes Vollbringen geworden. Die
verzeihungsbereite Liebe des Vaters ist im Erlöser vollzogen worden. Es liegt
ein unaussprechliches liebes Geheimnis in den Worten, dass wir oft so
oberflächlich beten: „Und das Wort ist Fleisch geworden“. Gottes „Wort“ ist zu
liebenden Werken und Leiden im menschlichen Sinne geworden.
1730 |
Das Wort, das der Vater sendet, übt sich im
menschlichen Werken und Leiden mit der Menschheit, die (in den Gedanken und
Plänen Gottes) im Zeugen des Wortes vom Vater hervorgeht. Im göttlichen Sohne
ist vorgebildet die höchste göttliche Reinheit und Vollkommenheit; in ähnlicher
Weise aber doch als geschöpflich tiefer stehend, sollte durch das „Wort“ die
Menschheit vom Vater geschaffen werden. Im Sohne lag das Urvorbild der Reinheit
und Heiligkeit für die gesamte zu schaffende Menschheit vorgebildet. So stand
der göttliche Plan vor dem Vater: Rein und heilig nach dem Urvorbild des
„Wortes“ sollten die Menschen sein, soweit dies den Geschöpfen möglich ist,
aber sie sollten sich auch in immer höherer Weise heiligen und dem Urvorbild
ähnlich machen, um an Gott teilnehmend sich erfreuen zu können in Ewigkeit. Im
Sohne stand gleichsam das Ziel und Ideal der Menschheit vorgezeichnet in
göttlich vollkommener Weise, in ihm war es vorgebildet. – Als Christus die
menschliche Natur annahm, blieb er das gleiche Ziel und Vorbild. Die
Vereinigung aber der höchsten Heiligkeit des Vorbildes und des Zustandes der
gefallenen Menschheit in der einen Person in Christus ergab einen grenzenlosen
Abstand und verursachte das unsagbare Leiden des Widerspruches und Gegensatzes.
In Christus war ja beides vereinigt: Er trug in sich verwirklicht das Ideal und
Vorbild, und er trug das Kleid der gefallenen Menschheit mit deren
unermesslichem Abstand von seinem göttlichen reinsten Wesen.
1731 |
Jesus äußere Erlöserleiden und [seine]
Lebensumstände280 waren den Leiden eines gefallenen Menschenkindes
gleich, das sich in nichts von den Sünden unterschied; sein Tod war der
Henkerstod, der Tod des größten Sünders und Verbrechers. Elender und
verächtlicher konnte nicht der größte Sünder und Missetäter281 sein
Leben beschließen. – Sein inneres Leben und Leiden war gekennzeichnet durch den
ungeheuren Abstand dessen, was der Mensch von Gott aus hätte sein sollen und
können, was er vor Gott einst war, aber nicht blieb, und was er nun wirklich
war. Er trug in sich das höchste Vorbild und das, was daraus infolge der Sünde wurde.
Der Vater legte den Maßstab der wesentlichen göttlichen Gerechtigkeit an, die
auch die Gerechtigkeit des Sohnes war. Wenn ein Mensch sündigt, so folgt auf
dem Fuße das Wissen um seine böse Tat, das sich unerbittlich auf seine Seele
legt. Der Mensch weiß irgendwie um das, was er durch die Sünde verloren hat,
weil der Weg seines inneren Gesetzes, den Weg der Gebote Gottes, unauslöschbar
in seine Seele eingeschrieben ist. Gottes Liebe hat der Menschheit einen Weg
gewiesen, der sein höchstes Vorbild im göttlichen Sohne hat. Ebenso
unauslöschbar litt und empfand aber Christus im Kleide der Menschheit das
Wissen um den Weg der Menschheit, die irregegangen war und die er nun, wie sein
Wesen, in sich trug! –
1732 |
Welches Maß von äußeren und inneren Leiden war
nötig, um den Ruhezustand erreichen zu können, den ich jetzt genieße! Bereits
drei Monate währte diese Leidensperiode, die mich jenem geistigen Ziele
zuführen sollte, das ich jetzt als Zustand erlebe. – Ich bin ganz in mir
konzentriert und ruhe in „mir“, wenn ich auch dieses mein Inneres nicht als das
absolute Meine erfahren kann; denn eigentlich habe ich alles, was mein war,
aufgegeben und das Meine ist im Leben Jesu neu geworden. So ruht all das Meine
in ihm und die große, nicht zu beschreibende Harmonie ist meine Ruhe in ihm.
Und ich lebe nun dieses Leben der Einheit als mein Leben.
1733 |
In Gott gibt es für den Menschen nie ein
„genug“, wenn man auch meint, ein höheres Ziel in ihm als jenes, das man
gegenwärtig genießt, sei nicht mehr erreichbar. Nach einer kurzen Ruhepause
drängt das „Leben“ doch wieder282 vorwärts einem noch höheren Ziel
zu. Das Leben in Jesus ist eben wirkliches „Leben“ und immerwährendes Tätigsein
und Wachsen, wenn es mir auch in gewissem Sinne oft nur im Leiden zum
Bewusstsein kommt.
1734 |
So kam ich auch in den letzten Tagen wieder in
ein inneres Dunkel, worin das innere Leben sich wieder zum weiteren Wachsen
entfaltet. Was mir vorher genug und übergenug schien, das ist aber jetzt wieder
zu wenig. – Es scheint sich ein immer noch höherer Grad meines eigenen
„Entwerdens“ bzw. ein noch tieferes Eingehen in Jesus in mir zu bilden. Meine
eigene persönliche Freiheit ist so viel wie aufgehoben – wenn auch mein Leben
nach außen ein gewöhnliches bleibt; mein Inneres, das ganz mein Inneres scheint
und doch nicht ist, ward einem anderen Träger und Diktator überantwortet; es
ist mir selbst ein Geheimnis, das ich nicht ganz erklären kann. Ich leide in
gewissem Sinne, weil ich mir in solchem Maße weggenommen bin, und doch ist
meine Ruhe nur in diesem „mir ganz genommen sein“. Das eigene Sein drängt wie
natürlich zur „Vernichtung“ und in dieser noch höheren Entwerdung und
Vernichtung geht es noch tiefer hinein in das Zentrum Christi. So werde ich
immer mehr vollends brauchbar gemacht auch zum persönlichen Erleiden des
Geheimnisses Christi als des Erlösers, was das höchste Ziel meines inneren
Lebens darstellt.
1735 |
Schon bisher war mein innerer Weg kein
visionärer Weg des Schauens von Offenbarungen im gewöhnlichen Sinne, sondern
ein Weg, der sich auf der wesentlichen mystischen Grundlage bis zur höchsten
Vereinigung mit Gott bzw. mit Christus aufbaute; dementsprechend blieb auch
mein inneres Erfahren Christi immer auf dieser Grundlage; es ist ein inneres
Erfahren, das in der Vereinigung mit Christus seinen Grund und Ausgangspunkt
hat und nicht von „außen“ in visionärer Weise in mein Inneres eingeht. Die
Grundlage meiner inneren Erkenntnisse Christi bzw. seines Erlösergeheimnisses
ist die Vereinigung mit ihm, auf die auch meine besondere Berufung hinzielt. So
wird meine Art der Vereinigung mit Jesus ein wirklicher Zustand. Ich erfasse
Jesus und durchdringe ihn in seinen tiefsten Geheimnissen in dem Maße, als die
Vereinigung mit ihm sich vertieft und wesentlich erhöht und steigert. In diesem
Sinne blieb mein innerer Weg auf der gewöhnlichen mystischen Grundlage
aufgebaut und darin bauten sich meine besondere Berufung und alles innere
Erleben ein. Deshalb fehlen auch in meinem Innenleben fast alle unwesentlichen
Begleiterscheinungen des mystischen Weges, wie z. B. Vollekstasen, Gesichte und
visionäre Schauungen und Erscheinungen. Statt dieser meist nach außen sich
zeigenden Begleiterscheinungen ist in meinem Falle alles auf wesentliche innere
Erfahrungen und Erkenntnisse Christi eingestellt und beschränkt. Alles Erkennen
und Erfahren und Durchdringen Christi ist mir gegeben in ihm und baut
sich im Vereinigungszustand in ihm auf. Kraft der Vereinigung „erfahre“ und
erkenne ich ihn. Freilich ist dieses Erfahren eine besondere gegebene Gnade von
ihm, die eben meinen besonderen, speziellen Geistesweg darstellt. – Vom Erleben
und Erfahren Jesu mündet mein innerer Weg erst in das letzte Ziel, in das
„Erleiden“ Christi, sobald die entsprechende geistige Disposition in mir durch
die Vereinigung mit ihm geschaffen ist. Heute erkenne ich dies schon als
nächstes Ziel: Ich werde Jesus „erleiden“ in seinem inneren Erlöserleiden. –
1736 |
Untertags erlebte ich wiederholt Jesus in
seinem Geheimnis als Urvorbild der geschaffenen Menschheit: Christus, der
Erstgeborene, seine göttliche Sohnschaft im Vater, und seine nachgeborenen
geschaffenen Brüder, die gesamte Menschheit. – In Christus hatte der Vater von
Ewigkeit her die göttliche Ebenbildlichkeit der Menschen in seinem Liebesplan
grundgelegt, weil er die Menschheit so hoch erheben wollte und sie in ihrem
Urzustand wirklich so hoch begnadet hatte. Die göttliche Ebenbildlichkeit
Christi war darum auch die Grundlage in inneren Erlöserleiden; sie wurde ihm
als Mensch gleichsam zum „Gericht“ (so, wie sie auch für den Menschen einst zum
Gericht wird)283, das der Vater auf ihn als den Erstgeborenen gelegt
hatte, auf dem die Schuld, und der Fall all seiner Brüder lastete. In ihm wurde
dieses göttliche Gericht ausgelöst und ausgeführt: Jesus trug als Gottmensch in
sich die vollkommene Ebenbildlichkeit und als wahrer Mensch, uns gleich
geworden, den Gegensatz unserer Schuld und unseres Falles. Schon in den äußeren
Akten der Menschwerdung Christi löste sich dieser Gegensatz zwischen den
äußeren Umständen und Verhältnissen und seinem göttlichen Wesen aus. Jesus trug
und empfand ja all die Armut seiner Menschwerdung nicht so wie z. B. wir
Menschen, denen es natürlich ist, unter jenen Umständen ins Leben zu treten;
uns fehlt ja das Bewusstsein unseres Zustandes und der erniedrigenden Umstände,
unter denen der Mensch in dieses Dasein tritt. Jesus aber, obwohl von der
reinsten Jungfrau wunderbar geboren, empfand vom ersten Augenblick seines
irdischen Lebens den Gegensatz der äußeren Umstände zu seinem göttlichen Wesen
und er empfand die Sünde als die Ursache dieser seiner Erniedrigung. Wir
Menschen kennen freilich nichts anders als das arme Leben, das uns unsere
sündhafte Menschlichkeit zuweist und was damit verbunden ist. In Christus aber
stand unverrückbar jener Gegensatz; ja, sein göttliches Wesen war selbst dieser
Gegensatz. Die Leiden, die den Erlöser von außen her trafen, weckten immer
wieder jenen Gegensatz unter dem Gesichtspunkt der Sünde. Er sah und empfand ja
nicht bloß und nicht so sehr die einzelne Sünde und das, was sie ihm antat,
sondern er sah und empfand vielmehr den Zustand der Sündhaftigkeit und der
Entstellung des Gottesbildes, woraus die einzelne Sünde als böse Frucht und
Folge kam. In ihm als dem göttlichen Ebenbild und Urvorbild war der Weg der
Menschheit vorgebildet; in ihm lag auch deren „Fall“, den er aus Liebe zu
tragen auf sich genommen hatte (damit Gottes Gerechtigkeit versöhnt werde),
zusammen mit der vollkommensten Ebenbildlichkeit, die er behielt. In seinem
göttlichen Wesen lag das Vorbild, und so wurde der Fall der Menschheit wie zur
Entstellung und Verzerrung dieses seines vorbildlichen284 Wesens,
die er mit der Menschwerdung auf sich nahm. (Durch die göttliche wesenhafte
Einheit mit dem Vater, als des Schöpfers der Menschen wurde auch das Bild des
Vaters entehrt.)285
1737 |
Wir Menschen können nie ganz das Wesen der
Sünde begreifen und deren Schuld vor Gott, weil wir das übernatürliche
Erkenntnislicht verloren haben. Mit der Sünde war die Erkenntnis Gottes und das
Wissen um Gott dahin, das den ersten Menschen wesentlich eigen war. Wir müssen
Gott erst „suchen“ und wie ahnend erkennen und dadurch zum Glauben an ihn
kommen. Es wurde mir diesbezüglich heute in der Kapelle das Wort gesagt: „Ein
Augenblick voller Erkenntnis Gottes und des Wissens würde keine Sünde mehr in
der Seele zulassen.“ (Eigentlich ging dieses Wort tiefer, als ich es im Worte
wiedergeben kann, etwa: ein Augenblick … vollkommenen Glaubens an Gott, so wie
es seinem Wesen zukommt … würde jede Sünde in der Seele auslöschen.)286
So sehr ist unsere Erkenntniskraft geschwächt und liegt unser ganzes
menschliches Wesen in dieser Schwäche! Aber wir Menschen spüren dies gar nicht
und wähnen uns noch weise und erhaben! In Christus aber lag das Bewusstsein des
mit dem Fall erfolgten Gegensatzes. Er ist ja selbst herniedergestiegen in
dieses Dunkel unseres Lebens und hat mit den armen Kräften eines menschlichen
Verstandes zum Vater gebetet und uns gleichsam mit emporgenommen. Nicht als ob
der Verstand Christi in dieses Dunkel gehüllt gewesen wäre – in ihm blieb die
göttliche wesentliche Weisheit -, aber sein göttliches Wissen betätigte sich
durch einen menschlichen Verstand. Sein göttliches Wesen empfand die geistige
Armut unserer Fähigkeiten und wusste um das, was der Mensch an Erkenntnisse
Gottes eingebüßt hat. Jesus erlitt auch selbst durch seine Umgebung die Folgen
der Sünde des Unglaubens, der Auflehnung gegen Gottes Gebote, und diese
Unordnungen trafen ihn und hatten ihn als Zielscheibe, der der wesensgleiche
Abglanz des Vaters blieb.
1738 |
Es ist für uns leichter, die äußeren
diesbezüglichen Leiden Christi uns zu erklären, das tiefste Geheimnis aber sind
seine inneren Leiden. Ich habe dieses Innerste des Herzens Jesu erfahren, aber
dieses Erleben kann nicht in menschlichen Worten gekleidet werden; trotz aller
Versuche blieben es tote Worte, weil man die innere Gotteserkenntnis, die
höchste göttliche Reinheit des Erlösers und den entsprechenden Gegensatz in ihm
nicht in Worte ausdrücken kann. – Dieses Geheimnis bleibt immer ein geistiges
Wissen und Erfahren; es wird aber im „Erleiden“ des inneren Erlöserzustandes
Christi klarer werden, weil es in mir zum Nacherleben in Christus werden wird.
„Das innere Wesen Christi wird meine überfließende Kraft sein“, so wurde mir in
Hinblick auf dies Kommende und Schwere versprochen.
1739 |
Als ich gestern Abend zum Fest des hl.
Ignatius ein Bildchen zu seiner Verehrung aufstellte, kam ich in eine besondere
geistige Verbindung mit ihm. Er war mir Vater und ich war seine „Tochter“ in
einer besonderen, immerwährenden Zusammengehörigkeit mit ihm. – „Diese
Verbindung wird immer bleiben, und im kommenden Priesterinstitut wird der hl.
Ignatius als unser Patron und Vater verehrt werden“. – Es war mir, als schaute
ich im Voraus sein Bild auf unseren Altären verehrt und sei dies eine Mahnung,
dass wir ihm die Treue halten müssen. –
1740 |
Ich war eingeführt in das Glaubensdogma der
„Gemeinschaft der Heiligen“, in die Gemeinschaft aller in der Gnade lebenden
Seelen in Gott, eine Gemeinschaft, die nach dem Maße der Gnade und der
besonderen Aufgaben mehr oder weniger eng und innig sein kann und worin jene
besondere Verbindung mit dem hl. Ignatius begründet ist. Desgleichen wurde ich
erinnert an Erkenntnisse aus der Zeit vor fast 20 Jahren, als mir wiederholt
erklärt wurde die „Seelengemeinschaft“ mit jenem Priester, den Jesus zur
Ausführung seiner Absichten erwählt habe und vorbereite; diese auch im
Glaubensgeheimnis der „Gemeinschaft der Heiligen“ mögliche und begründete
Seelengemeinschaft erlebte ich innerlich so viele Jahre im Voraus, bis ich
diesen Priester persönlich kennenlernte. –
1741 |
Die letztvergangenen Tage waren überaus
schwer. Ich durchlebte wieder einen durchgreifenden Reinigungsprozess, wobei
nochmals alles in meinem Inneren gleichsam umgestürzt wurde. Ich war
verdemütigt und wie vernichtet und von meinem Eigenen entblößt; ich stand
gleichsam da wie ein armer Abgebrannter, dem man sein eigenes Haus in Asche
gelegt hat, während er selber kaum das nackte Leben retten konnte; dazu hat er
noch den Spott und die Schande vor seinen Feinden, die mit Wohlgefallen seinen
Ruin feiern. So arm war ich in meinem Inneren und auch nach außen, wie ein
Sandkorn, das der Wind in die Fremde getragen hat, und das nun zertreten am Weg
dem Untergang überantwortet ist. So arm und so vernichtet vor meinem eigenen
Auge hatte mich der Heiland gemacht, dass ich mir selbst ein Gegenstand des
Zweifels war …
1742 |
Gestern Abend kam ich dann wieder in volle
Ruhe, und heute Morgen nach der heiligen Kommunion schaute ich einen „neuen
Weg“, der mich in das „Erleiden“ Jesus und seines inneren Erlösungsgeheimnisses
einführen wird. Es ist dies gewiss ein weiterer bedeutungsvoller Schritt, aber
ich bin ruhig und sicher, dass trotz des Wissens um die Bedeutung und die
Folgen dieses Schrittes keine Furcht oder Unruhe in mir aufkommen kann. „Ich
lebe die Ruhe und den Gleichmut Christi; in ihm bin ich geborgen und gesichert;
sein Leben bietet mir volle Sicherheit und Bürgschaft“.
1743 |
Es scheint dies nun ein letzter und höchster
Abschnitt meines Innenlebens zu sein. Ich weiß, worum es sich handelt und der
Heiland will, dass ich dementsprechend nochmals mit einem besonderen Akt voller
Hingabe an sein „Leben“ mich ihm aufopfere. Im Glauben an seine wirksame Gnade
und an sein Leben, das er in mir aufgebaut hat und das seinen bestimmten
Absichten dienstbar sein soll, möge ich mich – so ist es sein Wunsch und Wille
– ihm ganz bereitstellen zum Erleiden seines Innern. Sein Leben in mir ist der
eigentliche Antrieb zum Erleben und Erleiden seines tiefsten Geheimnisses, das
er in mir mystisch wiederholen will und dem ich mich ganz überantworte. Das
Leben Jesu führt mich zum Erleiden seines Seins. – In Worten kann ich diesen
vom Heiland gewollten inneren Akt nicht gut wiedergeben, weil meine Aufgabe und
ihr ganzes Ausmaß in ein rein geistiges Wissen gehüllt sind. –
1744 |
Ich hatte heute (31.7.) auch wiederholt in der
Verbindung mit dem hl. Ignatius das besondere Wissen, dass er immer mein Führer
sein wird, so wie einer seiner Söhne in meinem inneren und äußeren Leben und in
Gottes Absichten287 eine besondere Stelle einnehme. – Durch die
Hände des hl. Ignatius und Mariens möge ich diesen Aufopferungsakt dem Heiland
darbringen. Der hl. Ignatius sei mein Führer und Vermittler bei Jesus und beim
Vater. Von der Nachfolge Jesu führe der Geist des hl. Ignatius zum Leben Jesu;
er habe auch heute noch einen großen Einfluss in der Kirche. Ich solle glauben
an seine geistige Führerschaft für mich, verträten durch seinen Sohn P.
Baumann. –
1745 |
Mein inneres Leben – so wurde mir wiederum
versprochen – sei die Bürgschaft, dass alles Äußere bezüglich des
Priesterwerkes sich so erfülle, wie es der Heiland versprochen hat.
1746 |
Ich bin in großem Frieden und Bereitschaft in
Jesus; sein Leben ist meine Sicherheit und Kraft. – Ich will heute am Grab des
hl. Ignatius – wie ich die Anregung habe – durch die Hände Mariens mich dem
Heiland für seine Absichten opfern. –
1747 |
Heute, nach der heiligen Kommunion, „bot“ sich
mir Jesus in mir als „Leben“; ich solle glauben, dass sich dieses Leben in mir
auslebt. Diese weitere und höhere Entwicklung ist sein „Leben“, das zum
„Erleiden“ seines Lebens führt. – Es ist dies wiederum ein sicherer geistiger
Eindruck, der aber beim Ausdruck in menschlichen Worten seine Geistigkeit
verliert, während das Wirken der Gnade und Christi Leben und Worte288
zugleich Wissen, Licht und Kraft und Vollbringen-Können in sich schließen. –
1748 |
Untertags wurde mir innerlich viel über das
Wirken Gottes in den Seelen bzw. in den Heiligen mitgeteilt; (der Geist der
Heiligen ist im Grunde der Geist Gottes; bei Gott gibt es aber keine
„Intoleranz“, d. h., Gott braucht nicht unbedingt den Geist eines Heiligen nur
an dessen Gründung zu binden).
1749 |
Ich schaute beispielsweise den Geist des
Heiligen Ignatius; er hat einen großen, außergewöhnlichen Einfluss erhalten im
Reiche Gottes, der Kirche. Es wurde mir in der Form erklärt, wie Jesus zu den
Aposteln sprach: „… Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme
Israels richten …“. So schaute ich auch vom heiligen Ignatius einen
immerwährenden Einfluss in die Geschicke der Kirche. Es sei aber deshalb nicht
unbedingt notwendig, dass sich der Geist des heiligen durch die von ihm
gegründete Gesellschaft sich in seiner Gesamtstellung äußerst und die Kirche
beeinflusst; Gott kann den gleichen Geist des heiligen Ignatius auch in anderer
Form, die in der Absicht Gottes liegt, eventuell abzweigen und überleiten durch
eine Seele, die ihn schon in sich aufgenommen hat und zugleich als Grundlage
für ein anderes segensreiches Gebiet zur Ehre Gottes und zum Heil der Kirche
benützen. Gott ist eben nicht gebunden; auch nicht da an menschlichen
Anschauungen. Gott ist frei in seinem Wirken und in der Ausspendung seiner
Gnaden, die nur sein Eigentum sind. Also bei Gott gibt es keine „Intoleranz“,
alles Gute geht nur von ihm aus und er ist Herr über seine Absichten und
Gnaden.289
1750 |
Seit der letzten Aufopferung am Feste des hl.
Ignatius kam mein Innenleben in eine neue Art des Fortschreitens. Durch den Akt
der genannten Hingabe habe ich mich dem Heiland in besonderer Weise für das
„Erleiden“ seines inneren Erlöserlebens, für ein höheres, wirksameres Erleben
seines Erlösergeheimnisses als eigenes Erleiden und Erfahren, bereitgestellt.
Dabei habe ich innerlich vorausgesehen, dass zu diesem Zweck innere
Läuterungsleiden weitergehen, bis ich in den von Gott geplanten „Vollzustand“
in Christus aufgenommen und eingegangen bin. Die ganze innere Führung und
Erfahrung ist jetzt auf jenes höhere290 und höchste und letzte Ziel
hingerichtet: Christus in seinem gottmenschlichen Wesen und Leben als Erlöser
zu erleiden. –
1751 |
Verschiedene Male, nach der heiligen
Kommunion, „bot“ sich mir Jesus in seinem Wesen als Erlöser an. Ich
durchschaute den inneren Geisteszustand des Erlösers in dem wunderbaren
Geheimnis der Verbindung der göttlichen Person mit seiner heiligsten
Menschheit; ich erfasste sein allerheiligstes Innenleben: „So war ich als
Mensch; in dieser Form und Auswirkung belebte die göttliche Person meine
gottmenschliche Seele“. Ich erfasste die göttliche Wirkkraft der zweiten
göttlichen Person in der Menschheit Christi, wodurch seine göttliche Person291
und seine menschliche Natur im irdischen Leben zu EINEM Leben harmonierten. Im
Leben des Gottmenschen wirkte das göttliche Wesen der Person des ewigen Wortes
sich aus. Gottes Wesen, sein ureigenstes Sein, belebte und durchlebte in
uneingeschränkter Geistigkeit die Seele Christi. Das ist ein tiefes,
unfassbares Geheimnis im Leben Christi.
1752 |
Ich habe in einer bis jetzt noch nie
verstandenen Tiefe und Klarheit dieses Geheimnis erfasst: Christus lebte sein
menschliches Leben „aus der Fülle seines göttlichen Wesens“. Dieses göttliche
Wesen in der menschlichen Natur Christi, im Leibe und in der Seele Christi, war
der Gegenstand meines inneren Erfahrens. In Christi Leib und Seele war eine
Fülle von Geistigkeit und Licht und Glut verborgen, für die es keinen Ausdruck
gibt. Das Sein, das aus sich selbst „ist“, war in vollkommener göttlicher292
Fülle auch in Christus immer in seiner göttlichen Art tätig. Die göttliche
Ungeschaffenheit und Unumschränktheit konnte auch in der geschaffenen Seele
Christi und in seinem sterblichen Leibe nicht eingeschränkt oder gehindert
werden. Der ewig Seiende und die Fülle des Lebens selbst belebte und „LEBTE“
das menschliche Leben Christi, ohne dessen geschaffene und menschlich
notwendige Funktionen aufzuheben oder einzuschränken. Die „Glut“ durchglühte
gleichsam den kalten Stein und machte diesen toten Stein glühend und lebendig
und doch war und blieb der Stein Träger dieser Glut. Wie wunderbar herrlich und
anbetungswürdig war Christi irdisches Leben bzw. Sein gottmenschliches Wesen!
Ich habe noch nie so wie in den vergangenen Tagen Christi Leben in seinem
wahrhaft göttlichen Sein und in dessen Auswirkung auf seinen heiligsten Leib
und seine Seele erkannt und erfahren.
1753 |
Unsere an die Äußerlichkeiten unseres Lebens
und an die Sinne293 gebundene, erdhafte Seele kann aber nur durch
eine besondere Gnade in dieses Geheimnis des „göttlichen Wesens“ mit seiner
ewigen Fülle von Licht und Glut und Ungeschaffenheit eindringen. Um das
ungeschaffene, immer-seiende göttliche Wesen erfahren und erfassen zu können,
wie es in der menschlichen Natur Christi wohnend und göttlich tätig war, muss
die Seele in eine hohe Geistigkeit erhoben werden; sie muss294 erst
von den Folgen der Erbsünde insofern befreit werden, als sie die ihr
ursprünglich von Gott gegebene und eigene Geistigkeit und Freiheit
wiedererlangen muss. Für uns arme Menschen bedeutet jenes Erfahren-Könnens des
göttlichen Wesens ein vollkommenes Verlassen unseres gebräuchlichen, uns
gegebenen Leben, das wir uns doch selbst nicht wegnehmen können, weil wir daran
gebunden sind. Wir müssten, wollte Gott in diesem Leben dieses Geheimnis
offenbaren, durch eine besondere Gnade dazu befähigt und erhoben werden.295
– Aus jenen durch Gottes besondere Gnade möglichen, inneren Erfahrungen sieht
man aber, was „Großes“ der Mensch durch die Sünde verloren hat, und welche
herrliche Veranlagung an sich die menschliche Seele besitzt, da ihr, trotz
ihres gefallenen Zustandes, jene übernatürliche Erfassungs- und
Erfahrungsmöglichkeit – bei besonderer Gnade Gottes – geblieben ist.
1754 |
Dieser, mein fortschreitender innerer
Geistesweg ist von großen unaussprechlichen inneren Leiden begleitet. Zeitweise
kann ich sagen: „Es ist zum Sterben vor lauter Leiden“. Und mein inneres Leben
ist auch ein fortschreitendes Sterben, um doch wieder dementsprechend zu neuem
Leben erweckt zu werden. Je mehr ich „sterbe“, desto größeren Raum gewinnt
Jesus in mir.
1755 |
Als ich in den vergangenen Tagen einmal im
Übermaß der inneren Leiden (beim hl. Segen in der Kapelle) die lieben Mutter
Maria bat, sie möge mir ersetzen, damit ich rascher vorankomme und
vollendet werden könne, da wurde mir von ihr die innere Antwort zuteil: „du
könntest es gar nicht ertragen und es (jenes Ziel in Christus) nicht erreichen
und hättest auch das bis jetzt Erworbene nicht erreichen können, wenn dir nicht
'vieles' ersetzt würde“.
1756 |
Am Feste Maria Himmelfahrt schaute ich die
Seele Mariens, wie sie aus Gottes Hand hervorging. Maria „erkannte“ Gott vom
ersten Augenblick der Erschaffung ihrer Seele an. Ihre Seele „erkannte“ Gott,
war sich ihres Gottes bewusst und „schaute“ Gott. Ihre Seele besaß vom ersten
Augenblick an diese ungetrübte Erkenntnis Gottes, worin das Geschöpf seinen
Schöpfer erkennt. Ihre Gotteserkenntnis im ersten Augenblick ihres Bestandes
wurde mir versinnbildlicht durch den Vergleich einer vollerblühten Blume, die
sich wie naturgemäß der Sonne zuwendet. Blühend an Gotteserkenntnis ging Maria
aus der Hand Gottes hervor. Diese ununterbrochene Gotteserkenntnis ist aber in
Maria immer noch gewachsen und fortgeschritten und machte sie schließlich
fähig, Gott selbst in sich zu tragen, dem Sohne Gottes eine wahre Mutter zu
werden. Sie hatte zu Gott ein unmittelbares, direktes Verhältnis, das nie durch
einen Schatten getrübt oder gestört wurde. Maria trug eben in sich die „erste
Seele“, wie Gott sich die Seele gedacht hatte; im Hinblick auf ihre
allerhöchste Auserwählung war die Seele Mariens auch noch besonders und viel
höher ausgestattet, aber sie trug auch das erste Urbild der Menschenseele in
sich. – Die höchste Gnade, die Gott der erstgeschaffenen Seele mitteilte, war
die Erkenntnis Gottes. Dass das Geschöpf seinen Schöpfer erkennen und erfahren
konnte, das wurde mir als die größte Begünstigung des Menschen durch Gott
gezeigt. Die Anerkennung Gottes, die zugleich Unterwerfung und Glaube an ihn
war, bedeutete die vornehmste Ausstattung, die Gott dem Menschen gab. Von
dieser gottgeschenkten Stufe aus sollte sich die Seele des Menschen noch höher
entfalten und entwickeln in einem geistigen Wachstum, das Gott in ihr
grundgelegt hatte.
1757 |
Anschließend an diese in Maria geschauten
Geheimnisse wurde ich am folgenden Tag, am 16. August, zu weiterer Erkenntnis
geführt. Auch im gefallenen Zustand besteht für den Menschen die erste Pflicht
darin, nach Erkenntnis Gottes zu streben, wenn auch in mühevollen Suchen nach
ihm. Der gefallene Mensch muss Gott erst suchen, sich ständig bemühen, um Gott
im Glauben finden zu können. Ohne dieses „finden“ und Festhalten an Gott im
Glauben kann der Mensch nie sein eigentliches, ihm von Gott gesetztes Urziel
erfüllen: Nämlich zu höchstmöglicher Gotteserkenntnis zu gelangen, die
Grundbedingung alles geistigen Lebens ist. Auch für das gewöhnliche
Christenleben – so wurde mir innerlich gezeigt – ist höchstmögliche Erkenntnis
Gottes die Grundlage des religiösen Lebens und es ist ein Hauptübel unserer
Zeit, dass die Gotteserkenntnis unter den Massen des Volkes und in den Seelen
in solch großem Ausmaß geschwunden ist, wodurch die heutige ungläubige Zeitlage
geschaffen wurde. Gott und die Menschheit sind heute sozusagen getrennt; die
Gotteserkenntnis mit ihrer wirksamen Kraft der Erneuerung des einzelnen
Menschen ist gelockert. Wenn auch der einzelne Mensch seinen Glauben an Gott
nicht ganz verloren hat, so ist doch die Wirkkraft der Gotteserkenntnis für die
betreffende einzelne Seele unterbunden, weil der Mensch in einem natürlichen
Sinn sich selbst besitzt und als Herrn betrachtet, ohne Gott als den Urheber
und Besitzer jedes Seins anzuerkennen, wie es Gott als dem alleinigen Herrn
gebührt und wie es sein Plan bei der Schöpfung war. – Es wurde mir darum
gezeigt: Alle neuen Gnaden, die Gott, bzw. Christus der Menschheit geben will,
sind darin grundgelegt und dafür bestimmt, dass sie eine neue, d. h. vertiefte
Erkenntnis Gottes in der Kirche ermöglichen. Christus offenbart sich in seinem
tiefsten Erlösergeheimnis, im Geheimnis der höchsten Liebe seiner Herzen, um
sich als Gott der Liebe und des Hingebens an die Menschheit zu erkennen zu
geben. Christus will die Menschheit durch seine göttliche Liebe an sich ziehen
und sie auf diese Weise zu einer gleichsam neuen, tieferen Gotteserkenntnis
führen. Von dieser Erkenntnis Gottes aus soll der Mensch zur neuen Liebe und zu
einem vollkommenen Glauben an ihn geführt werden; denn das Erkennen führt zur
Liebe, zur wahren Gegenliebe Gott gegenüber.
1758 |
In den letzten Tagen habe ich eine bedeutende
Veränderung in meinem Inneren erlebt; sie lässt sich zwar nicht gut in Worten
wiedergeben, doch will ich es in etwa versuchen; Jesus hat mir wiederholt sein
„Inneres“ angeboten. – „So wie ich bin, wirst du mich erleben“, ließ er mich
wissen. Dabei erfasste ich das Wesen dieses seines Innenlebens. – Ähnliche
Gnaden des Anbietens seines Inneren hat mir der Heiland schon vor mehr als 15
Jahren sehr häufig gegeben; doch wie hätte ich mir im Voraus diesen jahrelangen
Zwischenraum des ständigen Vorbereitens auf die wirkliche Gnade erklären
können? Und doch ist Jesus in nichts von seinem ersten göttlichen Plan mit
meiner Seele abgewichen; im Gegenteil, die Wirklichkeit der Gnade übertrifft
wie das frühere fühlbare Vorausleben und Vorverkosten.
1759 |
Gleichzeitig schreitet fort die immer
vollständigere Befreiung von den Banden meines eigenen Ichs; wenn diese Bande
auch in sich berechtigt wäre, so sind sie doch für das Wirken der göttlichen
Person ein Hindernis und werden darum sozusagen aufgehoben. Ich besitze mich in
einer unaussprechlichen Freiheit. Es ist dies die volle Befreiung von den
eigenen Banden verschiedener Hemmungen der göttlichen Person gegenüber. Die
größte Freiheit ist ja die: sich selbst zu verlieren und ungehindert sich in
Gott ergeben zu können, zu einem schrankenlosen Besitz Gottes zu gelangen.
Dadurch ist mein Innenleben so einfach und wird es immer noch einfacher, d. h.,
eigentlich kann ich nicht mehr von einem Innenleben im gewohnten Sinne reden;
denn mein inneres Sein ist schon „Vollbringen und Tun“. Wie weit sich dieser
Zustand noch vervollkommnen wird, ist mir ein Geheimnis. Ich weiß nur das
letzte Ziel; was dazwischen liegt, ist mir dunkel und verborgen. Große innere
Leiden wechseln immer wieder mit jenem voll ausgeglichenen Zustand des Inneren
Christi.
1760 |
Ungeahntes habe ich heute innerlich erfahren
über die Gottesebenbildlichkeit der Menschenseele. Als Gott die Menschenseele
schuf, nahm er sich selbst, sein göttliches Wesen, zum Vorbild. Gottes
unumschränkter Selbstbesitz herrschte nachgebildet auch in der ersten Seele mit
der ihr eigenen Konzentration all ihrer Fähigkeiten und Kräfte. Es gab in ihr
keine Zerstreuung oder Zersplitterung. Sie war in sich geordnet und auf Gott
hingeordnet und hingerichtet, sowie auch Gott vollkommen in sich selbst
konzentriert ist. – Gott genügt sich selbst vollkommen und bedarf keiner
Erhöhung seiner göttlichen Fähigkeiten. Auch die Seele war in sich selbst
vollkommen glücklich, weil sie in sich trug den Frieden und die Harmonie des
Schöpfers, der den Menschen nicht erschaffen hat, um sein eigenes Glück zu
vermehren, sondern um es den Menschen mitzuteilen. Auch der Mensch hatte am
Anfang kein Bedürfnis, sein Glück zu vermehren, denn er trug es voll in sich im
Ausstrahlen des Schöpfer-Abbildes. – In gewissem Gegensatz zu Gott, der jede
Vollkommenheit im Höchstmaß besitzt, war der Mensch als Geschöpf in seinen
Fähigkeiten bildungs- und vervollkommnungsfähig, konnte sie erweitern und
fruchtbar machen und dazu stand ihm der freie Wille zu Verfügung. Diesbezüglich
schaute ich innerlich: Alle göttlichen Fähigkeiten waren keimhaft in der
Menschenseele grundgelegt in der geschöpflichen Form des
Fruchtbar-Werden-Könnens. Die Gotteserkenntnis der ersten Menschen war weit
vollkommener, als wir sie uns je erwerben und in diesem Leben als dauernd
genießen können; denn der gefallene Mensch hat jene erste Fähigkeit seiner
ungetrübten Verstandes und Wissens durch die Sünde verloren; er wurde in ein
gewisses Dunkel gehüllt und ist auf das Suchen angewiesen, wenn Gott ihm nicht
durch eine besondere Gnade sich ihm zu erkennen und zu erfahren gibt.296
– Der Mensch im Urzustand hatte nicht die mindeste Hemmung in sich, das Gute zu
wollen und zu tun; er trug in sich das Abbild alles Guten-Wollens und
Guten-Tuns. Somit stand der Mensch im reinen, ungestörten Seinszustand und
Seinsverhältnis mit Gott. – Wie Gott aus sich selbst ist, so erfasste der
Mensch kraft seiner Fähigkeiten des Verstandes und Gedächtnisses sein geplantes
Wollen und brachte es mit den ihm angebotenen Hilfsmitteln mühelos zur
Ausführung. – Auch die göttliche Fähigkeit des Regierens und Beherrschens der
Schöpfung war im ersten Menschen nachgebildet vorhanden. Gott durchdringt
mittels seines göttlichen Wesens das Universum, weil er alles als sein Eigentum
gleichsam in sich trägt. Auch der Mensch hatte von Gott die Macht und Fähigkeit
erhalten, die ganze Schöpfung sich dienstbar und unterwürfig zu machen. Er war
von Gott als König und Krone der sichtbaren Schöpfung gedacht und eingesetzt.
1761 |
Noch viel größer aber als diese nach außen
hervortretenden Fähigkeiten des ersten Menschen waren die inneren Vorzüge, die
er durch seine Gottesebenbildlichkeit in sich trug. Ein tiefes Eindringen in
die Geheimnisse meiner eigenen Seele, die mir als Beispiel und Erklärung zum
Verständnis für den Zustand der ersten Menschenseele bezeichnet werden, lässt
mich dieses unaussprechliche Geheimnis des „Geistes der Seele“ begreifen. Das
Geheimnis der Geistigkeit der Seele macht wohl ihre höchste
Gottesebenbildlichkeit aus. Infolge ihrer Geistigkeit besitzt die Seele die
Möglichkeit, das Wesen Gottes, der reiner Geist ist, zu erfassen, zu erfahren
und ihn in sich aufzunehmen. Im ersten Zustand besaß die Seele diese volle und
reine Geistigkeit in ihrer Gesamtstruktur des Zusammenlebens mit dem Leibe. Dementsprechend
war auch der Leib vergeistigt, sodass er der Seele folgen konnte, ohne dass die
Geistigkeit der Seele durch das Menschlich-Materielle des Lebens gehindert
worden wäre. Die Geistigkeit der Seele belebte ja den Leib zu einem Wesen mit
der Seele, obwohl dieses Ganze aus Verschiedenem zusammengesetzt war: die Seele
ein Geist, der Leib aus Erde. Die Fähigkeit der ersten Seele, Gott in diesem
Leben verkosten und genießen und sich seines Umganges erfreuen zu können, setzt
eine große Vollkommenheit ihrer Geistesstruktur voraus: Als Abbild Gottes war
die Seele auf Gott angelegt. Wenn man viel am Erfahren und Erleben Gottes und
seiner Vollkommenheiten durch vorübergehende, manchmal nur kurze Zeit dauernde
Gnaden sich erfreut hat und die Befähigung hierzu sich mit vieler Mühe und
großen Leiden erworben hat, dann kann man sich einigermaßen den glücklichen
Zustand der ersten Menschen erklären, der dauernd war und ohne Bemühung. Zum
Verstehen und Erfahren des Zustandes des sündenlosen Menschen wurde ich ja hingeführt
und übergeleitet aus dem Beispiel und auf dem Weg über meine eigenen inneren
Erfahrungen; denn aus dem gewöhnlichen Zustand der Seele heraus könnte man das
Geheimnis der ersten Seele gar nicht erfassen und begreifen.
1762 |
Aus dem ganzen Ausmaß der Gott-Ebenbildlichkeit
und Vollkommenheit, die die ersten Menschen tatsächlich besaßen, kann man dann
auch die Tiefe des Falles und des Dunkels verstehen, worin die Menschheit durch
die Sünde stürzte. Zwar blieb auch nach der Sünde die gleiche Geistigkeit der Seele
im Grunde bestehen, aber die Seele wird nun weithin vom Leibe beherrscht, steht
größtenteils im Dienste des Leibes, ist gleichsam materialisiert; der Mensch
hat kein unmittelbares Bewusstsein mehr von seiner Seele, spürt nichts mehr von
ihr in diesem Leben, wenn Gott sie ihm nicht in besonderer Weise offenbart.
Erst im jenseitigen Leben erfährt und erlebt der Mensch wieder allgemein und
unmittelbar seine Seele, wenn sie den Leib verlassen hat.297 Ziel
und Fähigkeit der Seele blieb zwar im Wesentlichen das gleiche wie vor dem
Sündenfall, aber der Mensch ist nun auf den Glauben an seine Seele angewiesen.
Dieser Glaube wird ihm zum Verdienst, d. h. vor Gott übersteigt die Seele
dadurch das Materielle und wächst sie zu Gott empor. Ich habe innerlich geschaut:
Jeder Akt des Glaubens und jede Bemühung und jedes Opfer, das der Mensch im
Glauben an Gott verrichtet, hebt die Seele mehr aus ihrer eigenen Materie
heraus und bringt sie Gott näher. So wird der einstige sündige Zustand immer
mehr geheilt und ausgeglichen und so wird ein eifriges298 und treues
Glaubensleben zum allseits möglichen Ausgleich. Jeder Akt des Glaubens wird
eine neue Anerkennung und Verherrlichung Gottes, und wenn der Mensch die Bande
seines Leibes im Tode abstreift, kann und soll die Seele möglichst viel und
Großes von ihrem ersten299 reinen Zustand zurückerobert haben.
1763 |
Als mir dies heute nach der hl. Kommunion
erklärt wurde, fragte ich bei mir selber, wie denn dies möglich sei, nachdem
die Seele durch die Sünde Adams ihre großen Vorzüge verloren hat. Es wurde mir
darauf erklärt: Die wesentlichen Vorzüge der Gottesebenbildlichkeit blieben
trotz der Sünde in der Seele in ihrem ganzen Ausmaß bestehen und die Seele
besteht in ihrer Gottähnlichkeit und ihren geistigen Vorzügen weiter, aber an
die Stelle ihres ersten, für die Seele mühelosen Weges ist nun der zweite Weg
des Glaubens und Bemühens getreten. Vor der Gerechtigkeit Gottes wirken vor
allem die Erlöserverdienste Christi; sie bedecken gleichsam die Mängel der
gefallenen Seele, wenn diese sich ihm in vertrauensvollem Glauben übergibt und
in Christus kann das Verlorene gleichsam wieder zurückerobert und
wiedergewonnen werden. Für die Ewigkeit bleibt das gleiche Resultat und
Ergebnis des Lebens. Christus ist unser großer, überragender Ersatz vor dem
ewigen Vater, aber die Seele muss nun im dunklen Glauben sich bewähren und in
vielen Opfern sich bemühen. Ich habe aber – was mir merkwürdig schien und war –
innerlich erfahren: Der zweite Weg der gefallenen Menschheit mit den Gnaden des
Erlösers ist herrlicher und eine größere Verherrlichung für Gott als der erste
sündenlose Weg der Seele zu Gott, weil nun der Mensch sich im Glauben bewähren
muss und Gott im Glauben verherrlicht und anerkannt wird.
1764 |
Als unser herrlichstes und im Grunde einziges
Vorbild und sozusagen als unser „Andenken“ an die verlorene Paradieseszeit
wurde mir heute wieder MARIA gezeigt. Sie bewahrte ihre göttliche
Ebenbildlichkeit unversehrt und erhöhte sie noch fortwährend. An ihr kann man
das Geheimnis göttlicher Freigebigkeit bei der Erschaffung der Menschen
studieren. An ihr, die den Stempel der Ähnlichkeit und des Abbildes Gottes voll
bewahrt hat, kann man auch die Größe Gottes erfahren. – Bei der Lourdesgrotte
schaute ich heute Maria wieder in ihrer unversehrten Gottebenbildlichkeit. Sie
zeigte sich mir als die Führerin aus der Nacht des heutigen Unglaubens.
Besonders aber durch ihr Inneres – so wurde mir gezeigt – ist sie die Führerin
zu einer neuen Zeit des Glaubens und einer neuen Glaubensvertiefung.
1765 |
Maria zeigte mir im geistigen Wissen: „So, wie
ich bin, hat Gott die Menschheit geschaffen (und ich erfasste deren
Erniedrigung durch die Sünde) – und so blieb ich. Durch mich kann die Seele das
wiederfinden, was sie durch den Fall Adams verloren hat“. – Ich schaute Maria
als die einzige wahre Eva und Mutter des Menschengeschlechtes300,
die bewahrte, was Gott ihr gegeben hatte, während die erste Eva dieses Gut
verlor. – Ich schaute Maria als die Führerin des Priesterwerkes, nicht nur im
äußeren Sinne (insofern ihr dieses ganz geweiht sein, ihrer besonderen Fürbitte
unterstehen und dies auch anerkannt werden soll), ich erkannte sie auch als die
geistige Führerin, das geistige Vorbild. Ihr inneres, ihr unbeflecktes Herz
soll als die Fülle und Quelle der Gnaden für das Institut verehrt und anerkannt
werden. – Schon früher einmal hatte ich das innere Erkennen: Maria ist die
Rettung und Führerin in dieser dunklen Zeit für die Kirche; sie ist die
geistige und neue Lebensspenderin und Mutter des Priesterwerkes. Sie will und
fordert, dass man ihr dies anerkennt, weil vom Priesterwerk die geistige
Erneuerung der Kirche ausgehen wird.
1766 |
Ich habe heute aber auch dies ganz klar
erkannt: Mein innerer Weg führt mich zu einer höchstmöglichen
Gottesebenbildlichkeit zurück, in der der erste Mensch geschaffen wurde. Nur
auf diesem Wege und unter dieser Voraussetzung sei es für mich möglich, die
göttliche Person Christi ertragen, erleben und erleiden zu können. In dem Maße
ich in eine erworbene Gottesebenbildlichkeit eingehe, vollzieht sich auch meine
innere Angleichung an die göttliche Person Christi. – Gewiss kann man als
Mensch im gefallenen Zustand nicht mehr die erste Ebenbildlichkeit Gottes in
ihrer Urauswirkung erwerben – weil man durch die Erbsünde dem Gesetz des Falles
unterliegt –, aber man kann die inneren Folgen der ersten Reinheit vor Gott
wieder erwerben. Auch Maria trug, obwohl innerlich ganz frei von der Erbsünde,
nach außen doch deren Folgen; sie war leidensfähig und dem Tode unterworfen,
und kein Mensch geht an diesem allgemeinen Gesetz vorbei. Sogar der Gottmensch
nahm diese Folge der Sünde stellvertretend auf sich.
1767 |
Obwohl ich in meinem ganzen Leben durch eine
besondere Gnade auf dieses höchste Ziel hingeleitet und hingeführt wurde –
(schon als Kind war mir das Streben in die Seele gelegt: Ich muss zurück zu
jenem seelischen Zustand der Reinheit, indem der Mensch „einst war“), so habe
ich doch heute innerlich erkannt, während mir Maria in ihrer vollen
Ebenbildlichkeit Gottes und in ihrer vollkommenen Reinheit gezeigt wurde: Ihr
gegenüber und im Vergleich zu ihr scheine ich wie ein kleines Gräslein, das
gegenüber einem hohen Baum, der zum Himmel ragt, auf der Erde wächst. Und doch
wurde mir wieder als mein Weg zur besonderen Angleichung an Christus gemäß
meiner besonderen inneren Berufung der Weg Mariens gezeigt. Wie schon oft „bot“
und zeigte sich mir Maria wieder als mein einziges Vorbild.
1768 |
Heute bei der heiligen Messe, bei der heiligen
Wandlung schaute ich geistig wiederum Gottes ewige Absichten bei der
Erschaffung der Menschen. Gottes Beweggründe waren nur reinste, göttliche
Liebe; das immerwährende Hervorgehen des ewigen Wortes aus dem göttlichen Wesen
des Vaters, diese göttliche Einheit im Heiligen Geist wollte Gott-Vater in
geschöpflicher Form nachbilden mit der Erschaffung der Menschen. Nie sollte
jene Liebeseinheit unterbrochen werden, die Gott (d. h. die heiligste
Dreifaltigkeit) mit der Menschheit verband. Nach dem Wesen und der Besonderheit
des göttlichen Wortes wollte der Vater den göttlichen Liebesrhythmus in geschöpflicher
Weise mit den Menschen nachbilden; es sollte ein beständiger301
Kreislauf der Liebe zwischen Gott und den Menschen sein, und so war es auch am
Anfang der Menschheit bis zum Sündenfall. Die Gemeinschaft zwischen Gott und
den ersten Menschen bildete eine unaussprechliche Liebeseinheit wie in einer
Familie. (Ich hatte dieses innerste Geheimnis und die tiefsten Folgen für Gott
und den Menschen diesbezüglich geschaut und erfahren)302. Ich konnte
so klar erkennen, wie „ernst“ Gott-Vater die habituelle Liebeserwiderung der
Menschen aufnahm, weil diese zutiefst einbezogen waren in das Geheimnis des
göttlichen Wortes, des Hauptes der Menschheit und Schöpfung und weil sie sich
indessen Liebesgemeinschaft dem Vater ihrerseits wiederum schenkten und ihn
dadurch verherrlichten. Wiederum schaute ich ganz klar: Die Erschaffung der
Menschen hatte ihr Vorbild im Geheimnis des göttlichen Sohnes; es sollte eine
dauernde geschöpfliche Sohnschaft und Kindschaft der Menschheit vor Gott
erstehen. Der Vater ließ seine Schöpferliebe auf sie überströmen und der
göttliche Sohn „nahm“ diese geschaffene Söhne als seine Brüder an. Im Grunde
besteht dieser göttliche Plan immer noch und für alle Ewigkeit.
1769 |
Weil gestern der Todestag von Papst Pius X
war, wollte ich an seinem Grabe ihm unser großes Anliegen empfehlen. Ich befand
mich sehr im Leiden und beim Sakramentsaltar in St. Peter wurde ich noch tiefer
eingeführt in die Erklärung meines inneren Weges: Durch volles Aufgeben meines
Eigenen und gleichzeitiges Eingehen in Christus würde Gott dem Vater die größte
Verherrlichung [gezeigt]303. Wenn auch infolge dieser, meiner
besonderen inneren Führung die äußeren Akte eines gewöhnlichen Innenlebens in
der früheren Form, wie z. B. die früheren Gebetsakte, aufhören, so treten eben
an deren Stelle das Leben der Tat, des Vollbringens und der tatsächlichen Übung
des Lebens Christi. Die Überschaltung zu diesem Tat-Christusleben sei die
größte Verherrlichung Gottes des Vaters, weil Christi Leben dadurch in der
Seele gleichsam zur Wiederholung gelange. Alles aber, was der Mensch in
Christus tue, übe304 und leide, erhöhe dessen Wirksamkeit in
unermesslicher Weise. Das innere Leben wird damit zum „Zustand Christi“, in dem
Christus seine Gesinnung und sein Leben wieder dem ewigen Vater darbringt. Ich
schaute mich in meinem jetzigen Stadium in einem fortwährend sich erhöhenden
„Zustand Christi“, der mit meinen Kräften und Fähigkeiten dem Vater nach den
Absichten Jesu geboten wird.
1770 |
Ich war deshalb auch in der letzten Zeit
erneut in einer starken, in Worten nicht zu beschreibenden passiven305
Aktion der vollkommenen Ausschaltung meiner eigenen persönlichen
Geistestätigkeit, um dadurch in einen habituellen Geisteszustand Christi
einzugehen. – Es vollziehen sich zurzeit wirklich geheimnisvolle geistige
Veränderungen in mir. Ich gelange nun in das Stadium des inneren „Erleidens
Christi“, das mit meinen Geisteskräften und Fähigkeiten konstruiert und
nachgebildet wird. Doch keines Menschen Wort könnte je die Tiefe und Art meines
„Nicht-Selbst-Verlassens“ erklären, um dadurch den Lebensauswirkungen der
göttlichen Person Christi Platz zu machen!
1771 |
In der Gruft des Heiligen Vaters Pius X wurde
ich mir noch lebendiger meiner geistigen Lage bewusst und erlebte ich im Voraus
die Tragweite der Absichten Christi306 in mir. Mein ganzes Sein war
dem hingegeben, womit Christus sein inneres Leiden in mir wiederholt, und zwar
begriff ich meine Stellung in Verbindung mit dem von ihm gewünschtem
Priesterwerk. Es wurde mir dabei innerlich ganz klar gesagt: „Dies ist der
Preis (und zugleich der Beweis) des Priesterinstitutes“ (womit der göttlichen
Gerechtigkeit die fruchtbaren Gnaden bezahlt werden, die Jesus seiner Kirche
und den Priestern neu geben will). Um diesen Preis wird das Werk fruchtbar. –
Bis dahin befand ich mich in großen Leiden des Erringens einer neuen Stufe der
inneren Befreiung von mir bzw. von einem in Worten nicht auszusprechenden Grade
verborgenster, unbewusster Selbsttätigkeit; aber durch die Einwirkung einer
besonderen Gnade, die ich wohl auf die Fürbitte des Heiligen Vaters Pius X
erhalten habe, war in einem Augenblick, wie mit einem geistigen Schritt, die
innere Schwierigkeit überwunden und kam ich in vollen Frieden und Genuss der
Frucht eines neu307 erhöhten Zustandes in Christus.
1772 |
Wie herrlich ist die in sich selbst befreite308
und befestigte Seele im Genuss der ihr eigenen Konzentration all ihrer Kräfte!
Hier wird alle Kraft und Energie zusammengefasst und in Gott geordnet bzw. für
Christi Leben gebraucht und verwertet. Ich erkenne immer wieder: Das
Zurückerobern der ursprünglichen Ordnung der Seele d. h. zur Ordnung, die Gott
in der mit ihm ebenbildliche Seele geschaffen hatte, ist die Grundlage meines
inneren309 Fortschreitens in Christus. Wenn mir auch jetzt vieles
nicht ganz bewusst ist, so wird doch die Wirkung der Anlage der „ersten Seele“
in mir in Kraft treten, sobald ich den Vollzustand in Christus erreicht habe,
so wie er für das Erleiden seines Seins notwendig und gegeben sein wird; kraft
dieser Anlagen bin ich dann erst befähigt, Christus die gereinigten und
erhabenen Geisteskräfte bieten zu können, die fähig sind, ihm zum Erleiden
seines innersten Geheimnisses zu dienen. – Ich bin voll Mut und Kraft, um weiter
gerne und mit großem Verlangen mich für Christus voll zu bereiten oder vielmehr
bereiten zu lassen. Alle Furcht vor dem Geheimnisvollen und Bevorstehenden ist
jetzt verschwunden und das Verlangen nach dem Kommenden hat nun das Übergewicht
in mir erlangt. Die Bereitschaft ist schon vorausgeeilt und hat jedes eigene
Bedenken und die (bisher immer wiederkehrende) Furcht vor dem kommenden Leiden
überwunden. Ich bin in Christus in ganz hoher Weise befestigt und konzentriert.
Damit fällt die eigene Sorge um die menschliche Erbärmlichkeit, besonders das
Mitleid mit sich selber weg, das den geistigen Fortschritt so sehr hemmen kann;
es ist damit die weitere Möglichkeit geschaffen, in freiem Wollen sich
rückhaltlos dem Wirken Christi zu überlassen. – So habe ich in St. Peter
wirklich ganz besonders wirksame neue Gnaden erhalten.
1773 |
Heute bin ich wieder im Leidenszustand. Es
bereitet sich eine neue Unterlage zu einem weiteren und tieferen Fortschreiten
in Christus in mir vor.
1774 |
Seit einigen Tagen bin ich in einem
unaussprechlichen Leidenszustand versetzt. Eingeleitet wurde dieser durch ein
Voraussehen der kommenden Vollendung meines Zustandes in Christus. In diesem
inneren Voraussehen der kommenden Vollendung310 wurde ich auf das
Endziel meines Innenlebens, oder vielmehr meiner Vorbereitung hingewiesen: Auf
einen dauernden Zustand in Christus, mit dem erst meine eigentliche seelische
Aufgabe beginnt, nämlich das Erleiden des Inneren Christi. Ich schaute die
letzte Befähigung hierzu, die in den Dauerzustand mündet. Ich konnte auch den
Abstand erkennen, der mich von jenem Dauerzustand noch trennt, sowie den hohen
Grad einer kommenden Umwandlung in Christus. – Ich schaute auch wieder das
Priesterinstitut, als Frucht all meiner Leiden,311 wodurch dem
Herzen Jesu so große Ehre und Verherrlichung gegeben wird, und in der Kirche
neue Ströme seiner unendlichen Erbarmung und seiner Liebe zu fließen beginnen
werden. – Durch all dieses innere Voraussehen wurde in mir eine alles
überwindende Großmut gegen Jesus entzündet sowie neue Bereitschaft für alle
möglichen Leiden, die mit und in ihm mein Anteil sein werden. Ich erlebte im
Voraus die endliche Gnade der Befestigung, die mir mit ihm gegeben sein wird.
Dadurch kam ich in eine unbeschreibliche Sicherheit, in das Gesichertsein in
Christus. Diese geistige Sicherheit im Voraussehen der Treue Christi in seinen
Verheißungen entflammte in mir ein großes Verlangen – das zu einer verzehrenden
Qual für mich wurde – an mein geistiges Ziel zu gelangen, und dafür scheint mir
kein Leiden, ja auch nicht das eigene innere Martyrium zu viel oder zu schwer.
Dementsprechend erlebte ich die absolute Treue Gottes in dem Ergebnis und der
Frucht all meiner Leiden. – Diese durch eine besondere Gnade des Großmutes in
mir entzündete Bereitschaft für die Absichten Jesu war aber eine Vorbereitung
und ein Auftakt zu neuen, ganz großen Leiden in meinem Inneren. –
1775 |
Herz Jesu Freitag änderte sich mein innerer
Zustand; große Erkenntnisse über die zweite göttliche Person wurden mir zuteil;
Beleuchtung meines inneren Weges.
1776 |
– Große Leiden –
1777 |
Große Leiden – erkennen über das Wesen des
Wortes, das vom Vater ausgeht – die innere Gleichförmigkeit, göttliche
Wesensgleichheit – voller Ruhe und Ausgeglichenheit und neue Bereitschaft für
immer und ganz für das Leben des Wortes –
1778 |
Große innere Ruhe und Leidlosigkeit und
Harmonie, da aber die inneren Leiden aussetzen, wie gewöhnlich körperliche und
geistige Ermüdung und Ruhebedürfnis.
1779 |
Seit zwei Tagen hat sich mein innerer Zustand
ganz geändert. Noch nie war ich in einer solchen dauernden inneren
Geschlossenheit und Konzentration wie jetzt. Mein inneres Leben ist nicht
„Übung“ oder „Akt“, sondern wirkliches Leben und Sein (freilich lässt sich
dieser Zustand wieder in Worten nicht erklären). Wie ich es schon seit langer
Zeit vorausgesehen und geübt habe, lebe ich jetzt alle Vollkommenheiten, lebe
ich mein inneres Leben in „einem Akt“, in dem ich mich ganz beherrsche oder vielmehr
in dem und mit dem ich mich schon beherrscht habe und besitze. – Damit hätte
ich nun jene geistige Grundlage erreicht, die mir als notwendige Voraussetzung
für das Erleben des inneren Christi erklärt und im Voraus gezeigt worden war.
Kraft dieses Zustandes stehe ich vollkommen über mir und mein ganzes Sein ist
schon von mir beherrscht. Ich bin in einem Zustand unaussprechlicher Freiheit
gelangt, voll Ruhe und innerer Kampflosigkeit. Alles in mir ist „Sein“ und
Wirklichkeit, ohne Übung und Bemühung.
1780 |
Heute Morgen vor der heiligen Kommunion kam
ich durch eine besondere gnadenvolle innere Bewegung in einen gewissen Zustand
der Großmut Gott gegenüber, um mir den innerlich erfassten
Vollkommenheitszustand vollends anzueignen, aber damit ganz auf das Eigene zu
verzichten und so in mir die Grundlage für Jesu inneres Sein bilden zu lassen.
Ich erfasste ganz klar, welche Absichten Jesus mit jenem innerlich erkannten
Vollkommenheitszustand für mich hat. – Ich „verließ“ mich, zog mich gleichsam
aus mir heraus und nahm jenen inneren Habitus als mein Eigentum an, um damit zu
leben. Er ist mein wunderbares Eigentum geworden, das sich wohl noch
vervollkommnen und befestigen wird. Für die Hingabe meines armseligen eigenen
Bemühens habe ich so unaussprechlich Großes erhalten! Und wie hat meine arme
menschliche Natur vor diesem großen, bedeutungsvollen inneren Schritt gezittert
und gebangt, und doch wieder darum gekämpft und gelitten. Alle inneren Leiden
und Läuterungen richten sich ja eigentlich schon immer auf diesen grundlegenden
Habitus in mir hin.
1781 |
Gerade in letzter Zeit wurde vom göttlichen
Geiste meiner inneren Führung immer wieder erklärt: Mein inneres Erleben und
Erleiden des Inneren Christi ist und wird nicht auf einer Grundlage des
„Schauens“ oder von Visionen aufgebaut; nicht in geistigen Visionen werde ich
die inneren Erlöserleiden erleben und erleiden, sondern ich werde gleichsam in
einen substanziellen, wesentlichen Vereinigungszustand in Christus eingehen und
kraft dieses besonderen Vereinigungszustandes erlebe ich seinen inneren
Zustand. Christus teilt sich mir kraft eines besonderen hierfür erforderlichen
Vereinigungszustandes mit seinem inneren Sein und Wesen derart mit, dass ich
vermöge seiner göttlichen Person, die der führende „Aktus“ ist, sein Inneres
mit meinen eigenen Seelenkräften als meine Erlebnisse und Leiden erfahren und
erleiden kann. Nicht in Visionen, auch nicht solcher geistiger Art, wird mir
das Innere Christi, des Gottmenschen, zum Erleben, sondern in der Auswirkung
einer besonderen wirklichen Vereinigung. Dementsprechend ist auch meine ganze
innere Vorbereitung aufgebaut. Ich werde nach und nach, stufenweise, eingeführt
und angeglichen dem Vollkommenheitszustand Christi in seiner menschlichen
Natur, für den aber maßgebend und beherrschend und bestimmende der göttliche
Vollkommenheitszustand der Person des Wortes war.
1782 |
Gerade in den letzten Wochen habe ich auf
diesem geistigen göttlichen315 Gebiet wunderbare, unaussprechliche
Geheimnisse erlebt und erfahren. Als tiefstes Geheimnis schaute und erfasste
ich fast ständig die Heiligste Dreifaltigkeit bzw. das Geheimnis des Vaters und
des Sohnes im Besonderen. In innerem Erkennen begriff ich, oder vielmehr wurde
ich zu tiefst eingeführt in das Geheimnis Gottes im Allgemeinen. Gottes Wesen
war zunächst Ziel und Inhalt meines inneren Erkennens: seine göttliche Größe
und Einfachheit, seine Geistigkeit und Erhabenheit, seine schenkende und
mitteilende Liebe. Von dieser allgemeinen Erkenntnis des göttlichen Wesens aus
wurde ich im Besonderen eingeführt in das Geheimnis des „Vaters“ und in das
immerwährende Ausgehen des göttlichen Wortes, dessen Wesen mir in innerem
Schauen erklärt wurde. – Gott-Vater ist in seiner göttlichen Art immer tätig.
Selbst der Mensch ist in seinem Inneren gewissermaßen niemals müßig oder
gedankenleer, sondern ist in seiner menschlichen Art in sich immer in Bewegung
und „Arbeit“; sein tiefstes, verborgenstes Denken, und seine innere
Beschäftigung mit sich selbst äußert und zeigt sich auch nach außen und nimmt
eine dem Inneren entsprechende Gestalt und Form an, sodass der Mensch auf die
Dauer sein Inneres nicht verbergen kann, ob es nun auf Gutes oder Böses
hingerichtet ist; sein Äußeres ist der Ausdruck des Inneren.316 Eine
ähnliche, aber göttliche erhabene innere „Bewegung“ schaute und erlebte ich
auch in Gott-Vater. Gottes tiefstes Inneres zeugt und bringt ständig hervor.
Sein göttliches Wissen und Erkennen317 um sich, seine göttlichen
Gedanken und Pläne werden zum göttlichen Ausdruck in einer zweiten göttlichen
Person, werden gleichsam formuliert im göttlichen „Worte“, das als
selbstständige göttliche Person tiefster göttlicher Ausdruck vom und im
göttlichen Wesen des Vaters ist. Was Gott-Vater wesenhaft als Geheimnis in sich
trägt, das findet seinen göttlichen Ausdruck „im Worte“, das der Vater in
innergöttlicher Bewegung ständig318 in sich zeugt und wodurch er
sein Innerstes ausdrückt. Auch all die göttlichen Pläne der unsichtbaren und
sichtbaren Schöpfung gehören zu den innersten Gedanken Gottes, die durch das
„Wort“ ausgesprochen und hervorgebracht werden. Durch das „Wort“ ist auch alles
geschaffen worden.
1783 |
Gott-Vater äußert sich durch das Wort. Weil er
aber wesenhaft Gott und Alleinherr ist, so kann er in sich nur
Göttlich-Wesenhaftes zeugen, das ihm zum Ausdruck dient. Und weil Gottes Wesen
unumschränkt und göttlich frei ist, so kann des Vaters Wesen in seinem tiefsten
Inneren nur ein göttlich unumschränktes und selbstständiges319
göttliches Wesen zeugen; denn auch Gott zeugt und bringt in sich selbst das
hervor, was er wesenhaft ist, ähnlich wie die Gedanken und Pläne des Menschen
eine menschliche veränderliche Gestalt und Form annehmen.
1784 |
Gott-Vater spricht sich aus im „göttlichen
Wort“ als dem göttlich-wesenhaften Ausdruck seines innergöttlichen Habitus.
Dieses göttliche Geheimnis wirkt sich immerwährend von und in Ewigkeit aus und
hat in der Zeit das ganze Universum und die gesamte Schöpfung hervorgebracht.
Gottes „Wort“ ist aber selbstständig, Gott von Gott, Wesen vom Wesen; von
gleicher erhabener Geistigkeit geht es, immerwährend gezeugt, vom Vater hervor.
Die gegenseitigen göttlichen Bewegungen zwischen Vater und Wort bzw. Sohn sind
Bewegungen und Ausdruck höchster göttlicher Liebe; ein Geist der Liebe
durchglüht sie beständig als immerwährendes Band der göttlichen Einheit. Dieser
Geist der Liebe zwischen Vater und Sohn ist göttlich-wesenhafte Liebe, ist die
ursächlichste göttliche Bewegung, ist gleichsam das göttliche Fundament Gottes;
denn Gott bringt in sich alles aus Liebe hervor. Dieser Geist der wesenhaften
göttlichen Liebe ist in sich unumschränkt und auch als göttlich wesenhafte
Liebesbewegung ein selbstständiges göttliches Wesen, eine göttliche Person;
denn Gottes Wesen trägt in sich nur Göttliches mit allen göttlichen wesenhaften
Eigenschaften.
1785 |
Ich schaue und erlebe diese dreifache
göttliche „Bewegung“ in ihrer göttlichen Verschiedenheit im Einzelnen und
durchdringe dieses allerhöchste Geheimnis mit unaussprechlicher Leichtigkeit
und Einfachheit. – In Hinsicht auf meinen speziellen inneren Beruf bleibt aber
gleichsam unauslöschlich in meinem Wissen und Erkennen das Geheimnis des Vaters
und des Sohnes haften. Dies ist der Gegenstand tagelangen inneren Schauens und
immerwährenden inneren Wissens und Durchdringens. Ja, ich kann sagen: Ich kenne
keinen Menschen so gut wie dieses Geheimnis und auch die sichtbare, geschaffene
Natur ist mir in ihren Geheimnissen nicht so geläufig wie ich jenes
ungeschaffene, wesentliche Geheimnis in Gott kenne und darum weiß; denn die
Augen des Geistes durchdringen Unsichtbares, Geheimnisvolles, während die Augen
des Leibes meist nur an der Oberfläche haften bleiben.
1786 |
So wurde ich ganz tief eingeführt in die
innergöttlichen Geheimnisse und erkenne ich das immerwährende Hervorgehen des
göttlichen Wortes, das zugleich „Sein“ und Wirklichkeit des göttlichen Wortes
ist. Ich konnte aber mit meiner inneren Erkenntnis auch eindringen in das
„Wesen“ des göttlichen Wortes. Das göttliche Wort, der Sohn, ist wesentlich
das, was der Vater in sich ist, was der Vater seiner göttlichen Natur nach ist.320
Ich erkenne in ihm die gleiche Heiligkeit, Geistigkeit und Erhabenheit. Der
Vater teilt sich dem Sohn gleichsam „selbst“ mit. Dieses Geheimnis lässt sich
aber in Worten überhaupt nicht ausdrücken. Um diese göttliche Selbstmitteilung,
diese ständig neue Lebenszeugung erfahren zu können, muss man zugleich das
göttliche Wesen des Vaters erfassen können, denn beides ist unzertrennlich und
immerwährend. Gott-Vater „ruht“ in sich nie; immerwährend zeugt er das Wort aus
der Fülle seines göttlichen Wesens, und durch sein „Wort“ bestehen Sichtbares
und Unsichtbares. Aber die höchsten göttlichen Wirkungen bringt der Vater durch
das „Wort“ im „Worte“ selbst hervor. Die gleiche göttliche Vollkommenheit und
Heiligkeit des Vaters spiegelt321 sich im göttlichen Sohne, denn im
Sohne kommt gleichsam die göttliche Selbsterkenntnis zum höchsten jubelnden
Ausdruck, weil gerade im eigenen göttlichen Sich-Erkennen Gott im Worte ein
wesensgleiches Abbild mit all seinen innergöttlichen Vollkommenheiten zeugt.
Diese göttliche Zeugung ist ein ständiges göttliches Widerspiegeln seiner
wesenhaften Vollkommenheiten. Der Vater bringt durch dieses göttliche
Selbsterkennen wirkliches, neues göttliches Leben hervor, wirkliche göttliche
Tat und wahrhaftiges Vollbringen. Der Sohn vollbringt und vollzieht wahrhaft
die tiefsten Gedanken und Pläne des Vaters, bringt sie zum wahrhaftigen
Auswirken und Bestehen. Das „Wort“ schafft und vollbringt, was der Vater in
sich plant und „denkt“. – Ich konnte so klar die Selbstständigkeit der
göttlichen Personen in der Verschiedenheit ihrer Betätigungen in dem einen
göttlichen Wesen erkennen.
1787 |
Hauptsächlich aber und in besonderer Weise
werde ich eingeführt322 und hingewiesen auf die innergöttlichste
Vollkommenheit des „göttlichen Wortes“, wie es ständig vom Vater hervorgeht.
Diese Erkenntnis ist mir besonders eingeprägt, denn ich sah mich „berufen zum
Erleben des göttlichen Wortes“. Mein innerer Weg führt mich in dieses tiefste
Geheimnis ein. Während ich dieses göttliche Geheimnis innerlich erfahre,
verbindet sich die göttliche Person des Wortes mit mir, mit meinem menschlichen
Leben, und ich bin und werde so in unaussprechlicher Weise befähigt, dieses
göttliche Geheimnis zu „leben“, sodass ich sagen kann: Nicht nur im Erkennen
und Schauen weiß ich darum, sondern im eigenen Erfahren. Ich dringe somit vor
bis zum göttlichen Mittelpunkt des Wortes, zur göttlichen Person, und lebe
diese in eigenem Erfahren. Es wurde mir dabei in den letzten Tagen erklärt: Ich
werde eingeführt in den göttlichen Ursprung des Sohnes, in das Geheimnis der
Zeugung des Wortes und im gleichen Augenblick „nehme ich teil“ daran, d. h.,
ich lebe und erlebe das Geheimnis vom323 Ursprung des göttlichen
Hervorgehens. Mein innerer Beruf führt mich bis zum göttlichen Mittelpunkt und
bis an die Spitze des dazu notwendigen Vereinigungsgrades mit Gott.
1788 |
Deshalb werde ich auch immer wieder und
nachdrücklich darauf hingewiesen: Nicht Schauen und Erkennen ist mein innerster
Beruf, sondern „Leben“ und „Erleben“; ich gehe ein in jenen tatsächlichen
Vereinigungszustand mit Christus, das heißt mit seiner göttlichen Person und
damit auch mit seinem ganzen Sein. – Über diesen meinen inneren Weg, sowie im
Allgemeinen über den Weg zur Vereinigung mit Gott wurde mir in den vergangenen
Wochen vieles erklärt. Gott trägt gleichsam in seinem göttlichen Wesen alles
als absolutes Eigentum, was immer er durch das „Wort“ geschaffen hat. Wie die
heiligste Dreifaltigkeit nur eins324 ist, so trägt sie auch alles
Geschaffene gleichsam in sich wie in einem Kreis; alles ist und besteht in
Gott, in seinem göttlichen dreifaltigen Kreislauf. Außer und neben Gott besteht
nichts Göttliches, nur Geschaffenes, weil er der absolute Alleinherr ist. Auch
der Mensch war durch die Teilnahme am göttlichen Leben in der Gnade in gewissem
Sinne in diesen göttlichen Kreislauf einbezogen, aber durch die Sünde trat er
gleichsam aus dem Kreis heraus, weil er sich außerhalb des göttlichen Willens
betätigte. Durch die Erlösergnade Christi nun wird der Mensch wieder in diesen
göttlichen Kreislauf hineingezogen, weil er durch Christus wieder das göttliche
Leben und die Befähigung zur Teilnahme daran erhalten hat. Durch jedes gute und
religiöse Werk wird der Mensch tiefer und lebendiger in Christus für das
göttliche Leben befähigt, kommt er gleichsam dem Mittelpunkt des göttlichen
Kreislaufes näher, nimmt er intensiver daran teil, und dieses göttliche Leben
behält er dann als dauernde Frucht für die ganze Ewigkeit. Durch das „Wort“,
durch Christus wird uns alles göttliche Leben vom Vater zugeteilt.
1789 |
Ich schaute in diesem Zusammenhang auch die
verschiedenen mystischen325 Vereinigungsgrade. Mannigfache innere
Läuterungszustände befähigen die Seele zum „Innewerden“ und „Schauen“ Gottes.
Die Seele erfasst und unterscheidet Gott in seinen göttlichen Geheimnissen.
Innere Reinigung führt die Seele zu immer innigeren Vereinigung mit diesem
geschauten und erfahrenen Gott, und so kommt die Seele schließlich zu einem
wirklichen Vereinigungszustand, der – wenn die Seele treu ist gegenüber der
Gnade – nicht mehr unterbrochen wird und sich immer mehr steigert. Unterbrochen
aber wird immer wieder das Erfahren und Schauen Gottes, das Wissen und Erleben
der Vereinigung mit Gott, denn es gibt in diesem Leben keinen dauernd gefühlten
oder fühlbaren erlebten Vereinigungszustand, d. h., keine dauernden
außergewöhnlichen Erlebnisse. In diesem Sinne ist das innere Leben einem
bestimmten326 und beständigen Wechsel unterworfen, bestehen bleibt
aber die wirkliche und wirksame Gnade des Grades der erworbenen Vereinigung mit
Gott, die immer tätig ist und sich im Tugendleben kraft der Vereinigung
auswirkt. Mit dem wiederholten zeitweisen Erleben der Vereinigung wird die
Seele immer tiefer, weiter und wirksamer327 in die verschiedenen
Geheimnisse Gottes eingeführt. Hierin ist der Weg der einzelnen Seele ganz
verschieden. Wesentlich gleich bei allen Seelen bleibt aber der Weg der
Vereinigung mit Gott selbst. Auf den höchsten Stufen wird Gott selbst zum Leben
der Seele und wirkt gleichsam aus ihr. – Im Grunde hat nur der wirkliche
bestehende Zustand der Vereinigung entscheidenden Wert vor Gott und bestimmt
sich danach dann auch die Ewigkeit, wenn auch die verschiedenen guten Werke
alle Gott näherbringen und wohlgefälliger machen.
1790 |
Der wesentliche Vereinigungszustand mit Gott
in diesem Leben äußert sich in manchen unaussprechlichen Wirkungen; er ist
immer wirksam, wird nie unterbrochen, kann sich in diesem Leben fortwährend
erhöhen und auswirken, und er beruht nicht auf Täuschung, weil sich seine Kraft
und Wirksamkeit in der Seele selbst betätigt und zeigt. – Gewiss kann sich
dieser Vereinigungszustand auf ein bestimmtes göttliches Gebiet, auf ein
besonderes Geheimnis Gottes hinrichten; denn Gott kann sich der Seele in einer
besonderen Art mitteilen und die Vereinigung sich in der Seele auswirken lassen,
gemäß der Vielfalt seiner Absichten in den Seelen. Auf diese Weise und auf
diesem Weg kann auch ein bestimmtes Geheimnis Gottes in einer Seele zum
dauernden Erlebnis werden aufgrund eines schon erworbenen
Vereinigungszustandes. Hier wirkt sich dann die wesentliche Vereinigung mit
Gott bzw. Christus aus aufgrund des Einsseins mit ihm. In diesem Sinne wird
dann das Erleben und Erfahren Gottes in diesem oder jenem besonderen Geheimnis
wie ein „natürliches“ Erleben, freilich in einer höheren und höchsten Gnadenordnung,
aber hervorkommend aus der erreichten wesentlichen Vereinigung als wesentliches
Erleben, Ertragen und Erleiden Gottes (in leidender Form), nicht hervorgerufen
– wie auf den Unterstufen des mystischen Lebens – in geistig-visionärer
Gottesschau, durch ein besonderes328 einströmendes besonderes
Gnadenlicht. Gott selbst wirkt dann in der Seele und nicht so sehr ein
besonderes gegebenes Gnadenlicht. Weil die wesentliche Vereinigung dauernd ist
und dauernd wirksam sein kann, so kann auch ein solches Erleben eines
Geheimnisses Gottes ein dauernder Zustand werden.
1791 |
Mit dieser inneren Erklärung wurde mir mein
Geistesweg nahegebracht. Darauf habe ich die göttliche Führung geschaut: Mein
inneres Erleben Jesu ist ein ähnlicher wesentlicher Weg, bei dem die besondere
Vereinigung mit Jesus zum Ausdruck kommt im Erleben seiner inneren leiden.
(Wenn ich mich mit dem Worte „schauen“ ausdrücke, so ist in diesem Sinne viel
mehr ein „inneres Innenwerden“, ein mir mitgeteiltes Wissen in geistiger Form
gemeint; aber der Einfachheit des Ausdruckes wegen bezeichne ich es mit dem
Worte „schauen“.)329
1792 |
Als ich heute Morgen in die Kapelle ging, kam
ich in eine unbeschreibliche innere Konzentration. Ich war meinem eigenen Sein
wie ganz weggenommen330 und enthoben und wurde mit der göttlichen
Person des „Wortes“ in eine wesentliche Verbindung geführt, wie zu EINEM Leben
und als MEIN Leben. Ich erlebte diesen Zustand als mein Ziel. Ich war ganz
„genommen“ zu diesem Erleben der zweiten göttlichen Person und lebte die Akte
des göttlichen Wortes, wie es vom Vater ausgeht. Es sind dies aber nicht „Akte“
im menschlichen Sinne, sondern es ist Sein der höchsten Vollkommenheit, die
schon besteht, aber in menschlichen Akten übernommen und gelebt und so zu einem
menschlichen Leben wird. Noch nie habe ich dieses göttliche Geheimnis in dieser
höchsten Weise und in dieser Form erlebt wie heute, wo ich für mein eigenes
Sein ganz ausgelöscht war, wobei aber doch wieder mein gewöhnliches Leben
bestehen blieb. Es ist ein unaussprechliches „wirkliches Leben“ voll
Erhabenheit und Geistigkeit – aber es gibt ja kein entsprechendes Wort dafür.
1793 |
In diesem wirklichen Erleben des göttlichen
Wortes wurde ich hingewiesen auf das größte331 Wunder, das die
heiligste Dreifaltigkeit im irdischen, menschlichen Leben Jesu wirkte: Das
göttliche Wort wurde nicht erst im Augenblick der Menschwerdung für die Zeit
des irdischen Lebens gezeugt, sondern es geht auch für die Zeit seines
Erlöserlebens jeden Augenblick in seiner Art vom Vater hervor. Dies ist das
wunderbarste Geheimnis zwischen Vater und Sohn. „Immer in seiner Art“, auch
während des Erlöserlebens! Und in dieser göttlichen Form „lebt der Sohn die
göttliche Gleichförmigkeit mit dem himmlischen Vater“; so tat Jesus immer den
Willen des Vaters in jener göttlichen Einheit und doch in seiner menschlichen
Gestalt und in menschlichen Akten und entsprechenden Betätigungen. „In jener
göttlichen Gleichförmigkeit mit dem Vater“: Man muss dabei das göttliche Wesen
des Vaters schauen in seiner innergöttlichen Herrlichkeit, Vollkommenheit und
Harmonie332, um dieses erhabenste Geheimnis würdigen und anerkennen
zu können.
1794 |
Dabei habe ich vorausgesehen, dass mir dieses
Geheimnis zum dauernden Erleben, d. h. zu MEINEM Erlebnis werden wird. – Aber
wie groß sind auch die inneren Leiden, durch die ich auf jenen endlichen
Vollzustand vorbereitet werde! Fast unerträglich scheint der menschlichen Natur
dieser Zustand der Vergeistigung und inneren Erhabenheit, der sich ständig in
mir erhöht. Abends meine ich, nicht schlafen zu können, weil die Geistigkeit so
vorherrschen ist, dass man von der körperlichen Ruhe doch keinen Genuss hat. Es
ist mir, als sei ich zwischen Himmel und Erde, aber ohne eigenen physischen
Genuss. Man mein, vergehen zu müssen unter diesem „Übermaß des Geistes“, das
man in sich trägt. Auch der Körper kommt sozusagen unter diesem Druck des
Geistes zu keinem Recht mehr, denn alles beherrscht das Geistesleben. So hart
und schwer ist dieses gänzliche Absterben für das eigene Sein, um sich für ein
erhabeneres Leben in Christus bilden333 und bereiten zu lassen!
1795 |
Meist am Morgen nach der heiligen Kommunion
werde ich dann in einen Vollzustand des Vergeistigt-Seins versetzt und ich
komme dann in einen Zustand der „Leichtigkeit“ und Freiheit von mir selbst, der
mit keinem Worte zu beschreiben ist. Ich bin dann innerlich so fein und fügsam
und elastisch und gehoben, dass ich mir selbst ganz fremd geworden bin. Gerade
in und mit diesem Geisteszustand werde ich dann in jener besonderen Weise mit
der göttlichen Person Christi vereinigt, dass ich ihm ohne weitere Bemühung
ganz so folgen kann, wie wenn es mir natürlich und mein eigenes Leben wäre. Die
entsprechende notwendige Disposition ist dann geschaffen. Aber auch dieser
Vergeistigungszustand erhöht sich in letzter Zeit immer wieder334
von Tag zu Tag. Zwar kommt mir immer wieder vor: noch mehr mit Jesus
harmonisch, noch mehr ihm angepasst und noch mehr in mir selbst ausgeglichen zu
sein ist nun unmöglich und ich muss doch wohl das Höchstmögliche erreicht haben,
aber nachdem ich dann innerlich wieder durch schwere Leiden gegangen bin,
erlebe ich doch wieder, vielleicht schon am nächsten Tag, ein viel höheres
Stadium der inneren Erhabenheit und des Vergeistigtseins.
1796 |
Mit diesem Zustand ist wesentlich verbunden
eine unaussprechliche Ruhe und ein volles „in sich selbst Befriedigtsein“. Ich
bin dann ganz Ruhe, Ruhe, Ruhe, Frieden und Kampflosigkeit. Man ruht in sich
selbst. Es wäre nach meinem eigenen Erfahren auch unmöglich, den oben erwähnten
Zustand des Erlebens Jesu ertragen zu können, wenn man in sich nicht vollends
ausgeglichen wäre und nicht die entsprechende Harmonie und Ausgeglichenheit
hätte. So begreife ich auch die Notwendigkeit, über die Bedürfnisse und
Befriedigungen des niederen Menschen hinauszuschreiten und in sich selbst, auch
natürlicherweise und in natürlicher Hinsicht, zur Ruhe und
Selbstbedürfnislosigkeit zu kommen, um so dann jenen Vergeistigungszustand
aushalten zu können. – Dieser innere wesentliche Zustand ist die Voraussetzung
und Grundlage, um mit Christus harmonieren und zu einem Leben verbunden werden
zu können. Darum ist es merkwürdig, wie sich der Heiland innerlich gleichsam
„misst“ mit mir bzw. mit meiner jeweils erreichten geistigen Tragfähigkeit (ob
sie ihm auch schon angepasst und genügend sei). Manchmal, besonders in
Leidenszeiten scheint es dann, dass eine geistige Berührung mit Jesus ein
unaussprechlicher Schmerz ist; man kann seine göttliche Geistigkeit nicht
ertragen und fühlt sich gleichsam zurückgeworfen. Die Seele Jesu war von Anfang
an entsprechend der göttlichen Einwirkung vergeistigt und vergöttlicht335,
während ich erst zu dem Vergeistigungsgrade geführt und befähigt werden muss,
der meinem Vergeistigungszustand in Christus entspricht und der notwendig ist,
um dem inneren Erleben folgen zu können. – Jesus „zeigt“ sich dann mir im
inneren Erkennen: „So gehe ich aus dem Vater hervor und so bin ich in mir
selbst“ – und als Gegensatz dazu zeigt er mir dann meine arme „Vollkommenheit“,
so wie er mich schon gebildet hat: Ach, welch schmerzlicher Gegensatz! Da
bekommt man einen Eindruck von göttlicher und menschlicher Reinheit. So
unaussprechlich rein und erhaben ist Gott! Und doch arbeitet Jesus jeden
Augenblick so intensiv an meiner Vervollkommnung und Heiligung. Der ständige Drang,
das eigene niedere unvollkommene Leben zu verlassen und dem erkannten höchsten
Reinheits- und Heiligkeitsideal zuzustreben, bzw. im Leben und Sein Jesu es
erreichen zu können, ist ein wahres, inneres Martyrium.
1797 |
Heute Morgen habe ich so tief und zugleich so
einfach wie bis jetzt noch nie meine innere Harmonie in EINEM Leben mit Jesus,
in seinem göttlichen Hervorgehen vom Vater erfahren. Dies dauernd zu erleben
schaute ich als mein Ziel, dem ich zuschreite. Jubelnd und freudig habe ich
mich dem Heiland für mein ganzes Leben dazu angeboten, denn wer einmal Gott in
solch erhabener Weise gekostet hat, den gelüstet nie mehr nach anderem. –
1798 |
Untertags war ich heute wieder sehr im Leiden,
aber es bleibt in mir immer das Wissen um den göttlichen Zustand des ewigen
Wortes bestehen, wie es aus dem Vater hervorgeht und wie ich ihm innerlich
angeglichen werden und mit ihm harmonieren soll. Das innere Hindrängen zu
dieser Befähigung ist eine wahre, mich verzehrende Qual.
1799 |
Mein Seelenzustand ist ähnlich wie gestern;
ich bin im Erleben jener Geistigkeit und Erhabenheit, die ich gestern früh als
im vorausgegebene Gnade hatte, um die kommende Einheit mit dem göttlichen Worte
ertragen zu können. Ich leide in mir die noch bestehenden Gegensätze und
Hindernisse weg, die ich gerade in diesen Leiden dunkel erfahre, ohne sie
eigentlich benennen zu können. Ich bin daran, „alles zu verlassen“, was mich
hindern könnte im Erleben des göttlichen Wortes. Und dieses „alles“ ist mein
eigenes Sein für jeden Selbstgenuss, auch den Genuss der göttlichen Vereinigung
für mich selbst. Ich spüre, wie jeder Selbstgenuss auch in der Form des
Genießens Gottes umgeschaltet wird in das Erleben an Stelle Christi, sodass das
Leben der göttlichen Person Christi wie zu meinem eigenen Erleben seines Seins
wird, d. h. wie an seiner Stelle.
1800 |
Besonders verzehrend ist die Qual des
Verlangens nach jenem Ziel und „Ruhepunkt“, den ich in und mit den Leiden
ständig in mir erfahre. – Ich möchte mein jetziges Innenleben vergleichen mit
dem Mann im Gleichnis des Evangeliums vom Schatz im Acker. Er verkaufte und gab
alles hin, was er hatte, und kaufte den Acker mit dem Schatz. So habe ich im
Erfahren des göttlichen Geheimnisses vom Vater und Sohn diesen göttlichen
Schatz erkannt und genossen, und bin nun daran, alles hinzugeben, um diesen
göttlichen Schatz erwerben zu können. Immer ruft es gleichsam in mir in
verzehrender Sehnsucht: Ich will alles hingeben, alles, alles um in den Besitz
dieser Schätze, das ist Gott selbst, zu gelangen. Ich möchte über mich selbst
hinaussteigen, um dauernd in jener Konzentration ruhen zu können, die in sich
selbst die Ruhe ist. – Ich weiß aber auch, was Großes und Schweres in jenem
geistigen Bereich des Verzichtens auf alles Eigene für mich selber liegt. Doch
das Schwergewicht meines Seins ist bereits „hinübergeschritten“, liegt schon
„jenseits“, sodass die Leiden diesseits noch schwerer empfunden werden; das Tor
ist schon so weit geöffnet, dass es mich unwillkürlich dort hineinzieht.
1801 |
Während ich so leide, schreite ich auch
dauernd weiter im Erkennen Gottes und meines geistigen Weges. Gott selbst ist
und wird mir zum Licht. In diesem Licht, das Gott ist, weiß ich um seine
Absichten mit mir. Das Wissen und Erleben Gottes ist, wenn auch „dunkel“, eine
beständige Wirkkraft in mir geworden, und in ihm werde ich immer mehr in ihn
hineinbewegt. Ein göttlicher Lichtstrahl ist mir zum Weg geworden, der mir die
geistige Richtung zeigt: Vom Vater ging dieser göttliche Lichtstrahl aus, von
seinem Wesen, während ich dieses göttlich wesenhafte Ausgehen des „Wortes“
erkannte, wie es in mir zum Nacherleben gelangen wird: Dies werde sich
vollziehen wie in einer „geistigen Empfängnis“. Zwar ist dies fast nicht
auszusprechen, aber es wurde mir so klar336 „gesagt“ und auch die
Form und Art des im Voraus gezeigten Aufnehmens des göttlichen Wortes zu meinem
Erleben entspricht dieser Bezeichnung. Ich schaue und erkenne das Zeugen des
göttlichen Wortes, wie es im Vater sich vollzieht; meine Seelenkräfte „nehmen
das Wort in Empfang“ und „leben“ es in menschlicher Weise. Ich habe ganz gut
diesen geheimnisvollen Vorgang begriffen und ich bin mit dieser wirksamen Gnade
des Erfahrens in den Zustand der Vorbereitung auf jenes „Aufnehmen“ des
göttlichen Wortes eingetreten.
1802 |
Ich konnte auch den Zweck und die Absichten
Gottes mit dieser Form des Erlebens Jesu durchschauen: Das höchste Geheimnis
Christi kommt damit zum Durchbruch und zur Offenbarung, jenes Geheimnis, das
wesentliche Grundlage in seinem gottmenschlichen Leben und Wirken war; das
immerwährende Hervorgehen seines göttlichen Wesens vom Vater, wie es sich mit seinen
menschlichen Kräften sich zum göttlichen Erlöserleben geformt hat. Diese
göttliche Inspiration, nein, dies göttliche Leben aus dem Vater selbst und das
Ineinandergreifen der beiden (unvermischten) Naturen, der göttlichen und der
menschlichen, die den leidenden Erlöser Christus formten: Dies tiefer begreifen
zu lassen ist Gottes Absicht, und zwar mit dem höchsten und letzten Zweck und
Ziel, dass Christus mehr erkannt und anerkannt werde in seinem verborgensten
Geheimnis und dass die in der Erlösung bekundete unendliche Liebe Gottes mehr
verherrlicht werde. Als letzte und endliche Frucht meines Erlebens Jesu (in der
angedeuteten Form) wurde mir daher gezeigt: „Eine größere und tiefere
Erkenntnis Christi“!
1803 |
Ähnliche Leidenszustände. Tieferes Eingehen in
das göttliche Geheimnis der Zeugung des „Wortes“ im Vater. Die inneren
Erkenntnisse über das göttliche Wort vertiefen sich fortwährend, d. h., ich
gehe erlebend tiefer in dieses Geheimnis ein. Das „Licht“ ist der Weg und es
ist ein Weg des Lichtes.
1804 |
Ich habe auch innerlich klar erfahren und
erkannt: Die immerwährende Zeugung des göttlichen Wortes besteht im „Erkennen337“
des Vaters. Ich kann dieses göttliche „Erkennen338“ noch nicht in
dem Maße durchdringen und beherrschen, dass ich dieses göttliche Geheimnis
näher in Worten erklären könnte. Ich habe das „wie“ geschaut, kann es aber
nicht erklären. Das Wort ist das Resultat, und der Ausdruck des „Erkennens“,
und das göttliche Erkennen geht darum – nicht zeitlich, aber unseren
menschlichen Begriffen nach – der „Bildung des Wortes“ (um in menschlichen
Ausdrücken zu sprechen) voraus. Im göttlichen Wesen des Vaters ist ein
immerwährendes ihm eigenes göttliches Selbsterkennen339, ein
„Selbstaussprechen“, ein gewisses ausdrückbares „Selbstwiederholen“, das daraus
folgt. Dies scheint mir nach meinem inneren Erfahren das Tiefste und Erste zu
sein in der göttlichen Zeugung des Wortes im Vater. Dem göttlichen Erkennen,
der tiefsten göttlichen Bewegung im Wesen des Vaters folgt sozusagen der
Ausdruck und Ausfluss dieses göttlichen Erkennens, der sich als Selbststand340,
als zweite göttliche Person gleichsam „formt“ und sich „ergießt“. Dieser
göttlich-wesenhafte Ausdruck als Folge des göttlichen Erkennens wurde im
göttlichen Worte selbst zur „Tat“ in der Schaffung des Universums und im
Erlöser Christus.
1805 |
Heute bin ich in einem ruhigen, leidlosen
Zustand. Ich bin in mir ganz konzentriert und ganz „leicht“, in mir gleichsam341
zusammengeschlossen. Diese innere Harmonie scheint und ist mir eigen, braucht
nicht mehr erst erworben zu werden und scheint mir ganz selbstverständlich zu
sein. Ich spüre immer mehr, wie mein eigenes Sein mir zum Erkennen der
göttlichen Geheimnisse wird. Mein inneres342 Wissen um das Geheimnis
des Vaters und des Sohnes ist nicht ein aufgenommenes und geschautes Wissen und
Erkennen, sondern kommt sozusagen aus der Natur meines Lebens und Seins. Ich
bin gleichsam selbst aufgenommen in dieses göttliche Geheimnis; durch die
Vereinigung mit Christus wird es mir wie naturhaft eigen und ich bewege mich
darin.
1806 |
Als ich heute in der Kapelle über dieses, mein
„naturhaftes“ Wissen um das Geheimnis des Vaters ganz erstaunt war, wurde mir
die geistige Antwort: In der Vereinigung mit Christus „erkenne“ ich den Vater,
das Geheimnis Gottes in sich, denn nur durch Christus kann man den Vater
erkennen.
1807 |
Mein inneres Verhalten ist ein gern gegebenes
Ganzopfer für das Erleben der göttlichen Geheimnisse, aber mit keinem Worte
kann ich die Einfachheit meines Innenlebens erklären. Es ist so, als müsste es gerade
so sein.
1808 |
Ich bin in einer näheren, speziellen,
geistigen Vorbereitung auf das „Aufnehmen-Können“ des göttlichen Wortes,
gleichsam im Augenblick seines Hervorgehens vom Vater. Meine Seelenkräfte
verfeinern sich immer mehr, um diesen allerhöchsten göttlichen Vorgängen folgen
zu können; es wird in mir die dazu nötige Disposition geschaffen. Probeweise
lebe ich dieses Aufnehmen und „Empfangen“ des göttlichen Wortes zu Zeiten schon
voraus. Mein Sein ist gleichsam auf die höchste Spitze gestellt und so kann ich
den göttlichen Regungen mühelos folgen. Dieses Vorausleben ist dunkel, fast
ohne fühlbare göttliche Einwirkung oder besonderes Licht, denn die geistige
Entwicklung selbst ist das Licht und die Erklärung. Nur zeitweise bricht
gleichsam ein göttlicher Lichtstrahl durch und beleuchtet heller den Weg und
Ziel. Jenes Vorausleben vollzieht sich auch mitten in größten Leiden, wobei es
dann in mir zu einer Spannung kommt zwischen Können und Nicht-Können. Das
innere passiv gegebene Streben ist aber so groß, dass meine menschliche
Schwäche dadurch geradezu überschritten wird.
1809 |
Gestern Abend kam ich dann in einen geistigen
Ruhestand: Ich ruhte in dem schon erreichten Harmonieren mit der mir gestellten
geistigen Aufgabe. Heute aber scheint mir jener erreichte Zustand und jenes
Ziel wieder nicht mehr zu genügen.343 Ich spüre, wie jener gestrige
Zustand nur in der „Spitze meines Seins“ vollständig war und heute wird darum
auch mein niederes Sein für jenen Zustand344 der Harmonie mit dem
Wort umgeformt. Es ist eine innere Vorbereitung und geistige Befähigung auf die
„mystische, geistige Empfängnis des Wortes“. – Diese meine innere Vorbereitung
auf das wirkliche Erleben und Leben des Erlöser-Christus setzt eben in mir die
Möglichkeit einer geistigen Harmonie, Angeglichenheit und Übereinstimmung mit
der göttlichen Person Christi voraus, wodurch mein menschliches Sein ohne
Missklang, Disharmonie, ohne Zögern, Widerstreben oder Hemmung den Impulsen des
göttlichen Seins der Person Christi folgen kann. In dieser heute wieder
(vorübergehend) vorauserlebten geistigen Harmonie mit Christus muss ich dann
noch befestigt werden, d. h., es muss ein Dauerzustand werden, da ich sonst –
so lässt mich der Heiland wissen – die kommenden inneren Leiden gar nicht
ertragen könnte und von ihnen erdrückt würde. Die Vereinigung meines Willens
mit dem göttlichen Willen muss darum gleichsam eine unauflösliche und
unabänderliche Tatsache geworden sein, wie auch jetzt mein freies Wollen allen
Leiden (der Furcht, des Widerstrebens usw.) schon längst in Gott vorausgeeilt
ist. Das „Leben Christi“, das ist die wirksame und sich auswirkende Vereinigung
mit ihm, ist für mich dann die Kraft in seinem Erleben, und zwar so, dass ich
die entsprechende Vergeistigung besitze, um mit seinen göttlichen Kräften
harmonieren und in vollem Einklang mitgehen zu können. – Es werden aber immer
meine menschlichen Kräfte bleiben, die in Kraft der Vereinigung mit Christus
jene göttlichen Erlebnisse werden ertragen müssen und können (also nicht so,
als ob ich dadurch Christus würde oder sei). Mein gewöhnliches äußeres Leben
wird nicht aufgehoben werden und wird keine sichtbare Änderung erfahren, aber
es wird gelebt werden DURCH jenes höchste Erleben in mir.
1810 |
Ein besonderer göttlicher Lichtstrahl
beleuchtete mir folgendes Geheimnis: Gott Vater bringt im eigenen Sich-Erkennen
als göttlichen Ausdruck das „Wort“ hervor und das „Wort“ ist darum der
wesentliche Widerschein des Vaters, des Erzeugers. Weil aber die unendliche
Gerechtigkeit des Vaters den Fall und die Sünde der Menschheit als eine
Beleidigung und als einen Gegensatz zu seiner Schöpfer- und Vaterliebe
erkennend in sich trug, so spiegelte sich auch im Sohne, dem Vater Gezeugten
und seinem wesensgleichen Abbild, das gleiche Wissen um diesen Gegensatz und
Widerspruch zur Heiligkeit, Liebe und Gerechtigkeit des Vaters, die auch die
seine war. Zudem hatte jener Widerspruch und Gegensatz gewisse besondere345
Beziehungen zum „Wort“ als dem Urbild der Schöpfung und Haupt der Menschheit,
das noch dazu freiwillig den Auswirkungen jenes göttlichen Widerspruches und
Widerstreites (im Vater gegen die Sünde) sich unterwarf, indem es die
menschliche Natur annahm und die Menschenschuld auf sich lud. Im Sohne wurde
dann jener vom Vater mit göttlicher Vollkommenheit erkannte Gegensatz und
Widerspruch zu seiner Vaterliebe und Gerechtigkeit menschlich gelitten und
ausgetragen, und so wurde das Unrecht gutgemacht, die Beleidigung gesühnt, der
Gegensatz gelöst.
1811 |
Diese vergangene Nacht war schwer, aber am
Morgen erreichte das innere Leiden noch seinen Höhepunkt. Es war ein
sich-selbst-verzehren, ein passives sich-selbst-entäußern, wofür es keinen
Ausdruck gibt. Es ist eine unaussprechliche Qual noch hier sein zu müssen (=
das „mich“ noch leben zu müssen), während das Höchste meines Seins kraft der
führenden Gnade schon in Gott aufgegangen ist, und dabei liege ich in scheinbar
ganz unüberbrückbaren und unüberwindbaren eigenen Hindernissen. Diese geistige346
Spannung, nicht mehr hier und nicht ganz dort zu sein, noch nicht vollendet zu
sein in dem klar erkannten Ziel, während der Zug der Gnade so überaus stark
ist: Dies war für mich wie erdrückend. – Mitten in den größten Leiden aber in
der Kapelle raffte ich alle geistige Energie zusammen und opferte mich
freiwillig, wie von mir selbst geopfert, dem Heiland auf für alle Leiden, die
sein Erleben für mich mit sich bringen wird. Es war ein freiwilliges Überwinden
meiner selbst, folgend dem innersten Liebesantrieb dem Herzen Jesu gegenüber.
Ich opferte mich auf, nicht nur weil Jesus diesen Opfer- und Leidensweg für
mich bestimmt hat, und nicht nur um dem Zug seiner Gnade zu folgen, sondern
weil ich ihn über alles liebe und weil ich stets tun will, was ihm die größte
Ehre bringt. Nicht, weil es meiner Seele zum Nutzen sein wird, sondern einzig
aus Liebe und freiwillig will ich ihm in allem und zu allem347 Opfer
sein. Ich erwarte und erbitte von Jesus, dass er mich bis zu meinem letzten
Atemzuge in dieser freiwilligen Opfergesinnung erhalte, so wie er sich ganz
freiwillig in allem dem himmlischen Vater unterworfen hat, ohne irgendwelchen
Zwang, ohne Eigennutz348, einzig aus Liebe.
1812 |
Nach dieser Überwindung meines zaghaften und
leidensscheuen Temperamentes und im Aufstieg zur reinsten und höchsten Liebe zu
Jesus kam eine große starke Ruhe über mich. Die inneren Leiden lösten sich in
vollem Frieden auf. Ich ruhe gleichsam in den Armen des gütigsten und liebenden
Gottes und es lebt eine alles überwindende Kraft in mir. Ich habe wohl ein
großes Verlangen nach geistiger Vollendung in Christus, aber ich bin dabei in
großem Frieden.
1813 |
Im Laufe des Tages hatte ich wieder eine
geistige Schau über das Geheimnis des göttlichen Wortes, wie es aus dem Vater
hervorgeht; ich kann mich aber nicht gut ausdrücken über dieses göttliche
Geheimnis. Ich erkannte im göttlichen Wesen des Vaters ein ewiges Sein des349
Wissens um seine göttlichen Vollkommenheiten. Gott ist sich seines göttlichen
Seins immerwährend wesentlich350 bewusst, ewig um sich wissend (bei
Gott gibt es keine Zeit; all seine göttlichen Vollkommenheiten sind
Vollzustand, Sein). Dieser Urgrund des göttlichen Wissens um Sich im
beständigen Sein wogt aber in einem göttlichen Sich-erkennen, das gleichsam
eine immerwährende göttliche351 Gegenüberstellung, ein göttliches
wesentliches Abbild seines Seins ist, ein göttlicher Ausdruck seiner selbst,
hervorgebracht durch diese wesentliche göttliche Bewegung des immerwährenden
Sich-Selbst-Erkennens. Dieser göttliche Ausdruck seines Sich-Selbst-Erkennens
ist in sich selbst begründet, obwohl vom Vater hervorgebracht, doch aus
göttlichem Wesen gezeugt, darum Selbststand und selbstständige göttliche
Person, ein Abbild des Vaters, vollkommenster Ausdruck und Wiedergabe seines
göttlichen Wesens, eins im Wesen, aber verschieden im Selbststand, in der
Person. Ewig, weil von Ewigkeit aus jener göttlichen Bewegung hervorgehend.
Gleicher Macht und Herrlichkeit mit dem Vater, nicht abhängig, obwohl aus ihm
gezeugt, eine wirkliche, allerhöchste, göttliche Verherrlichung des Vaters,
weil ihn vollkommen ähnlich und unabhängig, ein wirklicher göttlicher Sohn und
der Ausdruck seines göttlichen Wesens, doch eines Wesens oder eine Natur mit
dem Vater, Zwei in einem.
1814 |
Meine Hinopferung aus Liebe, die ich gestern
gemacht habe, wirkt sich immer mehr in meinem Inneren aus. Ich selbst mit allen
geistigen Gütern und meinem ganzen Sein bin zu einem Liebesopfer Gott gegenüber
erhoben. Frei und aus Liebe übergebe ich meine Freiheit dem inneren Wachstum
Christi in mir, d. h., ich bin ganz in sein reinstes Liebesopfer hineingezogen.
1815 |
Ich spüre dieses volle Hineinwachsen in seine
vollkommene Liebesbetätigung. – In Christus war die Liebe alles und sein ganzes
Leben war getragen von der Liebe. Wenn man so zu tiefst an Jesu Innerstem
teilnimmt, erlebt man diese wahrhaft göttliche Liebe, aber dieses Erleben und
Wissen in Worten auszusprechen, ist unmöglich. Es ist die Liebe des Vaters, die
im, Herzen des Sohnes pulsiert, und diese Liebe war immer noch größer als alle
Erlöserleiden; sie war unendlich größer als seine Leiden und sie überragte sein
Erlösungsopfer; die Liebe stand „darüber“, d. h., er liebte mehr, als er
gelitten hat.352 Aber für dieses geistig Erkannte gibt es wieder
keinen Ausdruck.
1816 |
Ich bin nun in der inneren Verfassung, an
dieser göttlichen Liebe teilzunehmen und immer mehr dafür befähigt zu werden.
Ich fühle mich getragen von dieser Liebe, die alle Opfer und Leiden gleichsam
leicht macht. Ich spüre, wie die Liebe mich innerlich vollendet und mein ganzes
Sein vollständig umwandelt. Ich muss ja befähigt werden, göttliche Liebe
ertragen zu können und die Liebe als einzige Triebfeder gebrauchen zu lernen,
um in den kommenden Leiden die Liebe als Kraft gebrauchen zu können und um die
inneren Leiden des Herzens Jesu auch in seiner Liebeskraft tragen und
überwinden zu können. Doch von dieser Liebe, zu der ich jetzt in Christus
erhoben bin, kann ich nicht sprechen, denn die Liebe macht alles einfach und selbstverständlich
und hat keine Worte; die Liebe tut alles und gibt sich schrankenlos hin. – Nun
bin ich ganz aufgegangen in das Liebesopfer Jesu, des Erlösers.
1817 |
Ich bin so weit vorgeschritten, dass ich in
geheimnisvoller Einheit mit dem göttlichen Worte lebe, oder vielmehr: Ich lebe
„Es“. – Nach meinem letzten inneren Erfahren aber genügt mir dieser jetzige
Vollkommenheitszustand und diese Einheit mit Christus wieder353
nicht mehr; es drängt mich weiter. Schon erlebe ich in meinem geistigen Blickfeld
eine noch höhere Möglichkeit und auf dieses im Voraus erlebte Ziel werde ich
nun hingeleitet. Das göttliche Wort lebt aus sich selbst sein göttliches Leben,
obwohl vom Vater gezeugt und aus ihm hervorgehend. Im göttlichen Sohne kommt
das göttliche Leben des Vaters gleichsam zum höchsten Ausdruck in seinem
menschlichen Leben. Im göttlichen Worte kam die Fülle des göttlichen Lebens zur
Offenbarung.
1818 |
Dabei erkenne ich die innere göttliche
Wirksamkeit des göttlichen Lebens im Menschensohne, wie es gleichsam übertragen
war auf menschliche Lebensfunktionen, aber immer354 göttliche
Einheit blieb, in sich selbst geordnet und gelebt. Das Sein aus sich,355
ohne Teilung, nicht werdendes Leben, sondern Seiendes (dafür gibt es eben
keinen Ausdruck, aber ich weiß es so gut) – dementsprechend war die menschliche
Seele Christi, die von seinem göttlichen Leben durchlebt war. (Ich habe schon
früher einmal über den Zustand der ersten Seele in ihrem Vollkommenheitsstand
geschrieben, wie sie aus des Schöpfers Hand hervorging, und Christus trug in
sich eine solche erste Seele, aber viel höher ausgestattet für das göttliche
Leben.)356 Die göttliche Person „gebrauchte“ die Seele Jesu für ein
göttliches Leben. Die Seele „nahm“ das göttliche Sein mit seinem
unaussprechlichen Vollkommenheitszustand „auf“ und „trug“ es als seiendes,
menschliches Leben, nicht erst ein werdendes mit sich entwickelnden geistigen
Lebensfunktionen. Diese geistigen Lebensfunktionen waren schon da mit der
göttlichen Person des „Wortes“ und lebte die Seele Christi ein. Das Geheimnis
des „Aktus“, der absoluten Seinszustand Gottes der schon bestehende
Vollkommenheitszustand mit seinen göttlichen Auswirkungen, blieb unverändert im
Erlöser Christi bestehen, weil die göttliche Person des „Wortes“ die Trägerin
dieser wesentlichen göttlichen Vollkommenheiten war und ist.
1819 |
Ich kann das Wort nicht aussprechen, das den
inneren Zustand Christi in seinem menschlichen Leben erklären könnte, obwohl
ich in ständiger Übung bin, mich diesem inneren Zustand Christi zu nähern: Die
absolute Sammlung allen geistigen Seins in einem Lebensakt, der das Leben
selbst ist, bedeutet vollendete Übung, aber nein, in Gott gibt es keine
„Übung“, ist schon alles Tat und Vollbringen. Ich erkenne dabei den geistigen
Vollkommenheitszustand, der meinerseits für dieses Erleben notwendig und
gegeben ist. Ich erlebte auch die Folgerungen, die jenes Nacherleben für mich
mit sich bringen wird. Noch besteht und bewegt sich eine geistige Spannung
zwischen meinem jetzigen inneren Zustand und dem höheren wirklichen erleben.
Ich erfasste den notwendigen geistigen Habitus, der mich mit dem göttlichen
Worte dermaßen EINEN soll und muss, dass ich zu jenem höchsten und letzten Ziel
gelangen kann, das eigentlich durch die führende Gnade schon in mir
vorgezeichnet und umschrieben, ja, durch den schon erreichten Zustand der
Einheit in Christus gleichsam unauslöschlich in mir eingeprägt ist. So ist das
göttliche Leben selbst die ureigenste Triebfeder in mir, um mich mehr und mehr
in sich umzuformen. Dieses göttliche Leben steht keinem Augenblick in mir
still, sondern es lebt und lebt mich immer mehr und durchlebt mich. In einem
Augenblick werde ich wie durch einen göttlichen Funken immer wieder gleichsam
„vorausgetragen“ in einen noch höheren Zustand, auf den dann alle meine
Geisteskräfte hingespannt und das innere Verlangen hingerichtet und mitgenommen
wird. Dann gibt es kein Genügen und kein Ruhen mehr, sondern alles in mir
strebt unaufhaltsam und unaufhörlich dem erfahrenen nächsten Ziele zu.
1820 |
Am 24. des Monats erlebte ich mich im Voraus
in einem höheren geistigen Zustand in einer unaussprechlichen Einheit mit dem
göttlichen Worte und den entsprechenden Auswirkungen seines göttlichen Lebens
und Seinszustandes in mir, d. h. in welchem Maße die göttliche Person meine
Geisteskräfte in Anspruch nehmen wird, und zwar in einem Dauerzustand, zu EINEM
LEBEN ergänzt. – (Es ist wiederum zu einfach, als dass es einen Ausdruck dafür
gebe) –. Trotz des begleitenden Genusses hohen Friedens und voller Harmonie
wirkte dieses Vorauserleben aber für mich noch wie erdrückend. Unerträglich
schien schon die eigene geistige Betätigungslosigkeit: Die göttliche Person ist
in sich alles, was man geistiges Leben und Betätigung nennt, sie begreift in
sich schon alles in Vollendung und Vollzustand; diese Tatsache und dieses
Erleben wirkt wie ertötend für das gewöhnliche menschliche Leben. Die
menschliche Seele ist ein werdendes, ständig strebendes und sich entwickelndes
Wesen und darum auf ständige Selbstarbeit angewiesen und unbedingt daran
gewöhnt. Da die göttliche Person Christi aber alles in sich hatte, was ein
geistiges Leben im höchsten Sinne ausmacht und für ein göttliches Leben
befähigt, so wurde in der Seele Jesu nichts an geistigem Leben erzeugt oder
entwickelt, sondern alles schon in Vollendung gelebt. Das göttliche Leben war
alles in der Seele Jesu und doch lebte und trug die Seele Jesu das göttliche
Leben mit der ihm eigenen personhaften Funktion. Hier liegt das größte
Geheimnis der Verbindung von der göttlichen Natur des Wortes mit der
menschlichen Natur, wobei jede ihre volle Funktion behielt und doch die
göttliche Person das Tragende und Beherrschende war, ohne dass die menschliche
Natur dadurch eingeschränkt wurde.
1821 |
Nach diesem Erlebnis am Morgen wurde ich
untertags nach und nach in ein unaussprechliches geistiges Leiden versetzt. Die
am Morgen erlebte innere Vergeistigung blieb mit allen Auswirkungen für mich
bestehen, wurde aber zu meinem größten Leiden: „So kann ich nicht bestehen; ich
muss vergehen“, in diesem Leiden wurde ich hin und her geworfen. Dazu
entfalteten sich die in mir für diesen Zustand noch bestehenden Hindernisse und
bald war ich in ein Meer von inneren Leiden versenkt, für die es keinen
Ausdruck gibt. Ich war wie zermalmt von geistigem Schmerz und wie in mir selbst
aufgelöst. Kein Ruhepunkt, keine Anlehnung, weder nach außen noch nach innen;
ich musste gleichsam aus mir selbst bestehen können und in mir selbst die
Lebenskräfte bilden. Ich musste das „tätigkeitslose“ göttliche Leben und der
einen Funktion des „Seins“ ertragen lernen, um damit allein bestehen zu können.
Dies setzt aber eine unsagbare Vergeistigung der Seele voraus, wie sie durch
solche Leiden in mir erworben werden sollte. Es schien mir, als sinke ich in
mir selbst zusammen, als sei ich in mir selbst haltlos geworden, als habe ich
keine eigene Existenz mehr.
1822 |
Durch solche stufenweisen Leidensperioden
sollte sich meine seelische Vergeistigung erhöhen, um das göttliche Leben des
Wortes in seinem (menschlich gesehen) „tätigkeitslosen“ oder vielmehr
bemühungslosen Seinszustand ertragen zu können. – Bei solchen inneren Leiden
wirkt auch noch der besondere Umstand mit, dass sie sich zugleich auf meine
hilflose äußere Lage erstrecken und auf diese übergreifen. Es wird mir
gleichzeitig [und] so merkwürdig vor Augen meine verdemütigende äußere Lage
geführt, und all die Leiden deretwegen in den letzten Jahren, dazu – menschlich
gesehen – die äußere Aussichtslosigkeit der Gründung des von Gott gewollten
Priesterinstitutes, die vor meinen Augen gleichsam nur auf meine eigene
Unmöglichkeit und Armut und Nichtigkeit zurückgeführt wird. Es ist ja ganz
unmöglich357 und unglaublich, dass Gott so Großes mit mir wolle,
dass ich ihm in einem für die Kirche so entscheidenden und großen Werk als
Werkzeug dienen soll. – Ich erlebe und erleide aufs Neue alles Scheitern schon
versuchter Wege zur Ausführung und dabei kommt mir erst recht mein grenzenloses
Elend zum Bewusstsein; (mein Innenleben ist überhaupt unzertrennlich mit dem
Priesterinstitut verbunden.) – Ich werde so ganz in den Zustand meiner völligen
Ohnmacht hineingeführt und erlebe deren Wahrheit bis in die tiefsten Abgründe.
Und doch steht trotzdem dabei der Wille Gottes bezüglich der Gründung mir mit
noch größerer Sicherheit vor Augen und alles Scheitern der auf innere Anregung
hin unternommenen Wege wird auf meine Nichtigkeit zurückgeführt. – Ebenso
vollständig ist die innere Vernichtung auf dem Gebiete meines Innenlebens. Es
scheint mir alles ganz unmöglich, denn ich schaue in erschreckender Weise meine
geistige Armut und mein eigenes Nichts; ich vergehe in diesem Anblick meiner
Nichtigkeit, und doch bleibt mir dabei mein Geistesweg unaustilgbar eingeprägt.
Zu gleicher Zeit bin ich in einer so hohen Weise358 in Christus
hineingehoben und erlebe ich schon im Voraus eine noch höhere Stufe des
Einsseins mit ihm; hier löst sich dann der Gegensatz zwischen meiner Armut und
dem Geistesziele aus.359
1823 |
In dieser abgrundtiefen Selbstvernichtung bin
ich trotzdem in einem so vergeistigten (passiven) Zustand, dass ich nirgends
irgendwelche Anlehnung oder Ruhepunkt finde. Ich bin auf dem weiten Meer, von
Sturm umhergetrieben, dem eigenen Untergang überantwortet, und habe nicht einen
Strohhalm, der mir zur Stütze dienen könnte. Aus mir selbst muss ich mir einen
Halt schaffen, in mir selbst eine Existenz auf diesem geistigen Meere erwerben.
In diesen Leiden werde360 ich gleichsam ganz aus diesem Leben
hinausgedrängt, weil doch nichts mehr an Halt und Trost und Stütze für mich
vorhanden ist. In mir selbst scheint alles leer und ich bin wie begraben in der
Geistigkeit. Und doch MUSS ich mir eine neue Existenz in mir selbst schaffen
dadurch, dass ich mir die ständig gebotene Geistigkeit aneigne und mich damit
gleichsam ganz auf die eigenen Füße zu stellen lerne, denn in der geschilderten
inneren Lage müsste ich vergehen vor Schmerz. – Indem ich mich bemühe, mich an
diese gebotene Geistigkeit und „Leere“ zu klammern, und damit befähigt werde,
sie zu gebrauchen, hellt sich die innere Finsternis auf und das Licht bricht
hervor zusammen mit dem inneren Halt in einem neu erworbenen Zustand.
1824 |
Es ist mir ganz merkwürdig und auffallend361,
welch starkes Rückgrat ich mir in den letzten Leiden erlitten habe. Ich bin mir
nun selbst Stütze und Halt und Kraft. Ich bewege mich nun wie mit362
Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit in der mir jetzt eigenen Geistigkeit
und sie ermüdet mich auch nicht mehr. – Ich spüre, wie auch meine physischen
Kräfte entsprechend gebildet und übergeführt werden, um dem Leben der Seele zu
folgen und es ertragen zu können. Diese Vergeistigung macht sich auch dadurch
bemerkbar, dass sich jedes „Genießen“ der notwendigen natürlichen Bedürfnisse
umstellt, d. h., man hat nicht mehr den befriedigenden Genuss von Essen und
Schlaf. In erster Linie muss ich in der Kraft des Geistes bestehen können, muss
die Kraft des Geistes gebrauchen und genießen lernen. Und doch blieb mein
äußeres Leben bis jetzt363 ganz gewöhnlich.
1825 |
In den letzten Tagen ist das große Leiden
wieder abgeebbt und ich lebe die neue Kraft als Frucht und Wirkung des
vergangenen Leidens. Ich bin dadurch innerlich überreich geworden und lebe als
Gewinn eine größere Vereinigung und Einheit mit dem göttlichen Wort, aber nicht
„fühlbar“, sondern „habituell“ als mein Leben. Ich bin nun wieder viel364
tiefer in das Wesen Gottes im Allgemeinen eingedrungen und nehme
dementsprechend intensiver am göttlichen Leben des Wortes teil. Ich möchte mein
inneres Leben vergleichen mit einer geistigen Kugel, die nirgends ein Ende hat.
Vom einen Mittelpunkt vom Zentrum der Kugel gehen alle Radien aus. So lebe ich
gleichsam die ganze geistige Kugel mit dem einen Zentrum und Mittelpunkt, in
EINEM Wollen, das aber schon naturhaft ist. Ich lebe mein Sein durch das
Zentrum selbst ohne weitere Zersplitterung; ich bin in mir selbst befestigt und
lebe aus und mit einem Akt mein geistiges Leben. Und dieser Akt, der schon
naturhaft ist, durchdringt mich ganz, gerade wie wenn die Kugel im Inneren in
viele Grade geteilt wäre, die aber alle vom Mittelpunkt ausgehen und im
Mittelpunkt zusammenlaufen und habituell mit einem Akt schon geleitet sind. –
Ich weiß aber, dass sich dieser geistige Zustand noch immer mehr erhöhen und
auswirken wird. Gerade vor dem letzten großen Leiden habe ich ja Christus in
seinem menschlichen Leben so tief erkannt: Das göttliche Leben belebt nicht nur
seine Seele, sie machte auch sein ganzes menschliches Leben zu einem göttlichen
Leben. Dieses göttliche Leben im Menschen Christus war das Höhere, dem seine
menschlichen Kräfte in voller Harmonie eingeordnet waren. Die göttliche Person
hat den ganzen Menschen365 Christus vergöttlicht.
1826 |
Gestern habe ich in einem göttlichen
Lichtstrahl auch das ganz große Geheimnis erkannt: Wie war es möglich, dass
Gott Mensch werden konnte? Wie konnte sich die göttliche Natur in ihrer
Unbegrenztheit, Erhabenheit und reinen Geistigkeit in eine menschliche,
begrenzte Natur bzw. in eine menschliche Seele einfügen, ohne diese zu
verdrängen und einzuschränken – wie es sich tatsächlich im Gottmenschen
Christus vollzogen hat? – In einem Augenblick schaute ich die Antwort: Das
Geheimnis dieser Möglichkeit liegt in der Gottebenbildlichkeit, in der die
Seele bzw. der Mensch von Gott geschaffen wurde. (Meine früheren Erkenntnisse
über die Gottebenbildlichkeit der Seele wurde dabei erweitert und vertieft.)
Ich erkannte noch viel tiefer das Wesen Gottes in seiner Reingeistigkeit und
deren verschiedenen Auswirkungen. Ich erfasste auch tiefer das Wesen einer
Person im Allgemeinen: Das Wissen um die eigene Existenz und des
Selbstregierens, der eigene Selbststand, der freie Wille, die Anlagen des
Verstehens und des Beherrschens und doch wieder die eigene
Um-Sich-Geschlossenheit, die ein Wesen vollständig und selbstständig macht, das
von einem „Ich“ getragen und geführt wird. – Ich sehe alle unendlichen und
vollkommensten Anlagen des Wesens Gottes in niederer, beschränkter Form auch in
der menschlichen Seele vorhanden und grundgelegt: Die Geistigkeit,
Unsterblichkeit, den freien Willen, die Anlagen des menschlichen Verstandes,
die Person oder das „Ich“ im Menschen, die eigene Freiheit und eine gewisse
Unumschränktheit, mit der der Mensch der Schöpfung vorstehen sollte; auch die
Anlagen des Gemütes, die Leibesfähigkeit usw. im Zustand vor der Sünde, als die
Seele in ihrer Unberührtheit, Geistigkeit und Reinheit unmittelbar vom Schöpfer
kam. Dementsprechend war auch der Leib des Menschen den Bedürfnissen der
Geistesseele angepasst; es herrschte in diesem Zusammenleben lautere Harmonie
und Einheit, obwohl beide verschiedener Natur waren. Ich erkannte so tief das
Geheimnis des Menschen, der nur für Gott geschaffen und deshalb auch
„gottfähig“ war. Zwischen Gott und Mensch war in dieser Hinsicht nichts
Artfremdes, obwohl Gott unendlich, der Mensch aber geschaffen war und sein
Dasein nicht aus sich hatte wie Gott: „Gott schuf den Menschen nach seinem
Ebenbild“. Gott wiederum ließ sich zum Menschen herab und verkehrte mit ihm in
der trautesten Weise im Paradies. So war Gott dem Menschen das Nächste und
zeigte sich ihm als der Nächststehende; Gott und Mensch waren sozusagen EINS. –
Hier liegt schon die erste natürliche Möglichkeit, dass Gottes Wesen auch dem
menschlichen Wesen einleben und damit leben konnte. Noch mehr aber erscheint
dieses Geheimnis gelöst, wenn man hingeführt wird auf die übernatürliche
Gnadenordnung, mit der Gott die menschliche Seele ausgezeichnet hat. –
1827 |
Der Mensch hatte seinen Ursprung im Urbild der
ganzen Schöpfung, im göttlichen „Worte“ selbst, das in besonderer Weise gerade
dem Menschen Vorbild und Urbild war. Der Vater nahm sich seinen Sohn zum
Vorbild, als er den Menschen schaffen wollte. So sehr trug der Vater den
Menschen in seinem Herzen, dass er ihn gleichsam in jenen göttlichen Kreislauf
einbeziehen wollte, in dem eigentlich nur Göttliches sich bewegte. So groß
steht die Seele vor Gott, eben weil sie aus seiner Hand hervorging und
unbedingt nur für Gott geformt war. Darum konnte auch das göttliche Wort eine
Menschenseele als sein irdisches Lebenselement gebrauchen, weil diese
Disposition von Anfang schon in der Seele von Gott geschaffen war. Die Anlage für
Gott war schon da. Gewiss war die Seele Christi mit einer höchsten göttlichen
Ausstattung für das Leben des Wortes geschaffen, aber es war im Grunde doch die
gleiche Seele wie die der Menschen, gleichfalls dazu bestimmt, ein
vollständiges menschliches Leben herzustellen und zu leben. Das Göttliche war
die Tragkraft und Triebfeder und das Beherrschende, die Seele war die dienende,
die aber doch das göttliche Leben an sich geschehen ließ und ihm Werkzeug war.
1828 |
Ich habe ganz klar die entsprechende Ähnlichkeit
zwischen Gott und Mensch geschaut. Damit ich klarer unterscheiden und die
Menschwerdung besser verstehen könne, wurde meinem Geist schon früher Erkanntes
in einem Augenblick wieder vorgeführt und auch die Gegensätzlichkeit zwischen
göttlichen und menschlichen Anlagen gezeigt und gegenübergestellt. So begriff
ich die Möglichkeit, dass göttliches Leben in der Seele einleben und mit ihr
gleichsam wie in parallelen Linien verlaufen konnte. Dies Geheimnis, so
wunderbar es ist, hat seine Lösung in der Gottebenbildlichkeit der geschaffenen
Seele, der sich Christus in seiner Menschwerdung bedient hat. (Dass Gott diese
Möglichkeit zur Wirklichkeit machte, ist und bleibt freilich das größte Wunder
der Welt und Menschheitsgeschichte, ein Wunder der unendlichen liebe Gottes zu
den Menschen).
1829 |
Nachdem ich oft und tief in das besondere
Geheimnis und Wesen der „Seele“ eingeführt wurde, kann ich auch aus eigenem
Erfahren bezeugen, in welchem hohen Ausmaß die Seele auch im gewöhnlichen
mystischen Gnadenleben für Gott befähigt, und ganz für Gott geschaffen ist. Die
Seele kann immerfort wachsen und sich gleichsam erweitern in ihrer
Aufnahmefähigkeit für Gott. Man kann die geheimnisvollen Vorgänge dieses
Wachsens an sich selbst in der ständig fortschreitenden Entwicklung der Vereinigung
mit Gott beobachten. Die Seele kann sich Gott immer mehr anpassen, sich immer
mehr aufnahmefähig für ihn machen und sich bis zur höchsten, in Worten nicht
mehr ausdrückbaren Weise nach Gott umgestalten kraft der Vereinigung mit ihm.
Dadurch wird sie in immer höherer Weise vergeistigt und sozusagen erweitert,
was die Grundlage und Voraussetzung für das Erfahren Gottes in diesem Leben und
auch für das Leben im Jenseits ist. – Auf solch hohem, erlebten
Vereinigungsgraden wird die Seele gleichsam von Gott aufgenommen, und als Gefäß
für sein Gnadenströmen gebraucht. Die Seele wird als Werkzeug benützt, mit dem
Gott seine Pläne der Liebe verwirklicht, wobei der höchste und im Grunde
einzige Plan Gottes mit der Seele immer der ist, sie für ein Leben mit und in
ihm umzugestalten und zu befähigen, sie möglichst tief in das Leben Gottes
hineinzuziehen und am Leben Gottes teilnehmen zu lassen. In solchen mystischen
Vereinigungszeiten fühlt sich auch die Seele kraft der Eingießung des
göttlichen Lebens und Geistes wie vergöttlicht und in Gott aufgegangen, und es
ist ihr zugleich das verzehrende Verlangen eingeflößt, Gott in einer immer
höheren Weise besitzen und erfahren zu können. Und Gott kann die Seele zu
heroischer Gegenliebe entflammen, dass sie nur EINE Bitte an ihn richtet, die
zu einer Qual des Verlangens werden kann: „Herr, lass mich 'du' werden, um dich
mit dir zu besitzen;366 um dich mit dir (gleichsam als du) zu
lieben, um dir mit dir367 zu dienen; denn nur durch dich selbst –
vermöge deiner göttlichen Vollkommenheit der Liebe, die ich in dir erlebe –
kannst du würdig verherrlicht und geliebt werden!“ – Wenn Gott eine Seele so
tief in seine göttliche Erkenntnis einführen kann, so kann er sich auch einer
Seele bedienen, um ihr sein göttliches Leben wirklich mitzuteilen, und kann er
auch – wie er es im Erlöserleben tat – sein göttliches Leben durch eine
Menschenseele leben. Gott kann eben nur durch Gott selbst (das ist in seinem
Sohne) auf voll-würdige Weise geliebt und geehrt und verherrlicht werden und so
hat Gott, die zweite göttliche Person, sich zum Menschen gemacht, um als
Gott-Mensch, als menschliches Werkzeug, Gott dem Vater göttliche Ehre und Liebe
zu erweisen. So hat er sich an die Spitze der Menschheit gestellt und Gott den
schuldigen Dienst der Entschädigung geleistet und leistet ihn immer noch bis
zum Ende der Zeiten. In ihm allein kann Gott auf Gott-entsprechende Weise
geliebt, geehrt und ihm Sühne geleistet werden. Möchte doch der Mensch viel
tiefer in die Geheimnisse und Fähigkeiten seiner Seele eindringen und eingehen
und sie für den Dienst Gottes zur Entfaltung bringen, wie es in der Absicht
Gottes liegt, der die Seele für sich geschaffen, gottfähig gemacht und
dementsprechend ausgestattet hat!
1830 |
Mit diesem inneren Erleben wurde mir die
psychische Möglichkeit der Menschwerdung des göttlichen Wortes erklärt. Und
doch bleibt und ist die tatsächliche Menschwerdung Christi im Einwohnen der
göttlichen Person in der begrenzten und endlichen Menschenseele das größte
Wunder der Weltgeschichte, in Anbetracht der Unendlichkeit Gottes und seiner
göttlichen Vollkommenheiten368 und seiner göttlichen unbegrenzten
Natur. Ein größeres Geheimnis als die Möglichkeit der Menschwerdung ist das
Wunder der göttlichen Liebe in der wirklichen Ausführung der Menschwerdung
Christi. Kraft der unendlichen Liebe Gottes wurde sie vollzogen und wurde auf
diese Weise die unendliche Liebe Gottes zu den Menschen wirklich gezeigt und
geoffenbart.
1831 |
Der tatsächliche Vollzug der Menschwerdung des
Sohnes Gottes ist das größte Wunder der göttlichen Liebe und Erbarmung und
Herablassung zum Menschengeschlecht. Niemand kann das Wunder ermessen, das in
den Worten ausgesprochen369 ist: „du hast, um die Menschen zu
erlösen, den Schoß der Jungfrau nicht gescheut!“ – Das tatsächliche
Herabsteigen des göttlichen Wortes offenbart das Übermaß der Liebe, die der
Vater in der Sendung des göttlichen Sohnes gezeigt und in der Hinopferung des
Sohnes vollzogen hat, d. h. in der Ausführung, der sich der Sohn freiwillig
geopfert hat. Dass Gottes Sohn, die zweite göttliche Person, sich tatsächlich
mittels der Seele in ein menschliches Leben eingefügt, sich in diese
menschliche Enge begeben und sich gerade eines geschaffenen Wesens bedient hat,
um damit in seiner göttlichen Person als Ersatz für die gefallene Menschheit
dem Schöpfer göttliche Werke darzubringen: In dieser Tatsache zeigt sich das
größte Wunder der Liebe Gottes zur gefallenen Menschheit.
1832 |
Die entsprechenden inneren Reinigungsleiden
dauern an und lassen mich zugleich immer mehr das „Leben Jesu“ innewerden, wenn
man auch nicht in Worten aussprechen kann, WIE es sich in mir weiter entwickelt
und steigert. Ich werde geheimnisvoll „genommen“ für Jesus Absichten in mir.
1833 |
Weil sich aber dieses Leben so geheimnisvoll
in mir weiter erhöht, kommt mir dann doch zuweilen wieder die Angst, WIE mich
denn Gott in dieser Weise in Beschlag nehmen kann, da ich es mir selbst nicht
ganz erklären kann und Außenstehende nie ganz in meine inneren370 Erlebnisse
werden eindringen können. In diesem Leiden wurde ich heute in der Kapelle von
Dem, der mich liebt, getröstet: „Die Vereinigung mit Mir und meinem Willen wird
dich niemals irreführen, wenn du nicht anderes suchst. Opfere dich zum Größten,
wenn du es auch nicht verstehst! Suche nur meinen Willen und meine Ehre und
überlasse dich Mir ganz! Wenn du selbst auch im Dunkeln bist und es nicht
begreifen kannst, und wenn auch andere es nicht verstehen, ich habe meine
Absichten dabei!“ –
1834 |
Durch diese geheimnisvollen inneren „Worte“
(ich muss den Ausdruck „Worte“ gebrauchen, weil ich mich sonst nicht erklären
kann, obwohl es ein allerhöchstes Erfahren der Absichten Jesu in mir war; denn
in diesem Stadium gibt es eigentlich keine Worte, man erlebt alles in Gott)371,
worin göttliche Kraft lag, wurde ich neu gestärkt und innerlich mitgenommen zu
einem noch höheren Verlassen meiner selbst, denn im Verlassen meines Eigenen
erhöht sich das Leben Christi in mir und gibt mir neue Kraft. – „Wenn du es
auch nicht verstehst und wenn auch andere es nicht372 verstehen, ich
habe meine Absichten dabei“; gemäß dieser inneren Weisung habe ich mich wieder
ganz rückhaltlos geopfert und dabei die Kraft Christi in mir dazu erfahren.
1835 |
Ich habe dann wiederum den entsprechenden
Vollzustand in Christus vorauserlebt und dabei wurde mir innerlich erklärt:
DIESE höchste wesenhafte373 Vereinigung mit Christus bildet die
Grundlage für das Erleben seiner tiefsten und verborgensten Geheimnisse.
1836 |
Heute Abend bin ich innerlich wieder
hingeführt worden in den höchsten Zustand, den Jesus mir als Ziel gesetzt hat –
in einer Umwandlung in ihn –374, wo ich nämlich schon ganz in seinem
Erleben aufgehen werde.
1837 |
Nachdem ich gestern Abend wiederholt meinen
endlichen Zustand in Christus erlebte, ist etwas davon, d. h. ein Vorgeschmack
oder die Grundlage jenes Zustandes, in meinem Wissen und Wesen375
haften geblieben. Ich bin so losgelöst von mir wie noch nie, und jene Grundlage
ist wirklich schon in mir ausgebildet. Ich bin aber doch wieder sehr im Leiden.
1838 |
Nachdem ich für MEIN Leben nichts mehr
genieße, drängt es mich unwillkürlich zum anderen Leben in Christus hin, obwohl
ich weiß, das mich dort große Leiden erwarten; ich will aber nichts als „ihn“ –
trotz aller Leiden.
1839 |
Heute, während der heiligen Messe in der
Kapelle, hatte ich ein besonderes Erkennen über das Geheimnis: Wie wurde die
zweite göttliche Person in ihrer Menschheit zum Leidenden, da doch die
Gottheit, d. h. die göttliche Person, das Beherrschende, das ich im Gottmenschen
ein Leiden in der göttlichen Natur nicht zulassen konnte? – Ich erkannte: Nicht
die beiden Naturen in Christus, die göttliche und die menschliche, haben sich
vermischt, sondern die Erlebnisse beider Naturen flossen ineinander. Ich habe
auch das „wie“ erkannt, kann aber nicht darüber sprechen, weil das innere
Wissen noch nicht flüssig und vollständig ist.
1840 |
Heute Morgen hatte ich wieder ähnliche
Erkenntnisse wie gestern über das Geheimnis: Wie wurde die göttliche Person in
Christus zum Leidenden, wie war der psychologische Vorgang? Untertags aber kam
ich wieder sehr ins Leiden, doch kann ich darüber nicht schreiben. Es war dies
ein überaus schwerer Tag. –
1841 |
Die inneren Leiden dauern an und richten sich
auf das endliche und anscheinend volle Eingehen in Christus, das zum
wesentlichen Erleben seines Inneren führt. Ich weiß, wie es dann in mir sein
wird, finde aber kein rechtes Wort, um jenen Zustand zu erklären: Ich bin dann
ganz in seine innere Stellung und ICH bin dann der Erleber seines inneren
Wesens und Erlöserlebens.
1842 |
Ich bin in ein unaussprechliches Feuer
geistiger Leiden eingetaucht, die mich ganz durchglühen. So wie das Blut im
Körper kreist, so scheinen mich diese geistigen Reinigungsleiden zu
durchdringen. Ich spüre dabei eine Umstellung meines ganzen Wesens: Dieses
innere Feuer nimmt mich ganz mit und in diesem Feuer, das Gott selbst ist,
finde ich anscheinend meine neue Existenz, in die ich hineingestellt und in der
ich begründet werde. Ich spüre aber auch, wie diese Leiden mich gleichsam empor
und herausheben aus mir selbst, d. h. mich meinem eigenen persönlichen Sein
entheben, und mich verwirklichen in einer neuen Existenz, die nicht von mir
ist, aber der ich mit all meinen Geisteskräften dienstbar gemacht werde. In mir
ist nichts mehr für mich selbst, alles in mir „wird“ für Christus befähigt und
drängt auf den endlichen Zustand in Christus hin.
1843 |
In dieser geistigen Umwandlung, in der ich
mich jetzt kraft der inneren Leiden befinde, prägt sich immer mehr das „Leben“
Jesu aus, d. h., es wird die Befähigung für das Erleben seiner göttlichen
Person in mir verwirklicht. Es ist wahr: Die Leiden sind das Licht und das
„Leben“ in mir befähigt mich stets vollendeter für sich. Ich erkenne nun ganz
klar die Absichten Jesu mit mir: Es geht aus auf das eine sein in ihm,
auf das Nacherleben seines inneren Erlöserlebens, aber auf der höchsten Stufe
der Vollendung; ich bin dann am Ende meiner Befähigung hierfür und damit erst
dort, wo der eigentliche Anfang meiner inneren Aufgabe beginnt.
1844 |
Ich werde nun in einem geistigen Rückblick
nochmals durch alle Stufen dieses Aufstieges hindurchgeführt und ich erkenne
deren Bedeutung für jenes letzte Ziel. Obwohl jede einzelne Stufe schon eine
Vorbereitung und eine Auswirkung des kommenden Erlebens Jesu in sich trug,
scheinen sie alle doch nur Bestandteile der beabsichtigten Befähigung zu sein.
Gott geht in seinen Wegen von außen nach innen, vom Groben zum Feinen und so
erreicht er die endliche Verfeinerung und Vergeistigung der Seelenkräfte, womit
ihm dann das letzte, vollendete Bild gelingt. Er lässt der Seele meist auch nur
den Endzustand voraussehen, soweit es die Seele erfassen kann. Die
Zwischenwege, die tatsächlich auch durchschritten werden müssen, lässt er
zunächst verdeckt. Im weiteren Verlauf aber lässt er eine Stufe um die andere
aufleuchten, und zwar in einem gewissen Zusammenhang mit dem Endziel, sodass
die Seele meint, in der Stufe, die sie gerade fassbar in sich erfährt, sei
schon die letzte und höchste Absicht Gottes enthalten und mit eingeschlossen.
Man möchte sagen: So „täuscht“ Gott gleichsam der Seele eine Kürze des Weges
vor, um sie nicht durch den Ausblick auf die langen, atemlosen Wege zu
entmutigen; immer wieder oder wenigstens zeitweise meint die Seele schon am
Ziel oder ganz nah am Ziel zu sein, weil die führende Gnade die verschiedenen
Unter- und Zwischenstufen verborgen hält. Es wirkt darin seine göttliche Weisheit,
die sich in ihren Absichten und Plänen der Schwäche der menschlichen Seele
anpasst und sie stufenweise emporführt, ohne sie durch das Vorauswissen des
einen, langen und weiten Weges zu entmutigen. – Damit hält Gott auch das
Streben und Bemühen der Seele wach, sowie die Freude und den Mut des eigenen
Bemühens in Verein und in Kraft der Gnade. Wenn man dann an einem Wendepunkt
zurückschaut auf die mittels der Gnade zurückgelegte Wegstrecke, die offen und
aufgerollt vor einem liegt, so muss man sich selbst eingestehen: „Hätte ich im
Voraus um die Länge und Schwere dieses Aufstieges gewusst, so hätte ich mich
wohl nie dazu entschließen können“.
1845 |
Ich habe nun seit einer Woche merklich eine
letzte Annäherung an die Verwirklichung meines Vollzustandes in Christus
erfahren. Dieser kommende Endzustand376 wurde mir in dem einen Wort
erklärt: Ich werde erleben die PSYCHOLOGIE CHRISTI, das Seelenleben Christi für
dessen eigenes Erleben meine Seele in vielen Vorbereitungsstufen377
umgewandelt wurde. Unter diesem Gesichtspunkt überschaue ich jetzt meinen
zurückgelegten Weg in einer anderen, einfacheren Form. Ich schaue zurück auf
die vielen Erlebnisse über das Wesen der zweiten göttlichen Person: Dadurch bin
ich befähigt worden, diese göttlichen Einwirkungen in meiner Seele ertragen zu
können. Meine Seele soll ja dienstbar gemacht werden einer ähnlichen,
mystischen Vereinigung mit Christus, wie sie zwischen seiner göttlichen und
menschlichen Natur in seinem Erdenleben bestand; meine Seele wird zur Trägerin
dieser besonderen mystischen Vereinigung. Jetzt schließt sich gleichsam der
Ring der wiederholten Erlebnisse Gottes und der göttlichen Erlöserperson
zusammen in einem Akt378, der mich zum persönlichen
seelisch-substanziellen Erleben Christi und seines göttlichen Geheimnisses
führt.
1846 |
Es wurde mir in den vergangenen Tagen die
absolut mystisch-wesentliche Grundlage meines geistigen Weges als Befähigung
für das Erleben der Psychologie Christi erklärt: Nicht in Visionen oder
Ekstasen (also in Begleiterscheinungen des mystischen Gnadenlebens) erfahre ich
das Geheimnis Christi, des Gottmenschen, sondern auf dem wesentlichen
Vereinigungsweg wurde ich dafür befähigt. Gewiss sind zuzeiten auch
Begleiterscheinungen eingeschaltet worden, aber auch diese bewegten sich alle
in rein geistiger Form, als geistige Visionen, niemals aber in wirklich
ekstatischer Weise oder in Vollekstasen, wenn auch das wesentliche ekstatische
Gebet die Grundlage meines Innenlebens in den ersten Jahren bildete; diese
Gebetszustände gingen dann langsam in einen wesentlichen, substanziellen
Verkehr mit Gott über.
1847 |
Von meinem Endzustand aus, den ich jetzt klar
wie nie zuvor erkenne, schaute379 ich nun meinen geistigen
Entwicklungsweg als Grundlage für das Letzte (- das sich in Worte zwar nicht
ganz ausdrücken lässt, aber wofür ich befähigt werde und in der Befähigung
stehe -): Ich bin der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in
Christus hingegeben; meine menschliche Natur, bzw. meine Seele erfährt und
erlebt wesentlich, substanziell dieses göttliche Geheimnis, nicht in „Worten“
oder „Schauen“ erklärt, sondern als habituellen Zustand; meine Seele „dient“
der göttlichen Person, um jenes Geheimnis mystisch wiederholen zu können; es
ist meine menschliche Natur, deren sich die zweite göttliche Person in einem
wirklichen Zustand meinerseits bedient; ich bin dazu genommen. Wie sich im
Einzelnen alles auswirken wird, das ist mir noch ein Geheimnis und verborgen,
obwohl ich gewisse, entsprechende geistige Begriffe davon schon habe. – Es ist,
wie mir anders erklärt wurde380, eine Selbstmitteilung der
göttlichen Person Christi an meine Seele zu einem vollen „Selbsterlebnis“
meinerseits. – In den vergangenen Tagen wurde mir nun der Weg erklärt, der mich
für diese substanzielle Selbstmitteilung der göttlichen Person Christi an meine
Seele befähigt hat. Ich überblicke all die verschiedenen Stufen der mystischen
Mitteilung Gottes an die Seele, bist zur höchsten Spitze einer wesentlichen,
substanziellen Selbstmitteilung Gottes.
1848 |
Wie Gott sich der sichtbaren geschaffenen Natur
mitteilbar mitteilt, indem er sie erhält und ihr das Wachstum und die
Entwicklungsmöglichkeit verleiht (sonst würde die Welt in einem Augenblick in
ein Nichts versinken), so teilt er sich in besonderer, gnadenvoller Weise der
Krone der Schöpfung, dem Menschen mit, der einbezogen ist in das Leben Christi
in Gott durch die Teilnahme an den Erlösergnaden, bzw. durch das göttliche
Leben in der Taufe. Für gewöhnlich gibt Gott sich und seinen Willen zu erkennen
auf dem Weg der Gebote und des Evangeliums; er kann es aber auch auf besondere
Weise tun und er tut es in vielen Seelen. (Eigentlich wollte es Gott bei allen
Seelen tun und es wird sich erst in der Ewigkeit zeigen, in welchem Ausmaß auch
in der jetzigen Gnadenordnung Gott sich und seinem Willen den Seelen in
besonderer Weise zu erkennen gab; selbst unter den Verlorenen werden Seelen
sein, die große und besondere381 innere Gnaden hatten.) Im
gewöhnlichen Seelenleben des Durchschnittschristen zeigt Gott einer Seele
seinen besonderen Willen z. B. in der Liebe zum Gebet oder in einer besonderen
Andachtsübung, die ihr besonders zusagt und durch die sie mehr Gnade zu
erlangen glaubt, in besonderem Trost beim Gebet oder bei guten Werken, wodurch
Gott diese Seele mehr für sich zu gewinnen trachtet, in der Hingezogenheit zu
Gott und religiösen Übungen oder in der Übung der Nächstenliebe. Ein solcher
Zug zu diesem oder jenem Guten ist ein Ansporn, dessen Gott sich bedient, um
der Seele seine Absichten der Gnade mitzuteilen, wobei er ihr auch noch
entgegenkommt durch besondere Ruhe, Frieden und Befriedigtsein beim Befolgen
solcher Antriebe. – Im höheren Geistesleben teilt sich Gott einer Seele mit
durch besondere Erleuchtungen, durch ein höheres, in sich abgeschlossenes
Erkennen seines göttlichen Willens, das eine bestimmte Sicherheit gibt, diesen
göttlichen Willen zu erfüllen oder erfüllt zu haben. Auch der besondere Trost
im Gebet ist ein mächtiges Lockmittel Gottes, um die Seele ganz für sich zu
gewinnen und um sie für einen besonderen Gegenstand seines Wohlgefallens zu
begeistern, wozu sich die Seele aufschwingen soll; das Irdische erscheint der
Seele dann mit schwächerer Anziehungskraft und Gott gibt sich ihr mehr als das
höchste Gut zu erkennen. – Hier scheidet sich der gewöhnliche Geistesweg vom
außergewöhnlichen. Hier beginnt eine höhere Art der Mitteilung Gottes an eine
Seele, womit er ihr in besonderer Weise seinen Willen zu erkennen gibt und sich
ihr in besonderer Weise mitteilt. Im Grunde ist ja das ganze Christenleben ein
„Anteil-haben“ an Gott, eine Mitteilung Gottes, auf die der Mensch entsprechend
zu antworten verpflichtet ist. In der mystischen Gnadenordnung geschieht nun
diese göttliche Mitteilung oder das Erfahren Gottes und Erkennen seines Willens
in einer besonderen Form, die nach meiner Erfahrung sehr verschieden sein kann.
1849 |
Der erste Grad ist wohl, dass sich Gott der
Seele im mystischen Gebet vorstellt als „Der“, als Gott, als Erlöser, als der
Liebenswürdigste, der die Seele über alles liebt und sie durch seine Liebe in
besonderer Weise382 beglücken will, wenn sie ihm folgt. Unter diesem
Gesichtspunkt treffen sich Gott und die Seele. Diese hat dabei auch ein schon
vorhandenes Ahnen oder auch ein unbedingtes Wissen, dass „das“ Gott bzw. Jesus
ist, der die Seele an sich zieht. Durch großen Eifer im Gebet und Abtötung
kommen Gott und die Seele sich näher, Sie treffen sich in liebender
Vereinigung, wobei die Seele entzückt ist von der Liebe und Herablassung ihres
Erlösers. Diese Mitteilung oder Selbstoffenbarungen Gottes, in denen sich Gott
der Seele zu erkennen gibt, sich ihr offenbart, werden häufiger und inniger,
sicherer und bestimmter und es bildet sich eine unaussprechliche
Vertraulichkeit zwischen den beiden Liebenden. In diesen Liebesvereinigungen
beginnt nun Gott, der Seele seine besonderen Wünsche für sie mitzuteilen. – Er
lässt sie erkennen, was ihm an ihr missfällt, welche Mängel sie an sich trägt,
die er unbedingt verbessert haben will, welche Tugendübungen383 ihm
an ihr besonders gefallen würden, welche Mittel sie gebrauchen soll, um sich
ihm möglichst wohlgefällig zu machen. Es beginnt der Weg einer eifrigen
Reinigung der Seele; entzückt über die Liebe Jesu will sie alles hingeben, um
dafür ganz Gott zu gewinnen, der ihr gleichsam als Preis in Aussicht gestellt
wird; Jesus teilt sich der liebenden Seele auch in seinen Vollkommenheiten mit,
in denen er sich vor ihr enthüllt. Gott zieht dann zuzeiten seine fühlbare
Gnade und384 Vereinigung zurück und lässt die Seele scheinbar allein
arbeiten und sich mühen; so erprobt und bewährt die Seele ihre Liebe und Treue
und macht sich damit würdiger und bereiter für höhere Liebesvereinigungen. Hier
schneiden sich die speziellen Wege im mystischen Gnadenleben, weil doch fast
jede (mystisch geführte) Seele von Gott auf ein anderes geistiges Ziel
hingerichtet wird und daher im Einzelnen auch einen anderen Weg geht. – Gott
teilt sich der Seele in diesen Zeiten intensiver mit; das heißt aber auch: Er
verlangt volle Hingabe von ihr, absolute Trennung von der Welt und ihren
Genüssen, soweit sie der Seele schädlich und hinderlich sein könnten für die
Vereinigung mit ihm. Die Liebesvereinigung erhöht sich und wird zu einer
vertraulichen Zwiesprache mit Gott. Und die ersten Worte Jesu sind entzückend
für die Seele und machen sie zugleich erschauern, weil sie sich in solcher Nähe
mit ihrem Gott erlebt. Diese vertraulichen Gespräche werden häufiger und
schließlich sind Gott und Seele wie „zwei, die sich so gut verstehen“. –
Inzwischen aber führt Gott die Seele schwere Wege der Abtötung und
Selbstverleugnung, weil die eigene sinnliche Natur mit ihrer Genusshaftigkeit
niemals mit solchen Gnaden zusammen385 bestehen könnte. Gott nimmt
der Seele nun aber auch alles aus der Hand, was sie abhalten könnte von der
Treue gegenüber ihrem Bräutigam. Das eigene Abgeben und Hergeben ist nun nicht
mehr genug; Gott selbst beginnt jetzt, der Seele alles an irdischer
Befriedigung zu nehmen, und sie wird unter großen Schmerzen von allem entblößt.
Wenn aber die Seele aufrichtig und treu ist, fängt hiermit ein neuer Liebesweg
an, der Weg der passiven Reinigung und Vereinigung. Es beginnt der Aufstieg der
Seele auf Kalvaria. Doch wird sie innerlich immer wieder reich entschädigt
durch viele tiefere Vereinigungsstadien, wenn z. B. Jesus selbst die Seele vom
tiefsten Dunkel und der Nacht des Geistes386 ruft: „Komm an mein
Herz! ICH bin es!“ – (O, dieses „Ich bin es“ entzückt die Seele) – „Steh auf
und erfreue dich an mir nach der Nacht der Leiden!387 Hab keine
Angst vor mir, denn ich liebe dich so sehr! Ich liebe dich so sehr, dass ich
ganz in dich eingehen will. Ich will dich als mein Leben gebrauchen, mit dem
ich leben will, und damit will ich mich meinem Vater nochmals zum Opfer
bringen.“ – Nicht die Engel des Himmels können das Glück ermessen, von dem die
Seele in solchen Augenblicken und Stunden durchströmt wird. Da wird die Liebe
befestigt in der vollen Erkenntnis: Gott ist Alles, und wenn ich ihn nur auf
Kalvaria besitzen kann, so lasse ich alles für ihn. Nach meiner Erfahrung
liegen diese fühlbaren Ansprachen Gottes an die Seele etwa auf der mittleren
Höhe des mystischen Lebens. Bei mir begannen sie am Anfang meiner besonderen
Berufung (im Jahre 1922). Von dort zweigt auch mein innerer Geistesweg ab. –
Meiner inneren Anregung gemäß soll ich hier nach meinem eigenen Erfahren
beschreiben und erklären: Wie teilt sich der Seele Gott mit und welches war in
meinem Innenleben die Vorbereitung und Vorbedingung für mein jetziges Stadium
der Einheit mit Christus?
1850 |
Der mystische Gnadenweg verband sich nun bei
mir mit einer besonderen Aufgabe, wobei aber die wesentliche mystische
Grundlage immerwährend bestehen blieb, und alle Mitteilungen Gottes an meine
Seele die Eigenart und Eigenschaften des wesentlichen Gnadenlebens
beibehielten. Grundlage und Ziel blieb immer eine möglichst hohe Vereinigung
mit Gott, ja es wurde mir schon bald zu Beginn meiner besonderen Berufung jene
höchste Stufe der Einheit mit Christus – die mir nun bevorsteht – als letztes
Ziel voraus gezeigt.
1851 |
Von den (geistig) fühlbaren Mitteilungen
Gottes aus mündet der Weg in ein wesentliches Erfahren Gottes. Die fühlbaren
Erlebnisse hören im höheren mystischen Leben mehr und mehr auf und die Gnaden
Gottes werden auf eine wesentliche Art der Seele mitgeteilt. Über die (geistig)
fühlbaren Ansprachen Jesu an die Seele hinaus gibt es noch höhere Vereinigungsakte
und Stufen, wo Gott und Seele nimmer „sprechen“, sondern wo sie gleichsam
ineinanderfließen und eine unaussprechliche Einheit des Lebens sich auszuwirken
beginnt, die auch eine entsprechende innere Leitung der Seele mit sich bringt.
(Gewiss bleibt die vorher beschriebene gegenseitige Verständlichkeit zwischen
Gott und Seele immer im Grund bestehen; jene Ansprachen kommen immer wieder
vor, aber sie werden seltener). Das Schweigen und in sich Verzückt-sein in den
Augenblicken und Zeiten solcher Vereinigung und nach solcher „Zwiesprache“ ist
höher als die Ansprache selbst. Von dieser Verzückung oder dem Genuss des „in
Gott Aufgegangen-Seins“ tritt man wieder zurück zu einer liebenden Aussprache.
Auf den höheren Stufen der umwandelnden Vereinigung und um die Zeit vor der
geistigen388 Vermählung wird die Seele schon zur habituellen
Vereinigung und zu einem dauernden Vereinigungsleben bereitet, das sich auch in
andere Weise auszuwirken beginnt. Für gewöhnlich liegt die Seele in tiefer
finsterer Nacht der Leiden wie begraben; sie meint, in sich vergehen zu müssen
in der inneren Finsternis und Verlassenheit. Aber mitten in solchen Leiden, die
für die Seele gleichsam unüberbrückbar für ein geistiges Licht scheinen,
„berührt“ Jesus die Seele und augenblickliche erhebt sich die Seele, um Gott
gleichsam ins Angesicht zu schauen, ihn zu erkennen und dem höchsten Genuss
seines Seins sich zu erfreuen; aber im nächsten Augenblick versinkt dieses
göttliche Licht in eine noch tiefere Finsternis, in der sich die Seele gefangen
sieht. Es liegt etwas Eigenartiges um diese „göttlichen Berührungen“ deren sich
Jesus bedient, um der Seele neue Kraft zu geben und sie seiner gnadenvollen
Vereinigung zu erinnern, die im Grunde doch gleich weiter besteht, obwohl sich
die Seele gänzlich vom Gott verlassen fühlt. In diesen höheren Lagen des
mystischen Lebens wird nun die Seele angeleitet unterzogen,389 dass
ihr die schon bestehende und vollzogene wesentliche390 Vereinigung
genügt, dass sie aus diesen wesentlichen391 Kraftquellen nimmt und
Gott „als Kraft“ gebraucht. In gewisser Hinsicht beginnt mit der geistigen
Vermählung Gott selbst das Leben der Seele zu werden – die Seele ist bis zu
jenen Stufen gereinigt und dementsprechend erhoben –, um Gott dauernd in der
Seele besitzen zu können,392 während auch die fühlbaren Gnaden
vielfach mehr zurücktreten393. Auch wenn Gott solche noch zu Zeiten
gibt, haben sie doch eine andere Charakteristik, insofern Gott nun nicht erst
„kommt“ und die Seele ruft, sondern er ist schon da und lebt schon mit ihr. So
wird auch das innere Leben dauernd fruchtbarer.
1852 |
Mit der wesentlichen Mitteilung Gottes an die
Seele beginnt diese auch in Gott selbst394, in seine innergöttlichen
Geheimnisse, eingeführt zu werden. Gott selbst ist zum Mittelpunkt ihres Lebens
geworden und er führt sie dementsprechend, kraft der schon bestehenden
Vereinigung und gleichsam durch sich selbst in seine inneren Geheimnisse, in
sich selbst, ein. Gott selbst ist Licht und Leben der Seele und darum lässt er
jene fühlbaren Hilfsmittel beiseite, deren er sich auf den unteren Stufen des
mystischen Lebens bedient hat. In Kraft der schon bestehenden Vereinigung
wächst die Seele immer mehr in Gott hinein und es beginnt gleichsam ein neues,
fruchtbares Gnadenleben und eine weitere, höhere395 Umgestaltung der
Seele in Gott. Er spricht auch für gewöhnlich nun nicht mehr in (geistigen)
Worten, denn sein Sein ist selbst Licht und die Seele ist ungemein feinfühlig
geworden und versteht und nimmt auch ohne Worte auf. Gewiss steigert sich auch
in diesen geistigen Stadien der fortlaufende innere Reinigungsprozess in der
Seele, ohne den ein höherer Fortschritt überhaupt nicht möglich ist; wenigstens
ist dieser nach meinem Erfahren an einer noch mehr durchgreifenderen Läuterung
gebunden.396 So kommt es zu einem Erleben Gottes in seinen höchsten
Vollkommenheiten und Eigenschaften und der Grundzug des Innenlebens wird eine
wesentliche Umwandlung und Umformung der Seele in Gott. Es wird in ihr eine
weit höhere Anpassungsfähigkeit geschaffen als auf allen vorausgehenden
Gnadenstufen. Gott selbst gestaltet die Seele um, und zwar durch sein Leben
selbst. Gottes Leben ist immer wirksam und bedeutet für die Seele immerwährende
Entfaltung und nie kann man da zu einer äußersten397 Grenze kommen.
Das „Leben“ lebt immer und lebt die Seele in sich um (natürlich nicht so, als
ob die Seele Gott würde oder jemals werden könnte, sondern die
Umgestaltungsmöglichkeit der Seele in Gott ist infolge der Unendlichkeit Gottes
grenzenlos).398 Die Seele wird befähigt, hineingezogen zu werden in
Gottes tiefstes Sein; sie wird gottfähig gemacht und zu ihrem Vorbild hierfür
wird das letzte und höchste Urbild des Menschen genommen, nämlich Christus
selbst, dessen göttlicher Person sie zugestellt und in ständiger Umwandlung und
Vervollkommnung nachgebildet und nachgeformt, man möchte sagen, an die Seite
gestellt wird. (Wie schon auf den unteren Stufen ist auch jetzt dieses
Gnadenleben von entsprechenden großen Leiden begleitet, weil es ohne Leiden und
Bemühung keinen Fortschritt in diesem Leben gibt). – Die Art der Mitteilung
Gottes an die Seele ist auf dieser hohen Stufe Gott selbst, aber es ist immer
noch eine Mitteilung als irgendwie fühlbares Licht Gottes oder irgendwie
wahrnehmbares Erleben Gottes. Darüber hinaus gibt es noch eine höhere Stufe, wo
die Seele aus Gott „nimmt“ und ohne Vorbereitung sich seiner Absichten bewusst
wird und bewusst ist. Das Wissen um seine Geheimnisse wird habituell im
Teilnehmen an ihm; das scheint wohl die höchste Stufe zu sein. Gott ist für die
Seele Leben und Mitteilung und die Seele ist schon aufgegangen in diese
Mitteilung und lebt aus ihr, ohne es gleichsam noch wahrzunehmen. Hier herrscht
auch die größte Einfachheit, weil Gott und die Seele schon „eines“ geworden
sind; die vergeistigte Seele hat immer Zutritt zum Geiste Gottes.399
Gewiss wartet sie die Zeiten einer „fließenden“ Teilnahme ab und ist bereit,
auch im Dunkel zu gehen. Aber doch ist die Teilnahme an Gott schon Zustand und
habituell immer wirksam, wenn Gott auch nur zu Zeiten der Seele ihr seine
göttliche Überfülle mitteilt. Im Grunde bleibt im ganzen mystischen Gnadenleben
die gleiche Ordnung erhalten; nur in einer erhöhten Weise wirkt sich die
Gnadenordnung aus: Es geht vom fühlbaren Erleben Gottes zum wesentlichen, zur
wesentlichen Mitteilung Gottes an die Seele. Es bleibt aber auch immer, trotz
aller Gnadenfülle, das dem mystischen Leben eigene Dunkel, die Finsternis des
Geistes, bestehen. Ja, die Nacht des Geistes ist in den höchsten Gnadenstufen
noch viel schärfer wirksam.400 Das eigene geistige Dunkel ist
niemals so tief wie in diesem höchsten Erfahren, aber das Dunkel bedeckt nur
die eigene Seele, weil Gott selbst wirksam ist in seinem wesentlichen Lichte.
(Schon auf den unteren Stufen des mystischen Lebens soll ja das Dunkle und die Finsternis
die Seele fähig machen für das Licht Gottes – was man wohl erst auf den
höchsten Stufen ganz versteht.) Das Licht für sich selbst wird in der Seele
ausgelöscht, weil schon alles Licht in Gott geworden ist und immer mehr wird.
Die Seele kann ohne Vorbereitung und ohne eigenes fühlbares Wissen Gottes in
seinen Geheimnissen bewusst sein; es ist dies aber kein Wissen als solches,
sondern ein Seelenzustand des Lebens in Gott, von dem nun vieles offen geworden
ist. (Gewiss ist das Erfahren Gottes in seinem vollen göttlichen Licht erst in
der Ewigkeit möglich; hier ist es immer noch dunkel und an den Glauben
gebunden, aber der Glaube ist in dieser Art der Teilnahme an Gott schon zur
Sicherheit geworden.)
1853 |
Mit diesen Erklärungen wollte ich, der inneren
Anregung folgend, das Wesen der Selbst-Mitteilung Gottes an die Seele
schildern, so wie ich es erfahren habe. Von hier aus bewegt sich mein inneres
Leben dem Vollzustand in Christus zu, in dem mir das Erleben der Psychologie
Christi geboten werden wird. – Der hier beschriebene mystische Weg ist sicher
nicht bei allen Seelen gleich. Ich habe ihn eben so geschildert, wie ich es in
meinem Innenleben erlebt habe.401
1854 |
Große
innere Leiden …
1855 |
Die
Leiden flauen ab und ich bin in einer großen Ruhe, aber in mir so leer wie eine
Wüste.
1856 |
Morgens
war ich in unaussprechlicher Ruhe und Leidlosigkeit. Wie seit Langem nicht mehr
konnte ich wieder einmal eine Nacht ohne Leiden schlafen. Ich bin in mir so
groß und unermesslich weit geworden, voll Freiheit und geistiger
Bewegungsmöglichkeit. Ich ruhe in mir selber, und alles in mir ist mir selbst
untertan in unbeschreiblicher seelischer Harmonie.
1857 |
Am
Nachmittag aber wieder schwere Leiden und innere Verdemütigung. Es ekelt mich
vor allen inneren Erlebnissen und am meisten vor mir selbst.
1858 |
Gestern
war ebenfalls einen schwerer Leidenstag. Der vorherige harmonische Zustand
blieb trotz der Leiden bestehen, aber gerade diese Harmonie wirkte nun wie ein
zerstörendes Feuer im tieferen Grunde meines Seins und löste eine fast
unerträgliche geistige Spannung in mir aus: Der höchste, schon erreichter
Zustand möchte sich noch vollkommener durchsetzen, während anderseits noch ein
verborgener, unbewusster Widerstand vorhanden ist: Widerspruch und Widerstreben
und Ekel und eine geheime Furcht vor dem „Kommenden“, dem vollen Zustand in
Christus, vor dem großen „Risiko“, gleichsam ins Meer (der Leiden Christi) zu
springen und immer dortzubleiben mit der Hoffnung, nicht unterzugehen. Mein
künftiges Leben scheint ein uferloses Meer zu sein, indem ich für immer bleiben
werde.405 – So werde ich in mir selbst gleichsam „unterminiert“. Die große
Ruhe, die ich trotz dieses Kampfes in mir erlebe, ist gleichsam tödlich
gegenüber dem Widerstreben und Widerspruch der Natur in mir. Ich möchte sagen:
Es ist eine „grausame“ Ruhe, die damit das letzte und verborgenste Widerstreben
gegen das Höhere in mir vernichtet. Diese Ruhe ist gleich einer Ackerwalze,
unter deren Schwere alles geglättet wird.
1859 |
Heute
Morgen (11.10.1942) in St. Peter kam ich nach der heiligen Kommunion wieder in
großen Frieden und Freiheit von jeder eigenen Hemmung gegenüber der göttlichen
Führung.
1860 |
Beim
Altare Mariens wurde ich dann in den Zustand einer vollen Bereitschaft
versetzt, mich ganz in Maria dem Willen Gottes für seine Absichten in mir zu
opfern. Es war, als lebe Maria in mir und, von ihr durchlebt und getragen, war
ich innerlich veranlasst, mich für eine geistige (mystische)406 Mutterschaft
dem göttlichen Worte zur Verfügung zu stellen. Es war wirklich eine ganz
außergewöhnliche Gnade, die mir in und durch Maria zuteil wurde.
1861 |
Diese
Gnade hatte auch eine ganz besondere Wirkung in mir: Ich kam in eine in diesem
hohen Ausmaß noch nie erlebte Befreiung von mir selbst, in einen Zustand der
inneren Freiheit und Unumschränktheit, der Befreiung auch von allen Hemmungen
vonseiten der Geschöpfe, gerade so, als wäre ich ganz allein auf der Welt.
1862 |
Nach dieser
großen Gnade in St. Peter war in mir die volle Bereitschaft, „mich ganz dem
Herzen Jesu zu opfern“, und ich war geopfert für die Kirche, damit ihr durch
das Erleben der göttlichen Erlöserperson eine neue Vertiefung der Erkenntnis
Christi und damit eine größere Liebe Christi geschenkt und zuteilwerde. – In
Maria war ich ganz diesem Zweck hingegeben.
1863 |
Aus
diesen heutigen gnadenvollen Erlebnissen, die in mir nun bleibender Zustand
geworden sind, konnte ich ersehen, wie vielfach die Art der Losschälung und
Loslösung407 von mir selbst und von allem Äußeren ist, wie sehr die Gnade in
mir tätig ist und wie schwer und lang der Weg ist, der mich für jenen hohen
Zustand in Jesus befähigen soll. Dieser entzieht sich aber der eigenen
Einsicht, es sei denn, man könnte mit einem göttlichen Lichte die erforderliche
geistige408 Höhenstellung überschauen, in die meine menschliche Natur durch die
göttliche Gnade allmählich und in ständigem inneren Wachsen versetzt wird.
Schon die vielen Stufen des Aufstieges sind ein großes Geheimnis der göttlichen
Gnade und diese ganze innere Arbeit Christi in mir ist ein merkwürdiges Werk
seiner Gnade.
1864 |
In den letzten Wochen hatte ich wiederholt ein
stufenweise fortschreitendes Wissen über das Geheimnis: Wie wurde Christus-Gott
zum Leidenden? In welcher Form hat sich die zweite göttliche Person entäußert
und sich infolge dieser Selbstentäußerung leidensfähig gemacht?
1865 |
Ich hatte diesbezüglich besonderes Erkennen
und Wissen um das Wesen der göttlichen Natur, um deren Reingeistigkeit,
wesenhafte Erhabenheit und absolute Leidensunfähigkeit. Ich wusste aber auch um
das Geheimnis der Auswirkungen410 des Zusammenlebens der beiden
Naturen in Christus. Schließlich wurde mir das Geheimnis in den beiden Sätzen
zusammengefasst, in denen aber viel enthalten und eingeschlossen ist, was ich,
der inneren Anregung folgend, im Einzelnen darzulegen versuchen werde:
1. Die Natur Christi wurde nicht
bedrängt.
2. Die Erlebnisse der beiden Naturen
(unvermischt bleibenden) Naturen griffen aber ineinander im Bewusstsein der
einen göttlichen Person und so machte sich Christus freiwillig leidensfähig und
zum Leidenden.411
1866 |
(Über diese beiden Naturen im Allgemeinen:) –
Die Verbindung der göttlichen Natur mit der menschlichen in Christus war so eng
wie die zwischen unserer Seele und unserem Leib, aber viel harmonischer (denn
wir empfinden immer wieder die Störungen unserer gefallenen Natur gegenüber dem
Höheren und Besseren). Die göttliche Person blieb sich wesenhaft ihres
göttlichen Seins mit allen Auswirkungen des göttlichen Habitus bewusst. Für die
Zeit seines irdischen Lebens hat Jesus auf die Ausübung vieler göttlicher
Rechte und Vorzüge verzichtet und in gewissem Sinne seine Macht und
Herrlichkeit abgelegt, sich ihrer entäußert und entblößt. Nicht ablegen konnte
er jedoch das göttliche Bewusstsein und Wissen des ganzen Umfangs seiner
göttlichen Vollkommenheiten. Er bliebe sich immer wesenhaft all seiner
göttlichen Vorzüge bewusst, darunter auch seiner Leidensunfähigkeit, die an
sich auch nach seiner Menschwerdung bestehen blieb, weil sie eine wesentliche
Vollkommenheit Gottes ist. Christus hat aber freiwillig auch auf die Ausübung
dieses göttlichen Vorrechtes und die Auswirkung dieses göttlichen Vorzuges
insofern abgelegt, als er sich durch die enge Verbindung seiner göttlichen
Natur mit seiner menschlichen ganz den Gesetzen seiner wahren menschlichen
Natur überantwortete und dieser seiner erniedrigten Stellung sich bewusst war,
und dies auf das Bewusstsein seiner göttlichen Größe und Würde wirken ließ. Seine
der göttlichen Macht und Herrlichkeit entkleidete Lage in seiner menschlichen
Natur wirkte sich – infolge seines freiwilligen Entschlusses – auf seine
göttliche Person aus als verdemütigend und als Leiden und machte sie so zur
leidenden göttlichen Person.
1867 |
Zur näheren Erklärung der göttlichen
Leidensunfähigkeit und doch wieder der Leidensfähigkeit Christi wurde ich im
Einzelnen hingewiesen auf eigene Erfahrungen, und zwar zunächst auf den großen
Unterschied zwischen den Leiden auf den verschiedenen mystischen Stufen – für
deren Bedeutung wurde ich all diese Stufen im Geiste hindurchgeführt. Nach
meinem eigenen Erfahren haben die Leiden auf den unteren Stufen des mystischen
Lebens einen ganz anderen Charakter als auf den höheren und höchsten412
Stufen. In den Anfangsstadien413 des geistlichen Lebens ist die
sinnliche Natur von den inneren Leiden wie Trockenheit, Verlassenheit usw.
niedergedrückt und beengt, weil ihr der geistliche Trost entzogen ist, den sie
besitzen zu müssen glaubt; (– in diesem Verlangen liegt auch eine gewisse
Berechtigung, denn auch Gott gibt ja den inneren Trost, damit sich die Seele
daran erfreue und dadurch in seiner Liebe befestigt und zu noch größerer
Hingabe an ihn veranlasst und geführt werde. –) Die Seele will noch zu sehr
„genießen“ und die Früchte ihrer Hingabe an Gott beziehen und behaupten, und
die sinnhafte Natur der Seele, die immer und überall eigene Befriedigung
einheimsen will, leidet sehr unter dem Entzug des göttlichen Trostes, den sie
vielleicht gewohnt war. – Außerdem greift Gott auch schon auf414 den
Unterstufen nicht nur durch Entziehen des gewöhnten Trostes ein, sondern mehr
noch dadurch, dass sich die Seele daran gewöhnen, und damit zufriedengeben
muss, immer nur den Herrn der Gnade zu suchen, und nicht die tröstende Gnade
als solche; damit soll die tiefe Sucht und Neigung der gefallenen Menschenseele
nach dem Selbstgenießen und Befriedigtsein ertötet, und soll die Seele
freigemacht werden von dieser erbsündlichen, selbstsüchtigen Anlage. Jede Sünde
entspricht ja ihrem tiefsten Wesen nach der jetzigen Sucht und Anlage des
Menschen, in ungeordneter Weise sich selbst zu besitzen, dem eigenen Willen zu
folgen, sich behaupten, erfreuen und genießen zu können. Durch die Leiden der
geistlichen Trockenheit und Verlassenheit wird diese genusssüchtige Anlage der
Seele und dieses Streben nach Befriedigung unterbunden und gehemmt. Die Seele
wird in einen solchen Zustand der Leere, Öde und Finsternis415
versetzt, dass sie sich an nichts mehr ergötzen und nichts mehr genießen kann
von dem, woran ihre Natur allzu sehr hängt. Durch diese peinvollen Leiden
gelangt sie zu einer größeren Freiheit von ihrer eigenen genusssüchtigen Anlage
(– auch in geistiger Beziehung ist die Seele durch die Erbsünde „genusssüchtig“
geworden –) und sie wird unter der Einwirkung jener Leiden fähiger, sich aus
dem eigenen Egoismus und der Egozentrik zu erheben und sich unmittelbarer416
auf Gott hinzulenken; denn gerade durch diese Leiden wird sie gedrängt, sich um
Hilfe an Gott zu wenden und in ihrer eigenen Leere bei ihm Zuflucht zu suchen
und zu finden. Dadurch wird die Seele im Allgemeinen auch „aktiver“, mehr zur
Selbstarbeit und zum eigenen Bemühen angetrieben, und das gibt ihr einen großen
Vorsprung im geistlichen Fortschreiten. Es muss eine fortschreitende Aktivität
in ihr geweckt werden, denn nicht so sehr im Genießen des geistlichen Trostes
und der Gegenwart Gottes kommt sie auf dem Weg des Guten voran als vielmehr
dadurch, dass sie sich von den Fesseln der Sünde und den erbsündlichen Anlagen
befreit. Nur in dem Maße kommt ja die Seele zu einer wahren und dauernden Nähe
und Vereinigung mit Gott, als sie sich von der Sünde und deren inneren Folgen
freimacht. Darum drängt und führt Gott die Seele, die er zu sich erheben will,
auf dem von ihm bereiteten Weg der Reinigung. Die Neigung zur Sünde, die den
Menschen körperlich und seelisch so vielfach bedrängt, wird dadurch
unterbunden. – Auch fromme Seelen, die nicht gerade auf dem mystischen Weg
geführt werden, leiden oft sehr unter diesem Leiden der inneren Trockenheit und
Trostlosigkeit und es kann dies immer für ein gutes Zeichen angesehen werden,
dass Gott eine solche Seele höher führen, mehr an sich ziehen will. Und gerade
das mystische Leben baut sich auf die zeitweise Entziehung des inneren Trostes
auf, und wenn diese typischen inneren Leiden nicht vorhanden sind und sich
nicht wiederholen, die nur eine tief gehende Reinigung der Seele bezwecken,
kann man nicht auf echte mystische Begnadigung rechnen bei einer betreffenden
Seele; denn ohne tiefe Reinigung kommt sie nie in die Nähe Gottes. Gewiss kann
auch der böse Feind die Seele zur Schlauheit und zum Nachlassen im religiösen
Eifer veranlassen, indem er ihr das religiöse Leben öde und fade und kraftlos
vorstellt, und gar manche Seele scheitern auf diesem Weg im Guten und lassen
nach, weil sie zu wenig aktiv sich bemühen. –417 Auch im
gewöhnlichen Christenleben ist das Leiden in seiner vielfachen Gestalt
größtenteils nur zu diesem Zweck von Gott geschickt oder zugelassen, dass sich
der Mensch aus seiner niederen Gebundenheit erhebt.418 Gott hat
immer eine größere Hinwendung der Seele zu ihm als Ziel.
1868 |
Gewiss können schon diese Leiden der Seele auf
den Unterstufen des geistlichen bzw. mystischen Lebens ein Maß erreichen, das
über die Kräfte der Seele zu gehen scheint. Ich habe im Alter von 17-20 Jahren
öfter 12 bis 17 Wochen dauernder geistiger Finsternis, Trockenheit und des
Misstrostes gezählt, wenn auch zwischen hinein durch eine vorübergehende
fühlbare Gnade Gottes wieder „lichte“ Augenblicke eingeschaltet waren. Von
Woche zu Woche meinte ich da: „Es geht nimmer; ich kann es nicht mehr
aushalten“. Gott geht hierin scheinbar an die äußerste Grenze des für die Seele
Erträglichen und schafft ihr die höchstzulässige Bedrängung, um all ihre Kräfte
zu wecken, ihren Willen zu stählen und sie ans Ertragen zu gewöhnen. – Nach
einer solchen Periode der Läuterung und Reinigung merkt aber die Seele, wenn
sie ehrlich zusieht, welch großen Fortschritt im Guten sie gemacht hat und
welche wesentliche Vorteile sie sich im Leiden erwirkt hat. Nach wiederholten
derartigen Leidensperioden gelangt die Seele auf eine Höhelage des Geistes, auf
der sie nicht mehr so sehr nach geistigem Trost verlangt und bereit ist, Gott
auch ohne diesen Trost mit gleicher Treue zu dienen. Ja, die Seele erkennt,
dass die Finsternis des Geistes ihr zum größeren Fortschritt dient und deshalb
ist sie auch bereit, um Gottes Ehre und ihrer eigenen Heiligung willen, ebenso
gern wie früher im Trost, nun in Finsternis und Trockenheit zu bleiben. Das ist
schon ein großer Fortschritt im geistlichen Leben. Der Wille ist damit schon zu
großer Oberherrschaft über die Anlagen und Kräfte der Seele emporgehoben und
schon in hohem Grade mit Gott vereinigt; es ist schon eine wesentliche
Selbstbefreiung geleistet worden.
1869 |
Durch den hochherzigen Willensentschluss, sich
in wahrer Großmut Gott völlig, und für jede Art der geistigen Finsternis und
Verlassenheit, hinzugeben, überwältigt die Seele ihre genusssüchtige419
Natur und überschreitet mit einem geistigen Schritt die tiefer liegenden
Unterstufen und Wege. Damit steigert sich ihre Hingabe an Gott, und sie erspart
sich damit vielerlei kleinliche Leiden, die sie nun kaum mehr berühren. Die
Seele geht nun einen direkten Weg zu Gott, wenn sie den großen, vielleicht
heroischen Mut und die Großmut aufbringt, im Vorhinein auf jeden Trost von Gott
zu verzichten oder ihn doch nur als Mittel zu ihrem Fortschritt zu gebrauchen,
im Übrigen aber sich gern in allen inneren Läuterungsleiden der Gnade Gottes
zur Verfügung zu stellen und nur die eigene Heiligung und damit die größere
Ehre Gottes zu suchen.
1870 |
Ungleich härter und schärfer sind aber die
dann folgenden420 und kommenden Leiden der passiven Läuterungen.
Gewiss ist in diesen Abschnitten des geistlichen Lebens keine bestimmte Grenze
gezogen, denn beide Arten von Läuterungen greifen ineinander, aber man merkt
ganz gut die entscheidende Schärfe und Vertiefung. Man kann dadurch doch eine
gewisse Grenze oder eine Änderung in der Wirkung der inneren Leiden
feststellen, als man sich selbst eingestehen kann, dass man die früher erlebten
Leiden gar niemals so hart empfindet und man spürt eine neue, andere Periode,
die viel härter drückt und auf sich gelegt ist. Diese Leiden, in ihrer vollen
Schärfe421 können auch eine starke Seele „schwach“ machen und zu
Tränen bringen. Da genügt keine Großmut mehr, um diese Leiden gleichsam mit
einem Sprung zu überwinden, wie es auf der unteren Stufe vielleicht noch
möglich ist. Nun wirkt Gott selbst mit unsagbaren Leiden. Die innere Finsternis
wird undurchdringlich und die Verlassenheit wird zu einer wahren Wüste des
Schmerzes. Da hilft nicht einmal der gute Wille, alles ertragen zu wollen, was
Gott auch in dieser Beziehung schickt. Dieser Kelch muss bis zur Neige
getrunken werden. O, wer sie kennt, diese Nacht des Geistes auf dieser Höhe der
passiven Reinigung! Das kann der begreifen, der es selbst erlebt hat. Wenn sich
die Seele gleichsam krümmt vor Schmerz, so wird sie nur noch tiefer in den
Schmerz hineingestoßen. Dabei ist aber das Verlangen nach Trost in der Seele
schon überschritten und sie ist hierin schon gleichmütig, indifferent gemacht
worden. Ihre Leiden sind darum jetzt ganz andere Art als früher. Sie liebt
schon das Kreuz, und dennoch leidet sie sehr unter diesem Kreuz. Sie will schon
leiden, aber dieses Leiden der Verlassenheit schneidet furchtbar ein, trotz
alles Willens der Ergebung. – Durch diese inneren Leiden wird aber eine völlig
veränderte Disposition in der Seele geschaffen. Die kleinen, alltäglichen
Leiden und Schwierigkeiten – die freilich noch sehr422 fühlbar und
schmerzlich sein können – verschwinden gleichsam im weiten und bitteren Meere
jener inneren Leiden, von denen sich die Seele umgeben fühlt und die sie
unauslöschlich in sich spürt und trägt. Das ganze Leben einer solchen Seele
wird gleichsam durchsiebt; alle Spreu des eigenen erbsündlichen Habitus423
wird wie zusammengedrängt und gleichsam in ihr verbrannt. Alle möglichen
Versuchungen und Anfeindungen von außen und innen stürmen an die bedrängte
Seele heran, aber zu ihrem größten Nutzen. Vielleicht muss sie in ganzen
Perioden solcher Leidenszeiten nur in sich ihre bösen Taten oder
Tatmöglichkeiten und Anlagen424 sehen und verabscheuen; aber wie
sehr wird ihr425 Wille durch solche geheimnisvollen Leiden gereinigt
und freigemacht von der geringsten Anhänglichkeit und Hinneigung zur Sünde!
Damit wird in ihr eine ganz vorzügliche Möglichkeit der Vereinigung mit Gott,
dem Allerhöchsten426, geschaffen. Die Seele will wirklich nichts
mehr als Gott und will ihn ganz allein. Und tief, unbegreiflich tief muss diese
höchste Willensentscheidung in der Seele gehen, ja sie muss unwandelbar werden,
sodass sie unter normalen Bedingungen nicht mehr widerrufen wird oder427
widerrufen werden kann, weil Sein und Wille der Seele schon habituell mit Gott
verbunden sind. Die passive Reinigung schließt nämlich in ihrem normalen
Verlauf eine wirkliche wesentliche Umwandlung der Seele in sich. Diese kehrt
sich vom Bösen der erbsündlichen Anlagen wirksam428 dem Guten zu und
das nicht nur mit dem Willen allein, sondern auch in einer durchgreifenden
Reinigung des Geistes, sodass der ganze Mensch schon zu Gott hingekehrt ist; es
erstreckt sich überhaupt die passive Läuterung auf die höheren
Seelenfähigkeiten, des Geistes, während die aktive, die untere, mehr die
sinnlichen Kräfte der Seele reinigt.429 Damit ist dann die
notwendige Disposition und Voraussetzung vorhanden für eine unwandelbare
Vereinigung mit Gott. Damit sind auch noch andere große Veränderungen in der Seele
vor sich gegangen. Die Seele trägt nun den geistigen Habitus, das Niedere schon
überwunden zu haben, d. h. das Gute nicht nur zu wollen, sondern schon zu
vollbringen zu können und dies als bleibender Zustand. Die Seele hat sich
ferner eine große Aktivität in sich selbst erworben;430 sie steht
über so vielem, was sie früher bedrängt und beunruhigte; sie ist wie zu einer
festen Burg geworden in sich selbst und gegen alle Angriffe von außen. Sie hat
sich auch in diesen Jahren der Läuterung eine große Leidensfähigkeit erworben,
eine Leidenskraft, die nun nicht mehr allein im Wollen liegt, sondern die schon
geübt ist im Tragen und auch ruhig tragen kann.
1871 |
Gott verlangt aber noch viele und höhere Opfer
von solchen Seelen, denn er pflegt eine Seele für gewöhnlich431
nicht zu solcher Höhe zu führen, ohne dass er ihr nicht auch zugleich Anteil an
der Aufgabe einer geistigen Befruchtung der Kirche gäbe, was immer nur wieder
nur im Leiden geschieht. Gott hat immer Absichten der Liebe für die Kirche,
wenn er eine Seele zu größerer Leidensfähigkeit erzieht. Seine Gerechtigkeit
bedarf der Entschädigung und Opfer, um deren Preis er neue Gnaden der
Barmherzigkeit und Liebe auf die sündige Welt ausgießt. Deshalb wird in den
dazu berufenen Seelen die entsprechende Anlage und Möglichkeit geschaffen, dass
sie wirklich viel ertragen und leiden können. Die sogenannten alltäglichen
Leiden kommen nun nicht mehr so an die Seele heran, was aber nicht heißt, dass
die Seele sie gar nicht mehr spüre; sie hat vielmehr den Widerspruch der
eigenen Natur dagegen schon überschritten und in diesem psychologischen
Geheimnis liegt die wirkliche und höchste Leidensfähigkeit. Was ein Leiden
eigentlich schwer und geradezu unerträglich macht, ist im Grunde nur der
Widerspruch der Natur dagegen. Ist aber eine gewisse an sich
selbstverständliche Leidensscheu der sich schmeichelnden und schonenden Natur
überschritten und überwunden, so gelangt die Seele allmählich auf eine Ebene
und432 Höhe, auf der sie für alles bereit ist und so Vieles und
Großes leiden und tragen kann, was ohne Überwindung der eigenen niederen
Naturanlage gar nicht möglich wäre. Dabei kann es wohl noch der Fall sein, dass
die Seele zunächst mit einer gewissen, der Verzweiflung ähnlichen
Gleichgültigkeit ganz großen Leiden, inneren und äußeren Schlägen,
gegenübersteht und dadurch den Widerspruch der Natur dagegen aufs Höchste
empfindet. Die Natur bringt eben lange Zeit nicht das volle „Ja“ fertig,
während doch alles mit Liebe und folglich mit einem vollen „Ja“ getragen und
bejaht sein will. Schließlich aber führt diese „Gleichgültigkeit“ doch zur
Gleichmütigkeit auch der Natur und es siegt die höhere Leidensbereitschaft und
Opferliebe der Seele vollends über das untere widerstrebende Empfinden. Das
tiefste Geheimnis einer völligen Leidensbereitschaft liegt in der Hauptsache im
vollen, rückhaltlosen Aufgeben der eigenen Interessen, gleichsam in einem
„Auflassen seiner Selbst in Gott“.433
1872 |
Es zeigt sich aber die geheimnisvolle
Tatsache, dass Gott die Seele für immer noch höhere Leiden und Opfer befähigt,
wozu auch die Leidenskraft und Tragkraft der Seele mitwachsen muss. Wohl ist
die Seele sozusagen schon an Opfer und Entsagungen so gewöhnt, dass sie vieles,
was die Menschen „Leiden nennen“, nicht mehr in dieser Form empfindet wie der
noch sinnhafte eingestellte Mensch. Die Seele ist schon lange bereit, alles zu
leiden, will oder braucht keine Befriedigung mehr, ist trotzdem immer zufrieden
und steht über den Alltäglichkeiten (die aber immer noch spürbar sind). Die
„Natur“ hat nichts mehr zu sagen, sondern muss stille sein und dienen. Nun
werden aber dafür die Leiden um so vergeistigter und damit um so tiefer und
wirksamer. Dazu ist die Seele auch viel feinfühliger geworden. Sie kann aber
auch so vieles ertragen, dass sie es im Einzelnen geradezu nicht mehr spürt,
und sie hat dazu eine indifferente Ruhe erlangt. – Ich erinnere mich z. B. noch
gut daran: Als ich lange Zeit hindurch an einer quälenden Schlaflosigkeit litt
und monatelang sozusagen nicht schlafen konnte, was eine unsagbare Pein für
einen Menschen bedeutet, da wurde ich innerlich zu einer solchen Ergebung in
dieses verzehrend scheinende Leiden geführt, dass mir schließlich nicht einmal
mehr der Wunsch434, und das Verlangen kam: „Ich will schlafen“. So
wurde ich durch die führende Gnade in der vollen Indifferenz geübt, bis ich sie
erreicht habe. – Gott scheint aber hierbei, das kann ich bezeugen, bis an die
äußerste Grenze des für die Seele Erträglichen zu gehen, sodass diese im
Übermaß der besonderen inneren Leiden wie erdrückt und zerdrückt wird.
1873 |
Auf diese Weise wird auch das in einem
gewissen Grade berechtigte Begehren der niederen Natur unter die Herrschaft des
Geistes gestellt und eine ruhige, gleichbleibende Ausgeglichenheit in der Seele
ermöglicht. Die Natur wird ihres egoistischen Genussverlangens entkleidet und
so weit unter die Leitung des Geistes gestellt, dass sie gleichsam überhaupt
nicht mehr „wagt“ zufriedengestellt und erleichtert werden zu wollen, es sei
denn in Übereinstimmung mit dem höheren Willen. So wird ein völliges
Harmonieren und Geordnetsein in den Kräften und Anlagen der Seele erreicht.
Aber diese höchste Ordnung wird nur hergestellt durch das Erleiden des
Gegenteils und Gegensatzes zu dieser Ordnung. Jahrelang muss die Seele mit sich
selber in ihren höheren und niederen Regungen und Anlagen im Kampfe liegen, bis
das Niedere und Ungeordnete zum Schweigen gebracht und ein voller Habitus der
Ordnung und Harmonie hergestellt ist.
1874 |
Die oberste Führung und die Lösung in diesem
Kampfe gegen die egoistische und genusssüchtige Natur liegen in der
fortschreitenden Vereinigung mit Gott. Gott selbst nimmt die Seele bzw. den
ganzen Menschen sozusagen unter seine Herrschaft, denn die Seele allein würde
jene volle Ordnung und Harmonie niemals fertigbringen. Gott leitet die Seele
an, sich mit all ihren Kräften seinem allerhöchsten Dienst zu übergeben und alles
Wiederstrebende auszugleichen und ausgleichen zu lassen, und er selbst nimmt in
den passiven Läuterungen nach und nach diesen Ausgleich vor. Die Seele selbst
könnte auch bei allem Bußgeist aus sich allein sich nie einer so gründlichen
Reinigung unterziehen, denn es fehlt ihr schon die Einsicht in die eigene
Gebundenheit infolge ihrer gefallenen Natur. Gewiss kann die Seele durch großen
Bußgeist zu einer hohen Losschälung und zu einer großen Herrschaft über sich
selbst gelangen und sie tut es auch unter der Anregung der Gnade, aber der
letzte und feinste Schliff kann nur durch passive, d. h. von Gott verursachte
und gegebene Leiden erreicht werden. – Und Gott vollzieht in geheimnisvoller
Weise dieses Werk der Loslösung und Befreiung der Seele von ihrer eigenen
Gebundenheit und damit vom Hang nach irgendwelcher Befriedigung, die nicht
zusammen mit der höchsten Leidensbereitschaft in Christus bestehen kann. Wohl
können auf diesen höchsten Stufen der Vereinigung mit Gott viele Leiden nicht
mehr eigentlich an die Seele heran, aber es träten seelische, passive Leiden
ein, die aus einem ungewollten und unbewusst noch vorhandenen Gegensatz
zwischen dem Zustand der Seele und dem von Gott gesteckten hohen Ziel
erwachsen.
1875 |
Man mag sich auf dieser Stufe auch in einer noch
so bedrängten äußeren und inneren Lage befinden: Man kann doch nicht eigentlich
von „Leiden“ sprechen, solange die Seele von jenen auf ein noch höheres Ziel
hingeordneten passiven Leiden frei ist. So habe ich in meinem Innenleben
erfahren, dass alle drohenden Schwierigkeiten meiner äußeren und inneren Lage
immer mittels passiver Leiden zu einem gottgewollten Ausgleich gebracht wurden;
jede äußere oder innere Disharmonie wurde durch passive innere Läuterungen,
also unmittelbar unter dem Einfluss der Gnade, beseitigt. Aus der Art der
Leiden konnte ich auch immer auf das Ziel schließen, das sie erreichen sollten.
So habe ich alle äußeren Leiden, die meine Lage mit sich brachte und immer noch
mit sich bringt, mittels der inneren, mich dazu befähigenden Leiden überwinden
können. Wenn ich dann wirklich in jene äußerlich oder auch innerlich bedrängte
Lage kam, so konnte mir diese meist gar nichts mehr anhaben, weil ich schon im
Vorhinein durch passive Leiden darauf vorbereitet und dafür bereit gemacht
worden war. Dank der Gnade Gottes erwirbt man sich in diesen freilich
bitterharten passiven Leiden die entsprechende Disposition, um in voller Ruhe
die jeweilige äußere und innere Lage ertragen und beherrschen zu können.
Dadurch wird auch ein großer Vorrat an geistiger Bewegungsmöglichkeit
geschaffen, sodass man ständig in Ruhe bleibt und in der inneren435
Ausgeglichenheit nicht gestört wird. Durch die große schon erlangte Freiheit
beherrscht man das Tieferliegende der Vergangenheit und Gegenwart, für das
kommende Zukünftige aber wird man wieder durch passive Leiden vorbereitet und
gleichsam gewappnet.
1876 |
Es ist jedenfalls Tatsache, dass man auf
diesen Stufen vielen Dingen und „Leiden“ gegenüber wie leidensunfähig geworden
ist. Die Natur müsste wohl auch ganz zusammenbrechen, wenn z. B. alle
Schwierigkeiten, in denen ich stehe, ständig wirksam wären. Man hat sich aber
durch das Einssein mit Gott gleichsam ein „göttliches Rückgrat“ gebildet und
ist in ihm sozusagen wie in einem Felsen gegründet. Des Öfteren kam ich auch in
einen so merkbar vergeistigten Zustand, dass man meint: Auch das größte Leiden
kann mich nicht aus der Einheit mit Gott bringen; die Leiden, die jetzt kommen,
können mir nichts anhaben, sie berühren nur das Untere in mir. Und es ist auch
tatsächlich der Fall, dass selbst in großen Leiden die oberste Spitze der Seele
nicht berührt wird und mit gleicher, unerschütterlicher Ruhe gleichsam
„leidensunfähig“ bleibt, bis Gott selbst die Seele ganz untertaucht und die
Wasser der Leiden auch die oberste Spitze erreichen lässt. Aber auch dann
bleibt eine gewisse Unerschütterlichkeit bestehen.
1877 |
Aus diesen eigenen Erlebnissen kann ich mir
einigermaßen eine Vorstellung von der Leidensfähigkeit Gottes machen. An Gott
prallt all das ab, was die Menschen „Leiden“ nennen. Das ist für die meisten
Leiden schon eine Folge seiner Reingeistigkeit, doch ist die Reingeistigkeit
kein Beweis für die absolute Leidensunfähigkeit und kein Hindernis gegen jede
Leidensfähigkeit – wie das Beispiel der verworfenen Geister, der bösen Engel,
zeigt.
1878 |
Die letzte Grundlage und Ursache der
habituellen Leidensunfähigkeit Gottes liegt aber in seiner unendlichen
sittlichen Vollkommenheit und Heiligkeit sowie in seiner wesenhaften göttlichen
Erhabenheit. – Die göttliche Harmonie und Ausgeglichenheit als wesentlicher
Zustand kann und konnte kein Leiden in ihm aufkommen lassen; in Gott IST alles
überwunden (um sich menschlich auszudrücken), was wir Menschen mittels Leiden
und Prüfungen zu überwinden haben. Alle göttlichen Regungen sind höchst vollkommen
und keiner Schwäche fähig. – Ferner steht Gott in seiner wesenhaften göttlichen
Erhabenheit über allem Geschehen und über allen Dingen der Erde, so sehr, dass
kein Leiden an ihn herankann. Nicht einmal das göttliche Mitleid mit dem
gefallenen Menschengeschlecht, das doch höchst wirksam war, hatte etwas von dem
Mitleiden nach menschlichen Begriffen, das immer ein menschliches Mitempfinden
und damit ein wirkliches Leiden besagt. Ebenso die Liebe, die in sich auch
Leiden schafft, Gefühlserregungen in menschlichen Sinne verursacht. So, wie
Gott liebt, so wirksam kann niemand lieben, doch hat seine göttliche Liebe an
sich nichts an Schwäche, die irgendeinem Leiden gleichkommen könnte, denn
Gottes Liebe ist augenblickliche Tat und über unseren menschlichen Gefühlen
erhaben.436
1879 |
Auch Christus war infolge seiner göttlichen
Natur in sich leidensunfähig. „In sich“, denn aus ihm und in ihm konnte sich
auch in seiner Menschheit kein Leiden entwickeln, weil die göttliche Person das
Entscheidende und Beherrschende und die Trägerin des menschlichen Lebens
Christi war; Christus war daher vollkommen in sich geordnet, wesentlich wie
Gott-Vater. Weder in der göttlichen noch in der menschlichen Natur Christi,
jede für sich gesehen, gab es auch nur den leisesten Widerspruch oder
Zwiespalt, der ein wahres Leiden bedingt hätte. – Zudem war auch die
menschliche Natur Christi so ganz von der göttlichen Person durchlebt, dass sie
ganz vergeistigt437 und vergöttlicht war und auch den größten Leiden
gegenüber durch Einwirkung der Erhabenheit der göttlichen Person unempfindlich
sein konnte. An sich hätte wieder Hunger noch Durst oder Müdigkeit oder auch
Armut und Verfolgung den Gottmenschen etwas anhaben können; alle äußeren
Erlebnisse, selbst die bittersten, hätten an sich den Erlöser infolge des
erhabenen Wesens seiner göttlichen Person, der Trägerin seines menschlichen
Lebens, nicht berühren können und er hätte trotzdem wahrer Mensch sein können.
Die Erhabenheit der göttlichen Person nahm gleichsam auch die menschliche Natur
mit sich438 in die Höhe, trug, belebte und beherrschte sie
vollkommen und hätte sie an sich allen äußeren Leidenseinflüssen entzogen. (Wie
oben gesagt habe ich wiederholt in besonderen Vereinigungserlebnissen mit der
göttlichen Person erfahren, dass man zeitweise dem Einfluss der Leiden ganz
entzogen werden kann oder dass bestimmte Gebiete der Seele dem Leiden gegenüber
wirklich unberührbar und unbeeinflussbar geworden sind; die Empfindsamkeit ist
zwar vorhanden, aber man hat die Leiden schon überwunden und es ist in manchen
gleichsam eine erworbene Leidensunfähigkeit wirksam). Christus konnte also auch
in seiner menschlichen Natur infolge der Heiligkeit und Erhabenheit seiner
göttlichen Person439 weder von innen noch von außen bedrängt werden.
Er wurde leidensfähig und leidend, weil er selbst es wollte und freiwillig sich
ganz dem Erleben seiner Menschheit hingab, und zwar vom ersten Augenblick
seiner Menschwerdung in Maria an. Die enge Verbindung der göttlichen und
menschlichen Natur in der einen Person Christi hatte dabei eine solche
Vergeistigung der Seele und des Leibes Christi zur Folge, dass er alle
(freiwillig erlittenen) Leiden mit göttlicher Hoheit, Würde und Kraft ertrug.
Es war in der Seele Christi in seinen Leiden nicht jene sinnliche Bedrängung,
die die Leiden für den Menschen umso mehr widerspruchsvoller machen, vorhanden;
es war in Christi eben jene Erhabenheit und Überwundenheit der niederen Natur
wirksam, die ein Leiden war in einer größeren Feinfühligkeit empfinden lassen,
aber zugleich ein bestimmtes eigenes Freisein von den betreffenden Leiden
ermöglichen.440
1880 |
Zum weiteren Verständnis der Leidensfähigkeit
Christi wurde ich zunächst hingewiesen auf Erfahrungen an Kleinkindern bzw. auf
das Bewusstwerden des Leidens im Kleinkind. (Obwohl ich früher Kleinkinder
gepflegt habe und diese Tatsache beobachtet habe, wurde mir dies durch eine
besondere innere Erkenntnis des Vorganges im kleinen Kinde erklärt; ich wusste
um die äußeren Eindrücke nach meiner Beobachtung, konnte aber das tiefere
psychologische Geheimnis im Kinde nicht verstehen.)441 – Schon bevor
das Kind zwei Monate alt ist, kann man bei ihm bestimmte seelische Eindrücke
feststellen, wie z. B. ein gewisses seelisches Gespür für liebevolle oder kalte
Behandlungen, worauf das Kind entsprechend reagiert; die Seele ist ja schon im
Kinde und besitzt im Grunde schon ihre Anlagen, wenn sie auch noch nicht
entfaltet und entwickelt sind. Zu einem Leiden werden die schmerzlichen
Eindrücke des Kindes erst dann, wenn das Kind zum Ich-Bewusstsein kommt, d. h.
wenn die Eindrücke nicht bloß nebeneinanderstehen, sondern durch die Tätigkeit
des zurück- und vorwärtsschauenden Verstandes als Erlebnisse des einen Ich dem
Bewusstsein eingereiht und eingeordnet werden können. Die
nebeneinanderstehenden Eindrücke werden zu wahren Leidenserlebnissen durch ihr
Ineinandergreifen im bewussten Ich.442 Dann erst kann man von einem
„Leiden“ im wahren Sinne sprechen, wenn diese schmerzlichen Eindrücke das
persönliche Bewusstsein des Leidenden treffen und von dort aus in das Gemütsleben
weiter reflektiert werden. Solange die Eindrücke gleichsam nur im
„Unterbewusstsein“ oder in einer Art Vorbewusstsein bleiben – weil das
Bewusstsein noch nicht voll erwacht ist – solange greifen sie nicht ineinander
zu einem vollen persönlichen Erlebnis und damit zu einer wahren Freude oder zu
einem wahren Leiden; es bleiben nur augenblickliche Eindrücke, die sich gleich
wieder verwischen und deren Zusammenhang noch nicht durch das Bewusstsein der
Ich-Person hergestellt ist. Selbst wenn die schmerzlichen Eindrücke des
Kleinkindes lange andauern, fehlt doch das Ineinandergreifen der
Leidensreflexe, das diese Eindrücke erst als Leiden der Ich-Person zum
Bewusstsein bringt. Das Leiden beginnt also mit dem Bewusstwerden des Ichs, mit
der Auswirkung des Erlebnisses auf das wache Bewusstsein der Ich-Person,443
mit dem durch das Ich erfassten und festgehaltenen Gegensatz und Widerspruch
oder Zwiespalt444, der das Leiden hervorruft und das persönliche
Bewusstsein des Leidenden trifft.
1881 |
Christus nun bewahrte auch in seinem
Erdenleben und auch im Mutterschoße Mariens das volle göttliche Bewusstsein,
nahm aber zugleich auch die Erlebnisse seiner menschlichen Natur in sein
göttliches Bewusstsein auf. Jeden Augenblick seines göttlichen Seins bewusst,
war er sich auch jeden Augenblick seines irdischen Lebens bewusst. Gott in seiner
Unendlichkeit und Größe bleibend, erlebte Christus die Eindrücke und
Auswirkungen des armseligen Zustandes eines werdenden Menschenkindes in ihrem
ganzen Gegensatz zu seinen göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten.
Gerade dieses Erlebnis der beiden Naturen und ihrer Auswirkungen im Bewusstsein
der göttlichen Person macht Christus zum Leidenden, und zwar im vollsten Sinne.
Er gab sich den Erlebnissen beider Naturen hin: Den göttlichen konnte er sich
infolge seiner göttlichen Wesenhaftigkeit überhaupt nicht entziehen; den
Erlebnissen seiner menschlichen Natur gab er sich in seiner freiwilligen
Selbstentäußerung hin, indem er sie wie ein gewöhnlicher Mensch empfinden und
den Auswirkungen seines göttlichen Habitus gegenüberstellen wollte. So ließ er
die Erlebnisse der beiden unvermischten Naturen ineinandergreifen und zu einer
unaussprechlichen Verdemütigung und zum lebenslangen Leiden werden. (Zum
tieferen Verständnis dieses Geheimnisses wurde ich gleichsam durch eine
besondere Gnade in diesem Zustand versetzt: „Ich“ bin „Gott“, mit allen meinen
Vollkommenheiten, aber ich bin jetzt „das“: Ein armer Mensch, von den Menschen
nur als Mensch erkannt; alles liegt in mir, die ganze Menschheit in Ihrem Fall
und so stehe ich vor dem Vater. Und dieser Fall ist eng mit mir verbunden, als
wäre es mein Eigener, der mich durch meine Menschwerdung überantwortet bin, er
ist mir wie zur „Natur“ geworden, weil ich selbst in mir die Folgen dieses
Falles erlebe.)445 Weil er
sich in Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters in allem den für die
Menschheit geltenden Gesetzen unterwarf, löste diese freiwillige
Gehorsamsunterwerfung unter die Gesetze der menschlichen Natur einen Reflex der
Vernichtung, Entäußerung, Entblößung im Bewusstsein seiner göttlichen Person
und deren unendlicher Würde aus. Das „Ich“ im Christus gab sich den Erlebnissen
seiner Menschheit hin. So trafen also die äußeren und inneren Leiden seine
göttliche Größe und Würde, die durch die erniedrigte Stellung eines
Menschenlebens verdemütigt und gleichsam verletzt wurde, und durch diese volle
und freiwillige Hingabe an die Erlebnisse der menschlichen Natur machte sich
Christus aus Liebe zur leidenden Person.
1882 |
Das
göttliche Ich-Bewusstsein in Christus erlitt aber nie die mindeste Einbuße,
auch nicht im zartesten Alter, und es war schon da ständig fortschreitender und
zusammenhängender Erlebnisse fähig (was beim gewöhnlichen Kinde nicht der Fall
ist). So bildeten schon die ersten Erlebnisse und Auswirkungen der Menschheit
Christi (schon im Mutterschoße) ein wahres Leiden infolge des vollkommenen
Bewusstseins des Kindes Jesu. Dieses Erleben war dem kindlichen Alter angepasst
– weil Jesus in allem als Mensch erfunden werden wollte – und hat sich ständig
gesteigert, je mehr das Leben Christi nach außen zu einem Erlöserleben wurde
und je mehr die Leiden nach außen sich mehrten. Die zweite446 göttliche Person
hat sich also so erniedrigt, dass sie sich gleichsam der Unbeholfenheit eines
kleinen Kindes gleichstellte. Christus erlitt sein gottmenschliches447
Leben vom ersten Augenblick der Menschwerdung an bewusst in einem
zusammenhängenden Opfer- und Erlöserleiden. Er ließ freiwillig alles so an sich
herankommen und litt alles so menschlich, als wäre ihm der unendliche Abstand
und Gegensatz zwischen der menschlichen Armseligkeit und seiner göttlichen
Größe und Würde nicht bewusst.
1883 |
Mit
seiner heiligsten Menschheit nahm er, ebenso in einem freiwilligen Liebesakt
und zum Zweck der Erlösung, auch die gesamte Menschheit auf sich, um sie
sühnend vor Gottes Gerechtigkeit zu vertreten und in seiner heiligsten
Menschheit mit göttlichem Bewusstsein zu erleiden. In seinem göttlichen
Bewusstsein trug er daher auch alles Gott-Widrige und Gott-Widerstrebende der
gefallenen, gesamten Menschheit, als wäre es sein eigen, und mit diesem
Erleiden wollte er die gesamte, gefallene Menschheit retten. In seiner hl.
Menschheit würde gleichsam die gesamte Menschheit zusammengefasst, um entsühnt
und geheiligt zu werden – durch sich selbst448. Darin hatten die Leiden seines
menschlichen Lebens ihren tiefsten Ursprung und Grund. Von sich aus hatte
Christus in seiner heiligsten Menschheit nichts zu leiden; was er litt, hat er
freiwillig auf sich genommen und an Stelle der Menschheit gelitten. Obwohl ihm
die äußeren Eindrücke und Einflüsse seines menschlichen Lebens an sich nichts
hätte anhaben können, unterwarf er sich doch freiwillig und aus reiner Liebe
allen Auswirkungen der menschlichen Natur mit dem ganzen Gemüt- und
Gefühlsleben, das er aufnahm und unter dem er litt wie ein gewöhnlicher Mensch.
1884 |
Damit
erniedrigt sich Christus im Augenblick seiner Menschwerdung unter die gesamte
Menschheit, die er mit seiner menschlichen Natur auf sich nahm und der er in
der Erlösung den niedrigsten und zugleich höchsten Dienst leistete. Ja, er
erniedrigte sich, wie ich erkannte, vor jedem einzelnen Menschen. Gott hat ja
infolge seiner Unendlichkeit zum einzelnen Menschen und zur gesamten Menschheit
eine gewisse Beziehung und Verbindung und auch das Erlöserleben Christi war und
ist auf die gesamte Menschheit und auf jeden einzelnen Menschen wirksam. Jesus
trug jeden einzelnen Menschen wie die ganze Menschheit ganz tief bewusst in
sich und opferte sich bewusst für den Einzelnen, so wie Jesus auch jetzt wieder
für jeden Einzelnen da ist und zur Verfügung steht. So hat Christus in seiner
heiligsten Menschheit die gesamte Menschheit geadelt, geheiligt, erneuert –
soweit es auf ihn ankam, weil er für jeden Menschen das leiden wollte, was er
in seiner heiligsten Menschheit gelitten hat. – (Auch dies kann man aber nur im
Augenblick höheren Erkennens der göttlichen Wesensanlage der Unendlichkeit
durchschauen; sonst bleibt alles, was man darüber sagt und hört, vielleicht nur
tote Rede.)
1885 |
Alles
in allem lag wohl der größte Liebesakt der göttlichen Person Christi dem Vater
und der gefallenen Menschheit gegenüber in dem freiwilligen Akt der
Unterwerfung unter die Gesetze der Menschheit, in der liebenden Annahme der
menschlichen Natur, in dem Sühnen, dem Auf-Sich-Nehmen der gefallenen
Menschheit, womit sich Christus sühnend449 dem Vater für die Menschheit anbot.
– Diese Tatsache wurde mir mit einem einfachen Beispiel erklärt: Wenn ein
Königssohn ein armes Mädchen als seine Gemahlin erwählt und sich aus Liebe zu
ihr450 entschließt, ganz und gar das Leben der Armut und Arbeit seiner Braut zu
führen und zugleich an allen Auswirkungen der Armut, der Einschränkung und des
Verzichtes teilzunehmen, so wehrt sich trotz seiner heroischen Liebe doch das
Bewusstsein der eigenen hohen Abkunft und Erziehung im Königssohn dagegen –
oder er wäre sonst kein logisch denkender und intelligenter Mensch. Wenn aber
der Königssohn bewusst alle kommenden Opfer seines Herabsteigens auf sich
nehmen will, so gibt er gerade dadurch die beste und größte Probe seiner
wahren, treuen Liebe zu seiner Braut. – So, und noch viel mehr hat auch der
Sohn Gottes die Verdemütigung der Unterwerfung unter die Gesetze der
Menschheit451 tief empfunden, weil er doch in wahrhaft göttlicher Weise, vom
Bewusstsein seiner göttlichen Herkunft und der ihm gebührende Ehre durchdrungen
wahr – sonst müsste man, wie im obigen Beispiel, Gott gleichsam einen Stümper
nennen. Auch der Sohn Gottes wollte freiwillig und bewusst diese Verdemütigung
und dieses Leiden auf sich nehmen und tragen, das ihm aus dem Bewusstsein und
dem Vergleich seiner göttlichen Würde und der gegenüber seiner menschlichen
Armut erwuchs. So genommen und verstanden erklärt das freiwillige Herabsteigen
Christi aus der Höhe seiner Herrlichkeit in die unendlich tiefer stehende Armut
der menschlichen Natur seine wirklich bewusste, unendliche Liebe, die er damit
betätigt hat.
1886 |
Ferner
wurde mir gestern folgendes Geheimnis zur Erkenntnis gebracht: Das göttliche
Wort erniedrigt sich im Augenblick seiner Menschwerdung bewusst, auch unter die
gesamte Menschheit und nahm mit seiner menschlichen Natur auch die gesamte
Menschheit auf sich; ja, ich erkannte: Es erniedrigte sich vor jedem einzelnen
Menschen. – Dies kann man aber nur im augenblicklichen höheren Erkennen der
göttlichen Wesensanlage der Unendlichkeit durchschauen; sonst bleibt alles, was
man darüber sagt und hört, im gewissen Sinne nur tote Worte. Gott hat zu jedem
Menschen, sowie zu der gesamten Menschheit infolge der Unendlichkeit seiner
göttlichen Natur eine gewisse Beziehung und Verbindung, und auch das
Erlöserleben des Sohnes Gottes ist auf jeden einzelnen Menschen und auf die
Gesamtheit der Menschen wirksam. Jesus trug aber jeden einzelnen Menschen ganz
tief bewusst in sich und opferte sich bewusst für jeden einzelnen, so wie Jesus
auch jetzt wieder für jeden Einzelnen allein da ist und zur Verfügung steht.452
1887 |
Beim
Erkennen solcher göttlichen Geheimnisse besteht die größte Schwierigkeit darin,
dass man dem Außenstehenden nicht die Tiefe des erkannten Geheimnisses mitteilen
kann. Diesbezüglich hatte ich in den vergangenen Tagen das klare Wissen: Ein
Gelehrter kann in seinen Studien über Gott und dessen Geheimnisse wohl tief in
Gott eindringen und sich spekulativ ein bewusstes Wissen über Gott aneignen. Es
besteht aber für seinen Geist die absolute Schwierigkeit, dass er sich nie ein
Bild von der Erhabenheit und Geistigkeit Gottes, sowie von der Höhe und Tiefe
seiner Liebe machen kann, wenn ihm nicht durch eine besondere Gnade die dazu
notwendige Voraussetzung gegeben wird: Nämlich jene Vergeistigung der
Seelenkräfte oder jenes Verlassen des Materiell-Menschlichen und damit jener
erfassbarere Zustand der inneren Erhabenheit und Geistigkeit, kraft dessen
allein er sich das göttliche Wesen vor Augen führen kann. Darum kann man in
EINEM Augenblick höheren Erkennens, geführt von einer besonderen Gnade, sich
ein ungleich erhabeneres Wissen über Gott und seine Geheimnisse und seine Liebe
erwerben, als es einem bloßen Gelehrten in seinen Studien eines ganzen Lebens
möglich ist. – Zudem ist im übernatürlich gegebenen Erkennen Gottes das
Wirksamste die führende Gnade, die aber für gewöhnlich in den Studien fehlt.
Durch die Gnade aber wird die schauende Seele in die für das Eindringen in das
betreffende göttliche Geheimnis notwendige und entsprechende geistige
Disposition versetzt, die sich der Gelehrte wiederum aus sich selbst nicht
geben kann. – Anderseits kommt gerade aus dieser Tatsache die Schwierigkeit,
dass man einem anderen, der es nicht erfahren hat, nie und nimmer die Tiefe des
erkannten Wissens über Gott, über das Erlösergeheimnis und über die darin
obwaltende Liebe zur Genüge erklären kann. Es bleiben eben tote Worte, weil man
die erfasste Liebe Christi nie entsprechend in Worten aussprechen kann.
1888 |
Auch
die Menschwerdung mit dem Geheimnis der beiden Naturen und deren Auswirkungen
auf das göttliche Ich in Christus ist ein solcher tief und rein geistiger
Begriff und bleibt auch immer geistige Frucht einer vollen Hingabe an Gott und
von tiefster Wirksamkeit auf die Seele, die dieses Geheimnis so erkennt. Gott
kann aber um den Preis der Leiden, in denen die Seele zu solchem geistigen
Erkennen emporsteigt, anderen Seelen ein geistiges Licht geben, durch das sie
eindringen können in die göttliche Liebe. Auf diesem Wege wird die Liebe
fruchtbar in anderen Seelen und erreicht, was trockene Worte nicht zu erreichen
vermöchten.
1889 |
Das
obige geschilderte Geheimnis der Leidensfähigkeit Christi in seiner
menschlichen Natur wurde mir in zwei Sätzen erklärt: „Seine Natur (menschliche)
wurde in sich nicht bedrängt“ = Christus hatte von sich aus nichts zu leiden. –
„Und die Erlebnisse im Kinde Jesu griffen ineinander“ – schon vom ersten
Augenblick seines irdischen Lebens. In diesen kurzen Worten wurde mir das ganze
Geheimnis der Leidensfähigkeit des Erlösers klargemacht, und während ich
schrieb, hat sich dann das näher zu erklärende gleichsam aufgerollt. – Ebenso
wurde mir in dieser Weise die Frage erklärt: Wie wurde Christus zum Leidenden?
Als Antwort ward mir der kurze Satz: Dieses Geheimnis der freiwilligen
Leidensfähigkeit Christi lag in den Auswirkungen der beiden (unvermischten)
Naturen, die er auf sich wirken ließ, in dem einen göttlichen Bewusstsein. –453
1890 |
Die
letztvergangenen Tage (seit Sonntag, den 11.ds.) sind wunderbar. Es ist mit
keinem Wort verständlich zu machen, welch wundervolle454 geistige Harmonie in
mir herrscht. Aber täglich steigert sich noch diese, mir schon eigene Freiheit
von meinem Früheren, und immer mehr bildet sich eine geistige Unumschränktheit
und eine Bewegungslosigkeit scheinende Ruhe und Ausgeglichenheit meiner
Geisteskräfte aus, weil sie alle schon dienstbar gemacht sind, und zwar mir
selber. Ich bin mir455 selbst alles, uneinschränkbar, seiend habituell mich
selbst lebend. Alles ist schon mein, nichts empfange ich, weil alles schon da
ist in mir und in mir enthalten ist. – Heute Morgen bin ich in Einheit mit dem
Vater und ich bin voll Jubel und Freude, weil er mich so wunderbar erhaben
gemacht hat. In dieser Einheit mit dem Vater wird „mein“ kommendes Innenleben
sich aufrollen. – Ich weiß nun in einem viel höheren Maße um die göttliche
Einheit in den drei Personen; diese wesenhafte Einheit ist aber in Worten nicht
ausdrückbar.
1891 |
Die
völlige innere Kampflosigkeit lässt alles in mir ruhen. Nie in meinem ganzen
Leben habe ich einen solchen Zustand der Vergeistigung meiner selbst, eine
solche harmonische Ausgeglichenheit erlebt. Eigentlich ist ja nichts von meinem
eigenen Innenleben mehr vorhanden; es ist vielmehr alles Sein in einer
unaussprechlichen Weise. Doch steigert und vervollkommnet sich dies alles noch
mehr in mir. Ich befinde mich in einem wirklichen Übergehen in Jesus
Innenleben.
1892 |
Mein
innerer Zustand wird immer noch unmittelbarer auf mein Ich, auf die Spitze
meines Seins gestellt: Ich bin alles in noch größerer Einheit und Einfachheit
in mir selbst bestehend. Dabei bin ich aber doch etwas im Leiden, das mich noch
höher in mich selbst sammelt und konzentriert. Nun weiß ich, wie Jesus in sich
als Mensch war, wenigstens was die Grundhaltung und Grundlage seines
Seelenlebens betrifft. Von diesem Zustand kann sich aber, ohne besondere Gnade,
kein Mensch einen Begriff machen, vor allem nicht davon, was es heißt: in sich
bemühungs- und betätigungslos sein und gleichsam „aktlos“ im Sein selbst leben,
aus dem eigenen Sein geistig existieren! Niemand, auch nicht der größte
Gelehrte, kann sich ein Bild machen von der Psychologie Christi, weil unter den
gewöhnlichen Umständen niemand den Zustand dieser unumschränkten Freiheit und
zugleich der eigenen Betätigungslosigkeit sich456 vorstellen kann. Und doch ist
es das Einheitlichste und Einfachste, was man sich unter dem Begriff „Seele“
denken kann: Eine Seele, die sich vom Sein getragen fühlt oder vielmehr
getragen ist; denn man fühlt nichts, sondern es ist so.
1893 |
Dies
war ein überaus schwerer Tag. Die unbeschreiblichen inneren Leiden zielen auf
einen noch höher ausgeglichenen Zustand hin. –
1894 |
Heute
bin ich wie zermalmt von inneren Leiden. – Als ich wie zufällig in den
Offenbarungen von 1937 las, in denen Jesus seinen Priestern „neue Gnaden“
verspricht, stellte ich mir unwillkürlich die Frage: Und welches sind nun
speziell die „neuen Gnaden“ für die Priester, die Jesus in seinen
Versprechungen meint? – Da „lebte“ Jesus in mir und ich kam in einen Zustand
des inneren Wissens in ihm, das mir Folgendes erklärte – was ich wiederum nicht
so kurz458 und bestimmt ausdrücken kann, wie es mir „in Jesus“ klar war: „Es sind
Gnaden einer aufsteigenden Entsündigung und Freimachung von den sittlichen
Folgen der Erbsünde aufgrund des Eingehens in jene Glaubensvertiefung, wie ich
sie dir geoffenbart habe; Gnaden der sittlichen Erhebung des 'alten Menschen'
in einen neuen, erlösten Menschen, der Kraft dieser sittlichen Erhebung und
gleichsam Vollerlösung einer inneren Umwandlung in Christus nachkommt.
1895 |
Es sind
wirklich neue Gnaden, die Ich gebe, Gnaden, die in meinem Leben und in meinen
Erlöserverdiensten eingeschlossen sind, aber bis jetzt noch nicht so verwertet
und noch nicht allgemein eröffnet wurden. Jetzt aber gebe Ich sie neu den
Priestern, die bereit sind, die Früchte der Erlösung in jener Form zu
gebrauchen und sich anzueignen, wie es in den fortlaufenden Offenbarungen und
Aufzeichnungen angegeben ist. Dies wird für die Priester zu einer
'Vollerlösung' werden, zu einer aufsteigenden Entsündigung, zu einer sittlichen
Erhebung des 'alten Menschen' in einen neuen, erlösten Menschen, der Kraft
dieser sittlichen Erhebung einer inneren Umwandlung in Mich nahekommt. In
meiner Kraft werden dann die Priester imstande sein, das Angesicht der Erde zu
erneuern. Ich will aber den Glauben daran, dass diese Gnaden einer
'Vollerlösung' wirklich in meinem Erlöserleben eingeschlossen sind, und ich
will, dass diese Gnaden angestrebt und verwertet werden.
1896 |
Ich
will sie aber zuerst grundlegen im Priesterinstitut, dessen einzelne Mitglieder
es sich zur Pflicht machen sollen, nach diesen Gnaden zu streben und alle
Priester in diesen Geist und in dieses Streben einzuführen und so die ganze
Welt dafür vorzubereiten.
1897 |
Es wird
eine Zeit in der Kirche kommen, das diese jetzt noch 'neue Gnaden', allgemein
zugänglich gemacht und gegeben werden. Bis dahin wird aber noch ein großer,
geistiger Umschwung in der Kirche kommen, um die Menschen allgemein darauf
vorzubereiten. Es kommt ein neues Zeitalter in der Kirche.
1898 |
Es ist
nichts gegen den Geist des Evangeliums oder gegen die Lehre der Kirche; es muss
nur ein vertiefter Glaube geübt und danach gelebt werden. Mit Gottes Gnaden ist
es möglich, dass der gefallene Mensch sich zu einer stufenweisen Berufung von
den moralischen Folgen der Erbsünde erhebe und damit Christus anziehe, so wie
St. Paulus sagt: 'Ziehet an unseren Herrn Jesus Christus!'
1899 |
Es
handelt sich nicht um Außergewöhnliches, sondern es braucht nur einen
folgerichtigen Glauben. Im Priesterinstitut soll dieser Glaube vorbildlich
geübt und vorgelebt und gelehrt werden.“ –
1900 |
Dieser
Art sind die neuen Gnaden, die Jesus seinen Priestern verspricht. Zum Beweis
dieses Versprechens erlebe ich das innere Erlösungsgeheimnis, damit durch
dessen tiefere Kenntnis die innersten Geheimnisse der göttlichen Liebe und der
unermessliche Reichtum der uns erworbenen Erlöserverdienste entdeckt und die
Früchte der Erlösung voll anerkannt und damit eine subjektive Ausschöpfung der
Erlöserverdienste durch den Einzelnen angestrebt werde. –
1901 |
Als ich
in der vergangenen Zeit sehr im Leiden war, weil man die großen Liebesbeweise
Jesu, die er seinen Priestern gebe, nicht annehmen wollte, und weil sie immer
noch ein Gegenstand des Kampfes und der Ablehnung seine, sagte ich zu Jesus,
während er mir wieder die großen Gnaden zeigte, die er bereithält: „du siehst,
niemand kümmert sich um deine Absichten und um deinen Willen; es will niemand
auf eine Privatoffenbarung hören; die Menschen wollen lieber ihre eigenen Pläne
durchführen, die ihr Verstand ihnen eingibt usw.“; – darauf antwortete mir Jesus:
„Ich selbst würdige mich, der Menschheit zu zeigen, welche Mittel sie aus der
heutigen Verderbnis retten und erhöhen und wieder zu mir zurückführen kann.
Darum offenbare Ich dieses Mittel, das sie selber anwenden sollen. Ich selbst
will die Welt retten und ich bin selbst das Heilmittel, das sie im Reichtum
meiner Erlöserverdienste finden. Es soll nichts menschlich Erdachtes sein,
nicht menschliche Weisheit, wodurch die Menschheit wieder zu mir zurückgeführt
werde, sondern Ich selbst zeige ihr den Weg.“ – Christus schenkt sich neu der
Menschheit in den Priestern, die nach seinem Herzen gebildet sind.
1902 |
Heute
Morgen bei der heiligen Messe: „Es kommt Großes über mich“. Ich gehe
vollendeter ein in das Sein Jesu, in sein göttliches Bewusstsein (in mystischer
Weise). Ich erlebe dann zugleich das Glück des göttlichen Seins, weil Jesus
sich göttlich-habituell nie verlieren konnte. Die zweite göttliche Person kam
nicht vom Lichte in die Finsternis, sondern ist das Licht und bleibt es (der
Mensch wird in Finsternis geboren und findet nur in Gott das Licht). Dieses
habituelle Sein Jesu im göttlichen Lichte, er selbst als göttliches Licht,460
bleibt bis zu seiner Verlassenheit am Kreuz. Er war immer Gott und Mensch
zugleich, aber mit dem einen göttlichen Bewusstsein. Es war das wunderbarste
und herrlichste Kindesleben im Vater. Im Augenblick seiner Menschwerdung nahm
aber Jesus auch die menschliche Natur der gefallenen Menschheit auf sich und
gab sich durch seine heiligste Menschheit den Leiden der gefallenen
Menschenseele hin. Die Aufnahme der gefallenen Menschheit war ja der Zweck
seines Kommens und Herabsteigens zur Erlösung. Jeden Augenblick seines Lebens
lebte er mit und durch seine heilige menschliche Natur461 auch die gefallene
Menschenseele der Gesamt-Menschheit. (Nicht, dass es nur eine Seele gebe, aber
„die Seele“ in den Folgen ihres Falles)462. Scheinbar lebte er also ein
doppeltes Leben, aber in Wahrheit machte er sich diese Gesamt-Menschheit ganz
zu eigen und so war es nur ein Leben, ein göttliches, aber infolge seines
Zweckes der Erlösung überaus schweres Leben, gelebt mit dem einen göttlichen
Bewusstsein. – Ich werde dieses Erlöserleben im mystischer, aber in wahrer
Weise – soweit es in den Absichten Gottes liegt –463 zu leben haben,
aber, auch um es ertragen zu können, wird mir auch das Glück seines göttlichen
Seins habituell bleiben.
1903 |
Ich bin
heute in einem ungemein erhobenen Zustand; doch kann dieser noch höher werden.
1904 |
Ich bin
in leidensreicher Vorbereitung auf die „geistige Empfängnis des Wortes“ und im
Erringen des Paradieseszustandes, der zu erforderlich ist464; und
zur Erklärung dessen erlebe ich immer wieder die Menschenseele im
paradiesischen Zustand, im gefallenen Zustand, sowie auch dem Zustand der Seele
Christi.
1905 |
Jede
einzelne Seele ist ein abgeschlossenes Ganzes für den persönlichen Träger
dieser Seele und niemand kann sie von außen ganz erforschen und ergründen. Wenn
darum schon jeder Mensch in sich ein gewisses Geheimnis ist, in dessen Tiefe
niemand, auch nicht der Nächststehende, eindringen kann, so ist dieses
Geheimnis in Christus, dem Vollmenschen, für unsere Begriffe geradezu
unüberbietbar groß. Denn Gott selbst, die zweite göttliche Person ist Träger
dieses Menschenlebens und lebte es selbst. Um daher ganz in das Wesen des
Gottmenschen einzudringen – dessen göttliches Wesen auch in seiner Menschheit
unverändert blieb – müsste und muss man vorerst in das Wesen Gottes im
Allgemeinen einzudringen suchen, in das Element und in die Eigenschaften
Gottes, um von da aus auch das Wesen des Gottmenschen tiefer zu begreifen. –
Wenn ich in innerem Erleben Gottes ihn selbst erfahre und in hohem Maße
befähigt werde, ein Abbild Gottes in mir zu schaffen und dieses mit meinem
Menschenleben zu vereinigen, so werde ich auf der Grundlage dieses wahren, wenn
auch schwachen Abbildes Gottes in mir immer mehr und in höherem Maße465
befähigt, in die Tiefen des göttlichen Seins hinabzusteigen und kann ich aus
dem in mir erworbenen Abbild Gottes auf das Wesen Gottes selber schließen.
1906 |
Gott
ist in gewissem Sinne das gerade Gegenteil vom Menschen in dessen466
heutigem Bestand: Der Mensch ist herabgezogen in die Materie, ist größtenteils
von ihr beherrscht und zur Strafe für die Sünde gezwungen, sein geistiges (d.i.
übermaterielles) Leben durch die Materie zu leben und erst durch Überwindung
des Materiellen sich wieder zu Höherem, zu Gott emporzuarbeiten; Gott ist aber
in sich selbst die vollste Unabhängigkeit und Freiheit von allen Hemmungen und
Beeinflussungen, wirklich rein geistig, nicht nur in seiner göttlichen Natur,
sondern auch in seiner eigenen Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit im Handeln
nach außen. Mag auch ein Mensch mit hoher Intelligenz und starkem Willen durch
eigene Arbeit an sich eine große Unumschränktheit und Beherrschung und
Sicherheit in seiner Tätigkeit sich erringen, das Streben und Bemühen nach
höherer Vollendung bleibt doch immer in seinem Leben bestehen. Das Streben nach
geistigem Wachstum und der Trieb nach Vervollkommnung sind mit der
Geschaffenheit und Begrenztheit des Menschen gegeben und es herrscht in seinen
inneren Bewegungen ein ständiger Wechsel und Wandel; das Strebevermögen ist der
menschlichen Natur wesentlich eigen, schon infolge der ständigen, durch die
erbsündlichen Anlagen bedingten Spannungen zwischen Höheren und Niederen. –
Auch vor der Erbsünde hatte der Mensch einen ähnlichen Vervollkommnungstrieb,
ein von Gott gegebenes Entfaltungsstreben, aber es herrschte dabei in ihm doch
vollste Ordnung und Harmonie und es bestand nicht der uns jetzt bekannte
gegenseitige467 Widerstreit zwischen Geist und Materie, jener Kampf und
gespannte Zwiespalt zwischen den verschiedenen Anlagen der Seele, der durch den
Sündenfall verursacht wurde. Im paradiesischen Zustand des Menschen herrschte
ein voller gottebenbildlicher Zustand, der eine ausgeglichene Harmonie und
Einheit zwischen Gott und den ersten Menschen möglich machte. Vor allem die
Einheit und Einfachheit Gottes war in dem von allen Hemmungen freien Menschen
ebenbildlich nachgeschaffen und bildete die Grundlage dafür, dass der
paradiesische Mensch das göttliche Wesen und den Willen Gottes unmittelbar und
augenblicklich in sich erfahren und erkennen konnte. Es war ja in der
Menschenseele eine dem göttlichen Wesen ähnliche Disposition vorhanden: Sie
trug in sich – wenn auch in geschaffener und darum niederer Form – die
göttlichen Anlagen der Einfachheit und der in sich geschlossenen Einheit „eines
Ganzen“, was eine absolute, grundlegende Eigenschaft Gottes ist. Durch diese
Einfachheit des paradiesischen Menschen war ein direktes Verhältnis mit Gott,
ein unmittelbares Harmonieren und Übereinstimmen mit ihm ermöglicht und diese
bildete die Grundbedingung für das Kindesverhältnis gegenüber Gott (das nach
Gottes Plan auf die Nachkommenschaft der ersten Menschen übergehen sollte).
1907 |
Wohl
waren die ersten Menschen dem Wesen Gottes gegenüber ganz verschieden und
gleichsam „artfremd“ – denn Gott ist ungeschaffen und aus sich selbst
bestehend, der Mensch aber geschaffen und absolut abhängig von Gott – aber die
geschaffenen Anlagen des ersten468 Menschen liefen doch parallel mit den
göttlichen Eigenschaften und waren, obwohl geschaffen und beschränkt, doch den
göttlich wesentlichen Anlagen ähnlich und angepasst. So machte die Einheit und
Einfachheit im Menschen ein unmittelbares Harmonieren und Verstehen und ein
gleichsam selbstverständliches, wie „natürliches“ Zusammenleben der ersten
Menschen mit Gott möglich, wenn auch der große und in sich unüberbrückbarer
Abstand zwischen Gottes Erhabenheit und der menschlichen Geschöpflichkeit immer
bestehen blieb469 und bestehen bleiben musste. Dies waren ja die Absichten
Gottes bei der Erschaffung des Menschen: Ein Vater-Kindschaftsverhältnis470
wollte er zwischen sich und den Menschen begründen; um dieses zu ermöglichen,
bildete er den Menschen entsprechend und „hauchte“ ihm die Ebenbildlichkeit mit
sich ein; so standen Mensch und Gott wie in einem „natürlichen“ Verhältnis
zueinander, das aber ganz auf der von Gott geschenkten übernatürlichen
Ausstattung und Befähigung des Menschen beruhte. Die Seele war gleichsam auf
Gott abgestimmt und ihr innerstes Empfinden und Verhalten Gott gegenüber war
das eines wahren Kindes, so offen und vertraut, wie wenn dies der Seele
„natürlich“ gewesen wäre. – Durch die Sünde kam dann der verhängnisvolle Riss
zwischen Gott und der Menschheit – wie auch der Riss im Inneren des Menschen
selbst. Die Seele behielt wohl in sich ihre wesentlichen Anlagen und durch
Christus wurde das Kindschaftsverhältnis mit Gott wieder vermittelt und
ermöglicht, aber das Erleben und Erfahren dieses Kindschaftsverhältnisses mit
Gott bleibt dem Menschen nun in diesem Leben für gewöhnlich verborgen; an
dessen Stelle tritt das Erleben im Glauben, d. h. durch den Glauben und mittels
des Glaubens.
1908 |
Gegenüber dem paradiesischen Menschen mit
seinen Vorzügen, seiner besonderen gottebenbildlichen Ausstattung, Harmonie und
Kindschaft mit Gott, schaue und erlebe ich dann den „zweiten Adam“, mit einer
ähnlichen aber weit vollkommeneren menschlichen Ausstattung, mit der geleichen
Seele, die aber für göttliche Anlagen geschaffen und bereitet ist und doch
wieder dazu bestimmt ist, ein wahres und wirkliches Menschenleben zu betätigen
und zu leben. Die Seele Christi trug in sich sozusagen den gleichen Atemzug mit
Gott, der Bedingung war für göttliches Leben. Sie war ganz auf göttliches Leben
abgestimmt und in der Harmonie und Einheit ihrer eigenen Anlagen dafür
befähigt. – Nach meiner Erfahrung kann man sich das Geheimnis Christi in seiner
Menschheit nur durch den Vergleich mit dem paradiesischen Zustand Adams
menschlich nahebringen. Dieser Vergleich ist auch sehr begründet, weil der
erste und der „zweite“ Adam wie Begründung und Folge aufeinander bezogen sind.
1909 |
Die
schweren inneren Leiden der letzten Wochen sind nicht zu beschreiben, weil Gott
selbst sie entzündet, um meine Seele umzuwandeln und der „Menschheit Christi“
nachzubilden und anzugleichen. – Dieser lange innere Reinigungsweg hat im
Wesentlichen immer das gleiche Ziel: Einzugehen in den moralischen Zustand der
Seele „vor der Sünde“ und jene vollkommene Gottebenbildlichkeit miterwerben
oder vielmehr zurückzuerobern, die Bedingung ist für das Erleben Christi in
jener Form, wie sie mir durch die göttliche Führung nahegebracht wird. – Im Grunde
ist mein Geistesweg eigentlich sehr einfach und die gradlinige Fortsetzung des
Weges, den alle Christen gehen sollen. Außergewöhnlich ist dabei nur die
besondere Höhe des letzten Zieles: Eine „reine Menschheit“ in mir zu
ermöglichen und zu schaffen, die befähigt sein soll, Christus den Herrn als
jene Menschheit zu dienen, durch die er sein inneres Erlöserleben in mystischer
Weise471 wiederholen kann. –
1910 |
Was den
Aufstieg und die Rückkehr der Seele zum paradiesischen Zustand und damit die
Annäherung an den Zustand der Seele Christi betrifft – soweit dies hienieden
möglich ist – kann ich aus eigener Erfahrung Folgendes bestätigen: Der erste
Abschnitt dieses inneren Weges besteht in der Überwindung alles moralisch
Sündhaften in der Seele. Dies ist zwar ein unumgänglich notwendiger und
wesentlicher Teil des Weges, aber es ist doch der leichtere, und in gewissem
Sinne nur vorbereitende Abschnitt für den eigentlichen Aufstieg der Seele. Das
ganze Ausmaß des tatsächlichen Sturzes der Menschenseele liegt nämlich nicht
bloß in der Sünde, sondern geht viel tiefer, bis auf deren letzte Wurzel. Die
Überwindung der Sünde liegt zunächst vornehmlich im Willen; viel tiefer geht
dann schon der zweite Abschnitt: Die Reinigung von den sündhaften und
ungeordneten Anlagen, die in sich noch nicht Sünde sind, aber die Sünde
ermöglichen. Gegen diese Anlagen muss in der Seele ein geistiger
Tugend-Habitus, ein Ausgleich erworben und gleichsam ein Gegengewicht
geschaffen werden, wodurch, wenigstens für die gewöhnlichen Lagen und Schwierigkeiten,
ein geistiges Schwanken ausgeschlossen und eine gewisse Befestigung und
Garantie für die Seele gegeben ist. Auch dieser schon472 erworbene Habitus aber
kann und soll sich immer noch mehr vertiefen und erweitern und wird dann
bewirken, dass die Seele zu großer innerer Freiheit von den Hemmungen der
Materie und den Beeinflussungen durch die Außenwelt gelangt und dass sie von
den Selbsttäuschungen der Selbst- und Eigenliebe befreit wird, die ein
ständiges Hindernis und Herabmindern des wahren geistigen Fortschrittes für die
Seele bedeuten. – Die Folgen des Sündenfalles gehen aber noch weit tiefer als
die Begriffe der „Sünde und sündhaften Anlagen“ besagen. Gewiss muss zuerst
auch der Hang zur Sünde überwunden werden, aber dann beginnt erst die eigentliche
geistige Erhebung von der tiefsten Folge der Erbsünde, von jener geistigen
Unordnung, die ihrerseits erst die Möglichkeit und Neigung zur Sünde ganz
erklärt: Die letzte und tiefste Wurzel der erbsündlichen Unordnung ist in der
Seele die Verdunklung der Wahrheit über sich selbst und eine gewisse Trennung
von Gott.
1911 |
In
diesem Zusammenhang mit dieser inneren Erkenntnis über die Tiefe des
adamitischen Falles473 hatte ich auch die mir zunächst merkwürdig vorkommende
Erkenntnis, dass die Sünde Adams nicht erst anfing, als er die verbotene Frucht
aß, sondern dieses Essen der verbotenen Frucht seine erste Ursache in der
Verwirrung seiner Liebe zu Eva hatte. Der erste Mensch hatte nämlich, infolge
seiner besonderen Gnadenausstattung, ein direktes unmittelbares Verhältnis zu
Gott; er brauchte nicht erst auf dem Weg über die Geschöpfe zu Gott aufsteigen,
sondern konnte jederzeit Gott unmittelbar finden und sollte nur von Gott her
und in Gott sich den Geschöpfen zuwenden. Die gottebenbildliche Einfachheit
seiner Seele, und deren geistigen Anlagen, führte ihn direkt zu Gott, und dann
von Gott her zu seiner Gefährtin Eva, die Gott ihm beigegeben hatte; so lag es
in den Absichten Gottes bei der Erschaffung des Menschen. Als Eva dem Adam die
verbotene Frucht anbot, wandte sich dieser – sein geistiges, übernatürliches
Verhältnis zu Gott außer Acht lassend – in sinnlicher Liebe der Eva zu, kehrte
sich damit in gewissem Sinne von Gott und dem von Gott im Menschen
grundgelegten übernatürlichen Geistesgesetz ab, und damit zerbrach in Adam das
direkte Verhältnis der Menschen zu Gott. Die geschöpfliche Liebe zu einem
Geschöpf hatte in Adam die Oberhand gewonnen und aufgrund dieser geschöpflichen
Liebe übertrat er – entgegen der höheren, übernatürlichen Möglichkeit und
Verpflichtung – das ihm von Gott gegebene Gebot. Das vom Schöpfer in den ersten
Menschen grundgelegte Gesetz des direkten Verhältnisses und Weges zu Gott war
durch ihre erste Abkehr von diesem Gesetz und Vorrecht zerstört. Dies war die
erste Ursache der Sünde, und im Grunde ist auch heute noch die Abkehr von Gott
die letzte Wurzel aller Sünden.
1912 |
Das
Verständnis des Falles der ersten Menschen erklärt wiederum das Geheimnis des
sittlichen Aufstieges der Seele und der Erhebung aus den Folgen des
Sündenfalles. In der Abkehr des Menschen von Gott und in der ungeordneten
Hinwendung zum Geschöpf liegt das Wesen der Sünde überhaupt und mit der
Überwindung dieser ungeordneten Hinwendung und Abkehr beginnt auch der Aufstieg
und die Hingabe der Seele an Gott. – Jede Sünde trägt in sich auch schon ihre
Strafe und ihre Folgen. So waren Folge und Strafe der ungeordneten Hinwendung
und Liebe zum Geschöpf eine gewisse Trennung der einzelnen Menschen
untereinander. Damit ist nicht so sehr die äußere Trennung gemeint, als
vielmehr eine gewisse Trennung der Geister, eine geistige474 Absonderung des
Einzelnen. Dies verlangt nun Gott vom Menschen, damit dieser wieder direkt zu
Gott gelangen könne. – Jeder Mensch geht allein seinen Weg zu Gott; nicht zwei
Menschen kommen zusammen zu Gott bzw. in den Himmel, mag sie auch nach außen
noch so sehr ein gemeinsames Band verbinden. So war es schon bei der
Erschaffung der Menschen von Gott bestimmt. Die äußere Gemeinschaft kann ein
Weg dazu sein, kann Mittel und Anregung sein, kann aber auch zu Selbsttäuschung
führen. Jenes tiefste Gesetz, in dem Gott die Menschen erschaffen hat, bleibt
für immer bestehen. Das gilt auch für das höhere Geistesleben: Je höher und
näher zu Gott die Seele emporschreitet, desto intensiver und tiefer vollzieht
sich die jetzt sehr schmerzliche Trennung von allem Geschöpflichen, das Eigene
mit eingeschlossen. Dadurch soll dem entgegengetreten und abgeholfen475 werden,
was die erste Ursache der Sünde war, dass der Mensch sich nämlich zu den
Geschöpfen (zu einem anderen Menschen) herab und damit von Gott wegziehen ließ.
Auf diese Tatsache weist auch der liebe Heiland hin, wenn er sagt, er sei
gekommen um zu trennen die Mutter von der Tochter, den Sohn vom Vater usw.
1913 |
Jede
Sünde wird nur durch ihr Gegenteil und den Gegensatz zu ihr überwunden (und zu
dieser Überwindung bzw. zu den dem Bösen entgegengesetzten Tugendakten sollen
nach Gottes Absicht die von ihm zugelassenen Versuchungen helfen und anregen).
Je höher diese Überwindung fortschreitet, desto feinere und tiefere Formen nimmt
sie an. Das gilt auch für die notwendige Loslösung von den Geschöpfen, nachdem
jede Seele in sich für Gott geschaffen ist und nur in sich, als Einzelwesen,
sich wieder Gott nähern kann. Nicht die sinnliche und geschöpfliche
Anhänglichkeit der Menschen untereinander führt zu Gott, sondern eine gewisse
geistige Absonderung und Einsamkeit, die aber nicht Lieblosigkeit sein braucht
und soll und darf. Vielfach nimmt Gottes Führung selbst diese geistige Trennung
vor und auf den höheren Stufen des Geisteslebens schafft Gott geradezu solche
von den Geschöpfen trennende Leiden in476 der Seele. Der Anfang dazu ist wohl
eine gewisse innere Trennung von den Menschen durch Meinungsverschiedenheiten,
Verleumdungen usw.; auf den höchsten Geisteswegen folgt dann die Trennung von
dem innerlich Eigenen, wie es sich in den passiven Reinigungsleiden vollzieht.
1914 |
Bezüglich dieser Grundlage der sittlichen
Erhebung aus den Folgen der Erbsünde und der persönlichen Sünde habe ich
innerlich vieles erlebt und habe erkannt, wie gerade auch im höheren
Geistesleben jede tiefste Wurzel und Anlage zur Sünde durch deren
Gegensätzlichkeit und entgegengesetzte Haltung zu überwinden ist, weil nur auf
diesem Wege die entsprechende Tugend wieder erworben werden kann. – Freilich
kommt den meisten Menschen diese tiefste Wurzel des Bösen und Folge der Sünde
gar nicht recht zum Bewusstsein; denn der Mensch täuscht sich selbst, gibt sich
selber immer recht, meint sich selbst behaupten zu müssen und bedeckt sich für
gewöhnlich mit der ihm durch die Sünde gleichsam eigen gewordenen
Unwahrhaftigkeit gegen sich selbst. Nur in Gott lernt er sich selbst kennen,
wird er sich seines wahren Zustandes bewusst und wird er geheilt von der
tiefsten Unordnung und Wurzel und Folge der Sünde, von der Unwahrheit über sich
selbst.
1915 |
Ohne
eine ganz besondere Gnade Gottes kann zwar die Fülle und Reinheit des
paradiesischen Zustandes der Seele Adams niemals zurückerobert werden, aber in
Christus und kraft seiner Verdienste wird uns ein Ersatz dafür gegeben und mit
ihm bekleidet sind wir entschädigt für das Verlorene. Ich habe schon früher
jene besondere Gottebenbildlichkeit der ersten Seele beschrieben, in der Gott
die Menschen schuf und die mit der Sünde verloren ging, wenn auch die Anlagen
der Seele immer noch Gottes Bild und Züge tragen. Die tiefste Wurzel des
adamitischen Sturzes ist nun eine gewisse uns bekannte Disharmonie in der
Seele, das ständige Suchen und Kämpfen in ihr, das Widerstrebende und
Widersprechende, mit einem Worte eine gewisse geistige Unruhe und Unordnung,
die für gewöhnlich auch auf den höheren Vereinigungsstufen mit Christus nicht
zur vollen Ruhe kommt; freilich kommt diese tiefste Unordnung dem Menschen für
gewöhnlich nicht ganz zum Bewusstsein, es sei denn mit einer besonderen Gnade.
Es handelt sich aber hier im Grunde um die Anerkennung und das Eingeständnis
der Ur- und Hauptunordnung der jetzigen Seele, um das traurige Geheimnis ihres
geistigen477 Egoismus und ihrer Egozentrik, wodurch sie sich selbst lebt und
besitzen will, es handelt sich um den Abstand und die Trennung der Seele von
Gott, während sie nach Gottes Plan in einem vollen Kindschaftsverhältnis zu ihm
stehen soll. Aus diesem tiefsten Zentrum des Egoismus strahlt die – meist
uneingestandene – Unordnung aus auf das menschliche Leben, wodurch der Mensch
sich selber leiten und dirigieren will, mehr oder weniger unabhängig von Gott,
wodurch er sich sicher immer recht zu geben sucht und wodurch er daher in
Finsternis bleibt über seinen wahren Zustand und die Ur-Unordnung. Die feine
Harmonie mit Gott, die bewusste Abhängigkeit von ihm in allem, das
Geleitet-sein von Gott ist übergegangen in Selbstleitung der Menschenseele und
so irrt sie im eigenen Irrtum, in einer gewissen Unwahrheit, dahin, weil es nur
in Gott die volle Wahrheit gibt.
1916 |
Ich wurde
im eigenen Erleben in diese geistigen Abgründe des gefallenen Zustandes der
Menschenseele eingeführt, erkannte dann als Gegenstück dazu die „reine
Menschheit“ des paradiesischen Menschen, wie er aus der Hand des Schöpfers
hervorging, und erlebte schließlich die „reinste Menschheit Christi“. Die
reinste Seele Jesu steht da in vollster Wahrheit und wahrster Wirklichkeit,
alle menschlichen Selbsttäuschungen und Irrtümer übersteigend und überbrückend;
sie ist Gottes Spiegel in voller Klarheit und Heiligkeit. Sie war gebildet und
geschaffen, um die ewige Wahrheit und das göttliche Licht der zweiten
göttlichen Person zu tragen, ihr zu dienen und als göttliches Gefäß verwendet
zu werden. – Was den Menschen jetzt am meisten behindert, Gott nahezukommen,
ist das Dunkel über seine wahre Wirklichkeit; was ihn anderseits der ewigen
Wahrheit Gottes am nächsten führt, ist die Wahrheit über sich selbst, das
Eingestehen der eigenen Ohnmacht, Abhängigkeit, Vergänglichkeit usw. – In der
Seele Jesu nun war alles Wahrheit, Wirklichkeit, unmittelbare Offenheit und
Bejahung der wahren Wirklichkeit; sie war ein aufgeschlossener Spiegel für
göttliches Leben. So stand sie in unvergleichlicher Dienstbarkeit bereitet und
bereit für die göttliche Person des Wortes. – Und von dieser Seele nahm Gottes
Sohn Besitz. Der Abglanz des Vaters, das ewige Licht beleuchtete und durchdrang
die tiefsten Tiefen dieser Seele mit dem göttlichen Licht und Leben.
1917 |
Die
heiligste Seele Jesu war in allem Werkzeug und Gefäß für das göttliche Leben
selbst. Den Urgrund und die tiefste Quelle für das Seelenleben Christi müssen
wir daher im göttlichen Sein der zweiten göttlichen Person selbst suchen, also
im wahren Bereich des göttlichen Wesens selbst. Dort liegt der Schwerpunkt für
alle Taten und Opfer des Erlösers, von dort, vom göttlichen Habitus her,
strömte das wahrhaft göttliche Leben in die Seele Christi. Der göttliche
Habitus war das Entscheidende im Leben des Erlösers und wir müssen das Wesen
Gottes erforschen können, um das gottmenschliche Leben Christi mehr oder ganz
würdigen zu können. Dieses volle göttliche Leben und Sein ohne Einschränkung in
den wesenhaften, göttlichen Eigenschaften durchlebte die Seele Jesu und machte
sein ganzes Menschenleben wirklich und wahrhaft göttlich, machte all seine Werke
göttlich und voll göttlichen Wortes. Das göttliche Sein selbst erfüllte die
Seele Jesu. Dieses Geheimnis zu durchschauen ist wunderbar …
1918 |
Dadurch
erhielt die Seele Jesu gleichsam göttliche Freiheit und Bewegungskraft und
Unumschränktheit in sich selbst, erhielt sie die höchste Erhabenheit und
Leichtigkeit, die noch weit die paradiesische Freiheit überstieg. Man hat aber
kein Wort, um diese Erhabenheit und Leichtigkeit und Unumschränktheit wirklich
erklären zu können, wenn man es sich nicht auf dem Weg des Selbsterlebens
ableiten und nahebringen kann. Diese Erhabenheit und Unumschränktheit
beinhaltet nicht nur die Freiheit von den niederen Hemmungen der Materie und
der irdischen Bedürfnisse, sondern auch eine unaussprechliche Freiheit und
Erhabenheit und Leichtigkeit des Geistes und der höchsten Seelenfähigkeiten,
eine absolute Zusammengeschlossenheit des Niederen und des Höheren zu einem
Leben, gleichsam zu einem Akt, in dem alle geistigen und leiblichen
Betätigungen und Bedürfnisse eingeschlossen und schon bejaht sind. Und diese
göttliche Erhabenheit beherrschte und belebte auch den Leib Christi. So war das
Erdenleben Christi ein Leben voll göttlicher und menschlicher Harmonie und
Einheit. Zudem wirkten ständig auch alle anderen göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten
in der Seele Jesu, die ihrerseits imstande war, in jedem Augenblick jene
Vollkommenheit in göttlicher Vollendung menschlich zu leben und auszuführen.
Dieser Umstand hat die Seele Jesu wundersam geadelt und vergöttlicht, da sie
Werkzeug göttlicher Funktionen war.
1919 |
In der
Seele Jesu glühte daher auch die Unendlichkeit der göttlichen Liebe, die
göttliche Liebeskraft des Umfassens der gesamten Menschheit, die Liebe, die
alles und für alle Menschen zu leiden, und zu opfern bereit war. Die ganze
Menschheit war gleichsam im göttlichen Sein der zweiten göttlichen Person
zusammengefasst und die Seele Jesu war infolge ihrer besonderen Vollendung und
Vergeistigung fähig, diese gesamte Menschheit und jeden einzelnen Menschen mit
menschlichen Gefühlen der Geduld, Barmherzigkeit usw. zu umfassen und zu
tragen. Das war an sich für die Seele Jesu nichts Erdrückendes (wie man
menschlich annehmen müsste/möchte), sondern die Seele Christi war so weit und
so sehr für die Unendlichkeit der göttlichen Liebe geschaffen, dass sie alle
Leiden für die Gesamt-Menschheit, welche die göttliche Liebe ersonnen hatte, zu
leiden, und zu ertragen vermochte. Die Seele Jesu lief in ihren Fähigkeiten
parallel mit den göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten und war das
angepasste Werkzeug für die menschliche Auswirkung der göttlichen
Vollkommenheiten und die Ausführung der göttlichen Erlöserpläne. Daher war sie
auch fähig, unmittelbar göttliche Funktionen auf sich zu nehmen und für die
göttliche Person das Mittel zu sein im Verkehr mit dem Vater; ja, sie war ein
ebener, gerader Weg zum Vater durch die göttliche Person. Kein Leiden und kein
menschlicher Druck hinderten sie daran, zur höchsten Einheit Jesu in und mit
dem Vater gebraucht zu werden. Es war in ihr eine volle menschliche Gleichstimmung
und Ebenmäßigkeit mit dem göttlichen Wesen zum Zwecke harmonischer
Dienstbarkeit angelegt.
1920 |
Aus
diesem inneren Erleben heraus verstehe ich die ungeheure Spannung und den
Abgrund, in den die Menschenseele im Allgemeinen durch die Sünde gestürzt ist;
ich verstehe den Riss zwischen Gott und der Menschheit, den die zweite478
göttliche Person durch ihre Menschwerdung wieder überbrückt hat, und zwar
mittels einer neu geschaffenen Seele, die der göttlichen Person vollkommen
dienstbar war, und menschlich das getragen und gelitten hat, was göttliche
Vollkommenheit und Liebe ihr zu tragen, und zu leiden auferlegte. – Groß ist
die Menschenseele in ihre Erschaffung durch die Hand Gottes; tief und
folgenschwer ist ihr Fall in der Sünde; groß wiederum ist ihre Erhebung aus der
Sünde durch die Erlösung dank der Seele Christi, die das Werkzeug zur Erlösung
war; groß ist die Seele auch, weil sie – wie ich es zutiefst erfahren habe –
unaussprechlicher Vereinigung mit Gott fähig ist, weil sie tragfähig und erlebnisfähig
für Gott ist, weil sie – in Christus – göttlicher Funktionen fähig war.
1921 |
Die
Seele Jesu479 war ferner auch befähigt, unmittelbar den Genuss Gottes ertragen
zu können, all die Süßigkeiten und Freuden der Gottheit Christi wie
selbstverständlich und instinktiv zu übernehmen und sich davon ausfüllen zu
lassen und das göttliche Leben mittels ihrer höchst geistigen Fähigkeiten als
„einen Akt“ zu leben. Dabei haben sich aber die beiden Naturen in Christus
nicht vermischt, sondern die Seele Jesu war den göttlichen Funktionen nur ganz
dienstbar.
1922 |
Auch im
Himmel und in alle Ewigkeit genießt die Seele Jesu unmittelbar das göttliche
Leben, dem sie in Jesu Erdenleben Werkzeug war. Sie wurde nach dem Tode Jesu
nicht etwa beiseite getan, sondern sie genießt die zweite göttliche Person und
in ihr die heiligste Dreifaltigkeit als das Zentrum aller auserwählten Seelen.
–
1923 |
So habe
ich in vielen inneren Erfahrungen die göttliche Dienstbarkeit der Seele Jesu
erlebt, ausgehend von der Seele im erstgeschaffenen paradiesischen Zustand, der
jenem der Seele Jesu ähnlich und für ihn gleichsam grundlegend war. – Damit ist
aber nicht gesagt, dass ich Jesus als den Erlöser erfahren und erfassen kann,
„wie er ist“; denn das volle Erkennen Gottes und seiner Geheimnisse in
unverhülltem Schauen beginnt erst in der Ewigkeit und „Stückwerk ist unser
Wissen auf Erden“. Aber ich erfahre und erfasse Christus so weit, als er sich
mir offenbaren will, weil und wie es seinen Absichten unendlicher Liebe und
Erbarmung dient. – Ich kann auch nicht leugnen, dass Christus mir verspricht,
durch eine ganz besondere Gnade den vollen Zustand der paradiesischen Seele in
sittlicher Hinsicht in mir wiederherzustellen, um meine Seele zum ebenmäßigen
und geeigneten Werkzeug für das Erleben seiner innersten Erlösergeheimnisse zu
machen. – Wenn ich an meine innere Aufgabe voll und ganz glaube und glauben
muss, so muss ich auch eingestehen und bekennen, in welch hohem Maß meine Seele
schon befähigt wurde, das Geheimnis Christi zu erleben, nicht in Visionen oder
ekstasemäßig, sondern mittels einer solchen seelischen Vereinigung, dass ich
erklären kann und muss: „So ist es; so habe ich es erlebt“. Und immer noch
erhöht sich dieser Zustand der Einheit und des Zusammenlebens und Harmonierens
mit Jesus, das mir das innere und innerste Wesen des Erlösers eröffnet und
erklärt.
1924 |
Ich
werde innerlich immer veranlasst und angetrieben zu glauben, dass Jesus in mir
eine reine Menschheit wiederherstellen wird, wie sie im Paradiese bestanden
hat, denn – so wurde mir heute des Öfteren erklärt – dies sei die Grundlage und
Grundbedingung um die göttliche Erlöserperson in jener Form erleben zu können,
wie es in den Absichten Jesu liegt. Dazu sei jene reine Menschheit
erforderlich. (Dies scheint zwar ganz unglaublich, aber der Wahrheit gemäß und
der inneren Führung entsprechend muss ich es bekennen). Es wurde mir aber heute
innerlich bewusst: Die volle Auswirkung dieser ganz außerordentlichen Gnade und
die Einheitlichkeit und Vollendung dieses Zustandes tritt erst mit dem wirklichen
Dauerzustand des Erlebens Jesu ein; alles Vorhergehende ist Vorbereitung und
Befähigung dafür. Als Gradmesser und Prüfstein wird bei dieser ununterbrochenen
fortschreitenden Vorbereitung und Befähigung immer wieder das „Wesen der
göttlichen Person“ mit ihren göttlichen Vollkommenheiten angelegt und es wird
in mir ein entsprechender geistiger Habitus geschaffen, um der göttlichen
Person als Menschheit dienen zu können. Die innere Führung und Vorbereitung
sucht dabei gleichsam mit den göttlichen Vollkommenheiten der Person Christi
menschlich entsprechend Schritt zu halten, wenn mir dies auch infolge der damit
verbundenen Leiden im Einzelnen nicht immer zum Bewusstsein kommt. Die
Möglichkeit einer solchen Anpassung und Angleichung ist in der Seele grundgelegt
durch ihre Gottebenbildlichkeit, da sie im Grunde immer noch die Anlagen eines
– sehr kleinen und schwachen, aber doch – wahren Abbildes Gottes in sich trägt.
So erfahre ich erklärend und begleitend mit meiner inneren Entwicklung jeweils
das Wesen jener göttlichen Eigenschaften, in die ich gerade eingeführt und für
die ich so weit befähigt werde, dass ich sie nach dem Maße meiner geistigen
Aufgabe ertragen kann. Das Erleben jener göttlichen Vollkommenheiten – die in
der Seele gleichsam keimhaft nachgebildet und ermöglicht sind – läuft gleichsam
neben der seelischen Umwandlung und Entwicklung her.
1925 |
Gegenwärtig z. B. erlebe ich als
Begleit-Gradmesser das göttliche Wesen des „Aktes“, das in der
Erlöser-Menschheit als wesentliche göttliche480 Eigenschaft weiter bestanden
hat (und das in der Einfachheit der geistigen Seele noch eine entfernte
Ähnlichkeit, Verwandtschaft und Nachbildungsmöglichkeit findet): Dieses Leben
EINES Aktes, sozusagen einer einzigen geistigen481 Bewegung, die alles in sich
enthält und alle Seelenfähigkeiten zu einer einzigen482 aktmäßigen Tat und
Wirklichkeit zusammenschließt (um ein erklärendes menschliches Wort zu
versuchen) – was für den geschaffenen Menschen zunächst ganz unverträglich und
unmöglich scheint. Wie immer werden – in unsagbaren seelischen Leiden – die in
meine Natur bzw. in meiner Seele noch bestehenden Dispositionen und
Widersprüche gegen jene göttliche Vollkommenheit allmählich ausgemerzt bis zur
notwendigen Angleichung nach dem mir gesteckten Maß und Ziel. So wird jetzt
eine unbedingte Einheit und Zusammengeschlossenheit all meiner
Seelenfähigkeiten hergestellt, bis jeder natürliche Widerspruch meines eigenen
Seins dagegen überwunden und behoben ist. Das bedeutet aber eine gänzliche
innere Umstellung, und ein beständiges – im seelischen Schmerz wohl dem Streben
ähnliches – „Vergehen“ meines selbst und meines bisherigen Habitus. Es ist wie
ein Einfügen in das, was der Natur eine „geistige Enge“ scheint, in der alles
auf einen einzigen Weg und Punkt hingeht und zusammendrängt. Das vielerlei in
der Seele wird gleichsam in einen Akt eingespannt, in dem aber alle
vorhergehenden Akte und Regungen der Seele schon geordnet sind, um dem
göttlichen „Actus“ folgen zu können. Zugleich erleide ich ein „Totleiden“
aller, der Seelen eigenen Bewegungen, eine geistige „Untätigkeit“ (so scheint
es), die man nicht in Worten ausdrücken kann, weil diese inneren Veränderungen
dem gewöhnlichen Seelenleben fremd sind. Diese Abnahme oder Wegnahme der
eigenen Betätigungen der Seele auf dem normalen Weg bedeutet aber zugleich auch
eine unaussprechliche Befreiung von den Hemmungen des eigenen „Ich“, eine
unermessliche und wunderbare „Freiheit“ in mir selber und eine nicht zu
beschreibende geistige Unumschränktheit.
1926 |
Diese
geistigen Veränderungen vollziehen sich aber im jetzigen Stadium gleichsam „im
Dunkel“, weil die fortschreitende Bewegung und Umwandlung in sich selber das
Licht ist. Das fühlbare Licht des Erkennens, das bisher immer wieder von Zeit
zu Zeit wie mit einem geistigen Lichtstrahl mein Inneres beleuchtete, war ein
Hilfsmittel, das jetzt nicht mehr nötig ist und darum wegfällt. Es wird jetzt
alles in mir mit dem wirklichen Sein und der Wesentlichkeit eingeordnet, die
das fühlbare und aufstrahlende Licht Gottes483 nicht mehr braucht.
1927 |
Jetzt
kann ich auch mehr verstehen, was Jesus meinte, wenn er mir davon sprach, dass
er mein Sein für mich auslöschen werde usw. Langsam werde ich seinem göttlichen
Sein eingeordnet und untergeordnet. Damit verliere ich gleichsam die Existenz
für mich, für den eigenen Genuss und Besitz, der an sich meiner Person
entspricht und zukommt, und ich werde dadurch befähigt, das Sein484, das
Resultat seines gottmenschlichen Lebens zu erfahren. So vollzieht sich in mir
gleichsam eine Umschaltung, ein Hinüberordnen und ein Aufnehmenkönnen des
inneren Zustandes Jesu in seinem gottmenschlichen Erdenleben. Im Grunde bleibt
dieser Vorgang in mir zwar ein sich immer mehr entwickelndes Geheimnis, aber
ich werde innerlich veranlasst und gemahnt, an die Gnade dieser Umbildung in
mir zu glauben, weil an dem Glauben der innere Fortschritt gebunden ist. (Man
muss in diesen inneren Veränderungen immer das gleiche erklärende Wort
gebrauchen, obwohl sich der betreffende Zustand in mir sich immer vertieft und
es wiederholen sich auch immer wieder die gleichen Vorgänge mit vertieften
Veränderungen).485
1928 |
Dabei
bin ich aber auch in einer Weise und Tiefe, die nicht mit Worten ausdrückbar
ist, allein in mir selbst, wie in einer Wüste, wie getrennt von jedem Einfluss
von außen her und gleichsam unbeeinflussbar nur dem inneren Erleben und
Erleiden hingegeben. Es hat sich in mir eine Trennung und Absonderung von den
Menschen vollzogen, die sich nicht beschrieben lässt; es ist wie eine Abwehr,
die jeden fremden und auch den eigenen menschlichen Einfluss ausschaltet. Damit
ist aber nicht gesagt, dass man gute Ratschläge usw. nicht annehmen wollte oder
könnte, sondern diese Abwehr der Beeinflussung von außen oder durch das Eigene
geht tiefer und zielt auf eine unbedingte Hinordnung und Hinspannung auf
höchste göttliche Einflüsse, zielt auf eine gewisse geistige Unbeweglichkeit
und Unerschütterlichkeit.
1929 |
Alles
dies vollzieht sich aber wie in einem Meer voll geistiger Ruhe. Mögen auch die
begleitenden Leiden noch so schwer und drückend sein, es wächst doch zugleich
mit ihnen und durch sie die innere Kraft und die Absolutheit und Unbedingtheit
der Hingabe an die göttliche Führung. Damit werde ich in einen Dauerzustand des
Erlebens-Könnens Christi eingeführt, für den ich unwandelbar befähigt und
befestigt werde.
1930 |
Ich
werde auch von Neuem auf den Umstand hingewiesen, dass das wirkliche Erleben
des inneren Erlöserlebens Jesu mir wie mein eigenes Leben erscheinen wird, dem
ich unentrinnbar überantwortet bin. Es werden meine persönlichen Erlebnisse
sein, also nicht etwa nur ein Schauen und Erkennen des Inneren Christi, wie es
sich jetzt noch zum Teil vollzieht, obwohl ich vielfach auch jetzt schon die
Erkenntnisse über Christus aus eigenem Erfahren wiedergeben kann. – Das Wunderbarste
aber an allem ist die Einfachheit meines Innenlebens, für die486 es überhaupt
keinen Ausdruck und keine Erklärung gibt.
1931 |
Ich bin
heute in einem solchen Maß mir selbst weggenommen, dass es kein erklärendes
Wort dafür gibt. Der Zustand ist ähnlich einer Ekstase, die sich aber bei
vollem Bewusstsein vollzieht. Der höhere Teil meines Seins ist auf ein höchstes
Ziel hingeordnet und ist dort wie gebannt. Dieses Entrücktsein betrifft aber
mich selbst, den Einfluss487 meines eigenen Ichs, den ich ganz entzogen werde.
Ich weiß gleichsam nichts um mich; mein eigenes488 Sein ist mir selbst entrückt
und entzogen, ebenso alle Dinge, die mich betreffen, meine Angelegenheiten und
meine Umgebung. Es ist aber nicht ein Entrücktsein der Sinne, sondern vielmehr
ein intensives Entrücktsein des Geistes gegenüber jedem Einfluss durch mein
eigenes Ich.
1932 |
Dieser
Zustand bildet für mich noch ein Leiden, unter dem man vergehen zu müssen
meint. Dieses Entrücktsein führt mich in eine unaussprechliche geistige489
Leere und Untätigkeit, wie in einem Nichts-Zustand, ohne irgendwelche Bewegung
und Bewegungsmöglichkeit, und diese beinhalten eine vollständige Umstellung
meines geistigen Seins. In diesen großen Leiden ist auch fast jedes
Erinnerungsvermögen an mich selbst, bzw. an meine Angelegenheiten wie
ausgelöscht; wie eine undurchdringliche Wand trennt mich dieser Zustand ebenso
vom Früheren wie von der Zukunft; ich bin gleichsam eingeschlossen zwischen
zwei dunklen Mauern, aus denen es kein Ausweg gibt. Und diesen Leiden bin ich
unentrinnbar hingegeben.
1933 |
Heute
Vormittag in der Kapelle kam ich in einen vorher nie erlebten Zustand, den ich
nicht mit anderen Worten erklären kann als mit diesen: Das Licht in mir selbst,
das Sein für mich selbst wurde gleichsam ausgelöscht. Es wurde mir etwas im
Inneren weggenommen und es kam ein Dunkel über mein eigenes Sein. An dessen
Stelle trat ein anderer, wesentlicher Zustand, der mir als Ersatz dafür genügen
soll. Ich finde auch vollen Ersatz daran, aber im vollen Verzicht meiner
selbst.
1934 |
Damit
bin ich meinem geistigen Ziele unmittelbar nahegekommen; denn es genügt mir nun
das Sein Jesu als wesentlicher Zustand, der aber ganz der meine scheint. Bisher
wurde ich doch noch fühlbar von der führenden Gnade unterstützt, aber jetzt
scheint dieser wesentliche Zustand schon vollauf zu genügen. – Ich sehe jetzt
auch ein, welch großen Fortschritt ich in den letzten Wochen durch Gnade und
Leiden machte und wie ich immer mehr meinem geistigen Endziel nähere.
1935 |
Schon
genügt mir der vorhin erreichte und beschriebene Zustand wieder nicht mehr. Er
ist mir schon geläufig und ich bewege mich ungehindert darin. Darum drängt es
mich weiter zu einem noch höheren Grad des Mich-Verlassens, zu einer noch
größeren Freiheit von meinem eigenen Einfluss. Ich weiß schon um die Freiheit
Gottes bzw. des Wesens der göttlichen Person des Wortes und es drängt mich,
darin ungehindert mich zu ergehen.
1936 |
Mein
geistiges Fortschreiten vollzieht sich fast in ununterbrochenen Leiden. –
1937 |
Heute
erlebe ich in wunderbarer Weise die Früchte der gestrigen inneren490 Leiden
(und der vergangenen Tage)491, die auch während eines großen Teils der Nacht
anhielten. Schon am Morgen, als ich erwachte, war ich in einem völlig
veränderten Zustand.
1938 |
Ich
habe innerlich das gewonnen, worum ich so sehr gelitten habe: eine
unaussprechliche Befreiung von meinem Eigenen. Diesem Zweck hatten jene Leiden
der geistigen Entrückung von mir selbst gegolten und es war mir nun auch die
tiefste Ursache jenes „Mir-Selbst-Entrückt-Seins“ klarer, nämlich die
erbsündliche Anlage der seelischen Egozentrik. Infolge der Erbsünde ist die
Seele in ungeordneter Weise auf sich selbst konzentriert, auf ihren eigenen
Genuss eingestellt. Die erste Seele im Paradies war direkt auf Gott
hingeordnet, war ganz aufgeschlossen und aufgetan für Gott. Sie suchte in
keiner Weise ihren eigenen Genuss oder sich selbst und war offen und aufgetan
für Gott und auf Gott hingelenkt. Damit besaß die Seele eine unmittelbare
Empfänglichkeit für das göttliche Wesen, eine ihr eigene Aufgeschlossenheit Gott
gegenüber, mit der sie ihn erkennen, erfassen, genießen konnte. – In meiner
Seele wird nun diese unmittelbare Empfänglichkeit für Gott wieder ermöglicht
durch jene inneren Leiden, durch jene Entrückung für meinen selbstischen
Gebrauch und es wird wieder die feine, wie naturhafte (obwohl
selbstverständlich übernatürliche) Hinwendung zu Gott ermöglicht und
geschaffen, die sich in Worten überhaupt nicht ausdrücken lässt. Diese sich
jetzt in meiner tiefsten Anlage vollziehende Ausmerzung der feinen und verborgenen
Egozentrik dient in meinem Falle besonders auch einer vollen seelischen
Aufgeschlossenheit und wie natürlichen Offenheit492 gegenüber dem mir
zugedachten Erleben, damit göttliche Gebiete gleichsam ungestört in die Seele
einströmen und einfließen können. Die Frucht dieser Leiden ist daher eine
wundersam hohe Befreiung von den verborgensten, mir selbst unbewussten eigenen
Hemmungen, sodass meine Seele gleichsam für göttliche Erhabenheit und geistige
„Leichtigkeit“ zur Verfügung stehen und gebraucht werden kann. (Freilich ist
dies in menschlichen Worten nicht ganz klar zu machen und es wird für den
Außenstehenden ein Geheimnis bleiben). Es ist eine ungehinderte Freiheit in
mir, die mich belebt und trägt. Sie scheint mir schon wie ein Naturzustand zu
sein – (Natur ist hier nicht im Gegensatz zur Übernatur gemeint, sondern im
Gegensatz zur Notwendigkeit der Übung, des Bemühens oder Erringens) – dürfte
sich aber wohl immer noch erhöhen. Diese Freiheit gibt eine gewisse
Leichtigkeit des Sich-Selbst-Regierens, was eine schon errungene493 seelische
Harmonie aller Kräfte und Fähigkeiten voraussetzt. Der tiefste Grund meines
inneren Seins ist Ruhe selbst, jene Ruhe einer seelischen Ausgeglichenheit und
des Sich-Selbst-Besitzens (in geordneter Weise)494, das in mir schon Zustand
geworden ist.
1939 |
Bei der
heiligen Messe und nach der heiligen Kommunion erhöhte sich noch diese innere
Fülle, die aber verschieden ist von jener Fülle, die sonst ein fühlbares
Vorauserleben eines jeweils kommenden höheren Zustandes bedeutete und
begleitete. Jetzt ist die innere „Fülle“ ein wesentliches Erleben, ein schon
bestehender Habitus, eine schon errungene Wesenheit meiner Seele. Ich lebe ein
wunderbares Leben der Reinheit, eine mir schon eigene Kampflosigkeit, gleichsam
ein Ausruhen in mir selber, weil ich im tiefsten Zentrum meines Seins mich
selbst besitze. Ich verkoste die Wirklichkeit und Fülle eines in mir schon
geordneten Selbstbesitzes ohne Zersplitterung oder Zerteilung durch eigenes,
ungeordnetes Selbst-Genießen-Wollen. Damit komme ich zu jener vom liebenden
Heiland versprochenen Grundlage meines Innenlebens, die eine Garantie für das
Erleben-Können seines Innenlebens sein wird.
1940 |
Diese
volle Ordnung und Harmonie, die in mir hergestellt wird, ist zugleich eine
Angleichung und Wiedereroberung des Paradieseszustandes der Seele in seiner
wesentlichen, sittlichen Hinsicht und Reinheit. – Heute Morgen habe ich die
Fülle jenes Paradieseszustandes erkannt und verkostet, jene seelische
Ausgeglichenheit, in der Gott die ersten Menschen erschaffen hat. All die
früheren geistigen Stufen meiner Erhebung aus der sündlichen Unordnung einigen
sich jetzt und bilden jene Zusammengeschlossenheit eines Ganzen in mir, wo die
Einheit aller Seelenkräfte und die wahre Ordnung herrschen. All die geistigen Linien
und Fäden, die ich früher einzeln in vielen inneren Leiden und Kämpfen spürbar
erlitten und erlebt habe, sind nun schon in sich zur Harmonie geeint und
zusammengeordnet. Früher war noch ein vielerlei von Bewegungen und
Tatmöglichkeiten in mir; das scheint jetzt nicht mehr vorhanden zu sein, weil
schon eingefügt und eingeordnet ist in jene Einheit und Einfachheit, die nun
Zustand geworden ist,495 ohne irgendwelche Bemühungen, wie aus sich selbst
bestehend. Die vorhergehenden Leiden sollten die sündliche Unordnung zerbrechen
und eine Neuordnung all meiner seelischen Anlagen und Kräfte vollziehen.
1941 |
Aufgrund dieses Selbsterlebten weiß ich nun um
die Tiefe des Falles der ersten Menschen, der neben den anderen bekannten
Folgen auch und vor allem die Disharmonie der Seelenfähigkeiten mit sich
brachte. Ich weiß um die Abgründe dieses Falles, weil ich seine Tiefe auf dem
langen Aufstieg zur Nähe496 des moralischen Paradieseszustandes erlebt und
durchlitten habe und zurückschauend sie überblicken kann.
1942 |
Auf der
jetzt erreichten Höhe gibt es keine Tugendübung mehr in dem gewöhnlichen Sinne
des Wortes, der ein Bemühen der Seele zu dieser oder jener guten Tat, wenn auch
ohne Schwierigkeit und mit der größten Leichtigkeit, besagt; dieser Weg ist
längst überschritten. Jetzt wirkt sich aus dem Grunde der schon geordneten
Seele der bereits erlangte Habitus wie selbstverständlich aus und dieser
Zustand wird der Seele497 zur Natur (in dem oben erklärten Sinne). Gewiss
bestehen da noch unbegrenzte Vervollkommnungsmöglichkeiten, weil die Seele in
Gott und durch Gottes Gnade immer wachsen und sich vervollkommnen kann.
1943 |
Darum
ist mit dem Obigen nicht gesagt, dass mein innerer Weg nun am Ende sei, aber
mit dem Erreichten eines bestimmten Abschnittes ist ein Zustand einer gewissen Ausgeglichenheit
gegeben, die mich die Art und Wirksamkeit der Paradiesesharmonie und Fülle der
ersten Menschen ahnen und zum Teil erleben lässt. Der volle Paradieseszustand
ist hienieden auch in der Seele selbst nicht erreichbar, ganz abgesehen davon,
dass nach außen immer die Leidensfähigkeit, Vergänglichkeit, der Tod, das
Vergehen der Materie usw. bleibt. In der jetzigen Ordnung sind die den ersten
Menschen verliehenen Vollkommenheiten, das klare Licht des Verstandes und das
wie natürliche Erkennen Gottes sowie die ungehemmte Freiheit seines Willens nie
mehr zurückzuerobern. Der Mensch ist vielmehr jetzt dem Dunkel des Glaubens an
Gott und dem damit verbundenen Sterben unterstellt.
1944 |
Während
ich heute früh dieses, mit besonderer Gnade in mir erreichte Ziel genoss und
zugleich den vollen Paradieseszustand der ersten Menschen erfasste, wurde ich
in diesem Zusammenhang auch einer anderen Seele inne, einer Seele, die
sozusagen auf der gleichen Ebene und auf der gleichen Grundlage gebildet ist,
aber doch noch weit höher ausgestattet ist als selbst die erste Menschenseele:
die Seele Mariens. In ihr ist alles übertroffen, was selbst Paradiesesfülle und
-vollkommenheit bedeutet. Beim Anblick, d. h. im geistigen Innewerden ihrer
seelischen Harmonie und Reinheit drängt sich einem unwillkürlich das Wort auf,
das man dann aus dem überzeugten Wissen um ihre Unübertrefflichkeit heraus nie
genug wiederholen kann: Tota pulchra es, Maria … gratia plena! Dieses Staunen
bezieht sich nicht nur auf ihre moralische Reinheit und Sündenfreiheit, sondern
auch auf das, was sich noch viel erhabener an ihr auswirkt, auf die wunderbare
seelische Ordnung und Ausgeglichenheit Mariens, auf diese ganz zu Gott
hingewandte Einheit ihrer Seele, die jede Unordnung und Zersplitterung, jede
leiseste Disharmonie ausschließt. Und das alles war in Maria „Natur“, d. h.
nicht Übung oder Bemühung nach unserem Begriff; es war im Grunde nichts
Errungenes oder Erkämpftes, sondern dauerhafter und gesicherter Zustand bis auf
die tiefste Tiefe ihres Seins, ohne Wanken oder Schwankung, gefestigt gegen
alle äußeren Einflüsse, unbeweglich in Gott gebunden, aber dies doch wiederum
nicht in einem Naturzwang, wie vielleicht jemand aus dem Gesagten schließen
möchte, sondern in voller Freiheit. Ihre geistige und vollkommene Freiheit war,
ähnlich wie gegenüber äußeren Einflüssen frei und unbehindert auch gegenüber
dem Einfluss oder, wie man meinen möchte, „Zwang“ vonseiten Gottes und seiner
Gnade. Maria besaß ebenso die Freiheit des Willens, wie auch Eva sie besessen
hatte. Ihre Freiheit ging frei-willig498 in Gott und seinem heiligen Willen
auf.
1945 |
Gott
zwingt niemanden, auch nicht mit seinen größten Gnaden (was ich irgendwie aus
eigener Erfahrung bestätigen kann). Es gibt auch auf den höchsten Stufen des
Seelenlebens – ebenso wenig wie auf den niederen – keine an sich erzwungene
Tugend, selbst nicht bei größten Gnaden. Im Grunde entscheidet sich jede Seele
selbst für oder gegen Gott; die Entscheidung für Gott sichert ihr freilich
wieder ein größeres Maß von Gnaden und somit wirkt sich die schon erworbene
Tugend in der Entscheidung aus. – Ganz ähnlich schaute ich es auch im Leben
Mariens. Gott hat in ihrer Seele eine Überfülle von paradiesischen Gnaden
angelegt, aber Maria hat diese mit der ihr eigenen Freiheit in ganz hohem Maß
ausgebaut und noch vervollkommnet. – Gerade in der rechten Ausübung der
Freiheit des Willens499 kommt jede Tugend zu wundervollster Blüte und
Auswirkung, wenn die Freiheit schon von der ersten Anlage an sich für Gott
betätigt und so das ganze Tugendgebäude eine herrliche Frucht der Freiheit des
Willens und damit der größeren Verherrlichung Gottes wird. Selbst wenn ein
Mensch in manchen ganz schwierigen, unvorhergesehenen Lagen oder durch
unvorstellbare Leiden und Opfer geradezu gezwungen scheint, „aus der Not eine
Tugend zu machen“ (wie man zu sagen pflegt), wenn er also wie unbewusst oder
unter dem Druck der Verhältnisse die Freiheit seines Willens zur Entscheidung
für Gott benützt, so wirkt sich doch auch in diesen Fällen der schon erworbene
Tugendhabitus vor Gott in voller Freiheit aus und Gott beurteilt und schätzt
die Handlungen der Menschen vor allem nach ihren guten Absichten an seinen
Willen.500 Selbst wenn der Mensch einmal in der Verwirrung einer
augenblicklichen Lage einmal nicht entsprechend seinem schon erreichten
Vollkommenheitshabitus handelt, so findet vor Gott gleichsam auch eine solche
infolge des augenblicklichen Zwanges unüberlegte aber gut gemeinte Entscheidung
Verstehen und gibt er auch dafür Entschädigung und Belohnung.501
1946 |
Wohl
die wunderbarste Folge des vollkommenen Tugendhabitus Mariens ist in ihrer
Psychologie die Einheit und Einfachheit der Betätigung der Seele bzw. die
Zusammengeschlossenheit all ihrer Bewegungen und Fähigkeiten zu einer
gemeinsamen Tat, einer lebendigen, vollen und vollkommenen Tat Gott gegenüber.
Bei gewöhnlichen Menschen besteht nämlich auch in einem schon vorgeschrittenen
Vollkommenheitsstreben immer noch ein gewisses Suchen, Wanken und Schwanken,
Widerstreben und Widersprechen, auch wenn es schließlich doch zur guten Tat,
und Handlung kommt. In Maria aber bestanden diese Schwankungen und Widersprüche
nicht; sie hatte ja nicht die moralischen Folgen der Erbsünde an sich und war
deshalb jeden Augenblick mit all ihren Kräften und Anlagen zu einer
vollkommenen Handlung fähig und dazu bereit. Alles in ihr tat gleichsam
jederzeit mit zum Guten und so liebte sie tatsächlich immer Gott aus ganzem
Herzen und aus allen Kräften. Sie besaß ja auch in sich die volle Ordnung und
Hinordnung auf Gott, der das klare und höchste Ziel all ihrer Handlungen war,
während die gewöhnlichen Menschen dieses Ziel erst immer wieder von Neuem
suchen und festlegen und sich entsprechend überprüfen müssen. So liefen in
Maria gleichsam alle seelischen Bewegungen und Akte in einer lebendigen Linie
zusammen und wurden in der Ausübung zu einer Tat, weil schon alles zu dieser
guten Tat in entsprechender Vollkommenheit vorbereitet und bereit war. In Gott
besteht nicht nur Fähigkeit oder Bereitschaft, sondern ständige „Tat“, und zwar
in einem Akt und in höchster Vollkommenheit; ähnlich liefen die geschaffenen
Fähigkeiten Mariens infolge ihrer harmonischen Ordnung in sich selber und Gott
gegenüber zu einer gemeinsamen guten Tat zusammen. Während sonst auch bei
vollkommenen Menschen die äußere Ausführung hinter dem besseren Einsehen und
Wollen weit zurückbleiben kann, war in Maria Seele und Leib und deren Kräfte
harmonisch geordnet und das gab ihr eine wundersame Freiheit und geistige
Beweglichkeit502, dass sie ihren geistigen Vollkommenheitshabitus auch nach
außen ausführen konnte,503 zumal sie von einer gewissen Schwere der gefallenen
Natur frei war. – Dieser geistige Vollkommenheitszustand überhob sie aber nicht
den irdischen Leiden, oder dass sie ihre Leiden nicht gefühlt hätte, die sie im
Gegenteil zur Königin der Märtyrer machte; ihr vollkommener Tugendhabitus war
aber auch darin insofern wirksam, als ihre Tugenden dabei aktiv gebraucht und
die Leiden mit dem ihr eigenen Vollkommenheitsmaß getragen wurden. –504 Durch
diese Zusammenfassung und diesen einheitlichen Zusammenschluss ihrer
Fähigkeiten war das Leben Mariens die volle Verwirklichung der in ihr
angelegten Möglichkeiten und Werte. Die Möglichkeit des Zusammenfassens und
Zusammenschlusses aller Kräfte in der Einheit und Einfachheit der Seele und
ihrer Lebensbetätigungen ist ja in gewissem Sinn psychologisch das Größte, was
die Seele an Wertmöglichkeiten in sich besitzt und deren Verwirklichung gibt
ihr erst den vollen und ganzen Wert. Dann erst besteht ja wahre und wirkliche
Tugend, wenn sie sich auch entsprechend betätigt und bewährt.
1947 |
Eine
weitere Folge des vollkommenen, eingegossenen Tugendhabitus in Maria bestand
darin, dass alle seelischen Wertmöglichkeiten bis aufs Höchste ausgenützt,
verwertet, gebraucht wurde und dass ihre Betätigung wie ein Naturzustand war.
Ihre Freiheit war ja ganz und immer schon in Gott aufgegangen und ihr ganzes
Leben war auch im Einzelnen eine wie naturhafte Betätigung und Verwirklichung
der in ihr grundgelegten Güter und Werte und Möglichkeiten, war eine menschlich
vollkommenste Auswirkung ihres inneren vollkommenen Habitus. – In diesem
Erkennen über Maria liegt noch ein anderes in Worten nicht ganz zu erklärendes
Geheimnis: Maria tat in allem das menschlich Vollkommenste. Es gab in ihrem
Leben kein Mittelmaß noch eine weniger vollkommene Tat. Zwar bestand
selbstverständlich ein Unterschied hierin zwischen ihrem Jugendleben und ihrem
späteren Leben, wo sie naturgemäß auch in der Tugend gewachsen war, aber sie
tat in jedem Augenblick das Vollkommenste, das ihr möglich war, verwirklichte
jeweils die höchstmögliche Werte. So tat sie, was nie ein Mensch, außer
Christus tun konnte, weil in ihr schon der vollkommenste Habitus und damit die
vollkommenste Tatmöglichkeit gegeben und vorhanden war. – Für gewöhnlich kann
sich der Mensch ohne besondere Gnade Gottes überhaupt keinen rechten Begriff
machen von der Hoheit eines solchen bestehenden Tugendhabitus, durch den jede
einzelne gute Tat schon Natur ist, d. h., von Natur aus und wie von selber gut
ist und wodurch somit das ganze Leben mit allen Akten wie von sich selber schon
vollkommen und gut ist (und bei Gott ist überdies jede Tat und jeder „Akt“ von
Natur aus höchst vollkommen). Es ist auch für die meisten schon schwer, sich
ein Bild zu machen von jenem höheren Seelenleben, wo die Schwierigkeiten der
Seele schon mehr oder weniger überwunden sind, wo also die Seele schon ohne
weitere Besinnung vollkommen handeln KANN, (d. h. vollkommen nach menschlichem
Begriff), wo die inneren Wertmöglichkeiten der Seele schon in der Praxis und
Tat geübt und verwirklicht werden und das Gute schon zur Oberhand gelangt ist.
– Von diesem Zustand ausgehend und aufsteigend kann man sich in etwa ein Bild
machen von dem vollkommenen Tugendleben Mariens, das ein fertiger Zustand ist
und wodurch sie in jedem Augenblick alles mit der jeweils ihr möglichen
höchsten Vollkommenheit verwirklichte und verrichtete.
1948 |
Ich war
heute so sehr in die lebendige Wirklichkeit der Seele Mariens versetzt, und
zwar wurde mir diese erklärt im Zusammenhang und Vergleich mit meinem
Seelenzustand und von da aufsteigend zu weit höheren und geistigen Werte und
Akte. Auf diesem Weg konnte ich in etwa die geistige Vollkommenheitsfülle des
Herzens Mariens erfassen und mir erklären: So war Maria in sich, in dieser
Richtung ging ihr Tugend- und Heiligkeitszustand. Von da aus konnte ich mir
auch erklären, wie ihre menschlichen Vorzüge Möglichkeit und Mittel boten, um
den reinsten Leib der zweiten göttlichen Person zu formen, weil eben die
allerhöchste Grundlage und Anlage hierfür in Maria schon gegeben war. Darum
brauchte Gott – um mich menschlich auszudrücken – im Augenblick der
Menschwerdung Christi nicht erst ein Wunder in Maria zu wirken, damit sie fähig
würde, wahre Mutterstelle gegenüber dem menschgewordenen Wort einzunehmen. Es war
vielmehr so, wie der Engel es ihr verkündet hat: Du bist voll der Gnade!
Gott hat nämlich jenes Wunder schon vorher, im ersten Augenblick ihrer
Empfängnis, in Maria gewirkt, im Hinblick auf ihre allerhöchste Auserwählung
hat er sie mit jener reinen Seele bekleidet und ausgestattet, wie er sie sich
für den Menschen im Urzustand gedacht hatte, als wahres Kind Gottes. Alle
weitere Schönheit und Heiligkeit bis zur Menschwerdung Christi in ihr hat sich
dann Maria gleichsam selbst „erworben“ durch ihr freies Mitwirken mit den
Gnaden und Anlagen, ähnlich wie ein Baum vom Keime und von der Wurzel aus sich
entfaltet, seine Kraft aus der Wurzel nimmt und emporwächst. Mariens Seele
glich einem Ackerfeld, das ganz gesäubert ist von jedem Unkraut, weil Gott
selbst sie gleichsam als Ackerfeld benützten und aus ihrem Boden wachsen und
aus ihr alles das nehmen wollte, was seinen göttlichen Habitus tragen und
zugleich dafür tragbar sein sollte: die reinste und heiligste Menschheit
Christi. In Maria war schon das vorhanden, was Jesus als Mensch zu seiner
göttlichen Natur hinzu und dieser ohne Disharmonie entsprechend und würdig
brauchte. Darum ist die höchste Krone Mariens die Gottes-Mutter-Würde, in deren
allerhöchsten Dienst ihre Makellosigkeit und Heiligkeit gestellt wurde, die
dafür Vorbereitung war.
1949 |
Vorwärtsblickend habe ich in Maria auch wider
meinen geistigen Weg geschaut und das Ziel erkannt, nämlich in Maria jenen
Zustand der Reinheit und Vollkommenheit zu erreichen, der es mir möglich machen
wird, die göttliche Erlöserperson zu erleben. Der Paradieseszustand wurde mir
wiederum als das Mittel gezeigt, das mich innerlich derart vorbereitet, dass
ich die göttliche Person Christi erfassen und ihn in seinen innersten,
göttlichen Beweggründen verstehen und erleben kann. Erst mit dem wesentlichen
Vollkommenheitszustand der Paradiesesseele ist die Möglichkeit dazugegeben.
1950 |
Ich
erkannte auch wieder: Ich werde dieses Ziel erreichen, das heißt, es wird mir
gegeben werden, weil es die fruchtbare Grundlage und Voraussetzung für die
Absichten Gottes in mir ist. Ich schaute die Art und Weise dieser Möglichkeit
und ich wurde angehalten und angetrieben, daran zu glauben. Es war mir auch
möglich und leicht, an dies menschlich ganz unmöglich Scheinende zu glauben;505
denn ich sah, wie dieser Zustand begründet und seine Möglichkeit mit
eingeschlossen ist in den Erlöserverdiensten Christi und wie er durch besondere
Gnade Gottes schon in mir vorbereitet ist. Er wird abgeschlossen werden mit
einer Gnade der Befestigung und der Umwandelbarkeit als Dauerzustand zur
Ermöglichung und als Mittel für meine geistige Aufgabe. Ich konnte gut
verstehen und erkennen, wie meine Seele, auf diese hohe Weise befähigt, den
Akten der zweiten göttlichen Person folgen kann, nachdem sie jetzt schon
ununterbrochen auf dieses Ziel und damit auf die letzte Auswirkung aller mir
geschenkten Gnaden hingeführt und dafür befähigt wird. Das Erleben des inneren
Lebens Jesu läuft eigentlich jetzt schon parallel mit meiner geistigen
Vorbereitung mit, damit ich auch die göttliche vollkommene Wesentlichkeit
Christi ertragen zu können lerne.
1951 |
Ich
kann nicht anders als glauben an die mir versprochene geistige Grundlage des
Paradieseszustandes, weil ich diesen als wesentliche Notwendigkeit für das
Erleben des Erlösers im Zusammenhang mit den göttlichen Eigenschaften Christi
erkannt habe.
1952 |
Seit
gestern Abend bin ich wieder sehr im Leiden, das mich einer ungehemmten
Freiheit in mir selbst und einer umfassenden und allgemeinen Geschlossenheit
und Harmonie zwischen Seele und Materie zuführen soll. Diese seelischen Stadien
aber, die ich jetzt durchlebe, kann man den Außenstehenden nicht mit Worten
erklären, wenn ich selbst sie auch noch so klar erlebe.
1953 |
Schon
am Morgen erfasste ich zugleich mit meinem inneren Weg und den begleitenden
Leiden auch die Seele Mariens in ihrer unerreichbaren Heiligkeit und
Vollkommenheit des Paradieseszustandes. Dabei wurde mir nicht so sehr ihre
Sündenlosigkeit vorgeführt als vielmehr die Art ihres gotthingeordneten Wesens.
Das ist vielleicht das Wunderbarste an Maria: Die volle Harmonie ihres Seins
und die Fülle ihrer geistigen Freiheit, mit der sie Gott hingegeben war und ihr
Gesamt-Innenleben in Gott aufging. Mit dem Wort „Freiheit“ meine ich hier die
ungehinderte Hingabemöglichkeit und Bereitschaft ihres ganzen Seins, auch ihrer
leiblichen Kräfte, an Gott in der vollen Harmonie ihres Wesens, die
Ungehemmtheit und das Ungehindertsein in der Hingabe an Gott. Dabei habe ich
wieder jene unübertreffliche volle Gottebenbildlichkeit erkannt, kraft welcher
eine Seele unmittelbar gottfähig und gotthingabefähig wird, jene
Gottebenbildlichkeit, die zur höchsten Erkenntnis Gottes führen kann, weil
nämlich damit die besten Bedingungen gegeben sind, um Gott nahezukommen und ihn
zu erkennen. Dazu ist auch jene Vollkommenheit des seelischen Habitus
vorausgesetzt, wodurch schon alles in der Gesamtstruktur der Seele naturhaft
(in der Übernatur) gut und geordnet ist. – Ich kann diesen Zustand nur aus den
eigenen Erfahrungen im Innenleben heraus innewerden; er wird mir auch durch den
Hinweis und Anknüpfung an meinen eigenen Seelenzustand erklärt. Heute Morgen
war es aber ein Dauerzustand, in dem ich die Seele Mariens gleichsam mit meiner
Seele zusammen erfasste und um sie wusste.
1954 |
In der
heiligen Messe am Vormittag hatte ich die besondere Erkenntnis über den
Aufstieg der Seele Mariens zum höchsten Zustand in Gott und zur höchsten Stufe
der Gottebenbildlichkeit (die mir gezeigt wurde), in der sie Gott so ganz
nahekommen konnte. Es wurde mir gezeigt, wie in Maria der Urplan Gottes, den
Menschen als wahres Gotteskind zur Vereinigung mit ihm zu führen, höchste
Wirklichkeit geworden ist. – In Maria waren alle Bedingungen erfüllt, die eine
ungehinderte direkte Gotteserkenntnis ermöglichen und mit
sich bringen und eine Seele sozusagen auf einem „ebenen“ hindernislosen Weg wie
selbstverständlich zu Gott gelangen lassen. Ich schaute nämlich in Mariens
Seele das vollkommenste geschaffene Ebenbild Gottes mit der – in Worten nicht
mehr weiter erklärbaren – Folge und Möglichkeit, in Kraft und Auswirkung dieser
Ebenbildlichkeit, gleichsam Verwandtschaft und Zugehörigkeit zu Gott sich ganz
in den „Dienst“ Gottes zu stellen, aber nicht bloß in einen „Dienst“ nach
unseren gewöhnlichen menschlichen Begriffen, sondern im Sinne der bewussten
Harmonie und Übereinstimmung ihrer höchsten Seelen- und Geisteskräfte mit Gott
und seinen heiligen Absichten und Wünschen. Gerade dadurch wird aber die
höchste Absicht Gottes, die er bei Erschaffung des Menschen hatte, erreicht und
verwirklicht; der Mensch ist nämlich berufen, Vermögen seiner
gottebenbildlichen, gottgemäßen, sozusagen gottverwandten Anlage direkt zu Gott
zu kommen und ihn ihm und seinem heiligen willen aufzugehen. Die Anlagen und
Fähigkeiten der Seele Mariens liefen in ihrer höchsten Vollendung wirklich in
geschaffener Weise parallel und übereinstimmend mit den seinshaften, göttlichen
Anlagen; ihre Anlage und Ausstattung war so vollendet, dass ihr eine
unmittelbare Erkenntnis Gottes möglich war (aber nicht unmittelbare
Gottesschau)506. Selbstverständlich blieb dabei in ihr immer noch
die Möglichkeit und damit Verpflichtung und Antrieb geistigen Wachstums Gott
gegenüber und immer höheren Aufstiegs und innigerer Vereinigung.
1955 |
Ich erkannte innerlich auch die Unterschiede
der Seele Mariens gegenüber der Paradiesesseele. Gott gab Maria bei ihrer
Erschaffung die reine Seele, wie er sie sich ursprünglich für alle Menschen
gedacht hatte, ausgestattet mit der Reinheit und den Vollkommenheiten des
wahren Gotteskindes. Maria unterlag aber schon dem Leibe nach den Folgen der
Erbsünde, als da sind Leidensfähigkeit, Vergänglichkeit, Tod; die Folge der
Erbsünde trafen aber auch gewisse, nicht moralische Anlagen ihrer Seele. Wohl
waren auch ihre Geisteskräfte mit außerordentlichen Gaben ausgestattet, aber sie
hatte doch nicht von Anfang an jenes besondere, den ersten Menschen vor der
Sünde gegebene, übernatürliche Verstandeslicht, wodurch sie Gott in einer
besonderen, unmittelbaren Weise erkennen konnte. Mariens inneres Leben
entwickelte und entfaltete sich ganz aus dem Glauben an Gott und aus der Treue
gegen Gott. – Anderseits trug Maria im Hinblick auf ihre hohe Berufung die
wesentlichen, höchsten Anlagen in einer ganz außerordentlichen Fülle in sich,
in weit größerer Fülle als die ersten Menschen vor dem Sündenfall. Daher hatte
Maria auch im ersten Augenblick bei507 der Erschaffung ihrer Seele
eine – von jener besondere, der ersten Menschen verschiedene – hohe Art der
unmittelbaren Erkenntnis Gottes (aber nicht die unmittelbare Schau Gottes,
sondern: Für gewöhnlich muss man einem Kind in den Unterscheidungsjahren von
Gott erzählen, ihm Gott durch äußere Einwirkung nahebringen. [Im Gegensatz
dazu] wusste Maria als kleinstes Kind im tiefsten Sein ihre Seele von Gott. Sie
hatte ein wie naturgegebenes Wissen von Gott, gemäß ihrer außergewöhnlichen,
übernatürlichen Ausstattung ihrer Seele.)508, und die den Zustand
der wesentlichen Reinheit, Makellosigkeit und Vollkommenheit ihrer Seele
entsprach, wenn sie auch hinsichtlich der besonderen, unwesentlichen Gaben und Privilegien
des Verstandes und der Geistesfähigkeiten der seit der Erbsünde für die
Menschheit bestehenden Ordnung unterlag. Auch diese besagte Art der
Gotteserkenntnis Mariens geht aber weit über unsere Begriffe hinaus, da wir
eigentlich nie ganz eindringen können in ihre Seele, frei von Sünde und
Begierlichkeit und erfüllt von ihrer Gotteserkenntnis, die ihrer Vollkommenheit
und ihren Vorzügen entsprach. (Maria war aber keine Mystikerin nach unseren
Begriffen; in ihr war dieser Weg gleichsam übersprungen. Es war in ihr alles
eine Naturanlage mit besonderer übernatürlicher Ausstattung.)509
Diese von Anfang an sehr hohe Gotteserkenntnis in Maria wuchs aber infolge
ihrer treuen Mitarbeit und Bemühung ständig bis zu jenem Grad und zu jener
höchsten Art Gottesfähigkeit, wodurch sie würdig unangepasst war, um Gott
selbst in sich zu tragen. – Zu diesem geistigen Fortschritt Mariens waren aber
keine besonderen Leiden notwendig, wie dies bei uns gewöhnlichen Menschen
infolge unseres Hanges zur Sünde und unseren bösen Neigungen der Fall ist; uns
muss Gott so vieles gleichsam erst entreißen und wegnehmen, damit wir uns, ich
möchte sagen, gezwungen sehen, Gott allein als den Gegenstand unserer Liebe und
Abhängigkeit anzuerkennen. Gewiss war Maria gleich uns leidensfähig, aber ihr
waren die Leiden und Schwierigkeiten ihres Lebens von Anfang an ein Mittel, um
ihre Seele zur vollen Entfaltung gelangen zu lassen, ein Mittel zur Bewährung
der in ihr grundgelegten Tugenden Unvollkommenheiten. Von innen heraus hat sich
ihre Seele entfaltet und ist auf diesem Weg zu jener unübertrefflichen und
unerreichbaren Heiligkeit emporgewachsen. – So hat also Maria in gewisser
Hinsicht scheinbar „weniger“ empfangen als die ersten Menschen, aber die
wesentlichen Anlagen zur Heiligkeit waren in ihr doch viel höher510
als bei jenen und sie hat auch ungleich mehr erreicht, als die ersten Menschen
trotz der Übernatürlichkeit ihrer ersten Anlage jemals hätten erreichen können.
Maria ging dabei in ihrem Leben im Wesentlichen den Weg des Glaubens und des
durch die Gnade ermöglichten Ereignisses der höchsten Vollkommenheit und
Gottähnlichkeit. Vollauf gilt von ihr das Wort der Heiligen Schrift: „Viele
Töchter haben Reichtümer gesammelt, du aber hast alle übertroffen“. Maria hat
zu der gottgegebenen Anlage der Makellosigkeit ihre eigenen Verdienste gelegt
und jenen göttlichen Schatz zu hundertfachem Ertrag gebracht.
1956 |
Im Erleben der Seele Mariens und ihrer
geistigen Entwicklung habe ich auch wieder die große Entfaltungsmöglichkeit der
Menschenseele überhaupt511 geschaut und habe tief erkannt, wie die
Seele nur für Gott und die Angleichung an Gott geschaffen ist; wie sie in ganz
hohem Maß sich zur vollen Gottebenbildlichkeit emporringen kann; wie sie auf
diesem Weg zum endlichen Genuss und Erfahren Gottes in etwa schon hienieden und
voll dann im Jenseits gelangen kann.
1957 |
Gleichzeitig wurde mir meine eigene geistige
Entwicklung in höherem Maße erklärt und zum Bewusstsein gebracht: Die
Umstellung nämlich und die Vervollkommnung meiner Seelenfähigkeiten, damit sie
unmittelbar der göttlichen Person dienstbar zu sein vermögen. Diese
Möglichkeit geht über den Paradieseszustand hinaus und für dieses Ziel zeigt
sich mir Maria als Vorbild und Führerin.
1958 |
Es ist eine merkwürdige Tatsache im höheren
Seelenleben, dass man auf den höchsten Stufen des Erfassens Gottes und im
Genuss Gottes zugleich auch im tiefsten Leidenszustand sich befinden kann. So
habe ich in den letzten Tagen meine durch Leiden vollzogene geistige Vollendung
erlebt und zugleich war ich im Erleben des Inneren512 Mariens. Ich
genoss anscheinend meine letzte und höchste Vorbereitungsstufe, die mich in den
wirklichen Vereinigungszustand mit Jesus einführen soll – der mir vorbildlich
in Maria gezeigt wurde –, aber zugleich litt ich derart, dass ich meinte, mein
Herz müsse mir stillstehen vor geistigem Schmerz. Gleichzeitig, mit jener Stufe
der Vollkommenheit, litt ich eben513 auch noch etwaigen Widerspruch
der Natur in mir. Es war dies gleichsam ein Doppelerleben514, aber
im Grunde doch nur ein Erleben, in dem die Wirkung des höchsten und des
niederen enthalten waren. Ich war wie aufgegangen in Christus und lebte mein
Eingefügt-Werden in seine göttliche Person, aber zugleich war ich auch tief
vernichtet und verdemütigt wegen des völligen Aufgebens alles Eigenen, das für
jenen letzten Zustand in Christus erfordert ist und auch wegen eines gewissen
Widerspruches der Natur gegen dieses höchste Erleben.
1959 |
Gestern Abend litt ich noch mehr515,
aber heute Morgen war ich in einem völlig veränderten Zustand. Die geistige
Geschlossenheit und Einfachheit meines inneren war mir nun wie ganz natürlich
und schien mir nichts Außergewöhnliches, sondern geradezu etwas
Selbstverständliches zu sein,516 als ob es so sein müsste, obwohl
mir dieser jetzige – wie mir scheint – höchster Zustand beim früheren
Vorausleben als etwas ganz Außergewöhnliches vorkam. Dieser Zustand ist jetzt
wie mein Naturzustand geworden und ich scheine wie auf gleicher (Höhe)517
Ebene gegenüber dem Wesen Gottes, wobei das wunderbarste an diesem wirklichen
Zustand die unaussprechliche Einfachheit ist. – Zugleich war ich eingeführt in
das Innere Christi, das aber mein Eigenes und Gewöhnliches zu sein schien und
mir auch nicht mehr als etwas Außergewöhnliches vorkam wie bei früherem
Vorauserleben. Dieses „Erleben des göttlichen Seins selbst“ ist vergleichbar
mit seinshaften, geistigen Blitzen, in denen Gott sich äußert und mitteilt.
1960 |
Ich wurde innerlich aufmerksam gemacht: Jesus
lasse mich nun sein wesentliches Verhältnis im Vater erleben. Und zugleich
wurde ich in einen wunderbaren Zustand versetzt, für den es überhaupt kein Wort
gibt. „Ich war im Zentrum meines Seins und ich lebte den Widerschein und war
zugleich selbst der Widerschein meines Zentrums“; so etwas wurde mir „mein
Geheimnis im Vater“ erklärt. Es war mir im gleichen Augenblick, als habe ich
bzw. meine Seele glühende Fühler, mit denen ich das göttliche Wesen des Vaters
betastete und wahrnahm. In diesem Erleben ist nichts mehr, was einem Worte oder
sprechen ähnlich wäre, man vernimmt kein Wort mehr, sondern alles vollzieht
sich in augenblicklichem geistigen Verstehen und Spürhaftigkeit.
1961 |
Von der Höhe dieses wunderbaren Vorgangs aus
konnte ich ermessen, welchen ungeheuren Weg seelischer Reinigung und Erhebung
ich durchschritten haben muss, dass ich mich wortlos mit Gott verstehen kann.
Wo früher in meinem Inneren noch wortähnliche Bewegungen waren, da waren es nun
glühende Blitze518 und diese ließen mich und den Vater erkennen, das
Zentrum meines Seins. O, diese wunderbare geistige Feinfühligkeit! Und der
naturhafte Zustand auf dieser Ebene meines Seins und Lebens! Es ist
unaussprechlich, was man mit Gottes Gnade erreichen kann und in welchem Maße
sich die Seele dem Wesen Gottes mit seiner besonderen Gnade519
anpassen kann und in welch wunderbare Weise Gott sich zu einer Seele herablässt
und sich ihr anpasst. Ich wusste dabei tiefer noch um das Geheimnis der Seele,
die gleichsam „vom Munde Gottes“ ausging, mit gottähnlichen, geschaffenen
Anlagen, und die wieder zu Gott zurückkehren kann und so Gott dienstbar sein
kann, wie ich es augenblicklich erfuhr. Ich erlebte in mir die Bestätigung der
Gottebenbildlichkeit der Seele, besonders jener Seele, welche Gott durch
besondere Gnade in den ersten Zustand zurückgeführt hat.
1962 |
Ich weiß, diese wunderbare Dienstbarkeit
gegenüber Gott bzw. gegenüber der zweiten göttlichen Person im Vater wird bei
mir Naturzustand werden und ich stehe an der an der Schwelle dieser kommenden
Erlebnisse. Voraus gehe – so wurde ich inne – der Paradieseszustand, für den
ich die moralische Befestigung hätte520. Ich spüre auch, wie nun ein
geistiger Weg und Abschnitt in meinem Innenleben521 zum Abschluss
gekommen ist und wie nun ein ganz neues Stadium in meinem Innenleben522
beginnt. Ich weiß, in welcher Art und Weise ich Jesus erleben werde und ich
weiß um das wesentliche Verhältnis Christi zum Vater, aber auch um die Art der
Verdemütigung der zweiten göttlichen Person in ihrer Menschwerdung, was ich
ebenfalls blitzartig erfasste.
1963 |
Ich bin nun dem Wesentlichen meines geistigen
Zieles sehr nahe gekommen und ich weiß darum in einer solchen Klarheit und
Tiefe, von der ich vorher keine Ahnung hatte und mir auch keine Vorstellung
machen konnte. Und dies alles verdanke ich nebst der Gnade Gottes jenen großen
und jahrelangen Leiden, durch die er mich hindurchführte.
1964 |
Ich habe nun das wirkliche göttliche Leben und
Erleben gekostet – wie es meiner geistigen Aufgabe entspricht –523
und damit ist mir aber mein Eigenes neu zum Ekel geworden und ich habe mich mit
voller Hingabe wiederum dem Heiland geopfert für seine Absichten, die ich
kenne. Es wird nun wie524 mein Dauerzustand werden dieses erleben
Jesus im Vater, das beständige Zeugen und Hervorgehen des Wortes im
Erlöserleben (dessen ich blitzartig im Wesentlichen innegeworden bin), ebenso
die wunderbare Einheit des Vaters im Sohne bzw. des Sohnes in seiner
menschlichen Natur und seinem Erlöserleben im Vater525. – Alles dies
ist mir aber so „nahe“, so „eben“ und glatt und einfach, wie man sich einem
Menschen gegenüber befindet, den man gut kennt. Durch die Gnade Gottes habe ich
ein so naturhaftes Verhältnis zu Gott erreicht, als wäre kein Abstand mehr
zwischen Jesus und mir.
1965 |
Nachdem ich in allem Vorhergehenden die Treue
und Wahrheit der Verheißungen Jesus wirklich526 erfahren habe, ist
die Gewissheit und Überzeugung in mir, dass ich auch jenen Dauerzustand in
Jesus tatsächlich erreichen werde.
1966 |
Nach den unaussprechlichen Leiden, die in den
letzten Tagen von innen und außen auf mich eingestürmt sind, bin ich nun heute
wieder in großem Frieden. Ich bin wie herausgenommen aus allem Irdischen und
vor allem aus mir selbst, bin von allem wie befreit und in mir geistig und
befestigt.
1967 |
Ich lebe eine Vergeistigung, die mich (nach
meinem Urteil) einer unmittelbaren Erlebnisfähigkeit des Erlöserlebens
nahebringt und in mir ein unmittelbares Gotteserlebnis ermöglicht. (— Damit
meine ich nicht jene höchste Unmittelbarkeit, wie sie im Himmel oder in der
Seele Christi oder Mariens ist, sondern die für meinen geistigen Beruf nach den
Absichten Jesus entsprechende und notwendige Unmittelbarkeit. –) Das göttliche
Leben, von dem ich ständig geführt und beeinflusst werde, lenkt mich auf die
Unmittelbarkeit der Einheit mit Christus hin und drängt mich, dass ich mich
diesem Zustand habituell übergebe, das Eigene, Persönliche gleichsam „unten“
lasse und auf jener mir gegebenen Höhe mich befestigen lasse.
1968 |
Ich bin auch wirklich in der schon errungenen
Verfassung, die mich fähig macht, einzugehen in jene mir gebotene Einheit mit
dem Erlöser. Es ist in mir ein ständiges rein geistiges Anbieten vonseiten Jesu
und eine schon in mir ermöglichte und darauf antwortete Hingabebereitschaft
meinerseits. Dieses göttliche Angebot und meine Bereitschaft sind geistige
Bewegungen in mir, die sich im Augenblick verstehen, ergänzen und
ineinanderfließen. Es handelt sich dabei nicht um irgendwie gefühlsmäßige
Gnaden, sondern alles vollzieht sich in einer Tatsächlichkeit, Wirklichkeit,
Geistigkeit und Einfachheit, die ermöglicht und herbeigeführt ist durch den
Zustand der Einheit zwischen den göttlichen Kräften und den meinen. Gott lässt
aber auch in diesen höchsten Gnaden die Seele selbst entscheiden und diese
erlebt ihn sich jene Probe ihrer Fähigkeiten. – Ich spüre nun in mir kein
„Wehren“ oder Fürchten mehr vor dem unmittelbaren „Erfassen des göttlichen
Wesens“. Die Seele hat sozusagen schon geistige Fühler bekommen, mit denen sie
Gottes Wesen gleichsam betasten kann, und in einem Augenblick spürt und erfasst
sie auch die Folgerungen und Konsequenzen jenes Eingehens auf die göttlichen
Absichten und sie weiß um ihre eigene Befähigung dafür. Entsprechend diesem
geistigen Erfahren drängt alles in mir zu Gott hin und von dort strömt auch die
größte Zugkraft auf mich zu. Mein ganzes Inneres ist darum ein ständiges „nimm
mich hin“! Ich will nichts mehr für mich, nur noch deinen Absichten dienen.
1969 |
Diese Erlebnismöglichkeit für Gott ist heute
weit unmittelbarer als auf den vorhergehenden Stufen, obwohl, oder vielmehr
gerade weil ich von Gott, bzw. Jesus nichts fühle oder erlebe und mein
Seelenzustand unsagbar einfach ist und wie selbstverständlich scheint. — (In
diesem Sinne ist mein Innenleben nicht mehr mystisch, wenn man damit
außergewöhnlich Scheinendes und Fühlbares meint, sondern es ist eine wie
naturhaft gewordene Betätigung der durch besondere Gnade gleichsam
freigemachten und geweckten höchsten Anlagen der Seele Gott Gegenüber). – Ich
bin in merkwürdige Weise aufgenommen in das göttliche Leben der zweiten Person,
bin für dieses in wesentlicher Weise bereitet. Gerade diese Unmittelbarkeit
Gottes in mir und mit mir gibt mir diese unaussprechliche Einfachheit meines
Seelenzustandes. Zwar fehlt mir noch der letzte, versprochene Zustand der
habituellen Befestigung in einem unwandelbaren Dauerzustand, aber ich spüre wie
das göttliche Leben mich immer mehr vollendet und dauernd fähig zu machen sucht
– was sich aber immer in feinen und tiefen Leiden vollzieht.
1970 |
Am vergangenen Sonntag (den 13. Dezember) Habe
ich die für den Dauerzustand erforderte Erhabenheit der Seele erfasst und
dieses Wissen ist mir als Ziel haften geblieben. Vorbildlich dafür wurde mir
die göttliche Mutterschaft Mariens bewusst gemacht527. – Da ich kurz
nachher wieder sehr im Leiden war, war es mir nicht möglich, das über Maria
innerlich erlebte gleich niederzuschreiben, aber das Wissen darum blieb mir als
Selbsterlebtes in Maria. Über die Art dieses Wissens oder Erkennens muss ich
Folgendes bemerken: Wenn mir auch keine anderen Ausdrücke als „Erkennen“,
„Schauen“ usw. zur Verfügung stehen, so habe ich dieses Geheimnis doch nicht im
geistigen schauen erkannt, sondern der Seelen- und Geisteszustand Mariens wurde
mir mittels meines eigenen Innenlebens und des schon erreichten wesentlichen
Zustandes der Vereinigung mit Gott erfassbar gemacht. Es entwickelte sich eine
Erhöhung und Steigerung meines Innenlebens und ich wurde in den Seinszustand
Mariens versetzt und erlebte in dieser geistigen Erhebung durch eine besondere
Gnade die Funktionen und Betätigung Mariens bei der Menschwerdung Christi.
Bloßes Erkennen und Schauen könnte dieses Geheimnis der seelischen und
leiblichen Mitwirkung Mariens bei der Menschwerdung Jesu nie in solcher Tiefe
den Erkenntniskräften nahebringen. Kraft der seelischen Vergeistigung und
Erhebung aber konnte ich jenen geheimnisvollen Vorgang der Bereitschaft Mariens
so folgen, dass mir dieses Geheimnis wie ein Selbsterlebnis ist, insofern ich
selbst in die wunderbare Bereitschaft Mariens für die Menschwerdung Jesus und
ihre leibliche göttliche Mutterschaft versetzt wurde. – In einem erhöhten Maße
– meine Befähigung zu solchem Erkennen steigert sich in Folge fortschreitender
Vergeistigung immer mehr – wurde ich inne der Erhabenheit des ganzen Seins
Mariens, ihrer geistigen Einfügsamkeit in das Leben der zweiten göttlichen
Person. Ihre Seele war so wunderbar verfeinert, dass sie gleichsam göttliches
Leben Atmen und in sich aufnehmen und ein strömen lassen konnte. Als wahre
leibliche Mutter gab sie dem göttlichen Kind das, was die göttliche Person zum
leiblichen Dasein brauchte. Sie bot dem Kinde Jesu die Erhabenheit ihres
eigenen Seins als Mittel zu einem menschlichen Leben und Dasein der göttlichen
Person. Die seelische Reinheit Mariens hat darum auch Ihren Leib so sehr
vergeistigt, dass er ihre Seele ganz und vollkommen dienstbar war. Durch diese
Einheit und Harmonie Ihres Seins was sie befähigt, der göttlichen Person als
Mutter zu dienen. Ich wurde inne, wie diese Funktion Mariens sich in der
Menschwerdung Christi betätigte, wie alles in Maria, vollkommen bereit, sich
dienstbar machte, und ich habe auch die Auswirkung der seelischen und
leiblichen Erhabenheit im leiblichen Sein des göttlichen Kindes, in der
heiligen Menschheit Jesu, erkannt. Die heilige Menschheit Jesu ist eine
konsequente Folge und Frucht der Heiligkeit bzw. der heiligen Menschheit
Mariens. In Maria war alles das vollkommen vorbereitet, was der Sohn Gottes für
den menschlichen „Träger“ seiner göttlichen Person brauchte, beanspruchte und
beanspruchen musste.
1971 |
Dieses Geheimnis wurde mir aber auch als Bild
und Vorbild für meinen eigenen geistigen Beruf angegeben. Der wirklichen
Mutterschaft Mariens wurde mir gegenübergestellt die mystische Mutterschaft,
die Jesus in mir jetzt vorbereite. Es ist dies freilich unaussprechlich, aber
der Wahrheit entsprechend muss ich es so anführen. – Ich war in jene geistige
Erhabenheit versetzt, die notwendig ist, um Jesus in seinem innersten Geheimnis
als Gott Mensch erleben zu können. Ich wurde inne, wie dementsprechend meine
seelischen Kräfte geformt und gebildet werden, um seinen eigenen göttlichen
Bewegungen folgen zu können. Ich erlebte diese meine eigene Funktion in Jesus
voraus und ich war in den Zustand der vollen Funktion versetzt, war schon
tatsächlich und „tätig“ für Jesus gebraucht. Ich fand mich schon in einer
höchsten Verfeinerung meines ganzen Seins in Jesus aufgegangen und dabei
erschien mir dies noch als mein eigenes Leben. Auf diesen Zustand, in dem ich
mich befand, trifft auch wirklich die Bezeichnung zu, die mir gegeben und womit
mir die jetzige Vorbereitung erklärt wurde: eine mystische Mutterschaft.
Ähnlich wie in Maria besteht meine jetzige seelische Vorbereitung in der
Schaffung einer gewissen Einfügsamkeit in Gott, in der Ermöglichung des
Erfassens und Erlebens des göttlichen Wesens, um ihm in unmittelbarer Weise zu
Diensten sein zu können.
1972 |
Zugleich wurde mir aber auch die Verbindung
jener mystischen Mutterschaft mit dem zu gründenden Priesterinstitut erklärt.
Es wurde mir hierüber das merkwürdige Wort gesagt: Wie eine Mutter das Kind in
sich trägt mit allem, was dem Kinde eigen ist, wie das Schicksal und die
Tragik, die Bedeutung und das Wirken seines Lebens in der Mutter ermöglicht und
vorbereitet wird, so ist in meinem Innenleben das Priesterinstitut begründet
und eingeschlossen und vorbereitet. Das zu gründende Priesterwerk ist eine
Folgerung meines Innenlebens und das Innenleben ist die Begründung und
Bestätigung für das Priesterwerk, weil dieses, seinem Geiste nach in meinem
Innenleben enthalten, begründet und bestätigt sei. Gleichzeitig erlebte ich
eine unzertrennliche Einheit, Zusammengehörigkeit und gegenseitige Begründung
zwischen dem Priesterwerk und meinem Innenleben und ich war dadurch gezwungen,
die Wahrheit des Gesagten zu bestätigen.
1973 |
Ich wurde ferner noch tiefer eingeführt in das
Geheimnis: Wie wurde Christus als Gott zum Leidenden? Es ward mir darauf die
Antwort: Die Gottheit Christi selbst, sein göttliches Sein war selbst das
Gericht über seine Menschheit, mit der zusammen er auch die Sünde der Welt auf
sich nahm528. Es vollzog sich ein unmittelbares Gericht Gottes an
und in seiner Menschheit infolge des Widerspruchs, den er als Erlöser in den
beiderlei Kräften in sich selbst hingegeben und ausgeliefert war. – Dieser Satz
wurde mir dann im Einzelnen analysiert und erklärt.
1974 |
Das göttliche Sein Christi Selbst war das
Gericht über die Menschheit im Widerspruch der Auswirkungen der beiden Naturen
in Christus. Die Vereinigung der beiden Naturen in der einen Person des
Erlösers brachte in seinem Erleben einen ständigen Widerspruch, weil sich die
allerheiligste zweite göttliche Person in der Menschwerdung freiwillig dem
gefallenen Zustand der Menschheit hingegeben hat, denn das war der Zweck seiner
Menschwerdung. Sowohl die Menschwerdung Christi, wie die Menschheit im Zustand
der gefallenen Natur war die Folge der Sünde. So stieg denn die zweite
göttliche Person als Erlöser im Augenblick der Menschwerdung gleichsam in einen
Abgrund, in einen Widerspruch mit sich selbst hinab, der ausgelöst wurde durch
die unmittelbare Verbindung der beiden Naturen in einer Person und zu einem
Leben. Christus gab sich als Erlöser freiwillig dieser Folgerungen und
Auswirkungen dieser unmittelbaren Verbindung des göttlichen und menschlichen
hin. So wurde seine Gottheit zum Gericht, zum unabänderlichen Widerspruch gegen
das gefallene Menschentum, dass er zusammen mit seiner heiligsten Menschheit
auf sich genommen hatte. Vom Wesen Gottes strahlten Reflexe aus auf das
Menschenwesen und damit wurde der Abstand und Gegensatz zwischen dem
geschaffenen und gefallenen Menschlichem und der göttlichen Majestät und
Heiligkeit beleuchtet, erklärt, erhöht und verschärft. – Ich wurde eingeführt
in diese Unmittelbarkeit der Menschheit Gegenüber der Gottheit in Christus,
weil ich das auch wirklich und dauernd so erleben werde – was aber in Worte
wieder nicht ganz erklärbar ist, obwohl es volle Wahrheit und Wirklichkeit im
eigenen Erleben sind. –
1975 |
Eine gewisse Ähnlichkeit und Erklärung jenes
Leidens Christi, bieten mir meine inneren Leiden, die sich in diese Richtung
besonders in den letzten Jahren immer mehr gesteigert und erhöht haben. Der
Heiland lässt dabei die schon erreichte Vereinigung mit ihm wirksam werden als
Mittel zu einer weiteren Reinigung und Vereinigung mit ihm. Gott selbst wird
gleichsam zum reinigenden Feuer in der Seele. Die Vereinigung mit ihm lässt in
erhöhtem Maße den Abstand bis zu einem noch höheren Ziel, das in der Seele
vorbereitet wird, deutlich werden. Gott selbst „beleuchtet“ die Seele und deckt
alle verborgenen Widerstände auf, die unbewussten und ungewollten Hindernisse
und Hemmungen Gott gegenüber, alle Ohnmacht und alles Unvermögen der Seele,
wodurch sie trotz des guten Strebens529 und eifrigen Wollens im
Abgrund ihre menschliche Schwäche liegen bleibt. Da hinein strahlt gleichsam
unbarmherzig das göttliche Licht und die durch dieses unmittelbare göttliche
Licht verursachten Leiden sind unter allen Leiden die tiefsten und
verzehrenden, wenn auch nie ganz erklärbar für jenen, der nicht die Schärfe und
Kraft des wesentlichen Lichtes Gottes empfunden hat. – Daraus erklärt sich auch
das psychologische Geheimnis: Wie man im höchsten Erfahren und Genießen Gottes
zugleich in den größten seelischen Leiden sein kann, für die es keinen Ausdruck
gibt. Man kann da in Wahrheit530 sagen: Gottes Wesen verzehrt mich,
erhebt mich in sich selbst und deckt gerade in Folge dieser besonderen Nähe zu
ihm alle denkbaren Widersprüche und Unstimmigkeiten in der Seele auf. Sein
allerreinstes Wesen senkt sich gleichsam in den Abgrund der menschlichen
Schwäche, Ohnmacht, Sündhaftigkeit und lässt diese, gerade durch den
Unterschied und Gegensatz mit seinem Wesen schmerzlich innewerden.
1976 |
Mittels dieser eigenen Erfahrungen wurde mir
nun das Geheimnis des Leidens Christi nahegebracht. — Zu dessen richtigem
Verständnis muss man zunächst das Geheimnis der wesentlichen Seinsverbundenheit
des ewigen „Wortes“ mit der gesamten Menschheit im Auge behalten. In Gott ist
irgendwie alles enthalten, auch der Fall der Menschheit, und dieser Fall hat
sich im Gott–Menschen Selbst vertretend ausgelöst und ausgewirkt, weil er
selbst es wollte. – Christus nahm als Erlöser freiwillig alle Sünden der
Menschheit auf sich, und darum war mit seiner heiligsten Menschheit auch das
ganze Menschentum – das liegt im Geheimnis der Seinsverbundenheit des
göttlichen Wortes mit der gesamten Menschheit –531, die gesamte
Menschheit untrennbar verbunden und gleichsam an ihn gebunden. Er hatte das
volle Wissen um den Zweck seiner Menschwerdung und um alle sich daraus
ergebende Folgen und Folgerungen, weil er freiwillig und stellvertretend sich
diesem Erleben hingab. Seine göttliche Person bot sich als „Mittel“ zur Tilgung
jener ungeheuren Schuld vor Gottes Gerechtigkeit an und somit wurde er selbst zu
diesem Mittel und erlebte in sich selbst jenen göttlichen Widerspruch und
Abscheu gegen die menschliche Unordnung, dem er sich freiwillig aus Liebe
überantwortet hatte. Dieses Leiden der göttlichen Erlöserperson in ihrem
gottmenschlichen Wesen wurde der göttliche Ersatz vor Gottes Gerechtigkeit. Das
Feuer selbst erlitt gleichsam den Verbrennungstod und löschte damit die Schuld
vor Gottes Gerechtigkeit. In ihm traten die beleidigte Gottheit und die
Beleidigerin Menschheit in der unmittelbaren Nähe und Vereinigung in der einen
göttlichen Person einander gegenüber und durch das Leiden des sich daraus
ergehenden Widerspruchs hat der Gott–Mensch die Möglichkeit der Heilung für die
Menschheit erlitten und sich selbst zum Mittel und Mittler gemacht. Zu diesem unmittelbaren
Widerspruch im Wesen des Mittlers kamen noch die Verdemütigungen seines
Mensch—Seins, die Armut, Verfolgung usw. hinzu. Auch diese bedeuteten aber ein
noch größeres inneres Leiden, wenn man den Zweck seiner Menschwerdung und das
volle Maß des Widerspruchs alles dessen gegen das Wesen und die Rechte seiner
göttlichen Person zu würdigen versteht. Jesus erkannte nämlich in seine
Menschwerdung die Armut und Not usw. als direkte Strafe für die Sünden der
Menschen an und nahm sie als solche auf sich. Sein ganzes äußeres Erlöserleben
war kraft der unmittelbaren Folge des Widerstreits mit dem Wesen und den
Rechten seiner göttlichen Person dem Zwecke der Sühne geweiht. In ihm
beleuchtete das göttliche Wesen unmittelbar das tatsächliche menschliche Wesen,
das durch die Menschwerdung und deren Zweck im Zustand der strafwürdigen
Menschheit vor dem göttlichen Wesen stand und somit ständig diesem göttlichen
Gericht ausgeliefert war. In diesem Sinne waren in dem einen Christus gleichsam
zwei und trotzdem war die Einigung der beiden unvermischten Naturen in ihm so
eng, dass sich die doppelte Auswirkung beider psychologisch wie in einem und
demselben Akt und auf einer Lebensgrundlage bestätigte und äußerste. Die
Möglichkeit hierzu, dass tatsächlich nur EIN Leben in zwei Naturen gelebt
wurde, war durch die höchste Vollkommenheit der Seele Jesu gegeben, welche die
Auswirkungen beider Naturen in einem Augenblick gewahren, Aufnehmen und ihrer
gegenwärtig sein konnte; es war dies seine vergöttlichte Seele, die den beiden in
sich und vermischten Naturen zugleich aufs Vollkommenste dienstbar sein konnte.
— Es ist aber mit dem Obigen nicht gesagt, dass Jesus sich ständig in jenem
Leiden in gleicher Schärfe des Widerspruchs befunden habe. Zu vielen Zeiten war
das göttliche Leben in ihm, das Sein im Vater, auch das psychologisch
vorherrschende; und das menschliche Bewusstsein trat dann wohl mehr zurück, wie
etwa bei seiner Verklärung auf Tabor oder in seinem wesentlichen Gebetsverkehr
mit dem Vater. Jesu Gebet hatte ja eine besondere, wesentliche Grundlage; es
war viel mehr ein höheres Aufgehen im Vater, als ein Beten in menschlichen uns
nachahmbaren Worten. In Christus WAR der Vater und er war im Vater und so war das
wesentliche göttliche Licht ständig strahlend und immer tätig und irgendwie
wirksam. Aber schon im Allgemeinen war der Dienst des Wortes in einer armen
Menschheit vor dem Vater höchste Entschädigung, weil das gottmenschliche Leben
in Christus die gefallene Menschheit ständig dem Vater nahebrachte und weil
Kraft der Menschheit Jesu durch ihren göttlichen Träger die gefallene
Menschheit ständig vor dem Vater befürwortet wurde.
1977 |
Wie schon oben gesagt, kann man die
Auswirkungen der unbedingten Einheit der beiden unvermischten Naturen in dem
einen Erlöserleben zwar in Worten nicht näher erklären, aber in dem
Seelenzustand, in dem ich mich jetzt befinde, begreife ich dieses Geheimnis,
soweit es Jesus mich innewerden lässt, weil es für meine geistige Aufgabe
notwendig ist. Das Nahekommen und Erfassen dieses Geheimnisses findet
einigermaßen einen Anknüpfungspunkt in hohem Geistesleben, in dem die Seele den
höchsten Genuss erfährt und davon erfüllt wird, während sie zugleich und gerade
dadurch im tiefsten Widerspruch und in unaussprechlicher Verdemütigung im
Hinblick auf die eigene Armseligkeit sich befindet. Durch diese Leiden wird
aber die Seele gleichsam „flüssig“ gemacht532, d. h. befähigt, um in
einem Augenblick und wie mit einem Akt göttliches Erleben und zugleich tiefstes
Leiden tragen und erfahren zu können. In einer ähnlichen, aber viel höheren
wesentlichen533 Weise konnte das göttliche, wesentliche Sein der
zweiten Person die heiligste Menschheit Christi534 überstrahlen,
zumal Christus ja freiwillig den Widerspruch zwischen dem gefallenen
Menschentum und dem heiligsten göttlichen Wesen ertragen wollte, auf diese
Weise die göttliche Wesenheit zum Gericht an der angenommenen Menschheit werden
ließ und in diesem Zustand sich sühnend der göttlichen Gerechtigkeit aussetzte
und preisgab. So ging Christus in seiner Menschheit ins Gericht von Gott, ja
vor sich selbst.
1978 |
Im Zusammenhang mit dem Innewerden des
Geheimnisses der Leiden des Sohnes Gottes wurde ich auch hingewiesen auf
ähnliche Erkenntnisse über die Seelen der Verstorbenen und ihre
Reinigungsleiden.
1979 |
Im gewöhnlichen Zustand während des
Erdenlebens sucht sich der Mensch gleichsam selbst zu bedecken, sich mit seiner
Eigenliebe zu schützen, um nicht vor Gott und mit sich selbst in beschämenden
Widerspruch zu kommen. Wie die menschliche Natur sich den Mitmenschen gegenüber
von vornherein gut und tadellos zeigen will, so ist die Seele auch vor sich
selbst gleichsam mit einem Schutzmantel der Selbstliebe bedeckt; so liegt es
nun einmal in der gefallenen Menschennatur. Der Mensch will den eigenen
Vorwürfen entgehen, will unter dem Schein des Recht–Tuns mit sich selber
zufrieden sein, und vielleicht ist das bitterste für ihn, wenn er seinen
eigenen Schwächen auf die Spur kommen oder gar sie vor den Mitmenschen bekennen
muss. Auch bei einem fortgeschrittenen Seelenleben bleibt es für die Seele
schwer, sich ihre Fehler bewusst zu sein und sie sich einzugestehen. Es braucht
wohl schon einen heroischen Tugendgrad, wenn eine Seele gerne ihrer Schwäche
und Sündhaftigkeit eingedenk ist und sich geradezu freut, wenn ihr diese zum
Bewusstsein und zur eigenen Kenntnis kommen, weil sie damit in die Möglichkeit
versetzt wird, mit starkem Willen an deren Besserung und Beseitigung zu
arbeiten. Erst recht heroisch ist es, wenn eine Seele sich sogar freut, falls
man ihre eigenen Fehler ihr vorhält und sie ihr zur Kenntnis bringt; das zeugt
von einem sehr großen Fortschritt der Seele. Im Allgemeinen ist es aber eine
Tatsache der gefallenen Menschennatur, dass der Mensch sich selber zu
schmeicheln pflegt535 und sich selber zu gefallen sucht.
1980 |
Im Augenblick des Todes aber hört diese
Selbsttäuschung auf. – Ich hatte schon mehrmals die innere Erkenntnis, dass der
Mensch im Augenblick des Todes Gott im göttlichen Gericht unmittelbar
gegenübertritt und damit auch sich selbst in seinem wahren Zustand erkennen
muss. Jede Seele im Stande der Gnade trägt aber Gottes übernatürliches Ebenbild
in sich und im Augenblick des Todes kommt ihr dies auch zum unmittelbaren
Bewusstsein. Dieses Aufflammen Gottes in der Seele nach dem Tode wird Ihr zur Reinigung
und allenfalls auch zur Peinigung im Jenseits. Dieser Funke Gottes beleuchtet
unbarmherzig den wahren Zustand der Seele und wird ihr zum eigentlichen
Reinigungsfeuer, das sie nicht loslässt, bis sie den Zustand der Reinheit
erreicht hat, der von Gott und vor Gott für sie gefordert ist. In diesem Sinne
wird Gott auch für die Seele im Jenseits zum unmittelbaren Gericht. Das
göttliche Feuer dringt vor bis zu ihrem wahren Zustand und führt diesen ständig
der Seele selber536 vor. Sie ist unmittelbar Gott ausgesetzt und
muss sich ständig sehen in ihren Mängeln, beleuchtet vom durchdringenden Licht
Gottes.
1981 |
Ich hatte auch die mir zunächst merkwürdige
Erkenntnis, dass die Seele schon gleich nach dem Tode den hienieden erreichten
Vereinigungszustand mit Gott irgendwie genießt, sich an Gott erfreut und ihn
erlebt, auch wenn sie gleichzeitig im Reinigungszustand bleibt. Es ist nicht
so, als würde die schon hienieden erreichte Vereinigung mit Gott während der
noch notwendigen Reinigungsleiden im Jenseits aufgehoben oder unterbrochen. Die
Seele wird sich vielmehr im Augenblick des Todes ihrer unmittelbaren und
persönlichen Verhältnisse zu Gott bewusst und eine wesentliche Vereinigung mit
Gott wird und kann dann nicht mehr unterbrochen werden, sollte auch die Seele noch
viele Schwächen und Mängel an sich tragen. Die Seele geht im Augenblick des
Todes in den bewussten Zustand ihrer schon erreichten Vereinigung mit Gott und
mit dem entsprechenden Beseligungswert ein. Während sie aber vielleicht im
höheren Teil ihres Wesens Gott genießt, wird ihr gerade dieses Gotteserfahren
gleichsam zum reinigenden Feuer des Verlangens, das sie ganz einhüllt und die
letzten Schlacken und Mängel an ihr verzehrt und auflöst. Falls die Seele
überhaupt den Kontakt mit Gott in sich hat und nicht im Zustand der Trennung
von Gott durch schwere Sünde vor das göttliche Gericht kommt, wirkt sich also
die hienieden erworbene Vereinigung mit Gott als verzehrendes und reinigendes
Feuer für die Seele aus. Das ganze Menschengeschlecht ist ja in Gott, und in
jeder getauften Seele, die nicht in schwerer Schuld ist, lebt Gott in
besonderer Weise – durch die heilig machende Gnade –537 und dies
wird der Seele nach Ihrer Trennung vom Leib bewusst. Ja, es können sich Seelen
ihm Reinigungszustand befinden, die in diesem Leben schon einen hohen
Vereinigungsgrad erreicht haben, aber doch noch nicht in dem Maße vollendet
sind, als es ihnen durch die Gnade Gottes möglich gewesen wäre und darum538
Gott von ihnen erwartet und gefordert hatte. In ähnlicher Weise wird auch für
den Verdammten, Gott zum ewigen Gericht, den er unausweichlich ausgesetzt ist:
Ständig muss sich nämlich der Verdammte die ewige Trennung von Gott in
unmittelbarer Weise eingestehen. Gott wird für ihn zum strafenden Feuer der
Gerechtigkeit, in denen der Verdammte unmittelbar an Gott glauben muss und dies
ist die größte Strafe und das größte Leiden für den Verdammten.
1982 |
Die Seele aber, die hienieden eine gewisse
Vereinigung mit Gott erworben hat und im Augenblick des Todes sich dieser
bewusst wird, reinigt sich durch die wahre Selbsterkenntnis und dem brennenden
Vergleich mit dem, was sie in und vor Gott sein sollte und könnte, gleichsam
selbst und auf diesem Weg wird ihr Gottes Sein und Wesen immer mehr erfassbar
gemacht; sie gelangt zu einem immer vollkommeneren Genuss der ihr gleichsam
zustehenden Vereinigung Gottes, obwohl sie dabei und vielleicht gerade dadurch
zugleich noch mehr leiden kann;539 sie kann z. B. umso mehr
Sehnsucht und Verlangen nach dem vollen Besitz Gottes leiden, je mehr die Befreiung
von den eigenen seelischen Hindernissen und damit der Genuss der Vereinigung
wächst. Dabei kann die Seele schon sehr Gott lieben und sich an ihm erfreuen
und gerade auf diesem Weg erhebt sie sich zur vollen Läuterung und Befreiung
von den ihr noch anhaftenden Mängeln, bis sie endlich zum vollen Zustand und
Genuss der mit der Gnade hienieden erworbenen und ihr zukommenden Vereinigung
mit Gott eingehen kann und damit zugleich der Gesellschaft der Heiligen voll
teilhaftig wird.
1983 |
Nach jenem inneren Erkennen540
beginnt dieser Reinigungsprozess der Vorbereitung auf den vollen Besitz Gottes,
wozu sich die Seele hienieden befähigt hat, schon im Augenblick des Todes und
sie ist verschieden, je nach der Stufe der schon erworbenen Reinheit der Seele
vor Gott, und je nachdem sie die Sündenstrafen schon in diesem Leben abgebüßt
hat. In jedem Fall aber sind diese Leiden im Jenseits weiter Schärfe als alle
irdischen Leiden, und zwar wegen der Unmittelbarkeit, mit der die Seele (deren
Leiden weit tiefer, durchdringender541 und schmerzlicher sein können
als die des Körpers) dem verzehrenden und durchdringenden Lichte Gottes
überantwortet und ausgesetzt ist, sowie wegen der unerbittlichen
Wahrhaftigkeit, mit der die Seele sich selbst in ihren Sünden in jenem Lichte
sehen und verabscheuen muss.
1984 |
Auch im Reinigungsort wirkt sich also in
besonderer Weise die Tatsache aus, dass die Seele, entsprechend losgelöst von
der Materie, zugleich irgendwie Gott genießt und doch dabei auch sehr leiden
kann. Auch dies ist eine Wirkung des Geheimnisses der Unmittelbarkeit Gottes
gegenüber der Seele und des persönlichen Verhältnisses zu Gott, wofür die
Seele, das Ebenbild Gottes, berufen und bestimmt ist.
1985 |
Heute Nacht habe ich eine wunderbare Gnade
erhalten: die Gnade der vollen Einigung meines Seins542 für den
Dienst der göttlichen Person Christi. Dies ist zwar in Worten nicht zu
erklären, aber die Folge543 dieser Einigung wird sich in meinem
Innenleben auswirken, und so wird es klarer werden.
1986 |
In den vorausgehenden Tagen waren aber auch
die inneren Leiden so schwer und tief, dass sie jeden gewöhnlichen Begriff
übersteigen; sie sollte eben diese volle Einigung mit der göttlichen Person
vorbereiten. Ich war praktisch in diesen (als Ziel gesetzten) Zustand erhoben,
und war zeitweilig ganz entsprechend ausgeglichen, dann aber wurde ich
gleichsam wieder in einen geistigen Rückschlag versetzt, der mich überhaupt an
jeder besonderen Gnadenführung wollte zweifeln lassen. Abgrundtief schien da
der innere Widerspruch zwischen mir und jener Gnade zu sein, die ich
andererseits doch wieder als unabänderliches Ziel in mir trug. Ich war
zeitweise der göttlichen Person in mir gleichsam geistig greifbar nahe und es
war ein Erleben wie von Mund zu Mund, eine geistige Ebene, die ein
Hinüberfließen möglich machte; aber es musste sich ein entsprechender
Dauerzustand erreichen lassen und den konnte ich nicht festhalten, weil es
nicht in meiner Kraft lag. So war ein schmerzliches Auf und Ab in mir, ein
Vergehen meines Eigenen, ein Entrücktsein meines Geistes für meinen eigenen
Gebrauch und Genuss und zugleich ein Übergeschaltetsein in höhere Kräfte, die
ich absolut in mir trug.
1987 |
In der Tiefe dieser geistigen Leiden bereitete
und ebnete sich die Möglichkeit für den zu erreichenden Dauerzustand. Am
Vormittag des Vortages von Weihnachten „lebte“ ich schon zuweilen diese volle
Vereinigung544 ohne jeden Widerspruch in mir, aber am Nachmittag
verdoppelte sich wieder das oben beschriebene Leiden. Es war mir, als müsse ich
alles Geschaffene und Geschöpfliche um mich vollends verlassen und mir in mir
einen wie ungeschaffenen, vollkommen frei stehenden Bestand erringen, als müsse
ein anderes, neues Fundament in mir gegraben werden, in dem ein anderes Leben
hineingesetzt und eingesenkt werde.
1988 |
Bei der Mitternachtsmesse kam dann eine große
Ruhe in mich und augenblicklich nach der heiligen Kommunion vollzog sich
spürbar jener Akt der Einigung all meiner schon bereiteten Kräfte mit der
göttlichen Person, und zwar als Dauerzustand. Es war mir, als würden sich zwei
zu einem zusammenschließen, oder als würden zwei Abgründe zu einer Ebene
überbrückt und ausgeglichen werden. – Den Zustand in sich selbst kann man aber
überhaupt nicht beschreiben.
1989 |
Es ist dies nun die Vollendung und Erfüllung
des langjährigen Versprechens Jesu, das er hiermit wahr gemacht hat. Es ist wie
die Ankunft an einem erreichten Ziel nach einem steilen und harten Aufstieg auf
einen Berg, den man mit großem Leiden zustreben musste. Nun ist gleichsam die
große und weite Hochebene erreicht, nun hat der notwendige Ausgleich sich
vollzogen, die volle Dienstbarkeit gegenüber Jesu und seinen Absichten ist
hergestellt. Statt zweien ist nun eines in mir geworden und dieses eine ist von
jetzt an mein „gewöhnliches“ sein. – Jesus ist wahrhaft getreu: Was ich früher
in Gnadenstunden vorerlebte545, das ist nun mein Besitz, nein, mein
eigenes Leben geworden. Hier hört das mystische „Erleben und Leben“ auf, hier
fängt die neue Wirklichkeit, der tatsächliche Bestand in Gott an.
1990 |
Wiederholt wurde mir dabei der Geisteszustand
Mariens vorgeführt, in dem sie sich infolge der hohen Dienstbarkeit alle ihre
Kräfte für die Menschwerdung des Wortes befand: diese einfache und erhabene,
wie auf gleicher Höhe zu Gott hinaufführende546 Ebene, die
„Gottfähigkeit“ ihres menschlichen Seins. Von diesem Ideal ausgehend und
abzweigend leuchtete mir dann wieder meine geistige Aufgabe auf, nämlich jener547
Grad der geistigen Dienstbarkeit dem Erlöser gegenüber, die zu einem Leben
notwendig ist, in dem er sein inneres Erlöserleben mittels meiner geistigen
Kräfte will wiederholen können. Zu der hierfür nötigen mystischen Umwandlung in
ihn genügen aber die Geisteskräfte allein nicht; die Seele braucht viel mehr zu
einem Leben solcher Dienstbarkeit auch eine entsprechende Anspannung und
Bereitung der physischen Kräfte, damit auch diese den Anforderungen und dem
Höhenflug jenes höheren Lebens standhalten und folgen können. So erlebte und
erlitt ich in den vorausgehenden inneren Leiden gleichzeitig auch ein gewisses
„Strecken“ und Mitspannen all meiner physischen Kräfte, eine Einspannung meines
ganzen Seins in das höhere Geistesleben;548 es war mir dabei, als
leide jede einzelne Zelle und jeder Nerv zusammen mit den seelischen Leiden
mit.549 Es war eine allgemeine Bereitung meinerseits für den
besonderen Dienst der göttlichen Person.
1991 |
Der wirkliche Zustand in Jesus ist aber nun
unaussprechlich einfach und scheint ganz das Gewöhnliche und
Selbstverständliche zu sein. Von Jesus „erlebe“ ich überhaupt nichts, sondern
ich bin selbst das geworden, was ich früher als Ziel erlebte, und um das sich
so sehr gelitten habe.
1992 |
Es ist fast dauernd eine Bewegung und
gnadenvolle Erklärung in mir, in der mir das Ziel und Zweck aller inneren Wege
und Leiden in ihrer Einordnung in das göttliche Planen und Wirken in mir zum
Bewusstsein kommen, zum „Bewusstsein“ aber nicht mehr in dem eigentlichen
mystischen Sinn, sondern mehr als Feststellen und Innewerden eines höheren
Lebenszustandes. – So wurde ich mir gestern Abend erst vollends klar über die
Bedeutung des in der Heiligen Nacht erreichten Zustandes. Ich wurde inne des
Wesens jener vollen Einigung als eines Mittels zum Erleben der göttlichen
Erlöserperson. Ich fand und erlebte mich selbst so fügsam und gefügig, dass ich
dem letzten Zweck aller bisherigen Gnaden nun zugeführt und überantwortet
werden kann. Nun bin ich selbst das, was der göttlichen Person Christi dienen
kann, damit er sein inneres Leben wiederholen könne (in mystischer Weise). Nun
soll ich in die wirkliche Dienstbarkeit Jesu eingestellt und dafür verwendet
werden, soll dermaßen für Göttliches erlebnisfähig sein, dass ich dem inneren
Leben Jesu folgen bzw., dafür gebraucht werden kann.
1993 |
Wie oft am Tag verzichtete ich in dieser Zeit
auf jeden eigenen Gebrauch und Selbstgenuss und Selbstbesitz, angeregt durch
jene oben angedeuteten, gnadenvollen Bewegungen! Diese inneren, gnadenvollen
Regungen erhöhten und erweiterten sich aber immer mehr und wuchsen zum vollen
Sich–Überantworten an jene göttliche „Bewegung“, worin die zweite göttliche
Person immerwährend vom Vater hervorgeht. Der führenden Gnade folgend
überantwortete ich mich der göttlichen „Bewegung“ des Hervorgehens des ewigen
Wortes vom Vater, und so werde ich zurückgeführt bis auf den göttlichen
Ursprung des Wortes und damit der Erlösung. Jesus immerwährendes Hervorgehen
vom Vater ist ja grundlegend und wesentlich für das göttliche Sein Christi auch
in seiner Menschwerdung und in den Akten der Erlösung. Und diesem göttlichen
Wesensprozess diene ich. Ich gebe mich dafür her und werde dazu genommen, um dies
erleben zu können, weil Jesus eben dieses Sein550 verborgenstes
Geheimnis zum Heil der Kirche offenbaren will und weil er seine göttliche
Erlöserliebe mehr anerkannt wissen will. Freilich ist dies „unglaublich“, aber
nach meinem inneren, unleugbaren Erfahren ist es tatsächlich so. – Heute weiß
ich um mich, dass ich als Mittel genommen und zubereitet werde zu göttlichem
Erleben, das nun erst ganz in mir ermöglicht ist.
1994 |
Im Übrigen bin ich heute wieder sehr in
Leiden, und zwar Zielen diese hin auf möglichst hohe Gefügigkeit und Fügsamkeit
meines Seins für jene göttlichen Akte, denen ich überantwortet werde, denen ich
dienstbar sein muss und die ich in mir tragen werde. – Es gibt freilich hierfür
kein Wort mehr, aber wenn ich einmal die volle Vorbereitungszeit überschritten
habe, wird es klar werden und wird sich die Tatsächlichkeit dieser
unermesslichen Gnaden Gottes erweisen.
1995 |
Unterdessen drängt es mich immer weiter; denn
„dort“ werde ich mich ganz für mich verloren haben, werde dafür das seine
erfasst haben, und damit werde ich eingehen in seine Ruhe bei allem Leiden, und
diese Ruhe wird ein ewiger Bestand für mich sein, wie Jesus mir versprochen: In
dem Maße, als ich ihn hier erlebe und erleide, werde ich ihn ewig genießen. –
Es ist mir noch unklar, ob mein jetziger Zustand schon das letzte Tor zum
endlichen, wirksamen Erleben in ihm ist oder ob es noch Zwischenstufen gibt.
Gegenwärtig bin ich jedenfalls daran, fügsam gemacht zu werden, um das ständige
Hervorgehen des göttlichen Wortes erleben zu können. Wenn dann die Fülle der
Vorbereitungen abgeschlossen ist, werden die verschiedenen Stufen, die ich
durchschritten und geübt habe, voll in Wirksamkeit und Aktion treten und so
schließt sich dann der Ring der Vorbereitung auf die eigentliche Aufgabe.
1996 |
Von Tag zu Tag steigert sich in mir ein
Zustand der Sublimität, der mich, in gewissem Sinne, ganz dem Einfluss meiner
eigenen Materie enthebt. Ich lebe „über“ mir selbst ein höheres geistiges
Leben, und die mich tragende Materie dient anscheinend nur mehr dazu, diesem
meinem höheren Leben noch das Aussehen eines gewöhnlichen Menschen Lebens zu
lassen. Die unaussprechliche Einheit des Geistes und der Materie äußert sich
zwar wie in einem ganz gewöhnlichen Leben, in Wirklichkeit aber ist das
Geistesleben ihn mir in dem Maße vorherrschend geworden, dass der Geist in mir
in gewissem Sinne die Materie zu tragen hat und alles Niedere unter die
Herrschaft des Geistes gestellt ist. Ich befinde mich nun in jener wunderbaren
Entwicklung der vollkommenen Einheit im menschlichen Sein, wodurch die volle
wesentliche551 Ordnung des Paradieseszustandes hergestellt wird, jedoch
mit dem besonderen Unterschied und der Abzweigung, dass dieses, mein nun
geordnetes Inneres immer mehr dem Lebensdienst der göttlichen Person Christi
übergeben und überantwortet wird. Zwischenhinein flackern immer noch sehr
schwere, innere Leiden auf, die ein höchstes und letztes Absterben für mich
selbst herbeiführen. Mittels dieser Leiden kann ich auch das Wachsen des
Geistes in mir beobachten. – Das größere Leiden ist aber jetzt für mich nicht
dieses der Reinigung, sondern vielmehr das verzehrende, passive Verlangen,
jenen Vollkommenheitszustand des Geistes vollends zu erlangen, den ich
fortwährend als Ziel in mir erfahre. Es gibt für mich keine Ruhe, bis ich nicht
vollends eingegangen bin in die mir das Ziel gesteckte Harmonie mit Christus
und seinen göttlichen Vollkommenheiten, wozu meine eigene, entsprechende
Vervollkommnung und Vollendung Voraussetzung ist.
1997 |
Bei diesem geistigen Erhebungsprozess tritt in
letzter Zeit immer mehr die Form und Anregung einer freiwilligen Liebeshingabe
an Jesus in mir hervor. Zusammen mit dem Licht der führenden Gnade lässt Jesus
in erhöhtem Maße auch die Kraft einer freiwilligen Hingabe aus Liebe zu ihm in
mich überströmen. Die Liebe soll vor allem und in allem das Führende sein, um
ganz und gern ihm nach seinen Absichten zur Verfügung zu stehen. – Zu diesem
Zwecke schaute ich seit einigen Tagen auch eine spezielle Aufopferung an ihn
aus Liebe, ein vollkommenes freies Liebesopfer, weil eben die Liebe und die
Absicht der Liebe allein die letzte Vollkommenheit des Opfers selbst vor Gott
ausmacht. Und Jesus will seinen Gnaden, die mich nun so viele Jahre, ja mein
ganzes Leben hindurch zu dem höchsten Ziel seiner besonderen Dienstbarkeit
geführt hat, das Gepräge und Siegel eines vollkommen freien Liebesopfers
aufdrücken. – In den letzten Tagen spürte ich ständig den Antrieb zu diesem
Liebesopfer, aber es fehlte mir noch die letzte Klarheit, und das letzte Motiv,
auf das dieses Liebesopfer hingeordnet sein sollte; doch lag noch in etwa
dunkel in mir.552
1998 |
Heute Morgen nun erreichte jener angedeutete
Zustand der Sublimität und des Freiseins von mir wohl die höchste von mir jetzt
fassbare Spitze. Aber diese „Spitze“, und diese Erhabenheit drang auch herunter
in mein niederes Sein und hatte die Kraft, mich ganz zu beherrschen von oben
bis unten und von unten bis oben. Nun erschien eine volle Einheit möglich. Die
Vergeistigung meines Seins hatte anscheinend die vorher in mir noch bestehenden
Hindernisse ganz überbrückt und überwunden. – (Es handelt sich – wie mir
gezeigt wurde – im Wesentlichen um eine Vergeistigung, wie sie die Seele
gewöhnlich erst durch ihre wirkliche Trennung vom Leibe im Tode erfährt.)
1999 |
Nach der heiligen Kommunion kam ich dann heute
gleichsam in einer Art eigener Auflösung in mir selbst. Ich erlebte553
mich augenblicklich wie in einem Ozean des Geistes und Vergeistigtseins in mir
selbst – dem Zustand selbst nach schien ich einem menschlichen Sein wie
enthoben –554, wobei aber Christus der Geist war. Im Bilde gesagt:
Das Tröpflein löste sich in Meere auf und es war nur mehr EIN Wasser; das
eigene Fünklein des Geistes ging in Flammen auf und es blieb mir nur mehr EIN
Feuer, genährt von der Glut der ewigen Liebe Gottes. So war ich nun ganz
aufgenommen in die göttliche Triebkraft des Erlöses in seinem Erlöserleben, in
die göttliche Triebkraft seiner Liebe, um teilzuhaben an dieser göttlichen
Liebe und Triebkraft, die mir in ihm nun immer offen und zur Verfügung steht. –
Die Liebe beherrscht in Gott alles; das habe ich heute erlebt. Gottes Sein ist
liebe, und auch die Erschaffung der Welt und der Menschheit war nur Liebe, die
sich den Geschöpfen mitteilen wollte. Es war Mitteilung der Liebe, gleichsam eine
Mitteilung Gottes selbst,555 weil er in sich Liebe ist und in dieser
Liebe sich der Schöpfung schenken und mitteilen wollte. – Gottes Liebe ist aber
nicht schwach oder schmachtend oder irgendwie ähnlich dem Leiden menschlicher
Liebe; Gottes Liebe ist erhaben und voll Geist und Kraft; Sie wirkt und erhebt
und übersteigt das Leiden einer irdischen Liebe. Gottes göttlichste Triebkraft
ist die Liebe, die über all seine göttlichen Vollkommenheiten herrscht und das
tiefste Wesen und wesentlichste Vollkommenheit ist. Ich habe dies heute in Gott
erfahren: Gottes göttlichste Triebkraft ist die Liebe, die über all seine
göttlichen Vollkommenheiten herrscht.556 Die Liebe ist die
Triebkraft bei allen Akten und Handlungen Gottes. – Ich habe heute diese
göttliche Triebkraft der Liebe im Erlöser erlebt, jene selbstlose Liebe, die
sich im Dienst der gefallenen Menschheit verzehrt hat. Diese Liebe des Erlösers
war höchst freiwillig, göttlich freiwillig; sie folgte eben dem göttlich
wesenhaften Impuls und Antrieb des göttlichen Wesens; Gottes Wesen aber ist die
Liebe selbst.
2000 |
Aufgenommen in diese göttliche Liebe Christi
ward mir jenes besagte Liebesopfer an ihn557 zu einem eigenen
Bedürfnis. Ich überantwortete mich daher ebenfalls dem göttlichen Impuls seiner
Liebe, die in ihm die Triebkraft war. – (In Worten lässt sich freilich diese
Hingabe nicht gut wiedergeben; denn man spricht dabei nur „Worte der Liebe“,
die aber in Wirklichkeit keine „Worte“ sind; die wahre Liebe „bedarf558
und spricht“ eigentlich nicht, sie handelt und gibt sich hin559.)
Ich übergab mich vollends diesem göttlichen Impuls der Liebe Christi, in die
ich nun mit allen meinen Kräften aufgenommen wurde. Dabei wurde ich derart aus
mir selbst emporgehoben, dass ich mich wie von der Materie befreit fühlte und in
Gottes Liebe aufgegangen war. Wie ein Schwimmender sich vom Wasser umgeben
sieht und vom Wasser getragen wird, so war und lebte ich in der Liebe, und ich
war selbst diese Liebe. Ich spürte auch eine Umwandlung in die Liebe, sodass
ich nun kraft dieser Liebe mein inneres Leben lebe und von ihr getragen bin.
Die Spitze und die Tiefe meines Seins sind nun gleichgeschaltet worden von der
Liebe Christi, in die ich heute aufgenommen wurde.
2001 |
Zugleich mit der großen Gnade von heute Morgen
wurde ich auch ganz tief eingeführt in das Geheimnis des göttlichen,
wesentlichen Impulses der Liebe, die sich in der Erlösung durch Christus so
wunderbar gezeigt hat. – Wenn Gottes Gerechtigkeit die gefallene Menschheit
nicht ewig zugrunde gehen ließ, so verdanken wir das nur seiner wesentlichen
freien Liebe, die eben in der Erlösung sich betätigt hat. Christus folgte in
den Werken und Taten der Erlösung als Mensch dem göttlichen Liebesantrieb, der
ihm als Gott wesentlich eigen war und blieb.
2002 |
Im Zusammenhang damit wurde ich wieder
hingewiesen auf frühere Stufen, Gnaden und Vorkommnisse meines Innenlebens, wo
Jesus immer auch von mir eine freiwillige Hingabe verlangte. Mochte das innere
Drängen der Gnade noch so klar und bestimmt sein, mochte die Erkenntnis der
Übernatürlichkeit eine Anregung zu höherer Hingabe noch so einleuchtend sein,
Jesus ließ doch immer dem freien Willen die Entscheidung. Ist man auch
grundsätzlich für gewöhnlich schon sofort bereit, jeder neuen Anregung der
Gnaden zu folgen, so kommt der freie Willensentschluss doch immer von Neuem zur
Geltung und Betätigung, sooft die konkrete Ausführung der Anregungen die ganze
Schwere des von der Gnade geforderten Opfers spüren und erleben lässt. Dann
muss der Wille sich neu und wirklich entscheiden: Ob man sich zu allen
Folgerungen und Konsequenzen der vollen Hingabe an Gott und seine Absichten
entschließen560 kann und will; ob auch tatsächlich Mut und Wille für
alle Leiden und Opfer vorhanden ist, wenn die Gnade Gottes Taten der Hingabe
verlangt und die äußeren und inneren Folgen der grundsätzlich schon gemachten
Hingabe spüren lässt; ob der Mut und die Kraft der erstmaligen Hingabe auch das
Tragende und Entscheidende bleiben, wenn man in dem dadurch geforderten
Opferleben abseits und abgesondert von der Masse der Menschen und vom
Durchschnitt der Menschen gehen muss? – Meist verdeckt wohl der Heiland
zunächst die letzten und vollen Konsequenzen und die Tragweite der Hingabe
einer solchen Seele an ihn und seine Wünsche. Er begnügt sich zunächst mit der
Bejahung von vorläufigen Folgerungen und Zeilen, in denen aber die Seele
vielleicht alle Forderungen des Heilandes schon enthalten glaubt. In
Wirklichkeit schließt die volle Hingabe und das letzte Ziel dieser Hingabe zwar
noch höhere und weitergehende Folgen für die Seele ihn sich, aber der Herr hält
ihr diese zunächst noch verborgen, damit sie sich nicht gegenüber solchen
letzten Forderungen von vornhinein ohnmächtig fühle. – So hat mir Jesus
zunächst in einem weit vorausschauenden Ausblick als letztes Ziel all meine
inneren Gnaden – schon vor vielen Jahren – gezeigt: „ihn so in mir zur vollen
Herrschaft und zum Leben gelangen lassen, dass er mein Leben wird“. Die
besonderen Anforderungen dieses letzten Zieles erfasste ich näherhin mit der
Forderung seiner besonderen Gnaden (1922): „ihm das Opfer meines Lebens bieten,
dass er darüber ganz verfügen und es für sich gebrauchen könne.561“
In dieser göttlichen Forderung lag der erste, wesentliche Schritt zu dem Ziel,
dessen ganze Tragweite und Begleitfolgen sich in vielen Zwischenstufen und
Einzelforderungen aufteilen. Mit dem Innewerden und Erfassen jenes höchsten
Zieles hatte ich wohl auch schon den ganzen Weg grundsätzlich bejaht, der zu
diesem Ziele führen sollte; aber nicht immer stand die letzte Folgerung der
Gnade in meiner Seele. Es kamen immer wieder Zeiten eigener und neuer
Entscheidungen, wo ich wieder neu vor die Wahl gestellt wurde, ob ich auch auf
alle einzelnen und weiteren Forderungen der Gnade und auf alle weiteren Wege
zum Ziel voll eingehen wolle. – (Wenn ich auch noch so oft das Ziel meines
Innenlebens vorauserlebt habe und mich darnach entscheiden konnte: Aber auf
diese Tragweite meines inneren Weges konnte meine Seele eigentlich nie
Ausblicken, weil dies außer dem Bereich menschlichen Durchschauens göttlicher Absichten
geht; ebenso der Akt der Hingabe an Jesus: Ihm Ganzopfer zu sein für die
Erneuerung des Priestertums und das sich daran schließende Gelübde eines
Schlachtopfers an ihn; dem als Ziel zeigte mir er Herr stets immer eine in sich
zusammengefasste Aktion einer Priesterreform, die sich über die ganze Kirche
verbreiten wird und somit im Allgemeinen eine Erneuerung der Kirche in sich
schließt; 1924.)562 – Es wehrte sich zu Zeiten der Vernunft mit
allen ihr zu Gebote stehenden Gründen gegen das tiefere, grundsätzliche Wollen
der Seele; sie sträubte sich mit ihrer natürlichen Konsequenz gegen das ihr
unbegreifliche Wirken der Gnade und gegen das ihr geheimnisvolle Dunkel der
inneren Führung, wenn auch Jesus zuweilen das Licht seiner Gnade noch so klar
und unbezweifelbar hatte aufstrahlen lassen. In solchen Zeiten seelischer
Entscheidungen habe ich mir immer wieder ein Mittel zurechtgelegt (oder mich
daran gehalten), das mir über diese Krisen meines geistlichen Lebens
hinweghalf: Ich versetzte mich nämlich im Geiste in meine Sterbensstunde und
fragte mich in allem Ernste: Was würdest du auf dem Sterbebett wünschen, getan
zu haben? – Unwillkürlich stieg dann der Wunsch in mir auf: Ich wünsche, auf
meinem Sterbebett einmal das Bewusstsein zu haben: Viel für Gott gelitten zu
haben, mein Leben zu einem Vollopfer vor Gott gemacht zu haben, um kraft dieser
vollkommenen Hingabe an ihn hoffen zu können, von ihm im Augenblick des Todes
in Gnaden und Barmherzigkeit aufgenommen zu werden; ich wünsche mich für die
Interessen Christi verzehrt zu haben. – Mit dieser tiefsten auf das eigene,
ewige Heil meiner Seele schauenden Entscheidung meines Inneren war im gleichen
Augenblick auch die Entscheidung für die jeweilige spezielle Lage oder Frage
getroffen. Mein tiefstes Sein verlangte konsequent eine vollkommene Hingabe an
Jesus und eine volle Bereitschaft, mich für ihn zu verzehren; so ging es wieder
mutiger vorwärts durch das Dunkel und die einzelnen Schwierigkeiten hindurch,
im Hinblick auf meinen kommenden, letzten Wunsch auf dem Sterbebett. – Diese
Methode habe ich als bestes Mittel gefunden, um über die am Kreuzweg der Seele
sich aufstauenden Widerstände und Schwierigkeiten von außen und innen am
raschesten Hinweg zu kommen. Hierin entscheidet sich der tiefste Glaube an Gott
und spricht das letzte Wort der Liebe.
2003 |
So schienen zeitweise alle außergewöhnlichen
Gnaden nicht zu genügen und mussten das gewöhnliche Glaubensleben und die
einfachsten Grundsätze im religiösen Leben den Ausschlag geben. Es ist eben
eine große Täuschung, wenn man annimmt, man würde im mystischen Gnadenleben von
der Gnade getragen oder man komme in Liebesgefühlen und ekstaseähnlichen
Zuständen ohne Weiteres über alles Schwere hinweg. Die einzelnen Leiden und
Opfer behalten vielmehr ihre Schwere trotz aller begleitenden Gnaden; diese
schaffen vielmehr563 in der Seele die entsprechende und notwendige
Disposition, um auch heroische Selbstüberwindungen und Opfer für den Heiland
bringen zu können, aber die Opfer und Anforderungen, die ein besonderes
mystisches Innenleben von einer Seele verlangt, sind auch ungleich mehr und
größer als im gewöhnlichen Leben und nicht selten muss auch bei mystischer
Gnadenführung die ganze gewöhnliche Glaubens– und Tugendkraft die Engscheidung
geben. Ja, tatsächlich muss im mystischen Innenleben ein größerer Glaube geübt,
verwirklicht, und in die Tat umgesetzt werden, als im gewöhnlichen
Christenleben. Es muss auch das Vertrauen in viel höherem Maße sich betätigen
und bewähren inmitten all der auftretenden Dunkelheiten, der scheinbaren
Gottesverlassenheit und den mannigfaltigen Widersprüchen564, die
sich oft aus der inneren Führung, wenigstens scheinbar, ergeben, da die Seele
oft oder auch die meiste Zeit hindurch vor scheinbar verschlossenen Toren steht
und doch zum Glauben gedrängt wird, dass dies verschlossene Tor das richtige
ist. Jesus führt die Seele durch schwere Proben eines unwandelbaren Vertrauens
hindurch, wobei nur noch der Ausblick auf das letzte, sichere Ziel die höchste565
Anspannung aller Kräfte wachhalten kann. Gott wirkt nicht immer Wunder im Leben
einer solchen Seele, sondern diese muss auch harte Probe eine wahre Hingabe an
Gott bestehen können. Und erst recht lässt Jesus immer wieder dies erfahren:
Dass die wahre Liebe nicht jene ist, die sich in Gnadenstunden in gehobener
Stimmung und in süßen Beteuerungen ihm gegenüber ergießt: Solche Augenblicke
und Zeiten werden vielmehr dazugegeben und dienen dazu, dass die Seele in der
Liebe zu ihm unverrückbar fest und treu werde. Die wahre Bewährungsprobe der
echten Liebe kommt aber dann im täglichen Leben, in der Bereitschaft, Christi
wegen tatsächlich auch alles hinzugeben, mit ihm allein genug zu haben und
trotz allen Zerbrechens äußerer und oft auch innerer Stützen sich ihm ganz zu
überlassen. Die höchste Liebe besteht in Wahrheit darin, für Gott in allem ein
Opfer zu sein, auch abseits vom lieb gewonnenen Weg der Menschen in ihrem
gewöhnlichen Lauf. Das mystische Gnadenleben besteht also nicht nur im hohen
Erleben Gottes und seiner Liebe oder gar nur in süßen Gefühlen, sondern es
besteht vor allem in einer konsequenten und restlosen Hingabe an Gott, wozu
freilich die fühlbaren Gnaden eine mächtige Hilfe Sein können und sollen. Gott
verlangt auch tatsächlich von mystisch geführten Seelen ungleich größere Opfer
als von Durchschnitts-Christen oder auch von wahrhaft frommen Personen, weil
das mystische, innere Leben sofort in eine höhere Art geistiger Aktivität und
Passivität einmündet und eingespannt wird. Soll das mystische Gnadenleben
wirklich seinen letzten gottgewollten Zweck erreichen und die entsprechende
Fruchtbarkeit hervorbringen, so ist grundlegend und erste Vorbedingung dazu:
Dass man das gewöhnliche Glaubensleben zur konsequenten Auswirkung und
Ausführung bringt und dass man es steigernd immer mehr in sich Wirklichkeit und
Tatsache werden lässt. Für gewöhnlich fußt ja auch schon die niedrigste Stufe
der mystischen Gnadenordnung auf einem sehr treuen geübten Christenleben; in
jedem Falle aber muss das mystische Innenleben mit einem praktischen Christen–
und Tugendleben gepaart und verbunden sein, wenn es nicht in Selbsttäuschung
enden soll. Besonders in der erworbenen Beschauung ist ja ein ganz treues
Glaubensleben einschließlich mit einem hohen Tugendstreben die Grundbedingung
und Voraussetzung dazu, und die erste Grundlage zu Beschauung.566
Nach meiner Erfahrung tritt wohl in den Anfangsjahren das mystischen Lebens
scheinbar so sehr in den Vordergrund, dass die praktische Betätigung des
religiösen Lebens wie von selbst und ohne Schwierigkeiten mitfließt; auch
lassen sich die Folgerungen und Anforderungen des anfänglichen mystischen
Gnadenlebens gut mit dem gewöhnlichen Leben verbinden. Später aber wird die
mystische Gnadenordnung ununterbrochen fortlaufend und wie ein bleibender,
gewöhnlicher Zustand – [ENDE M1] – und muss sich auch in einem praktischen
Tugendleben auswirken, das den mystischen Gnaden entspricht und durch diese
ermöglicht wird. Das ist dann nicht immer so leicht; im Gegenteil können die
Anforderungen der Gnaden im praktischen Leben so schwer, und die äußeren und
inneren Nöten und Leiden so viel und groß werden, dass man sie vielleicht nicht
mehr alle einzeln und ausdrücklich bejahen kann, sondern zeitweise nur mehr an
den allgemeinen Entschluss restloser Hingabe sich anklammern kann. Ich will
alles leiden, will alles leiden, ob es nun von dieser oder jener Seite an mich
herankommt, ich will alles leiden (so wenigstens habe ich es zeitweise erlebt).
Auseinandersetzungen mit den einzelnen Schwierigkeiten, Ungerechtigkeiten und
Prüfungen usw. könnten die Seele geradezu mutlos machen und wie erdrücken. Gott
fordert eben tatsächlich seine besondere Gnade mit einer entsprechenden Frucht
wieder zurück in einem praktischen geübten Tugend– und Opferleben. Er will
seine Gnade wirklich fruchtbar gemacht sehen, sei es unmittelbar zu seiner
größeren Verherrlichung, zum Heil der Kirche567 oder zur
Verwirklichung seiner besonderen Absichten der Liebe, sei es zur eigenen
Heiligung der Seele und damit wiederum zu seiner größeren Ehre. Immer aber muss
beides unmittelbar ineinandergreifen: besondere Gnadenführung und
entsprechendes Tugendleben. Die Gnade muss im gelebten Glauben fruchtbar
werden.
2004 |
In diesem Zusammenhang wurde mir als geistige
Grundlage für die Ausführung des zu gründenden Priesterinstitutes gestern ein
kurzes, vielsagendes Wort angegeben: Theorie und Praxis müssen im Priesterwerk
ineinandergreifen. Der Glaube muss dort wirklich geübt und geliebt werden und
muss sich bis ins einzelne in der Praxis und im Leben auswirken. – Dabei hatte
ich die innere Erkenntnis: Heute liegt bei allzu vielen zwischen Theorie und
Praxis ein klaffender unüberbrückbar scheinender Abgrund. Dieser klaffende Riss
muss sich zusammenschließen durch die praktische Übung und Vertiefung des
Glaubens. Was jemand lehrt und lehren kann, das muss er auch üben und ausführen
können. Gott fordert vom einzelnen Menschen eine folgerichtige Übung des
Glaubens, um sich dadurch wirklich als „Gott“ mit seinen göttlichen
Vollkommenheiten im Menschenleben erweisen zu können. Gott will in allem ernst
genommen werden.
2005 |
Im Priesterwerk wird mir daher als vornehmste
Lehre und Übung gezeigt das Zusammen– und Ineinandergreifen von Gnade und
Glaube und Praxis, und zwar im vollen und bis ins einzelne folgerichtigen
Erfassen der tiefsten Quelle des Glaubens. Dadurch will sich Gott auch für die
heutige Menschheit als „Gott“ erweisen. (Es wurde mir noch Verschiedenes
klargemacht über diese geistige Grundlage des Priesterwerkes, aber es ist mir
jetzt noch nicht geläufig zum Schreiben.)
2006 |
2007 |
Grundlage M2
2008 |
Das Jahr 1942 endete für mich gestern mit
unaussprechlichen inneren Leiden. Es war ein völliges, eigenes Zerbrechen in
mir. Die ganze, scheinbare Nutzlosigkeit aller Opfer und Leiden für das zu
gründende Priesterwerk stürmte wieder auf mich ein. Mein inneres Gnadenleben
war wie bedeckt und verdunkelt von dem Übermaß der Leiden und es schien alles
wie eine aussichtslose Torheit. Da blieb im tiefsten Grunde568 nur
der feste Entschluss in mir bestehen: „Ich will alles, alles leiden, damit ich
wenigstens von meiner Seite alles getan und gelitten habe“.
2009 |
Heute Morgen aber war alles ganz anders. Ich
war wie ein sorgloses Kind, ganz im Frieden des Herzens Jesu mich bewegend. Ich
selbst bin gleichsam die Ruhe, die Einheit, bin in einem wunderseligen Frieden
in mir selbst eingebettet.
2010 |
Bei der heiligen Kommunion wurde ich vom
Geiste, der mich leitet, zurückgeführt bis zu meiner ersten Aufopferung im
Jahre 1922, wo von mir gefordert war, dem lieben Heiland das Opfer meines
Lebens zu bieten, weil er selbst dieses wie sein Eigenes beanspruchen wolle.
Nun mache er – so erkannte ich – jene Anforderung und jenes Angebot vollends
wahr. Zugleich war ich dieser Anforderung ganz überantwortet und befand mich
schon (im Voraus) im Eingehen in diesen wirklichen Opferzustand. Diese
Inanspruchnahme meines ganzen Seins – so wurde mir erklärt – sei eine
Bestätigung der vielen Jahre hindurch andauernden, besonderen, göttlichen
Führung, bei der es sich nicht um leere Gefühle handelt, sondern alles auf das
eine große Ziel tatsächlich hingeordnet und hinbezogen war.
2011 |
O, ich bin so bereit! Wie könnte ich meine
Bereitschaft569 Jesus gegenüber ausdrücken?! – Welchen Ekel und
Widerwillen fühle ich gegen mich selbst, nachdem ich in so hoher Weise das
göttliche Sein erlebt habe, dem ich nun vielleicht schon ganz bald zu Diensten
sein werde, in seinem Erlöserleben aufgehend. Es ist ein verzehrendes Verlangen
in mir, mich ganz für Jesu Leben aufzubrauchen.
2012 |
Ich bin aber auch in wundersame Weise in ihn
aufgenommen: Aus zweien ist sozusagen nur eines geworden. So bin ich ganz jener
höchsten Anforderung Jesu hingegeben und es braucht nur mehr einen Akt seines
Willens zu einem vollkommenen, tätigen Aufgehen und Eingehen in sein
Erlöserleben. Ich bin so wunderbar geistig verfeinert – aber es gibt ja kein
Wort, um meinen seelischen Zustand zu beschreiben.
2013 |
Ich habe mich heute wieder neu und ganz dem
Heiland geopfert im Sinne meiner ersten Hingabe: „So wahr du Jesus heißt, ich
bin bereit für dich; und in Anbetracht deiner göttlichen Treue, die du mir
meiner Inanspruchnahme beweist, erwarte ich mit vollem Vertrauen auch die
Erfüllung aller übrigen Versprechen, die du mir gegeben hast“.
2014 |
In welchen wunderbaren inneren Zustand bin ich
heute! Die Vergeistigung meines ganzen571 Seins erhöht sich noch
fortwährend. – Vor einigen Tagen konnte ich mit großer Ruhe gleichsam „auf mich
selbst herniederschauen“ und etwaige körperliche Schmerzen (Zahnschmerzen)
berührten die Spitze meines Seins gar nicht; ich konnte gleichsam darauf
herabsehen, wie man sonst einer anderen Person zusieht. Heute nun ist dieser
Zustand auch wieder überschritten und ich stehe jetzt wie „senkrecht“,
unmittelbar in mir und in unaussprechliche Unumschränktheit des Geistes dringt
die oberste Geistesspitze in den Mittelpunkt meines Wesens. Alles dies aber
ohne Bemühung: Wie das Wasser im Strombett seinen Lauf geht, so etwa bewegt mich
Gottes Sein in sich hinein.
2015 |
Heute Morgen konnte ich begreifen, wie die
Gottheit des ewigen Wortes seine heiligste Menschheit mit sich empor nahm und
ganz vergeistigte und vergöttlichte – und jetzt erfahre ich selbst einen
ähnlichen Zustand: Gott als Geist trägt das menschliche Leben und macht es zu572
einem ganz vergeistigten und vergöttlichten Leben. – Die göttliche Geistigkeit
des Wortes war Urgrund und Quellgrund im menschlichen Leben Christi.
2016 |
War schon gestern meine innere Umwandlung in
ein „Leben des Geistes“ auffallend erhöht, so habe ich heute darüber hinaus
noch eine prinzipielle Vertiefung des inneren Seins erhalten. Mein eigenes
menschliches Sein scheint sich jetzt ganz zu überschreiten und es beginnt ein
neues Leben für mich, dessen Grundquellen die des Geistes (Gottes) sind.
2017 |
Jetzt kann ich von Neuem in hohem Maße den
weiten inneren573 Weg überschauen, den ich hinter mir habe. – Die
Überwindung des (moralisch) gefallenen Menschen führte mich zurück zu jener
wesentlichen paradiesischen Freiheit und Erhabenheit des Geistes, worin die
Niederungen des Materiellen beherrscht und geleitet werden und statt des durch
die Sünde aufgerissenen Zwiespaltes die einheitliche Harmonie der
leibseelischen Kräfte wiederhergestellt ist. Diese volle menschliche Harmonie
zwischen der Geist-Seele und den physischen Kräften brachte eine wundervolle
Erhebung und Leichtigkeit des Menschseins mit sich, insofern alle
leib-seelischen Kräfte auf den höheren, von Gott geschaffenen, übernatürlichen
„Geist“ der Seele hingeleitet und dort befestigt werden. Dadurch hört gänzlich
jener brennende Zwiespalt auf, der sonst den Menschen in einer ständigen
Spannung hält, und eine immerwährende Kampfstellung von ihm fordert, damit er
das Gleichgewicht, oder vielmehr das Übergewicht des Geistes, bzw. des höheren,
übernatürlichen Menschen in sich erringe und schaffe. Die erreichte volle
Ausgeglichenheit löst aber jene vorher notwendige Kampfstellung und statt derer
gibt die neue, einheitliche Harmonie aller Anlagen und Kräfte ungeahnte,
weitere Möglichkeiten des freien Aufstieges zu Gott. Damit beginnt eigentlich
erst die volle Freiheit der Seele hin zu Gott, weil sie nun von den Klammern
des Niederen und von dem nach unten ziehenden Gewicht und Druck der Materie
befreit ist und sich ihrer nur insoweit bedient und sie gebraucht, als es zu
einem menschlichen Leben notwendig ist, ohne irdischen Genuss zu suchen. Gott
hinwiederum kann eine so befreite und losgelöste Seele erst ganz für seine
hohen, göttlichen Absichten bilden und umformen; denn die Seele ist nun in
hoher Weise befähigt, hineingezogen zu werden in den Urgrund Gottes und Gott im
Wesen seines Seins, im „Geiste“ zu erfahren und zu genießen. Nachdem die Seele
vom tiefsten Kampfe in sich selber befreit ist, die Hemmungen und Hindernisse
der Materie überwunden sind und somit gleichsam574 die Scheidewand
zwischen Gott und der Seele gefallen ist, tut sich die Pforte Gottes für die
Seele selber auf und der Strom göttlichen Lebens ergießt sich unaufhaltsam in
sie. Es braucht nun sozusagen keine Bemühung mehr, um das untere,
niederziehende Leben im Zaume zu halten. Es ist vielmehr eine volle Neuordnung
im Menschen selbst geschaffen.
2018 |
Ich kann sagen: In Wahrheit, ich lebe ein
neues Leben, aber welches? Menschliche Worte können diese Wirklichkeit nicht
ausdrücken und ein volles Mitverstehen durch andere ist erst möglich von Seele
zu Seele im anderen Leben des Geistes, im Jenseits, wenn die Seelen mit dem
Besitz Gottes selbst eingeführt werden in das Geheimnis der Aufstiegsmöglichkeiten575
einer Seele in Gott und sein tiefstes, geistiges Wesen (durch Gottes besondere
Gnade schon hienieden). Nur eine außergewöhnlich vergeistigte Seele kann ein
Ahnen bekommen vom Leben Gottes selbst. Und in dieses Leben Gottes selbst gehe
ich jetzt tiefer und intensiver ein.
2019 |
Heute (06.01.1943), nach der heiligen
Kommunion (in St. Peter) wurde ich durch eine besondere Gnade „aufgenommen in
den göttlichen Lebensstrom“ (mit diesem Ausdruck wurde mir die wunderbare,
außerordentliche Gnade erklärt). – Es teilen sich also die einzelnen Abschnitte
meines Innenlebens immer wieder auf. Vorher war mir das Leben und Erleben Jesu
als anscheinend nächststehendes Ziel gezeigt worden; jetzt zeigt sich, dass
dies zwar das nächste große oder letzte Ziel ist, dass dem aber noch
Zwischenstufen vorausgehen. Bisher schon lief das teilweise Erleben Jesu bzw.
der Erlöserperson gleichsam im Voraus mit meiner inneren Vorbereitung mit, in
dem Maße, als der Grad meiner erreichten geistigen Einheit mit Christus es
möglich machte. Das wesentliche, übernatürliche organisch wachsende Innenleben
führte mich zunächst in den Paradieseszustand ein und jetzt in das Wesen Gottes
selbst als in den Urgrund der göttlichen Person des Wortes. (Von dort aus wird
mein Inneres erst einmünden in den wirklichen – wenn auch mystischen – Zustand
der göttlichen Erlöserperson). Mein inneres Leben wird also jetzt
übergeschaltet in das göttliche Leben selbst, natürlich nicht so, als ob ich
damit „Gott“ würde, aber es wurde mir heute eine ganz besondere Zuteilung der
Teilhabe an der göttlichen Natur gegeben. Indem mich dieser göttliche
Lebensstrom immer mehr für ein vergöttlichtes Leben befähigt, wird infolge
dieser besonderen Gnade das göttliche Sein wie zu meinem Lebensprinzip, zu
meinem bleibenden und wie gewöhnlichen Lebenszustand werden.
2020 |
Dabei wurde mir auch folgende grundlegende
Frage und Tatsache erklärt: Um das Geheimnis des gottmenschlichen Lebens
Christi näher erfassen zu können, muss man zuerst in den göttlichen Lebensstand
Gottes bzw. des Wortes selbst einzudringen vermögen. Darauf ist deshalb auch
mein jetziger, unmittelbarer Vorbereitungsweg für das Erleben der göttlichen
Erlöserperson hingerichtet. Ich werde in ganz hoher Weise in das göttliche
Leben selbst hineingenommen und werde davon aufgenommen; denn das göttliche
Lebensprinzip war die Grundlage im Leben des Erlösers und ich werde für dieses,
sein Leben voll aufnahmefähig und erlebnisfähig gemacht und werde ganz dieser
Aufgabe zugeteilt. Darum werde ich – dem Inneren nach – langsam immer mehr
meinem eigenen, persönlichen Leben und Dasein enthoben und in das göttliche
Leben Christi übergeschaltet. Nach meinem jetzigen Voraussehen wird dabei mein
äußeres Leben gewöhnlich bleiben und nur soweit sich verändern als es von dem
inneren Leben Christi in Mitleidenschaft gezogen werden wird, das mich dann
innerlich ganz in Anspruch und Beschlag nehmen wird.
2021 |
Mein ganzes Inneres drängt jetzt wie
unwillkürlich, spontan, grundsätzlich immer tiefer hinein576 in
„Gottes Wesen“ selbst; das göttliche Sein in mir ist mir zu meinem eigenen
pulsierenden Lebensstrom geworden. Die Ausschaltung jedes noch
entgegenstehenden, eigenen Hindernisses und Widerspruches oder Gegensatzes
vollzieht sich daher jetzt ohne die Bemühung bewusster, persönlicher
Willensakte meinerseits; denn das göttliche Leben in mir stößt nun wie von
selbst und wie naturgemäß jeden eigenen Einfluss meinerseits ab. Daraus ersehe
ich, in welch hohem Maße ich nun vom göttlichen Lebensimpuls577
beherrscht und getragen werde.
2022 |
Die höchste Höhe des Eingehens in das
göttliche Leben und Sein wird für mich jene Stufe der Befähigung und
Vergöttlichung meiner Seele sein, die erfordert und notwendig ist, damit ich578
das göttliche Sein Christi in seiner menschlichen Natur wie als mein eigenes
mystisches erleben kann. Diese höchste Stufe ist für mich jetzt im Grunde noch
ein Geheimnis, doch sehe ich sie mitsamt ihren Auswirkungen für mich schon
jetzt als Ziel voraus. Dann werde ich ganz dem göttlichen Lebenshabitus des
Erlösers überantwortet werden, und zwar so, dass dieses göttliche Leben und
dieser Habitus Jesu für mich wie mein eigenes Lebensprinzip sein wird.
2023 |
Trotz dieses so außergewöhnlichen Gnadenlebens
ist doch alles so wundersam einfach in mir. Ich selbst bin gleichsam die
Erhabenheit, Leichtigkeit und Unumschränktheit eines Geistes, dem das niedere
menschliche Leben ganz eingeordnet ist, ohne jenen hohen Vorzügen irgendwie zu
stören oder zu vermindern. Meine einzige „Unruhe“ oder Sehnsucht ist die, dass
ich noch nicht ganz jenes letzte Ziel, d. h. den mir bestimmten Vollzustand der
Vergöttlichung meines Seins erreicht habe, auf den alles in mir mit
geheimnisvoller Gewalt hindrängt und in dem ich dann befestigt werde.
2024 |
Heute Morgen erfuhr ich innerlich wieder als
Ziel jenen für mich bestimmten (und im Vorhergehenden beschriebenen)
Lebenszustand, der mir als wirkliche Lebensgrundlage dienen wird und der sich
jetzt noch weiter in mir ausbaut. Es bildet sich in mir die vorher beschriebene
Vergeistigung, und zugleich die göttliche Inanspruchnahme und Beschlagnahme
meines Seins als mein wirkliches Leben aus. Ich bin ganz den gnadenvollen
inneren Bewegungen hingegeben, die mich darauf vorbereiten. – „Ich kann dann
dieses vergöttlichte Leben, getragen vom göttlichen 'Ich' der Person Christi,
leben als wie mit meinem 'Ich', dem mein bisheriges persönliches Leben ganz
unterstellt wird“. So geheimnisvoll tief führt mich Christus in sein eigenes,
göttliches Lebensprinzip ein. – Dies wird für mich auch der Ersatz sein für die
Abgabe und Hingabe meiner eigenen persönlichen Lebensbewegungen, die dann
gereinigt, erhöht und vergöttlicht, durch eine ganz besondere Gnade fähig sein
werden, dem göttlichen Leben Christi dienstbar zu sein, und denen dann seine
göttliche Person vorstehen wird, als wäre es ganz meine eigene Person. – Der
liebe Heiland wird damit ein unerklärliches psychologisches Wunder wirken in
mir, indem er gleichsam die Stelle meiner bisherigen Person, und deren
Funktionen vertritt.
Abends:
2025 |
Nun bin ich wieder in ganz großen Leiden, die
von äußeren Schwierigkeiten ihren Ausgang nahmen und sich auf das innere Leben
übertragen haben. Nach außen bin ich ein vollkommen579 existenzloser
Mensch, ganz auf die Barmherzigkeit anderer angewiesen. Durch diese, meine580
äußere hilflose Lage werde ich gleichsam aus diesem Leben hinausgedrängt, aber
ich spüre und verstehe, dass Jesus diese von außen kommenden Leiden zulässt, um
mich vollkommen von irdischen Stützen und Hemmungen zu befreien und ein Leben
des Geistes in ihm für mich vorzubereiten.
2026 |
Die inneren Leiden sind unaussprechlich. Ich
habe im eigenen Innern jede Existenzmöglichkeit verloren und bin wie jemand,
der jede eigene Herrschaft und Befehligung seiner selbst und damit die
entsprechende Freiheit entbehren muss und so wie ohne eigenen Halt in sich
selbst zusammenstürzt. So bin ich581 ganz haltlos, grundlos,
kraftlos meiner eigenen Schwäche überlassen. Dabei bleibt aber jene frühere
erworbene Geistigkeit bestehen und ich bin in mir selbst unsagbar leicht und
erhaben und wie „schwebend“ in mir selbst; doch gerade deshalb scheint es, als
hätte ich eine Selbst-Stütze nötig und als fehle meinem Sein ein festes
Rückgrat. Es ist mir eben gleichsam die Betätigung meiner eigenen Person oder die
personhafte Tätigkeit der Seele entzogen und abhandengekommen, wodurch doch das
ganze Gebäude des geistigen Bestandes der Seele erst gestützt und vollendet
wird. Aber durch diese mit schmerzlichen, geistigen Leiden verbundene, große
Umänderung meines Inneren soll ich lernen und allmählich dazu geführt und
befähigt werden, mich vollends dem rein-geistigen Einfluss der göttlichen
Person Christi zu überlassen.
2027 |
Die Bestandsfähigkeit in Akten meiner eigenen
Person löst sich in mir immer mehr auf, es mehrt sich die Befreiung und
Freistellung gegenüber dem eigen-persönlichen Einfluss, aber dafür wächst auch
entsprechend der Einfluss einer anderen geistigen Macht und Beherrschung, der
meine Seelenkräfte nun überantwortet werden. Es bildet sich ein anderer
Selbststand in mir aus, dem nun meine eigenen seelischen Kräfte langsam
übergeben werden. Es entwickelt sich in mir merkwürdigerweise eine rein
geistige Zuständlichkeit meines ganzen inneren Seins, ein rein-geistiger
tiefster Quellgrund meines Seins, aus dem mein Gesamtleben hervorströmt: Es
wird in mir eine geistige, neue Lebensgrundlage und gleichsam ein neues
Lebensprinzip ausgebildet.
2028 |
Mein ganzes inneres Sein hebt sich heraus und
hebt sich ab von meinem früheren, gewöhnlichen Sein. – Im gewöhnlichen
Seelenleben dringt das „Ich“ mittels seiner ihm zur Verfügung stehenden Kräfte
nach oben, zum Höheren, jetzt aber führt das Höchste, Geistige in mir eine
Alleinherrschaft; das Niedere, Materielle scheint geradezu aufgehoben zu sein,
obwohl es in Wirklichkeit noch da ist; es ist aber so vollkommen dem höchsten,
geistigen Sein eingeordnet, dass es nicht mehr so fühlbar ist. Das Geistige ist
nun alles in mir und übt die volle Herrschaft aus. Darum ist mir so wunderbar,
als habe mein Sein nun (um mich irgendwie auszudrücken) keine „Füße“, d. h.,
keinen fühlbaren Untergrund, und ich scheine wie „schwebend“ in mir zu sein.
Mein ganzes Sein quillt aus einer rein-geistigen Grundlage, von der alles in
mir getragen wird. – Ich muss mich aber erst an diese rein-geistige Grundlage
gewöhnen und leide noch darunter, denn ich kann dabei nur bestehen im vollen
Verzichten auf mein früheres, gewohntes Sein, das mir jetzt entrückt und
weggenommen ist; dabei ist mir jetzt noch in etwa zumute wie jemanden, dem man
den Boden unter den Füßen wegnehmen würde und der dann frei schwebend stehen
könnte und müsste.
2029 |
Mein ganzes Leben und Sein entströmt und
entquillt jetzt einer anderen geistigen Lebensquelle, an deren Lebenskräfte ich
mich erst gewöhnen muss. In diesem geistigen Leben ist nur „ein Akt“; alle
geistigen Funktionen sind in einem Akt, in einer einzigen Lebensfunktion
enthalten. Aus dieser geistigen Lebensquelle strömt darum nur eine
„Einheitlichkeit“ und Einfachheit, die meinem ganzen Sein genügen muss und mich
auch im vollen Erfassen dieser in sich zusammengeschlossenen und
zusammengefassten Lebenseinheit ganz und gar genügt. Und diese Einheit ist
zugleich „mein Leben selbst“. – Doch befinde ich mich erst in der Entwicklung
und Entfaltung dieser erwähnten, neuen Lebensgrundlage; sie582 wird
sich noch viel umfassender und intensiver ausbilden, bis dieses neue Sein als
mein tätiges Ich, als wirklicher Habitus und eigentlicher Selbststand, sich
voll auswirken wird. Willentlich bin ich aber heute schon ganz auf diese
geistige Umänderung hingerichtet und behaupte mich schon darin; ich vermag es
heute in viel höherem Maße, weil durch die gestrigen schweren Leiden meine
frühere Lebensart noch weiter zurückgetreten ist. –
2030 |
Vermittels dieser meiner Lebenseinheitlichkeit
mit Christus hatte ich heute Morgen ein inneres Erleben über die Art des
menschlichen Lebensgenusses und der Lebensauffassung im Erlöser. Es wurde mir
Christus nahegebracht und innegemacht als der „Vollmensch in jeder Hinsicht“. –
Jesus war nicht ein einseitiger Geistesmensch, und sein Leben hatte nichts von
einer Einseitigkeit des Geistes, wie man vielleicht annehmen möchte bei dem
göttlichen, rein-geistigen Träger dieses Lebens, bei der göttlichen Person
Christi. Jesus genoss vielmehr auch die Freuden des „Mensch-seins“, jenen
Genuss, den das Menschsein mit sich bringt. Er war in allem ein wahrer und
voller Mensch vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung an. Damit
verherrlichte er den Schöpfer, heiligte er den Namen seines himmlischen Vaters
und brachte er ihm durch diesen heiligen Genuss der eigenen Menschheit eine
immerwährende Huldigung und Danksagung dar. Gott will auch, dass der Mensch
sein menschliches Leben wahrhaft schätze, es als große Gabe Gottes anerkenne
und ihm dafür danksage. Die menschliche Lebensfunktion, die an sich harmonische
Verbindung von Seele und Leib ist ja ein beständiges Natur-Wunder Gottes.
Christus genoss diese Gabe des himmlischen Vaters, dieses Menschsein als sein
Sohn in Menschengestalt, und zwar als wirklicher, leibhaftiger Mensch und nicht
etwa nur als einseitiger Geist-Mensch. Er ist in allem unser Bruder geworden,
in allem uns gleich, die Sünde ausgenommen. Darum ist es Tatsache, dass er in
jeder Beziehung seine menschlichen Kräfte in Anspruch nahm, gebrauchte, benützte
und auslebte.
2031 |
Jesus lebte sein Menschsein vor allem in dem
tiefsten Sinne, den das menschliche Leben, das eine Gabe des himmlischen Vaters
ist, als höchsten Zweck der Erschaffung in sich trägt, als Verherrlichung des
Vaters. Der Mensch sollte ja eine ständige Verherrlichung der göttlichen
Allmacht und Güte und der Selbstmitteilung der göttlichen Liebe sein. In
Christus allein gelangte das Menschsein in dieser wahrsten Auffassung zur
höchsten gottgewollten Höhe und wurde somit zur höchsten Verherrlichung des
Vaters. Und dieser selbst bezeugte: „Dieser ist mein viel geliebter Sohn, an
dem ich mein Wohlgefallen habe“. – In Christus wurden auch alle Gaben und
Fähigkeiten und Gnaden des menschlichen Lebens voll ausgenützt, weil sie
unmittelbar der göttlichen Person des Wortes und deren höchsten Vollkommenheit
dienstbar gemacht waren. In diesem Sinne wurden in der Menschheit Jesu auch die
ganze Menschheit und das Menschentum wieder geheiligt und geadelt, weil die
Gesamt-Menschheit geheimnisvoll verbunden war mit der Menschheit Jesu und
zugleich mit dieser und in ihr dem himmlischen Vater dargebracht wurde. In
Christus wurden alle menschlichen Kräfte wieder der Gott-Dienstbarkeit fähig
gemacht und so die Gesamt-Menschheit mit zu Gott emporgenommen und geheiligt. Einer
ist unser Bruder im höchsten, göttlichen Sinne, unser wahrer Bruder: Christus,
in dem wir alle wieder „für Gott“ geworden sind.
2032 |
Will man das menschliche Leben Christi
verstehen und tiefer in sein Geheimnis eindringen, so muss man Folgendes im
Auge behalten: Christus war Erlöser kraft seiner göttlichen Person und alles
menschliche Sein strömte aus einer göttlichen Lebensquelle, kraft welcher er
Mensch war. Infolge seines göttlich-personalen Seins war sein Menschenleben
ganz und gar Gottes. Was er tat und sprach, empfand und lebte, entsprach der
Vollkommenheit seines göttlichen Habitus583. In ihm ist das
Göttliche im Menschlichen sichtbar und fruchtbar geworden. Die göttliche
Heiligkeit machte seine menschlichen Werke ebenso heilig, als hätte die
göttliche Natur Christi allein sie vollbracht. In dieser – wenn ich mich kurz
ausdrücken darf – konzentrischen Einheit mit dem Göttlichen liegt das Geheimnis
des wahren und wirklichen Menschenlebens Christi; die göttliche Person wirkte
im Menschen Christus und durch ihn. – Die göttliche Person benützte wiederum
ihre heiligste Menschheit als Mittel zur Erlösung und die menschliche Seele
Jesu war so vollkommen, dass sie den Anforderungen der göttlichen Person voll
genügen und folgen konnte.
2033 |
Als wahrer, voller Mensch hat Christus die
Stufen und Zeiten des menschlichen Lebens gleich uns durchschritten. Obwohl
durch den Heiligen Geist in Maria empfangen, hatte er doch einen Anfang seines
irdischen Lebens gleich dem Unsrigen. Das Kind Jesu in der allerersten
menschlichen Entwicklung verherrlichte den himmlischen Vater ob der
Wunderbarkeit der leiblichen Mutterschaft Mariens, in der er sich allen
Menschen gleichgemacht hat. Da Jesus als göttliche Person das Bewusstsein
seines Zustandes und das Wissen um seine Umgebung hatte, genoss er in Maria die
wunderbare Fülle jener Mutterschaft im erhabensten Sinne. Obwohl ihm dieser
arme Anfang seines menschlichen Lebens eine große Verdemütigung war, so liebte
er diese Verdemütigung doch auch im Genuss und Auskosten seines menschlichen
Werdens zum Heil der Gesamt-Menschheit. Kraft der ganzen Hingabe seiner
göttlichen Person unterwarf er sich zärtlich liebend dem leiblichen Einfluss
und dem Wachstum im Mutterschoß.
2034 |
Jesus genoss dann auch die Freuden seiner
Kindheit, vor allem die Zärtlichkeit seiner heiligsten Mutter und des heiligen
Josephs, mit der innigsten Freude und erwiderte sie vom ganzen Herzen.
(Selbstverständlich meine und gebrauche ich das Wort „genoss“ oder „Genuss“
hier und im Folgenden nur in einem ganz hohen und reinen Sinn, wie man z. B.
spricht vom Genießen der Freude, Gutes tun können, edle Liebe empfangen und
erwidern zu können, sich an der Natur und Schöpfung ergötzen zu können.) er war
ganz „ihr“ Kind geworden, über das sie verfügen und das sie erziehen und lieben
konnten und durften. Die Gottheit Jesu hat sich ganz dem leiblichen Wachstum
des Kindes angepasst, d. h. so, dass man in einem wahren Sinne sagen kann: „Die
Gottheit wuchs“ mit dem Kinde. Niemals freilich entschwand ihm das Bewusstsein
seiner göttlichen Person, und gerade dieses Bewusstsein erhöhte (neben der
Verdemütigung) auch die Freude und den Genuss seines Menschseins; den Jesus
lebte sein irdisches Leben kraft seiner Gottheit, die das Tragende, das
wirkliche „Leben und Belebende“ in ihm war und darum fühlte er auch alle
Freuden viel tiefer, auch die großen Freuden seiner Kindheit, nämlich das
Geliebt-sein von seiner heiligste Mutter und dem heiligen Joseph. Infolge
seiner Göttlichkeit war Jesus ja in höherem und höchstem584 Sinne
liebefähig und empfänglich für alle Liebe und konnte er diese auch ganz innig
erwidern. Alles im menschlichen Leben Jesu war in seinem tiefsten Ursprung
göttlich; daher war auch jeder seiner kindlichen Regungen und Äußerungen von
höchster Vollkommenheit getragen, wie er anderseits wieder der Pflege- und
Hilfsbedürftigkeit gleich allen Menschenkindern unterworfen war und sein
wollte. In der tiefsten Demut ließ Jesus alles dies über sich ergehen und wurde
hilflos trotz der Kraft seiner göttlichen Person.
2035 |
Jesus liebte und genoss auch die Freude seines
Wachstums in seiner Jugendzeit. Er freute sich seines aufblühenden Lebens,
gleich unserer Jugendzeit. Jesus war kein einseitiger Büßer und Aszet, sondern
ein wahrhaft ausgeglichener Mensch. Ich hatte innerlich das Erfahren: Jesus
bejahte sein menschliches Leben und Sein; er liebte es und lebte es aus und
freute sich seines Menschseins, weil es für ihn das Mittel war, um die
Gesamt-Menschheit damit zu erlösen und zu erhöhen.
2036 |
Jesus lebte sein Menschsein voll und intensiv,
auch seinen menschlichen Affekten und Gefühlen nach. Auch diese waren getragen
von der göttlichen Höhe und der umfassenden Weite seiner Person und waren deren
göttlicher Vollkommenheit entsprechend. Auch die Freuden seines Gemütes, wahre
menschliche Freuden, entsprangen im Tiefsten seinem göttlichen Wesen und taten
sich in menschlicher Weise kund. So hat er in höchster Vollkommenheit alle
edlen und hohen Freuden des Menschseins mit seinem menschlichen Gemüt und
Empfindungsvermögen voll empfunden und gekostet. Schon die Liebe zu seiner
heiligsten Mutter und zum heiligen Joseph bot ihm hohen, heiligen Genuss. Vor
allem aber bot ihm die Liebe zu seinem himmlischen Vater – bei seiner immerwährenden,
wesenhaften göttlichen Einheit mit dem Vater – den höchsten
seelisch-menschlichen Genuss, denn seine heiligste Menschheit hat diese
göttliche Freude und Beseligung wirklich auch – soweit möglich – menschlich
erlebt und empfunden und sich ihrer erfreut. Es war ja seine heiligste
Menschheit, die mittels der göttlichen Person ständig im Vater war und infolge
der Einheit seines gott-menschlichen Seins in diesen göttlich-wesentlichen
Genuss aufgenommen war. So lebte Jesus in vollkommenem göttlichen Maße sein
Gefühls- und Gemütsleben585, überhaupt sein ganzes Menschenleben
aus.
2037 |
In diesem göttlichen Vollkommenheitsmaß
erfolgte auch sein Umgang mit den Menschen und gerade mit jenen, die er
besonders liebte und in deren Gesellschaft er gerne weilte. Aus dieser seiner
göttlichen Tiefe entsprang seine Freundesliebe, sein Mitleid mit den bedrängten
und leidenden Menschen. Jesus war so liebevoll, so mitleidig, so tief
empfindsam und hilfsbereit, so treu und gütig wie Gott selbst. In seinen
göttlichen Gesinnungen und Taten sah sich der himmlische Vater selbst, weil das
göttliche Wesen im Erlöser immer wirksam und tätig blieb586.
Göttlich tief erlebte Jesus sein587 menschliches Leben, und dieses
Leben selbst war für ihn vollwertig und machte ihn selbst als Menschen
glücklich.
2038 |
Und nicht nur sein inneres Leben erfüllte den
göttlichen Zweck, sondern auch588 sein Äußeres, oder vielmehr: Es
gab in Christus nur eines, das göttliche Leben, das trotz der unvermischten
beiden Naturen in ihm eine volle Einheit bildete. Diese göttliche Einheit lässt
sich aber in menschlichen Worten überhaupt nicht ausdrücken. Beim gewöhnlichen
Menschenleben denken wir an ein inneres und an ein äußeres Sein, weil der
Mensch infolge der Unvollkommenheit seines gefallenen Zustandes sich gleichsam
zerteilen muss und das äußere Tun vielfach mit dem inneren guten Wollen nicht
gleichen Schritt halten kann. Bei Christus aber, in seiner göttlichen
Vollkommenheit und seiner wesentlichen sittlichen Höhe, war beides nur wie
eines: Sein göttliches Sein war auch entsprechendes göttlich menschliches
Leben. Das göttliche Sein Christi wirkte sich unmittelbar aus als
entsprechendes göttlich-menschliches Gefühlsleben und als entsprechende
göttlich gute Tat. In Gott ist nur eine gute Tat möglich, ob sie nun in
rein-göttlicher oder zugleich in göttlich-menschlicher Natur vollbracht wird.
Es gibt in Gott keinen Zwiespalt noch ein Umgehen der göttlich-wesentlichen
Vollkommenheiten. – Es ist dies ein großes und wunderbares, unaussprechliches
Geheimnis in Christus, wenn man es innerlich erfahren kann.
2039 |
Entsprechend tief wie seine Freuden empfand
der Erlöser aber auch seine Leiden, weil er freiwillig sich ganz dem
menschlichen Erleben seiner Menschheit hingab und auch seine Feinfühligkeit,
Empfänglichkeit und Empfindsamkeit gegenüber Widerspruch oder irgendwelchen
Eindrücken von außen aufs Vollkommenste ausgebildet war. – Das göttliche Wesen
in Jesus war ebenso gerecht wie gütig und darum traf das Zurückweisen seiner
göttlichen Liebe durch die Menschen den Gerechtigkeitssinn seiner göttlichen
Person; er empfand daher alle Verletzungen seiner Liebe mit der ganzen, ins
menschliche übertragenen Schärfe seines göttlichen Gerechtigkeitssinnes. Dem
stand aber dann seine göttliche Barmherzigkeit gegenüber, durch die seine göttliche
Gerechtigkeit wieder überwunden wurde und die für uns Menschen ein noch
unbegreifbares589 Geheimnis ist. – Ich habe schon in den Jahren
1923-24 mittels einer besonderen Gnade die göttlichen Vollkommenheiten Christi
durch eine besondere Anteilnahme an seinem göttlichen Wesen erlebt. Schon
damals schien mir: Die göttliche Barmherzigkeit, die seiner göttlichen Liebe
entspringt, ist tatsächlich die für einen Menschen unbegreiflichste und
unerklärlichste unter allen göttlichen Vollkommenheiten. Ich schaute das Wesen
der göttlichen Barmherzigkeit, indem ich zuerst seine wirklich göttliche und
verletzte Gerechtigkeit erkannte und dann seine darauf erwidernde göttliche
Barmherzigkeit. Ich erkannte auch die Lösung dieses unbegreiflichen
Geheimnisses in der Anerkennung der Ohnmacht des Menschen in seinem gefallenen
Zustand von Seiten Gottes; wenn Gott nicht so göttliche barmherzig wäre, würde
kein Mensch gerettet werden; denn Gott muss immer dem Menschen mit seiner Gnade
zuvorkommen und ist ihm auch immer zuvorgekommen.
2040 |
Es erhebt sich aber die Frage: Wie ist590
es möglich, dass Jesus die Freude und den Genuss des Menschseins in seinem
reinen Zustande empfand und doch sein menschliches Leben zu einem beständigen
Opfer- und Sühneleben für die Menschheit machte, wie dies der Zweck seiner
Menschwerdung war? Man möchte ja annehmen, dass der göttliche Genuss, den Jesus591
auch menschlich empfand, den Opferzustand des Erlösers dermaßen hätte
abschwächen müssen, dass entweder das Höhere und Göttliche das menschliche Niedere
nicht ganz aufkommen ließ oder dass dieser göttliche Genuss592 das
menschliche Gefühlsleben gar nicht erreichte. (In Wirklichkeit aber waren – wie
vorher beschrieben – alle Seelenkräfte Jesu vom göttlichen Sein beansprucht und
war das menschliche Sein Jesu kein einseitiges Geistesleben). – Auf diese
unwillkürliche Frage wurde mir zur Antwort erklärt und gezeigt: Der göttliche
Vollkommenheitshabitus Jesu war so sehr und so vollkommen in seiner Menschheit
wirksam, dass die menschlichen Seiten seines Lebens den göttlichen
Vollkommenheiten allseitig angeglichen und ganz dafür tragfähig waren. Dank
dieser593 besonderen Vollkommenheit der Seele Jesu konnte beides
zugleich in ihm wirksam sein, die hohe Freude am menschlichen Leben und das
eigentliche Erlöser-sein durch die Opfer seines Menschenlebens zum Heil der
Gesamt-Menschheit. Beides zugleich ausgeglichen in sich vereinigen zu können
und die beiden Auswirkungen eines normalen Menschenlebens – nämlich die
freudigen und die leidvollen – gleichzeitig in sich wirksam sein zu lassen,
dies lag in der Vollkommenheit der Seele Jesu. Der gewöhnliche Mensch ist
abwechselnd für Freude und Schmerz zugänglich und dem Wechsel der Stimmungen
unterworfen. Entweder gibt er sich dem Genuss der menschlichen Freuden hin und vergisst
dabei die Leiden und Härten seines Lebens, oder er beschäftigt sich vielleicht
nur allzu sehr mit seinen Leiden und dann kann er sich seines Lebens nicht
freuen. Selbst bei einem höheren Seelenleben treten infolge der menschlichen
Schwäche oder auch594 infolge unrichtiger Lebensauffassung und
Lebenseinstellung leicht diese Einseitigkeiten und Mängel auf. Die Seele Jesu
aber konnte den vom Schöpfer gegebenen Lebensgenuss vollständig bejahen und
ausleben und sich mit595 seiner menschlichen Umgebung freuen und
doch in anderer Hinsicht dabei596 seiner Erlöserstellung gerecht
werden und leiden und traurig sein; denn der göttliche Habitus war in jeder
Beziehung das Tragende und Beherrschende in ihm und bestimmte die Tiefe und
Vollkommenheit seiner menschlichen Gefühle und Affekte. Das Leiden Jesu und
sein Sich-hinopfern am Kreuze und sein Sterben waren keine Lebensflucht,
sondern eher höchste Bejahung seines menschlichen Lebens, da er bewusst und mit
all seinen Kräften den ganzen unendlichen Wert seines Lebens hinopferte, zum
Liebesopfer machte und sich dem Kreuzestod hingab. Das Leben fliehen heißt: Die
Lebenskräfte infolge einseitiger oder unrichtiger Lebensauffassung und
Lebenseinstellung nicht gebrauchen, sie brachliegen lassen, sei es aus
Bequemlichkeit, sei es aus Furcht vor den Konsequenzen des eigenen Tuns. Das
Leben Jesu aber war das Leben eines vollen Menschen mit all den vielseitigen
Folgerungen und Konsequenzen, die mit seinem597 Erlösersein als
Gott-Mensch gegeben waren. Jesus gebrauchte, verwendete und erschöpfte die
Kräfte und Fähigkeiten seines menschlichen Seins in dem Maße, wie die
wesentlichen Vollkommenheiten seiner göttlichen Person sie anforderten, und
dies bis zum Tode am Kreuz. Dort war die letzte Krönung und Vollendung dieses
Vollopfers seiner Menschheit, das kraft und mittels der wesentlichen
Vollkommenheiten seiner göttlichen Person und mit der vollkommenen
Inanspruchnahme der menschlichen Kräfte durch diese Person zeitlebens
dargebracht wurde. – Alle menschlichen Worte können aber nicht in die Tiefe
dieses Geheimnisses vordringen, wie Jesus sein vollkommen ausgeprägtes Seelen-
und Gemütsleben auslebte in unmittelbarer Einheit mit den göttlichen Kräften,
denen die Seele Jesu als Werkzeug diente. Gott selbst, d. h., die göttliche Person
des Wortes lebte und prägte sich im Erlöserleben als Vollmensch aus. –
2041 |
Die Ereignisse der letzten Tage schließen in
sich die schwersten Leiden, seitdem ich in Rom bin. – Heute erlebte ich aber in
einer kurzen geistigen Ruhepause das Ziel und die Frucht dieser Leiden voraus:
Sie dienen der Vorbereitung auf ein höheres Erleben des „Wesens Gottes“ selbst,
worauf ich hingeführt werde.
2042 |
Nur Gott allein weiß, was ich in den letzten
zwei Wochen gelitten habe! Ich kann diese Leiden als die vielleicht größten und
intensivsten meines ganzen Lebens bezeichnen. Unvergleichlich größer als die
Leiden, die verursacht wurden durch die äußere Existenzlosigkeit, durch den
Kampf gegen die Absichten Jesu und durch die Lieblosigkeit, die ich erfahren
musste, unvergleichlich größer, sage ich, sind doch noch die seelisch-geistigen
Leiden, in die ich gleichzeitig versetzt wurde. Es war wie ein Austilgen des
eigenen Existierens für mich, d. h. mein selbsteigenes Leben599. –
Heute bin ich wieder ruhig und ausgeglichen und es bereitet sich ein ganz neuer
Abschnitt in meinem Innenleben vor; ich werde eingeführt in einen neuen
Selbststand, in eine neue Lebensgrundlage, nämlich in die des göttlichen Wortes
in seinem Erlöserleben als Gottmensch. Damit trete ich in ein ganz neues
Stadium des Erlebens Christi ein, wie mir schon vor den letzten Leiden
angekündigt und erklärt worden war. –
2043 |
Der heutige Tag war ein ständiges Verzichten
auf mich selbst und ein Aufnehmen eines rein geistigen Lebensprinzips, dem ich
überantwortet werde. So gehe ich in einen ganz neuen Zustand ein und dieser
Zustand ist so sehr „ich selbst“, dass ich ihn nicht beschreiben kann.
2044 |
Ich stehe wie zwischen zwei Welten: Mein
früher Eigenes wird ständig abgestreift, wird mir weggenommen und ich bin wie
nicht existierend und doch ist jetzt etwas viel Größeres mein „Selbst“ und mein
„Eigen“, obwohl ich alles abgegeben habe, was für gewöhnlich das Leben erst
möglich macht. Zuzeiten ist mir, als sei mein bisheriges Sein und Selbst,
gleichsam mein geistiges Haus in Flammen; diese schlagen über mir zusammen und
all das Meinige wird verbrannt, aber dieses Feuer, das mich verzehrt, wird mein
neues Leben und Sein. Dabei wird mir ein neuer, rein geistiger Lebensquell
erfassbar, dem ich überantwortet werde. Wenn auch dieses neue Leben mich
gleichsam „fliesend“ mitnimmt, so vollzieht sich diese geistige Umstellung doch
in dem Maße meines eigenen „Mitwollens“. – Wie mir unter großen Leiden in den
letzten Wochen die äußere Existenz genommen wurde und ich nichts, keinen Stein
mehr als irdischen Stützpunkt habe und nur der göttlichen Vorsehung
anheimgestellt bin, so ähnlich wird meinem inneren früheren Lebensstand der
eigentliche Stützpunkt, das bisherige „Ich“ genommen und an dessen Stelle baut
sich eine neue geistige Lebensgrundlage auf, und zwar eine, die nicht erst
„wird“ (wie dies der Fall ist mit dem menschlichen „Ich“, das sich mit dem
erwachenden menschlichen Leben entwickelt), sondern ein übernommenes „Ich“, für
das meine Seelenkräfte bisher unter großen Leiden bereitet wurden. Dieses „neue
Ich“ lockt gleichsam mein ganzes Sein in seinen Bann, zieht all meine Kraft600
an sich und schafft sich damit eine neue geheimnisvolle Existenzmöglichkeit.
Meine jetzige geistige Lebensumstellung besteht gerade in diesem geistigen
„Aufgenommen-werden“ und Einbezogen-werden in dieses neue Ich, im
Zuständlich-werden all meiner Seelenkräfte in diesem Ich.
2045 |
Obwohl diese geistige Umwälzung sich in großer
Ruhe vollzieht, birgt sie doch auch für die menschliche Natur Leiden in sich,
die sich mit keinem Worte beschreiben lassen. Es ist ein hartes Sterben der
früheren geistigen Existenzbedingungen. Die Konsequenzen aus dem neuen
göttlichen Lebensprinzip, dem ich übergeben werde, haben für mein ganzes
menschliches Leben eine umwälzende Bedeutung; denn meine menschlichen Anlagen
und Kräfte müssen nun einem ganz anderen Sein dienstbar werden, dessen Eigenart
und Wesen in einem völligen Gegensatz stehen zum gewöhnlichen Menschenleben. –
Die geistigen Leiden dieser601 Umstellung durchdringen daher auch
meine ganzen physischen Kräfte; auch diese müssen gleichsam „leicht“ und
elastisch werden, wie jener rein geistige Lebensquell, aus dem das künftige
geistige Sein entströmt. So wird ein volles Harmonieren mit dem Neuen, und ein
vollständiges Einverständnis sich dem ganz zu überantworten, ermöglicht. Die
natürlichen, physischen Kräfte spüren aber die Konsequenzen und Anforderungen,
die durch das neue geistige Sein an sie gestellt werden und es erhebt sich
daher ein unwillkürlicher, an sich berechtigter Widerspruch und ein
Widerstreben der Natur und ihrer Tragfähigkeit (oder vielmehr Trag-Schwäche)
dagegen. Es muss nun aller selbsteigenen, früher gewohnten Ballast abgetan und
abgeschafft werden, damit die602 eigenen Kräfte der Leichtigkeit und
Erhabenheit des neuen, höheren Seins folgen und ihm eingeordnet werden können.
Diese unaussprechliche „Leichtigkeit“ und Erhabenheit meines ganzen, neuen
Mensch-seins gleicht – für den gewöhnlichen, menschlichen Begriff – einem
Wandeln auf Meereswogen ohne Halt und ohne Grund. Es hat den Anschein, als
sinke man jeden Augenblick ein oder als stürze man in sich selbst zusammen.
Meine frühere, gewöhnliche Lebensgrundlage ist in sich gelöst; die gewohnte
Befestigung der Person als der Kraftspenderin und Beherrscherin in sich selbst
ist einer anderen Person mit einer ganz anderen Eigenart und Anlage
überantwortet, nämlich der göttlichen Person, der ich nun ganz übergeben bin
und der alles in mir dienstbar gemacht wird. Dementsprechend verändert sich
mein menschliches Sein. All meine Geisteskräfte richten und ordnen sich in
dieses, mein neues „Selbst“, in dieses „Ich“ hinein und werden und sind dort
wie zu „Einem“ zusammengefasst. Damit hört die bisherige Vielheit und
Verschiedenheit der Seelenbewegungen auf.
2046 |
Abends: Ich bin nun gleichsam abgekehrt von
der Eigenart meines früheren seelischen Seins. Es ist nur „Eines“ in mir,
entsprechend der Eigenart des neuen Seins, dem ich übergeben bin, und alle
Seelenkräfte „ruhen“ in einer einzigen Bewegung.
2047 |
Nur Gott allein weiß um die Leiden, von denen
mein Inneres erfüllt ist und in603 denen mein noch vorhandenes
Selbsteigenes verzehrt wird. Von all meinen bisherigen inneren Leiden und
Erlebnissen ist dieses jetzige Stadium wohl das intensivste und schmerzlichste,
weil es sich in und durch die größtmögliche Unmittelbarkeit dem Wesen604
Gottes gegenüber in mir vollzieht. Gerade diese intensive Unmittelbarkeit dem
Wesen Gottes gegenüber verursacht ja die Tiefe und Schmerzhaftigkeit meines
jetzigen Zustandes. Darin erfahre ich auch den ganzen Gegensatz zwischen der
Eigenart des geschaffenen Menschen und jener des ungeschaffenen Gottes,
freilich auch ihre Ähnlichkeit und Beziehung zueinander.
2048 |
Aus diesem inneren Erfahren heraus weiß ich,
wie weit ein Mensch in sich seinen eigenen selbstigen (– ich will der Kürze
halber dieses Wort gebrauchen für die Eigenart des Selbstbesitzes und
Selbststandes einer „Person“ –) Weg geht und in welcher großen Freiheit der
Mensch von Gott geschaffen wurde. Durch das natürliche Geheimnis seiner
sich-selbst-bewussten, sich-selbst-besitzenden und selbstmächtigen Person ist
das Wesen des Menschen so sehr auf einer absoluten selbstigen Anlage aufgebaut,
dass er für gewöhnlich auch für Gott gleichsam ein nicht einzudringendes, nicht
zu verletzendes Gebiet605 ist, d. h., dass Gott selbst diesen von
ihm geschaffenen Selbststand respektiert. Gott hat im „Ich“, dem persönlichen
Träger und Mittelpunkt des menschlichen Seins, das Gesetz eines wirklich
selbstigen Wesens geschaffen, das wahrhaft frei ist und geradezu unantastbar
für jeden Außenstehenden, aber doch in einem höchsten und letzten Sinn vom
Schöpfer selbst getragen und als Geschöpf wesentlich von ihm abhängig. Jeder
Mensch bewegt sich als Geschöpf in der unermesslichen, ungeschaffenen,
göttlichen Tragkraft des Schöpfers und ohne Gott könnte kein Mensch bestehen,
noch sein eigenes selbstiges Leben verwirklichen. Das geschöpfliche Selbst-sein
des Menschen ist ermöglicht durch das ungeschaffene Selbst-sein Gottes und ist
in geschöpflicher Weise nachgebildet dem göttlichen „Selbst-sein aus sich
selbst“.
2049 |
In den letzten Leidenszeiten bin ich durch das
Erleben des Wesens Gottes eingedrungen in das tiefe Geheimnis des Seins und
Bestandes Gottes aus sich selbst. Dies Geheimnis ist in Worten nicht erfassbar
zu machen, denn das Wort sagt zu wenig, aber im Erleben des Wesens Gottes und
im Erfahren dieser göttlich-wesentlichen Vollkommenheit dringt man ein in eine
unaussprechliche Tiefe und in die weittragenden Folgen dieses Geheimnisses im
Hinblick606 auf Gott und auf die Geschöpfe. – Der Mensch ist so
geschaffen, dass sein Sein auf einer Grundlage ruht, die ihn trägt und die sein
Sein möglich macht; außerdem hat er seine menschlichen, leib-geistigen Anlagen,
mit deren Entwicklung ein wahres menschliches Dasein möglich wird. Die
Entwicklung seiner menschlich-geistigen Fähigkeiten eröffnet ihm erst eine
wirkliche Daseinsmöglichkeit, denn diese sind für den Menschen das Mittel, um
seine geschöpflichen Möglichkeiten erfüllen und verwirklichen zu können. Das
Sein des Menschen ist also auch von den Anlagen seines Menschseins abhängig
gemacht, ohne die er überhaupt kein wahrer, wirklicher607 und
normaler Mensch sein könnte. Auch die höhere oder mindere Güte und Vollendung
seines608 Mensch-Seins ist abhängig von dem Maße und der Fülle der
ihm zur Verfügung stehenden Anlagen, sowie von deren Entwicklung und Entfaltung609,
ohne die kein normales Menschenleben zustande käme. So ist also der Mensch von
bestimmten Gesetzen in sich selbst610 abhängig. Auch das
seelisch-religiöse Sein des Menschen erfährt eine Weiterentwicklung und
Erhöhung. Sein seelisches Leben ist ebenfalls bedingt von äußeren Einflüssen,
von Erziehung und Bemühung. Dies sind gleichsam Stützen, auf denen das innere
Sein des Menschen ruht und die ihn tragen und zum Handeln befähigen. Diese
Anlage, seine Fähigkeiten zu entwickeln und zu entfalten, ist dem Menschen so
sehr eigen, dass er ihrer für gewöhnlich gar nicht bewusst wird, so wenig wie
manch vegetativer Vorgang611. Es ist dies eben für ihn eine
natürliche Lebensgrundlage und Voraussetzung für seine Existenzmöglichkeit und
auf diesem Grundprinzip ruht das geschöpfliche Mensch-sein. Durch die Anlagen,
die weitervererbt und im Einzelnen voll ausgenützt werden, kann sich zwar612
die Qualität der Menschen erhöhen, doch all diese Anlagen und Möglichkeiten
beruhen letztlich auf der Ur-Schöpfung und den darin zusammengefassten und
inbegriffenen Entwicklungsmöglichkeiten des Leibes und der Seele nach den
Absichten des Schöpfers.
2050 |
Das Sein, und der Bestand eines Menschen wird
also durch bestimmte Bedingungen und Voraussetzungen ermöglicht, die ihn tragen,
denen er unmittelbar und naturgemäß überantwortet ist und die zu seinem Leben
selbst gehören. Dieses Leben aber ist von einem „Selbst“ oder „Ich“ geführt,
dem diese Anlagen menschlicher Lebensmöglichkeiten angehören und dem sie
ständig zugeführt werden. Diese Zu- und Hinführung der eigenen Anlagen zum
selbstigen personhaften Gebrauch bildet ein613 wirkliches
Lebenselement für den Menschen. Das Ausnützen, Verwerten und Gebrauchen der
Fähigkeiten untersteht der höchsten menschlich-geistigen Anlage, dem Person-sein,
d. h., dem Verantworter und gleichsam dem Richter über das ganze Mensch-sein,
dem Gebieter über die geschöpflichen Anlagen, der gleichsam auf der Spitze
seiner Menschheit und seines Menschentums steht und alles überschaut und
reguliert. Dieser höchsten Anlage im Menschen, dem Person-sein, dem Regulierer
seiner Lebensmöglichkeiten, liegt ein Gesetz zugrunde, nämlich das Gesetz
seines „Seins“. Im tiefsten Grunde ist es das „Sein“ selbst, das den Menschen
befähigt und regiert, ohne dass er es für gewöhnlich merkt. Selten kommt ein
Mensch auf jene Höhe seines Seins, dass das tiefste Sein in ihm selbst – das
eben Person-sein ist – die ganze Verantwortlichkeit über das ihm unterstehende
Leben voll erfährt, dass, mit anderen Worten, das Person-sein im Menschen alles
eigene Sein614 voll überschauen und sein „Sich“ ganz nach dem hohen
und höchsten Gesetz des Mensch-Seins regulieren kann. Die Geschöpflichkeit des
Menschenlebens bringt mit sich bestimmte Grundlinien, die für alle Menschen
Geltung haben, doch die Verschiedenheit der Person grenzt jeden in sich selber
ab und schafft ein vielerlei auf einer615 gleichen Grundlage. Das
äußere Sein und Tun, d. h., das, was wir am Menschen sehen616 und
wodurch wir ihn von anderen unterscheiden, wird aber bedingt und hervorgebracht
durch ein entsprechendes, vorhergehendes Inneres. Allem äußeren Tun liegt beim
Menschen eine innere Vorbereitung zugrunde, wodurch das Äußere und dessen
Wahrhaftigkeit ermöglicht und bestimmt wird. Das äußere Gehaben und Tun und
Können des Menschen unterliegt einem inneren Gesetz, das in der persönlichen
Eigenheit des Menschen selbst begründet ist. Alles äußere Tun braucht beim
Menschen eine vorhergehende innere Vorbereitung, und wäre es auch nur eine
augenblickliche. Diese innere Vorbereitung für das äußere Tun und für die
äußere Betätigung der geistigen Fähigkeiten und Möglichkeiten wird hergestellt
und hervorgerufen durch bestimmte geistige Bewegungen im Menschen selbst, die
für ihn eine geistige Existenzbedingung sind. Wo diese normalen Daseinsbehelfe
in der Seele fehlen, ist das Menschenleben anormal und kein wirkliches, volles
Menschenleben. Die Fähigkeiten des Verstandes und Gedächtnisses planen das
äußere Tun und Leben und machen es vermittels der Kraft und Energie der
Ausführung wirklich und vollwertig. Deshalb ist im tiefsten Selbst den Menschen
eine ständige Bewegung, gleichsam ein Auf und Ab, ein Hin und Her, und diese
Bewegungen seines Geistes charakterisieren das innere Produzieren und
Hervorbringen und geben dem Äußeren das Gepräge und die personale Eigenheit und
Bestimmtheit, die einen Menschen vom anderen unterscheidet und gleichsam allein
stellt als ein in sich abgeschlossenes Ganzes mit einer bestimmten Eigenheit
und Einheit. – Das Mensch-sein in seiner ganzen und vollen Auswirkung
unterliegt also neben den allgemeinen geschöpflichen Gesetzen auch jenen im
Menschen selbst sich produzierenden Bewegungen, Richtungen und Bedingungen,
worauf das personale Leben und Sein des Einzelnen beruht. Jeder Mensch richtet
sich sein Leben, neben den gewöhnlichen Voraussetzungen, auch nach besonderen
ihm eigentümlichen und in ihn und von ihm selbst geschaffenen Richtungen
zurecht, wodurch er auch für sich selbst verantwortlich wird. Diese
Verantwortlichkeit obliegt der höchsten und obersten Kraft seines Seins, der
Person, die ihn trägt und in der all seine Fähigkeiten und Kräfte
zusammengefasst werden und zusammenströmen. Dieses Zusammenströmen wie zum
Mittelpunkt des inneren Seins – und dann wieder davon ausströmen – ergibt, als
in sich zusammengefasste Entschluss-Möglichkeit, ein seelisches Gebilde, das
der höchsten Kraft seines Seins, der Person, entweder ausführbar oder abweisbar
erscheint. So formen sich seelische Gebilde auf Gebilde617, sei es
religiöser, sei es menschlich-natürlicher Art, und sie schaffen und bilden jene
Innenproduktion, die dann das äußere sichtbare Leben trägt und zeitigt. So ist
im Menschen eine gewisse „Zweiheit“ des inneren Hervorbringens und des
Ausführens. Gewiss wird das Wenigste von dem geistig Hervorgebrachten und
Geplanten auch wirklich ausgeführt, aber jenes Geistesprodukt bleibt doch als
hervorgebracht bestehen, charakterisiert das Innenleben und ist und bleibt,
ebenso wie das Äußere, ein wahres und wirkliches Produkt der inneren Kräfte und
Anlagen des Menschen. Das, was so im Innern des Menschen verborgen bleibt, hebt
jene „Zweiheit“ in seinem Sein nicht auf, sondern betätigt sie vielmehr, weil
sein inneres Leben und Sein an Wert und Verantwortlichkeit über dem Äußeren
steht. Baut ein Mensch sein inneres Sein in Gott ein, so wird es in Gott
fruchtbar, und mag es auch nach außen unfruchtbar scheinen. Vor Gott ist das
innere Sein und Hervorbringen das Maßgebendste618 im Leben des
Menschen, und nach dem Innern bewertet Gott das Menschenleben. –
2051 |
Jetzt, in diesem bisher größten Leiden meines
Lebens kann ich in Wahrheit sagen: „Wie schmelzendes Wachs ist meine Seele, d.
h., mein Inneres geworden.“ – Mein tägliches und zum Teil auch nächtliches
Leiden gleicht einem Feuer, in dem sich jener geistige Schmelzungsprozess
vollzieht. Mein Inneres wird zu jener geheimnisvollen Einheit mit dem
Erlöser-Menschen geformt, die es mir möglich machen wird, sein tiefstes,
verborgenes Erlöserleben und -Leiden als das „seine“ und zugleich als das
„meine“ zu erleben. Ich verschmelze daher ständig inniger mit dem Wesen der
göttlichen Person des Gott-Menschen; ich gehe immer tiefer und intensiver ein
in seine göttliche Seinsgrundlage. Diese seine ungeschaffene göttliche
Seinsgrundlage blieb auch in der Menschheit Jesu im Wesentlichen unverändert
bestehen und machte so das Leben Jesu zu einem wahrhaft göttlichen Leben. Die
Grundlage und das Geheimnis der göttlichen Person war das Tragende und
Beherrschende in Christus in allen Äußerungen seines wahrhaft menschlichen
Daseins. Dieses Geheimnis ist unerschöpflich auch für die Auserwählten, wenn
sie es unverhüllt die ganze Ewigkeit hindurch schauen und preisen werden; Gott,
bzw. die zweite göttliche Person ist wirklich „Mensch“ geworden, war und blieb
aber in seiner Menschheit wahrer Gott.
2052 |
Wahrer Gott in seiner ungeschaffenen
Seinsgrundlage „eines“ Seins, d. h. eines Seins, das sich selbst entströmt, und
zwar im vollen Bewusstsein seines selbstigen Hervorgehens aus sich selbst.
(Dieses „Hervorgehen“ ist kein „Werden“, den Gott IST, sondern es will
ausdrücken die göttlich-wesentlichen Bewegungen, das, was Gott in sich selbst
entströmt.) In Gott sind Sein und Tun, Ausführungsmöglichkeit und wirkliche
Ausführung, Bewusstwerden der Tatmöglichkeit und die Tat selbst nur „eines“,
während im Menschen dies ein zweifacher „Akt“ wird. Gottes Absichten strömen
„fertig“ aus ihm hervor. Auch im Menschen Christus blieb jene göttliche Anlage
bestehen; sein menschlicher Verstand verarbeitete den göttlichen Akt nicht,
sondern war619 Träger der göttlichen Akte als wahrer menschlicher
Verstand, mittels dessen die göttlichen Akte zur menschlichen Tat wurden, ohne
dass in ihm selbst etwas produziert worden wäre.
2053 |
In unaussprechlicher Weise wird nun mein
ganzes Sein bzw. mein Inneres in jene göttliche Seinsgrundlage einbezogen,
nämlich in das tiefste, göttliche Geheimnis, wie das göttlich-wesentliche Sein
in der Menschheit Christi, bzw. in der Erlösung wirksam wurde. Die
Erlösungsakte waren ja in sich wahrhaft göttliche Akte, die durch Jesu
Menschheit menschlich ausgeführt, gelebt und gelitten wurden. Das
göttlich-wesenhafte Hervorgehen des „Wortes“ vom Vater, das göttlich-wesenhafte
Sein des Sohnes war Grundlage für die Erlösung. Christus trug sich selbst in
sich; in ihm war das göttliche Sein als Selbst-sein, als ein „Akt“ im ewigen
Hervorgehen vom Vater und doch wieder in einer „Zweiheit“, in der er sich als
Erlöser und Mensch vom Vater abhängig gemacht hat. Christus machte sich als
Erlöser freiwillig zu einer „Zweiheit“, indem er, ständig im Vater bleibend,
sich dem Willen des Vaters überantwortete und dadurch eine wahre göttliche und
menschliche Unterwerfung übte, aber trotzdem die göttliche Seinsgrundlage nicht
verließ, weil der Akt seiner menschlichen Unterwürfigkeit von göttlicher Art
und Höhe war. –
2054 |
Wie mein äußeres Leben in den letzten Tagen
eine große Veränderung erfahren hat, so ähnlich, aber noch viel tiefer und
durchgreifender gestaltet sich fortgesetzt eine innere Umwandlung in mir; in
dieser Hinsicht scheint man an kein Ende zu kommen. Fortwährend vollzieht sich
diese intensive geistige Umgestaltung in ständigen geheimnisvollen Leiden, die
sich aber nicht mehr erklären lassen, weil sie Gottes Sein selbst in mir
entzündet, um damit mein eigenes, persönliches Sein gleichsam zu verbrennen und
aufzuzehren. – Zugleich mit der geistigen Umgestaltung wird auch mein
physisches Sein und Leben für das geistige höhere Werden in mir fähig gemacht
und so wird die ganze Einheit eines menschlichen Lebens in die neue Aufgabe
einbezogen und dafür befähigt. Ich spüre auch, wie meine physischen Kräfte
jenem geistigen, neuen Leben eingeordnet und eingegliedert werden. Es bildet
sich in tiefen geheimnisvollen Leiden eine einheitliche „Erhabenheit und
Leichtigkeit“ meines ganzen Seins aus: Das physische Sein muss dem neuen
geistigen folgen und sich ihm620 einfügen können. Es muss ja auch
das621 physische Leben das göttliche Wesen der Person Christi ertragen,
ihm dienstbar sein und dienen können. – So schafft Christus in mir ein Wunder
geistiger Umgestaltung zur Einfügung in sein göttliches Sein und Lebenselement:
Ich werde einbezogen und umgestellt auf seine göttliche Seins- und
Lebensgrundlage, die in seiner Menschwerdung im Wesentlichen unverändert
bestehen blieb.
2055 |
Heute, während der (zweiten) heiligen Messe
löste sich mein innerer Leidenszustand in vollen Frieden auf. In einer
gnadenvollen Bewegung des Geistes ward ich angeregt, mich neuerdings ganz den
Absichten Gottes bzw. Christi zu opfern und zur Verfügung zu stellen, um „sein
Innenleben, das heißt, die hypostatische Vereinigung (der ich als Werkzeug
diene) wie als die meine anzunehmen, und sie zugleich als mein persönliches
Erlebnis und als mein dauerndes und insofern 'gewöhnliches' Sein zu
übernehmen“. Jesus will dadurch – so war mir gleichzeitig klar – dieses
Geheimnis als das tiefste und weittragendste in der Erlösung besonders den
Priestern offenbaren, damit diese die Früchte der Erlösung zunächst mit
größerem Eifer und Erfolg in sich selbst verwirklichen und sie dann mit
größerer Fruchtbarkeit den Seelen verkünden, erklären und zuwenden können. –
Die Priester selbst werden dadurch in höherem Maße Gott nahegebracht, weil sie
tiefer in das Verständnis des Geheimnisses der Erlösung eingeführt werden, das
durch die Priester in der Welt, bzw. in der Kirche fortgesetzt wird. Zugleich
wurde aber von mir die volle innere Bereitschaft gefordert, mich zur
Offenbarung des Erlösungsgeheimnisses speziell an die Priester für diese
göttlichen Erlebnisse gebrauchen zu lassen in jener geistigen Form, wie es in
mir vorbereitet ist.
2056 |
Die soeben geschriebenen Worte sind aber
wiederum kraftlos und leer im Vergleich zur Kraft und Wirksamkeit jener
göttlichen Bewegung, in der mir die Absichten Gottes neuerdings erklärt und
jene lebendige und kraftvolle Hingabe an Jesus für seine Absichten von mir
gefordert wurde. Kein Wort kann die kraftvolle Überzeugung zum Ausdruck
bringen, mit der mir meine besondere Mission und Aufgabe bestätigt wurde622
und mit der ich jene göttliche Offenbarung speziell an die Priester aufnehmen
und bejahen musste. Jene Aufforderung und Bestätigung, die ich in menschlichen
Worten wiederzugeben versuchen muss, vollzog sich eben nicht in einer wort-ähnlichen
Anregung, sondern in einer rein geistigen Bewegung, in der mir die Absichten
Gottes für die Priester und meine besondere Aufgabe klar wurden. Ebenso war
meinerseits nicht eine wort-ähnliche Hingabe möglich, sondern im Augenblick des
Erfassens der göttlichen Absichten war auch schon in einem rein geistigen,
gleichsam „aktlosen“ Vorgang meine volle Bereitschaft für die Absichten Gottes
vollzogen.
2057 |
In solchem rein geistigem Erfahren und Erleben
Gottes verliert jedes Wort (in dessen gewöhnlichem Begriff genommen) gleichsam
seine Wirkung und an seine623 Stelle tritt eine ungleich wirksamere
wesentliche Bewegung, in der sich alles wirklich und in einem Augenblick
vollzieht. – In dieser Weise wurden mir auch die erwähnten Absichten Gottes
bezüglich der Priester enthüllt. In einer geistigen624 blitzartigen
Bewegung war „ich der Mensch, den Gottes Liebe das Geheimnis des Gott-Menschen
und der Erlösung erleben und erleiden lässt in jener Form, die durch jahrelange
Vorbereitung in mir ermöglicht ist“. Mittels dieser Offenbarungen625
gelangen dann die Priester „in die Nähe Gottes“, erfahren Gottes und Christi
Liebe fruchtbarer und wirksamer, zunächst für sich selbst, und diese größere
Fruchtbarkeit der Erlösungsgnaden im Priester wirkt sich dann auf die Seelen
und die ganze Kirche aus. Dem christlichen Volke wird somit die Tiefe des
Erlösungsgeheimnisses mittelbar geoffenbart, da es eine direkte Offenbarung der
darin verborgenen theologischen Tiefe nicht erfassen könnte. – Im gleichen
Augenblick war ich selber eingeführt in die unabsehbare und unermessliche
Wirksamkeit jener vertieften Erkenntnis der durch Christus erworbenen
Erlösungsgnaden, speziell in den Priestern und durch diese für die
Gesamtkirche. Gleichzeitig war ich aber auch selbst626 gleichsam getroffen
von den Folgen und Konsequenzen, die sich daraus für mich ergeben, und ich war
dafür beschlagnahmt und beansprucht. DEM bin ich nun überantwortet, und zwar
mit der ganzen göttlichen Folgerichtigkeit, mit der mein menschliches Sein der
göttlichen Person des Erlösers627 dienstbar sein muss und ist. Das
göttliche Wesen der Person des Erlösers beschlagnahmte und beanspruchte mich,
um dieses Sein Geheimnis, seinen Absichten entsprechend wiederholen zu können,
nicht wesentlich, aber in einer nachgebildeten Weise, und im Augenblick war ich
in628 jene meiner Aufgabe entsprechende geistige Stellung
aufgenommen, und zwar mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben für mich,
für die Priester und für die ganze Kirche.
2058 |
Alles dies vollzog sich wie in einem Akt und
in einer Bewegung; mein Sein war in einem Augenblick über und durchströmt von
jener göttlichen Bewegung. Aus diesem Vorgang kann ich entnehmen und erfassen,
in welchem Maße mein ganzes Sein schon dem göttlichen wesenhaften Sein Christi
angeglichen und eingeordnet sein muss und wie sehr die in mir nachgebildete
göttliche Seinsgrundlage sich schon jener des göttlichen Wesens im Erlöser
nähert. Ich war nämlich jetzt imstande, alle Konsequenzen jener göttlichen
Bewegung sofort in mich aufzunehmen und zu ertragen, während früher eine
ähnliche, augenblicklich erlebte629 Unmittelbarkeit des göttlichen
Wesens mir gegenüber zermalmend auf mich wirkte und mich gleichsam zu erdrücken
schien. Jetzt ist mein menschliches Sein entsprechend „erhaben und leicht“
gemacht, um den göttlichen Bewegungen folgen und dienen zu können630.
2059 |
Ich bin in einer unerklärlichen
Unmittelbarkeit dem göttlichen „Ich“ des Erlösers überantwortet. Ich selbst bin
gleichsam dieses „Ich“, das zur Übermacht in mir geworden ist.
2060 |
Ich bin heute ganz dem überantwortet, was
gestern von mir gefordert wurde, aber es reiht sich nun wieder eine
Vorbereitung auf jene geistige Grundlage ein, auf der Jesus das innere
Erlösungsgeheimnis in mir offenbaren bzw. geheimnisvoll wiederholen will. Ich
werde noch intensiver einbezogen in die wesentlichen göttlichen
Seinsgrundlagen, und da sind besonders zwei göttliche Geheimnisse, deren
Nacherleben zwei Grundbedingungen sind für das Erleben-können des
Erlösungsgeheimnisses: Die Einheit und Einfachheit des göttlichen Wesens, und
die göttlich-wesentlichen Bewegungen der göttlichen Personen oder die göttliche
dreifaltige Lebensgemeinschaft, wobei für mich besonders die göttlichen
Bewegungen zwischen Vater und Sohn von Bedeutung sind. Auf diesen beiden
Grundbedingungen für das Erlebenkönnen seines Erlösungsgeheimnisses baut Jesus
in mir auf und dies verursacht heute in mir besondere Leiden.
2061 |
Schon seit langer Zeit ist mir die gewöhnliche
Gebetsart – nicht nur die des mündlichen, sondern auch jene des innerlichen
„Gebetes“ – unmöglich geworden. Meine speziellen, und die von anderen Seelen
übernommenen Anliegen empfehle ich Gott ganz kurz, wie sie eben sind. Zum
Heiland beten, ist mir infolge der Unmittelbarkeit der Vereinigung mit ihm wie
unmöglich geworden; alles, was ich von ihm erbitten möchte, ist ja mit ihm in
mir, und er weiß es. Somit ist der „Verkehr“ mit Gott und hauptsächlich mit
Jesus nicht mehr vorhanden. Ich bete wohl zum Vater das „Vaterunser“ und bitte
den Heiligen Geist um Licht und Kraft, aber auch dies ist eigentlich nur eine
„Form“, die vielleicht nur auf früheren, lieb gewonnenen Gewohnheiten beruht
und die mir selbst nun631 kraftlos scheint. Die Andacht zur lieben
Mutter Jesu ist ja keine gebetsähnliche Andacht mehr, sondern in allen Anliegen
der Seele und Leibes bin ich gleichsam bei „ihr“, alles erwarte ich von ihr und
durch sie.632 „Mein Gebet“ ist jetzt eigentlich „Leben“ in Gott bzw.
Mich-bewegen in den drei göttlichen Personen, und in diesem Sinne erbitte und
erwarte ich alles von Gott. In mir ist alles, was ich für mich und für andere
erbitten möchte und in Gott hoffe ich, alles zu erlangen. Der frühere
Gebetsverkehr, auch der tiefinnerlichste, der aber doch633 immer
noch „Verkehr mit Gott“ war, ist nun in das Gott-Leben übergegangen. – Dieser
Zustand währt in ständig fortschreitender Erhöhung schon seit Jahren und in
letzter Zeit ist „Gott-Leben“ und „beten“ nur eines geworden, sodass ich sagen
kann: Ich „bete“ nicht, ich lebe Gott, und damit alles, was ich von Gott
erbitten möchte. Es ist auch634 merkwürdig, dass alle meine635
persönlichen Anliegen zurücktreten und wie überhaupt nicht mehr vorhanden sind.
Ich „lebe Gott“ und alle meine Bedürfnisse sind in ihm; und wenn ich auch
passiv irgendeinen Mangel erleide, so ist der eigene Wille doch so sehr
zurückgedrängt und verschwindend geworden, dass ich alle meine Anliegen passiv
mit mir selber in636 Gott vortrage. Für gewöhnlich habe ich
persönlich überhaupt kein Anliegen, sondern es besteht in Gott für mich eine
solche Sicherheit, dass ich in allem in ihm mich gesichert fühle und erlebe und
somit das Bitten um dies oder jenes mir nicht notwendig scheint. Es ist dies
eigentlich ein passiver Zustand in mir geworden.637 – Jesus selbst
hat mich dieses Gebet des Gott-lebens gelehrt und hat mich darin eingeführt:
das Sein in ihm und das Gebet des Gott-lebens selbst, damit das Zurückstellen
der selbstigen Bedürfnisse und Anliegen und doch wieder das Erwarten alles
Notwendigen von ihm kraft dieser vollkommenen Hingabe an ihn. Jetzt, da ich so
tief in das göttliche Leben selbst einbezogen und eingegangen638
bin, hat sich diese „Gebetsform“ noch mehr vereinfacht. Die selbstigen,
persönlichen Bewegungen der Seele zu Gott haben vollständig aufgehört, ebenso
jene weit höhere Bewegung der Seele in Gott; im jetzigen Stadium ist die
„Gebetsform“ Gott selbst, und in der Vollendung der gegenwärtigen Geistesanlage639
herrscht das „Ich“ in göttlicher Form. Es gibt aber kein Wort, um diese tiefe640
Intensität Gottes in mir auszudrücken, oder vielleicht doch so: In mir ist
nichts von Gott vorhanden, sondern ich selbst bin in Gott aufgegangen. In
diesem Aufstieg hat sich mein persönliches Gebet wie ausgeschaltet und ist zu
einer unmittelbaren Bewegung in Gott selbst geworden. So ist mein „inneres
Leben“ zu einem völlig „aktlosen“ Sein in Gott geworden. Das persönliche Wollen
wird vom Gott-Leben selbst mitgenommen. Lasse ich mich widerspruchslos vom
göttlichen Sein mitnehmen, so fehlt überhaupt jeder geistige Akt in mir: Das
„Leben“641 selbst ist alles.
2062 |
Dieser Zustand der eigenen Aktlosigkeit bringt
noch eine große, scheinbare Leere in mir, weil für gewöhnlich das Innenleben,
auch in höheren geistigen Stadien, immer noch von Akten, wenn auch in geistiger
Form, getragen und geleitet wird. In meinem Falle mündet und gipfelt nun die
Einfachheit des höheren Geisteslebens in jener höchsten Einfachheit des
Geistes, nämlich im aktlosen und wortlosen geistigen Sein in Gott selbst.642
All die früheren vielerlei643 Betätigungen und Bemühungen, um zu
Gott gelangen, in ihm bleiben und alle Bedingungen hierfür erfüllen zu können,
sind nun abgelöst durch die Ruhe des schon in sich errungenen Zieles. Man lebt
dieses Ziel und darum fallen naturgemäß jene früheren Akte und Bemühungen aus.
Was der eigenen Einsicht und Kraft der Seele nicht mehr erreichbar wäre, hat
Gottes vorsorgende644 Führung durch passive Leiden und Läuterungen
erreicht, sodass die Seele auf jenem höchsten geistigen Stadium sozusagen
überhaupt nichts anderes mehr zu tun hat, als sich den passiven Leiden zu überlassen,
die durch Gottes besonderer Führung die Seele sicher an das ihr von Gott
gesetzte Ziel bringen. Mittels jener von Gott selbst verursachten Leiden wird
das eigene „Tun“ und auch das selbstige „Tun-wollen“ in der Seele immer mehr
ausgeschaltet und geradezu ausgerottet, sodass jede selbstige geistige Bewegung
wie lahmgelegt wird. So wird tatsächlich eine erworbene geistige
Bewegungslosigkeit in der Seele hergestellt, die es ihr dann möglich macht,
Gottes Sein und Wesen selbst zu erfahren und zu erfassen. Das selbstige Tun der
Seele ist dem göttlichen Sein und Leben selbst gewichen. So groß hat Gott die
Menschenseele geschaffen, dass sie schließlich dem Schöpfer selbst Platz machen
kann! – Gott selbst weckt in der Seele die von ihm geschaffenen Anlagen und
Möglichkeiten, wodurch die Seele fähig wird, Gottes Wesen zu erfahren und zu
erleben. Mit ihrem eigenen Tun und Wollen vermöchte es die Seele niemals. Sie
muss vielmehr erst zum Schweigen gebracht werden, damit Gott selbst jene
tiefsten geistigen Anlagen wecken kann, die sie befähigen, in höchster Weise in
ihn einzugehen, ja sich in ihm wohl und ruhig zu fühlen. Gottes Wesen ist
höchste Geistigkeit und die entsprechende höchstmögliche Vergeistigung der
Seele bedeutet in erster Linie vollständige Abkehr vom Geschaffenen und dann
das Aufgeben des selbstischen Gebrauches der Seelenkräfte für sich selber.
Dadurch wird die Seele dermaßen vereinfacht, dass sie irgendwie der göttlichen
wesentlichen Einfachheit angeglichen werden kann. In Gott ist nur eines: Das
Sein, aus dem als der einzigen Grundlage jedes Tun entspringt. Die Existenz
Gottes ist die einzige Bedingung für all sein Tun, ohne dass Gott irgendwelche
weitere Akte für seine Taten setzen müsste. Allein sein göttlicher Wille – der
eins ist mit seinem Wesen und Sein – beherrscht und bestimmt seine göttlichen
Taten. Seine gewollten Werke entströmen fertig, zum Ausführen bereit seinem
göttlichen Wesen; es braucht nur wiederum einen Akt seines göttlichen Willens
und die seinem göttlichen Sein entsprungene Idee ist ausgeführt. Aber nicht
bloß seine äußeren Taten und Werke sind nur von seinem göttlichen Sein und
Willen bedingt, auch Gottes innergöttliches Sein besteht in Wirklichkeit ohne
Bedingung, im Gegensatz zum menschlichen und geschöpflichen Sein, das erst
durch gewisse Bedingungen voll möglich wird. In Gott besteht nur eine
Bedingung: sein Wille. Er besitzt und beherrscht sich in seinen innergöttlichen
Anlagen, in jener göttlichen Kraft und wesentlichen göttlichen Energie, die zu
einem eigenen Selbsterkennen in göttlicher Weise befähigt, gleichsam ein
„Sich-gegenübertreten“ bewirkt und in dieser seiner645 göttlichen
Kraft die zweite göttliche Person hervorbringt: das göttliche Wort, dem Vater
als dem Erzeuger wesensgleich, eine selbstständige Person und doch in einer
Wesenheit nur Eines in ihm. Gottvater hat auch für die ewige646
Hervorbringung oder Zeugung des göttlichen Wortes nur eine Bedingung: sein
eigenes Sein, und dies von Ewigkeit her. Gottes Sein allein bedingt ebenso all
seine göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten. All die Nebensächlichkeiten, die
unser menschliches Sein erst möglich machen, sind in Gott überflüssig und
undenkbar. Gott lebt sich selbst mit einem Akt, mit seiner göttlichen Existenz.
Und diese Existenz Gottes hat in sich keine Grundlage außer jener, seines Seins
und der ewigen Wirklichkeit seines Daseins, während der Mensch erst zu einer
wirklichen und vollen menschlichen Existenz heranwachsen muss, wozu ihm seine
Existenzmöglichkeiten behilflich sind. Der Mensch schafft mit seinen geistigen
Fähigkeiten beständig Geistesbewegungen, die sein inneres Dasein erfüllen und
sein Leben nach außen erst möglich machen; so wird das innere Leben des
Menschen großenteils nach außen bildhaft sichtbar. Gott tritt in ewig
göttlichen Bewegungen, im eigenen Erkennen, sich selbst gegenüber und erzeugt
das göttliche wesensgleiche Abbild seines göttlichen Wesens. Und die
wesentliche Liebe des Vaters umfasst den Sohn in göttlicher liebender Kraft,
und so begegnen sich in der dritten göttlichen Person Gott-Vater und Gott-Sohn
im göttlich-wesentlichen Liebesstrom des Heiligen Geistes. Und vom Vater und
durch das göttliche Wort und im Heiligen Geist, der aus beiden hervorgeht, wird
jeden Augenblick von Ewigkeit hervorgebracht, was im Vater von Ewigkeit geplant
und gewollt ist. –
2063 |
Das göttliche Geheimnis zwischen Vater und
Sohn, dieses göttliche Hervorgehen des Wortes vom Vater, bestand aber wie von
Ewigkeit so auch immerwährend weiter nach der Menschwerdung des Wortes. In
Christus wurde das göttliche Leben des Wortes in ein zeitliches, nach außen
gleichsam vergängliches Leben eingespannt. Doch dieses zeitliche Dasein des
göttlichen Wortes war und ist das bedeutungsvollste für uns seit Ewigkeit und
für alle Ewigkeit. Darin hat sich das ganze Geheimnis, das Gott in sich selbst
ist, enthüllt und geoffenbart; denn jeden Augenblick von der Menschwerdung des
Wortes an hat des Vaters unendliche Liebe das göttliche Wort als den „Erlöser“
des ganzen Menschengeschlechtes gezeugt.647 Was der Vater in
göttlich-unendlicher Vaterliebe zum Heil der gefallenen Menschheit plante, ist
im Sohne, im göttlichen Wort, menschlich gelebt und gelitten, zur vollen
Wirklichkeit geworden. Der ewige Vater hat das „Wort“, seinen Sohn, in unsere
Menschengestalt gekleidet und in diese Welt gesandt; sein göttliches Wesen trat
im Sohne offen zutage. Der Vater und sein liebender Wille war es, der uns in
seinem Sohne den Erlöser gegeben hat. Auf dieser göttlichen Grundlage beruht
und fußt das ganze Erlösungsgeheimnis. – Das göttliche Wort hat in gleicher
göttlich-wesentlicher und unendlicher Liebe sich dem Willen des Vaters
unterworfen und ward Mensch mit göttlicher Seinsgrundlage, um in göttlicher
Tragkraft alle Schuld des gesamten Menschengeschlechtes auf sich zu nehmen. –
2064 |
Ich bin so tief in dieses göttliche
Liebesgeheimnis einbezogen, dass ich innerlich weiß – was aber in Worten nie
ausdrückbar ist –, wer Christus in sich war und wie er war in seinem tiefsten
Wesen als Erlöser. Meine Seele ist nun in solchem Maße von den Hemmungen der
Materie befreit, in einem solch vergeistigten Zustand in Gottes Wesen
aufgenommen und eingegangen, und ist zu einer so wesenhaften Vereinigung mit
Christus, dem Erlöser, gelangt, dass ich ihn wirklich „kenne“, seiner mir
bewusst bin, ja, ihn als mein Leben erlebe. Christus hat sich mir gleichsam zu
eigen gegeben als mein „Ich“, sodass ich seine göttliche Person als wie die
meine erleben kann und insofern an die Stelle seiner Person getreten bin. Auf
dieser inneren Tatsache, die freilich im Grunde immer ein Geheimnis bleiben
wird, beruht und gründet sich meine geistige Erlebnismöglichkeit des Erlösers.
2065 |
Mein ganzes eigenes Inneres ist zu einer
Einheit zusammengeschmolzen und ist dadurch gleichsam fähig gemacht für die
eine göttliche Bewegung, um so dem Wesen Gottes dienstbar sein zu können. In
ganz großen Leiden bin ich eingefügt und wie zusammengepresst worden in eine
Enge des natürlich-geistigen Seins, die aber zur vollen Freiheit und
Bewegungsmöglichkeit in Gott geführt hat und in der alles für göttliche Erlebnisfähigkeit
und göttliches Erleben Nötige enthalten ist. Jedes eigene Erzeugen selbstiger
geistiger Produkte ist648 mir genommen, damit ich ungehindert und
ohne zu stören der göttlich-wesentlichen Bewegung des Hervorgehens des Wortes
vom Vater hingegeben sein könne. Für mich aber bin ich wie leer und existenzlos
in einer Weise und in einem Maße, wie es kein Menschenwort erklären kann; etwa
so, wie es einem Menschen zumute sein müsste, der ohne Füße geht oder dessen
Körper keinen Halt unter sich hat; denn mein ganzes Sein ist nun im Geiste
begründet.
2066 |
Eigentlich hält mich nun nichts mehr zurück,
um noch vollendeter und bis zu dem für die Absichten Gottes geforderten
Höchstmaß in Jesus aufgenommen zu werden – wie mir scheint. Es ist auch keine
Furcht davor mehr in mir vorhanden, vielmehr ein inneres Drängen: Mag kommen,
was will, wenn ich in Jesus bin, ist in jeder Beziehung vollste Sicherheit für
mein ganzes Leben und Sein gegeben. – Ich will meiner Hinopferung getreu sein
bis zum Tode, so wie Jesus dem Willen des Vaters gehorsam war bis zu seinem
Tode am Kreuze. In jener göttlich-vollkommenen, wesentlichen Liebe vom Vater
gezeugt, war er gehorsam und liebend eins649 mit ihm.
2067 |
Ich habe gestern beschrieben, wie ich vom
mündlichen und innerlichen Gebet aus stufenweise hingeführt wurde bis zum Gebet
des „Lebens Gottes“ oder des „Gott-Lebens“. – Diese letzte Gebetsweise
übersteigt aber, nach meinem Erfahren, weit das Gebet der mystischen
Gnadenstufen, auch das Gebet der Ekstase und Beschauung. Auf diesen Stufen wird
die Seele vom Geiste Gottes erfasst, mitgenommen und gleichsam in Gott
hineingezogen, sodass sie im wahrsten Sinne von Gott geleitet und getragen
wird; sie tut alles vom Geiste Gottes geführt, weil sie infolge entsprechender
Vorbereitung durch Abtötung und Aszese für diesen Geistesflug befähigt ist. –
Über diese mystischen Gebetsgnaden hinaus gibt es aber – wie ich es erfahren
habe – noch höhere Steigerungen, wenn nämlich die Seele auf der geistigen Stufe
jener Vereinigung mit Gott angelangt ist, wo sie schon in ihm bleiben kann.
Während sie auf den früheren Gebetsstufen noch „hinaufgestiegen“ ist zu Gott,
beginnt nun eine bleibende Gebetsart in Gott. Man kann sagen: Die mystischen
Gebetsstufen sind dann erschöpft, die Seele ist am Berg „Gottes angelangt“, die
Vereinigung mit ihm ist eine dauernde, habituelle geworden und man ist, so
möchte es scheinen, auf diesem Gebetsaufstieg zu Gott an einem Ziel und
Ruhepunkt angekommen. – Im mystischen Gebet findet die Seele Gott gleichsam
jedes Mal „neu“ an Süßigkeit und Anziehungskraft. Bei wachsender Vereinigung
bleibt aber allmählich jene erreichte Gebetsstufe als habitueller Zustand
bestehen, sodass die Seele gleichsam einen bestimmten Dauerzustand im
Gebetserfahren erlebt. Jedenfalls strebt die göttliche Führung in der Seele
jenen bleibenden Gebetszustand an und mittels der Reinigungs- oder
Vereinigungsleiden wird auch ein solcher dauernder Gebetszustand erreicht, der
wesentlich ist, auch wenn die früher begleitenden Tröstungen vielleicht
ausbleiben. Gottes Gnade arbeitet ja in jedem Falle im Seelenleben auf die
Erwerbung eines Habitus im jeweiligen Tugendgrade hin, der auch von einem
entsprechenden Gebetsleben begleitet ist. – Tatsache ist, dass im höheren
mystischen Gnadenleben die Seele wieder mehr und mehr zu einem scheinbar
„gewöhnlichen“ Seelenzustand zurückkehrt, wenn nämlich eine ganz hohe Spitze
der Vereinigung mit Gott erreicht ist und besteht. Es möchte dies vielleicht ein
Stillstand oder Rückschritt scheinen, aber dem ist nicht so; bei Gott gibt es
kein Stillstehen und noch viel weniger einen Rückschritt für die Seele, wenn
diese sich nur treu von seiner Gnade führen lässt. Es beginnt vielmehr650
hier eine neue und höchste Gebetsweise, oder Gebetsgnade: das wesentliche
Gebet. Das Leben der Seele in Gott ist zu einem beständigen Gebet geworden.
Wenn es auch nicht mehr in den gewöhnlichen Gebetsformen geübt wird, Gott
bewertet das „Leben“ die Tat und das Streben einer solchen Seele, die schon in
so hoher Weise in Gott aufgegangen ist, als immerwährendes Gebet; denn eine
solche Seele hat nur noch mehr ein Streben und Begehren: Dieses „Leben in Gott“
möglichst immer noch mehr zu vervollkommnen.
2068 |
Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass ein
allzu großes Bemühen um bestimmte Gebetsformen das „Leben in Gott“ eher stört,
als fördert. Das „Sein in Gott“ ist das höchste und wirksamste Gebet, mag es
auch ohne Worte und Affekte sein. In dieser Geisteslage ist das „Bleiben“ in
Gott das ihm Wohlgefälligste. Damit ist aber nicht gesagt, dass das Gebet dann
völlig überflüssig oder nicht gut wäre, aber es setzt eine noch höhere
„Gebetsweise“ ein, bei der die Seele in höchst einfacher Form mit aller
Vertrautheit und Kindlichkeit Gott ihre Anliegen und Bedürfnisse übergibt, und
bei allem in Frieden und Vertrauen bleibt. Von diesem „Gebet“ kann man auch die
höchste Wirksamkeit erwarten, weil dabei alle Bedingungen für die Erhörung des
Gebetes am vollkommensten gegeben sind.
2069 |
Mir hat Jesus Schweigen geboten, wenn ich
immer wieder zum mündlichen oder innerlichen Gebet zurückgreifen wollte. – Er
bot sich mir an, „ihn“ zu leben, anstatt nach einer zurechtgelegten Weise zu
beten. Dieses „Gebet“ erschloss sich mir nach und nach als unerschöpflich. „Jesus
bleibend erleben wollen!“ Dies wurde mir von Jesus als die höchste Gebetsweise
gelehrt. Vielleicht hängt diese Forderung Jesu mit meiner besonderen geistigen
Aufgabe zusammen, aber jedenfalls bildete sie für mich den Anfang eines
wesentlichen Gebetes bzw. des Erlebens Jesu. Damit fing Jesus an, sich mir mit
seinem Innern zu erschließen, mich in sein göttliches Sein aufzunehmen und es
mir mitzuteilen; sein Leben in mir wuchs zu einem habituellen Dauerzustand. Ja,
man kann wirklich Jesus in einer solchen hohen und höchsten Weise „in sich
selbst“ aufnehmen, ihn sich selbst gleichsam aneignen, ihn besitzen und leben,
sein Leben zum eigenen Leben, und so sich selbst zum Gegenstand seiner
göttlichen Interessen machen651. Ich habe erfahren: Wenn man sich
der göttlichen Führung entsprechend bemüht, das Leben Jesu nachzuleben und es
sich anzueignen, so lässt Jesus wirklich sein Leben in das eigene
hineinwachsen, vorausgesetzt, dass die entgegenstehenden Hindernisse und
Hemmungen mit seiner Gnade beseitigt werden. – Mich hat Jesus von dieser
„Gebetsart“ hingeführt und hinübergeleitet in das Erleben des Geheimnisses
seines wesentlichen Gebetes in seiner Menschheit.
2070 |
Dieses Geheimnisses bin ich heute in
besonderer Weise innegeworden. „Beten“ muss eigentlich nur der Mensch, das
Geschöpf, weil es in jeder Weise von Gott, seinem Schöpfer, abhängig ist. Gott
„betet“ nicht, weil er alle Güter in Fülle in sich besitzt, und in jeder Weise
vollkommen unabhängig ist. Gott ist sich selbst alles. –
2071 |
Heute änderte sich mein innerer Zustand
(vorübergehend) in völliger Leidlosigkeit. – Am Abend hatte ich ein wunderbares
Erkennen über das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit bzw. der einzelnen drei
göttlichen Personen in der Einheit eines göttlichen Wesens. Ich konnte und
musste beim gnadenvollen Eindringen und Einfühlen652 in dieses
Geheimnis bestätigen: Ja, es ist so. – Ich begriff die Möglichkeit dieser
göttlichen, dreifaltigen und doch einheitlichen Lebensgemeinschaft. Es war dies
mein bisher tiefstes Erfahren der Heiligen Dreifaltigkeit, wobei ich sie in der
Wirklichkeit ihres dreifachen, einheitlichen Wesens erkannte. –
2072 |
Heute Abend bin ich in eine noch nicht erlebte
Intimität mit Gottes Wesen aufgenommen, die mir für die Dauer noch unerträglich
ist. Es bleibt aber doch ein Nachgeschmack dieses Zustandes oder vielmehr ein
Vorgeschmack des kommenden Dauerzustandes in mir bestehen, der mich jene
Unmittelbarkeit Gottes in mir als mein Ziel erfassen und bewahren lässt. –
2073 |
Gott besitzt sich selbst in einer Art, die dem
menschlichen Wesen und Verstande an sich auch nicht ahnungsweise nahegebracht
werden kann; nur mit besonderer Gnade könnte ein menschlicher Verstand einen
schwachen, wirklichen Begriff davon bekommen. Um in einer derart653
unmittelbaren Nähe mit dem göttlichen Wesen gelangen zu können, muss die
menschliche Seele erst entsprechend vergeistigt, d. h. durch Gottes Gnade von
den Hemmungen der Materie entkleidet werden. Der vom Fleisch umkleidete und von
ihm geführte menschliche Verstand kann nie in jener Fülle in das Geheimnis
Gottes bzw. der Heiligen Dreifaltigkeit eindringen, aber die vergeistigte, von
Christus durchlebte Seele vermag mit ihrem vergeistigten Verstand und durch
eine besondere Gnade dieses Geheimnis zu erfahren, wenn [es] auch nicht zu
durchdringen noch zu beschreiben [ist]; denn für solche göttliche Erkenntnisse
fehlen menschliche Ausdrücke. Gott „lässt sich darum schauen“, und im Schauen
erkennen. Aber „Gott schauen und erfahren“ kann nur die sich selbst entäußerte
und in Christus aufgenommene Seele, in [jener] die entsprechende
Inspirationsfähigkeit für Gottes Geheimnisse gegeben ist, wie sie dem
gewöhnlichen menschlichen Verstande fehlt. In solchem Maße kann man in Wahrheit
Gott nur „in Gott“ erkennen, d. h., die Seele muss hierzu auf einem gewissen
Grade ihrer Vergöttlichung angelangt sein und muss dann mit besonderer Gnade in
das Geheimnis Gottes eingeführt werden.
2074 |
„Wenige auserwählte Seelen im Himmel sind zu
jener Intimität mit Gottes Wesen gelangt, wie du sie in diesem Leben erfährst“.
Dieses Erkennen wurde mir in einem entsprechenden inneren Erfahren bestätigt.
Dazu auch Folgendes: Der Grad der Vereinigung mit Gott im Himmel, und das
Genießen seines göttlichen Wesens bereiten sich in diesem Leben vor; je mehr
eine Seele in diesem Leben von sich selbst, d. h. von ihrem sinnlich sündhaften
Sein entkleidet wird, desto mehr wird sie für die Ewigkeit befähigt, Gottes
Sein und Wesen zu erfassen und zu genießen.
2075 |
Der geheimnisvolle, innere Leidenszustand
dauert an. Mein ganzes menschliches Sein wird darin gleichsam zu „einem“
zusammengepresst; darum jene unaussprechliche und schmerzliche geistige Leere
und „Untätigkeit“ in mir. Alle Seelenkräfte werden bereitet zur vollen
Angleichung an die „Einheit“ und [zum] Ungeteiltsein des göttlichen
Seinszustandes.
2076 |
In diesem geistigen Leiden werde ich die in
Worten nicht wiederzugebende Tragweite und Bedeutung inne, die dieses
„Eins-sein“ im Wesen Gottes hat. Ich habe aber in diesen Leiden auch tiefste,
in Worten nicht auszusprechende psychologische Erfahrungen gesammelt über die
„Zweiheit“ des menschlichen Seins und dem gegenüber über das „Wesen der
Einheit, Ungeteiltheit und Einfachheit Gottes“.
2077 |
Gelehrte Theologen, die mit spekulativen
Ausführungen dieses Geheimnis Gottes zu erklären suchen, können damit doch
nicht näher in das wirkliche Wesen dieser „Einheit“ des göttlichen
Seinszustandes eindringen und können auch das Wesen dieser „Einheit Gottes in
sich“ im Grunde nicht beschreiben. Ein tieferes Eindringen in dieses göttliche
Seinsgeheimnis ist wohl nur ausgehend von einem tieferen Erfassen des Wesens
und Geheimnisses der Menschenseele möglich, also ausgehend vom Erleben der
Seele selbst.
2078 |
Die Seele ist als solche einfach und nicht
teilbar, aber ihre Fähigkeiten haben geteilte Tätigkeiten, aus denen aber dank
verschiedener Behelfe doch wieder ein in sich zusammengeschlossenes Tun und
Sein ermöglicht wird. Die letzte und endgültige Tat der Seele ist jeweils
gleichsam aus vielen Teil-Taten zusammengesetzt; diese bilden schließlich die
letzte und höchste von der Seele inspirierte Tat, die dem Träger der einzelnen
Seele, der Person zugeschrieben wird und zusteht. – In seinem paradiesischen
Zustand hatte aber der Mensch eine solche Ebenbildlichkeit mit Gott, dass die
„Einheit“ seiner Seele ihn der entsprechenden Vollkommenheit des Wesens Gottes
mehr als heute ähnlich machte. Die Fähigkeiten und Kräfte der Paradiesesseele
waren nämlich in sich harmonisch geordnet und vollkommen dem höchsten Träger
der Seele, der Person dienstbar; diese aber war nur auf Gott hingerichtet. So
war der Mensch in einer harmonischen Einheit, wesentlich auf Gott
hingeschaffen. Darum gab es in der ersten Seele keine Zersplitterung des
Wollens und Nicht-Könnens, keinen Widerspruch des niederen gegen das höhere Wollen
„der Person“. Wohl trug die Seele des Menschen von Anfang an in ihrem Wesen654
ein vielerlei an Bewegungen, Vorstellungen, Kräften und Möglichkeiten des
Wollens und Entscheidens – denn dies ist Bedingung für das geistige Bestehen
der Seele und ein normales Menschenleben – aber es herrschte in allem und über
allem doch jene höchste einheitliche Zielrichtung, welche die Person selbst mit
Gott verband.
2079 |
Die verschiedenen Fähigkeiten der Seele bergen
in sich viele, und wie unvermerkt arbeitende und inspirierende oder anregende
Kräfte, die ununterbrochene Bewegungen und Tätigkeiten hervorrufen; durch diese
Kräfte „lebt“ die Seele erst im wahren Sinne des Wortes. Gewiss „lebt“ auch
schon das Kind im ersten Anfang oder das Kleinkind, obwohl jene des Seelenlebens
tragenden Kräfte noch nicht funktionieren. Aber auch bei ihm ist doch schon das
Geisteslicht gegeben, wenn auch noch ganz verborgen und in „Dunkel“ gehüllt und
einmal – mit dem „Erwachen der Vernunft“ – wird es „aufblitzen“ und zugleich
mit ihm werden auch die mit diesen Geisteslicht gegebenen Fähigkeiten und
Kräften655 sich regen, die dessen Funktionen erst ermöglichen. So
besitzt die Seele zwar in sich schon oder vielmehr656 volle
Daseinswirklichkeit, aber die verschiedenen ihr eingeordneten oder vielmehr
untergeordneten Fähigkeiten und Kräfte werden erst mit dem körperlichen sich
entwickelnden Leben wie von selbst geweckt und in Tätigkeit gesetzt, zum
Dienste der höchsten Wirklichkeit, der sie angehören: der Person. Die Seele des
Menschen, obwohl in sich einfach und ganz einer absoluten Wirklichkeit, nämlich
der Person, unterstehend und zuständig, lebt also ihr Dasein, ihre Existenz
doch aus einem Vielerlei von Möglichkeiten heraus, die ein normales Seelen- und
Innenleben bedingen. Dies ist gleichsam die erste Kehrseite des menschlichen
Daseins. – Nach dem gewöhnlichen Begriff sind wir geneigt, das körperliche
Funktionieren der verschiedenen Kräfte des Menschen dem „leiblichen Leben des
Menschen“ selbst zuzuschreiben; in Wahrheit aber liegt der tatsächliche Bestand
eines Menschen in erster Linie in seiner „Person“ als der tatsächlichen
Wirklichkeit seines Vorhandenseins oder der existierenden Daseins-Wirklichkeit
mit den ihr zugeteilten Fähigkeiten und Kräften, die für das „Leben“ des
Menschen die erste Möglichkeit und Voraussetzung bieten. Die Seele, als das
Hauptelement im menschlichen Leben, trägt und beseelt den Leib, und in diesem
Sinne ist die Seele selbst das Leben des Menschen. All die verschiedenen
Fähigkeiten, die von der absoluten (geschaffenen) Wirklichkeit der Person
getragen werden, sind nach Gottes Absichten den Naturgesetzen einer bestimmten
elterlichen Abstammung unterworfen und weithin davon abhängig gemacht.
2080 |
Der erste Mensch im Paradiesesleben bewegte
sich als Person657 vermittels seiner Wirklichkeit ungehemmt in und
mit den ihm zur Verfügung stehenden Geisteskräften, die auch sein Leben erst
voll ermöglichten, aber er trug in sich nicht die Kehrseite einer absoluten
Trennung von innen und außen. Die auch in ihm vorhandene „Zweiheit“, die dem
Menschen als bedingten Wesen und Geschöpf eigen ist, strömte in ihm durch die
volle Harmonie und die innere Freiheit von Hemmungen zu einer höchsten Ordnung
in „einem“ Ziel und Endpunkt zusammen, und in diesem Sinne bildete die
naturgegebene „Zweiheit“ zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit bei ihm nicht
einen Gegensatz. Die menschliche „Zweiheit“ wurde vielmehr im sündenlosen, und
deshalb in sich hemmungsfreien Zustand durch die übernatürliche,
gottgeschaffene Regulierung der einzelnen Fähigkeiten letztlich und praktisch
zu einer „Einheit“, die in voller und restloser Hingabe auf Gott und seine
Einfachheit hinging und darin glücklich war. – Ich habe diese wunderbare
Erscheinung und Tatsache einer menschlichen „Zweiheit“ mit dem Endergebnis
einer „letztlichen Einheit“ des Handelns auch in Maria erkannt und ich habe
diese Tatsache auch in meinem inneren Leiden bestätigt gefunden; die mir immer
wieder das „Geheimnis der Seele“ im sündenlosen und dann im gefallenen Zustande
vorführen. – Nicht als ob die geschöpfliche „Zweiheit“ der Seele jemals
aufgehoben würde, aber jene vollkommene, reine, in sich hemmungsfreie
Bewegungsmöglichkeit und Bewegungsleichtigkeit aller Fähigkeiten der Seele
schafft schließlich – (hier nicht so sehr zeitlich gemeint als vielmehr in dem
logischen Nacheinander, das sich aber augenblicklich und ohne weitere Mühe und
wie naturgemäß vollzieht) – als Endergebnis jene letztmögliche Einheit und
Einfachheit des Seelenlebens, in der die „Zweiheit“ doch zu einer gewissen
„Einheit“ wird. Dieser Geisteszustand begreift in sich die höchste
Vollkommenheit des Gesamt-Seelenlebens. Vor Gott ist dieses Endergebnis des von
ihm geschaffenen Menschenwesens das seiner würdigste und ihn am meisten
Ehrende, weil alle Seelenkräfte jeden Augenblick in voller Unterwerfung als
„reine Huldigung“ ihm zuströmen und weil die Seele damit befähigt wird, Gottes
Wesen einmal in der Ewigkeit in ungeteilter Einheit genießen zu können. Je mehr
nämlich eine Seele sich hienieden in der Gesamtstruktur ihres Seins und ihrer
Kräfte für Gott befähigt und sich ihm angleicht, desto mehr befähigt sie sich
auch für ein entsprechendes Genießen Gottes658 in der Ewigkeit, im
Licht der Herrlichkeit und in einem desto intimeren Sinne geht sie, losgelöst
von der Materie, wieder in Gott ein.
2081 |
Durch den Sündenfall im Paradies wurde jene
glückliche Zwei-Einheit in der Seele des Menschen zerstört und es kam in ihr zu
einer unheilvollen Spaltung. Zwar hat die Seele an sich im Wesentlichen nichts
von ihren Fähigkeiten verloren, aber die Kraft ihrer Fähigkeiten hat eine weite
Zersplitterung erfahren, unter der wir alle leiden. – Nur Maria hat diese
Schwächung der Einheitlichkeit ihres Gesamt-Seelenlebens nicht empfunden. –
Unsere Seele kann nun nicht mehr, was und wie sie will; sie ist einem niederen
Gesetz in sich selbst, dem Gesetz der Materie unterworfen, zu dem sie sich
durch die Sünde freiwillig659 herabgelassen hat. Dieses Niedere, mit
der Materie von Gott geschaffene Gesetz im Menschen, gleichsam eine „zweite
Möglichkeit und Anlage“, nämlich die, etwas „Gottwidriges“ tun zu können, wurde
durch den entsprechenden Willensentscheid der ersten Menschen gelöst und in
Aktion gesetzt. Und diese Möglichkeit erstreckte sich nun auf die
Gesamt-Struktur der Seele; weil die Seele in sich einfach ist und als
tatsächliches Lebensprinzip auch den Leib belebt, wurde der ganze Mensch davon
in Mitleidenschaft gezogen. An sich ist nicht der Leib oder die Materie der
Schuldige an der ersten Sünde, sondern vielmehr die Kräfte der Seele, der
Geist, die Begierde, in deren Kraft sich die Seele jenem Begehren und Genießen
zuwandte. Insofern aber die Seele selbst das Leben im Menschen ist, verfiel der
ganze Mensch einem „Selbst-Begehren“ und sich-selbst-Folgen unter Missachtung
und Abweisung des göttlichen Gesetzes der absoluten Abhängigkeit von Gott und
der Hinordnung aller Kräfte auf Gott. Diesem sich-selbst-Begehren und
-Genießen, das durch die Vielheit der Kräfte und Fähigkeiten mannigfache Formen
und Auswirkungen im Menschenleben gezeitigt hat, entsprang der unheilvolle Riss
im Menschen selbst. Es entstand in der Seele eine Spaltung zwischen Wollen und
Nicht-Wollen und Nicht-Können, sodass heute jeder Mensch von Natur aus das
Gottwidrige in gewissem Sinne leichter und sogar lieber vollbringt als das
Gottgefällige. Das „Böses-wollen“ wurde sogar zu einem Gesetz im Menschen, dem
er durch die Bande der Erbsünde überantwortet ist. Seitdem ist die „Zweiheit“
im Menschen das geheimnisvolle Kampffeld geworden, auf dem sich die Richtung
der Seele für oder gegen Gott, hin zu Gott oder von ihm weg entscheidet und
bestimmt.
2082 |
Ich habe in den vergangenen und noch
gegenwärtigen inneren Leiden merkwürdige Erfahrungen gemacht über diese
geistige Spaltung und Zersplitterung der Kräfte der Seele. Ich erlebte
gleichsam eine Zergliederung und Aufteilung der Kräfte und Fähigkeiten der
Seele bis zu deren Zusammen- und Hinströmen zur höchsten Kraft der Person. –
Der Mensch, der seinen bösen Möglichkeiten und Anlagen folgt, kann die böse Tat
– weil sie seiner Anlage entspricht – vielleicht einen Augenblick oder für660
kürzere Zeit sich bewilligen, aber es bleibt schließlich doch ein gewisser
fortgesetzter Widerspruch dagegen in der Seele bestehen. Gewöhnlich kommt aber
dem Menschen die ganze Tiefe seiner bösen Tat, oder deren Anlage gar nicht
recht zum Bewusstsein, weil er meint oder sich einredet, es müsse gerade so
sein, und weil ihm die Übersicht über sein Menschsein weithin verdunkelt ist
oder weil er sich nicht dieser Übersicht und Verantwortung vor Gott unterzieht.
Darin zeigt sich aber schon eine Kluft oder eine klaffend weite Spaltung und
Zersplitterung in der Seele selbst, insofern der Mensch in sich selbst „Wege“
unternimmt und Möglichkeiten verwirklicht, die von seiner Person, von seiner
realen Wirklichkeit eigentlich gar nicht in ihrer ganzen Tragweite und
Bedeutung im Hinblick auf das letzte Ziel überschaut werden, noch überschaut
werden können. – Gewiss ist der Wille des Entscheidende in der Seele, aber zwischen
gutem Willen und dem bösen Wollen bleibt noch so viel Unausgeglichenes, das den
Menschen in einer ständigen Spannung hält. Die Sünde mit ihren so mannigfachen
Auswirkungen auf das Begehren der Seele – und durch die Kräfte der Seele auch
auf den Leib – hat den Menschen in sich selbst gleichsam aufgeteilt und
zerrissen.
2083 |
Will darum die Seele Herr werden über die
Sünde und sie in ihrer tiefsten Wurzel überwinden, so ist die erste
Notwendigkeit für sie, dass sie eine letzte und höchste Zielstrebigkeit auf
Gott hin und Gott gegenüber herstelle. Die Seele muss sich in sich selbst
„konzentrieren“, muss lernen, sich selbst in Gewalt und Herrschaft zu bekommen,
muss jene unheilvollen, auseinander-strebenden Weiten zusammenfassen und in
sich binden. Es muss eine Einheit im Wollen und Handeln ermöglicht und erreicht
werden. Und dieser Geistesprozess muss sich ständig erhöhen und muss sich immer
mehr im Leben des Menschen selbst auch nach außen verwirklichen. Die „Zweiheit“
im Menschen muss in den konkreten und realen Folgerungen und Forderungen Gott
gegenüber eingespannt und harmonisch darin betätigt werden. Es muss eine
einheitliche Linie des geistigen Produzierens, der Kraft des Ausführenkönnens
und des wirklichen Ausführens in der Seele herbeigeführt werden. Durch eine
konsequente und absolute Zielstrebigkeit auf Gott hin werden die Bewegungen der
Seele vereinfacht und mehr konzentriert. Mag dann auch ein gewisser Widerspruch
der niedergehaltenen bösen Anlagen bestehen bleiben; das höhere gute Wollen
beginnt doch dessen ungeachtet, zu triumphieren und zielbewusst darüber zu
stehen. Die Seele gewinnt größere Einsicht und Übersicht über sich selbst und
damit wächst die Kraft des Sich-selbst-Beherrschens. Das geistige Kampffeld
verkleinert und verengt sich, weil schon manches in der Seele überwunden ist,
was früher einen Kampfplatz brauchte. Die Seele überbrückt gleichsam sich
selbst und rückt in sich zusammen. Auf diesem Wege nähert sie sich mehr und
mehr der Einfachheit und Ungeteiltheit661 Gottes, weil all ihre Kräfte
sich wie in662 einer Linie im guten Wollen auf Gott hinordnen und
hinrichten. – In Wirklichkeit „erweitert“ sich aber die Seele in solchen
Selbstüberwindungen und sie gewinnt in sich Raum und Energie, während im
Gegenteil das Leben in der Sünde sie in Wahrheit „eng“ und energielos und
sklavisch macht. Der Sünder ist der Sklave seiner eigenen663 bösen
Triebkräfte und Leidenschaften. Diese verdunkeln ständig seine klare Übersicht
über die eigenen Taten und über das Böse in ihnen.
2084 |
Auch bei fortgeschrittenen Seelen bleibt die
gute Ausführung oft weit hinter dem guten und besseren Wollen zurück. Selbst
wenn eine Seele schon die rechte Einsicht über sich selbst und ihre Absichten
im Lichte Gottes errungen hat, fehlt ihr zunächst doch noch die geistige Bewegungsmöglichkeit
und -leichtigkeit, um das innere gute Wollen auch ebenso gut und konsequent
ausführen zu können; vielfach bleibt es nur bei guten Vorsätzen. Es muss auch
im höheren Geistesleben in der Seele erst jene geistige Kraft der
Folgerichtigkeit und Konsequenz gewonnen werden, welche die Seele über ihre
eigenen Hemmungen hinaushebt. Die eigene Rücksicht und Opferscheu, die
Menschenfurcht und die Furcht vor Seitenwegen abseits der Masse der Menschen
muss überwunden werden können. Das Gute, das die Seele in sich als möglich und
notwendig erkennt, muss auch zur Tat nach außen werden. – Daran scheitern viele
fortgeschrittene Seelen, dass die Konsequenzen eines tief religiösen Lebens
schließlich nach außen sich nicht oder nur mangelhaft betätigen und sichtbar
werden, und dass sie nicht das ganze Leben beherrschen.
2085 |
In diesem Sinne und Zusammenhang habe ich in
einem geistigen Erkennen das Leben der Heiligen geschaut, besonders jener
Erneuerer und Reformer des religiösen Lebens, die in664 ihrer
Mitwelt unverwischbare Spuren und Wirkungen hinterlassen haben. Bei ihnen ist
die innerlich erworbene Tugend auch nach außen Wirklichkeit geworden. Die Kraft
ihres Geistes ist auch665 in ihrem täglichen, äußeren Leben
durchgebrochen und hat sich dort zur vollen Wirklichkeit durchgesetzt. – So
sollte sich bei jeder Seele die Tugend auch in entsprechenden Taten nach außen
zeigen können in dem gleichen Maße, wie sie in ihrem Innern fortschreitet. Die
durchdringende Geisteskraft des Innern muss sich auch äußern und hierin liegt
das Geheimnis der Heiligen. Das innerlich erworbene Ideal muss immer mehr nach
außen Wirklichkeit werden, und das ganze Leben des Einzelnen umstellen im
restlosen Aufgeben alles eigenen inneren und äußeren Widerspruches. Dies ist
der nächste Weg einer diesbezüglichen Verähnlichung mit Gott, dessen Sein in
allem volle Wirklichkeit und Konsequenz ist, in all seinen göttlichen
Vollkommenheiten. – Es ist aber ein harter und steiler Weg, bis das äußere Tun
bzw. die Tat des Menschen sich ganz dem innerlich guten und durch Gottes
besondere666 Gnade vollkommenen Wollen anzupassen vermag und ebenso
äußerlich vollkommen geleistet wird, wie es dem inneren besten Wollen
entspricht. –
2086 |
Heute stehe ich auf einer bisher noch nie
erlebten Höhe meines Seins. Schon während der ganzen Nacht war ich in diesem
Zustand, der nun eine Wirklichkeit, meine Wirklichkeit geworden ist. – Es sind
dies – nebenbei bemerkt – ganz merkwürdige Zustände bei Nacht. So, wie
zeitweise die667 inneren Leiden auch wähnend der Nacht weiter
dauern, sodass man zugleich schlafen und leiden kann, und zwar die Leiden dabei
bewusst wie im wachen Zustand erfährt, so dauern zuweilen auch die höheren
Zustände des Erlebens Gottes selbst während des „Schlafes“ an. Es ist dann so668
wundersam, in den Armen Gottes, vielmehr in Gottes Wesen zu schlafen und den
schon erreichten Zustand in ihm zu genießen, ja selbst in einem geistigen
Vorauserleben die nächste Stufe erfahren zu können und dabei auf mich selbst,
auf dieses Häuflein Elend herabsehen zu können. – So ähnlich könnte es sein,
wenn die Seele sich der Anschauung Gottes erfreut und dabei teilnehmend auf
ihren Lebens- und Leidensgefährten, auf den Leib herabschaut, der im Grabe
ruht. In meinem Fall wurde aber auch der Leib wundersam erquickt und er fühlte
sich „wohl“ in der Seele. –
2087 |
„Ich“ bin nun das, was ich bin, d. h., ich
habe nun jene Fülle geistiger Spannkraft in mir selbst erreicht, die mich zum
restlosen Besitzer meines Seins macht. Die Quelle ist nun ganz mein und ich bin
die Quelle und trinke und lebe aus mir. – Es ist mir nun wie669 ein
eigenes Bedürfnis, mich ganz dem Herzen Jesu zu opfern, nochmals auf mein
früheres670 Sein zu verzichten und dieses neue Sein als mein
eigenes, nun wirklich eigenes zu gebrauchen, mich „im Vater“ anstelle Jesu
seinen göttlichen Absichten dienstbar zu machen und das daraus folgende Leben
als „mein Leben“ leben zu wollen. – Ich weiß zwar nicht, wo ich die nächste
Woche wohnen werde, und bin ausschließlich in den Händen der Vorsehung Gottes,
aber trotzdem habe ich in mir den Mut, mich restlos und ohne Bedingung, einzig
auf das Vertrauen auf Gott mich stützend, Jesus durch meine neue Aufopferung
zum Vollbringer, zum Betätiger meines Lebens zu machen, sein Leben in mir sich
betätigen und vollbringen zu671 lassen. – Es gibt zwar672
kein Wort, um diese Aufopferung auszusprechen, ich tue es aus dem innerlich
erreichten Zustand heraus, als Konsequenz seines Lebens in mir, indem er mich
entsprechend und folgerichtig weiterführt.
2088 |
Nach menschlichem Ermessen ganz unerreichbar
scheinend ist das geistige Ziel, das Gottes Führung in mir erreichen will; es
liegt eigentlich ganz abseits von den gewöhnlichen menschlichen Geisteswegen,
auch den scheinbar höchsten. Die göttliche Führung hebt mich nämlich immer mehr
in das Erfahren des göttlichen Wesens selbst hinein. Und gerade in diesem
Geheimnis und in dieser Tatsache, liegt der einheitliche Schwerpunkt und die
Ausgangsquelle für meine besondere seelische Berufung: Christus als Gott und
Mensch und Erlöser zu erleben. – Ich werde unglaublich tief eingeführt in das
Geheimnis „der Seele“ im Allgemeinen und in das Geheimnis „meiner Seele“ im
Besonderen, wie sie in spezieller Weise für ihren besonderen letzten und
höchsten673 Zweck dienstbar gemacht wird. In stufenweiser Folge und
Steigerung wird meine Seele „gottfähig“ gemacht in fortgesetzten,
geheimnisvollen, geistigen Leiden. Dieses von der göttlichen Führung gewirkte
Feuer der inneren und äußeren Leiden ist der eigentliche Weg zum Ziel. Im
Grunde ist es bis herauf zu diesen höchsten Stufen immer noch der gleiche
einheitliche und geradlinige mystische Gnadenweg, auf den ich schon vor mehr
als 20 Jahren geführt wurde. Nur sind die inneren Leiden, die damals schon
diesen besonderen Weg begleiteten, noch viel mehr verfeinert, vergeistigt und
damit verschärft; sie haben nicht mehr die Eigenart des leib-seelischen,
sondern sind wie ganz vergeistigt (wenn auch der Leib dadurch sehr in
Mitleidenschaft gezogen wird); denn sie vergeistigen sich entsprechend dem
inneren seelischen Erhebungsprozess. – Der so einheitliche Weg vereinfacht sich
aber ständig und immer mehr: das früher immer wieder eingeschaltete
Vorauserleben des nächsten oder auch eines weiteren Zieles der inneren Führung,
das Erfahren Gottes, die fühlbare mystische Vereinigung mit Gott bzw. Jesus in
ihren verschiedenen Arten, in meinem Fall immer wieder die besondere Art „ihn
leben zu können, in ihn aufgenommen und umgewandelt zu werden“, alles dies geht
in Wirklichkeit und Zuständlichkeit über. Im Grunde stehe ich jetzt der vollen
Erfüllung der schon anfangs angedeuteten und all die Jahre hindurch konsequent
weiter verfolgten mystischer Idee der besonderen Führung Gottes in mir ganz
nahe. –
2089 |
Diese innere Umwandlung meines Seins vollzieht
sich intensiv bis zu der für meine Aufgabe notwendigen Angleichung meiner Seele
an Gott. Meine Seele wird der Seele Christi nachgebildet, mit dem Unterschiede,
dass die Seele Christi im ersten Augenblick ihres Bestandes entsprechend
„gottfähig“ war, um ganz der göttlichen Person des Wortes dienstbar sein zu
können, während meine Seele den tiefen und schmerzlichen Läuterungsweg der
gefallenen, sündigen Seele durchwandern muss, um wie auf einem natürlichen (d. h.
übernatürlich organischen) Weg eine ähnliche Anpassung an das göttliche Wesen
Christi zu erreichen. Die Eigenart des göttlichen Wesens Christi setzt dabei
der Seele ihr Ziel; die langsam und entsprechend sich vertiefende Vereinigung
mit Christus zieht sie ständig immer mehr in ihn hinein. Soll jenes gesteckte
Ziel wirklich erreicht werden, so muss alles Dagegenstehende und nicht in der
göttlichen Eigenart Harmonierende in mir überwunden und ausgetilgt werden. –
Selbstverständlich besteht meine Seele weiter und wird nicht in Gott
umgewandelt; sie kann sich ja nie auflösen noch ihrem Wesen nach verändern;
aber sie wird ihrer Aufgabe entsprechend umgewandelt674, vergeistigt
und vergöttlicht nach dem Vorbild jenes Zustandes, der in der Seele Jesu675
schon im ersten Augenblick bei der Menschwerdung vorhanden war.
2090 |
Die absolute Einfachheit und Einheit des
göttlichen Wesens Christi676 setzt auch eine entsprechende Einheit
und Einfachheit der Seele Christi voraus; denn das göttliche Wesen wurde ja in
diese Seele eingespannt und die Seele musste die göttliche Wesensart in sich
tragen und damit leben können. Schon die göttliche Wesensart der absoluten
Einfachheit, der Einheit zwischen Möglichkeit und Verwirklichung, des Bestehens
aus sich selbst bedeutet für die gewöhnliche Menschenseele ein
unaussprechliches Geheimnis und einen (ohne besondere Gnade) nie
auszugleichenden Gegensatz. Gott besteht aus sich selbst, ohne Bedingung, in
einem, ständigen; reinsten Akt – die gewöhnliche Menschenseele muss fortwährend
mit vielfältigen Bewegungen das ihr als Existenzbedingung Notwendige
produzieren. Das göttliche Sein selbst genügt Gott für sein Dasein, weil damit
schon alle Seinsmöglichkeiten677, alles Wissen, Wollen, Können,
Empfinden usw. auch wirklich gegeben ist und Wirklichkeit ist. Die Seele aber
hat mit ihrer Erschaffung die Naturanlage eines ständig erst produzierenden
Wesens, eine Naturanlage, die sie auf normalem, gewöhnlichem678 Wege
niemals entbehren oder ablegen kann, weil dadurch ein normales Bestehen und
Dasein einer Seele überhaupt erst ermöglicht wird. Beim „Erwachen“ der Seele
vermitteln ihr die leiblichen Behelfe der Sinne sowie die Fantasie, das
Gedächtnis, der Verstand usw. die Daseinsmöglichkeit und die ihr notwendige
Lebenstätigkeit. Es ist die Eigenart der Seele „so zu sein“ in diesem Leben,
auf diesem Wege, d. h. durch ständiges Produzieren und Erzeugen des
Lebensnotwendigen zu leben und sich zu betätigen. – Mit dem Tode werden diese
Betätigungen abgelöst, weil dann diese der Seele an sich eigenen Mittel für
dieses Produzieren fehlen. Die Seele tritt dann zurück in einen
Wirklichkeitszustand des Erfahrens ihrer in der Zeit hervorgebrachten
Lebensprodukte und sie setzt auf diesem Wege „ihr Leben“ fort.
2091 |
Wie kann nun aber ein ständiger Erzeuger, ein
Werdender, (wie es die Seele ist) mit dem Unerzeugten oder schon-“Gezeugten“
zusammen bestehen?679 Gott kann sich nie ändern und so hat sich auch
das göttliche Wort in der Seele Christi im Wesentlichen nicht verändert. Die
Seele Christi trug aber in sich jene Bedingungen und Eigenschaften, die trotz
der großen Verschiedenheit der göttlichen und der seelisch-menschlichen Natur
in Christus ein normales, d. h. ein wahres Menschenleben in ihm ermöglichte.
Die Seele Christi war in sich so einfach und in all ihren Fähigkeiten so in
sich zusammengeschlossen, dass sie die göttliche Einheit und
„Bewegungslosigkeit“ ertragen, ja als wie ihr eigenes Wesen ertragen und leben
konnte. Sie konnte der „einen göttlichen Bewegung“ oder dem einen göttlichen
reinen Akt folgen, weil all ihre seelischen Fähigkeiten, die jene eines
normalen, allerdings höchst vollkommenen Menschen waren, schon im Grunde auf
die göttliche Person hingerichtet waren. Schon dieser Umstand ist, wenn man ihn
innerlich erfahren darf, ein an sich unbegreifliches psychologisches Geheimnis
in seiner ganzen Wirklichkeit. – In Christus verbanden sich zwei in sich ganz
verschiedene Naturanlagen mit den an sich völlig entgegengesetzten Gesetzen;
diese beiden so680 verschiedenen Naturanlagen hatten aber doch ein
gleiches Urgesetz in derselben letzten Grundidee, insofern nämlich die
menschliche Seele nach dem Ebenbild Gottes geschaffen war und im Grunde auch
die Bedingungen und die Möglichkeit zu einer ständig sich steigernden
Angleichung und Annäherung an Gottes Wesen in sich trug. Trotz der
Verschiedenheit ihrer Naturen sind Gott und Mensch unter dieser Rücksicht nicht
artfremd, sondern artverwandt und aufeinander wie auf etwas Ergänzendes
hinbezogen, nicht als ob Gott eine Ergänzung brauchte oder möglich hätte, aber
insofern im Wesen Gottes dem Menschen gegenüber ständig etwas sich-Hinneigendes
war und insofern Gott die Menschen für sich, d. h., zur Teilnahme an seiner
göttlichen Natur erschaffen hatte. Diese tiefste, in göttlicher Liebe
begründete Beziehung Gottes zu den Menschen bot die eigentliche, letzte
psychologische Möglichkeit für die hypostatische Vereinigung. Im Grunde trägt
jede Menschenseele einen Gottesfunken in sich, der gleichsam die Brücke ist zur
Vereinigung mit seiner göttlichen Natur. Und jede Seele hat in sich die
geschaffene, tiefe, geistige Anlage und Aspiration, um681 an der
göttlichen Natur teilhaben und damit in Gott aufgenommen werden zu können. In
der Seele Christi war diese Anlage und Aspiration wie naturgemäß aufs Höchste
entwickelt. Diese Aspiration und dieses Streben nach Gott hat seinen Grund im
letzten Ziel jeder Menschenseele, nämlich Gott in Ewigkeit schauen und erfahren
zu können, und diese Aspiration erhält der Mensch nicht erst im Augenblick des
Todes von Gott inspiriert, sondern er soll sie schon im Leben wecken und immer
mehr vervollkommnen.
2092 |
In der seligen Ewigkeit hat die Seele nur mehr
den einen Habitus: Sich der Anschauung Gottes zu erfreuen und in Gott zu ruhen,
wirklich zu „ruhen“, weil jene früheren Bedingungen zu ihrem Bestehen-Können
nun abgelöst sind durch die endliche Erfüllung ihres letzten Zieles. Die Seele
kehrt nun in gereinigtem Zustande zu jener Einfachheit zurück, in der sie sich
des „einen“ errungenen Besitzes erfreut; sie hat nun „einen“ Bestand in sich,
der es ihr ermöglicht, Gottes Einfachheit, die sein ureigenstes Wesen ist,
ertragen zu können. Ich möchte sagen (um das innerlich Erkannte einigermaßen in
Worte zu kleiden): Es vollzieht sich in der Reinigung der Seele – entweder in
diesem Leben oder im andern – eine „Gleichschaltung“ aller seelischen
Fähigkeiten, nicht im Sinne einer Auflösung derselben, sondern insofern sie
sich ganz auf einen Punkt, auf Gott konzentrieren, und zwar in einem bleibenden
Habitus. Die Seele geht dann682 derart in der Anschauung Gottes auf,
dass ihr ganzes Sein wie in einer Linie, in einem immerwährenden Zustand auf
Gott hingerichtet ist. – Wenn aber die Seele in der Ewigkeit zuständlich für
die Anschauung Gottes befähigt sein soll, so muss diese notwendig schon
hienieden in der Seele grundgelegt sein, denn in der Ewigkeit bekommt die Seele
im Grunde und wesentlich nichts mehr an Fähigkeiten hinzu, wenn sie auch
entsprechend gereinigt und dadurch – auf der Grundlage des hienieden in der
Vereinigung mit Gott Erreichten – für die Anschauung und das Genießen Gottes
fähiger gemacht wird. Darum muss auch jene Einfachheit, mittels derer sie ganz
und gar auf Gott konzentriert werden kann, wesentlich schon in ihr vorhanden
sein und folglich muss sie auch in einem bestimmten Grade, als wesentliche Vorstufe
und Vorbereitung auf das Leben der Glorie, schon in diesem Leben dunkel zu
erreichen sein. Und so ist es bezüglich aller Stufen und Grade des Lebens der
Seligen im Himmel. – Für gewöhnlich erlebt die Seele freilich ihren geistigen
Fortschritt in diesem Leben683 auf diesem Gebiet hienieden684
nicht und erfährt sie ihn erst ganz in der Ewigkeit.
2093 |
Es gibt im Wesentlichen keine Vollkommenheit
Gottes, die der menschlichen Seele nicht irgendwie ahnend nahegebracht, oder
nicht von ihr in geschaffener Weise irgendwie nachgeahmt und in der Ewigkeit
dann in schauender Form erfahren werden könnte. Die Seele ist eben ein
geschaffenes Abbild685 des ungeschaffenen Schöpfers. Dass aber die
Seele Christi das Abbild der Vollkommenheiten Gottes in höchster Steigerung und
Vollendung in sich trug und dass für sie der Weg zu Gott und Gottes Wesen
gleichsam wie auf einer Linie, eben und wie natürlich verlief, das erklärt sich
von selbst aus der hypostatischen Vereinigung. Trotzdem bleibt aber auch auf
dieser Grundlage und unter dieser Rücksicht die Menschwerdung des göttlichen
Wortes ein ständiges psychologisches Wunder. – In den inneren Leiden, die in
mir eine steigernde Verähnlichung meiner Seele mit der Seele Jesu herbeiführen,
erfährt man in so schmerzhafter Weise die Gegensätze des Wesens Gottes gegen
die geschaffene Menschenseele. In diesen Leiden wird z. B. die gewohnte
Betätigung der Seele, ihr Selbstregime und ihre Naturanlage, zu ihrer
Selbsterhaltung ständig zu produzieren und sich selbst zu führen, gewissermaßen
eingeschränkt; zuzeiten wurde das „Leben Gottes“ in meiner Seele so stark in
mich „übergeschaltet“, dass ich so viel wie nichts mehr „zu tun“ hatte. Ich
konnte das Leben Gottes erfassen, es mir aneignen und so zu dem meinigen
machen. Zuerst waren dies noch fühlbare Erlebnisse auf fühlbar mystischer
Grundlage; langsam aber trat das Fühlbare zurück und es blieb eine reale
Wirklichkeit bestehen, der dann meine eigenen seelischen Widerstände und mein
Anders-sein gegenübergestellt und entgegengesetzt wurden. Das „bewegungslose“
Sein Gottes musste mir genügen und darin wurde ich langsam geübt. Unwillkürlich
traten dagegen gewisse Reaktionen meiner seelischen Fähigkeiten auf, ein an
sich berechtigter Widerstreit meiner Naturanlagen schon gegen das ganz Andere
und Ungewohnte und dieser Widerstreit äußerte sich in sehr schmerzhaften
inneren Leiden. Je mehr die Seele sich dabei gegen diese „Knechtung“ ihrer
Kräfte und die Unterdrückung ihrer gewohnten Betätigung wehrte, desto mehr, so
kann man wohl686 sagen, presst Gott die Seele an sich, desto mehr
bringt er sie, und das Widerstrebende in ihr, in einer noch intensiveren Form
in die Nähe der entsprechend entgegengesetzten oder verschiedenen göttlichen
Eigenart, sodass die Seele nach und nach gleichsam in die Form Gottes687
eingepresst wird. Aber nicht nur das; es wird vielmehr damit auch eine wie zur
Natur gewordene (übernatürliche) Befähigung erzielt, „dieses“ Leben so zu
leben, wie wenn es Naturanlage der Seele wäre.
2094 |
Die Bewegungslosigkeit und das aktlose,
seiende Sein Gottes, das Leben des realen absoluten Seins, und darum das
Nichterzeugen in der Seele, dies ist eigentlich die tiefste Grundlage des
göttlichen Seins in der Seele Christi. In der Nachbildung meiner Seele nach der
so vollkommen, dem göttlichen Wesen angepassten Seele Christi ging diesem
letzten Ziel die „Verkürzung“ der Akte voraus, wobei die eigentliche
Selbsttätigkeit immer mehr ausgeschaltet und aufgehoben wurde, bis sie
schließlich geradezu entbehrlich688 wird, weil die Seele nun schon
„ihre Akte“ vom „Sein“ Gottes bezieht und ihr dieses „Sein“ schon genügt. Aber
auch dieses „Genügen“ wird ständig gleichsam in die Höhe geschraubt, weil
Gottes Wesen immer mehr in Selbstmitteilung in die Seele strömt, bis das
höchste, seinen göttlichen Absichten entsprechendes Maß erreicht ist. –
Gleichsam eine Gipfelung der Bewegungslosigkeit Gottes, wie sie nachgebildet
meine Seele erfährt, ist nun dies, dass sie, in sich „grundlos“, aus sich
selbst besteht. Auch das Meer ist ruhig (um einen Vergleich des Gegensatzes des
Wassers zum göttlichen Wesen zu gebrauchen), aber es ist das Wasser, was das
Meer in sich ausmacht, und dieses Wasser ruht wieder auf einem Grund, der das
Wasser trägt. – Die Selbst-Grundlosigkeit des göttlichen Wesens ist ein
Geheimnis, das in noch viel höherem Maße, wie das Vorhergehende die Urkräfte
der Seele, die in ihr angelegte Geistigkeit, herausfordert. Gottes Wesen ist
Geist und bedarf nicht einer tragenden Stütze; dieser unendlich vollkommene
Geist besteht „aus sich selbst“, aus eigenem Sein. Ein körperloses Sein ist der
Seele auch in einem sehr vergeistigten Zustand unerträglich, nicht weil es in
sich körperlos, d. h. „stützelos“ ist, sondern weil in diesem Fall das „Sein“
als Zustand, als Realität erfordert ist, ein Sein nämlich, das alles „aus sich
selbst besitzt“ und dessen Existenzkraft in sich selbst beschlossen ist, d. h.
das alles hat und ständig sich selbst benützte. Und dieses ständige und
augenblickliche Sich-selbst-benützen muss für die Seele wie zu einem
Naturgesetz werden, wenn ihr das Leben Gottes in dieser besagten Form
erträglich sein soll. Damit grenzt sich ihr Gesamtleben „in sich selbst ab“.
Die Leiden aber, die diesen hohen689 Zustand in der Seele
ermöglichen, bedeuten ein ständiges, schmerzliches Sterben des gewohnten
Nehmens aus der690 erzeugten, und im gewissen Sinne noch der Materie
verhafteten Grundlage. Das Leben auf jener neuen Grundlage aber streckt sich
aus sich selbst heraus. Da erfährt man, was es heißt: Gott ist aus sich selbst!
In die volle Realität dieser Wahrheit kann aber in gewissem Sinne kein Mensch
eindringen.
2095 |
In Wirklichkeit kann man aber nie nur eine
wesentliche Vollkommenheit Gottes ausschließlich und allein erleben – denn
Gottes Wesen691 ist nicht teilbar – sondern es vollzieht sich dabei
immer zugleich auch ein allgemeines Aufnehmen des göttlichen Lebens oder eine
gewisse Abrundung der in besonderer Weise erlebten göttlichen Eigenschaft. Es
können jedoch bestimmte göttliche Eigenschaften und Vollkommenheiten, je nach
der besonderen Berufung, bis zu einer besonders hohen Spitze in der Seele
nachgebildet und nachgeformt werden. In meinem Falle sind es jene göttlich
wesentlichen Vollkommenheiten, die für mich die Grundlage und Voraussetzung
bieten zum Erleben der göttlichen Erlöserperson. Zur Tragfähigkeit für die
zweite göttliche Person braucht meine Seele jene göttliche Ausstattung, die
sich als Dauerzustand bewähren muss, weil sich jenes kommende Erleben als
„Selbst-Erlebnis“ wie auf eigener Selbst-Grundlage ausbilden und offenbaren
wird. – In Wirklichkeit gebraucht mich die göttliche Erlöserperson692
Christi zu ihrer Dienstbarkeit, der mein Ich überantwortet ist.
2096 |
Dieser Zustand prägt sich jetzt schon in einem
sehr hohen Maße in mir aus, wenn er auch in Worten nie ganz zu erklären ist.
Die Existenz „für mich“ ist verloren, während die neue, geistige Existenz ein
ganz anderes „für mich“ bedeutet. Dieses neue „für mich“ liegt mir ungleich
näher, ja, es ist eines, weil darin Existenz und Sein eines ist. – In Gott ist
nur „Eines“, ist Sein und Existenz, ein und dasselbe. Aus dieser
Tatsächlichkeit ergießt sich die Fülle Gottes, weil die Unteilbarkeit seines
göttlichen Wesens nun die angeglichene Seele erfassen kann. Damit scheine ich
die für meine Aufgabe erforderte Spitze Gottes, zu erreichen. Ich erlebe auf dieser
„Spitze Gottes“ eine Fülle des „Lebens“, die mich ständig trinken und gesättigt
sein lassen693 „aus mir selbst“. –
2097 |
Ich habe heute Nacht gut geschlafen, war aber
ständig „wach“ und erlebte diese Fülle Gottes. Ich schaue mit großem Entzücken
und gesättigt von „mir“ selbst herab auf die Niederungen meines menschlichen
Seins, gleichsam wie jemand, der vom Berge in die ihm zu Füßen liegenden Täler
schaut, glücklich, dort oben weilen zu können und gesättigt zu sein von der
Höhe. – Doch diese Höhe und Spitze ist nur der Vorhof Gottes. Von dort geht es
in die eigene Tiefe hinein. Meine Aufgabe ist es nun, in die Tiefe der
heiligsten Dreifaltigkeit einzugehen, dem „Worte“ zu dienen, das ständig vom
„Vater“ gezeugt wird als „Erlöser“. –
2098 |
Ich bin nun auf einer Höhe des in mir
erreichten geistigen Zieles angelangt, die es mir ermöglicht, dieses Ziel in
mir selbst, ohne Hemmung, zu leben. Es fehlen aber694 wiederum die
menschlichen Worte und Ausdrücke, um dieses Ziel zu erklären. – Die geschaffene
„Zweiheit“ der Seele ist in mir in einem wahren Sinne geschlossen, überbrückt
und wie zu errungener „Einheit“ und Einfachheit geworden, aber nicht aus meinem
eigenen freien Erringen, sondern kraft des Wesens der göttlichen „Einheit“ oder
des einen, reinen Aktes, in das ich so tief einbezogen und dem ich so weit
angeglichen wurde. Kraft der entsprechenden Lebenseinheit mit Gott bzw. mit der
göttlichen Person Christi bestehe ich in „einem Akt“, das ist aus695
dem Sein selbst, das Leben und Dasein selber ist und worin alle
Daseinsmöglichkeit enthalten ist. Dieses „eine Sein“ hat sich aber auch in
seiner696 Tiefe so durchgesetzt und durchgebildet, dass es „aus sich
selbst“ als absoluter Selbststand bestehen kann. Ich bin in solchem Maße dem
„Leben“ der göttlichen Person des Wortes überantwortet, dass sein Leben zum
meinigen geworden ist; kraft der inneren Leiden ist meine Seele für sein
göttliches Wesen wie umgeschmolzen worden, sodass ich nun „sein Wesen und Sein“
als das Meinige ertragen kann. Ich kann nun in Wahrheit sagen: „Das“ bin ich
und es ist mein Lebenselement und meine Seinsgrundlage geworden. Wohl laufen
außerhalb dieses „neuen“ Lebens noch schwache, frühere Fäden und Betätigungen
„meines alten Seins“ mit, aber diese haben keine Bedeutung und beengen und behindern
im Wesentlichen das Höhere, Wirkliche gar nicht. Diese noch gleichsam von fern
sich zeigenden, schwachen eigenen Betätigungen sind mir selbst lästig, weil die
ganz überflüssig sind, und ich weiß, sie werden dann vollständig abgelöst,
sobald das Leben Christi in mir vollkommen funktionsfähig ist, weil dann
entsprechend andere, wesentliche Bewegungen an deren Stelle treten werden. (So
wurde mir [es] innerlich erklärt!)
2099 |
Mein inneres Ziel697 ist wohl
objektiv, in sich, ein rein gottgeschenktes, aber subjektiv, was mich anlangt,
ist es auch an mein eigenes Mitwollen und Mitgehen gebunden, sodass ich ihm mit
aller Kraft und Energie zustreben muss. Das Eindringen in die göttlichen
Geheimnisse soll ja – wie mir Jesus erklärte – nicht ein visionäres oder ein
Schauen698 sein, also nicht nur ein „geliehenes oder geschenktes
Gut“, sondern soll ein „erworbenes Gut“ sein, das wirklich herausgewachsen ist
aus vielen besonderen Gnaden und vielem eigenen Mühen699 und Leiden.
Deshalb musste im Mitwirken mit der Gnade die eigene Überwindung des
Selbstisch-bindenden mit aller Kraft und in immerwährender Kampfstellung geübt
und betätigt werden. So ist mein inneres Leben nicht einseitig auf ständigen
Wundern der göttlichen Gnade aufgebaut noch darauf eingestellt, sondern es
beruht zugleich auf tiefster und folgerichtiger Selbstbetätigung und
unmittelbarer Selbstarbeit, sodass ich in einem wahren Sinne sagen kann: Ich
habe mir das „Leben“ Jesu erworben, wenn es mir auch als letztes Ziel und
Aufgabe nur durch besondere Gnade geschenkt und gegeben wurde.
2100 |
Neben der besonderen Zielführung soll nach
Gottes Absichten durch den beschriebenen Weg auch allgemein bewiesen und
gezeigt oder in Erinnerung gerufen werden: Die Früchte einer vollen Ausnutzung
der Kräfte und Fähigkeiten der Menschenseele, die Weckung ihrer
Vergeistigungsmöglichkeiten, ihre von Gott geschaffene Zielstrebigkeit zu Gott
hin, ihre höchste Möglichkeit, gleichsam in Gott aufgehen zu können, ihre
letzte Bestimmung, Gottes Wesen erfahren, erfassen und erleben zu können. Eine
höchstmögliche sittlich-religiöse Vervollkommnung führt die Seele in die Nähe
des Wesens Gottes, dessen göttlich-wesentliche Vollkommenheiten bei der
Erschaffung der Seele als Urvorbild dienten. – Der höchste und letzte Zweck
meiner besonderen Gnadenführung bzw. meines Innenlebens ist aber der: Dass Gott
die Menschheit dadurch tiefer einführe700 in seine Geheimnisse,
besonders in das der Erlösung, und dass damit aus seiner Liebe neue Gnaden eröffnet
werden. Gottes Liebe offenbart sich ja in besonderer Weise im tiefsten
Geheimnis dieser Liebe: im Geheimnis der Erlösung. –
2101 |
Mein jetzt erreichtes Ziel führt mich wie
naturgemäß durch Jesu Leben weiter in einer neuen Auswirkung der göttlichen
Wesenheit Christi: Er ist nämlich „einer von den Dreien“ des dreipersönlichen
Gottes. – Dem Wesen nach ist er dem Vater und dem Heiligen Geiste vollkommen
gleich, aber als Person ist er ein anderer als Vater und Heiliger Geist. Er ist
„Derjenige“, der immerwährend vom Vater gezeugt wird und in göttlich-gewollter
Liebes- und Lebensgemeinschaft mit dem Vater den Heiligen Geist hervorbringt. –
Gottes Wesen ist in sich ständige „Bewegungslosigkeit“ („Bewegung“ hier im
gewöhnlichen, menschlichen Sinne genommen), ist Sein, ohne „Tätigkeit und
Selbst-Produzieren“ (wie es in der menschlichen Seele z. B. herrscht). Gottes701
Dasein beruht auf keinerlei Bedingungen und Voraussetzungen. Gottes Sein und
Wille selbst ist ihm Existenz, mittels deren er auch alles Geschaffene ins
Dasein setzt und erhält. Und doch kann man sich menschlich so ausdrücken:
Gottes Sein hat eine notwendige Bedingung, nämlich die: seine innergöttliche
Herrlichkeit erströmen zu können. Seit Ewigkeiten war und ist es Gottes
notwendige Bedingung, dass sein Wesen sich in drei Personen erströme, um seine
innergöttliche Herrlichkeit gleichsam in sich selbst zum Ausdruck zu bringen.
Es gehört zu Gottes Wesen, sich mitzuteilen, zu verströmen und sich zu
verschenken, sich ständig in seinem tiefsten Wesen und Sein zu eröffnen. Und
der einzige Beweggrund hierfür ist sein Wesen selbst, seine wesenhafte
göttliche Liebe. – Wo wirkliche Liebe ist, muss sie sich betätigen, mitteilen
und muss sie wieder fruchtbar und dienstbar werden. Und Liebe dieser Art, Liebe
ohne Maß und Grenzen ist Gottes Wesen selbst. In diesem Sinne kann daher Gottes
Wesen niemals „ruhig“ sein, und sind in ihm ständig göttlich-wesentliche
Bewegungen, die, weitergeleitet, neue Fruchtbarkeit der wesenhaften702
Liebe erzeugen und hervorbringen. Dieser Urgrund der Liebe ist das Wesen des
ewigen Vaters; sein Wesen ist es, ständig neue Liebe zu zeugen, Liebe, die ihm
wesensgleich ist, die aber doch wieder eine neue Art von Betätigung finden
soll. Und ewig zeugt der Vater diese Liebe als den Urquell aller Wesen, zeugt
die Liebe der zweiten göttlichen Person, die Liebe des Erlösers. – Das Sein des
Wortes „hebt sich personhaft ab“ vom Vater, obwohl wesenhaft eins im Vater als
ein göttliches Wesen. Der Sohn als solcher ist ein anderer als der Vater und
Erzeuger, weil der Vater als Urquell der Liebe diese Liebe wirklich und ständig
zur „Tat“ werden lassen will. Der Sohn führt aus, was im Vater seit Ewigkeiten
verborgen war. Somit ist der Sohn als vom Vater Gezeugter der Gesandte der
Liebe des Vaters, das Wort, das „tut“, was im Vater sich ständig bewegt und was
ihn bewegt.
2102 |
So hat also Gottes Wesen in sich doch
„Bedingungen“, die ihn zu dem machen, was er ist, Bedingungen, die seine göttliche
Liebe fruchtbar und dienstbar machen, Bedingungen aber, die ihm wesentlich sind
und seinem Sein entsprechen, und diese höchste Bedingung ist seiner Liebe
Eigenart, die ihn zum Dreipersönlichen macht, und das von Ewigkeit her. Gottes
Wesen bewegt sich in wesenhafter Weise im immerwährenden Erströmen seines Seins
vom Vater zum Sohn und in der göttlichen Bewegung Beider703 im
Heiligen Geiste. In dieser doppelten Form und Vorgang704 ist die
wesentliche göttliche Liebe in sich in drei Personen fruchtbar. Es sind drei
Teilhaber an einem Ganzen, von welchen jeder ein Ganzer ist. Diese göttliche
Liebe wird fruchtbar auch nach außen über die ganze Schöpfung hin. Im Worte als
dem Sohne und Gezeugten des Vaters wird die göttliche Liebe durch die „Tat“,
die Ausführung fruchtbar, im Heiligen Geist durch die Belebung, die Kraft und
Liebe des Vaters. Und doch sind all diese göttlichen Wesensfrüchte der Liebe
nicht geteilt in sich, sondern es ist dem Wesen nach die eine göttliche Liebe,
die sich durch die Fruchtbarkeit der innergöttlichen Bewegungen in der
Verschiedenheit der drei göttlichen Personen äußert und die innergöttliche
Herrlichkeit gleichsam ausdrucksvoll und sichtbar macht. –
2103 |
In der Zeit, und zwar „als die Fülle dieser
Zeit gekommen war“, sandte Gott seinen eingebornen Sohn. Die Zeitbedingungen
bewogen von Ewigkeit die Liebe des Vaters, das „Wort“ als Erlöser der Welt zu
zeugen, und ebenso war es die Liebe des Vaters, die das Wort von Ewigkeit als
Urvorbild der Menschheit zeugte. Nachdem der Glanz des Abbildes dieses
göttlichen Ideals im Menschen durch die Sünde verloren gegangen war, sandte er
das Wort, den göttlichen Ausdruck seiner Liebe und Barmherzigkeit, auf dass in
ihm die Menschheit wieder zurückgeführt werde; „in ihm, dem Sohne“: Denn in ihm
war alles, war die gesamte Menschheit, so, wie die ganze Schöpfung und die
göttliche Herrlichkeit im Vater war.
2104 |
Seit gestern werde ich einer neuen Vertiefung
meines Innenlebens inne. Es bereitet sich in mir eine höchste Inanspruchnahme
meines ganzen Seins vor, eine bis jetzt noch nie erlebte Inanspruchnahme durch
die göttliche Person Christi. Es vollzieht sich ein Überantworten meiner selbst
in seine göttliche Gewalt und Autorität, ein Hinbewegen und Unterstellen all
meiner Kräfte unter seine Herrschaft. Mein Sein (soweit es bis jetzt noch nach
außen vorhanden war, dieses Außen aber rein geistig gemeint [ist]) verliert
sich in der Fühlungsnahme mit ihm und im Sinn und Zweck dieser besonderen
Vereinigung mit ihm. Ich bewege mich hinein in die volle Konsequenz dieser Art
der Vereinigung mit ihm. In ihm, als er, bin ich für immer innerer Teilhaber
des Erlösungsgeheimnisses.705 Meine Kräfte dienen seiner göttlichen
Person, dienen jener göttlichen Bewegung, mittels derer das göttliche Wort, als
Erlöser sein göttliches Leben als Menschensohn lebt, wesenhaft Gott aber
umkleidet von der irdischen Gestalt und Tragkraft der menschlichen Natur. – Ich
besitze mich in einer wunderbaren geistigen Elastizität und Fähigkeit der
Einordnung und Unterstellung706 unter die höchste göttliche Kraft,
die mich leitet.
2105 |
Heute, am Herz-Jesu-Freitag, wurde mir die
Gnade einer speziellen Vollendung zuteil, nämlich ein bestimmter Abschluss
einer Periode meines Innenlebens: Das Eingehen in die göttliche Seinsgrundlage,
die ich nun ertragen kann, soweit sie für meine spezielle Berufung notwendig
ist und mir deshalb durch eine besondere Gnade mitgeteilt wurde. – Die Art
dieser Gnade selbst lässt sich an Worten nicht erklären, obwohl deren
Auswirkung in meinen Inneren von umwandelnder707 Bedeutung ist.
2106 |
Gestern waren die inneren Leiden schwer. Alles
stürmte nochmals auf mich ein: All die erlittenen Ungerechtigkeiten und
Lieblosigkeiten der letzten Wochen, meine äußere Existenzlosigkeit und dabei
doch der von mir geforderte ganze persönliche Einsatz für die Absichten des
Herrn, obwohl ich eigentlich nichts als mein Eigen habe, wohin ich mein Haupt
hinlegen708 kann. Die menschliche Natur empfindet dies hart,
besonders in Anbetracht der heutigen Zeitumstände und meines Innenlebens, wodurch
eine gewöhnliche Lebenslage und Lebensbedingung für mich nicht möglich ist. –
Dennoch wurde ich auch im Heranstürmen all dieser tatsächlichen und wirklichen
Leiden immer wieder gleichsam aufgenommen in Christi sein, wozu ich die
geistige Möglichkeit in mir vorbereitet erlebte und worin ich vollen Ersatz
fand. Trotz alles Entbehrens einer äußeren Selbstständigkeit, die mir durch die
innere Berufung genommen ist – (und der letzten schweren Ereignisse)709
–, war am Abend ein heiliger Friede und volle Ruhe mein Anteil.
2107 |
Heute Morgen hatte ich den Antrieb nach S.
Lorenzo zu gehen. Dort kam ich in „die Vollendung der göttlichen
Seinsgrundlage“ als meiner nunmehrigen eigenen geistig-sittlichen
Lebensgrundlage und in eine „Sammlung meines Seins wie als Naturanlage“. – Ich
wurde auch anderer Geheimnisse inne. Besonders verstand ich das Geheimnis, wie
Gottes Führung gerade durch diese oder jene Leiden diesen meinen jetzigen
Seinszustand in Gott erreichen konnte und wollte. Die gewaltsame Wegnahme aller
irdischen Güter und eines selbstständigen äußeren Lebensstandes brachte mir
wohl große Leiden, aber nur aufgrund dieser vollkommenen, inneren Entblößung
von allem Äußeren konnte ich die göttlichen Güter, die Jesus mir indessen710
mitteilte, geistig voll und wirklich in mich aufnehmen. Ja, wie viele Dinge
trägt der Mensch an sich und in sich, die er in Gott entbehren könnte, und
welches Maß von äußerer und innerer Selbstentäußerung ist für eine Seele
notwendig, wenn sie in jener Tiefe und Fülle in Jesus aufgenommen werden soll,
wie ich sie jetzt als wirklichen Zustand und Habitus lebe! – All die
vorausgehenden äußeren und inneren Losschälungen und Selbstentäußerungen haben
mich zum „Kern und Wesen Gottes selbst“ geführt. –
2108 |
Ja, ich bin heute wirklich in den Kern und Mittelpunkt
des Wesens Gottes eingeführt worden, und dies als mein bleibender Zustand. Und
von diesem „Zentrum Gottes“ aus werde ich befähigt für Christi Sein und Leben.
– Ich „war“ ganz in der Heiligen Dreifaltigkeit und „lebte“ im Heiligen Geiste
die göttliche Einheit in Vater und Sohn. (Zum Erstenmale kam ich heute in
fühlbare Begegnung mit dem Heiligen Geiste). Er ist die göttlich-wesentliche
Liebeseinheit oder Liebesstrom zwischen Vater und Sohn, das innergöttliche,
wesentliche Band in den beiden göttlichen Personen. Und im Heiligen Geiste
wurde ich besonders aufgenommen in das göttliche Sein der zweiten göttlichen
Person, des Sohnes und Erlösers, der immerwährend vom Vater gezeugt wird. Ich
bin nun diesem Geheimnis ganz nahe gekommen, bin im Zentrum selbst angelangt
dadurch, dass ich in das Wesen des göttlichen Wortes selbst aufgenommen bin –
„indem ich in die göttliche Person des Erlösers einging“ –, aber in jener
besagten Entblößung von allen inneren und äußeren Gütern und nur – vermittels
seiner göttlichen Seinsgrundlage – von seinen göttlichen Gütern umkleidet. In
dieser eigenen Selbstentäußerung, zu der ich durch die göttliche Führung in den
letzten Jahren zuständlich gebracht wurde, erlebte ich mich in Jesus, in seiner
Stelle, nun erst fähig, ganz in seiner göttlichen Entblößung bei seiner
Menschwerdung versetzt zu werden und sie mir als die Meine, als meinen
dauernden Zustand, zu eigen zu machen. Ich bin nun zutiefst – in einer, in
Worten nicht zu erklärenden Weise – in die göttliche Selbstentäußerung Christi
eingedrungen oder vielmehr in seinen Zustand. Es sind dies aber rein geistige,
in Worten nicht wieder zugebende Begriffstiefen, Zustände und Wirklichkeiten in
der Menschwerdung Christi. Ich war gleichsam „im Stall“, in Jesus, bei seiner
Geburt und erlebte mich in jenem Grad der Selbstentäußerung Christi, wie es für
meine besondere geistige Berufung notwendig ist. Dies kann aber immer nur
vergleichsweise oder bildlich in Worten angedeutet werden, denn in den vollen
wirklichen Zustand der Selbstentäußerung Christi als Gott kann man überhaupt
nicht eingehen. – Jene selbstige Entäußerung meiner selbst711 und
das gleichzeitige Eingehen in seine göttliche Person bot und bietet für mich
die grundlegende Möglichkeit, um Jesu göttliche Selbstentäußerung als Mensch in
einem dauernden Zustand leben zu können, sodass dieser geistige Habitus nun
mein eigen ist und ich vermittels712 desselben die jetzige, große
Freiheit im Wesen Gottes erlangen konnte. Der durch Gottes Gnadenführung
erreichte Grad der Selbstbefreiung, bietet mir die entsprechende Freiheit und
Möglichkeit, um derart an Gottes bzw. Christi Wesen teilzuhaben, dass sein
Leben in einem wahren Sinne zum Meinigen werden kann. Durch die Erwerbung des
göttlich-sittlichen Habitus des Wesens Gottes wurde ich in die Möglichkeit
versetzt, das Wiesen Christi, des Erlösers zu erfassen, für den die göttliche
Seinsgrundlage sowie die göttlich-wesentlichen sittlichen713 Anlagen
als Grundlagen seines menschlichen Daseins dienten. Weil sich das menschliche
Leben Christi auf dieser Linie und Grundlage gründete und bewegte, musste ich
mir diese göttliche Seinsgrundlage erwerben, doch erst die vollkommene
Befreiung von mir selbst bot mir den Weg und die Möglichkeit dazu. Und nun
schaute und erkannte ich mich in diese für meine Aufgabe notwendige geistige
Situation versetzt.
2109 |
Der göttlich-sittliche Vollkommenheitszustand
in Christus hatte nicht zur Folge, dass ihn, beispielsweise, etwa die Armut und
die Umstände seiner Geburt nicht berührt hätten, oder keine wirklichen Leiden
für ihn gewesen wären, weil er – wie man zunächst einwenden könnte – als Gott
alle geistigen Güter selbst zu eigen hätte, und in einer unaussprechlichen
Loslösung714 und Entäußerung von den irdischen Gütern war. Freilich
ist das Reich Gottes und Christi nicht ein Reich – und Sein715 – von
dieser Welt und deshalb hätte ihm an sich die Armut seiner Geburt nichts
anhaben und ihn nicht berühren können, weil das göttliche Sein weit erhaben
über die irdischen Güter und Annehmlichkeiten ist. Gottes Wesen genügt sich
selbst als göttlicher Genuss so vollkommen, dass an sich auch für Jesus als
Mensch – der immer Gott blieb – die Armut nichts Drückendes gewesen wäre. Aber
er hat sich freiwillig als Erlöser den Gesetzen der menschlichen Natur
unterworfen und hat als wahrer Mensch alle Leiden und Entbehrungen eines wahren
opfervollen Menschseins auf sich genommen. Christus gebrauchte die irdischen
Güter und hatte es als wahrer Mensch nötig, sie zu gebrauchen, aber doch so,
dass sein Sein, trotzdem er wahrer Mensch war, immer ein göttliches blieb. –
Ich war nun in diesem freiwilligen Selbstentäußerungszustand Jesu als in meinem
Zustand, sodass ich aus eigenem Erfahren bekennen kann: So ist Jesus in seinem
Wesen als Gott und Mensch, in seiner göttlichen Seinsgrundlage auch als wahrer
Mensch. Dieses jetzige Selbsterfahren Christi war aber noch kein in sich
wesentliches Erfahren, wie es – mit ihm – wohl mein letzter, endgültiger
Zustand mit sich bringen wird. Es war vor allem für mich ein tieferes Aufnehmen
des geistigen Begriffes von Jesus, ein näheres Einfühlen und eine engere
Fühlungsnahme mit seiner göttlichen Person, der ich überantwortet war, und es
war im Besonderen auch eine Belehrung für mich, dass das Spürbar-sein irdischer
Entbehrungen und das Leiden darunter keine Mängel oder Fehler sind, sondern
berechtigte Folgen der empfindsamen menschlichen Natur. Die Natur verlangt ihre
Rechte, wenn ein Menschenleben normal sein soll. Das Leiden unter fehlenden
Lebensnotwendigkeiten ist keine Schwäche, wenn das Innere in der entsprechenden
geistigen Ruhe und Ergebung bleibt, d. h., wenn der innere Tugendhabitus nicht
dadurch716 erschüttert wird. Und diese wunderbare Tatsache war in
der Seele Christi dauernd vorhanden. Er war Mensch auf göttlich vollkommener
Seinsgrundlage, obwohl er zugleich gerade infolge der hypostatischen
Vereinigung die höchste menschliche Empfindsamkeit besaß. Die göttliche717
Richtung und Vollkommenheit seines Innern erhöhte seine äußere Empfindsamkeit.
Dies ist das Wunderbarste am göttlich-unveränderlichen Wesen Christi, dass es
sich in sich selbst in gleichbleibender göttlicher Vollkommenheit besitzt, aber
zugleich das äußere menschliche Leben empfindet mit dem vollen Bewusstsein
seines göttlichen Rechtes und Anspruches auf solche äußere Lebensbedingungen,
wie sie die Göttlichkeit in sich bietet und an sich auch äußerlich zu fordern
berechtigt ist. In diesem göttlichen718 Schwerpunkt liegt die Tiefe
der Leiden des Menschen Christus und dieser an sich719 berechtigte
Anspruch und Bedarf auf entsprechende Lebensbedingungen war in Christus
göttlich-wesentlich. Er wollte aber in allem „Mensch“ sein, auch im vollen
Empfinden und Erleben des ganzen Maßes der Selbstentäußerung und des
Selbstentzuges dieser göttlich-berechtigten Ansprüche seines göttlichen Wesens.
2110 |
Die heute erhaltene Gnade hat umwandelnde720
Bedeutung für mein ganzes Sein. Sie bedeutet ein ganz hohes
Sich-Einfühlen-Können in das Wesen der göttlichen Erlöserperson infolge der
Eigenart der göttlich-wesentlichen Seinsgrundlage, zu der ich nun erhoben und
von der mein ganzes menschliches Sein ergriffen wurde. Ich bin in mir selbst so
„Eines“, auf einer Linie, und mein menschliches Leben „ruht“ in dem „Einem“ in
mir. Und dieses „Eine“ ist leicht, erhaben, ganz Geistigkeit, worin mein
menschliches Leben eingebettet ist. – Jetzt kann ich annähernd begreifen, dass
es nach den ersten Absichten des Schöpfers für die Menschheit möglich gewesen
wäre, dass der Mensch ohne Tod und Sterben mit Leib und Seele hätte Gott
schauen und genießen können. Dies brachte die unaussprechliche Erhabenheit und
Geistigkeit des erstgeschaffenen und sündenlosen Menschen mit sich. Die
Geistigkeit der Seele ist die erste Voraussetzung und Möglichkeit, um das Wesen
Gottes erfahren zu können. Die Seele ist in sich selbst in ihrer ersten und
vornehmsten Anlage der „Fühler“ und das „schauernde Licht“ für Gott.
Dementsprechend war auch der Leib vergeistigt, sodass er den Anlagen der Seele
zu Gott in keiner Weise hinderlich war, unter dem „Gott schauen“ ist ja nicht
so sehr ein Schauen mit den Augen des Leibes zu verstehen als vielmehr das
Erfahren Gottes und seines Wesens mit den Kräften der Seele. Dazu ist die
geistige Seele mit ihren Kräften – vorausgesetzt die von Gott geschaffene
Übernatur – ihrem Wesen nach befähigt. Im ersten Zustand wären Seele und Leib
ohne Tod in diesen glückseligen Zustand gelangt, aber immer wäre „die Seele
selbst“ der Hauptfaktor in der Anschauung Gottes gewesen; denn Gott ist Geist
und auch die Seele ist Geist und nur auf diesem wesentlichen Wege können sich
beide begegnen. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Augen des Leibes nicht
fähig waren für ein etwaiges bildliches „Anschauen“ Gottes oder dass Gott sich
ihnen nicht in einer erklärenden bildlichen Gestalt hätte zeigen können; doch
dies würde nicht das Wesen des Gottesschauens bedeuten und brächte auch nicht
die letzte und höchste Glückseligkeit für die Seele. Die höchste Seligkeit und
der tiefste Genuss ist ja nach meinem Erfahren dies: Gottes Wesen in sich
selbst verkosten und genießen zu können. Dieser wesentliche Genuss Gottes ist
aber der Seele allein vorbehalten. Wenn nach der Auferstehung am Jüngsten Tage
auch der Leib „teilnimmt“ an der Beseligung der Seele, so kann dieses Glück
vielleicht auch nur ein unmittelbares Überströmen der gottgenießenden Seele auf
den Leib sein, der dann entsprechend vergeistigt werden wird, dass er an der
Seligkeit der Seele in der ewigen Glorie teilhaben wird. –
2111 |
Zusammen mit meinen inneren Erfahrungen habe
ich heute auch gewisse geistige Richtlinien für das gottgewollte Priesterwerk
erkannt. Zu diesen721 grundlegenden Wesenszügen gehört: Das ganze
Menschenleben auf Gott konzentrieren und hinrichten; – die Vollkommenheiten des
Wesens Gottes in Anspruch nehmen und gebrauchen; Gott und seine Gnade anfordern
und zuversichtlich erwarten; ja dieses Anstreben und Anfordern Gottes zum
Mittelpunkt des ganzen Lebens machen. Wenn Gott zum Zentralpunkt des
Priesterlebens gemacht wird, dann wird sich die Fülle Gottes in ein solches
Priesterleben ergießen.
2112 |
Das religiöse Leben vereinfachen, d. h. es
ganz christozentrisch auf die Erlösung als auf das für uns Wesentliche
einstellen; in Christus das hohe Ziel des Priesters verwirklichen; die Gnaden
der Erlösung entsprechend den göttlichen Liebesabsichten in vollem Maße aus dem
Herzen des Erlösers herausholen, anfordern und gebrauchen. Zum Mittelpunkt des
ganzen Christenlebens emporsteigen, der Christus selbst ist. In das Wesentliche
des Christentums eindringen, nämlich in diese ewigen Wahrheiten:
1. Der Mensch im ersten Zustand und
die reine Paradiesesseele, – der Mensch im gefallenen Zustand und die gefallene
Seele, die wieder zur wesentlichen ersten Reinheit hinstreben und zurückkehren
soll.
2. Die zweite Person in der
heiligsten Dreifaltigkeit als Erlöser.
3. Der Erlöser und der Inbegriff der
Erlösungsgnaden, die in ihrem ganzen Ausmaß angefordert und gebraucht werden
sollen;
4. Die Seele in ihrer Umgestaltung
kraft der Erlösungsgnaden Christi.
5. Die Fülle Christi in seinen
Erlösungsgnaden; wirklich aus sich eine „erlöste Seele“ machen.
6. Auf diesem Wege die Seele wirklich
zu einem „zweiten Christus“ machen und darin den Kernpunkt des Christentums
sehen.
7. Das ganze religiöse Leben
vereinfachen, gleichsam den Weg zum Ziel verkürzen, alles auf das Wesentliche einstellen
und sich dort befestigen.
8. Sich ganz für ein Leben in Gott in
diesem Leben und im Himmel befestigen und so die Absichten, die Gott bei
Erschaffung des Menschen hatte, voll verwirklichen.
2113 |
Gott hat den Menschen für sich erschaffen und
er selbst will die Beseligung der Seele sein. Was uns aber durch die Sünde
verloren ging, ist uns in Christus ersetzbar und möglich geworden.
2114 |
Der Priester muss zuerst sich selbst zu einer
erlösten Seele erziehen und heranbilden und in sich das Ideal verwirklichen; er
soll ein Vorbild eines christozentrischen Lebens werden und dieses dann auf das
Volk übertragen zu suchen. Und Christus gibt und eröffnet sich dann selbst722
dem Priester und [er] wird sein Leben werden.
2115 |
Gedanken über die Zeitnotwendigkeit des
Priesterwerkes (M1 S. 54a / M2 S. 55)
1. Die heutige Gottlosigkeit und
Glaubensschwäche.
2. Die Materialisierung des heutigen
Zeitgeistes.
3. Das schrankenlose
Sich-selbst-genießen-wollen.
4. Die Überhebung des eigenen Ich
über das göttliche Gesetz der vollen Abhängigkeit von Gott.
5. Die Auswirkungen und Verheerungen
dieses Zeitgeistes in der Kirche.
6. Die Verflachung des priesterlichen
Geistes.
7. Der Priester als Träger des
Geistes einer absoluten Abhängigkeit von Gott und eines vertieften Glaubens.
8. Vertiefung des Gottesglaubens
durch Zurückführung bis auf die tiefste Quelle des Menschentums: der Mensch als
Eigentum Gottes.
9. Im vertieften Glaubensgeist die
Erlösungsgnaden in ihrem vollen Ausmaß sich aneignen und ausnützen.
10. Die Früchte werden dann sein:
a) Selbsterneuerung durch die tiefste
Glaubensquelle: Christus der Erlöser!
b) Das Reich Christi im einzelnen
Priester aufgerichtet.
c) Das „Licht wird dann auf den Leuchter
gestellt“: der Priester das Licht der Welt.
d) Das neue723 vertiefte
Priestertum bleibt nicht verborgen: „Die Stadt auf dem Berge“.
e) Als „Salz der Erde“ wird das Priestertum
die Fäulnis der heutigen Zeit überwinden.
2116 |
So wächst das Priesterwerk aus den heutigen
Zeitverhältnissen heraus und ist in seiner Entfaltung und Auswirkung ein
Heilmittel gegen die übel der heutigen Zeit.
2117 |
(In S. Giovanni): Herr, ich will leiden; alles
andere mach du!
2118 |
Weil unser Leben so voll Leiden und
Verdemütigungen ist, habe ich die Hoffnung, dass Jesus seine Versprechungen
wahr machen wird; – wenn ich angesehen und ohne Kreuz wäre, müsste ich vielmehr
fürchten, nicht auf dem rechten Wege zu sein und ein Opfer des bösen Feindes zu
werden724. Aber meine Leiden und Verdemütigungen sind meine einzige
Hoffnung und werden den Sieg bringen725. –
2119 |
Abends, in der Kapelle war ich in einen726
erhöhten Zustand des „Lebens“ Jesu versetzt und dabei ließ mich Jesus
innewerden: „Dieses Leben wird mein Werk zum Siege führen“. –
2120 |
Wie lang, wie lang ist der Weg, der mich
endlich an das von Jesus mir gestellte Ziel führt! Und doch schreite ich
innerlich ständig und immer weiter: Es ist ein andauerndes, geistig-organisches
Wachsen in mir, wenn es auch in Worten nicht mehr im Einzelnen auszudrücken
ist.
2121 |
In den letzten Wochen (seit dem
Herz-Jesu-Freitag am 5.3.) vertiefte sich die in mir nachgebildete göttliche
Seinsgrundlage. Wie immer in diesen geistigen Entwicklungen, wurde zuerst der
höchste Teil oder die höchste Anlage der Seele für diese nachgebildete
göttliche Seinsgrundlage in Anspruch genommen und soweit in mir herrschend
gemacht, dass nach und nach mein ganzes Sein in diese hineingezogen wurde.
Diese allgemeine Einbeziehung war wieder von entsprechenden, ständigen Leiden
begleitet. – Ich war in mir selbst wie in „Flaum“ gebettet, so weich und
grundlos, wie in mich selbst versinkend. All das Massive, für gewöhnlich das
menschliche Sein Tragende, war wie aufgelöst in mir in einer eigenen und
selbstigen Grundlosigkeit, die wie ein Nicht-Existieren oder Nicht-sein schien
im Vergleich mit dem früheren, gewohnten und gewöhnlichen Sich-selbst-behaupten
und dem daraus sich ergebenden „Selbst-Regieren“. Es war scheinbar oder
wirklich „kein Stoff“ und keine Fähigkeit mehr da, um die früher gewohnte
Aktion jenes Selbst-Erzeugens und Selbst-Regierens ausführen zu können. Ja, es
ist nicht einmal mehr die Anregung und Möglichkeit dazu vorhanden, weil alle
entsprechenden seelischen Kräfte und Fähigkeiten wie totgemacht oder vielmehr
schon in die nachgebildete, göttliche Seinsgrundlage in das göttliche Leben,
übergeschaltet sind. Die fortschreitende Vereinigung mit Gott in einer
wesentlichen Form vollbringt dieses Aufsaugen und Überschalten meines Seins in
das göttliche Sein und dessen entsprechende geistige Bedingungen. Ich kann
sagen: Ich werde mir selbst weggenommen und gleichzeitig in einen göttlichen
Dienst gestellt, in dem Jesus der Befestiger und das Haupt ist, und doch
scheint diese Funktion mir selbst übertragen zu sein, denn sie ist auch meinem
„Ich“ überantwortet oder vielmehr Jesus macht sich wie zu meinem Ich und wird zu
meiner selbstigen eigenen Grundlage. Seine göttlichen Eigenheiten werden zur
Grundlage meines Seins, worauf sich mein Leben aufbaut; denn dies ist die
Grundbedingung für das Erleben-Können seines inneren Lebens, wie es meiner
seelischen Berufung entspricht. – In diesem geistig-organischen Wachstum des
Lebens Jesu in mir erfahre und erlebe ich immer wieder viele Geheimnisse der
Wesenhaftigkeit und des Wesens Gottes in sich, das in Christus dem Menschen
unverändert weiter bestanden und dem Leben und Dasein Christi als Mensch zur
Lebensgrundlage gedient727 hat. Ich erfahre zu tiefst die
geheimnisvolle Wahrheit: Will man das innere Leben Christi erforschen und
ergründen, so muss man zuvor in das Wesen Gottes und des göttlichen Seins
einzudringen suchen.
2122 |
Mein inneres Leben entwickelt sich jetzt in
einer, wenn auch im Vergleich zu Gott ganz schwachen Nachbildung des göttlichen
Wesens Christi selbst, in das ich immer mehr eingeführt werde und eingehe.
Niemals wäre es ja einem Menschen möglich, das volle Ausmaß seines göttlichen
Lebens und Seins in sich aufzunehmen als selbstige Grundlage und eigene
Lebensbedingung; denn dieses göttliche Sein und Leben ist nur „einmalig“ und
ohne Wiederholung, aber trotzdem ist es die vornehmste Anlage der Seele728,
das göttliche Wesen in einem wahren Sinne und in immer höher sich entwickelten
Möglichkeiten und Steigerungen sich zu eigen zu machen. – Das Grundgeheimnis
Christi in sich ist aber sein göttliches Wesen, die bleibende göttliche
Seinsgrundlage, auf der sein menschliches Leben aufgebaut war und die auch für
sein menschliches Leben das Entscheidende und Beherrschende war: Gottsein war
Christi Leben und Sein auch in seiner Menschheit. – Da gab es keine Teilung
oder Abschwächung oder Abstufung seines göttlichen Habitus. Ein Vergleich: Die
Sonne bleibt immer Sonne ihrem Wesen nach, auch wenn sie für uns von Wolken
verhüllt ist; wohl erfährt ihre Wirkung bzw729. Wirkkraft eine
Verminderung durch die Verdunklung infolge der Wolken, insofern sie ihre
Strahlen nicht so durchdringen lassen und darum nicht in gleicher Weise
erwärmen und das Wachstum in der Natur fördern kann; sie erfährt dabei nicht
eine Verminderung ihres Daseins, aber doch eine Verminderung der Auswirkung
ihres Daseinszweckes. In Christus erfuhr aber die Sonne seiner wesenhaften
Göttlichkeit, die zugleich sein menschliches Sein730 bestimmte und
ausmachte, ebenso wenig irgendeine731 Verdunklung oder Abschwächung
dem Wesen nach. Die göttliche Seinsgrundlage formte zugleich sein menschliches
Sein. Hier liegt das tiefste Geheimnis des Gott-Menschen Christus verborgen.
Die göttliche Seinsgrundlage war gleichsam die „Achse“ seines menschlichen
Lebens, die wirkliche Grundlage seines menschlichen Lebens.
2123 |
Wenn Jesus sich auch in solch unleugbarer
intimer Weise mir sich in seinem tiefsten göttlichen Wesen zum Erfahren und
Erforschen gibt, so kann doch nie ein menschliches Wort dies wiedergeben!
Dieses Erfahren Jesu steigert sich nun ständig als Selbsterleben wie mein
eigener Zustand. Die wunderbare Intimität und Vereinheitlichung meines eigenen
Seins erhöht sich wie in einem organischen Wachsen. Nach meinem menschlichen
Erfahren und Begreifen komme ich mir selbst unmittelbar „nahe“, sodass mein
Dasein gleichsam auf das „Sein“ selbst zurückgeschraubt wird und die
Unterscheidung zwischen Sein und Dasein aufzuhören scheint. Das „Sein“ ist
zugleich mein Dasein und meine Existenz. In diesem unmittelbaren
Vereinheitlichungsprozess scheint man in der Fülle der wie „leer“ stehenden
Kräfte zu ersticken, weil nun das Dasein allein aus dem Sein selbst bestehen
muss. Und dieses Sein ist wie grundlos in sich und ist aus dem reinen Akt des
Seins und Bestandes selbst wirksam. Da erfährt man den ungeheuren Unterschied
zwischen göttlichem und menschlichem Sein: Gottes Sein ist wirklicher, voller
Bestand aus sich selbst; des Menschen Bestand, Dasein732 und
Existenzmöglichkeit wird aber aus seinem Sein erzeugt. Der Mensch trägt sich
und lebt kraft seiner Fähigkeiten und Kräfte – wenn ihm auch dieser selbstige
Tragvorgang nicht immer733 zum Bewusstsein kommt, weil er eben zu
den Lebenselementen seines tiefsten Selbst gehört, das der Mensch eigentlich
nie ganz ergründen kann. Gottes Wesen aber ist selbst zugleich Sein und Dasein
in höchster Fülle. Und diese göttlich-wesentliche Seinsfülle formte und bildete
im Erlöser zugleich das wesentliche menschliche Dasein und das organische
Leben. In Christus war Sein zugleich Dasein und sein göttliches Sein erfuhr in
seiner Menschheit keine Verminderung oder Abschwächung. – Das ganze Ausmaß
dieses Wunders in der Menschwerdung Christi mit seiner bleibenden göttlichen
Seinsgrundlage kann man aber erst ermessen, wenn man734 in eigenem
Erfahren die Anforderungen und Beanspruchungen erlebt, die auf der Ebene der
göttlichen Seinsgrundlage an die menschlichen Kräfte gestellt werden.
2124 |
Was wir Menschen „Leben“ nennen, ist eine
Inanspruchnahme aller menschlichen Kräfte zu einer zusammengeschlossenen und
harmonischen Funktion; alles im Menschen dient dieser735 Funktion,
die wir das „Leben“ nennen. Und das „Leben“ fordert zu dieser seiner Funktion
alle Triebkräfte, Betätigungen und Behelfe an, wodurch ein menschliches Dasein
erst ermöglicht wird. Die Ausnützung der im Menschen grundgelegten Werte hängt
aber letztlich von der höchsten Kraft im Menschen ab, vom Beansprucher und
Anforderer der selbstigen Kräfte, vom Gebraucher und Verbraucher des Daseins,
von der Person. Im Menschen ist die Person selbst der Gebraucher und
Beansprucher, das Tragende und Anfordernde. Und zwischen der Person und den ihr
zur Verfügung stehenden Kräften besteht eine Wechselwirkung. Je nach der
Werthaftigkeit und Höhenlage. Der Geistesmacht und Selbstbehauptungskraft der
Person und ihrer Anlage werden die Kräfte des menschlichen Seins zum Dienste
der Person und ihres Daseins herangezogen. Wie die „Seele“ im Grunde das
Entscheidende, und insofern selbst das „Leben“ im Menschen ist, so wird das
Dasein und die Existenzmöglichkeit des Menschen von der höchsten Kraft und
Wirklichkeit der geistigen Seele, von der Person selbst dirigiert und
angefordert. Das seelische und leibliche Sein des Menschen machen das eine
Leben des Menschen aus und die eine Person fordert die physischen und
psychischen Kräfte an, bildet und gebraucht sie nach ihren Bedürfnissen und
wird ihrerseits von ihnen angeregt. Obwohl das menschliche Leben von zwei
verschiedenen Teilen und Kräftearten getragen wird, ist doch alles einheitlich;
denn das seelisch-geistige Leben greift derart in das leibliche ein und wird
seinerseits von diesem gestützt und getragen, dass das leibliche Leben für die
Seele in diesem Leben zu einer notwendigen Ergänzung für sein736
tatsächliches Dasein wird. Und das leibliche Funktionieren der körperlichen
Eigenart beeinflusst wiederum die Funktion der Geisteskräfte und wird von
diesen beeinflusst. In einem normalen Menschenleben herrscht auch volle
Harmonie zwischen den Anforderungen der Person und den dieser Person zur
Verfügung stehenden, ergänzenden Kräften, sodass der Mensch für sich selbst in
dieser Hinsicht keinen Mangel spürt, weil ja die Art des Zusammen- und Ineinandergreifens
von Höherem und Niederem das Dasein für die betreffende Person ausmacht. –
Anderseits bestimmt und formt die Person die menschlichen Kräfte derart zu
einer einmaligen, von jeder anderen Person unterscheidenden Einheit, dass ein
Mensch nie mit den Kräften eines anderen existieren könnte; denn seine
persönliche Eigenheit ist auf seinen737 selbstigen Anlagen aufgebaut
und in sie eingebaut und alle Kräfte sind der Person angepasst. Darum wäre
beispielsweise eine Übertragung der Kräfte auf einen anderen Menschen zu einer
wirklichen Funktion nie ausführbar – wenn auch denkbar –, denn damit müsste
dieser Mensch im gleichen Augenblick ein „anderer Mensch“, das heißt, zugleich
eine andere Person mit einer ihr entsprechenden Tragkraft des menschlichen
Seins werden. Eine Person lässt sich aber nie übertragen oder in eine andere
Form einbauen; denn die Person selbst formt ihr eigenes, ihr zugehöriges Dasein
und bereitet es zu. Mittels seiner Person ist der Mensch so sehr ein
abgeschlossenes Ganzes, das er keiner wesentlichen Umänderung oder Ergänzung
fähig ist. Gewiss kann sich die Spannkraft und Werthaftigkeit seiner Person
erhöhen und vermindern, aber dies geschieht immer auf der Grundlage und im
Rahmen der ihr eigenen selbstigen Anlagen. Mag darum auch ein Lebensband zwei
Menschen noch so eng umschließen, in die höchste Anlage und Kraft des
Person-Seins kann ein anderer niemals eindringen und in dieser Hinsicht bleibt
ein Mensch dem anderen immer ein Geheimnis.
2125 |
Ausgehend von diesem natürlichen Geheimnis der
menschlichen Person kann man nun schließen auf das Geheimnis der göttlichen
Person im Menschen Christus. – Die zweite göttliche Person als wirkliche Person
und selbstige Grundtragkraft belebte mit ihrer göttlichen Eigenart das
menschliche Leben Christi und forderte als wirkliches, göttliches Sein in
entsprechender Weise die menschlichen Kräfte an. Diese Inanspruchnahme durch
die göttliche Person bewegte sich auf der gleichen Basis des wirklich
Göttlichen, und [sie] gebrauchte die menschlichen Kräften zu einem
tatsächlichen menschlichen Leben; denn es war im Grunde die gleiche Funktion
notwendig wie in unserem gewöhnlichen menschlichen Leben. Die menschlichen
Kräfte Christi mussten also den Ansprüchen und der Inanspruchnahme durch die
göttliche Person folgen können, sonst wäre Christi Menschsein nur ein
scheinbares oder doch kein wirkliches, von der Person geformtes Menschenleben
gewesen, d. h., es wäre im einseitig Göttlichen stehen geblieben, wodurch die
menschlichen Leiden als wirkliche Leiden infrage gestellt worden wären, und
sein Leib wäre nur ein Scheinleib geblieben, dem die wirkliche, menschliche
Funktion gefehlt hätte. Christus stellt als wahrer Mensch der göttlichen Person
die entsprechenden zu einer menschlichen Existenz gehörigen physischen Kräfte
und Betätigungen zur Verfügung; sonst wäre er kein voller ganzer Mensch
gewesen, weil ihm das Tiefste im Menschen, die selbsteigene Funktion, gefehlt
hätte. „Mensch sein“ heißt und bedeutet in erster Linie, der Person die zu
ihrem Dasein nötigen Kräfte bieten. Das ganze menschliche „Leben“ dient im
eigentlichen Sinne der Person, indem es ihr die Möglichkeit zu diesem irdischen
Dasein oder die Existenzmöglichkeit auf eigener Grundlage gibt. – Der
wesentliche Unterschied in Christus im Vergleich zu einer menschlichen Person
besteht nun darin, dass in ihm die göttliche Person, der Träger seines
menschlichen Lebens, sich auf göttlicher Seinsgrundlage bewegte und auf dieser
Ebene und Grundlage die menschlichen Kräfte in Anspruch nahm. Ferner besaß
seine göttliche Person schon im ersten Augenblick der Menschwerdung – wobei sie
als göttliche Tragkraft im Wesentlichen unverändert blieb – das volle
Bewusstsein ihrer Funktion und alle ihr zugehörige Geistesfähigkeit. Diese
göttlich-geistige Funktionskraft war aber von der Seele Christi aufgenommen und
von ihr getragen und damit war sie – durch die Seele – auf das ganze
menschliche Leben Christi übertragen. Dieses wurde somit in seiner Gesamtheit
zu einem in Wahrheit auch göttlichen Leben geformt.
2126 |
Wenn man diese Tatsache bedenkt, kann man sich
ein schwaches Bild machen von dem hohen Maß der Anforderungen, die durch die
göttliche Person an die menschlichen Kräfte in Christus gestellt wurden. Wenn
eine sehr hohe und intelligente Person mit einer ganz minderwertigen
psychisch-physischen Existenzgrundlage leben und sich damit behelfen müsste, so
wäre dies ein ständiger Riss in der Einheit dieses Menschenlebens, oder es wäre
vielmehr überhaupt keine rechte Einheit gegeben, oder die niedrigere und
geringere Existenzmöglichkeit müsste von der Kraft und Inanspruchnahme der ganz
andersgearteten und angelegten Person gleichsam erdrückt werden. In Christus
ist nun aber dies das große Wunder und Geheimnis, dass die zweite göttliche
Person ihre göttliche Seinsgrundlage auf der ganzen Linie als wesentliche
Anlage und Vollkommenheit beibehalten hat (und beibehalten musste) und dass
auch das menschliche Sein auf dieser gleichen Höhe und Linie der göttlichen
Person dienstbar sein konnte und damit auf dieser göttlichen Grundlage ein
wahres und „normales“ Menschenleben möglich war. Aus eigenem Erfahren kann ich
eine vielleicht entfernt ähnliche Umstellung in meinem geistig-menschlichen
Leben feststellen, denn ich erlebe eine ständige Umänderung, um entsprechend
meiner geistigen Berufung, befähigt zu werden zu einer besonderen Dienstbarkeit
gegenüber der göttlichen Person Christi. Diese tatsächliche Umstellung ist aber
nur durch eine ganz besondere Gnade möglich und bewegt sich im Rahmen eines in
sich außergewöhnlichen, inneren Zustandes, der aber für mich zu einem
„gewöhnlichen“, selbsteigenen Leben im Sinne der besonderen Absichten Gottes
führt. Es kann aber auch kein Mensch in das Geheimnis der eine solche
Umstellung begleitenden und mitbewirkenden inneren Leiden eindringen, durch die
mein inneres Erleben der göttlichen Person zu einem Dauerzustande wird. Nur in
unsagbaren inneren Leiden wird dieser Zustand wie zu einem gewöhnlichen,
eigenen Leben geformt und dazu werden all meine selbstigen Kräfte in
entsprechend hoher Weise angefordert und beansprucht. So vollzieht sich
tatsächlich eine gewisse ständig sich steigernde Überschaltung der göttlichen
Person auf mein menschliches Leben, oder vielmehr die göttliche Person Christi
schafft sich mittels und erhält738 meiner menschlichen Existenzkräfte
eine mystisch nachgebildete und darum geheimnisvolle, aber doch wirkliche und
in einem wahren Sinne neue Existenz- oder Lebensmöglichkeit739 mit
meiner entsprechend umgebildeten menschlichen Grundlage.
2127 |
In diesem Hineinwachsen in den besonderen Dienst
der göttlichen Person Christi habe ich heute einen deutlichen Fortschritt
erlebt. Nach der heiligen Kommunion (in St. Maria Maggiore) war ich in den
Zustand des heutigen Festes (Mariae Verkündigung) versetzt und ich erlebte: Am
heutigen Tag hat die zweite göttliche Person einen Leib angenommen. Einen Leib
mit jener ebenmäßigen, vollkommenen Dienstbarkeit gegenüber den Anforderungen
der göttlichen Person, wobei alle menschlichen Kräfte sich auf einer göttlichen
Höhe der sittlichen Vollkommenheit bewegen und betätigen konnten. Im gleichen
Augenblick war ich selbst in eine ähnliche, nachgebildete Dienstbarkeit
versetzt, sodass ich aus eigenem Erleben um den Grad und die Fülle jener
menschlichen Dienstbarkeit wusste, weil ich mich ihr in allmählichen Wachsen
nachgebildet erlebte. Ich war in das Wunder der Menschwerdung Jesu eingeführt:
Die göttliche Person formte in der Kraft des Heiligen Geistes diesen, ihr
zugehörigen Menschenleib als irdische Existenzmöglichkeit; die göttliche Person
zog die entsprechenden menschlichen Kräfte an sich und lebte sie ein nach dem
Maße ihrer göttlichen Vollkommenheit und ihrer göttlichen Seinsgrundlage als
ihre selbstige Lebensgrundlage seiner Menschheit.740 Gewiss stand
die Menschheit Christi als solche tiefer als die Gottheit, aber sie wurde doch
zu dem einen gott-menschlichen Leben Jesu gleichsam so emporgehoben und
vergöttlicht, dass Jesu göttliches und menschliches Sein wie auf einer Höhe741
zusammenwirkten und ihre Kraftanspannung vereinten und einander zu dem einen
gottmenschlichen Leben ergänzten. So lebte Jesus sein ganzes menschliches
Dasein auf gleicher Höhe im Vater. Seine heiligste Menschheit war fähig für ein
göttliches Leben im Dienste der zweiten göttlichen Person im Vater, also in der
Heiligen Dreifaltigkeit. – Ich habe dieses göttliche Geheimnis voraussehend so
wunderbar in mir erlebt: Jesus war mit und durch sein gottmenschliches Sein,
mit seinem wahren wirklichen Menschenleben, als Gott im Vater. Durch dieses
gottmenschliche Leben drang er zum Vater vor – um mich menschlich auszudrücken.
In Wirklichkeit war ja die göttlich-wesentliche Einheit im Vater immer
vorhanden, sodass man insofern von einem eigentlichen „Vordringen“ nicht
sprechen kann, aber wenn man das menschliche Leben Christi nach den
gewöhnlichen menschlichen Begriffen nimmt (und einen Augenblick vom Göttlichen
darin abstrahiert), kann man sagen: Seine Menschheit drang vermittels seiner
göttlichen Person zum Vater und bewegte sich in gleicher sittlicher
Vollkommenheit und Einheit mit dem Vater.
2128 |
Nach meiner inneren Führung bzw. durch das
göttliche Leben in mir gelange ich nun zum Erleben der göttlichen Person
selbst. Der Anfang dieses neuen geistigen Stadiums wurde mir als eine „geistige
Empfängnis des göttlichen Wortes“ angedeutet. Es ist mir aber noch völlig
verborgen, wie und in welchem Ausmaß sich diese entwickeln und vollziehen wird.
– Ich befinde mich heute auch in einer noch nie erlebten Freiheit und
Gelöstheit von der Art meines früheren Seins und ich bewege mich in voller
Harmonie mit dem niederen physischen Leben und dessen Kräften auf der Basis
einer ebenmäßigen Geistigkeit des Gesamt-Seins.742
2129 |
Das gestrige Fest Mariae Verkündigung brachte
mir eine ganz wunderbare, weittragende Gnade: die Inanspruchnahme meiner Kräfte
durch Jesus bzw. durch seine göttliche Person, und damit eine höhere
Zentralisierung und Einbeziehung meines Gesamt-Seins in seine göttliche Person.
Die die organisch sich entfaltende Vereinigung mit dem göttlichen Wesen Christi
scheint nun zu jenem Abschluss gelangt zu sein, der eine volle Überantwortung
meines Seins an den besonderen Dienst der göttlichen Person möglich macht. Die
jahrelange Vorbereitung für diese Dienstbarkeit743 gegenüber der
göttlichen Person des Erlösers geht nun in den Dienst selber über. – Gestern,
nach der heiligen Kommunion war ich augenblicklich in das bewusste
Erfasst-werden meiner Kräfte durch Christus versetzt, was eine wunderbare
Einigung hervorbrachte: Durch meine eigenen seelisch-leiblichen Kräfte lebte
ich Jesus. Kraft dieses geheimnisvollen Erfassungsprozesses bildete sich eine
Einheit des Lebens, worin die göttliche Person zum Träger meines Lebens wird.
Doch scheint mir dieser geistige Prozess in allmählicher Steigerung ein
dauernder Habitus zu werden; dessen Ausmaß ist mir zwar noch verborgen, aber
gemäß dem Ziele meiner besonderen (inneren) Berufung wird sich diese Steigerung
nach der nun schon grundgelegten Vorbereitung so weit entwickeln, dass ich mich
als in die Stelle seiner göttlichen Person versetzt erleben werde, nicht wesentlich,
aber doch in einer solchen Weise, das Jesu Innenleben mir als das meine zum
Bewusstsein kommen kann. Dieser Vorgang scheint sich nach meinem jetzigen
Innewerden durch ein gewisses Aufgeben meiner Person-Kräfte und deren Übergeben
an seine göttliche Person zu vollziehen.
2130 |
Tatsächlich ist die eigene Tätigkeit meiner
Person schon seit längerer Zeit weithin wie aufgelassen und aufgegeben, aber
seit gestern scheint sich dies zu einer Ablösung auszuprägen. Mein Gesamtsein
ist nun zu einem Sein als solches zusammengefasst, das schon Wirklichkeit ist
ohne irgendwelchen triebmäßigen Akt. Die Verbindung meines Seins mit Jesus kann
ich nun nicht mehr bloß „Harmonie“ nennen, weil mit „Harmonie“ allenfalls auch
ein Ineinandergreifen verschiedener Aktmöglichkeiten gemeint sein kann. Die
jetzige Art der „Harmonie“ hat sich aber zum Sein selbst erhoben, als höchster
Zustand. – Es ist mir, als herrsche dieses Sein in all meinen Gliedern, es
durchdringt meine ganze Menschheit und macht sich diese als Einheit zu eigen.
Dieser Einheitsmöglichkeit744 gingen aber viele entsprechende Leiden
voraus: Geistige Leiden, und solche auf physischem Gebiet, oder vielmehr
geistige Leiden, die in der leiblichen Materie vorbereitend wirkten, sodass ich
sagen musste: Ich leide geistig, aber auch am ganzen Körper, unaussprechlich.
Diese Umformung der physischen Kräfte war die Einleitung und Ermöglichung des
Erfasstwerdens meines Gesamtlebens durch Christus. Freilich wird dieser Zustand
in gewissem Sinne immer ein Geheimnis bleiben, da auch mir selbst die letzte
Tiefe des Bewusstwerdens meines eigenen Zustandes fehlt. Alles baut sich ganz
auf dem Geheimnis der Gnade auf, einer ganz außergewöhnlichen745
Gnade, deren Tiefe und Ausmaß nicht zu erforschen sind. Aus den späteren
Früchten und dem Resultat dieser Einheit mit Christus wird man vielleicht in
etwa auch auf den Zustand selbst schließen können. –
2131 |
Diese Einigung meiner Kräfte mit der
göttlichen Person Christi wird sich steigernd so entwickeln, dass ich – in
einer nachgebildeten Weise – gleichsam in den Bewusstseinskern der Person
Christi eintreten werde. – Kraft dieses Erfassens des Bewusstseins Christi wird
mir dann mein von Gottes Gnade bereitetes Gesamt-Sein als meine eigene Realität
erscheinen, weil ja die Person der Träger des Gesamtlebens ist. So gleichsam
auf der Spitze des Selbst-Bewusstseins Christi gestellt, werde ich von dort aus
eindringen in den wirklichen gottmenschlichen Lebensbereich Christi, kraft
dessen ich im Sohne dann den Vater in der Einheit eines göttlichen Wesens
erfahren kann746.
2132 |
So wurde mir gestern Morgen dieser höchste
Einigungsvorgang mit der göttlichen Person zum Verständnis gebracht. Mittels
des göttlichen Seins dringe ich im Bewusstwerden der eigenen nachgebildeten
Realität in das göttliche Wesen des Vaters ein, weil von dort, in der Zeugung
des Sohnes vom Vater, die Erlösung, bzw. die göttliche Erlöserperson ihren
immerwährenden Ausgang nimmt. Die Erlösung, bzw. das ganze Menschenleben
Christi war und blieb ein ständiger göttlicher Akt im ganzen Ausmaße der
Auswirkung auf die heiligste Menschheit Christi. Das Erlöserleben Christi war
wahrhaftig göttliches Sein, in der immerwährenden Zeugung des Wortes vom Vater
das ganze Menschenleben Jesu seinshaft erfassend und aufgenommen, eingefasst
und getragen von menschlichen Fähigkeiten und Kräften. In der gleichen
Vollkommenheit der immerwährenden Zeugung beherrschte die göttliche Person seinshaft
das menschliche Leben Jesu in der wesenhaften Dienstbarkeit seiner physischen
Kräfte gegenüber der göttlichen Person. Ausgehend von dieser Tatsache kann man
sich in etwa ein Bild machen von der Anbetungswürdigkeit des heiligen Leibes
Christi. –
2133 |
„Herr, die Nöten und Leiden meines Herzens
haben sich gemehrt, ja sie sind für mich zu einer fast unerträglichen Last
angewachsen!“ – Unter dem Druck ganz unaussprechlicher innerer und äußerer
Leiden ist mir, wie dem Propheten Elias zumute, der im Übermaß seiner
Bedrängnis und Leiden in die Wüste floh, sich unter einem Ginsterstrauch legte
und wünschte, sterben zu können. – „Sterben wäre für mich wie eine Erlösung“,
hat auch St. Paulus gewünscht: „Im Übermaß seiner Leiden wünschte ich zu
sterben“. – Aber es wäre auch unausdenkbar furchtbar, hier, in der Fremde,
allein zu sterben, und doch ist auch die Not meines Daseins bis zur scheinbaren
Unerträglichkeit gestiegen und gesteigert. Der äußere Kampf gegen die Absichten
Jesu, die inneren Leiden in ihrer geheimnisvollen, unsagbaren Schwere und doch
zugleich die unzerstörbare innere Sicherheit, die der äußeren „Unmöglichkeit“
entgegensteht, das ergibt einen Schmerz, der ähnlich ist einem Zerreißen des
ganzen Inneren.
2134 |
Mein ganzes menschliches Sein ist heute von
den mannigfachen inneren Leiden so angegriffen, dass ich wirklich meinte, vor
Schwäche zu vergehen. Aber nein, nicht nachgeben! Auf! Der Weg ist noch weit
und der Sieg für Jesus muss errungen werden und sollte es auch um den Preis
meines Lebens sein; aber jetzt ist noch nicht die Zeit zum Sterben, sondern zum
Leiden und Kämpfen, später ist dann die Zeit zum Sterben und Ruhen, wenn
nämlich Jesus und seine Absichten anerkannt sind. Ich will mir trotz meiner
Ohnmacht und Schwäche nichts an Leiden und Opfern entgehen oder verloren gehen
lassen. Trotz des Widerstrebens der Natur will ich „blind“ den Absichten Jesu
geopfert sein, denn, wollte ich all meine Leiden sehen und überschauen, so wäre
dies erdrückend für mich. Nur dem Ziele sich zuwenden! Weil aber das Ziel so
unmöglich und unerreichbar scheint, darum nur den Augenblick hingegeben sein!
Dies macht das Leiden erträglicher.
2135 |
Die ganz747 großen Leiden der
vergangenen Woche sind nun abgeflaut und es machen sich schon die erlittenen
Früchte bemerkbar. Wie wunderbar! – Es ist in mir wie nach einer bösen
stürmischen Gewitternacht: Am Morgen zerteilen sich die Wolken, die Unheil über
die geängstigte Erde ergossen haben und es kommt allmählich die Sonne herauf.
Die ganze Natur scheint wie verjüngt und erfrischt und neu befruchtet durch
jene bösen Gewalten, die so viel Angst und scheinbare Vernichtung mit sich
getragen hatten.
2136 |
In einem Augenblick sind auch meine scheinbar
erschöpften Kräfte wiederhergestellt und wie eine geheimnisvolle Quelle neuer
Kraft erhebt sich in mir in einer merklichen Erhöhung das göttliche Leben
Christi. –
2137 |
Gestern Morgen schon war in mir eine neue,
einheitliche Geschlossenheit meines Seins. Das göttliche Leben hatte sich in
noch höherer, wunderbarer Weise gleichsam in mein menschliches, physisches Sein
eingesaugt und eingeschmiegt. Diese neue Einheit ist nun geschlossen und wie zu
Einem zusammengeschmolzen, und zwar beherrscht und getragen vom höchsten Sein
und dies scheint alles in mir zu sein. Es ist eine Umwälzung in mir
vorgegangen: Das Geistige, das Sein ist nun ganz zum Tragenden und
Beherrschenden in mir geworden; während bisher und für gewöhnlich das Niedere
und Physische in gewissem Sinne das Geistige trug, wird es jetzt selbst vom
Leben und Sein getragen. Was in sich immer schon das Wichtigste und die
Hauptsache war, ist nun zur wirklich herrschenden und sich voll behauptenden
Hauptsache geworden. Das leibliche Sein ist wie aufgelöst im höheren748
geistigen Sein und ist – bewusstseinsmäßig, aber nicht wirklich – wie abgelöst,
während das Geistige und die Geistigkeit nun das alles Bestimmende, nein, noch
mehr, das Seiende geworden ist. – Diese Tatsache ist ein ständig sich weiter
entwickelndes Geheimnis und Wunder in mir. Das „Massive“, Körperliche wird wie
abgelöst durch eine gleichmäßige dem höchsten Sein angepasste und ihm eigene
Erhabenheit. Man scheint dabei – so möchte ich, und kann ich sagen – seinen
„Leib zu verlieren“. Ich werde wie körperlos und zu einer Geistigkeit. In
Wirklichkeit besteht freilich mein physisches Sein weiter, aber es wird
dermaßen dem göttlichen Leben in mir angepasst, dass nur jenes allein noch zu
gelten und in mir zu herrschen scheint. – Dementsprechend ändern sich auch die
körperlichen Bedürfnisse wie Essen und Schlafen. Es wird alles auf ein
Mindestmaß zurückgeschraubt, ohne dass dadurch die physischen Kräfte betroffen
werden; im Gegenteil: Es wächst damit die Kraft des Geistes, und diese lässt
auch die physischen Kräften in höherer Weise zur Entfaltung kommen. Die dem
Menschen eigene Genusshaftigkeit ist im eigentlichen Sinne ausgetilgt. Der mit
dem Notwendigen verbundene „Genuss“ wird nur als notwendige Lebensbedingung
gebraucht und es kommt nun zu einer solchen „Erhabenheit“ des niederen
leiblichen Lebens in mir, dass auch dieses völlig unter die Herrschaft und
Autorität des Geistigen gestellt wird, und das Geistige das Eine und Alleinige
ist. Das Geistige durchströmt nun nicht bloß, sondern überströmt das
Körperliche.
2138 |
Schon seit längerer Zeit erlebte ich eine diesbezügliche
Vorbereitung auf den jetzigen Einheitszustand. So ließ viele Schlaflosigkeit
infolge andauernder seelischer Leiden und der sie bedingenden Geisteszustände
das gewöhnliche Bedürfnis an Schlaf zurücktreten, aber damit wuchs das geistige
Leben, das umso mehr hervortritt, je mehr das menschlich-physische Genussleben
zurückgedrängt und unterjocht wird. Das Genießen und Empfinden des Genusses des
Schlafes wurde übergeführt zur bloßen Erfüllung der Notwendigkeit des
menschlichen Schlafbedürfnisses. Zwar leiden die körperlichen Empfindungen sehr
unter dieser Umstellung, aber die führende Gnade benützt eine scheinbare
Erschöpfung und allenfallsige Schwäche, um der Kraft des Geistes anstelle der
körperlichen Kraft empor zu helfen und damit einen Ausgleich herbeizuführen. –
Ebenso ist es mit dem Essen. Auch diesbezüglich werden die Kräfte so749
reguliert, dass jene des Geistigen vorherrschend gemacht werden. Anfang Januar
hatte ich eine geistige Anregung, die ich mir sofort notierte, deren Bedeutung
aber jetzt erst so recht zur Klarheit kommt: „… Im Vertrauen auf seine
göttliche Kraft die irdischen Bedürfnisse zurückstellen und in der Kraft des
Geistes das wahre Leben haben wollen, sich auf 'ihn' einstellen und auch die
physische Kraft aus der Kraft des Geistes erwarten! Eine nach der gewöhnlichen,
irdischen Auffassung gesuchte, physische Kraftzufuhr würde für mich bzw. für
meine Geisteskräfte hinderlich sein“. – Solange die Seele noch auf die Genüsse
des Leibes Anspruch erhebt und sich von diesen leiten, und im gewissen Sinn
beherrschen lässt, kann sie sich nicht vollends weiten750 und dem
göttlichen Leben erschließen. Selbstverständlich ist damit nicht gesagt, dass
man nicht essen oder schlafen soll. Dies würde nur zu einer krankhaften
Einseitigkeit des Geisteslebens führen. Der Genuss dieser Lebensbedürfnisse
soll aber so zurückgedrängt und geordnet werden, dass diese unter die volle
Herrschaft des Geistes zu stehen kommen. So, als könnte man sagen: Ich schlafe,
als schliefe ich nicht, ich esse, als äße ich nicht, ich ruhe, als ruhte ich
nicht. –
2139 |
Gestern Morgen schon erlebte ich eine weitere
Auswirkung des göttlichen Lebens bzw. des Lebens Jesus in mir: Es bildet sich
in mir die Möglichkeit des Eingehens in das Bewusstsein der göttlichen
Erlöserperson aus. – Ich erkannte den Unterschied zwischen dem Bewusstsein oder
Bewusstwerden des Menschen und dem Sich-seiner-selbst-bewusst-sein Gottes. –
Der Mensch wird sich seiner bewusst durch eine Gegenüberstellung seines Seins,
die durch seine Geistesfähigkeiten hervorgebracht wird; des Menschen
Bewusstsein ist ein Geistesreflex, der als Selbsterkennen den Menschen
gleichsam sich selbst zurückgibt. Wenn diese Geistesakte sich auch ständig und
unwillkürlich vollziehen, so sind sie doch für den Menschen ständig notwendig
zu seiner Selbsterhaltung und rufen ständig den Selbsterhaltungstrieb wach.
Würden diese eigenen Bewusstseinsreflexe aussetzen, so würde der Mensch einer
gewissen Selbsterschlaffung und Verdumpfung anheimfallen, die alle
Lebensenergien lahmlegen würde. Das Selbstbewusstsein stützt die
Selbsterhaltung des Menschen und fordert die Bedingungen und Kräfte zur
Selbsterhaltung an.
2140 |
Der Mensch also wird sich seiner selbst751
bewusst durch entsprechende Geistesreflexe, die eine selbstige
Gegenüberstellung mit sich bringen. Gott aber ist sich seiner bewusst, weil in
Gott Sein und Dasein und Wissen usw. eines ist. Das Bewusstsein Gottes beruht
in seinem eigenen Sein, in einem ständigen Selbstdurchschauen und Wissen um
sich. Ohne Akte und ohne „Reflexe“, die dem menschlichen Selbsterkennen ähnlich
wären, „lebt“ Gottes Wesen sich selbst und dieses Leben und Sein Gottes ist ihm
jeden Augenblick eine göttliche Fülle des Sich-selbst-Bewussten und des
Erkannten als sein Eigenstes. Gott „durchschaut“ sich wesentlich, ohne einem
dem menschlichen „Selbsterkennen“ entsprechenden Akt. Gottes Bewusstsein ist
wesentliche Selbstdurchleuchtung. – Ich erkenne dieses göttliche
Selbstbewusstsein und diese seine göttlich-wesentliche Selbstdurchleuchtung als
seine „höchste“ wesentliche Eigenheit und Anlage, weil in diesem
Selbstbewusstsein all seine göttlichen Vollkommenheiten ihm jeden Augenblick in
wesentlicher Form durch sich selbst bewusst sind. „Durch Sich selbst“, das
heißt, das göttliche Wesen trägt in Sich, oder ist vielmehr selbst Erkenntnis
und Bewusstsein, während dem Menschen eigene Hilfsmittel und Fähigkeiten zum
Selbstbewusstsein dienstbar sein müssen.
2141 |
Gestern früh wusste ich nun um diese kommende
Erhöhung oder Auswirkung des göttlichen Lebens Christi in mir, wusste um das
kommende Vordringen in das göttliche Bewusstsein des Erlösers. Schon in den
vergangenen Wochen war mir diese Auswirkung des göttlichen Seins in mir
vorbereitend erklärt worden. Die Zusammengeschlossenheit eines einheitlichen
physischen und psychischen Seins unter der Tragkraft der göttlichen Person
Christi vollendet mich – in einer nachgebildeten Weise – zum Sein als reiner
Akt. Eine weitere Durchlebung als solches Sein, oder vielmehr schon das
Bestehen-können in dieser nachgebildeten göttlichen Realität ermöglicht in mir
das Eingehen in das göttliche Bewusstsein als selbsteigenes Durchschauen. Ich
werde mir dieses meines „Seins bewusst“, und zwar in aktloser, selbstiger Bewegung,
sobald ich jenes göttliche Bewusstsein als wie mein eigenes persönliches752
Fundament erfahren kann. Die göttliche Seinsgrundlage wird mir zum eigenen
persönlichen753 Fundament und zum eigenen Selbstbewusstsein. – Das
Selbstbewusstsein der zweiten göttlichen Person war als eigenes Bewusstsein
ständig wesentlich im Vater mit754 ihm eins. Darum führt mich das
Eingehen in das göttliche Bewusstsein Christi notwendig in das göttliche
Bewusstsein des Vaters ein, und somit meine und scheine ich vollends aufgenommen
zu werden in das Geheimnis des Erlösers, oder vielmehr, ich werde ihm nun
vollends dienstbar gemacht zum Nacherleben des göttlichen
Erlösungsgeheimnisses. – In Worten lässt sich dieses göttliche755
Selbstbewusstsein wiederum nicht erklären, weil es seinshafte Vollkommenheit
Gottes ist; nur im Eingehen und Erfahren der Realität des „Seins“ kann man
dessen innewerden.
2142 |
In der vergangenen Nacht war ich – mit einer
kurzen Schlafpause756 – in einem gesteigerten seinshaften Leben.
Dabei war und ist jede eigene geistige Bewegung in mir wie unmöglich gemacht.
Mein ganzes menschliches Sein war zusammengeschlossen zu einer vollen Einheit
der Geistigkeit und diese Geistigkeit schien keinen Schlaf zu bedürfen – (es
wurde mir dieser Zustand als „übernatürlicher Wachzustand“ erklärt)757.
Die körperlichen Bedürfnisse scheinen zu Zeiten wie aufgehoben zu sein, weil
das Geistige das voll und ganz Überragende, Bestimmende und Beherrschende wird.
– Eine merkwürdige Tatsache in meinem Innern ist auch das Abschließen und
Abgrenzen gegenüber jedem äußeren Einfluss oder irgendeiner Beeinflussung, die
eine Bewegung in mir hervorrufen würde. Ich werde unbedingt „selbstig“ und wie
auf einer eigenen, unbeeinflussbaren Grundlage abgegrenzt und eingeschlossen.
Dabei ist gleichsam eine „Sucht“ in mir, diese selbstige göttliche Grundlage
sich erhöhen zu lassen, und darum ist zugleich eine ständige und unwillkürliche
Abwehr in mir, um jede Möglichkeit einer Bewegung fernzuhalten, die etwas
„Fremdes“, der göttlichen Seinsgrundlage nicht Entsprechendes wäre. Diese wird
so „meine Eigenart“, mein eigenes persönliches758 Fundament. Gottes
Sein ist aber absolut selbstig, sich selbst eigen, seiner Wesenheit nach außen
unbeeinflussbar.
2143 |
Mein ganzes Sein ist nun bewusstseinsmäßig auf
jene durch die göttliche Führung und Gnade bewirkte Seinsgrundlage gestellt,
und zwar als mein wirkliches, selbstiges, persönliches Eigentum und meine
persönliche Eigenart.
2144 |
Ich bin seinshaft und seiend in einer bis
jetzt noch nie erfahrenen Weise auf jenes wirkliche, selbstige Fundament
erhoben, wobei aber alles auf dem „Ich“, das ich selbst bin, beruht. Jede
andere Möglichkeit scheint überhaupt ausgetilgt zu sein und das „Ich“ als
reingeistiges Lebensprinzip ist das völlig Herrschende in mir. Alles Niedere
und Menschliche ist ihm unterstellt. Ja ganz in dasselbe aufgenommen. Es ist
wirklich nur „Eines“ in mir, nämlich das „Ich“, das ich selbst bin in
wunderbarer Einheit, worin all die verschiedenen Möglichkeiten des Daseins
zusammengeschlossen sind.
2145 |
Was mir früher immer wieder als Vorbild und
Vorauserleben dieses Zustandes in Jesus gezeigt wurde, das ist nun gänzlich
verschwunden und herrscht nur mehr dieser Zustand selbst als mein eigenes
Lebensprinzip. Dieser einheitliche Seinszustand ist selbst „Licht“, gerade wie
wenn in einem Raume immer hellstes Licht wäre und sonst nichts. So „licht“ und
hell ist dieses Licht, dass man sonst nichts in diesem Raume entdecken kann,
weil eben alles Licht ist. Doch dieses Licht hat noch keine Auswirkung und
harrt noch auf eine eigene Selbstdurchstrahlung, harrt noch auf die volle und
bewusste Betätigung der eigenen Leuchtkraft. Aber das Licht selbst ist Sein,
vollkommen einheitliches Sein. Und das Licht weiß schon um seinen Zustand759
als „eigenes Licht“, ist „selbst“, und zwar bewusst Licht. Der Licht-Raum ist
unbegrenzt; wie ein Meer ganz aus Wasser, so besteht mein Sein ganz aus Licht.
Dieses Licht dringt von seiner höchsten Spitze bis in seine eigenen Tiefen und
ist eine volle zusammengeschlossene Einheit, eine Seins-Einheit. Ich selbst bin
gleichsam ein wundervolles Erlebnis meines eigenen Zustandes, weil alles in mir
„Ich“ ist. –
2146 |
Ich bin nun selbst das, worin ich mich selbst
erfasst habe, was mein Sein ist und worin es besteht. Dieses „Ich“, das ich auf
der durch besondere Gnade aufgebauten Seinsgrundlage selbst bin, ist mein
„Eigenes“, mein selbstiges Sein geworden. Diese meine selbsteigene
Seinsgrundlage ist mir als die „meine“ bewusst geworden in zeitweise höherem oder
geringerem Selbstdurchdringen. Ich behaupte mich als mein eigenes, persönliches
Bewusstsein. Von diesem erfassten Selbstbewusstsein aus, das aber in gewissem
Sinne noch „leer“ ist, werde ich eingeführt werden in das Bewusstsein des
Erlösers als in das mir eigene Bewusstsein. Der Weg zu diesem höchsten
geistigen Schritt und Ziel760 ist mir noch vollständig verborgen;
obwohl ich mit Sicherheit weiß, wohin die göttliche Führung bzw. das Leben Jesu
mich führt, kann ich doch noch verwundert fragen: Wie wird das geschehen? Ich
weiß zwar jetzt im Voraus, welches dann meine Mentalität und mein innerer
Zustand sein wird, aber der Weg dahin ist mir noch verborgen. Jesus hat aber
bis jetzt schon viele andere, unbegreifliche761 Wunder seiner Gnade
vermittels seines Lebens in mir fertiggebracht. Und er macht alles mithilfe
jener geheimnisvollen „Wunderkraft“, die das von ihm gewirkte Leiden ist.
2147 |
Zwischenhinein werde ich immer wieder des
Zustandes Christi in seiner Menschheit inne. – In Christus war das Maßgebende
und Entscheidende und in einem wahren Sinne „alles“ die „Person“ des Wortes.
Die zweite göttliche Person als wirkliche Realität lebte die heiligste
Menschheit Christi als ihr Lebenselement. Das sind kurze, aber in Wahrheit
unergründliche und unerschöpfliche Worte.
2148 |
Die „Person“ war in Jesu Menschheit
gewissermaßen alles. Die Menschheit war mit dieser göttlichen Person in solcher
Einheit verbunden, und so intim war die Einigung zwischen Göttlichen und
Menschlichen in Christus, als bestehe überhaupt nur Eines, nämlich die
„Person“. Die göttliche Person war das „Leben“ und das völlig Bestimmende,
Maßgebende, Beherrschende762, Tragende und Durchdringende in ihm.
Das Göttliche als Realität war in ihm „alles“, beherrscht von der Person als
Sein, in das die ganze Menschheit Jesu seinshaft eingeordnet war. Damit ist
aber nicht gesagt, dass die Menschheit Christi ihre Wirkung und Eigenart als
solche verloren hätte. Im Gegenteil, ohne sie wäre das gottmenschliche Leben
nicht möglich gewesen und sie behielt die ihr entsprechenden Stellung und
Aufgabe bis zum letzten Augenblick am Kreuze, erhielt aber auch durch die
göttliche Person erst ihre volle Wirkung und Würde und Stellung. Durch die
göttliche Person wurde Jesu Menschheit so „in die göttliche Höhe“ der höchsten
Tragkraft und Vollkommenheit ihrer Person mit emporgenommen, dass es „schien“,
als sei in der konkreten Wirklichkeit nur Eines, nämlich die eine göttliche
Person, die beiden (unvermischten) Naturen als eine Einheit lebend mit der
unveränderlichen göttlich-wesentlichen Vollkommenheit. Die menschliche Natur
Jesu war der göttlichen Natur der Person des Wortes so seinshaft eingeordnet,
dass man tatsächlich in einem wahren Sinne sagen kann: „Alles“ in Christus war
die göttliche „Person“. Es vollzog sich ja in Christus eine ähnliche Einigung
zwischen Gottheit und Menschheit, wie sie beim Menschen zwischen Leib und Seele
besteht. Es war in Christus eine seinshafte Verbindung der beiden unvermischten
Naturen zur Lebensmöglichkeit eines wahren Menschen, und zwar unter der
Herrschaft der göttlichen Person, die ihm zugleich die persönliche Eigenart und
das von anderen Unterscheidende gab. Die „Person“ oder das Person-sein als
„selbstiger Lebensantrieb“ (dieses Wort wurde mir innerlich dafür gegeben) ist
so intim und einheitlich als Realität und Wirklichkeit mit dem Menschsein
verbunden, dass es auch den Philosophen schwerfallen muss, ihr letztes Wesen
herauszuschälen oder mit Worten zu umschreiben. Die Einheit der Person
funktioniert ja als das wirtlich Beherrschende und Entscheidende im ganzen
menschlichen Dasein und Leben und bildet letztlich die eigentliche
Lebensfunktion. In diesem Sinne ist die Person als „selbstiger Lebensantrieb“
sozusagen „alles“ im Menschen, ohne dass dies dem Menschen für gewöhnlich763
zum Bewusstsein kommt. – Dieser „selbstige Lebensantrieb“ beherrschte so sehr
auch seinen Leib, dass dieser mit zur Selbst-Möglichkeit und zum eigenen
„normalen“ Menschenleben beitrug, worin keine Zerteilung oder Trennung oder
Absonderung möglich ist. Was die Person tut als selbstiger Lebensantrieb, das
tut der ganze Mensch, auch wenn es in der ungeordneten, gefallenen
Menschennatur dabei zu einem Widerspruch kommt. Der oberste Befehl der Person
ist „selbstig“ und wird dem ganzen Menschen spürbar und geltend gemacht. So beweist
gerade ein sich auflösender Widerspruch des Ungeordneten im Menschen die
höchste und oberste Herrscherkraft und Befehlsgewalt der „Person“. –
2149 |
In Christus nun herrschte göttliche Harmonie
als Seinszustand zwischen göttlicher Person und menschlicher Natur. Die
menschliche Natur reagierte und folgte wie in einer Linie oder auf einer764
gleichen Ebene und Höhe der sittlichen Vollkommenheit mit der göttlichen Natur
der Person des Wortes. So war eine psychologische Einheit und Bindung möglich
und bestand eine einheitliche Lebensfunktion mit göttlich-selbstigem
Lebensantrieb. Dieser göttliche Lebensantrieb als „Leben“ selbst war in
Christus das Sein mit dem seiner Göttlichkeit zustehenden Lebensbedingungen
auch in seiner Menschheit bzw. in seiner menschlichen Natur. Weil aber die
göttliche Person Christi als der tragende Grund seiner menschlichen Natur eine
unerreichbare und unüberbietbare Befehlsgewalt und Herrscherkraft besaß und
eine überwältigende Wirksamkeit ausübte, darum herrschte765 und
entschied in Christus nur die „Person“. Alles dem menschlichen Leben Jesu
Dienende und Notwendige war in die Wirksamkeit und den Wirkbereich der
göttlichen Natur der Person Christi aufgenommen und damit war für die
Menschheit Jesu eine Lebensmöglichkeit auf göttlicher Ebene und Höhe
hergestellt. Die göttliche Person des Wortes „bildete“ und gestaltete sich auch
schon im Mutterleib Mariens die ihr entsprechende und zugehörige menschliche
Natur. Da aber nach den Naturgesetzen schon im Augenblick der Empfängnis das
ganze menschliche Leben als Daseinsmöglichkeit geboten ist, so geschah, kraft
der Einwirkung des Heiligen Geistes, im Augenblick der Menschwerdung Christi
bzw. im Augenblick der Empfängnis der Person des Wortes in Maria gleichsam eine
physiologische766 Auswirkung und Ausweiterung des göttlichen Lebens
der Person des Wortes auf eine menschliche Naturgrundlage. Das göttliche Sein
der zweiten göttlichen Person „übertrug“ sich auf eine menschliche Grundlage
und Anlage, wobei aber das Göttlich-Wesentliche seine selbstige Seinsgrundlage
beibehielt und als göttlich-selbstiger Lebensantrieb in der menschlichen Natur
wirksam blieb. In Maria war zugleich infolge ihrer Unberührtheit von den Folgen
der Erbsünde und als Frucht ihrer Heiligkeit die menschliche Möglichkeit und Anlage
gegeben, um in der Form ihrer weiblichen Fruchtbarkeit dem Worte jene erhabene
Menschheit bieten zu können, die sowohl den Gesetzen einer natürlichen,
menschlichen Vererbung und Anlage wie auch den Forderungen der übernatürlichen
Gnadenordnung und der göttlich-wesentlichen Vollkommenheit des Wortes entsprach
und angepasst war. Mariens leibliche Fruchtbarkeit bot dem Heiligen Geiste die
Möglichkeit, göttliches Leben und Sein auf eine menschliche Anlage zu
übertragen, und zwar wie auf767 gleicher Ebene göttlicher sittlicher
Vollkommenheit – ein Wunder in der Übernatur und doch zugleich in Ebenmäßigkeit
mit den Anlagen und Forderungen sowohl der göttlichen wie der menschlichen
Natur. In Maria war das vorbereitet, was die Menschwerdung des Wortes auf einer
menschlichen Grundlage und zugleich auf göttlich-sittlicher Höhe und Ebene
möglich machte. Die göttliche Person „nahm“ die768 menschliche
Anlage in Maria und die entsprechenden Lebensmöglichkeiten eines menschlichen
Daseins an sich und bildete und gestaltete diese menschliche Natur auf
göttlicher Seinsgrundlage und auf einer Ebene göttlicher Vollkommenheit. So war
im Augenblick der Menschwerdung das menschliche Leben Jesu in gewissem Sinne
schon „vollendet“, insofern nämlich die göttliche Person in ihrer wesentlichen
Unveränderlichkeit ein bewusstes Menschenleben beherrscht und belebte. In
Christi Menschwerdung „war“ in einem Augenblick, kraft der göttlichen Person,
alles bewusst, was im gewöhnlichen Menschen erst „wird“ und bewusst wird. –
Gewiss bildete sich auch der Leib Jesu in Maria nach den Naturgesetzen, doch in
einem wahren Sinne kann man sagen: Jesu Menschheit war in einem Augenblick
„fertig“; denn die göttliche Person war das ganz und gar Beherrschende und bei
dem Vollbewusstsein ihres göttlichen Seins war ein der gewöhnlichen Entwicklung
des Menschenlebens entsprechendes „Werden“ des Bewusstseins nicht notwendig.
Wohl ist auch im gewöhnlichen Menschenleben schon mit der Empfängnis die
Möglichkeit einer Vollentwicklung für ein menschliches Dasein gegeben, aber
aufgrund einer allmählichen Entfaltung der menschlichen Person, ihres
Bewusstseins und ihrer Fähigkeiten, während in Christus die göttliche Person
von Ewigkeit her und in göttlicher Vollkommenheit bestanden hat und besteht.
Gott „ist“ und der Mensch „wird“. Gottes Wesen ist unveränderlich, der Mensch
jedoch ein Werdender, aber mit geschaffener „selbstiger“ Anlage und mit all den
Entfaltungsmöglichkeiten und der Würde einer Person, des Nachbildes der
göttlichen Person.
2150 |
Dieses Innewerden des Geheimnisses der
Menschwerdung Christi hatte ich schon am 25. März, am Feste Maria Verkündigung.
Der tiefere Begriff über dieses Geheimnis selbst hat sich in mir in vielen
Erfahrungen über das Wesen der göttlichen Person und über die Einheit des
Lebens in der Menschheit Christi allmählich wie als Selbsterleben ausgebildet.
Wie im „Selbsterleben“ dieses Geheimnisses am 25. März, so war ich auch heute
wiederum in dem Geheimnis: Die göttliche Person des Wortes „nahm“ die leibliche
Fruchtbarkeit Mariens und zog deren Kräfte an sich zu einer eigenen
menschlichen Lebensmöglichkeit auf der göttlichen Seinsgrundlage seiner Person.
– Jenes Begreifen dieses Geheimnisses, das mir auch die Möglichkeit es
auszusprechen gab, wurde mir erst jetzt durch eine entsprechende Lebenseinheit
mit der göttlichen Person des Wortes gegeben769. – So liegen in
meiner Lebenseinheit mit dem göttlichen Leben Christi viele göttliche
Geheimnisse verborgen, die man nur mit besonderer Gnade in „Worte“ kleiden
kann. Es sind seinshafte Erlebnisse Christi.
2151 |
In der Karwoche (Karfreitag) erlebte ich eine
Vertiefung des schon früher Erfahrenen, nämlich der mit dem Geheimnis der
Erlösung zusammenhängenden Wahrheiten: die erste Menschheit, gleichsam auf
göttliche Ebene gehoben – der Sündenfall und seine Folgen – die Menschheit Jesu
auf göttlicher Ebene – in Christus als dem Haupte seinshaft die ganze
Menschheit. Die Funktion der Menschheit und der Seele Jesu gegenüber der
Gottheit – Die Menschheit Jesu „trägt“ das göttliche Leben. –
2152 |
Die letzten zwei770 Wochen waren
für mich eigentlich eine Ruhezeit. Das bedeutete aber in meinem Innenleben
keinen Stillstand, sondern es war eine Zeit fortschreitender Vertiefung des
früher schon erreichten Vereinigungszustandes mit der göttlichen Person des
Wortes. – Es fehlen wiederum die meinem inneren Erleben entsprechenden Worte
und Ausdrücke und so muss ich immer wieder die gleichen Worte gebrauchen und
ich muss von meinem Zustand „in Christus“ oder von der „Vereinigung mit der
göttlichen Person des Wortes“ reden, während in Wirklichkeit der mit diesem
Ausdrücken zunächst bezeichnete Zustand längst überholt und überschritten ist;
denn mein Innenleben selbst ist in den „Zustand Christi“ übergegangen, dem ich
lebens- und leidensfähig diene. – Das bis jetzt erreichte geistige Ziel erlebte
ich noch tiefer und voller in den letzten zwei Wochen, doch waren die für
gewöhnlich meine geistige Entwicklung begleitenden Leiden fast gar nicht
vorhanden. Ich konnte das in Christus bisher erreichte Ziel in einem fast
leidlosen Zustand „auskosten“.
2153 |
Auch auf dem jetzt erreichten Gebiete gibt es
aber wieder viele Stufen und höhere Möglichkeiten, bis endlich die mir
zugedachte Spitze des „Ich-Bewusstseins Christi“ erreicht sein wird, wo dann
die göttliche Person des Erlösers sich wie als meine eigene Person betätigen
und funktionieren wird. Die Vertiefung des „Wachstums Christi“ in mir steigert
sich fortwährend, bis jene von ihm gewollte „göttliche Spitze“ ausgebildet sein
wird, die mich befähigen wird, die Tiefe seines Erlöserlebens nach seinen
Absichten zu wiederholen bzw. nachzuerleben. In welchem Umfang aber sich dies
vollziehen wird, ist mir eigentlich noch ein Geheimnis.
2154 |
Der „Weg“ zu diesem geheimnisvollen Ziele ist
begleitet von fast andauernden „Erklärungen“ über „Weg und Ziel“, so z. B. über
die göttliche Person als „wirkliche Person“ und entsprechende Tragkraft eines
wirklichen Menschenlebens; über die göttliche Eigenart dieser Person ihrer
wesentlichen, göttlich unveränderlichen Vollkommenheit; über die Art der
göttlichen Funktion dieser Person in der ganzen Auswirkung ihrer göttlichen
Wesenheit, gewiss mit freiwilliger Einschränkung seiner göttlichen Herrlichkeit
und Herrschermacht, aber in dem, was Gott in sich selbst wesentlich ist:
„Seiend als reiner Akt“; – wie die göttliche Person eine menschliche Natur
dafür771 in Anspruch nahm; – wie die menschliche Natur in Christus
der göttlichen Natur gegenüber voll entsprechend reagierte; – über die Art der
Einigung der göttlichen Natur mit der menschlichen zu einer einheitlichen
Lebensgemeinschaft nach menschlicher Art, wobei die Grundlage und der
Wertmaßstab des772 göttlichen Seins geblieben sind. – Das sind fast
ständige Erlebnisse als persönliches Erfahren und Miterleben des
gottmenschlichen Erlöserlebens auf Erden.
2155 |
Als Ausgangspunkt für diese Erlebnisse wird
mir immer wieder „der Mensch“ im Allgemeinen in seiner Wesenheit und Anlage
erklärt: Die „Person“ als selbstiger Lebensantrieb, die alle ihr zu Gebote
stehenden Lebens- und Funktionsmöglichkeiten nach „ihrer“ Eigenart ausbildet773
und sich nach diesem Naturgesetz eine individuelle „Abrundung“ einer
selbstständigen Daseinsfunktion schafft, wobei alle „Möglichkeiten“ und Mittel
zum vollen und letzten Bestand einer menschlichen Existenz und Daseinskraft herangezogen
werden.
2156 |
Die Eigenart einer menschlichen Person ist
zutiefst und naturhaft beeinflusst, und sozusagen geboten durch die
Lebenskräfte der betreffenden menschlichen Natur. Die menschlichen Lebens- und
Nervenkräfte bauen fortwährend mit am Bestande und der Eigenart ihrer höchsten
und bestimmenden Trägerin, der Person selbst. Es herrscht eine so tiefe und
innige Wechselwirkung zwischen Geistes- und Leibeskräften im Menschen, dass der
eine Teil dem anderen hienieden erst Lebens- und Daseinsmöglichkeit vermittelt.
Rein physische Einwirkungen können das höhere, geistige Leben beeinflussen bzw.
die Person des Menschen in ihrer höchsten Betätigung selbst treffen; ebenso
können höhere Einflüsse, die unmittelbar von den geistigen Kräften der Person
ausgehen, das physische Leben sehr in Mitleidenschaft ziehen. In einem normalen
Menschenleben vollzieht sich so eine ständige Wechselwirkung oder vielmehr, es
herrscht eine schon grundgelegte, harmonische und gegenseitige „Zustimmung“ in
dieser Wechselbeziehung zwischen psychischen und physischen Lebenskräften.
Diese Wechselbeziehung zwischen den beiden verschiedenen Kraftspendern und
Kräftearten im Menschen – die sich fortwährend, auch ohne aktuell bewusste
Zustimmung vollzieht – hat als Produkt in unserem Bewusstseinserleben die
„Gemütsbewegungen“ oder die Reaktionen des Gemütslebens. Das „Gemüt“ ist
geistiger und zugleich leiblicher, physischer Natur. Die geistigen Kräfte und
Anlagen allein waren als solche eines „Gefühls“, wie wir Menschen es erfahren,
nicht fähig. Der Geist und die Seele könnten als solche wohl, wenn Gott es
wollte, auch für sich bestehen und entsprechende geistige „Gefühle“ oder
Erregungen hervorrufen, aber tatsächlich hat Gott den Menschen mit zwei
verschiedenen Daseinselementen geschaffen, deren beiderseitigen Zusammenwirken
allein hienieden das wunderbar harmonische Einheitsdasein des menschlichen
Lebens ermöglicht. Die Möglichkeit dieses seelischen Erlebens in Form
menschlicher Gefühle und Gemütsbewegungen – als Ergebnis des psycho-physischen
Reaktionsvermögens – gehört mit zum Wunderbarsten im Menschen und gestaltet das
Menschenleben als solches erst zu einem wirklichen „Genuss“. Dadurch wird im
Menschen erst vollends die Freude des Daseins geweckt und werden die
Lebensenergien erst zur vollen Entfaltung gebracht, die zu einem normalen
Menschenleben notwendig sind. – Schon im noch „unvernünftigen“ Kinde bauen
gewisse Gefühls- oder Gemütserregungen mit an der Entfaltung der persönlichen
Eigenart und beeinflussen damit das künftige Menschenleben. Zwar werden diese
Gemütsbewegungen noch nicht voll im selbstigen Bewusstseinskern als
selbsteigene Bewegungen aufgenommen, aber eine gewisse mitlaufende Reaktion auf
das gleichsam noch schlummernde Bewusstsein beeinflusst doch schon in einem
gewissen Sinne die Entwicklung dieser Person und dieses Menschenlebens; die
Grundrichtungen der kindlich-jungendlichen Gemütserregungen und Affekte haften
oft dem ganzen Leben an und werden oft mitbestimmend für die Grundlinien des
Gesamt-Gemütslebens, weil sich nach dem Naturgesetz – neben der Vererbung und
der späteren Erziehung –, schon durch jene ersten Gemütserregungen, gewisse
physische Reaktionen und Grundzüge in dem betreffenden Menschen ausgebildet
haben.
2157 |
Die Grundmöglichkeit und Hauptgrundlage des
Gemütslebens ist aber gegeben durch die Kraft und Eigenart der Person, deren
geistige Erregungen sich vermittels der physischen Reaktionen als menschliche
Gefühle der Freude, des Schmerzes usw. auslösen und kundgeben. Das Gemütsleben,
wie wir es erfahren, ist also insofern etwas „rein Menschliches“, weil es unter
den Geschöpfen allein dem Menschen zukommt. Die Engel sind gewiss geistiger
Erregungen fähig, wie z. B. der Freude über die Anschauung Gottes und der
Befriedigung, den Menschen zu helfen, aber diese Freuden, die höherer Natur
sind als die Unsrigen, tragen in sich die Eigenart des rein Geistigen und rufen
keine körperlichen Reaktionen hervor. Das menschliche Gemütsleben aber entsteht
durch das Zusammenwirken von Geistigen und Leiblichen und äußert sich in einer
Reaktion, deren Reflexe und Ausstrahlungen wiederum auf die beiden Kräfteteile
im Menschen zurückwirken und zurückgeworfen werden und somit mehr oder minder
tief gehende und andauernde Erlebnisse im Menschen festlegen und einprägen.
2158 |
Das Gemütsleben wird demnach aus sich
aneinanderreihenden und ineinandergreifenden Eindrücken und Erlebnissen
gebildet und zusammengesetzt, was wiederum eigentlich nur dem Menschen zukommt.
Das Gemütsleben hat nämlich als Grundlage eine774 fortwährende
Bindung an Vergangenes und Zukünftiges und die entsprechende Fähigkeit,
Vergangenes mit der Gegenwart zu verknüpfen und sich demgemäß für die Zukunft
einzustellen, nämlich in Furcht oder Hoffnung oder Angst oder Freude; es
schließt die Fähigkeit in sich775 eine zeitliche Verbindung und
Aufeinanderfolge verschiedener Bedingungen und Möglichkeiten herzustellen und
dabei allenfalls in einem gewissen Selbstschutz auch einen Ausgleich, eine
Auswahl, Ablenkung, Abschwächung oder auch eine Steigerung zu suchen. Das
Gemütsleben des Menschen ist also an eine zeitliche – wenn auch sehr rasch sich
vollziehende – Aufeinanderfolge gebunden und darauf angewiesen, weil es eben
auch an das sich entwickelnde Körperliche und Materielle geknüpft ist. – Bei
einem rein geistigen Wesen aber ist infolge der Geistigkeit der Antrieb – z. B.
zur Freude – und deren Auslösung gleichzeitig und augenblicklich. Die Wirkung
erfolgt unmittelbar und auf direktem Wege, ohne dass zwischen hinein die
Möglichkeit einer Ablenkung oder Abschwächung bestünde. Wenn man also bei einem
rein geistigen Wesen von einer (geistigen) „Gefühlsmöglichkeit“ spricht, so ist
deren Auslösung776 doch immer eine augenblickliche, ohne das
Nacheinander, das Umständliche und die verschiedenen Möglichkeiten, die bei den
menschlichen Affekten zwischen der ersten Anregung und der endlichen Auslösung
liegen. Die „Freuden“ des Engels777 sind daher – infolge seiner rein
geistigen Aufnahme und Reaktionsfähigkeit – immer augenblicklich, ohne
Abschwächung andauernde, durch den Gegenstand der Freude unmittelbar sich
auslösende. Auch bei den verworfenen Engeln sind infolge ihrer rein geistigen
Natur die Leiden ebenso778 unmittelbar und augenblicklich; auch ihre
geistigen Affekte und Erregungen sind ein unmittelbarer Vorgang und es fehlt
die Ablenkung oder Abschwächung, die sie nur779 mehr oder minder
sich auslösen oder hervortreten ließe. Ähnlich ist es bei den Leiden der Seelen
im Fegefeuer. Auch bei ihnen fehlt jene „Rückwirkung“, die einen gewissen
Ausgleich durch verschiedene, sich selbst schützende Triebe und Kräfte
herbeiführen könnte. Der Geist als solcher ist dann gleichsam in sich selbst
„entblößt“ und einer unmittelbaren Einwirkung und Selbstwirkung ausgesetzt. So
vollzieht sich dann in ihm immer eine unmittelbare und augenblickliche Wirkung
ohne jeden „Selbstschutz“ und ohne jede Ablenkungs- oder
Abschwächungsmöglichkeit, während im normalen Menschenleben hienieden die
Befähigung zu einem gewissen selbstigen Ausgleich aufsteigender
Gefühlsreaktionen gegeben ist. Das menschliche Gemütsleben ist eben eine
Weiterführung und Reaktion auf eine Einwirkung, die in einem geistigen Wesen –
infolge der Einfachheit und Einheit des Geistes – sich in einem Augenblick und
unausweichlich vollzieht780.
2159 |
Gottes Wesen ist infolge seiner allerhöchsten
Geistigkeit in sich selbst wesenhafte Selbstbeglückung, denn alle Güter sind in
ihm selbst vorhanden und gegeben. In Gottes Wesen ist vollkommenste und höchste
Unmittelbarkeit und darum vollkommenster Selbstgenuss, der keiner weiteren
Reaktion zum wirklichen Selbstgenuss bedarf781. Darum kann man bei
Gott auch nicht von „Gefühlen“ – auch nicht in einem erhabensten Sinne –
sprechen. „Gefühl“ und „Gemüt“ bedeutet nämlich eine Kraftaufwendung wie bei
uns Menschen, ein „Leiden und Erleiden seiner selbst“ und somit in gewissem
Sinne eine „Schwäche“, die mit Gottes Wesen nicht vereinbar ist. – Die782
Liebe Gottes zu den Menschen ist daher keine Liebe des Gefühls oder des
„Mitleidens“ (im menschlichen Sinne), sondern sie ist immerwährende Tat und
Wirklichkeit, nämlich ständige Selbstmitteilung durch seine Gaben und Gnaden.
Gottes Liebe ist immerwährend783 seiende und wirksame Liebe seinen
Geschöpfen gegenüber, und ist – dem Ausströmen dieser seiner wesenhaften Liebe
nach – etwas rein Geistiges, Augenblickliches und doch Immerwährendes; sie ist
ein seinshaftes Gedenken und Selbstmitteilen an die Geschöpfe, ein seinshafter
Vereinigungs- und Mitteilungswille, der seine Güte und Gnade in das Geschöpf
einströmen784 lässt. – Gottes Liebe ist seine ureigenste und höchst
vollkommenste Eigenschaft, sich unumschränkt und uneingeschränkt zu verschenken
und sein göttliches Leben an die Geschöpfe mitzuteilen. Die Liebe Gottes wurde
zum menschlich empfundenen Gefühl, ja geradezu zum menschlichen Leiden nach
unserem Begriffe, erst dadurch, dass diese wesenhafte Liebe Gottes als rein
geistiger Akt bei der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person in
menschliches Sein und Fleisch gelegt wurde. Gott-Vater hat diese seine
wesenhafte Liebe, die zweite göttliche Person, Mensch werden lassen, und zwar
als schon seit Ewigkeiten bestehende785 und von Ewigkeit gezeugte
göttliche Person, als etwas in Sich höchst Vollendetes und Vollkommenstes – wie
es eben die „Person“ und zumal die göttliche Person ist. –
2160 |
In der Kapelle hatte ich heute ein wunderbares
geistiges Erfahren und Erleben der Vorzüge Mariens als der – im Hinblick auf
die Erlöserverdienste Christi – „vorerlösten“ Seele, die, im Gegensatz zu allen
anderen Menschen, rein geblieben ist von der Erbsünde. Der Seele Mariens wurde
mir auch gegenübergestellt die Seele „Evas“ mit ihren Vorzügen im reinen
Zustand, d. h. im Augenblick ihrer Erschaffung und vor der Sünde.
2161 |
Ich konnte selbst begreifen und musste
bestätigen: Die Seele Mariens, geheiligt und bekleidet mit den Verdiensten
Christi im Zustand ihrer „Vorerlösung“, ist herrlicher als die Seele Evas,
selbst in deren Erschaffungszustand. Zugleich konnte ich den unermesslichen
Reichtum und die Wirksamkeit der Erlöserverdienste begreifen, kraft derer die Seele
Mariens in jener Heiligkeit und Würde geschaffen wurde, ohne hierin dem
allgemeinen Gesetz der gefallenen Menschheit zu unterliegen. Ferner wurde ich
inne, wie Maria diesen Schatz der Gnade noch in so reichem Maße durch ihr
eigenes Mitwirken vermehrt und gekrönt hat. – Eva war im ersten oder
Erschaffungszustand herrlicher ausgestattet als Maria786, insofern
Maria doch in manchen psychologischen, nicht moralischen Auswirkungen den
Folgen der Erbsünde unterlag. Dessen ungeachtet hat Maria ihre geistige Werthöhe
über jene, die Eva im paradiesischen Zustand hatte, erhoben und gemehrt, sodass
man sagen kann: Die Erlösung hat den Menschen (nämlich in Maria) kraft der
Menschwerdung und Verdienste Christi herrlicher begnadet, als er787
es im ersten Paradieseszustand war. – Ich erfasste auch, dass der seligsten
Jungfrau Maria im wahren Sinne die Erlöserverdienste – im Hinblick und in der
Kraft des kommenden Erlösers – „vorher“ schon in so reichem Maße zugewendet
wurden und dass also in diesem Sinne Gott-Vater Maria nicht als eine „Ausnahme“
der Menschheit so herrlich geschaffen und ausgestattet hat. Auch Maria
erstrahlte vielmehr bekleidet mit den Erlöserverdiensten, in deren mitgeteilter
Fülle sie – infolge ihrer höchsten Auserwählung zur Mutter des Erlösers – von
niemand übertroffen werden kann.
2162 |
So hatte ich ein wundervolles Erfassen der
Herrlichkeiten der Erlösung in Maria, die ihr schon vor der Menschwerdung des
Erlösers zuteilwurden. Im geistigen Erfahren und Begreifen konnte ich ferner
den Unterschied zwischen Eva und Maria, die Wege der Gnade Gottes in beiden und
die Bedeutung für die gesamte Menschheit in beiderlei Auswirkungen, bestätigen.
2163 |
In besonderer Weise konnte ich erleben, wie
Maria von Ewigkeit vor der göttlichen Allwissenheit des Vaters stand und wie er
im Paradies nach der Sünde der ersten Menschen in seiner unendlichen Liebe und
Barmherzigkeit Maria dem Menschengeschlechte als eine „neue Mutter“ und zweite
Eva, d. h. Mutter des Menschengeschlechtes zu geben sich würdigte. Ich schaute
Maria – ich kann mich nicht anders ausdrücken, obwohl es ein geistiges
Durchleben dieses Geheimnisses war – unmittelbar nach der ersten Sünde Evas788
im Paradies gegenübergestellt, während der Vater voll göttlichem Entzücken die
Herrlichkeiten Mariens mir erkennen ließ.789 Diese sollte kraft der
Verdienste seines Sohnes, den er der Welt als Erlöser schenken wollte, die
erste Eva an Herrlichkeit übertreffen und überstrahlen, weil Maria voll und
ganz in allem mit der Gnade mitwirkte, während Eva darin versagte.
2164 |
Schon in den letzten Tagen fiel mir auf, wofür
ich keinen Grund noch zur Erklärung finden konnte: Dass nämlich die heilige
Messe mich gleichsam „leer“ ließ, wenn ich auch, wie gewöhnlich, mehreren
beiwohnte. Es war gleichsam eine geistige Schranke vor mir, die mich zu hindern
schien die heilige Messe wie früher zuteilwerden zu lassen. – Der Grund lag
aber in weiteren Veränderungen und Fortschritten meines inneren Habitus. Ich
bin nun so sehr in Gott und die Person Christi aufgenommen, dass alles Bemühen,
um zu Gott zu kommen, überflüssig ist. Das Gebet, das eine Erhebung zu Gott
ist, scheint entbehrlich geworden zu sein, weil ich – durch eine neue
Auswirkung des göttlichen Lebens Jesu in mir – unmittelbar in Gott bin, ähnlich
wie jeder Weg und jede Bemühung sich erübrigt für den, der am Ziele angekommen
ist. Mit dieser Gnade der Erhöhung des Lebens Jesu als mein eigenes Leben in
mir bin ich zu tiefst in den Mittelpunkt Christi, in seiner Menschheit
vorgedrungen, und zwar mit weiteren Folgerungen für mein Dasein. Ich bin nun
auf der „Spitze“ meines Seins mir selbst als „selbstige Spitze“ und ich brauche
keine andere Übung oder Betätigung als eben die: Das zu sein, was ich bin,
diese790 „Spitze“ selbst zu sein, d. h. die791 Fülle des
Lebens Jesu selbst in mir wirksam sein zu lassen. Ich bin nun zur Person
geworden auf jener geistigen Grundlage, die durch so viele besonderen Gnaden in
mir vorbereitet ist. Ich bin allem Irdischen gleichsam entrückt, aber dafür
kommt mein Inneres, d. h. die Höhe der selbstigen Grundlage des Seins an Stelle
Christi immer mehr zur Geltung und Wirksamkeit. Das „Leben“ in mir ergriff mich
als selbstiges Leben und mit dieser selbstigen Lebensmitteilung sind
verschiedene Lebensstützen früherer Art weggefallen. Ich bin nun wie ganz auf
mich als selbstigen Lebensantrieb gestellt und kann „aus mir selbst“ sein.
2165 |
Damit sind die formellen Übungen und Behelfe
entbehrlich geworden; damit fällt auch jener geistige Behelf weg, der mir
bisher die Möglichkeit gab, mich dem Wesen der heiligen Messe zu nähern und
diese als meine persönliche Andachtsübung zu gebrauchen. Selbstverständlich ist
damit nicht gesagt, dass ich nun weniger der heiligen Messe beiwohnen soll,
aber ich soll diese nicht als ein formelles Mittel ansehen, um das innere Leben
Jesu in mir zu erhöhen, sondern ich soll dieses Leben Jesu selbst in mir leben.
„Das Leben selbst will gelebt sein“ aus seiner eigenen, selbstigen Quelle. –
Indem ich auf alles verzichte und mich nur mit der Spitze oder höchsten Höhe
des Lebens selbst begnüge und diese als meinen eigentlichen Lebensantrieb sich
auswirken lasse, sind all meine Kräfte in den Dienst dieses selbstigen
Lebensantriebes getreten, auf der Grundlage der langen, bisherigen
Vorbereitung, und zwar so, dass nur noch jene höchste Spitze als „Selbst“ und
als „Ich“ allein da zu sein scheint und selbst „alles“ ist. So bin ich als
„selbstige Spitze“ zu jener Einfachheit des Seins emporgestiegen, die alle
Stützen und Behelfe entbehrlich macht und wo mir das Sein selbst als
geistig-religiöses Dasein genügt.
2166 |
Heute Morgen hatte ich in Jesus wunderbare
Erlebnisse seiner wesentlichen, göttlichen Unveränderlichkeit auch in seiner Menschwerdung
und in seiner Menschheit: Gottes Wesen, der Namenlose, der Unbegrenzte und
Unbegrenzbare, der, in dem alles ist – in einem begrenzten, endlichen
Menschenleib! Ich war in unsagbarer Weise in ihm und aufgenommen in sein
Geheimnis. Es ist wirklich wahr: Es gibt keinen Namen für jenes Wesen Gottes,
wie ich es in jener Fülle des Seins erfahren konnte; denn Gottes Name ist sein
Wesen selbst, das eben unaussprechlich ist, und nur der kann sich einen
annähenden Begriff davon machen, der jenes göttliche Wesen in sich erlebt.
2167 |
Gottes Sein und Wesen erhielt erst in der
Menschwerdung der zweiten göttlichen Person eine Umschreibung oder einen Namen,
der den Menschen irgendwie nahegebracht werden kann, jenen Namen, den
Gott-Vater selbst dem göttlichen Worte gab: Jesus, der Erlöser seiner
Geschöpfe. Das namenlose göttliche Sein des Wortes war, obwohl wesentlich
unveränderlich, eingefügt in eine menschliche Natur, in eine begrenzte
Menschheit mit einer endlichen Anlage, war von dieser getragen und bedient, aber
jene menschliche Natur besaß – und musste wegen der göttlichen
Unveränderlichkeit und Würde besitzen – eine entsprechende Erhabenheit,
Vollkommenheit und Anpassung in ihren Funktionen, dass sie die göttliche Natur
und Vollkommenheit des Wortes in solcher Einheit ertragen konnte.
2168 |
Dieses Innewerden des göttlichen Wesens im
Erlöser war das tiefste göttliche793 Geheimnis, das ich bisher
erfahren habe. So dringe ich in Christus immer mehr in den Kern und das
Wesenselement seines Seins vor, das in seiner Menschheit unverändert bestehen
blieb und das infolgedessen die menschliche Natur, das notwendige Werkzeug zum
Bestand eines gottmenschlichen Lebens mit empor nahm in jene göttliche Höhe und
Ebene.
2169 |
In den letzten Tagen war ich in einem
beständigen Innewerden göttlicher Geheimnisse und zugleich in entsprechenden
inneren Leiden, durch die meine menschliche Natur für das Nachleben794
seiner göttlicher Geheimnisse voll fähig und dienstbar gemacht werden soll.
Heute hatte ich dann die Anregung nach St. Peter zu gehen, und dort wurde ich
noch tiefer eingeführt in das Geheimnis der Einbeziehung meiner menschlichen
Natur in die mir bestimmte göttliche Dienstbarkeit auf der dazu notwendigen
göttlichen Höhe und Ebene der Vollkommenheit.
2170 |
„Ich“ bin nun in jenen Zustand versetzt, der
jetzt meine Realität ist. Der Glaube an Gott ist mir795 zum
wirklichen Zustand in Gott geworden. Ich bin nun das, was ich innerlich
erlitten und erlebt habe; dies ist mein Wesen. So bin ich in unsagbaren Frieden
und in unaussprechlicher Einheit meiner selbst. „Ich ruhe“ in mir selbst, weil
ich mir selbst „alles“ bin.
2171 |
Ich erlebe das Geheimnis jener Worte des
heiligsten Johannes: „Niemand hat Gott je gesehen; nur der Sohn hat uns von ihm
Kunde gebracht.“ –
2172 |
In Christus lebe ich die Teilnahme der
menschlichen Natur an dem göttlichen Sein und Wesen, das uns im Sohne
geoffenbart und gleichsam zugänglich gemacht wurde. – In Gottes Wesen gab ich,
dazu angeregt, eine neue Bereitschaftserklärung zu dem besonderen,
immerwährenden Dienst an der göttlichen Natur des Wortes, worin meine –
menschlich unbegreifliche – Berufung besteht.
2173 |
Höchstes Aufgenommensein in die göttliche
Natur, in der Form und in dem Maße, wie mir dieses Geheimnis erfassbar wurde. –
„Die göttliche Natur des Wortes hat die menschliche Natur in Christus
vergöttlicht“, das erlebte ich nach der heiligen Kommunion, aber, infolge einer
unaussprechlichen geistigen Elastizität meines Menschseins, als eigenes Erleben
und wie als meinen eigenen Zustand auf jener göttlichen Ebene.
2174 |
„Es kommt etwas Schweres“, ein voller Einsatz
meines Lebens zu dem angekündigten Dienst an der göttlichen Person des
Erlösers; so wurde mir zu wissen getan. Zum Trost weiß ich aber auch, dass dann
meine äußeren Verhältnisse mir jenes angekündigte „Erleben Christi, des
Erlösers“, möglich sein werden lassen.
2175 |
Ich spüre im Voraus die ganze Konsequenz
dieses Einsatzes. Nicht gefühlsmäßig, aber seinshaft bin ich davon ergriffen.
„Ich selbst“ bin nun ganz Aspiration und Verlangen für dieses Leben Jesu, aber
ich „spüre“ nichts von Jesus, sondern es ist dies gleichsam das tiefste
Erfassen und Ausleben des mir nun zu eigen gewordenen Seins. Ich bin ganz
Bereitschaft für „mich selbst“, d. h. für dieses zu eigen gewordene sein. –
2176 |
Seit heute Morgen nach der heiligen Kommunion
bin ich ganz verändert. Mein Selbst ist so volle Wirklichkeit, dass es mich und
mein ganzes Sein völlig überflutet; auch das Physische ist in eine allgemeine
allmähliche Umwandlung meines menschlichen Lebens miteinbezogen. Ich bin ganz
„anders“, aber wie? Dafür gibt es keinen Ausdruck. „Ich“ bin erfüllt von jener
selbstigen Fülle, die mein ganzes Sein796 ergriffen hat. Ich
„überflute“ mich gleichsam selbst, ähnlich wie das Feuer alles Brennbare selbst
zum Feuer macht. Aber dabei, welch unaussprechliche Einfachheit!
2177 |
In einem gewissen Sinne „sterbe ich meinen Tod
nicht mehr“797 (wurde mir ferner zu wissen gegeben), denn meinen Tod
bin ich innerlich798 durch die jahrelange Vorbereitung auf meine
Aufgabe schon gestorben infolge des allmählichen Absterbens alles Eigenen und
meiner früheren, persönlichen Grundlage. Nun bin ich zum neuen Leben in Jesus
gerufen; ich werde nun das Leben des Erlösers leben und werde sterben „seinen
Tod“. – Für meinen bisher gewohnten persönlichen Gebrauch bin ich wie aufgelöst
und es vollzieht sich in mir eine immer mehr sich steigernde799
Ablösung von meiner früheren Art des Daseins. Das schafft natürlich auch
ständige, in Worten nicht zu erklärende Leiden. Es sind so viele Einzelheiten
im Menschen, deren Aufgeben diese Steigerung der Aufnahmemöglichkeit in Gottes
Wesen voraussetzt! So leide ich auch heute sehr800, trotz der schon
erworbenen großen Fülle des göttlichen Seins, dem ich auch heute801
schon in etwa dienstbar gemacht bin. Das Ergriffenwerden von der göttlichen
Fülle ist eben – trotz und bei allem göttlichen Genuss, welches es bietet – ein
schmerzliches Leiden, denn es ist zugleich ein immer restloseres Aufgeben des
eigenen, bisher gewohnten und natürlichen Lebens. (Aber alles, was ich
Schreibe, sind tote Worte gegenüber der tatsächlichen Wirklichkeit und
Konsequenz für mich, mit welcher sich alles dies vollzieht.)
2178 |
Eine innere Glut des Verlangens nach
Vollendung ist das Hilfsmittel zur Vollendung, insofern das Verlangen nach dem
vollen Maß der in mir sich vorbereitenden Fülle göttlichen Lebens, mich
verzehrt. – Es ist auch keine Furcht mehr in mir vor dieser Zukunft in Gott
bzw. in Jesus; ich bin „in mir selbst“ gesichert. Ich lebe auch die Sicherheit
der mir gegebenen göttlichen Verheißung und das Ziel seines802
Versprechens: Ich werde nie mehr Gott verlieren, denn ich bin ja schon in ihn
aufgenommen. Er selbst, sein Leben, das ich lebe, ist mir Bürgschaft dafür.
2179 |
Es braucht nicht eine ganz neue Gesellschaft
werden, sondern Jesus wünscht, dass ein schon bestehender Orden diese von Gott
gewollte Priesterreform („Reform“ hier immer im Sinne einer Erneuerung und
Glaubensvertiefung genommen) an sich ziehen und sich der Kirche zu diesem
Zwecke zur Verfügung stelle.
2180 |
Bedingung ist:
1. dass jener Orden die Reform nach
der von Gott gewollten und angegebenen Weise übernehme;
2. dass er geeignete Mitglieder zur
Verfügung stelle, die unter der Leitung von H. Pater Baumann in diese Reform
eingeführt werden.
3. Die Einführung in diese Reform
muss von den einzelnen Mitgliedern des Priesterwerkes, ähnlich wie in einem
Noviziat, als verpflichtend anerkannt werden.
4.
Es muss eine bestimmte Zeit, etwa ein Jahr, zugemessen werden, in der
die Mitglieder durch Studium und praktische Übung der Reform befähigt werden,
sich nach Ablauf dieser Prüfungszeit der allgemeinen Priesterreform widmen zu
können.
5.
Die Einführung in dem gottgewollten Geist geschieht in einer
einheitlichen, geschlossenen Form nach festgelegten Normen, nicht willkürlich,
und muss von einzelnen in dieser Weise angenommen und zu eigen gemacht werden.
6.
Der Geist der Reform darf den Geist des betreffenden Ordens nicht stören
oder berühren, sodass die Gefahr einer Spaltung bestünde, sondern im Gegenteil
werden die einzelnen Mitglieder auch in ihrem Ordensideal befestigt, weil die
Reform zugleich eine Erneuerung des Ordensgeistes sein soll. Die Reform selbst
steht über allen Orden, weil sie nur eine Geistesreform von innen heraus sein
soll, der die Ordensreform wie von selbst folgt.
7. Es müssen Häuser bereitgestellt
werden, in denen anderen Priestern von Säkular- und Regularklerus die
Möglichkeit geboten wird, sich in Kursen von festgesetzter Dauer in diesem
Geist einführen zu lassen.
8.
Der tatsächlichen Reformtätigkeit sollen nur jene Mitglieder zugeteilt
werden, die ihre Probezeit in der festgelegten Form gemacht und vom Leiter aus
dafür befähigt anerkannt werden; so soll die Einheitlichkeit der Reform
ermöglicht und sichergestellt werden.
9. Der betreffende Orden müsste zur
Ehre Gottes und im Dienste des hohen Zweckes diese Bedingungen annehmen, damit
das ganze Werk auf gottgewollte Weise übernommen und erfolgreich durchgeführt
werde.
10. Der Leiter untersteht nur dem
betreffenden Ordensgeneral, damit die geistige Bewegungsmöglichkeit gesichert
sei. Die oberste Leitung liegt beim Ordensgeneral, von dem auch die einzelnen
Mitglieder für das Werk ausgewählt und dem Werk zugeführt werden; das Werk wird
aber als päpstliches Werk der kirchlich-disziplinären Ordnung unterstellt und
danach geregelt werden.
2181 |
Ich „weiß“ um die zweite Möglichkeit für das
Priesterwerk, nämlich als selbstständiges Werk unter einem Bischof oder
Kirchenfürsten.
2182 |
Hauptbedingung ist eine verpflichtende
Einführung einer Anzahl (Gesellschaft) von Priestern in den von Gott gewollten
und gezeigten Erneuerungsplan, und zwar mit dem Zweck, dass diese Priester
ausgebildet und befähigt werden, um sich dann mit der allgemeinen Erneuerung
des Priestertums in diesem Geiste zu befassen. Es darf daher nicht bloß eine
ins Belieben des Einzelnen gestellte Aufnahme des Erneuerungsgeistes sein, und
der Leiter muss auch eine bestimmte Autorität ausüben können.
2183 |
Der Anschluss an einen bestehenden Orden ist
möglich und erwünscht, aber doch nicht unbedingt notwendig. Die Hauptsache und
die erste Frage ist nicht die Frage der konkreten Ausführung im Einzelnen,
sondern die Klarstellung und Sicherstellung des grundsätzlichen, allgemeinen
Planes Gottes, d. h. des Erneuerungsgeistes in einer geordneten, geschlossenen
Form. Deshalb müssen zuerst die Anlage und der Geist des Gesamtwerkes ausgearbeitet
werden, bevor eine weitere Entscheidung über die Ausführung im Einzelnen
möglich ist. Das Werk selbst darf jedenfalls in seinem von Gott bestimmten
Geist und Zweck nicht geändert werden, weil sonst sein gottgewolltes Endziel
gefährdet wäre. Der betreffende Orden müsste im Falle eines Anschlusses in der
Lage sein, jenen höchsten Zweck des Werkes sicherzustellen.
2184 |
Gott gibt jetzt – so sehe ich es – noch kein
entscheidendes Licht über die Ausführung im Einzelnen, weil er diesbezüglich
die Entscheidung weitgehend den Menschen überlässt, wobei er aber die
Hauptgrundlage und den letzten Zweck wahren will. Es muss also zuerst die
Wichtigkeit des Werkes selbst klargestellt und dieses als Wille Gottes
anerkannt werden. Entsprechend der Bedeutung und Aufgabe des Werkes ergibt sich
dann erst die Frage der besten Möglichkeit der Ausführung im Einzelnen. (Nach
meinem Voraussehen wird das Werk schließlich selbstständig werden.)
2185 |
Die frühere Vorbereitung geht in meinem
jetzigen geistigen Stadium in eine immer mehr sich erhöhende und steigernde
Wirklichkeit in Jesus über. Die begleitenden Leiden sind groß und geheimnisvoll
und in Worten nicht zu erklären. Die Kräfte meiner Person und ihre selbstigen
Eigenschaften805 werden allmählich abgelöst durch das Übernehmen der
göttlichen Eigenheiten der Person Christi. Mit diesem Erfahren bin ich806
auf die Spitze meiner geistigen Berufung angelangt. Dabei erlebe ich schon
jetzt ein Übergewicht der wesentlichen Eigenheiten der göttlichen Person in
einem wirklichen Erfahren und Erfassen der göttlichen Realität.
2186 |
Wenn ich schon früher verschiedene wesentliche
Vollkommenheiten und Eigenschaften des göttlichen Wesens in Christus erklären
konnte, weil ich mich schon in so hohem Grade in ihn aufgenommen glaubte, so geschah
jenes Erfahren Gottes bzw. Christus in seiner Menschheit807 doch
immer noch mittels der Kräfte meiner Person, die ihre gewöhnlichen Funktionen
ausübte. Jetzt aber gelange ich zu jenem Stadium, in dem die Kräfte meiner
Person ganz, aber allmählich von den Kräften der göttlichen Person übernommen
werden und diese nun meine frühere Stellung einzunehmen beginnt. Damit tritt
mein Inneres, ja mein Gesamt-Leben in eine allgemeine psychologische Umwandlung
ein, weil es sich in die göttlichen Person-Kräfte einzufügen und einzuleben
beginnt. Es vollzieht sich eine tatsächliche Zusammenfassung meines Gesamtseins
durch die Auswirkungen der göttlichen Person, die sich zur Trägerin meines
Menschenlebens zu machen und als solche zu betätigen beginnt. So stehe ich jetzt
am Tore des Eingehens in den wesentlichen Habitus des göttlichen Seins, der in
der Menschheit Christi unverändert weiter bestanden hat.
2187 |
Ganz besonders tief erfasse ich das Geheimnis
der „Person“, wenn dies auch wieder in Worten nicht ganz auszusprechen ist. –
„Die Person trägt das ihr unterstehendes Element“ nach ihrer selbstigen
Eigenheit und formt danach das Gesamtleben zu einer absoluten Einheit. – Das
ganze Menschenleben von seinem ersten Augenblick an bietet die Möglichkeit für
den Bestand der Person mit ihrer Eigenheit. Im Augenblick des Entstehens eines
neuen Menschen „erwecken sich“ Daseinskräfte, durch die das Bestehenkönnen
eines selbstigen, in sich abgeschlossenen und sich selbst bestimmenden Wesens
mit der tatsächlichen Eigenheit einer sozusagen abgerundeten Individualität und
der damit gegebenen, absoluten Verschiedenheit von jeder anderen derartigen
Möglichkeit ermöglicht wird. Schon im ersten Augenblick des Menschenlebens
„erhebt sich“ durch Gottes Schöpferakt eine höchste, wenn auch noch unbewusste
Kraft als höchstes Ziel des Ganzen, dem alle Möglichkeiten zu diesem Ziel (im
unbewussten Zustand) zugeordnet, angepasst und eingelebt werden. Das „Ziel“
dirigiert schon die ganzen Daseinskräfte gemäß der letzten Ordnung dieses808
Zieles selbst, das sich dabei als selbstiger Lebensantrieb auswirkt und im
Laufe der Entwicklung des Menschenlebens immer mehr auszuwirken beginnt bis zur
Vollreife der Person. Diesem Person-Ziel passt sich das Gesamtleben an als eine
einmalige, absolute, nicht wiederholbare und nicht nachahmbare Wirklichkeit;
denn jede Person als selbstiges Ziel mit all den ihr untergeordneten
Möglichkeiten besteht nur einmal. Die Eigenheit der Person umfasst das gesamte
Menschenleben, weil der Schöpfer diese Gesamtheit von Kräften, ermöglicht auf
der Grundlage der Naturgesetze der Vererbung, nur einmal, eben diesen einen,
bestimmten selbstigen Ziel zugeordnet hat.
2188 |
Die Möglichkeiten der Vererbung richten sich
nach den gottgegebenen Naturgesetzen; das Person-Ziel aber tritt in Kraft gemäß
dem höchsten und frei bestimmenden Ruf des Schöpfers zu einer Lebens- und
Existenzmöglichkeit. Dabei schafft Gott für gewöhnlich neues Menschenleben nach
dem Maß, der entsprechenden Naturgesetzen809 vorhandenen Kräfte, und
er bildet auch die geistige Werthaftigkeit und Mentalität einer neuen Person
entsprechend diesen natürlichen Gegebenheiten. Aber hier schaltet sich auch
schon das Walten des Gottes der Gnade ein, der einer „Person“ als der höchsten
Kraft und dem Ziele im Menschen auch ein Mehr oder Weniger an
Entwicklungsmöglichkeiten zuteilen kann, als ihr nach den gewöhnlichen und
vorliegenden Gegebenheiten der Naturkräfte zukommen würde. – Die „Person“ als
höchste Kraft und Eigenheit im Menschen bekommt ihre Entfaltungsmöglichkeit im
Augenblick ihrer Erschaffung zugewiesen. Nach dem Augenblick ihres Entstehens
kommt ihr an sich nichts mehr an neuen, wesentlichen Entwicklungsmöglichkeiten
oder Veränderungen zu, aber die Entfaltung und Entwicklung der schon
zugewiesenen Kräfte und Möglichkeiten einer Person ist doch vielen weiteren
Beeinflussungen und damit verschiedenen sekundären Veränderungsmöglichkeiten
ausgesetzt, die auch tatsächliche immerwährende Veränderungen bis zum Ende des
Menschenlebens herbeiführen können. So ist der Mensch ein ständig „Werdender“,
der sich sein geistig-sittliches Dasein selbst zurecht richtet. Diese
lebenslangen Veränderungen vollziehen sich aber alle im Rahmen der
Gegebenheiten der in sich als einmaliger Individualität unveränderlicher
Person.
2189 |
In dieses höchste Person-Ziel, in dem des
Menschen Daseins begründet ist, kann aber der Mensch niemals ganz eindringen
und in diesem Sinne kann er sich niemals ganz selbst finden. In diesem
Selbsträtsel des Menschen in seinem höchsten Sein liegt der Stempel seiner
göttlichen Herkunft. Der Mensch kann vieles erforschen, am wenigsten aber sich
selbst im letzten Geheimnis seiner individuellen Person. In diesem Geheimnis
trägt der Mensch das Abbild Gottes in sich. Das eigene Sein im Letzten ist dem
Menschen das größte Rätsel, weil durch die „Person“ ständig gottebenbildliche
Kräfte, wenn auch auf dem Wege über die Naturkräfte, in ihm wirksam sind. Gott
trägt jedes Menschenleben in einem wahren Sinne in sich, denn außer ihm könnte
kein Mensch bestehen. In ihm ist das Leben des Alls und darum sind alle
Menschen durch ihre göttliche Herkunft ihm verantwortlich gemacht.
2190 |
Der Mensch ist verpflichtet, diese göttliche
Herkunft in sich anzuerkennen. Die Herkunft des Menschen ist vor allem eine
geistige, von Gott selbst eingehaucht; sie bildet und vervollständigt sich
mittels der physischen Kräfte zu einem wirklichen810 Daseins- und
Existenzzustand. Das Geistige im Menschen, das die Hauptsache ist, erhält seine
Vervollständigung und Ergänzung durch die physischen Grundlagen und
Naturanlagen, in die diese Geistigkeit eingebaut ist. Von dieser
gottgeschaffenen Grundlage bleibt der Mensch sein ganzes Leben lang abhängig,
denn sie ist ihm Existenz-Stütze und Vermittlung zum Dasein. Insofern bleibt
die Person des Menschen als etwas an sich rein Geistiges doch auf die
Vermittlungskräfte der physischen Natur angewiesen und von ihnen abhängig; denn
diese bieten ihr die notwendige Ergänzung zum Gesamtleben, aber gemäß der
Eigenart der Person als des selbstigen Zieles im Menschen.
2191 |
Diesem Ziele werden schon vom Anfang des
Lebens an alle physischen Kräfte zu einem Ganzen eingeordnet. Die körperliche
Natur als Werkzeug der Person erfährt und erleidet an sich die Eigenart der
Person, deren Befehle und Direktion. Dieses Werkzeug „dient“ der Person zur
Auslösung und Auswirkung ihrer Eigenart. Die physischen Kräfte helfen mit zur
Erhebung der Werthöhe der Person, erleiden aber auch deren Niedergang mit. Im
normalen Menschenleben gibt es in dieser Hinsicht keine Spaltung, wohl aber
eine Spannung, d. h. ein angespanntes Bemühen, den Forderungen der Person zu
folgen. Die feinen Bemühungen und Kräfte, die der Befehl und Druck der Person
verursacht und auslöst, durchdringen das Gesamtleben und auch den ganzen Körper
wie in einem beständigen Kreislauf. So dient die physische Natur im Menschen
seiner Geist-Natur in einheitlicher Einordnung. Dieses augenblickliche
Eingeordnetsein der physischen und psychischen Natur im Menschen zu einem Leben
ist eigentlich eines der größten (natürlichen) Wunder im Menschen.
2192 |
Auf einer ganz ähnlichen Grundlage beruhte nun
das Menschenleben Christi. In ihm formte die göttliche Person mit ihrer
wesentlichen Unveränderlichkeit die Eigenart seiner menschlichen Natur gemäß
der Vollkommenheitsgrundlage der göttlichen Person. Schon dadurch kann man sich
die heiligste Menschheit Christi als das vollkommenste höchst harmonische
Menschenleben erklären, weil es darin nie zu einer Spannung, d. h. zur
Notwendigkeit einer Bemühung kommen konnte, um den Anforderungen der göttlichen
Person genügen zu können; dies wäre ja eine Unvollkommenheit in der heiligsten
Menschheit Christi gewesen, unvereinbar mit der Heiligkeit und Würde und
Vollkommenheit der sie leitenden und beherrschenden göttlichen Person. – Von
der heiligsten Menschheit Christi kann man sagen: Sie stand in ihrer Betätigung
wie auf einer Ebene und Linie der Vollkommenheit gegenüber der göttlichen
Person, zwar nicht an Werthöhe des Seins, weil nichts der göttlichen Natur an
Wert gleichkommen kann, aber an Anpassungsmöglichkeit an die sittliche Höhe und
Linie der göttlichen Person. Die Kräfte dieser göttlichen Person durchlebten –
als solche einer wahren Person – das ganze psychophysische Leben Jesu und
forderten dessen Kräfte an zum Dienste und zu einer menschlichen Existenz der
göttlichen Person auf dieser menschlichen Lebensgrundlage811. Die
gesamte menschliche Lebensgrundlage wurde auf die Vollkommenheitsebene der
göttlichen Natur der Person Christi hingeordnet, eingestellt und emporgehoben,
denn sonst wäre es in Christus nie zu einem wirklichen, „normalen“
Menschenleben gekommen – das aber tatsächlich vorhanden war. Die allgemeinen
Gesetze des Menschenlebens mit seiner psychophysischen Grundlage müssen auch in
Christus anerkannt werden.
2193 |
Da die Person Christi in der Eigenart ihrer
göttlichen Natur812 die in Maria vorhandenen Lebensmöglichkeiten in
der Kraft des Heiligen Geistes in Besitz nahm, bildete sich das göttliche
Wunder der Menschheit Christi schon im Mutterleibe Mariens wie auf einer
entsprechenden, gegebenen Naturanlage aus. In Maria waren infolge ihrer
Befreiung von der Erbsünde schon entsprechend zu Gott erhobene und angepasste
Kräfte der menschlichen Natur vorhanden. Das Vererbungsgesetz gilt auch hier
wie im gewöhnlichen Menschenleben. Mariens Dasein und Leben bewegte sich auf
jener Geisteshöhe, in die Gott die Menschheit zuerst erschaffen hatte, auf
jener Grundlage, auf der das erste übernatürliche und doch für die ersten
Menschen wie natürlich scheinende Kindschaftsverhältnis zu Gott möglich war.
Die ersten Menschen bewegten sich nach ihrer Erschaffung wie auf einer
„göttlichen Ebene“, wobei sie Gott in sich fanden und Gott mit ihnen wie813
auf einer ihnen natürlichen Ebene verkehrte. Darin lag wohl das größte
psychologische Geheimnis des Zustandes vor der Sünde: in ihrer Einheit mit Gott
wie auf einer natürlichen Ebene kraft des Zustandes ihres übernatürlichen Seins
in Gott. Dieser Zustand der ersten Menschen, der auch in Maria im Wesentlichen
bestanden hat, war der fruchtbare Boden für die heiligste Menschheit Jesu und
ihre Erhebung auf die Vollkommenheitsebene der göttlichen Natur der814
Person des Wortes. – Entsprechend der göttlichen Wesensgrundlage formte diese
göttliche Person ihre heiligste Menschheit und durchlebte sie ähnlich, wie
unsere Menschheit kraft unserer menschlichen Person lebt.
2194 |
Die göttliche Person Christi, wesentlich und
notwendig auf ihrer göttlichen Höhe und Ebene815 bleibend,
beanspruchte alle menschlichen Kräfte, und die menschliche Natur in Christus
bot und gab Ihr die Möglichkeit eines menschlichen Daseins auf unserer
menschlichen Grundlage; sie trug das göttliche Leben in sich. Die Kraft der
göttlichen Person durchdrang Christi ganzes816 menschliches Dasein bis
in alle Zentren und Zellen seines menschlichen Körpers und damit wurden auch
diese physischen Lebensstützen zum direkten Dienste der göttlichen Person in
die göttliche Ebene hineingehoben und stützten gleichsam die Daseinsmöglichkeit
Christi als Mensch zu einem wahren, menschlichen Dasein. Ebenso trugen die
physischen und psychischen Kräfte Jesu die Leiden seiner göttlichen Person;
denn die Person war der wirklich Leidende in Christus, dem die leiblichen und
seelischen Kräfte die Leidensmöglichkeit auf göttlicher Ebene ermöglichten.
2195 |
Ausgangspunkt in Christus war immer die
wesentliche göttliche Natur seiner Person, die das Gesamtleben zu sich empor
nahm und es auf dieser göttlichen Höhe und Ebene zur Auswirkung brachte. So
wurde die menschliche Natur in Christus zur Trägerin göttlicher
Vollkommenheiten, weil sie göttliche Vollkommenheiten sich in ihr auswirken
ließ und ihnen die entsprechenden Kräfte bot zu der Tatsache der Ausübung
göttlicher Vollkommenheiten in der menschlichen Natur in Christus. Diese
menschliche Natur „erlitt“ in sich selbst die göttlichen Vollkommenheiten und
bot ihre Kräfte zum Sichtbarwerden dieser Vollkommenheiten. Diese erfuhren in
der heiligsten Menschheit Christi nicht die mindeste Abschwächung, sondern
bewegten sich auf gleicher wesentlicher Höhe wie vor der Menschwerdung Christi.
Sie wurden vielmehr nun gleichsam greifbar als sichtbare Tatsache. Die
göttliche, wesentliche Liebe z. B. als immerwährende Selbstmitteilung Gottes an
die Geschöpfe, die in Worten eigentlich nicht zu erklären war, wurde in der
heiligsten Erlöser-Menschheit zur sichtbaren Selbsthingabe und
Selbstaufopferung bis zur Selbsterschöpfung. Der Namenlose gab sich einen Namen
in seiner Menschwerdung: Erlöser, Befreier seiner Geschöpfe, und er wurde dies
wirklich. Gottes Liebe hat sich darin geoffenbart, dass der Vater seinen Sohn
hingab817 bis zur Selbsterschöpfung. Lieben heißt Hingeben und den
geliebten teilnehmen lassen; und diese Selbstmitteilung Gottes, die818
Liebe ist, wurde im Erlöser zur sichtbaren Tatsache. Und für diese
Unerschöpflichkeit und Grundlosigkeit der göttlichen Liebe wurde die
menschliche Natur das Werkzeug; sie erlitt an und in sich die göttliche Liebe,
und zwar die unendliche Liebe. Aus dieser Tatsache kann man sich in etwa ein
Bild machen von der göttlichen Tragfähigkeit der menschlichen Natur in
Christus, von den Anforderungen, welche die göttliche, unendliche Liebe an sie
stellte, von der grenzenlosen Elastizität ihrer Kräfte, von der Höhe ihrer
Anpassungs- und Einfügungsmöglichkeit in die göttlichen Vollkommenheiten des
ewigen Wortes. Soweit die göttliche Person liebte, soweit liebte und litt die
heiligste Menschheit. – Die physischen und psychischen Kräfte Christi erlitten
auch unmittelbar die ständige Sendung des Erlösers vom Vater; die immerwährende
Zeugung des göttlichen Wortes als des Erlösers vom Vater wurde unmittelbar von
der menschlichen Natur Christi aufgenommen, und zwar an der ganzen göttlichen
Vollkommenheit des Vaters in der Einheit der göttlichen Wesenhaftigkeit. –
2196 |
Die „Übernahme“ meines Seins durch die
Direktion der göttlichen Person (gemäß meiner geistigen Berufung) erhöht sich
fortwährend, wenn dies auch in Worten kaum mehr819 zu erklären ist.
Mein Gesamt-Sein wird immer mehr unter die Botmäßigkeit einer mich schon
erfassten Aktion gestellt, die meine frühere selbstige Existenz ständig
verringert.
2197 |
Meine frühere, eigene Selbstleitung als
bewusster Zustand ist schon sozusagen aufgehoben; da mir aber bis jetzt noch
die letzte Auswirkung, oder vielmehr die letzte bewusstseinsmäßige Einwirkung
der Autorität der mich übernehmenden göttlichen Person fehlt, fühle ich mich
jetzt so wie in einen Nicht-Zustand versetzt. Aber gerade in diesem
„Nicht-Zustand“ wird mein selbstiges, für meinen Gebrauch schon größtenteils ausgeschaltetes
Sein in immer noch höherer Weise den Anforderungen und Bedingungen der Eigenart
der göttlichen Person eingeordnet. Ich kann sagen: Je mehr ich als sein
„nichts“ bin, desto mehr werde „ich“; das heißt: Je mehr ich nichts um mich
weiß, desto mehr weiß ich um „mich“, nämlich gerade durch den Zustand, der uns
Menschen wie ein Nichts-Sein820 scheint. Des Menschen Sein besteht
nämlich aus dem „Erzeugen“ und „Werden“, Gottes Sein ist ohne „Bewegung“ (in
unserem Sinne) und ist „Untätigkeit“ (so wie uns sein „reiner Akt“ und seine
ganz andere Wirklichkeit erscheint). Gott ist die Wirklichkeit, wir sind der
Schein; ich erlebe diese geheimnisvolle Tatsache. Je mehr ich darum nichts um
mich weiß, desto mehr weiß ich um „mich“, d. h. um die Eigenart der mich
übernehmenden göttlichen Person.
2198 |
Gottes Sein liegt im wahren Licht, im
Wesenslicht, aber dieses Wesenslicht ist für uns „dunkel“, weil es ohne
„Bewegung“ und ganz göttliche Wirklichkeit ist. Das menschliche Sein liegt für
uns „im Lichte“, aber es ist gleichsam ein gemachtes, künstliches Licht, das
der Mensch in sich und um sich erzeugt, während das Sein Gottes im Wesenslicht
für uns „im Dunkel“ liegt. Darum müssen wir unser „künstliches“ Licht
verlassen, um in dieses „Dunkel“ Gottes, wie es für uns scheint, in sein Wesen
eindringen zu können.
2199 |
Man sagt, dass ein Mensch, der sein Augenlicht
verloren hat, und blind geworden ist, als Ersatz für das frühere Sehen umso
mehr Gefühl und Geistigkeit bekommt und mit umso größerer geistiger821
Schärfe sich selbst erfasst. Etwas Ähnliches vollzieht sich jetzt in mir. Das
Licht für mich selbst ist wie ausgelöscht; ich kann mich selbst nicht mehr mit
dem geistigen Blick umfassen, weil das Empfinden für das selbstige Dasein
wirklich schon aufgehoben ist. Es wirken zwar noch gewisse Reaktionen wie im
Unterbewusstsein helfend weiter, aber das „Bewusstsein“ nach früherer Art, das
„Zuführen“ zu einem höchsten Ziele, nämlich zu meiner Person, ist nicht mehr
vorhanden. Eigentlich bin ich im Tiefsten schon jetzt von geheimnisvollen
höheren Kräften dirigiert, die – infolge ihrer ganz anderen, von der
menschlichen Anlage verschiedenen822 – eine andere Art der Autorität
ausüben.
2200 |
Was wir Menschen „Bewusstsein“ nennen, nämlich
jener Akt des Sich-selbst-bewusst-werdens, das ist bei der göttlichen Person
schon in höherer Art in ihrem Sein selbst enthalten. Dort braucht es keinen
„Akt“, kein „Umschauen“, wie es die menschliche Person nötig hat, um sich auf
sich und in sich selbst zu konzentrieren. Dort ist vielmehr diese
„Konzentration“ wesentlich und im höchsten Maße immer gegeben. Gottes
Bewusstsein ist immerwährende Selbstdurchleuchtung, die Gott jeden Augenblick
in unveränderlicher Weise um sich selbst wissen lässt. Seine wesenhafte
Seinsgrundlage bietet ihm unveränderlich vollkommenstes Wissen um sich selbst.
Dieses sein Wissen um sich selbst gleicht einem Spiegel, der ihm jeden
Augenblick sein Wesen in seiner ganzen Vollkommenheit zeigt, und dieser Spiegel
ist Gottes Wesen selbst. Infolge seines göttlichen Wesens durchdringt sich Gott
jederzeit in unaussprechlicher Erhabenheit.
2201 |
In diese göttliche Erhabenheit als wesentliche
unveränderliche Eigenschaft Gottes war in Christus auch seine menschliche Natur
einbezogen. Die Kräfte seines menschlichen Seins konnten der göttlichen
Erhabenheit folgen, sodass Christus als Gottmensch jeden Augenblick in höchst
vollkommenem Wissen um sich selber stand. Die Einigung zwischen den beiden
Naturen war so innig, dass jene Kräfte in der Seele Christi, die im
gewöhnlichen Menschenleben das Selbstbewusstsein ermöglichen, schon im
Augenblick seiner Menschwerdung in diese göttliche Selbstdurchleuchtung und
Selbstspiegelung einbezogen wurden. So schaute sich die Seele Christi in Gott
und wusste sie um sich und lebte sie sich als „Gott“, d. h., wie Gott es tut.
Und dieses Selbstbewusstsein der Seele Christi „als Gott“ war vollständig
„aktlos“ (in unserem Sinne); es war die Wesenheit im Sein Gottes, woran die
menschlichen Kräfte Christi unmittelbar und augenblicklich beteiligt waren,
sodass das Gesamtleben Jesu von diesem göttlichen Bewusstsein getragen wurde.
2202 |
Für die göttliche Person des Wortes hatte
dieses „Bewusstsein“ seines göttlichen Seins göttliche Konsequenzen vor seiner
Menschwerdung, wie z. B. die Forderung auf die ihm geschuldete göttliche
Verehrung, aber im Augenblick der Menschwerdung verzichtete Christus auf die
göttliche Huldigung und war Gott in Menschengestalt mit menschlichen Lebensbedingungen,
alleinig sein göttliches Wesen beibehaltend. Die Erlöserperson beschränkte sich
auf das göttliche Sein, verzichtete aber mit der Menschwerdung auf die ihm
gemäß seinem göttlichen Bewusstsein zukommende Herrlichkeit und Würde. Aber er
konnte nicht verzichten auf die Anerkennung seines göttlichen Seins, für das er
den Glauben und dementsprechend die Anbetung forderte. (Hier liegen noch viele
Geheimnisse verborgen, z. B. inwieweit die zweite göttliche Person sich selbst
entäußerte, Knechtsgestalt annahm und im Äußeren wie ein Mensch befunden
wurde.) Was ich jetzt von Christus erlebe, ist sein gewöhnlicher Zustand, die
allgemeine Grundlage seines Daseins als Gottmensch. – Später – so wird mir zu
wissen getan – wird sein823 Zustand als „Erlöser“ folgen.
2203 |
In meinem jetzigen Zustand kann ich sagen: Je
mehr ich nicht bin, desto mehr erfasse ich „mich“ selbst, denn das
Sich-selbst-Erfassen ist schon enthalten und gegeben mit dem vollen Eingehen in
die Erlöserperson. Mein Zustand und Sein ist nun mein Bewusstsein und Wissen um
mich, wobei das fühlbare Wissen um mich ausgeschaltet ist. Bewusstsein ist mir
jetzt Zustand, Selbst-Sein als Seinszustand.
2204 |
Zwar klingt es verwegen dies auszusprechen,
aber es ist Tatsache: Ich bin innerlich veranlasst, mich zu begnügen mit dem
gegebenen Habitus des Zustandes824 in Gott und deshalb alle
religiösen Betätigungen und Übungen, die bestimmt sind, eine Seele zu Gott zu
führen, und auch das geistige Hindringen zu Gott aufzugeben. Ich soll nur jenen
mir verliehenen Habitus des Zustandes in Gott „leben“, wie und soweit ich
mittels der göttlichen Führung eindringen kann. So wird mein Menschsein zu
einem Selbstsein erhoben, dessen religiöses Leben im Sein selbst besteht.
2205 |
Ich spüre auch: Je mehr ich mich auf diese
selbsteigene Quelle stütze, desto reichlicher lebe ich „mich“ selbst, womit das
Erheben zu Gott als religiöse Übung überflüssig, ja geradezu eine Störung wird.
Durch die geheimnisvolle Einigung mit der göttlichen Person des Wortes bin ich
so in das Zentrum des religiösen Zieles eingedrungen, dass ich mir nun
gleichsam selbst zum Ziele bin, das mir die letzte Vollendung geben wird. Ich
brauche dieses „Ziel“ nur zu leben. (In diesem Geheimnis war ich heute Morgen
in S. Agnese eingeführt.)
2206 |
Jede religiöse Übung führt ihrem Wesen nach zu
Gott. Gottes Sein ist höchste Wirklichkeit, ihm genügt825 das Sein.
Darum „betet“ Gott nicht eigentlich und verehrt er sich nicht selbst; denn sein
Wesen allein ist ihm die höchste Huldigung. Gottes Sohn machte sich nach seiner
Menschwerdung freiwillig zum „Bittenden und Betenden“ auf jener göttlichen
Ebene seines wesentlichen göttlichen Seins. Er trat in seiner Menschwerdung in
einen göttlichen Habitus des Gebetes ein, indem sein menschliches Dasein
infolge seiner göttlichen Person zu einer beständigen Huldigung vor dem Vater
wurde. Ausgehend von diesem wesentlichen Gebetszustand erhob sich der
Gottmensch dann auch in Gebetsworten als Mittler und Fürbitter zum Vater.
2207 |
Das ganze Dasein des Erlösers bewegte sich
habituell im göttlichen Wesen des Vaters, aber er unterwarf sich dem Vater und
wurde zum „Bittenden“ für die gesamte Menschheit. Schon dieser Akt der
völligen, freiwilligen Unterwerfung unter die Autorität des Vaters war die
denkbar größte Huldigung für den Vater. So strömte dem Vater wirklich göttliche
Huldigung zu mittels der Menschheit Jesu, in welche die gesamte Menschheit
einbezogen war. Christus betete und „tat“ und „lebte“ sich selbst826
anstelle und zu zugunsten der gesamten Menschheit, die ständig in ihm zum Vater
mit emporgenommen war.
2208 |
Heute bin ich sehr in einem leidenden Zustand.
Es vollziehen sich geheimnisvolle geistige Veränderungen in mir. Jede religiöse
Übung ist mir wie unmöglich gemacht. Mein ganzes Sein ist in einem derartigen
„Ruhezustand“, dass es mir sozusagen nicht möglich ist, mich zu einem Gebet
abzulenken oder zu zerteilen. Es ist wie eine allgemeine geistige „Lähmung“,
die mich beherrscht und der ich mich nicht entziehen kann. Im Grunde ist die
Art meines früheren Lebens schon nicht mehr vorhanden und ich beginne ein neues
Leben auf ganz anderer Grundlage zu leben, jenes nämlich, das langsam und seit
Langem in mir vorbereitet wurde und das mich immer mehr in Beschlag nimmt. Ich
habe übergenug am Sein und Leben selbst, sodass es mir überflüssig ist, noch
etwas dazu zu erbitten.
2209 |
Trotz all der scheinbaren „Bewegungslosigkeit“
aber weist mir dieses Leben selbst die kommende Richtung an. In gelegentlichem
blitzartigem Aufleuchten erkenne ich die neue Richtung dieses „Lebens“, nämlich
das Eingehen in eine wesenhafte Einheit mit dem Vater. Eine weitere Steigerung
meines Seins wird mir eine neue Erhebung bringen, die mich in das „Wesen des
Vaters“ und zugleich in die Abhängigkeit Jesu vom Vater einführt. – In diesem
Zustand leuchtet auch eine andere, neue Gebetsweise auf, nämlich das beständige
Geben des Eigenen und das Empfangen des seinen. Ich gelange also zum Nachleben827
jener wesentlichen Vermittlung des göttlichen Lebens, das ständig vom Vater zum
Sohne strömt und in menschlich gelebter Form wieder dem Vater zurückgegeben
wird als immerwährende Anbetung und Huldigung durch die göttliche Erlöserperson
in ihrer heiligsten Menschheit.
2210 |
Die Leiden, welche dieses geistige
Vorauserleben begleiten, sind wie ein Schwergewicht, das mich an das jenseitige
Ufer göttlicher Anteilnahme zieht und führt. Es erfüllt mich ein unsagbarer
Ekel gegenüber meiner früheren gewöhnlichen Lebensart; dazu quält mich ein
gewisser Widerspruch gegen Hindernisse für das Gelangen an jenes göttliche
Ufer, die vielleicht unbewusst noch in mir bestehen und die mich festhalten wie
Ketten und schmerzlich durchdringen wie Dornen.828 Im Grunde kennt
aber diese unsagbare Qual nur ein Verlangen und Bestreben: Ganz sterben für
mich und dann dort teilhaben an jener Art der Teilnahme am göttlichen Leben und
Erleben, die ich durch den Charakter der jetzigen Leiden wie mit einem
geistigen Instinkt oder intuitiv erfasse und erfahre. –
2211 |
Ich leide viel seit einigen Tagen, aber die
größten Leiden sind mir lieber als alle hohen Gnaden.
2212 |
Ich bin wie gebunden durch geistige Kräfte,
denen ich mich nicht entziehen kann. Ich bin wie gekreuzigt; ob ich mich auf
diese oder jene Seite wenden möchte, immer und überall scheint der geistige
Schmerz noch größer zu sein, als er vordem war. – Und doch bin ich dabei
veranlasst, immer wieder zu sagen: „Lass mich, o Herr, immer in dieser
Stellung, denn sie bereitet mir im Grunde doch mehr Befriedigung als die
größten Gnaden. Es kommt mir zu, verdemütigt829, vernichtet und
gekreuzigt zu sein. Lass mich so bleiben!“ –
2213 |
Ich befinde mich in einer unaussprechlichen
Einheit und Ebene mit „mir selbst“ und in dieser Einheit wird mein ganzes
menschliches Dasein wie aufgelöst. Es durchdringt mich eine Geistigkeit, in der
ich zu vergehen, und zu ersticken meine.
2214 |
Eine geheimnisvolle Zusammenfassung all meiner
physischen und psychischen830 Kräfte wirkt sich aus in dieser
Seins-Einheit. Alle gleichsam unter der höchsten Kraft in mir liegenden
Fähigkeiten drängen in einer geheimnisvollen psychologischen Umänderung hin zur
höchsten Höhe in mir und lösen sich dort, in der höchsten Funktionskraft, zu einer
Einheit auf. Diese geistigen Veränderungen bilden ein fast erdrückendes Leiden
für mich. Ich bin wie zermalmt von dieser, der menschlichen Art ganz
entgegengesetzten, unerklärlichen Seinseinheit in mir selbst.
2215 |
Öfters schon hatte ich das innere Erkennen:
Man müsse das religiöse Leben und Streben unabhängiger von den äußeren
Bindungen und Verhältnissen gestalten, es davon zu trennen wissen und rein zur
Hauptsache des persönlichen Lebens machen. Gewisse äußere Verhältnisse, wie z.
B. Organisationen, Vereine und dergleichen, sind wohl Hilfsmittel für das
religiöse Leben, bleiben aber doch Nebensachen, die nur zu oft wie als
Hauptsachen hingestellt werden. Diese an sich wertvollen, aber nicht
unumgänglichen notwendigen Hilfsmitteln sollen nur831 an zweiter
Stelle stehen, weil sie nur Hilfe sind für das Erste und Wichtigste, dass
nämlich das persönliche Glaubensleben im Einzelnen zur Wirksamkeit und
Entfaltung komme. Ähnliches gilt gegenüber den Einflüssen des Staates. Jeder
einzelne832 Mensch soll das Fundament eines religiösen Charakters so
sehr in sich selbst tragen, dass dieser auch unbeeinflusst und unabhängig von
öffentlichen und staatlichen Ereignissen bestehen bleibt und das Leben aus dem
Glauben wirklich im guten Sinne zu seiner „Privatsache“ machen kann. Die
tatsächliche politische Lage weist ja auch auf diesen Weg unbedingt
selbsteigener Religiosität als Notwendigkeit hin.
2216 |
Die göttliche Offenbarung und Wahrheit,
besonders jene über die Bedeutung des Sündenfalles und über die Tatsache der
Begnadung833 durch die Erlösung sollte jedem Menschen zum eigenen,
tiefsten Begreifen werden, worauf sich dann sein religiöses Leben aufbaut und
auswirkt. Die Abhängigkeit von äußeren Einflüssen und Hemmungen hat aber
vielfach zu einem Nicht-Durchdringen des religiösen Zieles geführt und so ist
die Religion mit ihren Forderungen im täglichen Leben vielfach beim Einzelnen
und auch großenteils bei der Gesamtheit gleichsam gescheitert gegenüber den
materialistischen Strömungen verschiedenster Art. Tiefe, eigene religiöse
Betätigung des Menschen soll aber zu einem „Eigenwerk“ des einzelnen Menschen
ausgebaut werden in möglichster Trennung und Unabhängigkeit von
gesellschaftlichen und staatlichen Formen und Bedingungen. Umso mehr soll die
eigene Kraft des Glaubens und der Zusammenschluss aller Katholiken in diesem
Geist und Streben sich entfalten.
2217 |
Damit sind auch für die Aufgabe des Priesters
in der kommenden Zeit der Weg und das Ziel gewiesen. Die Priester als Führer
des katholischen Volkes müssen selbst in diesem Sinne befestigt sein und das
Volk zusammenschließen auf der Grundlage eines vertieften Glaubenslebens, in
eigener Selbstbetätigung zur vollen Erlösung des Einzelnen und zur
„Selbsterlösung“ im Sinne der Ausnutzung834 und Zuwendung der
Erlösungsgnaden in persönlich gelebtem Christentum.
2218 |
Auf dieser Grundlage soll auch das
Familienleben, auf- und ausgebaut werden. Die Heiligkeit der Ehe, die eine
Übertragung von Rechten Gottes auf den Menschen ist, soll wieder mehr ins
Bewusstsein der Christen kommen und die werdenden Eheleute sollen in diesen
Geist eingeführt werden. Nächst dem Priestertum muss die Familie die Trägerin
eines erneuerten christlichen Geistes werden. Priester und Familie sollen auf
einer gemeinsamen Grundlage zusammenarbeiten für ein vertieftes Glaubensleben835,
dessen Ausgangspunkt und Quelle die Erlösungsgnaden sind, die Christus in
seiner Kirche in vertiefter Weise zur Erinnerung und Anerkennung bringen will.
2219 |
Die geistigen Leiden dauern in der gleichen
Richtung an, doch das allmähliche Erfahren ihrer Früchte bietet mir
Erleichterung. Eine neue „Erhebung“ in mir gewinnt die Oberhand und es ist in
mir, oder vielmehr ich selbst bin nun eine viel höhere Art geistiger
Zusammenfassung und Einheit geworden. Das ist mein „Ich“ und ich bin das als
eigenes, selbstiges Dasein in einer rein seinshaften Daseinskraft, die ich
wiederum selbst bin, gleichsam ohne „Zutat“ des Eigenen. Ich bin und bestehe
als seinshaftes Selbstsein und Dasein in ureigenster Kraft. Dieses Sein als
Dasein „tut nichts“ (in menschlichem Sinne) und „hat nichts zu tun“ als nur zu
„sein“, und darum scheint es dem gewöhnlichen menschlichen Empfinden wie
„leblos“. Es „existiert“ nur, aber in diesem „Existieren“ ist alles enthalten.
– In dieses rein existierende Sein wurden all meine Kräfte unter ganz
unerklärlichen geistigen Leiden eingedrängt und eingeordnet. Mein
hervorgebrachtes und hervorbringendes Dasein wurde in diesen Zustand
umgewandelt, der dem gewöhnlichen menschlichen Empfinden wie ein „Nichtzustand“
scheint.
2220 |
„Die physischen Kräfte bieten der Person ihre
Daseinsmöglichkeit nach der ihr eigenen Art“. Bei der jetzigen psychologischen
Umwälzung in mir ändert sich darum auch die Art der Betätigung meiner eine
menschliche Existenz ermöglichenden Behelfskräfte, die nun der göttlichen
Person angepasst und in ihren Dienst gestellt werden. Die göttliche Person des
Wortes, der ich eine geheimnisvoll nachgebildete menschliche Daseinsmöglichkeit
biete, wirkt und schafft selbst diese Umwandlung in mir, indem sie meine Kräfte
so in Anspruch nimmt, wie es ihrer göttlichen Art und Anlage entspricht. Die
unaussprechliche „Ebene“ und Harmonie mit der höchsten Kraft in mir, die ich
selbst bin und in die meine physisch-psychischen Existenzkräfte einbezogen und
eingeführt werden, wirkt auf meine frühere und bisherige Daseinsart wie ein
geistiges Ersticken von Kräften, die scheinbar „untätig“ werden. In
Wirklichkeit handelt es sich aber nicht um „Untätigkeit“, sondern um
wesentliche Tätigkeit im Dienste einer ganz anders gearteten Personkraft, die
nun meine menschlichen Daseinsmöglichkeiten, in einer ihr entsprechenden,
höchst vergeistigten Weise anfordert.
2221 |
Zugleich „dämmert“ schon ein neuer, bewusster
Zustand meines Seins als meines wirklich Eigenen auf: „Ich selbst bin das“. –
Ich bin und erlebe mich losgelöst von den früheren Banden eines sich gleichsam
selbst hervorbringenden Daseins. Es ist, wie wenn ein Kind im Wissen seiner
erwachsenden Kraft „aufsteht“ und die ersten Schritte macht, oder wie wenn ein
Vöglein mit dem Instinkt, dass es nun fliegen kann, das Nest verlässt und sich
in die Luft hebt zu den ersten Flugversuchen. So ähnlich – wenn auch als ein im
Grunde unerklärliches Geheimnis – erlebe ich nun mein „eigenes“ Sein. Ich habe
gleichsam die Windeln, die ich in meinem bisherigen Sein nötig hatte,
zurückgelassen und bin in mir selbst „aufgestanden“ zu einer anderen Lebensart.
Dieses „Aufstehen“ zu und in jener neuen Art des Daseins ist eine ständige
geistige Bewegung in mir. Vielleicht werden noch mehrere Stufen dieses Aufstehens
meines neuen Selbst und seiner neuen Art folgen.
2222 |
Wie immer nach großen Leiden, so zeigen sich
auch jetzt wieder weitere geistige Entwicklungen in mir, jedoch in
unaussprechlicher Ruhe, wie wenn nichts wäre, und doch wieder zu einer Wirklichkeit
und Tatsächlichkeit, die836 ich selbst bin als Erleider dieses
höheren geistigen Werdens. Es „wird“, aber ich selbst bin jener, der „wird“ und
zum Teil schon ganz anders geworden ist.
2223 |
In den vergangenen Tagen entstanden in mir
wunderbare geistige Bewegungen, aber ich selbst bin dabei jene Bewegung, die
mich mir selbst vorführt und mir die Art meines neuen Seins seinshaft bewusst
macht: „In jener Vollkommenheit, (die ich erfahre), ging das göttliche Wort
immerwährend vom Vater hervor.“ – „Ich“ bin jener „in Bereitung“, der
immerwährend vom Vater gezeugt wird, in jener Form, in der ich mich selbst lebe837.
Dazu meinerseits immerwährende Bereitschaftserklärung, „jener“ sein zu wollen,
in dessen Eigenschaft ich mich selbst erlebe.838 Nie mehr von meinem
früheren Leben Gebrauch machen und für immer dieses neue Sein als mein Sein
leben wollen! Dabei welch großer Ekel und Widerspruch gegen meine frühere
Lebensart! Mein früherer Zustand, soweit noch Spuren von ihm vorhanden sind,
ist mir zur beständigen Qual und es ist in mir ein leidvolles
„Mich-immer-vollständiger-herausziehen839“ aus früheren Banden, die
mich beengten und deren Spuren ich noch in mir trage; es ist ein ständiges
Abstreifen und Verabscheuen unbewusster Bindungen, ein Gehen in die „Wüste“
(wie es scheint), die mir aber die wahre Wirklichkeit ist.
2224 |
So bewegt es sich in mir, aber über all dem
leidvollen „Unteren“ in mir bin ich die Fülle selbst und bin ich „der, welcher
aus dem Vater hervorgeht“. Es greift also die höchste Höhe meiner geistigen
Berufung, und der leidvolle Weg zu dieser Höhe, ineinander.
2225 |
Eigentlich trete ich jetzt in das endliche
Stadium meiner besonderen840 Berufung ein. In ständigen Bewegungen
erfasse ich mich immer mehr als den, der ständig vom Vater hervorgeht. So
besonders heute nach der heiligen Kommunion: „Ich bin der“ – immerwährend vom
Vater gezeugt – in jener wesentlichen Vollkommenheit vom Vater gezeugt. – In
gleichbleibender göttlicher Höhe und Ebene belebte das göttliche Wesen des
Wortes die menschliche Natur. – Augenblicklich und immerwährend war und ist die
menschliche Natur auf jenem göttlichen Niveau oder Ebene von der göttlichen
Person durchlebt. – Ich bin jene menschliche Natur und ich dringe zum Zentrum
jenes göttlichen Erzeugers, zu meinem Zentrum vor.
2226 |
Durch eigenes Erfahren bin ich nun in jenem
göttlichen Geheimnis: Die menschliche Natur Christi, die Trägerin des
göttlichen Lebens in jener Ebene göttlicher Wesenhaftigkeit mit dem Vater! Es
gibt kein Wort und keine Erklärung für dieses Geheimnis vollkommenster Einheit
und harmonischer Ebene ohne irgendwelche Spannung und Dissonanz zwischen
Göttlichem und Menschlichem der heiligste Menschheit Christi. Obwohl die
Menschheit Jesu an Werthöhe unter der göttlichen Natur stand, so konnte sie
doch infolge der vollkommenen Ebenmäßigkeit ihrer Aufnahmefähigkeit für das
göttliche Wesen des Wortes sagen: „Ich bin Gott“, denn ich „lebe“ das göttliche
Wort und biete ihm das menschliche Leben auf gleicher Ebene mit dem Göttlichen
im Vater, das augenblicklich mit der göttlichen Zeugung als göttliches und
zugleich menschliches Leben in Jesus Christus gelebt wird.
2227 |
Die menschliche Natur wurde zum Träger des
Göttlichen auf der Grundlage des psychologischen Geheimnisses „der Person“.
Allgemein bieten ja die Kräfte der Natur im Menschen die wirkliche
Daseinsmöglichkeit für die Person. Auch für das Leben Jesu bot die menschliche
Natur jene Möglichkeit; sie bot dem göttlichen Worte all ihre Kräfte
entsprechend der Inanspruchnahme und auf der Ebene der göttlichen Natur und sie
nahm gleichzeitig jene göttliche „Zeugung“ des ewigen Vaters in sich auf, und
zwar bis in die feinsten Zentren und Zellen.
2228 |
Ich bin in wunderbarer Weise aufgenommen in
dieses Geheimnis, nein ich bin jenes Geheimnis geworden. Um einen Vergleich zu
versuchen: Mein Sein ist zu einer „Kugel“ geworden. Eine Kugel ist von jeder
Seite gleich, überall gleich rund und es gibt keinen Unterschied. In ähnlicher
Ebenmäßigkeit harmonierte die menschliche mit der göttlichen Natur in Christus!
Nirgends war ein Mehr und nirgendwo ein Weniger an Göttlichkeit, weder am
Haupte noch am Fuße Christi. Wohl nimmt das Haupt am menschlichen Körper eine
höhere Stellung ein, aber die niedereren physischen Kräfte dienten in gleicher
vollendeter Harmonie und Ebenmäßigkeit der Inanspruchnahme durch die göttliche
Person. Die ganze menschliche Natur in Christus war „tragfähig gegenüber der
göttlichen Natur des Wortes“, und war wirklich „tragend die göttliche Natur des
Wortes“ und in diesem Sinne war sie „ganz Gott“841 geworden. So
lebte sie ausübend die göttlich-wesentlichen sittlichen Vollkommenheiten, die
in und mit der „Zeugung des Wortes“ gegeben sind. Der Vater zeugte nämlich in
der Zeit das göttliche Wort in eine menschliche Natur (nämlich in die
menschliche Natur Christi) und diese menschliche Natur lebte das Wort in jener
Vollkommenheit und wesenhaften Einheit mit dem Vater, wie er Es vor der Zeit
und seit Ewigkeiten gezeugt hat als die rein geistig-göttliche842
Person vor der Menschwerdung. Der Mensch Christus konnte also843 mit
vollem Recht sagen: „Ich tue immer den Willen des Vaters“ – in jener göttlichen
Vollkommenheit seines Hervorgehens oder seiner Zeugung vom Vater. Und diesem844
wesentlichen göttlichen Willen diente und845 lebte die menschliche
Natur Christi in göttlich-vollkommener Weise, weil dieser göttliche Wille von
der menschlichen Natur zugleich mit der Zeugung des göttlichen Wortes
aufgenommen und in gleicher Vollkommenheitshöhe mittels der menschlichen Kräfte
Christi846 vollführt wurde. „Dazu bin ich vom Vater gesandt worden –
als Erlöser und Mensch, um die Werke des Vaters zu tun“847 und zu
vollbringen, Werke in unmittelbarer göttlicher Vollkommenheit, aber vollbracht
durch das Werkzeug der menschlichen Natur, die dem Erlöser in einer seiner
göttlichen Art entsprechenden Form diente, um diesen göttlichen Willen
unmittelbar und zugleich mit der göttlichen Zeugung des Wortes menschlich zu
leben und zur gottmenschlichen Tat werden zu lassen. – Ich bin nun daran, gemäß
meiner unbegreiflichen Berufung dieses vom Vater gezeugte göttliche Wort
mittels meiner menschlichen Natur in menschlicher Form zu erleben. Ich bin das
und werde es immer mehr. Es gibt aber kein menschliches Wort, um diese
Tatsächlichkeit zu erklären. Mein Sein selbst ist mir unleugbare Bestätigung. –
Ich fühle mich, in einem schwachen Bilde gesagt, wie eine fliegende, geistige,
sich selber848 tragende Kugel; diese ist voll geistiger Einheit und
hat infolge ihrer Leichtigkeit und Geistigkeit die Erde verlassen und geht in
die Höhe, gefüllt wie ein Ball, aber mit Geistigkeit gefüllt und diese
Geistigkeit bin ich selbst infolge meines sublimen vergeistigten Wesens. Ich
selbst bin ein Geheimnis geworden.
2229 |
In diesem „Erleben“ als mein eigenes Leben ist
mein Sein ganz Verlangen, dies immer mehr noch zu erhöhen, zu vollenden und
ganz aufzugehen in diesem göttlichen Sein. Mein Leiden ist dies: Vollends die
göttliche Person des Erlösers als mein eigenes Leben aufzunehmen; denn weil ich
noch um viele Erhöhungsmöglichkeiten weiß, bin ich selbst in ein verzehrendes
Leiden des Verlangens nach jenem Ziele getaucht. So leide ich ein auf und
nieder von geistigen Bewegungen! Ein Widerstreben gegen meine frühere Lebensart
und ein verzehrendes „Hin“ zu den göttlichen Geheimnissen, die durch mich
selbst zu erfahren ich vorbereitet bin, und dann wieder ein bewusstes Erfassen
meiner selbst im schon erreichten (aber noch nicht ganz849
vollendeten) Zustand, indem ich selbst diese Existenz bin.
2230 |
In dem850 Zustand, in dem ich mich
jetzt erlebe, erfahre ich noch eine weitere Erhöhung, gleichsam eine
konsequente Auswirkung „meiner selbst“. Es steigert sich in mir eine feinere,
geistige Elastizität, der gegenüber mein bisheriger Zustand mir nun wie „starr“
vorkommt. Zugleich erlebe ich voraus eine solche Beweglichkeit und
Einfühlungsfähigkeit851 meiner Kräfte in die Realität der göttlichen
Person, dass ich mir gestehen muss: Noch bin ich nicht fähig, diese höchste852
Geistigkeit und Elastizität dauernd zu ertragen.
Abends!
2231 |
Ich schaue voraus: „Es kommen neue, große853
Leiden“. Ich bin aber in so854 großem Frieden und Einheit mit mir
selbst, dass ich unwillkürlich meine und mich frage, von welcher Seite diese
Leiden kommen müssten, dass ich sie wirklich als „Leiden“ empfinden könne. –
Ich bin nun voraus in einem wieder noch mehr „erhöhten Zustand“ versetzt, und
befinde mich – im Vorauserleben – in einer noch höheren „Ebene“ mit „mir
selbst“, die eine noch angespanntere Kräfteerhebung in mir fordert. Dabei kommt
mir von der höchsten Kraft in mir, die mich trägt, ständig die Anregung und
Frage, ob ich bereit sei, in solchem Grade und Maße mich erheben und gebrauchen
zu lassen, um zu jener Einheit und Harmonie zu gelangen, in der ich mich jetzt
im Voraus erfahre. – Meine Bejahung ist vollkommene Hingabe in diese ständige
göttliche Forderung, der ich jeden Augenblick gleichsam innerlich855
gegenübergestellt bin. Mein ganzes Sein ist Antwort im Sinne unbegrenzten „zur
Verfügung-stehens“ gegenüber jenen Geisteskräften, die mich leiten.
2232 |
Jene Geistesebene856, in die ich
erhoben bin, scheint mich zu erdrücken und aufzulösen. Mein ganzes Dasein wird
gleichsam auf die höchste Ebene und bis an die höchste Grenze und Ebene meines
Seins gedrängt und gehoben, wo sich dann alle Daseinsmöglichkeiten in
wirkliches „fertiges“ Sein „auflösen“, das mein tatsächliches Sein bildet.
Dieser Doppelvorgang ist wie zu einem857 zusammengeschraubt und
bildet ein ganz unerklärliches und unaussprechliches Leiden. Ich bin auf einer
Geistesebene und einer entsprechenden Vergeistigung, in der man nicht zu
„atmen“ braucht (um es irgendwie in einem Bilde auszudrücken); alles ist da
Geistigkeit, in die auch die physischen Kräfte derart eingeordnet werden; dass
alles „Niedere“ in mir vom Geistigen wie aufgehoben scheint. Und diese
vergeistigten Kräfte sind auf gleicher Ebene mit „mir selbst“, d. h. mit dem
Person-sein gestellt. Auf dieser Höhe und Ebene ist eine Harmonie ermöglicht858,
die ich als notwendig erfahre, um in der Dienstbarkeit gegenüber der mich
beanspruchenden Person zu bleiben. Die Bereitung aber zu dieser
Selbstdienstbarkeit ist wie ein Leiden eines noch mehr verschärften
Sterbensprozesses meiner früheren Naturanlagen. Diese Natur „protestiert“ nun
zwar nicht mehr gegen jenes höhere Eingreifen in mir – denn sie ist schon aus
dem eigenen Bewusstseinsbereich ausgeschieden – aber die Einführung ihrer
Anlagen in diesen erhöhten angespannten Persondienst verursacht doch eine
unsagbar feine Reaktion und damit ein zunächst geistiges Leiden, das mich auch
physisch durchdringt bis in die feinsten Zellen meines menschlichen Daseins.
Ich kann darum nicht sagen, ob ich mehr geistig oder mehr physisch leide, denn
beides greift in unerklärlicher Weise ineinander.
2233 |
Heute leide ich unaussprechlich, und zwar
sowohl seelisch wie auch859 physisch in einem unerklärbaren
Einheitsleiden. Ich bin wie zerrieben und zermalmt in mir selbst, und zwar von
„mir selbst“. Diese Leiden werden nämlich bewirkt durch die Geistesebene, in
der ich mich lebe. Es scheint noch manches unbewusste Selbstig-Frühere
ausgelöscht werden zu müssen, damit alles in mir immer vollkommener jener Höhe
angepasst werde, die keinen Untergrund zu haben, und ganz „Oberfläche“ zu sein
scheint. Ähnlich wie das Öl wegen seiner Leichtigkeit auf dem Wasser schwimmt,
so drängt auch infolge dieser geheimnisvollen vergeistigten Leiden mein ganzes
Dasein immer mehr in die Höhe zur vollen Anpassung an die Personkraft, die mich
lebt. –
2234 |
So ist in mir alles „oben“ an der Oberfläche
und auf der Linie, die ich selbst bin. Es ist etwas Wunderbares um diese
absolut „Eine“, dem alles eingeordnet ist, was an Verschiedenheiten im
physisch-psychischen Dasein, in den höchsten wie in den niederen Stufen der
Existenzmöglichkeiten, vorhanden ist. In dieser Einheit gibt es sozusagen
keinen Zwischenraum mehr, keine Abstufung, es gibt nur die eine selbstige Ebene
der Person und nichts außer dieser Ebene.
2235 |
Zeitweise ist mir, als ob aus diesem Eigenen,
Unerzeugten eine stets fliehende Quelle unsagbarer Reinheit in unüberbietbarer
Vollkommenheit mich erfasse, wobei ich wie gezwungen bin, sie aufzunehmen und
wie in einem Zuge auszuleben. Es ist ein geistiges Überströmen und Durchleben
meines ganzen Seins nach dem Maße und der Vollkommenheit des augenblicklich
Gebotenen; es ist wie ein Überfließen des Eigenen, an dem die ganze menschliche
Natur teilhat auf der Linie und nach dem Maße des Überströmens, worin alles
niedere Sein eingeordnet wird. Ich muss aber sagen: Es ist ein furchtbar
schmerzhaftes Erhoben-Werden auf diese Linie des Überströmens, von der alles in
mir erfasst wird.
2236 |
In diesem geheimnisvollen Vorgang vollzieht
sich zugleich eine gewisse Vollendung des Abschlusses meiner früheren,
gewöhnlichen Lebensart. Das erzeugte Lebenslicht und Wissen um mich selbst
weicht immer mehr einer anderen, tatsächlichen, schon fertigen und tätigen
Daseinskraft, von der als von meiner nunmehrigen wirklichen Daseinskraft alles
beherrscht wird. Gleichzeitig bin ich in einer nicht zu erklärenden
„Einsamkeit“ mit mir selbst. Wo ich bin, da ist kein Mensch und nichts
Geschaffenes, d. h., da gibt es keine Gesellschaft von Menschen und es kann
niemand an mich heran. Ich muss mir selbst genügen und es kann kein Bedürfnis
mehr aufkommen, jemand Ähnlichen, eine Zweiheit, um mich zu haben. Ich bin weit
weg von allem und von allen860, wie in einer Wüste, die mir aber
alles bietet, weil ich mir selbst alles bin und über allem stehe. Ich bin mir
selbst ein unwiederholbares Geheimnis, und zwar als Zustand.
2237 |
Heute bin ich zeitweise in großer
Ausgeglichenheit, dann wieder in Leiden, um einen Abschluss des oben
Beschriebenen zu erringen.
2238 |
Ich bin weit weg von allem Geschöpflichen, und
zwar wie in einem ständigen und dauernden Existenzzustand, der mir unbedingt
genügen muss. – Das große geistige Leiden liegt darin, dass mir, dem
geschaffenen Wesen, das an sich ganz andere Lebensbedingungen und Eigenschaften
hat, dieser rein geistige, sich ständig erhöhende Zustand genügen muss, und
dass ich ihn physisch und psychologisch aushalten und ihm standhalten muss. –
Zeitweilig fühle ich darum wieder große geistige „Beengungen“, weil alles in
mir wie auf einer „Nadelspitze“ zusammengedrängt scheint. Die Vereinfachung und
Verfeinerung meines Gesamt-Lebensprozesses erhöht sich ja fortwährend mit dem
erhöhten Besitzergreifen durch die göttliche Person des Wortes, das sich in mir
vollzieht. – Dabei ist es mir eine Erleichterung, nur dem jeweiligen Augenblick
hingegeben zu sein und diesem ganz zu leben. –
2239 |
Die Tiefe und Schwere meiner Leiden sind mit
keinem menschlichen Wort zu erklären. – Es vollzieht sich in mir eine
durchgreifende physiologische und psychologische Umstellung, die mein ganzes
Menschsein durchdringt. Wie ein mich verzehrender und vernichtender geistiger
Glutstrom durchzieht mich dieser geistige Schmerz, der mich wie in einen
ständigen Todeskampf versetzt. Es ist, wie wenn das ganze Nervensystem
gleichsam unterminiert würde. – Zwischenhinein bin ich dann wieder in eine
wunderbare Sublimität erhoben, die mich einem rein geistigen Wesen ähnlich
macht. So sehr werden meine physischen Kräfte einfühlig861 und
eingeordnet gemacht in jene geheimnisvolle Person-Tragkraft, dass sie ganz
darin aufgenommen scheinen, und zwar entsprechend ihrer kommenden Gebrauchsweise
durch jene Person. Die göttlichen Kräfte dieser Person arbeiten gleichsam im
Dunkel ununterbrochen und fordern meine Menschheit zu ihren Dienste an. Diese
Erfassung meines Menschseins durch Christus bedeutet aber ein beständiges
Sterben und Vernichtetwerden meiner bisherigen Daseinsart. Das Bewusstsein für
mich, d. h. nach dem Gebrauche eines gewöhnlichen Menschen, ist mir schon so
viel wie ausgelöscht und ich fühle mich dabei862 wie jemand, der
keinen Kopf hat und doch existieren muss; denn das Bewusstsein in Christus nach
der neuen Art meines Menschseins ist noch nicht aufgegangen. So liege ich
geistig, wie auf dem Sterbebett; ich bin zwischen zwei Welten oder in einem
Geistestunnel, wo die diesseitige Welt schon entschwunden ist und die andere,
jenseitige noch nicht durchgebrochen ist.
2240 |
Dieses schmerzhafte Leiden meines jetzigen
Daseins zeigt mir aber die Richtung an, in der das Ziel dieser geheimnisvollen
Umwandlung liegt: Ganz eingehen in das Bewusstsein Christi.
2241 |
Seit gestern bin ich ganz verändert. Die
großen Leiden sind in eine wundersame Ruhe übergegangen. Ich bin ganz frei von
irgendeiner863 Spannung physischer oder psychischer Art, bin ganz
wie ein Geist (in Wirklichkeit bin ich natürlich das nicht, sondern die
physische Natur ist der Geist-Natur so eingeordnet, als existiere überhaupt nur
diese). Die großen, geheimnisvollen Leiden haben diese wunderbare Umwandlung in
mir hervorgebracht.
2242 |
Heute, in St. Peter, war ich in einem
Vorauserleben über das Geheimnis in Christus: Wie entstanden – durch ein
Zusammenwirken von Göttlichem und Menschlichem – die „Gemütsbewegungen“ in der
Seele Christi? – Obwohl mir jener göttlich-physische Vorgang ganz klar war und
ich jenes Geheimnis mittels meiner eigenen Kräfte in ähnlicher Form „erlitt“,
kann ich trotzdem noch nicht darüber schreiben; es wird mir vielmehr dies
Geheimnis in noch höherer Weise zum eigenen Erlebnis werden.
2243 |
Ich bin in eine ständige864
Bereitschaft versetzt865, „mich vollends und für immer aufzugeben
und in das Bewusstsein Christi einzugehen“. Freilich ist dies ein geistiger
Vorgang, der in Worten nicht voll wiederzugeben ist. Doch mein
Gesamt-Menschsein scheint und ist mir derart umgestellt, dass ich diese
psychologische Folgerung erfahren kann.
2244 |
Ich bin in eine unbeschreibliche Art des
Mensch-Seins erhoben – und doch ist dies nur eine Vorbereitung auf den
endlichen Zustand „in Christus“. Heute „weiß“ ich um die Tragweite dieser
Vorbereitung, die dem endgültigen „Eingehen in die göttliche Person des Erlösers“
vorausgeht.
2245 |
Ich überschaue in diesem Zusammenhang die
Bedeutung der Hauptabschnitte in meinem bisherigen Leben. So wie alle Leiden
und Prüfungen und Läuterungen vor dem Verlassen meiner Heimat (1937) und dann
der weitere Kreuzweg mit der scheinbaren Erfolglosigkeit der Absichten Jesu mir
die Möglichkeit und die Gelegenheit bieten sollte, in das Innere Christi
einzugehen, so bietet mir der nunmehr erreichte solide Tugendhabitus die
Befähigung und die Kraft, um die kommenden Leiden des Erlösers ertragen zu
können.
2246 |
Schon lange (11 Jahre) zuvor hatte ich die
äußere Umänderung in meinem Leben (nämlich den Weggang aus meiner Heimat)
vorausgesehen, und zwar mit all den Opfern (soweit ich diese damals begreifen
konnte) und durch die ständige Erhöhung des Vereinigungszustandes in Jesus
wurde ich befähigt und erhielt ich die Gewähr, um diese meine schwere Lage
wirklich und tatsächlich tragen zu können. – Es ist auch alles Vorausgezeigte
buchstäblich in Erfüllung gegangen, soweit ich es mit meinem menschlichen Verstande
im Voraus hatte erfassen können. Gewiss erfüllte sich manches in Bedingungen,
Umständen und Verhältnissen, die ich Jahre voraus für unmöglich hielt oder die
meiner menschlichen Einsicht unbegreiflich und darum unklar866 und
nicht recht zu deuten schienen. Wir Menschen können eben nur die jeweiligen
Verhältnisse, von denen wir umgeben sind, als Grundlage und Voraussetzung für
die Erfüllung der Pläne und Wege und Absichten Gottes nehmen und erfassen,
während Gott mit der Zukunft und den darin gegebenen Umständen und
Tatsächlichkeiten rechnet, die uns verborgen sind. Darum ist es leicht möglich
und fast notwendig, manche Jahre voraus anders zu deuten, weil wir Menschen
infolge unseres beschränkten Verstandes nur mit den Verhältnissen der Gegenwart
rechnen können, auch wenn die Seele durch Gottes besondere867 Gnade
„schauend“ um Jahre vorausgeführt wird. Das in Gott Geschaute vollzieht und
bewahrheitet sich eben in anderen Verhältnissen und unter anderen Umständen,
die der menschliche Verstand nicht zu durchdringen vermag.
2247 |
Zudem verbirgt gewöhnlich auch Jesus manches
von seinen Absichten und Plänen, während die Seele meint, sie habe mit dem
Geschauten (das für sie vielleicht schon eine erdrückende Fülle ist) vielleicht
den ganzen Umfang der göttlichen Pläne mit allen Begleitumständen der
Ausführung schon erfasst. Gott lässt eben bei all seinen Absichten zur
Ausführung seiner Pläne den mit freiem Willen begabten Menschen als Werkzeugen
einen weiten Spielraum in unwesentlichen Bedingungen. In diesem Sinne scheint
hinsichtlich der Begleitumstände, aber nicht bezüglich der Sache und der
Offenbarung selbst, manches anders gekommen zu sein, als ich es im Voraus
verstehen und deuten konnte.
2248 |
Alle Gnaden und Offenbarungen vor dem Jahre
1937 boten mir zum Teil die Unterlage für die letztvergangenen sechs Jahre, d.
h., seitdem ich auf Antrieb des Heilandes von der Heimat fortgegangen bin.
Waren die Leiden dieser sechs Jahre auch so schwer, dass kein Menschenverstand
vorher sie hätte ermessen und überschauen können, so war ich doch durch den
damals schon erreichten868 und errungenen Vereinigungszustand mit
Gott in die seelische Verfassung und Disposition gebracht, dass ich diese
Leiden ohne zu unterliegen tragen konnte. Mit der Vereinigung mit Christus war
mir zugleich auch die sittliche Kraft gegeben, um durchhalten zu können, um im
Vertrauen trotz allem nicht zu wanken und um mich mittels der Leiden von Jesus
auf weit Höheres vorbereiten zu lassen, was noch der endlichen Erfüllung harrt.
2249 |
Heute nun „wusste“ ich immer wieder: Es „steht
mir jene Erfüllung seiner Absichten nahe bevor“, und es sei mir durch die
bisherige Vorbereitungszeit jener Habitus gegeben, der notwendig ist, um die
kommende Last seines inneren, gott-menschlichen Lebens (soweit es mich Jesus
erleben lassen will) ertragen zu können. – Darum ist mir auch innerlich, als
„könne ich nicht mehr weiter“ oder als stehe ich vor einer Schranke, die Jesus
selbst öffnen muss und durch die hindurch869 ich vollends in das
Geheimnis des gottmenschlichen Erlöserlebens eingeführt werde.
2250 |
Ich fühle mich so, als sei das „Herz“ alles in
mir, d. h. alles in mir hat nur eine Funktion, nämlich nur „da zu sein“ und
dieses „Dasein“ ist das „Sein“. Daher die unerklärliche, wunderbare Stille
meines Daseins, weil in diesem Dasein nichts zu „arbeiten“ braucht; (arbeiten
aber macht Geräusch).870 Das Sein allein ist aber höchste
unaussprechliche Stille, und Ruhe, und scheinbare „Untätigkeit“, weil das
„Sein“ allein genügt und alles in sich schließt.
2251 |
Heute habe ich durch eine ganz besondere Gnade
durch die Vermittlung Mariens eine bis jetzt nie erlebte allgemeine
Vervollkommnung meines Gesamt-Innenlebens erhalten. – Ich bat heute – am Feste
U.L. Frau vom Berg Karmel – vor der heilige Kommunion Maria, sie möge mir die Gnade
der seelischen Vollendung bringen. Ich will alles „von ihr“; wie Jesus sich
würdigte, alles irdische Menschsein von ihr anzunehmen, so erwarte ich eine
erneuerte Menschheit bzw. eine erneuerte Seele von ihr. Ich bat sie nicht nur,
dass sie mich mit ihrem Schutzmantel bedecke, sondern dass sie mir ihr Inneres,
ihre Fülle des Lebens aus Gott ganz zu eigen gebe. – Dies war freilich nicht
ein Beten mit Worten, sondern vielmehr eine Form des Teilnehmenwollens an ihrer
geistigen Gnadenfülle, eine Bereitschaftshingabe, um die Teilnahme an ihr zu
empfangen.
2252 |
Nach der heiligen Kommunion war ich dann in
einem Augenblick in einen wunderbaren Ausgleich meines Innenlebens erhoben, in
eine gleichsam „lückenlose Fülle“ meines geistigen Gesamtseins. Freilich ist
diese Steigerung in Worten nicht klarzumachen. Nun ist jede Bemühung
meinerseits um mich diesem mir höchstmöglich scheinenden Geisteszustand zu
erhalten (der mir so viele Jahre hindurch als Ziel und Aufgabe gestellt war),
zu einem vollkommen „mühelosen“ Selbstbesitz geworden. Bisher war immer noch
ein gewisses „Wollen“ und eine gewisse Bereitschaft für diesen Zustand
seelischer Einheit notwendig, obwohl ich ihn als scheinbar schon vollendetes
Ziel erlebt habe. Seit heute Morgen aber ist dieses in Worten nicht auszusprechende
Geheimnis zu meinem mühelosen Eigentum geworden. Es wurde mir damit eine
geheimnisvolle Gnade der Befestigung zuteil.
2253 |
Es ist aber jedes Wort vergeblich, um mich
selbst zu erklären, denn ich selbst bin nun das, was mir, ausgehend vom Zustand
und Habitus und in vieler871 Selbstbemühung langsam sich872
steigernd, nun als ganz außergewöhnliche Gnadenstufe gewährt wurde. Ich weiß
nun den Unterschied zwischen „Zustand“ (Habitus) und „selbst dies sein“[sic!] –
was noch eine gar nicht auszusprechende Erhöhung jenes vorherigen Habitus
bedeutet. „Zustand“ ist niedriger als „selbst das sein“[sic!], wobei man dies
ist als ureigenster Selbstbesitz. – Ich bin selbst die Fülle, ohne den Wunsch
nach einer Erhöhung zu empfinden, die nun scheinbar für mich unmöglich ist. Ich
habe an mir selbst genug und dieses Selbst-Sein ist mir vollkommenstes Genügen
und Befriedigtsein. Gewiss bin ich dies nicht als letzter Selbstzweck, sondern
alles dient meiner letzten Berufung, nämlich der Möglichkeit des Erlebens des
Erlöserseins Christi873. – In diesem Sinne bin ich selbst noch nicht
vollendet, sondern es wird mir „in Christus“ jene göttliche Lebensfülle zuteil,
der ich dienstbar gemacht werde in einer solchen menschlichen Dienstbarkeit,
dass ich die göttliche Erlöserperson erleben kann. –
2254 |
Jetzt erst erlebe ich mich im vollen Umfang
jener, mir am 16.07. auf die Fürbitte Mariens gewährte Gnade. Ich erlebe mich
„vollendet“ in jener Einordnung und Einfassung der physisch-psychischen Kräfte
wie in einem Selbstmaß der Einheit mit der göttlichen Person. –
2255 |
Die letztvergangenen874 Leiden und
Steigerungen führten mich ständig und immer intensiver ein in ein gleichsam
ausgeglichenes Kräfteverhältnis gegenüber der göttlichen Person Christi. Wohl
ist dieses Geheimnis in Worten nie ganz zu erklären und kann es nur durch
Selbsterfahren aufgenommen und voll erfasst werden, aber das Studium der
psychologischen Gegebenheiten einer „Person“ und der sie stützenden Kräfte der
menschlichen Naturanlage müsste es einigermaßen verständlich und erklärlich
machen.
2256 |
Mit der Naturanlage eines geschaffenen Wesens
ist auch eine entsprechende, an sich unbewusste Bemühung gegeben. Diese
vollzieht sich im Menschen entsprechend den Eigenheiten und augenblicklichen
Bedürfnissen seiner Person. Die Person „lässt sich gleichsam immerwährend
herab“ zu einer ständigen Wechselbeziehung und „Anteilnahme“ mit den physischen
Anlagen, die der Person als individuelle875 Grundlage zum Dasein
dienen. Es herrscht eine wunder- und geheimnisvolle Wechselbeziehung zwischen
den höchsten und niederen Kräften, die der Person zur Verfügung stehen und
ihren Bestand ermöglichen. Der Mensch erfährt diese gegenseitige Ergänzung und
Wechselbeziehung wie unbewusst als seine Naturanlage oder als Ergebnis seines
physischen Trieblebens oder als Auswirkung seines selbstigen Antriebes, sich
das zu verschaffen, was die Eigenheit und Eigenart seiner individuellen Personkraft
erfordert. Tatsächlich beruht dieser Antrieb auf einer ständigen, wenn auch
unwillkürlichen Bemühung, die hervorgerufen wird durch die fast niemals
ausgeglichene Spannung zwischen den geistigen und physischen Kräften im
Menschen. Infolge dieser Spannung kommt der Mensch eigentlich nie ganz in sich
zur Ruhe und vollen Ausgeglichenheit, weil die gefallene Menschheit mit ihren
selbstigen Bedürfnissen und Fähigkeiten einem ununterbrochenen
Angefordert-werden und Dienen gegenüber dem eigenen „Selbst“ unterworfen ist.
2257 |
Die Folge dieser ständigen Anforderungen durch
den selbstigen Antrieb der Person ist die Möglichkeit der Erhöhung – oder im
Weigerungsfalle der Herabminderung – des Wertes und der Leistungen einer
menschlichen Person. Diese Steigerung oder Herabminderung der Wertstufe kann
durch die Person selbst oder auch durch die ihr zur Verfügung stehenden und sie
im Allgemeinen stützenden Kräfte verursacht werden. Immer aber steht die
„Person“ im Mittelpunkt dieser Vorgänge und Tatsachen. Die Wechselwirkungen
zwischen den verschiedenen Kräften und Anlagen vollziehen sich im Rahmen der
Gesetze, die für das höchste, individuelle Kraftzentrum der Person gelten,
wobei der freie Wille den Ausschlag und die Entscheidung gibt. Freilich tritt
in den meisten Fällen die Kraftentwicklung des freien Willens nicht derart in
den vollen Bewusstseinsbereich der Person, dass der Wille eine absolute, völlig
unbehinderte und freie Entscheidung ausübe, aber das individuelle
physisch-psychische Triebleben verläuft doch immer entsprechend der allgemeinen
Richtung des Willens. Dabei wirkt schon das Verhalten der niederen Kräfte und
Betätigungen des Gesamt-Mensch-Seins mit, die den Willen schon beeinflussen und
in eine bestimmte Richtung „führen“, bevor es zu einer ausdrücklichen Entscheidung
kommt. In vielen oder in den meisten Fällen „wird der Wille nicht mehr
gefragt“, sondern der Gesamtantrieb wirkt sich aus im Sinne der im Menschen
schon bestehenden Richtung und der auf diese Weise sich gleichsam selbst
regierenden Anlagen. Im Allgemeinen „scheut sich“ die gefallene menschliche
Natur geradezu vor einer sich876 beeinflussenden und bestimmenden
Willensentscheidung; denn mit dem auf klarer Erkenntnis beruhenden und im
vollen Umfang sich selbst bewussten Willen wirkt immer auch das Gewissen des
Menschen mit, das Gnadengeschenk des Schöpfers, das auf das höhere,
übernatürlich Gute angelegt ist. Auf diesem Wege müsste es daher in fast allen
Fällen zu einer gottgewollten Entscheidung kommen. Tatsächlich ist aber jetzt
der Wille wie von vornhinein behindert und verdunkelt durch vererbte Anlagen,
durch Erziehungsmängel und auch durch die allgemeine Verflachung auf religiösem
Gebiet, die dem Menschen seines wahren und wirklichen Daseinszweckes selten
recht bewusst werden, und die ihm vom Schöpfer gegebenen gnadenreichen und
geheimnisvollen seelischen Anlagen recht zum eigenen Heil erfassen lässt.
Vielfach, wenn nicht für gewöhnlich, tritt des Menschen Bewusstsein bezüglich
des Zweckes seines Daseins und der damit gegebenen Folgerungen gar nicht recht
in Tätigkeit; daher die vielen Mängel in der sittlichen Führung und die vielen
Abirrungen vom letzten Sinn und Selbst des Menschen. Vielfach oder gewöhnlich
folgen die Menschen einem mit der Naturanlage gegebenen und durch die
gewöhnliche Handlungsweise immer mehr sich ausprägenden Trieb oder gleichsam
„Instinkt“, der sie sozusagen ihr ganzes Leben hindurch begleitet, ohne ihnen
so recht zum Bewusstsein zu kommen. So sind es vielfach die niederen Anlagen,
die den Menschen führen, wobei diese „niederen Anlagen“ nicht rein physischer
Natur zu sein brauchen, sondern mit ihrer tiefsten Wurzel in der Geist-Natur
liegen und erst in einem weiteren Sinne Anlagen der physischen Natur genannt
werden können.
2258 |
Die allertiefste Wurzel führt immer bis zur
Person selbst. Diese bildet schon in den ersten Anfängen die physische Natur
entsprechend ihrer eigenen Personanlage und passt sich die Leib-Natur
weitgehend an. Dadurch ist die Leib-Natur schon in den Dienst ihrer so
angelegten Person gestellt und ermöglicht ihr als Haupt- und Grundlage den
Bestand. Die Person als das Höchste im Menschen ist in sich selbst verwurzelt
und verlebt ihr irdisches Dasein mit allen ihr möglichen Wechselbeziehungen.
Gewiss ist dieser Bereich im Menschen beeinflussbar durch die Gnade Gottes und
wirkt sich ein allenfallsiger Gesinnungswechsel der Person entsprechend im
Gesamtleben des Menschen aus. Aber ein solcher Wechsel unter dem Einfluss der
Gnade Gottes kann nur durch die Autorität der Person-Kraft vollzogen werden,
wenn auch das Eingangstor für die Gnade die dienenden Kräfte des Gemütes, der
Vernunft oder des Verstandes bilden.
2259 |
Aber nicht allein geistige Vorgänge im Inneren
des Menschen bzw. in den Geist-Kräften der Person geben die Möglichkeit einer
Änderung der Werthöhe der Person; auch physische Einflüsse, die von außen oder
von der Umgebung kommen, können Auf- und Abstiege der Person beeinflussen und
herbeiführen. Rein physische Ereignisse wie Krankheiten, ja selbst Stöße und
Berührungen rufen eine Anteilnahme und Stellungnahme der höchsten Person-Kraft
hervor, die sofort mit ihrer eigenen Reaktion auf diese äußeren Einflüsse und
Einwirkungen antwortet. – Durch diese Reaktionen werden übrigens für die
anderen Menschen die Eigenart und der Wert einer Person erst erkennbar und sichtbar.
Da wir in das Geistige, Unsichtbare nicht unmittelbar eindringen können, sind
wir auf jene „Äußerungen“ und Reaktionen des Innern bei bestimmten Anlässen und
Gelegenheiten angewiesen und können nur durch Beobachtung dieser Reaktionen uns
in eine andere Person einfühlen und deren Werthöhe einigermaßen beurteilen.
2260 |
Es gibt nichts im menschlichen Leben, kein
Ereignis, das sich nicht irgendwie in der Person widerspiegeln und ihre
Stellungnahme hervorrufen würde. Die Person nimmt alle Eindrücke auf und unter
ihrer Herrschaft erfolgt dann die Gesamtwirkung als ihre Antwort. Sie bewahrt
auch diese Eigenerlebnisse gleichsam als selbsteigenen Vorrat auf, und diese
früheren Erlebnisse wirken wieder mit bei der Stellungnahme zu weiteren inneren
oder äußeren Einflüssen. So umkreisen gleichsam jene Ereignisse und Erlebnisse
ständig den Mittelpunkt des Menschen, den Person-Kern, und vermittels der – oft
nur unbewussten oder gleichsam instinktiven – Tätigkeit des Verstandes, der
Vernunft, des Willens bildet sich ein Zentrum von Möglichkeiten an Hinneigung
oder Ablehnung und Widerstreben gegenüber den ständig an den Menschen
herantretenden Ereignissen, die in Zu- oder Abneigung von der Person-Kraft
beurteilt werden. Auf diese Weise bildet sich das Gemütsleben des Einzelnen.
Die Person geht auf alles von außen nach innen Eindringende ein, ja man kann
sagen: Sie bekleidet sich gleichsam damit und lebt damit und so bringen auch
diese äußeren Vorgänge eine Erhöhung oder Verminderung der Werthöhe der Person
mit sich und ist der Mensch ständigen Veränderungen ausgesetzt. Auch die ganz
geheimen Selbsterlebnisse anlässlich früherer Ereignisse treten wieder zur
Außenwelt zurück, und zwar in einer Form und Stellungnahme, der die Person ihre
Eigenart aufgedrückt hat.
2261 |
Alle Eindrücke von außen, die mittels der
physischen und psychischen Aufnahmefähigkeit des Menschen zum Person-Zentrum
vordringen, werden letztlich beurteilt und gewertet von den Kräften der Person
durch ein gewisses geistiges „Befühlen“ und Betasten, dass ihr als unwillkürliche
Anlage gegeben ist. Die Person mit ihren Kräften „fühlt“ und empfindet jene
Eindrücke und Einwirkungen als sympathisch oder antipathisch, als Freude oder
Schmerz und diese „Befühlung“ nimmt sie jedem Geschehnis oder Gegenstand
gegenüber vor, der an sich herangebracht wird. Die daraus sich ergebende,
darauf folgende und antwortende Rückwirkung, Reaktion oder Stellungnahme der
Person zu solchen äußeren Einflüssen nennen wir das Gefühls- oder das
Gemütsleben.
2262 |
Die Person bildet sich aus diesem vielerlei
von außen einströmenden Eindrücken und Erlebnissen gleichsam ein Gewebe und
diese im Innern gefühlsmäßig verarbeiteten Erregungen kehren in irgendeiner
Form wieder zur Außenwelt zurück, machen sich als Äußerungen des Gemütslebens
der Umgebung bemerkbar und lassen den Charakter der betreffenden Person
erkennen und beurteilen. Im Grunde erweckt jeder Mensch Sympathie oder
Antipathie vor allem durch sein inneres, nach außen sich offenbarendes Gemüts-
oder Gefühlsleben, wobei er seine inneren Seelenvorgänge durchblicken lässt.
Durch die Äußerungen des Gemütslebens wird der „Charakter“ des Menschen
sichtbar, offenbart sich sein Inneres, das den Menschen liebenswert oder
abstoßend macht. Dies ist das Geheimnis des verborgenen Gemütslebens, das aber
nie ganz verborgen bleibt.
2263 |
Die früher von außen877
aufgenommenen, von der Person „befühlten“ und beurteilten Geschehnissen stapeln
sich gleichsam im Inneren des Menschen als sogenannte „Erlebnisse“ auf, bilden
eine weitere Fortsetzung des entsprechenden Gemütslebens und geben dem Menschen
gewöhnlich eine bestimmte Richtung. Die Person als oberste Kraft im Menschen
reserviert sich gleichsam diese sich anhäufenden878 Gemütserregungen
und richtet vielfach nach dessen Erfahrungen ihr ganzes Leben ein. In einem
gewissen Rückblick und Vorausblick trifft sie gemäß den gemachten Erfahrungen
auch entsprechende Entscheidungen, wie sie sich aus den schon verarbeiteten
Erlebnissen ergeben. Dieser Vorausblick und Rückblick unter dem Einfluss und
Urteil der Person prägt sich im Gesamtleben eines Menschen aus und ist das
Ergebnis der selbsteigenen Empfänglichkeit und selbsteigenen879
Beurteilung, mit einem Worte: Das selbstige Erlebnis einer selbstständigen
Person und ihres selbstigen Lebensantriebes, unter dessen Einfluss sich das
ganze Menschenleben abspielt. – Auch die Verschiedenheit der Personen zeigt
sich in jener tief verborgenen Erlebniskraft und Erregungsfähigkeit. Die
Veränderlichkeit der Empfänglichkeit und Beeinflussbarkeit bringt auch eine
Veränderung des Gemütslebens mit sich, wie ja auch die Person selbst in
ständigen inneren Veränderungen unterworfen ist. Das Gemütsleben, das sich –
neben der physischen Beschaffenheit des Menschen – auf den äußeren Einflüssen
aufbaut, kann auch die Eigenart der Person in Mitleidenschaft ziehen, ihr eine
größere oder geringere Werthöhe verleihen und damit die Gesamtrichtung eines
Menschen verändern, obwohl sich solche Veränderungen letztlich immer um den Pol
der Person selbst drehen.
2264 |
Bei gewöhnlichen Menschen liegt also dem
Gemütsleben neben physischen und äußeren Einflüssen die Eigenart der
menschlichen880 Person und ihre Veränderlichkeit zugrunde. – Ganz anders
war es bei Christus, dem Gott-Menschen, der ja die göttliche Person mit ihrer
göttlich-wesentlichen Unveränderlichkeit als tragende und beherrschende Kraft
zur Grundlage hatte. Und auf dieser göttlichen Unveränderlichkeit baute sich881
auch das menschliche Gemütsleben Christi auf. Die Eigenart der göttlichen
Person diente in allen Ereignissen und Erlebnissen des Menschen Christus als
„Befühlskraft“ und alles wurde entsprechend der Werthöhe der göttlichen Person
beurteilt (sonst hätte ja die zweite göttliche Person ihre göttliche
Wesenhaftigkeit und Unveränderlichkeit verleugnen müssen, was unmöglich ist, da
Christus dann im gleichen Augenblick nicht mehr wahrer Gott gewesen wäre). –
Entsprechend mit der göttlichen Person standen aber auch die Kräfte der Seele
Jesu auf gleicher, angemessener882 Höhe der Aufnahmefähigkeit
gegenüber den äußeren Ereignissen und Eindrücken in seinem menschlichen Leben.
Die Menschheit Christi war ja in allem eine vollkommenst ausgebildete
Menschheit, deren „Haupt“ die göttliche Person war. Diese bedurfte, als
Ergänzung der Kräfte und Tätigkeiten der Seele,883 Jesu, um
überhaupt ein wirkliches menschliches Gefühl hervorbringen und in einem wahren
Sinne leidensfähig sein zu können. Dazu war aber unverrückbare psychologische
Grundlage und Voraussetzung jene vollkommene harmonische Einfühlungsfähigkeit
der menschlichen Kräfte Jesu in seine göttliche Person. –884
2265 |
Das Gemütsleben Christi, der ein wahrer Mensch
war, bildete sich – auf der Werthöhe unter der selbstigen Urteilskraft der
göttlichen Person – in einem ähnlichen Vorgange wie bei unserem Gemütsleben.
Ähnlich wie es beim Menschen der Fall ist, „befühlte“ auch die göttliche Person
die äußeren Geschehnisse seines Lebens und unter dem Urteil der Person „erhob“
sich jene entsprechende Reaktion, die wir Gefühl oder in der Gesamtheit des
Gemütslebens nennen. Den Grad- und Wertmesser des Gemütslebens Jesu bildete
aber die göttliche Person mit der ihr eigenen göttlichen Werthöhe. Beim
gewöhnlichen Menschen wird aus verschiedenen Fehlerquellen vielfach nur eine
Abschwächung oder Umdeutung der von außen einstürmenden Ereignisse oder
Eindrücke die Person selbst treffen, weil nämlich Mängel in der
Aufnahmefähigkeit, Ablenkung oder auch uneingestandene Selbsttäuschung es
verhindern werden, dass die Ereignisse ihre volle, objektive Wirkung auf die
Person ausüben. So können sich die Wirkungen eines Ereignisses auf die Person
mannigfach verschieben und kann das Gemütsleben eines Menschen auf vielen
Selbsttäuschungen beruhen, wenn es getragen wird vom Urteil einer sozusagen
minderwertigen Person. Es können leicht Fälschungen in der Aufnahme der
einströmenden Eindrücke sich einschleichen, weil nämlich nur allzu oft die
physisch-psychischen Voraussetzungen und Aufnahmebedingungen des Menschen durch
irgendwelche Leidenschaften getrübt oder geblendet werden und weil der Mensch
in seiner Selbstsucht im Allgemeinen darauf885 bedacht ist, sich
selbst886 auf jeden Fall und unter irgendeinem Vorwand zu
rechtfertigen und damit vielfach zu täuschen. Aus diesem Grunde887
entspricht das menschliche Gemütsleben oftmals nicht der objektiven Wahrheit
und Wirklichkeit der bestehenden Tatsachen und Ereignisse. – In Christus aber
bestimmte die göttliche wesentliche Vollkommenheitshöhe der Person das
Gesamt-Gemütsleben und war dieses von der absoluten Wahrheit und Wahrhaftigkeit
getragen.
2266 |
Was aber das Gemütsleben Christi besonders von
dem Gemütsleben des gewöhnlichen Menschen unterschied, das ist die
Unmittelbarkeit der Aufnahme aller äußeren Eindrücke, Ereignisse und
Verhältnisse in seinem gottmenschlichen Leben. Bei uns Menschen machen die von
außen kommenden Eindrücke, durch die eine Gemütsbewegung hervorgerufen wird,
sozusagen einen „weiten Weg“; zwar kann dieser „weite Weg“ zeitlich in einem
Augenblick zurückgelegt werden, aber es gibt auf diesem Wege von außen bis zum
Person-Zentrum doch genug Fehlermöglichkeiten und Täuschungsklippen, die das
eindringende Objekt zu durchlaufen hat: Möglichkeiten der Abschwächung oder der
Übertreibung, eigene Unwahrhaftigkeit im Interesse der Eigenliebe, Trübung des
Urteils der Person unter dem Einfluss von Leidenschaften usw. Ferner ist das
Gemüt als etwas Geistig-Leibliches auch von der physischen Körperkonstitution,
und deren verschiedenen Einflüssen und Veränderungen abhängig und bedingt. – In
Christus war gewiss das Gefühlsleben auch an sein physisches Leben gebunden,
aber bei der Vollkommenheit seiner physisch–psychischen Reaktionsfähigkeit
konnte auch unter888 dieser Hinsicht sein Gemütsleben nur und ganz
jener objektiven Wahrheit und Wirklichkeit entsprechen, wie es dem göttlichen
Träger seines menschlichen Lebens, der Person des Wortes, zukam, von der das
Objekt aufgenommen wurde. Infolge der höchsten Einfachheit der Seele Christi
erfolgte überdies unmittelbar die Reaktion der göttlichen Person, und zwar ohne
Abschwächung, Ablenkung oder Zerstreuung.
2267 |
Der göttliche Seinszustand der Erlöserperson
gab das hauptsächlich Unterscheidende seines Gemütslebens und darauf beruht
auch das Charakteristische im göttlichen Geheimnis der inneren Leiden Christi.
Im Menschen ist Sein und Dasein zweierlei und darum erfordert auch bei ihm auch
das Gemütsleben ein inneres Produzieren. Die göttliche Person aber
„produzierte“ nichts, weil alle Seinsfähigkeit mit dem Sein selbst gegeben war.
Die physisch-psychische Aufnahmefähigkeit in Christus traf in unmittelbarer
Weise und augenblicklich die göttliche Person selbst und diese Unmittelbarkeit
war auch die Ursache der für einen gewöhnlichen Menschen unvorstellbaren und
nicht erreichbaren Intensität und Tiefe des Gemütslebens Christi. Die göttliche
Person selbst erfasste mit göttlicher Unterscheidungs- und Durchdringungskraft
alle Objekte und Geschehnisse in ihrer vollen und wahren Wirklichkeit und
diesem göttlichen Maße des Erfassens entsprach auch die Reaktion und
Rückwirkung auf die niederen physischen Kräfte, die das eigentliche
Gefühlsleben hervorzubringen vermögen. So wirkten auch hier im Innenleben Jesu
unmittelbar Göttliches und Menschliches zusammen, und zwar Menschliches, das
auf einer sittlichen Vollkommenheitsebene mit der das ganze Menschsein
tragenden göttlichen Person stand. – Ausgehend von dieser Tatsache kann man
sich in etwa ein Bild machen von der Erhabenheit und Tiefe des Gemütslebens
Christi, das vom Wesen Gottes selbst als dem Beurteiler seiner menschlichen
Geschehnisse und Eindrücke geleitet war. Im Augenblick des von außen kommenden
Einflusses reagierte die göttliche Person mit der ihr eigenen göttlichen
Vollkommenheit, und diese war auch das Maß und der Gradmesser für die Rückwirkung
auf jene physischen Kräfte Jesu, die zum Gemütsleben mitwirkten und die ohne
Abschwächung von jener Rückwirkung betroffen wurden; so brachte es die
wunderbare Lebenseinheit, die harmonische Einheit der göttlichen und
menschlichen Kräfte mit sich, die immer in der Person des Erlösers vorhanden
war und herrschte.
2268 |
Auch das Aufgenommensein in die göttliche
Person brachte für sich allein schon in der Auswirkung auf die heiligste
Menschheit Christi in ähnlicher Weise dauernde „Gemütsbewegungen“ hervor; denn
seine heiligste Menschheit war ja die „Erleberin“ des göttlichen Habitus und
stand immer und ganz unter dem Einfluss der göttlichen Natur des Wortes. Diese
wirkte dauernd auf die heiligste Menschheit, die ihr – in der Einheit der
Person – so innig verbunden war, wie es eben nur sein konnte und sein musste
bei der Ergänzung, die notwendig war, um ein wahres gottmenschliches Leben zu
ermöglichen und hervorzubringen. Die Vollkommenheitshöhe der menschlichen Natur
Christi gewährleistete dabei deren Erlebensfähigkeit gegenüber der göttlichen
Natur Christi, deren Auswirkungen sie ständig ausgesetzt war. Die göttliche
Natur wirkte sich auf das gesamte Mensch-Sein Christi aus und seine menschliche
Natur hinwieder als wahre menschliche Natur; gleich der unseren empfand jene
göttlichen Einflüsse und Auswirkungen mit der ihrer Vollkommenheit eigenen
Reaktionsfähigkeit voll höchster Feinheit und Tiefe.
2269 |
Heute bin ich in großem Frieden und doch – ich
muss sagen – in furchtbar schmerzlichen, geistigen889 Leiden. – Nach
jener Gnade vom 16.07., (nämlich der Einfühlungsfähigkeit meiner
physisch-psychischen Kräfte in jene Art der Einheit und Harmonie mit der
göttlichen Natur des Wortes), schien eine solche Einigung vollzogen zu sein,
dass keine Erhöhung mehr möglich wäre. – Aber wie der Goldschmied das Gold
unter großer Hitze auflöst, um dann dem Gegenstand die beliebige Form zu geben,
so erlebte ich in den letzten Tagen gleichsam eine neue Auflösung und
Verschmelzung meines ganzen Seins mit der Eigenheit und mit dem Wesen der
göttlichen Person. Diese selbst war gleichsam das Feuer, das diesen
Verschmelzungsprozess bewirkte, und all meine physischen und psychischen Kräfte
in diesen Prozess hineinzog, und zwar mit einer Unmittelbarkeit, für die es
keinen Ausdruck gibt. „Ich“ selbst war „der Schmelzende“ geworden, das Gold,
das in der Hitze wie zu einer Flüssigkeit geworden ist und nun den Prozess des
Flüssig-seins erleidet unter der Einwirkung des Feuers der göttlichen
Unmittelbarkeit. – Göttliche Unmittelbarkeit durchströmte mich wie ein
immerwährender Blitzstrahl und dieser durchdrang mein ganzes menschliches
Wesen. Dieser göttliche Blitzstrahl der Unmittelbarkeit mit ihm versetzte mich
in einer Pein, die einer furchtbaren Todesnot ähnlich ist und vor der es kein Entrinnen
gibt. Aber dieser durch den gottgewirkten Schmerz in mir verursachte Tod gab
mir ein anderes Leben des Geistes. In diesem Leben des Geistes bin ich ganz
verändert und wie bereitgestellt, um unmittelbar „das Leben des Erlösers als
mein eigenes zu übernehmen“.
2270 |
Das göttliche Leben wird mich derart
ergreifen, dass890 es zu meinem Leben wird, in dem die göttliche
Person des Erlösers sich wie als meine Person auszuwirken beginnt, nicht
wirklich, sondern geheimnisvoll übertragen, mystisch sich wiederholend. – Ich
bin diesem Übergang so nahe, dass ich es mit keinem Worte erklären kann. Ich
weiß nun auch die kommende Auswirkung seines Lebens in mir, aber es lässt sich
nicht beschreiben, weil „ich“ selbst dies zu unmittelbar bin und dies mein
Leben ausmacht. „Ich bin so – und werde das Sein“.
2271 |
Heute bin ich wieder in einem solchen Zustand
des Leidens, dass es scheint, mein Herz müsse mir stillstehen im Übermaß des
geistigen Schmerzes. Ganze Nächte schon dauert dieses geistige „Martyrium“ –
dies Wort kann ich ruhig dafür gebrauchen. Dabei sind die Leiden dargestellt,
dass ich dunkel schon ihre Folgerungen und Früchte voraus erlebe, und gerade
der Gegensatz zwischen dem in etwa vorauserfahrenen Ziel und dem davon
trennenden Abgrund der scheinbaren Unmöglichkeit versetzt mich in ein Leiden
und Martyrium, das einer Todesnot ähnlich ist. – Manchmal ringt sich dieses
Ziel zu größerer Klarheit durch: „Ich verliere meine Individualität“. Dabei
erlebe ich mich schon als losgelöst von dem eigenen Persönlichen und
eingegangen in eine Persönlichkeit ganz anderer Art, die von meinem Menschsein
aufgenommen wird. Um aber diese ganz andersgeartete Persönlichkeit ertragen zu
können, müssen meine physisch-psychischen Daseinskräfte ihr angepasst, der
eigenen Individualität entkleidet und „neutral“ gemacht werden und dies
geschieht mittels dieser Leiden, durch die mein Menschsein in eine sozusagen
neutrale, der begrenzten Individualität entbehrenden Menschheit umgewandelt und
dadurch bis ins Letzte der Eigenheit der göttlichen Person angepasst wird.
2272 |
Ich bin nun ganz klar in jene geheimnisvolle
Geistesrichtung versetzt: „Ich verliere meine Individualität“ und ich gehe ein
in „die Universalität des Wesens der göttlichen Person Christi“. – Ich kann
jetzt ganz gut die Verschiedenheit zwischen der Individualität der menschlichen
Person und der Universalität des Wesens Gottes, bzw. der göttlichen Person,
unterscheiden. Die Individualität der menschlichen Person grenzt diese in ihrem
Zuständigkeitsbereich ab und schafft einen entsprechenden begrenzten Umfang des
eigenen891 Befehlens und Selbstbeherrschens. In diesem eigenen Raum
des Befehlens gibt sie eine absolute und habituelle Uneinnehmbarkeit gegenüber
jeder anderen derartigen Abgrenzung. In diesem eigenen Raum baut sie sich
gleichsam ihr Dasein; alle ihre dienenden Kräfte nehmen zuständlich teil an
dieser selbstigen Heimeligkeit und Zusammengehörigkeit, und es müssen schon
ganz892 große Erschütterungen und Schwierigkeiten des Lebens
herankommen, um eine solche Zerrüttung in diesem eigenen Sein hervorzubringen,
dass die menschliche Person gleichsam eine Zerstörung ihres Daseinsbereiches
herbeiführen möchte. Das wird aber der Person nie gelingen, da sie nach dem
Plan des Schöpfers unzerstörbar mit der unsterblichen Seele vereint ist, und so
gehört es zu den größten Leiden dieses Lebens, wenn ein Mensch in die
furchtbare Situation gebracht wird, dass er sich von seinem eigenen
persönlichen Bestehen entfernen bzw. diesen Bestand auflösen möchte. (Es bildet
auch eine der größten Qualen eines Verdammten in der Hölle gerade jener
verzweiflungsvoller Wille zur Selbstvernichtung, um sich selbst und seinen
eigenen Qualen zu entgehen, während doch dies die furchtbare Strafe der
Verdammten ist, dass die Seele auf ewig an ihren Bestand gebunden ist.)
2273 |
Im Gegensatz zur Individualität der
menschlichen Person steht die Universalität einer göttlichen Person. Das Wesen
Gottes an sich überbrückt alle menschliche und geschaffene Raumbegrenzung,
lässt sich in keinen Bereich893 abschließen, übersteigt alle
irdischen und geistigen Grenzen, steht über allen. Die göttliche Person „baut
sich kein Haus“, um darin wohnen zu können, wie es die menschliche Person tut
und tun muss. Die göttliche Person „herrscht“ und umspannt in ihrer eigenen
Ungeschaffenheit die gesamte geschaffene894 Daseinswelt. Für sie
gibt es keine Abgrenzung, weder in ihrem eigenen Bereich noch außerhalb
desselben. Auch in ihrem eigenen Bereich „beherrscht“ sie sich in einer
grenzenlosen Art, nämlich in einer wesentlichen Selbsterfassung und
Selbstdurchdringung, während die menschliche Person auch in sich selbst immer
auf eigene Schwierigkeiten stößt. Das Wesen einer göttlichen Person ist wie ein
Strom, der sich ergießt und nirgends eine Hemmung finden kann. – In gleicher
Weise beherrschte die zweite göttliche Person auch ihren menschlichen Leib.
Auch in diesem an sich räumlich und zeitlich abgegrenzten Bereich war für die göttliche
Person, selbst ihrem göttlichen Wesen nach, keine Grenze möglich. Das göttliche
Wesen konnte sich nicht abschließen lassen auch nicht in einem begrenzten
Menschenleib, obwohl die göttliche Person anscheinend und auch wirklich die
Werke eines begrenzten Menschen hervorbrachte. So schien sie nach außen durch
den Leib und die menschliche Natur im Allgemeinen begrenzt – und sie hielt sich
auch im Wirken im Allgemeinen an die Grenzen und Gesetze der menschlichen Natur
– aber sie konnte nie in ihrem eigenen Wesen begrenzt werden; auch in ihrem
menschlich begrenzten Funktionsbereiche bewahrte sie ihre ganze ewig-göttlich
wesentliche Unbegrenztheit in sich selbst.
2274 |
Diese Universalität der göttlichen Person
hatte aber entsprechende Auswirkungen und Folgerungen für, die heiligste
Menschheit Christi und bildete deren physisch-psychische Existenzkräfte zu
einer gewissen895 Art der Unbegrenztheit aus. Gewiss blieben die
Kräfte der menschlichen Natur Christi in sich menschlich begrenzt, aber infolge
der göttlichen Anlage und Universalität der göttlichen Person bildete sich
schon896 im Augenblick der Menschwerdung des Wortes eine wunderbare
Abrundung all ihrer Kräfte, eine gewisse entsprechende Dehnbarkeit, Elastizität
und habituelle Anpassung gegenüber der wesentlichen göttlichen897
Universalität in ihr aus, sodass sie den Auswirkungen der göttlichen Natur
(Person)898 gegenüber in keine Unmöglichkeit oder Hemmung kam. Und
die „Dehnbarkeit“ der heiligsten Menschheit Christi „wuchs“ mit ihrer
Einfügungskraft in die göttliche Person. So bildete sich eine ganz wunderbare
Elastizität der heiligsten Menschheit aus, die es ihr möglich machte, die
„Universalität“ der göttlichen Person, und zwar als ihre Person zu ertragen.
2275 |
Das Geheimnis der „Universalität“ Gottes
wirkte sich auch in der heiligsten Menschheit Christi insofern aus, als
ebendiese Menschheit durch die hypostatische Union mit dem Worte899
– anstelle der gewöhnlichen menschlichen Individualität in einer gewissen
„Neutralität“ – den Charakter eines ganz andersgearteten, vollständig
verschiedenen Daseinszweckes und Daseinsbereiches aufnahm. Der Daseinszweck der
heiligsten Menschheit war eben, der göttlichen Person des Wortes eine irdische
Daseinsmöglichkeit zu bieten, den Erlöser zum Heil der gesamten Menschheit zu ermöglichen.
Um diesem Zwecke dienen zu können, wurden die Kräfte der heiligsten Menschheit
Christi in die höchste Universalität eingeführt und erhielten sie dort einen
entsprechenden Daseinsbereich; dadurch waren sie befähigt, sich der göttlichen
Person des Wortes zur vollkommenen Dienstbarkeit zu überlassen oder vielmehr
diesen Dienst an der göttlichen Person im Bereich ihres besonderen Zweckes zu
übernehmen. Somit erhielt die heiligste Menschheit Jesu jene bestimmte und
besondere Eigenheit der Erlösermenschheit, ähnlich wie eine gewöhnliche
Menschheit ihrem900 individuellen Beruf, beispielsweise dem
Mutterberufe, dient und angepasst ist. Die an sich „endliche“ und für eine in
sich abgeschlossenen Daseinsbereich angelegte Menschheit Christi wurde ständig
in den unmittelbaren Dienst eines unendlichen Zweckes eingeordnet und
eingefasst und insofern und infolgedessen nahm sie in einem wahren Sinne an der
göttlichen Unendlichkeit teil. Wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte die
Menschheit Jesu unter dem Druck des unendlichen Wesens der göttlichen Person
erliegen und erdrückt werden müssen. – Die Menschheit Jesu war daher im
Allgemeinen schon im Augenblick ihres Entstehens den durch die hypostatische
Union an sie gestellten Forderungen preisgegeben und hingegeben und nahm die
Eigenheiten der göttlichen Universalität insoweit in sich auf, dass sie der
göttlichen Wesenheit der Person des Wortes, daran in gewissem Sinne
teilnehmend, dienstbar sein konnte. Infolge dieser Teilnahme an der göttlichen
Wesenheit hob sich die Menschheit Jesu gleichsam aus diesem gewöhnlichen901
Leben heraus und sie wurde eingeführt in eine göttliche Atmosphäre; dies aber
nicht so, dass sie damit die menschliche Lebensart verlassen hätte, sondern
insofern als ihr wirkliches und tatsächliches Menschenleben in die göttliche
Universalität hineingezogen wurde und dieser als wirkliche Menschheit so zur
Verfügung stand, dass [das] Göttliche und Menschliche in ihr zur Auswirkung
kam.
2276 |
Es scheint zwar unglaublich, aber es
entspricht meinem eigenen Erleben: Infolge der großen Leiden der vergangenen
Woche bin ich wie aus mir selbst, d. h. aus der früheren Art des Lebens,
herausgehoben worden; ich habe die Heimeligkeit und Abgrenzung meiner früheren
Individualität sozusagen ganz verloren und bin in einen neutralen Seinszustand
erhoben, in dem ich durch andauernde Übung immer mehr und tiefer eingeführt
werde. Ich habe mich, um menschliche Worte zu gebrauchen, „von mir selbst
entfernt“ und dafür gehe ich ein in eine unbegrenzte, führende Kraft. Dies bedeutet
aber das Aufgeben des Höchsten im Menschen; man kann sagen, das Aufgeben eines
Naturgesetzes und einer Naturnotwendigkeit – was mir aber ersetzt wird durch
unbegrenzte Fülle des Seins. –
2277 |
Ich leide sehr unter geistiger
„Raumlosigkeit“; es gibt in mir keine Begrenzung, die mir ein wenig eine
(bisher gewohnte) „Ruhemöglichkeit“ gewähren könnte. Ich bin mir selbst „zu
weit, zu groß“ wie ein uferloses Meer, ohne „Halt“ und ohne Untergrund. Diese
endlose Weite steht anstelle der bisherigen „Stütze“ meines Daseins, und daran
muss ich mich erst gewöhnen; die Raumlosigkeit muss zur selbstigen Tragkraft
werden dadurch, dass meine seelischen Kräfte ihr angepasst werden und ich sie
als „meine selbstige Eigenheit“ ertragen kann.
2278 |
Infolge dieser unaussprechlichen geistigen
Raumlosigkeit, in die mein ganzes Menschsein hineingezogen wird, entferne ich
mich von dem „Ufer meines früheren Seins“ – so ähnlich muss es sein, wenn ein
Schiff den sicheren Hafen verlässt und sich dem Meere übergibt. – Ich verlasse
die bisherige oder besser gesagt, den bis jetzt noch wie im Unterbewusstsein
wirksamen Rest der Selbststütze nach früherer Art; ich entferne mich nun auch
von diesem Rest und bin sozusagen vollständig dem Geist-Strom einer in sich
endlosen Kraft überantwortet. Ich habe das eigene Ufer verlassen und bewege
mich auf dem Meere einer in sich uferlosen Geisteskraft. Damit treten auch für
mein Mensch-sein jene Folgerungen ein, die dieses Verlassen des Eigenen mit
sich bringt: Mein Menschsein ist dieser universalen Geisteskraft überantwortet
und diese ist zu meiner Lebensstütze geworden. Ja, ich kann feststellen: Diese
universale Geisteskraft kann meinem Menschsein als Lebensstütze dienen, weil
meine Lebensmöglichkeiten schon in sie eingelebt sind; wir sind zu einem
geworden. – Ich lebe „als diese endlose902 Geisteskraft, die mich
trägt“, ich bin zu ihrem sein geworden; aber dieses Sein ist ganz verschieden
vom gewöhnlichen Menschsein.
2279 |
Nun erfasse ich, wie viele Stufen notwendig
waren, um diesen Schritt ins endlose Meer machen zu können, wie viele
Vorbedingungen des Selbst-Verlassens vorausgingen. Jetzt bin ich aber wie
jemand, der ohne festes Rückgrat „stehen“ kann, (was einem Menschen unmöglich
ist), oder mit einem anderen Bilde gesagt, ich bin wie ein Körper ohne Knochen,
aber doch fest gefügt; doch im Grunde ist mein Zustand unaussprechlich. Dieses
nach menschlichen Begriffen „stützenloses Sein“ genügt sich selbst und ist sich
selbst „Stütze“, d. h., es genügt, so zu sein. Das Sein selbst ist als alleinige
Selbststütze genug. Es ist wunderbar, erfahren und feststellen zu können, in
welch weittragender und vollkommener Weise ein Menschsein mit seinen
menschlichen Fähigkeiten dieser göttlichen, unendlichen Tragkraft eingeordnet
werden kann, wie vollkommen und harmonisch eine Menschheit in diese göttliche
Kraft aufgenommen werden kann, ja, sich mit ihr zu einem Leben zu verbinden
vermag. Jetzt erst kann ich das Geheimnis der wahren Wirklichkeit der
hypostatischen Union erfassen, in welcher die Menschheit von göttlichen Kräften
durchlebt war und wirklich der göttlichen Person dienstbar sein konnte, wobei
aus beiden Elementen, aus Göttlichen und Menschlichen, ein wahres menschliches
Leben und der Herrschaft und Tragkraft der göttlichen Person und infolge dessen
auch zugleich ein wahrhaft göttliches Leben in Christus möglich war und
tatsächlich gelebt wurde.
2280 |
Nun bin ich wirklich „entfernt“ von meiner
früheren Lebensart und bin einem anderen Sein überantwortet, das nun mein
Selbstsein ist. Ich bin von einer endlosen Geistigkeit durchlebt, die ich
selbst bin. Wenn ich mich aber in dieser neuen Situation als mein Sein „so“
erfasse, dann erfasse ich im gleichen Augenblick auch die entsprechenden
Konsequenzen als selbstige Auswirkungen: Ich bin diesen Konsequenzen ausgesetzt
als meinen kommenden Lebensbedingungen. Mein Gesamt-Menschsein wird eingefasst
unter dem Einfluss dieser neuen Lebensbedingungen; es „strömt hin“ zu diesem
Zentrum, zu meinem Zentrum, dem ich ganz ausgeliefert werde. Ich werde dieser
mich tragenden Kraft ausgeliefert, bin von ihr beansprucht, erlebe mich in
dieser Anspruchnahme903. Anders kann ich die jetzige Stufe nicht
beschreiben, als mit den Worten: Ich erlebe mich in dieser göttlichen
Anspruchnahme eines Gesamt-Menschseins. Es ist dieses jetzige „Werden“ eine
Zwischenstufe, die als Ziel und nächste Auswirkung hat: die letzte
„Beschlagnahme“ durch die göttliche Person des Erlösers, wodurch ich vollends,
in einer nachgebildeten, mystischen Form, in das „Bewusstsein Christi“ eintrete.
2281 |
Ich leide noch unter den neuen, so ganz
anderen geistigen „Lebensbedingungen“. Ich meine: So ähnlich muss es auch St.
Petrus zumute gewesen sein, als der Herr auf dem Meere ihm zurief: „Komm!“, und
als dann Petrus auf den Wellen ging und glaubte, darin versinken zu müssen. So
zittern auch mir gleichsam die „Füße“, weil ich meine, ich müsse in der für
einen Menschen zunächst unerträglich scheinenden Geistigkeit versinken.
2282 |
Heute Morgen in der Kirche „Al Gesu“ war ich
durch besonderen göttlichen Einfluss wieder neu in eine entsprechende
Bereitschaft versetzt, mich ganz und für immer den Auswirkungen der göttlichen
Person des Erlösers zu überlassen.
2283 |
Gestern und heute ganz außerordentliche,
schwere Leiden. –
2284 |
Im Erfassen der Früchte der letzten Leiden
klärt sich mein Innenleben etwas auf. Zwischen hinein aber904 leide
ich sehr unter jener „Trennung“ von meiner früheren Seinsart. Diese Trennung
wird immer intensiver wirksam dadurch, dass immer mehr eine psychophysische
Zusammenfassung und Einbeziehung meiner Kräfte in das Zentrum meines neuen
„Seinszustandes“ erfolgt. Dieser neue „Seinszustand“ fordert all meine
Daseinskräfte nach seiner Art an und dadurch bildet sich immer mehr jene
Trennung und Entfernung aus gegenüber dem früheren, gewöhnlichen, zweiartigen
Zustand des Menschen (Sein und Dasein), und ich selbst bin in diesen Zustand
und dessen Konsequenz versetzt. Von dieser tiefen, in Worten nicht
auszusprechenden Konsequenz, ist mein Gesamt-Menschsein betroffen, ja ich muss
sagen: Jeder Nerv empfindet diese allgemeine Änderung mit und wirkt mit an der
Bestandsmöglichkeit dieser meiner neuen Lebensform.
2285 |
Jetzt sehe ich das905 alles neu
bestätigt, was ich früher erfahren habe und auch schreiben konnte über das psychologische
Geheimnis des Menschen. Das gesamte Menschsein, alle physischen und psychischen
Kräfte wirken, als tatsächliche Personstütze, mit an der Bestandsmöglichkeit
„der Person“. Somit steht das Gesamt-Menschsein jeden Augenblick unter der
Einflussnahme der Person selbst, während die Person ihrerseits jeden Augenblick
ihre Bestandsmöglichkeit von den ihr zu Diensten stehenden physischen und
psychischen Kräften anfordert. – Ich bin nun ganz unter die tatsächliche
Wirkkraft meiner selbst gestellt, ja, ich erlebe mich – um ein menschliches
Wort zu gebrauchen und es durch einen Vergleich mit der Lebensmöglichkeit einer
menschlichen Person auszudrücken – „als den906 Erzeuger meiner
selbst, d. h. meines Bestandes“. Die Person-Art fordert durch sich selbst in
ihrer Art die ihr zu Diensten stehende Bestandsmöglichkeit an. Hier liegt der
Unterschied zwischen göttlicher und menschlicher Person und hier liegt der
Schwerpunkt im Geheimnis der hypostatischen Union. Die menschliche Person
„wird“ gleichsam immer „neu“ und zeugt sich selbst ihren Bestand aufgrund ihrer
immerwährenden selbstigen Veränderungsmöglichkeiten, aber auch ständig nach der
Art und Grundlage ihrer Selbsteigenheit, die sie trotz ihrer gewissen
Veränderlichkeit für immer beibehält. Die göttliche Person aber fordert in
ihrer göttlich-unveränderlichen Art ihre Menschheit an, die Ihr, als dem
„Gottmenschen“, eine so wie in jeden Menschen vorhandene Bestandsmöglichkeit
bieten sollte – weil eben die zweite göttliche Person „Mensch“ werden wollte. –
Die göttliche Person behielt ihre göttliche Eigenheit bei und auf dieser ihrer
göttlich-wesentlichen Höhe forderte sie ihre Menschheit als ihre „menschliche
Bestandsmöglichkeit“ an. Ihre menschlichen Kräfte standen auf gleicher Höhe der
Funktionsvollkommenheit (– nicht nach ihrem Sein und Wert an sich selbst –) mit
der Wesenheit der göttlichen Person, weil nur auf der Grundlage und nach
Maßgabe der „Person“ ein menschliches Leben möglich ist. Anderseits blieb die
Grundlage für das Mensch-sein in Christus die gleiche wie im gewöhnlichen
Menschen – nämlich die eines „geschaffenen Menschen“ – aber infolge der
göttlichen Wesenheit der Person änderte sich in gewisser Hinsicht die dieses
Mensch-sein. Die im Person-Dienst stehenden Bestandskräfte im Menschen Christus
wurden nämlich von der göttlichen Personkraft, also von der göttlichen Höhe aus
und entsprechend der göttlichen Vollkommenheitsebene angefordert und
beansprucht, aber doch in der gleichen ihnen natürlichen Betätigungsform wie im
gewöhnlichen Menschen. Die Funktionen und Auswirkungen der menschlichen Kräfte
blieben im Wesentlichen die gleichen wie im gewöhnlichen Menschen, um nämlich
ein wahres Mensch-sein zu ermöglichen, aber nicht in dem Sinne, dass sie – wie
beim gewöhnlichen Menschen – auch ein Person-sein ermöglicht hätten. Die Person
in Christus war ja eine ungeschaffene, ewige, göttliche Person, die von
Ewigkeit und auf ewig unveränderlicher Grundlage besteht. Die gesamte
Menschheit Christi war auf diese göttliche Person-Art eingestellt und dieses
Mensch-sein entsprach darum ganz dem Wesen der „Person“ selbst. Die
Tragfähigkeit der physisch-psychischen Kräfte Jesu reagierte nur entsprechend
der Eigenheit und Vollkommenheit der Person selbst. Die menschlichen Kräfte
Christi standen unmittelbar im Dienste der göttlichen Person als Vermittler
seiner menschlichen Daseinsmöglichkeit907, ja, man kann sagen
„Erzeuger des menschlichen Daseins Christi“ vermittels ihrer natürlichen
Funktionen, die aber auf gleicher Vollkommenheitshöhe mit der göttlichen Person
sich betätigten. Auf dem Gebiete der Vollkommenheit Gottes gibt es ja kein
Mittelding, keinen Zwischenraum, keine Verminderung oder Zwischenmöglichkeit.
Die Wirkung der göttlichen Personkraft in Christus war eine unmittelbare und
augenblickliche auf der Höhe ihres göttlichen Seinszustandes. Diesem göttlichen
Seinszustand der Person Christi entsprechend reagierten unmittelbar seine
physisch-psychischen Funktionsbereiche ohne irgendwelche
Abschwächungsmöglichkeit gegenüber der göttlichen Vollkommenheit der Person.
Die göttlich-wesentliche Eigenheit des Wortes übte – auf der göttlichen
Vollkommenheitsebene – eine direkte, unmittelbare Inanspruchnahme der
menschlichen Natur Christi aus. Die physisch-psychischen Kräfte Christi nahmen
unmittelbar das Wesen des göttlichen Seins der Person als des reinen Aktes in
sich auf, und zwar mit allen sich daraus908 für eine menschliche
Natur ergebenden Folgerungen; mit der Person selbst war alles da, um ein
Menschenleben vollkommen zu machen. Die menschliche Natur musste diese göttliche
Wesenheit „tragen“ und musste zugleich deren Auswirkungen und Reflexe einer
menschlichen Anlage gegenüber auf sich wirken und sich dazu gebrauchen lassen;
daraus bildete sich dann durch die Reaktionen oder Rückwirkungen, wie sie eben
den Eigenheiten einer geschaffenen, menschlichen Natur entsprachen, ein
wirkliches und tatsächliches Menschenleben und im Besonderen ein wahres
Gemütsleben in Christus aus.
2286 |
Die heiligste Menschheit Christi trug in
wirklicher Betätigung ihrer Kräfte und Anlagen die Auswirkungen der göttlichen
Person und wurde somit zum Ermöglicher des gottmenschlichen Erlöserlebens
(während im gewöhnlichen Menschen die physio-psychischen Kräfte auch die Person
selbst stützen und ihren Bestand ermöglichen). – Die Reaktion der menschlichen
Kräfte und Anlagen als deren normale menschliche Funktion traf wiederum die
göttliche Person (als deren909 Träger) und so wurde die göttliche
Person selbst zum Erleber und Erleider des menschlichen Lebens und einer
geschaffenen Menschheit. In diesem Sinne boten die physisch-psychischen Kräfte
Jesu der göttlichen Person des Wortes die menschliche Daseinsmöglichkeit als
wahrer Mensch, und auf diese Weise bildete sich auch das Gemütsleben Jesu. Weil
aber Christus die vornehmste, vollkommenste, feinfühligste (eben für die
besondere Aufgabe geschaffene) Menschheit trug, kann man sich910
auch in etwa die entsprechende Vollkommenheit und Tiefe der Rückwirkung seiner
physio-psychischen Kräfte auf die göttliche Person selbst ermessen oder ahnen.
So war Christus der Träger der vornehmsten und in jeder Beziehung
vollkommensten Menschheit.
2287 |
Obgleich aber die menschliche Natur Christi
von der göttlichen, wesentlich-unveränderlichen Person des göttlichen Wortes
getragen war, so war sie doch gleich unserer menschlichen Natur ständigen
Veränderungen und dem Wachstum ihrer Kräfte ausgesetzt. Es war in Christus
nicht so, dass seine heiligste Menschheit immer auf dem ersten freilich schon
der göttlichen Person entsprechend911 angepassten Zustand stehen
geblieben wäre, den sie im Augenblick der Menschwerdung, also ihrer Erschaffung
hatte, dass sie also keine Entwicklung oder kein Wachstum erfahren hätte oder
sich der göttlichen Natur in einem ständig gleichbleibenden Zustand und Grade
betätigt hätte. Im Gegenteil sind die Anlagen und Kräfte der menschlichen Natur
Christi gegenüber den Anforderungen der göttlichen Natur der Person des Wortes
ständig gewachsen von der Menschwerdung bis zum Kreuze; so war auch Jesus
heiligste Menschheit gleich der unseren ständigen Veränderungen unterworfen und
steigerten sich und seine Leiden wuchsen immer mehr an Ausdehnung und Tiefe bis
zu ihrem Höhepunkt am Kreuze.
2288 |
Ich erfasste diese Tatsache im Zusammenhang
mit einem tieferen Erleben der Gemütsbewegungen Christi. Die göttliche Person
erfasste zwar im Augenblick der Menschwerdung in Maria die gesamte
Lebensmöglichkeit des menschlichen Daseins, aber sie hielt sich trotz ihrer
göttlichen Unendlichkeit doch in ihren Auswirkungen immer an die Grenzen und
Gesetze der menschlichen Natur. – Obwohl ich dieses Geheimnis tief erfasste,
kann ich mich in Worten noch nicht vollends erklären.
2289 |
Immer mehr weicht nun „mein Mensch-sein“ vom
Wege meines persönlichen Menschseins ab, wenn es auch im gewöhnlichen Bereich
mit der Entfernung von meinem eigenen Persönlichen in eine gewisse
„Neutralität“ eingegangen ist. Ich weiß aber: Dieser Neutralitätszustand ist
nur ein Übergang und ist die Brücke, die mich in das Persönliche Christi
überführt.
2290 |
Diese Neutralität ist ein großes Leiden, ja,
ist mein jetziges Leiden. Jener selbstige Ruhepunkt, der im Wesen meiner Person
lag (und im Grunde immer liegt), ist überschritten, ist ausgeschaltet, bietet
mir keinen selbstigen Halt mehr. Die Vorbedingungen und Voraussetzungen für
diesen meinen persönlichen Selbstdienst sind gleichsam gelöst und ich bin der
Grundlage meines Selbststandes enthoben. Jene Fähigkeiten, die mir den
Selbststand nach früherer Art, Grundlage und Eigenheiten912 boten,
sind übergeführt auf eine andere Art des Persondienstes, worauf mein Gesamt-Menschsein
hingeordnet wird.
2291 |
Ich kann nun den unüberbrückbar scheinenden
Unterschied zwischen meinem früheren und meinem jetzigen Leben erfassen und
verstehe, wo der wesentliche Unterschied liegt. Er liegt in der Eigenheit des
Persondienstes. Ich bin über das gewöhnliche Menschsein hinausgehoben und auch
über die Art der gewöhnlichen Lebensbedingungen bezüglich des Schlafes, des
Essens usw.913 Die Vergeistigung meines Menschseins ist derart und
die physische Natur ist so in das Geistige hineingehoben, dass sie z. B.
überhaupt nicht zu dem gewöhnlichen „Genuss“ des Schlafens kommen kann. Ebenso
ist es mit dem Essen. Hinwiederum wird der Mangel an der entsprechenden,
gewöhnlichen Ruhemöglichkeit zu einem mehr geistigen als physischen Leiden. Das
Innenleben, das Geistige tritt ganz in den Vordergrund, eben entsprechend der
Art und Anlage der Person, der auch die niederen Kräfte voll dienstbar gemacht
werden. Man kann sagen: Die physischen Kräfte werden wie in eine Geisteskraft
umgewandelt, zwar nicht wirklich, aber infolge ihrer neuen Dienstbarkeit
gegenüber einer anders angelegten Person, die sich als Selbst-sein vollständig
in der Geisteskraft bewegt. –
2292 |
Ich werde ständig in mir selbst erfasst,
beschlagnahmt und hineingezogen vom eigenen Zentrum, das anstelle meines
früheren getreten ist, und so werde ich allmählich zum Erleben dieses neuen
Zentrums als meines Selbst hinübergeführt. – Ich bin ganz hineingehoben in das
kommende Leben als Auswirkung der göttlichen Person des Wortes. Ich „weiß“ um
die Auswirkung dieser nunmehrigen selbstigen Kraft in mir, aber es ist dies in
Worten nicht auszusprechen. Die göttliche Person des Wortes nimmt mich für
diese Auswirkung auf der Grundlage meiner Dienstbarkeit an seiner Person.
2293 |
Ich bin immerwährend dieser Dienstbarkeit
überantwortet. Zwar noch nicht wirklich, aber in Einübung für das kommende
Leben und ich bin ständig „dem“ gegenübergestellt mit der Forderung jener
Bereitschaft, ganz und für immer der göttlichen Person des Erlösers zur
Verfügung und zu Diensten zu stehen, um jene Auswirkungen seines
gottmenschlichen Erlöserlebens als mein914 eigenes Erleben und
Erleiden in mir zu erfahren.
2294 |
Morgens: Es ist nur eines in mir: Die Spitze,
die ich selbst bin.
2295 |
Nachmittags: unaussprechliche Leiden.
2296 |
Wie kann ich noch leben unter einer solchen
Last von915 Leiden, die auf mir liegt?
2297 |
Es ist wie eine unaussprechliche, schmerzhafte
physio-psychologische916 Umwälzung in mir, aber diese Umwälzung bin
ich gleichsam selbst, direkt davon betroffen bis in den tiefsten unerklärlichen
Konsequenzen meiner selbst. – –
2298 |
Nachmittags: Ich erfahre nun in etwa die
erlittenen Früchte jener geheimnisvollen inneren Leiden, die eine weitere
Voraussetzung für meinen kommenden Zustand in Christus zeitigten917:
Ich verliere meinen eigenen „Personkreis“ (das Wort wurde mir innerlich dafür
gegeben) mit all den meiner Person unterstehenden Anlagen und Bedingungen, und
ich werde dadurch918 vorbereitet, um in den „Personkreis“ des
Erlösers als des Gottmenschen eingehen zu können.
2299 |
Ich erfasse die psychologische Unterlage oder
Voraussetzung für einen individuellen selbstigen „Personkreis“, nämlich jene
Einfassung und Abgrenzung einer menschlichen Person von jeder anderen,
ähnlichen Personkraft, das was der Person als das absolut selbstige,
eigenständige919 Gepräge gibt. – Der Personkern als Unterlage für
eine mögliche, selbstige Person ist gegeben mit dem im Augenblick der
Erschaffung einer neuen Seele gebotenen physischen und psychischen
Möglichkeiten; es ist aber eine gleichsam noch schlummernde Individualität. Im
Menschen wird die Individualität voll gebildet durch die wachsende und erwachende
seelische920 Kräfteentwicklung, die ihrerseits wieder ein
entsprechendes Wachsen der physischen Anlagen voraussetzt. Die „Individualität“
setzt ein bewusstes Zuführen der äußeren und inneren Eindrücke zum Personkern
voraus, was erst auf einer gewissen Entwicklungsstufe der physisch-psychischen
Kräfte möglich ist. Ein gewisses Wachsen und Reifen des Verstandes, des
Gedächtnisses usw. ist die Bedingung und Voraussetzung für das Bewusstwerden
des eigenen Selbst. Das „Bewusstwerden seiner Selbst“ ist als solches ein rein
psychologischer Vorgang, dem aber jene erste physische Reife vorausgeht, die
den Akt des wirklichen Sich-Bewusstwerdens einer Person im Allgemeinen, nämlich
ein gewisses „Sich-Gegenüberstellen“ möglich macht. In normalen Menschen sind
daher entsprechend entwickelte psychische – und hierfür auch physische –
Anlagen die Grundbedingung für das Bewusstwerden einer in sich abgeschlossenen
Individualität. Der zunächst noch schlummernde Bewusstseinskern strebt
naturgemäß mit dem immer weiter sich entwickelnden und wachsenden Kreisen, die
er um sich aufbaut, auch jenes Bewusstwerden der Anlagen an, die ihm eine
gewisse selbstige Gegenüberstellung möglich machen. Damit bekommt dann die
menschliche Person das abschließende selbsteigene Gepräge, das man als
Individualität bezeichnet und wodurch eine Person mit den ihr eigenen Kräften
sich sozusagen in sich selbst zusammenfasst.
2300 |
Als Abschluss und Folge jener Zusammenfassung
als selbsteigene Personkraft beginnt sich dann, im schon bewussten Zustande,
ein individueller „Person-Kreis“ auszubilden, nämlich jene wichtige Entwicklung
im Menschen, wodurch die selbstige Person gleichsam auf eigene Verantwortung
sich ihr Leben selbst zu formen beginnt. Es vollzieht sich allmählich eine
„Umschreibung“ und Zusammenordnung der im Menschen vorhandenen Anlagen sowie
ihr Aufbau und Einbau in einen „Kreis“ als Selbst-sein, wofür die Person selbst
und allein verantwortlich wird. Dieser selbstige „Kreis“, der alle eigenen
Anlagen umschließt, trägt in sich auch die Eigenheit921 der Person
selbst und ist abgeschlossen und abgegrenzt gegenüber jeder ähnlichen
Zusammenfassung von menschlichen Kräften und Anlagen. Diesen Person-Kreis trägt
ein Mensch unverlierbar sein ganzes Leben; darin sind eingeschlossen die
physisch-psychischen Lebens- und Daseinsbedingungen des Menschen, die
fortgesetzt dem selbstigen Lebensantrieb zugeführt werden; darin entwickeln
sich ständig jene Akte, die wir als Selbst-Erkennen erfahren, jene Reflexe des
ständigen Selbst-Bewusstwerdens, denen der Mensch (im normalen Zustand)
immerwährend ausgesetzt ist. – Für diesen Person-Kreis, der sich aufbaut auf
den physischen und psychischen Grundlagen und der gebildet wird durch den
Impuls der Seele, ist ständig der Träger dieser Seele verantwortlich gemacht. Und
diesen Person-Kreis als ihr endliches Lebensresultat verliert die Seele die
ganze Ewigkeit hindurch nicht mehr; denn in diesen Kreis hat die Seele ihre
Lebensfruchtbarkeit in irgendeiner Form eingebaut. Dieser Person-Kreis als
selbsteigenes Lebensprodukt wird daher der Seele zur guten oder schlechten
Frucht ihres Daseins und bleibt ihr unverlierbares und unverleugbares Eigentum,
dem sie sich nicht mehr entziehen kann.
2301 |
Auch schon in diesem Leben ist dieser
Personkreis als selbstige Eigenart eines Menschen die absolut eigene922
Richtung seines Lebens. Dieser Person-Kreis ist sowohl auf eigene wie auf
äußere Einflüsse aufgebaut, verläuft aber immer als eigenes Lebensprodukt im
eigenen Rahmen der Person selbst, nach dem Ausmaß jener selbst verarbeiteten
Einflüsse.
2302 |
Nach den schweren Leiden der letzten Tage war
ich gestern in einem ausgeglichenen, ruhigen Zustand. Ich bin dem Ziele selbst
so nahe und bin mir selbst – d. h. meiner früheren Art des Seins – so sehr
enthoben. Die neue Art lässt sich aber in Worten nicht erklären; sie ist mein
Zustand, mein Selbst. Ich bin eine wunderbare Unabhängigkeit, eine harmonische
Einheit. – Ich weiß um den kommenden letzten Schritt, der mich vollends
einführen wird in das „Bewusstsein Christi“.
2303 |
Während des Alarmes in der Nacht – ich wollte
den Vater bitten für alle, die in Todesgefahr sind – war ich in Christus, in
seine Stellung zum Vater als Fürbittender, eingeführt. Ich war in ihm, als
„er“, als der Vermittler der Menschheit vor dem Vater. Ich war infolge der intensiven
Teilnahme an Christus vom Vater aufgenommen „als Christus selbst“; ich stand
zum Vater wie „ich und du“, d. h. in einem unmittelbaren Verhältnis, das
ermöglicht ist durch Jesus, an dessen Sein und Leben ich in so hohem Maße
teilnehmend geworden bin. – Nur in Jesus, in der Vereinigung des Lebens mit
seinem gottmenschlichen Erlöserleben, kann die Seele zum Vater eingehen;
Christus ist der einzige Weg zum Vater. Christus ist durch das Werk seiner
Erlösung unsere Fruchtbarkeit und unser Wachstum; in ihm „werden“ wir für den
Vater. Christus in uns ist die höchste Verherrlichung für den Vater; die
höchste Frucht der Erlösung ist Christi Leben in uns, als letztes Resultat der
Erlösung dem Vater dargebracht.
2304 |
Ich bin mir jenes höchsten Zieles für mich als
einer Frucht der Menschwerdung und Erlösung Christi923 bewusst.
Dieses Ziel in mir oder vielmehr ich selbst bin eine Frucht der Zuwendung
seiner ganz außergewöhnlichen Fülle der Erlösungsgnaden Christi, die nun Jesu
Leben selbst in mir als Frucht gezeitigt haben. – In Jesus habe ich gleichsam
„Macht“ über den Vater; seinetwegen hört er auf mich. Es scheint zwar
vermessen, es auszusprechen, aber so sah ich mich: Niemand noch ist bis jetzt
dem Vater so „nahe“ gekommen wie ich, weil Jesu Leben in mir durch eine
persönliche Teilnahme an seiner göttlichen Erlöserperson bis zur Fülle in mir
gewachsen ist; dieses Geheimnis des Lebens Jesu, bzw. des Erlöserlebens Jesu
vor dem Vater ist noch nie so „erlebnisfähig und ein erfahrungsmäßiges Erleben
für eine Seele geworden, wie es sich durch eine besondere Gnade in mir
vollzieht“.924 – Nur in Christus gelangen wir zum Vater; in Christus
aber gehen wir nur auf dem Wege der Überwindung des Erbsündlichen in uns ein,
und zwar kraft einer möglichst vollkommenen Zuwendung der uns zu diesem Zwecke
von ihm verdienten Erlösungsgnaden. In Christus werden wir entsündigt, und zur
Teilnahme an ihm befähigt. Darum sandte der Vater den Erlöser und darum ist uns
Christus „Erlöser“ geworden, dass wir wieder zum Vater kommen können. Christus
ist uns der Weg und das Mittel zum Vater.
2305 |
Wie einfach ist doch im Grunde dieser Weg, auf
dem ich zu einer solch hohen Stufe des Lebens Christi in mir gekommen bin! In
diesem Sinne ist mein ganzes Leben nur die Fortführung eines gewöhnlichen
Christenlebens, aber bis zur höchsten Steigerung, und erfahrungsmäßig925
gelebt. – Und die Richtung und das Wesen dieses Lebens ist der Wille des Vaters
für alle, weswegen er den Sohn als Erlöser gesandt hat. Und Christus will diese
höchste Absicht des Vaters in der Kirche neu beleben; er gibt sich selbst in
einer neuen Art als Frucht der Erlösung und er ist bereit, jenen Seelen „sich
zu geben“ und jene an sich teilnehmen zu lassen, die an diese Tiefe und Fülle
der uns von ihm erworbenen Gnaden glauben wollen. – Ich wusste und schaute die
Priester seinem Herzen am nächsten, um daraus die Fülle seines Lebens zu
empfangen. – Mein ganzes Innenleben sah ich darauf abzielen und ausgehen, dass
diese Absichten Gottes bzw. Christi dadurch glaubhaft gemacht werden.
2306 |
Ich bin an der Schwelle des vollen Eingehens
in Christus. Das Erleben seines Erlöserlebens in Kraft seiner göttlichen Person
und vermittels meiner menschlichen Kräfte ist der Beweis für diese neuen
Gnaden.
2307 |
Ich erlebte mich auch im Voraus in meinem
kommenden Endzustand926 „in Jesus“, d. h., ich erlebte im Voraus das
Geheimnis des Bewusstwerdens927 einer Person, das in mir vorbereitet
ist und das mich im mystischen Nacherleben einführt in das göttliche
Bewusstsein des Erlösers. – Ich konnte gut begreifen, wie in Christus das
Bewusstwerden seiner Person als Gott-Mensch mittels seiner psychischen Kräfte
sich vollzogen hat. Wie im gewöhnlichen Menschen, so waren auch in Christus die
physisch-psychischen Funktionen die Hilfsmittel, um ein tatsächliches
Bewusstwerden hervorzubringen, natürlich nicht das wesentliche, göttliche
Bewusstsein, weil dies von Ewigkeit unveränderlich besteht, sondern jenes als
Gott-Mensch. Daran waren alle928 seine menschlichen Kräfte
beteiligt, denn Jesus lebte als Mensch sein göttliches Leben mittels der
menschlichen Kräfte, vermöge deren er als Gott „Mensch“ war; andernfalls wäre
ja in Christus die Vereinigung der göttlichen Natur mit der menschlichen Natur
bei einem „Nebeneinander“ geblieben und nicht zu einem „Miteinander“ geworden.
2308 |
So ging in Christus auch alles
göttlich-wesentliche Wissen „durch“ den menschlichen Verstand. Ich habe auch
dieses Geheimnis sehr klar erfasst, kann aber noch nicht darüber schreiben.
Verschiedenes, was ich in letzter Zeit über das Bewusstwerden929 des
Selbst und über das Geheimnis einer Person erfahren habe, bot mir die Unterlage
und Bestätigung für jenes psychologische Geheimnis in Christus. Als
wesentlicher Unterschied zwischen den menschlichen Funktionen im Gottmenschen
und jenen in einem gewöhnlichen Menschen wurde mir dabei immer wieder der
göttliche Seinszustand des „Actus purus“ als die wesentliche Unterscheidung und
göttliche Eigenheit erklärt.
2309 |
Heute Nacht, während des Alarmes wurde ich
eingeführt in das Geheimnis des gottmenschlichen Personkreises des Erlösers.
2310 |
Obgleich in Gott drei Personen sind, so ist in
ihm, in der einen göttlichen Wesenheit und göttlich-wesentlichen Unteilbarkeit
doch nur eine göttliche „Universalität“ im Sinne der Unbegrenztheit und
Unbegrenzbarkeit oder Unendlichkeit. Die Dreipersönlichkeit des einen Gottes
grenzt aber die Personen durch ihre göttlichen Beziehungen voneinander ab,
wobei in jeder der drei göttlichen Personen die göttlich-wesentliche
„Universalität“ oder Unbegrenztheit bestehen bleibt, und jede göttliche Person
die gleichen göttlich-wesentlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten in sich
selbst besitzt, ohne in dieser ihrer göttlichen Wesenheit und Vollkommenheit
irgendwie auf die anderen Personen angewiesen oder hierin von ihnen abhängig zu
sein.
2311 |
Der Personenunterschied der zweiten göttlichen
Person ist der des „Wortes“ oder „Sohnes“, der zum Erlöser werden sollte und
wurde. Der Erlösung ging aber seit Ewigkeit voraus, dass das „Wort“, die zweite
göttliche Person, Urvorbild für die ganze Menschheit war und ist. „Alles war in
ihm und durch ihn und in ihm hat die gesamte Schöpfung und Menschheit ihren
Bestand“. So wollte es der Vater von Ewigkeit, weil er in göttlich-wesentlicher
Freigebigkeit sich in der zweiten göttlichen Person gleichsam verströmen und
die gesamte Menschheit durch das Wort an sich teilnehmen lassen wollte. Seit
Ewigkeit war alles, was vom Vater geschaffen wurde, im Sohn und durch den Sohn.
Das „Wort“, in dem und durch das alles wurde, „trug“ also von Ewigkeit die
gesamte Menschheit in sich. – Gleichzeitig wurde ich wieder hingewiesen und
hingeführt auf diesbezügliche, schon früher erfasste Geheimnisse, und ich wurde
darauf hingewiesen, wie hierin – im Geheimnis des ewigen Wortes als des
Urvorbildes und Hauptes der Schöpfung und der gesamten Menschheit – die letzte
Wurzel der Erlösung liegt. Nicht, dass es notwendig so hätte sein müssen,
sondern es war die Liebe Gottes, die sich an die Menschheit verschenken wollte.
2312 |
In der Zeit, als die Menschheit in den Folgen
ihres Sündenfalles schmachtete, trat die zweite göttliche Person als „Haupt und
Vorbild der gesamten Menschheit“ in den Erlöserzustand ein dadurch, dass
Christus sich für seine gefallenen Brüder vor dem Vater verantwortlich machte.
Er trat ein in den Wirklichkeitszustand als Verantworter vor der göttlichen
Gerechtigkeit. Mit der Annahme der menschlichen Natur durch die zweite
göttliche Person war – als Geheimnis unendlicher Liebe in dem oben erwähnten
Sinn – die Mitannahme der gesamten Menschheit wie natürlich verbunden (infolge
der Zugehörigkeit der Menschen zu ihrem Haupt und Urbild und infolge des
Zweckes der Menschwerdung als Erlöser). Wie die göttliche Person vordem als
reiner Geist und Urvorbild die gesamte Menschheit in sich trug, so war es die
gleiche göttliche Person, die jetzt als Gott-Mensch die gesamte gefallene
Menschheit in sich trug und barg. (Ich habe dieses Geheimnis in einer
wunderbaren Tiefe und unaussprechlichen Tatsächlichkeit erfasst, und zwar
gleichsam als göttliche Konsequenz der unendlichen Liebe Gottes). Gottes Liebe
hat die Menschheit erschaffen und Gottes Liebe hat sie nach ihrem Falle
erbarmend wieder geheilt dadurch, dass sie sich stellvertretend für sie
verzehrte.
2313 |
Die zweite göttliche Person trat durch ihre
Menschwerdung aus dem rein geistigen Person-Kreis, der dem göttlichen Wesen
eigen ist, insofern heraus, als sie zugleich die einer menschlichen Natur
eigenen Auswirkungen hinzu übernahm; als wahrer Mensch musste ja Christus alle
jene Bedingungen erfüllen, die einem wahren Mensch-sein entsprechen. _ Das will
aber nicht heißen, dass Christus als Erlöser einen rein menschlichen
Personkreis überantwortet war; als wahrer Gott behielt er vielmehr immer das
Göttliche als seine unbedingte, geistige Umgebung bei und seine göttliche
Anschauungsweise blieb immer930 wesentlich unverändert bestehen,
aber, um auch wahrer Mensch zu sein, wollte und musste er zugleich das
menschlich-empfindende in sich aufnehmen, das sich vom göttlich-rein-geistigen
unterscheidet.
2314 |
Die menschliche Natur forderte in Christus
ebenso ihre Rechte wie in unserer gewöhnlichen menschlichen931
Natur. So wurde in932 Christus das nach dem allgemeinen Naturgesetz
für das Menschsein Erforderliche mit in das Göttlich-Wesentliche zu einem
harmonischen Leben hineingezogen und verbunden. In diesem Sinne wurde in
Christus das menschlich Erforderliche in den Bereich der göttlichen Person
hineingezogen und hineingehoben, bzw. in den göttlich-menschlichen Person-Kreis
des menschgewordenen Wortes eingefügt und eingefasst. Das Menschliche wurde als
psychologische Folge in den göttlichen Bereich der Person selbst hineingezogen
und wurde von dieser selbst als ihr eigenes Lebensbedürfnis und als
Notwendigkeit empfunden, um überhaupt als wahrer Mensch existieren zu können.
Die menschlichen Lebensbedürfnisse wurden zugleich Forderungen der göttlichen
Person selbst, von Ihr als notwendige Daseinsbedingungen für ein menschliches
Leben empfunden, wie ja auch wir die unbedingt notwendigen Daseinsbedingungen
für unsere menschliche Natur erfahren und kennen. – Das ist aber nicht so
gemeint, als hätte die göttliche Natur des Wortes sich in den menschlichen
Anforderungen verloren oder sich933 geradezu vermenscht; die
göttliche Natur der Person Christi bewahrte vielmehr trotz aller menschlichen
Anforderungen ihre göttliche Eigenart, und alle menschlichen Bedürfnisse und
Regungen wurden von der göttlichen Person selbst beherrscht und reguliert. Weil
Christus wahrer Mensch war, traten auch die Empfindungen einer menschlichen
Natur in ihre naturgesetzliche Betätigung, und da er als vollkommenster Mensch
alle anderen Menschen an Vollkommenheit überragte, herrschte auch schon aus
diesem Grunde in ihm vollkommenste Harmonie in allen seinen menschlichen
Bedürfnissen und Regungen, die zudem ganz unter der Herrschaft der göttlichen Person
standen. ––
2315 |
Zur näheren Erklärung des „Personkreises“ im
Allgemeinen wurde ich wieder hingewiesen auf die verschiedenen Elemente, aus
denen dieser sich bildet und aufbaut. An erster Stelle steht die persönliche
Individualität mit bestimmten, ihr eigenen und größtenteils auf Vererbung
zurückgehenden Grundlagen – was man den Personkern nennen kann. Diese
erstgegebenen Grundlagen entfalten sich nach außen mit den ihnen zur Verfügung
stehenden Kräften und durch den Gebrauch der Willensfreiheit, bauen sich aus
und zeigen sich in entsprechenden Folgerungen und Eigenheiten wie z. B. in der
Vorliebe für eine bestimmte Beschäftigung oder Leistung, für einen bestimmten
Beruf, in einer bevorzugten Richtung der Gedankenwelt, im Interesse für
bestimmte Fragen und Probleme, in bestimmten Lieblingsmeinungen – kurz, in
persönlichen Eigenheiten des Denkens, Empfindens und Handelns, wodurch die
Menschen – wie wir täglich beobachten können – sich voneinander unterscheiden.
So geht die erstgegebene Grundlage der Individualität in eine nach außen
betätigte und erworbene Individualität über, und die Person baut sich damit
gleichsam eine eigene Atmosphäre und Umgebung, einen Kreis, in dem und um den
ihre Betätigung sich bewegt und dreht. – Das Tun des Menschen trägt also das Gepräge
der tiefsten individuellen Anlagen an sich, aber dieses Tun, sowie die äußeren
Verhältnisse und Erfahrungen wirken auch ihrerseits wieder auf die Person
zurück, und erst aus den Grundlagen zusammen mit den freien Betätigungen dieser
Anlagen und den gemachten Erlebnissen baut sich ein normales und voll
entwickeltes Menschenleben und ein vollwertiger Personkreis aus. – Die von der
individuellen Anlage beeinflussten Betätigungen, Gewohnheiten, Beschäftigungen,
Studien usw. üben ihrerseits wiederum eine Rückwirkung auf die Person aus und
tragen bei zur weiteren Prägung oder Verstärkung ihrer Eigenart und wirken mit
am Ausbau und Aufbau des individuellen Personkreises. Die erstgegebenen
Grundlagen entfalten, entwickeln und offenbaren sich nach außen, aber sie
werden auch beeinflusst und weitergeformt durch die von außen kommenden
Eindrücke, Beobachtungen, Verhältnisse und Erlebnisse. Diese verbinden sich mit
den Grundlagen wie zu einer organischen Einheit und bilden so gleichsam einen
richtunggebenden Ring des Personkreises. – So besitzt jeder Mensch seine
persönliche Eigenheit, seine besondere Denk- und Handlungsart, die ihm das
besondere, unterscheidende Gepräge gibt, und die zurückzuführen ist sowohl auf
die nach den Naturgesetzen ererbten Anlagen wie auf die erworbenen Anlagen und
Gewöhnungen. Damit baut sich der Mensch seinen Personkreis auf, wie er auch
durch die Betätigung seiner Geistesanlagen seinen geistigen Gesichtskreis oder
Horizont bildet und erweitert.
2316 |
Mit diesem ausgebauten Personkreis lebt der
Mensch sein Leben, ihn unterscheidend von jedem anderen Menschen, der zwar
ähnliche, aber anders ausgebaute und erworbene Anlagen hat. – Die Eigenart des
Personkreises als selbstige Denk- und Handlungsweise wendet sich aber wieder
zurück zur Person selbst, bringt dieser gleichsam ihre Früchte, seien es gute
oder böse, zurück, strömt auf jeden Fall zum Zentrum der Person selbst zurück
und „weckt“ dort Gegenüberstellungen zwischen Sollen und Sein und löst
Zufriedenheit und Befriedigung oder auch934 aber Widerspruch und
Missbilligung der Person selbst aus, der letztlich das ganze menschliche Tun,
als dessen Lebensprodukt935, untersteht. Das ganze Tun und Gehabe
des Menschen wird von jener tiefsten Eigenheit der individuellen Person selbst
aufgenommen und beurteilt; es trifft schließlich als letztes und eigenstes
Zentrum die Person selbst, die als Richter und Regulierer dieses Gesamtlebens
als Antwort ein bestimmtes „Urteil“ über jene rückgeführten Ergebnisse abgibt.
2317 |
Dieses Urteil „trifft“ dann jene feine Anlage
der Menschenseele, die wir Empfindungsmöglichkeit oder Gefühlsvermögen nennen,
d. h. jene „feinen Töne“, Reflexe und Erregungsmöglichkeiten in der Seele bzw.
in den Anlagen des Menschen, die bei den geheimnisvollen Wechselbeziehungen
zwischen geistigen und leiblichen Kräften im Menschen gleichsam eine
Vermittlungsstelle einnehmen zwischen dem Höchsten und Tiefsten im Menschen,
zwischen dem Leib und der Seele, zwischen der Person und den ihr zuführenden
und dienenden Kräften. So trägt jeder Mensch in sich eine „Welt im Kleinen“,
bestehend aus den verschiedenen Eigenheiten und Eindrücken, die von außen
kommen und die beständig der Person selbst zugeführt werden, von dieser
„befühlt“ und beurteilt und dann wieder, beifällig oder missfällig, auf das
Gefühlsvermögen zurückgeworfen und ausgestrahlt werden. Das Gefühlsvermögen
selbst setzt sich zusammen aus psychisch-physischen Kräften, wie die Seele ja
im Allgemeinen nichts tun kann ohne irgendwelche Rückwirkung auf das Leibliche,
sodass dauernde Wechselbeziehungen zwischen dem Geistigen und Leiblichen im
Menschen bestehen. Diese Beziehungen, als allgemeines Naturgesetz von Gott
geschaffen, meinen wir eigentlich936 zunächst, wenn wir vom „Leben“
und von der Wirklichkeit des menschlichen Lebens sprechen.
2318 |
In Christus, dem Erlöser, erfasse ich den
früher erwähnten gottmenschlichen Personkreis in einer dem unseren ähnlichen,
aber auch infolge des göttlichen Wesens Christi von unseren verschiedenen Art.
– Die menschliche Person muss erst „werden“, um überhaupt eine tatsächliche,
wirksame Person sein zu können. Die göttliche Person des Wortes aber besteht
von Ewigkeit in göttlich-wesentlicher Unveränderlichkeit. Sie trug ferner (wie
oben gesagt) urvorbildlich die ganze geschaffene und noch zu schaffende
Menschheit in sich. Als die zweite göttliche Person die menschliche Natur
annahm, überantwortete sie sich zugleich ganz dem Zwecke der Menschwerdung
selbst und gab sich den für sie als das Urvorbild und Haupt daraus folgenden
Konsequenzen hin; sie nahm infolge ihrer unendlichen Liebe und entsprechend
ihrem göttlichen Charakter als „Wort“ des Vaters, und damit als Urvorbild und
Haupt der Schöpfung mit ihrer eigenen menschlichen Natur auch die gesamte zu
erlösende Menschheit auf sich und trug diese, sie erleidend in sich.937
Aus göttlich-unendlicher Liebe trat die zweite göttliche Person in den
Wirklichkeitszustand als „Erlöser“, entsprechend der Besonderheit ihres
göttlichen Wesens als „Wort“, in unendlicher Liebe gesandt vom Vater, dem sie
seit Ewigkeiten als Urvorbild der Schöpfung gedient hat. Die Folge war, dass
die zweite göttliche Person in göttlich-unendlicher Liebe zu ihren angenommenen
Brüdern im gefallenen Zustand alle Konsequenzen ihrer Menschwerdung zum Zwecke
der Erlösung auf sich wirken ließ. –
2319 |
Ich werde innerlich ständig veranlasst, mich
in jener für mich „geforderten Weise“ (die man in Worten nicht aussprechen
kann), aufzugeben und zu lassen, um in das – schon in mir vorbereitete –
„Bewusstsein des Erlösers“ einzugehen.
2320 |
Ich weiß um die Folgerungen dieses Wechsels in
mir: Ich verliere mich für immer ganz und gelange damit in den Besitz Christi,
den ich nimmer verlieren werde, der auch mit meinem Tode nicht unterbrochen
wird und der ohne Unterbrechung die ganze Ewigkeit bestehen bleibt, weil er
mein mit besonderer Gnade erworbenes Gut ist, erworbene wesentliche Vereinigung
mit Gott bzw. mit der göttlichen Person des Erlösers.
2321 |
Wie eine Riesenlast liegt das von Jesus
gewünschte Priesterwerk auf mir. Dieses ist zu „meiner Last“ geworden und diese
Last scheint mich zu erdrücken. – Ich spüre all den Widerstand jener, von denen
der Herr so viel erwartete; in mir lastet938 gleichsam der
Widerspruch der S.J., aber es ist der Widerspruch des Nicht-kennen-wollens der
großen Absichten des Herzens Jesu. „Weil man die Konsequenzen fürchtet,
entzieht man sich der Kenntnisnahme des gesamten Werkes“; diese Tatsache legt
sich wie eine Dornenkrone um mein Herz und die Leiden dieser Dornenkrone
durchdringen mich. – Jetzt kann ich einigermaßen mehr den Schmerz des Herzens
Jesu verstehen, der darin lag: dass man nicht an ihn glaubte und nicht glauben
wollte, weil der Glaube an ihn Folgerungen, Konsequenzen nach sich gezogen
hätte, nämlich das Eingestehen des eigenen rechthaberischen und selbstherrlichen
Widerspruches und der Versteifung des eigenen Willens. Stattdessen dachte und
sagte man: „Was geht das mich an? – Was kümmert uns dieser? – Ist dieser nicht
des Zimmermanns Sohn? – Was redet dieser für Dinge? – Er hält sich für den Sohn
Gottes!“ –
2322 |
Es kamen heute Stunden, wo ich meinte: „Es
geht nicht mehr; diese Last erdrückt mich!“ Und ich klagte kindlich dem
liebenden Heiland: „du siehst, Herr, wenn deine Priester es nicht wollen, warum
soll ich es wollen? Es ist ihre Gnade, die sie selbst nicht annehmen wollen; es
sind deine bevorzugten Söhne, die deine Gnade939 so zurückweisen.“ –
Ich spüre und erleide in mir den Widerspruch gegen die unermesslichen
Liebesabsichten Christi: Weil „er“ geben wollte, nimmt man das Geschenk nicht
an; man zieht vor und will nur das, was man sich selbst zurecht denkt und
zurechtmacht, und man meint940, damit sei es genug oder müsse es
genug sein; die tiefste Ursache aber – O, ich spüre tief und schmerzend die
Leiden der Dornenkrone des Herzens Jesu! – Die tiefste Ursache des Widerstandes
ist der (uneingestandene) Hochmut. Es ist ähnlich wie einstens, als es „der
Sohn des Zimmermanns“ war, von dem man nicht glauben konnte, dass „dieser, der
Sohn Gottes“, der verheißene Messias sei; und heute – ja, Herr, ich möchte beinah
sagen: Es ist „deine Schuld“, warum führst du eine schwache Seele solche Wege?!
–
2323 |
Nachmittags wurde ich über dieses große Leiden
hinweg und auf diesem Wege weitergeführt zu einer tieferen Erklärung über das
Geheimnis des gottmenschlichen Bewusstseins des Erlösers. Ich wurde gleichsam
innerlich gefragt: Warum erleidest du all diese Leiden schon sechs Jahre
hindurch? – Und es wurde mir durch die innere Führung die Antwort gegeben:
„Weil du an die besonderen Gnaden und Liebesbeweise Jesu geglaubt hast. – „Der
Glaube an die Absichten Jesu hat dich in dieses Leiden versetzt. Und ich konnte
gleichzeitig in diesem Sinne und Lichte mein ganzes Leben überschauen: Schon
von meiner Kindheit an, und in meiner Jugendzeit, die besondere Führung, „der
ich mich mit bereitem Herzen hingab“ – bis dann Jesus mir aufgrund der
erreichten seelischen Reife im Jahre 1921 seine besonderen Absichten klarer
mitzuteilen begann. „Weil ich an Jesus glaubte“, bereitete er mich als Werkzeug
für seine Absichten, „Weil ich es so wollte“ (gewiss mit besonderer Gnade
wollte), deshalb führte mich Jesus jene Wege der notwendigen Reinigung. Ich
erlitt die Folgerungen meiner Hingabe und auf diesem Wege führte er mich tiefer
ein in seine Absichten bezüglich der „Erneuerung des Priestertums“. Weil dies
auf gewöhnlichem Wege nicht möglich war, hob er – aufgrund meiner
Opferbereitschaft – meine Seele gleichsam aus dem gewöhnlichen Leben heraus und
ich erlitt an mir selbst die Folgen meiner Opferbereitschaft. Immer mehr wurde
ich in deren Folgen, nämlich in das Erleiden der besonderen Absichten Gottes
mit meiner Seele versetzt – bis Jesus in mir, bzw. bis die Vereinigung mit ihm
in mir so stark und tragfähig war, dass ich „seiner Absichten wegen“ meine
Heimat und dann mein Vaterland verließ, um mich ganz für seine Absichten zu
opfern, wirklich „für ihn zu leiden“. – So musste ich den ganzen Aufstieg und
Höhenweg meiner Seele überschauen, auf dem ich dazu geführt wurde, tatsächlich
die Konsequenzen meiner Hingabe an ihn leidend941 zu erfahren. Ich
schaute mich wirklich in den Zustand des Opfers für meinen Glauben an ihn
versetzt. Mein Glaube an Christus und an all das, was er mir so oft
geheimnisvoll mitgeteilt hat und schauen ließ zum Besten seiner Priester und
seiner Kirche, brachte mich in den Zustand der Leiden, in denen ich mich bis
zum Erdrücktwerden befinde.
2324 |
Und der Unterschied zwischen den Anfängen
(bzw. der Kindheit und Jugendzeit) und den letzten sechs Jahren? – Ich wurde in
den letzten Jahren in die Tatsächlichkeit der Auswirkungen942 jenes Glaubens
an ihn versetzt; die Tatsächlichkeit meines Hingabewillens an Gott bzw. Jesus,
dessen besondere Absichten ich zu vernehmen glaubte, hat diesen wirklichen
Wechsel meines äußeren Lebens verursacht. Es traten die Auswirkungen meiner
Hingabe in Kraft und ich erlitt sie in den mannigfachen und unsagbaren Opfern
meines jetzigen und meines vergangenen Lebens. Mein Glaube an Jesus brachte
diese Änderung meines Lebens und ließ mich die Konsequenzen dieser Hingabe
erfahren und erleiden. –
2325 |
Ausgehend von dieser geistigen Rückschau auf
mein Leben wurde ich hinübergeführt in das Erlöserleben Jesu und wurde
hingewiesen auf das Wort des Propheten: „er ward geopfert, weil er selbst es
wollte“. – An Hand und aufgrund dieses Wortes ging ich ein das Geheimnis der zweiten
göttlichen Person im Augenblick ihrer Menschwerdung und ich erfasste, wie die
menschlichen Erlebnisse ihres wirklichen Mensch-Seins in ihr943
göttliches Bewusstsein aufgenommen wurde; eben durch die Tatsache, in die das
ewige „Wort“, das Gott blieb, nun versetzt war. Christus war in die
Konsequenzen seiner Hingabe aus unendlicher Liebe, in die Tatsache seiner
Menschwerdung und seines Menschseins versetzt und erlitt an sich selbst diese
Wirklichkeit und Tatsache. Die göttliche Person selbst erlitt an sich die
Konsequenz des Verlassens ihrer Herrlichkeit beim Vater und auf diese Weise
trat die Wirklichkeit ihres Mensch-Seins in das göttliche Bewusstsein. Ihres
Gott-Seins sich bewusst erfährt oder erleidet sich die zweite göttliche Person
jetzt im Schoße Mariens und ist in diesem Wechsel, in den Zustand dieser
Tatsache versetzt. Diese Änderung wurde dem göttlichen Bewusstsein der944
sie erleidenden göttlichen Person zugeführt durch die Tatsache der Änderung
selbst. In das göttlich-wesentliche Bewusstsein der göttlichen Person Christi945
trat nun das Erleiden und946 Erleben eines Menschen, trat nun die
Wirklichkeit, „Mensch zu sein“ unter den gleichen verdemütigenden Umständen wie
in einem gewöhnlichen Menschenleben.
2326 |
Unser menschliches Bewusstsein bildet sich
erst mit unserem Wachstum und947 einer gewissen geistigen
Entwicklung und wir sind auf natürliche Weise zum Mensch-sein gekommen. In
Christus aber überstrahlte das Bewusstsein, Gott zu sein, auch sein Mensch-sein
und dieses tatsächliche Mensch-sein trat in den Bereich seines
Gott-bewusstseins. Beides verband sich zu einer Einheit, zu einem Leben, dessen
Auswirkungen die göttliche Person selbst trafen und welche die göttliche Person
selbst an sich erlitt. Das menschliche Bewusstsein bildet sich erst mit jener
ersten Reife, in der die physisch-psychischen Fähigkeiten äußerer Eindrücke in
den eigenen Bereich der Person selbst als deren948 Erleben zuführen
können, und damit ein Sich-Selbst-Erfahren und eine gewisse
Sich-Gegenüberstellung des eigenen Seins ermöglichen. Bei Christus aber wurde
dem wesentlichen Gott-bewusstsein die neue Tatsache, „Mensch zu sein“
gegenübergestellt. Was wir Menschen Erleben nennen, das trat in ähnlicher Weise
an die göttliche Person selbst heran, aber in einer viel stärkeren, unmittelbaren
Weise durch den göttlichen Seinszustand. – Das menschliche Bewusstwerden949
setzt voraus ein Erlebenkönnen, ein Aufnehmen-Können von außen her, gleichsam
eine Zufuhr von außen, welche erst das eigentliche Selbst-Bewusstwerden reizt
und weckt und jene höchsten Kräfte der Seele bzw. der Person in sich
zusammenfasst wie zu einem Aufblitzen des „Ich“, dem die Eindrücke zugeführt
werden; das „Ich“ wirft die Eindrücke als eigenen Reflex dann auf das
Gefühlsvermögen950, wo sie als wirkliche Erlebnisse empfunden und
festgehalten werden. In Christus aber erfasste die göttliche Person mit ihrem
göttlichen Sein unmittelbar jene veränderte Umgebung, in die sie als Mensch
versetzt war.
2327 |
Welche wunderbare Veränderung meines Inneren
im Gegensatz zum gestrigen Zustand! Gestern befand ich mich in so
unaussprechlichen Leiden, die hingerichtet waren auf meinen geistigen
Endzustand – und heute bin ich und erlebe ich mich selbst im Voraus in jenem
Endzustand. Aber mit Worten ist mein Sein in Jesus nicht zu erklären.
2328 |
Heute Vormittag befinde ich mich in einer
weiteren Folge meines Zustandes in Jesus: Es steht mir bevor die Umänderung
meines Innenlebens durch das Aufnehmen und Nacherleben des Erlöserlebens Jesu wie
als meines eigenen Lebens; dies ist der nächste Schritt, der mich, vom jetzt
erreichten Vorbereitungszustand in Jesus ausgehend, durch ihn ganz951
in ihn hineinführt. – Zugleich weiß ich auch: Alles, was ich bis jetzt über das
Geheimnis der hypostatischen Vereinigung erkannt und in Jesus erfahren habe,
wird zu meinem persönlichen Erlebnis in ihm werden.
2329 |
Heute war ich innerlich zu einer neuen
Erklärung der Bereitschaft gegenüber Jesus und dem himmlischen Vater
angetrieben. – Ja, ich bin für alles bereit, aber ich erbete und erwarte
nichts, weil ich kein Recht habe, irgendwelche besondere Gnade einer
Auserwählung zu erwarten; meine Hingabe und Bereitschaft ist jedoch, soweit es
meinem Willen und meine Einsicht betrifft, restlos und ohne Vorbehalt; alles
Unvollkommene wirst du mir, O Jesus, durch deine göttliche Vollkommenheit
ersetzen. Ich will dem Vater gegenüber „Jesus“ sein; er genügt mir; ihn vor dem
Vater zu leben ist mir genug.
2330 |
Ich weiß, wie sich dies in mir vollziehen
wird, aber ich will es trotzdem nicht wissen, denn ich habe kein Recht, meine
Zukunft zu wissen. Ich will jeden Augenblick „seinem Leben“, das mir in ihm
geboten wird, treu sein. – Es ist so viel „Vorbereitendes“ in mir, aber dies
Geheimnisvolle lässt sich nicht aussprechen. –
2331 |
Abends in der Kapelle! In ganz
außergewöhnlicher Weise in Gott erhoben wusste ich: „All die großen,
unermesslichen Gnaden (die ich dabei schaute) will Christus seinen Priestern
'neu' geben“. – Und ich konnte nur staunen und war vom Staunen hingerissen, im
Wissen der Tatsache: „So Großes, Welt- und Kirche Umspannendes, für diese
wenigen Jahre meines Leidens!“ – Und der Beweis und das Zeichen952
dafür, dass der Herr diese Gnaden wirklich geben will, ist die Offenbarung des
Geheimnisses der hypostatischen Vereinigung953 und seines inneren
Erlöserlebens, das ich erleiden werde. – Ich wurde gleichsam innerlich gefragt,
ob ich bereit sei, diesen Beweis zu erleiden? Ob ich bereit sei, das Werkzeug
zu sein, um den Priestern diese Gnaden stellvertretend vor Gottes Gerechtigkeit
zu verdienen und so die Kirche in der Kraft geistig erneuerter Priester
gleichsam zu verjüngern? – Ich war überwältigt vom Übermaß der unendlichen
Liebe, die Gott über die Priester auszugießen bereit ist, und ich war
angetrieben, mit den Worten des Propheten zu antworten: „Herr, sende mich – ich
will alles erleiden!“ –
2332 |
Ich wusste aber auch um die Schwere der
kommenden Leiden; doch unvergleichlich größer sind die Gnaden, die Jesus den
Priestern geben „will“. Im Vergleich mit jenen unermesslichen Gnaden sind
meine, wenn auch noch so schweren Leiden, doch wieder „klein“. Meine Leiden
werden vorübergehen, aber die Gnaden für die Priester werden weiter fließen.
2333 |
„Wer nicht gelitten hat, was weiß der!“
2334 |
„Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der
Himmel und Erde erschaffen hat!“ (Der Herr wird seine göttliche Allmacht auch
in seinem Werke zeigen.)954
2335 |
Mein Leiden ist „sterben“ – und dann wieder
„leben“; aber dieses neue „Leben“ ist leicht und erhaben und sublim955
wie der „Hauch eines Kindes“; der Geist, die Seele ist alles, und darin ist das
leibliche Leben harmonisch eingefügt.
2336 |
Zeitweise befinde ich mich dann wieder wie in
einem956 Grabe: Alle die Verdemütigungen wegen des Priesterwerkes,
die ich ertragen muss, liegen auf mir;957 man wirft Erde auf den
Toten und deckt in mit Erde zu, und „verhindert“ so ein allenfallsiges
Heraussteigen aus seinem Grabe. – In ähnlicher Weise befinde und fühle ich mich
mitsamt dem gottgewünschten Priesterwerke wie im Grabe; man wirft Erde und
Steine auf diesen „Toten“, um ihn ja nicht wieder zum „Leben“ kommen zu lassen.
–
2337 |
Ich fühle mich aber trotz dieses ungeheuren
Druckes, der auf mir lastet, ganz ruhig in diesem „Grabe“ und ich will, soweit
es auf mich ankommt, immer in diesem Grabe der Verdemütigungen bleiben. Ich
habe kein Bedürfnis, daraus herauszusteigen. Ich will für mich nichts anderes
als Verdemütigungen. Ich habe nie irgendwelche Ehre gesucht. – Ich suche nicht
meine Ehre, sondern die Ehre des Vaters, der im Himmel ist. –
2338 |
Mittags in der Kapelle: Ich bin zur Probe in
den „Zustand Christi“ hineingehoben: „So dient meine Menschheit der göttlichen
Person“. – Meine menschliche Natur958 muss tragfähig für die
göttlichen Funktionen sein, da auch in Christus – wie im gewöhnlichen Menschen
– die Person, d. h. in diesem Falle die göttliche Person, die physischen Kräfte
als Stützen zu einem wirklichen Mensch-sein gebrauchte. So kam die
„bewegungslose“ göttliche Person Christi sozusagen „in Bewegung“, indem sie mittels
der physischen Kräfte und Natur eine wirkliche Funktion in ihrer Menschheit
ausübte, nämlich die Funktion der „Person“.
2339 |
Abends: Ich bin innerlich sehr verdemütigt und
vernichtet. – Aber lasst mich verborgen und „nichts“ sein – und ich bin
glücklich! Es ist wie eine Leidenschaft in mir, verdemütigt und verborgen sein
zu wollen.
2340 |
Das war heute ein schwerer Tag. Man kann im
Laufe eines Tages wirklich Unaussprechliches leiden. – Aber ich bin zufrieden
dabei.
2341 |
Mittags in der Kapelle: Während ich das „Veni
sanctae Spiritus“ betete, „bot“ sich mir der Heilige Geist im Vater und im
Sohne an, – denn wo der Vater und der Sohn in einer Seele besonders tätig sei,
da sei auch die besonders Wirkkraft des Heiligen Geistes fruchtbar. (Und im
gleichen Augenblick wurde ich hingewiesen auf das, was mir früher959
einst über die Eigenheit des Wirkens der Heiligsten Dreifaltigkeit erklärt
worden war: Es gibt keine Gnade in der Seele, bei der nicht alle drei
göttlichen Personen mitwirken.) – In meinem Falle lebe und wirke der Heilige
Geist durch das göttliche Leben des Sohnes vor und für den Vater in mir. –
2342 |
Ich war in innigster Berührung mit dem
Heiligen Geist, in besonderer Weise seine göttliche Wirkkraft in mich
aufnehmend, durch die eine höhere960 Vollendung des Lebens Jesu zur
Ehre und Verherrlichung des Vaters in mir hervorgebracht werde.
2343 |
Die letzte Zeit war angefüllt mit mannigfachen
Leiden, sowohl von außen wie von innen. Auch die äußeren schweren Zeitumstände
benützt Gott für seine Absichten mit meinem Seelenleben, und zwar um mein
Gesamtleben vollständig von äußeren Anhängigkeiten und Beeinflussungen
abzulenken961 und abzuschneiden.
2344 |
Es ist ja eine merkwürdige Tatsache, dass die
göttliche Führung immer wieder sich der drückend schweren äußeren Umstände
bedient, um meine Seele für seine Absichten zu bereiten und ihr Fortschreiten
zu fördern. Gerade diese Leiden sollen auch mithelfen zu einer freilich sehr
schmerzhaften „Zerstörung“ jedes eigenen, persönlichen Daseinszweckes für mich,
damit auf diesem Wege das „neue Leben in Christus“ immer mehr zu meinem
höchsten und einzigen Zwecke gestaltet werde. Es ist allerdings in Worten nicht
zu erklären, wie Jesus dies in mir vollbringt, aber jene von außen kommenden
Leiden wirken in solch besonderer, geheimnisvoller Weise auf mich ein, dass es
scheint, die schweren Zeitumstände wären gerade so zugeschnitten, um eine
besondere Aufgabe in meiner Seele zu erfüllen. Jedenfalls werden sie für mich
in einer besonderen Weise wirksam gemacht und die brennenden Spitzen dieser
Leiden führen mich meinem Ziele in Christus näher. – So bedeutungsvoll aber
gerade die letzten schweren Monate für meine geistige Höhenentwicklung waren,
so lässt sich doch ihre tiefste Wirkkraft und Aufgabe speziell für meine Seele
nicht in Worten ausdrücken, sondern bleibt eine rein persönliche und nicht
mitteilbare Erfahrung. Ich spüre aber: Gerade dadurch komme ich dem Ziele näher
und das ist und bleibt für Gott und für mich die Hauptsache.
2345 |
Schon die letzten Tage ließ mich eine höhere
Vollendung vorausahnen, weil ich – nach meinem menschlichen Begreifen – das
schon irgendwie in mir trug, worin diese neue Erhöhung besteht. Heute Mittag
nun wurde ich – nach verschiedenen vorausgegangenen Proben – in den Zustand
versetzt: Er, der ist, der ist in der Menschwerdung geworden. – So war Christus
bzw. die zweite göttliche Person in seiner heiligsten Menschheit innewohnend. In
ihm ist alles und doch ist er so entblößt von seiner göttlichen Herrlichkeit!
Der ist, der Seiende, ist in seiner Menschheit geworden und blieb doch der
„Seiende“ auch im „Werden“ und belebte und beherrschte diese seine werdende
Menschheit auf der Grundlage und nach der Eigenheit962 und Eigenart
des „Seienden“. – Es ist dies mein bisher höchstes Erleben Gottes, das ich
mittels meiner Seelenkräfte erfahren habe. – Es fehlt aber jeder menschliche
Ausdruck dafür; denn es ist zu einfach und doch zu unermesslich, zu inhaltsvoll
und doch nicht erklärbar, zu wirklich und doch zu wenig fassbar und erlebbar,
weil zu geistig.
2346 |
Ich erkenne und erlebe mich als das Werkzeug;
das diesen „Seienden“, den, der ist, ertragen können muss. Meine
physisch-psychischen Kräfte können in etwa das göttliche Wunder der heiligsten
Menschheit erfahren. Es ist aber wahr: Das Wunder der heiligsten Menschheit
Christi kann nur in und mit dem Wesen und Geheimnis Gottes selbst erforscht,
erfahren und erklärt werden, vom Menschsein ausgehend kann niemand, auch nur
ahnend in das Geheimnis des Gottmenschen eindringen. Gottes Wesen war
gewissermaßen Alles in Christus und diesem göttlichen Wesen war seine heiligste
Menschheit harmonisch als wahre Menschheit eingeordnet. – So wie ich mich in
der Menschheit Jesu erfahren habe, schien Jesu Leben ein ständiger göttlicher
Akt gewesen zu sein, dem aber die heiligste Menschheit ständig dienend
bereitgestellt war. So waren zwei gleichsam eines, aber nach dem Maße und auf
der Grundlage des Einen, des Gott-Seins in der Menschheit.
2347 |
Was ich früher im Einzelnen über die heiligste
Menschheit, bzw. über die Art der Dienstbarkeit der menschlichen Kräfte Christi
gegenüber der göttlichen Natur durch Gottes besondere Gnade erfahren habe, das
erlebe ich jetzt harmonisch geordnet zu einem Ganzen, zu einer menschlichen
Lebens- und Daseinsfunktion, zu einem Mensch-sein mit der Eigenart der963
belebenden Kraft der göttlichen Person. Was ich früher an einzelnen Zügen
dieser Eigenart des gottmenschlichen Lebens erfahren durfte, das erlebe ich
jetzt sogleich harmonisch zu einem Ganzen, als „Leben“ geordnet. –
2348 |
Ähnlich erleben wir auch unser gewöhnliches
Mensch-sein. Wir empfinden sozusagen keine Teilung oder Abgrenzung der
einzelnen Funktionen von Seele und Leib; alles ist so harmonisch geordnet, als
könnte es gar nicht anders sein, während doch auch unser menschliches Leben aus
vielen Möglichkeiten, Einzelheiten usw. besteht und geradezu einer Maschine
vergleichbar ist, die aus vielen Teilen zu einer Funktion zusammengesetzt wird.
So ließ mich Christus auch im964 vornhinein das Mensch-sein
gleichsam in einer Aufgelöstheit erfahren, um mich dann die menschlichen
Funktionen gegenüber denen965 seiner göttlichen Person ans
Selbsterlebnis verstehen und erfahren zu lassen.
2349 |
Die besondere Eigenheit der Individualität
einer Person bedeutet im Grunde: nur für sich, für die Eigenheit seiner Person
selbst da sein, an sich selbst zu seinem Bestande genug haben, ohne zugleich
eine andere Person in sich aufnehmen zu können. Es ist die Abgrenzung gegenüber
jeder anderen Person, die Eigenständigkeit und das volle Genug-Haben an sich
selbst zu seinem Bestande, was wir Individualität nennen. – Diese
„Individualität“ ist an sich etwas Königliches, Beherrschendes, was den
Menschen nach dem göttlichen Vorbild seines Schöpfers über alle anderen
Geschöpfe erhebt. Diese Abgrenzung und dieses Genughaben an sich selbst als
Selbstand verleiht dem Menschen den höchsten Adel und wirkliche „Freiheit“. Vor
diesem Adel und dieser selbstigen Freiheit verschwindet sozusagen jedes andere
ähnliche Wesen, mag es einem auch noch so nahe stehen. Darin liegt die
erhabene, persönliche Freiheit. – In Gott nun ist die966 göttliche
Freiheit, die, vom Menschen aus gesehen, die „Freiheit“ unserer menschlichen
Person als Individualität in göttlicher Weise übersteigt. In Gott herrscht
diese Selbstständigkeit in einer unüberbietbaren Weise, eben als göttliche
Freiheit. Vor dieser seiner göttlichen Freiheit verschwindet gleichsam die
geschaffene Menschheit und es bleibt auch unter dieser Rücksicht ein
unüberbrückbarer Zwischenraum und Abstand zwischen Göttlichem und Menschlichem,
weil Gott in sich selbst überreich genug hat. (Es liegt ein unaussprechliches
Geheimnis in diesem Erfahren: Gott steht über allem)967. Wie sich
die menschliche Person mit ihrem „An-sich-selbst-genug-haben“ gleichsam mit
einem undurchdringlichen Wall umbaut und ihren Eigenheiten darin einlagert,
eine Grenze um sich zieht gegenüber anderen, ähnlichen Umgrenzungen, mit andern
Worten: einen Person-Kreis zieht, der selbst für Nächststehende im Grunde
unerforschbar bleibt, so habe ich heute in ähnlicher Weise das Wesen der
göttlichen Individualität der Person des Erlösers in seiner heiligsten
Menschheit erlebt.
2350 |
Das Erleben der göttlichen Person erhebt mich
gleichsam über alle geschaffene Welt, trägt in sich ein göttliches
„Genug-Haben“ an mir selbst, bietet mir alles zum Bestand, verlangt aber
zugleich ein völliges Aufgeben meiner früheren personalen Begrenzung und ein
Übernehmen einer ungeschaffenen Unbegrenztheit968, in der man sich
in unaussprechlicher Freiheit geniest. – Diese göttliche Unbegrenzbarkeit blieb
im Menschen Christus bestehen und die menschlichen Kräfte Christi wurden
teilnehmend an dieser göttlichen Vollkommenheit.
2351 |
Welches Geheimnis ist der Mensch! Wahrlich ein
Wunder der göttlichen Allmacht, nachgebildet dem Bilde des Schöpfers selbst!
Jetzt, nachdem ich durch das Geheimnis des Erlebens der göttlichen Person des
Erlösers in eine unaussprechliche Nähe Gottes selbst gekommen bin, werde ich
auch in einer noch viel höheren Weise das Geheimnis inne: Gott und der Mensch;
– der Mensch als geschaffenes Abbild Gottes; – der Mensch für Gott selbst fähig
gemacht.
2352 |
In der Menschwerdung der zweiten göttlichen
Person hat die Nähe Gottes zum Menschen ihren höchsten Erweis und ihre Krone
erhalten. Es war dies kein unbedachter oder unvorbereiteter Akt des göttlichen
Wortes; seit Ewigkeiten schon wollte vielmehr Gottes Liebe sich einen Weg
bereiten zu Geschöpfen, die er ins Dasein zu rufen gedachte, und als die Zeit
dazu gekommen war, schuf er sie deshalb969 nach seinem Ebenbilde, um
auf diesem Wege sich „in der Nähe seines Geschöpfes“ ergehen zu können und um
diese an sich, an seinem göttlichen Wesen teilnehmen lassen zu können.
2353 |
Das Geheimnis „des Menschen“ ward mir in
letzter Zeit zum unmittelbaren Erlebnis und es wurde mir erklärt sowohl in der
Aufgelöstheit seiner einzelnen Funktionen, seiner wunderbaren Fähigkeiten und
Möglichkeiten wie auch in deren Zusammenordnung zu einem Leben und Dasein in
der wundervollen Einheit eines Bestandes – was ein Geheimnis und gleichsam ein
Rätsel ist –, das in sich von keinem Menschen ganz erforscht und durchdrungen
werden kann. Durch das Geheimnis „der Person“ steht der Mensch hoch erhoben vor
Gott, ist er – in geschaffener Art und Weise – dem göttlichen Geheimnis des
Dreipersönlichen nachgeformt und ist er im Wesen einer „Person“ ähnlich
geordnet und gebildet und getragen.
2354 |
In der Menschwerdung der zweiten göttlichen
Person kam die wunderbare Möglichkeit der Vereinigung zwischen Gott und Mensch
zur Verwirklichung und Bestätigung; denn was die göttliche Person brauchte, um
Mensch sein zu können, das war mit der Art, wie Gott970 den Menschen
geschaffen hatte, bereits ermöglicht und gegeben. Die Menschheit war seit ihrem
Urbeginn971 Gott, ihrem Schöpfer, dienstbar gemacht, verlor aber
durch den Sündenfall das klare Bewusstsein ihrer Bevorzugung und des Urbildes
ihres Wesens. Im Sündenzustand verlor sich der Mensch in sich selbst und fand
nun nicht mehr seinen ursprünglichen Weg zu Gott. – Bis Gott ein „neues
Geschöpf“, gleichsam die Morgenröte einer neuen Menschheit, schuf, worin das
Geheimnis der Nähe Gottes zum Menschen zum zweiten Mal in unversehrtester
Reinheit aufleuchtete: MARIA, die sünde- und makellose, die einzige Brücke
Gottes zum Menschen. In Maria waren von Gott die Möglichkeit und der Anschluss
zu einer neuen Verbindung zwischen ihm und der gefallenen Menschheit gegeben.
Mariens reine Menschheit wurde die Brücke zu einem neuen Menschentum, und zwar
dadurch, dass Gottes Liebe erbarmend jene Wunder der ersten Erschaffung in ihr
gleichsam wiederholte und der Menschheit sozusagen zum zweiten Mal den Weg hin
zu Gott zeigen wollte. Aus Maria ging die Krone der gesamten Menschheit,
Christus selbst hervor, als Gott ein Mensch nach Art unseres Menschseins.
2355 |
Im Menschen – im Leibe und in der Seele – war
ursprünglich schon das gegeben, wessen sich Gottes Sohn bedienen musste, um
Einer aus uns zu werden – und er hat den Schoß der Jungfrau nicht gescheut, um
Einer aus uns zu werden. In ihm, im Menschen Christus, war das Tragende Gottes
Wesen selbst und in dieser Wahrheit liegen das Geheimnis und die Geschichte des
Heiles für die gesamte Menschheit. Aber auch dies ergibt sich daraus: Im ersten
Gedanken Gottes stand das Mensch-sein so hoch, dass es dem Menschen möglich
sein sollte, sogar Gott tragen zu können.
2356 |
Seit den letzten Tagen, wo ich in so
unaussprechlicher Weise gewürdigt werde, das Wesen der göttlichen Person
erfahren zu können, fließt in mir wie ein wunderbares Licht jenes Wissen um die
Nähe Gottes zu seinen Geschöpfen. Ich kann Gottes Wesen ertragen, das
ungeschaffene Licht, das zugleich Leben ist und um sich als Existenz weiß! Da
ist das Sein Alles und im Sein selbst ist vollkommener Bestand, ohne Zutat und ohne
„Betätigung!“ – Meine physisch-psychischen Kräfte „lösen sich“ aus ihrer
früheren Starrheit und Schwerfälligkeit; sie sind sozusagen weich und leicht
und nicht mehr spürbar, weil die Dienstbarkeit gleichsam fließend geworden ist,
d. h., es ist mir zu einem Bedürfnis und Zustand geworden, so zu sein.
2357 |
Ich erlebe damit eine wunderbare Ablösung von
meinem früheren Leben, ein Herausgehoben-werden aus einem früheren Geleise und
ein Versetzt-werden in eine Weichheit und Fülle, für die es keinen Ausdruck
gibt. Um irgendeinen Vergleich zu gebrauchen: Ich bin in mir gebettet wie in
einem weichen Kissen von Geistigkeit und Erhabenheit. – Ich erlebe mich in
wundervollen Vorzügen, die weit über das erhabenste Menschsein selbst mit
höchster, erfahrener Vereinigung mit Gott hinausgehen. Jetzt wird jenes
Geheimnis einer jahrelangen Bereitung meines Menschseins für den Dienst der
göttlichen Person wirklich fruchtbar und wird für mich zur wirklichen
Grundlage, auf der mein Menschsein sich bewegt, und diese neue Art ist nun mein
Menschsein. Nun erfahre ich den großen Unterschied gegenüber dem Früheren und
nun begreife ich den Weg und die Form der Umbildung, die mich zum Erleben der
göttlichen Person des Erlösers empor trägt. Meine Menschheit ist ja das Mittel
zum Innewerden des Geheimnisses des göttlichen Wesens Christi. Meine
Seelenfähigkeiten sind nun infolge entsprechender, langer Leiden so
„verfeinert“, dass sie in etwa die göttliche Natur Christi befühlen und
erfahren und verkosten können. Es besteht nun auch keine Trennung mehr zwischen
meinem Menschsein und dem Genuss des göttlichen Wesens bei der jetzigen Form,
wie sich mir die göttliche Person mitteilt, während beim mystischen
Vereinigungsleben mit Gott, auch auf den höchsten Stufen immer noch eine
Trennung bleibt; jetzt972 sind jene göttlichen Vorzüge wie zu meinem
Leben und gleichsam zu meiner Natur geworden. Es ist jetzt sozusagen ein Wall
um mich aufgerichtet, der mich von allem trennt, was meinem Bestand und mein
tiefstes Sein irgendwie stören könnte; denn ich habe nun alles aus mir und
behaupte mich allein mittels meines Bestandes, in dem alles für mich gegeben
ist.
2358 |
In dieser Tatsache erfahre und erkenne ich nun
auch die Frucht und die Wirksamkeit der letzten Leiden, die vor allem in einer
unsagbaren Trennung und Absonderung von allem Geschaffenen, von allem Trost und
Hilfemöglichkeiten bestanden. Jetzt kommen der Seele alle Leiden bis auf
einzelne wieder zum Bewusstsein, und zwar in ihrer wundervollen Frucht, nämlich
in einer in Worten nicht zu erklärenden Leichtigkeit, mit der man alles
entbehren kann, was vorher geradezu unentbehrlich schien. (Vorher schien es
mir, mit der Entbehrung dieser oder jener in sich berechtigten, und für
gewöhnlich notwendigen Lebensforderungen vergehen oder sterben zu müssen.) Jedes
Leiden erlebe ich nun als unaussprechlich beruhigende Befreiung von alten973
an sich berechtigten Forderungen, für die mir nun höchster Anteil an Gott
wurde. Das schmerzlichste und brennendste Leiden bringt das Intimste und
Höchste in diesem Anteil in Gott hervor, denn nur durch volles Abstreifen des
eigenen Persönlichen kann ich zum Genuss und zur Erhebung in das Zentrum
Gottes, zur Person selbst, vordringen.
2359 |
Das tiefste Geheimnis meines jetzigen
Zustandes ist wohl dies, dass ich all dieses intime Erleben Christi als
„meines“, als mein Sein erlebe. Gerade dieser Umstand führt mich in das
„Bewusstsein Christi“ ein. Im Erfahren seiner göttlichen Person und seiner
Eigenheit lösen sich meine früheren persönlichen Lebensforderungen ab und damit
gelange ich zu jener Erhebung meines Menschseins, die mich der göttlichen
Person zu einem unmittelbaren Dienste verfügbar sein lässt. – Ich „weiß“ in
dieser Beziehung noch viele Möglichkeiten und Erhöhungen, die ich noch
passieren muss, um zu der als mein Ziel erfassten Unmittelbarkeit mit Gott zu
gelangen, die mir als meine endliche Berufung gezeigt wird. –
2360 |
Niemals kann eine Seele den Adel ihres
Mensch-Seins höher erfassen, als wenn sie mit ihrem Schöpfer in Berührung
kommt, d. h., die in ihr schlummernden tiefsten und zugleich höchsten Anlagen
weckt, ausübt und entfaltet, die der Schöpfer in sie hineingelegt hat, der den
Menschen „für sich“ geschaffen hat. Mag ein Menschenleben, bzw.974
ein Menschsein auch von noch so hohen Idealen, ja von höchster Fruchtbarkeit
für die Menschheit selbst getragen sein, mag ein solcher Mensch auch für die
ganze Menschheit zum großen Segen werden und mag dieses Bewusstsein auch für
ihn selbst noch so beglückend sein: Es kann dies alles doch nur ein leises
Ahnen sein von jenem wunderbar Beglückendsten, was es gibt: wenn nämlich der
Seele das Bewusstsein der Einheit des Geschöpfes mit seinem Schöpfer
aufleuchtet. Darin liegt ja das ewig gottgewollte höchste Ziel jeder einzelnen
Menschenseele, und ihre höchste Adelung durch des Schöpfers Liebe, der so hohe
Anlagen und Möglichkeiten in sie hineingelegt hat.
2361 |
Beständige, geheimnisvolle Leiden – während im
Grunde der vorher erreichte Zustand in Christus bestehen bleibt. – Diese Leiden
sollen eine weitere Erhöhung des göttlichen Lebens Christi in mir
hervorbringen; daneben wurde mir auch als besonderer Grund dafür erklärt: Es
bilden sich damit in mir jene physischen Energien aus, mittels deren es mir
möglich sein wird, das Wesen der göttlichen Person, und besonders die inneren
Leiden des Erlösers zu ertragen; denn jenes werdende Erleben des Erlösers wird
sich in meinem Fall zu einem wirklichen „Leben“, also mit einer entsprechenden
Energieaufwendung in mir ausbauen; es wird nicht nur ein ekstatischer Zustand
sein, d. h. eine nur zeitweise Beanspruchung der Kräfte meines Menschseins, wie
es eben in einem ekstasemäßigen Erleben Christi sich vollzieht.
2362 |
Die göttliche Person formt mein Menschsein zu
dem von ihr beabsichtigten Zweck, und dieser Bestand in Christus soll durch
meine physisch-psychischen Trag- und Widerstandsfähigkeiten ermöglicht werden.
Immerhin wird mein Zustand eine mystische Wiederholung des Geheimnisses des
Erlösers sein, da Christus sich in Wirklichkeit in seinem Erlöserleben nie
wiederholen wird.
2363 |
Es ist eine beständige Erhöhung und ein
Hineinwachsen in den Bereich des göttlichen Wesens der Person, und damit eine
immer weiter sich entwickelnde Inanspruchnahme meines ganzen Menschseins.
2364 |
Gerade heute in St. Peter erfuhr ich eine
weitere Erhöhung. In Worten lässt sich aber die Art des inneren Zustandes nicht
ausdrücken. Es ist ein stufenweises Verlieren des Eigenen-Persönlichen und es
bildet sich eine geistige „Neutralität“ in mir aus. Dadurch wird das Meinige,
Frühere immer mehr ausgeschaltet; das „Leben“ wird meinem persönlichen Zwecke
entzogen, es ist nicht mehr für mich, sondern wird einer Allgemeinheit
zugewendet, d. h. allein für die Gesamtheit der Kirche dienstbar und fruchtbar
gemacht.
2365 |
Heute bin ich derart im Leiden, dass ich nur
sagen kann: Es ist fast zum Sterben. – Ich leide darunter, dass ich nun schon
mehr als sechs Jahre so in der Welt herum bin, ohne Halt und ohne Beruf, nur um
dieses Werkes willen, – ohne Heimat, ohne Existenz, ganz auf die göttliche
Vorsehung angewiesen – ich leide auch unter dem Krieg, der jetzt schon vier
Jahre dauert. Es braucht ein Wunder, dass ich unter dem Druck solcher
außergewöhnlicher Leiden noch leben kann. – Ich bin aber so müde, dass ich mich
sozusagen hinlegen und sterben möchte – aber in der Fremde. –
2366 |
1. Zum Verständnis muss ich wohl einen kurzen
Überblick über meine innere Gnadenführung vorausschicken. – Schon von frühster
Kindheit an kam mir der liebende Heiland mit besonderen Gnaden entgegen, die
mich zu einem Leben inniger Frömmigkeit anleiteten. Mit meinen Jugendjahren
wuchsen auch diese außergewöhnlichen, göttlichen Antriebe in meiner Seele, die
mich zu immer vollkommenere Hingabe und Vereinigung mit Jesus führten. – Vom
Jahre 1921 an würdigte sich der Herr, sich meiner Seele in einer
außergewöhnlichen Weise zu offenbaren und mir seine besonderen Absichten
mitzuteilen. Wie er es wollte, opferte ich mich (im Jahre 1922) mit Erlaubnis
eines Jesuitenpaters anlässlich heiliger Exerzitien ganz auf, indem ich ihm das
„Opfer meines Lebens“ brachte, um ihn gleichsam zum Vollbringer meines Lebens
zu machen. Im Jahre 1924 legte ich zugleich mit dem Gelübde ewiger
Jungfräulichkeit auch jenes ab, „ihm Schlachtopfer zu sein“ für die besonderen
Absichten, die er mit mir vorhabe, die mir aber zum Teil noch verborgen waren.
„ihm Opfer zu sein“: Dies wurde die tägliche immer drängendere Forderung des
Herzens Jesu an meine arme Seele, die er in großen inneren und äußeren Leiden
für seine Absichten erzog.
2367 |
Als letztes Ziel seiner besonderen Gnaden ließ
er mich von den Jahren 1924/25 an immer klarer schauen: „Das Werk eine
Erneuerung des Priestertums, dass eine allgemeine Erneuerung der Kirche zu
folgen haben soll“. In unzähligen Gnadenstunden ließ er mich schauen: Einerseits
die heutigen Zeitübel des Unglaubens, des Materialismus usw. und demgegenüber
anderseits sein liebeerfülltes Herz, dass seiner Kirche neue, den Nöten und
Bedürfnissen der Zeit entsprechenden Gnaden geben wolle, die in erster Linie
den Priestern zukommen sollten und durch die er ein neues, vertieftes
Glaubensleben und damit jene „Erneuerung der Kirche“ herbeiführen wolle. Die
Priester als die Bevorzugten seines Herzens sollten in besonderer Weise
teilhaben an ihm, und durch ihn und durch sein Leben in den Priestern soll
neues, tieferes Glaubensleben in den Seelen entfacht werden. Jesus selbst wolle
in den Priestern das Heilmittel gegen die heutigen Zeitübel werden. In jenem
Werk sollten die Priester alle in einem Geiste und Sterben vereint und dem
heutigen Geist des Unglaubens entgegengestellt werden.
2368 |
2. Zur Erreichung dieses seines Zieles zeigte
der Herr von Anfang an zwei miteinander verbundene und ineinandergreifende
Mittel:
A eine tiefere Kenntnis der innersten
Geheimnisse des Erlöserherzens
B Daraus erwachsend eine Gesellschaft
von Priestern, die in einem vertieften Glauben an die im Erlöserleben Christi
eingeschlossenen Verdienste und Gnaden diese voll zu verwerten und sich
anzueignen suchen, und dadurch zu einer stufenweisen Befreiung von den moralischen
Folgen der Erbsünde gelangen und damit „Christus anziehen“, wie der heilige
Paulus sagt.
2369 |
Als Beweis für die Wahrheit der versprochenen
Gnaden der Lebensverbundenheit mit Christus hat der Herr von Anfang an und
immer wieder das Erleben des inneren Erlösungsgeheimnisses, gleichsam der
Psychologie des Gottmenschen und Erlösers, angegeben, zu dem er mich in
lebenslanger Vorbereitung und Läuterung geführt hat. – Schon seit Jahren
offenbart sich mir darum der Heiland im Geheimnis der hypostatischen Vereinigung
in einem besonderen Erleben und Erfahren seines inneren Erlösungsgeheimnisses
und der inneren Leiden seines Herzens. Dies erlebte und erfahrene Geheimnis der
hypostatischen Union, das mir fortlaufend geoffenbart und erklärt wird, bildet
nach dem Willen des Herrn den Grundbeweis für seine Wünsche an die Priester.
Aus diesem Miterleben seines gottmenschlichen Geheimnisses bildet sich in mir
nach den Absichten des göttlichen Herzens ein Miterleben und Miterleiden seiner
inneren Erlöserleiden aus. – Diese Offenbarungen sind aber in erster Linie für
die Priester bestimmt, denen der Herr auf diese Weise tiefer sein Herz zeigen
und offenbaren will. Die mir gegebenen Gnaden des Einsseins mit Christus und
des Erlebens seines Herzens sind zugleich das Vorbild und der Beweis für die
Gnaden, die der Heiland den Priestern anbietet, die bereit sind, daran zu
glauben, dass diese Gnaden einer Vollerlösung wirklich in seinem Erlöserleben
eingeschlossen sind, und die sie darum anstreben und für sich verwerten. Der
Priester soll ja in einer intimen Weise teilhaben am Leben seines göttlichen
Meisters und die diesbezüglichen Offenbarungen sollen ihm tiefer in das Herz
des göttlichen Hohepriesters einführen, das sein ewiges und höchstes Vorbild
und seine Gnadenquelle ist.
2370 |
Es wäre unmöglich in einem kurzen Umriss jenen
vom Heiland versprochen und angegebenen Beweis für die göttliche Herkunft des
Priesterwerkes näher zu erklären; das ist im Einzelnen in den schriftlichen
Aufzeichnungen dargelegt, die sich auch bei P. Merk befinden, der mir – ebenso
wie all meine früheren Seelenführer – immer wieder versicherte: Das könne kein
Mensch erfinden und an der Richtigkeit und göttlichen Herkunft könne keinen
Zweifel sein. – Ebendort ist auch bis ins Einzelne die von Christus geforderte Glaubensvertiefung
für das zu gründende Priesterwerk angegeben, die der Herr vermittelst dieses
Werkes den Priestern allgemein übermitteln will. – Natürlich werden nicht die
Offenbarungen als solches zur Grundlage genommen, sondern der darin enthaltene
theologisch-dogmatische Glaubensgehalt soll herausgeholt, kirchlich geprüft und
dann zur Grundlage der vom Heiland gewollten Glaubenserneuerung und
Glaubensvertiefung gemacht werden. Die Frucht wird sein eine tiefere Kenntnis
der innersten Geheimnisse der göttlichen Liebe und des unermesslichen Reichtums
der uns erworbenen Erlösungsverdienste, sodass die Früchte der Erlösung voll
und wirklich anerkannt und angestrebt werden.
2371 |
Im Priesterwerk sollen zunächst berufene
Priester in das Innere des Erlösersherzens eingeführt werden und damit zugleich
eine Bestätigung haben für die Art der Glaubensvertiefung, die Jesus von seinen
Priestern wünscht und aufgrund deren er ihnen jene neuen Gnaden verspricht.
Welcher Art sind diese neuen Gnaden? Es sind Gnaden einer fortschreitenden und
aufsteigenden Entsündigung, einer sittlichen Erhebung des „alten Menschen“ in
einen neuen, erlösten Menschen, der Kraft dieser sittlichen Erhebung einer
inneren Umwandlung in Christus nahekommt, Gnaden also, die schon in den
Erlöserverdiensten Christi eingeschlossen sind, aber die bisher noch nicht
allgemein verwertet und eröffnet wurden. – Die Mitglieder sollen damit das
Leben Christi in sich aufnehmen und in allem Christi Stelle einnehmen wollen,
sollen in einem vertieften Glauben an ihr Priestersein Jesu Erlöserleben und
Erlösersorge um die Seele in sich fortsetzen, Christi Interessen und Anliegen
ganz und ausschließlich zu den ihren machen, sodass wirklich wahr werde: Der
Priester ein zweiter Christus!
2372 |
Diese neuen Gnaden der Vereinigung mit
Christus und der neuen Fruchtbarkeit des priesterlichen Wirkens werden – nach
dem Versprechen und Willen des Heilands – den Priestern zufließen durch das
beständige Mitopfern mit der heiligen Messe. Durch ihre tägliche Mitopferung
will der Heiland jene geheimnisvolle Verbindung mit seinen Priestern
herstellen, die nach und nach ihr ganzes Priesterleben durchdringen und sie in
ihn umgestalten wird. Alle Priester, die sich mit Christus auf dem Altar opfern
und diese Gesinnung in ihr Priesterleben und Tagewerk hineinzutragen sich
bemühen, werden das Leben Jesu in sich verwirklicht sehen. „Ich will damit“ –
so verspricht der Heiland – „allen Priestern einen Strom neuen Lebens eröffnen,
der ich selbst bin, und sie werden neues, geistiges Leben in den Seelen wecken;
ich nehme sie durch ihre Mitopferung in mich auf und gebe mich Ihnen zurück.
Dieser Strom meines Lebens wird meine ganze Kirche überfluten.“ – Es handelt
sich dabei nicht um Außergewöhnliches, sondern es braucht nur einen
folgerichtigen Glauben. Im Priesterinstitut soll dieser Glaube vorbildlich
geübt und vorgelebt werden.
2373 |
3. Äußerlich ist das von Gott gewollte
Priesterwerk ein Zusammenschluss, eine Gesellschaft von Priestern, die jene
durchgreifende Glaubensvertiefung im Einzelnen bei sich durchführen und den
Seelen, bzw. dem Volke vorleben und vermitteln wollen. Diese Gesellschaft soll
sich zur besonderen Aufgabe machen, alle Priester der Kirche in den
gottgewollten Erneuerungsgeist einzuführen und in einer allgemeinen
Priestererneuerung zusammenzuschließen und damit auch Priester und Volk in
einem neuen Glaubensleben zu größerer Einheit zusammenzuschließen. – Zugleich
mit dem Priesterwerk ließ mich Jesus seit Jahren im Geist jenen Priester
schauen, den er sich für die Absichten seiner Liebe vorbereite, und den er
selbst erziehe und bilde zur Ausführung bzw. zur Gründung dieses Werkes. Im
Jahre 1936 führte mich der Herr mit ihm persönlich zusammen, nachdem ich ihn
mehr als zehn Jahre lang im Herzen Jesu gekannt hatte (P. Ferdinand Baumann
S.J.). Er soll unter dem Protektorat eines Kirchenfürsten die Gründung und
Leitung jener Gesellschaft von Priestern in dem von Jesus gewollten Geist der
Erneuerung übernehmen, weil er vom Herrn dafür vorbereitet ist.
2374 |
Grundlinien,
die theologisch ausgearbeitet werden müssten:
1. Letzter besonderer Zweck der
Gründung ist Priesterseelsorge im Geiste jener gottgewollten Glaubensvertiefung.
Alle Priester sollen in diesem Geiste zu einer Einheit zusammengeschlossen
werden.
2. Geistige Grundlage des Institutes:
Jene vom Heiland geoffenbarte Glaubensvertiefung, die sich die einzelnen
Mitglieder zur Aufgabe und Pflicht machen und wofür der Heiland jene „neuen
Gnaden“ verspricht – die aber dogmatisch-theologisch schon im allgemeinen
überlieferten Glaubensgut begründet und enthalten sind. – Es handelt sich um
eine Vertiefung gegenüber der heutigen religiösen Verflachung, um ein tieferes
Herausholen und Verwerten der uns vom Erlöser erworbenen Verdienste und der
Reichtümer, die in seiner heiligen Menschwerdung und in seinem Erlöserleben
enthalten sind. – Der Heiland gibt diese Gnaden als neue Gnaden, insofern sie
bisher nicht so allgemein gewertet und ausgewertet wurden. Er gibt sie jetzt,
weil die heutigen Zeitverhältnisse und Nöte es erfordern. Die Priester aber,
als die Gott am nächsten Stehenden, sollen als Erste diesen versprochenen
Anteil am Erlöser und seinen Gnaden in sich erfahren.
3. Zur Beleuchtung und Erklärung der
schon im allgemeinen Glaubensgut angeschlossenen Reichtümer führte mich der
Heiland in jener theologischen Vertiefung des Glaubens ein, wie [es] in den
Aufzeichnungen angeführt ist.
4. Als Beweis des gottgewollten
Werkes lässt mich Jesus das innere Erlösungsgeheimnis erleben, das Geheimnis
der hypostatischen Union Christi, und seine inneren Erlöserleiden.
5. Das Werk selbst soll jetzt nur in
seiner geistigen Grundlage und Grundform vorgelegt werden: Eine Gesellschaft
von Priestern zum Zwecke und mit der Aufgabe jener angegebenen
Glaubensvertiefung, unter der Leitung von H. P. F. B. – Alles andere wird der
göttliche Gründer durch seine Vorsehung fügen und sich ergeben lassen.
6. Das Werk wird eine „Entwicklung
erleiden“ wie alle derartigen Institute. Es wird einen Anfang, eine Entwicklung
und einen letzten Ausbau haben. – Es wäre nur zum Schaden des Werkes, wollte
man jetzt sich auf eine bestimmte äußere Form festlegen; das würde nur
Widerspruch und Verwirrung hervorrufen.
2375 |
Ich will immer verdemütigt und verborgen sein,
auch in meinen größten Leiden niemand als nur Gott allein bekannt. – Die
Verdemütigung und meine Nichtigkeit ist mein Kreuz, an das ich genagelt sein
will, auf dass Jesus in seinem Werke zum Siege kommen kann.
2376 |
Welche Freude genieße ich in meiner
Verdemütigung! Niemals könnte Ehre und Ansehen eine solche Befriedigung und
Freude in einer Seele hervorbringen, wie mein verborgenes und verdemütigtes
Leben mich erfreut. O, ich will immer noch mehr nach Selbstvernichtung und
Demut streben und ich erwähle die Demut zu meinem einzigen persönlichen Ziel.
2377 |
Wie ist der „Gehorsam“ des Gottmenschen
psychologisch zu erklären? – – Dieses Geheimnis wurde mir heute zu einem tief
gehenden eigenen Erlebnis, wobei mir früher empfangene Erklärungen über die
Psychologie des Gottmenschen erneut vorgeführt und zur Erklärung auf dieses
Geheimnis982 angewandt wurden.
2378 |
Ich erlebte zunächst wieder das Geheimnis der
drei göttlichen Personen in ihren göttlich-wesentlichen Beziehungen zueinander.
Es war ein wesentliches „göttliches Liebesverhältnis“, worin jeder göttlichen
Person die gleichen göttlich-wesentlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten
ohne irgendwelche Abschwächung eigen waren. Obwohl der Vater –
menschlich-bildlich genommen – als Erstgenannter, von dem die beiden anderen
Personen ausgehen, eine Erst- und Vorzugsstellung und „Ranghöhe“ im Geheimnis
der heiligsten Dreifaltigkeit einzunehmen scheint, so gibt es doch im
göttlich-wesentlichen Bereich der Dreifaltigkeit nicht irgendwelche Abstufung,
noch kann man darin von einer Unterwerfung oder Huldigung oder vom Gehorsam
einer göttlichen Person gegenüber einer anderen sprechen, denn dies wäre eine
Verminderung oder Abschwächung der göttlich-wesentlichen Würde der betreffenden
göttlichen Person und zugleich ein Widerspruch geben die absolute Wahrheit des
„einen Gottes“. Die göttlichen Beziehungen der drei göttlichen983
Personen der heiligsten Dreifaltigkeit waren also wesentliche Liebesbeziehungen
und nicht Unterwerfung oder Gehorsam oder Huldigung einer göttlichen Person
gegenüber einer anderen. Darum kann man im Geheimnis und im Bereiche Gottes
selbst nicht von „Gehorsam“ sprechen. Streng genommen kann man dies auch nicht
sagen hinsichtlich der zweiten göttlichen Person nach ihrer Menschwerdung, d.
h., man kann dies von ihr nicht im gleichen Sinne wie von einer menschlichen
Person sagen, denn jene göttlich-wesentlichen Liebesbeziehungen blieben und
bleiben von Ewigkeit zu Ewigkeit in göttlich-wesentlicher Unveränderlichkeit
bestehen. – Und doch war das Verhältnis des Gottmenschen gegenüber dem
himmlischen Vater ein wahres und wirkliches Verhältnis und Leben des Gehorsams
und der Unterwerfung, während zugleich die göttlich-wesentlichen
Liebesbeziehungen zu den beiden anderen göttlichen Personen auch nach der
Menschwerdung bestehen blieben.
2379 |
Ganz klar erfasste ich diesbezüglich die zwei
Tatsachen im Leben des Erlösers:
1. die absolute Wahrheit und
Wirklichkeit des ewig-unveränderlichen Bestehenbleibens der
göttlich-wesentlichen Beziehungen in und nach der Menschwerdung wie vor
derselben. – Sonst hätte es nämlich eine Zeit gegeben, in der das
göttlich-wesentliche Verhältnis der drei göttlichen Personen zueinander und
damit das göttliche Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit selbst unterbrochen
gewesen wäre.
2. Die Tatsache der Menschwerdung und
des Erlöserlebens, die ein wahrer und wirklicher Akt der Unterwerfung und des
Gehorsams gegenüber dem Vater war. – Andernfalls käme nämlich die durch die hl.
Schrift verbürgte Wahrheit der Erlösung in Gefahr, wonach Gott-Sohn uns durch
seinen Gehorsam und seine Unterwerfung Gott-Vater gegenüber erlöst hat.
2380 |
Die Möglichkeit und Wirklichkeit dieser
doppelten Tatsache wurde mir im folgenden Vergleich und Beispiel begreiflich
gemacht: Zwei sich liebende Personen verbringen ihr Leben in vollkommener984
Harmonie; die wahre, gegenseitige Liebe gibt jeder der beiden Personen gleiche
Stellung und gleiches Recht gegeneinander, sodass auch nicht der Gedanke an
eine Überlegenheit der einen Person gegenüber der anderen aufkommen kann. – Nun
wird aber durch bestimmte Umstände – z. B. durch Krankheit des einen Teils –
eine der beiden liebenden Personen in die Lage versetzt, in voller Freiheit der
Liebe ihre Stellung der äußeren Gleichheit aufzugeben und sie mit der Stellung
der Dienstbarkeit gegenüber der geliebten Person zu vertauschen. Die tiefe, im
Wesen der Liebe bestehende Harmonie bleibt aber bestehen auch während der eine
Teil die Dienstbarkeit und Unterwerfung ausübt, ja sie zeigt sich noch mehr und
größer durch diesen Unterwerfungsakt in freier Liebe gegenüber der anderen
Person, der gerade dadurch die Tatkraft der Liebe bewiesen wird. Das
tatsächliche Liebesverhältnis der beiden Personen ändert sich im Grunde nicht;
es tritt vielmehr nur noch deutlicher hervor und die dienende Person erwirbt
sich mit ihrer dienstbereiten und dienenden Liebe ein Verdienst und eine noch
größere Liebe von Seiten des Partners. Dabei ist985 sie aber doch
dieser gegenüber eine wirkliche Unterwerfung und einen tatsächlichen Gehorsam986
in der Freiheit der Liebe, die nun in wirklichen Taten voll entfaltet und fruchtbar
und selbst zu Taten der Liebe geworden ist.
2381 |
Die Tatsache des wirklichen und zugleich
freien Gehorsams des göttlichen Erlösers gegenüber dem himmlischen Vater beruht
nun auf einem ähnlichen, aber göttlich-wesentlichen Liebesverhältnis: Infolge
der Menschwerdung trat die zweite göttliche Person gegenüber dem Vater in einen
wirklichen Unterwerfungszustand. Zwar konnte dabei im Wesen des göttlichen
Wortes und seines Verhältnisses zum Vater keine Unterbrechung oder Änderung
eintreten, aber die Auswirkung dieses göttlich-wesentlichen Verhältnisses oder
dieser innergöttlichen Beziehungen zwischen Vater und Sohn erlitten durch die
Tatsache der Menschwerdung einer Veränderung. Der Vater „zeugte“ nun das Wort
„als Erlöser“ und sandte es in die Welt. Die Liebe des Vaters zeugte das Wort,
wie vordem geistig, jetzt in eine menschliche Natur, sandte es „als Erlöser“ in
die menschliche Natur, damit ihm durch jene menschliche Natur der gebührende
Ersatz geleistet werde für das, was ihm durch die menschliche Natur von Seiten
der gefallenen Menschheit entzogen wurde. – Ich konnte dieses Geheimnis tiefer
bestätigt erfahren anhand früher mir gegebener Erklärungen über das Geheimnis
des Hervorgehens des „Wortes“ vom Vater. Jenes Wissen wird mir wie zum
persönlichen Wissen; wenn es auch nicht immer in der gleichen
Erfassungsmöglichkeit der einzelnen Geheimnisse des Gottmenschen bereit ist, so
ist es doch sozusagen immer „in Reserve“. Es ist, wie wenn man auf den
elektrischen Lichtschalter drückt, und es ist licht.
2382 |
Schon der Akt der Menschwerdung des göttlichen
Wortes war in sich eine göttliche Huldigung an Gott, ein vollkommenster Akt der
Unterwerfung aus Liebe in göttlich vollwertiger Weise. Infolge der
Menschwerdung trat in den Auswirkungen der göttlichen Beziehungen zwischen
Vater und Sohn insofern eine große Änderung ein, als der göttlich-wesentliche
Lebens- und Leibsaustausch nun dem Vater vom Sohne mittels und kraft der
menschlichen Natur des Sohnes zurückströmte. Hatte der Vater vor dessen
Menschwerdung sein eigenes Wesen gleichsam als rein geistige Rückgabe seiner
selbst im Sohne empfangen (– denn es gibt nur einen Gott –), so empfing er
jetzt eine gott-menschliche Rückgabe seiner selbst. Sein als Wort gezeugtes
göttliches Wesen teilte sich ihm nun als gott-menschliches Lebensprodukt mit,
und ein menschlich gelebtes göttliches Leben strömte nun dem Vater jeden
Augenblick zu als immerwährende göttliche Huldigung, als ununterbrochener
Unterwerfungsakt seines viel geliebten Sohnes. Wie das Leben immer lebt, weil
es eben Leben ist, so auch die Unterwerfung des Wortes aus Liebe als menschlich
gelebtes Leben.
2383 |
Das menschliche Leben Jesu bewegte sich (wie
früher beschrieben) in vollkommener Harmonie des göttlichen und Menschlichen.
Ähnlich wie wir bei unserem Menschenleben und der Vereinigung von Seele und
Leib wir für gewöhnlich keine Schwierigkeit empfinden, um „Mensch sein“ zu
können, so war Christus harmonisch Gott-Mensch. Die menschliche Natur Christi
war aber trotz der allgemeinen Grundlage der harmonischen Vereinigung mit der
Gottheit und trotz der göttlich-sittlichen987 Vollkommenheitsebene
dennoch gleich unserer menschlichen Natur leidensfähig der Seele und dem Leibe
nach; sie machte den Entbehrungen gegenüber ihre Rechte geltend, war
schmerzempfindsam und trug in sich den Widerspruch gegen das Leiden, wenn
dieser auch durch die sittliche Vollkommenheit vollkommen beherrscht und
überwunden wurde und zu keiner Unvollkommenheit verleiten konnte. Der Wille des
Vaters war das einzig Maßgebende im Leben des Gottmenschen und Erlösers, sowohl
in den rein innergöttlichen Beziehungen wie in seinen äußeren Lebenslagen. Der
unendlich liebende Wille des Vaters sandte das Wort als Erlöser, und das Wort
unterwarf sich – in der Freiheit, die der Liebe eigen ist – diesem liebenden und
geliebten Willen, wodurch die Menschheit gerettet werden sollte. So war Jesu
äußeres menschliches988 Leben ein ständiger Gehorsamsakt, von
vollkommenster Liebe beseelt.
2384 |
Das menschliche Leben Jesu bewegte sich auf
einer ähnlichen, ja im Grunde gleichen physisch-psychischen Grundlage wie unser
menschliches Dasein. Der Unterschied liegt im Grunde nur in seiner göttlichen
und unserer menschlichen Person. Die göttliche Person nahm aber (wie früher
ausgeführt) die in der menschlichen Natur zur Verfügung stehenden
Lebensmöglichkeiten als wahrhaft menschliche Lebensmöglichkeiten und als
wirkliches Menschenleben in sich auf; anderseits stützten die in der
menschlichen Natur gegebenen Lebensfähigkeiten das Bestehen-können der
göttlichen Person in einem wirklichen Menschenleben. – Die Tatsache der
Menschwerdung versetzte die zweite göttliche Person in eine ganz veränderte
Lage, die auch entsprechende Auswirkungen und Rückwirkungen auf die Person
selbst mit sich brachte. Sie befand sich nun in einem Zustand der Entblößung
und Verdemütigung im Hinblick auf die ihr gebührende frühere Stellung. Dazu
trat das Schmerz-Empfinden und jene mit dem Menschsein gegebene Mittelstellung
zwischen Geistigen und Leiblichem989. Aus den in seiner Person als
dem Träger zweier ganz verschiedener Naturen vereinigten Gegensätzen zwischen
dem an sich Zustehenden und mit Recht Begehrten und doch nicht Vorhandenen
entwickelte sich in Christus das wie in jedem Menschen immer tätige Gemüts- und
Gefühlsleben. Die göttliche Person „erfuhr“ mit dem ihr nun eigenen
Gemütsempfinden auf menschlichem Wege und in menschlicher Weise ihre nunmehrige
Lage. Christus erlitt an sich und in sich durch entsprechendes Gemütsempfinden
das Versetztsein in ein menschliches Leben und Dasein. Die menschliche Natur Christi990
stand wohl auf gleicher sittlicher Vollkommenheitsebene mit der göttlichen
Person, war aber in gleicher Weise wie unsere menschliche Natur in allem
leidensempfindlich und beeindruckbar durch die Mängel des menschlichen Lebens,
ja sie war im höchsten Grade feinfühlig, vornehm und empfindsam, weil sie eben
für eine göttliche Person, und zwar zum Zweck der Erlösung bestimmt und
geschaffen war.
2385 |
Dieses Sich-Erleben der göttlichen
Erlöserperson in ihrer Menschheit mit all den Verdemütigungen, die das Menschsein
in Anbetracht ihrer göttlichen Natur mit sich brachte, musste in der Seele
Christi991 ständige, entsprechende Akte auslösen und hervorbringen,
die gleichbedeutend waren mit einer ständigen Unterwerfung und einem
immerwährenden Gehorsam gegenüber dem Vater. Die menschliche Natur Jesu992
„erlitt“ in Sicht den Willen des Vaters, die göttliche Person war die Trägerin
dieser das Menschsein erleidenden Natur. Weil aber Jesus den Vater liebte, tat
er immer in der Freiheit der Liebe den Willen des Vaters, der ihn gesandt hat.
2386 |
Diese ständige, wunderbare, göttliche
Unterwerfung unter den Willen des Vaters war ein wirklicher tatsächlicher
Gehorsam; denn er beruhte auf der gleichen Grundlage, wie auch beim
gewöhnlichen Menschen, nämlich auf der Grundlage eines möglichen Widerspruches
der eigenen menschlichen Natur. Die „Wege“ der inneren Aktionen und Reaktionen
der Person in Christus waren gleich jenen, unserer menschlichen Person, deren
Befehle einen mehr oder minder tiefen Widerspruch in den ihr zur Verfügung stehenden
Ausführungskräften (seien sie physischer oder geistiger Natur) begegnen.
Christus hat also diesen seinen Gehorsam an seine Seele und an seinem Leibe als
seelische und körperliche Leiden erlitten. Deshalb kann man, trotz seines
sittlich-wesentlichen Vollkommenheitszustandes auch bei ihm von einem wirklich
geübten Gehorsam gegenüber seinem himmlischen Vater sprechen; denn dieser, sein
Gehorsam bewegte sich nicht einseitig auf einer rein geistigen Höhe, sondern
war ein wirklich physisch-psychisches Erleiden des Willens des Vaters und trug
darum die Eigenschaften eines wirklichen Gehorsams an sich. Die seelischen und
körperlichen Leiden Jesu lösten in seiner menschlichen Natur (deren Anlage
nach, aber doch in voller Einordnung in die göttlich-sittliche
Vollkommenheitsebene seiner Person) den gleichen Widerspruch aus wie beim
gewöhnlichen Menschen. Das Erleben dieses selbst erlittenen Widerspruchs
brachte entsprechende Reaktionen hervor, die augenblicklich und immerwährend
der göttlichen Person zuströmten als das Erleiden und das Produkt seines
Menschseins. Die göttliche Person selbst sah sich als Erleberin und Erleiderin
dieses menschlichen Lebens.993
2387 |
Während des Erdenlebens Jesu blieben aber
auch, wie gesagt, die göttlich-wesentlichen Beziehungen im göttlichen Kreislauf
der heiligsten Dreifaltigkeit bestehen. Damit wurde auch sein Gesamtleben jeden
Augenblick in das wundersame Dreieinigkeitsleben einbezogen. Rein geistig ging
das „Wort“ aus dem Vater hervor und als gottmenschlich gelebtes Leben strömte es
dem Vater wieder zu. So brachte das göttliche Leben des Vaters unermessliche,
göttliche Frucht im menschlichen Lebensbereiche der göttlichen Person des
Erlösers, des menschgewordenen Wortes. Darin entwickelten und entfalteten sich
alle jene göttlich-wesentlichen, sittlichen Vollkommenheiten in wirklich
gelebten und erlittenen gottmenschlichen Tugenden und Vollkommenheiten. Diese
waren tatsächlich auch mit menschlichen Kräften errungene Furcht und in diesen
gottmenschlichen Leistungen und Kraftanstrengungen im Leben des Erlösers liegt
auch die unermessliche Genugtuung für die Menschheit. Alle göttlich-sittlichen
Vollkommenheiten wurden im Erlöser zu menschlich-sittlichen Übungen, die
immerwährend dem Vater zuströmten. Darum kann man auch von einem Verdienst des
Gehorsams des Erlösers sprechen; denn der Gehorsam Jesu war wirklich die
Frucht, die persönliche Frucht seiner menschlichen Kraftaufwendung, und wer die
ihm aufgetragene Tat vollbringt, dem gebührten auch das Verdienst und der Lohn.
Da aber Christus dem Herrn als Gott sein göttliches Leben als Genuss für alle
Ewigkeit genügt, so sind wir, alle Erlösten, ihm zu jenem Lohn und Lobpreis
geworden, der ihm vom Vater als Frucht seines Erlöserlebens zugesichert wurde.
Jede für die selige Ewigkeit gewonnene Seele ist für den Erlöser ein Lobpreis
ohne Ende, weil die Spuren und Wirkungen seiner gottmenschlichen Bemühungen in
ihr für alle Ewigkeit ihn ehren.
2388 |
So war der Gehorsam Jesu ein wirklicher,
vollwertiger, gottmenschlicher Gehorsam; denn die Akte dieses Gehorsams wurden
in einer leidensfähigen und des Widerspruchs fähigen menschlichen Natur geübt
und erprobt, wurden Akte einer wirklichen Unterwerfung vor dem Vater994
und werden in Folge dieser Unterwerfung zur tatsächlichen Ausführung des
Willens des himmlischen Vaters. Die Bemühungen und Anstrengungen Jesu zu diesen
Gehorsamsakten gingen jeden psycho-physischen Weg, den eine menschlich geübte
und ausgefüllte Leistung zurücklegen muss, um – entsprechend der
psychologischen Anlage einer Person – als menschliches Lebensprodukt anerkannt
werden zu können. Was sich „die Person“ zur Aufgabe stellt, das wird mit den
der Person zur Verfügung stehenden psycho-physischen Fähigkeiten ausgeführt und
strömt als Produkt dieser an sich selbst erlittenen Ausführung wieder der
Person zu. Auf diesem Weg wurden die göttlich-sittlichen Vollkommenheiten Jesu
zu menschlichen Tugenden und Vollkommenheiten des Erlösers, gleichsam selbst
erworben und selbst erlitten auf der Grundlage eines wahren Menschentums. So
war Christus auch auf dem sittlichen Gebiete wahrer Mensch, jedoch auf der
Grundlage seiner göttlichen Person und deren sittlicher995
Vollkommenheitshöhe. Und dieses Erlöserleben Christi brachte
göttlich-menschliche Früchte, die unser unendlicher Ersatz vor dem ewigen Vater
geworden sind.
2389 |
Hätte Jesus keine leidensfähige und
widerspruchsfähige menschliche Natur gehabt, dann wäre bei ihm ein wirklicher
Gehorsam nicht möglich gewesen; aber Jesus hatte in sich – trotz seiner
sittlichen Vollkommenheit – die gleiche menschliche Abneigung gegen
Unterwerfung, Leiden und Tod wie wir, weil diese Reaktionen eben der
menschlichen Natur im gefallenen Zustand anhaften und eigen sind. Christus ist
wahrer Mensch gewesen, in allem gleich uns, die Sünde ausgenommen; er kannte
und erfuhr alle menschlichen Widerspruchsmöglichkeiten, und dementsprechend
haben sich im Innenleben Jesu auch jene Gemüts- und Gefühlsbewegungen
entwickelt und abgespielt, durch die er Sieger wurde über die gefallene Natur.
Er hat den Widerspruch gegen die Leiden in seiner menschlichen Natur genauso
wie wir, ja noch viel stärker und höher gespürt; denn er stieg von der Höhe
seiner Gottheit herab in unsere arme Menschlichkeit, und so war der Widerspruch
in ihm infolge der beiden verschiedenen, in seiner Person vereinigten Naturen
noch viel größer als bei uns. Und sein Innenleben, bzw. seine Gemütsbewegungen
sind zum Mittelpunkt der göttlichen und menschlichen Auswirkungen in seiner
Person geworden.996
2390 |
Schon die
Erschaffung der Menschen war eine freie Liebestat des himmlischen Vaters. Gott
„musste nicht“ die Menschen erschaffen, denn er genügte sich selbst
vollständig. Wenn er sie doch geschaffen hat, so geschah es nur997
aus Liebe, um sie nämlich einmal an seiner göttlichen Glückseligkeit teilnehmen
zu lassen. – Ebenso war die Erlösung eine ganz freie Liebestat der Heiligsten
Dreifaltigkeit. Gott hätte die Menschen auch in ihrem gefallenen Zustande
lassen können. Nichts anderes bestimmte Gott zur Erlösung als die Liebe, und
zwar die göttliche Freiheit der Liebe, göttliche, unumschränkte Freiheit, mit
der auch die denkbar höchste Freiheit eines Menschen, soweit wir sie begreifen
können, nicht zu vergleichen ist.
2391 |
Die Freiheit eines Menschen hat bei aller
Bereitwilligkeit andern gegenüber immer noch Gründe, um sie zu betätigen und
auszuüben; sie hat immer Grenzen und nicht erfüllte Möglichkeiten. Die Freiheit
der Liebe im Werke der Erlösung aber war Gottes wesentliche unendliche Liebe,
deren er sich in unumschränkter, göttlicher Weise bedienen konnte. Es war die
göttlich, wesentliche Freiheit der unendlichen Liebe Gottes; ihre tiefste
Quelle liegt in der Allmacht der göttlichen Liebe, in ihrer
göttlich-wesentlichen, unendlichen Unbeschränktheit und Bewegungsmöglichkeit.
Im Bereich der göttlichen Liebe der Heiligen Dreifaltigkeit gibt es nicht die
starren Grenzen und Gebote, die unser menschliches Begreifen braucht und sich
vorstellt. Die göttliche Liebe kennt kein Wägen und Fragen, ob Ja oder Nein;
die göttliche Liebe handelt und vollzieht. – Auch im Leben des Erlösers
herrschte und blieb bei all seinen Leiden die göttliche Freiheit der Liebe,
zumal das Geheimnis der hl. Dreifaltigkeit998 „auch während der
Erdenzeit des Erlösers unverändert weiter bestand.“
2392 |
Der Mensch kann sich keinen Begriff von der
göttlichen Bewegungsmöglichkeit und Unumschränktheit der unendlichen Liebe
machen, die seiner göttlichen Allmacht zusteht. Es ist aber wunderbar und
unaussprechlich, diese göttliche Bewegungsmöglichkeit der unendlichen Liebe zu
erleben. – Ich erfasste den unendlichen „Raum“ der göttlichen Liebe: „Die
Liebeseinigung999 der drei göttlichen Personen“, um die Erlösung
auszuführen. (Dieser Ausdruck für die Ursache der Erlösung wurde mir innerlich
gegeben.) – In diesem göttlichen, unendlichen Liebesraum kommen sich die drei
göttlichen Personen nicht „so nahe“, dass eine Beengung oder der leiseste Zwang
ausgelöst werden könnte. Es herrscht dort nur die göttlich-wesentliche Freiheit
der Liebe, – um ein annäherndes menschliches Wort für das unaussprechlich Erfasste
zu gebrauchen.
2393 |
Der Erlösungsplan selbst entsprang also einer
„Liebesvereinbarung der drei göttlichen Personen“. Die Menschwerdung der
zweiten göttlichen Person geschah nur aus göttlicher Liebesfreiheit. Im Wirken
Gottes gibt es keinen Zwang, auch nicht aus erhabensten, göttlichen Gründen.
(Ich habe diese göttliche1000 Liebesfreiheit der Erlöserperson in
der unendlichen Unumschränktheit und „Raumlosigkeit“ der Liebe der heiligsten
Dreifaltigkeit gut erfassen können. Es ist dies das Wunderbarste, dieser
„unendliche Bereich der göttlichen Liebe“). – Der Vater „sendet“ das göttliche
Wort, den Sohn, mit dem Auftrag der Erlösung; der Sohn übernimmt diese Sendung
als Auftrag, ja wie ein Gebot des Vaters, das er zu erfüllen hatte, aber er
übernahm diese Sendung und führte den ihm damit gegebenen Auftrag durch aus
freiwilliger Liebe, aus göttlicher freier Liebe. Diese göttliche1001
freiwillige Liebe gab dem Erlöser die Möglichkeit und das Recht des
Verdienstes, wodurch er uns die Erlösung erworben hat.1002
2394 |
So wie es uns gleichsam selbstverständlich
ist, „Mensch zu sein“ und dies an sich noch kein Leiden für uns bedeutet, so
brachte auch für Christus die Tatsache, Gott-Mensch zu sein an sich keine
Leiden. Die vollkommene Ausstattung der Seele Jesu machte vielmehr eine wie
natürliche Harmonie mit der göttlichen Natur möglich. Jesus empfand aber dann
die Auswirkungen des gottmenschlichen Daseins auf seine menschliche Natur.
Diese Auswirkungen gehören jedoch schon in den Bereich des Erlöserlebens
selbst, wofür das „Gott-Mensch-sein“ die Grundlage bildete. – Als Person blieb
Jesus das, was er war: Er blieb Gott auch in seiner Menschheit und die Einigung
der beiden Naturen in ihm war so vollkommen und seine menschliche Natur war so
vollkommen von der göttlichen Person durchlebt, als ob er weiterhin Gott auf
rein geistiger Grundlage gewesen wäre. Jesus trug aber die Menschennatur des
gefallenen Zustandes, leidensfähig dem Leibe und der Seele nach. Diese
menschliche Natur bleibt auch bei höchster sittlicher Vollkommenheit der Person
leidensfähig und widerspruchsfähig gegenüber seelischen und körperlichen
Empfindungen. So bestehen also im Erlöser die beiden Tatsachen zusammen: Die
vollkommene Harmonie als Gott-Mensch und dabei trotz höchster sittlicher
Vollkommenheit die Empfindungsfähigkeit der menschlichen Natur, der Seele und
dem Leib nach.
2395 |
Während ich das Geheimnis des Erlösergehorsams
erlebte, wurde ich auch auf Folgendes hingewiesen: Der Gelehrte, der Theologe,
der diese Geheimnisse zu erforschen sucht, kann für gewöhnlich nur mit dem
menschlichen Verstand, und zwar vom Menschen ausgehend die göttlichen
Geheimnisse erforschen, indem er von den menschlichen Grundlagen und
Gegebenheiten aus in jene Geheimnisse einzudringen sucht. – Mich führt Jesus
gerade einen entgegengesetzten Weg: Ich werde zuerst in die göttlichen
Geheimnisse eingeführt und dann gleichsam wie mit göttlichen Begriffen und
Erfahrungen hinübergeleitet in die Menschheit Jesu, z. B. in seinem
Erlösungsgeheimnis. – Schon früher war mir diesbezüglich gesagt worden: Will
man den Erlöser erforschen, so muss man zuerst in den Bereich des Göttlichen
einzudringen suchen (weil Jesus als Erlöser wesenhaft Gott blieb) und dann von
der göttlichen Wesensgrundlage aus auf den Menschen in Christus übergehen.
Gerade vom „Wesen Gottes selbst“ aber kann sich der Mensch ohne besondere Gnade
der Einführung und eines wenn auch nur beschränkten und annähernden „Begriffes“
keine genügende Vorstellung machen, um betreffende göttliche Geheimnisse
vollrichtig verstehen und erfassen zu können.1003
2396 |
Ich wurde daher auch hinsichtlich der
besonderen Gnade des Erlebens der hypostatischen Union und der Psychologie
Christi systematisch und fortlaufend in die Wesensgrundlage der göttlichen
Natur der zweiten göttlichen Person bzw. des Wesens Gottes in sich eingeführt
und dann auf das Geheimnis der physischen Natur Christi übergeleitet, weil das
Göttliche, das wesenhaft Göttliche, immer das Tragende, Beherrschende im Leben
des Erlösers blieb, und weil die physische Natur der Vollkommenheit der
göttlichen Person selbst dienstbar war.1004
2397 |
Meine einzige Stütze und Sicherheit ist die
Demut.
2398 |
Ich will die Demut für mein ganzes Leben als
Stab und Stütze erwählen. Soweit es mich betrifft, will ich nicht das
Priesterwerk, will ich keinen Fortschritt im inneren Erleben Christi, ich will
nur Fortschritt in der Demut und Selbstvernichtung und Selbstverdemütigung. Ich
will die Demut als meine besondere Geistes-Charakteristik erwählen und als
meinen Weg, auf dem Gott sich selbst verherrlichen kann.
2399 |
Seit Mitte September bin ich nun auf dem Wege
einer neuen, ständigen Erhöhung des Erlebens Jesu. Ständige Leiden wechseln dabei
mit dem vorübergehenden Vorauserleben der kommenden Stufe des Erfahrens des
Erlösers. Diese kommende Stufe ist aber so sehr meinem eigenen Sein und Zustand
gleichsam „einverleibt“ und wie zu meiner eigenen Existenz geworden, dass es
kein menschliches Wort dafür gibt. Der Weg wird mir hauptsächlich erklärt durch
die ständigen, feinen Leiden einer zunehmenden Selbstentäußerung und zugleich
durch das Aufnehmen jenes Ersatzes dafür, den das innere Leben Jesu bietet. Es
fehlt aber in diesem geistigen Erhebungsstadium bereits vollständig jene
„Erleuchtung des Weges“ in Christus, die es ermöglicht, darüber zu reden und
sich auszudrücken; einzig das „Gehen“ dieses Weges, d. h., die passive
Selbstentblößung, und die darauffolgende Erhebung verwebt sich mit meinen
persönlichen inneren Leben und bildet sich als dessen Hauptkraft und wie eine
neue Existenz aus. Diese „Erhebung“ ist ein sich steigendes „Anziehen“ eines
Habitus des Geistes, der mir in den letzten Jahren, und besonders in der
letzten Zeit erfahrungsmäßig als „Zustand des menschgewordenen Wortes“ erklärt
wurde.
2400 |
Es ist mir, als ziehe sich in diesen letzten
vier Monaten alles, was ich früher einzeln über den Habitus des Gott-Menschen
erlebte, nun in mir selbst zusammen und bilde sich dieser Habitus zu einem
Nacherleben meinerseits mit den entsprechenden Folgerungen für mein Menschsein
in mir vollends aus. Es scheint mir dies wie ein Abschluss vieler früherer
Anfänge zum endlichen Ziel. Es bildet sich „eine geistige Spitze“ als „mein
Ich“ und entsprechend dieser Eigenart dieses geistigen Aufbaues beginnt mein
Gesamt-Menschsein sich auszurichten, auszubilden und auszuwirken, wobei ich der
Folgerungen schon durch entsprechende Energieaufwendung innewerde. So erfahre
ich eine wirkliche geistige Umänderung nach dem Maße des schon ausgebildeten
neuen Geisteszustandes. – Die Hauptbewegung meines Innenlebens ist aber dabei
immer noch ein gewisses, immerwährendes „Verzichten auf mich“, d. h. eine
ständige innere Bewegung, die sich aber mit keinem Worte vollständig erklären
lässt. –
2401 |
[Dieses Werk] ist
1. „ein vertieftes theologisches
Lehrwerk“. (Dieses Wort wurde mir innerlich als Erklärung für das zu gründende
Werk gegeben).
2. Ein Zusammenschluss einer Anzahl
von Priestern, die dazu geeignet sind und die unter Leitung von H. Pater
Baumann in jene von Jesus gewollte theologische Glaubensvertiefung eingeführt
werden, und zwar so, dass diese vertiefte Theologie sogleich in die Praxis
umgesetzt wird. Theorie und Praxis müssen zusammengezogen und verbunden werden
und damit soll jene „Kluft“ beseitigt werden, die sich vielfach zwischen
theologischer Lehre und praktischer Betätigung gebildet hat und die zur
heutigen tatsächlichen Glaubensverflachung beitrug.
2402 |
Das Werk ist also im Grunde und kurz gesagt:
Vereinigung von Theorie und Praxis, und zwar in einer vertieften theologischen
Form. Die erwähnte theologisch-praktische Vertiefung findet sich in meinen
Aufzeichnungen fortlaufend erklärt und als allgemeines kirchliches Glaubensgut
begründet.
2403 |
Die Mitglieder dieser Priestergesellschaft
werden eine bestimmte Zeit lang in dieser Glaubensvertiefung theologisch
gebildet und praktisch geübt, ähnlich wie in einem Noviziat, bis sie die
Befähigung haben, andere Priester in denselben Geist einzuführen. Der besondere
Hauptzweck des Werkes ist nämlich der: alle Priester in der Praxis der
theologischen Glaubensvertiefung zusammenzuschließen und damit allgemein ein
neues, vertieftes Glaubensleben zu schaffen.
2404 |
Die vertiefte Theologie führt den einzelnen
Priester ein in die Fülle und den Reichtum der Erlösungsgnaden, die uns
Christus verdient hat und die er nun als „neue Gnaden“ einer subjektiven
Ausschöpfung seiner Erlösergnaden jedem einzelnen Priester zum Gebrauche
anbietet. Die Priester werden eingeführt in die tiefsten Quellen des Glaubens;
diese werden voll herausgeholt, zum Fließen gebracht, wirksam gemacht und dem
Einzelnen zugewendet. Durch diese Gnaden einer subjektiven Ausschöpfung der
Erlösungsfrüchte sollen und werden die in der Erlösung gelegenen Absichten der
unendlichen Liebe Gottes zur vollen Verwirklichung gebracht werden.
2405 |
Der tiefste Zweck und die wesentliche Absicht
Gottes beim Erlösungswerk waren im tiefsten Grunde immer eine „Vollerlösung“,
und es lag daher in Gottes Erlösungsplan immer schon die Möglichkeit auch einer
subjektiven Vollerlösung für den Einzelnen eingeschlossen. Aber diese Gnaden
konnten bis jetzt die einzelnen Seelen nur als spezielle Gnaden aus den
Schätzen der Erlösung herausholen, oder vielmehr wurden sie diesen durch
besondere Gnaden zugewendet und geschenkt. Christus will nun die Fülle der uns
verdienten Erlösungsgnaden allgemein eröffnen – und zwar vorerst den Priestern
– und dies auf dem Wege einer praktischen Betätigung eines vertieften Glaubens
in dem angegebenen Sinne. Christus wünscht, dass alle Priester sich dieser
„neuen Gnaden“ teilhaftig machen, weil diese der heutigen Not und den
Bedürfnissen der Kirche entsprechen. Er will auf diesem Wege seine
Erlösungsgnaden gleichsam „neu ausgießen“ und diese werden wirksam sein „wie
eine neue Erlösung“. (Dieser Ausdruck wurde mir dafür gegeben).
2406 |
Das Bestreben, diese Gnaden zu erlangen und
sich zuzuwenden, wird im einzelnen Priester einen neuen Eifer wecken. So will
die unendliche Liebe Gottes bzw. des Erlösers den allgemeinen Plan und Zweck
der Erlösung tatsächlich verwirklichen, und zwar entsprechend den Bedürfnissen
der Kirche. „Bis zum Ende der Zeiten wird Christus seiner Kirche alle
Erlösungsgnaden mit ihren verschiedensten Formen in voller Fülle zugeteilt haben“.
Von dem, was er der Menschheit durch seine Menschwerdung an Gnaden und Früchten
erworben und der Gemeinschaft der Kirche übergeben und in ihr hinterlegt hat,
wird nichts ungenützt oder unfruchtbar bleiben; die einzelnen Seelen erfahren
die Fruchtbarkeit der Erlösung durch die Gemeinschaft mit der Kirche. Christus
teilt sich seiner Kirche „ganz“ mit, d. h. mit all dem göttlichen Reichtum und
den Verdiensten seiner Menschwerdung und seines Erlöserlebens. Ich wurde
diesbezüglich hingewiesen auf die Worte Jesu: „Wer an mich glaubt, der wird die
Werke tun, die ich getan habe, ja noch größere als diese“. –
2407 |
Die Gnaden einer subjektiven Vollerlösung für
den Einzelnen sind also in der Erlöserliebe schon enthalten; es sind schon
„gegebene“ und verdiente Gnaden, die nach Gottes Absichten „jetzt“ fruchtbarer
und fließend zugeteilt werden, und zwar an erster Stelle den Priestern, die
infolge ihrer Auserwählung und Würde sich als Erstzuerlösende (als
sich-zuerst-zu-Erlösende) betrachten sollen. Durch das Priesterwerk werden dann
– nach langer Zeit – diese Gnaden weiterströmen und in das gewöhnliche
christliche Leben und Streben des Volkes übergehen. Bis dahin aber wird die
allgemeine Zeitlage sich geändert haben. „Dieser gnadenvollen Zeit der vollen
Ausschöpfung der Erlösungsfrüchte durch die Gesamtkirche geht voraus die
Säuberung der Geister von den modernen Irrlehren“.
2408 |
Für die Ausführung des Werkes wurden mir von
Anfang an zwei Möglichkeiten gezeigt: a) entweder angeschlossen an einen schon
bestehenden Orden oder b) als selbstständiges Werk, das sich diese Erneuerung
als Grundlage und Ausgangspunkt nimmt. – Das besondere Ziel ist in beiden
Fällen das gleiche: Priesterseelsorge im Geiste jener theoretisch-praktischen
Ausübung einer vertieften Theologie.
2409 |
Welche von beiden Möglichkeiten wirklich zur
Ausführung kommen wird, ist mir bis jetzt unbekannt. „Es wird mir darüber noch
kein Licht gegeben (so wurde mir innerlich zu wissen getan), weil die
Entscheidung hierüber den zuständigen Persönlichkeiten überlassen wird“. –
Zuerst, und vor allem muss das Werk selbst klargestellt und ausgearbeitet
werden; dann kommt erst die Frage der Ausführung zur Entscheidung. Nach Gottes
Willen muss das Werk in seinen geistigen Grundlagen geprüft und sein Eigenzweck
gesichert werden. Ebenso muss dem Gründer und Leiter H. Pater Baumann die
notwendige Bewegungsmöglichkeit zuerkannt werden; andernfalls könnte die Gefahr
bestehen, (z. B.) dass das Werk selbst in einem Orden „eingezwängt“ werde und
damit der ganze Plan Gottes gefährdet würde.
2410 |
Zur ersten Möglichkeit: Wenn das „Werk“ (in
diesem Fall gemeint als neue Betätigung und neue Aufgabe) an einen schon
bestehenden Orden angeschlossen wird, dann muss gemäß den Absichten Gottes der
Eigenzweck des Werkes selbst gesichert werden, d. h., der betreffende Orden
muss die Gewähr geben, dass der Zweck des Werkes und die notwendige Einführung
der Mitglieder gewahrt bleiben. Es muss eine geschlossene, für die betreffenden
Mitglieder verpflichtende Einführung in die theoretisch-praktische Glaubensvertiefung,
ähnlich wie in einem Noviziat, zugesichert und die besondere Tätigkeit des
Werkes gewahrt bleibt. Dabei darf aber der Geist des betreffenden Ordens selbst
nicht berührt werden, denn die Einheit im Orden darf nicht gestört werden.
Tatsächlich werden die Mitglieder des Werkes auch in ihrem Ordensideal
befestigt werden, weil es sich ja um eine über alle Orden stehende
Geisteserneuerung von innen heraushandelt, der die Erneuerung des Ordensgeistes
wie von selber folgt.
2411 |
Praktisch müsste also jener Orden zur Ehre
Gottes und im Dienste des hohen Zweckes das ganze Werk der Glaubensvertiefung
nach der gottgewollten und angegebenen Weise übernehmen. Es müssten geeignete
Mitglieder zur Verfügung gestellt werden, die unter Leitung von H. Pater
Baumann in diesen Geist eingeführt werden und die dann nach Ablauf einer
bestimmten verpflichtenden Prüfungszeit sich besonders der Priesterseelsorge
widmen, falls sie vom Leiter dafür befähigt anerkannt werden. Der Leiter bzw.
Gründer untersteht nur dem betreffenden Ordensgeneral, damit die
Einheitlichkeit und geistige Bewegungsmöglichkeit gesichert sei. Die oberste
Leitung liegt beim Ordensgeneral, von dem im ~Einverständnis mit dem Leiter die
einzelnen Mitglieder für das Werk ausgewählt und zugeführt werden. Das Werk selbst
wird als päpstliches Werk der kirchlichen Ordensdisziplin unterstellt und
danach geregelt werden.
2412 |
Zur zweiten Möglichkeit: Wenn das Werk als
selbstständig in Form eines neuen Priesterinstitutes sich bilden muss, dann
wird die genannte theoretisch-praktische Glaubensvertiefung von Anfang an als
geistige Grundlage desselben – unter einem Bischof oder einen Kirchenfürsten –
genommen werden. Diese neue Gesellschaft muss sich aber dann erst – (das ist
der Unterschied gegenüber der ersten Möglichkeit) – erst entwickeln „als
vertieftes theologisches Lehrwerk“, muss sich als solches durch praktische
Übung emporarbeiten und bewähren, um seinem Zwecke dienen zu können. Freilich
ist in diesem zweiten Falle die Einführung in den tiefsten Geist des
Priesterinstitutes leichter möglich, weil dieser als prinzipielle,
verpflichtende Grundlage gegeben und nicht durch die Rücksichten auf andere
Ordenssatzungen gebunden ist.
2413 |
In beiden Fällen wird das Werk jedoch nicht
den Namen „vertieftes theologisches Lehrwerk“ führen, wird sich aber als das
auswirken und das im Grunde sein, was dieser Ausdruck besagt. Es wird sich
nennen das „Werk“ oder das Institut Jesu des Hohenpriesters und wird sich im
Sinne des Hohenpriesters Jesu betätigen. Doch dies sind sekundären Fragen, die
aber manchmal an erster Stelle gerückt werden und dann Schwierigkeiten
verursachen können.
2414 |
2415 |
Auf der Grundlage
von M1
2416 |
Ich nähere mich jenem glückseligen Zustand, in
dem Leiden zugleich „Freuden“ bedeuten, und zwar die Leiden, die mit meiner
geistigen Aufgabe und meinen Verhältnissen gegeben sind. – Ich bin von jedem
Einfluss der Menschen derart gleichsam „abgetrennt“, als wäre ich ganz allein
auf der Welt. Statt der äußeren Einflüsse, denen jeder Mensch irgendwie
unterworfen ist und zu denen er Stellung nehmen muss, bildet sich in mir, oder
besser ausgedrückt, bilde ich mich wie zu einer „uneinnehmbaren Geistesfestung“
aus. Es bildet sich in mir ein neuer Kreis unaussprechlicher
Unbeeinflussbarkeit eines selbstständigen Selbstseins und eines gewissen
Selbstbeherrschens, das mit meinem jetzigen Sein und Leben schon verbunden ist.
Das jetzige Sein und Leben enthält alles zum Dasein Notwendige und ist zugleich
das auch mein physisches Leben regelnde Prinzip. Diese Lebensgrundlage erhöht
sich aber beständig und bildet sich immer vollkommener aus mit den aus der
Vereinigung mit der göttlichen Person sich ergebenden Konsequenzen für mein
Menschsein. Jesus schafft dazu immer neue, passive Läuterungsleiden, die sich
vertiefen, weil bei der schon erreichten Sublimität der Seele die gewöhnlichen
Leiden diese nicht mehr wirksam bewegen und treffen würden. Damit erhöht sich
zugleich auch die schon erworbene Leidensfähigkeit.
2417 |
Es ist eine wundersame Geistesharmonie in mir,
von der das gesamte Menschsein „nach Art des Geistes“ geordnet und getragen
wird. Alles in mir ist jetzt so einheitlich und ohne jeden Widerstreit geordnet
als wäre überhaupt nur das Geistige vorhanden. Auch das physische Leben ist so
dem Geistigen eingeordnet, das nur das Geistige herrscht und ins Bewusstsein
tritt. Diese unaussprechliche Vergeistigung des gesamten Menschseins lässt
meine Seele eine solche Loslösung von den menschlich eigenen Interessen
erfahren, dass sie nur mehr den Interessen dessen lebt, was nun ihr ureigenster
„Lebensimpuls“ ist und wovon sie im tiefsten Grunde geführt und getragen wird:
das Leben Gottes.
2418 |
Ich möchte die Wirkungen dieses Lebens Gottes
in mir einigermaßen dem Verständnis1008 nahebringen durch den
einfachen Vergleich mit einem Luftballon. Dieser geht kraft der Luft, mit der
er gefüllt ist, immer in die Höhe, und nicht einmal die äußere Hülle beschwert
ihn oder hält ihn nieder, denn die Luft im Innern ist das Wesentliche und nimmt
die äußere Hülle mit in die Höhe. So ähnlich ist es mit meinem jetzigen
Menschsein geworden. Die jetzige Vergeistigung ist Loslösung von den früheren,
mit dem gewöhnlichen Menschsein gegebenen Interessen, [und] führt mich ein in
eine zwar geheimnisvolle, aber doch erlebte Tatsache einer gewissen
Leidensunfähigkeit als meines nun gewöhnlichen Zustandes1009, d. h.
so lange nicht durch die besondere göttliche Führung ein passives Leiden
angeregt und hervorgerufen wird (Ich meine dabei nur den Geistesbezirk, denn
der Leib wird immer schmerzempfindlich bleiben, es sei denn, dass Gottes
besonderes Eingreifen anderes bewirkt). Meine Seele ist durch das Wesen des
Lebens Gottes in ihr derart in die Höhe gehoben und gleichsam von sich selbst
entfernt und abgelöst, dass die geistige Leidensfähigkeit aufgehoben scheint
und alles Leiden gleichsam an der Seele „abprallt“, weil sie durch den
göttlichen Lebensimpuls, der sie erfüllt, wie unempfindlich wurde.
2419 |
Ausgehend von diesem tatsächlichen
Selbsterfahren1010 werde ich hingeführt auf eine Tatsache im
Menschen Christus, die mir aufgrund dieser geistigen Selbsterlebnisse durch die
göttliche Führung erklärt und bestätigt wird: Die göttliche Person hat einen
besonderen „Willensakt“ gesetzt, um ihr Menschsein in der Form des
Erlöserlebens erleiden zu können. An sich wäre nämlich beim Gottmenschen
infolge der höchsten, göttlichen Vergeistigung und Erhabenheit seines
Gesamt-Menschseins ein „Leiden“ in unserem menschlichen Sinne nicht möglich
gewesen. Der gewöhnliche, wesentliche Zustand des Gott-Mensch-Seins hätte
infolge der Auswirkungen seiner wesenhaften Göttlichkeit auf seine Seele
überhaupt kein Leiden nach unserem Begriff in ihr aufkommen lassen. Das
Göttlich-Geistige in Christus hatte seine menschliche Natur so sehr und
vollkommen in jene Geistesatmosphäre mitgenommen, dass an sich das menschliche
Leidensgefühl von der menschlichen, leidensfähigen Natur hinweggenommen und
trotz der Menschwerdung nur das göttlich-geistige Lebensprinzip herrschend und
geltend geblieben wäre. Infolge der göttlich-wesentlichen Erhabenheit seines
Gesamt-Menschseins wäre an sich auch ein nach unserer gewöhnlichen menschlichen
Art erfahrenes Gefühls- und Gemütsleben im Gottmenschen unmöglich gewesen. –
Aus meinem eigenen diesbezüglichen Erfahren in den letzten Jahren und in der
letzten Zeit kann ich bestätigen und feststellen: Durch fortgesetzte passive
Reinigungen wird die Seele derart vergeistigt, dass sie schließlich nicht mehr
den nach früherer Art erlebten Gemütsempfindungen unterworfen ist. Die Seele
als das Wesentliche des Lebens hat vielmehr „genug“ mit der durch die göttliche
Vereinigung gebotenen Erhabenheit und Ruhe in sich selbst und die
„Gemütsempfindungen“, jene Brücke und Mittelstellung zwischen den geistigen und
physischen Kräften im menschlichen Dasein, „schnellen“ gleichsam in die Höhe.
Da die früheren persönlichen Interessen und Anhänglichkeiten des gewöhnlichen
Menschenlebens abgelöst sind, findet es die Seele sozusagen nicht mehr der Mühe
wert, darauf hinabzusehen. Die mittels entsprechender passiver Leiden errungene
Erhabenheit der Seele ist vielmehr so groß und intensiv, dass ihr an sich ein
Gemütsleben nach der früheren Art für gewöhnlich weder nötig noch möglich ist.
Das „Leben“ selbst, d. h. das Wesentliche und Tiefste in meinem Leben ist wie
zu einem Geistesprinzip und Geistesakt geworden.
2420 |
Das gewöhnliche menschliche Gemütsleben ist
größtenteils ein physisches Empfinden, das eigentlich weit unter geistiger
Betätigung steht, wenn es auch vom Menschen weithin als geistige Betätigung
empfunden wird und ebenso einen seelischen Ausgangspunkt, wie auch eine
physische Ursache haben kann. Wohl kann auch in dem Zustand der Vergeistigung,
in dem ich mich jetzt bewege oder besser gesagt, bewegt werde, ein Nachklingen
nach Art früher erlebter Gemütsempfindungen auftreten, aber dieses Empfinden
ist dann so passiv, dass es gar nicht mehr als persönliches, eigenes Erfahren
wird. Meine Seele ist jetzt zu tiefst zum Urquell ihres Lebens und Daseins
selbst zurückgekehrt und erlebt sich als volle Beherrscherin des ihr
unterstellten leiblichen Elementes; sie ist, mit anderen Worten, zu ihrer
ursprünglichen Vergeistigung zurückgekehrt. Sie erlebt sich in Gott infolge der
vollen Rückgabe der einst verlorenen Geistigkeit, und diese Geistigkeit
schließt jede Störung aus, auch jene, die in der Betätigung des gewöhnlichen
Gemütsempfindens läge. Oder ist vielmehr nun auch das „Gemütsleben“ so
vergeistigt, dass es zu einem unmittelbaren geistigen Erleben geworden ist und
nicht mehr als physisch-psychische Betätigung erklärbar ist, sodass man von
einem geistigen „Gemüts- und1011 Affektleben“ sprechen müsste? –
Jedenfalls scheint es mir so: Es genügt mir nun, im „Geiste“ zu bleiben und
nicht mehr zu einem nach früherer Art empfundenen Gefühlsleben hinabzusteigen.
– Das Geheimnis dieser tatsächlichen Umänderung liegt in der geistigen
Unmittelbarkeit des Aufnehmens und Reagierens, in die meine Seele nun versetzt
ist, sodass viele und lange Wege des Schlussfolgerns und der physischen
Eindrücke und der gleichsam mühsamen Weiterleitung nicht mehr nötig sind.
2421 |
Die angeführte Tatsache einer gewissen
Unempfindlichkeit der vergeistigten Seele bezieht sich sowohl auf den inneren
Bereich der Seele selbst wie auch auf Ereignisse, die von außen an sie herantreten.
Christus hätte nun seine Menschwerdung nicht als jenen verdemütigenden Akt
erfahren und erfassen können, wie es tatsächlich der Fall war, wenn er sich
nicht ausdrücklich und freiwillig für dieses Erfahren und Erleben und Erleiden
hingegeben hätte. Gewiss hätte auch in jenem Fall die Menschwerdung des Wortes
überreichlich genügt, um die Menschheit zu erlösen; denn es hätte dazu schon
die Würde der göttlichen Person genügt, die, mit einer menschlichen Natur sich
verbindend, der göttlichen Gerechtigkeit sich als Ersatz für die sündige
Menschheit anbot. Aber bei dem Zustand und dem Habitus der ständig wirksamen
göttlich-wesentlichen Erhabenheit wäre Christus in jenem Falle doch mehr ein
„Geistesmensch“ geblieben, dem die psychisch-physischen Folgerungen seines
Menschseins nicht eigentlich ins Bewusstsein getreten wären. Er hätte auch in
jenem Falle nicht die Armut, Not, Kälte, die Verfolgungen seiner Feinde und
nicht einmal seine Verurteilung zum Kreuzestod als wahres menschlich
empfundenes Leiden spüren können, da die göttliche Erhabenheit ihm als
überfließender Ersatz genügt hätte.
2422 |
Es ist dem Wesen Gottes unverlierbar eigen,
„Gott“ zu sein, und zwar mit allen göttlichen Konsequenzen. Weil aber
göttlich-wesentliche Eigenschaft, [sic!1012] blieb darum jene
Erhabenheit oder Sublimität der zweiten göttlichen Person auch dann nach der
Menschwerdung ihr eigen und die göttliche Erlöserperson musste tatsächlich und
wirklich „den Willen haben“, Mensch zu sein mit allen Konsequenzen, wie es das
Erlöserleben mit sich brachte. Das ewige Wort musste – um ein menschlich
irgendwie erklärendes Wort zu gebrauchen – einen „Akt“ setzen, um sich
gleichsam gewissen Konsequenzen des „Gott-Seins“ entziehen und Mensch sein zu
können, entsprechend den Auswirkungen einer menschlichen Natur und deren
Anforderungen an ein menschliches Leben.
2423 |
Was ich früher schon öfter in ihm erkannt
hatte, das hat mir Jesus dieser Tage mehrmals wiederholt und betont: Er hat
einen Akt gesetzt, um das Mensch-sein mit allen Folgerungen zu erleiden. Der
Akt der Menschwerdung für sich allein schloss für Jesus noch nicht die
psychologische Fähigkeit ein, das Menschenleben mit all seinen Schwächen und
Konsequenzen voll erlebnismäßig und erlebniskräftig auf sich zu nehmen. Die
göttliche Erhabenheit wäre an sich – ohne jenen besonderen Willen – so wirksam
gewesen, dass Jesus sich ständig gleichsam „oberhalb“ oder „außerhalb“ eines
wahren Menschentums befunden hätte. Die göttliche Person „passte“ sich aber
bewusst und gewollt dem Menschen an, um es voll – mit allen psychologischen
Folgen, die ja eine Grundbedingung wahren Mensch-seins bedeuten – auszukosten
und auf sich wirken zu lassen. – Es war ähnlich, wie es bei einem Menschen
wäre, der schon vom ersten Augenblick seines Daseins an das Bewusstsein hätte (das
sich aber mit der wachsenden Entwicklung seines Menschseins weiter steigern und
entwickeln würde), und damit das Leben im Einzelnen erleben würde. Im Erlöser
aber wirkte ständig und vom ersten Augenblick an das göttliche Bewusstsein und
er nahm die Funktion eines menschlichen Bewusstseins oder das Bewusstwerden
seiner menschlichen Lage gegenüber seinem göttlichen Wesen von Anfang an in das
göttliche Bewusstsein auf.
2424 |
Jesus „wollte“ das ganze Menschenleben
menschlich und bewusst erleiden, und zwar alle Leiden vom ersten Augenblick
seiner Menschwerdung an, auch die scheinbar kleinsten Leiden des Kind-seins. In
Auswirkung dieses seines Wollens waren auch die „kleinen Leiden“ für Jesus ein
großer objektiver Widerspruch gegen die Würde seiner göttlichen Person. Aber er
gab sich gewollt und freiwillig als göttliche Person allen Leiden eines
Mensch-seins hin, „geopfert, weil er selbst es wollte“. – Es ist dies ein
weiterer Gesichtspunkt des tiefen Geheimnisses, das in den Worten der Hl.
Schrift enthalten ist, auf die ich vor einiger Zeit hingewiesen wurde: „er
stieg herab“ – in unsere arme Menschlichkeit. – Dabei schaute ich zugleich mit
dem „Herabsteigen“ des ewigen Wortes das „tiefe Bejahen“ des Erleben-Wollens
und Erlebens unserer Menschlichkeit durch das bewusste psychologische Erfahren
seines Mensch-seins als Erlöser. – Wenn übrigens schon der hl. Paulus im
Philipperbrief sagt: „Was mir einst als Gewinn galt, … das halte ich geradezu
für Kehricht“, wenn also seine Seele hoch und vergeistigt über dem irdischen
Begehren und Leiden stand, in welch hohem, göttlichem Maße stand dann Jesu
Seele „über“ den Leiden seines Mensch-seins, die an sich, d. h., ohne
besonderen Willen seinerseits gar nicht als wirklich menschliche Leiden nach
unserem Begriff von ihm empfunden worden wären. Ohne diesen seinen Willen wäre
aber dem Heiland als Gott das menschliche Leben nicht so „nahe“ gekommen, dass
man es als wirklich gelebtes Menschenleben, leidensfähig dem Leibe und der
Seele nach, hätte bezeichnen können.
2425 |
Zur Bestätigung dieses in Christus erfahrenen
Geheimnisses wurde ich, wie gesagt, hingewiesen auf eigene Erfahrungen, und
zwar auf jenen Seelenzustand, für den ich keinen anderen Ausdruck finde, als:
„Erworbene Leidensunfähigkeit des Geistes.“ – Es ist dies im Grunde ein
erreichter Vollkommenheitszustand einer schon tatkräftigen Hingabe an Gott.
Psychologisch ist dieser Zustand zu erklären als Überfülle an Geduld,
Leidensbereitschaft und Kreuzesliebe, als höchst vollkommenes Aufgegebenhaben
des eigenen Willens und damit Eingegangensein und Aufgenommensein in den Willen
Gottes. Dieser Zustand setzt voraus eine Fülle von Übungen und praktischen
Betätigungen des Aufgebens persönlicher Interessen, des Abstreifens des Eigen-Persönlichen
und stattdessen des Aufnehmens göttlichen Lebens. Mittels dieser tatsächlichen
und praktischen Geistestugendübungen erhebt sich die Seele sozusagen über sich
selbst und empfindet viele wirkliche Leiden nicht mehr. Sie wird gegen vieles, was
von außen oder auch von innen an sie herankommt, wie unempfindlich.
2426 |
Infolge seiner göttlich-sittlichen
Vollkommenheit hatte Christus nicht jene Schwere und Schwierigkeit des
menschlichen Lebens zu tragen, die bei uns im Grunde aus der sittlichen Unvollkommenheit
kommt oder1013 damit verbunden ist. In ihm war infolge seines
göttlichen Wesens alles schon sittlich vollkommen und es wäre eine Herabsetzung
seiner göttlichen Würde und Heiligkeit, wenn man, sein menschliches
Widerstreben gegen Leiden unserem aus sittlicher Unvollkommenheit und Schwäche
kommenden Widerstreben gleichsetzen wollte. Jesus hat vielmehr schon vor und in
seiner Menschwerdung alles vollkommen und überfließend bejaht, was sein Leben
an Leiden mit sich bringen konnte. Wir dagegen können uns mittels der
göttlichen Gnade, praktisch nur langsam für alle Forderungen und Folgerungen
eines sittlich-vollkommenen Lebens entschließen und befähigen. Bei Christus war
daher in diesem Punkte der Widerspruch seiner menschlichen Natur gegen das
Leiden ein anderer als bei uns und hatte nichts von einer sittlichen Schwäche
an sich, wie dies unsere Natur erfährt. Wir leiden unter den Forderungen einer
sittlichen Vollkommenheit, weil deren Ausführung unserer menschlichen Natur
insofern widerspricht, als es uns schwerfällt, „das Gute zu vollbringen“; wir
müssen erst um die Vervollkommnung unserer Werke ringen und dies löst einen
beständigen Kampf in uns aus. Christus war dieses sittlichen Widerspruches
durch die Vollkommenheit seiner göttlichen Natur und Person überhoben; was aber
in ihm den Widerspruch gegen die Konsequenzen seines Menschseins auslöste, das
war der tatsächliche, objektive Gegensatz zwischen seinem Menschsein und der
Würde seiner göttlichen Person. Bei aller vollkommenen Einigung und Harmonie der
göttlichen und menschlichen Natur in ihm blieb doch der objektive,
unermessliche Abstand beider1014 bestehen. Beide Naturen in Christus
behielten auch ihre Eigenart bei, ohne Vermischung oder Auflösung einer Natur
in die andere. Darum blieben auch die entsprechenden Folgen und Auswirkungen
jeder Natur bestehen. Die vollkommene Einigung und Harmonie dieser beiden
Naturen bildete aber die Grundlage, worauf sich das Erlöserleben des
Gottmenschen erst aufbaute. Obwohl die göttliche Person Christi1015
als wesentliches Lebensprinzip ihre menschliche Natur vollkommen beherrschte,
verlor dabei doch die menschliche Natur nicht ihre eigene
Auswirkungsmöglichkeit; – sonst hätte gleichsam eine Vergewaltigung der
menschlichen Natur durch die göttliche Person stattgefunden. Die Grundlage und
Voraussetzung für die vollkommene harmonische Einigung beider Naturen in
Christus bildete aber die besondere Vollkommenheit der menschlichen Natur
Christi.
2427 |
(Zum größeren Verständnis dieser
Vollkommenheit wurde ich wieder hingeführt auf den Zustand des paradiesischen
Menschen, auf das Geheimnis des ersten, so wunderbar begnadeten Menschenpaares,
das Gott sich geschaffen hatte, um sich selbst, gleichsam sein göttliches
Wesen, in einem wahren Sinne mitzuteilen. Der Mensch sollte wie eine Brücke
Göttlich-Ungeschaffenes und Geschaffenes – Beschränktes vereinen. Jene reine,
gottfähige Menschenseele sollte dann wiederum die Brücke und Verbindung werden
zwischen Gott und der gefallenen Menschheit. – Die ersten Menschen mit ihrer
übernatürlich geschenkten Gnadenordnung standen wie in einem „natürlichen“
Verhältnis zu Gott. Das Leben Gottes in ihnen (das wir Gnade und
Gotteskindschaft nennen) verband sie wie mit einer „natürlichen“ Weise mit
ihrem Schöpfer, den sie als ihr „Gegenüber“ erfuhren. In dieser gottgeschenkten
Gnadenordnung führte gleichsam „eine Ebene“ zu Gott. Die Fähigkeiten der ersten
Seele waren so dem Geiste Gottes angeglichen, dass ein wie natürlich
scheinendes Verstehen durchaus möglich war. Die Grundlage und Voraussetzung für
dieses „gegenseitige Verstehen“ war ein entsprechender Grad der Vergeistigung,
in dem die ersten Menschen sich bewegten. Die Seele beherrschte nach der Art
des Geistes vollkommen den Leib, sodass auch dieser hineingesogen war in das
Leben des Geistes …)
2428 |
Im Zusammenhang damit wurden mir auch früheren
Erklärungen über die Unsündlichkeit wiederholt und vertieft. – Wesentlich
unsündlich ist nur Gott allein. Die Seele kann aber durch fortschreitende
tatsächliche Überwindung des anhaftenden persönlich Sündhaften zu jener
glücklichen Stufe einer vollen Überwindung der sündhaften Anlagen gelangen, in
der auch die Wurzel und der Ansatz zur Sünde so ausgetilgt ist, dass auch der
tiefste Keim des Ungeordneten, Erbsündlichen überwunden und dadurch die Seele
bereitet ist zu hoher Vereinigung mit Gott.
2429 |
„Unsündlich“ besagt ein Doppeltes: Zunächst,
dass keine Sündenmöglichkeit mehr vorhanden ist. Dies erfordert aber als
Gegengewicht zugleich immer auch eine schon vorhandene Überfülle von Tugend,
die eben eine Sünde nicht mehr zulässt. Es muss also die Anlage zur Sünde
überwunden und an deren Stelle schon eine vollkommene Fülle von Tugend getreten
sein, die eine Unvollkommenheit nicht mehr aufkommen lässt. Auf diese Weise
wird ein Zustand in der Seele geschaffen, den man „habituelle Unsündlichkeit“
nennt, wobei das Sündenfähige in der Seele überwunden und damit die Seele zu
einer habituellen Befestigung im Guten gelangt ist. – Der Zustand der
„Unsündlichkeit“ teilt sich in verschiedene Stufen: des Willens, der Anlage zur
Sünde selbst, der Überwindung des Ungeordneten in der Seele und schließlich als
höchste Stufe das Eingehen in eine volle Harmonie zwischen Seele und Materie.
Damit tritt jene Einfachheit des Geistes ein, die eine stufenweise
Zurückeroberung der paradiesischen Einfachheit der Seele bedeutet und ist. Die
höchste Steigerung dieses Zustandes bildet jene volle Reinigung und Reinheit
der Seele, die man als persönliche Unsündlichkeit bezeichnen kann.
2430 |
Die Seele Christi hatte den höchsten Stand
persönlicher Unsündlichkeit, dies jedoch nicht als erst1016
erworbenes Gut, wohl aber als geschaffenes Gut. Jesus hatte eine, der
paradiesischen Seele ähnliche Seele, die an sich sündenfähig gewesen wäre (–
dies würde mir als psychologisches Geheimnis der Anlage der Seele Jesu erklärt
–). Infolge ihrer höchsten Bestimmung hatte aber diese Seele Jesu die
Überschwänglichkeit des schon Überwundenen, nicht in dem Sinne, als ob Christus
tatsächlich Böses in sich hätte überwinden müssen, sondern im Sinne des
Besitzes jener Fülle höchster sittlicher Tugendanlage, durch die eine Sünde
oder Unvollkommenheit in ihm nicht möglich war. Es war nämlich in der Seele
Christi eine Fülle von Vollkommenheitsmöglichkeit und Heiligkeitsfähigkeit in
Anbetracht ihrer Verbindung mit der wesentlichen Vollkommenheit der göttlichen
Person des Wortes – und dies bedeutete das Gegenteil von Sünde und
Sündenmöglichkeit. – Ferner nahm die Seele Jesu infolge der Einigung mit der
göttlichen Person des Wortes auch teil an der wesentlichen göttlichen
Unsündlichkeit.
2431 |
Heute Abend kam ich in einen schmerzhaften
Zustand passiver Trennung von allem. – Daraufhin, „ganz allein“, bin ich in
einen ganz neuen Geisteszustand eingetreten: Es ist eine bisher nie erlebte
Passivität des Geistes. Das tiefste Sein, das mich lebt, genügt mir vollkommen.
Ich kann nichts „beten“, weil in diesem Zustand schon alles überreichlich
enthalten ist. Ich bin wie in einer Ekstase des Geistes, bin erfüllt von einer
wunderbaren Fülle der Ruhe und des Gesättigtseins.
2432 |
Die zwei vergangenen Nächte verbrachte ich
gleichsam außerhalb des Leibes (ich habe gut geschlafen, während mein Geist
wach blieb und das Bewusstsein des Wachseins beibehielt). Ich war gleichsam
außer mir, sozusagen „oberhalb“ meines Leibes, und ich genoss in seligem Erleben
jene wunderbare Erhabenheit des Geistes, kraft deren ich gleichsam meinem Leibe
entrückt war. Ich konnte voll seliger Freiheit auf meinen Leib herabsehen, von
dem ich nicht mehr beschwert war. Mein Geist, so erhaben über den Leib, hatte
das Bewusstsein seines Bestandes und der Fülle des Friedens. Es ist Wahrheit,
aber im Grunde unaussprechlich. Nimmt vielleicht deshalb Jesus die Nächte für
dieses wunderbare Erleben, weil ich bei Tage zu viel irdischen Beschäftigungen
hingegeben bin, während er nachts mich mir wegnimmt? –
2433 |
Innerlich bin ich seit gestern kraft jener
gnadenvollen Erhebung in einer wunderbar erhabenen Geistesverfassung, die mit
keinem Worte erklärbar ist.
2434 |
Heute Morgen wurde mir geistig wiederum die
durchaus mystische Grundlage meines Innenlebens betont: zunächst der Weg bis
zur Gnade der geistlichen Vermählung und von dort ab das Erleben der göttlichen
Erlöserperson als wesentlicher Vereinigungsweg. Dieses zweite Stadium wird –
ebenso wie das Erste damals in der geistlichen Vermählung – zu einem gewissen
Abschluss kommen, durch das Erreichen einer bestimmten sittlichen
Vollkommenheitsstufe und mittels dieser eines speziellen entsprechenden
Vereinigungszustandes mit der göttlichen Person des Wortes.
2435 |
Grundbedingung und Voraussetzung für meine
geistige Aufgabe des Erlebens des Innenlebens Jesu ist ein bestimmter, von der
göttlichen Führung vorausgesehener und geforderter sittlicher
Vollkommenheitszustand. Mit diesem Vollkommenheitshabitus werde ich dann Jesus
erleben und erleiden. Dieser Vollkommenheitshabitus muss aber vorher erreicht
und abgeschlossen sein; er ist gleichsam ein geistiges Kapital, mittels dessen
es mir möglich sein wird, dem inneren Leben Jesu in der, von Gott
beabsichtigten Weise dienstbar zu Sein. Das Erleben der göttlichen
Erlöserperson wird dann gleichsam ein Zehren von einem schon vorhandenen
Kapital und eine „Zurücktretung“ in die Ausübung eines schon errungenen
sittlichen Zieles sein. – Jesus selbst trat in sein Menschenleben ein mit einer
„vollkommenheitsfähigen Seele“, und all seine menschlichen Werke trugen das
Siegel dieser Vollkommenheit an sich, bewegten sich auf der sittlichen Ebene
göttlicher Vollkommenheit. –
2436 |
(Eine gewisse Schwierigkeit beim Erklären
meiner inneren Erlebnisse besteht darin, dass ich nicht immer unterscheiden
kann zwischen dem Zustand des Vorauserlebens eines zu erreichenden Zieles und
dem endgültig erreichten Zustand selbst. Gewöhnlich wird mir nämlich das zu
erreichende nächste oder auch fernere Ziel immer wieder im Vorauserleben jenes
Idealzustandes vorgeführt).
2437 |
Das Wesen des Bewusstseins einer Person liegt
im Bereich der Kräfte der Person selbst; diese ist zugleich die Trägerin des
Bewusstseins ihrer selbst und des ganzen Umfanges ihrer Existenz.
2438 |
Die Seele Christi hatte für sich kein
Bewusstsein, denn sie war nicht von einer menschlichen Person getragen, sondern
das Personale und Tragende in ihr war die göttliche Person. Diese nahm im
Augenblick der Menschwerdung die „Bewusstwerdenskräfte“ der Seele Jesu in sich
auf, d. h. jene schon in der Seele vorhandenen Kräfte, die das Bewusstwerden
einer Person ermöglichen und ein normales Bewusstseinsleben hervorzubringen
vermögen. Durch dieses Aufnehmen der Bewusstwerdenskräfte der Seele entstand in
der göttlichen Person des Wortes selbst das göttliche Bewusstwerden seines
Menschseins oder anders gesagt, das Menschsein trat in das göttliche
Bewusstsein der Person selbst.
2439 |
Die Kräfte des Bewusstwerdens einer Person
sind beim Menschen einer Entwicklung, einem Wachstum unterworfen. Je nach ihrer
Befähigung bilden sich im Menschen die für das selbstige Bewusstwerden
notwendigen Reflexe aus; es sind gleichsam Wiederholungen von Erlebnissen, die
sich aus dem sogenannten Unterbewusstsein erheben und bildhaft auf die sich
entwickelnden Bewusstseinskräfte zurückstrahlen und zurückgeworfen werden.
Diese Bewusstseinsentwicklung eines Kindes kann durch entsprechende, von außen
kommende Reize beschleunigt und befördert werden. Im tiefsten Wesen aber liegt
das Bewusstwerden in einer durch die Vererbung gegebenen Kraft, durch die sich
das Bewusstsein einer Person mit seinen entsprechenden Eigenheiten ausbildet.
2440 |
Das Bewusstsein selbst ist ein Erkennen des
Umfanges des Bestandes einer Person als selbsteigene Realität. Diese Realität
kann dem Menschen in einer mehr oder minder klaren Weise ins sogenannte
Bewusstsein treten. Zumal durch den Anfang dieses Bewusstseins tritt einer
Person der Bestand ihrer Existenz als Wirklichkeit vor sich selbst oder vor die
Augen des Geistes. Dazu kommen dann allmählich immer neue Einzelheiten oder
bildhaft erfasste Selbsterklärungen über die Art dieses Existierens, – was
schon einen Fortschritt im Bewusstwerden des eigenen Lebens bedeutet. Jene
bildhaften Erklärungen, die sich im Unterbewusstsein anhäufen, sind schon
eigene, vergangene Erlebnisse, die der Person selbst mittels der nun schon mehr
entwickelten Kräfte vorgeführt werden. So bildet und wirkt sich, zusammen mit
dem entsprechenden Wachstum des Menschen, die bewusste Selbstexistenz immer
weiter aus und beginnt nach und nach das ganze Gebiet des Menschseins zu
umfassen. – Dieses psychologische Bewusstwerden erfährt aber der Mensch für
gewöhnlich nicht unmittelbar, sondern in einer mittelbaren Weise entsprechend
den Anforderungen seines Lebens. Somit ist der Akt des Bewusstwerdens selbst
beim Menschen nicht ein bewusster Akt, sondern für gewöhnlich ein unbewusster
Vorgang, der nur durch das herankommende „Leben der Umwelt“ zum eigenen
Erlebnis wird, insofern der Mensch diese Umwelt auf sich selbst anzuwenden
vermag. – Noch mittelbarer ist das Bewusstwerden der geistigen Existenz des
Menschen, weil das Bewusstsein im gewöhnlichen Zustand von außen nach innen geht.
Das Bewusstsein einer Person als geistiger1017 Existenz setzt darum
schon einen Vorrat von außen aufgenommener, bewusster Eindrücke voraus, die
dann ihrerseits selbst in der schon vorhandenen geistigen Intelligenz der Seele
einen Abdruck zu bilden vermögen. Dazu müssen aber das Denkvermögen und ein
gewisses eigenes Urteil über jene von außen aufgenommenen bewussten Eindrücke
schon entwickelt sein. Die Intelligenzkräfte wenden dann jene aufgenommenen
bildhaften Eindrücke auf sich selbst und auf das schon entwickelte
Selbstbewusstsein an, ziehen daraus entsprechende Schlüsse und bilden diese zu
einem selbsteigenen Urteil über das Aufgenommene aus.
2441 |
Auf diese Weise erfasst sich der Mensch in
sich selbst und schafft er sich das eigene, tiefe Selbsterkennen unter der
Leitung und Herrschaft seiner Person. Das Selbsterkennen führt den Menschen
beständig sich selber vor; er wird sich dadurch wie zum eigenen Gegenüber und
bildet sich eine Meinung über sich selbst; erst dieser Vorgang mündet ein ins
letzte, volle Selbstbewusstsein. Der Mensch unterstellt diese seine von ihm
gebildete1018 Meinung über sich selbst einer Kontrolle, die als
anerkennend oder abweisend von der höchsten Kraft im Menschen, von der Person
selbst, ausgeübt wird.
2442 |
Durch diesen letzten Akt bildet und formuliert
der schon entwickelte Mensch sich einen gewissen, geistig ihn umgebenden
Selbstschutz oder mit anderen Worten, jene (geordnete) Selbstliebe, die zur
vollen Entwicklung der sich ständig reflektierenden Bewusstseinsakte notwendig
ist. Es ist dies ein Selbstschutz nicht so sehr gegen außen als vielmehr in und
vor sich selber, denn auf einer gewissen (geordneten) Selbstliebe baut sich
erst die letzte und höchste Ausbildung der Person auf, die sich etwa so in
Worten ausdrücken lässt: Ich bin und ich stütze mich auf mich selbst. So führt
das Selbsterkennen zum Selbstschutz und zur geistigen Selbsthilfe.
2443 |
Dieser geistige Selbstschutz, der sich aus den
aufsteigenden Bewusstseinsgebilden gleichsam immer wieder erneuert, regt den
Menschen erst zur letzten Ausprägung seiner Individualität an. Jene Selbsthilfe
wird nämlich wie zu einem ununterbrochenen Akt in der Seele selbst, gleichsam
zu einer in sich selbst bauenden Mauer, womit die Seele sich abgrenzt gegen
alle Einflüsse, die sie irgendwie bedrängen könnten. Damit bildet sich der
Mensch in sich selber einen festen gesicherten Bestand, wird geistig1019
fest in sich begründet und lebt von dieser eigenen Sicherheit, die er ständig
sich selbst schafft.
2444 |
Diese Selbstsicherheit seines Bestandes und
seiner geistigen Funktionen bringt der Mensch in Verbindung mit den von außen
einströmenden Eindrücken. Er tritt in Beziehung zur Umwelt, verarbeitet in sich
neue Eindrücke und bringt sie in Beziehung zu sich selbst. So entsteht ein
ständiger Wechsel zwischen dem Aufnehmen der Eindrücke, deren beständigen
Vergleichen und Beziehen auf sich und dem darauf folgenden und sich auslösenden
Urteil der Person selbst. So steht die Person als Herrin, ordnend und
regulierend, über den ihr unterstellten Funktionen. Sie bewertet und verwertet
diese und offenbart dabei zugleich ihren eigenen Wert. Der „Wert der Person“
tritt nämlich in ihren eigenen Funktionen hervor, und zwar zuerst in der Seele
selbst, dann aber auch in den auf die Umwelt sich auswirkenden Betätigungen und
Ergebnissen.
2445 |
Für gewöhnlich tritt der Person diese ihre
ständige Tätigkeit nicht unmittelbar ins Bewusstsein, sondern erst die
mittelbaren Beziehungen zur Umwelt und zu sich selbst lassen ihr die selbstigen
Taten und deren Wert vor sie selbst hintreten; so steht sie dann „unmittelbar“
vor den eigenen Produkten ihrer Tätigkeit oder ihres Lebens und Daseins, die
ihr auf diese Weise, d. h. als von außen oder auch von innen wiederum an sie
herantretenden Taten, ins Bewusstsein zurücktreten1020.
2446 |
Die einer jeden Person eigene Anschauungsweise
und Urteilsweise, die sich wiederum ihren zu vollbringenden und vollbrachten
Werken sowie ihrer Umwelt als Person-Wert aufdrückt oder aufprägt, bildet das,
was ich ihren Person-Kreis oder Person-Rahmen nennen möchte, d. h. die Summe
der inneren Taten oder Funktionen bzw. alles dessen, was die Person in ihrem
eigenen Bereich als geistige Umwelt in sich behält.1021
2447 |
Der Person-Wert, der sich in der Selbstbildung
ihrer Produkte und damit im Aufbau jenes geistigen Personkreises offenbart,
gibt einem Menschenleben das Entscheidende. Auf diesen Person-Wert oder den
persönlichen Eigenschaften und Werten des Beurteilens und Tuns baut sich die
Betätigung aller der Person unterstehenden Funktionen auf.
2448 |
Für gewöhnlich kann der Mensch kaum mehr von
seinem Person-Rahmen heraus, den er sich selbst geformt hat und der ihm wie zu
seiner persönlichen Eigenheit und zu einem Kennzeichen seiner geistigen
Individualität geworden ist. Ebenso wenig kann eine Person in den Person-Rahmen
einer anderen Person eindringen, weil dieser zu ihrer individuellen Eigenheit
geworden ist. Die Individualität unterscheidet und trennt den einzelnen
Menschen von jedem ähnlich angelegten Person-Rahmen der alle Eigenheiten einer
Person einschließt. An sich bildet jede Person ihre individuelle Eigenart aus,
sei es als erblich veranlagtes Gut, sei es als selbst gebildetes unerworbenes
Gut.
2449 |
Jeder Mensch ist als Individuum ein in sich
unwiederholbares Ganzes, das einer Ergänzung oder Abänderung weder bedarf noch
sie geschehen lassen kann. Der Rahmen der Individualität bildet nämlich für die
eigene Person selbst ein unüberbrückbares Ganzes, das grundgelegt ist schon mit
der Eigenheit der Person selbst und das sich, der Person selbst unbewusst,
weiter ausgebildet hat durch die selbsteigenen, der Eigenart der Person
entsprechenden, aber doch freien Taten und Funktionen. In diesem Sinne ist der
Mensch nicht Herr seiner Person, sondern er untersteht einem Gesetz, das der
Schöpfer der Menschheit selbst in ihm grundgelegt hat und worauf sich das
Mensch-sein als selbst verantwortliches Erzeugnis gründet und stützt.
2450 |
Im Augenblick der Menschwerdung nahm die
göttliche Person des Wortes die schon in der Seele vorbereiteten
„Bewusstwerdenskräfte“ in sich auf und mittels dieser in der Seele gegebenen
Fähigkeiten „erfuhr sich die göttliche Person als Mensch“. – Diese
Bewusstwerdenskräfte, denen einer gewöhnlichen Seele ähnlich, waren für den
allerhöchsten Zweck entsprechend verfeinert und vergeistigt, um dem göttlichen
Träger dieser Kräfte angemessen dienstbar sein zu können. Da aber die Seele
Jesu als reine Paradiesesseele deren fein angelegte Geistigkeit besaß, so hatte
sie kraft der Einwirkung der göttlichen Person sogleich ihr „Daseinsbewusstsein“
erlangt (was beim gewöhnlichen Menschen erst mit dem Erwachen der Personkräfte
und deren Funktionen möglich ist) und sie konnte sich im Augenblick ihrer
Verbindung mit der göttlichen Person als Erleberin göttlicher Funktionen
erfassen. – Und die göttliche Person sah sich in das Menschsein versetzt und
erlebte sich als Mensch, und zwar im ersten Anfang des Menschseins im Schoße
Mariens. Dieses Erlebnis bedeutete [–] vermöge der seelischen
Bewusstwerdenskräfte [–] eine Umänderung der göttlichen Funktionen1022
der Person selbst,1023 bedeutete den Anfang der Hingabe an die
Auswirkungen einer für sie geschaffenen und vorbereiteten Menschenseele. Jesus
gab sich diesen Auswirkungen seiner menschlichen Seele hin durch einen Akt
seines göttlichen Willens, durch den er sich1024 als Erlöser der
Menschheit bestimmte und zu dessen Ausführung er sich einer Menschenseele
bediente. Wie den Auswirkungen der Seele, so überließ er sich auch den
Anforderungen eines menschlichen Leibes und so wurde er einer aus uns, nur die
Sünde ausgenommen.
2451 |
Mit dem Akt, durch den der Erlöser sich in
seiner Menschwerdung den Anforderungen seiner Seele hingab, unterstellte er
sich auch den Gesetzen und Eigenheiten des Wachstums und der Entwicklung seiner
Seele und seines Leibes. – Die erste Funktion der göttlichen Person des
Gottmenschen war das göttliche Bewusstsein seines Bestehens als Mensch mit den
für seine Person vorbereiteten Kräften und Fähigkeiten, denen er sich ganz und
freiwillig überließ. Christus als Gott bestand als Mensch mittels menschlicher
Kräfte! Die Fähigkeiten der Seele Christi bildeten den Menschen und [sie]
lebten die göttliche Person als ihre Person. Das Wachstum der hl. Menschheit
ließ diese ihre Kräfte in immer größerer Intensität und Auswirkung der
göttlichen Person einwohnen; dies zwar nicht in dem Sinne, als wären die
menschlichen Kräfte in der Menschwerdung weniger dienstbar als später der
göttlichen Person des Wortes zur Verfügung gestanden, aber insofern als
entsprechend dem Wachstum und der Entwicklung der hl. Menschheit die Seele Jesu
in immer größerem Umfang das Ihrige „mitgab“ zum Leben Jesu und seinem
Erlöserleben entsprechend der immer stärker sich auswirkenden Erlöseraufgabe
dienstbar war.
2452 |
Die Seele Jesu wurde in erster Linie als
Leidenswerkzeug für die göttliche Person beansprucht und auch dies entsprechend
der wachsenden Entwicklung der hl. Menschheit. Mit dem, mittels der
Seelenkräfte sofort vorhandenen göttlichen1025 Bewusstsein des
Menschseins war die Seele auch schon das Werkzeug der Leiden für die göttliche
Person. Jesus litt, und erlitt sein Menschsein mittels der Seele. Mit dem
Bewusstwerden durch die entsprechenden Fähigkeiten der Seele nahm die göttliche
Person zugleich1026 auch die seelische Empfindungsmöglichkeit in
sich auf. – Gottes Wesen bedarf keines Empfindungsvermögens, denn Gott IST, und
damit ist sein Sein vollendet. Um aber Mensch zu sein, muss man das fühlen und
sich in diese Eigenheit versetzt erleben. Zu diesem Zweck hat die Seele ein
selbstiges Reflexvermögen, das sie im Dienste der Person selbst ausübt und
mittels dessen sich die Person von dienenden Kräften umgeben „fühlt“. Auch die
göttliche Person des Gottmenschen „fühlte“ sich – im Gegensatz zur
reingeistigen göttlichen Person – mittels jener sie umgebenden menschlichen
Kräfte als Mensch mit allen entsprechenden Bedürfnissen. Das „Empfinden oder
Gefühl“ ist an sich etwas Geistiges, aber als etwas der physischen menschlichen
Natur Notwendiges wird es zum psycho-physischen Naturantrieb. Und Christus gab
sich diesem psycho-physischen Naturantrieb hin; seine wahre funktionierende
göttliche Person nahm mit dem Bewusstwerden als Mensch auch jenen Naturantrieb
in sich auf. Somit wurden die menschlichen Lebensbedürfnisse zugleich
Bedürfnisse seiner göttlichen Person. Sein volles Bewusstsein schon im
Mutterschoße Mariens ließ auch jene Bedürfnisse schon der göttlichen Person
bewusst werden. Diese menschlichen Lebensbedürfnisse bedeuteten für die
göttliche Person eine Verdemütigung, eine Abhängigkeit von Verhältnissen, an
die sich das ewige Wort infolge der Menschwerdung freiwillig und aus Liebe
gebunden hat.
2453 |
Mit dem Empfindungsvermögen der menschlichen
Seele sind auch die Lebensbedingungen verbunden. Die menschlichen
Lebensbedingungen waren nun zu Daseinsbedingungen für die göttliche Person
selbst geworden. Infolgedessen „fühlte“ diese nun Hunger und Durst, Hitze und
Kälte und es war der göttlichen Person nun eigen, in allem von seiner Mutter
abhängig zu werden. – Gewiss hat Jesus durch einen besonderen Akt seines
Willens sich ein für alle Mal den menschlichen Lebensbedürfnissen
überantwortet, aber als wahrer Mensch war er ebenso den augenblicklichen
Bedürfnissen hingegeben und er fühlte sich immerwährend durch ein an sich der
göttlichen Natur seiner Person widersprechendes Gesetz gebunden, dessen
Auswirkung an sich gegen die Würde seiner göttlichen Person war. Mit der
Menschwerdung hatte die göttliche Person ihre Würde nicht abgelegt; das
Bewusstsein, „Gott“ zu sein, blieb wesentlich auch nach seiner Menschwerdung
vorhanden. So bestanden in Jesus gleichsam zwei Lebensgesetze, das göttliche
und das menschliche, deren beide ihre Rechte aufrecht hielten. So war in ihm
der immer wirksam bleibende Widerstreit zweier Gegensätze: Als Gott blieb es
dem Wesen Jesu eigen, Gott zu sein, als Mensch war es ihm eigen, von den
menschlichen Lebensbedingungen abhängig zu sein. Christus verband aber diese
Gegensätze von voller Harmonie, indem seine göttliche Person die Auswirkungen
dieses Widerstreites aus Liebe auf sich nahm. Da sein Leben ein wahres Menschenleben
war, hatten jene Gegensätze immerwährend ihre Rückwirkung auf die göttliche
Person als die Trägerin dieses Menschenlebens und diese wurde zur Trägerin
jenes Widerstreites.
2454 |
Der „Akt“ des Bewusstwerdens des Menschseins
vonseiten der göttlichen Person des Wortes war entsprechend der Art der Person
selbst. Diese behielt ja in der Menschwerdung ihre göttlich-persönlichen
Eigenheiten bei, und ihr Grundprinzip war das göttliche Wesen des „actus
purus“. Entsprechend dieser göttlichen Wesenheit gestaltete sich auch der Akt
des Bewusstwerdens des Menschseins, und auch das gesamte Seelenleben und
Menschsein Jesu wirkte sich entsprechend dieser wesentlichen göttlichen
Vollkommenheit aus, denn das Wesen des „actus purus“ übte seine Art und
Eigenheit auf die Kräfte der Seele Christi aus.
2455 |
Es bestand eine Artverschiedenheit der beiden
Naturen in Christus. Jede der beiden Naturen sollte ihre eigene Wirksamkeit
beibehalten und doch bildete der Akt der Menschwerdung eine volle Harmonie der
beiden verschiedenen Naturen aus. – Die Möglichkeit dieser Harmonie lag
begründet in der besonderen Vollkommenheit der Seele Christi. Diese hatte jene
verfeinerten Anlagen, durch die es ihr möglich war, das Wesen der göttlichen
Person und ihrer unveränderlichen Vollkommenheiten voll in sich aufzunehmen und
der göttlichen Person entsprechend dienstbar zu sein. Sie trug in sich alle
vollendeten Vollkommenheitsmöglichkeiten gegenüber den aufzunehmenden
wesentlichen Vollkommenheiten der göttlichen Person.
2456 |
Die vollendete Einfachheit der Veranlagung der
Seele Jesu war das Grundlegende ihrer Verfassung und Vorbereitung für die
Unmittelbarkeit des göttlichen Wesens des „actus purus“. – Die Seele Jesu hatte
im höchsten Maße jene Einfachheit und jene Art der Vergeistigung, wie sie die
erstgeschaffene Seele im Paradies hatte, der infolge jenes gottgeschenkten
Gnadengutes der Einfachheit und Vergeistigung gleichsam ein „ebener Weg“ hin
zum Schöpfer-Gott, eine gewisse Unmittelbarkeit ihm gegenüber und ein intimer
paradiesischer Verkehr mit ihm möglich war. – Gewiss ist die Seele immer
„geistig“ und all ihre Fähigkeiten sind geistig und geistfähig. Aber es liegt
doch ein großer Unterschied zwischen Geist und Geistigkeit und die einzelnen
Fähigkeiten einer Seele können mehr oder weniger dem göttlichen Geiste
angepasst oder „gott-fähig“ sein.
2457 |
Die „Gottfähigkeit“ einer Seele bedeutet im
Grunde ihre letzte und höchste Verkehrsmöglichkeit mit ihm. – Es gibt eine
geschaffene und eine erworbene Gottfähigkeit der Seele.
2458 |
Die geschaffene Gottfähigkeit ist zunächst
beschränkt auf das Leben und Dasein der Engel, die infolge ihrer
Reingeistigkeit das Wesen Gottes unmittelbar erfassen können, zu dessen Dienst
sie bestimmt sind. – Auch die Seelen der ersten Menschen hatten vom Schöpfer
eine grundlegende, geschaffene Gottfähigkeit bekommen; denn so wollte es der
Schöpfer: Sich Wesen schaffen, die seiner fähig waren, fähig ihn zu erfahren,
und denen er nach dem Plan seiner unendlichen Liebe sich mitteilen könne.
2459 |
Auch die Seele Mariens war von ihrem ersten
Augenblick an „gottfähig“. Maria trug ja vom ersten Anfang an jene allerhöchste
Auserwählung in sich, die sie mit dem ewigen Wort Gottes so verbinden sollte,
dass sie ihm ihr eigenes Leben als das Seine mitteilen konnte. Dies zu können
oder diese Lebensmitteilung Mariens an das göttliche Wort war im tiefsten
psychologischen Sinne das große Geheimnis ihres Zustandes der geschaffenen
Gottfähigkeit. Maria war durchlebt vom Geiste Gottes und sie allein hatte den
Vorzug, Gottes Leben – so wie wir wissen – in sich tragen zu können. Zudem war
ihre Seele und ihre Menschheit ein makelloser Spiegel Gottes, in dem Gott-Sohn
selbst sich in seiner Menschheit gebildet hat. – Die Anlage ihrer Seele
entsprach von Anfang an dieser ihrer höchsten Bestimmung, wonach sie fähig sein
sollte, Mutter-Gottes zu werden. Aber Maria erhöhte auch noch ständig durch
persönliches Bemühen und Vollkommenheitsstreben diese in ihrer Seele schon
vorhandene Anlage, die bei ihrer Erschaffung schon in ihr ein Zustand war. So
vereinigte Maria in sich die geschaffene und die erworbene Gottfähigkeit.
2460 |
Die gefallene, und mit den Folgen der Erbsünde
belastete Menschenseele hat im tiefsten Grunde auch jene gottgeschaffene
Gottfähigkeit behalten. Auch die Seele des Heiden und des Ungetauften und
selbst die des größten Sünders hat noch als gottgeschenkte Möglichkeit und
Anlage jene grundsätzliche Gottfähigkeit. Es ist die unendliche Liebe Gottes,
die alle Menschen als Gottes-Kinder gedacht und mit dieser Bestimmung
erschaffen hat. Jeder Mensch trägt darum in sich, ob er es selbst will oder
nicht, die Möglichkeit, kraft der Anlage, mit der Gottes Schöpferliebe ihm
zuvorkam, „Gott sich zum Freunde zu machen“ bzw. seine eigene Seele für Gottes
Freundschaft empor zu bilden.
2461 |
Darüber hinaus setzt die erworbene
Gottfähigkeit im jetzigen Zustande für den Menschen zunächst die Überwindung
der Sünde selbst, dann der Anlage und Wurzel zur Sünde und schließlich noch die
Überwindung der erbsündlichen Unordnung, d. h. den Ausgleich jenes Zwiespaltes,
den die Sünde selbst in der Seele verursacht hat und unter dem wir alle leiden,
voraus. Erst die Überwindung dieses Zwiespaltes – was das ideale Ziel ist –
macht die volle Harmonie in der Seele möglich und macht das ungeordnete, auseinanderstrebende
Begehren der Seele zu einem einzigen Begehren, einzig auf Gott gerichtet, in
dem allein es ihr letztes Ziel und ihre Befriedigung sucht und findet.
2462 |
Dieses hohe Ziel der Überwindung des mit dem
Sündenfall gegebenen inneren Zwiespaltes bedingt aber eine tiefe psychologische
Umstellung der Gesamtanlagen der Seele, die von den Folgen der Erbsünde
getroffen sind. Selbstverständlich ist ein solcher völliger Umbruch in den
Anlagen der Seele nur mit Gottes besonderer Gnade möglich, aber dieser völlige
Umbruch führt dann die Seele wieder wie naturgegeben zu Gott und zu hoher und
sich immer steigender Gottfähigkeit. Die Überwindung der tiefsten Folgen der
Erbsünde mündet wieder ein in eine volle Harmonie mit Gottes Wesen und führt
gleichsam wieder auf eine „Ebene zu Gott hinüber“, ob diese nun schon hienieden
erlebnismäßig erfahren wird, oder ob diese höchste Frucht des Bemühens der
Seele erst für die Ewigkeit als Gotteserlebnis vorbehalten bleibt. Im Grunde
aber ist dies ein Ziel, das Gottes Vaterliebe seinen Kindern als größte Gnade
in Aussicht stellt, ein Ziel, das selbst durch den Sündenfall im Paradies im
Wesentlichen nichts an Größe verloren hat. Es liegt nur am Einzelnen, auf diese
Absichten und Wege der unendlichen Liebe Gottes einzugehen und das Leben in
diesem Sinne auszurichten.
2463 |
Die erwähnte „Ebene zu Gott hinüber“ schließt
verschiedene weitere Stufen in sich, die wiederum – ob nun erfahrungsmäßig oder
im Glauben verborgen – die Seele immer mehr ihr Ziel ganz in Gott finden
lassen, wobei erst in der Ewigkeit die volle Auswirkung der hier schon
erlangten Gottesnähe verkostet werden wird. Und gerade diese letzte Bereitung
einer Seele für Gott schließt in sich jene feine Vergeistigung, die –
vielleicht schon hier oder erst recht drüben – Gottes Wesen selbst in einer
mehr oder weniger tiefen Wirklichkeit erfahren lässt.
2464 |
Unter den verschiedenen in unserer Seele
schlummernden Möglichkeiten und Anlagen ist die tiefste und vornehmste jene:
„Gottes Wesen zu erfahren“, sich dieses höchste Wesen in möglichst hohem Sinn
und Maß anzueignen, sich mit ihm zu vereinigen. Diese Vereinigung kann sich
aber nur vollziehen mittels einer gewissen Angleichung und sozusagen
„Gleichschaltung“ der Seele zu Gott. – Mit Gottes Gnade und Liebe verbunden
sein, das steht tiefer und bedeutet weniger als dies: Gottes Wesen in sich,
seine Substanz selbst erfahren zu können bzw. diese Fähigkeit der Seele sich zu
erwerben. Dazu gehört vorerst dies: Die Art Gottes (nicht die wesentliche) in
der Seele herzustellen und nachzubilden.
2465 |
Die Seele trägt in sich geschaffene, geistige
„Gefühlsmöglichkeiten“ oder Kräfte, die – unter entsprechenden Voraussetzungen
– Gott zu erfassen und zu erfahren vermögen. Beim groben, sinnhaften Menschen,
auch wenn er im Stande der Freundschaft Gottes lebt, sind diese höchsten Kräfte
der Seele nicht „freigelegt“ und darum ist er auch nicht vorbereitet für ein
etwaiges Erfahren Gottes und tatsächlich ist er dazu nicht fähig. Es sollte
aber schon in diesem Leben das Hauptziel der Seele sein, diese hohen Fähigkeiten
für das Erfahren Gottes zu bereiten, denn damit bereitet sich zugleich auch der
Grad des Schauens Gottes in der Ewigkeit vor. Gewiss schauen alle Seelen im
Himmel Gott, aber dieses Schauen richtet sich nach der Vorbereitung, die sich
die Seele dafür hienieden angedeihen ließ, und nach dem Maße, in dem sie hier
auf Erden wirklich „gottfähig“ geworden ist. Und was der Mensch von sich selbst
aus nicht kann, das vermag Gottes Eingreifen in der Seele zu schaffen. Durch
passive Läuterungen bringt er in der Seele einen Zustand hervor, in dem die
tiefsten, verborgensten Kräfte geweckt, geläutert, veredelt, zum letzten Zweck
geformt und dementsprechend vergeistigt werden.
2466 |
Diese „Vergeistigung“ der höheren Seelenkräfte
besagt vor allem – wie ich es aus eigener, langer Erfahrung bestätigen muss –
eine gewisse „Abhebung“ von der Materie des Leibes, von der die Seele getragen
wird. Diese „Abhebung“ gibt der Seele wieder ihre einst von Gott geschaffene
„Leichtigkeit“, die im Paradies verloren ging durch die erste Inanspruchnahme
der Seele für die Sünde, wodurch „die Seele unter das Gesetz der Materie
gefallen ist“. – Wenn die Seele durch die Übungen der Aszese und Buße und durch
die von Gott herbeigeführten passiven Reinigungen und Leiden verschiedener Art
gleichsam „freigelegt“ ist von den Hemmungen der Materie, so erfährt sie in all
ihren Fähigkeiten eine Veredelung und Vergeistigung: Sie wird sich unmittelbar
ihres Bestandes in sich selbst bewusst, während sie vorher sich ihrer nur
mittelbar, nämlich als das Belebende des Leibes, bewusst war. Diese
Vergeistigung macht die Seele ferner „gefühlig“ (in einer geistigen, nicht in
einer sinnlichen, materiellen Art); sie wird sich ihrer tieferen, in ihr bis
dahin schlummernden Kräfte bewusst; sie erhebt sich kraft ihrer geistigen
Gefühlstätigkeit über das Element der Materie, das ihr die irdische
Daseinsmöglichkeit bietet.
2467 |
Aber die Wirkung dieser Vergeistigung
beschränkt sich nicht auf die Seele allein. – Und auch hier wie im Folgenden
muss ich wohl oder übel wieder die eigene Erfahrung beschreiben oder andeuten.
– Weil die Seele das Leben des Leibes bleibt, so ist die besagte psychologische
Umstellung ihres Wesens nicht ohne Folgen und Wirkungen auch auf das physische
Leben. Dieses wird vielmehr von der Seele ständig sozusagen „mitgenommen“ zu
den Übungen ihres eigenen Lebens und so wird auch das leibliche Element in
immer höheren Weise dienstbar dem Gesetze, von dem es belebt und getragen wird.
In diesem Sinne kann man auch von einer gewissen „Vergeistigung des Leibes“
sprechen, insofern die physischen Kräfte immer unmittelbar in den Dienst der
Seele gestellt und von dieser ständig „mitgenommen“ werden.
2468 |
Die Unmittelbarkeit des Dienstes zweier
verschiedener Kräftemöglichkeiten und Kräftegruppen im Menschen, der geistigen
und der körperlichen, formt sich nach und nach wie zu einer einzigen, indem die
eine gleichsam in die andere eingefasst wird. Dadurch wird jene letzte und
höchste Harmonie im Menschen möglich, die im Grunde ein „Leben des Geistes“
ist. Die Materie wird durch viele und lange Übung umgeformt, wird hineingehoben
in ihr wahres Leben, wird tatsächlich zu einem Leben nach der Art des Bestandes
der Seele geformt und trägt nach und nach den Stempel des Geistes an sich;
dieses „Leben im Geiste der Seele“ wird geformt mittels des selbstigen
psycho-physischen Lebensantriebes im Menschen, d. h. mittels der Person selbst.
2469 |
So ergibt sich nach und nach jene wunderbare
Einheit wieder, die Gottes Absicht war bei der Erschaffung des Menschen, jene
volle Harmonie zwischen zwei verschiedenen Kräftegruppen, des Geistes und der
Materie. Diese Harmonie beider bildet die Seele vollständig um, d. h., das
Leben dieses Menschen beginnt in sich selbst wert zu haben durch die Freilegung
seiner vornehmsten und höchsten Seelenfähigkeiten.
2470 |
Die geistige „Gefühligkeit“ der Seele zu Gott
und Gott gegenüber hat als tiefsten Zweck, das Wesen Gottes auskosten zu können
bzw. seinem Wesen immer mehr angepasst zu werden; und diese Anpassung an Gott
setzt voraus, dass man Gott nach der Art seines Wesens erleben kann. Da aber
die Seele im tiefsten Grunde „für Gott geschaffen ist“, wird auch ihr Endzweck
damit erfüllt, dass sie „für Gottes Wesen aufnahmefähig“ wird.
2471 |
Diese Aufnahmefähigkeit für Gott bedeutet also
für die Seele ihre volle Entfaltung hinsichtlich ihres vom Schöpfer ihr
gesteckten Zieles. Gewiss kann auch die höchst entfaltete Seele niemals Gottes
Wesen nach dem Maße seines göttlichen Seins und seiner Substanz in sich
aufnehmen oder erfassen und erfahren – denn Gott ist der Ungeschaffene, der
Seiende und kann niemals vom Geschaffenen, Endlichen völlig durchdrungen und
erfasst werden – aber vermöge ihrer Anlage der Geistigkeit, kann die Seele in
etwa das Wesen Gottes in sich aufnehmen, kann sie dem Wesen Gottes gleichsam
entgegenkommen dadurch, dass ihre Geistesfähigkeiten für Gottes Wesen
„gefühlig“ und ihm in einer ganz intimen Form dienstbar gemacht werden. – Auf
hohen Vereinigungsstufen erfährt dann die Seele gleichsam das Zentrum oder die
Substanz Gottes; sie wird dadurch ihrer nun schon erworbenen Fähigkeiten inne,
kraft derer sie „sein Wesen in sich erfasst“, und sie fühlt ihre eigenen Kräfte
gleichsam der Substanz Gottes einfließen.
2472 |
Von diesen Vereinigungsstufen aus erlebt die
Seele – scheinbar gleichsam wieder abwärtssteigend – noch eine merkliche
Vereinfachung. Was ihr früher „hoch und allerhöchst“ war oder schien, das wird
für sie nun wie natürlich, wie naturgegeben und selbstverständlich. Die Seele
tritt zurück zu jenem Stadium, das zu einem „Dienste Gottes“ oder Dienst in Gott
wird: Das Leben, Sein und Dasein der Seele selbst beginnt die Form dieses
Dienstes in Gott anzunehmen. Es scheint dies zunächst ein „Rückgang“ zu sein,
aber es ist doch ein immerwährender Fortschritt. Die Seele bleibt zwar in den
schon erreichten, wesentlichen Vereinigungsstufen, aber es erfolgt eine
Befestigung darin in dem Sinne, dass die Seele im Grunde diese wesentliche
Vereinigung bewahrt, wenn sie dieselbe auch nicht mehr erlebnismäßig ausübt.
Diese Art des Einlebens1027 in Gott und des Angepasst-seins an Gott
wird der Seele zur ständigen Übung, zum täglichen Leben, ohne dass sie sich
dessen, wie früher erfahrungsgemäß bewusst zu werden braucht. In Wirklichkeit
besteht kein wesentlicher Unterschied, ob Gott von der Seele erfahren wird oder
nicht; die Vereinigung liegt im Wesen der Seele selbst und wirkt sich vor allem
in ihren Taten und in ihrem Leben aus.
2473 |
Eine Seele mit der höchsten geschaffenen Form
der Gottfähigkeit war die Seele Jesu. Das, was sonst die „erworbene
Gottfähigkeit“ geben und bedeuten kann, das hatte die Seele Jesu in einer noch
überschwänglicheren Fülle an geschaffenen Vorzügen in sich bereitet.
2474 |
Diese Bereitung und Ausstattung der Seele Jesu
war ein Werk der Liebe des Vaters und des Heiligen Geistes. In Christus sollte
sich Gottes unendliche Liebe sichtbar offenbaren, menschlich lebensfähig,
gelebt, ja leidend bekräftigt werden und diesem allerhöchsten Zweck
entsprechend war die Seele Jesu ausgestattet. – Ihre höchste Einfachheit bildete
ihr „eine Ebene zu Gott“, einen geschaffenen Weg, den Gott benützte, um sein
unendliches Wesen gleichsam zu übertragen. Und dieser Akt der Übertragung
geschah in Wirklichkeit in der Menschwerdung des göttlichen Wortes selbst.
2475 |
Das Wesen Gottes und das der göttlichen Person
änderten sich in der Menschwerdung nicht. Er blieb, der er war und ist, aber
die Seele Jesu hatte die Fähigkeit, das „Sein Gottes“ aufzunehmen, ohne dass
dessen wesentliche Vollkommenheit eine Abschwächung erlitten hätte. Der Einfachheit
der Seele Jesu war das Sein Gottes gegenübergestellt, aber „die Linie“ nahm den
Punkt „auf“, d. h., die Seele war fähig, dem Wesen des „Seienden“ dienstbar zu
sein und das psycho-physische Dasein entsprechend der Art des Seienden zu
formen. In dieser Tatsache liegt das große Geheimnis der Unmittelbarkeit der
Seele Jesu gegenüber dem Wesen Gottes: Ihre Fähigkeiten waren der Person des
ewigen Wortes in jener Art der Unmittelbarkeit dienstbar, wie sie dem Wesen des
Seinszustandes der göttlichen Person entspricht.
2476 |
Die Seele Jesu, so überreich an Vorzügen
ausgestattet, war aber insofern „etwas Werdendes“ – wie jede andere
Menschenseele – als sie sich ganz der körperlichen Entwicklung Jesu anpasste.
Man kann in Wahrheit sagen: Die Seele Jesu wuchs mit dem Leibe. Und
entsprechend vollzog und steigerte sich auch in gewissem Sinne ihre
Dienstbarkeit gegenüber der göttlichen Person; denn die Seele Jesu war trotz
der hohen, in ihr schlummernden Vorzüge einer „Entwicklung“ fähig. Es gehörte
zur unendlichen Liebe des Erlösers, dass Jesus sich dem werdenden Menschenleben
in jeder Weise anpasste1028, wie er sich durch den Akt des
Bewusstwerdens als Mensch in seiner Menschwerdung, ganz dem Gesetz der
Menschheit überantwortet hatte. So erlebte sich die göttliche Person in allen
Stadien des Menschseins, angefangen vom Kindsein mit seinen Freuden und mit
seinen Leiden.
2477 |
Es bleibt ein vom Schöpfer gegebenes Gesetz:
Alles Geschaffene „wird“, ist einer Entwicklung fähig und einer Entwicklung
unterworfen, während Gott allein „ist“. Und mit dem Sein Gottes sind mit und
nach seinem Willen auch seine „Werke“ gegeben, jene nach außen sowohl wie jene
im innergöttlichen Wesen Gottes. Gott ist ja „reiner Akt“, wirkliche Tat, ohne
dass er sich vorbereiten müsste, seine Taten auszuführen. Er ist zugleich Akt
des Wollens und Tat. – Mit dieser wesentlichen göttlichen1029
Vollkommenheit des „actus purus“ lebte die göttliche Person des Wortes auch ihre
menschliche Natur ein. Hier liegt das tiefste, für menschlichen Sinn
unausdrückbare1030 Geheimnis in der Seele Jesu verborgen, das
Geheimnis dieser Verbindung und das Zusammenwirken von Göttlichem und
Menschlichem. Der Bewusstseinsakt der göttlichen Person war ein ständig
unmittelbarer Akt, weil Jesus als wahre Person sich im immerwährenden
Bewusstwerdensakt bewegte (wie dies auch bei einer menschlichen Person der Fall
ist). In dieser Bewegung war er vom Anfang seiner Menschwerdung an „der, der
nun Mensch war“, als Person ganz den Bedürfnissen seiner Seele hingegeben und
überantwortet.
2478 |
Die Seele Jesu nahm die wesenhaft
unmittelbaren göttlichen „Bewegungen“ zwar in sich auf, aber doch als
geschaffenes und damit beschränktes Wesen, das niemals der wesentlichen
göttlichen Unmittelbarkeit des göttlichen „actus purus“ fähig sein konnte, d.
h., niemals fähig, jenen Akt in gleicher göttlicher Art psychologisch
weiterzuleiten (andernfalls hätte entweder die Seele Jesu selbst Gott sein
müssen oder die göttliche Unmittelbarkeit hätte die menschliche Natur geradezu
erdrückt). – Gewiss war die Seele des Gottmenschen als sein wirkliches
Lebenswerkzeug höchster geistiger Unmittelbarkeit fähig, aber doch niemals
wahrhaft göttlicher Unmittelbarkeit, d. h., nicht jener, um die göttlichen
Eindrücke auch in göttlicher Weise und Unmittelbarkeit zu verarbeiten. Ihre
Höchstleistung war, dass sie Gottes Wesen und Vollkommenheiten unmittelbar in
sich aufnehmen konnte.
2479 |
Durch das Aufnehmen des Bewusstwerdens als
Mensch sah sich die göttliche Person in eine – von der Art des göttlichen Seins
so verschiedene – Art des an sich beschränkten Seins gestellt, was
augenblicklich eine entsprechende Rückwirkung auf die göttliche Person selbst
auslösen musste, nämlich die, dass sich die göttliche Person „als Mensch
fühlte“. Sie war Mensch geworden und damit einem anderen Gesetz überantwortet
als jenem, das in seiner göttlichen Natur lag.
2480 |
Dieses Sich-bewusstwerden der göttlichen
Person „als Mensch“ hatte aber nicht in dem Sinne etwas Widerspruchsvolles für
Christus an sich, als ob eine volle Harmonie zwischen dem Göttlichen und
Menschlichen für die göttliche Person selbst etwas Widerstrebendes gewesen
wäre. Jesus hatte sich vielmehr freiwillig und aus Liebe dem „Menschsein“
überantwortet und dies mit voller Harmonie infolge seiner göttlich-sittlichen
Vollkommenheitshöhe (eine Disharmonie des sittlichen Widerstrebens wäre eine
sittliche Schwäche und ein unerträglicher Mangel im Gott-Menschentum Christi
gewesen). Der Gegensatz, dem sich die göttliche Person „als Mensch“
gegenübergestellt sah, war vielmehr die objektive Wirklichkeit und Tatsache des
unendlichen Abstandes zwischen Göttlichem und Geschaffenem. – Diese objektive
Tatsache hätte für sich allein schon eine Verdemütigung für die göttliche
Person sein müssen, selbst wenn es nur beim Akt der Menschwerdung geblieben
wäre. Aber die göttliche Person hat sich mit dem Akt der Menschwerdung selbst
auch in allem den Gesetzen des Menschseins und der menschlichen Natur
untergeordnet und unterworfen. Und sie erfuhr diese göttliche Unterordnung nach
dem Gesetze des Menschseins.
2481 |
Obwohl die Seele Jesu von Anfang das volle
Bewusstsein einer schon fertigen Person in sich trug, waren ihre Fähigkeiten
damit nicht vollendet, sondern sie entfalteten sich entsprechend dem Wachstum
ihres Leibes. Die göttliche Person erlebte nun ihre Seele, in die sie gleichsam
eingehüllt war, als etwas „Werdendes“, d. h., sie nahm all jene Reflexe in sich
auf, welche die „werdende“ Seele ihr schon menschlich erlebnismäßig zuführen
konnte und zuführte. Dieses Zuführen mittels der erwachenden Seelenkräfte an
die göttliche Person bedeutete ununterbrochene Auswirkungen auf diese Person
selbst als die immerwährende bewusste Erleberin eines menschlichen Daseins. Die
Wirklichkeit eines menschlichen Daseins trat in voller psychologischer Weise
vor das Bewusstsein der Person selbst und machte diese zur Erleberin des
Menschseins. Zugleich trat aber auch bei der göttlichen Person das Geheimnis
einer „Person“ und ihrer, die menschlichen, ihr zu Gebot stehende Tätigkeit und
Kraft und volle Auswirkung,[sic!] und sie antwortete auf die an sie
herankommenden Erlebnisse mit einer entsprechenden eigenen Reaktion, die
wiederum von der Seele aufgenommen und in ihrer Art – als Gemütsempfindung, Leid
oder Freude – gefühlt und empfunden wurde. Diese ständige psychologische
Wechselbeziehung bildete das Grundgeheimnis des Menschseins Christi; daran war
das ganze Leben Jesu gebunden und in diesem Sinne ist er „uns gleich geworden“
und erfuhr er, ähnlich wie wir, die Armseligkeiten und Mängel eines
menschlichen Lebens.
2482 |
Damit war aber das göttliche Wesen des „Actus
purus“ im eigentlichen Sinne dem Gesetz einer, wenn auch höchst vergeistigten
Seele überantwortet.
2483 |
Ihre höchste Vergeistigung verlieh der Seele
Jesu wohl höchstmögliche Unmittelbarkeit in all ihren Funktionen, aber es
blieben doch wahre menschliche, den unseren ähnliche Funktionen, denn die Seele
Jesu hatte nicht die göttliche Unmittelbarkeit. – Wohl fühlte sich Jesus nicht
beschränkt durch die Enge des menschlichen Verstandes, denn ihm stand jederzeit
das göttliche Wissen zur Verfügung, aber er hat sich für gewöhnlich auch den
Grenzen seines menschlichen Verstandes untergeordnet und ließ sich z. B. als Kind
in allem von seiner hl. Mutter unterweisen. Sein menschlicher Verstand
entwickelte sich in ähnlicher Weise wie der eines gewöhnlichen Kindes, wenn
auch bei seiner höchst veranlagten Seele eine gewisse Frühreife der Intelligenz
vorauszusetzen ist. – Mit dieser Entwicklung war aber die Erlebnismöglichkeit
der göttlichen Person als Mensch in keiner Weise eingeschränkt, denn in der
Entwicklungszeit des Kindesalters vollzog sich das psychologische Erleben Jesu
durch die Substanz seiner Seele selbst, solange bis die Fähigkeiten der Seele
vollends entfaltet und ausgebildet waren.
2484 |
Nach meinen eigenen Erfahrungen bewegt sich
auf den höheren Stufen des Seelenlebens, bzw., der mystischen Gnadenwege, der
Verkehr mit Gott in einer unmittelbaren Weise durch das Wesen der Seele selbst,
durch die Substanz der Seele. Ich bin dessen besonders in den letzten Jahren
innegeworden.
2485 |
Schon das mystische, erfahrungsgemäße Erfassen
Gottes (das mystische Erfahren) ist ein unmittelbarer Vorgang in der Seele
selbst. Während man sonst, auch in den innigsten (nicht mystischen) Verkehr mit
Jesus, die Fähigkeiten der Seele doch irgendwie tätig fühlt, hat es bei einer
mystischen Erhebung den Anschein, als „stehen alle Seelenfähigkeiten still“ und
als sei in diesem Augenblick der Verstand und das Denkvermögen gleichsam
ausgeschaltet. Es sind aber diesbezüglich viele Stufen und große Unterschiede
zu verzeichnen. Der Grad der Tiefe, in der die Seele zu Gott, bzw. zu Jesus
mitgenommen wird, bestimmt auch die jeweilige Ausschaltung oder Mittätigkeit
der Seelenfähigkeiten in den mystischen Gnadenzeiten. So ist zu unterscheiden
zwischen ekstaseartigem Mitgenommenwerden und zwischen erlebter Vereinigung mit
dem Heiland oder gewöhnlicher Beschauung – die, nach meinem Erfahren, immer
auch das Erleben der Vereinigung mit Gott in sich schließt. Bei den tiefer
liegenden mystischen Gnaden spürt man noch ein „Geführtwerden mittels der
erlebten Seelenfähigkeiten“; der Verstand ist mittels einer erfahrenen
Vereinigung angeregt, Gottes Wesen bzw. ihn in seinen Vollkommenheiten
auszukosten und bei den Geheimnissen Jesu sich in ihm zu ergehen. Es sind dann
aber immer rein geistige Bewegungen, ohne Fantasiebetätigung, denn man erfährt
in dieser Zeit einer mystischen Erhebung ein Aussetzen gewisser Weiterleitung
an die Fantasie notwendiger Bedingungen und Voraussetzungen. Jenes Erfahren
Gottes ist etwas „Gegebenes“ und es hört jede „Bemühung“ auf. – Gewiss kann ein
passives Hinstreben zu Jesus vorausgehen, nämlich – nach meinem Erleben – eine
peinliche innere Verdemütigung mit intensivem Willen, sich in Gott zu
vervollkommnen. Dieser vorausgehende Akt ist zugleich aktiv und passiv, während
in der Zeit der mystischen Vereinigung selbst die Seele sich passiv verhält
oder dazu veranlasst wird.
2486 |
Mit der fortschreitenden Vergeistigung der
Seele erfährt auch das mystische Erfassen Gottes eine „Vergeistigung“. Man kann
den Unterschied selbst feststellen und beobachten. Der „Weg bis zu Gott“
scheint kürzer zu werden, weil die Seele ihm in vielem ähnlicher wird und
dementsprechend auch die erlebte Vereinigung mit ihm sich gestaltet. Jedenfalls
ist die passiv sich entwickelte Vergeistigung das Art-Maß, nach dem Jesus sich
der Seele mitteilt.
2487 |
In den letzten Zeiten habe ich hierin
merkwürdige Erfahrungen gemacht. Mein ganzes geistiges Leben und Sein scheint
sich nun „außerhalb“ der Seelenfähigkeiten (des Verstandes, des Denkvermögens
usw.) zu gestalten; es geht durch das Zentrum meines Seins selbst, durch das
tiefste Wesen der Seele, durch ihre Substanz selbst. Mein Bemühen, etwas zu
wissen oder zu denken scheint mir nun sozusagen „durch das Herz“, durch das
Zentrum meines Lebens, zu gehen und nicht mehr wie früher „durch den Kopf“. –
Diese Tatsache scheint mit der Vorbereitung auf meine geistige Aufgabe
zusammenzuhängen. Im Grunde ist es die Auswirkung einer in mir hergestellten
passiven Unmittelbarkeit des Geistes, der all meine Seelenfunktionen
überantwortet sind. Damit ist ein merkwürdiges Geheimnis in mir zur Tatsache
geworden: Was ich bin und weiß, das bin und weiß ich durch das Herz und nicht
durch den Kopf. Ebenso nehme ich das von außen Eindringende durch das „Zentrum
meines Lebens“ auf. Darin scheint sich alles abzuwickeln in einer Einfachheit
und Unmittelbarkeit, für die es keinen Ausdruck gibt. Jede Frage erfährt auf
diese Weise ihre Antwort, und alles wird auf diese unmittelbare Weise
verarbeitet und zugleich für das äußere Tun vorbereitet. – In gleicher Weise
gestalten sich die Leiden; es scheint in allem nur das Herz, d. h. der
Hauptsitz aller Funktionsmöglichkeiten betroffen zu werden.
2488 |
Gerade in letzter Zeit erlebte ich in dieser
Beziehung eine auffallende Veränderung. – Am 20. Januar kam ich in einen
weiteren geistigen Erhebungszustand und es ward mir eine bestimmte Gnade
sittlicher Befestigung [zuteil], eine Befestigungsgnade in einem erreichten
sittlichen Vollkommenheitszustand, der für meine geistige Aufgabe maßgebend und
von großer Bedeutung ist, wie ich es aus den Auswirkungen dieser Gnade erfahre.
– Damit hat sich mein Gesamtleben durch eine erhöhte Unmittelbarkeit des
Geistes verändert. Es scheint nun überhaupt nur ein lebenswichtiger
Geistespunkt oder Zentrum zu sein, durch das und in dem sich mein
Gesamt-Menschsein konzentriert.
2489 |
Jetzt erkenne ich auch den diesbezüglichen
Wert, der diesem Zustand als Vorbereitung vorausgehende Leiden, der durch die
göttliche Führung bewirkten Übung in diesem zu erreichenden und nun erreichten
Zustand. – Eine Folge dieser erreichten Unmittelbarkeit des Geistes ist auch
die neue Art der passiven Leiden, wie sie mir jetzt spürbar sind: In
ebensolcher Unmittelbarkeit, wie sie einsetzen, durchdringen sie gleichsam das
Zentrum meines Seins. Dabei erfährt man diese passiven Leiden und
leidensähnlichen Erlebnisse in ihrer wahren Wirklichkeit, ohne Verminderung und
ohne Möglichkeit der Ablenkung oder des Ausweichens, das bei einem „längeren
Geistesweg“ sehr leicht möglich, wenn nicht das Gewöhnliche ist.
2490 |
Zugleich bin ich in eine in Worten nicht zu
erklärende „Erhabenheit“ versetzt, mit der diese Leiden als wirkliche Tatsache
und als etwas Vorhandenes getragen werden. Es wehrt sich nichts mehr in mir
gegen die aufsteigenden passiven Leiden, außer in dem Sinne, dass diese Leiden
vorhanden sind und der Natur widerstreben. Dabei bleibt in mir aber eine schon
vorhandene Gelassenheit des Geistes bestehen, welche die frühere erreichte
Gelassenheit weit überschreitet.
2491 |
So ist die erwähnte, letztgegebene Gnade eine
allgemeine Vervollkommnung meines Gesamtzustandes und es wurde mir innerlich
Folgendes zur Erklärung1031 dieses jetzt erreichten Zustandes
gezeigt: Im Grunde handelt es [sich] bei diesem jetzt erreichten
Vollkommenheitszustand um einen Habitus übervoll geübter Hingabe an Gott, um
eine schon vorhandene Leidensbereitschaft und Leidenskraft in jeder Form, in
der das sittliche Widerstreben gegen das Leiden – als sittliche Schwäche –
schon überwunden ist. Es bleibt nur das der gefallenen Natur immer anhaftende
Widerstreben gegen das Leiden und es bleibt das Leiden selbst.
2492 |
Wie mir aber vielfach durch eigene Erlebnisse
auf geistigem, mystischem Gebiete Geheimnisse des Erlöserlebens bzw. der
hypostatischen Union begreiflich gemacht werden, so wurde ich auch im Anschluss
an die letzten seelischen Erlebnisse und Erfahrungen hingewiesen auf die
Tatsache: In Jesus konzentrierte sich das Seelenleben vornehmlich auf die
Substanz der Seele selbst. Auch die Fähigkeiten des Bewusstwerdens der Person
liegen im Zentrum der Seele selbst und nicht in den Fähigkeiten. In Jesus erfuhren
die Fähigkeiten der Seele eine wachstumsähnliche Entwicklung, während jedoch
die Substanz der Seele bewusst die göttliche Person trug, d. h., die Seele kam
durch die göttliche Person zum Bewusstsein; denn die Seele ohne Person hat
überhaupt kein Bewusstsein von sich selbst. Immer ist es die Person, die,
mittels der seelischen Bewusstseinskräfte, das Bewusstsein gibt. Um einen
Vergleich zu gebrauchen: Es ist immer das Licht selbst, das leuchtet, und nicht
der Docht, der brennt und das Licht gibt. – Da also die göttliche Person als
die Bewusstseinsgebende die Seele belebte und da somit die Seele in ihrer
wesentlichen Substanz Trägerin der göttlichen Person war, so war dadurch die
Seele in das göttliche Leben hineingezogen und nahm daran Anteil, ja sie, d. h.,
ihr Dasein war es, das der göttlichen Person die Möglichkeit verschaffte, wie
auf menschliche Art, nämlich mit seelischen Kräften, zu existieren.
2493 |
Die Seele ist eine geistige Substanz, eine
Einheit, hat aber verschiedene Fähigkeiten, die ihren wirklichen Bestand
ermöglichen. Man kann in der Seele einen Kern unterscheiden, gleichsam das
Zentrum der Seele selbst, und deren verschiedene Fähigkeiten, von denen dieses
Zentrum umgeben ist und gleichsam bedient wird. Die Substanz vereinigt aber in
sich alle jene Fähigkeiten, die von ihr gleichsam ausstrahlen und ihr selbst
erst die Existenzmöglichkeit bieten. All diese Fähigkeiten oder Hilfsmittel der
Seele strömen während ihrer Betätigungen immerwährend zu ihrem Zentrum zurück.
Auch die Betätigungen bleiben ebenso mit ihrem Zentrum in Verbindung; –
andernfalls würde ja die Seele selbst ihre Einfachheit und ihre
Einfachheits-Substanz verlieren. In sich ist die Seele ein Ganzes, das sich
ständig auf ihr Zentrum konzentriert, und zwar nicht mittelbar, sondern
unmittelbar, entsprechend ihrer Anlage selbst, mit der sie vom Schöpfer
geschaffen wurde.
2494 |
Die verschiedenen Anlagen zur Betätigung ihrer
Fähigkeiten ziehen sich gleichsam im Kreise um das Zentrum der Seele selbst und
holen sich von dort ihren Befehlsantrieb; es ist dies ein unmittelbarer
Vorgang, weil alle Anlagen zur Betätigung gleichsam dem Zentrum selbst
eingeschlossen sind. – Ebenso dringen alle von außen einströmenden Ereignisse
unmittelbar in das Zentrum der Seele ein, aber dies vermittels ihrer in
Tätigkeit gesetzten Fähigkeiten; im Zentrum selbst wird dann erst die weitere
Befehlsverteilung reguliert und geordnet und zu einem entsprechenden Reagieren
und Zurückströmen in die Seelenkräfte gleichsam vorbereitet.
2495 |
Die Fähigkeiten im Einzelnen werden von der
physischen Natur getragen und sind in erster Linie Hilfsmittel der physischen
Natur selbst. Mittels dieser Hilfsmittel bleibt das Zentrum der Seele mit der
gesamten physischen Natur in Verbindung und mittels dieser Verbindungsstellen
ermöglicht sich ein einheitliches Leben, wobei die Seele das Leben des Leibes
ist.
2496 |
Unter den Seelenfähigkeiten unterscheidet man
solche, die das Leben des Leibes ermöglichen und erhalten, und solche, die das
geistige oder Intelligenz-Leben hervorbringen. Die Ersteren sind den Letzteren
eingeordnet, und zwar in einer ständigen Harmonie zwischen den einen und den
anderen. Es möchte zunächst scheinen, dass die Lebenskräfte den Vorzug hätten,
weil man zuerst leben muss, um geistig tätig sein und denken zu können. In
Wahrheit hat aber das Geistige den Vorzug in der Seele infolge ihrer, von Gott
gegebenen Bestimmung. Die geistigen Intelligenzkräfte ordnen sich auch der
physischen Natur ein, durch die sie auch die Möglichkeit zur Ausübung ihrer
Anlagen erhalten.
2497 |
Die Anlagen zur Betätigung der Fähigkeiten der
Seele sind in sich unbeweglich und sind das Tragende und Gebende für die
Fähigkeiten selbst; sie unterstehen dem Gesetze der Substanz der Seele selbst
und sind nur eine Weiterleitungsmöglichkeit für das Zentrum und die
Fähigkeiten. – Um es wieder in einem Vergleich zu sagen: Es ist wie bei einer
elektrischen Einrichtung. In der Zentrale wird das Licht erzeugt; die Anlagen
und Leitungen führen das Licht weiter – bis in den Lichtschalter und die
verschiedenen Leuchtkörper, wo das Licht dann tatsächlich leuchtet und seine
Leuchtfähigkeit offenbart; hergestellt aber wird das Licht in der Zentrale
selbst. – Oder ein Beispiel: Die Fähigkeit zu malen oder zu musizieren setzt
eine Anlage voraus, die wiederum im Zentrum der Seele selbst ihren Sitz hat.
2498 |
Man kann sagen: Die Substanz der Seele trägt
sich selbst, die Fähigkeiten aber sind weithin von der physischen Natur
abhängig gemacht. Infolge der doppelten Wirkung, welche die Betätigung der
Seele durch ihre Kräfte hervorbringt, ist ein zweierlei zu unterscheiden: die
Betätigung der einen einfachen Seele in rein geistiger Hinsicht und jene in
physischer Hinsicht, d. h. für das leibliche Leben. Beide Tätigkeiten gehen
kraft des vom Schöpfer selbst geordneten psycho-physischen Naturgeheimnisses
für gewöhnlich ineinander über. Gedanklich aber sind beide Betätigungen
auseinanderzuhalten, weil auch die Wirksamkeit jeder dieser Betätigung im
Grunde – infolge der Ewigkeitsbestimmung der Seele selbst – von der anderen
getrennt bleibt. Die Seele ermöglicht und erwirbt sich einerseits ihr irdisches
Dasein und bereitet sich anderseits auch die Beschaffenheit ihres
übernatürlichen Daseins.
2499 |
Uns fühlbar erlebt sind gleichsam nur die
Ausläufer der Seele, das heißt ihr „Leben“ in den Intelligenzkräften und ihr
„Beleben“ des Leibes. Dabei kommt uns nur das „mittelbare“, das schon durch die
Substanz der Seele hervorgebrachte Leben der Seele zum Bewusstsein, während das
unmittelbare, wirkliche und eigentliche Leben der Seele unserem Bewusstsein und
Empfinden für gewöhnlich verborgen bleibt. So bleibt die Haupttätigkeit der
Seele uns „unbewusst“, da wir das „Leben der Seele“ nur mittelbar erleben und
erfassen. Die Hauptverarbeitung dessen, was durch die Seelenfähigkeiten uns
dann erlebnismäßig bewusst wird, vollzieht sich „geräuschlos“ und uns
unbemerkt; nur die Wirkung jener tiefsten, uns verborgenen Betätigung der Seele
tritt ständig vor die Augen unseres Geistes, nämlich als Bewusstwerden der
Wirkungen jener ständigen Tätigkeiten der Substanz der Seele selbst. Hierin
liegt wohl das tiefste „Wunder der Natur“ verborgen, das der Schöpfer in die
Seele hineingelegt hat. Wir fühlen nichts davon, aber wir leben es und wir
wissen doch nicht, wie wir es leben: Nämlich durch ununterbrochene Tätigkeiten,
die wir selbst, d. h. unsere Seele in uns sind, obwohl uns dies nie unmittelbar
ins Bewusstsein gelangt.
2500 |
So führt der Mensch – und jedes lebensfähige
Wesen – sein Dasein im tiefsten Grunde „sich selbst unbewusst“; er spürt nur
die Folgen seines „Lebens“, erfasst aber nicht das „Leben“ selbst; er kann in
etwa in jene Folgen und Auswirkungen des Lebens seiner Seele eindringen und sie
zu erforschen suchen – und schon dies wird ihm nie ganz gelingen; noch viel
weniger aber kann er in das Geheimnis „des Lebens“ selbst eindringen. Es ist
ein Geheimnis des Schöpfers allein.
2501 |
Die immerwährende Tätigkeit der Substanz der
Seele tritt uns also erst ins Bewusstsein durch die Folgen und Wirkungen dieser
ihrer Tätigkeit, und zwar sowohl jene, die das physische, leibliche Leben
gewähren, wie jene, die das geistige Leben ermöglichen. Diese beiden in sich
getrennten Wirkungen greifen aber ineinander über: Die Auswirkung auf das
physische Leben ist eine notwendige Vorbedingung für das geistige Leben und
dieses wiederum wirkt sich als neue und hohe Antriebskraft und Anregungskraft
auf die physische Natur aus. So besteht eine ständige Wechselbeziehung, die aber
letztlich in der Substanz der Seele selbst ihren Sitz hat, von wo aus die Seele
ihre alles „Leben“ umfassende Tätigkeit ausübt.
2502 |
Das „Leben“ selbst ist die erste Folge und
Wirkung jener ständigen Tätigkeit der Substanz der Seele. Die Seele bringt sich
in Tätigkeit – durch ihre Tätigkeit selbst; sich selbst belebend und in
Tätigkeit setzend – durch naturangelegte Tätigkeit, das heißt selbst-leben1032.
2503 |
Im Einzelnen zieht dieses Selbst-Leben
zunächst all die verschiedenen und mannigfachen kleinen Kräfte und Funktionsmöglichkeiten
heran, die nach dem Willen und der Bestimmung des Schöpfers zum Lebensprozess
Beziehung haben und deren Mittätigkeit zum Lebensaffekt notwendig ist. Die an
diese verschiedenen einzelnen Kräfte und Möglichkeiten ergehende Anregung zur Mitbetätigung
mit dem vorhandenen Lebensantrieb bildet die erste Lebensfunktion, wodurch jene
einzelnen Möglichkeiten in Betrieb gesetzt werden, um ihren Beitrag zum
Lebensvorgang zu leisten. Der Lebensantrieb richtet sich von vornherein und
notwendig auf das wesentliche dem betreffenden Leben innewohnende Ziel (das im
Nebensächlichen, Unwesentlichen mehr oder weniger vollkommen erreicht werden
kann).
2504 |
Lebensziel und Lebensantrieb greifen
unmittelbar ineinander und fordern die vorhandenen, auf das Ziel hingeordneten
Möglichkeiten an. Diese Möglichkeiten können mehr oder weniger reich und
vortrefflich sein – und das wird sich in der letzten Auswirkung des ganzen
Lebensvorganges, nämlich im gelebten und betätigten, fertigen Leben irgendwie
äußern – aber es muss wenigstens das an Möglichkeiten vorhanden sein, was durch
das wesentliche Lebensziel gefordert ist. Es ist dies auf alle Fälle eine
unübersehbare Summe von einzelnen Betätigungen und Kräften, die aber alle ein
gemeinsames Ziel und eine letzte Auswirkung haben, auf die sie durch die
belebende Seele hingeleitet werden: Das wirklich gelebte und betätigte,
„fertige“ Leben.
2505 |
Erst diese letzte Auswirkung all jener
verborgenen und wunderbaren Lebensvorgänge oder dieses schon gelebte „Leben“
tritt der Seele als erlebensfähiger Akt vor Augen: Der Mensch weiß, „dass er
lebt“. Aber auch dieses „Wissen“ oder vielmehr dieses Bewusstwerden des
Existierens als Mensch braucht einen schon langen (Jahre dauernden) Weg schon
gelebten Lebens. Und erst dieses schon gelebte Leben ist das, wodurch der
Lebende sich selbst zu umfassen, und zu erfassen beginnt als das Resultat
vieler verborgener Lebenstätigkeiten. – Dieses „Sich-selbst-umfassen“ nennen
wir das Bewusstwerden, das Selbstbewusstsein, das Wissen um die eigene Existenz,
die als bewusste Kraft sich im Ich-Bewusstsein zusammenfasst.
2506 |
Diese Zusammenfassung eines schon gelebten
Lebens ist eigentlich schon immer eine Zielforderung all der vorhergehenden
Akte und einzelnen Lebenstätigkeiten gewesen, denn erst mit dieser Zusammenfassung
beginnt eine selbstige Umstellung dieses „Lebens“, die es einer entscheidenden
Kraft ermöglichen wird, sich gleichsam auf die oberste Spitze aller
Lebensfunktionen zu stellen, diesem Leben „vorzustehen“ und ihm gleichsam als
selbstiger Lebensantrieb zu dienen. Ich meine jene Kraft, die wir die
„Personkraft“ nennen. Zu diesem Zweck erheben sich Kräfte einer umfassenden
Funktionsmöglichkeit, Erfassungs- und Umfassungskräfte und es ist gleich ein
„Emporklimmen“ derselben auf die Höhe dieses „Lebens“, um von dieser Warte aus
alles zu regieren und zu dirigieren.
2507 |
Diese Regentschaft wird sich vereinfachen mit
dem vollen Erstarken und Überhandnehmen der Kraft, welche diese Regentschaft
ausüben soll. Es gibt diesbezüglich darum eine zeitliche Mittelperiode im
eigentlichen Bewusstseinserwachen: Der Mensch ist zum selbstigen Leben erwacht
und lebt es schon als erfahrenen Akt, aber im Grunde ist jene Kraft noch nicht
das Überragende in der Seele geworden, das einen bewussten Antrieb auf alle
Lebensmöglichkeiten ausüben könnte. Erst diese Ausübung als bewussten Akt nennt
man das volle Erwachen der „Person“ und erst damit ist das volle
Ich-Bewusstsein ermöglicht. – Damit stellt sich das ganze Menschenleben mit all
seinen Folgerungen unter die Funktion des Ichbewusstseins und übt diese nun
fertige Person einen selbstständigen Lebensantrieb auf die ihr unterstellten
Kräfte und Lebensmöglichkeiten aus. Damit wird sie zugleich verantwortlich für
die Art ihrer Ausübung ihres selbstigen Lebensantriebes.
2508 |
Für das Zentrum oder die Substanz der Seele
bedeutet dies aber eine weitgehende Umstellung ihrer bisherigen Funktionsart. –
Sie hat, wie es ihre erste Aufgabe war, „ihr Leben“ emporgebildet und nun
beherrscht dieses Leben sie selbst und die Funktionskräfte der Substanz der
Seele selbst gestalten sich nun nach der Art jenes Person-Seins. In dieser Zeit
wird die Seele selbst „erlebensfähig“, d. h., sie empfängt und erfährt die von
der Person ausgehenden billigenden oder missbilligenden Rückwirkungen auf ihre
eigenen Funktionen und das kann allenfalls eine Änderung ihrer bisherigen
Lebensart hervorbringen. Es beginnt, mit andern Worten, mit dem Erwachen eines
bewussten Person-Seins die Zeit selbstiger Lebensfunktionen, die geregelt
werden entsprechend der Art der „Person“, des Maßgebenden und Entscheidenden im
Menschen. Das ganze Menschsein richtet sich nun aus nach der Art der Person. –
Damit wird nicht geleugnet der große Einfluss, den erbliche Veranlagung, äußere
Umstände und besondere Absichten des Schöpfers im Menschenleben haben. Im Falle
besonderer Absichten legt der Schöpfer der Menschenseele wohl schon in die
Veranlagung der Seele besondere Möglichkeiten des Geistes und eine mehr oder
minder große Fülle von Gnade hinein, entsprechend den Absichten, die er mit der
betreffenden Seele hat.
2509 |
Mit dem Erwachen der Ich-Person beginnt nun
auch die Zeit der Verantwortlichkeit für die Person selbst und dies nicht so
sehr für die Folgen ihrer äußeren Werke als vielmehr in ihrem inneren Bereiche:
Wie sie nämlich im Bereiche des Geistes, in dem sie steht, ihre selbstständige
und entscheidende Stellung zur Auswirkung kommen lässt.
2510 |
(Man kann dieses Maßgebende und Wesentliche im
menschlichen Seelenleben das „Höchste“ oder vielleicht richtiger das „Tiefste“
im Menschen nennen. Im Grunde ist das „Person-werden“ eine Vertiefung, d. h.
eine Grundlegung für das Menschentum des betreffenden Selbst. Gewiss stellt
sich die Personkraft auf die Spitze aller grundgelegten Anlagen, aber doch so,
dass ihr Wirken eine ständige Vertiefung oder ein Herausholen angelegter
Möglichkeiten ist; in diesem Sinne bedeutet das „Person-sein“ das Tiefste im
Mensch-sein selbst. „Erhöhung“ könnte man vielleicht den Ausbau, die Folge und
Früchte des Mensch-seins besser nennen.)
2511 |
Die Seele ist einfach in ihrem Gebilde, aber
ihre Betätigungen sind vielfach, und vielfach sind auch die Wirkungen dieser
Betätigungen. Da ist zunächst die rein physische Betätigungsart, um das
leibliche Leben zu erhalten. Aber auch diese physische Betätigung der Seele
führt schließlich zu einer Art geistiger Betätigung, insofern nach
entsprechender Entwicklung der Geist und dessen Kräfte an die Spitze der
physischen Betätigungen gestellt werden und diese von den Geisteskräften auf
das Ziel eines wahren und würdigen Menschenlebens hin dirigiert werden. So hat
die Seele in vielfacher Art die Fähigkeit, ein „Geistesleben“ zu ermöglichen
und aufzubauen.
2512 |
Beide Hauptbetätigungen der Seele, sowohl die
physische wie die eigentlich geistige, sind in der Substanz der Seele
grundgelegt und haben dort ihren Sitz, kommen aber zum Ausdruck in der Anlage
oder Befähigung zur Betätigung. Diese Betätigung wird mithilfe der physischen
Natur vollzogen. Die Vielfalt der seelischen Anlagen ermöglicht auch eine entsprechende
Vielfaltigkeit der hervorgebrachten Betätigungen. Das Hervorbringen dieser
Betätigungen ist in sich ein ständiges Verarbeiten der mit der Hilfe der
physischen Natur von außen aufgenommenen Eindrücke, die dann in der Seele als
neue Betätigungsmöglichkeiten gleichsam Frucht bringen für das äußere Leben, in
das der Mensch hineingestellt ist. – Der Mensch braucht diese Wechselbeziehung
zwischen sich und der Umwelt. Wie das leibliche Leben der Speise bedarf, um
sich zu erhalten, so wird das geistige Dasein des Menschen ermöglicht und
erhalten durch jene Wechselbeziehungen zwischen den von der Umwelt kommenden
Anregungen des Geistes und den Verarbeitungen und Früchten dieser Anregung, die
das wirkliche Geistesleben hervorbringen.
2513 |
Die Seele bildet sich damit eine innere Umwelt
oder einen inneren Kreis von Möglichkeiten, aus denen sie sich welche durch
Bezugssetzung auf sich selbst auswählt, die sie auf sich wirken lässt und von
denen sie geistig gleichsam „lebt“.1033 Sie unterhält in sich
gleichsam „Lieblingsthemen“, denen sie sich hingibt, für die sie ihre Kraft
aufwendet, und die dann verarbeitet in die Außenwelt treten. Nach außen zeigt
sich das vornehmlich in der Vielfalt von Berufen, die gewöhnlich eine Folge von
Lieblingsthemen der Seele sind.
2514 |
Neben diesen Verarbeitungen und
Bezugssetzungen auf sich selbst ergibt sich aber notwendig in jeder Seele noch
eine andere Art von Geistesarbeit, die ihren Widerspruch oder ihre Zustimmung
auslösen kann, wobei vielfach Vererbung, Erziehung und Gewohnheit oder Erwerbung
mitsprechen. Das Leben stellt nämlich an den Menschen Forderungen und legt ihm
Beziehungen auf, denen er sich infolge seiner Gebundenheit an die Umwelt nicht
entziehen kann und die naturgemäß im Innern der Seele Missfallen oder Gefallen,
Abneigung oder Zuneigung auslösen. Die Art der Stellungnahme zu diesen
sittlichen Lebensforderungen kann in der Seele selbst Reflexe auslösen, die ihr
zum Impuls ihrer tiefsten Betätigungen werden und sie vollends in Anspruch
nehmen können.
2515 |
Es besteht nun unter den Menschen eine große
Verschiedenheit in dieser seelischen Inanspruchnahme und Stellungnahme
gegenüber diesen Lebensforderungen. Jeder Mensch trägt aber ein Komplex von
solchen Beziehungen in sich, mit denen er unausweichlich verbunden ist. Und die
einzelne Seele kann in einer mehr oder minder einfachen Weise Herr werden über
die Vielheit der Impulse, denen sie innerlich überantwortet ist, von denen
vielfach ihre äußere Lebenshaltung abhängt und die sie zu lösen hat, wenn sie
ihr Leben fruchtbringend für sich selbst gestalten will. – Der Mensch trägt in
sich gleichsam zwei auseinanderstrebende Weiten, zwei Pole, die er aber
einander näher und zur Einheit führen soll, um in seiner inneren und äußeren
Lebensführung zu einer einheitlichen, einfachen Linie, zu einem einheitlichen
Schluss zu kommen. Es ist ein Widerstreit zwischen den Impulsen von Gut und
Böse, Pflicht und Genuss, vom Edlen und Gemeinen, von Selbstsucht und
Selbstlosigkeit, Leidenschaft und Selbstzucht usw. Vielfach sind diese inneren1034
„Weiten“ angeborene Leidenschaften und Schwächen des Charakters, die der Mensch
zu seinem eigenen Heile überwinden soll. – Wie nun der Mensch in diesem Komplex
von Möglichkeiten und Impulsen wählt und überwindet, in welcher Weise er diese
Vielheit zu einer Einheit bringt, zu einem einheitlichen Schluss kommt, das
hängt davon ab, wie er sich persönlich dazu stellt. Diese seine persönliche
Stellungnahme und dieser Kampf um die Einheit und den Ausgleich in sich selber
werden ihm erleichtert, wenn er sich selbst auf ein bestimmtes Ziel hinordnet,
und danach seine Stellungnahme einrichtet.
2516 |
Solche klare Richtlinien erleichtern die vom
Menschen geforderte Selbstbindung, durch die er die Vielheit von
widersprechenden Impulsen überwindet, eine einheitliche Linie herstellt und
sich selbst in der Überwindung der vorhandenen Widersprüche erprobt. Aber nicht
alle Menschen bringen es tatsächlich fertig, ihrem Gesamtleben eine
einheitliche Zielhaltung zu geben und sich die eigenen Kräfte auf ein Ziel
zusammenzufassen. Bei manchen fehlt die Selbstanwendung eigener Energien,
andern scheint der Widerspruch in ihrem Inneren zu einer unlösbaren Aufgabe
geworden zu sein. So gibt es Menschen, die sich nie zu einer bestimmten
Zielhaltung aufraffen können und die darum auch nie die Früchte jener
Selbstüberwindung erlangen, die in einer errungenen Zielhaltung liegen.
2517 |
Eine wesentliche Hilfe für diese Zielhaltung
besteht in der Überwindung der eigenen Widersprüche aus religiösen Motiven, d.
h. dadurch, dass der Mensch in einer sittlich-vollkommenen Lebensführung sich
auf Gott konzentriert. Eine vollständige Konzentration auf Gott gibt ihm die
Gewähr des Überwindens seiner selbst, des Ausgleichs, der Vereinfachung und der
Schließung der beiden Abgründe oder Tiefen in sich selbst.
2518 |
Eine habituelle Überwindung der Widerstände
und Überbrückung der Gegensätze im eigenen Inneren führt die Seele über zur
seligen Einfachheit des „schon Überwundenen“ (oder des Überwunden-habens) und
diese Einfachheit lässt die Seele die Ruhe in sich selber finden. Dieser
Zusammenschluss von zwei oder vielmehr von vielerlei auseinanderstrebenden
Möglichkeiten mündet in eine Kampflosigkeit und eine gewisse
Leidenschaftslosigkeit, die eine gewisse Vollendung des sittlichen Zieles
bedeutet. Was im Inneren des Menschen am meisten Widerspruch erregt, das sind
die Forderungen der Selbstzucht in irgendeiner bestimmten Richtung. Ist diese
Richtung und Linie zum geforderten Ausgleich gekommen, so erlangt damit die
Seele eine gewisse Einheit ihrer geistig-sittlichen Betätigungen als Ergebnis
und Frucht von vielen Überwindungen, wodurch das frühere Vielerlei von
Forderungen abgelöst und vereinfacht wird.
2519 |
Man kann sagen: Mit einem solchen Ausgleich
zieht sich die Seele gleichsam in ihr Zentrum zurück, viele Kräfte werden
abgelöst und es vollzieht sich eine allgemeine Vereinfachung des ganzen
Komplexes der seelischen Betätigungen. Es scheint der Seele, als habe sie – im
Vergleich zu früher – „nichts mehr zu tun“. Freilich ist damit nicht eine
allgemeine „Leidlosigkeit“ gegeben, weil die gefallene Menschennatur auch dann
noch vielfachen Leiden unterworfen ist. Es gibt aber auch auf dem Gebiete der
„Leiden“ einen gewissen Zustand der Unempfindlichkeit, der sich durch die
geschilderte Vereinfachung des geistig-sittlichen Seelenlebens im tiefsten
Wesen der Seele begründet hat.
2520 |
Es gibt einen doppelten Widerspruch der
Menschenseele gegen das Leiden – wobei ich unter „Leiden“ auch alle Arten von
leidensähnlichen Beschwerden, seien sie geistiger oder physischer Natur,
verstehe: Das „logische“ oder in unserer Natur begründete, und das „sittliche“
oder das auch mit sittlicher Unvollkommenheit und Schwäche verbundene
Widerstreben gegen das „Leiden“.
2521 |
Dem „logischen“ Widerstreben – der Ausdruck
wurde mir innerlich gegeben – sind alle Menschen seit dem Sündenfall
anheimgegeben, denn alle tragen wir nun eine leidensfähige und leidensscheue
Natur mit dem logischen Widerspruch gegen alle Einflüsse, die sie beschweren
oder, mit andern Worten, ihren Tendenzen entgegen sind. Mag dieses Widerstreben
auf einer gewissen Stufe der Vollkommenheit auch nicht mehr im Willen liegen,
es liegt doch zu tiefst in unserer Natur. Selbst wenn wir schon mit Freuden das
Kreuz umfassen, so seufzen wir doch darunter, wenn es schwer auf unsern
Schultern liegt. Das ist eine logische Folge des Schmerzes, den das Kreuz
verursacht. Es ist dies eine natürliche Lebensempfindung, der man ohne
besonderes Eingreifen der Gnade Gottes sich nicht entziehen kann. Auch die
vollkommen ausgeglichene Seele mit errungener sittlicher Vollkommenheit leidet
unter dem Leiden; sie empfindet die Wirklichkeit des Schmerzes und das
Vorhandensein des Leidens, ob in dieser oder in jener Form.
2522 |
Das sittliche Widerstreben in leidensähnlichen
Vorkommnissen des Lebens liegt aber außerdem in der Unausgeglichenheit der
gefallenen menschlichen Natur. Die sinnliche Natur verlangt von vornherein
Bequemlichkeit, Ruhe, Genuss, Annehmlichkeit und Freuden. Das Leiden
widerspricht diesem Begehren der Sinne, und darum gerät der Mensch dabei in
Unruhe und Widerspruch gegen seine Umgebung und gegen sich selbst – was bis zur
Verzweiflung gehen kann. Darin liegt ein gewisser sittlicher Mangel der Seele:
Es fehlt ihr jene Gelassenheit des Geistes, die in allen Vorkommnissen des
Lebens die Ruhe bewahrt, sich zu beherrschen weiß, und nicht Gott oder die
Umgebung zum Gegenstand von Vorwürfen macht. Dieses sittliche Widerstreben in
Leiden ist ein Mangel an vorhandener Überwindungskraft gegen eine sittliche
Unausgeglichenheit im eigenen Inneren. Wohl sind gewisse Ansprüche und
Forderungen, gewisse Widersprüche und Abneigungen in unserer gefallenen Natur
veranlagt und es braucht viel Leiden und Anstrengung, um über diese Ausbrüche
Herr zu werden, auch wenn sie sich nur im eigenen Inneren, andern unbemerkt
vollziehen. Es braucht viel Geduld, schon geübte Geduld, schon erworbene und
vorhandene Kreuzesliebe, einen großen Vorrat an Überwindungskraft als
Gegengewicht gegen unsere angeborene Leidensscheu, damit sich der volle
Ausgleich bilde und wie ein Naturzustand werde, sich wortlos und gleichsam
aktlos in alle Vorkommnisse des Lebens schicken zu können. Auf der Höhe dieser
Übung aber ist das „sittliche Widerstreben“ überwunden oder vielmehr, es ist
zum bloß Logischen geworden, dem sich die Seele ohne besondere Gnade Gottes
nicht entziehen kann.
2523 |
Die erworbene Einfachheit des Seelenlebens und
die Überwindung des sittlichen Widerstrebens gegen Leiden und leidensähnliche
Vorkommnisse sind wie zwei Pfeiler, auf die sich ein sittlicher
Vollkommenheitszustand stützt. Beide miteinander verbunden bringen jene
Einfachheit des Geistes hervor, die den Menschen innerlich sich wie auf einer
einzigen und geraden Linie bewegen und in eigene Stille und „Geräuschlosigkeit“
einmünden lässt. Die widerspruchsfähige Natur ist damit vollständig unter die
Herrschaft des Geistes gestellt, eines von Gott geführten Geistes.
2524 |
Die religiöse Einfachheit des Geistes ist
gleichsam eine Verringerung des Vielerleis der diesbezüglichen seelischen
Funktionen. Was früher viel Bewegung, Bemühung, Überwindung von Widerstreben in
der Seele notwendig machte, das wird jetzt wie mit einem Akt abgetan. Das
Vielerlei von Bewegungen in der Seele ist abgelöst und es herrscht eine gewisse
Ausgeglichenheit in allen Regungen des Geistes, ein Auflassen verschiedener
vorher notwendiger Funktionen in der Seele, ein Zurücktreten des
Gesamt-Seelenlebens auf die Substanz der Seele selbst. – Früher brauchte die
Seele stattdessen vielerlei Begründung, Erklärung, Betätigung, die sie sich zum
Fortschritt im Guten vorführen musste; die Fantasie musste immer wieder das
einmal gefasste Ideal vor Augen führen, der Wille musste gespannt bleiben und
gleichsam ständig auf der Wache stehen, die Regungen des Gemütes mussten
überwacht werden und eine ständige Selbstkontrolle musste alle Gebiete des
Wissens durchforschen. Es gab so vielerlei zu verbessern und es galt, alle
Gefahren gleichsam schon vor den Pforten der Seele aufzufangen.
2525 |
(Diesbezüglich kann ich mich noch gut erinnern
an diese „Vielarbeit“ in meiner Seele in meinen Jugendjahren. Als ich etwa 15-18
Jahre alt war, wusste ich nicht, welchen Vorsatz unter vielen ich bei der hl.
Beicht fassen, welche Tugend vor allen anderen üben solle; denn ich sah so
viele Unvollkommenheiten in mir und wusste nicht, wo anfangen mit der
Besserung. Jesus hat mich aber gar wundersam darüber belehrt. Nachdem ich vor
der Beichte einen bestimmten Vorsatz gefasst hatte, regte er mich durch eine
besondere Gnade an, ihm nun meinen Vorsatz zu übergeben, meinen guten Willen,
dies oder jenes zu meiden, in sein Herz zu legen und ihm alles zu überlassen,
auch die Besserung dieses Fehlers die Übung jener Tugend. Jesus nahm gleichsam
meinen Vorsatz in Empfang und es war dies bei jeder hl. Beicht wie eine
abgemachte Sache. – Nach der hl. Kommunion trug ich ihm dann so viele Bitten vor,
die meine Vervollkommnung betrafen: In allem wollte ich Fortschritte machen,
alle Tugenden zugleich mir aneignen und ich wusste nicht, welcher ich den
Vorzug geben solle, und welche bei meiner Armseligkeit und Unvollkommenheit mir
am nötigsten wäre. Jesus aber leitete mich in gar lieben und herablassenden
Belehrungen zur Einfachheit an: Er zeigte mir alle Tugenden als sehr gut und
notwendig, erklärte mir ihren Wert und ließ mich in seliger Vereinigung seine
Freude über meinen guten Willen erkennen; er fasste auch alle meine Bitten um
meine geistige Vervollkommnung wie in einem geistigen Blumenkranz zusammen,
forderte aber nur eines, worin alles enthalten sei: die Liebe. „Wenn du Mich
liebst, dann tust du alles, was mir wohlgefällig ist. In der wahren Liebe ist
alles enthalten, denn die Liebe ist die Fülle alles Guten und alle Tugenden
sind in der Liebe zusammengefasst“. So belehrte mich Jesus; diesen Weg der
Einfachheit führte er mich und schließlich hatte ich überhaupt nur noch eine
Bitte an ihn: Ich bat um Liebe und wusste sonst nichts mehr zu bitten; denn
alle Vollkommenheiten sind in der Liebe enthalten.)
2526 |
In dem oben erwähnten1035
Seelenleben der Einfachheit des Geistes lebt man schon erworbene und gelebte
Tugenden, geübte Hingabe, überwundene Natur, geliebtes Kreuz, und man lebt
Jesus, weil man sich mit seiner besonderen Führung bemüht hat, sich selbst
möglichst vollständig1036 aufzugeben und weil er darum die Seele, ja
den ganzen Menschen für sich nimmt und so für den eigenen Gebrauch nichts mehr
vorhanden ist und auch nichts mehr gewollt ist.
2527 |
So ist die Seele, ja das ganze Menschenleben
von Gott genommen und es ist nichts mehr zu geben, weil Jesus selbst überhaupt
alles nimmt oder vielmehr genommen hat. Die Seele ist damit auf eine Stufe der
geübten und gelebten Hingabe gelangt. Nun sind auch die Folgen jener
Schwierigkeiten nicht mehr vorhanden, welche vordem die Übung des Guten in den
Seelenkräften auslöste. Die Seele übt nun ohne Schwierigkeit eine Hingabe der
Tat und des Hingegeben-habens alles Eigenen und Jesus mit seinem Leben nimmt
stattdessen den eigenen Platz in der Seele ein.
2528 |
So vollzieht sich die religiös-psychologische
Vereinfachung der Seele. Die Tätigkeiten der Seele schrauben sich gleichsam
alle auf eine Linie, ja auf einen Punkt zusammen, nämlich auf das Sein einer
geübten und gelebten Hingabe an Gott und damit ein Aufgenommen-sein in sein
Leben. Psychologisch bedeutet dieser Zustand eine Verminderung der Zahl, von
Betätigungen und religiösen Funktionen der Seele, ja es scheint, verglichen mit
dem Vorhergehenden, ein Zustand des „Nichts-tuns“ [zu sein]; denn man braucht
nichts mehr von dem Vielerlei tun, was früher notwendig und gefordert war,
sondern das „Leben“ ist nun alles. Es ist in Wahrheit eine „Hingabe“ des ganzen
Menschentums für Gott.
2529 |
Ausgehend von den vorhergehenden
philosophisch-psychologischen Erklärungen über die Grundlagen der gewöhnlichen
Menschenseele, wie sie mir innerlich erklärt wurden, werde ich nun übergeführt
auf die psychologische Eigenart der Seele Christi, und zwar im Hinblick auf
ihre Vereinigung mit der göttlichen Natur der Person des Wortes. – Dabei wird
immer wieder Bezug genommen auf eigene Erfahrungen in den höheren Stadien des
Seelenlebens, auf die ich wieder hingewiesen werde, und so muss ich auch hier
zunächst zurückgreifen auf jene Erfahrungen in früheren Jahren und muss einiges
hier einschalten über die Eigenheit meiner besonderen Gnadenführung.
2530 |
Schon vom Jahre 1920 an wurde mir von der
inneren Führung ein besonderes Ziel gesetzt, nämlich eine durchgreifende
Säuberung meines ganzen Verstandes und Intelligenzlebens, eine gewisse
Ausschaltung aller selbstigen Betätigungen, die sich nicht im Rahmen des zum
Leben Notwendigen bewegten; das sollte erreicht werden durch eine besondere und
höhere Art aktiver Reinigung durch mein Mitarbeiten mit der führenden Gnade,
also zusammen mit der passiven Reinigung. Ich wurde innerlich veranlasst, ja
geradezu „verpflichtet“, dies als meinen besonderen, inneren Weg und als
Forderung Jesu an mich zu betrachten, weil diese mit den Absichten
zusammenhängen, die er mit mir habe. – Vom Jahre 1923 ab gab mir Jesus mehr
Klarheit über die Art dieser seiner Absichten und zeigte er mir näher das „Wie
und Warum“ jener Ausschaltung der Selbstbeschäftigungen und Selbstbetätigungen.
So konnte ich damals schon in etwa den Zweck seiner besonderen Forderungen und
seiner gnadenvollen Absichten mit meiner Seele erfassen.
2531 |
Der Weg zu diesem gesteckten Ziel umfasste
verschiedene Stufen, die aber ineinandergriffen. Als erste Stufe wollte der
Heiland das energische Aufgeben und Ausschalten aller willkürlichen
Selbstbeschäftigungen, nicht bloß aller selbstgefälligen Gedanken, sondern
überhaupt aller Lieblingsgedanken und Selbstbeschäftigungen, die der eigenen
Natur und dem eigenen Gefühl schmeicheln. Es war dies eine Übung, die Jesus mit
mir sehr streng nahm. Wenn ich mich seinen diesbezüglichen Forderungen
nachlässig hingab, entzog er mir zeitweise seine besondere, fühlbare Gegenwart
und seine Vereinigungsgnaden. So waren es tägliche Übungen einer strengen Art
von Aszese, die Jesus unnachsichtlich und ernst von mir verlangte, nicht minder
streng, als wenn es sich dabei um sündhafte Regungen gehandelt hätte.
Selbstverständlich sind solche Selbstbeschäftigungen nicht sündhaft, aber mit
dem fortschreitenden Seelenleben wird vieles zu einer von der Gnade geforderten
„Pflicht“, was der gewöhnliche Mensch als erlaubten und selbstverständlichen
Genuss hinnimmt. Und je höher der Aufstieg der Seele geht, desto höher und
intensiver werden die Forderungen der Gnade Gottes an die Seele.
2532 |
Mittels der fortgesetzten inneren Führung der
Gnade durch begleitende innere Erklärungen und passive Reinigungsleiden brachte
ich es zu einem gewissen Fortschritt auf dem besagten Gebiete. Die unteren
Regungen der Seele wurden mehr und mehr unter die Herrschaft des Geistes
gestellt und es wurde dies in den mystischen Gnadenwegen allmählich wie eine
Selbstverständlichkeit. Dabei handelte es sich vor allem um eine intensive
Reinigung des Fantasielebens und um eine strenge Selbstkontrolle all der
Geistesbewegungen. Hatte sich diese Selbstkontrolle zunächst auf die
willkürlichen Selbstbeschäftigungen erstreckt, so wurden nun auch alle
unwillkürlichen Geistesreflexe in diese Übung der Kontrolle und Ausschaltung
einbezogen. Das bedeutete eine merkliche Erhöhung der Forderungen der Gnade und
eine weitere Stufe auf dem Wege zum gezeigten hohen Ziel. – Die unwillkürlichen
Geistesreflexe sind mit der Natur der Seele gegeben. Diese ist ständig tätig
und setzt eigentlich keinen Augenblick ihre Selbstbetätigungen aus, denn sie
erhält sich damit ihr eigenes Dasein.
2533 |
Jesus verlangt aber von mir – als mein aktives
Bemühen zusammen mit den entsprechenden passiven Läuterungen – das vollständige
Auflassen jener unwillkürlichen Reflexe in der Seele. Dies wäre wohl im
normalen Leben ein Widerspruch mit der tiefsten Veranlagung der Seele, aber im
höheren mystischen Geistesleben kann es durch Gottes besondere Gnade zu einer
hohen Befreiung von den eigenen Hemmungen der Fantasie, des Gefühlslebens und
der Selbstbeeinflussung führen1038. Die Seele gelangt auf diesem Weg
der Übung zu einer außergewöhnlichen Freiheit, die es ihr ermöglicht,
ungehindert dem Geiste Gottes folgen zu können; denn die Fantasietätigkeit und
die (gefühlsmäßige) Selbstbeeinflussung beeinträchtigen und behindern das Leben
Gottes in der Seele. Es handelt sich also bei der besagten Übung um eine höhere
Art der Reinigung des Geistes, die gewiss der menschlichen Naturanlage zu
widersprechen scheint, die aber auf dem mystischen Gebiete und bei besonderen
Absichten Gottes nicht so sehr befremdend ist; sie bringt nämlich eine hohe und
höchste Art der Selbstbefreiung und schafft damit in einer vollkommeneren Weise
Platz für die göttliche Natur.
2534 |
Jesus forderte vollständiges Auflassen jeder
persönlichen Selbstbeschäftigung und damit eine gewisse „geistige Leere“ in
mir, weil er diese Leere dann mit sich selbst anfüllen wolle und mir durch eine
besondere Art der Vereinigung mit mir gleichsam selbst als Ersatz dienen werde.
Jene Übung sollte also eine besondere Bereitung meines Geisteslebens für seine
Aufnahme sein. – Schon in den Jahren nach 1921 stellte mir der Heiland immer
wieder als besonderes Ziel meines Innenlebens das „Erleben seines Innenlebens“,
bzw., „seines inneren Erlöserlebens“ in Aussicht und auf dieses Ziel war die
beschriebene Übung ständig durch die besondere göttliche Führung hingerichtet.
Es sollte in mir, vor allem durch passive Reinigungen, ein Zustand vorbereitet
werden, der es mir ermögliche, Christus als den Erlöser erleben zu können.
Meine Seele sollte psychologisch irgendwie das Geheimnis der Seele Christi
erfassen und erleben können; darum jene hohe und durchdringende Art der
Selbstbefreiung und des Aufgebens jeder persönlichen, nicht lebensnotwendigen
Geistesbetätigung. Auf diese Weise sollte in mir ein Zustand höchstmöglicher
Passivität geschaffen, und wie zu meinem Geisteshabitus durchgebildet werden.
2535 |
Als letztes Ziel in diesem Geisteshabitus wird
mir in Aussicht gestellt eine „Gnade der Befestigung“ als vollständig passives
Erfahren und Erfassen können des Erlösergeheimnisses. Diese versprochene Gnade
wird mir erklärt als „befestigter Zustand“, um – aufgrund der jahrelangen
aktiven und passiven Vorbereitung – das Innen- und Erlöserleben Jesu, ohne
eigene persönliche Einmischung erleben zu können. Durch diese Gnade soll die
psychologische Möglichkeit hierzu sichergestellt werden, wozu Voraussetzung
ist, das Ausschalten aller persönlichen Zutaten und selbst der
Zutunsmöglichkeiten. Die seinshafte Grundlage aber für jene in den Absichten
des Heilandes liegende Art des Erlebens ist gegeben durch einen entsprechenden
wesentlichen Vereinigungsgrad mit Gott bzw. Christus.
2536 |
Schon von Anfang meiner besonderen inneren
Führung an, und ich muss sagen, dass ich eine besondere göttliche Führung
eigentlich schon hatte, seit ich zum Gebrauch der Vernunft kam, waren immer
zwei Geistesziele miteinander verbunden: Als erstes Ziel war gesteckt eine
möglichst hohe Vereinigung mit Gott und dies als entsprechende und notwendige
Grundlage und Voraussetzung für das zweite und eigentliche, besondere Ziel: das
Geheimnis des Erlösers zu erleben. Dementsprechend war die gesamte göttliche
Führung in mir tätig und richtete sich mein ganzes Innenleben im Grunde immer
schon auf dieses letzte Ziel hin. Darum waren schon seit dem Jahre 1922 die
mystischen Vereinigungswege begleitet von besonderen Erkenntnissen über das
Innenleben Jesu, die sich mit wachsender Gottvereinigung immer mehr steigerten
und vertieften. Beim Zustand der „geistlichen Vermählung“ konnte ich schon von
intimen Erlebnissen des Geheimnisses des Gott-Menschen verrichten, ja die ganze
Art meines Vereinigungsweges mit Gott führte mich über das Geheimnis des
Gott-Menschen. Christus war Der, der sich in hohem mystischen Vereinigungserleben
mir enthüllte, und auf dieses Geheimnis in ihm richtete sich die erlebte
Vereinigung mit ihm aus. – Nach der Gnade der geistlichen Vermählung (8.
Dezember 1934) war die innere Führung noch intensiver auf das „Erleben des
Erlösers“ hingerichtet, zumal durch die folgende weitere Auswirkung des schon
erreichten Vereinigungszustandes, der wiederum hingeordnet war auf eine immer
intensivere Art des „Erleben-Könnens des Erlösers“. Die psychologische
Voraussetzung hierfür sollte in mir ausgebildet werden, zusammen mit und
vermittels eines entsprechenden, sich ständig erhöhenden Vereinigungszustandes.
In den letzten Jahren war dann in mir eine ununterbrochene spezielle Führung in
mir wirksam, die mich intensiv auf dieses letzte Ziel hinführte und vorbereitete.
2537 |
Heute Nachmittag in der Kapelle der
Birgittinnen wurde ich von dem jetzt schon erreichten Zustand aus im Vorauserleben
übergeführt in ein „anderes Bewusstsein“ und wurde ich meinem Sein noch mehr
enthoben. Es lässt sich dies aber in Worten nicht erklären. – Dabei bin ich
seit 29. Januar in einem neuen passiven Erhebungsleiden, das jenen kommenden
Zustand entsprechend vorbereiten soll und das abwechselnd mit erfahrungsmäßigen
Erfassen des kommenden neuen Zustandes.
2538 |
Ich befinde mich in einer merkwürdigen
Veränderung. Eigentlich schon seit Wochen bin ich dem äußeren Leben so
enthoben, dass dieses nicht mehr in der normalen Art auf mich einwirkt. Bei der
hl. Messe z. B. „bin ich nur mit den Augen des Leibes dabei“. Ich sehe wohl die
verschiedenen Teile der hl. Messe, aber ich bin dabei jedes persönlichen
Eindruckes passiv enthoben und entrückt. Und diese Art der „Entrückung“ beginnt
nun sich mehr und mehr auf mein ganzes Leben auszudehnen. Es ist mir, als könne
mein Geist – mir selbst, d. h. der gewöhnlichen Art des Seins enthoben – die
gewöhnliche, materielle Art des Lebens nicht mehr erfassen. Um einen Vergleich
zu versuchen: Es ist so ähnlich, wie wenn jemand „schwache Augen“ hat, die es
ihm nicht ermöglichen, die Umgebung recht zu erfassen, zu unterscheiden und
seinem Bewusstsein zuzuführen. So bin ich gleichsam von mir selbst und von der
Einwirkung meiner Umgebung abgelöst, ist mein Geist wie „mir – d. h. dem bisher
gewohnten – abwesend“. Es gibt aber kein voll erklärendes Wort für diese innere
Umstellung. – Es beginnt damit eine neue Art der Zusammenfassung all meiner
Kräfte gleichsam „außerhalb“ des gewöhnlichen Lebens und ich verliere „das
Bewusstsein für mich und für dieses gewöhnliche Leben“. Es scheint, wie wenn
ich in einen dauernden „Ekstasezustand“ komme, der dann mein „gewöhnliches
Leben“ sein wird. Dort winkt mir dann – auch inmitten aller kommenden Leiden
des Erlebens des Erlösers – gewissermaßen eine dauernde Ruhe.
2539 |
Ich leide heute sehr unter eigenartigen
Leiden, die mich passiv für das in Aussicht stehende neue Leben vorbereiten,
nämlich für das „Leben wie in einem anderen Bewusstsein“. Zugleich bin ich
fortwährend veranlasst, auf die frühere Art meines Lebens zu verzichten und
mich für ein anderes Leben „in Christus“ bereiten zu lassen. Zeitweise ist mir,
als sei ich nur durch einen Schleier von der unmittelbaren Anschauung des
Gottmenschen-Erlösers, bzw. Gottes, getrennt. – Darum ist eine Qual des
Verlangens in mir: Alles zu verlassen und „dort“ zu sein, wohin ich passiv
hingeführt werde!
2540 |
Heute Morgen wurde die oben beschriebene
Geistesentwicklung wie „eine Art Zustand“ – aber wie soll ich mich darüber
erklären? – Ich bin mir selbst enthoben.
2541 |
Heute bin ich wieder sehr in Leiden, die auf
eine Erhöhung des gestern angefangenen Zustandes hinzielen. Zugleich erfahre
ich auch fortgesetzte Erklärungen über eine kommende Erhebung als bleibenden1039
Zustand, sowie über die Seele Christi, wie sie vorbereitet war, um das Wesen
des „actus purus“ tragen zu können. „Die göttliche Person brachte alles mit“
und darum wurde in der Seele Jesu nichts erzeugt, während die gewöhnliche Seele
eine ständige „Erzeugerin“ ist, die sich selbst ihr Dasein ermöglicht durch
ihre Tätigkeiten, in denen sie „ruht“ und von denen sie lebt. Es bereitet sich
in mir ein umfangreiches Wissen als Selbsterlebnis vor, und zwar über die
gewöhnliche Menschenseele, gegenübergestellt der Seele Jesu, ferner über die
göttliche Person und ihre wesentlichen Vollkommenheiten, dazu psychologische
Erklärungen über meine eigene geistige Umstellung, die Voraussetzung ist, um
das Geheimnis des Erlösers in der von ihm geplante Weise erleben zu können. –
Ich kann aber noch nicht darüber schreiben.
2542 |
Ich erlebe passiv eine allgemeine
psychologische Umänderung meines Seins und dazu ein unaussprechlich quälendes
passives Verlangen, in dem kommenden Zustand vollendet zu werden.
2543 |
Als ich am Morgen des Neujahrtages (1944)
erwachte, wurde ich in eine bis dahin nicht erreichten Tiefe eingeführt, in das
Geheimnis der hypostatischen Union und ich „wusste in Jesus“: Ich werde weitere
Erklärungen über dieses Geheimnis schreiben können und ich solle diese dem H.
P. Gar. Lagr. OP übergeben. Ich wusste auch ungefähr, wie ich das würde zu
schreiben haben und habe mir darüber gleich einige kurze Punkte aufgezeichnet.
– Danach aber kam ich wieder in tiefe, passive Leiden, bis ich dann nach 3
Wochen endlich anfangen konnte, darüber zu schreiben. –
2544 |
Heute Mittag in der Kapelle empfahl ich nun
den H. P. Gar. Lagr. OP besonders dem Heiland. Da ließ er mich wissen: „er soll
mir die Ehre bereiten und für meine Absichten eintreten (bei der betreffenden
Stelle, denn gerade diese Angelegenheit hatte ich am 10.01 dem lieben Heiland
empfohlen.) er soll dies mit Überzeugung tun, soweit er diese habe, und soll
darauf hinzuwirken suchen, dass man dort von H. P. Merk
SJ eine Erklärung verlange. – Er (= H.P. Gar. Lagr.)
möge sich bemühen, dass meine Absichten anerkannt werden. Man möge meine
Absichten (das zu gründende Priesterwerk) ernst nehmen, weil davon das Heil
meiner Kirche abhängt. Ich selbst werde sein Lohn sein!“
2545 |
Ich bin wie in einer Ekstase des Geistes,
indem alles Eigene passiv weggenommen ist und dem Erleben Gottes zugewendet
wird. Die Seele verliert gleichsam das Bewusstsein ihrer Selbstexistenz und sie
„dient passiv“ dem Erleben des in allerhöchstem Sinne von Gott Gebotenen. So
bin ich zwar noch da, weiß aber nicht, wie ich bin; durch mein physisches
Dasein existiere ich, aber der bisherige Zweck und eine nähere Umschreibung
meines Daseins durch ein entsprechendes „Bewusstwerden“ ist mir wie
weggenommen. – Diese Zustände können sich aber dergestalt steigern, dass die so
emporgehobene Seele vermittels ihrer von Gottes Wesen aufgenommenen Kräfte
meint und erfährt, was etwa so in Worten auszudrücken wäre: Ich selbst bin in
Gott, oder: Ich bin wie Gott, ich bin vergöttlicht, ich bin „du“ geworden. – In
diesen hohen Geisteserlebnissen wirken sich jene feinsten, in der Seele
grundgelegten Fähigkeiten aus, die „Gottes Wesen zu erfassen und zu erleben
vermögen“, oder mit anderen Worten, es zeigt sich allerhöchste Dienstbarkeits-Möglichkeit
der Seele für Gott.
2546 |
Zugleich mit dieser ständig sich steigernden
passiven Bereitung für Gott, bzw. für das Erleben des Gott-Menschen erfahre ich
die Bereitung für den entsprechenden Dauerzustand: „Immer – als in einem
Habitus – in diesem Erleben Christi bleiben, so als wäre dies mein eigenes
Leben“. Diese Bewegung oder diese Art der passiven Vorbereitung und dazu
anderseits meine persönliche Bereitschaftserklärung dazu, das sind wie Wellen,
die ständig über mich ergehen; habe ich mich hingegeben, so verlangt die
nächste mich erfassende Geisteswelle eine noch intensivere Hingabe: „Was habe
ich noch an mir, das du nicht schon genommen hättest?“ So bin ich wie eine
ausgepresste Zitrone ohne Saft; oder ich bin wie ein Gebundener, der sich nicht
bewegen kann, ohne Freiheit als jene des Geistes! – Darin zeigt sich das
Geheimnis des Verhaltens Gottes gegenüber der Seele: Er nimmt nicht ohne ihre
Bereitschaft und Zusage. Die Willensfreiheit bewahrt auch in diesen hohen
Stadien des geistlichen Lebens ihre freie Zusagemöglichkeit. Das passive
Verlangen ist dabei gleichsam das Wasser, worin die Seele wie am Ertrinken ist,
aber die unaufhörlich einander folgenden Wellen sind die ausdrücklichen
Bereitschaftserklärungen: Ja, für immer, ja, für immer! – Dann kommt dazu die
sich immer wiederholende Versicherung des göttlichen Geistes, des Lebens meines
Lebens: „Für immer wirst du dann auch Anteil haben an MIR, an MIR!“ – – In
diesem „an MIR“ ist es, als stiege zugleich der ganze Himmel auf, und dieser
Himmel ist Gottes Sein selbst; es ist die Fülle Gottes und seiner
Mitteilungsbereitschaft. – Nur eine gleichsam von der Enge der Materie befreite
Seele kann diese Geistesglut ertragen, in der Gottes Wesen sich der Seele
eröffnet und diese göttliche Glut in sich ergießen lässt, wobei aber doch das
gewöhnliche, äußerlich normale Leben erhalten bleibt. In den Jahren, oder
vielmehr jahrzehntelangen Erhebungsleiden ist eben die Seele bewegungsmöglich
und gleichsam „dehnbar“ geworden für das Wesen Gottes; dieses Angefülltwerden
und Angefülltsein von ihm ist wie zu ihrem Lebenselement geworden.
2547 |
Wiederholtes Wissen: „Es kommen große Leiden“
– aber es scheint: Wie kann wohl in dieser Fülle des Gesättigtseins ein Leiden
mich berühren?
2548 |
Es ist wie an einem klaren Sonnentage: Es
zeigt sich ein Wölkchen, das immer größer wird und schließlich den ganzen
Himmel bedeckt. Und verschwunden ist der klare Sonnentag. – So bin ich heute in
ganz außerordentlich schweren Leiden, die zu beschreiben es keine Worte gibt.
Es sind Todesschmerzen; es ist ein Verscheiden und Aufgelöstwerden im tiefsten
Sinne des Wortes, und ich selbst bin gleichsam dieses Leiden und diese
Auflösung. Die Seele windet sich im Schmerz. Es ist wie der Tod selbst, unter
dessen eisernen Klammern sie zu vergehen meint. Ich finde nur Ruhe im Leiden.
2549 |
Das Leiden selbst ist Ruhe. Auch am Kreuze
kann man ruhen und ich ruhe heute gut am Kreuze, nein, nimmer will ich diese
süße Ruhestätte verlassen.
2550 |
Herr, für dich leiden und verachtet werden und
verborgen leiden: Welche Befriedigung und welche Gnade! Lass mich am Kreuz, das
ich nun schon gewohnt bin! Im Kreuz ist Ruhe und Ablösung von allem Wollen und
allen persönlichen Interessen, und das sind die größten Wohltaten, die Gott
einem Menschen gewähren kann. – Der eigene Wille und die persönlichen
Interessen sind dem Menschen meist nur zur Unruhe und zum Verderben.
2551 |
Tiefer als selbst im geistigen Genießen Gottes
ist mein Friede am Kreuz und in der Verdemütigung, weil ich damit dort bin und
in dem bin, was mir zukommt.
2552 |
Es gibt nicht nur eine „Glückseligkeit“, es
gibt auch eine „Leidensseligkeit“. Das Kreuz ist Wonne des Paradieses, ja mein
Himmel auf Erden. „Herr, lass mich immer verborgen bleiben und immer am Kreuz
der Verkennung hangen, nur dir allein bekannt und nur im Kreuze vereint!“
2553 |
In der Kirche der Madonna von Pompeji erhielt
ich heute nachfolgende Weisung vom Heiland „über den Weg zur Ausführung seiner
Absichten bezüglich des zu gründenden Priesterwerkes“. Diese die S.J.
Betreffenden Weisungen soll ich als den Willen Jesu an die S.J. weitergeben:
1. Der Heiland will das Werk: „Es ist
das Werk meines Herzens, wodurch ich meine Liebesabsichten für das Priestertum
und für die Kirche zur Ausführung bringen will“.
2. „Das Werk selbst geht hervor aus
dem innersten meines Herzens: Meine göttliche Liebe drängt mich, dass ich mich
selbst mit den Schätzen der Menschwerdung und Erlösung als neues Heilmittel
gegenüber dem Unglauben dieser Zeit über das Priestertum gießen“.
3. „Den letzten und endgültigen Weg
der Ausführung behalte ich mir als mein Geheimnis vor; nachdem mein Wille
anerkannt ist, wird meine göttliche Vorsehung alles fügen. Ich will aber, dass
durch Prüfung des Werkes mein Wille anerkannt werde und diese Anerkennung
meines Willens wird der S.J. den Weg weisen zur Beseitigung der bestehenden
Schwierigkeiten“.
4. „Die S.J. braucht insofern nicht
die Entscheidung des Obern aufheben, als es ihr immer noch in gleicher Weise
freisteht, das Werk für die S.J. anzunehmen oder nicht; es liegt aber nicht in
ihrer Gewalt die Entscheidung über das Werk selbst, dass mein Kleinod ist“.
5. „Ich erwarte deshalb von den
betreffenden Persönlichkeiten, dass man es nach Prüfung als höchst eigene,
persönliche Angelegenheit betrachte, die bestehenden Schwierigkeiten zu
entfernen zu suchen; ich werde dafür die S.J. belohnen, denn es ist mein Werk.
– Ich suche mir Helfer zur Ausführung meiner Absichten; man dient mir damit.
Man kann die Herkunft des Werkes prüfen; es wird sich als göttliches Werk
erweisen“.
6. „Ich gehe in der Ausführung meiner
Absichten den ordnungsgemäßen Weg über die Oberen“.
2554 |
Die Grundlage im Leben des Gott-Menschen
Christus ist Gottes wesentliche und unveränderliche Vollkommenheit – und diese
getragen und menschlich gelebt von einer Seele mit höchster
Entfaltungsfähigkeit. Die Seele Christi war das „Gefäß“, in das sich die
göttliche Person des Wortes gleichsam „legte“, um von ihr getragen zu werden.
Dazu musste aber diese Seele eine entsprechende Befähigung besitzen. Diese
Befähigung bestand jedoch nicht darin, dass die Seele Jesu eine absolut andere
gewesen wäre als unsere gewöhnliche Menschenseele, sondern die wahre,
menschliche Seele Christi kam infolge der eigenartigen Inanspruchnahme durch
die göttliche Kraft der Person des Erlösers zu einer höchsten Steigerung der in
ihr auch in einem besonderen Maße grundgelegten und vorhandenen Anlagen bzw.
ihres allgemeinen seelischen Wesens selbst. – Damit ist nicht gesagt, dass alle
Seelen jene höchste Entfaltungsfähigkeit besäßen, wie sie für die Seele Jesu
entsprechend dem Wesen der göttlichen Person notwendig war, aber es handelte
sich auch bei der Seele Jesu darum, im Allgemeinen jene Anlagen und Grundlinien
zu entfalten, die, wenn auch in verschiedenem Maße und Grade, in jeder Seele vom
Schöpfer grundgelegt sind, in der Seele Christi aber aufs Höchste befähigt und
vollendet waren.
2555 |
Zum tieferen Verständnis des Geheimnisses der
Seele Christi werde ich immer wieder hingeführt auf den Zustand der
Menschenseele im Paradies, wovon sich aber der Mensch im gefallenen Zustand für
gewöhnlich (d. h. ohne besondere Gnade) keinen annähernden Begriff machen kann.
Wir können uns zwar von der gefallenen Seele die Sünde wegdenken, ebenso die
Versuchungen, und allenfalls auch noch jenen ständigen Zwiespalt im Menschen
zwischen Gut und Böse, zwischen Wollen und Nicht-Können, usw. – jedoch über die
Schließung dieser Kluft und des Abgrundes in uns, über die volle Harmonie der
reinen Paradiesesseele zwischen Seele und Leib, über jene letzte Wohltat für
den Menschen selbst, die vom Schöpfer den Menschen nach Überwindung der
tiefsten Klüfte und Abgründe unserer gefallenen Natur geboten wird, darüber
kann sich der Mensch für gewöhnlich keine Vorstellung machen, es sei denn aus
eigener Erfahrung nach Überwindung der eigenen Disharmonie oder durch Gottes
besondere Gnade. Und doch ist jenes Überwinden der eigenen Unordnung erst der
Anfang des Aufstieges zu jener lichten Höhe eines Zustandes oder Habitus des
„Schon-überwunden-habens“, dessen köstliche Früchte erst allmählich und ständig
sich steigernd reifen und sich zeigen. Die Seele gelangt dann zur
ausschließlich „wesentlichen Betätigungsart“, wobei das Höhere im Menschen voll
gebietend über dem Niederen steht und aus Geist und Materie, aus Geist-Leben
und Leib-Leben eine volle Harmonie und ein geordnetes Einverständnis sich
gebildet hat. – Wollen wir aber die Seele Jesu erforschen, so bleibt uns als
gangbarster Weg doch nur der über die Betrachtung jener vollkommenen Reinheit
und Harmonie der Paradiesseele.
2556 |
Es gibt in der Seele zwei Arten von
Betätigungsmöglichkeiten: die wesentliche und die unwesentliche Betätigungsart.
– Die Wesentliche ist der Seele notwendig zu ihrer Existenz und zu ihrem
geistigen Bestande und Leben, zu ihrer entsprechenden Entwicklung und ihrem
Ziele in sich selbst. Der Mensch ist nämlich ein ständig, „werdendes Wesen“, d.
h. seine Seele ermöglicht sich ihr Dasein durch ständige Selbsttätigkeiten,
durch ununterbrochene Selbstarbeit. Nicht nur, dass die Seele das leibliche
Leben ermöglicht durch fortgesetzte „Lebens-Tätigkeiten“ (auch wenn diese nicht
unmittelbar ins Bewusstsein treten); über das leibliche Leben hinaus ermöglicht
sie sich auch ihre eigene geistige Existenz und ihr tatsächliches geistiges
Fortschreiten.
2557 |
Das durch sie schon hergestellte und
bestehende leibliche Leben bietet ihr dazu die nötigen Hilfskräfte oder die
physischen „Betriebszellen“, die der Seele immerwährend dienstbar sind (das
Wort „Betriebszellen“ wurde mir innerlich gegeben als Ausdruck für jene
Sammelpunkte – seien es Gehirn- oder Nervenzentren usw. –, durch die das
tatsächliche Leben mit seinen Rückwirkungen für die Seele selbst „wahrnehmbar“
gemacht werden).
2558 |
Diese physischen „Betriebszellen“ sind die Empfindungsmöglichkeiten,
die bereits eine Rückwirkung des tatsächlichen „Lebens“ der Seele zu bewirken
vermögen; sie sind im werdenden Menschen einem ständigen Wachstum oder vielmehr
einer Steigerung ihrer Betätigungsart unterworfen. Die Aufgaben dieser physischen
Betriebszellen sind entweder solch rein geistiger Natur, soweit sie geistiges
Seelenleben hervorzurufen vermögen, oder rein physischer
Wahrnehmungsfähigkeiten, mittels deren physische Eindrücke dann ins Geistige
übertragen werden, oder sie haben eine Mittel- und Verbindungsstelle zwischen
Geistigem und Leiblichem im Menschen, insofern sie das Gemüts- oder
Gefühlsleben verursachen. – Die höchste Art dieser physischen Betriebszellen
und die vornehmste Art der Rückwirkung des wirklich gelebten Lebens der Seele
sind die dem Intelligenzleben dienenden physischen Kräfte. Freilich können in
Ausnahmefällen (bei sogenannten „Geisteskranken“) diese Betriebszellen fehlen
oder nur mangelhaft entwickelt sein, obwohl das leibliche Leben seine
Funktionen ausübt, und dann bleiben jene geistigen Anlagen, denen sie dienen
sollten und die mit jeder Seele gegeben sind, wie in einem Erstarrungszustand,
der nicht zur Auslösung gelangt. Die Seele selbst hat alle notwendigen Anlagen,
auch wenn diese nicht immer in entsprechender Form und Ausdehnung von ihren
Fähigkeiten weitergeleitet und übertragen werden in das physische Leben, von wo
dann auch keine entsprechende Rückwirkung wahrgenommen werden kann.
2559 |
Die höchste Leistung des schon wirklich
gelebten Lebens ist das „geistige Empfinden“ als schon „bestehende, bewusst
gewordene Realität“. Diese bewusste Realität beginnt nun, sich selbst weiter zu
bauen, und sie tut dies mittels der sich entwickelnden Hilfskräfte oder der
physischen „Betriebszellen“. Darum ist die Erhebung der dem Intelligenzleben
dienenden Hilfskräfte oder Betriebszellen die vornehmste diesbezügliche
Betätigung des Lebens der Seele. Diese Erhebung ist aber größtenteils, ja
hauptsächlich von der selbstig geübten Mitarbeit des Menschen abhängig.
2560 |
Das Bewusstwerden eines geistigen Empfindens
als selbstige Realität schließt für einen normalen Menschen auch schon eine
Reaktion oder Antwort in sich, wie er sich nämlich zu diesem Bewusstseinsinhalt
stelle, mit andern Worten: Der Akt dieses Bewusstwerdens fordert unmittelbar
einen Gegenakt, eine Reaktion als Antwort auf jenen bewussten geistigen
Sachbestand. Und diese Reaktion gibt der Mensch allmählich mehr und mehr durch
„eigenständige Bemühung“ um die entsprechende Antwort. Diese Bemühung fordert
wieder die Selbstarbeit der Seele heraus unter Heranziehung aller schon
vorhandenen Kräfte, deren es zu jener Reaktion oder Antwort bedarf. – Mittels
dieser ununterbrochenen Betätigungen des Bewusstwerdens und der
Bestandsaufnahme oder der Feststellung der jeweiligen Bewusstseinsinhalte und
der Festlegung der darauf zu gebenden Antwort, bildet sich der Mensch in sich,
in seiner Seele, einen geistigen Umkreis mit Reaktions- und
Antwortmöglichkeiten in den verschiedensten Formen, denen der schon entwickelte
Wille vorzustehen beginnt.
2561 |
Auf diese Weise bildet sich in der Seele das,
was wir das eigentliche „Seelenleben“ nennen, eine gewisse Abhebung vom Leben
der Materie, eine Art „Geist-sein“ des Menschen. Damit baut sich der Mensch
gleichsam in sich selbst ein, wird er sich sozusagen selbst zur „Umgebung“ und
die Seele wird zum Mittelpunkt und zum bewusstwerdenden Zentrum ihrer eigenen
Betätigungen und Existenz. Dabei holt die Seele fortwährend ihre eigenen Kräfte
aus sich heraus, um sich selbst geistig zu erhalten und geistig leben zu
können. So ist die Seele immerfort – und zwar in einer gewissen „bewussten
Form“ – von ihren eigenen Betätigungen abhängig gemacht, die sie ständig
anfordert, um bewusst und entsprechend auf den jeweiligen inneren Sach- oder
Tatbestand zu antworten; denn dies ist notwendig, wenn der Mensch überhaupt
sein Mensch-sein normal und würdig weiterleben soll. – Vielleicht liegt das
tiefste natürliche Geheimnis des Mensch-seins in dieser immerwährenden1042
Selbstanforderung, durch die der Mensch sich und seine Kräfte aus seinen
eigenen Tiefen herausholt und so gleichsam ständig sich selbst verwertet und
sich zu seinem eigenen Bestande hergibt und hinzugibt. Um geistig bestehen zu
können, ist aber der Mensch geradezu gezwungen, sich auf diese Weise selbst zu
verwerten, und diese Selbstverwertung wird dem Menschen wie zum Naturzustand,
ohne dass er dies besonders empfindet oder darauf achtet.
2562 |
So lebt der Mensch in sich, d. h. in seiner
Seele einen ständigen Kreislauf des Gebens und wieder Empfangens: Er bietet
sich selbst1043 und seine Kräfte für sein Dasein an und gibt sie ihm
hin, und er erhält das Gebotene und Gegebene wieder als Frucht zurück. Die
angeforderte eigene Krafthingabe und das Selbstangebot kehrt zu ihm zurück als
Rückwirkung einer schon verwerteten Kraft, gleichsam als Frucht des „Lebens“.
Und all diese vielen, ja ständig sich folgenden Früchte des eigenen Lebens
behält sich die Seele als ihren beständigen, inneren Umkreis oder als das, was
wir in einem allgemeinen und weiten Sinne das „Gemütsleben“ nennen.
2563 |
Das „Gemütsleben“ im Allgemeinen kann einen
rein geistigen Ursprung haben oder es kann auch vorwiegend das physische Leben
einbeziehen. – Im ersten Fall entspringt es als geistiges oder höheres
Gemütsleben den Intelligenzkräften, aber zugleich auch einem tiefsten, eigenen
Antrieb, der wiederum einer wesentlichen seelischen Anlage und der Vererbung
entspricht. – Überhaupt erhält das Gemütsleben immer sein besonderes Gepräge,
in erste Linie durch die Eigenart der betreffenden Seele selbst, bzw. durch die
besonderen Rückwirkungen, welche diese Eigenart in sich selbst oder in den
äußeren Lebensresultaten hervorzubringen vermag. Nicht so sehr die von außen
einströmenden Eindrücke und Erlebnisse sind für das Gemütsleben entscheidend,
sondern weit mehr das, was als persönliche Anlage gleichsam aus der Seele
quillt und zugleich die Art und Weise, wie dies aus ihr hervorkommt. Nach
dieser persönlichen Anlage richtet die betreffende Seele ihr Gesamtleben ein
und prägt sie dem1044 ganzen Umfang ihres Lebens den Stempel ihrer
besonderen Eigenheit auf. So ist die bestimmende Eigenart eines Lebens immer in
der Art der betreffenden Seele selbst zu suchen. Jeder Mensch trägt sich zuerst
und zutiefst in sich selbst, verarbeitet entsprechend seiner Eigenart innerlich
sein eigenes Leben und lässt es danach von innen nach außen wirken.
2564 |
Das tiefer liegende, mehr sinnenhafte
Gemütsleben ist gleich die Einfassungsmöglichkeit für die von außen, vom
Materiellen kommenden Eindrücke und Erlebnisse, die dann gleichsam
emporgetragen, verwandelt und schließlich als geistige Erlebnisse der Person
selbst zugeführt werden. Alle leiblichen Erlebnisse zum Beispiel werden auf
diese Weise vermöge der Geistigkeit unserer Seele in eine geistige
Erfahrungsmöglichkeit eingefasst und verwandelt und der Seele in dieser Form
zum Erleben zugeführt. In diesem Sinne lebt in der Seele kraft ihrer
Empfindungsfähigkeit eine ständig tätige Umwandlungskraft.
2565 |
Eine Folge davon ist die Mittel- oder Verbindungsstelle,
die das Gemütsleben oder die Empfindungsfähigkeit in der Seele des Menschen
einnimmt und die sich im „Erleben“ dieser Empfindungen oder im eigentlichen
„Gefühl“ äußert und auslöst als Freude oder Trauer, Sympathie oder Antipathie,
Furcht oder Hoffnung usw. Das Menschenleben ist fast jeden Augenblick von
diesen „Empfindungen“ oder „Stimmungen“, vom Gemüts- oder Gefühlsleben
irgendwie durchsetzt und getragen. So begleitet – um nicht zu sagen
„beherrscht“ – das Gemütsleben, in das Seelenleben selbst eingefasst, das ganze
menschliche Dasein.
2566 |
Die letzte Bewertung und Beurteilung auch
dieses Teiles des Seelenlebens steht der menschlichen Person selbst zu; denn
auch das Gemütsleben ist derart in der Eigenart der Person selbst verwurzelt
und verankert, dass es zum Gemütsleben dieser einmaligen Person wird, weil es
der Eigenart der Empfindungsfähigkeit dieser Person zugehört. Diese
Empfindungsfähigkeit wird im Zentrum der Person selbst reguliert und bestimmt,
denn der Person kommt es zu, die Art und den Grad der entsprechenden seelischen
Bewegung als ihre eigene persönliche Reaktion und Antwort hervorzurufen. Darum
ist im Grunde die Person der Wert- und Gradmesser auch des gesamten
Gemütslebens.
2567 |
So bewegt sich also die Seele des Menschen in
ununterbrochenen wesentlichen Betätigungen verschiedenster Art, die notwendig
sind, um ein normales Seelen- und Menschenleben hervorzubringen und zu
erhalten. Der Mensch ermöglicht sein eigenes Seelenleben durch fortgesetzte,
eigene Antriebsmöglichkeiten und Impulse, die ihm für gewöhnlich nicht
ausdrücklich ins Bewusstsein kommen. – Dazu gehört auch das weite Gebiet der
geistigen Ausbildung für einen bestimmten Beruf, der das äußere Fortkommen des
Menschen gestattet und fördert.
2568 |
Neben diesen wesentlichen, und dem geistigen
Bestehen der Seele dienenden und notwendigen Betätigungsarten trägt aber die
Seele noch andere, unwesentliche Betätigungsmöglichkeiten in sich, die nicht so
sehr für das Leben selbst notwendig sind, als vielmehr dazu dienen, das Leben
schöner, angenehmer, leichter oder auch schwerer zu machen. Gewiss ist diese
Art der seelischen Betätigungsmöglichkeiten insofern auch schon in der
erstgenannten wesentlichen Art mit einbegriffen, weil es nun in der Natur der
Seele liegt, sich das Leben möglichst freudig, angenehm und leicht zu
gestalten, aber dennoch gehören diese unwesentlichen Betätigungsarten nicht
notwendig zum normalen Fortbestand der Seele selbst.
2569 |
Der Mensch trägt nämlich fortgesetzt in sich
einen unübersehbar weiten Umkreis von Gedanken, Gefühlen, Fantasiebetätigungen,
Wünschen, die für gewöhnlich nicht notwendig wären und nicht erzeugend tätig
sind, sondern nur als leere oder unfruchtbare Betätigungen dem eigenen
Genussleben – wenn auch in einem erlaubten und selbst geistigen Sinne – diene.
So wie der Leib des Menschen sich das an Nahrung sucht, was ihm am meisten
„schmeckt“ und ihm sozusagen schmeichelt, und damit das in ihm angelegte
Genussleben nährt, so ähnlich will auch die Seele – selbst in ihren eigenen
Betätigungen – sich nähren von einer Umgebung, die ihr schmeichelt und gefällt
und Vergnügen macht. – Das geordnete Genussleben als Erleben von Freuden,
erlaubten Vergnügungen und ebenso der geregelte Genuss der physischen Natur ist
vom Schöpfer in die Seele hineingelegt und ist somit ein natürliches Resultat
der normalen Betätigung einer gesunden Seele. Die Paradiesesseele hatte aber
nur die vom Schöpfer geschaffene wesentliche Betätigungsart und diese genügte
ihr vollkommen, um sich das Leben inhaltsreich und damit in einem höheren Sinne
genussreich und schön zu machen. Die unwesentlichen Betätigungen hingegen sind
eine Folge der gefallenen Menschennatur und sie macht sich der Mensch, obwohl
größtenteils überflüssig, selbst hinzu. Gewiss sind sie eine Folge des Falles
in die Erbsünde, aber diese Folgen haben sich in dem Sinne ausgedehnt, dass
sich der Mensch fast ständig Selbstbeschäftigungen als unwesentlichen
Betätigungen der Seele hingibt. Daher kommt es, dass die Menschen vielfach,
wenn nicht meistenteils nur Leidenschaften in sich nähren, zweifelhaften
Lieblingsideen huldigen, Luftschlösser bauen, Seifenblasen nachjagen, unnützen
Fantasien nachhängen usw., wodurch die Seelenkräfte wohl in Anspruch genommen,
aber nicht veredelt und vervollkommnet werden. Ganz abgesehen davon, dass
solche unwesentliche Betätigungen der Seele meist mehr zum Schaden als zum
geistigen und religiösen Fortschritt beitragen.
2570 |
Wie vorher beschrieben, wurde ich schon in den
genannten früheren Jahren meines Innenlebens durch die führende Gnade
angehalten, alle unwesentlichen Betätigungen der Seele auszuscheiden, um
dadurch der Gnade Gottes bzw. dem Leben Jesu in mir vollen Raum zu schaffen. –
2571 |
(In den Aufzeichnungen von 1942 habe ich auch
die wesentliche Art der Betätigung der reinen, harmonischen (Paradiesesseele)
Seele näher erklären können.) – Gewiss widerspricht dieses harte Beschneiden
der früher gewohnten, aber unwesentlichen Betätigungen, dem selbstigen
Genussleben, aber es bedeutet zugleich auch einen wunderbaren Aufstieg aus den
Niederungen des selbstischen geistigen (wenn auch nicht sündhaften)
Genusslebens zu der hohen Ebene vollkommener Selbstbeherrschung und zu dem
vollkommenen und hohen „Genuss“ (ganz anderer Art) eines reinen Menschentums
wofür Gott uns eigentlich geschaffen hat. Die rein wesentlichen Betätigungen
der Seele bewirken diesen vollen „Genuss“ und Frieden eines reinen, endlichen
Menschentums. – Der Aufstieg dazu, der von der Ausschaltung eitler und
selbstgefälliger Gedanken an aufwärtsführt bis zur Höhe der nur und
ausschließlich wesentlichen Betätigungen der Seele, ist aber ebenso sehr dem
Leben Gottes in der Seele förderlich und besagt gleichsam den Gipfel von
Selbstbeherrschung und Freiheit in sich selbst. Es verhält sich damit ähnlich
wie wenn auf einem anderen, verwandten Gebiet, wenn nämlich die Seele von der
Übung der täglichen guten Meinung angefangen aufwärtsstrebt bis zum höchsten
habituellen Grade der reinsten Absicht in all ihren einzelnen Handlungen. Wohl
kommt die Seele in keinem Falle eigentlich an ein Ende, aber je mehr sie sich
des eigenen – wenn auch des an sich erlaubten – Genusslebens entkleidet und je
mehr sie ihre Werke und Handlungen nur für Gott und Gottes Wesen zu verrichten
sucht, desto mehr wird sie in jedem Fall befähigt zu höchster Vereinigung mit
Christus Jesus.
2572 |
Heute hatte ich sehr klare und tiefe
Bekenntnisse über die in folgenden kurzen Punkten angedeuteten Geheimnisse. Wie
mir scheint, werde ich erst darüber schreiben können, wenn ich den Endzustand
(und die versprochene Gnade der psychologischen Befestigung darin) voll
erreicht haben werde.
2573 |
Zunächst hatte ich ein ganz außergewöhnlich
tiefes Erfahren des Geheimnisses der Heiligsten Dreifaltigkeit, besonders des
Geheimnisses: Das „Wort“ als Person lebte eine menschliche Seele ein „als
Person“:
2574 |
Gottvater bringt im eigenen Selbsterkennen als
göttlichen Ausdruck „das Wort“ hervor, und das Wort ist Person. – Und die
„Person“ wird (von Ewigkeit) zum wirklichen „Gegenüber“ zu seinem Erzeuger. –
Der Erzeuger und der Erzeugte sind von „einem“ Geiste durchlebt, vom Heiligsten
Geiste als einem wirklichen „Gegenüber“ und „Person“ – Eine Dreifachheit in und
von einem Wesen!
2575 |
Der Mensch „untersteht“ infolge seines
gefallenen Zustandes einem Gesetz der Unordnung.
a) Über die gefallene Menschenseele
b) über die Paradiesesseele
c) über die „aszetische“ Seele
2576 |
Wie bezüglich des Geheimnisses der Heiligsten
Dreifaltigkeit nur gewisse Richtlinien und sozusagen nur „Worte“ genommen
werden können, um dieses Geheimnis einigermaßen nahezubringen, während die
ganze Tiefe des erfassten und erlebten Schauens niemals wiedergegeben werden
kann, so ist es auch bezüglich des Geheimnisses der Menschwerdung und des
Erlösers. Es können immer nur „Linien“ angegeben werden, die dann durch Studium
des psychologischen Geheimnisses zusammengefügt werden müssen.
2577 |
„Herr, immer und in allem gekreuzigt sein!“ –
Wenn ich nicht am Kreuze bin, so habe ich keine Hoffnung. Das Leiden ist für
mich Ruhe des Geistes, ist Leben in den Armen Christi, ist meine einzige
Zuversicht.
2578 |
Wie der Dünger (wenn ich den Vergleich wagen
darf) notwendig ist für die Fruchtbarkeit der Erde, so das Kreuz und die Leiden
für die Werke Gottes. Im Leiden ist Ablösung von der eigenen Gebundenheit,
Befreiung von der Selbstsucht, auch in deren scheinbar erhabenen Formen, und
das Kreuz allein weist das wahre Ziel, nämlich hin zu Gott. Jesus selbst ist gleichsam
im Leiden verborgen und er selbst bewirkt damit alles in der Seele gemäß seinen
göttlichen Absichten. – Ohne Leiden scheint darum Stillstand zu sein, auf dem
Weg zur Vereinigung mit Christus. Je schwerer es aber „bergan“ geht, desto mehr
und sicherer geht es „bergauf“.
2579 |
Am Marienaltar in St. Peter war ich heute in
passiver Weise in große Beruhigung darüber versetzt, dass ich mich jetzt – in
dem Hause, in das ich am 4. März gezogen bin – ohne Sorge oder Unruhe ganz dem
Erleben Jesus hingeben kann. – Das Aufgeben meines persönlichen Lebens in der
Art, in die ich dabei gleichzeitig innerlich versetzt war, bringt die
Möglichkeit auch des Priesterwerkes. In dem Maße, als ich fähig werde, meiner
Aufgabe entsprechend in Christus einzugehen, werden auch die bestehenden
Schwierigkeiten gegen das Werk entfernt werden. Es gibt aber wiederum kein
Wort, um diese rein geistige Erfahrung voll auszudrücken.
2580 |
In der Kirche des hl. Eustachius, vor der
ergreifenden Kapelle des gekreuzigten Heilandes, wurde ich heute ganz tief
eingeführt in das Geheimnis: „Dieser Gekreuzigte ist Gott, ist Mensch geworden,
gezeugt vom Vater als Erlöser!“ Das Herabsteigen des göttlichen Wortes in diese
leidende und sterbende Menschheit, einbezogen in das weitere Geheimnis des
Menschseins der göttlichen Person nach der Art unseres Menschseins, dies wurde
mir zur wahren und erschütternd erlebten Wirklichkeit. –
2581 |
Es wurde mir im Geiste gesagt: „Noch niemals
ist dieses Geheimnis der Menschwerdung Gottes in gebührender Weise anerkannt
worden“. Gewiss kann dieses Geheimnis in alle Ewigkeit nie gebührend von den
Menschen anerkannt werden, weil es ein Geheimnis der unendlichen Liebe Gottes
ist, in das der Mensch niemals ganz eindringen kann; aber ich wusste: Christus
will im Geheimnis seiner Menschwerdung und Erlösung in einer vertieften Form1046
anerkannt werden, die der kommenden Zeit vorbehalten ist.
2582 |
Es wurde mir wie vom Vater gesagt – und es war
erschütternd: „Ich sandte IHN. – ER kam in die Welt. – Aber die Welt anerkennt
ihn nicht. – Man weißt IHN ab. Man glaubt nicht an IHN.“ – dabei war ich in die
ergreifende Wirklichkeit des Erlösers versetzt: Es ist etwas furchtbar Ernstes
um die Gottheit des Erlösers, um die Tatsache, dass „Gott seinen eingeborenen
Sohn nicht geschont, sondern ihn hingegeben hat für die Sünden der Welt“, um
die Wahrheit und Tatsache also: DER, der da starb, ist wahrer Gott und lebte
als Mensch!
2583 |
Mir schien diese Offenbarung vom „Vater“ zu
kommen, der seinen Sohn in die Welt gesandt hat und der in seinen göttlichen,
unendlichen Liebesbeweisen vom heutigen Geiste des Unglaubens, wie vielleicht
noch niemals „abgewiesen“ wird. Der Unglaube der heutigen Zeit ist vor allem
ein Abweisen des Erlösers. Ich schaute, wie dieses Abweisen Gottes bzw. des
Erlösers zur Kluft, zur erschreckenden Kluft zwischen Gott und der Menschheit
geworden ist, aufgerissen durch den Unglauben, und zwar auch bei vielen sich
„gläubig“ haltenden Seelen. Es fehlt auch bei den „Gläubigen“ vielfach der
lebendige Glaube an die unbedingte Abhängigkeit des Menschen von Gott und es
fehlt besonders der Glaube an die Schrecklichkeit der Sünde und damit der
lebendige Glaube an die Notwendigkeit und an die große Wohltat des Erlösers.
Die tiefe, gottgeschuldete Anerkennung des Erlösers und seiner Gottheit ist
verflacht und vielfach verschwunden. Die Absicht, in der Gottvater den Sohn als
Erlöser gesandt hat, wird nicht mehr in gottgewollter Weise, d. h. nicht mehr
in lebendigem Glauben anerkannt. Praktisch glaubt man nicht mehr oder doch
wenig an den Erlöser und seine Gottheit. Der Glaube aber ehrt Gott am meisten,
weil dadurch der Mensch als Geschöpf sich seinem Schöpfer unterwirft. Der
Glaube ist eine beständige Huldigung an Gott. – Der Unglaube ist es aber
hauptsächlich, der das Strafgericht auf die Menschheit herabgezogen hat, das
sich jetzt an ihr vollzieht. Und ich erkannte und schaute den Krieg als ein
fruchtbares Strafgericht der göttlichen Gerechtigkeit über den heutigen
Unglauben.
2584 |
Als Heilmittel gegen den heutigen Unglauben
schaute ich meine besondere Sendung – dass nämlich Christus als Gott im
Geheimnis der Erlösung wieder mehr anerkannt werde: „Ich habe dich erwählt,
dass dieses göttliche Geheimnis mehr (in einer vertieften Form) anerkannt
werde“. – Christus offenbart sich deshalb tiefer im Geheimnis seiner Gottheit
und Menschheit als Erlöser, um den Glauben an den Gott-Menschen neu zu beleben.
2585 |
Schon im Januar dieses Jahres hatte ich in der
Kapelle der Ursulinen eine ähnliche Offenbarung vom Vater: „Möchte doch eine
Seele gebührend die Unermesslichkeit meiner göttlichen Liebe anerkennen, mit
der ich meinen Sohn in die Welt gesandt habe als Erlöser! Welche Verherrlichung
wäre das für MICH!“ – Diese Worte des Vaters hatten eine solche Wirkung auf
mich, dass ich glaubte, ich müsste mich auf den Boden werfen, um in Dankbarkeit
für das göttliche Geschenk des Erlösers immer vor dem Vater auf den Knien zu
liegen. – Ja, Gott in seiner absoluten Wirklichkeit seiner Existenz zu
erfahren, das ist etwas Erschütterndes. –
2586 |
Freilich, ganz kann die Unermesslichkeit und
Unendlichkeit der Wirkungen der Erlösungsakte Christi den Menschen nicht
erklärt, sondern nur im Himmel geschaut und hienieden in etwa in den Früchten
erlebt werden. Es muss aber der Glaube an die Unermesslichkeit und die
göttlich-unendlichen Wirkungen der Erlösung neu geweckt und belebt werden. Es
muss wieder tiefer bedacht und anerkannt werden, dass durch die menschliche
Natur Christi erlittenes „Herabsteigen der göttlichen Person des Wortes“ und
ihre Selbstentäußerung bis zur Wesenheit und Wirklichkeit der Menschheit und
des Fleisches! – – (Dies, während ich in wunderbarer Weise, die Früchten der
Erlösung schaute).1047
2587 |
In der Kirche „Nostra Signore del S. Cuore“
schaute ich wiederum die subjektive Vollerlösung im Gesamterlösungsplan. So lag
es im Plan der unendlichen Liebe Gottes bzw. des Erlösers: Die Erlösungsgnaden
sind so reichlich, dass jede einzelne Seele zu einem Zustand der „Vollerlösung“
gelangen könne. Damit durchschaute ich einen ganz einfachen, wie
selbstverständlich scheinenden Geistesweg, ein Streben der Seele, die mittels
der Taufe in Christus eingegliedert ist, und der deshalb dieser Geistesweg wie
etwas Selbstverständliches eigen sein sollte.
2588 |
„Dass Gott eine solch elende Kreatur, wie ich
bin, auf seiner Erde, bzw. vor seinen Augen duldet!“ Ich bin nicht wert, das
Leben zu haben und zu vegetieren. Mir scheint, noch niemals ist ein elenderes
Geschöpf von Gottes Sonne beschienen worden. Ich möchte vergehen im Einsehen
meiner erschreckenden Armut, Nichtigkeit und Sündhaftigkeit; „vergehen und
vernichtet werden“ ist das wohlverdiente Los, das mir zukommt und widerfahren
sollte. O, ich möchte mich verzehren und vernichten! – Ich bin wie zermalmt vor
Gottes heiligstem Angesicht, und wenn er mich augenblicklich in ein Nichts
zurücksinken lässt, so hat er das gerechteste Urteil über mich gesprochen. Es
ist das größte Wunder seiner Barmherzigkeit, dass er mich so lange ertragen
hat.
2589 |
Ich leide unter meiner Nichtigkeit, aber
zugleich liebe ich sie. Es ist eine Qual, in den Abgrund einer solch
erschreckenden Armseligkeit geworfen zu sein, aber zugleich finde ich die
größte Ruhe darin; ich bin bereit, die ganze Ewigkeit darin zu verbringen.
2590 |
Ich bin beschienen von der göttlichen Sonne
der Heiligkeit Gottes, die alle Stäubchen in der Seele aufdeckt und beleuchtet
– zu meinem Entsetzen und zugleich zu meiner tiefsten Befriedigung.
2591 |
Jetzt wird das Wissen um meine Vergangenheit
gleichsam abgeschnitten und ich bin passiv nur der augenblicklichen Gegenwart
hingegeben. Seit dem 1.4. „löst sich“ ein „neuer Zustand“ von meiner früheren
oder bisherigen Lebensart ab. Der neue Zustand ist ein augenblickliches Sein,
wobei ein Vorwärts- oder Rückwärtsschauen mir wie unmöglich ist. Es ist ein
passives Gegenwartssein; es ist ein beständiges „ich bin“, ohne selbstständige
Bewegungsmöglichkeit außer der für den Augenblick; es ist eine unaussprechliche
Passivität, die einem impulsiven Antrieb untersteht. Mein einziges „Können“
ist, diesem immerwährenden Augenblicksdasein hingegeben zu sein. Die geistigen
Leiden, die diese Passivität begleiten, sind aber unerklärlich.
2592 |
Im Leiden ist Jesus ständig in mir tätig und
er selbst ist es auch, der diese meine Leiden hervorruft. – Und doch, welchen
Frieden genieße ich in diesem peinvollen Leiden! Ich bin wie ein Kind, das in
den Armen der Mutter ruht, weil es sich dort am sichersten und geborgensten
fühlt. So gut ruhe ich am Kreuze; es ist meine einzige Sicherheit und Zuversicht.
2593 |
Ich will darum nichts wissen, und nichts
wollen als diese augenblickliche peinvolle Süßigkeit auskosten, so wie die
Biene, die sich mit Begierde auf die Blume stürzt, um aus dem Blütenstaub den
kostbaren Honig zu bereiten, der anderen zur Heilung und zum Genuss dienen
wird. – Was brauche ich zu wissen, wie lange mein Weg noch sein wird bis zu
meiner geistigen Vollendung? Erst dann sind wir „vollendet“, wenn der Herr die
Seele zum unverhüllten Schauen ruft. – Bis dahin will ich vom Kreuze geführt und
getragen sein, indem ich dem Augenblick des Kreuzes leben will. – Und was
brauche ich zu wissen, wann und wie der Herr sein Werk der Liebe erreicht? Er
kann es, vermögen seiner göttlichen Allmacht wie aus dem Nichts der
Unmöglichkeit errichten, und er kann es auch auf dem Weg eines langsamen
Martyriums seiner Kinder erreichen.
2594 |
Ich will nur dem Augenblicke leben und
hingegeben sein und will mich „ablösen“ lassen durch jene geheimnisvolle und
doch so starke göttliche Führung, durch die Vergangenheit und Zukunft für mich
aufhören und mein Dasein einem beständigen „jetzt“ übergeben und überantwortet
wird.
2595 |
„Gott ist nicht religiös“. Er ist vielmehr
Wirklichkeit in all seinen göttlichen Vollkommenheiten. Der Mensch hingegen ist
„religiös“ in seinem Streben, sich göttliche sittliche Vollkommenheiten
anzueignen. Das „Hinstreben“ zu Gott ist religiöses Leben. In Gott ist
jedoch die Vollkommenheit und deshalb bedarf er in sich keiner Hinbewegung noch
Erhöhung.
2596 |
Auch in hohen Vereinigungsstadien mit Gott
„hört“ vielfach das „religiöse Leben“, in der früher gewohnten Form „auf“: Die
Seele wird nämlich dann infolge der schon erlangten Gottvereinigung
hauptsächlich von Gott selbst geführt und sie wird von ihm weitergeführt zu
fortschreitender und konsequenter Erhöhung. Die persönliche Einsicht der Seele
vermag auf diesen Stufen den weiteren Fortschritt nicht mehr zu erfassen und es
fehlt ihr daher das aktive „Wissen“ des Weges, um sich aktiv weiter in Gott
vervollkommnen zu können; darum setzt dann in noch höherer Weise das passive
Vereinigungsleben ein.
2597 |
Jede durch Übung schon geläufig gewordene
Tugend wird zum „Zustand“ in dieser Tugend oder zum diesbezüglichen
„Vollkommenheitszustand“. In Gott ist dementsprechend der göttlich-wesentliche
Vollkommenheitszustand der Wirklichkeit des Seins jeder Vollkommenheit. –
2598 |
Diese Erkenntnisse wurden mir innerlich
erklärt in ihrer Anwendung und in Bezug auf mein Innenleben, nämlich auf meine
Befähigung für jenen Vollkommenheitsgrad und -zustand, der notwendig ist, um
das Wesen der göttlichen Person Christi ertragen zu können – soweit dies meine
geistige Aufgabe verlangt und in sich schließt. Diese mir gegebene Anwendung
ist aber ein rein geistiger Begriff, der in Worten nicht auszusprechen ist. –
Andeutungsweise gesagt, handelt es sich für mich darum, einen
Vollkommenheitszustand zu erreichen, der gleichsam eine Ebene und Ruhe in Gott
ist, gelebtes Leben in Gott als Tat1049 und Ausübung der erreichten
sittlichen Vollkommenheit, womit die „religiöse Übung“ ihren Zweck verloren
hat.
2599 |
„Leidensfeste“! – Ich befinde mich im passiven
Erringen eines höheren Zustandes, nämlich einer „Ablösung von meinem eigenen
bisher gewohnten Leben“. – So geht es von einem geistigen Tunnel in einen
anderen, bis sich der neu errungene Zustand in Christus als bleibendes „Licht“
bewähren kann. Das jetzt kommende „Neue“ ist aber nicht ausdrückbar, oder
höchstens so anzudeuten: Ein Zustand, ähnlich einer dauernden geistigen
Ekstase, der mein „gewöhnliches“ Leben sein wird.
2600 |
Ich bin einem beständigen „Jetzt-Zustand“
eingeordnet, insofern mir die Möglichkeit des Erinnerns oder Vorwärtsschauens
genommen ist. So ist mir die Vergangenheit wie abgebrochen und die Zukunft
verhüllt. Dies bedeutet eine unerklärbare Heraushebung aus einem allgemeinen
Gesetz des menschlichen Lebens, eine Art Loslösung von der eigenständigen
geistigen Aktivität, die der „normale“ Mensch als Grundlage in sich trägt.
Tiefste Ursache und Grundlage dieser nun ständig in mir erlebten Tatsache ist
wohl die eigenartige und hohe Stufe der Vergeistigung meiner Seele, und eine
sich immer mehr steigernde „Erhabenheit“ meines Gesamt-Menschseins.
2601 |
Was die begleitenden Leiden oft bis zu einem
fast erdrückenden Maße steigert, ist der Umstand, dass auch die physischen
Lebenskräfte einer immerwährenden Einordnung und Anpassung an diese
Geisteserhebung unterstehen. Es ist dabei ein bestimmtes Ziel vorgesehen.
2602 |
Am Abend des hl. Osterfestes ebbte das Leiden
ab, und an dessen Stelle trat eine allgemeine Ruhe und ein passives Leben des
Lichtes. – Es hat sich eine durchgreifende Freilegung und Ablösung meines Seins
von der früheren Lebensart durchgebildet, doch wie wäre dies in Worten zu
erklären? Es ist eine „erhöhte Art neuen Lebens“, das wiederum einem neuen Ziel
zustrebt; es ist eine gewisse neue Zusammenfassung befreiter Geisteskräfte,
die, nun losgelöst von dem Gesetze, dem sie bisher unterstanden, jetzt eines
neuen Gebrauches und einer neuen Inanspruchnahme harren. Merkwürdig ist dabei,
dass auch das Physische dem Geistigen in allem folgen können muss, dass also
eine beiderseitige Zusammenordnung der beiden Elemente gefordert ist und ermöglicht
werden muss, damit diese neu gebildete Einheit völlig einem neuen Gesetz
dienstbar werden kann.
2603 |
Gegenüber dem gewöhnlichen Mensch-sein wirkt
sich diese Vorbereitung des kommenden neuen Zustandes aus wie eine Art
geistiger Lähmungszustand meines Gesamt-Lebens: Ich stehe so hoch über dem
gewöhnlichen Leben, dass es scheint, als wären meine Geisteskräfte „lahmgelegt“
und könnten die gewöhnliche Umgebung, die Vergangenheit und die Zukunft nicht
mehr „erfassen“ oder nicht mehr dem eigenen Bewusstsein zuführen; alles
Gewöhnliche ist wie außerhalb des gewohnten persönlichen Bewusstwerdens
gestellt. – Auch hierbei gehen Leiden und Erhöhung Hand in Hand und gehen
ineinander über. Als passive Leiden empfinde ich den jetzigen Zustand, insofern
das gewohnte bewusste Leben entzogen wird, dem der Mensch naturgesetzlich
untersteht; dies bedeutet aber für mich ein „Sterben“, eine schmerzhafte
Zerstörung und einen unerträglich scheinenden Mangel. Als zu erringender und
teilweise schon erreichter Zustand aber bedeutet das jetzige Stadium eine
wunderbare Freiheit, ja eine gewisse geistige „Unermesslichkeit“ in einem Leben
des Lichtes. Der vorherige „Mangel“ geht über in eine neue Art der „Sättigung“
in einer Überfülle des Geistes.
2604 |
Neben dieser Erhebung erfasse ich auch immer
wieder den letzten Zweck dieses in Vorbereitung befindlichen Zustandes: Ein
geistig-mystisches Nacherleben des Zustandes des Gott-Menschen Christus, in
dessen inneres „Leben“ ich eingehen werde. Ich erfasse darum zugleich mit der
eigenen Erhebung das göttliche Wesen Christi in seiner Eigenart als Person in
einem menschlichen Dasein, das Göttliche und Menschliche harmonisch
zusammengeordnet. – Dabei ist die beständige Forderung der führenden Gnade an
mich: bewusste, willentliche Bereitstellung meinerseits zu diesem letzten
Zweck, nämlich das Geheimnis des Gott-Menschen erleben zu können.
2605 |
Die besagte wunderbare Befreiung und Ablösung
von meinem früheren Lebensgesetz „harrt nun seiner neuen Bestimmung und seines
Zweckes“. Das „Wie“ ist aber –, oder der nächste Schritt ist mir noch dunkel. –
Tätig ist in mir eine wiederholte Forderung der göttlichen Führung, die mich
zugleich zum Geforderten befähigt: Bereit zu sein, auch alle „äußere Tätigkeit“
um meines geistigen Berufes willen aufzugeben und mich ganz jenem Leben des
Geistes hinzugeben, das mich ganz in Anspruch und Beschlag nehmen wird (aus
diesem Geistesleben heraus und nach dem neuen Lebensgesetz wird dann auch die
entsprechende äußere Tätigkeit wieder kommen).
2606 |
Wenn jemand sein Leben als dauerndes Dasein
auf der Spitze eines hohen Berges einrichten will, so muss er entweder alles
zum Leben Notwendige mit hinauf nehmen, oder er muss sich mit dem begnügen, was
er dort oben auf der Bergspitze findet, und muss sich also dementsprechend so
umstellen, dass er unter den ganz anderen, dort oben herrschenden Verhältnissen
sein Leben fortsetzen kann. – Ähnlich ist es auf dem Wege zum „Berge Gottes“
nur besteht ein Unterschied darin, dass in diesem Falle die Seele nichts auf
diesen Berg mit hinaufnehmen kann, sondern alles „unten lassen“ muss; es gibt
keine „Gepäcksbeförderung“ hin zu Gott, im Gegenteil, es herrscht bei diesem
geistigen Aufstieg strengste Kontrolle und es muss alles, alles, bis auf das
„nackte Leben“ zurückgelassen werden. Und je höher der stufenweise Aufstieg
geht, desto strenger wird diese „Gepäcksabnahme“. Die Seele, die intensiv zum
Berg Gottes, zur hohen Vereinigung mit Gott streben und gelangen will, muss
alles abgeben, nein, es wird ihr alles abgenommen, und sie muss sich der
Eigenart Gottes anpassen; das ist ihr aber nur in höchstmöglicher und höchster
Selbstentäußerung und Selbstentblößung möglich. Die Seele muss sich umstellen
lassen, um in Gott bleiben und dauernd in ihm Wohnung nehmen zu können, ähnlich
wie der Wanderer, der sein Leben auf einer hohen Bergspitze weiter leben
wollte, der aber dann' als Tausch für das vielfaltige Verlassen und Aufgeben
und als Ersatz für die gebrachten Opfer oben auf der Bergspitze einen
wunderbaren Ausblick und eine selige Freiheit, die herrliche Sonne und den
nahen Himmel genießen würde.
2607 |
Das wunderbare Geheimnis auf den hohen
Vereinigungsstadien mit Gott ist also dies: „Sich in Gott einrichten“, sich dem
Wesen Gottes anpassen, möglichst auf die erreichbare „Ebene mit Gott“ gelangen,
und zwar als dauernder Zustand – In meinem Innenleben scheint sich diese Stufe
jetzt voll auszubilden: Die Seele richtet sich auf der Bergspitze ein; sie
gelangt zu einer, in Worten nicht zu beschreibenden „Ebene zu Gott und in
Gott“. Um diese beschreiben zu können, müsste man mit einem Blick voll
überschauen und beurteilen können sowohl alles, was man abgegeben und unten
gelassen hat, wie auch die ganze Länge des Weges vom Ausgangspunkte bis zum
Ziele und damit auch die Höhe der erreichten Spitze.
2608 |
Heute wurde mir wiederholt als Grundlage und
Ausgangspunkt für das letzte Ziel meines ganzen inneren Weges angegeben und
erklärt: die „Paradiesesseele“. – Das klingt wohl vermessen, aber um der
Wahrheit willen und angesichts der Klarheit des Zieles und Zweckes meines
ganzen inneren Weges muss ich getreu sein und Gott die Ehre geben. Es ist aber
– um Missverständnissen vorzubeugen – daran festzuhalten, dass es sich bei der
„Rückgewinnung der Paradiesesseele“ immer nur um die sittliche Vollkommenheit
des Paradieseszustandes handelt, nicht aber um dessen außergewöhnliche,
psychologische Auswirkungen. Der konkrete Paradieseszustand mit seinen
psychologischen Auswirkungen ist für immer für die Menschen verloren und ist
nie mehr zurückzuerobern (nicht einmal die liebe Muttergottes hatte ihn).
Möglich und gottgewollt ist aber – als Frucht der Erlösung durch Christus – die
Rückeroberung der sittlichen Vollkommenheit und Harmonie des
Paradieseszustandes, die sich natürlich auch im Tugendleben nach außen irgendwie
zeigen wird. Diese Rückeroberung vollzieht sich aber immer auf der Grundlage
und auf dem Wege des Glaubens, also auf einem aszetischen Weg. Der
wiedererworbene Paradieseszustand „lebt aus dem Glauben“ und kann nur durch
eine besondere Gnade „erlebt“ und psychologisch erfahren werden. – Auch in
meinem Falle wäre an sich und ist tatsächlich der Paradieseszustand ein Leben
aus dem Glauben. Nur durch eine besondere, im Hinblick auf meine geistige
Aufgabe gewährte Gnade kann und wird er auch in den psychologischen
Auswirkungen erfahrungsmäßig erlebt werden. Die psychologische Grundlage für
das Erleben der Erlöserseele und Erlösermenschheit bildet nämlich die
zurückgewonnene Paradiesesseele mit deren erlebter und erfahrener „Ebene zu
Gott“, denn nur von dieser in etwa erklärbaren „Ebene zu Gott“ aus kann das
Geheimnis der Seele Christi erfasst und annähernd psychologisch erklärt werden.
– Ich weiß, dass nur auf diesem Weg (nämlich über das Wesen der reinen
Paradiesesseele) sich das Geheimnis des Gottmenschen in seinen Wesenszügen
psychologisch erklären lässt, und über dieses Geheimnis (der in meinem Fall
erlebten Paradiesesseele) geht darum auch der Weg meiner geistigen Berufung.
(Das ist aber nicht so, als erlebe ich mich beispielsweise „im Paradieseszustand“,
sondern die zurückgewonnenen Folgen, als die sittlichen und dementsprechend
psychologischen Auswirkungen werden als Hilfskräfte und Möglichkeiten für das
Erleben der Erlöserseele angewendet – ausgenützt.)1050
2609 |
Heute bin ich wunderbar tief in diese Art der
Paradiesesseele, sie erlebend und lebend, erhoben. Meine befreite Seele „rafft“
gleichsam sich selbst zusammen und bereitet sich für das kommende Neue, nämlich
für die (psychologisch erlebte) „Ebene hin zu Gott“. Diese „Ebene der Seele zu
Gott“ wird mir (als mystisch erlebte Gnade) wie zum Naturzustand, weil, wie
gesagt, nur damit die Befähigung gegeben ist, das Wesen des Gott-Menschen
erleben zu können. „Es vollzieht sich damit in mir ein natürlicher
psychologischer Aufstieg“ (selbstverständlich in der übernatürlichen Ordnung);
so erklärt es mir die göttliche Führung, die immerwährend in mir tätig ist.
„Von dieser erlebten Ebene zu Gott aus wird mir dann, mittels der erreichten
wesentlichen Gottvereinigung, das Geheimnis des Gottmenschen aufleuchten“. Und
welche wunderbare Befreiung von den früheren eigenen Hemmungen erlebe ich
jetzt! Es ist das Leben auf einer Bergspitze, in einem Zustand, wo der Seele
das „nackte Leben“ voll genügt. Das „Sein“ enthält und gibt alles zum Dasein
Notwendige! Die Seele ist der Spitze Gottes angepasst, infolge der
vorausgegangenen geheimnisvollen Selbstreinigung und Selbstbefreiung.
2610 |
Zur psychologischen Erklärung dieses
wunderbaren Zustandes wird mir eröffnet das „Geheimnis der stets sich immer
mehr steigernden Teilnahme an der göttlichen Natur mittels der erlebten
Vereinigung mit Christus“. Die höchste Auswirkung der ständig sich steigernden
Vereinigung mit Gott ist eine gewisse Teilnahme an der göttlichen Natur oder
Anteilnahme an Gott, die in meinem Falle durch eine besondere Gnade
erfahrungsmäßig erlebt wird und, als mystisches Gnadengeheimnis, zum
Grundgeheimnis meiner geistigen Aufgabe wird. – Mittels der Vereinigung mit
Gott durch die heilig machende Gnade leben wir in Gott und haben wir Teil an
seinem göttlichen Wesen – wie der hl. Petrus in seinem zweiten Briefe sagt (1
Kap 4.5). Dies wurde mir näher durch folgenden Hinweis erklärt: Zur
gegenseitigen Liebe zweier Menschen braucht es eine gewisse Gleichstellung,
eine bestimmte Harmonie in irgendeiner Form. Die Liebe und Einheit, welche
durch die Liebe hergestellt wird, lässt die geliebte Person am eigenen Wesen
und an den eigenen Gütern und Reichtümern, vor allem an denen des Geistes und
des Herzens, teilnehmen, lässt die geliebte Person diese sich aneignen, und
dies geschieht durch die geistige Vereinigung der Liebe. Je tiefer die Einheit
der Liebe sich vollzieht, desto tiefer wird auch die Teilnahme an den
(geistigen) Gütern des Geliebten; es vollzieht sich ein gewisses Übergehen des
Geistes der einen geliebten Person auf die andere. – So ist die Teilnahme an
der göttlichen Natur streng genommen nicht dasselbe wie die Gottvereinigung,
sondern ist eine Folge und Auswirkung dieser Vereinigung. Die Vereinigung ist
das Mittel und ist fassbarer, fühlbarer, greifbarer; die Teilnahme an der
göttlichen Natur aber steht höher und ist geistiger und wertvoller.
2611 |
„Durch Christus, durch seine Menschwerdung und
durch die Erlösung sind wir der göttlichen Natur teilhaft geworden“: Schon
öfter habe ich tiefe Erklärungen geschaut über diese Teilnahme, angefangen von
deren erster und „untersten“ Stufe, die aber schon eine ganz große Bedeutung
hat für die Seele und ihr Verhältnis zu Gott. – Die getaufte Seele hat durch
ihre Eingliederung in Christus, und damit durch ihre besondere Verbindung mit
der Heiligsten Dreifaltigkeit teil an der göttlichen Natur und hat damit ein
Anrecht auf Gott und den Himmel. Die Seele ohne schwere Sünde (was wir die
heilig machende Gnade nennen) ist „teilhaftig der göttlichen Natur“, und sie
nimmt, durch Christi Erlösung, am göttlichen Leben teil.
2612 |
Schon diese niederste Auswirkung der Teilnahme
an der göttlichen Natur hat unaussprechliche Bedeutung und Folgen für die Seele
selbst und hinsichtlich der Beziehung Gottes zur Seele; denn diese ist nun
ständig „Gottes teilhaftig“ und lebt – durch Christus – im göttlichen Kreislauf
der Heiligsten Dreifaltigkeit. In dieser Form ist die Erlösung wirksam in der
einzelnen Seele und es ist dies eine nie ganz zu ergründende Wirkung der
unendlichen Liebe Gottes. Wiederholt schon konnte meine Seele dieses Geheimnis
schauen und immer wieder versetzt dieses Schauen [mich] in unaussprechliches
Staunen über solche Liebe Gottes zu den Menschen. Die Seele im gefallenen
Zustand ist vor Gott größte Dissonanz gegenüber seinem Schöpfungsplan, aber
durch Christus wieder erhoben, wird die Seele zum Gegenstand des entzückendsten
Wohlgefallen Gottes. „Welche liebe Gottes!“ Es ist unaussprechlich und das Herz
könnte einem stillstehen vor Bewunderung ob solcher Liebe Gottes. – (Gerade
während ich dies schrieb, wurde mir innerlich zu wissen getan: „In dir wird
Gottes Liebe in besonderer Weise zur höchsten Auswirkung kommen; nämlich in
Betreff des Geheimnisses der Teilnahme an der göttlichen Natur“).
2613 |
Aufsteigend erhöht sich dann mit immer
größerer Reinigung, Reinheit und dementsprechender Gottesvereinigung der Seele
auch ihre Teilnahme an der göttlichen Natur, auch wenn diese für gewöhnlich
nicht experimentell erlebt wird, sondern der Fortschritt in diesem Leben nur
auf der Grundlage und „im Dunkel“ des Glaubens in der Seele weiterwirkt.
Vonseiten Gottes und Christi aber bedeutet dies ein immer tieferes „Einnehmen“
der Seele in Gottes Leben, ein immer intensiveres Teilnehmen an IHM; vonseiten
der Seele bedeutet es eine immer mehr sich steigernde Zuteilung Gottes an sie.
Wenn auch dieser Zustand der Teilnahme an der göttlichen Natur hienieden der
Seele für gewöhnlich nicht bewusst und nicht von ihr erfahren wird, so wird sie
doch im Himmel diese göttlichen Früchte gewahr werden, und zwar wird auch in der
Ewigkeit der beseligende Genuss Gottes bemessen werden nach dem Maße der
Teilnahme an der göttlichen Natur schon hienieden in einem Leben der
theologischen Tugenden und der Gaben des hl. Geistes. – Gott ist ein
unendliches Wesen und nach seiner Unendlichkeit bemisst sich auch die
Möglichkeit unserer Teilnahme an ihn, d. h., wir kämen in Gott an kein Ende,
auch wenn wir noch solange und unbegrenzt im besagten Sinne fortschreiten
würden. Darum steht es weder der Seele selbst noch einem allenfallsigen menschlichen
Urteil zu, eine Grenze für die Möglichkeit des Wirkens Gottes in einer Seele
festzulegen. Hier waltet die göttliche Freiheit, und nur ein demütiger Glaube
eröffnet fortgesetzt neue Erhöhungsmöglichkeiten der Teilnahme an der
göttlichen Natur. Dabei ist es vor Gott im Wesentlichen das Gleiche, ob diese
Teilnahme an ihm hienieden erfahrungsmäßig erlebt wird oder nicht.
2614 |
Besonders am letzten Karfreitag (7.04.1944)
wurde ich ganz tief eingeführt in dieses Geheimnis, indem mir mein Innenleben,
beziehungsweise das mir bevorstehende Erleben der Erlöserperson, in seinem
tiefsten Wesen erklärt wurde als „eine erfahrungsmäßige Teilnahme an der
göttlichen Natur auf mystischer Grundlage und Voraussetzung“. Dies wurde mir
begreiflich gemacht, ausgehend von den einfachsten Lehren des Glaubens: Ich
schaute nämlich eine beständig fortschreitende Möglichkeit der Erhöhung jener
Teilnahme an Gott von den Anfängen bis zu jenem Grade, der für meine Aufgabe
erforderlich ist. – Der liebe Heiland hat mir dies wohl deshalb in einer so
einfachen und doch tiefen und begründeten Form gezeigt, weil zeitweise doch
immer wieder eine gewisse Angst und Abwehr vor „zu hohen Gnaden“ in mir
besteht. An Hand und gleichsam auf der Leiter einer so einfachen Erklärung fand
ich mich aber Jesus gegenüber wie in Selbstverständlichkeit zu weiteren
Gnadenerhöhungen bereit.
2615 |
Im tiefen und lebendigen Glauben an Gottes
unendliche Liebe zu den Menschen löst sich die Verwunderung über die größten
Gnaden in die Anerkennung eines wie selbstverständlichen Wirkens Gottes und
seiner unbegreiflichen und allmächtigen Liebe in der Seele auf. Die Einfachheit
der Seele, bzw. die Einfachheit, und zugleich Grenzenlosigkeit unseres Glaubens
und Vertrauens auf Gottes Wirken in der Seele muss in konsequenter Weise all
unseren kleinlichen Widerständen hinwegnehmen. Jesus kann dann am meisten in
uns wirken, wenn wir ihn göttlich groß sein lassen in seiner Liebe zu uns.
2616 |
Die Art und Tiefe meiner inneren Leiden wird
im Grunde immer ein Geheimnis bleiben; es sei denn, dass jemand Ähnliches
durchgelitten hätte. Meine Seele ist so sehr ins Geistige erhoben und so sehr
einen geistigen Weg geführt, dass zum Verständnis dieser Leiden nur das
Verstehen des Zieles und Zweckes derselben einigermaßen verhelfen kann. Die jetzt
sehr intensiv sich in mir vollziehenden Leiden der psychologischen Umstellung
für meine gottgewollte Aufgabe sind aber noch unvergleichlich schmerzhafter und
tiefer als selbst die vorausgehenden, die mehr die moralische Anpassung an die
Person Christi zum Ziele und Ergebnis hatten.
2617 |
Leiden, ja, und immer wieder „mich ans Kreuz
flüchten!“ Menschlich gesehen ist mein Lebensweg unbegreiflich, für mich selbst
und ebenso auch für andere. Doch am Kreuz kann man nicht irregehen und das
Kreuz ist meine Sicherheit. Mein Geistesweg ist so „ungewöhnlich“, dass er mir
nur als Leidensweg zur Sicherheit werden kann. Darum will ich mich selbst an
das Kreuz werfen, mich daran halten und anklammern, ja mich gleichsam vom
Kreuze zerdrücken und zermalmen lassen.
2618 |
Ich möchte diese, meine (geistig) gekreuzigte
Lage vergleichen mit dem Weizenkorn, das den Zweck hat, zu Brot zu werden.
Welchen langen Prozess und welche durchgreifende Veränderung muss das Korn an
sich erfahren und „erleiden“, bis es als Brot genossen werden kann! Das Korn
muss zermahlen werden, das so gewonnene Mehl wird dann zu einem Teig
verarbeitet und dieser schließlich in der Hitze gebacken; die eigentlichen
Bestandteile und Nährwerte des Kornes oder Mehles müssen sich infolge des
beigemengten Wassers gleichsam erst „auflösen“, um dann unter der Einwirkung
der Hitze für den Menschen genießbar und bekömmlich zu werden. – In einem
ähnlichen Auflösungszustand und Umwandlungsprozess1051 befinde ich
mich geistig. Ja, ich kann sagen: Auf der Höhe der Wirksamkeit dieser inneren
Leiden kann mein innerer Zustand verglichen werden mit dem Auflösungszustand,
in dem das „Korn“ sich in der unkenntlichen Teigmasse ohne feste Form und
Gestalt befindet. Dieser schmerzhafte Zerstörungsprozess in meiner Seele steigert
sich bis zu einer gewissen geistigen „Apathie“, die ich nach meinen bisherigen
Erfahrungen als die höchste Steigerung dieser Leiden bezeichnen muss. Da möchte
man die Seele wirklich mit einer Teigmasse vergleichen, mit der man machen und
formen kann, wie man will.
2619 |
Doch gerade in diesen schwersten Leiden wird
eine gewisse „persönliche Interessenslosigkeit“ erzeugt, durch die eine höchste
Fügsamkeit meiner Geisteskräfte gegenüber Gott ermöglicht wird. Die Seele wird
auf diese Weise erneut in einer noch höheren Art „gottfähig“ gemacht und für
göttliches Miterleben geformt. So geht die göttliche Führung in meiner Seele
bei der Verfolgung ihres besonderen, übernatürlichen Zieles einen „natürlichen“
(d. h., der Natur der Seele1052 angepassten) Weg eines langsamen
Umschmelzens und Brauchbarmachens für das göttliche Leben. Und dieser
Umwandlungsprozess muss von der Seele „empfunden und erlitten“ werden, wenn es
zu einer tatsächlichen und dauernden Veränderung in der Seele kommen soll. – Es
wäre eine große Täuschung, zu glauben, dass eine Seele von heute auf morgen in
ein höheres geistiges Vereinigungsstadium erhoben werde; Vorbedingung und
Voraussetzung hierfür ist vielmehr gewöhnlich eine langsame, zusammen mit der
Gnade vollzogene moralisch-psychologische Umänderung in ihr. Gewiss könnte Gott
in seiner Allmacht dies auch in einem Augenblick in einer Seele vollbringen,
aber für gewöhnlich tut er das nicht, sondern lässt die Seele die langsam
wachsende und fortschreitende Erhöhung der Vereinigung mit Christus „erleiden“.
Und dieses Erleiden, das eine jeweils höhere Vereinigung mit Christus
ermöglichen soll, versetzt die Seele in den angedeuteten schmerzhaften Zustand.
2620 |
Die göttliche Führung erklärt mir den
gegenwärtigen Vorgang in meiner Seele als eine „Umbildung und Reduzierung
meines gewöhnlichen Bewusstwerdens, sodass es nicht mehr meiner persönlichen
Lebenserfahrung, sondern ganz meiner kommenden, gottgegebenen Aufgabe diene“.
Das Bewusstwerden meines gewöhnlichen Lebens erfährt insofern eine Veränderung,
als es mir nicht mehr „als mein persönliches Leben“ ins Bewusstsein treten
wird. In einem geheimnisvollen psychologischen Vorgang entschwinden mir darum
in einem gewissen Sinne Vergangenheit und Zukunft, und die eigene persönliche
Form meines Bewusstseins wird gleichsam neutralisiert: D.h., es werden mehr und
mehr die Auswirkungen der persönlichen Erlebnisse und Beeinflussungen
ausgeschaltet (– seien sie nun auf Vererbung, Erziehung, Erfahrung,
Lebensschicksale oder Ähnliches zurückzuführen –), die das Charakteristische
und Einmalige jeder menschlichen Person mitformen helfen und ihrem ganzen
Urteilen und Tun ein besonderes Gepräge geben. Mit dieser Umbildung und
Reduzierung (Zurückführung) wird der an sich notwendig mit dem Leben
verbundenen und berechtigten persönlichen „Genuss des Lebens“ von mir nicht
mehr empfunden. – Die jetzige passive Vorbereitung zu diesem nächsten Ziel
besteht vor allem in einer gewissen geistigen „Unbeweglichkeit“, ja
Unbeeindruckbarkeit gegenüber allem, was immer an mich herankommt.
2621 |
Damit werde ich nun zur Verwirklichung dessen
geführt, was mir schon früher durch die innere Führung über das psychologische
Geheimnis des Bewusstwerdensaktes im Allgemeinen sowie im Besonderen über jenen
der Person Christi erklärt wurde. – Durch den Bewusstwerdensakt werden die
jeweiligen Lebensumstände für die Person selbst erlebnisfähig und werden schon
ihr als sympathisch oder als antipathisch empfunden. Das letzte Geheimnis
dieses Empfindens liegt im Bewusstwerdensakt selbst, der eine ihm und der
Person entsprechende Wirkung auf das Empfindungsvermögen hervorruft.
2622 |
Der Bewusstwerdensakt ist einer der
wichtigsten und wesentlichsten Akte der Person, reguliert sich nach der
Eigenart der Person, trägt in sich selbst deren Gepräge und ist mit dem
tiefsten Wesen der Person1053 selbst gegeben, mit der er darum in
einem notwendigen Verhältnis und Zusammenhang steht. Er betätigt sich darum1054
in wesentlicher Einheit mit der Person, und diese hinwiederum empfindet und
lebt nach der Art und Eigenart ihres Bewusstwerdensaktes. Diese beiden
wesentlichen Kräfte der Seele, die Personkraft und die Bewusstwerdenskraft,
bewegen sich in einer gleichen Linie und stehen in einem notwendigen Verhältnis
und Entsprechen zueinander, d. h., eine allenfallsige Mehrung oder Minderung
der Werthöhe der Person zieht auch eine entsprechende Erhöhung oder Minderung
im Bewusstwerdensakt nach sich und dadurch erfährt dann auch das übrige
Seelenleben eine entsprechende Veränderung.
2623 |
Die Bewusstwerdenskraft ist gleichsam der feinste
„Fühler“ für die Person selbst, nicht im Sinne einer gefühlsmäßigen Kraft,
sondern insofern als sie – infolge ihrer wesentlichen Abhängigkeit von der
Person – den Akt des Bewusstwerdens schon nach der Eigenart der Person
vollzieht. Darin liegt der tiefste Grund, weshalb ganz gleiche Lebenslagen und
Umstände von den einzelnen Menschen in ganz verschiedener Weise und Form
empfunden und erlebt werden können. Seit ihrer Erschaffung trägt die Seele
sowohl die Personkraft wie die Bewusstwerdenskraft (als vermittelnde und
zuführende Kraft) gleichsam schlummernd in sich; die verschiedene Art, wie
diese beiden Hauptfaktoren des Menschenlebens in den einzelnen Seelen zur
Entwicklung kommen, prägt dann die charakteristische Verschiedenheit einer
Seele von der anderen aus. – Die Bewusstwerdenskraft führt das gesamte
Mensch-sein ständig der Person zu und ist somit deren „Lebenszuführerin“. Damit
wird sie zur wichtigsten Lebensfunktion, mittels derer das Mensch-sein selbst
an die Person herangebracht wird; so tritt die Bewusstwerdenskraft auf gleiche
Werthöhe mit der Person selbst.
2624 |
Schon vor der Zeit der Reife der selbstständigen
Person wirkt die gleichzeitig mit der Person sich entwickelnde
Bewusstwerdenskraft im Unterbewusstsein auf die Person ein, vorerst als
physische Rückwirkung (weil nämlich die höhere geistige Empfindungsfähigkeit
eine längere Entwicklungszeit beansprucht). Mit der Reife der Person, d. h. mit
der selbstständigen Persontätigkeit, ist auch der andere Hauptfaktor der
menschlichen Seele und des menschlichen Lebens, nämlich die
Bewusstwerdenskraft, auf die Werthöhe der Person gebracht, von der das Menschenleben
dann getragen wird. Dabei kann die geistige Ausbildung in hohem Maße zu einer
Verfeinerung des Bewusstwerdensaktes beitragen, der seinerseits wiederum
unmittelbar auf die Person selbst einwirkt. Auf diese Weise wird damit das
ganze Empfindungsleben des Menschen in die Höhe gehoben und gewinnt der Mensch
durch Ausbildung an geistiger Werthöhe.
2625 |
Bei mir wird nun gegenwärtig der
Bewusstwerdensakt (und dessen Auswirkungen auf das Empfindungsvermögen) auf
eine völlige Umstellung oder Umschaltung vorbereitet. Die „normale“ persönliche
Aktivität des Bewusstwerdensaktes wird nicht mehr von mir selbst vollzogen,
sondern es tritt auch hierin eine Passivität ein, die sich meinem persönlichen
Einfluss entzieht. Die Erlebnisse wirken, wie mir scheint, nur noch auf das
Unterbewusstsein ein und werden nicht mehr – wie es im gewöhnlichen Zustande
geschieht – von mir persönlich erlebt. Die Aktivität meines „Person-Antriebes“
wird gleichsam beiseitegestellt, und dadurch werden meine Geistes- und
besonders meine Bewusstwerdenskräfte ganz für das Erleben der göttlichen Person
des Erlösers freigestellt und vorbereitet. – Eine Zwischenstufe in diesem
Umschaltungsprozess ist die früher beschriebene „Heraushebung aus der
gewöhnlichen Art“ des Lebens.
2626 |
In Christus war die Bewusstwerdenskraft seiner
Seele der schon von Anfang an „fertigen Person“ angepasst und sie bewegte sich
vom Augenblick der Menschwerdung an auf der „Werthöhe“ der göttlichen Person,
nicht als ob sie jemals deren wesentliche Werthöhe hätte erreichen können,
sondern insofern sie die notwendige Anpassung zur Dienstleistung und Mitarbeit
mit der göttlichen Person besaß. In Anbetracht der göttlichen Werthöhe dieser
Person kann man sich einigermaßen einen Begriff bilden von der Freiheit der
Bewusstwerdenskraft Jesu, die unmittelbar Gott als Instrument diente. Die Seele
Jesu musste ja in ihren Funktionen dem Wesen Gottes angepasst sein, wenn anders
das gottmenschliche Leben Christi wirklich ein harmonisches sein sollte, wie es
tatsächlich war. Die höchste dieser – unmittelbar der göttlichen Person
dienenden – Seelenkräfte Jesu war aber die Bewusstwerdenskraft, die sofort im
Augenblick der Menschwerdung Tätigkeit trat und mittels deren die Menschwerdung
in das göttliche Bewusstsein Christi trat. Mittels dieses bedeutungsvollen
Aktes der Seele Jesu „erlebte sich die göttliche Person als Mensch“.
2627 |
Die Bewusstwerdenskräfte erfuhren aber auch in
der Seele Jesu – ebenso wie die übrigen menschlichen Kräfte Jesu ähnlich, wie
die Kräfte unserer menschlichen Seele – eine gewisse Entwicklung und
„Ausdehnung“ entsprechend den für die menschliche Natur geltenden Gesetzen;
entsprechend diesem Wachstum wurde darum auch in Christus das gesamte
Menschsein steigend in immer größerer Fülle seiner göttlichen Person zugeführt.
Darin liegt ein ganz großes Wunder der ewigen göttlichen Liebe, dass sie sich
selbst dem Gesetze des Werdens und Wachsens eines Menschenkindes hingab. Diese
unbegreifliche Liebestat des Erlösers hatte zur Folge, dass sein ganzes
Menschenleben in all den jeweiligen Entwicklungsstufen – und schon in seinen
ersten, so armen Anfängen im Mutterschoße – erlebnisfähig und erlebt an die
göttliche Person herantrat. Mit der Annahme der menschlichen Seele hat sich ja
Jesus ganz deren Funktionsart überliefert, und die Seele übte im Wesentlichen
die gleichen Funktionen gegenüber der göttlichen Person aus, wie unsere Seele
gegenüber unserer menschlichen Person. So erlebte die göttliche Person das
Mensch-sein nach Art unseres Mensch-seins, aber entsprechend der
unveränderlichen, wesentlichen Werthöhe einer göttlichen Person.
2628 |
Von der moralischen Werthöhe ist zu
unterscheiden die psychologische Werthöhe oder die psychologische
Anpassungsfähigkeit der Seele an Gottes Wesen und Wirken, ihre psychologische
„Ebene zu Gott“. Diese psychologische „Ebene zu Gott“ als Funktionseigenart der
Seele setzt eine entsprechende moralische Werthöhe voraus und bildet das
Grundgeheimnis der Dienstfähigkeit einer Seele gegenüber der göttlichen Person.
Schon die von der Würde der göttlichen Person geforderte moralische Werthöhe
der Seele Jesu stellte an die physischen und psychischen Kräfte des
Gottmenschen Ansprüche, die in Worten niemals zu erklären sind. Noch
unbegreiflicher aber für unsere Begriffe und ein noch größeres Wunder als
selbst jene moralische Werthöhe war doch die psychologische Werthöhe der Seele
Jesu, die dadurch unmittelbar als Lebenswerkzeug für den Dienst der göttlichen
Person beansprucht werden konnte und die wirklich verwendet wurde für den
Dienst dieser Person, die ihre Eigenart auf die Seele ausübte und wirken ließ.
Wenn wir bei den Menschen gewöhnlich vom Physischen auf das Geistige, vom
wachsenden Menschenleib auf die geistige Entwicklung schließen, wenn uns also
das Physische in etwa zur Erklärung und zum Verständnis des Geistes anderer
Menschen verhilft, so war es im Gegenteil in Christus das Geistig-Göttliche,
das auch sein physisches Leben und dessen Lebensart beherrschend bildete, wenn
auch im Einklang mit den Naturgesetzen.
2629 |
Selbst im Mutterschoß konnte das wesentliche
Gott-Sein Christi nicht vermindert werden, aber die göttliche Person hat sich
doch in unbegreiflicher Weise „erniedrigt“, indem sie sich erlebnisfähig machte
für die seelisch-menschlichen Erlebnisse eines wahren Menschenlebens. Wir
können uns die unermessliche Erniedrigung der göttlichen Person einigermaßen
nahe bringen, wenn wir bedenken, dass Jesus als Gott sich den
menschlich-seelischen Funktionen hingab und diese als göttliche Erlebnisse
übernahm. Damit „erlitt“ die göttliche Person tatsächlich ihr Mensch-sein; sie
war selbst „Mensch“ und erlebte dies mit der ganzen Fülle und Feinheit der
Erlebniskraft ihrer Seele. Wenn auch die Funktionsart der Seele Jesu weit
vollkommener an Wille und Feinheit als die unserer gewöhnlichen Seele war, so
waren ihre Funktionen doch im Wesentlichen die gleichen wie in unserer Seele. –
Christus hat sich den, vom Schöpfer der Menschennatur gegebenen Gesetzen
unterstellt und hat sich damit der Auswirkung des jeweiligen Augenblickes und
Zustandes seiner Seele überantwortet, denn die Seele kann als geschaffenes
Wesen nicht ihren (normalen) Funktionsfähigkeiten vorauseilen. Zwar blieb das
göttliche Wissen als unveränderliche göttliche Vollkommenheit in Jesus
bestehen, aber es hob die Erlebniskraft seiner Seele für gewöhnlich nicht auf,
sondern die Seele führte gleichwohl der göttlichen Person in menschlicher Weise
die menschlichen Erlebnisse zu, die von dieser als göttliches Erleben empfunden
wurden, entsprechend dem Zweck der Menschwerdung und Erlösung. So kann man die
Leiden Christi nicht mit unseren Leiden auf die gleiche Stufe stellen, denn die
Art und Tiefe des Empfindens widriger Erlebnisse wird bestimmt durch die Art
und Tiefe des Bewusstwerdensaktes; die Leiden Christi aber bewegten sich wohl
innerhalb der psychisch-physischen Empfindungsfähigkeit seiner Seele und deren
Bewusstwerdenskraft, jedoch auf göttlicher Werthöhe – zum Unterschied von uns,
die wir von einer menschlichen Person mit menschlicher Werthöhe getragen sind.
Diese geistige Spannung in Christus dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren.
2630 |
Das Grundgeheimnis dieser Höhe der
psychologischen Betätigung der Seele Jesu lag in ihrer „natürlichen (wie zur
Natur oder zu einem Naturzustand gewordenen) Ebene zu Gott“. – Schon eine hohe
moralische Vollkommenheit stellt ganz große Anforderungen an das
Gesamt-Menschsein und an die psychologische Betätigung eines Menschen. Müsste
z. B. ein grob-sinnlicher Mensch ohne weitere Vorbereitung plötzlich eine hohe
sittliche Vollkommenheit in sich aufnehmen und mit ihr leben, so wäre dies bei
allem guten Willen für ihn doch eine schier erdrückende Last. Es sind eben in
einem solchen Menschen noch nicht die psychologischen Voraussetzungen und
Bedingungen vorhanden, um eine hohe sittliche Vollkommenheit in sich tragen und
mit ihr leben zu können. Die Seelenkräfte und das psychisch-physische Empfinden
müssten erst entsprechend umgebildet und vorbereitet werden, denn – abgesehen
von dem immerhin möglichen Fall eines ganz besonderen Eingreifens des Schöpfers
– ist die menschliche Natur auf eine ihrem organischen Wachstum angepasste
Erhöhung ihrer Werthaftigkeit angelegt. – Weit höher als die moralische
Werthöhe steht die auf ihr aufbauende psychologische Werthöhe der vollkommenen
Anpassung oder der „Ebene zu Gott“; diese stellt auch noch weit höhere
Anforderungen an die geistige Feinheit und Empfindungsfähigkeit der Seele. –
Die gewöhnliche Seele „kennt Gott nur im Glauben“, erfährt ihn aber nicht in
seinem Wesen. Eine bewusste Annäherung an Gottes Wesen setzt auch eine
entsprechende Anpassung voraus, sei es durch Studium, wodurch der Mensch dem
Begriff „Gott“ irgendwie näherkommen kann, sei es durch die psychologische
Annäherung eines erworbenen Vereinigungszustandes. In jedem Fall ist aber eine
vorherige Umbildung und psychologische „Annäherung“ an das Ziel notwendig, um
jene moralische und psychologische Höhe – die der Seele Christi ähnlich macht –
in sich tragen zu können.
2631 |
Als ähnlich mit der Seele Jesu wurde mir
wiederholt die „Paradiesesseele“ gezeigt, besonders in ihrer „natürlichen Ebene
zu Gott“. Diese „Ebene zu Gott“ in der Paradiesesseele war aber noch nicht mit
ihrer moralischen Vollkommenheit gegeben, sondern verlangte darüber hinaus
einen Überschuss an moralischen Energien, eine Überfülle schon geläufiger
sittlicher Kräfte und Fertigkeiten, die nicht mehr der „Übung“ bedurften, und
die auch eine volle psychologische Ausgeglichenheit und eine entsprechende
psychologische Betätigungsvollkommenheit und Werthöhe gaben. Dabei sind auf dem
Wege der Annäherung zu Gott immer die vornehmsten Seelenkräfte, die rascher
vorankommen und einen gewissen Vorsprung gewinnen, bis es nach geraumer Zeit zu
einer vollen Abrundung und Anpassung der Fertigkeiten der Seele im Allgemeinen
kommt.
2632 |
Das Leben der Paradiesesseele bewegte sich auf
einer „bewussten Ebene zu Gott“, und zwar war dies bei ihr wie ein zur Natur
gewordener Zustand. Ihre Fähigkeiten konnten Gott bewusst erfassen und sie
bewegten sich dauernd im Wissen und Erfahren Gottes, denn neben ihrer
psychischen1055 Höhe war noch ein besonderes und dauerndes
(übernatürliches) Verstandeslicht in den ersten Menschen tätig, das ihre Seele
in ein bewusstes Wissen um Gott versetzte. Ferner waren die einzelnen
Fähigkeiten der Seele so verfeinert und vergeistigt, dass sie diesen Zustand
dauernd ertragen und sich darin mühelos bewegen konnten. Die ganze Tiefe dieses
Geheimnisses lag nicht so sehr im bewussten Erfassen Gottes, als vielmehr in
der Fähigkeit ihres Geistes, sich dauernd in diesem erhabenen Zustand bewegen
zu können.
2633 |
Diese psychologische Höhe der Paradiesesseele
erlaubt einen Schluss auf die noch weit höhere und vollkommene Tätigkeit der
Seele Jesu, die auf die Höhe Gottes versetzt war und die Fähigkeit besaß, mit
ihren einzelnen Funktionen sich Gott zu nähern und in den unmittelbaren Dienst
der göttlichen Person zu treten. Diese Tatsache kann uns einen leisen Begriff
geben von der Feinheit und Erhabenheit ihrer Funktionen, z. B. ihrer
Bewusstwerdenskraft, die das menschliche Leben Jesu der göttlichen Person
zuführen und sie dieses als göttliches (oder gottmenschliches) Leben empfinden
lassen konnte. Auf die Erhabenheit der seelischen Funktionen Jesu können wir
ferner daraus schließen, dass anderseits durch sie göttliches Leben an die
Seele selbst und damit auch1056 an das physische Leben Jesu übermittelt
wurde. Die Bewusstwerdenskraft der Seele war immer der wesentliche Punkt, die
geistige Spirale, die in Christus zwischen Göttlichem und Menschlichem stand
und eine gewisse Schlüsselstellung einnahm.
2634 |
Der gewöhnliche Mensch empfindet noch nicht
bewusst die Mängel seines ersten, werdenden Lebens oder die physischen und
psychischen1057 Mängel seiner natürlichen Lebensspender. Das
werdende Leben trägt aber die Folgen der bestehenden Mängel, die sich später in
physischer und geistiger Hinsicht auswirken werden und dann im „bewussten
Leben“ ein wirkliches Fehlen nicht vorhandener höherer Lebensmöglichkeiten
bedeuten werden. Hätte aber das Kind schon vom ersten Augenblick seines Daseins
an das Bewusstsein, wie würde es unter den Mängeln seiner natürlichen Lebensspender
leiden!
2635 |
In Maria nun waren infolge ihrer
Unversehrtheit wohl in höchstem Maße jene Lebensmöglichkeiten vorhanden, deren
die göttliche Person bedurfte, um sich damit ein möglichst vollkommenes
Menschenleben zu schaffen. Und im Schoße Mariens bildete eine „bewusst tätige
Person“ sich ein menschliches Dasein und formte es für die Zwecke und Absichten
dieser göttlichen Person. Sie zog alle in Maria vorhandenen natürlichen
Lebensmöglichkeiten heran, und formte sich damit ein gottmenschliches Leben. Als
bewusst tätige Person hätte das göttliche Wort etwaige Mängel nach dem
allgemeinen Naturgesetz leidend empfinden müssen, aber bei der besonderen
Vorbereitung Mariens für ihren Gottesmutter-Beruf waren in ihr jene physischen
Eigenschaften und Vorzüge gegeben, die der göttlichen Person in möglichst
vollkommener Weise dienen konnten. Aber wenn auch in dieser Hinsicht das ewige
Wort sich in Maria eine ebenbürtige Lebensspenderin gewählt hatte, so bedeutete
doch der Akt und die Tatsache der Übernahme eines werdenden Menschenlebens für
sich allein schon eine geheimnisvolle, unaussprechliche Verdemütigung für den
Sohn Gottes.
2636 |
Mit dem Akt der Menschwerdung wurde aber das
Menschsein mit all den gewöhnlichen menschlichen Lebensbedingungen zum
ständigen Erlebnis der göttlichen Person des Wortes. Die Seele Jesu führte
dieses ohnmächtige, geschaffene Dasein ständig der göttlichen Person zu und es
wurde damit zum göttlich bewussten, menschlichen Leben. Dieses Bewusstwerden
Christi als Mensch zog immer weitere Kreise, je mehr die verschiedenen
leiblichen und seelischen Lebensmöglichkeiten sich entfalteten und sich zu
einer gewissen Vollendung zusammenschließen.
2637 |
Der inneren Anregung folgend will ich einige
allgemeine Bemerkungen oder Erklärungen niederschreiben.
2638 |
Es gibt für die mystisch geführte Seele im
geistlichen Leben keine eigentlichen „Wiederholungen“. – Schon das erste
mystische Erlebnis ist für die Seele so überwältigend und so inhaltsreich, dass
sie ein Überbieten oder eine Erhöhung desselben nicht für möglich halten kann.
Jedes mystische Gotteserlebnis scheint der Seele dann „neu“ wie das erste Mal.
Tatsächlich ist auch jedes weitere Erlebnis für die Seele etwas „Neues“, vorher
nicht Erlebtes, weil die Seele in Wirklichkeit auf der gleichen Grundlage der
früheren Erlebnisse immer „neue Tiefen Gottes“ erfährt. – Ferner ist die Seele
in der Zeit des Erlebens Gottes in eine solche „Gegenwartsstellung“ versetzt,
dass sie sich dabei gar nicht denken konnte, schon einmal in diese Vereinigung
versetzt gewesen zu sein; im Augenblick des mystischen Gotteserfahrens ist
vielmehr die Seele ihrem persönlichen Denken oder dem Überschauen und
Vergleichen des gegenwärtigen Zustandes enthoben; sie ist dem Leben eines
gegenwärtigen Augenblicks hingegeben und kann sich nur dann über ihren Zustand
orientieren, wenn sie von der führenden Gnade dazu veranlasst und angeleitet
wird oder wenn ihr der Herr zugleich ein noch höheres Ziel der Vereinigung in
Aussicht stellt. Immer aber scheint der Seele das jeweilige Erfahren Gottes als
das höchstmögliche an Genuss für die Seele selbst. Der Genuss Gottes bleibt für
die Seele immer „neu“ und inhaltsreich, obwohl Gott in der Seele niemals
„ruht“, sondern vielmehr sie immer wieder auf eine höhere Stufe der mystischen
Ordnung hinleitet und sie darauf hinbewegt durch die Sehnsucht nach einem
höheren Einssein mit Christus.
2639 |
„Wiederholungen“ findet daher nur der
Außenstehende, weil er für das sich immer wiederholende Gegenwartsleben der
Seele keinen Sinn hat. Das mystische Leben bleibt für die Seele im Grunde immer
ein Gegenwartsleben, weil sie für gewöhnlich ihren eigenen Fortschritt nicht
erfassen kann. Der Fortschritt selbst kann der Seele nur in ruhigen Zeiten,
durch eine besondere Gnade oder durch die Leichtigkeit des Überwindenkönnens
der verschiedenen Schwierigkeiten zum Bewusstsein kommen. Für gewöhnlich aber
bleibt der betreffenden Seele ihr eigenes Inneres durch ein verdemütigendes
Dunkel bedeckt, begleitet von einer gewissen „Unzufriedenheit“ über den
geringen Fortschritt – es sei denn, dass der Heiland sie ihren Fortschritt als
Tröstung oder Ermunterung zu mutigem Vorwärtsstreben schauen lässt. Nach meinem
eigenen Erfahren wachsen im Grunde immer das eigene Schwächegefühl und die
Unzufriedenheit über die eigene Ohnmacht und den geringsten geistigen
Fortschritt. Je höher die Seele kommt, desto ärmer fühlt und erlebt sie sich.
Im tiefsten Grunde fühlt sie selbst sich niemals „fortgeschritten“, auch wenn
sie sich über frühere Schwierigkeiten und Kämpfe längst hinausgehoben sieht.
2640 |
Wenn sich das wiederkehrende mystische
Vereinigungserleben als „Wiederholung“ bezeichnen ließe, dann müsste man
schließlich auch die Anschauung Gottes im Himmel eine beständige „Wiederholung“
nennen, weil es sich auch im Himmel im Grunde immer wieder um das Gleiche
handelt – und trotzdem ist den Seligen im Himmel die Anschauung und das
Genießen Gottes immer eine „Neuigkeit“ (andernfalls gebe es sogar in der
Ewigkeit des Himmels eine unerträgliche Langeweile, was zu denken unsinnig
ist). Bei Gott gibt es eben keine Einseitigkeit und keine „Zeit“ wie bei den
Menschen; Gott ist vielmehr immer eine gegenwärtige Neuigkeit oder das Neue der
Gegenwart. Auch das geistliche Leben muss – wenn es wirklich dem Fortschritt
der Seele dienen soll – ein beständiges Gegenwartsleben mit Gott sein; es muss
immer das „Jetzt“ des Augenblicks für sich selbst und für Gott erfassen und
ausnützen, und das gibt dann eine immerwährende Frische im religiösen Leben und
Fortschreiten.
2641 |
Eine andere Unklarheit könnte jemand aus
meinen Aufzeichnungen insofern herauslesen, als ich mich wiederholt wie in
einem „Vollendungszustand“ erlebte, der mir für meine geistige Aufgabe vom
Heiland in Aussicht gestellt wurde – während dann doch immer wieder neue Stufen
der Erhebung zu noch höherer Vereinigung folgten. – Dazu wird mir von der
inneren Führung erklärt: Würde eine getaufte Seele sich im Zustand ihrer
Taufunschuld bewusst erleben, so müsste auch sie annehmen, es mangle ihr
eigentlich [an] nichts mehr, um der Anschauung und des Besitzes Gottes, dessen
sie sich fähig sähe, teilhaftig zu werden. Könnte dann eine fortgeschrittene
Seele ihre Fähigkeit Gott zu genießen, erfahren, so würde auch diese Seele
staunen über ihre geistige „Vollendung“, die ihr infolge der Teilnahme an Gott
durch die heiligmachende Gnade zuteilgeworden ist. Und so gilt es bei allen
weiterfolgenden Höhewegen zu Gott. Für gewöhnlich bleibt uns wohl die schon
erlangte Stufe der Vereinigung mit Gott verborgen; würde er sie uns aber
bewusst erleben lassen, so könnten wir nur darüber staunen, wie Großes wir
schon in Gott erreicht haben oder vielmehr, welch unermessliche Güter uns durch
die Erlösung geschenkt wurden; denn durch die Teilnahme an den
Erlösungsfrüchten Christi wird uns ja im Grunde „Gott“ geschenkt. Und diese
Schenkung Gottes durch Christus ist in sich schon das Unfassbare und Unendliche
für jede Seele, das, was sie in gewissem Sinne vollends fähig macht für den
Besitz Gottes.
2642 |
Ähnlich lässt auch im mystischen Leben der
Heiland die Seele in einem besonderen Bewusstwerden ihres Zustandes meist das
„Wesentliche“ ihres erreichten Zieles erkennen, das vor der schauenden Seele
einer in sich abgeschlossenen Wegstrecke ähnlichsieht – falls der Herr nicht
gleichzeitig ein weiteres, noch zu erreichendes Ziel in Aussicht stellt. So setzt
sich mein ganzes bisheriges Innenleben aus „Stufen“ und immer weiteren
Erhöhungen zusammen, die immer wieder auf eine Höhe gestellt wurden, in der
alle Stufen der Vergangenheit und der Zukunft als in ihrem Gesamtziel
zusammengefasst und eingeschlossen waren. Wiederholt wurde ich im Vorauserleben
in dieses Gesamtziel versetzt und schaute ich mich darin „vollendet“. Wir
Menschen sind nun aber von Natur aus gewohnt, dass Erfassbare und Greifbare als
unser eigen zu betrachten und zu nehmen, uns an das Konkrete zu klammern (auch
wenn dieses „Konkrete“ in geistigen Gütern besteht); wir haben immer zu wenig
geistige Unterscheidungsgabe und anerkennen zu wenig die geistig geschenkten
Güter der Gegenwart; wir können meist die uns schon geschenkten und wirksamen geistigen
Güter zu wenig von Gott selbst unterscheiden. Infolge der Verdunkelung des
Verstandes ist unsere Seele für gewöhnlich im Dunkel über die Wege der Gnade
und sie kann von sich aus nicht ein „Mehr“ an Gnade anstreben, weil ihr dies
nur durch übernatürliche Gabe gewährt werden kann. Hat aber die Seele einmal
mit besonderer Gnade ihren Zustand erfasst, so ist der jeweilige Genuss für sie
so überschwänglich, dass er ihr wie ein überreiches „Genug“ erscheint. – Oft
versetzt der Heiland in das Erleben des Idealzustandes, und zwar ohne
Abgrenzung der Zwischenstufen, die in Wirklichkeit noch davon trennen. Er tut
das, um die Seele bei der Länge und Beschwerlichkeit des Aufstieges zu trösten
und um sie zu ermuntern, indem er den Weg „kürzer“ erscheinen lässt oder
wenigstens die ganze Länge des Weges noch weise und gütig verbirgt. Ein
Außenstehender ist aber von vornherein geneigt, die geschriebenen Worte, die –
wie es mit den menschlichen Worten fast immer geht – eine verschiedene Deutung
zulassen und die vielfach ihren wahren Sinn nur durch den Bezug auf die
betreffende Seele erhalten, nach seiner eigenen Einstellung und Meinung
auszudeuten, während die betreffende Seele selbst, von der Gnade geführt, die
notwendigen Unterscheidungen macht und voraussetzt, auch wenn diese schon der
Kürze und Einfachheit wegen nicht in Worten ausgedrückt oder geschrieben
werden. Bei der Armut der menschlichen Worte im Vergleich zur Vielgestaltigkeit
und zum Reichtum des seelisch-göttlichen Erlebens muss man ferner oft das
gleiche Wort gebrauchen für Erlebnisse, die an Höhe und Bedeutung weit
auseinanderliegen. So können beim Leser viele Irrtümer entstehen, die er dann
leicht als Täuschungen des Schreibenden zu bezeichnen geneigt ist. Es müsste
aber an sich jeder Außenstehende die verschiedene Möglichkeit der Bedeutung und
Deutung eines und desselben Wortes1058 oder Ausdrucks bedenken und
zugeben; es handelt sich dann darum zu wissen, in welchem Sinne der Ausdruck
von der Seele selbst genommen wurde und das wird vielfach nur in mündlicher
Aussprache möglich sein.
2643 |
Ferner ist zu bedenken, dass sich die
göttliche Führung immer der Eigenart und dem geistigen Bildungsgrad der
betreffenden Seele anpasst; ja, Jesus spricht zur Seele „in ihren Worten“ und
entsprechend ihrer Auffassungsgabe. Oft sind es auch rein geistig erfasste
„Worte“, die dann in menschlich ausdrückbare Worte gekleidet werden müssen.
Menschliche Worte können aber nur selten das, vom Herrn geistig zu verstehen
Gegebene voll ausdrücken, und die Seele befindet sich oftmals in der
Unmöglichkeit, mit einem menschlichen Worte die vielseitige und tiefe Bedeutung
des geistig Erfassten wiederzugeben, während sie anderseits sich in der Notwendigkeit
sieht, ein „hartes“ Wort dafür zu finden. Es liegt aber in der Eigenart Gottes,
seinen Einsprechungen vielfach eine mehrseitige und geheimnisvolle Bedeutung
mitzugeben. Gottes „Worte“ sind geistig und „schmiegsam“, ich möchte sagen: wie
das Wasser, das aus der Quelle kommt und sich nach vielen Seiten hin verteilen
kann, wenn es nicht sofort in ein Flussbett eingefasst wird, d. h., wenn sich
die Einsprechung nicht unmittelbar auf eine bestimmte Sache bezieht und auch in
diesem Falle können noch verschiedene Umstände und Zeitmomente usw. in der
Einsprechung geheimnisvoll verborgen sein. Für die Seele selbst besteht wohl
die Pflicht, das für sie klar Erfassbare anzunehmen und das Nächstliegende
auszuführen oder geschehen zu lassen, ungeachtet dessen, dass Gott in einem
solchen Falle noch tiefere und verborgenere Absichten vorhaben kann. – Nach
meiner Erfahrung ist aber sicher: Der Heiland führt die Seele nie einen Weg,
der über ihr Verständnis hinausgeht, und bei gutem Willen wendet er der Seele
alles zum Guten; wenn auch bestehende Dunkelheiten eine Quelle von
Verdemütigungen für die Seele sein können, so macht er diese wiederum zu ihrem
geistigen Fortschritt dienstbar.
2644 |
Was den Ausdruck „die Ebene zu Gott“ betrifft,
der sich in meinen Aufzeichnungen wiederholt findet, will ich damit auf keinem
Fall sagen, es sei eine wirkliche und eigentliche Ebene zu Gott; denn diese
kann kein Mensch und nicht einmal die Engel haben. – Dieser Ausdruck soll
vielmehr besagen: Die Möglichkeit eines erfahrungsmäßigen Verkehr mit Gott; was
der Seele für gewöhnlich nicht gegeben ist und wozu sie nur mittels besonderer
entsprechender Vorbereitung geführt werden kann. – Meist erfasse ich diese
geistige Verkehrsmöglichkeit wie ein „Ich und du“ der Seele zu Gott oder wie eine
zu Gott hinführende Linie oder „Ebene“ und darum bezeichne ich diese
Möglichkeit kurz mit dem Ausdruck „Ebene zu Gott“. Trotz der wesentlichen und
ewig überragenden Majestät Gottes hört nämlich tatsächlich der Abstand zwischen
Gott und der Seele insofern auf, als Gott sich liebend zur Seele herablässt und
sie an seiner göttlichen Liebe und am Genuss seines beseligenden Wesens
teilnehmen lässt. Es ist also die Herablassung Jesu zur armen Seele, wodurch
diese sich wie auf einer „Ebene und Linie“ der Verkehrsmöglichkeit befinden
kann. Die begnadete Seele erfährt diese Herablassung Gottes „wie eine Ebene“,
die es ihr gestattet, Gott zu erreichen, während für einen Außenstehenden, der
Ähnliches nicht erfahren hat, dieser Ausdruck „hart“ klingen und den Anschein erwecken
kann, als wolle man sich auf einer eigentlichen Ebene mit Gott bewegt haben
oder bewegen. Aber selbst Maria, die Mutter Jesu, wurde erst durch ihre
Makellosigkeit und ihre persönliche Heiligkeit in die Nähe Gottes „erhoben“ und
auf diese Weise „dem Wesen Gottes näher gebracht“, und das machte es ihr
möglich, „Mutter Gottes“ zu werden. Und obwohl sie so zu hoher Würde und
Einheit mit Gott erhoben war, darf niemand annehmen, dass sie deshalb auf einer
eigentlichen „Ebene mit Gott“ gestanden habe.
2645 |
Mit dem Ausdruck „Ebene zu Gott“ bezeichne ich
also jenen innerlich erkannten „bewussten Zustand der Einheit und
Verkehrsfähigkeit zwischen Gott und der Seele“; ähnlich wie die Liebe zweier
Menschen zueinander diese auf eine gewisse gegenseitige „Ebene“ bringt, so
stellt die Güte und Liebe Gottes eine gewisse Ebenmäßigkeit und
Verkehrsmöglichkeit mit der geliebten Seele her. Auch unter Menschen braucht es
eine gewisse gegenseitige Anpassung und Gleichförmigkeit, um zwei liebende
Seelen zu jener „Liebes-Ebene“ zusammenzuführen, falls eine Person an sich die
Andere an Wert weit überragt. – Es wird also auch beim Ausdruck „Ebene zu Gott“
versucht, dem innerlich Erfassten einigermaßen einen Ausdruck zu geben, was oft
nur in einem Bilde geschehen kann, während der Außenstehende (dem das innerlich
Erfasste erst nahegebracht werden muss) versucht ist, den Ausdruck
„buchstäblich“ zu nehmen. Dieser Ausdruck ist für mich der Eindruck der
„schauenden Seele“, mit dem ich das innerlich Erfasste erklären will.1059
Tatsächlich ist aber auch nicht einmal der niederste Grad mystischer Gnade
möglich, wenn nicht durch Gottes herablassende Güte mittels einer „höheren
Erhebung der Seele zu Gott“ eine gewisse „Ebene Gottes zur Seele oder der Seele
zu Gott“ – also auf der Grundlage einer tatsächlichen Gnadenerhöhung –
hergestellt wird. – Wenn ich diesen Ausdruck auf meinem Fall anwende, so
verstehe ich darunter jene Anpassungsfähigkeit, die meine geistige Aufgabe
verlangt. Wenn ich den Ausdruck „Ebene zu Gott“ auf die Erlöserseele anwende,
so bezeichne ich damit jene höchste Fähigkeit der Seele Jesu, die es ihr
möglich machte, der göttlichen Person eine „dienstfähige Ebene“ zu bieten;
vorausgesetzt bleibt aber dabei immer die Wahrheit und Tatsache, dass auch die
Seele Jesu ein geschaffenes endliches Wesen blieb und darum trotz ihrer
höchsten Ausstattung tief unter der göttlichen Person stand, was ihre
eigentliche Werthöhe in sich selbst betrifft.
2646 |
Ich lebe „mich selbst“ als unaussprechlichen
Seinsgenuss, der mich aber abschließt vom Bewusstwerden der früheren Art meines
Lebens. Ich bin wie ganz allein, und dieses „Alleinsein“ bildet einen ständigen
Strom des Genusses. Ich „genüge mir vollkommen“ im Bewusstwerden der eigentlichen
Quelle meines Seins.
2647 |
Ich muss bestätigen: Es ist wahr, was ich
früher geschrieben habe über die Umschaltung des Bewusstwerdens der früheren
Art meines Lebens, und zwar als Vorbereitung für das Erleben der göttlichen
Person Christi. Die Wirklichkeit des heutigen Erlebens übersteigt aber weit die
schwachen Worte, mit denen man diese Umstellung erklären kann. – Ich stehe
jedoch vor weiteren geistigen Erhöhungen: „Ich selbst werde mir zur Quelle des
Erlebens meines Seins und Wesens“.
2648 |
Ich lebe mich „selbst“ so stark, dass dieses
neue Leben durch nichts anderes mehr gestört oder beeinträchtigt werden kann,
weder durch meine vorhergehende Lebensart, noch durch meine Umgebung. Ich bin
mir selbst wie zu einer starken Burg geworden, an der alles außer diesem meinem
neuen Leben Stehende abprallt.
2649 |
Wenn ich mich früher im Vorausleben in einem
„unmittelbaren Zustand im Heiland“ erlebt habe, so bin ich nun gleichsam selbst
dieser „unmittelbare Zustand“ geworden, und dies wird mir erklärt als
folgerichtige Auswirkung des allgemeinen Geheimnisses der Gnade. Durch die
Gnade lebt nämlich Christus in uns und leben wir von seinem Leben, und ich
erfahre dies infolge einer besonderen Gnade und im Zusammenhang und im
Anschluss mit meiner besonderen Aufgabe für die hl. Kirche.
2650 |
Die erste Tätigkeit der Bewusstwerdenskraft
der Seele Jesu im Augenblick der Menschwerdung bestand darin, dass sie der
göttlichen Person des Wortes ihre veränderte Lage, d. h. die nunmehrige „Art
ihres Lebens“ zuführte. Diese Tätigkeit der Bewusstwerdenskraft wurde zugleich
von der göttlichen Person aufgenommen, und diese Mitbetätigung der göttlichen
Person war notwendig zur Bestandsmöglichkeit ihrer nunmehrigen Situation.
2651 |
In und infolge der Menschwerdung hat sich das1060
ewige Wort gleichsam „an eine seelische und menschliche Bestandsmöglichkeit
überliefert“, hat sich sozusagen daran gebunden, war auf sie angewiesen und
wurde naturgemäß von ihr bedient. Infolge dieses ersten Aktes der
Bewusstwerdenskraft war das Menschsein Christi tatsächlich in das göttliche
Bewusstsein der Person des Wortes aufgenommen und diese stellte nun alle
notwendigen Forderungen an die seelischen Kräfte, die ihr dieses Menschsein
ermöglichen sollten. Dies war ein entsprechender Gegenakt der göttlichen
Person, eine erste Anregung der Person an die Dienstbarkeit der Seele selbst.
2652 |
Dieses erste „Zusammenleben“ des Göttlichen
mit Menschlichem bewirkte als Reaktion in der göttlichen Person eine
„Zustands-Erkenntnis“ ihrer jetzigen Lage, und zwar ein Sich-Erfassen und Umfassen
mittels menschlicher Kräfte. Infolge seines göttlich-wesentlichen Bewusstseins
blieb Jesus zwar „Gott“ ohne Verminderung seiner selbstigen Würde, aber infolge
des Umfasstwerdens von menschlichen Kräften empfand er die neue Lage doch
gewissermaßen wie einen Widerspruch gegen sein göttliches Wesen und eine
gewisse äußere Verminderung1061 seiner „Würde“. Dieses „Empfinden“
in seinem göttlichen Bewusstsein, hervorgerufen mittels menschlicher Kräfte,
kann man als den ersten „Schmerz“ bezeichnen, in den der Erlöser sich versetzt
„fühlte“ (– freilich „fühlt und empfindet“ Gott nicht auf menschliche Weise;
sein Wesen ist vielmehr Tat und Wirklichkeit, die aus seiner
göttlich-wesentlichen, ewigen und „dreifaltigen“ Liebestätigkeit entspringt;
aber wir Menschen können uns nun einmal nicht anders einen Begriff machen von
dieser wesentlichen Liebe Gottes und von den übrigen Vollkommenheiten Gottes,
als indem wir ausgehen und ableiten von unserer gefühlsmäßigen Handlungsart.
Ebenso können wir nur mit unseren „menschlichen“ Worten von Gott reden –). Um
sich als Mensch zu fühlen, braucht es menschliche Aktivität; und der Erlöser
hatte sich menschlicher Aktivität übergeben und machte sich diese menschliche
Betätigung zu seinem „göttlichen Naturgesetz“.
2653 |
Infolge der immerwährenden wesenhaften Einheit
Christi als göttliche Person mit dem Vater wurde schon jener erste Akt seines
Menschseins „im Vater und dem Vater dargebracht“. Und diese seine wesentliche
und untrennbare Darbringung vollzog Christus vor der göttlichen Gerechtigkeit
als göttliches Entschädigungsopfer im Namen der gesamten Menschheit. „In ihm
ist ja alles erschaffen, was im Himmel und was auf Erden ist … und alles hat in
ihm seinen Bestand“ und mittels der Erlösung hat alles in ihm neue
Lebensmöglichkeit erhalten. Christus hat uns „im Vater“ ein neues Leben
gebracht, und all dieses neue Leben bewegt sich nunmehr in Gott, im Vater.
2654 |
Diese wesentliche Einheit mit dem Vater, der
in der Zeit das Wort als „Erlöser“ zeugte, bedurfte an sich keiner Worte der
Hingabe an den Vater, sondern das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war „Sein“
als gegenseitige Verständigung. Mittels der Kräfte seiner menschlichen Natur
und Seele „betete“ und sprach der Erlöser aber auch „in menschlichen Worten“
zum Vater. An sich hätte schon jenes seinshafte Verhältnis des Gottmenschen zum
Vater genügt, um als vollkommenes Sühnopfer des Sohnes vom Vater angenommen zu
werden. – Als gewöhnliches und an sich immerwährendes Verhältnis bestand diese
Beziehung zum Vater während des ganzen Erlöserlebens Jesu, ja sie konnte im
Grunde infolge der göttlichen Einheit überhaupt nicht zerstört werden, obwohl,
menschlich gesprochen, „das Wort“ außerhalb dieses reingeistigen Verhältnisses
lebte und sich tatsächlich im Mutterschoße Mariens befand. Da aber Jesus sich
in allem seiner menschlichen Natur als dem mitwirkenden Werkzeug seines
Erlösungswerkes anpasste, so waren auch die Kräfte seiner Seele „seinshaft“ in
dieses, sein göttlich-wesentliches Leben hineingezogen1062 und
wurden in diesem „vergöttlichten“ Zustand vor dem Vater gebracht. (Damit ist
aber nicht gesagt, dass die Seele Jesu göttlich-seinshaft wurde, dass sie der
Gebrauchsart von der göttlichen Person „seinshaft“ genommen wurde)1063.
Die Seele Jesu war nun Gottes Eigentum und Werkzeug geworden, kraft dessen nun
Jesus sein seinshaftes Leben zugleich menschlich vor und im Vater lebte.
2655 |
Dieses Hineinziehen der Seele Jesu in den
göttlich-seinshaften Zustand im Vater gewann immer mehr an Ausdehnung mit der
immer wachsenden und sich in ihren Kräften immer mehr entfaltenden und
betätigenden Seele. Das Zusammen von Gott und Mensch in Christus wurde zu einem
Zustand im Vater. Auch die Seele hat als wirkliches Lebewesen in sich selbst
ihre Betätigungstriebe und diese wurden von der göttlichen Person, mit der die
Seele vereinigt war, auf höchste und edelste Weise herangezogen und als
dienende, menschliche Lebensmöglichkeit verwendet. Und die Seele bot sich
ständig all ihre besten Kräfte für den Dienst der göttlichen Person dar.
2656 |
Dieses Darbieten der vornehmsten und edelsten
Anlagen einer menschlichen Seele wurde für die göttliche Person selbst zu einem
menschlichen Lebensgenuss, zur Möglichkeit, auf menschliche Art Freude zu
empfinden. Wir dürfen beim Leben Jesu nicht nur an die Leiden denken; Jesus
„genoss“ vielmehr auch sein menschliches Leben in der erhabensten Form. Welche
Freude musste er z. B. trotz seiner ständig erlebten Erniedrigung im
Mutterschoß Mariens empfinden, in Anbetracht jener liebenden Bereitschaft, mit
der sich Maria dem werdenden Leben Jesu zur Verfügung stellte, und überhaupt in
solcher Einheit mit ihrer reinsten jungfräulichen Seele! Auch die freudvollen
Seiten des menschlichen Lebens wurden der göttlichen Person mittels der
Bewusstwerdenskräfte der Seele Jesu zugeführt. Bewusst-werden ist ja der Akt,
der uns in die Lage versetzt, jeden Augenblick die Art und die Umstände des
Lebens erfahren zu können.
2657 |
Mittels dieser menschlichen
Bewusstwerdenskräfte wurde anderseits auch der Seele Jesu das göttliche Leben
inne gemacht, und damit vollzog sich zugleich jener wichtige Akt in der
Menschheit Christi, mittels dessen auch das physische Leben des
Durchlebtwerdens durch die göttliche Wesenheit teilhaftig wurde und auch die
physischen Kräfte zum Dienste der göttlichen Person herangezogen wurden. In wunderbarer
Einheit teilten sich die beiden verschiedenen Naturen auch ihre freudvollen
Auswirkungen als gegenseitigen „Lebensgenuss“ mit, ähnlich wie es im
gewöhnlichen Menschenleben insofern geschieht, als der Geist auch die Wohltaten
des Leibes genießt und der Leib wiederum Anteil hat an den Freuden des Geistes.
2658 |
War der Bewusstwerdensakt der wichtige
Vermittlungsakt zwischen der göttlichen Person und der menschlichen Natur in
Christus, so stand der Zweck der Menschwerdung als Haupt- und Mittelpunkt im Bewusstwerdensakt.
Das „Warum“ der Menschwerdung des ewigen Wortes stand als bestimmendes und
ordnendes Prinzip zwischen den göttlichen und menschlichen Kräften in Christus.
Das Gesamt-Menschsein Christi war auf die Erlösung als Zweck hingeordnet1064
und die Seelenkräfte Jesu waren der göttlichen Person dienstbar in Hinordnung
auf das Erlösungswerk. In Hinordnung auf diesen Zweck der Menschwerdung hat die
Bewusstwerdenskraft das Gesamt-Menschsein Christi der göttlichen Person
zuzuführen und für diesen Dienst an der göttlichen Person zusammenzufassen. In
diesem Sinne und in dieser Hinordnung wurde das Gesamt-Menschsein Christi schon
im Mutterschoße geformt, in diesem Sinne durchlebte die göttliche Person ihr
werdendes menschliches Dasein. Diese Hinordnung auf Ziel und Zweck der
Menschwerdung auf die Erlösung war ein höchst wichtiger Akt in der Seele Jesu.
2659 |
Und woher strömte der göttlichen Person
immerwährend dieses höchste Ziel und Ideal zu? – Wir Menschen sind infolge
unserer Anlage zu ständiger Entwicklung und Bemühung darauf angewiesen, uns ein
Leben „auf Vorrat“ zu ermöglichen. Wir machen Pläne und Vorsätze, ja wir müssen
uns im wahren Sinn des Lebens vorbereiten und müssen mit entsprechenden
Vorräten in ein tatkräftiges Leben eintreten; wir müssen uns das Leben durch
langes Bemühen gestalten. – Ganz anders war die Bereitung im Erlöserleben Jesu.
Gewiss, schon lange vor der Zeit der Menschwerdung, „gedachte“ Gott den Erlöser
zu senden und er hat ihn schon den ersten Menschen im Paradies versprochen. Das
ganze Alte Testament mit seinen Propheten war eine Vorbereitung und Verheißung
des Messias; der Erlöser hatte im Alten Testament seine Vorbilder; Johannes der
Täufer war sein Vorläufer; in Maria war ihm eine würdige Mutter vorbereitet,
und der hl. Joseph sollte die Ehre haben, dem Erlöser die äußeren
Lebensbedürfnisse zu bieten. In diesem Sinne also war der Erlöser in den
Absichten Gottes vorbereitet, aber es handelte sich dabei nur um eine äußere
Vorbereitung. Gott kann „Pläne“ haben, die er nach einer gewissen Zeitspanne
ausführt und für die er die notwendigen Voraussetzungen und Umstände schafft,
um deren äußere Verwirklichung zu ermöglichen und herbeizuführen, aber Gott
selbst in sich und seinen Werken plant nicht auf Vorrat. Er tut seine Werke im
ewigen „Jetzt“. In Gottes Wesen und Wirken ist „ewiger Vorrat“, der niemals
abnimmt. Gott gibt und umfasst sich in ewiger Fülle des Seins. – So war auch
die Zeugung des Erlösers durch den Vater eine immer gegenwärtige Liebestat.
Gott-Vater gab sich im göttlichen Worte als den Erlöser, den er ständig zeugte
in ewig1065 unendlich liebendem Selbst-Erkennen. Und das Wort ist
fleischgeworden, und wohnte im Fleisch und blieb im Vater. Wie von Ewigkeit, so
ging auch in und nach der Menschwerdung das Wort als göttliche Person vom Vater
hervor, und zwar in einem ewigen „Jetzt“; der „Zweck“ der Zeugung aber wurde
zur Sendung des Sohnes als Erlöser und damit wurde in gewissem Sinne das
rein-geistige Dasein des Wortes unterbrochen. Auch diese „Sendung“ war eine
immerwährende gegenwärtige Liebestat des Vaters. Es war die Liebe Gottes des
Vaters, die den Sohn zum Erlöser machte und es war die Liebe des Sohnes, die
ihn vor dem Vater zum Erlöser machte. Auch nach der Menschwerdung des Wortes
blieb die zweite göttliche Person ein wirkliches „Gegenüber“ mit dem Vater,
nicht etwa ein Nacheinander oder Nebeneinander, wie wir uns eine menschliche
„Sendung“ vorzustellen gewohnt sind.
2660 |
Schon der „erste Akt“ (um wieder einen
menschlichen Ausdruck zu gebrauchen), nämlich das ewig-göttliche Selbst-Erkennen
war und ist eine wesentliche Tat Gottes, die seinem göttlichen Wesen entsprang
und an sich keinen anderen Antrieb hatte, als die wesentliche, liebende
Vollkommenheit Gottes selbst. Aus der Fülle seines göttlichen Wesens kommt das
Selbsterkennen dieser göttlichen Vollkommenheitsfülle und als Ausdruck dieses
Erkennens geht aus dieser Fülle das „Wort“ hervor als personales „Gegenüber“
des Vaters, als Person in gleicher Vollkommenheitsfülle wie der Vater. Es gibt
keine Abschwächung der Vollkommenheit in diesem Gegenüber des Vaters. Nur „als
Mensch“ wurde der Erlöser in seiner Menschheit „dienend“ dem Vater unterstellt
und in dieser Dienstbarkeit wurde das Erlöserleben eine Tat der Unterwerfung,
aber in sich blieb Christus auch in seiner Menschheit wesentlich Gott in seiner
göttlichen Würde vor dem Vater. Nur die Menschwerdung und das Menschsein
brachten im Gottmenschen den Zustand der Unterwerfung.
2661 |
Gott-Vater erkannte sich in barmherziger Liebe
zur gefallenen Menschheit und in dieser unendlichen, barmherzigen Liebe zeugte
er das Wort, das als Erlöser zum sichtbaren Ausdruck der Liebe und
Barmherzigkeit des Vaters wurde. Im Erlöser haben wir die wesentliche Liebe
Gottes empfangen, sichtbar in Menschengestalt. Was Gott an erbarmender Liebe in
Fülle in sich trug, das ist uns im Sohne sichtbar geworden und diese
göttlich-wesentliche Liebe wurde „menschlich“ und in menschlichen (und immer
zugleich gottmenschlichen) Akten gelebt und empfunden. – Die Zeugung der
zweiten göttlichen Person „als Erlöser“ war also ein wesentlicher göttlicher
Ausdruck der Liebe und Barmherzigkeit des Vaters zur gefallenen Menschheit.
Dieses „Akt-Werden“ oder „zur Tat werden“ der Liebe Gottes war das
Grundgeheimnis im göttlichen Erlöserleben. („Gott selbst kommt und erlöst
euch“)1066. Und diese unergründliche Wahrheit, dass sich das Wort
zum „liebenden, menschlich tätigen Gegenüber“ des Vaters machte, bleibt uns
allen1067 als ewig zu schauendes Liebesgeheimnis vorbehalten für den
Himmel; denn niemand kann diese göttliche Liebe durchdringen und nur im Schauen
kann sie erfasst werden.
2662 |
Die Seele Jesus war es nun, die dieses
göttliche Liebesgeheimnis „trug“ und die in jedem Augenblick ihres irdischen
Daseins benützt wurde als die „dieses Geheimnis unendlicher Liebe Tragende.“ In
ihrer Bewusstwerdenskraft war göttlich Liebendes und menschlich Aufnehmendes
und Ausführendes zusammengefasst und so wurde sie zum Hauptfaktor, mittels
dessen – in Kraft und Folge der Vereinigung der Seele Jesu mit der göttlichen
Person – jene ewige Zeugung des Wortes im Menschen Christus menschlich gelebt
und erlebt wurde (soweit dies durch Gottes liebenden und allmächtigen Willen
möglich war). Das göttlich Liebende wurde im Menschen Christus übertragen in
menschliche Tat, getragen von göttlicher Liebe. Die Zeugung des Sohnes durch
den Vater wurde augenblicklich und in jedem Augenblick von der gesamten
Menschheit Christi aufgenommen, infolge ihrer Einheit mit der göttlichen Person
oder der „hypostatischen Union“ und somit wurde Göttliches wirksam auf
Menschliches übertragen. Auf diese Weise wurde das ganze Menschenleben Jesu
gleichsam „zu Gott“ emporgehoben, vergöttlicht, und es wurde zu einem
sichtbaren, lebendigen Zeugnis der Wirklichkeit der ewigen Zeugung des Wortes
durch den Vater. Das göttliche Wort blieb auch nach seiner Menschwerdung in
jedem Augenblick das Ergebnis der Zeugung des Vaters und die Menschheit Jesu
war jeden Augenblick von dieser göttlichen Zeugung abhängig. Entsprechend der
Art dieser göttlichen Zeugung diente die zweite göttliche Person dem ewigen
Vater als Erlöser und Entschädiger1068 für die ganze Menschheit.
2663 |
(Über die „seinshafte“ Art der Inanspruchnahme
der Seele Jesu durch die göttliche Person, und zwar zunächst in sittlicher
Beziehung).
2664 |
Die Seele Jesu wurde in ihrer Betätigungsweise
gegenüber der göttlichen Person in deren „seinshaftes Wesen“ hineingezogen. –
In diesen inhaltsreichen Worten ist kurz zusammengefasst, was ich über die
„Art“ der Betätigungsweise1069 der Seele Jesu erfasse.
2665 |
Die Menschenseele ist in ihrer natürlichen
Anlage ein „sich übendes“ und entwickelndes Wesen; sie ist nach dem Plan des
Schöpfers in all ihren Akten und Fähigkeiten einem Wachstum, einer Ausweitung
ihrer Betätigungskraft, einer Aufstiegsmöglichkeit ihrer eigenen Fähigkeiten
anheimgegeben. Durch diese Möglichkeit der eigenen Entfaltung und
Vervollkommnung wird ihre Betätigung und Übung angeregt. – Auch die Seele der
ersten Menschen hatte diese Entfaltungsmöglichkeit, durch die sie die in ihr
angelegten Fähigkeiten steigern und vervollkommnen und ausnützen und damit
ihren eigenen1070 freien Willen Gott gegenüber und zur Ehre des
Schöpfers betätigen konnte. Auch nach dem Sündenfall blieb diese Anlage zur
Entfaltung und Vervollkommnung in der Menschenseele erhalten; ja, wir sind
jetzt noch in einem höheren Maße zur „immerwährenden Übung“ verpflichtet, weil
uns so viele geistige und übernatürliche Vollkommenheiten durch die Sünde
verloren gingen und wir diesen Verlust nach Kräften wieder gutzumachen streben
sollen. Damit ist die Pflicht der Übung und Selbstvervollkommnung in jeder
Hinsicht für uns jetzt wie zu einem „Naturgesetz“ geworden. Der Mensch muss im
jetzigen Zustand jede Fertigkeit mühsam sich erwerben und erlernen, angefangen
von der einfachsten, die seinem leiblichen und zeitlichen Fortkommen dient, bis
zu den geistig-religiösen Tugenden, die sein ewiges Heil sicherstellen sollen.
2666 |
Um uns eine sittliche Vollkommenheit zu
erwerben, bedarf es einer viel intensiveren Übung und Anstrengung als zur
Aneignung physischer Fertigkeiten. In dieser Übung kommt der Mensch bis zu
seinem Lebensende an kein Ende und trotz fortgesetzter Anstrengung bleibt er
auf diesem Gebiete immer ein „aufsteigendes Wesen“; seine Anlagen und
Fähigkeiten zu höheren Tugenden und Vollkommenheiten werden nie erschöpft, denn
sie sind für ein unendliches Ziel geschaffen und angelegt – ohne dass
selbstverständlich die Seele selbst unendlich wäre – und dieses letzte Ziel ist
ihr Schöpfer selbst.
2667 |
Sicherlich kann die Seele in ihrem
fortgesetzten Üben und Bemühen sich in dieser oder jener Weise zu
vervollkommnen, auch im religiösen Leben insofern an ein gewisses „Ziel“
kommen, als es ihr gelingt, durch immer vollkommenere Übung dieser oder jener
Tugend eine gewisse Abrundung, Vollendung, Leichtigkeit und Stetigkeit darin zu
erwerben. Diese erreichte sittliche1071 Vollkommenheit erhöht den
Gesamt-Wert der Seele und lässt sie einen gewissen Vorrat an sittlicher Kraft
sich aneignen, der sie die Schwierigkeiten der einzelnen Übungen nicht mehr
oder wenigstens nicht mehr so wie in der Anfangszeit ihres Strebens empfinden
lässt. Es tritt dann eine gewisse Mühelosigkeit in der Übung ein; das
immerwährende geübte Gute oder die Tugend wird zum mühelosen „Zustand“ in der
Seele und damit ist zugleich ein großer Vorteil für noch höheren Fortschritt
gegeben. Es werden nämlich dadurch verschiedene Seelenkräfte gleichsam
„abgelöst“ und werden freigestellt für eine noch höhere und vollkommenere
Betätigungsweise.
2668 |
Auch in den äußeren Fertigkeiten und in den
weltlichen Berufen, z. B. im Studium einer Wissenschaft oder in der Erlernung
eines Handwerks kann der Mensch durch lange Übung ein gewisses äußeres Ziel
erreichen, indem er sein Fach beherrscht und sein Handwerk oder seine Kunst, d.
h. sein „Ziel“ ausübt; aber auch nach Erreichung dieses bestimmten Zieles kann
eine Vervollkommnung darin immer noch1072 gesteigert werden. –
Ähnlich verhält es sich im religiös-sittlichen Leben. Die Seele kann den
Zustand erreichen, kraft dessen sie sich mühelos in bestimmten sittlichen
Vollkommenheiten bewegt, obwohl dabei noch höhere Ziele der Vervollkommnung
möglich und bestehend bleiben. Sie hat diesem Abschluss einer bis zur Geläufigkeit
geübten Tugend einen gewissen „Ruhezustand“ in dieser Übung erreicht, der zu
einem seienden oder ontischen Verhalten, zu einem Seinszustand der Seele
geworden ist, zu einem Vollkommenheitszustand, der eben vorhanden ist und der
als vorhandenes „Sein und Bestehen“ benützt werden kann als neue Basis für
weitere Vervollkommnung.
2669 |
Dieser sittlich-religiöse „Seinszustand“ ist
schon ein großer Fortschritt in dem fortgesetzten Übungsleben und Streben der
Seele; er bedeutet ein großes Kapital an sittlich-psychologischer Kraft und
eine unsagbare Wohltat für die betreffende Seele. Dieser „lebt“ nun damit, und
ihr Leben bekommt das Gepräge dieser ihr innewohnenden Kraft und [den]
sittlichen Höhen. Diese Kraft durchdringt nun alle ihre Werke, und damit wird das
ganze Leben dieses Menschen zu einer geistigen Kraftzufuhr für andere Menschen,
mit denen er in Berührung kommt. Sein Leben wird zu einem Seinszustand der
Vollkommenheit, getragen von seiner tiefsten, sich in ihm auslösenden
sittlichen Kraft; es lebt gleichsam eine „vorhandene Quelle“ in ihm, die immer
fließt. Dieser sittliche Seinszustand kann und soll sich immer mehr erhöhen,
ausweiten und ausbreiten und soll schließlich das ganze Menschenleben erfassen
und umformen und zu einem „Habitus“ der Vollkommenheit gestalten.
2670 |
Von diesem Punkt der mir gebotenen Erklärung
aus wurde ich hingeführt zur Höhe der „Seele Christi“, die befähigt war,
hineingezogen zu werden in den göttlich-wesentlichen Seinszustand der
göttlichen Person des Erlösers. – Was der gewöhnliche Mensch in langer Übung
langsam und annähernd sich aneignen kann, das war in der Seele Jesu von Anfang
an höchste sittliche Vollkommenheitsfähigkeit. Beim gewöhnlichen Menschen
bleibt auch ein allenfalls erreichter sittlich-vollkommener Seinszustand immer
irgendwie einseitig und mangelhaft und es kommt selten oder wohl nie zu einer
ganz lückenlosen Abrundung und Vollendung seiner Seele. – Eine lückenlose Fülle
und Abrundung der sittlichen Vollkommenheit kann man wohl nur bei Maria
annehmen, die bestimmt war, ähnliche menschliche Lebensfähigkeiten
weiterzugeben. Aber auch die Vollkommenheit in Maria war ein „sich übender“
Aufstieg, der mehr und mehr einem Ziel zustrebte, und auch ihre höchste
Vollkommenheit, die sie erreichte, war immer nur eine geschaffene und darum
beschränkte Vollkommenheit, die weit unter der ungeschaffenen göttlichen
Vollkommenheit steht. – Nur von der Seele Christi kann man eine an sich und von
Anfang an „mühelose“ sittliche Betätigung der Vollkommenheit annehmen. In der
Seele Christi war schon alles zum höchsten Vollkommenheitszustand hingeordnet,
dem jeder Mensch mühsam zustreben muss. In ihr war von Anfang an die
Möglichkeit und Fähigkeit des höchsten sittlichen Seinszustandes vorhanden und
bestand die Fähigkeit zu einer in jeder Beziehung vollendeten Abrundung und
Vollkommenheit, wie sie den Anforderungen der göttlichen Natur entsprach.
2671 |
Über diesen sittlich-vollkommenen Habitus
hinaus war in der Seele Christi auch jene geistige Bewegungsmöglichkeit und
Beweglichkeit gegeben, die seine Vollkommenheit zur wirklich „Ausübenden“ und
„Seienden“ machte, und zwar im ganzen Umfange ihrer Inanspruchnahme durch die
göttliche Person.
2672 |
So befand sich Christus in einem „ebenmäßigen
Seinszustand in seiner göttlichen und menschlichen Natur“. Die Vollkommenheit
der Seele Jesu wurde gebraucht zur Ausübung göttlich-sittlicher
Vollkommenheiten und damit wurde die Seele Jesu in einem gewissen Sinne
hineingezogen in den Seinszustand der göttlichen Natur. Eine ewig vorhandene,
göttlich-sittliche Vollkommenheit wurde zur wirklichen, gottmenschlichen „Tat“,
zum menschlichen Akt, der unmittelbar von der sittlichen Kraft eines endlichen
Wesens gefordert und von dieser auch „mühelos“ geleistet und entsprechend der
Anforderung ausgeführt wurde. Die Seele war durch jene Anforderung veranlasst,
sich und ihre seinshafte vollendete Kraft „mitzugeben“ und „mit einzusetzen“.
Weil ihre Vollkommenheit schon „Sein und Tatsache“ war, fiel jene für uns
notwendige „Übung“ in der Seele Jesu weg, obwohl diese einer göttlich-wesentlichen
Anforderung gegenübergestellt und darein versetzt war.
2673 |
Mit dieser „ebenen Bereitschaft“ der Seele
Jesu gegenüber der göttlichen Natur fiel aber nicht weg jene
„Widerspruchfähigkeit“, die der leidensfähigen menschlichen Natur anhaftet.
Auch im gewöhnlichen Seelenleben bleiben selbst bei höchster Vollkommenheit die
tieferen Widerspruchsmöglichkeiten der Natur bestehen, auch wenn sie in einem
hohen und vollkommenen Grade der Tugend überwunden werden. Dass z. B. jemand
bei schimpflichen Beleidigungen in sich darunter leidet, obwohl er dank eines
sittlich-vollkommenen Habitus nicht darüber in Unruhe und Widerspruch mit sich
gerät, ist eine Folge des natürlichen Empfindens, dem er sich ohne ganz
besondere Gnade nicht entziehen kann. Ja, es kann dabei in ihm eine hohe Freude
des Geistes über die erlittene Beleidigung bestehen, während die Natur trotzdem
die erlittene Ungerechtigkeit in herber Art empfindet. – In der Seele Jesu muss
noch dazu ein viel feineres Empfinden als in unserer Seele vorausgesetzt
werden, und zwar infolge seines göttlichen Bewusstseins, den dieser mit der
Menschennatur gegebene Widerspruch zugeführt wurde.
2674 |
„Sein ist schon bestehende Tatsache“; und in
der Seele Jesu wurde die seinshafte, schon bestehende sittliche Vollkommenheit
gebraucht und verwertet zum Tatwerden göttlich-sittlicher Vollkommenheiten. Ein
bestehendes sittliches Sein, eine bestehende Tatsache sittlicher Vollkommenheit
verlangt aber ihrer Natur nach auch eine vollkommene Ausnutzung jeder
Kraftmöglichkeit dieses beanspruchten sittlichen Seins. Und die göttliche
Anforderung durch die Person bewirkte in der Seele Jesu auch eine seinshafte,
bestehende Art der Betätigung und Inanspruchnahme. In diesem Geheimnis liegt
eine unaussprechliche Tiefe und geistige Unerschöpflichkeit der Seele Jesu
verborgen; denn wie in jeder anderen Menschenseele, so galt auch in der Seele
Jesu das allgemein menschliche Naturgesetz einer ständigen Entwicklung und des
Wachstums, bei Christus nicht im Sinne einer sich erst entwickelnden sittlichen
Vollkommenheit, aber doch im Sinne einer ständig zunehmenden Beanspruchung
dieser Vollkommenheit durch die göttliche Person, und zwar entsprechend dem
ständigen Wachstum der Seele Jesu, infolge der ständig zunehmenden Ausübung
ihres schon von Anfang an bestehenden Vollkommenheitshabitus. Darin bestand in
der Seele Jesu eine geistige Unerschöpflichkeit bis zu seinem Tode an Kreuze
und dementsprechend „wuchs“ auch die Anforderung und Beanspruchung durch die
göttliche Person bis zum „consumatum est“. – Wurden so die sittlichen
Kraftmöglichkeiten der Seele Jesu steigernd ausgenützt und ausgelöst, so musste
in der leidensfähigen Seele mit den steigernden Anforderungen der göttlichen
Person auch das „logische Widerstreben“ wachsen, und daraus ergibt und erklärt1073
sich die allerhöchste Leidensfähigkeit der Seele Jesu.
2675 |
Solange eine Tugend noch in der Übung besteht,
hat diese Übung noch einen gewissen freien Spielraum, weil sie vom eigenen
freien Willen geführt wird. Ist aber jenes Stadium der „Übung“ überschritten
und ist die Tugend zur bestehenden Tatsache, zum Seinszustand und zur
gebrauchten und ausgeübten Tugend, zur verwendeten sittlichen Kraftquelle
geworden, dann wird sie zur Grundlage und Basis höherer Aufgaben und Ideale.
Ist die Seele durch den sittlichen Habitus „zuständlich umgestellt“, so wird
das Erworbene auch – zur größeren Ehre des Schöpfers und Erlösers – zu weiteren
Konsequenzen und zu höherer Inanspruchnahme gebraucht und ausgenützt. – Ein
Vergleich hierfür aus dem gewöhnlichen Leben: Solange ein Student noch den
Studien obliegt, kann er sich zeitweise dem Studium entziehen oder es sich
erleichtern. Ist er aber Professor geworden, so muss er sein Fach beherrschen,
denn dieses Fach ist seine seinsmäßige1074 Ausübung. Darum können
zuweilen die Anforderungen an den Professor weit schwerer sein und schwerer
werden, weil er aus dem Schatze seiner erworbenen Wissenschaft in konsequenter
Weise geben muss, wenn seine Professur sich fruchtbringend gestalten soll. So
gibt es verschiedene Arten von Kraftanforderungen. Wo vorher der noch übenden
Bemühung nur eine teilweise Kraftanforderung gestellt wurde, da tritt später
eine seinsmäßige Beanspruchung des bestehenden Vorrates an sittlicher Kraft in
Wirksamkeit.
2676 |
Auch die Seele Jesu „wuchs“ mit den jeweiligen
(mit den wachsenden Aufgaben seines Erlöserberufes steigernden) Anforderungen
durch die göttliche Person. Ihre Inanspruchnahme entsprach dabei dem Wesen der
sie beanspruchenden Person, d. h., es war eine „seinsmäßige Beanspruchung“, und
mittels dieser seinshaften Dienstbarkeit wurde sie in die göttliche Natur
hineingezogen. Hierin liegt das Geheimnis jener hohen Vereinigungstatsache in
Christus, wobei Menschliches für Göttliches (oder göttliche Taten und Werke)
verwendet wurde, ohne die menschliche und göttliche Natur zu vermengen oder zu
verschmelzen. Es ist das tiefe Geheimnis der Erlösung überhaupt: Dank der
göttlichen, unendlichen Liebe wurde Menschliches für Göttliche verwendet, damit
Göttliches wieder Eingang finde im Menschlichen und damit infolge dieses
göttlichen, der Menschheit erwiesenen Dienstes Menschliches wieder vergöttlicht
werde.
2677 |
Zu dem gestern geschriebenen wurden mir noch
folgende weitere Erläuterungen sowie Hinweise auf mein Innenleben und
Anwendungen auf die Seele Jesu gegeben:
2678 |
Mit der „Übung“ einer Tugend wird von der
Seele eine gewisse Kraftentwicklung und Energieaufwendung geleistet. Diese
Kraftentwicklungen und Energien werden in der Seele gleichsam aufgespeichert
und dienen einer weiteren Erhöhung und Fertigkeit in der „Übung“; es bildet
sich damit eine höhere geistige Bewegungsfähigkeit in der Seele, wodurch die
Tugend noch vollkommener und geläufiger und unvermittelter geübt werden kann,
und es kommt dadurch zu einer noch größeren Freiheit und Leichtigkeit in der Übung
selbst.
2679 |
Durch fortgesetzte „Übungen“ bilden sich auf
diese Weise geistige Kraft- oder Energiereserven in der Seele, und zwar nicht
bloß in psychischer, sondern auch in physischer Art, weil ja bei der Übung der
Tugend auch die physischen Kräfte als Hilfsmittel des Geistes angespannt
werden. Diese Kraftreserven und Energien „lagern“ sich gleichsam in der Seele
auf, geben ihr eine immer größere Fertigkeit und Leichtigkeit in der Übung und
führen die Seele allmählich von der „Übung“ zum „Zustand“ und zum vollendeten
„Habitus“ der Tugend über. Durch fortgesetzte Kraftentwicklung bildet sich
gewissermaßen eine neue Kraft im Menschen, d. h., ein Wachstum an
Bewegungsfreiheit im eigenen Inneren, was einem Gewinn an neuer Kraft
gleichkommt. Die Seele besitzt dann schon vorhandene Energien und
Kraftreserven, um gegenüber den verschiedenen an sie herantretenden Forderungen
des sittlich-religiösen Lebens nicht zu versagen. Und eine vielseitige
Aufspeicherung von solchen geistig-sittlichen Energien bildet in der Seele
allmählich einen vollendeten Habitus in der Tugend, einen gewissen
Vollkommenheitszustand, eine gewisse Abrundung eines geistigen Gleichgewichtes.
2680 |
Die Ansammlung dieser geistigen Energie- und
Kraftreserven geschieht auf dem Wege eines natürlichen, organischen Wachstums
infolge der eigenen Willensbetätigung und Selbstüberwindung. Darin liegt das
Geheimnis jeder mehr oder minder vollkommen geübten Tugend: Durch die
Willensanforderungen und Willensanspannung werden die in der Seele
grundgelegten Anlagen herausgefordert und herausgeholt, geübt und entwickelt.
Das geistige Wachstum der Seele beruht auf dieser Willensanspannung, wodurch
die in der Seele gegebenen Anlagen verwendet und entfaltet werden. Gott hält
sich bei seiner Arbeit am Fortschritt der Seele für gewöhnlich an diesem Gesetz
eines langsamen organischen Wachstums durch die eigene Kraftaufwendung und
Ansammlung von geistigen Energien, natürlich zusammen mit seiner Gnade. Darum
braucht es im Allgemeinen geraume Zeit, bis er die Seele zu einem gewissen
geistigen Hochstand geführt hat, und nur selten lässt er eine ganz besondere
Gnade wirken, die eine rasche Umwandlung in der Seele hervorruft.
2681 |
Wenn Jesus in den Jahren vor meinem Verlassen
der Heimat mich immer wieder das Aufgeben eines gewöhnlichen Lebens und das
Eingehen in seine besonderen Absichten als Ziel vorausschauen ließ, so wollte
er damit in mir die Bereitschaft des Willens wecken, um tatsächlich seinetwegen
und in der Sicherheit seiner göttlichen Führung alles aufgeben zu können, und
er wollte zugleich die dazu nötigen Kräfte und Energien der Seele
herausfordern, um mich von seiner führenden und reinigenden Gnade so umbilden
zu lassen, dass ich die kommenden Opfer auch wirklich zu bringen imstande wäre.
Darum erlebte ich in einem gewissen „Vorauseilen“ der Seele viele der kommenden
Opfer und erfasste ich in etwa die Tragweite und die Ziele der göttlichen
Führung. Durch diese immer neu geweckte Bereitschaft meines Willens wurde in
meiner Seele ein geistiger „Vorrat“ angesammelt oder eine geistige Kraftreserve
aufgespeichert, für die dann tatsächlich zu bringenden Opfer. Wären diese
unvermutet und unvorbereitet an mich herangetreten, so hätte sie die Seele auch
bei gutem Willen nicht tragen1075 können. Durch die Überwindung der
vorausgehenden Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft aber waren die geistigen
Energien in mir geweckt und gebildet, und war ein Ausgleich geschaffen, sodass
ich dann wirklich fähig war, das mir vom Herrn schon jahrelang Gezeigte,
auszuführen und meine, menschlich gesehen, unglaubliche Lage der Letzten sieben
Jahren zu ertragen und damit zugleich mich auf eine noch höhere Beanspruchung
meiner Geisteskräfte vorbereiten zu lassen. Gott verlangt nun einmal im
geistlichen Leben intensives Mitarbeiten der Seele mit seiner Gnade; er
verlangt, dass man sich selbst dazu hergebe und gebrauche; denn er will seine
Absichten vollziehen mittels der Kräfte des Menschen zusammen mit seiner Gnade,
und die Wege seiner Gnade gehen über die Seele und deren psychisch-physischen
Kräften, die zu seinem Dienste angefordert werden.
2682 |
In letzter Zeit wurde ich öfter durch die
innere Führung darauf hingewiesen, dass in mir nun die nötigen geistigen
Energien vorbereitet und geweckt werden, „um meiner seelischen Aufgabe
standhalten und genügen zu können“. Dabei schaute ich voraus, „welches Maß“ von
Kräften und Energien für mich dazu erforderlich sein wird. Das Erleben seines
Erlösungsgeheimnisses, zu dem er mich heranbildet, – so erklärte mir der
Heiland –, stützt sich nämlich auf meine eigene, persönliche, geistige und
physische Kraftzugabe und wird auf meine eigenen, geistigen Energien gestellt.
Meine eigenen Kräfte werden in einer persönlichen Energieaufwendung gebraucht
werden; deshalb bei mir der allmähliche, organisch wachsende innere Aufstieg, weil
sich meine innere Vorbereitung im Rahmen meiner eigenen Kraftmöglichkeiten und
nicht auf visionärem Wege vollzieht. Ebenso wenig wie dann das wirkliche
Erleben des Erlösergeheimnisses. Wenn auch bei Visionen die Kräfte des Menschen
entsprechend herangezogen werden, so bleibt das visionäre Schauen doch immer
etwas, was sich noch „außerhalb“ des schauenden Menschen bewegt und es ist
dabei nicht jene eigene Kraftaufwendung gefordert wie in meinem Fall. Darum
erlebe ich öfter voraus: Alle kommenden Leiden und Opfer sind mir schon
ermöglicht oder werden noch weiter ermöglicht durch eine gewisse geistige
Energie-Vorbereitung und Energie-Ansammlung; denn das Erleben der Erlöserperson
wird sich auf meine eigenen Kräfte stützen. Das bedeutet aber für mich jetzt schon
eine in Worten nicht auszusprechende geistige Anforderung, da ich dabei
zugleich die ganze Tragweite und Größe jener Beanspruchung erfahre, in die mein
ganzes Sein unter Anspannung und Ausnutzung all meiner psychischen und
physischen Anlagen eingefasst wird. Es vollzieht sich in mir daher ein
ständiges Abgeben und Verzichten auf jeden eigenen Genuss, um ganz Platz zu
machen, für das höhere Erleben und für die kommende Inanspruchnahme durch die
göttliche Person.
2683 |
Auch die Seele Christi trat mit ihrer Erschaffung
bei der Menschwerdung der göttlichen Person in ein Stadium der Entfaltung und
Entwicklung der in ihr grundgelegten, der göttlichen Person entsprechenden
höchsten Anlagen ein, und auch das irdische, gottmenschliche Leben des Erlösers
war auf die eigenen Energien seiner physischen und psychischen Existenz
gestellt. Auch in der Seele Jesu geschah ein fortwährend zunehmendes
Herausholen der in ihr grundgelegten Anlagen und eine allmähliche Entfaltung
derselben1076 zu immer höherer Leistungsfähigkeit. Ihre erste
funktionierende Kraft war wohl – wie oben beschrieben – die
Bewusstwerdenskraft, die dem göttlichen Bewusstsein der Person des Wortes das
„Wie“ und die Art ihres neuen Daseins zuführte, und zwar entsprechend dem Maße
des Wachstums seines physischen und psychischen Lebens. Sicherlich kam es
deshalb bei Jesus zu einer rascheren Entwicklung als bei gewöhnlichen
Menschenkindern, weil die bewusste göttliche Person einen ständigen Reiz oder
Anregung auf das ihr unterstehende Menschsein ausübte. Mit der selbstständigen
Reife seines Menschseins, d. h., mit der Vollreife seiner Seele kam es dann
auch zu einer vollen Anforderung der geistigen und leiblichen Kräfte Jesu durch
den selbstigen Antrieb seiner göttlichen Person, die nun auch ihrerseits immer
mehr ihre Eigenart auf das gesamte Menschsein ausübte. Gewiss war in Jesus
schon vom Augenblick der Menschwerdung an ein „bewusster Person-Antrieb“
vorhanden (weil sein ewig göttliches Bewusstsein immer tätig ist), aber dieser
Antrieb hielt sich diesbezüglich der Menschheit Jesu im Rahmen des natürlichen
Wachstums (nach dem menschlichen Naturgesetz). So bildete sich die göttliche
Person Christi einen geistigen Umkreis, der sich immer mehr erweiterte, je mehr
ihre menschlichen Kräfte an Fülle und Ausdehnung zunahmen; im gleichen Maße
lieferten diese seine Kräfte und Anlagen auch seiner Bewusstwerdenskraft den
„Stoff“, den sie der göttlichen Person zuführte, und im gleichen Maße wirkte
anderseits auch der selbstige Personantrieb auf seine Menschheit ein. Auf diese
Weise bildeten und formten sich Seele und Leib Jesu unter der Einwirkung und
nach dem Maße des göttlichen Personantriebes und nahm alles in ihm das Gepräge
und die Eigenart eines wahren Gott-Menschentums in sich auf. Wie aber die
Einwirkung des göttlichen Personantriebes gleichen Schritt hielt mit dem
natürlichen Wachstum der Menschheit Christi, so wurde anderseits auch Seele und
Leib im gleichen Rhythmus und Maße ihres Wachstums zur allerhöchsten
Dienstbarkeit von der göttlichen Person herangezogen und unter dem göttlichen
Einfluss der Person geformt und gebildet. Die hohen, seinshaften sittlichen
Anlagen, die von Anfang an aber gleichsam „schlummernd“ und ruhend in der Seele
Jesu vorhanden waren (ähnlich wie die Anlagen in unserer Seele), wurden durch den
göttlichen Personantrieb mehr und mehr herausgeholt, verwertet und zum
unmittelbaren Dienst der göttlichen Person herangezogen1077 und
damit in einem wahren Sinn in das göttliche Leben selbst hineingezogen. So
erhielt die allerhöchste Vollkommenheitsanlage der Seele Jesu eine allmähliche
organisch-natürliche und volle Ausnützung und Verwertung; und es ergab sich die
geheimnisvolle Tatsache, dass das gottmenschliche Leben auf eine persönliche
Bemühung und Ausnutzung der eigenen psychisch-physischen Kräfte gestellt war.
Wie in unserem Leben durch unseren menschlichen Personantrieb, so bildete sich
in Christus unter der Einwirkung des göttlichen Personantriebes jene Einheit
des Lebens, jener wunderbare Kreislauf und jene wunderbare Wechselbeziehung der
geistigen und leiblichen Kräfte und Betätigungen, die dem menschlichen Leben
eigen ist; dabei brachte zugleich die göttliche Person ihre göttlichen
Vollkommenheiten zu einer menschlichen Ausführung und zu einem menschlichen
Ausdruck, denn auch die physischen Kräfte Christi1078 wurden zum
unmittelbaren Dienst der Person herangezogen und damit „in sein göttliches
Leben hineingehoben“. Die menschliche Natur und die menschlichen Kräfte Christi
arbeiteten mit der göttlichen Person mit und trugen das Ihrige dazu bei, um der
göttlichen Person die Möglichkeit ihres Bestandes als Mensch zu sichern und um
sein Menschenleben zu einem „normalen“, d. h. wahren Menschenleben zu
gestalten. Das bedeutete, dass infolge des steigernden, sich der menschlichen
Entwicklung und Reife anpassenden Anforderungen durch die göttliche Person die
in der Seele Christi vorhandenen seinshaften Anlagen in zunehmendem Maße
ausgenutzt und zu einem immer umfassenderen und intensiveren Dienst für die
Zwecke der Erlöserperson gebraucht wurden. Infolge der Anpassung der göttlichen
Person an die für die Menschennatur geltenden Gesetze einer allmählichen
Entwicklung und Reife erfuhr ja auch die Auswirkung seines Erlöserberufes eine
gewisse steigernde Intensivierung und Ausdehnung.
2684 |
Eine weitere sehr wichtige Folge dieser
Heranziehung der menschlichen Kräfte Christi durch die göttliche Person für das
Werk der Erlösung bestand im Folgenden: Die göttliche Person selbst „litt“
unter der Reaktion ihrer menschlichen Natur bei deren Mitbeteiligung an
Umständen und Mitbetätigung zu Werken und Taten, die dem Sein und Zustand der
göttlichen Person geradezu entgegengesetzt waren. Die an sich nicht
leidensfähige göttliche Person wusste um den ungeheuren Gegensatz zwischen
ihrer göttlichen Würde und den Verhältnissen ihres menschlichen Daseins; dieses
ihr1079 Wissen wurde – nach dem psychologischen Gesetz des von einer
Person geleiteten menschlichen Lebens – von der Person zurückgeworfen oder
reflektiert auf das Empfindungsvermögen der leidensfähigen Seele und löste dort
als Antwort oder Reaktion das menschlich gelittene Empfinden jenes ungeheuren
Kontrastes oder Gegensatzes aus; diese Reaktion oder dieses Empfinden als
„logisches Widerstreben“ (d. h. die unwillkürliche, natürliche Folge einer
entgegensetzten Einwirkung) war aber zugleich ein Akt der Person selbst, die
Trägerin dieser menschlichen Natur war und mit deren Kräften „lebte“. So erfuhr
die göttliche Person das Empfinden und Regieren einer menschlichen Natur, und
dieses Empfinden wurde zum Erleiden des Menschseins durch die göttliche Person.
Diese war nicht nur die Trägerin ihres eigenen Menschenlebens, sondern auch die
Erleiderin des Kontrastes dieses Menschen- und Erlöserlebens gegenüber ihrem
göttlichen Wesen.
2685 |
Es war aber nicht die sittlich-vollkommene
Anforderung selbst, die jenen Widerspruch in der menschlichen Natur hervorrief;
denn die sittliche Werthöhe und Anpassung ihrer Anlagen bewegte sich auf einer
Ebene zur göttlich-sittlichen Vollkommenheit und diese ihre vollkommenen
Anlagen waren in der Seele schon von Anfang an seinshaft gegeben. Es handelte
sich aber – bei aller sittlich harmonischen Ausübung und Ausführung der
göttlichen Vollkommenheit in gottmenschlichen Akten1080 – um das
logische Widerstreben gegen die tatsächlichen Gegensätze und Kontraste, die das
Erlöserleben in sich schloss. Obwohl z. B. eins mit dem Willen des Vaters und
in voller sittlicher Harmonie, empfand Jesu doch – kraft des leidensfähigen
Empfindungsvermögens seiner menschlichen Natur – die äußere Herabwürdigung
durch seine Menschwerdung als einen Widerspruch mit seiner Würde und als eine
Verdemütigung und ein Leiden; trotz seiner höchsten Bereitschaft, sich ganz der
Sorge seiner hl. Mutter und des hl. Josef als den Werkzeugen der Vorsehung des
himmlischen Vaters zu überlassen, empfand er doch die Armut als einen Gegensatz
oder Widerspruch zu seiner göttlichen Fülle; obwohl er in allem nur die Ehre
des Vaters suchte, empfand und erlitt er allen Unglauben seiner Feinde und der
Menschen überhaupt als etwas für ihn „Entehrendes“. Jesus fühlte Hunger und
Durst und Müdigkeit, und zwar nicht als physisches Leiden, sondern als
Widerspruch mit seinem göttlichen Reichtum und Wesen, obwohl seine Seele
trotzdem in vollkommenster Harmonie mit den aus unendlicher Erlöserliebe
hervorgehenden Forderungen der Person stand und jene irdischen Übel mit größter
Geduld ertrug. Er litt unter seiner Verurteilung und dem darin liegenden großen
Unrecht, obwohl er ganz eins war mit dem Willen und den Zulassungen des Vaters
und in unendlicher Liebe freiwillig „sein Leben hingab für die vielen“. Und je
mehr die erhabenen Forderungen seines Erlöserberufes und der unendlichen
Erlöserliebe sich im inneren und äußeren Leben Jesu – gemäß dem menschlichen
Gesetz der Entwicklung – sich auswirkten, desto mehr wuchs der logische
Widerspruch der sich mitbetätigenden menschlichen Natur gegen die darin
liegenden Gegensätze und er wurde von der göttlichen Person selbst, der
Trägerin dieser menschlichen Natur, als Leiden empfunden. Dabei wurde die
göttliche Natur Christi nicht bedrängt und wurden die beiden Naturen in
Christus1081 nicht vermengt, aber die Erlebnisse und Auswirkungen
der beiden Naturen griffen im Bewusstsein der einen göttlichen Person in
Christus ineinander – wie mir am 07.10.1942 ausführlich erklärt wurde und niedergeschrieben
ist.
2686 |
Zwischen der Seele Jesu und unserer
gewöhnlichen Menschenseele besteht vor allem der Unterschied, dass die ewig
sich bewusste göttliche Person schon vom Anfang der Menschwerdung an die zu
höchster sittlicher Vollkommenheit veranlagte Seele auf eine seinshafte (nicht
auf „Übung oder Erwerbung“ angewiesene) Art beanspruchte und zum Ebenmaß mit
göttlicher Vollkommenheit formte, jedoch in einer allmählichen, der
menschlichen Entwicklung Rechnung tragenden Steigerung in der Ausübung und Betätigung
ihrer seinshaften Vollkommenheitsfähigkeiten zu den Zwecken des Erlösungswerks.
Die Seele im gefallenen Zustand aber muss sich von der „Übung“ und der
Überwindung des sittlich-unvollkommenen Widerstrebens erst allmählich
emporringen zur stückweisen Erlangung und Ausübung eines sittlichen
Vollkommenheitszustandes. Die menschliche Person braucht eine geraume
Entwicklungszeit, um sich an die Spitze ihrer Anlagen stellen und einen
bewussten Personantrieb auf die ihr unterstellten Anlagen ausüben1082
zu können; dabei stößt sie dann im Bereich der ihr unterstellten Kräfte selbst
auf Widerspruch, den sie erst zum Ausgleich bringen muss, wenn sie sich zur
sittlichen Vollkommenheit erheben will. In der Seele Jesu aber war von Anfang
an eine harmonische Einordnung aller Kräfte unter den Antrieb der immer
bewussten Person gegeben, und zwar als schon bestehende seinshafte Fähigkeit
einer Vollkommenheitsebene mit der göttlichen Person.
2687 |
Auch in Maria löste die Ausübung ihrer
sittlichen Vollkommenheitsmöglichkeiten kein sittlich unvollkommenes
Widerstreben aus, denn sie war ohne Erbsünde und ohne deren moralische Folgen.
Trotzdem war aber ihre sittliche Vollkommenheit an ihr eigenes Bemühen und
„Üben“ gebunden.
2688 | (Anmerkung:
Es besteht für mich beim Niederschreiben die Schwierigkeit, dass ich immer nur
das jeweils von der inneren Führung Angeregte erklären kann, während manches
damit Zusammenhängende für mich nur ein geistiger Begriff ist, den auszudrücken
mir nicht oder noch nicht möglich ist. So mag vielleicht ein Außenstehender
manchmal einen Zusammenhang oder eine allgemeine Übersicht in der Erklärung
vermissen. Ich muss aber hinnehmen, was mir vom Herrn geboten wird, und mein
menschlicher Verstand kann den Zusammenhang oder die weiteren Wege und
Absichten Jesu nicht voraussehen noch erforschen.)
2689 |
(In S. Maria sopra Minerva:) „Es fällt in mir
die eigene Personstütze“. Ich spüre, wie sich „geistige Hindernisse“ in mir
entfernen. Dies ist ein wesentlicher Schritt weiter, um die göttliche Person
erleben zu können. Meine Person hört darum auf, für sich erlebnisfähig zu sein.
2690 |
Zur weiteren Erklärung des psycho-physischen
Geheimnisses im Gottmenschen wurde mir heute in St. Peter der Satz mitgeteilt:
„Die beiden Naturen (in Christus) wirkten ineinander in logischer
Wechselbeziehung. Die beiden Naturen, die göttliche und die Menschliche, werden
nicht vermischt, aber ihre Tätigkeiten 'wirkten' ineinander, gingen aber nicht
ineinander über. – Auf diesem Geheimnis beruht die Tatsache der inneren
Erlöserleiden Christi.“
2691 |
Als Beispiel für diese „logische
Wechselbeziehung“ der beiden Naturen in Christus wurde mir die Todesangst des
Erlösers gezeigt. Der Heiland „wusste“ als Gott um seinen bevorstehenden Tod
und dessen Umstände. Es war das Wissen der göttlichen Person; die menschliche
Natur aber empfand das Widerstreben gegen das Sterben, das ein Widerspruch
gegen das Wesen der göttlichen Person und eine gewisse Herabwürdigung derselben
war. Wie hätte aber die menschliche Natur unter der Situation des göttlichen
Wesens leiden können, wenn keine Einwirkung vonseiten der göttlichen Person auf
die menschliche Natur stattgefunden hätte? – In Wahrheit wirkte aber die
„Tatsache“ des Wissens der göttlichen Person derart auf die menschliche Natur
ein, dass es zum Blutschweiß kam. Und dies wurde mir als eine Folge der
„logischen Wechselwirkung“ erklärt, die zwischen den beiden Naturen bestand.
2692 |
Die Person in ihrem göttlichen Wissen kannte
den ganzen ungeheuren Gegensatz und Widerspruch zwischen ihrer göttlichen Würde
und dem ihr Bevorstehenden. Mittels der Bewusstwerdenskraft übertrug sich
dieses Wissen um den unermesslichen Gegensatz (gemäß den Gesetzen der
menschlichen Psychologie) auf das menschliche Empfindungsvermögen Christi, und
damit kam es zu einer Einwirkung auf die physische Natur, und zwar bis zu einer
solchen Steigerung, dass „sein Schweiß wie Blutstropfen war1084, die
zur Erde rannen“ (Luk. 22.44). – So vollzog sich eine „logische“ (aus der hypostatischen
Union folgende) Weiterwirkung vonseiten der göttlichen Person auf die Seele und
damit auf den Leib Jesu. Anderseits gibt das „Empfinden“ der menschlichen Natur
auf die Person selbst zurück, die sich mittels ihrer menschlichen Kräfte in
Todesangst befand. Das war eine Folge der logischen Wechselwirkung der beiden
Naturen, der sich die göttliche Person in ihrer Menschwerdung überantwortet
hatte. – Infolge dieser „logischen Wechselwirkung“ hat die göttliche Person ihr
ganzes Mensch-sein empfunden und erlitten (der Ausdruck „logisch“ ist mir
früher, bei der Erklärung des „logischen Widerstrebens gegen das Leiden“, als
„das einer Einwirkung natürlich folgende Gefühl“ erklärt worden).
2693 |
Hätte das Menschenleben Jesu sich nicht unter
der Einwirkung der göttlichen Person vollzogen, so wäre es kein normales,
wahres Menschenleben gewesen; ein solches untersteht nämlich einer „bewussten
Kraft“, von der es geleitet wird und der jede Auswirkung dieses Menschseins
zugeführt und zugehört wird. Was aber jener „bewussten Kraft“ (nämlich der
Person) zugeführt wird, muss auch eine Stellungnahme und Rückwirkung oder
Reaktion derselben hervorrufen, wenn diese Person wirklich dem betreffenden
Menschenleben vorsteht (andernfalls, d. h., ohne eine solche Rückwirkung und Reaktion
hätte in Christus eine einseitige Geistigkeit geherrscht und es hätte kein
wahres Menschsein und kein wahres menschlich empfundenes Leiden in ihm
bestanden).
2694 |
Für das Zustandekommen eines wahren
„menschlichen Leidens“ wurden mir zwei Möglichkeiten oder Wege erklärt (wobei
ich mit „Leiden“ ein widerspruchartiges Empfinden bezeichne, das Gegenteil zum
Wohlbefinden des Geistes und des Leibes): ein rein geistiger Weg und ein
physischer Weg (oder eine Verbindung dieser beiden Wege des „Leidens“)
2695 |
Die erste und höchste Art der
Leidensmöglichkeit liegt in der Person selbst, der das Leiden entspringen kann.
So zum Beispiel kann eine erbliche Veranlagung oder Belastung, die der Person
selbst unmittelbar zum Bewusstsein gekommen ist, eine beständige Quelle des
Leidens für sie werden, das ihrem eigenen Wesen entspringt und durch die
Bewusstwerdenskraft wieder ihr selbst als der persönlichen Ursache dieses
„Leidens“ zugeführt wird. – Allerdings will der Mensch dieses Bewusstwerden
seiner persönlichen, weniger guten Anlagen nicht leicht wahrhaben und was
braucht eine hohe Intelligenz oder eine große Tugend, um sich solch eigene
Mängel wirklich einzugestehen. Auf alle Fälle muss eine andere Kraft diese
Tatsache wieder der Person selbst zuführen, damit sie von dieser aufgenommen
und anerkannt werden kann. Hierher gehören auch gewisse widrige Ereignisse, die
der Würde einer Person entgegen sind und widerstreben; so treffen z. B.
Verarmung, Beleidigungen, Zurücksetzungen die Würde einer Person, die ein
feines Empfinden für die ihr zukommende Würde hat. Die Bewusstwerdenskraft
bringt diese ihre Würde und deren Verletzung oder den Angriff dagegen immer
wieder in das Bewusstsein der Person. Freilich können sich in solchen Fällen
leicht Übertreibungen einschleichen; ein hochmütiger Mensch z. B. empfindet es
schon als Angriff auf seine Würde, wenn ihm nur die Wahrheit über sich selbst
gesagt wird.
2696 |
Der zweite psychologische Weg, auf dem
menschliche (d. h., menschlich empfundene) Leiden entstehen, ist der vom
Physischen ausgehende. Körperliche Leiden, physisches Missbefinden werden von
der Bewusstseinskraft zur Person gebracht1085, werden mittels der
Intelligenzkräfte von der Person überdacht und erwogen und in wiederholter
Wechselwirkung zwischen Intelligenz- und Willenskräften entweder durch einen
vorhandenen Energieeinsatz wenigstens teilweise überwunden oder als ein
gleichsam die Person selbst beherrschendes Leiden auf die physischen Kräfte
zurückgeworfen. Ein physisches Leiden kann nämlich unter den Energieaufwand der
Person gestellt, und damit als persönliches „Leiden“ vermindert werden; oder
aber bei schwacher Rückwirkung der Person beherrscht das physische Leiden
selbst die Person. Bei allen Arten von Leiden spielt die Einwirkung der
Intelligenzkräfte mit; bei starker Einwirkung derselben können die Leiden von
den Geisteskräften in einem gewissen Sinne festgehalten, beherrscht und
reguliert werden; bei minderer Einwirkung derselben kann das ganze Menschsein
durch die Leiden beherrscht werden.
2697 |
Ich schaue auch die verschiedenen Ursachen der
Leiden im konkreten Leben: zunächst die rein persönlich-geistigen Leiden als
ein von der Person ausgehendes und ihr bewusst gewordenes Missbehagen gegen
sich selbst – wie oben geschildert. Dann, allgemein seelische Leiden,
hervorgerufen durch die vom Personkern entfernteren Seelenkräfte, aber die doch
auf die Person selbst als ihr Leiden zurückgeworfen. Zu diesen auf Seelenleiden
oder auf die Geisteskräfte zurückgehenden Leiden kommen auch jene, die zwar
zunächst äußere Einflüsse zum Ursprung haben, aber doch zugleich das
Seelenleben angehen und treffen: Erkrankungen, Kummer, Sorge, Verluste an
irdischen Gütern sind zwar von außen verursacht, werden aber als Rückwirkungen
auf die Person zu deren persönlichen Leiden. Ebenso gehen, wie gesagt, die rein
physisch bedingten Leiden den Weg zur Person. – Alle menschlichen Leiden aber
verursachen infolge des Naturgeheimnisses der psycho-physischen Wechselwirkung
eine Reaktion im Gesamt-Menschsein, auch wenn diese nicht immer durch die
Bewusstwerdenskraft bis in das eigentliche Bewusstsein übertragen wird, sondern
sich nur im Unterbewusstsein vollzieht. Jedes Missbehagen ruft irgendwelche
„Veränderungen“ hervor, sei es geistiger, sei es leiblicher Art, auch wenn
dieser Veränderungen je nach der Art des persönlichen Empfindungsvermögens
verschieden sind. Betroffen von der jeweiligen Einwirkung oder Reaktion, übt
das Empfindungsvermögen einen Druck aus auf das Gesamt-Menschsein, sodass sich
z. B. Kummer und innere Leiden in körperlichen Verstimmungen zeigen und
auswirken und anderseits auch körperliche Leiden ein geistiges Gedrücktsein
usw. herbeiführen.
2698 |
Bei Menschen mit weniger Geisteskraft bleibt
jedes Leiden auch ein inneres, von den Geisteskräften Ausgehendes, mehr an die
Sinne und an das sinnliche Gefühl gebunden und kann darum mehr auf das
physische Befinden einwirken. Bei höher entwickelter Geisteskraft „steht der
ganze Mensch allmählich über den Leiden“, die von den Geisteskräften getragen
und beherrscht werden – während sie im anderen Fall mehr auf der sinnhaften
Natur lasten und eine ungünstige Auswirkung auf das Gesamt-Menschsein haben.
2699 |
Ich wurde heute wiederum hingewiesen auf das
Geheimnis der „Leiden eines Kindes“, das noch nicht zum Bewusstsein gekommen
ist. Ein Leiden ohne eine1086 bewusst tätige Person ist kein wahres
Leiden; denn es fehlt der notwendige Bewusstwerdensakt, mittels dessen es der
Person zugeführt wird und den von der Person geleiteten psycho-physischen
Kreislauf antreten kann. Dieser Kreislauf übt gleichzeitig wieder entsprechende
Reize auf die Bewusstwerdenskräfte aus und diese werden – infolge der
fortgesetzten Tätigkeit der Bewusstwerdenskräfte – als zusammenhängende
Erlebnisse im Zentrum des Menschen, in der Person selbst, bewusst und von ihr
als wahre Erlebnisse (seien es Leiden oder Freuden) empfunden. Es ist aber kein
wahres menschliches Leiden vorhanden, solange es nicht das „Ich-Bewusstsein“
trifft und als dessen „persönliches Erleben“ empfunden werden kann.
2700 |
In Anwendung auf das Geheimnis Christi werde
ich noch auf Folgendes hingewiesen: Die göttliche Person trug ihren
Menschenleib und alle Erlebnisse ihrer menschlichen Natur als die Ihrigen. Wie
hätte sie aber diese Erlebnisse ihrer Seele und ihres Leibes als die Ihrigen
empfinden können, wenn keine Auswirkung vonseiten der göttlichen Person auf die
menschliche Natur und vonseiten der menschlichen Natur auf die Person
stattgefunden hätte? –
2701 |
Zweifellos waren die Leiden und Erlebnisse
der göttlichen Person Christi infolge der logischen Wechselwirkung der beiden Naturen
in ihm sehr verschieden von den unseren. Diesbezüglich wurde ich z. B.
hingewiesen auf die hohe Art der Vergeistigung, welche die göttliche Person und
deren göttlich-sittliche, Vollkommenheiten auf die menschliche Natur Christi
ausübten und dadurch auch deren Erlebnisse vergeistigten. – Wegen der vornehmen
und vollkommenen Harmonie zwischen der göttlichen und menschlichen Natur in
Christus wurden ferner die Leiden und Erlebnisse Jesu von seiner Geisteskraft
getragen und lösten auch deshalb eine andere Reaktion aus als in uns. Zwar
empfand Jesus alle leiblichen Erlebnisse in dem ganzen Maß ihres Gegensatzes zu
der göttlichen Würde seiner Person, aber das Geistige beherrschte in ihm
vollkommen das Leibliche und blieb herrschend über die physischen Leiden und
Erlebnisse, die damit zu Erlebnissen des Geistes wurden. – Ferner war in
Christus infolge der höchsten Einfachheit seiner Seele und infolge der
Beherrschung seines Leibes durch den Geist alle wie auf ein Empfinden
hingeordnet. Es herrschte in ihm nicht die vielfache Art der Gefühls- und
Gemütstätigkeit wie bei uns, weil die göttliche Person ihre
göttlich-wesentliche Eigenheit des „actus purus“ sich auswirken ließ – soweit
die menschliche Natur dies ertragen konnte – und weil dementsprechend auch das
Seelenleben Jesu das Gepräge höchster Einfachheit an sich trug.
2702 |
Zum Verständnis und gewissermaßen zur
Bestätigung dieser „Einfachheit“ in den menschlichen Erlebnissen und Leiden
Jesu werde ich hingewiesen auf den Unterschied zwischen meinen früheren inneren
Leiden und denen in letzter Zeit. Wenn früher die inneren Leiden auch die rein
geistigen der passiven Läuterungen, sich noch in den Sinnen oder „sinngebunden“
auswirkten, so herrschte bei diesen Läuterungsleiden in letzter Zeit – d. h.
schon seit Längerem – eine gewisse Einfachheit des Empfindens. Mögen diese
Leiden noch so hart und durchdringend und verzehrend sein, so „ist mir doch
nicht schwer dabei“, d. h., es bleibt die Leichtigkeit des Geistes bestehen,
mit der diese Leiden getragen werden. Gewiss sind diese Leiden unmittelbar und
intensiv in der Seele wirksam; sie verfolgen sozusagen ein direktes Ziel und
sind wie ein Stich auf die schmerzende wunde Stelle; jedoch der „Umkreis der
wunden Stelle bleibt unberührt“, während früher ein größerer Seelenkomplex von
diesen Leiden betroffen wurde. – Eine ähnliche (aber natürliche höhere) Art der
„Einfachheit“ wurde mit auch bezüglich der Leiden Christi erklärt; diesen
blieben im Zentrum seiner Person. Sie wurden zwar getragen mittels der Kräfte
seiner menschlichen Natur, aber diese Kräfte waren ganz der göttlichen Person
zugeordnet und im Einklang mit der Eigenart dieser Person. –
2703 |
Anmerkungen:
1.) Zusammenfassend schaute ich so
den Sinn der Menschwerdung: Er wurde Mensch und blieb Gott, wobei auch das
Menschsein zur Auswirkung kam und doch das Göttliche das Tragende im
Gottmenschen blieb.
2.) Mit der seinshaft veranlagten
sittlichen Vollkommenheit der Seele Jesu ist nicht gemeint die Art des
göttlichen Seinszustandes Christi; denn die Seele Jesu war und blieb ein
geschaffenes Wesen und konnte darum niemals den göttlichen Seinszustand als ihr
Eigen haben. Eine seinshaft in der Seele bestehende Vollkommenheit will
vielmehr besagen „etwas, was in der Seele schon 'ist' und nicht erst 'werden'
muss“, was nicht erst durch mühevolles Üben und Probieren sich ausbilden muss,
was also schon als bestehende gebrauchsfertige Anlage vorhanden ist.
„Übung“ bedeutet ein beständiges
Probieren; „Ausübung aber ist vollkommene Übung“, ist etwas, was man schon
kann, und zwar geläufig kann. Bei der Ausübung werden die schon vorhandene
Tugend und das vorhandene Gute gebraucht und ohne Schwierigkeit ausgenützt. Die
schon bestehende Vollkommenheit wird zur Anwendung und Ausübung gebracht, sooft
entgegengesetzte Einwirkungen von außen diese Ausübung verlangen zur
Überwindung jener entgegengesetzten Einflüsse.
Jesus empfand (infolge der seinshaft
veranlagten Vollkommenheit seiner Seele in sich oder in seiner physischen Natur
keinerlei Widerstreben gegen die höchste Vollkommenheit, die von der göttlichen
Person gefordert wurde; – das wäre nämlich gegen seine Heiligkeit gewesen. In
der Ausübung dieser seiner schon bestehenden Tugend aber wurden die
herantretenden Gegensätze als Widerspruch von ihm empfunden, so z. B. in der
Ausübung seiner Geduld gegenüber den Anfeindungen der Pharisäer oder gegenüber
den Mühsalen seines irdischen Lebens. Er erlebte damit die „logische Konsequenz“,
das logische Widerstreben seiner Natur gegen jene von außen kommenden
Gegensätze als „Leiden“. –
3.) Nicht selten gibt mir der Heiland
Erklärungen in Ausdrücken, die an sich einen mehrfachen Sinn haben, und erst
nach einiger Zeit gibt er dann die nähere Erklärung solcher an sich
mehrdeutiger Ausdrücke. Ich soll darum – so wird mir soeben beim Schreiben
bedeutet – der Erklärung nicht vorgreifen, denn es sei eine „stufenweise
Erklärung mit vorhergehender Fundamentierung des Zukünftigen“.
2704 |
(In S. Agostino:) Es kommt in mir ein neuer
„Person-Antrieb“ und damit dann ein immerwährendes Erleben Christi.1087
2705 |
Gestern war ich in sehr tiefen geistigen
Leiden, die mich in eine wunderbare geistige Zusammenfassung und Einheit
brachten. – Diese Geistigkeit steigerte sich heute Morgen in der Kirche S.
Augustino. Ich war so „leicht“ und durch und durch geistig-gefühlig! Um es in
einem Vergleich anzudeuten: So wie es im leiblichen Leben wäre, wenn das Sehen,
Hören, Fühlen nicht nur durch die betreffenden Sinne, sondern durch den ganzen
Körper geschähe, so ähnlich empfinde ich die jetzt werdende erhöhte geistige
Empfindungsfähigkeit und das „Gespür“ meiner ganzen Seele. – Die letzte
Erklärung hierfür liegt darin: Durch die Gnade lebt Christus in der Seele und
ich erlebe mittels einer erhöhten Empfindungsfähigkeit Christus in mir in einem
ähnlichen Erfahren und Erfassen seines Geheimnisses, wie es bezüglich der
äußeren Umgebung durch die Sinne1088 (Augen, Ohren usw.) geschieht.
2706 |
In diesem außergewöhnlichen Zustand, der aber
für mich ganz „natürlich“ schien, wurde mir dann folgende Erklärung und
Begründung dafür gegeben: Dieser hohe Vergeistigungszustand ist notwendig für
mich, denn das mir bevorstehende Erleben des Geheimnisses des Gottmenschen ist
eine ganz außergewöhnlich große Gnade und dazu bedarf es einer solchen
Verfeinerung meines ganz Menschseins. Es handelt sich dabei ja nicht nur um ein
Schauen des göttlichen Geheimnisses in Christus, sondern zugleich mit dem
Schauen um ein „Durchfühlen, Durchhören, Durchdringen“, das sich mittels meiner
vergeistigten Seelenkräfte vollzieht.
2707 |
Bei diesem „Durchschauen und Durchdringen und
Durchfühlen“ sind die Begriffe von Christus so klar und bestimmt, dass ich in
ähnlicher Sicherheit sie bestätigen und meine Zustimmung zu ihrem Inhalt und
deren Schlussfolgerungen geben muss, wie etwa zu dem Satz, dass zwei mal zwei
gleich vier ist.
2708 |
Im Besonderen habe ich aber heute noch näher
den Unterschied zwischen der gewöhnlichen Betätigungsart der Seele und der
„wesentlichen Betätigungsart“ der Seele Jesu erfasst, wobei ich wieder an
frühere diesbezügliche Erklärungen erinnert wurde, wie z. B., dass „Jesus sein
gottmenschliches Leben durch die Substanz der Seele lebte“. –
2709 |
Als Hauptpunkte habe ich gleich die folgenden
notiert:
1.– Es wird mir eine „stufenweise
Hinführung“ gegeben, weil dies Geheimnis nicht auf einmal in Worten
auszusprechen ist.
2.– Das „Bewusstwerden“ (und das
Bewusstseinsleben überhaupt)1089 war in Jesus nicht ein
verstandesmäßiger Akt wie beim gewöhnlichen Menschen, sondern ein wesentlicher
Akt.
3.– Die „seinshafte sittliche
Vollkommenheit der Seele Jesu“ wurde genommen zur Inanspruchnahme durch die
göttliche Person.
4.– Aus diesen Gründen kam es nicht
zu einer Vermischung der Kräfte der beiden Naturen in Christus.
5.– Es blieb bei einem göttlichen
Leben, obwohl die menschlichen Funktionen – in einer seinshaften Weise –
vorhanden und tätig waren.
6.– Der göttliche Seinszustand in
Christus nahm die menschliche Natur „nach seiner Art“ in Anspruch.
7.– Die Reaktionen der menschlichen
Natur „verkürzen“ sich im Sinne der Einwirkung des „actus purus“.
8.– Damit wurde das gesamte
Gottmenschentum auf eine andere Basis gestellt als das gewöhnliche Menschentum.
– Bei aller Ähnlichkeit der Betätigungen und Auswirkungen ist das Entscheidende
die „Art“ der Funktionen.
9.– Für mich ist Voraussetzung zum
Nachleben1090 und Erklären dieses Geheimnisses eine feine geistige
Unterscheidungsgabe und eine Erhöhung meines Auffassungsvermögens, erreicht
durch langjährige ständige Läuterung. – Es wird sich um ein „Selbsterlebnis“
handeln, nicht um visionäres Schauen.
2710 |
Dazu im Einzelnen Folgendes:
2711 |
Das Bewusstwerden in der gewöhnlichen
Menschenseele ist ein „verstandesmäßiger Akt“. – Das Bewusstwerden ist
letztlich ein Akt und Urteil der Person, dem aber viele Schlussfolgerungen
vorausgehen. Der Bewusstwerdensakt entwickelt sich in den „Ausläufern“ oder
Fähigkeiten der Seele und mittels der physischen Kräfte. Er setzt voraus ein
mannigfaches Vergleichen und Schlussfolgern, ein Gegenüberstellen, ein
Austausch und eine Verständigung zwischen den verschiedenen erwachenden Seelen
– und Bewusstseinskräften. Das zeigt eine kurze Untersuchung der Psychologie
der Akte des Bewusstseins1091.
2712 |
Die erste Stufe des Bewusstwerdens, die dem
letzten, vollen Bewusstsein vorausgeht, ist das Erfahren seiner Existenz: „Ich
bin“. Dies bedeutet schon ein geistiges „Um-sich-schauen“, ein Sich-selbst-beschauen,
und es setzt1092 voraus ein Gegenüberstellen der verschiedenen
eigenen Kräfte und ein Beziehen derselben auf die Person, die das
Selbst-erfahren dann als Eigenes aufnimmt („ich bin“).
2713 |
Von diesem Erfahren der Tatsache der eigenen
Existenz aus kommt es langsam zu einem dauernden Erfahren der Art dieser
Existenz: „So bin ich“. – Nachdem die Person „weiß“, dass sie existiert,
werden ihre selbstigen Anlagen angeregt zum Mitarbeiten für diese Existenz; sie
werden geweckt und in Tätigkeit gesetzt und werden mittels eines Reflexes der
Person selbst bewusst, die schließlich im letzten Akt des Bewusstwerdens –
ähnlich wie gegenüber der eigenen Fotografie, feststellt: „So bin ich“. –
2714 |
Mit dieser vollzogenen Feststellung des
eigenen Seins „tritt“ die Person gleichsam in die Außenwelt, in ihre Umgebung
ein und drängt dieser gleichsam ihre individuelle Eigenart auf. Die
Bewusstwerdenskraft nimmt die „Art“ der Umgebung in ihre Akte auf und führt sie
der Person als deren „Umgebung“ oder als äußere Einflüsse zu. – Die Folge ist
ein Reagieren oder eine Stellungnahme der Person gegenüber diesen mittels der
Bewusstwerdenskraft aufgenommenen Einflüssen, mit denen die Person entweder
„sympathisiert“ oder denen sie sich entgegenstellt. Darin kommt die Eigenart
der Person zum Ausdruck. Die Person kann aber weder aus ihrer Eigenart noch aus
ihrer Umwelt ganz heraus und muss sich mit beiden Eigenarten irgendwie abfinden
und darin zurechtfinden. – Bei dieser Stellungnahme greifen die
Intelligenzkräfte vermittelnd ein. Gegenüber „sympathischen“ Einflüssen
erklären und beweisen sie immer wieder das Angenehme und Gute derselben und
alles dies wird durch die Bewusstwerdenskraft (von nun an immer abgekürzt
„B.K.“ – Bewusstwerdensakt = B.A.) immer wieder der Person durch einen entsprechenden
Akt zugeführt und damit „bewusst“ gemacht. So kommt es zu einer bewussten
inneren Zustimmung und Übereinstimmung gegenüber den gemeldeten Einflüssen zu
einem Empfinden der Freude und Befriedigung darüber. – Bei widrigen1093
Einflüssen aber regt sich der Widerspruch, weil durch die B.K. immer wieder der
Gegensatz zwischen der Eigenart der Person und jener der äußeren Einflüsse
gezeigt und gegenübergestellt wird. Dieser Gegensatz muss mithilfe und
Vermittlung der Intelligenzkräfte zu einer Lösung, zu einem Ausgleich oder
wenigstens zu einer Abschwächung gebracht werden – wenn nicht ein beständiger
Widerspruch mit der Umgebung und eine Unausgeglichenheit in der Person selbst
bestehen bleiben soll. Zu diesem Ausgleich wirken verschiedene innere Akte und
Tätigkeiten mit, die ständig durch die B.K. der Person zugeführt und bewusst
werden: Die eigentliche Intelligenzkraft legt Vernunftgründe vor, weshalb sich
z. B. die Person den widrigen Einflüssen der Umgebung fügen müsse. In mehr oder
minder großen Umfang wird dazu als Begleit- und Bestätigungsmittel der
Intelligenzkräfte auch die Tätigkeit der Fantasie oder des
Vorstellungsvermögens geweckt, das durch bildhafte Vorführungen die Gründe des
Verstandes erläutert usw. Auch diese Tätigkeiten der Fantasie werden ständig
durch die B.K. der Person bewusst. Die Person kann sich von den „Gründen“ der
Intelligenzkräfte abwenden und sich mehr den ihrer Eigenart entgegengesetzten
oder ihr sympathischen Einflüssen zuwenden. So gehen einer endlichen
Entscheidung viele Wechselwirkungen der verschiedenen Seelenkräfte voraus und
es spielen sich immer neue Gegenüberstellungen im Seelenleben ab. Und gerade in
diesen Gegenüberstellungen und Gegensätzen, in die der Mensch mit seinem Leben
hineingestellt ist, kommt die Eigenheit der Person zum Durchbruch (die
Tätigkeit der B.K. erstreckt sich ja nicht bloß auf die Zeit des vollen
Erwachens der Person, sondern geht weiter im ganzen Leben einer vollbewussten
Person).
2715 |
Die Person lässt sich also gleichsam in
Wechselbeziehungen mit den sie unterstützenden und ihr unterstehenden Kräften
ein und diese hinwiederum [sic!] wirken mit ihren Fähigkeiten auch auf die
Person ein, um ein geistiges Gleichgewicht und eine gegenseitige Regulierung,
Verständigung und Übereinstimmung zu erzielen, bevor es zum letzten
entscheidenden Urteil kommt, das die Person mittels des Willens fällt. Dieses
letzte Wort und Urteil ist aber vorbereitet und bedingt durch all diese Akte
und durch die Diskussion der verschiedenen Seelenkräfte.
2716 |
Die B.K. führt dabei der Person nicht bloß die
äußeren Lebensumstände zu, sondern auch den ganzen Komplex des Seelenlebens.
Ihre Objekte sind sowohl die Einflüsse von außen wie auch die Ausflüsse oder
Auswirkungen, die von der Person selbst ausgehen. So nimmt die B.K. eine
Mittel- und Vermittlungsstellung im Seelenleben ein. Sie ist die
Erlebniszuführerin und die Erlebnisbefähigung für die Person. Alle durch sie an
die Person „gemeldeten“ Einflüsse der Umgebung und alle durch sie
weitergegebenen Auswirkungen der Person rufen immer neue Tätigkeiten des
Seelenlebens hervor und so ist sie es auch, die einen ständigen Anreiz zur
Entfaltung der Betätigungsmöglichkeiten der Seele ausübt. – Die B.K. steht
darum auch im Mittelpunkt eines wirklichen oder möglichen Wechsels im Seelenleben
der Person. Diese muss sich nämlich nicht bloß nach den Objekten richten, die
ihr durch die B.K. gemeldet werden, sondern auch nach der Art, wie diese
Objekte ihr durch sie vorgeführt werden. Darum hängt auch die Veränderlichkeit
der Werthöhe einer Person eng mit der B.K. zusammen. – So ist also der ganze
„Komplex“ des Seelenlebens von beständigen Tätigkeiten der B.K. getragen und
man kann sagen: Die B.K. gibt der Person ihre „Lebendigkeit“ (oder geistige
Vitalität) und ihre Tätigkeit ist die erste und wichtigste Dienstleistung an
die Person, denn ohne diese Tätigkeit würde die Person ihre „Lebendigkeit“
verlieren. Tatsächlich kann man von einem wahren und vollen Menschsein auch nur
dann sprechen, wenn die B.K. mit ihrer Tätigkeit funktioniert.
2717 |
Die B.K. ist, mit einem Worte gesagt, „der
Spiegel“ der Person, womit diese ihre eigene „Existenz“ überschaut, wobei unter
„Existenz“ verstanden und gemeint ist das ganze Leben mit all seinen Umständen
und Gegebenheiten, die an diese „Existenz“ herankommen und wodurch diese
„Existenz“ gestützt wird.
2718 |
Darum stehen auch die Person und ihre B.K. in
einem notwendigen und unzertrennlichen Zusammenhang in diesem psychologischen
Geheimnis der Natur. Die B.K. steht auf der Werthöhe der Person und nimmt alle
Eindrücke nach der Art und nach der Werthöhe der Person auf; sie „empfindet“
und ist tätig zusammen und im Einklang mit der Person. Anderseits wird auch das
durch die B.K. bewusst gewordene Objekt entsprechend der Eigenart der Person
von dieser aufgenommen. Dabei muss sich auch die Person diesem Objekt anpassen,
weil sie das letzte Wort und Urteil über das Bewusstgewordene zu sprechen hat;
die B.K. führt aber an sich die Objekte unverändert so vor, wie sie von ihr
aufgenommen werden.
2719 |
Die beiden Tätigkeiten, die der B.K. und jene
der Personkraft, müssen also notwendig vor dem letzten, sicheren und
entscheidenden Urteil auf eine Linie gebracht werden und müssen sich wie zu
einem Akt ergänzen, den letztlich die Person ausführt, und zwar mittels des
Willens. Die beiden Tätigkeiten müssen darum harmonisch, ebenmäßig verlaufen
und deshalb muss vorher eine gegenseitige Regulierung stattfinden und ein
gegenseitiges Einverständnis und Übereinstimmen erzielt werden, bevor die
Person als letzte entscheidende Instanz mit ihrem Willen das entscheidende
Urteil fällen kann. Dieses Urteil oder dieser letzte Akt des Bewusstwerdens übt
dann eine entsprechende Wirkung auf das Gesamt-Menschsein aus.
2720 |
So besteht also das „Bewusstsein“ aus
ununterbrochenen Akten des Wissens um sich, um die Umgebung und die
Lebensumstände, und dieses Wissen verlangt eine ständige Gegenüberstellung und
Stellungnahme der verschiedenen Kräfte der Person gegenüber den
bewusst-gewordenen Objekten. Das Bewusstsein vollzieht sich also in
verstandesmäßiger Art auf dem Wege eines vergleichenden und schlussfolgernden
Abwägens und eines Austauschens der Kräfte. Mit anderen Worten: Es beruht auf
eine Vermischung der verschiedenen Seelenkräfte im Menschen.
2721 |
Ganz anders ist die Art des gottmenschlichen
Bewusstwerdensaktes und des Bewusstseinslebens in Christus – wie ich schaute.
In ihm kam es dabei zu keiner Vermischung der beiderseitigen Kräfte. Jede der
beiden Naturen in ihm bewahrte vielmehr ihre Eigenart ohne Vermischung, und
doch kam es zu einem wahren, und seinem Wesen nach normalen (wenn auch in der
Art von dem unseren verschiedenen) B.A. – wie ist das möglich? Die Lösung des
Geheimnisses liegt darin: Das Seelenleben Jesu vollzog sich im Zentrum, in der
Substanz der Seele selbst und dabei wurde ihre seinshafte Vollkommenheiten von
der göttlichen Person in Anspruch genommen.
2722 |
Die Seele Jesu betätigte sich unmittelbar
durch ihre Substanz und nicht wie unsere Seele durch deren „Ausläufer“ oder
Betätigungsfähigkeiten, die auch auf die physischen Hilfsmittel angewiesen sind.
– In der Substanz der Seele liegen tatsächlich schon alle Hauptfähigkeiten der
Betätigung vorbereitet und verborgen, aber sie werden erst mit einer gewissen
Entwicklung der physischen Kräfte auch in die physische Natur
übergeleitet und durch diese dann wiederum auf das Zentrum oder der Substanz
der Seele übertragen. Die geistigen Fähigkeiten sind in der Substanz der Seele
schon im Augenblick ihrer Erschaffung vorhanden, aber die für gewöhnlich zu
ihrer Betätigung notwendigen physischen Hilfsmitteln bedürfen einer gewissen
Entwicklungszeit, einer Überleitungsperiode, in der die Verbindungswege
ausgebildet und freigelegt werden. An sich könnte darum der Mensch auch
beispielsweise ohne „Verstandestätigkeit“ „wissen“, und tatsächlich kann man
schon beim Kleinkind vor dem Erwachen seiner Vernunft ein gewisses „Wahrnehmen“
und „Kennen“ seiner Pfleger usw. feststellen (vgl. das früher Geschriebene!).
Es handelt sich dabei um Augenblickserlebnisse, um ein Aufblitzen der
Betätigungsfähigkeit der Substanz der Seele, aber es kommt vor dem „Erwachen
der Vernunft“ noch nicht zu zusammenhängenden Erlebnissen, weil die dazu
notwendige Mitbetätigung der physischen Natur noch nicht „reif“ ist. An sich
könnte der Mensch kraft seiner Anlagen und Fähigkeiten seiner Seele aber gleich
von Anfang an im Gebrauche seiner Vernunft sein, wenn dieser Gebrauch nicht für
gewöhnlich an die Mitbetätigung und das Ausdrucksmittel der physischen Natur
gebunden wäre. Die Seelentätigkeit ist in beiden Fällen im Grunde die gleiche
(auf dem gewöhnlichen Wege und auf dem unmittelbaren durch die Substanz).
2723 |
Die Seele Jesu war nun schon gleich bei ihrer
Erschaffung bzw. bei der Menschwerdung der göttlichen Person ein an sich
„fertiges Lebewesen“ in ihrer Betätigungsart gegenüber der göttlichen Person.
Die Betätigungsart und der geistige Umfang des Wesens der Seele Jesu blieben im
Wesentlichen immer gleich von seinem Kindesleben an bis zum reifen Alter oder
bis zu seinem Tode am Kreuz. Da sie sich aber dem physischen Wachstum ihres
Kindeslebens anpasste und da sie die von außen kommenden Eindrücke und
Erlebnisse mit in ihren Geist hineinnahm, so „wuchs“ dieser Umfang doch in
gewissem Sinne, nämlich infolge der allmählichen Entwicklung der menschlichen
Natur und infolge der äußeren Einflüsse. Damit nahmen Christi menschliche
Erlebnisse an Umfang und Ausdehnung und Fülle zu und die Seele Jesu „wuchs“
(wie die Hl. Schrift bestätigt) mit dem Leibe an Erlebnisfähigkeit. Sie war
aber nicht auf das Erwachen ihrer physischen Fähigkeiten der Mitbetätigung
angewiesen, obwohl sich Jesus in der Ausübung seiner fertigen Fähigkeiten in
allem den Wachstumsgesetzten eines normalen Menschenlebens anpasste. Die
Betätigung seiner Seele war an sich nur auf die „Entfaltung“ der Seele selbst
angewiesen, da Jesus sein ganzes Menschenleben mittels der Substanz der Seele
lebte.
2724 |
Die Seele Jesu trug ferner in sich eine
„seinshafte Veranlagung“ und diese wurde durch die göttliche Person in Anspruch
genommen. Seine Seele war mit einer so vollkommenen Ausstattung, mit
seinshaften Anlagen, geschaffen, dass diese Anlagen keiner Entwicklung oder
Vervollkommnung bedurften. Es waren vielmehr „fertige“, mit dem Sein der Seele
gegebene Anlagen und Vollkommenheiten, die [es] nur nötig hatten, herausgeholt,
gebraucht, angewendet und ausgeübt1094 zu werden. Es handelt sich
also in seiner Seele nicht um eine Entwicklung der Vollkommenheiten selbst,
sondern um eine steigernde Ausübung und Ausnützung dieser seinshaften (mit dem
Sein der Seele schon gegebenen) Vollkommenheiten. Die gewöhnliche „Entwicklung“
der Anlagen stößt auf Schwierigkeiten und Widerstand in sich selbst oder in der
Art der Ausführung oder in der Ausdehnung des Umkreises ihrer Betätigungen; in
Jesus aber gab es keine „Entwicklung“ weder in den Fähigkeiten selbst noch in
der Art und im Umfang ihrer Betätigungsmöglichkeit. Es war vielmehr eine
fertige und seinshafte, sittliche und psychologische Vollkommenheitsanlage
gegeben, und diese wurde sofort von der göttlichen Person gebraucht, um damit
sein gottmenschliches Leben zu formen. Es wäre ein innerer, unerträglicher
Widerspruch gegen die Würde seiner göttlichen Person gewesen, wenn er sich von
einer werdenden sittlich-psychologischen Vollkommenheit abhängig gemacht hätte.
Auch die psychologische Höhe und Feinheit der Seele Jesu war nämlich vom ersten
Augenblick an vollkommen gottdienstfähig; denn die göttliche Person war in
gleich göttlichem Maße „Gott“ in der Krippe wie am Kreuze und so war Christi
Seele im Kinde wie im Sterben in gleich vornehmer Weise und
sittlich-psychologischer Höhe und Feinheit ihm dienstfähig. Hierin gab es an
sich keine „Entwicklung“ oder Erhöhung, denn die Inanspruchnahme durch die
göttliche Person zu einem gottmenschlichen Leben forderte im Wesentlichen immer
das gleiche Maß von Dienstfähigkeit und Vollkommenheit.
2725 |
In der Anwendung und Ausübung dieser seinshaft
veranlagten sittlich-psychologischen Vorzüge aber bestand eine bis zum Tode
Jesu zunehmende Steigerung und Ausdehnung, die gleichen Schritt hielt mit dem
normalen Wachstum der menschlichen Natur und mit der sich diesem Wachstum
anpassenden Auswirkung der Erlöseraufgabe Christi. Nur in diesem Sinne hat sich
die göttliche Person einem „wachsenden“ Menschenleben übergeben und wirkte sich
seine seinshafte Vollkommenheitsanlage wachsend aus, je nach der Inanspruchnahme
durch die göttliche Person, die sich wiederum nach den Gegebenheiten und
Umständen ihres wahren Menschenlebens richtete. Es herrschte also in der Seele
Jesu keine „Entwicklung“ wie in unserer Seele, sondern nur eine steigernde
Ausübung und Anwendung seiner seinshaften sittlich-psychologischen
Vollkommenheitsanlage.
2726 |
Weil also Jesus nicht von einer
psychologischen Entwicklung abhängig war und weil die göttliche Person in ihr
das Tragende, Bewusste, göttlich Wissende war, so bewegte sich das ganze
Seelenleben Jesu „außerhalb“ und ohne die physischen Hilfsmittel, die das
gewöhnlich funktionierende menschliche Verstandesleben zur Erzeugung eines1095
menschlichen Wissens braucht. Diese göttlichen Vollkommenheiten und Fähigkeiten
kamen aber gleichlaufend mit der gewöhnlichen menschlichen1096
Entwicklung zum Ausdruck und zur Ausübung ihrer wesentlichen Tätigkeit. –
Deshalb kam es im Bewusstseinsleben Jesu auch zu keinem verstandesmäßigen
Schlussfolgern wie bei uns, und es war bei ihm keine „Rücksprache“ im eigenen
Inneren zwischen den einzelnen Geisteskräften nötig. Die göttliche Person war
in allem göttlich vollkommen; die psychologisch-sittliche Anlage der Seele bzw.
der menschlichen Natur Christi aber war vollkommen in ihrer Art der Angleichung
an die göttliche Person und es bedurfte keines besonderen angleichenden Aktes,
um die Person1097 und die sie unterstützenden Kräfte in Ausgleich
und Harmonie zu bringen, wie dies bei unserer unvollkommenen, disharmonischen
Seele notwendig ist. So war in Christus keine verstandesmäßige Kräfteanpassung,
die einen Kräfteaustausch zwischen der Person und den psychologischen
Fähigkeiten notwendig gemacht hätte, um sich in gegenseitigem Einvernehmen auf
eine gleiche Höhe der Übereinstimmung stellen zu können. Es bestanden ja in
Christus auch nicht jene geistigen Gegensätze und widersprechenden Tendenzen,
die es für uns notwendig machen, durch eigene innere Kraftaufwendung und
Anstrengung das Innere zu regulieren und in Einklang zu bringen; in Christus
war nichts zu regulieren1098. Darum bestand in ihm auch keine
Vermischung der Kräfte der beiden Naturen.
2727 |
Eine Bestätigung für die Möglichkeit einer
substanziellen Betätigungsart der Seele können, wie schon angedeutet, die
Erfahrungen bei Kleinkindern bieten. Gewisse augenblickliche Erlebnisse des
Kindes zeigen, dass in der Substanz seiner Seele sich schon vor dem Erwachen
der Vernunft im Wesentlichen alle geistigen Anlagen befinden. Könnten die
augenblicklichen Erlebnisse des Kindes (wie z. B. das Wahrnehmen des Wohlwollens
seiner Pfleger oder das Empfinden widriger Umstände) außerhalb des physischen
Denk- und Empfindungsvermögens einer bewussten Person zugeführt werden, so
würde daraus auch wirkliche, zusammenhängende Erlebnisse.
2728 |
Bei der gewöhnlichen Seele wird das physische
Denkvermögen ausgebildet, um ein persönliches Wissen und Kennen zu ermöglichen,
die Kindesseele aber ist gleichsam noch „unpersönlich“; die Seele Christi
jedoch war sofort persönlich bewusst und erlebte bewusst ihre Lage als Mensch.
– Ein Kind kann „wissen“, aber noch nicht verstehen, weil das eigentliche
Verstehen an die Hilfe der physischen Betätigung gebunden ist. Das langsame
Erwachen der Vernunft, das wir beim Kinde beobachten, hat seinen Grund in der
notwendigen Überleitung seiner Seelenfähigkeiten auf die physische Natur, mit
deren Hilfe dann jene Fähigkeiten zur gewöhnlichen Betätigung und zum Ausdruck
kommen. Das Erwachen der Vernunft selbst ist darum auf eine beständige
„Tätigkeit“ der Substanz der Seele angewiesen, durch die ein ständiger Reiz
ausgeübt wird auf die in Entwicklung befindliche physische Natur. Die Substanz
„strebt“ nach dem vom Schöpfer gegebenen allgemeinen Naturgesetz zur vollen
Betätigung ihrer Anlagen; aber auch entsprechende Anregung von außen (z. B.
durch sorgsame Einwirkung vonseiten des Pflegepersonals) kann die Tätigkeit der
Substanz der Seele unterstützen und fördern und damit eine raschere und bessere
Überleitung auf die physische Natur oder eine raschere und höhere Art des
Bewusstwerdens erreichen. Ein geistig vernachlässigtes Kleinkind wird
gewöhnlich auch ein geistig zurückgebliebener Mensch bleiben, wenn nicht eine
geistige Selbsthilfe ersetzend eingreift.
2729 |
Die gewöhnliche Betätigungsart unserer Seele
ist gleichsam zweigeteilt in jene der Substanz der Seele und die der
„Nebenfähigkeiten“ oder „Nebenakte“. Die Betätigung der Substanz der Seele wird
für gewöhnlich erst durch die psychophysischen Hilfsmittel voll ermöglicht, was
im Grunde in der Substanz der Seele schon vorhanden ist, das zur „normalen“ Betätigung
und zum Ausdruck durch die psychophysischen Betätigungskräfte kommt. Dadurch
gestaltet sich erst ein wahres Erleben des Menschenlebens und kommen die
Wirkungen der uns verborgenen Tätigkeit der Substanz der Seele erst zum
Bewusstsein des Menschen. So herrscht aber auch in der Substanz der Seele ein
beständiger Kreislauf zwischen ihr und ihren Hilfskräften, eine beständige
Bewegung und Veränderung, damit ihre Anlagen auch zur Ausführung kommen. –
Hätte nun diese „gewöhnliche“ Art der Betätigung auch in der Seele Jesu
bestanden, so wäre auch die unveränderliche Natur seiner göttlichen Person in
diesen ständig sich ändernden Kreislauf hineingezogen worden und wäre es zu
einer Kräftevermischung der beiden Naturen in ihm gekommen. Das ist aber
unmöglich. – Die Lösung dieses Geheimnisses liegt, wie gesagt, darin, dass
Jesus sein menschliches Leben durch die Substanz seiner Seele lebte und dass
diese seine Seele in „seinshafter“ Weise und Vollkommenheit in den Dienst der
göttlichen Person trat. In Christus griffen nur die „logischen Auswirkungen“
(die aus dem Wesen der hypostatischen Union oder der Vereinigung der beiden
Naturen in der einen Person notwendig folgten) ineinander, ohne dass die beiden
Naturen ineinander übergingen: Die menschliche Natur Christi „trug“ nämlich die
unveränderliche göttliche Natur; die göttliche Natur der Person Christi aber
beherrschte und durchdrang und „vergöttlichte“ seine wahre menschliche Natur.
2730 |
Darum blieb es in der Seele Jesu auch beim
göttlichen Wissen ohne ein verstandesmäßiges (= schlussfolgerndes)1099
Denken und „Schließen“ oder „Verstehen“. Zu diesem menschlichen Verstehen
braucht es nämlich ein Überleiten des „Wissens“ auf verstandesmäßigen Weg in
die psycho-physischen Hilfsmittel des gewöhnlichen menschlichen Denkens, und
ein Rückleiten von diesen – wieder über die Substanz der Seele – an die Person.
Das hätte aber in Christus wiederum eine Vermischung der Kräfte der göttlichen
Natur seiner Person mit den Kräften seiner menschlichen Natur bedeutet – und
war deshalb unmöglich. Tatsächlich wurde das göttliche Wissen Christi infolge
der hypostatischen Union auch zu einem „menschlichen Wissen“ in seiner Seele,
aber nicht auf dem gewöhnlichen verstandesmäßigen (d. h. auch an die Sinne
gebundenen und im Allgemeinen schlussfolgernden) Weg, sondern dadurch, dass
jenes göttliche Wissen von der Seele Jesu in substanzieller Betätigung
aufgenommen und übernommen wurde in Hinordnung auf den Zweck der Erlösung.
2731 |
In Christus war an sich alles vorhanden, was
zu einem „normalen“ Seelenleben notwendig ist; es fehlte nur die menschliche
„Person“ und diese wurde „ersetzt“ durch die Übernahme seiner menschlichen
Seele vonseiten der göttlichen Person. Die Seele Jesu war dieser göttlichen
Person (des Wortes) in einer psychologisch „substanziellen“ und moralisch
„seinshaften“ Art der Betätigung dienstbar. Damit bot sie der Person des Wortes
gewiss die Möglichkeit zu einem menschlichen Leben, aber sie konnte dem
göttlichen Sein und Leben der Person selbst nichts bieten, noch hinzufügen. Es
fand auch kein Überleiten des göttlichen Lebens durch die physischen
Hilfsmittel in die Seele und kein darauffolgendes physisches1100
Zurückleiten dieses Lebens zur Person in Christus statt – wie das in unserem
menschlichen Leben geschieht. In den göttlichen Vorzügen der Person Christi war
aber in überragendem Maße alles vorhanden, was nötig war, um bei einer
ausschließlich „substanziellen“ Betätigungsart seiner Seele doch ein „normales“
und wahrhaft menschliches Seelenleben zu gestalten, und zwar auch ohne die
verstandesmäßige, sinnengebundene Überleitung jener göttlich-wesentlichen
Vorzüge. Es wäre eine Entwürdigung der unveränderlichen göttlichen Natur
gewesen, wenn diese sich der menschlichen Kräfte als wahre Stützen und
Hilfsmittel ihres Bestandes in einem menschlichen Leben bedient hätte.
2732 |
Das psychische und physische Leben der Seele
Jesu bot also – durch seine Mitbetätigung am gottmenschlichen Leben nach den
allgemeinen Gesetzen des psycho-physischen Kreislaufes im Menschenleben – der
göttlichen Person die Möglichkeit zum Menschsein, aber es war nicht eine
eigentliche „Stütze“ zur Ausübung der göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten.
Für die göttliche Person selbst gab es keine „Ergänzung“ und sie nahm (und
konnte nur annehmen) von der menschlichen Natur nur die Dienstleistung zu einem
normalen Bestande als Mensch. – Das göttliche Leben der Person des Wortes lebte
sich aber ganz in seiner wesentlichen (in sich unveränderlichen) Art in der
Menschheit Christi aus, wozu ihr die dienstbare menschliche Natur das Werkzeug
war. Die göttliche Natur1101 der Person des Wortes blieb unverändert
in ihrer Eigenart und übte diese Eigenart gegenüber der menschlichen Natur aus,
die ihr die Möglichkeit eines dem unseren ähnlichen psychophysischen
Kreislaufes bot. Die menschliche Natur aber konnte der göttlichen zu deren
göttlich-wesentlichem Sein hinzu nichts bieten. Sie konnte dieses göttliche
Sein in keiner Weise weder vervollkommnen noch verringern, denn sie war und
blieb ein geschaffenes, endliches Wesen.
2733 |
Ich erlebe in mir große psychologische
Veränderungen gegenüber dem gewöhnlichen Seelenleben. Die geistige Passivität
in mir erhöht sich fortwährend. – Als Grund für diese psychologischen
Veränderungen in mir wird mir Folgendes erklärt: Es kommt in mir zu einer sich
immer mehr steigernden wesentlichen (substanziellen) Betätigungsart der Seele,
und ich verliere das gewöhnliche „verstandesmäßige“ Bewusstwerden und
Bewusstseinsleben.
2734 |
Ich spüre und erkenne auch, in welchem Maße
mir schon das Eigen-Persönliche weggenommen ist, und zwar infolge der
Nachbildung meiner Seele nach der Art der Seele Christi. Mein ganzes Menschsein
erfährt die Konsequenzen davon, die aber nur geistige Begriffe bleiben und
nicht in Worten auszusprechen sind. Doch ist auch meine physische Natur als die
Mittragende an diesen psychologischen Veränderungen beteiligt und wird sie
irgendwie hineingezogen.
2735 |
Es gibt in mir zurzeit keinen (erlebten)
„Selbstbestand1102“ (weil der bisherige mir genommen und der neue
Person-Antrieb noch nicht vollendet ist); daher fühle ich mich geistig1103
wie „schwebend in einer raumlosen Höhe“ oder über einem „bodenlosen Abgrund“,
dem ich zubewegt werde und den ich als höchste Spitze und Idealzustand in
Christus erreichen werde mit dem letzten und vollen Eingehen in die göttliche
Person, wie dies meine besondere Aufgabe erfordert.
2736 |
Wiederholt erlebte ich innerlich die
Betätigung des letzthin Geschriebenen, dass nämlich Jesu Sein gottmenschliches
Leben „mittels der Substanz seiner Seele lebte“.
2737 |
Seit gestern ist in mir wieder ein „Hindernis
zu Christus“ (d. h. ein Hindernis für das letzte Eingehen in Christus)
weggeräumt worden.
2738 |
Immer wieder scheint der mir vorausgezeigte
„nächste innere Schritt“ die Vorstufe für den hierauf unmittelbar und notwendig
folgenden Idealzustand für meine Aufgabe zu sein. Aber beim Erreichen dieser
Stufe steigt dann vor meinem Geiste wieder ein „neues Hindernis“ auf, das erst
wieder durch neue geistige Umwandlungsleiden entfernt werden muss. – So
vollzieht sich in mir eine steigernde „Entfernung“ von meinem1104
gewöhnlichen Person-sein. Es lösen sich ständig „selbstige Verbindungen und
Verkettungen“ der Art meines bisherigen Person-Seins und es kommt zu einer
„fließenden und raumlosen Freiheit“ in mir. Es erhöht sich in mir eine gewisse
geistige Raumlosigkeit und es wird in mir immer mehr aufgehoben jenes eigene
Anlehnungsbedürfnis, das eine Eigenart und Grundlage der gewöhnlichen
menschlichen Person bildet. Jene begrenzten Stützen genügen für die Enge und
Begrenztheit einer menschlichen Person, die nur einen beschränkten Lebensraum
zur Betätigung hat, und sie sind ihr ganz natürlich. – In meinem Falle aber und
wegen meiner besonderen Aufgabe tritt nun das „Erleben und Bewusstsein meiner Person
für mich zurück“ (und wird gleichsam reduziert auf den Zustand eines Kindes vor
dem Erwachen des Bewusstseins; meine Person löst sich damit nicht auf, aber sie
wird „kaltgestellt“ und ihre Funktionen treten mir nicht mehr ins Bewusstsein.
Ein auf der Grundlage und Voraussetzung dieser umstürzenden psychologischen
Veränderung erhebt sich aber dann in mir das „bewusste Erleben der göttlichen
Person des Erlösers“. Dieses Erleben soll sich aber in mir auf einer
natürlichen Grundlage als „Selbsterleben“ vollziehen und dazu werden jetzt in
mir die psychologischen Voraussetzungen geschaffen. Diese Grundlagen und
Voraussetzungen muss ich mir leidend „mit erwerben“ und darum muss meine Seele
jetzt diesen Umwandlungsprozess ihrer bisherigen Funktionsart durchgehen. –
Diese geistige Umstellung wird mir näherhin erklärt als „Reduzierung meines
verstandesmäßigen Bewusstseinslebens“, um stattdessen ein wesentliches oder
substanzielles Bewusstseinsleben aufnehmen zu können, wie es für das Erleben
der Erlöserperson erforderlich ist. – Über die wesentliche Betätigungsart der
Seele wurden mir heute verschiedene geistige Begriffe gegeben, die ich aber
noch nicht alle in Worten wiedergeben oder niederschreiben kann.
2739 |
Die erste substanzielle Betätigung der Seele –
schon im Mutterschoß – ist „Dasein und Leben“ (was sachlich wohl zusammenfällt,
gedanklich aber nicht ganz dasselbe ist). Die Seele beginnt, ihre
Lebensmöglichkeiten zu verwirklichen, die mit der Existenz ihrer Substanz
gegebene Betätigungskraft anzuwenden, die ihr vom Schöpfer mitgegebenen Anlagen
sich langsam regen zu lassen. Die erste substanzielle Betätigung der Seele ist
also „leben“, ja in gewissem Sinne ist die Substanz ihr „Leben“ selbst. Mit
ihrer Substanz tritt die Seele selbst in Tätigkeit, zieht sie alle Lebensmöglichkeiten
an sich und so gibt ihr die Substanz das eigentliche „Leben“.
2740 |
Das schließt in sich eine zweite,
substanzielle Betätigung der Seele schon im Mutterschoß, nämlich ein
Unbewusstes, aber tatsächliches erfassen und „Wahrnehmen“ der im Mutterschoß
durch die natürlichen Lebensspender gebotenen Möglichkeiten und Werte zum
Ausbau ihres „Lebens“. Da es wohl kein eigenes Wort dafür gibt, möchte ich
dieses unbewusste Erfassen des für die Seele Zukömmlichen und Wertvollen
nennen: „unbewusst-intuitives Wahrnehmen“ durch die Substanz der Seele. Diese
„Intuition“ ist an sich rein geistiger Art, schließt aber auch ein unbewusst
unmittelbares Erfassen der eigenen physischen Existenz in sich, weil – in einer
substanziellen Betätigung der in der Seele schon vorhandenen Anlagen – die
physischen Mängel und Vorzüge der natürlichen Lebensspender von der zarten
Kinderseele ständig „wahrgenommen“, aufgenommen, zusammengefasst und
aufgestapelt werden. Durch diese ihre substanzielle Betätigung nimmt die Seele
die Vererbungsanlagen in sich auf und baut damit an ihrer individuellen
Existenz. So tritt die Seele von ihrem ersten „Aufflammen“ an in Tätigkeit und
„ruht“ niemals mehr. Sie bereitet vielmehr ihr eigenes Leben und den ersten
entscheidenden Beitrag dazu liefert – neben den von Gott in sie hineingelegten
Anlagen – das, was ihr im Mutterschoß von den natürlichen Lebensspendern
geboten wird.
2741 |
Wenn auch dieses „intuitive“ Erfassen – und
das dementsprechende „Aufnehmen“ – des im Mutterschoß gebotenen Lebensmaterials
unbewusst geschieht, so ist es doch ein ständiges An-Sich-Ziehen von Kräften,
das nicht weniger wichtig, ja noch wichtiger ist als das spätere, mithilfe der
physischen Hilfskräfte bewusste und schlussfolgernde oder „ableitende“
Wahrnehmen. Schon in dieser „Intuition“ offenbart sich aber einerseits die vom
Schöpfer gegebene mehr oder minder große „Feinfühligkeit“ der Seele, die in
ihrem tiefsten Sein, in der Substanz, ihren Sitz hat, anderseits wirkt sich
darin auch die mehr oder minder große Feinheit der Anlagen und Lebenskräfte der
natürlichen Lebensspender aus.
2742 |
Zusammen mit diesem „intuitiven“ Erfassen der
Verschiedenheit der Lebenswerte des Gebotenen geht in der substanziellen
Betätigung der Seele zusammen ein entsprechendes „Aufnehmen“ und „Einwirken“
dieser verschiedenen Werte. Auch dafür gibt es wieder kein eigenes Wort – oder
müsste man erst eines erfinden; ich möchte es deshalb ein
„empfindungsähnliches, unbewusstes Aufnehmen“ nennen, weil es dem späteren
bewussten Empfindungsleben entspricht und zugleich Grundlage der
„Leidensfähigkeit“1105 der Seele ist, die mit dem Wachstum des
physischen Lebens dann immer mehr zunimmt. Alle Ereignisse im Leben der Mutter
treffen mit ihren Auswirkungen das werdende Leben des Kindes, und zwar immer
intensiver, mit wachsender Empfänglichkeit, und die Kindesseele „empfindet sie
gleichsam mit“ und baut so jene Ereignisse unbewusst mit ein in ihre
Lebensanlagen und Lebensgrundlage. So „lebt“ die Substanz der Seele in einer
ständigen Wechselbeziehung mit der Mutter und damit auch mit deren persönlicher
Lebensart und Umgebung. Nach und nach werden die Hauptanlagen der Seele alle
schon in irgendeiner Weise im Mutterschoß tätig; und wenn diese unmittelbare
Betätigung auch unbewusst ist, so ist sie in gewissem Sinne doch wichtiger als
die spätere, die uns erlebnismäßig – auf dem Wege über die physische Natur und
die Sinne – bewusst wird.
2743 |
Dieses „Aufnehmen“ der Lebenswerte geschieht
nach dem Maß und nach der Eigenart der Person-Anlage der Seele. Die Seele nimmt
das auf, was ihrer Personallage entspricht und stößt alles, was dieser „fremd“
ist, ab. Mit diesem „Aufnehmen“ gibt und empfängt also die Substanz sich selbst
in einem gewissen Sinne. Damit wird zugleich eine freie Empfindsamkeit
grundgelegt, wie sie gerade dieser individuellen Person zukommt. – So macht
sich das Kind immer mehr „los“ von der Mutter und wird mit dem selbstständigen
Ausbau des Aufgenommenen immer mehr unabhängig von ihr. Das Endergebnis ist,
dass das neue Leben alle Grundlagen eines normalen Lebens in sich trägt, für
sich allein lebensfähig wird und dann – nach der Geburt – auf den gegebenen
Grundlagen sich das Leben in seiner besonderen Eigenheit weiterbaut. Vielleicht
liegt das tiefste natürliche „Geheimnis des Lebens“ gerade in diesen zwei
Seiten: Einerseits Abhängigkeit von den Lebensspendern, von denen es nimmt und
annimmt; anderseits zugleich persönlich-individuelle Unabhängigkeit in dem Maße
und in der Art des Nehmens, womit die Substanz der Seele zugleich (unbewusst)
sich selber gibt und in gewissem Sinne sich selber zurückhält. Damit wird
zugleich eine gewisse freie Empfindsamkeit grundgelegt und vorbereitet, wie sie
gerade betreffenden individuellen Personen zukommen wird.1106
2744 |
Während dann in den ersten Monaten nach der
Geburt die vorhergehenden substanziellen Betätigungen der Seele sich immer mehr
auswirken, und immer allgemeiner das menschliche Dasein des Kindes
durchdringen, beginnt in der Substanz der Seele des Kindes eine weitere
Tätigkeit, nämlich die des „Sehens, Hörens, Fühlens“. Durch diese an sich
wunderbaren Betätigungen, die schon eine gewisse physische Mitbetätigung
verlangen, tritt die Seele, zunächst noch unbewusst, mit der Außenwelt in
Berührung und lebt eine bewusstseinsähnliche Wechselbeziehung mit ihr. – Damit
erhöhen sich die ersten anfänglichen Betätigungen der Seele, die alle vom
Lebensantrieb ihrer Substanz hervorgerufen werden. Die Seele, d. h. ihre
Substanz, „lebt sich aus“ und dieses „Sich-Ausleben“ ist ihre vom Schöpfer
gegebene Grundtätigkeit.
2745 |
Der Mensch lebt also vor allem mit der
Substanz seiner Seele; am Anfang seines Daseins lebt er nur vermittels dieser
und noch nicht mit den Fähigkeiten; diese werden ihm aber später zum Mittel, um
seine substanziellen Anlagen in steigendem Maße und in „normaler“ Form Ausleben
und zur Auswirkung zu bringen; anderseits wird dann die substanzielle
Betätigung – die in sich selbst dem Menschen unbewusst bleibt – auch auf die
Tätigkeit ihrer Fähigkeiten angewiesen sein und wird durch diese dem Menschen
zum Bewusstsein kommen. – Es ist somit mit dem „Seelenleben“ ähnlich wie mit
dem „Leben“ eines Baumes. Zunächst lebt der Baum von der Wurzel, aus dem Stamm
und Äste hervorwachsen. Dann aber nehmen umgekehrt Blätter und Äste die von
außen kommenden Lebensstoffe in sich auf und führen sie ihrerseits der Wurzel
zu. – Die Substanz ist zu vergleichen mit der Wurzel, die Fähigkeiten aber mit
den Ästen und Blättern. In einer ähnlichen Wechselbeziehung „lebt“ zuerst die
Substanz, später führen umgekehrt die Fähigkeiten und Kräfte das „Leben“ der Substanz
zu, obwohl es immer nur ein und dasselbe „Leben“ ist. – Wie aber der Mensch
beim Baume gewöhnlich nur an das Sichtbare denkt, obwohl es nicht das
Wesentliche des Baumes ist, so geschieht es ähnlich bezüglich des Lebens
unserer Seele, weil der Mensch immer das Greifbare, das durch die Sinne
Erlebbare als die Hauptsache seiner Daseinsfaktoren zu betrachten geneigt ist.
2746 |
Mit dem Erwachen zum verstandesmäßigen
Bewusstwerden unseres menschlichen Daseins treten scheinbar die substanziellen
Tätigkeiten der Seele zurück, in Wirklichkeit aber gibt es keine
verstandesmäßig bewusste Tätigkeit im Menschen, die nicht zuerst von der
Substanz als die Zentralanlage aller Betätigungsmöglichkeiten auf die
physischen Hilfsmittel hingeleitet worden wäre. Sehen, Hören, Empfinden,
Wahrnehmen, Aufnehmen seiner Umgebung, alles dies ist ein Zeichen, dass die
Substanz der Seele lebt und tätig ist, denn sonst kämen jene Betätigungen gar
nicht zustande. Alle Tätigkeiten und Fertigkeiten des Menschen, von der
einfachsten bis zu den höchsten, gehen von der Substanz der Seele aus, sind
dort zuerst als Anlagen vorhanden und sind dort zuerst tätig. Durch die
Hilfsmittel der physischen Natur werden sie dann voll ausgebeutet und in eine
unserem Bewusstsein erfassbare Tätigkeit gesetzt. Im Kreislauf der besagten
Wechselwirkung wird dann der eigentlich erste Faktor, die Substanz, durch den
Zweiten, von ihr abhängigen, nämlich durch die Fähigkeiten1107,
ihrerseits in immer umfangreichere Tätigkeit versetzt.
2747 |
Mit dem Erwachen der1108 Vernunft
erlangen die von außen eindringenden Einflüsse als Anreger der Tätigkeit der
Substanz größere Bedeutung, aber auch diese äußeren Einflüsse können die
Substanz nur insoweit in Tätigkeit bringen, als in ihr eine dem äußeren
Einfluss parallele Anlage vorhanden ist. Was in keiner Weise als Anlage in der
Substanz gegeben ist, das kann auch ein noch so starker Einfluss von außen
nicht wecken oder in Tätigkeit versetzen.
2748 |
Die Tätigkeit der Substanz unserer Seele wird
bewusst erfahren nur durch eine „erlebnismäßige“ Gegenüberstellung dieser
Tätigkeit gegenüber der Substanz selbst, und zwar mittels der physischen
Hilfskräfte, die dazu vorbereitet sind und sich als Reflexe der Substanz
betätigen. Dieses Bewusstwerden ihrer Tätigkeiten ist also eine gewisse Abspiegelung
der Substanz selbst. Weil aber diese Tätigkeiten nur durch die physischen
Hilfsmittel oder durch die dort hervorgerufenen Reflexe zu einer
Gegenüberstellung oder Abspiegelung kommen, erleben wir in unserem Bewusstsein
die einzelnen Tätigkeiten nicht als substanzielle Tätigkeiten der Seele, obwohl
alle in der Substanz ihr eigentliches Zentrum haben; was aber nicht durch einen
„Reflex“ in die physischen Hilfsmittel gelangt, das kann nicht zu einer
Abspiegelung und damit nicht zum „normalen“ Bewusstwerden kommen.
2749 |
Eine solche, durch den Abdruck oder Reflex auf
die physische Natur bewusst gewordene Tätigkeit der Seele1109 setzt
aber schon eine Unsumme von Tätigkeiten der Substanz voraus. Uns unbewusst
vollzieht sich ja eine ständige Wechselwirkung und Übertragung zwischen der
geistigen und der physischen Natur in uns, und diese Wechselwirkung kommt uns
meist nur als Tätigkeit – eigentlich besser gesagt: Mitbetätigung – der
physischen Natur zum Bewusstsein. So meinen wir z. B.: Der „Kopf“ denkt und
wird müde, während wir uns der größeren Leistung des Geistes und der Substanz
der Seele dabei nicht unmittelbar bewusst werden.
2750 |
Neben anderen Erklärungen wurde mir heute die
Bedeutung der Substanz der Seele in folgenden zwei Vergleichen erklärt:
2751 |
Die Substanz der Seele ist – im Augenblick
ihrer Erschaffung durch Gott – wie ein Funke, der sich Nahrung sucht, um zum
Feuer und damit zur Wärme zu werden. Es ist dies ein Leben spendendes Feuer mit
vielgestaltigen Anlagen und es durchdringt durchwärmend das gesamte Dasein der
Seele und wirkt sich, kraft seiner Anlagen, vielgestaltig aus. Alles, was im
Leben des Menschen geleistet wird, geht irgendwie zurück auf die Kraft und
Lebenswärme dieses „Feuers“ oder dieser „Glut“; denn jede einzelne Tätigkeit
und Tat des Menschen ist von der Substanz seiner Seele getragen und das ganze
Menschenleben „ruht“ auf dieser beständigen geistigen „Lebenswärme“.
2752 |
Aus dieser Wärme kommt Fruchtbarkeit, insofern
durch sie die allmählich sich ausbildenden physischen Hilfsmittel entsprechend
der Eigenart jenes „Feuers“ zur Mitbetätigung angeregt und zum Dienste
herangezogen werden. Zum „Bewusstwerden“ kann es erst kommen, wenn so viel
„Wärme“ bzw. geistige Lebenskraft aufgestapelt ist, dass eine Ebenmäßigkeit und
Proportion besteht zwischen der vorhandenen geistigen „Wärme“ und den
physischen Kräften, die für den Lebensdienst beansprucht werden sollen. Mit dem
Erreichen dieser Ebenmäßigkeit kommt es dann nicht nur zur Übernahme der
„Arbeit“ der Substanz durch die physischen Kräfte, sondern auch zur
Abspiegelung, und damit zum Bewusstwerden der substanziellen Tätigkeiten in den
physischen Hilfsmitteln (die im Grunde immer psycho-physische Hilfsmittel
sind). Die physische Natur übernimmt dann „bewusst“ die Tätigkeiten, die vorher
als substanzielle Tätigkeiten „unbewusst“ oder nur im „Unterbewusstsein“
blieben. Das Feuer und die Wärme macht nämlich auch Licht und dieses Licht
strömt über auf die Fähigkeiten, die damit ständig im Lichte oder erhellt und
„bewusst“ sind. Die Substanz der Seele bleibt aber weiterhin die Grundlage und
Voraussetzung für die Betätigung der „Fähigkeiten“ und deren Dienst an der
Person.
2753 |
Ein anderer Vergleich: Ein Haus besteht im Grunde aus Mauern, deren
verschiedene Teile oder Wände die Zimmer bilden. Wenn die Mauern fertig sind,
dann erst beginnt die Wohnungseinrichtung. Aber dann denkt man gewöhnlich nicht
mehr so sehr an die Mauern, die immer noch das tragende Gerüst bleiben, sondern
man denkt fast nur noch an die weiteren Einrichtungen, die das Leben „innerhalb
der vier Wände“ bequem und wohnlich machen. Obwohl die Mauern im Grunde das
wichtigste bleiben, denkt man beim Worte „Zimmer“ fast ausschließlich nur an
die Ausstattung. So ähnlich ergeht es auch mit der Substanz der Seele als dem
tragenden Gerüst des Menschenlebens.
2754 |
In der Substanz der Seele hat der Schöpfer
auch den Keim des „Personkernes“ oder der Person-Anlage und der Personkraft
niedergelegt, woraus sich durch die Tätigkeit der Substanz der Seele allmählich
die „Person“ empor bildet, d. h. der „selbstige, in sich unabhängige
Lebensantrieb“. Diese vom Schöpfer gegebene Personanlage kann mit mehr oder
weniger großen Vorzügen ausgestattet sein. Gott kann auch die werdende Person,
d. h. das Kind im Mutterschoße, überwiegend den natürlichen Vererbungsanlagen
überlassen, braucht dies aber nicht notwendig tun, denn das Erste und
Wichtigste ist die, im Akt des Erschaffens mitgegebene individuelle
Personanlage.
2755 |
Die „Substanz“ der Seele ist in sich nichts
Ganzes oder Abgeschlossenes, sondern ihre Aufgabe ist es, als Kraftzentrum die
verschiedenen Lebensbedingungen und Lebensmöglichkeiten vorzubereiten und sie
dem Menschenleben zu bieten. Sobald die Substanz der Seele von Gott geschaffen
ist, fängt sie auch an, nach dem in ihr liegenden Naturgesetz zu „leben“, d. h.
das für ihr Dasein und ihren Ausbau Notwendige und Zukömmliche zu „suchen“ und
auszuwählen und an sich zu ziehen. Es ist eine vom Schöpfer gegebene Kraft oder
ein Trieb der Natur, dass sich ein Lebewesen das seiner Eigenheit Zukommende
„sucht und auswählt“; so sucht oder nimmt z. B. schon die Pflanze nur die ihr
dienenden Stoffe aus dem Boden, und zwar mit Ausschluss der ihrem „Leben“ nicht
dienenden oder schädlichen Stoffe. – Im menschlichen „Leben“ ist aber gleich
von Anfang an auch eine noch unbewusste „Geisteskraft“ oder ein geistiges
Lebensprinzip tätig, das sich immer mehr eine physische Mithilfe für ihr
„Leben“ heranzieht; wenn der physische Lebenskeim und die rein physischen
Lebensmöglichkeiten nicht von einem Lebensantrieb des „Geistes“ beseelt wären,
so käme kein wirkliches menschliches Leben zustande. In Wahrheit ist aber der
noch unbewusste und einfache „Geist“ das Tragende und Zusammenfassende der vielgestaltigen
Kräfte und Tätigkeiten des Lebens. Der „Geist“ der Seele ist einfach und
ungeteilt, aber die Anlagen und Kräfte dieses Geistes sind vielfach und zeigen
sich nach dem Plan des Schöpfers in vielgestaltigen Auswirkungen. All diese
verschiedenen Anlagen bilden die „Tragfähigkeit des Lebensantriebes“ oder die
Tragkraft des geistigen Lebensprinzips, d. h. die Tragkraft der Seele, ihrer
Substanz selbst. Es ist eine Verschiedenheit von Anlagen, die aber alle von
einer Zentralkraft ausgehen und wieder zu ihr zurückströmen.
2756 |
Die Substanz als dem Kernpunkt aller ihr
zugeordneten Anlagen ist wiederum die Personanlage oder die Person-Möglichkeit
zugrunde gelegt, deren Ziel es ist, den selbstigen, in sich unabhängigen Lebensantrieb
oder die „Person“ auszubilden, und sie allmählich auf die Höhe und an die
Spitze aller Lebenskräfte zu stellen. Diese Emporbildung der „Person“ wird
zunächst bis zur Selbstständigkeit der Person –1110 durch die
substanziellen Betätigungen der Seele „unbewusst“ betrieben aber in Übereinstimmung
mit den Anlagen der betreffenden (Person)1111 Substanz im
Allgemeinen und der darin niedergelegten eigenen und einmaligen Personanlage im
Besonderen. Darum wirkt sich diese Betätigung der Substanz der Seele aus nach
der Eigenart der sich bildenden und in ihrem „Keime“ schon vorhandenen Person.
Diese Eigenart wirkt sich auch schon in Heranziehung der für diese werdende
Person bestimmten physischen Lebenselemente aus. Kraft ihrer Naturanlage
„fühlt“ die Substanz (gleichsam unbewusst intuitiv) und nimmt sie wie
instinktiv jene und nur jene Werte auf, die ihr dienen können, um die Eigenart
der „Person“ in der schon grundgelegten Form ausbilden zu können. Es werden
also nicht wahllos alle im Mutterschoß gebotenen Lebenselemente aufgenommen,
sondern nur jene, die dem Aufbau der psychischen und physischen
Bestandfähigkeit der zu bildenden Person dienen. Weil also die vom Schöpfer
gegebene Personanlage entscheidend mitspricht, folgt nicht notwendig, dass aus
weniger guten Anlagen der natürlichen Lebensspender immer nur weniger gute
Eigenschaften im Kinde oder aus vorzüglichen Anlagen immer gleich vorzügliche
Früchte kommen müssten – wie ja auch das Leben bestätigt, dass die Kinder nicht
immer ganz die Art der Eltern haben müssen.
2757 |
Es ist etwas Wunderbares, dass die Seele als
„Lebensprinzip“ in einem ihr selbst unbewussten naturgesetzlichen Vorgang schon
durch die „Kraft“ ihrer Existenz die ihr zukommenden Werte aussucht und sie
verwertet. Es sind die substanziellen Grundkräfte der Seele, die unbewusst das
Ziel verfolgen, letztlich bewusste Taten und Früchte hervorzubringen; es sind
diese Grundantriebskräfte, die, obwohl sie selbst dem Menschen gar nicht zum
Bewusstsein kommen, doch die Seele und das menschliche Leben überhaupt zu einem
wirklichen, bewussten psycho-physischen Menschenleben führen. Diese im geheimen
wirkenden Grundkräfte selbst werden dem Menschen nie erfassbar, weil sie – auch
nach dem Bewusstwerden des Menschen – von den Mitbetätigungen der physischen
Hilfsmittel verdeckt werden, deren sich dann die tiefere Tätigkeit der Substanz
zur Ausführung ihrer Anlagen bedient. Vor dem Erwachen der Vernunft „arbeiten“
die substanziellen Kräfte als unbewusste Naturantriebe und Naturkräfte1112,
durch deren Hilfe es erst zum Erwachen der Vernunft kommen kann; nach dem
Bewusstwerden der Person werden diese substanziellen Tätigkeiten dem
Bewusstsein verdeckt durch die für gewöhnlich notwendige Mithilfe der
bewusst-gewordenen physischen Fähigkeiten. Es sind aber dennoch jene
verborgenen und immerwährenden substanziellen Tätigkeiten, die in dem
psycho-physischen Betätigungen ihre Ausführung und ihren Ausdruck finden. Darum
wäre es einerseits unnütz, wenn z. B. zwar die substanzielle Anlage zum Sehen oder
Hören da wäre, wenn aber die an die physischen Hilfsmittel gebundene Fähigkeit
des Bewusstwerdens des Gesehenen und Gehörten fehlen würde. Anderseits bleibt
die immerwährende tätige Kräfteübertragung und Kräftevermischung zwischen der
substanziellen Tätigkeit und den physischen Hilfsmitteln die Grundlage und
Voraussetzung für ein verstandesmäßig bewusstes Sehen und Hören.
2758 |
All die verschiedenen Fähigkeiten der Seele
sind aber letztlich in ihrer Betätigung von „einer bleibenden Kraft“ getragen,
von der Substanz der Seele, welche die Tragkraft ist für das menschliche Leben
und dessen Daseinsbedingungen. Was würde es nützen, wenn jemand zwar – durch
die Sinnestätigkeit und entsprechende Geistestätigkeit – zu einem
augenblicklichen Sehen und geistigen Erfassen oder „Wissen“ käme, wenn aber in
ihm keine dauernde oder bleibende Kraft vorhanden wäre, um das augenblicklich
Erfasste bewusstseinsmäßig mit sich zu beraten und verwerten und dauernd als
zusammenhängendes Erlebnis behalten zu können? Die augenblickliche Kraft muss
auch zu einer dauernden Kraft und fließenden Möglichkeit werden und muss
mittels der Intelligenzkräfte zum bewussten Ausdruck gebracht werden. Damit
aber die Intelligenzfähigkeiten1113 funktionieren können, müssen sie
ständig unterstützt werden und unterbaut sein durch die bleibende und dauernde
Kraft der Substanz der Seele.
2759 |
So durchdringt die substanzielle Lebenskraft
das gesamte menschliche Leben vom ersten Anfang der Seele bis zum Tode, wo sich
die tragende geistige1114 Lebenskraft der Seele vom Physischen
loslöst und damit dieses Leben sich gleichsam „zerteilt“ und auflöst. Unser
ganzes Leben und Dasein ist ja ständig von geistigen Kräften getragen, durch
die wir überhaupt erst zu unserem „Leben“ fähig werden. Die geistige Kraft
bietet die „Fähigkeit“, und die Fähigkeit muss wiederum von den entsprechenden
Kräften geführt und getragen werden. Zu einem normalen Intelligenzleben braucht
es einen bestehenden Vorrat an Kraft und die physisch gebundenen
intellektuellen Fähigkeiten müssen in diesen Kraftvorrat hineingestellt, und
davon getragen sein, um sich fruchtbar betätigen zu können. Nun besteht aber
zwischen den einzelnen Menschen der Unterschied, dass in ihnen ein mehr oder
minder großes Maß von natürlichen substanziellen Kräften vorhanden ist und
daraus erklärt sich – neben der Verschiedenheit der Intelligenzanlage selbst –
auch die Verschiedenheit der intellektuellen Betätigungen, insofern z. B. bei
einem Menschen nicht genügende substanzielle Kraft als tragende Anlage für die
intellektuelle Betätigung gegeben ist oder nicht ausgebildet und nicht
ausgebeutet wurde. Neben der mehr oder minder hohen Art der Anlage selbst kann
nämlich die Betätigung der substanziellen Kräfte auch durch entsprechende
Anregungen und Einwirkungen von außen geweckt und ausgebildet werden.
2760 |
Im Zusammenhang mit den mir gebotenen
Erklärungen über die Art der Betätigung der Substanz der Seele „weiß“ ich nun,
in Überleitung auf das Geheimnis Christi, Antwort auf die Frage: Wie lebte
Jesus sein gottmenschliches Leben durch die Substanz der Seele? – Es liegen
aber noch manche psychologische Erklärungen dazwischen, bis ich dieses
Geheimnis auch in Worten ausdrücken kann. Es werden vorher die psychologischen
Grundlagen bzw. die Tragkraft einer menschlichen Person in einem gewöhnlichen
Menschenleben erklärt, um dann an die Erklärung der besonderen Eigenart der
Seele Jesu heranzutreten, die von der göttlichen Person des Wortes beherrscht
war.
ENDE M3
2761 |
Kurz gesagt, es besteht das Charakteristische
beim „Geheimnis“ der substanziellen Betätigungsart der Seele darin, dass jener
verstandesmäßige Umsatz oder Kreislauf des Bewusstwerdensaktes1115
und des Bewusstseinslebens fehlt, der für gewöhnlich notwendig ist zum
„Erleben“ des eigenen Lebens.
2762 |
Die Seele trägt all ihre wesentlichen
Bestandsfähigkeiten in sich und diese können in besonderen Ausnahmefällen – wie
z. B. infolge der hohen psychologischen Vollkommenheit der Seele Christi – auch
unmittelbar, d. h. ohne die für gewöhnlich notwendige Mitbetätigung der physischen
Natur, zur Anwendung kommen. Durch eine gewisse Verfeinerung der Seele werden
Akte ermöglicht, die gleichsam intuitiv das Gesamtleben zu durchdringen
vermögen und es in einer wesentlichen, substanziellen Art erleben, in gleichem
Maße und Umfang wie beim gewöhnlichen verstandesmäßigen Erleben, aber in einer
höheren, verfeinerten Form. Es ist ein unmittelbares Erfassen und Erleben des
Eigenen, ein intuitives Durchdringen seiner selbst und ein intuitives Erfassen
und Durchleben der von außen kommenden Eindrücke, ohne die Mitbetätigung der
physischen Natur, die für gewöhnlich zum Erleben notwendig ist. Dabei werden
tiefste, verborgene Grundkräfte der Seele angewandt, die für gewöhnlich nur
nach langsamer Umbildung und in Überschaltung auf die physische Natur zum
Ausdruck kommen. Letztlich beruht dieses (natürliche) Geheimnis auf einer hohen
Vergeistigung und Feinheit der einzelnen Funktionen der Seele, auf einer vollen
Harmonie und Ausgeglichenheit zwischen Seele und Leib mit entsprechend rascher
Reaktionsfähigkeit der physischen Natur, sodass in gewissem Sinne die
psychisch-physische Spannung nicht mehr zu bestehen scheint.
2763 |
Auf ähnlicher Grundlage beruht auch ein
gewisses unmittelbares oder intuitives Erfassen von Wahrheiten und
Sachverhalten, wie es sich bei Menschen von sehr hoher Intelligenz manchmal
findet.1116 (Das ganze normal entwickelte Leben „steht“ auf dem
Bewusstwerden und ist davon bedingt und mittels des Bewusstwerdens „erleben“
wir das Leben. – Das Leben „leben“ ist die Zeit vor dem Bewusstwerden; das
Leben „erleben“ ist das entwickelte Bewusstseinsleben.)1117
2764 |
Ich befinde mich nun wieder in einer tiefen,
geistigen Leidens- und Läuterungsperiode.
2765 |
„O Herr, was wohl manche Männer nicht ertragen
könnten, das hast du auf die schwachen Schultern einer Frauenseele gelegt, und
es ist mir dabei1118 zuweilen, als müsste ich sterben vor inneren
Schmerz. Menschlich gesehen scheint es am besten für mich, wenn ich sterben
könnte; hat doch auch dein Apostel gesagt: Überaus schwer hat uns die
Bedrängnis betroffen über unsere Kraft, sodass wir unser Leben schon verloren
gaben (2. Korr. 1.8). – Heimatlos, allein, ganz allein mit mir und mit einer
erdrückenden Last in der Fremde, für jeden wie1119 ein
'Versuchskaninchen'! – So haben sich meine Leiden wie zu einer erdrückenden
Last gesteigert und ich bin seelisch gleichsam wie zwischen zwei Mühlsteinen
zerrieben, denen ich erbarmungslos überliefert bin; so, wie das Korn zwischen
den Mühlsteinen sich nicht rühren und nicht wehren und nicht verteidigen kann
und einfachhin zwischen den Mühlsteinen dem sicheren Zerdrückt- und
Zermalmtwerden ausgeliefert ist, so ähnlich bin ich meinen mannigfaltigen
Leiden anheimgegeben. – Wohl wenige Frauen mussten einen ähnlichen Leidensweg
gehen, und zwar für eine Sache, die zunächst nur 'Männerseelen' betrifft. Oder
sollte eine Frauenseele mehr leiden, tragen, leisten und überwinden können als
ein Mann? Oder muss sich meine Seele härten, um auch etwas von 'Mannesart' sich
aneignen zu können?
2766 |
In dieser geheimnisvollen, undurchdringlichen
Nacht des Geistes, in die ich wiederum1120 versenkt bin, scheint mir
alles 'sinnlos' zu sein: bis jetzt kein Erfolg, im Gegenteil, immer neue und
größere Schwierigkeiten, Gegensätze und Widerstände!“
2767 |
Der Herr scheint auch eine kostbare
Flüssigkeit in ein hässliches, schmutziges Gefäß geschüttet zu haben und damit
hat gleichsam die Flüssigkeit selbst an Wert und Ansehen verloren und ist
abstoßend geworden, sodass niemand sie begehrt und sie nur Anstoß und
Gegenstand des Widerspruches wird. Aber leider kann ich nicht 'aus meiner Haut
schlüpfen' und muss mich selbst ertragen so, wie ich bin. „Darum musst halt du,
O Herr, hämmern und zuschlagen und putzen und feilen, wenn du mit deinen Absichten
zu Ansehen bei den Menschen kommen und Verstehen finden willst!“
2768 |
Ich will aber alles leiden, will leiden
sozusagen bis zur Besinnungslosigkeit, ja bis zum Tode; wenigstens habe ich
dann eines in meinem Leben getan: Ich habe viel gelitten. – Mein Kreuz ist
meine Hoffnung, meine einzige Zuversicht. Hätte ich diese Hoffnung nicht mehr,
so müsste ich eine ewige Trennung von Gott und ein ewiges Leiden erwarten; denn
zu dunkel und zu außergewöhnlich scheint mir mein Leben. Es bleibt mir aber
immer die eine Hoffnung: das Kreuz! Und „gekreuzigt werden“, das soll meine
tägliche Übung sein! –
2769 |
Mein Dasein ist ein geistiges Martyrium. Ich
bin versenkt in eine Flut von seelischen Leiden, ich bin bedrängt von allen
Seiten. Es gibt keinen Ruhepunkt und keinen Stützpunkt für mich außer etwa in
einem jeweilig errungenen Fortschritt des Geistes, durch den ich dieser inneren
Last mehr und mehr gewachsen werde. Aber dann kommen wieder neue Widersprüche
und Bedrängnisse; es tun sich neue Tiefen auf, deren Überwindung mir
bevorsteht.
2770 |
In mir ist wieder1121 Ekel und
Widerspruch gegen meinen Geistesweg: Warum eine Frauenseele für eine Aufgabe,
die den Männern zukommt? Was soll das „schwache Geschlecht“ vermögen gegen den
„Widerspruch der Kraft“? – O, wie ekelt mich vor dieser Aufgabe! Aber die
Frauenseele ist da zum Dienen, zum Opfern, zum Leiden und Schweigen. Zuweilen
wird mehr als männliche Kraft von ihr gefordert, wenn dies auch nie anerkannt
wird; sie geht unter in ihrem verborgenen Apostolat des Opferns und Leidens.
2771 |
Ich will „schwach und klein“ sein, O Herr,
damit andere stark und vollkommen werden, so wie du sie willst und brauchst.
Ich will nur der Schemel sein, auf den dein Werk sich stellt. Und alles will
ich in größter Verborgenheit sein und tun, damit du zu Ehre und Ansehen
gelangst – durch meine Schwäche und Armut. – Ich will dem Grundsatz treu
bleiben, den ich mir durch Gottes Gnade schon im Anfang meiner besonderen
Gnadenführung zu eigen machte: Ich konnte nämlich die außerordentlichen1122
Gnadenerweise und die besondere Herablassung des Heilandes zu mir nie begreifen
und wurde – infolge meiner Anlage zum Widerspruch gegen alles „Besondere“ –1123
ganz verwirrt dadurch; zudem erlebte ich meine Unfähigkeit, sie entsprechend zu
erwidern; deshalb wollte ich – und will ich immer mehr – mich kleinmachen und
die „kleinen Tugenden“ und die verborgenen „gewöhnlichen“ Opfer üben1124,
zum Beweis, dass ich in allem dem Willen Gottes treu sein will, obwohl mir
alles Außergewöhnliche sehr widerstrebt. Weil ich – soweit es auf mich ankommt
– aus Furcht, mich zu täuschen oder täuschen zu können, die besonderen Gnaden
gleichsam „unbeachtet“ lasse, will ich in umso größerem Eifer und Maße im
„gewöhnlichen“ Tugendleben getreu sein und dem Heiland durch mannigfache Opfer
meine Liebe und Treue zu beweisen suchen.
2772 |
Meinerseits will ich nichts anderes suchen als
Demut und Verborgenheit und dies auch den Nächststehenden gegenüber. Damit
andere wachsen, will ich abnehmen. – Ich will mich zu jener göttlichen „Selbstlosigkeit“
heranbilden lassen, die mir in Christus vorbildlich gezeigt wird, die in sich
und im Wesen der eigenen Existenz vollkommenes Genügen hat und deren selbstiger
Reichtum im Schenken und Geben und selbstlos liebenden Mitteilen zur
Ausstrahlung kommt. „Ich genüge mir“ – und dieser „eigene“ Reichtum in Christus
und seiner göttlich-wesentlichen Liebe wird und ist anderen zur Kraft.
2773 |
Heute sind es sieben Jahre, seit ich um der
Sache Jesu willen meine Heimat verlassen habe. – Was liegt alles in diesen 7
Jahren? Welche Summe von Gnaden, Opfern und Leiden! Welch wunderbare Vorsehung
Gottes hat mich geführt! – Ich kann die gleiche Antwort geben wie die Jünger,
als sie vom Heiland gefragt wurden: „Als ich euch aussandte ohne Beutel, ohne
Tasche, ohne Schuhe, hat euch da etwas gefehlt?“ „Nein.“ Gaben sie (im
Abendmahlssaal) zur Antwort (Luk. 22.35). Jesus war getreu, wunderbar und
göttlich getreu, trotz aller Verzögerungen seiner Absichten und trotz aller
scheinbaren Enttäuschungen. – Wie wunderbar stark ist seine Gnade, die eine
schwache Seele zu einem solchen Weg, weitab vom Gewöhnlichen, befähigen kann!
Und dabei hat der Heiland in mir alles „nur im Geistigen“ – ohne „Visionen“
oder anderes Auffälliges – mittels einer unaussprechlichen Gnade der
Vereinigung mit ihm vollbracht. Welche wunderbare Führung! – Dafür sei ihm
ewiger Dank und die Versicherung meiner Treue weiterhin!
2774 |
Meine einzige Befriedigung ist diese: keine
Befriedigung und keinen Genuss haben, immer und in allem gekreuzigt sein,
verborgen und verdemütigt, unbekannt und misskannt sein und bleiben! Wie
glücklich ist die Seele in dieser Art der Losschälung! – Für mich ist diese
Selbstverdemütigung aber auch insofern notwendig, als sie der wohlverdiente
Widerspruch gegen mich ist. Wenn ich mich je rühmen wollte, so könnte es nur
sein über mein Elend und meine Schwäche. Niemals hat je ein Geschöpf gelebt –
so lässt es mich die Gnade tief erleben – das so elend, so nichtswürdig und der
Vernichtung wert wäre wie ich. O, welche Qual, sich ertragen zu müssen und sich
ständig in diesem verabscheuungswürdigen Zustand erkennen und schauen zu
müssen: Dieses unaussprechlich verabscheuungswürdige Geschöpf bin ich im Lichte
Gottes! – Nächst dem ewigen Verlust der Anschauung Gottes muss es wohl – so
glaube ich – die größte Qual der Verdammten sein, dass sie sich ewig in ihrem
hässlichen Zustand der Sünde schauen und anerkennen müssen. Für mich soll diese
Selbsterkenntnis noch eine heilsame Buße sein; für die Verdammten ist es ein
fruchtloses Leiden.
2775 |
Der allheilige1125 Gott hält
Gericht in meiner armen Seele. Seine Helligkeit und Gerechtigkeit durchstrahlt
mich und deckt in mir jene erschreckenden Widersprüche und Gegensätze zu seinem
heiligsten Wesen auf. Die arme, so schrecklich entblößte Seele windet sich
dabei gleichsam in ihrer Armut und Schmach und sie schämt sich der schmutzigen
Lumpen, die sie anziehen möchte, um die verabscheuungswürdige Blöße zu
bedecken. Diese armen Lumpen sind die eigene Verdemütigung, die freiwillige
Selbsterniedrigung, womit sich die arme Seele angesichts der Heiligkeit Gottes
bedecken möchte. Doch alles, was die Seele selbst an Verdemütigung üben und
unternehmen möchte – wie gering und verächtlich ist im Vergleich zur
tatsächlichen, in seiner Barmherzigkeit übernommenen Erniedrigung Christi
gegenüber der Menschheit! Das sind Taten der Erniedrigung, Werk des allerheiligsten
Gottes in einer geschaffenen Menschennatur, aber trotzdem würdig des heiligsten
Wesens Gottes. – So erhob der Erlöser die geschaffene Menschheit in sich zur
Leistungshöhe seines göttlichen Wesens, indem er sie fähig machte, „göttliche
Werke“ zu verrichten.
2776 |
Wie arm und verächtlich sind auch unsere
besten menschlichen Taten im Vergleich mit1126 den Werken Gottes
bzw. Jesu in seiner Hl. Menschheit! Nur wenn, und weil Gott unsere armen „guten
Werke“ und auch unser Dasein um Christi willen in Barmherzigkeit und göttlicher
Liebe annimmt, haben wir die Fähigkeit, unser Leben für Gott zu opfern zu
können und opfern zu dürfen. Der Mensch in seinem gefallenen Zustand ist in
sich die größte Dissonanz in der ganzen Schöpfung (weil in ihm und durch ihn
der erste Plan der ewigen göttlichen Liebe verdorben wurde). Gott erträgt den
Menschen nur, weil er göttlich-unendlich barmherzig ist. Welcher Gegensatz
zwischen Gottes Heiligkeit in seinen Werken und dagegen unseren Werken und
unserem armen Dasein1127! Und dabei ist unsere Seele so leicht
geneigt zu meinen, welch großartige Taten sie vollbringe, und sie möchte
anmaßend werden gegen Gott, während sie in Wahrheit doch nur aus Barmherzigkeit
ertragen wird! – Ich käme an kein Ende, wollte ich die Armen-Sünder-Litanei, in
der ich mich erkennen muss, genügend zum Ausdruck bringen; doch dieser
Gegensatz zwischen dem ungeschaffenen göttlichen Licht und der Heiligkeit
Gottes und zwischen dem nur aus Barmherzigkeit ertragenen, geschaffenen und
gefallenen1128 menschlichen Wesen lässt sich überhaupt nie ganz in
menschlichen Worten ausdrücken. Die inneren Qualen aber, in denen sich meine
Seele wälzt, beweisen diesen unüberbrückbaren Gegensatz und Widerspruch! Wenn
Gottes Heiligkeit ihr Licht in der Seele aufleuchten lässt, dann fällt diese –
in ihrer eigenen Selbsteinschätzung – in ihr wahres Nichts zurück und stürzt
sie gleichsam in das Grab ihrer Vernichtung. In der Tat, wenn Gott nicht
ständig mit einem barmherzigen Schleier meine Armut bedecken würde, so könnte
ich nicht existieren, denn der Schmerz über mein Elend würde mich töten. Gottes
wesenhafte Wahrheit und Heiligkeit spricht ständig sein gerechtes Gericht über
mich aus: „Stirb und vergehe!“
2777 |
„Herr, hab Erbarmen“ – so möchte ich rufen –,
doch nein, nicht Erbarmen, sondern vernichte 'mich'! Löse mich auf zu jenem
Nichts, das mir zukommt! Welche Qual, welche Schande bin ich mir, beladen mit
dem Großen, das du mir ständig vor Augen und gegenüberstellst, beladen mit
diesem Kreuze, mit deinem Werk, das dir zur Verherrlichung sein sollte! Ich bin
wie begraben in den Abgründen des Misserfolges deiner Absichten, weil sie an
meiner Schwäche und Unheiligkeit zu scheitern scheinen. – Es ist mir, als
spotte auch die Hölle über meine Ohnmacht und über deine Misserfolge, die auf
mich zurückfallen: Was willst du Elend? – (So scheint die Hölle zu höhnen.) –
Welche Torheit! Geh den gewöhnlichen Weg!1129 Die ganze Welt lacht
über dich, über deine Einbildungen. Es kann doch nie etwas daraus werden, weil
alles nichts ist, weil du nichts bist! – Wie kannst du 'solches'1130
glauben. – Das sind Dinge für Heilige – und was bist du? – Schau dich selbst
an!1131 – Es ist, wie wenn unzählige Geister mit geistigen1132
Schwertern auf mich einstürmen und mich durchbohren und vernichten wollen. Es
gibt für mich1133 kein Entweichen, weil sie mich bezüglich die
Wahrheit1134 sprechen [sic!], und so lasse ich mich willenlos
durchbohren und vernichten. – Fast scheint es, als ob Himmel und Hölle sich
zusammentun, um mich in meinen Augen zu vernichten und um mir jeden Rest von
Selbstvertrauen zu nehmen. Ich gebe hundertmal meine Zustimmung zu jenem Urteil
und bestätige, aber trotzdem wird mir die große Last nicht abgenommen; ich muss
sie tragen zum Gespött meiner Feinde.
2778 |
Zudem muss ich aber stets in höchstem Maße
erkennen, oder vielmehr ist mir gleichsam eingebrannt die Erkenntnis, wie
ich sein sollte, damit Christi Absichten in mir fruchtbar werden könnten; ja,
ich bin im Höchsten innerlich dazu erhoben und doch wälze ich mich zugleich in
der Niedrigkeit meines beständigen Versagens: „So ist das Ziel – und so bist
du!“ Das Ziel in mir scheint wie der Himmel über der Erde, unerreichbar für
sie.
2779 |
Es ist das Höchste und Letzte, das Leben und
Erleben Christi in mir vorbereitet, aber ich bin zugleich wie gebunden an das
Leben meiner Nichtigkeit1135, bis der Herr selbst die Fesseln der
Ketten löst. Ich kann nichts dazu tun als leiden und mich ständig „vernichten“
lassen.
2780 |
Die geistigen Leiden des göttlichen
Gegensatzes gegenüber meiner armen Seele dauern an. – Ich liege wie in einem
Abgrund voll Finsternis begraben, aber diese „Finsternis“ ist durchleuchtet vom
Lichte Gottes, das mich ständig und unbarmherzig durchdringt. Dieser Abgrund
ist meine unaussprechliche Qual, aber zugleich auch mein höchster Trost; denn
ich darf darin Gottes Gerechtigkeit anerkennen und bin – im tiefsten Sinne des
Wortes – Gottes „Sache“ geworden, die ganz seiner heiligen, gerechten Willkür
überliefert ist. – „Herr“, so möchte ich sagen, „wenn du mich auf ewig von dir
verstoßest1136, so sprichst du das gerechteste Urteil, aber eine
Bitte habe ich dann noch: Lass mich auch dann noch ewig anbeten, anerkennen und
verherrlichen deine göttliche Gerechtigkeit, der ich ausgeliefert sein werde.
Das wäre mir dann Trost genug für alle Ewigkeit und würde, wie mir scheint,
einigermaßen den Himmel ersetzen“. –
2781 |
Es scheint sich jetzt in mir ein
unüberbrückbarer Zwiespalt aufgetan zu haben; die frühere Einheit mit Gott –
als erlebte Vereinigung mit Christus – ist in gewissem Sinne „zweiteilig“ geworden.
Es ist so ähnlich, wie wenn mich bei einem brennenden Feuer das brennende Holz
sich lösen würde vom Feuer, von dem es verzehrt wird. Feuer und Holz im
brennenden Zustand sind gewissermaßen eins, d. h., das brennende Holz gelangt
in den Zustand des Feuers selbst; in meinem Falle aber werden beide Teile,
obwohl im brennenden Zustand, als „getrennt“ erlebt; ich erlebe nämlich das
Feuer, das Gott ist, in seinen göttlichen Eigenschaften, in seiner Heiligkeit,
Gerechtigkeit und göttlich reinigenden Unbarmherzigkeit; ich erlebe es als
Licht, das Himmel und Erde in wesentlicher und göttlich „schonungsloser“ Weise
durchdringt. Würde Gott nicht aus Barmherzigkeit die Schärfe dieses
durchdringenden, reinigenden, gerechten Feuers zurückhalten, so müsste es allein
schon durch den Bestand seiner göttlichen Existenz die ganze Schöpfung in
Nichts auflösen. Aber Gott erhält alles, was er geschaffen hat, durch seine
göttliche Barmherzigkeit; er lässt immer seine Liebe vorwalten [sic!] und teilt
sich dem Menschen, seinem Geschöpf, nur so weit mit, als dieses es in seiner
Schwäche ertragen kann. Und diese göttliche Zuteilung wächst in dem Maße, als
die Seele sich „gottfähig“ macht. Immer aber, wenn Gott die Seele emporhebt, um
sie an sich teilnehmen zu lassen, oder sich ihr irgendwie mitzuteilen, ist es
in erster Linie sein Werk, ein Werk seiner Liebe und Erbarmung, denn es ist das
Werk der Erbarmung Gottes, das er uns durch Christus, bzw. durch die göttliche
Erlösung zu sich emporgenommen hat. Sonst läge nämlich die ganze Menschheit
begraben in der Hölle. Auch jede einzelne erlöste Seele geht ständig, jede für
sich allein mit Gott, diesen Weg des erbarmenden Emporgenommenwerdens zu Gott
dank der Erlöserverdienste Christi.
2782 |
Wenn du mich überhaupt anblickest, O Gott, so
ist es nur aus Liebe und Barmherzigkeit; denn du musst mir zuerst deine Huld
und Herablassung und einen Blick der Liebe schenken, dass ich überhaupt zu dir
aufschauen und meinen Blick zu dir erheben kann. Wenn du mir mein geschaffenes
Elend zeigst und erkennen lässt, so ist es eine noch viel größere Güte und
Barmherzigkeit von deiner Seite. Wenn du mich aber am allerhärtesten strafen
wolltest, so würdest du mich in meinem Elend überhaupt keines Blickes würdigen.
Weil ich jedoch dein göttliches Gericht in mir spüre und erleide, weiß ich
damit, dass du in meiner Seele am Werke bist und dass du in deiner
Barmherzigkeit das Werk fortsetzen willst, das du in mir angefangen hast. Mit
gleichem Rechte könntest du mich auch in den Abgrund meines Nichts versinken
lassen und dich nie mehr meiner erinnern wollen; und wenn du nochmals meiner
gedenkst, so ist dies immer nur deine göttliche barmherzige Liebe.
2783 |
Vielleicht liegt eine besondere Charakteristik
meines inneren Weges und meiner besonderen Gnadenführung darin, dass ich immer
wieder vom hohen Vereinigungsleben mit Christus hinabgedrückt, ja
hinabgeschleudert wurde in den Abgrund des Erfahrenen und des
Anerkennen-müssens meiner geistigen Armut und Ohnmacht und Niedrigkeit. Immer
wieder musste ich in tiefster Finsternis des Geistes erfahren, was
„unverdientes Licht von Gott“ ist, und musste erleben und erleiden den
Unterschied zwischen dem Zustand der geschenkten Huld und Liebe Jesu und jenem
Zustand, in dem diese Huld nicht mehr wirksam schien. Dieses letztere Erfahren
steigerte sich immer wieder bis zu einer solchen Stufe der eigenen
Erniedrigung, dass es mir schien und wie zu einer festen Überzeugung wurde:
Jesus liebendes Angesicht könne mir nie mehr leuchten, ich sei vielmehr wegen
meines Elendes gleichsam ausgelöscht aus dem Buche der Kinder Gottes und werde
nie mehr seiner (besonderen) Liebe mich erfreuen können. Immer wieder ging dann
auch1137 die eigene Losschälung und Entblößung so weit, dass ich
mich ganz bereitfand, für immer in diesem Zustand des scheinbaren Ausgeschlossenseins
von seiner Liebe zu bleiben und nie mehr die Bitte wagen oder aussprechen zu
können, dass der Herr mich noch einmal zu sich1138 empornehmen möge.
Ich hatte immer wieder den Mut zur Bereitschaft, für immer in der Finsternis
außerhalb des Lichtes Gottes zu verharren, obwohl dies für mich zugleich der
größte Schmerz war. Diese Bereitschaft ging immer so weit, dass sie mir
schließlich zu einer Freude über seine Gerechtigkeit gegenüber meiner Armut und
Unwürdigkeit wurde: Die Seele, eingedenk ihrer Sündhaftigkeit, wagte [sich]
nicht mehr um die Brosamen zu bitten, die vom Tische seiner Liebe fallen, denn
sie erachtete sich dieser nicht würdig. Ich wollte und erwartete nichts anderes
als geduldet zu werden im Abgrund meiner Nichtigkeit1139, und Gott
umsonst, d. h. ohne Anspruch auf Lohn dienen zu können, wie es Pflicht des
Geschöpfes ist – bis eines Tages unerwartet und unverdient wieder die Sonne der
göttlichen Huld mich suchte im Abgrund meiner Vernichtung, mich wieder
anlächelte und dann ich wie ein schüchternes Kind dieses göttliche Lächeln zu
erwidern wagte und langsam – voll neuer Furcht ob dem gerechten Gericht, das
über mich ergangen war – mich gleichsam von seiner Hand emporziehen ließ zu
seinem Herzen, und zwar zu noch größerer Nähe, als ich vorher verspürt, und
erlebt hatte. Staunend über seine unendliche göttliche Liebe, göttliche
Herablassung1140 und Barmherzigkeit konnte ich ihm dann ein neues
Loblied seiner Treue darbringen, „weil alles er an mir getan und nur seine
Liebe mich nochmals an sein Herz gezogen hat“. Diese seine neu geschenkte Liebe
war noch viel tiefer und beglückender als alles vorher in seiner fühlbaren Nähe
genossene Glück.
2784 |
Wohl bleibt in den ersten Jahren, wo die Seele
noch mehr an geistlichen Trost hängt und auch noch mehr von der fühlbaren Gnade
abhängig ist, ein gewisses „Warten“ auf den Heiland und seine Nähe1141
und Gnade bestehen. Bei meiner Veranlagung hätte es mir aber schon bald eine
Anmaßung gegenüber dem Heiland geschienen, wenn ich von meiner Seite nochmals seine
besondere Liebe verlangen oder sie auf mich hätte herabziehen wollen. Ich
wollte ihm vielmehr fortan nur seinetwegen selbst treu sein und dienen, nicht
um des Lohnes wegen oder um seiner erlebten Liebe willen. Ich suchte dies zu
verwirklichen durch die in meiner Lage möglichen und sich bietenden kleinen
Opfer und durch noch größere Selbsterniedrigung. Im Bewusstsein meines Elendes
wiederholte ich zuweilen dem Herrn: „Nicht mir, o Jesus, gib deine besondere
Liebe1142 und Gnade! Ich fürchte mich, etwas Besonderes für mich von
dir zu erwarten, denn wegen meiner Niedrigkeit scheint mir eine besondere Liebe
deinerseits zu mir fast nicht möglich. Gib deine besondere Gnade jenen Seelen,
die viel treuer sind als ich. Ich will dir trotzdem in allem treu sein und dich
lieben, wie dich noch niemand geliebt hat.“
2785 |
Jahrzehntelang bin ich diesen Weg gegangen.
Ich habe immer in Gleichmut und Ergebenheit das unverdiente Kommen des Herrn
abgewartet oder vielmehr habe ich sein Kommen nicht mehr zu erwarten gewagt und
verharrte im Abgrund meines Nichts, in den er mich versenkt hatte. – Es ging
mir auch in jenen Läuterungszeiten vielfach der Zusammenhang mit den
vorausgehenden Gnadenzeiten fühlbarer Vereinigung insofern verloren, als es
meinem Bewusstsein schien, als hätte mich niemals Christi besondere Gnade und
Liebe beglückt. Gewiss blieb der wesentliche Zustand der Vereinigung mit ihm
weiter bestehen, aber er entzog sich meinem bewussten Erleben. Die ganze
unaussprechliche Tiefe und Schwere dieser inneren Leiden liegt aber gerade im
Schmerz der Seele, der es scheint, jenes höchste Gut und seine Liebe verloren
zu haben, worin sie sich vorher für immer gefestigt fühlte. Versenkt in dem
Abgrund der Verdemütigung und der Selbstentblößung, in dem sich die Seele in
dieser Prüfungszeit begraben sieht, wagt sie gleichsam nicht mehr, jene große
Huld nochmals zu begehren, ja auf dem Höhepunkt dieser Läuterungsleiden
verschwindet ihr auch die Erinnerung an die beglückende Liebe Jesu, die sie
einst genossen hat. So war es wenigstens bei mir, und ich blieb dann, für immer
ergeben, in dem Abgrund, in den ich von Gott geworfen war; ich erwartete
eigentlich keine besondere Gnade mehr und war meinerseits ganz bereit, immer im
Abgrund dieser Leiden zu verharren, so schmerzlich sie mir auch waren.
Vielleicht hat dabei auch meine natürliche Anlage der großen Schüchternheit und
der Scheu vor allem Außergewöhnlichen mitgesprochen. Wie dem auch sei, Tatsache
ist jedenfalls, dass ich mich immer so verhalten habe und dass ich im
Wesentlichen bis heute noch immer in der gleichen Verfassung der Gnaden Jesu
gegenüber geblieben bin.
2786 |
Nach meiner Erfahrung bleibt in der Seele
immer jene Eigenart der göttlichen Führung bestehen, die sowohl der geistigen
Anlage und Disposition der Seele wie auch dem besonderen Ziele entspricht und
angepasst ist, auf das die führende Gnade hingeordnet ist. Die Gnade passt sich
der natürlichen Anlage der Seele an und diese Anlage wird in ein gewisses,
harmonisches Verhältnis zur Gnade gebracht. So bleibt ein individuell-persönliches
Verhältnis zu Gott bestehen und hat jede Seele ihre eigene Führung und geht
jede ihren persönlichen Weg.
2787 |
Das Ausschlaggebende für den Fortschritt der
Seele bleibt im Grunde, ob sie die reine Absicht hat, dass sie nämlich Jesus,
den Herrn der Gnade allein sucht und nicht den Trost seiner Gnade ihm selbst
vorzieht. Die wesentliche Vereinigung mit Christus wächst in diesem Falle nicht
weniger auch in den Zeiten, in denen seine Liebe nicht fühlbar in der Seele
herrscht, ja sie wächst dann noch mehr, wenn die Seele sich nur zu den Füßen
des Meisters geduldet weiß und neue Liebe und Vereinigung durch verborgene
Opfer zu erringen sucht.
2788 |
Auch nach jahrzehntelangem Gnadenleben habe
ich bis heute nicht den Mut gefunden, von der Tiefe des jeweiligen Läuterungszustandes
heraus jemals noch eine besondere Gnade vom Heiland zu erwarten. Wenn deshalb
meine Seelenführer mich in jenen Zeiten auf das neue Kommen Jesu vertrösteten,
so musste ich der Wahrheit wegen stets antworten: „Ich will doch nichts
Besonderes vom Heiland. Er genügt mir so, wie er sich mir gibt. Ich kann doch
keine besondere Gnade von ihm erwarten“. – Und ich kann heute noch bestätigen,
dass dies immer meine wahre Gesinnung war und auch heute noch ist, obwohl ich
immer und jederzeit ein quälendes Verlangen nach möglichst hoher Vereinigung
mit Christus hatte und vor mir diesem Streben nie genug tun konnte. – Es mag
aber diese meine geistige Schüchternheit auch mit dem besonderen Ziele
zusammenhängen, das mir Jesus von Anfang an als Zweck all seiner besonderen
Gnaden für mich zeigte: Er ließ mich nämlich oftmals schauen, wie einmal mein
ganzes, auch das äußere Leben mit diesen besonderen Gnaden zusammenstimmen und
davon abhängig sein werde; dies rief aber ein unwillkürliches, großes
Widerstreben meiner menschlichen Natur hervor, und zwar trotz meines
grundsätzlichen Willens, dem Heiland in allem getreu zu sein.
2789 |
Im Grunde bin ich auch heute noch im gleichen
Leiden der Vernichtung vor Gott, doch kann ich es eigentlich nicht mehr
„Leiden“ nennen; denn der Gleichmut und die Zufriedenheit über das göttliche
Gericht in mir ist schon so überwiegend, dass ich bei aller Verdemütigung mehr
von einer freudigen, tröstlichen Stimmung getragen bin. Ich genieße damit das
Geheimnis der „Leidensseligkeit“, die vielleicht an1143 tiefsten
Genuss des Friedens die „Glückseligkeit“ noch mehr1144 übersteigt.
Ich bin sehr glücklich, wenn ich verharren darf im erlebten Abgrund meiner
Nichtigkeit. Mein Friede könnte auch nicht größer sein – so scheint mir – wenn
ich mich eines hohen Erlebens der Vereinigung mit Christus erfreuen würde.
Meine Seele scheint jetzt „leer von jedem Verlangen nach Gott“ in dem Sinne,
dass es ihr als die größte Herablassung Christi vorkommt, wenn er mich nochmals
in die selige Gemeinschaft und Vereinigung mit sich emporheben will – oder
vielleicht muss ich es besser so ausdrücken: Meine Seele ist in ähnlicher Weise
„angefüllt“ von Gott wie ein Schwamm, wenn er ins Wasser gelegt wird, aber ohne
dass er sich des Wassers „bewusst“ ist. In diesem Zustand der erlebten
Vereinigung und Entblößung durch und vor Gott kann ich in gewissem Sinne nicht
nach ihm verlangen, bin aber dabei voll großem Frieden über seine
Gerechtigkeit. – Ich kann nun gut begreifen, dass sogar die Verdammten in der
Hölle in alle Ewigkeit die Gerechtigkeit Gottes verherrlichen müssen: „Gerecht
ist Gott und gerecht ist sein Gericht“. Das ist die endgültige Huldigung, die
der allheilige Gott sich von den verstoßenen darbringen lässt.
2790 |
Ich bin in diesem „entblößten Zustand“
glücklich und es ist eine Gnade, wenn ich überhaupt von Gott geduldet werde.
Wie könnte ich nach irgendeiner Bevorzugung von ihm oder gar nach der erlebten
Vereinigung mit seinem göttlichen Wesen hienieden verlangen? Sagt doch der
Heiland beim hl. Johannes: „Ohne Mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5) und der
hl. Paulus erklärt: „Niemand kann sagen: 'Jesus ist der Herr' außer im Hl.
Geiste“ (1 Kor 12,3).
2791 |
Zuweilen bin ich von Neuem versenkt in das
Erfassen des Gegensatzes zwischen der Heiligkeit Gottes und meinen vielen bösen
Anlagen, denen ich mich aber aus mir selbst nicht entwinden kann. – O Herr,
wenn du barmherzig bist zu mir, so befreie mich von meinen bösen Anlagen. Wenn
du mir gut sein willst, so reinige mich! Um nichts andere bitte ich dich, als
dass du mir alle meine Sünden verzeihest. Das ist die größte Gnade und
Barmherzigkeit, die ein so armes Geschöpf wie ich erwarten kann von dir1145.
2792 |
Dann wieder1146 muss ich rufen: „O
Herr, geh weg von mir, ich bin ein sündiger1147 Mensch! Deine
Gegenwart durchdringt mich und deine Heiligkeit und Reinheit1148
verzehrt mich! Du bist mir viel näher, als ein Mensch dem anderen nahe sein
kann, denn du durchdringst mich mit dir selbst.“ So möchte ich aufschreien:
„Ihr Berge, fallet über mich und ihr Himmel, bedecket mich, dass ich entfliehen
kann vor der Heiligkeit Gottes“; oder anders gesagt: Ich bin wie ertrinkend in
einem Strome, dem ich entweichen möchte. – Dulde mich, o Herr, im Abgrund
meines nichts; so bin ich zufrieden. Doch nein, so muss ich wieder rufen –
bleibe fern von mir; ich bin glücklich im Gericht deiner Barmherzigkeit
zermalmt zu werden. Das ist mir Nähe genug, denn zu sehr hat das Bewusstsein
meiner Unwürdigkeit mein ganzes Wesen durchdrungen. –––
2793 |
Seit langen Monaten war ich
innerlich-psychologisch gleichsam wie „auf Nadeln gestellt“ und ohne jede natürliche
Befriedigung, die sonst notwendig mit dem „Leben“ verbunden ist. Ob ich dies
oder jenes tat, bei Tag und bei Nacht, immer lag ich wie auf einem geistigen
„Nadelbett“, wo die menschliche Natur meint, unmöglich ein solches Leben
ertragen zu können. – Und jetzt, merkwürdigerweise, liebe ich dieses
Dornenbett. Es ist mir zum lieblichen Ruhebett geworden, das ich nicht mehr
verlassen will.
2794 |
Der Heiland hat mir heute ein kostbares, aber
merkwürdiges Versprechen gegeben: Er stellt mich als „geistige Mutter“ seiner
Kirche bzw. dem Priestertum zur Verfügung! Er gibt mir die Gnade einer
geistigen Mutterschaft für die Kirche.
2795 |
All meine Opfer und Leiden, alles erkämpfte
und erlittene Gut, alle moralische Vollkommenheit, die außergewöhnliche, meiner
geistigen Aufgabe entsprechende Vereinigung mit ihm, alles dies – so lässt er
mich wissen – ist ein geistiger Schatz für das Priestertum. All das seelisch
Errungene wird irgendwie fruchtbar in den Priestern. Alle Gnaden meines
Innenlebens sind gleichsam Eigentum des Priestertums. Die Priester können
daraus schöpfen und jeder wird vom Heiland das erlangen, worum er ihn bittet;
denn dieser Schatz ist opfernd von mir – in Christus – vorverdient worden. Es
ist gleichsam ein offener Schatz, der in ihm und von ihm zu beheben ist.
2796 |
Alle Gnaden, die er mir gegeben hat, gibt und
bietet er zugleich den Priestern, selbstverständlich in priesterlicher Form und
in Brauchbarkeit für den priesterlichen Beruf; denn jener geistige Schatz
enthält vornehmlich solche Gnaden, welche die seelische Vervollkommnung der
Priester betreffen, also dem geistigen Fortschritt ihrer Seele dienen.
2797 |
So wie eine Mutter ihre Anlagen auf ihre
Nachkommenschaft überträgt, so wird mein inneres Leben und alle inneren1149
Gnaden bzw. die erreichte Vereinigung mit Christus, wie eine Vererbung weiter
geleitet, in der Kirche wirksam sein (– es handelt sich, wie mir gezeigt wurde,
um eine allmählich fortschreitende, gleichsam stufenweise steigernde
Fruchtbarkeit aller Gnaden, die mir von Christus geschenkt wurden –). „All
diese Gnaden und noch größere, nämlich den Forderungen des Priestertums
entsprechend, werden weiterfließen in die Priester und von diesen in die
Gesamtkirche“. – Mein inneres Leben, wird in Christus fruchtbar werden in der
Kirche.
2798 |
Zur Bekräftigung seines Versprechens erklärte
der Heiland: „Ich verpfände dir Mein Wort dafür!“
2799 |
Heute in St. Peter war ich erhoben in das
Innewerden der Heiligkeit Gottes. Zugleich erfasste ich ihr gegenüber den
Unterschied der menschlichen Vollkommenheit bzw. der stufenweisen Erhebung des
Menschen zur Heiligkeit, und ich schaute die Anwendung dieser Wahrheiten auf
meinem Geistesweg.
2800 |
„Gott ist in seinem Wesen höchst vollkommen
und heilig; und ebenso vollkommen sind all seine Werke“. Aber was sagt dieser
schwache Ausdruck im Vergleich zu dem tiefen Erfassen, in das ich gleichsam
ganz „eingetaucht“ war! Es war eine wunderbare Schau Gottes und seiner
göttlich-wesentlichen Einfachheit in der Heiligkeit seines göttlichen Bestandes
und in den göttlichen Ausflüssen in all seinen Werken und Taten. Aber leider
lässt sich das Wunderbarste am wenigsten in Worten festhalten; gerade das
Erleben der wesentlichen Vollkommenheiten Gottes kann am wenigsten in
menschlichen Worten ausgedrückt werden. Ein Vergleich mag die Tatsächlichkeit
des Erlebens, und dabei doch die Unmöglichkeit des Ausdruckes dafür
einigermaßen erklären: Wenn man an einem heißen Sommertag ein kühlendes Bad
nimmt, so erfährt man die erfrischende und belebende Wirkung des Wassers,
solange man im Bad ist. Wenn man das Wasser verlassen hat, bleibt zwar noch
eine gewisse Wirkung bestehen, aber wie könnte man einem anderen Menschen, der
nie ein Bad genommen hätte, die Wohltat und die Vorzüge des Wassers erklären?
So ähnlich ist es auch mit dem Erleben und Emporgenommenwerden in das Geheimnis
des Wesens Gottes und seiner Heiligkeit. Dieses geistige Untertauchen in Gottes
heiligstes Wesen und seine göttlichen Eigenschaften war für mich eine überaus
große Gnade, aber ich kann das Tiefste davon nicht zum Ausdruck bringen. – Noch
mit einem anderen Vergleich erläutert: Wenn man Wasser in die hohle Hand fasst,
so fließt das Wasser allmählich wieder ab; es lässt sich nicht festhalten; es
bleibt aber nur die nasse Hand als sichtbarer Beweis, dass man Wasser in der Hand
hatte.
2801 |
Die Heiligkeit Gottes liegt also im Wesen und
in der Vollkommenheit seiner Existenz selbst. Gott selbst1150 ist
die höchste Heiligkeit und alles, was ihm, d. h. seinem Wesen entströmt, trägt
die Spur und das Gepräge seiner göttlich-vollkommenen Eigenschaften. Sein
wesentlicher Bestand ist gleichsam die Summe und Zusammenfassung aller
Vollkommenheiten (– um es irgendwie menschlich auszudrücken; den Gott ist
zugleich wesenhafte Einheit und Einfachheit und in ihm ist keine
Zusammensetzung von Teilen verschiedener Vollkommenheiten wie bei uns
Menschen). Gott ist die Heiligkeit und Vollkommenheiten mit allen moralischen
Folgerungen, die diese seine allerhöchste Heiligkeit seiner Eigenschaften in
der Unsumme seiner Werke und Taten verlangt. Das ist sein wesentlicher Bestand.
2802 |
Der Mensch wird aber erst in mühevollem
Aufstieg „heilig“, und die Vollkommenheit seiner äußeren Handlungen bleibt oft
weit selbst hinter dem besten Wollen zurück. – Gott hat dem Menschen auch nach
dem Sündenfalle vieler seiner geschaffenen guten Anlagen – als Anlagen zur
Heiligung – gelassen, zugleich mit der Möglichkeit ihrer Vererbung auf die
Nachkommenschaft; aber all diesen moralischen guten Anlagen wurde durch die
Erbsünde doch eines, und zwar das Höchste genommen: Obwohl sie in sich noch
„gut“ sind, so sind sie doch nicht mehr „in Gott gut“, und aus ihnen fließen
darum nur menschliche oder „natürlich“ gute Werke1151. Die dem
Menschen verbliebenen guten Anlagen wurden gleichsam entwurzelt und wurden
losgerissen vom göttlichen Baum, dem sie entstammten; sie bewegten sich nunmehr
außerhalb ihres übernatürlichen Lebensspenders. Um eine wahrhaft und
gottgewollte gute und „vollkommene“ Handlung verrichten zu können, braucht der
Mensch nun einen besonderen übernatürlichen Beistand Gottes, bzw., muss er erst
wieder in den „Kreis Gottes“, in die Teilnahme an seinem Wesen hineingezogen
werden. Nur in Kraft dieser Einheit mit Gott kann der Mensch gottgewollt gute
Werke verrichten; nur in Gott kann der Mensch seinen sittlichen Wert vervollkommnen,
festigen und als dauernden Bestand sichern. Außerhalb Gottes ist jede
moralische Vollkommenheit des Menschen mangelhaft und wankelbar.
2803 |
Die übernatürliche Verbindung mit Gott
vorausgesetzt, beginnt nun die moralische Vervollkommnung des Menschen damit,
dass seine Seele zunächst gute Vorsätze fasst, die der Mensch mit Gottes Gnade
auch nach und nach ausführen kann. Tatsächlich bleiben die guten Vorsätze
gewöhnlich längere Zeit in der Seele verborgen, bis sie sich als Taten1152
wirksam und sichtbar nach außen zeigen. Die sittliche Vervollkommnung
beschränkt sich zunächst auf das „Innenleben“, auf den Bereich zwischen Gott
und der Seele allein. Langsam nur treten die inneren guten Angewöhnungen der
Seele auch in den Charakter des Menschen zum Vorschein und es kommt zu einem
stückweisen Sichtbarwerden des errungenen seelischen Habitus und allmählich
dann zu einer „Durchsäuerung des ganzen menschlichen Tuns“ mit den in Gott
erworbenen sittlichen Vollkommenheiten der Seele. Nur auf diesem Wege hat die
moralische Vollkommenheit des Menschen einen festen Grund und zugleich Aussicht
auf immer höhere Vervollkommnung.
2804 |
Bei der in der menschlichen Natur liegenden
Schwäche kann aber der Mensch gewöhnlich1153 sein inneres gutes
Wollen nicht sofort in gleicher Güte und Vollkommenheit und im ganzen Umfang1154
in die äußere Tat umsetzen und es wäre eine große Ausnahme, wenn – auch bei
aufrichtiger und voller Bekehrung – die Werke1155 eines Menschen
gleich auf einmal den Stempel innerer Heiligkeit zur Schau tragen würden; es
wäre sehr fraglich, ob eine solche rasche Umwandlung von Bestand und Dauer
wäre. – Gewiss muss ein religiöses Innenleben sich auch in einem entsprechenden
sittlichen Leben nach außen zeigen und muss das Äußere mehr und mehr ein wahres
Bild des inneren Strebens geben, aber es dauert gewöhnlich geraume Zeit, bis
auch die äußeren Taten ganz nach dem inneren Habitus geformt werden können, bis
eine gewisse Abrundung1156 und Übereinstimmung, und ein
psychologisches Gleichgewicht zwischen dem inneren guten Wollen und der
Vollkommenheit der äußeren Ausführung errungen ist, sodass auch die äußeren
Handlungen die Vollkommenheitshöhe und den sittlichen Charakter des inneren
guten Wollens an sich tragen. Auch dies ist gewöhnlich nur das Werk einer
allmählich fortschreitenden Entwicklung. Gerade bei einem höheren sittlichen
Aufstieg zeigt sich meist der innere Vollkommenheitszustand zunächst nur in
bestimmten Bezirken der äußeren Handlungen. – Das letzte und höchste und
notwendige Ziel eines in Gott fruchtbaren Innenlebens bleibt immer: dass das
zunächst in der Seele verborgene gute Wollen und die lang geübte Vollkommenheit
des Willens auch in allem äußeren Handeln1157 gleich vollkommene
Gestalt annehme. Mag dies auch selten in einer vollkommen ausgeglichenen und
abgerundeten Weise gelingen – weil auch bei bestem inneren1158
Wollen doch leicht wieder ein Versagen im äußeren Tun unterlaufen wird – so
muss doch das Streben nach vollkommener Übereinstimmung zwischen innerer
Heiligkeit und zwischen der Vollkommenheit des äußeren Tuns immer1159
vorhanden sein. Mit zunehmender Vereinigung mit Gott drängt auch seine Gnade
immer mehr auf eine volle Durchdringung und Durchsäuerung des ganzen
Menschenlebens und auf eine volle Angleichung zwischen inneren und äußeren
Verhalten. Auf diese Weise breitet1160 sich Gott bzw. Gottes
Heiligkeit immer mehr in der Seele und im ganzen Menschenleben aus.
2805 |
Gottes Wesen ist also in sich schon höchst
vollkommen, und ebenso vollkommen ist alles, was seinem göttlichen Wesen
entspringt, nämlich all seine Werke. Der Mensch aber muss sich erst in der
Seele selbst ein Zentrum bauen mit Gott, ein gutes, gefestigtes, vollkommenes
Wollen, das dann immer mehr auch nach außen fruchtbar wird, immer höhere Ziele
anstrebt und schließlich eine sittliche Umwandlung, Vervollkommnung, Heiligung
des ganzen Menschen in Gott erreicht. Alles vor Gott und gottgewollt Gute wird
nur durch ihn in den Seelen fruchtbar und strebt naturgemäß nach einer
Durchdringung und Durchsäuerung des Gesamtmenschen. Und alles wahrhaft Gute ist
von Gott und ist ein Ausstrahlen seines göttlichen Wesens und seiner göttlichen
Vollkommenheiten – was ich hier in vielen Worten mühsam zu erklären suchte,
dessen bin ich in wenigen Augenblicken des Erlebens bzw. des Eingetauchtseins
in die Heiligkeit Gottes und seiner ebenso heiligen Werke unaussprechlich viel
tiefer innegeworden.
2806 |
Ebenso wenig ist in Worten wiederzugeben die
Anwendung dieser Erkenntnisse auf meinen Geistesweg, nämlich auf die langsame
Umwandlung meiner Seele nach dem Idealzustand in Christus. In einer
augenblicklichen Wirkung und mit Beleuchtung meines ganzen inneren Weges bis zu
dessen letztem Ziele wurde mir zugleich das innere Streben anderer Seelen bzw.
die Wege und das Wirken Gottes und seiner Gnade1161 in anderen
Seelen mitbeleuchtet. – Was in mir schon innerlich vorbereitet und gegeben ist,
das braucht eine gewisse Zeit und Übung und Entwicklung, bis es auch nach außen
voll brauchbar und gebrauchsfähig ist für die Absichten des Herrn.
2807 |
Je mehr mir das Bewusstsein meiner
gewöhnlichen Umgebung schwindet, desto mehr nähere ich mich dem geistigen
Kreise des Bewusstwerdens jenes neuen Lebens, das in mir vorbereitet ist. Unter
dem drängenden Einfluss der Gnade übe ich mich im Grunde schon in dem „neuen
Leben“, aber nach außen führe ich noch ganz das gewöhnliche Leben. – So bin ich
in einem gewissen Übergang oder in einer Zwischenstufe zwischen dem schon nicht
mehr voll bestehenden gewöhnlichen und dem noch nicht in Tätigkeit gesetzten
„neuen Leben“, und darin liegt das Schwere dieses jetzigen Zustandes, fast
möchte ich sagen, dieses „Doppellebens“. Ich stehe darum ständig wie auf
„Nadeln“ oder auf der Schneide1162, weil ich mich weitab vom
„normalen“ Leben befinde.
2808 |
Meine physische Natur wird eingeübt, um ständig
in „Tätigkeit“ sein zu können, weil das göttliche Leben niemals „ruht“ und auch
meine physische Natur diesem Erleben wird folgen können müssen. – Bei Gott gibt
es keine Unterbrechung seines Seins und seines Wirkens. Seine göttliche
„Unbeweglichkeit“ ist ständiges „Hervorbringen“. Meine Seele wird nun eingeübt
um sich die psychologische1163 Spannkraft zu erwerben, die für das
psychologische1164 Erleben Christi vorausgesetzt und notwendig ist.
All die „Spannungen“, die meine geistige Aufgabe in sich schließt, werden mir
nach und nach wie zu meiner „Naturanlage“, die ich ebenso werde ertragen
können, wie bisher mein gewöhnliches Menschenleben. Ich bin darum vollständig
von jeder geschöpflichen Zweisamkeit oder Gemeinschaftsmöglichkeit getrennt und
abgeschnitten und bin wie „ganz allein auf der Welt“; auch wenn ich mit anderen
spreche, so „klingt es innerlich doch nicht voll mit“. Jede „Gemeinschaft“ ist
mir unmöglich. Mein Gesamtsein wird damit ganz auf mich allein gestellt, sodass
ich von meiner Umgebung nichts empfangen kann. Ich kann nichts von anderen
aufnehmen und ich kann auch nichts aus mir selbst herausgeben. Ich kann aber
auch meinen inneren Zustand noch nicht „umfassen“, d. h., die Art meines Seins
ist mir noch nicht voll bewusst; es ist vielmehr wie ein „totes“ Dasein,
ähnlich dem eines Kindes vor dem Bewusstseinsleben – bis dann die in mir
vorbereitete andere Weise des Lebens und Bewusstseins voll „aktiviert“ wird.
2809 |
Niemand kann sich ein Bild machen von der
Tiefe der Leiden, die mit dem1165 Zurückdrängen des „normalen“
Seelenlebens oder Bewusstseinslebens verbunden sind. Es ist eine Zerstörung des
„normalen“ Bewusstseinslebens mit dem Zweck der Überführung in ein
„übernormales“ Seelenleben, nämlich in das bewusste Erleben der Psychologie
Christi. – Jeder Fortschritt auf dem Wege zu diesem Ziel wird hervorgebracht
durch die Gewalt und Wirkung entgegengesetzter Leiden. Immer mehr steigert sich
das Abgeschlossen-sein von außen; dazu entschwindet mir immer mehr die
erlebnismäßige Erinnerung an mich selbst. Ich lebe zwar das gewöhnliche Leben,
aber es ist alles wie „tot“, d. h., dass nichts davon in das Bewusstsein
dringt. Es ist ein ekstase-ähnlicher Zustand, wo das eigene Leben
zurücktritt, um das Wesen des von Gott Gebotenen aufzunehmen, wozu die eigene
Existenz nur als Mittel notwendig ist. – So wird meine eigene Existenz
umgeformt zu dem Zweck, das Erlöserleben Christi aufnehmen und bewusst erleben
zu können, mit anderen Worten: um das Mittel zu sein für das Erleben der
Psychologie Christi. – Etwas Ähnliches vollzieht sich übrigens bei allen
mystischen Zuständen, insofern vorher jeweils die entsprechende geistige
Disposition in den Seelen geschaffen wird.
2810 |
Wenn mir aber dieses angedeutete Wesen der
(letzten) Vorbereitung auf meine geistige Aufgabe nicht durch eine besondere
Gnade „bewusst“ wird, so kann ich nicht darüber schreiben; denn dies alles
gestaltet und vollzieht sich viel tiefer in mir, als dass es das normale
Erfassen und Wissen erreichen könnte – dieses kann nämlich für gewöhnlich nicht
bis in diese Tiefen der Seele vordringen.
2811 |
Ich habe heute wieder schwer gelitten unter
dieser psychologischen Umstellung; es ist einfach unaussprechlich. – Mein
inneres Leben ist scheinbare „Untätigkeit“ (im Sinne der gewöhnlichen geistigen
„Tätigkeit“ des Menschen), aber dadurch wird die ganz andere, höchste,
göttliche „Tätigkeit“ als Gegenstand meines Bewusstseinslebens vorbereitet.
2812 |
Heute Abend bin ich – im Voraus – in den für
mich geforderten Idealzustand in Christus erhoben: Ich erlebe und erfasse mich
als Zentrum meines Seins, das mich lebt, und ich bin vollständig abgewandt von
jeder früheren Geistesgrundlage. Die neu erworbene Geistesgrundlage tritt ins
Bewusstsein und Erleben.
2813 |
Das Erleben der „Spitze“ oder des
Höchstzustandes der gestrigen Erhebung ist etwas zurückgetreten; es ist aber
das Bewusstsein der unmittelbaren Grundlage dafür geblieben, die ständig und
unwillkürlich jener erfahrenen Spitze zustrebt. So ist das Erleben in mir
wieder „zweigeteilt“, d. h., ich erfasse den Ziel-Idealzustand und dazu – oder
ihm gegenüber – den gewöhnlichen zu jenem Ziele aufsteigenden Zustand. Auf der
Spitze oder im Höchstzustand selbst gibt es dagegen kein Zurückschauen und kein
Höherschauen, dort erlebt1166 man sich in der unmittelbaren
Eigenheit seiner selbst; man erlebt eben nur die Spitze, nicht die eine oder
die andere Seite, von der aus man diese Spitze oder seinen Zustand überschauen
und überprüfen könnte. Solange ein solches Überprüfen und Gegenüberstellen noch
möglich ist, solange bin ich nicht in dem für mich geforderten Idealzustand
vollendet. Wie man auch im gewöhnlichen Leben über seine eigene unmittelbare Existenz
keine weitere Auskunft geben kann, außer der, dass man eben da ist und so ist –
ohne dass man sagen könnte, warum man so ist. In gleicher Weise wird der (von
mir schon im1167 vorauserfahrenen) Idealzustand dann meine
existenzielle Eigenheit sein.
2814 |
Diese (kommende) Eigenheit möchte ich mit
folgendem Vergleich einigermaßen zu erläutern suchen: Sie baut sich gleichsam
auf einer hohen spitzen Säule auf, die allein steht, von allem getrennt und
über alles andere erhaben. Die eigenen – und an sich für gewöhnlich notwendigen
– Lebens- und Geistesbedürfnisse haben sich so verringert, d. h., der
persönliche Genuss der Tatsache des „Lebens“ ist derart verflüchtigt und
gleichsam aufgehoben, dass ich auf dieser Säulenspitze ganz angenehm „leben“
kann – (essen, schlafen, ruhen und mein Leben einrichten, aber ohne
„persönlichen Genuss“). Solange ich mich auf dieser Säule noch nicht ganz
bequem und wohlfühle, solange bin ich nicht fähig dauernd hier, d. h. im
Zustand des ausschließlichen Erlebens Christi, zu bleiben; solange muss darum
das „Abgeben“ überflüssigen Ballastes und hemmender Hindernisse fortgesetzt
werden; denn es ist auf dieser Höhe oder Säulenspitze kein Platz für „Gepäck“,
sondern nur für die nackte Existenz. Solange mich dieses Stehen oder Verweilen auf
solcher einsamer Höhe noch irgendwie schmerzt, solange ist die (für gewöhnlich
notwendige) Gewohnheit des „Erlebens und Genießens meines persönlichen Lebens“
noch nicht genügend ausgeschaltet. Ich muss vielmehr ohne Schwierigkeit und
dauernd auf dieser Säule ruhen können, ohne irgendeine Bespiegelung meines
eigenen Lebens, ohne irgendwie meine eigenpersönliche Existenz zu genießen. Und
ich darf dieses ganz andere, für mich völlig „genussloses“ Leben und Erleben
als keinen Mangel mehr empfinden; ich muss mich vielmehr wohlfühlen in der
gänzlichen Entblößung von meinem persönlichen Erleben.
2815 |
Im Allgemeinen und der Grundlage nach ist mein
Dasein nun schon auf dieser „Säule“ eingerichtet, aber – um beim Bild zu
bleiben – der Heiland spitzt diese Säule immer mehr zu, sodass sich mein Platz
immer mehr verengt. Er nimmt immer noch mehr weg von „mir“.
2816 |
Zu Zeiten schmerzt diese „Spitze“ noch, aber
überwiegend fühle ich mich dort schon wohl. – Heute ist geradezu eine Sucht in
mir: Wann, o wann endlich, endlich!? (Werde ich ganz nur und für immer „dort“
sein?) – Es sind gleichsam zwei Gewalten in mir: Die eine, die endlich auf der
Spitze am Ziele sein und dort „ruhen“ möchte; die andere, nämlich das
instinktive Fühlen und Wehren der Natur gegen jene harte Entblößung und
Selbstentäußerung, mittels deren ich ganz und für immer „Platz“ finde, dort auf
jener Höhe oder Spitze.
2817 |
Die seelischen Veränderungen und geistigen
Zustände haben eigentlich schon bei Beginn meines besonderen Innenlebens (um
das Jahr 1920) angefangen, haben sich aber ständig gesteigert, bis schließlich
die für meine Aufgabe notwendige Höchstspitze erreicht ist. Dabei schien es mir
oft; als sei ich schon auf der möglichen Höchstleistung meiner Seele angelangt,
obwohl noch viele weitere Höhen verborgen waren. – Heute aber bin ich so sehr
in innerer Bedrängnis, dass es mir scheint, es gehe nimmer weiter.
2818 |
„Ich will selbst das Kreuz sein, an dem du
gekreuzigt wirst“; wiederholt hat mir das in den Jahren von 1920-1930 der
Heiland angekündigt und es mich auch vorauserleben lassen. „ER“, das Kreuz – in
so inniger Gemeinschaft mit ihm! Welche Freude, welches Verlangen, welche
verzehrende Glut weckten solche Versprechungen Jesu immer in meiner Seele! Ach,
wie langsam und zögernd schien Jesus seine Worte wahr zu machen in mir, da ich
mich zu Zeiten fühlbar verzehrte im Verlangen nach Leiden und Opfer für ihn! –
All das Wenige aber, was ich selbst tun konnte, um mein Leidens- und
Opferverlangen zu stillen, war wie ein Tropfen kalten Wassers auf einen heißen
Stein.
2819 |
Die liebeshungrige Seele meint, sie müsse
selbst das Werk ihrer Heiligung vollbringen; es ist eine glühende Aktivität in
ihr, die sich nicht genug tun kann, um des Heilands Liebe zu erwidern und
seinen einladenden Worten zu entsprechen. Und der Herr will dieses eigene
Streben der Seele zur Aktivität gegenüber seinen Liebesanforderungen. Das gibt
der Seele Großmut und geistige Schwungkraft. Es sind dies gleichsam die „ersten
Ergüsse der Liebe“ zwischen Jesus und der Seele, wie in einer seligen Verlobungszeit,
in der ein Liebender den anderen gleichsam übertreffen will im gegenseitigen
Versprechen der Liebe und Treue und im Wahrmachen des Versprochenen. – Später,
wenn dann die Seele schon mit ihm den Aufstieg nach Calvaria begonnen hat,
Klingen seine Worte an die Seele –“härter“ und tiefer: „Ich selbst will deine
Kreuzigung vornehmen“. – Die Hand des Herrn hat unterdessen die Seele schon
schmerzhaft berührt in schmerzlichen Entblößungen, weil Jesus die Seele, jede
Seele „allein“ mit sich nimmt. Aber bei diesem ersten Aufstieg nach Calvaria,
wo es sich um Überwindung der niederen Höhen handelt, ist dies noch der süßeste
Trost, dass es „seine Hand“ ist, spürbar und fühlbar erlebt. Viel härter wird
es aber, wenn seine (fühlbare) Hand sich zurückzieht; die Seele tritt dann in
das tiefere Geheimnis des Kreuzes ein, wobei der Herr sich meist gewisser
Umstände und Menschen bedient zur Läuterung und Heiligung der Seele.
2820 |
Es braucht aber lange Zeit und vielleicht
viele Jahre, bis die Seele ganz „eingeht“ auf die Art und Weise, wie sich der
Herr der Umwelt und der Menschen bedient und sie als seine unmittelbare
Werkzeuge benützt, mittels deren er selbst sein Werk in der Seele vollbringt!
Wie lange sträubt sich die arme Seele unwillkürlich gegen diese Art der Läuterung!
Wie schwer empfindet sie es zunächst, sich von Menschen ihre Fehler sagen zu
lassen, Ungerechtigkeiten hinzunehmen, gewisse Rechte sich entziehen zu lassen,
die sie sich behaupten und beanspruchen könnte, immerfort der „Kleine“, der
Erniedrigte, kurz: „der“ Mensch zu sein, der in allem zu gehorchen, zu
schweigen, immer zufrieden zu sein1168, und sich nach den anderen zu
richten hat!
2821 |
Wenn aber bei all diesen „Verkürzungen“ des
eigenen Rechtes die „Hand der Menschen“ eingreift, so ist es im Grunde doch der
Herr selbst, der durch sie sein Werk an der Seele vollbringt, wobei diese in
der Hauptsache nur passiv mitgehen kann. Der Übergang von der größeren
Aktivität der Seele zu größerer Passivität besteht vor allem darin, dass die
Heiligung der Seele nun mehr im harten „Hinnehmen1169“ als im
liebevollen „Geben“ geschieht. Und dieses harte „Hinnehmen1170“
fordert der Herr durch Menschen oder durch „zufällige Ereignisse“ und Umstände,
in die sich die Seele hineingestellt sieht. Es wird eine herbe Selbstentäußerung
an der Seele vorgenommen, aber es scheint nicht mehr die milde Hand des
Heilandes daran beteiligt zu sein, sondern es sind „Feindeshände“, denen die
Seele überliefert ist. Es scheint nicht mehr wahr zu sein das süße Wort, das
einst so verlockend die Seele durchleuchtet hat: „Ich selbst will diese
Kreuzigung vornehmen“. Darauf hatte die Seele nur eine Antwort: „Eben weil du
es bist, o wie gerne (will ich mich kreuzigen lassen)! Mach schnell, O Herr,
eile und zögere nicht länger, denn deine Hand ist süß und in dir an deinem
Kreuze ruhe ich so gut!“ – Aber nun zieht der Herr scheinbar seine Hand zurück
und lässt die Menschen das tun, was er selbst zu tun versprochen hat. Welche
Enttäuschung! Mit Freuden, so scheint es der Seele, würde sie die Entäußerung
ihrer Rechte, ihrer Ehre usw. hinnehmen, wenn der Herr unmittelbar selbst das
in ihr vornehmen würde, – aber dieses Hinnehmen1171 von Menschen,
die vielleicht sittlich und religiös niederer stehen oder denen man in manchem
überlegen scheint: Das scheint unerträglich zu sein. Und doch geht der Heiland
gerade diesen Weg der Selbstäußerung in den Seelen seiner Auserwählten.
2822 |
Welchen großen, geistigen Fortschritt haben
wir gemacht, wenn wir auch in all diesen „mittelbaren Einwirkungen“ nur die
Hand Gottes sehen, uns wahrhaft ihr beugen, uns entäußern, reinigen, läutern
und damit unmittelbar von ihr leiten lassen. Wie lange währt die Geduld des
Herrn, bis wir endlich verstehen, und welche langen Umwege muss er wegen
unseres Unverstandes oft in seiner Güte zum Zweck der Heiligung der Seele
machen! – Wollten wir rascher auf die Art seiner Führung eingehen, so könnten
wir uns vielleicht manches von der Länge des Weges ersparen. Aber so töricht
und widerspenstig ist der Mensch, dass er geradezu gezwungen werden muss unter
das süße Joch Christi. Es fällt dem Menschen schwer, den Herrn zu erkennen in
all seinen liebevollen Führungen und Handlungen zugunsten seiner Seele, in all
dem, was nach den Absichten Gottes der Seele „zum Fortschritt und zum Frieden1172“
dienen soll. Welche große Gnade ist es, wenn Jesus der Seele einmal sein
unmittelbares göttliches Wirken auch in den äußeren Umständen und Ereignissen
erkennen und zu ihrem geistigen Fortschritt wirksam, ja gleichsam greifbar
werden lässt! In diesem Falle wirkt aber schon dann ein unmittelbares Licht
seiner Gnade, das für gewöhnlich durch einen langen fruchtbaren Opferweg in der
Seele vorbereitet ist. Die Mehrzahl der Seelen geht wohl den langen Weg
hochherziger Hingabe und Opfer- und Leidensbereitschaft im Dunkel der
„mittelbaren“ Entäußerung und Läuterung durch Menschen und Umstände, wobei auch
den Mächten der Finsternis eine gewisse Freiheit der Betätigung gegeben sein
kann.
2823 |
Mit dem Lichte jener großen Gnade leuchtet
dann in der bedrängten Seele wieder das frohe Innewerden, ja das unmittelbare
Erfassen der Hand Christi auf, die in allen Ereignissen unmittelbar, wenn auch
verborgen, tätig war und in deren beglückende Nähe sich die Seele nun
wiederfindet in ihrer freudigen, großherzigen Hingabe. An diesem Punkte
angelangt hat wahrlich1173 jedes Opfer, jedes Leiden das Herbe
verloren, mögen auch noch so viele mittelbare und verwickelte Umstände es
veranlasst und damit die Verwirklichung der vollen Hingabe der Seele an Gott
gefordert haben. Nun versteht die Seele dankbar die liebevolle, gleichsam
„immer tätige“ und in allem unmittelbar mitwirkende Hand Gottes, die sich nie
genug tun kann, um die arme Seele zur unmittelbaren Nähe und Vereinigung mit
ihm zu führen und zu bringen.
2824 |
Nach jahrzehntelangen Wanderungen durch dunkle
Seelenmächte kann ich nun auch unmittelbar die Hand Jesu verstehen und
erfassen, der mir in meiner Jugend, am Anfange unserer bräutlichen Liebe, das
so beseligende Versprechen gegeben und es auch wirklich wahr gemacht hat: „Ich
selbst werde das Kreuz sein, an dem du gekreuzigt wirst – und Ich selbst werde
deine Kreuzigung vornehmen“ – „du wirst meine Kreuzesbraut sein“ (am
Fastnachtsmontag 1923 sagte er mir: „Ich will dich zu Meiner Kreuzesbraut
machen. Ich will dich Meine Leiden verstehen lehren.)“ –
2825 |
Nun begreife ich, wie wörtlich der Herr schon
bis jetzt wahr gemacht hat das Versprechen, das er mir damit gegeben, und das
Ziel, das er sich damit, in meiner armen Seele, gesteckt hat: Es ist das eine
große Ziel des Eingehens in ihn, in seinen Erlöserzustand; es ist das Erfahren
seines Erlösungsgeheimnisses, seines gott-menschlichen Wesens; es ist ein
gewisses Aufnehmen seiner Erlöserpersönlichkeit. Die Hinführung und
Vorbereitung aber auf dieses Ziel ist die geheimnisvolle „Kreuzigung“ durch ihn
und in ihm bisher schon gewesen.
2826 |
Dieses weit gesteckte Ziel konnte nämlich nur
er allein in meiner Seele der Verwirklichung entgegenführen; denn es fehlte mir
– und wohl jedem Menschen – schon die Einsicht, um eine solche (für das Ziel
notwendige) geistig-persönliche Entäußerung verstehen, geschweige denn selbst
vornehmen zu können.
2827 |
Weit1174 darüber hinaus geht aber
noch der tiefste und eigentliche Sinn jener geheimnisvollen Versprechungen des
Herrn, die sich mit der vollen Auswirkung meiner geistigen Aufgabe erst1175
voll bewahrheiten werden: Das Leben Christi, das ich nachleben und erleben
werde – soweit er es gewährt und soweit es für die gottgewollte Aufgabe
notwendig ist – das wird das Kreuz sein, an dem und durch das er selbst meine
Kreuzigung vornehmen wird. Nun ist mir die geheimnisvolle Deutung seiner
Absichten klar, ja, ich erfasse mich unmittelbar im Geheimnis Christi mit
meiner Seele.1176
2828 |
Leiden und Verdemütigungen aller Art, welche
die Seele ihre eigene Niedrigkeit und ihre Unvollkommenheiten einsehen lassen,
sind der beste Schutz gegen Täuschungen in einem außergewöhnlichen Gnaden- und
Innenleben. Sie werden auch auf der Spitze aller Übungen eine Quelle
reichlichen Friedens und einer beständigen „Leidensseligkeit“.
2829 |
Der geistig-mystische Aufstieg der Seele hat
(nach meiner Erfahrung) zwei Seiten oder zwei große Abschnitte: Der Erste ist
jener des Umschauens und des (geistigen) Genießens des schon errungenen
Aufstieges in Gott; es ist so ähnlich, wie wenn man beim Aufstieg auf einen
hohen Berg die wunderbare Fernsicht genießt und sich dem wohltuenden Eindruck
der Befreiungen von der Enge der Niederungen des gewöhnlichen Lebens hingibt. –
Nach dem Genießen dieser Höhenwege kommt aber die Seele noch in eine höhere
Region, die ich als „Vertiefung seiner selbst in Gott“ bezeichnen möchte. Es
ist dies ein Überschreiten des „Genusslebens“ (das Wort „Genuss“ im edelsten,
geistigen Sinne gemeint) mit Gott. Stattdessen schöpft man aber aus dem
unerschöpflichen Reichtum, der auf psychologischem Gebiet darin liegt, dass die
Seele die Vereinigung ihres Wesens oder ihrer Substanz mit Gott erlebt. Das
mehr „peripherische“ Genießen seiner selbst in Gott vertieft sich, zieht sich
auf das tiefste Wesen, auf den Mittelpunkt zurück: Die Seele erlebt sich in
substanzieller Weise in Gott, und zwar in einer unbeschreiblichen Einfachheit.
Im Bilde gesagt: Nachdem der Wanderer die ersehnte Bergspitze ganz erreicht und
die Herrlichkeiten der Aussicht und der Umgebung genossen hat, baut er sich auf
jener Höhe eine bleibende Stätte, richtet er den Bestand seines Lebens so ein,
dass er dort oben bleiben kann.
2830 |
Ich trete ständig mehr in ein neues
psychologisches „Geheimnis in mir selbst“ ein, nämlich in das Geheimnis „meiner
Seele“ im substanziellen Bewusstwerden und Erleben ihrer selbst. Dies bedeutet
eine „Umschaltung“ vom „verstandesmäßigen“ Bewusstseinsleben zum substanziellen
und dies in Hinordnung auf meinen speziellen Geistesweg. Ich erfasse mich immer
mehr und mehr in einem substanziellen Bewusstwerden meiner selbst. Mein
gesamtes Innenleben bleibt dabei hingeordnet auf das Erleben der Psychologie
Christi. Mein Innenleben ist nicht Selbstzweck, sondern dient als Vorbereitung
und Hinordnung all meiner psychophysischen Kräfte auf das Erleben des
psychologischen Geheimnisses des Gottmenschen.
2831 |
Jeder natürliche „Lebensgenuss“ ist mir
genommen. Ich bin daher geistig – um es in einem Bilde zu sagen – wie jemand,
der immer „steht“ und niemals „ruht“; auch wenn ich mich setze, „berührt“ mich
gleichsam der Stuhl nicht, d. h., das Sitzen bietet mir nicht den „Genuss“ oder
das spürbare Gefühl des „Ruhens“. – Ich leide aber nicht mehr unter dieser
„Genusslosigkeit“ meines Lebens, sondern diese ist mir vielmehr schon eine
tiefe geistige „Befriedigung“.
2832 |
So „nähere“ ich mich jenem Geisteszustand, von
dem mir Jesus erklärt und versprochen hat: „Dein Gesamtleben muss das Gepräge
des inneren Habitus annehmen; es darf bezüglich der moralischen Vollkommenheitshöhe
keinen Unterschied mehr geben zwischen dem inneren Wollen und dem äußeren Tun
und Ausführen, sondern es darf in dir nur noch eines sein: die Verschmelzung
des inneren Geistes und Wollens und der äußeren Ausführung zu einer
vollkommenen Tat“. Wie weit ich diesem Ziele nahegekommen bin, das kann gewiss
nur der Heiland beurteilen, aber ich fühle mich diesem Ziele nahe. Die
allmählich erworbene psychologische Kraft muss nach und nach das Gesamtleben
durchdringen und wie zu „einem Geiste“ umgestalten, von dem das Gesamtleben in
seiner sittlich-praktischen Auswirkung geformt und getragen wird.
2833 |
Damit wird mehr und mehr auf mein Seelenleben
angewandt jenes Schauen und Durchleben der Heiligkeit Gottes in seinen Werken
sowohl wie in seinem Wesen und in all seinen Eigenschaften (wie ich es am 14.7.
erfahren und angedeutet habe): Was „im Geiste“ besteht und existiert, das muss
zum „Leben und Tun“ werden und so zu einer allgemeinen Abrundung und Vollendung
reifen. – Das liegt in der Absicht Gottes für jede Seele, die er in seinen
göttlichen Liebeskreis hineinzieht. In besonderer Weise will er das in mir
verwirklichen, weil in mir das zur Ausführung und zum „Leben“ kommen soll, was
– als Ziel und Zweck der mir gegebenen besonderen Vereinigung mit ihm – in mir beabsichtigt
und vorbereitet ist.
2834 |
In Gott besteht kein Unterschied zwischen der
Vollkommenheit seines Seins und jener seines Wirkens; seine göttlichen taten
und Werke tragen ganz den Geist und Stempel seines göttlich-vollkommenen Seins.
Die Wirkung der Anwendung und geschöpflichen Nachbildung dieser Wahrheit in
meiner Seele lässt sich in Worten nicht erklären. Um es wieder in einem Bilde
anzudeuten: Es ist so ähnlich, wie wenn der „Blitz“ in einen Gegenstand fährt
und ihn durchdringt, jedoch mit dem Unterschied, dass der Blitz den getroffenen
Gegenstand zerstört, während der Geist Gottes mich erfasst und gleichsam
erneuert und für das befähigt, was die Absicht Gottes bei diesem Erfassen ist.
Allgemein gesagt gibt es eine viel höhere Art des Verkehrs mit dem Heiland, als
es jene ist, die sich als „Ansprache“ im mystischen Leben vollzieht und die ich
früher erfahren habe. Mit jenem1179 Gespräch wie zwischen „Ich“ und
„du“ ist auch ein gewisses Innewerden Gottes verbunden. Als eine weit höhere
Stufe des Verkehrs mit Gott erfahre ich aber ein „blitzartiges“ Verstehen
Gottes (oder dessen, was Gott will), ein rein geistiges Durchleuchtet-Werden
von ihm und seinem Licht. Ähnlich wie die Sonne immer leuchtet und belebend und
befruchtend tätig ist, und zwar durch die bloße Eigenart ihres Daseins, ohne
dass sie „sich bewegt“, so ist der Geist und das Leben Gottes1180 in
mir wirksam ohne „Ansprache“. Er macht sich mir verständlich ohne „Ansprache“,
indem er eben tätig ist und in mir tut, was er vorhat; und meine verfeinerte
und vergeistigte Seele „versteht“ ohne Worte und „antwortet“, ohne selbst
sprechen zu müssen. Gott teilt sich mit, und durch diese seine bloße Mitteilung
und Gegenwart macht er mir kund und bringt er zugleich hervor das, was er in
mir will.
2835 |
Als Vorbereitung auf die Gnade der „geistigen
Mutterschaft“ (14.07.1944) hatte ich folgende Erkenntnisse: Der Mensch ist von
Gott als Gemeinschaftswesen geschaffen1181; er ist nicht für sich
allein da, sondern zur Mitteilung des Guten, was er hat und ist, an seine
Mitmenschen. Schon im gewöhnlich-natürlichen Leben gibt es nichts Gutes in
einem Menschen, woran nicht andere Mitmenschen irgendwie teilhätten. Auch das
verborgenste Gute wird in irgendwelcher Weise zur Hilfe für Mitmenschen. – In
einem viel höheren Sinn trifft das zu im „Reiche der Kinder Gottes“, d. h. im
übernatürlichen Gnadenleben. Es gibt in der einzelnen Seele keine Gnade und
keine Bevorzugung, die nicht irgendwie zum allgemeinen Heil der Gesamtkirche,
bzw. zur Hilfe und zum Fortschritt anderer Seelen beitragen und dienen würde.
Weil wir alles übernatürliche Gnadenleben durch und in Christus haben und weil
Christus das Haupt der Menschheit und der Erlöser aller Menschen ist, deshalb
wird das übernatürliche Gnadenleben im gewissen Sinne zum Gemeingut für alle,
die in Christus und seiner Gnade leben. Christus hat aber das Recht, die von
ihm erworbenen geistigen Güter der Gnade zu verteilen und zuzuwenden, wie es
ihm beliebt, andere Seelen daran teilhaben zu lassen, wie es ihm gut scheint
und wie es zum Nutzen seiner Kirche ist.
2836 |
Christus kann auch ganz nach seinem Belieben
und nach seinen Absichten eine Seele ganz in besonderer stellvertretender Weise
dem allgemeinen Wohle seiner Kirche zur Verfügung stellen, indem er diese Seele
für ein besonderes geistiges Ziel befähigt, sie vor seinen Augen erhöht und
eine besondere geistige Fruchtbarkeit erreichen lässt, und sie dann nach seiner
Gerechtigkeit wiederum als einen „geistigen Schatz“ seiner Kirche zur Verfügung
stellt. Alles Gute ist ja in ihm und durch ihn erworben worden und ist und
bleibt daher im gewissen Sinne sein Eigentum, das er wiederum auch anderen
Seelen zuwenden kann. Infolge seiner Einheit mit der Kirche und den Seelen
gehört zudem alle Gnade in ihm in einem wahren Sinne auch allen anderen Seelen
und wird gleichsam auch deren Eigentum.
2837 |
Auf diese Weise wurde mir durch den Heiland
die Gnade der „Geistigen Mutterschaft“ (vom 14.7.) verständlich und annehmbar
gemacht. – Weil sie mir vom Geiste Gottes in so einfacher und wie
selbstverständlicher Weise erklärt und dargelegt wurde, wagte ich auch
meinerseits in dieser Gesinnung der Einfachheit, auf die Annahme dieser Gnade
einzugehen. Nur auf diese Weise konnte ich verstehen, dass und wie Christus
einer Frauenseele eine so merkwürdige (selbstverständlich verborgene) Stelle in
seiner Kirche zuweisen könne.
2838 |
In gleicher Weise und mit gleichem Rechte kann
der Heiland eine bestimmte geistige Erneuerung (seiner Kirche) in einer Seele
begründen, sie ihr beginnen und vorzeichnen, und er kann diese Seele dann als
Opfer und Werkzeug seiner Absichten der Gesamtkirche übergeben und zur
Verfügung stellen. – In diesem Sinne zeigte er sich mir als den Herrn aller
Gnaden, als das Haupt der Kirche, in dem alle Gnade und Wahrheit ist, in dem
alles Gute seinen Ursprung hat, von dem es ausgeht und weiterfließt zum
allgemeinen Heil der Seelen. Es steht ganz bei Christus, in seiner göttlichen
Allmacht eine Seele zum geistigen Heil der Allgemeinheit als Opfer und Werkzeug
zu benützen, wenn und wie er will und es ihm gefällt.
2839 |
Heute habe ich – nach meiner inneren Erfahrung
– einen umwälzenden inneren1183 Fortschritt gemacht, der mich sehr
dem Idealzustand näher bringt: Immer mehr erfasse und erlebe ich mich in
substanzieller Weise und gehe so immer mehr in das Geheimnis meines geistigen
Berufes ein. Es ist so ähnlich, wie wenn man eine Leiter besteigt: je höher man
steigt, desto mehr kann man mit einem Blick die Umgebung überschauen.
2840 |
Welche Armut und geistige Erniedrigung in mir!
Was ich in mir besitze und aus mir selbst bin und verlange, das ist einzig
„Erniedrigung und Bereitschaft zum Leiden“.
2841 |
Heute erlebte ich ein Durchdringen der
folgenden Wahrheiten und ihren Bezug auf das Geheimnis der Menschwerdung:
2842 |
„Gott ist ein Geist, auch in der 'Abgrenzung'
der drei göttlichen Personen voneinander. Dieser Geist Gottes hat sich als
zweite göttliche Person 'formell' seiner Menschheit angepasst (in dem er die
Form des Menschen annahm), blieb aber seinem Wesen nach das, was er war, d. h.
blieb Gott mit aller göttlich-wesentlichen Eigenart.“
2843 |
Wir Menschen können uns ein rein geistiges
Wesen, sei es Gott oder die Engel, nicht anders vorstellen als nach Art unserer
an das Materielle gebundene Existenz;1184 wir können ein geistiges
Wesen nicht anders erfassen als in der Form einer Eingliederung desselben in
eine materielle Gestalt. – Unsere Seele ist wohl Geist, – wie Gott Geist ist –,
aber sie ist zugleich so sehr dem Leibe eingegliedert, dass wir ihr eigenes
Wesen nicht unmittelbar erfassen können. Obwohl die Seele das wichtigste und
auch „das erste Element“ im Menschen ist, das sich dem materiellen Leibe
anpasst und eingliedert, müssen wir Menschen doch vom „Materiellen“ ausgehen,
um von da auf den Begriff „Seele“ übergehen und schließen zu können. Wir
brauchen die Tätigkeit der Sinne, um schließlich zum Erfassen der Geistigkeit
der Seele vorzudringen, und doch sind die Sinne nur ein Werkzeug der Betätigung
der Seele. Im Grunde ist es in erste Linie die Seele, die (durch die Sinne)
tätig ist und die Betätigung der Sinne zu ihren Zwecken heranzieht. Alles, was
wir in unserem Dasein „Leben“ nennen, geht auf das Vorhandensein und die
Tätigkeit unserer Seele zurück, und die Seele ist es auch, deren Tätigkeit den
menschlichen Körper „lebendig“ macht.
2844 |
Wollten (und könnten) wir eine Seele vom Leibe
trennen und sie in ihrer Geistigkeit untersuchen, so würden wir finden, dass
sie in ihrer Einfachheit und als Geist artfremd ist gegenüber dem materiellen,
zusammengesetzten und ausgedehnten Leib. Und doch: Die Vielheit der Fähigkeiten
der einfachen Seele und die Möglichkeit der „Aufteilung“ dieser Fähigkeiten und
ihrer verschiedenen Betätigungsformen bringt jenes Wunderwerk hervor, das wir
als „normales Menschenleben“ kennen. – Die vielfache Betätigungsart der
einfachen und unteilbaren Seele gliedert und fügt sich ein in die Bedürfnisse
des Leibes, in die Erfordernisse seiner Sinne und in die mannigfaltige
Dienstbarkeit des Leibes gegenüber der Seele. Dabei ist nicht bloß an die
bekannten „fünf Sinne“ zu denken, sondern an die vielfältigen
Empfindungsfähigkeiten des Leibes, die von der Seele – also von einem
vorhandenen geistigen Lebensprinzip – „belebt“ werden.
2845 |
Das „Leben“ des Menschen wird also
Wirklichkeit durch die Einheit in einer Vielheit, die sich verteilt auf die
verschiedenen, entsprechenden Aufnahmezellen, durch die jede der einzelnen,
vielfältigen Fähigkeiten der Seele gleichsam eine „Ergänzung“ und ein Ausdrucksmittel
erhält. Unsere Seele ist also unter dieser Rücksicht ein „Aufnahmeprinzip“, das
zunächst nicht für eine „Allein-Existenz“ angelegt ist, sondern für die
Verwertung einer „Dienstbarkeit“, die ihr als Ergänzung dient; dementsprechend
vollzieht sich auch ihre Eingliederung in den ihr dienstbaren Körper.
2846 |
Der Mensch kann aber dem geistigen Wesen
seiner Seele nur nahekommen durch die Unsumme und Allgemeinheit ihrer
Betätigungen im Leibe. Die Seele hat nämlich die Kraft und Eigenheit, ständig
Körperliches, Materielles in „Geistiges“ (d. h. für den Geist Bereitetes,
Geeignetes und Brauchbares) umzuwandeln und zu einem Ausgangspunkt für die
eigentliche geistige Betätigung zu machen. So erfassen und erleben wir das
Materielle in einer „geistigen“ (d. h. für den Geist verwertbaren) Form, obwohl
dieses Erfassen und Erleben von einer physischen Grundlage ausgeht und mit
physischen Behelfsmitteln hervorgebracht wird. – In diesem Sinne vollzieht sich
also eine ständige Umwandlung im Menschen und nur durch diese Umwandlung
erfahren wir für gewöhnlich unsere Seele. Dabei wird uns der Akt dieser
Umwandlung selbst nicht bewusst (– Er vollzieht sich als unbewusster Vorgang),
sondern nur das Ergebnis dieser Umwandlung: der Eindruck auf unseren Geist,
wodurch wir uns erleben. Darin liegt der Unterschied zwischen dem Menschen und
dem Tiere, das im Übrigen ein ähnliches leibliches Dasein führt wie der Mensch.
Im geistig bewussten Menschen gewinnt aber das Geistige die Oberhand im
bewussten Erfahren und „Genießen“, während das Tier zwar ein ähnliches
materielles Dasein und ähnliche Bedürfnisse hat wie der Mensch, aber nicht von
einem Geiste beseelt ist und deshalb nicht zu einem geistig bewussten Erleben
kommt, sondern von einem „blinden“ Instinkt geleitet wird.
2847 |
Wenn wir nun in ähnlicher Weise die drei
Wesensbestandteile im Gottmenschen (Gottheit, Leib und Seele) analysierend
„Aufteilen“, so steht in jeder Hinsicht an erster Stelle das Gott-sein, und
entsprechend diesem Gott-sein formte das ewige Wort sich sein menschliches
Leben. Die Gottheit „gliederte“ sich mittels der Seele auch in die physische,
menschliche Natur ein, bewahrte aber immer in sich die Eigenart ihres
Gott-Seins auch in diesem menschlichen Leben.
2848 |
In einem wie blitzartigen Erkennen erfasste
ich dieses Geheimnis in Christus: In ihm kam das Göttliche zu einer
menschlichen „Formung“ und Gestalt, zu einer Eingliederung in seine Menschheit
(d. h., in seine Seele und durch die Seele auch in den beseelten Leib), wobei
seine göttlichen Eigenschaften und seine göttliche Eigenart von der Seele
aufgenommen und in einer „normalen“ Weise von der seiner Seele dienstbaren
physischen Natur „gelebt“, d. h., mit anderen Worten, in die psycho-physische
Betätigung aufgenommen wurden. – Im physischen Dasein Christi kam also die Gottheit
des Wortes zu einer sichtbaren „Formung und Gestaltgewinnung“, gleichsam zu
einer „Formulierung“, und zwar in Anpassung an die Grundlage und die
Bedürfnisse und Erfordernisse eines menschlichen Lebensprinzips. Gott passte
sich dem „menschlichen Leben“ an und nahm es – in Wahrung der Eigenart1185
seiner Gottheit – so in Anspruch, dass nach außen sich ein „normaler Mensch“
mit allen Wesenselementen eines wahren Menschen zeigte, jedoch mit der
wesentlichen Grundlage und unverlierbaren sittlichen Vollkommenheit und
Eigenart der Gottheit der zweiten göttlichen Person.
2849 |
Die zweite göttliche Person hat also – um es
in zwei vielsagenden Worten zusammenzufassen – die menschliche Natur
angenommenen und mit ihr gelebt. Dieses Annehmen und Leben setzte aber voraus
und erforderte den normalen „Umsatz“ zwischen dem Geistigen und dem Physischen,
der sich im Menschen vollzieht, wobei das eine Element zur Tragkraft, zum
Behelf und zur „Ergänzung“ des anderen dient.
2850 |
Bei der göttlichen, unveränderlichen Person
Christi selbst kann man nicht von einer eigentlichen „Ergänzung“ sprechen, weil
ihr Wesen weder einer Ergänzung bedurfte, noch einer solchen fähig war. Um aber
Mensch zu sein, brauchte die zweite göttliche Person doch in einem bestimmten
Sinne eine „Ergänzung“ durch die menschliche Natur, insofern nämlich diese
notwendig war, damit das göttliche Sein ein wahres menschliches Leben und
Dasein leben könnte. Und um diese „Ergänzung“ (für die göttliche Person) zu
werden, musste die Seele Jesu, und die ihr dienende physische Natur zum
unmittelbaren Werkzeug für die göttliche Person werden. Damit musste sich aber
die göttliche Person herablassen zu jener „feinen Durchlebung“, die im
gewöhnlichen Leben der menschlichen „Personkraft“ zukommt, weil ja die „Person“
im Ablauf des menschlichen Lebensbetriebes die Aufgabe und Rolle des
„selbstigen Lebensantriebes“ und einer gewissen „Abgrenzung“ hat. Auch die
göttliche Person musste sich in ihrem menschlichen Leben zu diesem
Lebensbetrieb herablassen und musste von diesem aufgenommen und in Anspruch
genommen werden können.
2851 |
Wie war aber dies möglich bei einer
Artverschiedenheit zwischen Gottheit und Menschheit? Wie konnte zwischen
Gottheit und Menschheit ein so inniges Wechselverhältnis hergestellt werden,
wie es zum gottmenschlichen1186 „Leben“ vorausgesetzt und erfordert
war? – Wie konnte der große Unterschied zwischen Gottheit und Menschheit
überbrückt und gleichsam ausgeschaltet werden? – Wie oben schon angedeutet,
vollzieht sich ein ähnliches Geheimnis auch im gewöhnlichen Menschenleben, nämlich
im Zusammenwirken der einfachen, geistigen Seele mit der materiellen Masse des
Leibes zu einem harmonischen „Leben“. Dies wird erreicht dadurch, dass die
verschiedenen Fähigkeiten der einfachen, geistigen Seele „aufgeteilt“ werden auf
die verschiedenen Formen der psycho-physischen Lebensbetätigungen. – In
ähnlicher Weise kam es im Geheimnis der Menschwerdung – selbstverständlich
nicht zu einer Aufteilung des göttlichen Wesens, das eine göttlich-wesentliche
Einheit ist – aber es kam zu einer gewissen „Aufteilung“ der
göttlich-wesentlichen Eigenschaften und Eigenheiten insofern, als diese in sich
unzertrennlichen göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten in entsprechender
menschlicher Form und Gestalt1187 zur Darstellung und zum Ausdruck gebracht,
in menschlicher Form und Gestalt gekleidet, sichtbar und gleichsam greifbar und
fassbar1188 gemacht und gleichsam „aufgeteilt“ und – mit einem Worte
gesagt – menschlich „formuliert“ wurden. – Gottes Wesen ist Einfachheit in der
Überfülle seiner göttlich-wesentlichen Betätigungsfähigkeiten nach außen und in
all seinen göttlich wesentlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten. Diese
göttliche Einfachheit in der Vielheit ihrer Vollkommenheiten ließ sich herab zu
den vielfachen Betätigungsarten einer Seele und „belebte“ diese als Person.
Damit kam das göttlich-einfache Wesen zu einer gewissen menschlichen
Ausbreitung, Eingliederung, Darstellung, Formulierung ihrer göttlichen
Vollkommenheiten und Betätigungen; diese verbanden sich zu einer Einheit im menschlichen
Leben Christi, nicht zu einer Verschmelzung, sondern in einem gegenseitigen
Dienstbarkeitsverhältnis zu dem Zwecke, um ein Ganzes zu bilden und
darzustellen.
2852 |
Die menschliche Seele trägt in ihrer
substanziellen Anlage die Fähigkeit, eine sie dirigierende Kraft (nämlich die
Kraft der „Person“) aufzunehmen, und durch die Regentschaft dieser Kraft wird
sie erst etwas Ganzes und in sich Abgeschlossenes. In der Seele Jesu übernahm
nun die göttliche Person vom Augenblick der Menschwerdung an diese allerhöchste
Regentschaft.
2853 |
Außer dieser höchsten Anlage (die leitende
Kraft der „Person“ aufzunehmen) trägt die Menschenseele noch viele andere
Anlagen in sich, die sie fähig machen, entsprechend der Entwicklung der
„Person“ (im gewöhnlichen Menschenleben) ein normales Menschenleben zur
Verwirklichung und zum Ausdruck zu bringen. Es sind dies ihre substanziellen
Anlagen als Grundlagen ihrer Existenz, die aber für gewöhnlich erst mit der
sich entwickelnden Sinnestätigkeit zum entsprechenden Ausdruck und zu ihrer
„normalen“ Betätigung kommen.
2854 |
Zu einem normalen Menschenleben braucht es nun
vor allem ein sofortiges „Zusammenarbeiten“ zwischen der aufstrebenden und sich
erhebenden Person und zwischen den ihr dienstbaren Anlagen der Seele. Es
beginnt ein gewisses Schritthalten zwischen den höheren und niederen Anlagen
und ihrer Entwicklung, und es vollzieht sich eine gewisse Angleichung und
Abrundung von Kräften, die alle als letzte Bestimmung haben: „Dieses
Menschenleben zu formen“ und es zum Ausdruck zu bringen. – In Christus wurden
alle substanziellen Anlagen der Seele sogleich der Eigenart und Vollkommenheit
der göttlichen Person angepasst, und zwar wie als „Naturzustand“. Sowohl die
Anlagen, welche die von der Person ausgehenden Einflüsse aufnahmen und
weitergaben und verwerteten, wie auch jene Anlagen, die zur Aufnahme und
Weitergabe der von außen, – durch die Sinne –, kommenden Eindrücke bestimmt
waren, wurden in allem, was das sittliche Gebiet betraf, ganz von der
göttlich-wesentlichen Eigenart und Vollkommenheit beherrscht.
2855 |
Der Mensch als veränderliches und gefallenes
Wesen ist in seinem persönlichen Urteil über die von innen oder außen kommenden
Anregungen und Einflüsse und in seiner Stellungnahme dazu wankend und
veränderlich. In Christus aber war alles auf ein göttliches Urteil gestellt und
gegründet. Auch als Mensch „wusste er alles, was er wissen wollte“ d. h., was
er von seiner göttlichen Allwissenheit auf sein menschliches Wissen übergehen,
und sich darauf auswirken lassen wollte. – Beim gewöhnlichen Menschen gehen die
von der Person kommenden Anregungen und Einflüsse weiter auf dem Wege
verstandesmäßiger Betätigung und werden dabei vielfach beeinflusst, geändert,
bestimmt, sei es durch mangelhafte Anlagen, sei es durch vererbte
Leidenschaften. So unterliegt die menschliche Person in der Ausübung ihrer
Herrschaft über die verschiedenen, ihr unterstehenden Anlagen leicht einer
beständigen Veränderung; sie wird mitbeeinflusst von untergeordneten,
sekundären Anlagen, vorausgesetzt, dass ihre Herrschaft als solche auf das
sittlich Gute eingestellt und nicht schon vom Grund aus verkehrt und verdorben
ist. Desgleichen unterliegen die Vorfälle, die von außen durch die Sinne an die
Person herangetragen werden, vielfacher Beeinflussungs- und
Veränderungsmöglichkeit in dem, was die Stellungnahme dazu und die Verwertung
desselben auf sittlichem Gebiete betrifft. – In Christus aber waren alle
Anlagen und Fähigkeiten seiner Seele, soweit das sittliche Gebiet irgendwie
mitsprach, von seinen göttlich-vollkommenen Eigenschaften „belegt“ und
beherrscht; es gab in ihm darum keine sittliche Veränderungsmöglichkeit,
sondern es herrschte in ihm die göttlich-wesentliche Vollkommenheit sowohl in
dem, was von der Person ausging, wie in dem, was von außen aufgenommen wurde,
bzw. in der Art, wie es aufgenommen wurde.
2856 |
Alle substanziellen Anlagen, die als Grundlage
zur Existenz einer Seele, bzw. eines Menschenlebens notwendig sind, wurden bei
der Menschwerdung sofort von der göttlichen Person erfasst und entsprechend
ihrer göttlichen Eigenart und Vollkommenheit „in Beschlag genommen“ und damit –
was ihre Auswirkung auf das sittliche Gebiet betrifft – zu einer
göttlich-vollkommenen Handlungsweise erhöht. In Christus waren alle
psycho-physischen Bedürfnisse eines „Menschenlebens“ in allem, was die
sittliche Auswirkung und Rücksicht betraf, von göttlichen Vollkommenheiten
getragen, für welche wiederum die Seele das unmittelbare Werkzeug war.
2857 |
Die Eigenart der Annahme der menschlichen
Natur durch die göttliche Person wurde mir wie mit einem Satze folgendermaßen
erklärt: Das göttliche Wesen der Person Christi hat sich im Menschen Christus
in ihren göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten „formuliert“ und eingegliedert
und aufgeteilt. Das ewige Wort mit seinen göttlichen Vollkommenheiten hat sich
durch menschliche Anlagen zum Ausdruck gebracht und hat seine göttlichen
Vollkommenheiten mittels dieser Anlagen vor dem Vater und vor den Menschen
gelebt. – Es ist ein unerschöpflich tiefes Wort: „Das Wesen Gottes kam im
Gott-Menschen zur menschlichen 'Formulierung' oder zum Ausdruck in menschlich
gelebter Weise“. – (Aber wiederum kann man nur „tote“ Worte zur Wiedergabe des
Erlebten gebrauchen, während der Geist dieser Erklärungen unerschöpflich ist).
2858 |
Ich habe die Anregung, die folgenden einfachen
Erkenntnisse und Zusicherungen Jesu in seiner Güte zu den Seelen
niederzuschreiben:
2859 |
Gott macht es bei seiner Arbeit in den Seelen
wie ein Baumeister. Dieser entwirft sich zuerst einen Plan, ein Projekt von dem
zu errichtenden Bau, sei es ein großes oder ein kleines Haus oder ein Palast.
Jeder Bau aber soll seinen besonderen Zweck dienen und die diesem Zwecke
entsprechende Inneneinrichtung haben. Der Zweck des Baues bestimmt schon die
äußere Form des Hauses, macht sich aber vor allem in der Inneneinrichtung
geltend. – Ähnlich macht es der liebende Heiland. Auch er hat bei seinem
gesamten Wirken in einer Seele ein bestimmtes Ziel und geht vom Anfang bis zum
Ende nach einem bestimmten, auf dieses Ziel hingeordneten Plan vor. Schon die
Grundlage und der Ausgangspunkt des ganzen Planes, der in ständigem
Fortschreiten zum Ziele hinführen soll, ist bei jeder einzelnen Seele
verschieden und richtet sich nach dem Zweck, der in der Seele erreicht werden
soll. Auch der geistige Umfang, die Ausdehnung und Festigkeit der „Mauern“ in
diesem geistigen Aufbau in der Seele werden nach dem Ziel bemessen, das dieser
Seele gesteckt ist, d. h., nach den Aufgaben, die sie zu erfüllen hat. Das
Geheimnis liegt – so erkenne ich es im Geiste – in den praktischen Anforderungen,
denen die einzelne Seele in ihrem Leben wird standhalten müssen, in den
sittlichen Kraftleistungen, die von ihr werden verlangt werden.
2860 |
So gibt es also verschiedene Grade der
Vollkommenheit, die den verschiedenen Seelen als Ziel gesteckt sind, entsprechend
ihrem Stande und Berufe und entsprechend den Absichten, die Gott mit jeder
Seele hat. Und es könnte sein, dass ein bestimmter Grad der Vollkommenheit und
Heiligkeit einer Seele in ihrem bestimmten Lebenskreise nicht genügen würde,
für eine andere Seele, an die, ihrem Zweck und Ziel gemäß, andere Anforderungen
gestellt werden. So würde z. B. die Vollkommenheitsanlage eines Dienstmädchens
nicht ausreichen für die geistigen Anforderungen, die an eine Ordensfrau
gestellt werden, auch wenn das Dienstmädchen in ihrem Stande vollkommen wäre.
Ebenso würde die geistige Fundamentierung eines Ordensbruders nicht ausreichen
für die seelischen Anforderungen, die etwa an einem Ordensstifter gestellt
werden, auch wenn der Ordensbruder die Aufgaben und Pflichten seines Standes
vollkommen erfüllt. Der „Vollkommenheitsrahmen“ für jede Seele schließt eben
vor allem den Zweck und die Absicht in sich, die Gott mit jeder Seele hat. So
kann tatsächlich eine Seele eine ganz hohe Vollkommenheit und sogar Heiligkeit
erreichen, die aber doch für einen anderen Zweck und eine andere von Gott
gegebene Aufgabe nicht kraftvoll und umfassend genug wäre; was für eine Seele
in einem bestimmten Stande genug ist, das wäre für eine andere Seele in einem
anderen Stande zu wenig, auch wenn beide Seelen, jede in ihrem Lebenskreis,
ihrem Stande gemäß vollkommen und heilig wären. So kann z. B. eine
Familienmutter in ihrem Stande eine abgerundete und vollendete Tugendhaftigkeit
erreichen und in der, ihrem Stande entsprechenden Vollkommenheit vor Gott
ebenso wohlgefällig sein und ebenso gehört und erhört werden von Gott wie z. B.
ein Bischof.
2861 |
Ich schaue innerlich: In seinem Gnadenreiche
hört und erhört Gott jeden, den „Kleinen“ und den „Großen“, denn er kommt jeder
Seele in dieser Seele entsprechenden Weise entgegen. Er lässt sich zu allem
herab, die zu ihm rufen und er hilft ihnen nach der Art ihrer
Hilfsbedürftigkeit.
2862 |
Der Heiland macht es mit mir gleichsam wie ein
Töpfer, wenn er einen neuen Topf fertigen will. Dieser formt den Topf; die Form
scheint ihm richtig zu sein, aber das dazu verwendete Material scheint ihm noch
nicht die richtige Festigkeit und zugleich Geschmeidigkeit zu haben. So schlägt
er den Topf wieder zusammen und knetet die Tonmasse nochmals um und formt dann
neuerdings den Topf. Weil aber die Masse immer noch nicht ganz seinen Wünschen
entspricht, schlägt er den Topf neuerdings zusammen und wiederholt das
Verfahren, bis die Tonmasse die gewünschten Eigenschaften hat. – So ähnlich
erhebt mich der Heiland innerlich1189 immer wieder auf die von ihm
geplante „Idealspitze“, aber weil meine Seele dabei noch nicht ganz die dazu
erforderliche Gefügigkeit und zugleich Festigkeit besitzt, so „zerschlägt“ er
scheinbar wieder jenes „Idealbild“ in mir und fängt wiederum an meine Seele mit
mancherlei Leiden und Bedrängnissen zu bearbeiten, um dann neuerdings in der so
bearbeiteten und umgewandelten Seele das von ihm gedachte Ideal zu formen. So
vollzieht sich ein ständiges Wiederholen und Formen und probieren des
Idealzustandes in mir, gefolgt gleichsam von einem neuen „Zerschlagen“ und
„Einstürzen“. Ich fühle mich dann wirklich so wie ein zerschlagenes Gefäß, das
in Scherben in einer Ecke liegt, erbärmlich und vernichtet; und ich bin mir
meiner Niedrigkeit und Zerschlagenheit voll bewusst. – Bis er das elende,
zerbrochene Gefäß wieder in seine göttliche Künstlerhand nimmt, die „Masse“
meiner Seele wieder zu begießen und zu bearbeiten, und zu formen beginnt, und
gleichsam einen neuen Versuch macht, ob die umgewandelte Masse genügend widerstandsfähig
und zugleich geschmeidig und fein geworden ist, um jenes Gefäß daraus zu
formen, das seinen Absichten entspricht und das den von ihm gewollten Zwecken
dienen kann.
2863 |
Wenn die tote Tonmasse „fühlen“ könnte, so
würde sie aber auch das Schmerzhafte dieser Bearbeitung durch die Hand des
Töpfers erleben und erleiden – ähnlich wie ich diesen beständig sich
wiederholenden Umformungsprozess durch die Hand des Herrn in meiner Seele
schmerzlich erlebe und erleide. Aber schließlich – und darauf allein kommt es
an – wird dem Heiland sein Werk gelingen, wenn er in meiner Seele die richtige
Brauchbarkeit erarbeitet und erreicht hat. –
2864 |
Heute bin ich wieder wie1190 so ein
„zerschlagenes Gefäß“, an dem der Heiland „arbeitet“.
2865 |
Ich hatte die Anregung, Folgendes zu bemerken:
Das Erleben des
Gottmenschen vollzog sich bisher in mir in vielen Einzelerlebnissen, die aber
„wie in einem einheitlichen Rahmen“ zusammengehören. Schon in den ersten
Aufzeichnungen des Jahres 1940 ist der Anfang beschrieben; und diese Erlebnisse
haben sich dann bis heute immer mehr vertieft und gesteigert. So wie
konzentrische Kreise, oder wie die Windungen einer fortlaufenden Spirale alle
den gleichen Mittelpunkt haben und wie die Spirale nur aus einer einzigen
Metallwelle besteht, so ähnlich vollzieht das Erleben Christi in mir. Deshalb
kann man nicht einen Teil davon herausnehmen, um ihn, losgelöst vom Übrigen und
vom Ganzen, zu betrachten, sondern alle Einzelerlebnisse bilden ein zusammengehöriges
Ganzes, das zudem eng mit der Eigenart meines Innenlebens verwoben ist. Um die
Teilerlebnisse zu verstehen, muss man sie daher im Zusammenhang mit dem
Vorhergehenden, (was früher geschrieben wurde) und mit dem Ganzen betrachten;
so wird das Bild sich immer mehr vervollständigen.
2866 |
Ferner ist dies zu bedenken: Es ist nicht
möglich, immer in Worten die feinen Verbindungslinien auszudrücken, die
zwischen den einzelnen Erlebnissen bestehen und die ich fein vergeistigt
erlebte. – Immer aber blieb die Eigenart meines Innenlebens auf das Ziel des
vollen Erlebens der Psychologie Christi hingerichtet, und zugleich war auch das
bisherige teilweise1191 Erleben dieser Psychologie in die
Besonderheit der Entwicklung meines Innenlebens eingebaut.
2867 |
Heute hatte ich im Sterbezimmer des hl.
Ignatius (bei der Kirche AL GESU) ein geistiges, übernatürliches Wissen über
den „geraden Weg des hl. Ignatius zu Gott“, über seine geistige Losschälung von
den irdischen Gütern und Dingen und vor allem über seine geradezu „radikale und
gewaltsame“ Losschälung von sich selbst. Er ging mit Gewalt gegen sich an und
überwand das eigene Mitgefühl mit sich selbst, um ganz und in allem „Gott zu
gewinnen“. Die Grundlage seines Strebens war ein tiefer, lebendiger Glaube,
(dessen Grundgedanke1192 man in etwa so ausdrücken könnte: Wenn Gott
der ist, der uns der Glaube und die Wahrheit zeigt, dann darf nur noch das
zählen, was zu seiner größeren Ehre ist).
2868 |
Diese konsequente und rasche Lostrennung von
allen Hindernissen im Streben nach dem höchsten Gut machten seinen geistigen
Weg zu Gott „so gerade und kurz“. Der hl. Ignatius hat in verhältnismäßig
kurzer Zeit und auf einer kurzen, geraden Wegstrecke „das“ erreicht, wozu man
für gewöhnlich einen viel längeren geistigen Zeitraum braucht. Seine Hingabe an
Gott war „total“ und diese vollkommene geistige „Totalität“ hatte zur Folge
eine wunderbare gnadenvolle Erwiderung Gottes ihm gegenüber. Die herrliche
Großmut des hl. Ignatius gegenüber Gott in allem verhalf ihm dazu, dass auch
„Gott sich von ihm in so hoher und außergewöhnlicher Weise finden und erfahren
ließ“. –
2869 |
Das charakteristische Geheimnis im Leben des
hl. Ignatius ist also dies: Totale, restlose und vorbehaltslose Hingabe und
Großmut Gott gegenüber, die von Gott (der sich bekanntlich an Großmut nie
übertreffen lässt) in so wunderbarer Weise „erwidert“ wurde.
2870 |
Ach Herr – wie schwer!
2871 |
Vorbemerkung: Wenn manches Geschriebene
vielleicht anderen als „Wiederholung“ erscheinen mag, so ist es doch für mich
tatsächlich keine Wiederholung, sondern „neues Erleben“ und etwas „nie
Gehörtes“ über das Wunder der Menschwerdung Christi. Und wenn ich vielleicht
immer nur mit demselben Satze ausdrücken kann: „Christus nahm die Menschheit“
an, so weiß und begreife ich doch bei diesem Satze mit immer neuer Tiefe, „wie,
und unter welchen Umständen“ Gott die Menschheit annahm. Was wir für gewöhnlich
nur aus dem Glauben wissen, das wird für mich zu einer lebendigen und erlebten
Tatsache, zu einer Tatsache, die mich durchdringt und die mich das „Wie“ dieses
Wunders der göttlichen Herablassung verstehen lässt.
2872 |
Gerade über die Art der heutigen Erkenntnisse
oder vielmehr Erlebnisse muss ich erklären: Ich war selbst mit meinem ganzen
sein miterlebend in jene Vorgänge im Werden des menschlichen Lebens Christi
hineingezogen. Es sind darum für mich keine bloßen Worte (die ich nachstehend
niederschreibe), sondern das mit den armen menschlichen Worten Ausgedrückte1193
und Angedeutete war für mich im Erleben „lebendig“. Aber gerade diese
„Lebendigkeit“ lässt sich in Worten nicht wiedergeben und ich muss eben die
Worte gebrauchen, die mir gegeben werden, um das Erlebte irgendwie zum Ausdruck
zu bringen.1194
2873 |
Ganz unvermutet und plötzlich wurde ich heute
Abend weitergeführt im Erleben der Psychologie Christi.
2874 |
Die göttliche Person musste sich der gesamten
Sinnestätigkeit der menschlichen Natur einfügen und anpassen, wodurch die
substanziellen Anlagen der Seele Jesu zum Gebrauch und zur Anwendung kamen.
2875 |
In diesem Satz ist kurz eine weitere Erklärung
des letzthin beschriebenen Geheimnisses zusammengefasst: Die göttliche Person
formte sich ihre Menschheit entsprechend der Eigenart ihres göttlichen Wesens.
Es sind weitere Erklärungen, die betreffen: „Die Übertragung des göttlichen
Wesens der Person; dessen menschliche 'Formulierung'; das tiefe Eingehen der
göttlichen Person in das ganze 'Menschsein' Christi; das Aufnehmen des
menschlichen 'Umsatzes der Kräfte' durch die göttliche Person; das 'Beleben'
der sinnesfähigen und gefühlsfähigen1195 menschlichen Natur durch
die von der göttlichen Person geleiteten Seele – und alles dies entsprechend
der unveränderlichen Eigenart und Vollkommenheitshöhe der göttlichen Person und
ihrer göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten.“
2876 |
Unter „Sinnestätigkeit“ oder „Sinnesleben“ ist
hier gemeint die allgemeine „Gefühligkeit“ im menschlichen Leib, die zwar in
erster Linie durch die Tätigkeit der Seele hervorgebracht wird, die aber ihre
notwendige Ergänzung und ihr Ausdrucksmittel hat im Leibe selbst, bzw. in dessen
entsprechenden, ungezählten Zellen. Durch dieses „Sinnenleben“ erfährt und
erlebt der Mensch zunächst seine Existenz und wird er „Herr“ über diese seine
Existenz.1196
2877 |
Im gewöhnlichen Menschenleben bildet und
erhebt sich die Sinnestätigkeit langsam, gleichzeitig mit der sich allmählich
erhebenden und entwickelnden „Person“. Es handelt sich dabei aber zunächst noch
um ein „dunkles Empfinden“, d. h., es ist einerseits schon ein wahres
Empfinden, das die Person in ihrer Entwicklung irgendwie „erlebt und
wahrnimmt“, aber es ist noch „dunkel“, insofern noch das Bewusstwerden
desselben als einer eigen-persönlichen Empfindung fehlt. Man könnte dieses
„Empfinden“, das sich vor dem Bewusstwerden der Person im Rahmen der
menschlichen Existenz abspielt, darum ein „unpersönliches Erleben“ nennen.
2878 |
Die göttliche Person als ewig-göttliches
bewusstes Wesen übernahm sofort mit der Menschwerdung im Mutterschoß Mariens
die wesentlichen oder substanziellen Anlagen der Seele, welche die erste
Vorbedingung oder Voraussetzung sind für das Empfindungsleben. Weil aber – wie
früher schon ausgeführt – zu einem wahren menschlichen Empfindungsleben auch
ein physisches Element notwendig ist, muss zum Vorhandensein der geistig-substanziellen
„Gefühlsanlage“ der Seele noch das Mitwirken der physischen Natur und ihrer
Stoff- und Nervenzellen hinzukommen; diese erfassen die Auswirkung der
substanziellen seelischen Anlage des Fühlens, und erst durch dieses
Zusammenwirken des Seelischen und Physischen kommt es zu jener feinen
Lebenskraft, deren Produkt oder Ergebnis „das gefühlte Objekt“ ist. Die
substanzielle Anlage setzt sich selbst in Tätigkeit und zieht die dienstbaren,
physischen Hilfskräfte heran.
2879 |
Das „Gefühlsleben“ des Menschen umfasst – wie
früher beschrieben – den ganzen Komplex des menschlichen Daseins, ja es bildet
einen Hauptbestandteil des Menschenlebens überhaupt, denn durch das
Gefühlsleben wird das Gesamtleben des Menschen angeregt und voll in Tätigkeit
gesetzt. Durch die Aktivierung ihrer Gefühlsanlage verschafft sich die Seele
den „Stoff“ zu ihrer eigenen weiteren Entwicklung und Entfaltung. Alles, auch
das Kleinste, was sich im beginnenden Leben vollzieht und durch die
Gefühlsanlage gefühlt, und insofern „wahrgenommen“ wird, hat irgendeine
Rückwirkung auf die höchste seelische, gleichfalls in Entwicklung befindliche
Anlage der „Person“, trägt damit irgendwie zu deren Formung bei und baut sich
damit in deren Eigenart ein. Alle „Empfindungen“, seien sie wohltuend oder schmerzlich,
üben irgendeine Wirkung auf die Personanlage aus. Obwohl sie nämlich noch nicht
„bewusst“ sind, so sind es doch „gelebte“ Empfindungen eines lebenden Wesens.
Es ist aber ein Naturgesetz des „Lebens“, das sich im gröberen Tier- und
Pflanzenleben zeigt: Nichts „Gelebtes“, d. h. nichts, was sich im Kreis des
Lebens vollzieht, „geht verloren“ oder bleibt ohne Wirkung für jene Gesamtheit
und Einheit, die wir „Leben“ nennen.
2880 |
Diese noch „dunkle“, aber tatsächliche
Einwirkung der Empfindungen auf die Personanlage hat zur Folge, dass nicht nur
die Anlage des Empfindens infolge ihrer1197 Betätigung und Übung1198
immer mehr ausgebaut wird, sondern auch, dass infolge der zwischen den
einzelnen Kräften bestehenden Wechselbeziehung das ganze beginnende Leben immer
mehr angeregt wird. Weil jede Empfindung etwas „Lebendiges“, eine Wirkung des
„Lebens“ ist, drängt sie auch1199 – gemäß dem allem „Lebendigen“
innewohnenden Naturgesetz – zu weiterem Empfinden oder Verwerten dieses
Empfindens.
2881 |
Die zunächst geistige Anlage der Seele kommt
aber zum wirklichen Empfinden nur mittels des sich allmählich erhebenden
„Sinnenlebens“, mittels der sich aufbauenden körperlichen Empfindungszellen,
die von der Seele, als vom eigentlichen Wesenselement des Lebens oder vom
„Lebensprinzip“ durchdrungen und belebt werden. Schon im allerersten Anfang
eines Menschenlebens erfasst die geistige „Kraft“ der Seele das ihrem Leben zur
Verfügung stehende und als Ergänzung dienende „Mittel zum Leben“ in seinem
ganzen Umfang. – Dieser allgemeine Ausdruck „Mittel des Lebens“ wurde mir
innerlich gegeben und will zurückhaltend das andeuten, was infolge der
menschlichen Fruchtbarkeit im Mutterschoß der Seele geboten wird. – Der Umfang
dieses „Mittels“ erstreckt sich nach dem Willen und Gesetz des Schöpfers auf
alles das, was für das tatsächliche Leben und Dasein eingesetzt und verwendet
werden kann. Die Seele als Lebensprinzip beginnt sofort, das ganze „Mittel“ zu
beleben und es nach ihrer eigenen Art und nach ihrem Geist zu formen. Dieses
Erfasst- und Durchdrungenwerden durch die Seele wirkt auf das „Mittel“ selbst
gleichsam wie ein Treibstoff, dem das Mittel überantwortet ist, und zwar
entsprechend dem vom Schöpfer in die Seele gelegtem Naturgesetz. Diesem
Naturgesetz folgt die Seele gleichsam „blind“, d. h., sie kann nicht aus dem
vom Schöpfer ihr gegebenen Rahmen heraus, durch den ihr [der ihr] zur Aufgabe
gestellt ist, „dieses Menschenleben zu formen und zur Verwirklichung zu
bringen“.
2882 |
Auch im Gottmenschen Christus bildete die
Seele mit ihren Anlagen das natürliche Lebensprinzip, gleichsam das „erste
Element“ im menschlichen Dasein Christi, das von der göttlichen Person erfasst
und in Anspruch genommen wurde und das unmittelbar in den Dienst dieser
göttlichen Person trat. Mittels der Anlagen dieser Seele, die der göttlichen
Person in feinster und vollkommenster Weise dienstbar waren, wurde das
Menschenleben Christi nach dem Wesen und nach der Eigenart der göttlichen
Person geformt. Die göttliche Person selbst übernahm, mit der Menschwerdung die
grundsätzliche Formung dieses Menschenlebens, indem sie sich dem ihrer
menschlichen Seele eigenen Naturgesetz überließ und überlieferte, und sich
gleichsam von diesem Gesetz leiten ließ, aber zugleich doch jene leitende und
dirigierende Formung und Beeinflussung auf ihre menschlichen Kräfte und ihr
ganzes Menschenleben ausübte, wie es eben der „Personkraft“ zukommt. Die
göttliche Person des Wortes übernahm ja im Leben Christi jene Funktionen, die
im gewöhnlichen Menschenleben von einer menschlichen Personkraft geleistet
werden1200. So herrschte auch in ihm ein unaussprechlich enges und
inniges Zusammenwirken zwischen der menschlichen Seele und der göttlichen
Person, von der die Seele durchdrungen war.
2883 |
Wenn man in hoher Vergeistigung seiner Seele
sich in der Vereinigung mit Gott und in Gott erlebt hat, so kann man sich in
etwa ein Bild machen von der feinen Gefühligkeit, mit der eine Seele – nach
entsprechender Läuterung und Vorbereitung – das Wesen Gottes zu erfassen, und
zu umfassen vermag (selbstverständlich nicht in einer wesentlichen Form, aber
doch in einem wahren Erleben-Können Gottes, wofür ja die Seele als für ihren
letzten Zweck geschaffen ist). Die Seele kann Gott gleichsam „durchfühlen“ und
sie erfährt und erlebt sich dabei in dem, was ihr eigentlicher Endzweck ist. In
einem unvergleichlich höheren Maße und in einer noch viel unmittelbareren Nähe
durchlebte aber die göttliche Person jenes Wesen (nämlich ihre Seele), durch
dessen Anlagen und Dienstbarkeit sie menschlich gefühlig und fühlend und
lebensfähig, kurz, wahrhaft „Mensch“ werden wollte.
2884 |
Zu diesem Zwecke musste sich aber die
göttliche Person auch an das für die physische Natur geltende Naturgesetz
halten, musste heruntersteigen „in das Fleisch“, um von ihm Besitz zu
ergreifen, ja in ihm Wohnung zu nehmen und sich vom Fleische bedienen zu
lassen. Die göttliche Person überlieferte und überließ sich also in einem
wahren Sinne dem menschlichen Naturgesetz und ließ sich herab, sich zu
innigster Harmonie – zu einem Leben – mit den menschlichen Lebenskräften zu
verbinden und gewissermaßen eine „Ergänzung“ zu finden in der menschlichen
Seele.
2885 |
Auf dieser Grundlage gestaltete sich im
menschlichen „Mittel des Lebens“ im Mutterschoß Mariens der gleiche Umsatz
zwischen den seelischen und körperlichen Kräften, wodurch im gewöhnlichen
Menschen der natürliche Lebensprozess hergestellt wird. Die Seele Christi, –
getragen und geleitet von der göttlichen Person – wurde zum „Leben“ des Leibes
Christi und sie war es, die diesen Lebensprozess in Gang setzte und behauptete.
Das göttliche Wesen der Person des Erlösers baute sich im ersten Augenblick der
Menschwerdung in diesen menschlichen Lebensprozess ein und formte den Menschen
Christus, im Einklang mit den menschlichen Naturgesetzen, aber auch
entsprechend seiner göttlich-unveränderlichen Eigenart und Vollkommenheitshöhe.
Die göttliche „Personkraft“ als der „bewusste Lebensantrieb“ seiner
menschlichen Natur formte selbst die besondere Eigenart des Menschen Christus,
indem sie ihre göttlich-wesentlichen Eigenschaften in die ihr dienstbaren
menschliche Natur einbaute oder, besser gesagt, „einlebte“. Der Lebensprozess
als solcher war in Christus der gleiche, wie in einem gewöhnlichen
Menschenleben, aber mit dem (großen) Unterschied, dass die Tatsache des
„Gott-Seins“ die besondere Eingenart1201 in diesem Menschsein
ausmachte.
2886 |
Die göttliche Person mit ihren unverlierbaren
Vollkommenheiten wurde aufgenommen und damit gleichsam umfasst von der
menschlichen Seele und ihren mannigfaltigen Gestaltungsanlagen. Die Seele Jesu,
das höchste und idealste geschaffene Ebenbild Gottes, nahm das göttliche Wesen
der Person des Wortes in sich auf (vergleiche hierüber die früheren Erklärungen
über die Frage: Wie konnte Gott ein Mensch werden?). Die Vielheit göttlicher
Gestaltungsformen des einfachen göttlichen Wesens – d. h. die Fülle dessen, was
das einfache göttliche Wesen in der Fülle seiner göttlichen Vollkommenheiten
und Eigenschaften in sich gestalten konnte – übertrug sich auf ein ähnliches,
wenn auch geschaffenes und begrenztes Wesen und Ebenbild, das ähnlicher
Gestaltungsformen fähig war. Infolge der Gottebenbildlichkeit besteht ja in
jeder Seele die Fähigkeit zur Anpassung an den Geist Gottes. Was aber in der
gewöhnlichen Menschenseele noch zu starr und steif ist, das wird auf hohen
Stufen der Vergeistigung der Seele gleichsam überwunden und es vollzieht sich
dann eine solche Fähigkeit der Anschmiegung der Seele an Gott, dass es den
Anschein hat, als wäre die Seele erst in ihrem wahren Element, wenn sie sich in
Gott erlebt und erfährt. In der Seele Jesu aber waren solch fein angelegte und
ausgebaute Anlagen in höchstem Maße vorhanden und diese Anlagen wurden von der
göttlichen Person ganz und voll in Anspruch genommen.
2887 |
Die Seele Jesu aber übertrug – nach dem ihr
innewohnenden vom Schöpfer gegeben Lebensgesetz – die Vielheit ihrer
Gestaltungsmöglichkeiten auf ihr menschliches „Mittel zum Leben“, auf den Leib,
der ihr als Ergänzung und Ausdrucksmittel im Dienste für das göttliche Sein zur
Verfügung stand, und auf den die wunderbare1202 Harmonie zwischen
den göttlichen und seelischen Kräften sich auswirkte und ausstrahlte. Auf dem
Weg über die Seele übertrug sich die göttliche1203 Eigenart und
Vollkommenheitshöhe auf den ganzen menschlichen Lebensantrieb1204
und nahm dieser somit die „Eigenart Gottes“ an. Die geistigen Grundlinien im
Gesamtleben Jesu waren wesentliche göttliche Eigenschaften, nach denen sich das
ganze, auch das physische Leben Jesu ausrichtete und aufbaute. Entsprechend
dieser auch im menschlichen Leben gewahrten1205 „Eigenart Gottes“
war das menschliche Dasein Jesu vom ersten Augenblick an mit göttlichen
Vorzügen ausgestattet, für deren menschliche „Formulierung“ sein physisches
Leben die „natürlichen, menschlichen Kräfte“ bot und zur Verfügung stellte.
2888 |
Das göttliche Leben der Person des Wortes
prägte sich nun innerhalb des Menschseins Christi aus und es kam „darin“ zu
einer Inanspruchnahme der menschlichen Natur durch die göttliche Person, die zu
einem menschlichen Leben der menschlichen Natur bedürfte1206. Da das
ganze Menschsein Christi sich innerhalb der menschlichen Kräfte und
Möglichkeiten und im Rahmen der für den Menschen geltenden Naturgesetze
abwickelte, ergab sich für das gottmenschliche Leben Jesu sogar eine gewisse
„Abgrenzung“ durch den Rahmen und die Möglichkeiten und die Gesetze der
menschlichen Natur.
2889 |
Dieser
begrenzende Rahmen war näherhin gebildet durch den Energieaufwand, den die
menschlich-physische Natur selbst erzeugen und leisten musste. Darum wurde das
menschliche Leben Jesu schon von der Menschwerdung an auf die Erzeugung jener
Energie und Tragkraft eingestellt und hingeordnet, die erforderlich war, um
unmittelbar der göttlichen Person zu dienen und sie gleichsam „tragen“ und
ertragen zu können.
2890 |
Jedes Lebewesen lebt ja gleichsam „von sich“,
d. h., von dem, was es innerhalb seines natürlichen Lebensrahmens an
Lebenskräften aufbringen und heranziehen kann. Dieses Heranziehen der zum Leben
notwendigen Lebenskräfte und Stoffe und Möglichkeiten geschieht entsprechend
der Eigenart des betreffenden Lebewesens und mittels der Kraft dieses „Lebens“
selbst, auch wenn sich, die herausziehenden Lebensstoffe außerhalb dieses
„Lebens“ befinden. So wählt z. B. auch eine Pflanze nur die ihr dienlichen und
ihrer Eigenart entsprechenden Stoffe aus und zieht sie aus der Umgebung an
sich. – Wenn wir nun an Christi wahres Menschentum glauben, kommen wir auch bei
ihm als wahren Menschen an der Tatsache nicht vorbei, dass auch bei ihm die
Lebenskräfte herangezogen, erzeugt und geformt werden1207,
entsprechend seiner göttlichen Eigenart.
2891 |
Diese Beschaffung der zum gottmenschlichen
Leben und zur Lebensaufgabe des Erlösers notwendigen physischen Kräfte und
Energien wickelte sich auch in Christus zunächst innerhalb des „Mittels zum
Leben“ ab, das Maria als Mutter dem göttlichen Worte geboten hat. – Dieses
„Mittel zum Leben“ enthält alles zum Leben Notwendige von dem Augenblick an, wo
es zur Beseelung dieses „Mittels“ und damit zum beseelten Umsatz der
psycho-physischen Kräfte kommt. Dabei besteht eine gewisse Proportion und Übereinstimmung
zwischen der besonderen Eigenart eines Lebens und der Art des Umsatzes der
verschiedenen Kräfte. So kann z. B. ein ganz großer Geist nicht in einem engen
Rahmen bestehen; denn entweder würde er ihn sprengen und damit würde das
„Leben“ aufgelöst, oder er würde von der Enge des Rahmens gleichsam erdrückt
werden. Der Schöpfer weiß aber eine wunderbare Ebenmäßigkeit und Proportion der
verschiedenen Lebenskräfte zu ermöglichen und zu verwirklichen und man kann die
Regelung dieser unbewussten Vorgänge ruhig seiner Schöpferweisheit und seinem
Schöpferwillen überlassen. Noch viel mehr aber ist anzunehmen, dass Christus in
dem Rahmen seiner menschlichen Natur auch eine gewisse äußere Proportion zu
seiner göttlichen Eigenart fand und ausprägte, dass er also auch äußerlich ein
gewisses Idealbild eines Menschen darstellte und verwirklichte, wunderbar
herrlich und kraftvoll und anmutig von Gestalt; ein immerwährender, höchster1208
Lobpreis auf den Schöpfer-Gott, sodass man wirklich auf ihn das Wort der
Heiligen Schrift vom „Schönsten aller Menschenkinder“ (Psalm 44,3) anwenden
kann. „Gott zu sein“, das war ja die besondere Eigenart des Gottmenschen1209
Christus, und die besondere Eigenart seines menschlichen Lebens war die, dass
es zugleich ein göttliches, also ein gottmenschliches Leben war, und dieses
wunderbare Leben bewegte sich auch in einem entsprechenden physischen Rahmen
und in diesem Rahmen vollzog sich auch ein entsprechender Umsatz der verschiedenen
Kräfte.
2892 |
Innerhalb dieses ihr zur Verfügung stehenden
Rahmens begann die göttlich-einfache und unveränderliche Person, ihre
göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten „menschlich zu formulieren“,
auszuleben und damit gleichsam auszubreiten und zu offenbaren. Sie suchte sich
die nötigen Ausdrucks- und Betätigungsmittel, um auch als Mensch „Gott zu sein“
und sie suchte die Mittel hierzu entsprechend der Eigenart der Funktionen einer
die verschiedenen Kräfte dirigierenden Person, wozu sich das göttliche Wort
herabließ. Dieses Herablassen und diese Tätigkeit des „Wortes“ bedeutete aber
„Einleben“ der menschlichen Natur im höchsten Sinne des Wortes.
2893 |
Die göttliche Person formte und gestaltete
sich die Eigenart ihres Mittels (nämlich ihrer menschlichen Natur), um das
„menschlich formulieren“ zu können, was sie selber war und blieb, um als ein
Mensch mit göttlicher Vollkommenheitshöhe und Eigenart bestehen zu können.
Entsprechend dieser Eigenart wurden die menschlichen physischen „Betriebs- und
Lebenszellen“ durchlebt durch die von der göttlichen Person durchdrungene Seele
Jesu1210. Diese nahm die göttliche Gestaltungsform und
Gestaltungskraft in sich auf und lebte sie dem zarten Leibe des Erlösers ein.
Diese göttliche Gestaltungsform wurde zur leitenden und gestaltenden Kraft des
Umsatzes zwischen den göttlichen und menschlichen Auswirkungen und Kräften in
Christus; sie war das „Maß der Kräfteformung“, die in der menschlich-physischen
Natur Christi hergestellt werden musste.1211
2894 |
Das göttliche Leben Christi hat sich also im
Rahmen der menschlichen Natur abgespielt. Dieser Rahmen war zwar viel weiter
als der eines gewöhnlichen Menschen, aber es blieb doch ein wahrer,
menschlicher Rahmen. Durch diesen Rahmen wurde das in sich unbegrenzte
göttliche Wesen in einem wahren Sinne „begrenzt“.
2895 |
Zu Ehren des Heiligen ging ich heute zur hl.
Messe nach S. Luigi dei Francesi. Dort war ich sehr mit dem hl. Pfarrer von Ars
verbunden und hatte eine große geistliche Freude: „O, wie schön wird es einmal
im Himmel sein, in der Gesellschaft der Heiligen! – Aber vorher müssen wir die
Schlachten des Herrn schlagen!“
2896 |
Ich schaute dann im Geiste das erstehende
Priesterwerk: eine kleine Gruppe der ersten Mitglieder. Ich schaute sie „wie
neu geschaffene Kinder, soeben aus der Hand ihres Schöpfers hervorgegangen“. –
Damit wurde mir angedeutet und gezeigt die unbedingte Abhängigkeit von Gott, in
welcher diese Erstlinge geführt werden; denn „Gott gibt sich dem Menschen so
nahe, als der Mensch sich in die göttliche Nähe begibt“. – Ich konnte auch die
Wirkung der Glaubensvertiefung erkennen, in die Christus die Priester
eingeführt haben will: Sie werden sein „wie kleine, einfältige Kinder Gott
gegenüber“ – „Dann kann ich wirken“.
2897 |
Es kam mir auch die Frage in den Sinn: Warum
bestätigt der Heiland das von ihm gewollte Priesterwerk bzw. dessen göttliche
Herkunft nicht durch besondere äußere Zeichen, da man mir schon wiederholt
vorwarf: Das Innenleben könne kein Beweis sein!
2898 |
Darauf wurde mir die übernatürliche Antwort
gegeben: „Gott will die inneren Werte hervorheben; nur diese allein können die
Welt erneuern“.
2899 |
Heute – in der Kirche „Al Gesu“, am Altar der
schmerzhaften Mutter – habe ich – in einem unbeschreiblichen Erleben – eine
bestimmte „neue Grundlage“ als Dauerzustand erreicht: Es ist ein Vollzustand
des Verzichtes auf alles „Eigen-Persönliche“, eine völlige Trennung „von mir“
und von allem. Kein Wesen, keine Erinnerung kann mich von außen her
beeinflussen oder beeindrucken. Es ist ein „neuer Zustand“ des gleichsam
„Unpersönlich-Seins“.
2900 |
In diese „Unpersönlichkeit“ wird das „neue
Leben“ eingeschaltet werden, ähnlich wie der elektrische Strom in eine
bereitstehende Anlage eingeschaltet wird. – Ich bin bereit! – Herr, lass mich
nie mehr zu „mir“ zurückkehren! –
2901 |
Während ich aber dermaßen alles verlassen
habe, tut sich mir eine unermessliche, beglückende Geisteswelt auf!
2902 |
Welch weiter Weg war es doch bis hierher! –
2903 |
Ich war heute auch sehr mit dem hl. Ignatius
und dem seligen Peter Fabre (dessen Fest heute gefeiert wird) verbunden.
2904 |
Es wurde mir ganz klar zu verstehen gegeben:
„Nur die Überwindung der Folgen der Erbsünde und die Beseitigung der
moralischen Schwächen, die in den ungeordneten Neigungen und Leidenschaften
liegen, gibt dem Menschen die Gewähr wahrhaft klugen und weisen Handelns in
allem“. – Die erbsündlichen Anlagen sind die letzte Wurzel der Unklugheiten im
menschlichen Handeln. Der Mensch im gefallenen Zustand befindet sich in einer
Trübung und Unklarheit über seine Handlungsweise und nur die fortschreitende
Reinigung von diesen Folgen der Erbsünde befähigt ihn zum rechten und wahrhaft
klugen Handeln. Die wahre Klugheit im konkreten praktischen Leben kann nur aus
einer leidenschaftsfreien Seele kommen. Was die Menschen für gewöhnlich
„Weisheit und Klugheit“ – im weltlichen Sinn anerzogener Gewohnheiten und
Erfahrungen – nennen, das ist im Grunde nur Schein, wenn und weil das Tiefste
und Wesentliche der wahren Klugheit fehlt, nämlich der Ursprung aus einem
wahrhaft in Gott geordneten Herzen. – Ebenso wie die Klugheit erfordern auch
die übrigen Kardinaltugenden zu ihrer Vollendung die Überwindung der
erbsündlichen Folgen und der moralischen Schwächen der gefallenen Natur.
2905 |
Eine Grundforderung der wahren und
übernatürlichen Klugheit ist auch diese: Der Mensch soll nur das für sich
beanspruchen, was er zum Leben notwendig hat. Alles Übrige hindert seinen
geistigen Fortschritt. Wie glücklich wäre der Mensch im bloßen Besitze des
Notwendigen und in der Abkehr von allem überflüssigen Ballast, der ihn nur
beschwert und seinen geistigen Fortschritt hindert!
2906 |
Damit ist zunächst eine bestimmte Forderung
der Gnade an mich ausgedrückt, dessen kurzer – weil mit einem Begriff gegebener
– geistiger Inhalt aber nicht mit der gleichen Kürze in Worten ausgedrückt
werden kann, sondern umschrieben werden muss: Auch im geistlichen Leben
bezüglich des „Genießens“ sich auf das Notwendige einstellen und beschränken,
also nicht darüber hinaus noch den „Genuss“ des Nützlichen suchen, nicht sich
einen „Umkreis“ von geistigem „Genuss“ sichern wollen, worin der Mensch sich
gleichsam einbaut und es sich „wohl sein lässt“, indem er sich des Genusses
erfreut, der diesen sekundären geistigen Gütern entspringt. (Selbstverständlich
ist dabei nicht an sündhaftes oder eitles Genussleben gedacht, sondern es ist
nur die natürliche Anlage des gefallenen Menschen gemeint, „sich einzubauen in
einem Kreis von geistigen Vorräten und sich daran zu ergötzen“). Stattdessen
immer dem Augenblick leben und sich nur mit Dank und Freude gegen Gott, der
alles gibt, am augenblicklichen Genuss erfreuen und nur dies Notwendige
beanspruchen! [sic!1212] – Christus hat nichts von den Gütern dieser
Erde beansprucht, sondern hat nur das Notwendige davon beansprucht, und zwar
mit Dank gegen den Vater.
2907 |
Dies auf meinen speziellen Weg und Fortschritt
anwendend, will Jesus mich auf den alleinigen „wesentlichen Lebensgenuss“
hinführen, den auch er als wahrer Mensch in seinem Erdenleben genossen hat. –
Das sind aber wiederum geistige Begriffe, die sich nicht in Worten aussprechen
lassen. Nur das feine, geistige Licht Gottes kann den Sinn einer solchen
Forderung an die Seele erklären und nur die Seele selbst versteht ihn
unmittelbar. –
2908 |
Wenn man die Augen schließt, entschwindet
einem das Sichtbare; man ist gewissermaßen davon getrennt und man fasst sich
dafür zusammen im Reiche des Geistes und des Unsichtbaren; es kommt dann zu
einer gewissen Trennung und Scheidung vom Aufnehmen der sichtbaren Welt. – eine
ähnliche Scheidung vollzieht sich jetzt auch im psychologischen Sinne in mir. –
Es kommt in meinem Geistesleben zu einer gewissen Trennung vom „Erleben und
Genießen“ meines persönlichen Lebens; das eigenpersönliche Leben wird für mein
Bewusstsein und Erleben gleichsam ausgeschaltet oder vielmehr reduziert auf die
bloße, nackte Tatsache; ausgeschaltet wird für mein Bewusstsein alles sekundär
Tatsächliche, das an sich mit jedem normalen Leben verbunden ist. Jeder Mensch,
bzw. jede Person hat nämlich als sekundäre Tatsache einen gewissen Umkreis um
das eigentliche wesentliche Sein und Leben; durch diesen „Umkreis“ tritt das
eigene Leben und Dasein erst ins Erleben, indem die Person „sich darin selbst
sieht“. Dieser bestimmte, für gewöhnlich notwendiger „Umkreis“, den jedes
persönliche Leben sich bildet, nämlich das „Bewusstwerden und Erleben und
sekundäre Erfahren seines Lebens“ ist mir gleichsam genommen und ausgeschaltet,
und damit bin ich eingegangen in einen Zustand der „Unpersönlichkeit“. – Ich
muss eben mit konkreten Worten zu erklären suchen, wie ich mich tatsächlich
fühle und erlebe. – Dieser in meiner Erfahrung sich als eine Art1213
„Unpersönlichkeit“ auswirkender Zustand ist aber nur ein Zwischenzustand, der
als Vorbereitung dient auf eine gewisse, endgültige „erfahrungsmäßige Trennung“
von meinem persönlichen Erleben und damit als notwendige Voraussetzung für das
Eingehenkönnen in das Erleben der göttlichen Erlöserperson. Von meinem
persönlichen Leben bleibt nur die Tatsache des Lebens; das Erleben meiner
Person tritt zurück und wird nur auf das Wesentliche, auf die bloße Tatsache
des Daseins beschränkt; an die Stelle des Erlebens meiner Person tritt in
meinem Bewusstsein das erfahrungsmäßige Erleben der göttlichen Person.
2909 |
Damit bin ich nun an einem Punkt meines Seelenlebens
angelangt, den mir der Heiland schon seit vielen Jahren als Ziel gezeigt und
unzählige Male im Geist hatte vorauserleben lassen. Etwas Wunderbares ist somit
Tatsache geworden in meinem Innenleben und ich bin nun eingetreten in einen
unermesslichen Raum des Geistes, gleichsam in eine unbegrenzte geistige
Bewegungsmöglichkeit, denn das Leben des Geistes Christi in seiner Menschheit
ist in einem bestimmten Maße schon in mir vorbereitet. – Das Merkwürdige dabei
ist, dass ich mit keinem Menschen in unmittelbarer, geistiger Fühlungnahme bin,
wie es sich dies im gewöhnlichen Leben vollzieht. Ich bin von allem und von
Allen wie durch einen unüberschreitbaren Wall getrennt und ich „kann zu niemand
hinüber“. Stattdessen erfasse ich alles für mein Leben Notwendige „in mir
selbst“. So vollzieht sich in mir1214 eine gewisse Umschaltung des
Verkehrs mit der Außenwelt bzw. mit allen Dingen (und Menschen), die sich
außerhalb meines eigenen Lebens bewegen.
2910 |
Im gewöhnlichen Leben muss man – und musste
ich bisher „aus sich heraustreten“, um mit den Menschen und Dingen in geistige
Berührung kommen zu können. Jetzt aber „finde ich alles in mir“, nicht in
gefühlsmäßigem Erfassen, sondern in einer von „innen“, aus dem eigenen,
tiefsten Wesen kommenden Reaktion auf das, was von außen her1215 an
mich herangetragen wird. – Mit diesen Worten ist irgendwie die innere Tatsache
angedeutet. Die eigentliche Erklärung scheint mir aber die zu sein, dass nun,
mir selber unbewusst, die „substanzielle Betätigungsart“ meiner Seele nun schon
zur dauernden und „gewöhnlichen“ in mir geworden ist, wodurch das (für
gewöhnlich notwendige) geistige Räderwerk zur Verarbeitung und Weitergabe der
Eindrücke überflüssig wurde und durch einen unmittelbaren, kürzeren und
sicheren Weg ersetzt wurde.
2911 |
Der Zustand, den ich „Unpersönlichkeit“
nannte, vollendet nicht nur meine geistige Abschließung und Unabhängigkeit oder
Unbeeinflussbarkeit gegenüber aller Umwelt, – seien es Dinge oder Menschen – sondern
konzentriert auch all meine Kräfte und mein ganzes Sein immer mehr auf den
eigentlichen Kern und Mittelpunkt meines Wesens, von wo aus dann das neue, im
Grunde schon vorhandene und vorbereitete „Leben“ sich entfalten und voll
betätigen wird. – So ist es zu einer vollständigen und allgemeinen Umänderung und
Umstellung meines Gesamtlebens gekommen. Und immer noch mehr muss das Geistige
die unbedingte Oberhand über das Physische in mir bekommen.
2912 |
In den letzten zwei Tagen war ich nun in dem
angedeuteten ruhegesättigten Zustand, aber nun werde ich schon wieder weiter
gedrängt auf die nächste Stufe hin, wo dann der nun schon1216
errungene Geisteszustand zu seiner praktischen Auswirkung und Anwendung kommen
soll. Die jetzige scheinbar „höchste Höhe“ genügt mir nun nicht mehr; sie muss
ihrem eigentlichen Zweck und Ziel zugeführt und tatsächlich fruchtbar gemacht
werden.
2913 |
Das allgemeine Gesetz, das der Schöpfer in das
physische Leben hineingelegt hat, trifft auch auf das geistige Leben zu: das
„Leben“ ist nämlich ein immer neues „Werden“. Und dieses Werden bedeutet für
das betroffene Lebewesen selbst eine Umbildung, eine Umformung in das, was
werden soll. So ist vom Schöpfer ein Gesetz unaufhörlicher „Entwicklung“ in
alles Lebende hineingelegt worden. Das „werdende“ Lebewesen erlebt und erleidet
das „Werden“ als einen mühsamen Aufstieg von Stufe zu Stufe, wie es ihm das
Lebensgesetz zuweist. – Und wie das Werden eine Einwirkung auf das Körperliche
bedeutet, so vollzieht sich ein ähnlicher Prozess auch im Geistesleben. Jeder
Aufstieg hat auch hier als Vorbedingung eine Einwirkung auf das Seelenleben
selbst, durchgeführt durch die Gnade Gottes und die eigene Mitarbeit.
2914 |
Das ganze Seelenleben von der untersten Stufe
an bis zu den höchsten Höhen der Vereinigung mit Gott hat als Vorbedingung und
Voraussetzung eine tatsächliche Mitarbeit und eigene Bemühung der Seele, wenn
es zu einer wirklichen inneren Umänderung, zu einer dauerhaften sittlichen
Umformung, zu einem wahren Aufstieg kommen soll. Die Seele selbst muss den
Prozess des Aufstieges in sich erwirken und erleiden. Sie muss in sich selbst
„Gewalt anwenden“, d. h., sie darf sich nicht auf fromme Gefühle beschränken,
sondern muss das Gute praktisch üben und ausführen. Die frommen Gefühle sind
gut, weil sie gute Vorsätze anregen; aber diese Vorsätze müssen schließlich durch
eigene innere Kraftanstrengung und Mitarbeit mit der Gnade in die Tat umgesetzt
werden. Es ist aber ein großes Übel unserer Zeit, dass nur zu oft die Christen
ihr religiöses Leben aus „Andachten und frommen Gefühlen“ beschränken, ohne
sich zu bemühen, das zu „werden“, was sie vor Gott sein sollen.1217
2915 |
Ich muss sagen, dass mein ganzes Innenleben
vom sechsten Lebensjahre angefangen, auf eigener Mitarbeit mit der Gnade und
persönlicher Kraftanspannung beruht. Gewiss hat mich die Gnade einer
außergewöhnlichen Führung dazu beeinflusst und befähigt, aber es brauchte auch
meinerseits tägliche und energische Bemühung, um die göttliche Beeinflussung
wirklich auszuführen und dem im inneren Lichte Erkannten zu folgen. – Niemand
kommt zur Höhe, der nicht selbst zur Höhe „geht“ oder mitgeht, und der sich
nicht bemüht, sich dem Lichte zu nähern, das ihm von der Höhe her entgegen
leuchtet. – Es kommt auch niemand zur Höhe, der nicht auf dem Wege dorthin die
eigene Schwere der Natur erfahren würde, der nicht immer wieder Rückfälle
erleben und nicht immer wieder auf eine frühere, anscheinend schon überwundene
Stufe zurückgeworfen würde. Auch in jedem geistigen Aufstieg gibt es eine 3.
und 7. und 9. Kreuzwegstation. Wie hoch auch die errungene Höhe sei, immer noch
bestehen die Möglichkeit und die Gefahr eines Rückfalles auf eine tiefer
liegende Stufe. In diesem Sinne „fällt“ jeder auch auf den höchsten Stufen, und
Gott lässt den Fall zu, damit die Seele mit umso größerer Kraftanstrengung sich
wieder erhebe. Ja, die Seele reinigt sich gerade durch das Erleben ihrer
eigenen Rückfälle, denen sie wie unausweichlich überantwortet zu sein scheint.
Gerade auf den Höhenstufen des (mystischen) Seelenlebens lässt die göttliche
Führung die dem geforderten Guten oder der Vollkommenheit entgegenstehenden
Schwäche der gefallenen Natur gleichsam als „Widerspruch“ und Leiden aufleben.
Durch das vom Lichte Gottes hervorgerufene Einsehen und Eingestehen der eigenen
Schwäche und durch die beständige eigene1218 Kraftanspannung und
Überwindung vermindert sich das Gewicht der angeborenen sittlichen Schwachheit,
werden die Leidenschaften und die bösen Gewohnheiten überwunden und allmählich
mit der Wurzel ausgerottet.
2916 |
Was ist überhaupt die passive Läuterung und
Reinigung anders als ein „Aufleben“ all der möglich sündhaften oder sittlich
mangelhaften Anlagen, in die eine Seele sich versetzt sieht wie in ein
lebendiges, verzehrendes Feuer, gegen das sie sich aber wehren muss und dem sie
sich aktiv entziehen muss. Es ist ein geheimnisvoller, furchtbarer Kampf, in
den die Seele hineingestürzt wird; es ist ein Entbrennen alles möglichen Bösen
in der Seele, das sie aber überwinden muss, und zwar, wie es ihr scheint, wie
aus eigener Kraft und mit energischer Anstrengung aller eigenen Willenskraft,
weil die helfende Gnade verschwunden oder verloren scheint (in ihrem
Bewusstsein). Gott selbst ist somit der Seele wie zum Stein des Anstoßes
geworden – (insofern er die bösen, vor Gott verabscheuungswürdigen,
erbsündlichen Anlagen in ihr aufleben und zum Bewusstsein kommen lässt) – und
doch will und muss sich die Seele an ihn klammern, aber sie „findet ihn nicht“.
Durch dieses mit Vorbedacht von Gottes Hand entzündete Feuer wird die
gesteigerte und höchste Aktivität der Seele geweckt und herausgefordert und es
kommt zum Entscheidenden und Wesentlichen im seelischen Leben und Fortschritt,
nämlich zum „Tun oder zur Tat“. – Und immer wieder von Neuem wird die Seele in
diese oder jene Form eines solchen „geistigen Feuerbades der Läuterung“
geworfen; immer neue Tiefen erbsündlicher Verderbtheit tun sich vor der darüber
entsetzten Seele auf und dadurch kommt sie erst zu einer ganz tiefen und wahren
Selbsterkenntnis. Ja, es ist eine Tatsache im geistlichen Leben: Die Seele
reinigt sich gerade durch das Erleiden ihrer eignen Schwächen und fehlerhaften
Anlagen, die sie immer wieder im Lichte Gottes erfahren muss.
2917 |
Bei jeder Seele steht dieser eigene erlittene
Widerspruch aber auch im Verhältnis und Zusammenhang zu den besonderen
Forderungen der Gnade Gottes an sie und zu dem der Seele gesteckten Ziel. Jener
„Widerspruch“ der Natur erhöht sich nach dem Grade des praktischen
Tugendlebens, für das die Seele von Gott berufen ist, und befähigt werden soll.
Wenn darum gewisse Widersprüche in der Seele schon überwunden sind und sich
nicht mehr bemerkbar machen, so „erheben“ sich an deren Stelle1219
neue, vorher nicht gekannte oder nicht1220 erfahrene Widersprüche
der Natur gegen neue, erhöhte Forderungen der führenden Gnade. Und wenn die
Sünde selbst und die Anhänglichkeit an sie schon ganz überwunden und damit ein
gewisses Ebenmaß von sittlicher Vollkommenheit errungen und gegeben ist, so
vertieft sich doch der einer erhöhten Forderung der Gnade Jesu1221
entgegenstehende Widerspruch oder das Leiden, die Furcht, das Zurückschrecken
der armen Natur.
2918 |
So gibt es im gefallenen Menschen keinen
sittlichen Aufstieg, der ohne eigene Bemühung in der Seele zur Verwertung und
Anwendung bereitläge. Im Gegenteil, die eigene Bemühung steigert sich mit dem
sich erhöhenden Seelenleben und sie wächst entsprechend mit den Anforderungen
der Gnade. Ein müheloses Tugendleben gibt es nicht. Auf einer gewissen Höhe
verschwinden wohl die „Schwierigkeiten“ der tieferen unteren Stufen – weil sie
schon überwunden sind und nicht mehr als Schwierigkeiten empfunden werden, da
sie auf jenen unteren Stufen gestellten Forderungen der Vollkommenheit der
Seele schon wie zur „Natur“ geworden sind; aber es muss immer wieder mühsam
eine neue Höhe erstiegen werden, bis es auch dort zur entsprechenden,
ebenmäßigen Gewöhnung und Übung kommt, die dem neuen erhöhten Zustand
entspricht. Und je höher der Aufstieg geht, desto steiler kann der Weg werden,
schon deshalb, weil auf solchen Höhen die persönliche Einsicht fehlt (nämlich
um den Weg, das Ziel, die Hindernisse und vor allem die geheimen Widerstände in
der Natur zu verstehen)1222, die im gewöhnlichen Seelenleben und auf
den unteren (mystischen) Stufen durch die praktische Übung des Glaubens geboten
und ersetzt1223 ward. Auch der Glaube muss und kann in den höheren
Regionen nur in passiver Form geübt werden, weil dort die Seele – mit dem
gewöhnlichen Lichte der Vernunft und des Glaubens – von sich aus keinen Schritt
weiter sehen noch machen kann und weil ihr der eigene Widerspruch ihrer Natur
gegen die neuen Forderungen der Gnade völlig „fremd“, d. h., unverständlich
ist. Deshalb greift auch in dieser Hinsicht eine passive Läuterung ein, die
durch ein besonderes Licht der Gnade, das in der Seele hervorbringt, wozu das
gewöhnliche Glaubensleben nicht fähig wäre. Darin liegt aber auch eine
besondere, nicht ausdrückbare Schmerzlichkeit dieser besonderen passiven
Läuterungen.
2919 |
Seit dem 11. August, d. h. seit jener Gnade,
die ich nicht anders ausdrücken oder andeuten kann denn als eine gewisse
„Unpersönlichkeit“ oder „Entpersönlichung“, bin ich eingetreten in eine neue
„Tiefe“ oder in einen neuen Abschnitt meines Innenlebens. Es sind vielfache
Veränderungen in mir – aber wie sie in Worten erklären?
2920 |
Zusammen mit der fortschreitenden
„Entpersönlichung“ meines Seins und meines Zustandes (– was, wie gesagt, nur
ein Übergangsstadium ist –), werde ich vor allem immer tiefer in die
„substanzielle Betätigungsart“ der Seele eingeführt und eingelebt. Aber auch
dieser geheimnisvolle Zustand ist ganz auf die Ermöglichung des Erlebens der
Erlöserperson hin geordnet, wofür nämlich die „substanzielle“ seelische
Betätigungsart eine unentbehrliche Grundlage und Voraussetzung bildet. Ich weiß
nun in einer viel tieferen1224 Weise um dieses psychologische
Geheimnis der Substanz der Seele im Allgemeinen, und im Besonderen um die
Substanz der Seele Christi und ihre Einordnung in das Wesen und in die Eigenart
der göttlichen Person des Wortes.
2921 |
Die Substanz jeder einzelnen Seele lebt die
Eigenart der Person, und zwar einer bestimmten, einmaligen, ihr zugehörigen
Person; sie bringt die Eigenart dieser Person zum Ausdruck und offenbart sie –
mittels der ihr dienenden physischen Natur – in einer sichtbaren, wahrnehmbaren
Weise; sie ist die erste notwendige Voraussetzung und der notwendige Unterbau
dafür, dass die Eigenart einer bestimmten Person, „dieser Person“ zum Ausdruck
kommen kann. Zu diesem Zweck „verbindet sich“ die Seelensubstanz mit der
physischen Natur, aber immer entsprechend der Eigenart „ihrer Person“.
2922 |
Die Verbindung zwischen der seelischen
Substanz und der „Person“ ist so1225 einmalig und so unwiederholbar,
dass eine Verbindung einer bestimmten Seelensubstanz mit einer anderen
Personkraft nicht lebensfähig wäre, d. h., diese Substanz könnte mit einer
anderen als der ihr zugehörigen und sie leitenden Personkraft nicht leben. Ein
diesbezüglicher Wechsel oder Tausch wäre daher praktisch unmöglich und undenkbar.
2923 |
Das gesamte „Sinnenleben“ (das ja die Seele
als das wahre Lebensprinzip zur Voraussetzung hat) wird eingebaut in die
physische Natur, und zwar auch entsprechend der Eigenart der Person. Darum hat
jede Person auch ihr besonderes Sinnenleben, d. h. die Art und Stärke, die
Tiefe und Feinheit und Lebendigkeit der Empfindungen entspricht immer der
Eigenart dieser einmaligen, bestimmten Person; denn die physische Natur ist das
Werkzeug der Substanz der Seele und diese (Substanz) „lebt“ die Eigenart der Person.
So verbinden sich – nach dem Gesetze des Schöpfers – die drei Elemente
Person-Seele-Leib in gegenseitiger Unterstützung zu einer wundervollen Einheit,
deren Regelung sich unvermerkt für uns vollzieht.
2924 |
In Anwendung dieser psychologischen Tatsachen
werde ich in der Frage innerlich weitergeführt: „Wie bildete die göttliche
Person des Wortes die, ihr dienstbare Menschheit?“ Oder anders gesagt ich werde
wieder tiefer eingeführt in das Geheimnis: „Die göttliche Person bildete im
Mutterschoße Mariens 'ihre Menschheit'„ – Auch die Substanz der Seele Christi
„lebte“ die Eigenart der Person, für die sie geschaffen war, nämlich die
Eigenart der Person des Wortes; und diese Substanz war vom ersten Augenblick
ihres Daseins, von ihrer Erschaffung an die Trägerin dieser „Personart“. – –
2925 |
Jedoch auch dieser jetzige neue
Übergangszustand hat seine neuen großen Schwierigkeiten und Leiden, weil er
neue, menschlich unbegreifliche Konsequenzen für mich hat. Diese besondere1226
schmerzliche Schwierigkeit liegt gerade in dem großen geheimnisvollen „Dunkel“,
in dem undurchdringlichen Geheimnis, in dem ich mich bewegen muss, in dem
Eindringen in ein – wenigstens für mich – völlig neues, unbegreifliches Gebiet.
Die menschliche Vernunft kann nichts mehr auf diesem Weg begreifen; es gibt
keine Beleuchtung des Weges mehr, sondern nur ein „dunkles“ Mitgenommenwerden;
es gibt keine eigene, selbstständige Entscheidung für mich, weil ich mich im
Grunde nicht mehr „wehren“ kann. Es ist so ähnlich, wie wenn man an der Hand
eines Führers in einen finsteren dichten Urwald mitgenommen wird, wo man, in
einem völlig unbekannten Gelände, undurchdringliches Gestrüpp und Klüfte und
Felsen durchqueren muss. Man möchte dabei verzagt und mutlos werden, weil
dieser ungangbare Weg kein Ende zu nehmen scheint und weil das Ziel unmöglich
zu erreichen scheint; man kann nur deshalb durchhalten, weil man sich der
führenden Hand nicht entziehen kann. So gehe ich auch in diesem
Geistesabschnitt einen völlig unbekannten und geheimnisvollen Weg, dessen
unaussprechliche Konsequenzen und Anforderungen an meine Hingabe ich aber kenne
oder ahne; zudem habe ich dabei anscheinend die eigene Bewegungsfreiheit verloren
und werde Schritt für Schritt „mitgenommen“; ich habe meine eigene Freiheit
verloren und sie einem „Stärkeren“ übergeben, von dem ich hoffe und vertraue,
dass er mich nicht irreführt. Es möchte mir aber zuweilen bange werden dabei
und das geheimnisvolle Dunkel (in das ich mit dem jetzigen Übergangszustand
eingetreten bin) möchte mich geradezu „zaghaft“ machen. – Wenn ich früher mein
Seelenleben manchmal bezeichnen musste als ein „beständiges Sterben“, so muss
ich es jetzt vergleichen mit einer Wanderung durch ein „Tal des Todes“: Die
Seele hat dabei gleichsam die Schwelle des Todes schon überschritten, hat diese
Welt schon verlassen und ringt nun, ganz allein, mit dem Tode, dessen Schrecken
ihr erst jetzt zum Bewusstsein kommen. –
2926 |
Und dieses geheimnisvolle Leiden ist im Grunde
eine Folge oder Auswirkung der dem Menschen völlig ungewohnten „substanziellen
seelischen Betätigung“. Man „sieht“ dabei weder den Weg noch die „Hindernisse“;
man „spürt“ sie nur als Leiden und Widersprüche in sich selbst. Ich habe
deshalb dabei den Eindruck, als werde ich geführt „mit verbundenen Augen“,
sodass ich weder mich noch den Weg sehen kann; denn die „Substanz“ lebt einfach
und arbeitet unmittelbar, ohne ein verstandesmäßiges Beziehen oder Vergleichen
oder Gegenüberstellen oder Beobachten; – und dies bedeutet für den Menschen und
seine Seele eine unerhört große und zunächst unerhört schwere Umstellung und
Umwälzung seiner Betätigungsart.
2927 |
Wenn man zum Martyrium geht, so kann der freie
Wille noch dem Martyrium zustimmen und es innerlich bejahen; in diesem hier
angegebenen Fall kann man das nicht mehr, denn es ist sowohl dem Verstand die
Einsicht und das Verstehen dieses geheimnisvollen Weges als auch dem Willen die
Freiheit genommen.1227
2928 |
In der
Menschheit Christi musste die Befähigung bestehen, eine menschliche Art des
„natürlichen Genusslebens“ auf der Vollkommenheitshöhe der göttlichen Person
ertragen zu können; denn Christus war auch in all seiner menschlichen
Gefühlsbetätigung zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch. Alle Eigenheiten, die
ein normales Menschenleben zur Grundlage hat, waren im Gottmenschen Christus in
höchst vollkommener Weise vorhanden. Damit er in allem wahrer Mensch sein
konnte, mussten die Vollkommenheiten der göttlichen Person gleichsam auf seine
physische Natur „übertragen“ und von dieser „übernommen“ werden, damit sie von
dieser in einem wahren Sinne „gelebt“ und zum Ausdruck gebracht werden1228.
Diese „Übertragung“ hat sich gleich vom Anfang seiner Menschwerdung an
vollzogen und hat sich „ausgedehnt“ im Einklang mit den menschlichen
Lebensgesetzen des Wachstums und der Entwicklung und damit des fortschreitenden
Gebrauchs und der Vervollkommnung der natürlichen Fähigkeiten. Die Seele Jesu
nahm diese „Übermittlung“ der göttlichen Vollkommenheiten und Eigenschaften an
den physischen Leib als deren gottmenschliches Ausdrucksmittel vor, denn sie hat
die Anlage und Fähigkeit, eine viel verzweigte Betätigungsmöglichkeit ihrer
Substanz einem physischen Lebensbetrieb einordnen zu können; ja es ist ihre
Uranlage und ihr Urzweck, dass eine Vielheit von möglichen Ausdrucksmitteln
vermöge der grundlegenden Einfachheit der Seele in voller Harmonie und Einheit
zusammengefasst und geordnet werden. Wie die Seele in sich selber „einfach“
ist, so kann sie doch, vermöge ihrer vielfachen Anlagen, eine Unsumme von
Betätigungen in harmonischer Einheit hervorbringen. Die göttliche Person hat
sich mit all ihren göttlichen Vollkommenheiten diesem ihrem physischen
Ausdrucks- und menschlichen Betätigungsmitteln übergeben, damit diese in
menschliche Vollkommenheiten „gekleidet“, verarbeitet1229 und darin
sichtbar zum Ausdruck gebracht wurden. Christus hielt sich bei seiner
Menschwerdung in allem an die Lebensgesetze, und an die Ordnung eines normalen
Menschenlebens, soweit dies mit seiner göttlichen Eigenart vereinbar war. Er
passte sich dieser vom Schöpfer für die Menschheit gegebenen Ordnung an und
diese gottgegebene Ordnung wurde – zusammen mit seiner göttlichen Eigenart –
das Grundprinzip in seiner Menschheit.
2929 |
Christus gab sich in seiner Menschwerdung mit
einem einmaligen vollen Akt seiner Seele und deren Lebensgesetzen hin; d. h.,
es vollzog sich keine „Aufteilung“ seines göttlichen Wesens in seiner
Menschheit, sodass z. B. das Kind Jesus nur die Art einer kindlichen,
göttlichen Vollkommenheit in sich getragen hätte, die sich dann immer mehr auf
die volle Menschheit übertragen hätte. Es war also keine stufenweise göttliche
Menschwerdung, sondern das göttliche Wort wurde im Augenblick seiner
Menschwerdung ganz und vollkommen Mensch als „Gott“ mit all seinem
göttlich-wesentlichen Sein und seinen Vollkommenheiten. Schon auf dem zarten
Kinde, nein, schon im Augenblick als Maria ihr „Fiat“ sprach, ruhte in diesem
Geschöpf die ewig-göttliche Gewalt der zweiten göttlichen Person. Es war nichts
an göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten im Himmel oder im Vater
„zurückgelassen“ worden. Das göttliche Wort „lebte“ nun im Mutterschoße, das
göttlich-wesentliche Sein wie zuvor. In Gott ist keine Aufteilung seiner
wesentlichen Eigenschaften möglich: „er ist, was er ist“. – In welcher Weise
aber göttliche Person sich nun in ihrer Menschheit ausprägen und ausleben und
auswirken und übertragen1230 ließ, das war ganz und allein der
göttlichen Freiheit dieser Person überlassen und nur von ihr abhängig; es gab
kein Gesetz für sie und nicht einmal der Wille des Vaters hätte auf das
göttliche Wesen des Sohnes einen Einfluss ausüben können. Jesus war ebenso Gott
und ebenso göttlich frei wie der Vater, seinem göttlichen Wesen nach. Alles,
was er an Erniedrigung auf sich nahm, lag im Geheimnis der Erlösung, und nur
als Erlöser war er dem Vater untergeordnet, nicht als göttliches Wesen.
2930 |
Wie war es nun aber möglich, dass dieses Maß
göttlicher Vollkommenheit in einer solch vollendeten Weise von der menschlichen
Natur übernommen werden konnte? Musste nicht jenes zarte Wesen im Mutterschoß
zerbrechen oder gleichfalls „aufgehen im Geiste“, d. h. unter der Überfülle und
Oberherrschaft göttlicher Geistigkeit, sodass ein tatsächliches, wahres
Mensch-sein überhaupt nicht zum Ausdruck kommen konnte? – Christus würdigte
sich, bis zu diesem Punkte sich dem Gesetze des Fleisches zu fügen und sich
gleichsam den jeweiligen augenblicklichen Bedürfnissen seines beginnenden
Menschseins einzufügen. Damit ging aber von seinen göttlichen Eigenschaften und
Vollkommenheiten selbst nichts verloren; er lebte diese vielmehr auch als
wahrer Mensch immerwährend in göttlicher Einheit vor und im Vater; sie wurden
auch dadurch nicht ausgeschaltet, dass der Heiland sich in ihrer menschlichen
Darstellung, Ausübung und Offenbarung den Gesetzen des Menschseins und seiner
Entwicklung anpasste und darum nur jene zum menschlichen Ausdruck brachte,
deren seine beginnende Menschheit bedurfte: Die göttlich-wesentlichen
Vollkommenheiten waren trotzdem ungeschmälert vorhanden in diesem Menschen, der
Gott war. Die göttlich-wesentlichen Beziehungen oder Verhältnisse in ihrem
göttlich-vollkommenen Ausdruck der hl. Dreifaltigkeit begegneten sich im
Gottmenschen immerwährend wie seit Ewigkeiten mit dem Vater und dem hl. Geiste.
Nichts verminderte diese dreifaltig-göttliche Einheit und die Vollkommenheit des
gegenseitigen göttlichen Ausdrucks derselben. Auch in diesem Sinne gab es im
Erlöser keine Aufteilung.
2931 |
Bei dieser Darstellung seiner göttlichen
Eigenschaften in menschlichen Ausdrucksformen passte sich aber Christus den
Bedürfnissen und Gesetzen des Wachstums seiner menschlichen Natur an. Auch die
Seele Jesu war ein „wachsendes“ Geschöpf; sie trug zwar als Grundlage ihrer
Substanz alle lebensnotwendigen Anlagen seiner menschlichen Seele in sich, aber
diese Anlagen bildeten sich – so wie im gewöhnlichen Menschenleben – zusammen
mit und entsprechend dem Wachsen der physischen Natur aus. Das göttliche Wort
nahm diese Substanz der Seele mit all ihren grundlegenden Möglichkeiten und
Fähigkeiten in sich auf, die ein normales Menschenleben zum „leben“ bringen können,
und er gab sich den jeweiligen, augenblicklichen Bedürfnissen dieser Seele hin;
die Seele lebte dann alles der wachsenden physischen Natur ein und so bildete
sich jeden Augenblick eine volle Abrundung wahren Gott-Seins und wahren
Mensch-Seins in Christus.
2932 |
Jeder Seelensubstanz hat der Schöpfer dies als
tiefstes Gesetz und als Daseinszweck mitgegeben: Dass sie „einer Person“, einem
sie befehlenden Wesen, die Möglichkeit des Lebens, des Ausdrucks, der
Betätigung verschaffe; die Substanz dient also einer Wirklichkeit, die sie im
Grunde nicht1231 selbst ist. Das bedeutet aber keineswegs eine
„Aufteilung“ des Wesens der Seele selbst, sondern die Personkraft ist die erste
Anlage, die der Substanz der Seele zugrunde liegt und die sich mithilfe der
Substanz empor bildet, um schließlich dieses Mensch-sein bewusst zu regieren.
Es vollzieht sich ein ständiges, harmonisches Ineinandergreifen der
verschiedenen Anlagen der Substanz der Seele, die alle nur einem Wesen eigen
sind, die aber im Grunde als Zweck und Ziel haben: Jener höchsten Anlage der
Substanz zu dienen, die der Substanz selbst vorsteht. Im gewöhnlichen
Menschenleben bietet die Substanz der Seele1232 die Möglichkeit,
dass dieser Mensch, diese Person, sich menschlich betätigen und leben kann; wie
aber dieser Mensch sich betätigt, das hängt ab von der Sonderart dieser Person,
der die entsprechende Substanz als dienende Grundlage zur Verfügung steht.
Daraus folgt aber nicht, dass die Substanzen der Seelen alle gleich seien,
sondern jede Person hat die ihr zugehörige und angemessene Substanz, die allein
ihr dienstbar sein kann, weil sie allein ihrer persönlichen Eigenart ganz
entspricht. – Auch die Seele Christi hatte jene eigenartige Substanz, die
allein der göttlichen Person dienstbar sein konnte und ihr angemessen war.
2933 |
Wenn im gewöhnlichen Menschen eine praktisch
untrennbare Einheit besteht zwischen Person und Substanz (– welche Einheit nur
in Gedanken analysierend aufgeteilt werden kann –), so besteht dem gegenüber im
Gottmenschen der Unterschied, dass seine Seele tatsächlich eine Substanz „ohne
Person“ war, also etwas in sich von der Person Getrenntes, was sich aber
harmonisch mit einer „Person“ verbinden musste, um die zu Menschenleben
notwendige Einheit des Umsatzes all der verschiedenen Kräfte herstellen und
darstellen zu können. Das Göttliche musste sich den substanziellen Anlagen
einfügen, um diesen gleichsam als die notwendige Ergänzung – nämlich als die
eine Einheit in den verschiedenen Anlagen herstellende Personkraft – zu dienen,
oder vielmehr um die Wirklichkeit einer „Person“ zu bilden, wie zu einem wahren
Menschenleben erfordert ist. – Abgesehen von diesem Unterschied in der Art der
Verbindung zwischen „Person“ und Substanz in der Seele Christi bestand aber
auch bei ihm die Aufgabe der Substanz darin, sich und ihre Anlagen in die
physische Natur einzuleben, den Umsatz der verschiedenen Kräfte zu besorgen und
die physische Natur nach der Eigenart der göttlichen Person zu formen. Dies
geschah aufgrund des gegebenen Lebensgesetzes, der psycho-physischen
Wechselbeziehungen im Menschen, die eine Mitbetätigung der physischen Natur zum
tatsächlichen der Eigenart der Person entsprechenden Lebensbestand verlangen.
Darum musste gleich bei Beginn des gottmenschlichen Daseins Christi im
Augenblick der Menschwerdung in diesem zum „Leben“ notwendigen Verhältnis der
Kräfte ein Gleichgewicht hergestellt werden, das harmonisch und dauerhaft war
wie ein „Naturzustand“.
2934 |
Es ist merkwürdig und wunderbar, wie völlig
unvermutet ich immer geistig inspiriert und erfasst werde vom Erleben des
psychologischen Geheimnisses Christi1233. Ohne jede Vorbereitung –
nicht einmal die Vorbereitung eines Augenblicks geht voraus – werde ich in
dieses Erleben hineinversetzt. Meist ist es zunächst nur „ein Satz“, in dem
aber vieles enthalten ist, was sich beim Niederschreiben aufteilt [und] in
einzelnen Fragen entfaltet. Alles ist aber so klar und bestimmt, dass es
meinerseits dabei die Annahme einer etwa entgegengesetzten Ansicht oder eine
Änderung der Ansicht gar nicht möglich wäre. Und doch wird das Erlebte meist
mit meinen Erkenntniskräften mir begreiflich gemacht, aber nicht zu einer
Möglichkeit darüber zu „denken“ oder mit mir selbst darüber zu „diskutieren“,
sondern als einfache Bestätigung durch die Einsicht meiner eigenen Erkenntniskraft.
2935 |
Ich kann sagen: Ich werde vom Durchleben der
Psychologie Christi befallen und ich selbst bin mittels meiner eigenen
Seelenkräfte in geheimnisvoller Weise an diesem „Leben“ beteiligt.
2936 |
Auf meine innerliche Frage: Wie und in welchem
Umfange hat sich das ewige Wort seiner menschlichen Natur mitgeteilt, wurde mir
innerlich zu wissen gegeben:
2937 |
Die Mitteilung der göttlichen Person an die
menschliche Natur vollzog sich in der Form von beständigen „göttlichen
Bewegungen“. Diese Formen der göttlichen Mitteilungen1234 änderten
sich jeden Augenblick, entsprechend den äußeren Einflüssen, den Eindrücken und
„Erlebnissen“ der menschlichen Natur Christi. Doch dafür gibt es keinen
Ausdruck, weil diese Mitteilungen ganz im Gebiet des Göttlichen blieben. Was
mir jetzt menschlich zu erfassen geboten wird, das ist nur die allgemeine
Grundlage der göttlichen Selbstmitteilungen des Wortes an seine menschliche
Natur. In meinem kommenden „Selbsterleben“ des Erlösungsgeheimnisses wird aber
in manchen auch dieses Gebiet für und durch meine Erlebnisse geklärt werden,
insofern im Augenblick des Erlebens sich auch irgendwelche Mittel oder Worte
des Ausdrucks finden werden.
+ + +
2938 |
Die folgende Antwort wurde mir innerlich
gegeben bezüglich einer allenfallsigen [sic!] Schwierigkeit gegen meine
Erkenntnisse über die Psychologie Christi: „In dieser Auffassung wird Gott zu
sehr vermenscht“.
2939 |
Als Antwort darauf wurde mir der Ausspruch
Christi in Erinnerung gerufen: „Mich erbarmt des Volkes (oder ich habe Mitleid
und Erbarmen mit dem Volke …. sie brachen unterwegs zusammen (Mark.8.2))“.
Dieses Wort wurde mir in einem tiefen Erfassen seines psychologischen Ursprungs
erklärt als ein tatsächliches, gelebtes und empfundenes „Fühlen und Mitleiden“
des Gemütes des in die Lage eines Menschen hineinversetzten Christus. Dieser
bezeichnet sich selbst, seine göttliche Person als das Subjekt des Mitleidens
und Fühlens, als den, der mitleidet mit den hungernden Menschen: „Ich habe
Mitleid“. – Der Ausdruck „Mitleid“ selbst offenbart und zeigt schon etwas
„Durchlebtes und Durchlittenes“ (angesichts jener Situation des Volkes), etwas,
das schon das Innere des sprechenden Subjektes durchdrungen und durchlebt hat.
2940 |
So schaute ich gleichsam den psychologischen
Weg, den dieser Ausspruch Christi gegangen ist, von der göttlichen Person als
dem „Ich“ bis zum tatsächlichen menschlichen Mitleid und Mitfühlen dieses
göttlichen „Ich“, das ein wahrhaft menschlich fühlendes „Ich“ ist, das die Not
des Volkes wirklich mitgelitten hat. Auch der Ausdruck „mich erbarmt“
entspringt einem menschlich und körperlich empfundenen Gefühl, woran das „Ich“
Christi zutiefst beteiligt ist, ja als Subjekt den Hauptanteil hat; denn dieses
„Erbarmen“ wurde hervorgebracht durch dieses „Ich“ mittels des menschlich
fühlenden Werkzeuges seiner menschlichen Natur.
+ + +
2941 |
Bezüglich meines Innenlebens im Allgemeinen
kann ich in einem wahren Sinne sagen: Ich habe gleichsam jedes „religiöse
Leben“ verloren, d. h. die religiösen Gefühle, die den Übungen der Frömmigkeit,
zumal am Anfang des geistlichen Lebens entspringen, sind mir entschwunden.
Damit habe ich aber keinesfalls die religiöse Betätigung aufgegeben, obwohl
diese für mich persönlich nichts1235 an religiösem Erleben einbringt.
In diesem Sinne lebe ich nicht mehr ein „religiöses“ Leben (der Gefühle),
sondern mein inneres Leben geht auf in einer „Religion der (inneren) Tat Gott
gegenüber“. Das zu tun, was eine immer höhere Vervollkommnung meines ganzen
Menschseins ausmacht und wozu ich durch die innere Führung befähigt werde: Dies
ist an die Stelle der früheren Art meiner „religiösen Übungen“ getreten.
(Vielleicht ist das recht „plump“ ausgedrückt, aber es lässt sich eben dieser
Zustand schwer in Worten umschreiben).
2942 |
Mit diesem religiösen Zustand bin ich an jenem
Punkte angekommen, der mir früher von der göttlichen Führung angedeutet und
erklärt worden war mit den Worten: „Gott ist nicht 'religiös'. In ihm ist
vielmehr alles Tat und Wirklichkeit im vollkommensten Sinne. Sein Wesen ist
Vollkommenheit und Heiligkeit in all seinen Taten. Alles, was Gott tut, ist gut
im höchsten, vollkommensten Sinne“.
2943 |
Mittels der religiösen Übungen strebt und
bewegt sich der Mensch zu Gott hin. Sie sind für den Menschen ein Weg zu Gott,
der aber zusammengehen muss mit einer wachsenden Vervollkommnung der
gewöhnlichen Handlungen und Betätigungen des Lebens. Das will sagen: Das
religiöse Gefühlsleben muss sich erheben in die höhere Ordnung immer
vollkommenerer (innerer und äußerer) Taten und Handlungen. Im höheren
Seelenleben wird dies ein „ganz gewöhnlicher“ Zustand; das frühere, mehr
gefühlsmäßige religiöse Leben der Übung tritt zurück und stattdessen begnügt
sich die Seele mit der ganz einfachen, unmittelbaren Übung der Tat Gott
gegenüber, die sich auch im täglichen Leben auswirken. Die Seele „verliert“
sozusagen die gefühlsmäßige „Annäherung“ an Gott, die ihr früher unentbehrlich
schien und die nur diese Annäherung selbst zum Ziele hatte. – Auf den höheren
Stadien des geistlichen Lebens kommt es diesbezüglich „wie von selbst“ zu einer
vollständigen Umschaltung: Es genügt der Seele die Tat, denn sie hat ihr
höchstes Ziel gefunden in der rechten Betätigung Gott gegenüber, in der
Vollkommenheit ihrer Taten und Handlungen, während die früher vornehmlich seine
göttliche Nähe suchte und sich in diesem Wunsch und Sinne für ihn verzehrte.
2944 |
Gottes Nähe suchen und fühlen, und sich diese
Nähe von ihm schenken lassen, das ist gut und recht; viel höher steht aber
dies: Immer mehr Gottes vollkommene Handlungsweise nachahmen, Gottes
Vollkommenheiten menschlich nachbilden und sie in menschlichen Werken zum
Ausdruck bringen; sie immer vollkommener sich zu eigen machen, also Gott sich
zu sichern durch ein möglichst vollkommenes Handeln und Tugendleben; denn alle
Vollkommenheit ist nur in Gott begründet und mit einem vollkommenen Handeln und
Tugendleben macht man und gewinnt man sich darum Gott selbst als höchsten
Anteil. Kurz gesagt: Man lässt das „religiöse Leben“ der Gefühle und man lebt
das Leben Gottes selbst (das uns durch die Gnade mitgeteilt wird).
2945 |
Das Merkwürdige in diesem Stadium des
geistlichen Lebens ist, dass man vollständig zufrieden und glücklich ist, Gott
allein in dieser Tatsächlichkeit der Betätigung zu besitzen. Das ist die
höchste Einfachheit und Genügsamkeit, und jede Seele sollte dieses Ziel des
geistlichen Lebens immer vor Augen behalten. Das gesamte religiöse Leben, recht
verstanden, geht auf dieses letzte Ziel aus: dass unsere Sitten und Taten und
Werke sich immer mehr der Vollkommenheiten Gottes näheren. Gott selbst möchte
dieses Ziel in jeder Seele erreicht sehen1236.
+ + +
2946 |
Wiederholt hatte ich heute dieses geistige
Wissen: Das Christentum wurde von Christus und den Aposteln, die ihm folgten,
ganz auf der „Tat“, auf die Vervollkommnung der Sitten gestellt, die aus dem
Glauben an Gott, den Erlöser, aus der Lehre Christi entsprang. Erst im Laufe
und im Wandel der Zeiten wurde das Christentum in der Praxis gleichsam
erniedrigt bis zum Vorherrschen des „Kultes“ gegenüber dem Tun. Die ersten
Christen unterschieden sich aber von den Ungläubigen durch ihre Lebensweise.
2947 |
Christus will seine Kirche erneut auf diesen
Geist der ersten Periode seiner eigenen Stiftung zurückführen, und zwar mittels
der angegebenen Glaubensvertiefung, die eine Forderung der Tat ist. In der von
ihm angegebenen Glaubensvertiefung liegt als tiefste Grundlage eine „Religion
der Ausübung und der Tat“. –
2948 |
Heute in St. Peter war ich im Voraus von
meinem jetzigen Zustand aus in die nächste, anscheinend mir unmittelbar bevorstehende
Stufe, nämlich in das neue „Person-Erleben“, und zwar in das „Person-Erleben
Christi“ versetzt (ich kann es aber nicht so kurz und klar und doch wieder so
inhaltsreich ausdrücken, wie ich es erlebt habe).
2949 |
„Der jetzige Zustand der erlebnismäßigen
'Unpersönlichkeit' zusammen mit der Übung eines substanziellen Seelenlebens
führt mich ein in ein neues Person-Erleben.“1237
2950 |
Ich wurde auch von Neuem die Notwendigkeit
einer vorausgehenden „Entpersönlichung“ d. h., die Trennung und Befreiung vom
Erleben der eigenen Person und damit vom gewöhnlichen Seelenleben überhaupt, um
dann eingeführt werden zu können in das Erleben des psychologischen
Geheimnisses in Christus, und zwar in einer gewissen „Nachbildung meines
Seelenlebens nach der Art des Seelenlebens Christi“. – (Doch diese feinen
Bezeichnungen dienen wohl nur meinem eigenen Erkennen zum Verständnis der
Notwendigkeit der sich vollziehenden Umbildung und Überführung, lassen sich
jedenfalls schwer in Worten ausdrücken). – Ich erfasse dabei zwei Gegensätze:
Die Seele Christi in ihrer Eigenart, und ihr gegenüber meine Seele, die in etwa
die Eigenart der Seele Christi annehmen soll, soweit es für das Erleben der
Erlöserperson notwendig ist. Ich schaue dabei auch die Wege und Akte zu dieser
Umbildung, d. h. den jetzt erreichten Zustand – und das, was noch fehlt zum
Vollzustand („So bin ich jetzt – und so muss ich werden und sein am Ziel“). –
2951 |
In Fortführung der Erklärungen über die
moralische und psychologische Grundlage der Vereinigung mit Christus bin ich mir
ferner der Notwendigkeit bewusst geworden, dass auch meine physische Natur an
das Seelenleben angeglichen werde, bzw. eine entsprechende physische
Leistungsfähigkeit erlange, die das „Erleben der göttlichen Person“
voraussetzt.
2952 |
„Nicht die physische Kraft als solche ist
dabei entscheidend, sondern viel mehr eine gewisse physische Fügsamkeit und
Einfühlung in das Geistige“. Meine physische Natur muss darum gleichsam
„dehnbar“ und geschmeidig gemacht werden, um den Ansprüchen des Geistes genügen
zu können. Die Ansprüche meiner physischen Natur müssen auf das Mindestmaß
herabgesetzt werden in allem, was „Genuss und Befriedigung“ betrifft; umso mehr
muss sie aber den Ansprüchen des Geistes dienstbar gemacht werden, unter dessen
völlige Herrschaft sie gestellt wird; das gilt vor allem in Hinsicht auf das,
was die besondere Art der Vereinigung mit der göttlichen Person erfordert.
2953 |
Darin erkannte ich auch eine der Hauptursachen
meiner so lange dauernden Vorbereitung auf das eigentliche Ziel meiner inneren
Führung und meines Innenlebens. Es handelt sich nämlich dabei auch um eine
allmähliche Angewöhnung an die kommenden besonderen Forderungen des Geistes.
Dies wurde mir durch Hinweise auf Erfahrungen im gewöhnlichen Leben erklärt:
Eine geistig sehr1238 hochstehende Seele z. B. könnte nie mit einem
sehr vermaterialisierten Leib mit vielen irdischen Bedürfnissen und Ansprüchen
zusammen bestehen. Eine physische Natur mit vielen materiellen Ansprüchen
behält sich immer1239 gewisse eigene Befriedigungen vor, die
zugleich von der Seele bejaht werden und damit den Höhenweg und den Aufstieg
der Seele hemmen. Eine geistig intensiv tätige Seele braucht für ihr
ungehindertes Arbeiten auch einen „leichten“, nüchternen und gefügigen Leib;
denn die Eigenschaften des Leibes wirken sich auch in einem gewissen Sinne auf
die Seelentätigkeit aus. So muss eine gewisse Harmonie und Proportion zwischen
Seele und Leib geschaffen werden, wenn der eine Teil nicht die Betätigung des
andern hemmen soll. – Ich kann diese Tatsache auch aus gewissen Erfahrungen
meines Innenlebens bestätigen: Zuweilen, wenn ich in eine hohe Sublimität des
Geistes erhoben war oder wenn ich, wie zur Probe meiner Kräfte für meine eigene
Einsicht in die Notwendigkeit meines inneren Weges, in ein gewisses
Vorauserleben Christi versetzt war, fühlte ich die Schwere der physischen Natur
etwa so, wie wenn eine Bleikugel an einem Bindfaden hinge. Es schien mir
unmöglich, dass sich die physische Natur zu einer entsprechenden „Leichtigkeit“
um- und emporbilden lasse, um dieses „Hängen“ der Bleikugel in keiner Weise
mehr als hemmend zu verspüren. Bei diesen probeweisen Gegenüberstellungen
zwischen den Anforderungen des Geistes und der physischen Leistungsfähigkeit
wurde mir immer wieder bedeutet: Die Schwere der Bleikugel darf schließlich
nicht mehr verspürt werden; die physische Natur muss so „leicht“ werden, wie
der Bindfaden selbst; es darf keine fühlbare Differenz mehr zwischen beiden
bestehen. – So ähnlich schien zuweilen die Bleikugel meiner eigenen physischen
Natur am leichten Bindfaden meiner Seele zu hängen und ich litt unaussprechlich
unter der eigenen Schwere. Und diese „Schwere“ musste ständig reduziert,
herabgesetzt, vermindert werden, damit es zu einer ebenmäßigen Einfühlung des
physischen Elementes in das seelische kommen könnte. Diese Reduzierung wurde
herbeigeführt durch die führende Gnade, verlangte aber auch meine eigene
Mitarbeit.
2954 |
Der Heiland verkürzte, unterband die
Genussfähigkeit der physischen Natur durch mancherlei Leiden, sodass sie
zuweilen meinte, sie müsste vergehen und sterben unter dem Druck der
Anforderungen der Gnade und des Geistes, von dem sie beherrscht und gleichsam
bedrückt wurde1240. Aber allmählich zeigte1241 sich auch
auf diesem Gebiete der Erfolg, insofern die Last der Materie gleichsam
überhaupt nicht mehr gespürt1242 wird; die physische Natur ist ganz unter
das Gesetz des Geistes gestellt und es bleibt nur mehr ein leichter Bindfaden –
um es wieder im Bilde zu sagen; denn die Bleikugel ist1243 nicht
mehr spürbar. Freilich werden dann auch die Anforderungen des Geistes an den
Leib immer1244 noch mehr erhöht, insofern sich mit einer
entsprechenden Erhebung der Seele auch die Sublimierung des Leibes steigern
muss.
2955 |
Diese geistig-physischen Vorgänge liefen
ständig passiv mit meinem ganzen Innenleben mit. Sie bildeten, wie ich jetzt
klar erfasse und erfahre, den Untergrund zu einer anderen notwendigen
Voraussetzung für meine kommende Aufgabe, nämlich zu einer gewissen
substanziellen Seelenbetätigung, bei der das Physische in vollkommener Harmonie
mit dem Geistigen stehen muss. Dazu wird die ganze physische Natur gleichsam
geistdurchlässig: Die Geistigkeit durchdringt und „durchfühlt“ den Leib, ohne
im Physischen ein Hindernis zu finden. In dieser höchsten Harmonie und
Gefügigkeit zwischen Geist und Materie scheint aus beiden Elementen nur eines
geworden zu sein, obwohl beide ihre volle Tätigkeit aufrechterhalten. Dies ist
die Grundlage für das substanzielle Seelenleben. Und dieser Zustand hat in
höchster und vollkommenster Weise in Christus bestanden.
2956 |
Da der Leib in diesem Zustand
geist-durchlässig ist, kommt es zu einer ganz raschen und unmittelbaren
Reaktion zwischen den beiden Substanzen. Es ist ein Zustand des oben
beschriebenen „Wanderns mit verbundenen Augen“. Man fühlt und „sieht“ dabei
alle geistigen Hindernisse und Leiden, ohne sie auf die gewöhnliche
verstandesmäßige Weise bestätigt zu haben. Ebenso gelangt man auf dieser
Geistesstufe zu einem wesentlichen, unmittelbaren Erleben aller Güter und
Genüsse des Geistes. Die ganze doppelseitige Betätigung von Seele und Leib
bleibt wie auf ein Zentrum oder einen Punkt beschränkt und1245
bleibt im Zentrum selbst. Obwohl die Betätigung tatsächlich das Ergebnis des
Zusammenwirkens von so vielerlei Kräften ist, erlebt man bei dieser
substanziellen Seelenbetätigung doch unmittelbar nur sich selbst als das
Zentrum; auch was an Erlebnissen zunächst von außen herankommt, geht gleichsam
zum Herzen oder zum Mittelpunkt und bleibt im Herzen; obwohl es zunächst durch
die Sinne, also durch den „Kopf“ aufgenommen wird, scheint es bei diesem
substanziellen Erleben, als würde es nicht durch den Kopf gehen.
2957 |
So1246 vollzieht und vertieft sich
eine vollständige Umstellung des Gesamtlebens in mir. Seitdem diese Art des
Seelenlebens als einheitlicher Zustand begann (11. August), hat sich dieser
Zustand schon wieder um vieles erhöht, ausgedehnt, vervollkommnet und ich
schaue immer weitere Folgen dieser Art des Seelenlebens in mir. Dem Entsprechen
aber auch die Erhöhungsleiden, die zur weiteren Vervollkommnung dieses
Zustandes führen sollen. – Im Grunde ist es aber ein wunderbarer Seelenzustand,
zwar ohne verstandesmäßiges Bewusstwerden dieses Zustandes selbst, aber als ein
unmittelbares Leben dieses „unermesslich in sich gesättigten Geisteshabitus“;
ein Zustand also, der wohl wert ist und aufwiegt all die unaussprechlichen
Leiden und gleichsam „Gewaltmaßnahmen“, die der Heiland in mir in1247
Hinsicht auf dieses Ziel angewandt hat. Er hat damit ein seit Jahren gemachtes
Versprechen und ein oft vorausgezeigtes Ziel in mir wahr gemacht, in das er
mich unzählige Mal im Voraus hineinversetzt hat und dessen geistiges Wesen und
Wirken ich mit seiner Gnade erfassen konnte. Das Ziel aber wirklich zu
erreichen, das konnte nur er allein in meiner Seele bewerkstelligen. Die Seele
kann viel schauen und erkennen – aber wie soll sie zu dem Geschauten
hingelangen? Sie sieht keinen Weg dorthin; dieser bleibt immer ein Geheimnis
der göttlichen Gnade und Weisheit und die Seele muss sich wie „blind“ mitnehmen
lassen zu diesem vorher erkannten Ziel.
2958 |
Der Herr gibt mir die besondere Gnade, den
Vereinigungszustand mit IHM in seiner moralisch-aszetischen und psychologischen
Unterlage und Voraussetzung einigermaßen erklären zu können; vieles davon
bleibt aber unaussprechlich und wird immer ein Geheimnis bleiben.
2959 |
Auch über die Psychologie Christi werden jetzt
nur die ganz allgemeinen Grundlinien gezeigt. Die eigentliche Offenbarung
seines Erlösergeheimnisses beginnt erst mit dem wirklichen „Erleben an seiner
Stelle“.
2960 |
Heute ist in mir ein wahrer „Todeszustand“.
Ich bin in geistigen Leiden wie begraben und es scheint: es geht einfach nicht
mehr – – –
2961 |
Dabei ist mir, als werde ich ständig (in einer
geistigen Art) vom elektrischen Strom einer Elektrisiermaschine durchdrungen.
Dieser innere Prozess bewirkt eine noch höhere „Einheitlichkeit“ zwischen den
physischen und psychischen Kräften in mir, um den Zustand in mir vollends
herzustellen, den ich als den vom Herrn für mich gewollten Idealzustand in
meinem Erkennen trage. –
2962 |
Es ist furchtbar und wie eine Folterqual – – –
– aber ich bin zufrieden dabei; denn ich will keinerlei Befriedigung für mich
und1248 habe in der ganzen1249 Sache nie eine
Befriedigung für mich gesucht.
2963 |
Es ist in mir ein geheimnisvoll schmerzliches
„Zerbrechen meiner jetzigen Lebensordnung“ und zugleich eine Beschlagnahme
meines Gesamtseins durch Gott, verbunden mit einer sich erhebenden „neuen
Lebensordnung“. Es ist ein geistiger „Todeszustand“, aus dem ein neues Leben
hervorgeht.
2964 |
Gleichzeitig werde ich1250
hingeführt zur sittlichen Übung der höchsten und reinsten Absicht: „Herr, alles
nur deinetwegen! Selbst wenn ich nie einen Erfolg sehen würde, wollte ich nur
deinetwegen treu sein und nur für dich leiden. Ich will keinen Erfolg, nicht
einmal das Priesterwerk als Bestätigung meines Innenlebens. Nur rückhaltlose
Hingabe, einzig und allein um dich als den absoluten Herrn meines Lebens
anzuerkennen, der mein Leben ach in einem Übermaß geheimnisvoller Leiden
zerstören kann. – Dieser Akt rückhaltloser Hingabe löste zwar zunächst einen
großen Widerspruch meiner Natur aus, gab mir1251 aber auch volle
Ruhe in dieser höchstmöglichen Selbstlosigkeit Gott gegenüber.“
2965 |
Heute Morgen schon war ich in einem Zustand,
der dem gestrigen Leiden gerade entgegengesetzt ist: Unaussprechliche Ruhe,
wunderbare eigene Harmonie! – Wahrlich, der Herr hat in den letzten Tagen durch
das Feuer der Leiden eine große Arbeit in mir vollbracht!
2966 |
In der Kirche „Al Gesu“ war ich dann in
höchster Feinfühligkeit in das Durchleben des Geheimnisses der hypostatischen
Union versetzt. Dabei bin ich in mir selbst dieser Art der Verbindung der
göttlichen Person mit der menschlichen Natur inne; jenes Geheimnis ist mittels
meines Menschseins in mir „nachgebildet“. (Die hauptsächlichsten Punkte dieses
Erlebens habe ich mir sofort notiert).
2967 |
Besonders wurde ich inne „die Art der
Betätigung der physischen Natur und ihre Einfühlung in das Leben des
Gottmenschen.“
2968 |
Die physische Natur Christi war „mittätig“ mit
der göttlichen Person nach der Menschwerdung. Nach der Annahme der menschlichen
Natur konnte sich die göttliche Person des Wortes nicht mehr „allein“ – d. h.,
ohne diese angenommene Natur – im Kreise der Heiligsten Dreifaltigkeit
„bewegen“. Darum war schon im Mutterschoß Mariens eine entsprechende
Vergeistigung auch seiner physischen Natur und eine entsprechende Anpassung an
das Wesen und die Betätigungsart der göttlichen Person erfordert. Vermöge der
hypostatischen Union, bildete ich eine Tätigkeit aus den Vollkommenheiten der
göttlichen Person und den Kräften der menschlichen Natur, wobei das göttliche
Sein mittels der physischen Natur zum menschlichen „Leben und Ausdruck“ kam.
Alles, was der Gottmensch Christus tat, das tat er als Gott mittels seiner
physischen Natur. – Zu diesem Zwecke musste diese auch höchste
Leistungsfähigkeit haben; sie musste gleichsam die „Eigenart“ der göttlichen
Person „annehmen“ und in sich tragen, nicht in ihrem Wesen, aber doch in ihrer
Betätigungs-1252 und Ausdrucksform. Diese physische Betätigungsform
musste die entsprechende Leichtigkeit, Sublimität und „Spannkraft“ besitzen, um
den Ansprüchen der göttlichen Person genügen zu können. So bestand bei allem,
was sich von der Menschwerdung an bis zum Tode am Kreuze in Christus vollzog,
keine Trennung oder Verschiedenheit der Funktionsart zwischen der göttlichen
Person und der physischen Natur. In allem, was zwischen diesen beiden Polen
liegt, war die physische Natur – auf dem Wege über die Seele das Werkzeug und
Ausdrucksmittel für die göttlichen Vollkommenheiten der Person.
2969 |
Zur Erläuterung dieses erhabenen Geheimnisses
werde ich hingewiesen auf ähnliche Wirkungen des gewöhnlichen Naturgesetzes.
Die Seele als das „Leben“ (oder Lebensprinzip) des Leibes erleidet die
Schmerzen als die ihren. Obwohl bei einer rein geistigen Beschäftigung, z. B.
beim Studium, in der Hauptsache der Geist in Anspruch genommen wird, ermüdet
doch auch der Leib dabei; denn infolge des gottgeschaffenen Naturgesetzes der
Lebenseinheit zwischen beiden zieht der Geist auch aus dem Leibe Kräfte zu
seinem Bestande. Ja, geistige Beschäftigung beansprucht sogar noch intensiver
als körperliche Beschäftigung die physischen Kräfte, weil die Geistesarbeit –
wie mir innerlich schon öfter erklärt wurde – einen rascheren Umsatz und
Gebrauch aller Lebenskräfte, auch der physischen, verlangt. – Wenn nun auch
Christus nicht im gleichen Sinne wie wir gewöhnliche Menschen „Geistesarbeit“
leistete, so war doch in ihm eine „höchst geistige Tätigkeit“, wofür die
physische Natur von der göttlichen Person beansprucht wurde. Auch die Ausübung
hoher moralischer Vollkommenheit einer Person erfordert höchste Intensität des
Geistes und eine entsprechende Leistungsfähigkeit der physischen Natur. Für
gewöhnlich kann der Mensch – nach seinem Lebensgesetze – nichts, was er nicht
eingeübt und gleichsam „oft probiert“ hat. In Christus gab es auch in seiner
Natur kein solches „Probieren und Üben“; bei ihm war vielmehr alles auf die
unbedingte „Tat“ und Ausübung gestellt, wozu seine physische Natur das
Werkzeug, ja ein kraftspendendes Werkzeug sein musste; denn das gesamte
Erlöserleben in seinen verschiedenen Formen kam mittels der physischen Kräfte
Christi zustande und alles, was der Erlöser tat, das tat er mit und durch die
Inanspruchnahme seiner physischen Kräfte.
2970 |
Wenn man diese Tatsache recht bedenkt, so kann
man sich ein Bild machen von der Höhe der Leistungsfähigkeit der physischen
Natur Christi. Es könnte aber jemand einwenden: Die physische Natur Christi
hat alles mit den Kräften der göttlichen Person vollbracht. – Darauf ist zu
antworten: Dann hätte im Gottmenschen kein wahres menschliches Leben bestanden,
sondern einseitige Geistigkeit. Gewiss hat die physische Natur alles in
hypostatischer Einheit mit der göttlichen Person vollbracht, aber unter
Beanspruchung der Mitbetätigung ihrer physischen Kräfte. Andernfalls könnte man
auch die sittlichen Tugenden Christi keine wahren gottmenschlichen Tugenden
nennen (sondern es wären rein göttliche). Es sind aber tatsächlich
gottmenschliche Vollkommenheiten und Tugenden, weil sie von der göttlichen
Erlöserperson1253 unter Mitbetätigung und wirklicher
Kräfteanspannung der physischen Natur vollbracht wurden, weil also auch die
physischen Kräfte ihren entsprechenden Teil dazu beigetragen haben.
2971 |
Die höchste Inanspruchnahme der menschlich-physischen
Natur durch die göttliche Person, und folglich die höchste Leistung dieser
Natur bestanden nun aber darin, dass sich der göttlich-wesentliche Seinszustand
der Person in ihrem gottmenschlichen Leben auswirkte, und zwar wiederum mittels
und unter Mitbetätigung der physischen Natur. Durch die göttlich-wesentliche
Vollkommenheit Christi wurde gleichsam das gesamte Menschsein Christi in die
Stellung der unmittelbaren Mitbetätigung mit den seinshaften göttlichen
Vollkommenheiten versetzt; andernfalls wäre es infolge der allzu großen
Verschiedenheit und Spannung zwischen den beiden Naturen in Christus zu einer
Trennung oder Auflösung der hypostatischen Einheit gekommen.
2972 |
Ich wurde in wunderbarer Klarheit in diese Art
des Zusammenlebens der beiden Naturen – in einem „Leben“ – erhoben, so ähnlich,
wie wenn man etwa mit einem Vergrößerungsglas den Betrieb einer Maschine und
das Zusammenarbeiten ihrer verschiedenen Bestandteile beobachten könnte. – Die
Grundlage, den Mittelpunkt und das Hauptwunder jener wundervollen Harmonie im
Gottmenschen bildete die Ausübung und Auswirkung des göttlichen Seinszustandes
und dementsprechend eine „seinshafte“, substanzielle (dem göttlichen Sein
ähnliche) Betätigung seiner Seele, wodurch dem göttlichen Sein jene wunderbare
„Ergänzung“ zu einem gottmenschlichen Leben geboten wurde. Infolge der hohen
Vergeistigung der menschlichen Seele Jesu, und der von ihr belebten physischen
Natur, konnte es zu einem unmittelbaren Aufnehmen des menschlichen
Lebensstandes in die göttliche Person kommen. Es war in Christus ein ähnlich
einheitlicher Lebensbestand wie in unserem gewöhnlichen Leben, jedoch mit einem
noch unmittelbareren Verhältnis und Erleben zwischen göttlicher und
menschlicher Natur. Es war nämlich im Gottmenschen jenes geistige Räderwerk des
Umsatzes zwischen göttlichen und menschlichen Kräften nicht vorhanden, das im
gewöhnlichen Leben den Umsatz zwischen den physischen und psychischen Kräften
„verstandesmäßig“ d. h. auf dem Wege von Vergleichungen, Gegenüberstellungen,
Anforderungen, wenn auch unbewusst, leitet. Trotzdem – oder vielmehr gerade
deshalb – herrschte im Gottmenschen ein normales, ja ein noch viel feineres und
intensiveres Durchleben zwischen Person und Natur, wie es einem normalen
Person-Erleben des Menschen zugrunde liegt.
2973 |
Das gewöhnliche Menschenleben ist ein
„erzeugendes Leben“, weil der Mensch durch fortwährende Betätigung sich sein
geistiges und körperliches Dasein gleichsam immerfort erhalten und erzeugen
muss; es muss z. B. der Geist des Menschen ständig „arbeiten“, um bei normalem
Verstand zu bleiben und mittels seines Wissens und des entsprechenden
Bewusstwerdens die übrigen Lebensbetätigungen abwickeln zu können. Christus
aber brachte als göttliche Person im Besitz der göttlichen wesentlichen Vollkommenheiten1254
alles Wissen mit, das einer Person entsprach, und zwar brachte er es in
göttlicher Form mit. Sein göttlicher Seinszustand blieb ja auch in seiner
Menschheit bestehen und wurde in seiner Menschheit gestützt und getragen von
der substanziellen Art der Betätigung seiner Seele, die eine notwendige
Voraussetzung war für diese Lebenseinheit der hypostatischen Union.
2974 |
Durch die substanzielle Seelentätigkeit werden
– wie schon mehrmals erklärt – die vornehmsten, wesentlichen Kräfte der Seele
gleichsam „abgehoben“ vom gewöhnlichen, verstandesmäßigen Umsatz und werden
einer unmittelbaren Einwirkung der Person zugeführt. Bei dieser Betätigungsart
ist also ausgeschaltet das Abwägen und Überlegen, das Anwenden und
Gegenüberstellen, wie es sich im gewöhnlichen Leben vollzieht. Damit ist aber
auch ausgeschlossen die Gefahr und die Möglichkeit des Vergrößerns oder
Verringerns, des Abschwächens oder Aufbauschens der Eindrücke und Erlebnisse,
ob sie nun von innen, von der Person zur physischen Natur oder von außen, von
der Umwelt zur Person gehen. Bei der substanziellen Betätigung der Seele
stützen sich die Erlebnisse nur auf die wahre Wirklichkeit, auf die
unveränderliche Wahrheit der Eindrücke, sowie auf den Wert der Person selbst,
durch die sie ausgelöst werden.
2975 |
Alles, was – von außen oder von innen kommend
– auf dem gewöhnlichen Weg des verstandesmäßigen Umsatzes bewusst und erlebt
wird, ist auf diesem „langen“ Weg (auch wenn er in einem Augenblick durcheilt
wird) vielfacher Möglichkeit der Veränderung und Beeinflussung unterworfen, die
wiederum eine entsprechende Wertänderung der persönlichen Stellungnahme zur
Folge haben kann. Auch ein sittlich guter Mensch kann das Gute mehr oder
weniger gut und vollkommen ausführen. Auch im religiös-sittlich sehr hochstehenden
Menschen gibt es beständige Schwankungen zwischen guten und noch besseren
Tatmöglichkeiten. Selbst eine vollkommene Seele kann bei einem noch höheren
Aufstieg mit der Gnade Gottes, in den gleichen Fällen und Lagen, die
Vollkommenheit noch viel besser ausüben und sich auswirken lassen. – Ebenso
erleidet bei der gewöhnlichen verstandesmäßigen Betätigung der Seele das
„Gemüt“ oder das Gefühlsleben beständige Schwankungen, die eine Trübung oder
einen Ansporn auf die übrigen, der Person zur Verfügung stehenden Kräfte
ausüben können. Der gewöhnliche (verstandesmäßige) Umsatz der verschiedenen
Seelenkräfte bringt also die Möglichkeit einer beständigen Wertveränderung des
menschlichen Tuns und damit eine beständige Veränderung des Wertes der Person
selbst mit sich. Es ist aber ein Lebensgesetz für den Menschen, beständigen
Veränderungen und Schwankungen ausgesetzt und unterworfen zu sein, weil gerade
dadurch die Aktivität im Menschen angeregt und dadurch sein Leben selbst
erhalten wird. – Ganz anders verhält es sich bei Gott. Bei und in ihm ist
wesentliche Heiligkeit und Vollkommenheit ohne Trübung oder1255
Veränderung; es gibt keine höhere oder vollkommenere Tatmöglichkeit als die in
ihm vorhandene und herrschende. Zugleich ist in Gott höchste Aktivität alles
Guten; nichts bleibt in ihm stillgelegt. Er ist beständige, wesentliche
Mitteilung und Auslösung seiner göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten,
und zwar „ohne sich darauf besinnen zu müssen“, denn alles ist in und mit ihm
gegeben; er ergießt sich auch immerwährend in der Überfülle seiner göttlichen
Vollkommenheiten in seiner Schöpfung.
2976 |
Die zweite göttliche Person brachte nun alle
göttlichen Vollkommenheiten mit in ihre menschliche Natur. Wie hätte es auch
möglich sein können, dass sie unter den göttlichen Gütern gleichsam
„ausgewählt“ hätte, oder dass sie sich besinnen und überlegen hätte müssen, wie
sie dieselben hätte in menschlichen Taten verwerten können? – Die Seele Jesu
nahm die göttlich-wesentlichen Güter in einer menschlich-seinshaften Weise
auf, so wie sie von der göttlichen Person geboten wurden und sie lebte diese
göttlichen Güter in menschlich-seinshafter Weise weiter, ohne dass die Seele –
ein geschaffenes Wesen – jemals hätte Gott werden können.
2977 |
Ein verstandesmäßiger Umsatz der göttlichen
Vollkommenheiten in der Seele Jesu hätte eine vielfache Betätigung dieser
Vollkommenheiten verlangt; eine solche vielfache Betätigungsart hätte aber die
göttlich-wesentliche Einfachheit gleichsam „gestört“, wäre ihr zu sehr
„artfremd“ gewesen und hätte eine zu große Spannung und Verschiedenheit in das
gottmenschliche Leben Jesu hineingebracht. Darum musste eine entsprechende
Angleichung der Betätigungsweise und Bewegungsfreiheit der menschlichen Natur
an die Betätigungsart der göttlichen Person stattfinden und diese Angleichung
konnte nur geschehen durch eine „seinshafte“ Übernahme der göttlichen
Vollkommenheiten vonseiten der menschlichen Natur, also durch die substanzielle
Betätigung der Seele, d. h., die unmittelbare Betätigung des Seins der Seele
selbst, nicht mittelbar durch ihre Fähigkeiten. Im substanziellen Seelenleben
wohnt eine Fülle von geschaffenen Vollkommenheiten in der größten Einfachheit
und kann darum eine göttlich-wesentliche Einfachheit von dieser höchsten
geschaffenen Einfachheit eines substanziellen Seelenlebens aufgenommen werden.
In diesem Geheimnis liegt die Grundlage jenes Zusammenharmonierens zwischen
göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten und menschlichen Weisen der Betätigung1256
und Verwertung, die sich wie auf einer ansteigenden bzw. absteigenden Linie
oder Ebene bewegten. In dieser Harmonie konnten sich die göttlichen
Vollkommenheiten immerwährend ergießen, ohne dass die Seele „überschwemmt“
worden wäre – so ähnlich, wie wenn ein Schwamm ins Wasser gelegt wird: Er ertrinkt
nicht, weil er die Fähigkeit hat, Wasser aufnehmen zu können. Anderseits konnte
sich die göttliche Natur des Wortes dem „Erleben der Seele“ übergeben, weil in
dieser Seele und ihrer substanziellen Betätigung keine Täuschung und kein
menschlicher Irrtum möglich war; auch die mit dem verstandesmäßigen Seelenleben
gegebene Veränderlichkeit war ja ausgeschlossen. Zudem war bei Christus ein
verstandesmäßiges Seelenleben auch deshalb unnötig, weil in ihm alle Wahrheit
und göttliche Wirklichkeit war und deshalb kein Anlass bestand zu
verstandesmäßigem Suchen und Betätigen – im Gegensatz zum gewöhnlichen
Menschen, der sich ständig auf seine Taten besinnen und auf neue Taten
vorbereiten muss.
2978 |
Bei aller Fülle göttlicher Vollkommenheit ist
in Gott immer jene göttliche Fülle vorhanden, deren er – menschlich ausgedrückt
– jeden Augenblick bedarf. Das will sagen: In Gott gibt es keinen „Vorrat“ des
Seins oder des Wissens usw., wie wir Menschen uns Gott nach Art unseres
„Sammelns auf Vorrat“ denken oder vorstellen. Gott ist vielmehr jeden
Augenblick das Sein und er ist es ständig und jeden Augenblick in göttlicher
Fülle. – Ebenso war die göttliche Person Christi in sich diese göttliche Fülle
des Wissens usw. Aber er brachte dieses göttliche Wissen zum Ausdruck im Einklang
mit den menschlichen Lebensgesetzen und entsprechend den Forderungen und
jeweiligen Gegebenheiten und Zwecken seines göttlichen Erlöserlebens. Das
göttliche Wissen Christi kam in den Ereignissen seines Erlöserlebens so ähnlich
zum menschlichen Ausdruck und zur Anwendung, wie wenn man auf einen
elektrischen Lichtschalter drückt und im gleichen Augenblick ist Licht da.
Christus selbst war gleichsam die Licht-Zentrale, in der alles enthalten war,
und aus der er jeden Augenblick nehmen und gebrauchen konnte, was und wie er es
wollte. – Und doch hat Jesus z. B. als Kind sich ganz von seiner Mutter zu
allen Lebensgewohnheiten anleiten lassen – wie ich es mit Entzücken innewerden
konnte. Maria hat ihn in allem gleichsam für das menschliche Leben „fähig
gemacht“, d. h., sie und ihre Worte und Beispiele usw. holten gleichsam die
Fülle seines göttlichen Wesens hervor. – Jesus griff mit dem Gebrauch seines
Wissens seinem menschlichen Wachstum nicht vor, sondern wartete, bis dieses
Wissen durch die verschiedenen Umstände seines Lebens selbst angefordert und
herausgefordert wurde.
2979 |
So blieb das göttliche Sein des Wortes auch in
der menschlichen Natur bestehen und diese war das Mittel, dass das göttliche
Sein in menschlicher Art gelebt und geoffenbart wurde; mit anderen Worten: Die
göttliche Fülle des „Seins“ wurde in Christus menschlich gebraucht, verwertet,
in Anspruch genommen, in menschliche Tätigkeit gesetzt. – In Gott ist ewige
„Ruhe“, d. h. beständige Tat ohne Bewegung (im menschlichen Sinne) und ohne
Ermüdung usw. Innerhalb der menschlichen Natur lebte sich diese
göttlich-wesentliche Unbeweglichkeit und Unveränderlichkeit in einer göttlichen
„Bewegung“ im menschlichen Sinne aus, und dazu musste nicht nur die Seele Jesu,
sondern auch die physische Natur als Mittel und Werkzeug dienen; sie musste
also in sich eine gewisse „Grundlosigkeit“ und „Unerschöpflichkeit“ bieten
können, die ausreichend war für die gottmenschliche Betätigung1257
der Fülle des Wortes. – So war in aller Wahrheit die physische Natur Christi
nächst der Seele Jesu das wunderbarste Gefäß, das Gott selbst dienstbar war.
2980 |
Alle Umstände des Erlöserlebens kamen der
göttlichen Person in substanzieller, seelischer Weise zum Erleben, und zwar
ganz entsprechend der Wahrheit und Wirklichkeit, was Inhalt und Tiefe und
Intensität betraf. Jesus ließ sich auch nach menschlicher Sinnestätigkeit vom
Sehen, Hören, Fühlen usw. leiten, aber die Vergeistigung seiner menschlichen
Natur hatte ein unmittelbares Aufnehmen dieser Sinneseindrücke durch die
göttliche Person (mittels der substanziellen Betätigung der Seele) zur Folge.
Als Mittelpunkt und Zentrum der Erlebnisse Jesu – sowohl derer, die von außen
über die Seele zur Person1258 gingen, wie auch aller Einwirkungen
der Person auf die menschliche Natur – bildete sich das wunderbar wahre, der
Wirklichkeit gemäße Gemütsleben Jesu aus. Dieses Gemütsleben ist eine
Zusammenfassung von göttlichen und menschlichen Erlebnissen in Christus.
2981 |
So habe ich heute Wunderbares im Gottmenschen
erlebt und ich war dabei mit meinem eigenen Sein an diesem Geheimnis
„beteiligt“. – Ich weiß nun auch in höherer Weise um die Eigenart meiner
Vorbereitung für das dauernde Erleben Christi. Es braucht dazu nämlich eine
unaussprechliche feinfühlige Bewegungsfähigkeit auch meiner physischen Natur; es
braucht eine hohe Loslösung meiner Seele von ihrer angeborenen
verstandesmäßigen Betätigung. – Ich konnte erkennen, in welchem Umfang und in
welcher Feinheit ich diese (Loslösung) schon erreicht habe, um übergehen zu
können zu noch vollkommenerer substanzieller Seelentätigkeit. – Ich weiß auch
immer mehr, was ich an Eigenem noch abzugeben habe in beständiger Treue gegen
die göttliche Führung, die mich unaufhaltsam diesem hohen Ziele entgegenführt.
2982 |
Das Schauen des letzten Zieles aller
bisherigen Vorbereitung ließ mich auch begreifen, welche Leiden geeignet waren,
um mich für dieses Ziel zu befähigen, und in welchem umfangreichen Maße der
Heiland diesbezüglich in mir tätig war.
2983 |
Ich werde auch von Neuem angeregt, vollkommen
auf „mich“ zu verzichten, um einen seiner Menschheit in etwa ähnlichen Zustand
in ihm erreichen zu können. – Ich soll ihm das Werkzeug sein, damit sein
gottmenschliches Leben „mystisch“ wiederholt werde.
2984 |
Anmerkung: Kurze Zusammenfassung über die
substanzielle Betätigung: Substanz der Seele im Allgemeinen ist Voraussetzung
für das Funktionieren des Menschenlebens überhaupt, denn darauf „ruht“ das
ganze Gebäude des Mensch-Seins in psychischer und physischer Hinsicht.1259
Jede Betätigungsart der Seele richtet sich nach der Eigenart der Person-Anlage
des betreffenden Menschen; denn die Person-Anlage ist die höchste und
entscheidende unter den vielen Anlagen der Seele und ihr sind die übrigen
Anlagen untergeordnet. All diese Anlagen ziehen sich wie konzentrische Kreise
um einen Mittelpunkt oder, anders gesehen, sie gehen alle von diesem
Mittelpunkt oder von diesem Zentrum aus, und zwar mit dem Gepräge und den
Eigenschaften ihres Zentrums. Nicht nur das intellektuelle Leben, sondern auch
die physische Betätigungsart des Menschen trägt das Gepräge und die Eigenart
des Zentrums oder der Personanlage.
2985 |
Ein vollendetes, vollkommenes substanzielles
Seelenleben bildet – nach meinem eigenen Erleben – eine wunderbare
gott-menschliche Ebene für das Zusammenleben des wesentlichen göttlichen Seins
des ewigen Wortes und der menschlichen Natur in Christus. Das substanzielle
Seelenleben ist ein „geschaffenes, menschlich-seinshaftes Leben“ und darum eine
passende Brücke zwischen göttlicher Person1260 und menschlicher
Natur, wobei die göttliche und die menschlich substanzielle Tätigkeit sich
ergänzen können zu einem harmonischen Leben und beide „Elemente“ sich in
idealster Weise ausleben können. –
2986 |
Ich habe heute in „überraschender Einfachheit“
das Priesterwerk geschaut und bin seiner geistigen Ausgestaltung innegeworden
(bei der Madonna del Divino Amore in St. Ignazio).
2987 |
Es ist ganz einfach: Das Priesterwerk fängt an
mit einem Zusammenschluss von einigen Theologen, vorläufig aus verschiedenen
Orden. Diese holen im Verein mit P.B. die tiefsten Schätze aus der Theologie
nach dominikanischer Richtung hervor. Zugleich werden praktische Anwendungen
zur Betätigung der Glaubenswahrheiten und der theologischen Grundlehre
ausgearbeitet. – Die Teilnehmer dieser Gruppe beraten zusammen und suchen
Theorie und Praxis miteinander in Einklang zu bringen. Diese Einheit zwischen
Theorie und Praxis führt tatsächlich zum tiefsten Herausholen und zur
praktischen Anwendung der Glaubensschätze, die uns durch Gottes Wahrheit
verbürgt sind. Auf diesem Weg des unbedingten und gelebten Glaubens an Gottes
ewig-wesenhafte Wahrheit gelangt der Mensch zu einem unmittelbaren Verhältnis
und zu einer gelebten Abhängigkeit Gott gegenüber.
2988 |
Der Mensch erkennt sich dann als ein
gefallenes Wesen, das durch Gottes Barmherzigkeit hingeführt wird zu den
Quellen des Heils, zu den Erlöserverdiensten Christi. In diesen überreichen
Verdiensten schaut er die Quelle der Gnade, die ihn befähigen, sich die
überreiche Barmherzigkeit Gottes zuzuwenden. Er findet darin den für ihn
notwendigen Ersatz, vorausgesetzt, dass er selbst mittätig ist mit der Gnade
des Erlösers, der nur deshalb „Erlöser“ geworden ist, um all seine Brüder durch
den von ihm geleisteten Ersatz zurückzuführen zur Möglichkeit der
Wiedergewinnung dessen, was dem Menschen durch die Sünde verloren ging. – Der
tatsächliche und geliebte Glaube an Gottes Offenbarung und Erlösung gibt dem
Menschen die Gewähr einer stufenweisen aufsteigenden und sich immer mehr
vervollkommnenden Wiedereroberung der Gotteskindschaft, die der Mensch im Paradies
einst als höchste Gabe besessen hatte. In der Kraft der Erlöserverdienste sieht
der wahrhaft gläubige Mensch nun das unumgängliche Mittel, um wieder in die
Nähe des Vaters zu kommen, in eine „Nähe“, die dem Menschen nur „in Christus“,
d. h. durch und nach dem Maße der Vereinigung mit Christus möglich wird. Denn
nur durch und in Christus ist der Menschheit alles Heil geworden, das uns
tatsächlich in die Nähe Gottes zurückführt und uns alles jene göttlichen
Kindschaftsgnaden wieder erwerben lässt, die eine wahre „göttliche Sohnschaft
in Christus“ beinhaltet und in sich schließt. Christus ist ja auch das Vorbild
dieser „göttlichen Sohnschaft“, das wir in allem nachahmen sollen. Der Glaube
aber und die tätige Mitarbeit ist der einzige Weg, um uns jener göttlichen
Güter in immer höherer Weise teilhaftig zu machen.
2989 |
Es müssen nun „geistige Brücken“ gebaut werden
zwischen Theorie und Praxis, d. h. zwischen der diesbezüglichen theologischen
Lehre, die ja im Allgemeinen angenommen wird, und zwischen ihrem Gehalt und
ihrer Anwendung für das praktische Leben, die zu wenig beachtet wird – weshalb
dann die Glaubenslehren zu wenig Frucht bringen. Gott ist heute ebenso reich
und groß wie vor 2000 Jahren, und doch bringt der Glaube an ihn nicht mehr die
seinem göttlichen Liebesreichtum entsprechenden Früchte hervor, weil dieser
Glaube eben zu wenig lebendig und konsequent ist. Diese, von Gott
beabsichtigten Früchte sind „er selbst“, d. h. seine Nähe, unsere
höchstmögliche Annäherung an ihn und Vereinigung mit ihm. – Nur mit dieser
Vereinigung erfüllt sich auch der eigentliche und höchste Zweck unseres Lebens
und Daseins. Gott wird für die Seele zum Mittelpunkt ihres Daseins; er wird ihr
zum höchsten und einzigen Ideal für dieses Leben, das damit zu einer wahren
Vorbereitung für die Ewigkeit wird; denn die wahre und höchste Aufgabe jedes
einzelnen Menschenlebens besteht nur darin, sich hienieden durch höchstmögliche
Vereinigung mit Gott den höchstmöglichen Besitz und Genuss Gottes in
jenseitigen Leben zu sichern und vorzubereiten für die ganze Ewigkeit.
2990 |
Unter diesem Gesichtspunkt verklärt sich unser
Leben hienieden und bekommt es eine wunderbare hohe Stellung im Lichte unseres
Daseinszweckes: Gott hat uns letztlich nur dazu geschaffen, dass wir „seiner
teilhaftig werden“. Wir sind durch die hl. Taufe in einem wahren Sinn
aufgenommen worden in den ewig-göttlichen Liebeskreis der Heiligen
Dreifaltigkeit, und damit ist unsere höchste Lebensaufgabe und einziges,
letztes Ziel unseres Strebens und unseres Daseinszweckes geworden: dass wir
durch und in Christus, und durch unsere eifrige Mitarbeit mit seiner Gnade uns
in möglichst hohem Maße diesem göttlichen Lebens- und Liebeskreis nähern. Auch
unser ganzes äußeres Leben wird in diesen geistigen Kreis und jenen
Daseinszweck hineingezogen, der unser Leben so groß und schön, so erhaben und
frei macht. Alle äußeren, zufälligen „Ereignisse“ sind, recht verstanden, nur
Mittel, um uns rascher und erdgelöster unserem hohen Ziel entgegenzuführen. Es
gibt kein Missgeschick und kein „Unglück“ (im menschlichen Sinne des Wortes),
das nicht diesem einem Daseinszweck dienen könnte und sollte, nämlich uns Gott
zu sichern und zu unserem ewigen Eigentum zu machen. Die Seele wird veranlasst,
alles zu lassen und zu verlassen, und sich nur auf das eigentliche, letzte Ziel
ihres Lebens hinzurichten und dafür sich zu bereiten.
2991 |
Unter diesem Gesichtspunkt soll vor allem der
Priester sein Leben betrachten; es wird ihm dann wertvoll nur durch den Besitz
Christi, dessen Stelle und Eigenheit in der Kirche der Priester einnimmt. Der
Priester hat überhaupt kein anderes Ziel für sich selbst und keinen anderen
Daseinszweck als den: sich selbst immer mehr mit Gott zu vereinigen und
möglichst alle Seelen zu diesem höchsten Urzweck jeder einzelnen Seele
befähigen zu helfen und hinzuführen. – Das Priesterwerk enthält im Grunde und
in seinem Wesen nichts „Neues“, sondern nur ein kleineres und konsequenteres
Festhalten des Zieles: Den Menschen das Ewige und Göttliche, das durch die
Strömungen des modernen Zeitgeistes in so großem Ausmaße ihnen verloren
gegangen zu sein scheint, wieder näher zu bringen. Christus rückt aber dieses
Ziel wieder höher hinauf und spornt zu einem höheren Streben danach an. Er
stellt sich selbst wieder deutlicher in den Mittelpunkt des Priesterlebens und
aus ihm, als der klarer erkannten göttlichen Quelle fließt zunächst die eigene
Heilung des Priesters. Es ist keine Vereinigung mit Christus so hoch und keine
Gnade so erhaben, dass der Priester nicht das Vertrauen haben sollte, sie sich
anzueignen und den Mut, sie anzustreben. Christus versagt dem Priester nichts,
wenn dieser, sein ganzes Leben in ihn hineinstellt und auf ihn hinordnet. Der
Priester soll in allem das höchste Ziel auf dem Weg zu Gott und im Leben in
Gott anstreben. Er soll zuerst selbst das tun und das werden, was er anderen
lehrt. Nur auf diesem Weg macht er sich fähig für den Zweck seiner Berufung.
Ohne die tatsächliche, entscheidende Selbstheiligung, und zwar schon vor der
Heiligung anderer Seelen ist für gewöhnlich alle Bemühung des Priesters unnütz
und eitler Schein. Nur in dem Maße bringt der Priester Frucht in anderen Seelen
hervor, als er selbst schon eine göttliche Frucht in einer gewissen Einheit mit
Gott geworden ist.
2992 |
Es sollen also festgelegt werden gewisse
Grund- und Verbindungslinien zwischen Theorie und Praxis, die in einem
unbedingten, konsequenten Glauben wurzeln und die dann das ganze Leben so
beherrschen, dass es dabei keinen Unterschied gibt zwischen äußerem Tun und
innerem Wollen, sondern nur eine Linie, die zu Gott hinstrebt.
2993 |
In diesem Sinne hat das Priesterwerk in seinem
Verhältnis Gott gegenüber nichts gemein mit einer „Privatoffenbarung“, sondern
es lebt die Wahrheiten der göttlichen Offenbarung und schöpft die Gnaden des
Erlösers in größtmöglicher Fülle aus. Diese Grundlinien und Grundsätze sollen
zuerst im eigenen Leben des Priesters zur Anwendung kommen. Nur jene, die sie
theoretisch und praktisch vollkommen beherrschen und anzuwenden wissen, werden
fähig sein, diese vertieften Linien anderen priesterlichen Mitbrüdern
mitzuteilen. Darum muss gleich von Anfang an Theorie und Praxis zusammengehen,
und zwar ohne Halbheit und Kompromiss, sondern in eigener, persönlicher, hoher
Zielsetzung.
2994 |
Es ist also1262 höchst einfach, wie
ich den ersten Anfang oder die Vorbereitung des Priesterwerkes schaue: Ein
Kreis Theologen bereitet den Plan der Grundlinien, verbunden mit den
praktischen Anwendungen und Übungen vor. Diese Theorie und Praxis wird
begründet mit den Worten Christi, den Evangelien, den Briefen der Apostel, den
Lehren der Kirchenväter, den Übungen der Urkirche, den alten Überlieferungen.
Man wird dabei die Kluft sehen, die sich zwischen Theorie und Praxis im Laufe
der Zeiten gebildet hat. Man lehrt auch heute Gottes Vollkommenheiten, preist
ihn als allmächtig, weise, getreu, barmherzig und voll Liebe zu den Menschen,
aber es bleibt allzu oft bei der nackten und kalten Lehre. Die praktische Anwendung
und Übung der Konsequenzen dieser Lehre hält nicht Schritt mit der
theoretischen Huldigung, die man Gott durch die Lehre darbringt. In der Praxis
handeln die Menschen meist nur so, wie es ihrer Vernunft vorteilhafter scheint,
aber nicht so, wie ein lebendiger Glaube an Gottes Eigenschaften fordern würde.
2995 |
Ebenso werden die Gnaden der Erlösung
praktisch zu wenig geschätzt. Man „glaubt“ zwar daran und man lehrt sie. Aber
man wendet sie nur soweit an, als es sich mit den Forderungen eines
„zeitgemäßen Lebens“ vereinbaren lässt. Man meint, nicht anders leben zu können
als es die heutige „Zeit“ verlangt; man sieht, unbedingt „modern“ und dem
Zeitgeist entsprechend leben zu müssen. Auch bei den Priestern ist vielfach in
der Praxis der Grundsatz herrschend geworden: man könne nicht wirken, wenn man
nicht „zeitgemäß“ erscheine und handle. So ist es die große Täuschung geworden,
dass man meint, man könne die eigene Heilung mit den Forderungen des
Zeitgeistes zusammenbringen und vereinen. Und doch gibt es bei Gott
diesbezüglich keine „Zeit“, und die Forderungen des Zeitgeistes bilden vor ihm
keine Entschuldigung und Enthebung gegenüber dem, was seine göttlichen
Forderungen und seine Gebote betrifft. Gott wird beim Gericht einmal seine
göttlichen Forderungen an die Seelen an die erste Stelle rücken, während die
Menschen heute nur allzu oft an erster Stelle „mit der Zeit gehen“ zu müssen
meinen und die Forderungen Gottes praktisch erst an zweiter Stelle setzen und
von den Forderungen des Zeitgeistes abhängig machen. Und dieser Forderungen und
Gepflogenheiten eines modernen Lebens wegen begnügt man sich mit einer
mittelmäßigen Vollkommenheit, ohne dass der Grund der Seele davon berührt
würde, d. h., ohne dass es zu einer tatsächlichen Überwindung des gefallenen Zustandes
käme; denn dazu müsste man entschieden mit dem Zeitgeist brechen. – Ferner ist
die erste Wirklichkeit der „Sünde“ heute ein „seichter“ Begriff geworden. Man
beachtet zu wenig den wahren Begriff der Sünde: Dass sie nämlich ein
„Widerspruch“ gegen Gott ist, und man entschuldigt die Sünde nur zu leicht
damit, dass man heute eben nicht anders leben und handeln könne. Tatsächlich
hat sich der Mensch von heute in nur allzu vielen Beziehungen und Hinsichten
„frei“ gemacht von den Wahrheiten über Gott und die Sünde; obwohl er daran
glaubt, ist es doch praktisch zu einer klaffenden Trennung zwischen Gott1263,
Glaube und Tat oder Leben nach dem Glauben gekommen.
2996 |
Wenn die theologische Lehre, und die ihr
entsprechenden praktische Anwendung aus der Überlieferung begründet ist, so ist
damit auch die „erneuerte Grundlage“ eines christlichen Lebens klargestellt. –
In diesem erneuerten Geiste wird sich dann ein Kreis von Priestern, die sich
berufen fühlen und bereit erklären, in diesem Sinne ihr Leben gestalten zu wollen,
zu einem gemeinsamen Leben zusammenschließen. Sie werden das Zentrum sein, von
dem aus alle Priester in den erneuerten Geist eingeführt werden, und dazu
werden sie ihren priesterlichen Mitbrüdern durch Wort und Schrift und durch ihr
eigenes Beispiel dienen. Durch Konferenzen und Exerzitien in diesem Geiste,
sowie durch literarische Arbeiten und Werke werden sie alle Priester zu
gewinnen suchen. Es werden entsprechende Kurse veranstaltet, um den einzelnen
Priestern die Möglichkeit der Vertiefung zu bieten; ebenso werden Priesterheime
errichtet werden, in denen längere Schulungskurse abgehalten werden. – dieser
theologisch-praktischen Vertiefung werden dann im gemeinsamen Leben der
Mitglieder des Werkes auch noch weitere Mittel und Übungen eingeführt und gebraucht,
die dem Ziele der theologisch-praktischen Vertiefung dienen werden.
2997 |
Ich schaue aber, dass die Regular-Priester in
verhältnismäßig kurzer Zeit in diesen erneuerten Geist eingehen werden: „Das
Priesterwerk wird einen Siegeszug in der gesamten Kirche antreten.“
2998 |
Seit heute Morgen bin ich in einem ganz1264
veränderten Zustand. – Für gewöhnlich ist der Mensch veranlasst, in einer der
menschlichen Natur eigenen Selbstkontrolle ständig seine eigenen Taten und sein
Leben zu „beschauen“, ob es gut oder weniger gut oder schlecht ist und ebenso
sich ständig „vorzubereiten“ und hinzuschauen auf das, was er tun will. – Ich
bin aber mir selbst „unkontrollierbar“ geworden, d. h., es ist in mir nur
unmittelbares Tun und Leben ohne die gewöhnliche Kontrolle oder Vorbereitung;
es ist in mir insofern höchste Einfachheit, als nur das jeweilige,
augenblickliche Sein und Tun in mein Bewusstsein tritt ohne das Erfahren oder
Bewusstwerden eines Übergangs von der Möglichkeit zur Wirklichkeit oder vom
„Können“ zum „Tun“ (oder von der Potenz zum Akt). Ich erlebe die Tat und das
Leben nur im Augenblick des Tuns und Lebens selbst (ohne die Möglichkeit einer
bewussten Selbstkontrolle oder Vorbereitung). –
+ + +
2999 |
Zugleich gehen die inneren Erkenntnisse über
das Geheimnis Christi weiter und tiefer. – Ich erlebe das rein geistige Wesen
Gottes in seinen göttlichen Vollkommenheiten – und ich erlebe, wie alle
göttlichen Vollkommenheiten in Christus mittels der menschlichen Natur zu einem
menschlichen Ausdruck kamen. Ich erfasse dabei das „rein geistige Wesen“ der
zweiten göttlichen Person, und ich erlebe, wie all ihre göttlichen
Vollkommenheiten in die menschliche Natur übergeleitet und von dieser „gelebt“
wurden.
3000 |
Das Geheimnis dieser Umschaltung wurde
ermöglicht und bewerkstelligt mithilfe des Wunderwerkes der
menschlich-physischen Natur. Diese hat nämlich die Fähigkeit, rein geistige
Tätigkeiten und Eigenschaften, ja sogar göttliche Eigenheiten mit physischen
Kräften zu übernehmen und auszudrücken. Es besteht in der physischen Natur des
Menschen jene wunderbare „Ergänzung“ zum geistigen Wesen der Seele, durch die
alle rein geistigen Anlagen der Seele ausgedrückt und dem Menschen erfassbar
und sichtbar gemacht werden, obwohl jene Anlagen im tiefsten Grunde nur geistige
Anlagen sind. Diese an sich rein geistigen Anlagen werden aber durch
entsprechende Fähigkeiten der physischen Natur in menschlich-physische
Tätigkeiten umgesetzt. So ist der Mensch in der schließlichen Einheit seiner
„Zweiteiligkeit“, d. h. in der einen aus zwei verschiedenen Elementen
zusammengesetzten Tätigkeit ein großes Wunderwerk des Schöpfers. – Ich werde in
einem geistigen „Einfühlen“ eingeführt in das Geheimnis dieser Tätigkeiten der
menschlichen Natur, die uns vor allem als Tätigkeiten der physischen1265
Natur sichtbar und bewusst werden, die aber im tiefsten Grund, und in ihrem
ersten Antrieb geistige Akte der Seele sind.
3001 |
Dieses Geheimnis wurde mir tiefer erklärt
durch das Beispiel oder vielmehr durch die Annahme: Wie wäre es, wenn ein Engel
einen menschlichen Leib annähme? – In diesem Falle käme das Leben eines Engels
zu einem menschlichen Ergebnis und Ausdruck. Die menschliche Natur bringt
nämlich unverfälscht das Grundsein und Ideal der sie tragenden und
beherrschenden Grundkraft, nämlich der Person, zum Ausdruck. Im angenommenen
Falle würden also die substanziellen Kräfte der menschlichen Seele
herangezogen, um das Leben eines (menschgewordenen) Engels darzustellen und zu
„leben“. Die physischen Kräfte der menschlichen Natur wären dem Sein des Engels
dienstbar, damit das Wesen und die Eigenheit des Engels mittels dieser Kräfte
ausgedrückt und ausgelebt würden.
3002 |
In großer Klarheit weiß ich nun um die
Tätigkeit der Substanz der Seele, die unverfälscht und rein die Eigenheit ihres
Lebensantriebes, ihrer höchsten Autorität, nämlich der sie leitenden
Personkraft, zum Ausdruck und Leben und zur menschlichen Betätigung bringt. In
einer wunderbaren, in Worten nicht auszusprechenden Analyse sehe ich „getrennt“
die beiden Elemente oder Bestandteile dieser einen menschlichen Tätigkeit; ich
erfasse dabei die Eigenart der Tätigkeit eines jeden der beiden Elemente, sehe
ferner deren gegenseitige Aus- und Rückwirkung aufeinander, und gewahre
schließlich die Einheit all dieser Faktoren in der einen, menschlichen
Handlung, die sich äußerlich kundgibt als „Tat“.
3003 |
All diese Erkenntnisse und Vergleiche sollen
aber vor allem dienen zur Erklärung des Geheimnisses vom Zusammenwirken der
beiden Naturen in Christus oder, mit anderen Worten, zur Klärung1266
der Tatsache: In Christus kam die Eigenart seines göttlichen Wesens durch
entsprechende Mitbetätigung seiner menschlichen Natur zum menschlichen Ausdruck
und Leben. – Ich erlebe die wunderbare „Veränderung“ (– menschlich gesehen und
ausgedrückt, denn die göttlich-wesentliche Unveränderlichkeit bleibt
selbstverständlich unangetastet –), nämlich die „Veränderung“ vom rein
Geistig-Göttlichen zum Gottmenschlichen, die sich in der Menschwerdung des
Wortes als Ergebnis der hypostatischen Vereinigung1267 vollzogen
hat. Die göttlichen Vollkommenheiten und Eigenschaften der Person des Wortes
wurden nämlich „eingefasst“ in ein menschliches Seelenleben und wurden mittels
der physischen Natur menschlich zum Ausdruck gebracht, gelebt, betätigt; diese
„Einfassung“ kam vor allem im „Gemütsleben“ oder im eigentlichen Innenleben
Christi zum menschlichen Ausdruck und zur Auswirkung.
3004 |
Die göttliche Person in Christus war der eine
„Mittelpunkt“, in dem sich trafen: Das göttliche Sein und die Kräfte der
menschlichen Natur (die dieses göttliche Sein entgegennahmen) sowie die
beiderseitige Reaktion, durch die im Innenleben Jesu der göttlich-vollkommene
Wert in einem wahren menschlichen Leben zur Geltung kam. Die beiden Naturen in
Christus bewahrten dabei ihre Eigenart, ohne sich zu vermischen. Die göttlichen
Vollkommenheiten wurden auf göttlicher Höhe sittlicher Vollkommenheit von der
menschlichen Natur Jesu entgegengenommen und von dieser, in göttlicher Werthöhe
als gottmenschliches Ergebnis nach außen sichtbar gelebt. Die menschliche Natur
stand natürlich an eigener Werthöhe weit unter der göttlichen, aber infolge der
wunderbaren und harmonischen Anpassung und „Ebenstellung“ ihrer Funktions- und
Betätigungsart gegenüber der göttlichen Person war das Ergebnis ein
gottmenschliches, mit menschlichen Kräften zum Ausdruck gebrachtes Leben auf
der sittlichen Werthöhe der göttlichen Person – in ähnlicher Weise, wie die
Tätigkeit des an sich weit niederer stehenden Leibes sich in harmonischer
Einheit mit der Tätigkeit der geistigen Seele verbindet. Dabei blieb die
göttlich-wesentliche Seins- und „Betätigungsart“ Gottes, d. h., der göttliche
„actus purus“ (den man nicht als „Betätigung“ in unserem menschlichen Sinne
bezeichnen kann) bestehen.
3005 |
Um diese Seinsart Gottes bzw. der zweiten
göttlichen Person, eingefasst in die menschliche Natur, tiefer erfassen zu
können, hatte ich zunächst ein fein-geistiges Erkennen des Wesens einer1268
menschlichen Seele überhaupt, und im Anschluss daran erlebte ich, wie diese
Seinsart Gottes oder der „actus purus“ mittels der menschlichen Natur in
Christus in einer gottmenschlichen Art gelebt wurde.
3006 |
Die Seele hat an sich die Fähigkeit, geistig
zu „sehen, zu hören, zu sprechen, zu empfinden, zu lieben und zu hassen,
Abneigung oder Zuneigung zu empfinden, sich zu freuen und zu leiden“, und zwar
auch ohne bewusste und fühlbare Mitbetätigung der physischen Natur, eben als
„geistige Seele allein“. Gewiss gibt es in diesem Leben keine tatsächliche,
vollständige Trennung von Geistbetätigung und entsprechender Mitbetätigung und
Mithilfe der physischen Natur, denn alle Geistbetätigungen werden im früher
beschriebenen Sinne unter Mithilfe der physischen Natur1269 zum
Ausdruck gebracht und die psychisch-physische Lebenseinheit bleibt immer
bestehen. Im mystischen Leben aber betätigt sich die Seele – wie unten
ausgeführt wird – mehr oder weniger unmittelbar als Geist Gott gegenüber. Aber
auch die gewöhnlichen menschlichen Betätigungen des Sehens, Hörens, Fühlens
usw. sind in ihrem ersten und tiefsten Ursprung Betätigungen der geistigen
Seele, obwohl uns dies für gewöhnlich gar nicht zum Bewusstsein kommt, weil
diese Betätigungen uns vor allem als physische Tätigkeiten nahekommen.
3007 |
In wunderbarer Weise wurde ich eingeführt in
dieses Geistgeheimnis der Seele und erlebte, wie jene genannten menschlichen
Betätigungen im tiefsten Grunde Geistbetätigungen sind und darum – wenn der
Herr der Schöpfung und der Gnade es will – auch „im Geiste bleiben“, d. h. ohne
die gewöhnliche Anregung und Mithilfe der niederen menschlichen Fähigkeiten
geübt und angewandt werden können, wenn sie auch dann doch infolge der
leib-seelischen Lebenseinheit irgendwie auch auf das Physische auswirken
werden. Diese Geistbetätigungen können – und das geschieht im mystischen Leben
– unmittelbar zum Geiste Gottes sich wenden und sich vom Geiste Gottes
verstanden wissen oder „erleben“ in doppelseitigen Reaktionen, die sich ganz im
Geiste vollziehen. Durch den Hinweis auf diese selbst erlebte Tatsache wurde
mir klargemacht, dass der tiefste Ursprung der menschlichen Betätigungen
überhaupt der Geist oder die Seele ist, die als Lebensanregerin nach innen und
außen tätig ist, und dass die menschlichen, mittels der physischen Natur
hervorgebrachten Sinnesbetätigungen in ihrem letzten Ursprung und in ihrer
Hauptursache „Geistesanlagen“ sind.
3008 |
Zur näheren Erklärung dessen wurde ich
hingewiesen auf die Grundlagen der mystischen Betätigung der Seele gegenüber
Gott. – Das Grundgeheimnis im mystischen Gebetsleben ist dies, dass die Seele,
von Christus bzw. Gott angeregt, in einem gewissen1270 Sinn über den
Leib hinausgehobenen, übersinnlichen Zustand gerät, wobei Gott unmittelbar in
den höheren Seelenfähigkeiten wirkt und die Seele Gott „erfassen“ und erleben
kann, und zwar in mehr oder weniger ausschließlicher Geistbetätigung, ohne die
Vermittlung der Sinne. Das Gotteserfahren im mystischen Gebetsleben ist ein
Bewusstwerden und Erleben dieses Zustandes, in dem sich die Seele „über dem
Leibe“ und mehr oder weniger als „reiner Geist“ betätigt – wenn auch irgendwie
Auswirkung auf die physische Natur immer bestehen bleibt und sich vollzieht,
weil der Mensch in diesem Leben nicht aus seinem psycho-physischen Lebensrahmen
herauskam. Nach dem aber, was die Seele dabei bewusst erlebt, scheint sie dem
Leibe entrückt zu sein und sich nur als „Geist“ zu betätigen, weil Gottes Wesen
nur im Geiste und vom Geiste erfahren werden kann. Die Seele wird deshalb in
einen, dem Geist Gottes ähnlichen, erhöhten Zustand versetzt, in dem sie dem
Wesen Gottes „nahekommen“ kann. Die Seele fühlt sich in ihrer Betätigungsart
erhoben in ein erlebtes Geist-sein gegenüber Gott. Das sind die ersten Anfänge
des mystischen Gebetslebens.
3009 |
Bei diesem Gotterfahren tritt eine „feine
geistige Wahrnehmungsgabe“ der Seele in Tätigkeit, das Erfassen und Berühren
können eines ähnlichen Geistes, ein Begegnen mit ähnlichen geistigen Kräften,
mit denen sich die geistigen Kräfte der Seele zu vereinigen vermögen, eine
(mehr oder weniger unmittelbare) Begegnung mit Gott. Es sind dabei Grundkräfte
der Seele tätig, die im gewöhnlichen Leben als menschliches Fühlen in
menschlich-physischer Form1271 zum Ausdruck kommen. – Mit der sich
erhöhenden Loslösung der Seele von der Gebundenheit an die Materie wird sie für
eine noch weit höhere Art von Geistbetätigung befähigt: Zu Zeiten in einen
höheren Geisteszustand erhoben „schaut“ die Seele Gott. Ja, die Seele kann
geistig „sehen“ und dieses geistige Sehen ist viel feiner und sicherer als der
Blick des leiblichen Auges auf das angemessene Objekt. Das Auge sieht nur die
Oberfläche und kann nicht in die Tiefe der Körperwelt eindringen; es ist
sozusagen ein „beschränktes“ Sehen. Die Seele aber im Zustand der
Geistbetätigung im mystischen Gnadenleben dringt schauend in die Tiefe Gottes
und seiner Geheimnisse ein; „mit einem Blick“1272 überschaut sie
Gottes Sein, dringt sie in ihn ein und erfährt sie ihn. – In ähnlicher Weise
vernimmt das Ohr des Menschen nur, was diesem Organ als Laut in die Nähe kommt;
die mit Gott im mystischen Zustand verbundene Seele aber „hört“ Gott ohne
Worte. Gott spricht im Allgemeinen nicht wie die Menschen hörbar dem
menschlichen Ohr; er1273 spricht vielmehr eine „Sprache des
Geistes“. Und doch sind diese Geistesworte viel klarer und vernehmlicher als
Menschenworte es jemals sein könnten. – Die Seele tritt im mystischen
Gnadenleben in einen erhöhten „Zustand des Geistes“ und der Loslösung von der
Materie, und es werden im mystischen Verkehr mit Gott von der Seele rein geistige
Akte gesetzt, die von Gott erwidert und dann wiederum von der Seele rein
geistig beantwortet werden. Diese mystische Unterredung des Geistes mit Gott,
bei der die menschliche, physische Natur so gut wie ausgeschaltet bleibt, ist
dennoch viel umfassender als die gewöhnliche Betätigung der Seele durch die
Sinne; es werden dabei ungleich mehr Akte und Kräfte der Seele geweckt und
herangezogen als in der gewöhnlichen seelischen Betätigung und die Seele
sammelt und gewinnt dabei einen weit tieferen Einblick in die Geheimnisse
Gottes, als ihn die anregendsten Predigten oder religiösen Belehrungen ihr zu
bieten vermöchten, bei deren Entgegennahme die physische Natur wirklich hörend,
sehend und empfindend mitbeteiligt ist. Dieser Weg, und diese Betätigung des Geistes
dringt ungleich rascher und tiefer als die gewöhnliche psycho-physische
Betätigungsart in den, der Seele gebotenen Gegenstand ein, durchdringt und
durchlebt ihn mehr als die gewöhnliche Betätigungsart es je vermöchte.
3010 |
Je höher die Seele im mystischen Gnadenleben
steigt, desto geistbereiter, geisthöriger, geistempfänglicher wird sie Gott
gegenüber. Damit sie aber das werden kann, muss sie sich immer mehr der
Hemmungen der Materie entledigen; denn Gott spricht selten zum menschlichen Ohr
und lässt sich selten von den Augen des Leibes schauen, – wenn nicht die Seele
zuerst „Gott-hörend“ und „Gott-sehend“ geworden ist.
3011 |
Das mystische Gnadenleben ist also vor allem
eine Entfaltung der Geistestätigkeiten im Hinblick auf das übernatürliche Ziel.
Es zeigt, nach meinem persönlichen Erfahren, welch vornehme Anlagen in der
Seele schlummern, und wie sie langsam immer mehr zur Entfaltung und Betätigung
kommen können. – Auf den höheren Stadien vereinfacht sich der mystische
Gebetsverkehr mit dem Heiland immer mehr. Die Seele wird nämlich dem Geiste
Gottes so nahegebracht, dass ihr dieser Verkehr ganz einfach und nicht mehr
außergewöhnlich scheint wie in den Anfangszeiten. Meine eigene Erfahrung
beweist, dass die Seele im mystischen Gnadenleben schließlich sich mit der
gleichen Selbstverständlichkeit, Einfachheit und Leichtigkeit „im Geiste“ und
in rein geistigen Betätigungen sich bewegen und erleben kann, wie sie es für
gewöhnlich in den psycho-physischen Betätigungen tut. – Zugleich werde ich
hingewiesen auf die vielfache Art von geistig-mystischen Betätigungen, die
ebenso vielen psycho-physischen Betätigungen des gewöhnlichen Seelenlebens
entsprechen. Wie die Seele im gewöhnlichen Leben mittels der physischen Natur
sieht, hört, spricht, versteht usw., so können diese gleichen Akte auch „im
Geiste“, gleichsam „Abgesondert“ von den Bewegungen der physischen Natur und
ohne deren gewöhnliche nach außen sichtbare Mitbetätigung sich vollziehen.
3012 |
So entfalten sich im mystischen Gebetsleben
die feinsten Anlagen der Seele in einem unmittelbaren Verkehr mit dem Schöpfer
und Herrn der Menschenseele und in unmittelbaren Erwiderung Gottes an die
Seele. Dieses gegenseitige Verstehen ist viel sicherer und durchdringender als
es je zwischen Menschen bestehen kann: Die Seele geht ihrem Schöpfer entgegen
und der Schöpfer neigt sich in liebender Vereinigung zu seinem Geschöpfe. – Mit
den sich erhöhenden Gnadenstufen erfährt die Seele in einem immer
umfangreicheren Maße das Wesen Gottes. Ob sich dabei Gott in diesem oder jenem
Geheimnis offenbart, immer bildet Gott bzw. Christus selbst den Mittelpunkt des
Erkennens und Innewerdens. Die Vereinigung mit ihm bleibt immer das Erste und
Zentrale in den verschiedenen mystischen Erfahrungen. Wenigstens habe ich es so
erfahren: Gott lässt sich in der eingegossenen Beschauung zur Seele herab,
zieht sie an sich und enthüllt sich ihr in den verschiedenen Formen. Die
Erwiderung der Seele auf diese göttliche Herablassung beweist, welch feine
Anlagen die Seele besitzt, dass sie sich überhaupt mit Gott treffen kann, und
zwar schon in diesem Leben. So tritt im mystischen Vereinigungsleben die
vornehmste und tiefste Uranlage der Seele zutage, nämlich die „Verwandtschaft
zwischen Gott und der Seele“. In beiden Wesen sind ähnliche Grundeigenschaften
– in Gott freilich in wesentlicher Form, im Menschen aber in geschaffener Weise
– und infolge dieser ähnlichen Eigenschaften können Gott und Seele sich
miteinander „treffen“ und vereinigen, ja die Seele kann Gott in sich
„aufnehmen“, wenn er sich ihr mitteilt; sie kann ihn sich zu eigen und zu ihrem
„Leben“ machen, kann sich in Gott „einrichten“ und „einbauen“.
3013 |
Aber diese, sich ständig erhöhende Gnade im
Geheimnis der Mystik fordert auch eine ständig sich steigernde Umformung des
gesamten Menschseins, weil Gott in einem niederen, sinnenbeherrschten Menschen
nicht „wohnen“ kann. Die höheren Stufen des „Lebens Gottes in der Seele“
erfordern auch einen immer vollständigeren Umbruch und eine Umwandlung der
Seele gemäß der „Art Gottes“. Während sich Gott in den Anfangszeiten gleichsam
mit den höheren Fähigkeiten und Bezirken der Seele begnügt hat, steigt er auf
den höheren Vereinigungsstufen gleichsam bis in die tieferen Bezirke und
Fähigkeiten der Seele herab. Das „Wohnen Gottes“ in der Seele wird
verallgemeinert und das bringt für den Menschen Konsequenzen mit sich, zu denen
die Seele von Gott gleichsam „verpflichtet“ wird – wenn das Leben Christi in
ihr sich wirklich ständig erhöhen soll. Die Steigerung der Forderungen Christi
an die Seele hält ständig1274 gleichen Schritt mit der Erhöhung der
Vereinigung oder dem Maße der Herablassung Gottes zur Seele. – Jede „fühlbare
Vereinigung mit Gott“, die nur beim Fühlen dieser Vereinigung bleibt und nicht
eine durchgreifende moralische Reinigung der Seele fordert, ist eine „Täuschung“
im mystischen Gebetsleben. Schon der erste Gnadenruf Jesu an die Seele, „mit
ihm auf den Berg zu kommen“, fordert zugleich ein „Verlassen“ der Ebene des
sittlich-mittelmäßigen Lebens. Es beginnt damit ein religiös-sittlicher
Aufstieg, der für die Seele selbst umso beschwerlicher und mühsamer wird, je
höher der Aufstieg zur Spitze geht, d. h., je höhere Absichten der Vereinigung
Gott mit der Seele vorhat. –
3014 |
Allmählich sieht Gott das gesamte
Menschenleben in den [im] Dienst seiner Absichten bzw. der fortschreitenden
Vereinigung mit ihm. Nicht nur die geistigen, sondern auch die physischen
Kräfte müssen ihren Beitrag leisten, für das innere Gnadenleben. Christus
steigt gleichsam von den höheren Bezirken der Seele immer mehr herab und nimmt
schließlich das Gesamtleben für sich in Besitz. – Die „fühlbar erlebte“
Vereinigung mit Gott vermindert sich auf den höheren Stufen, aber dafür wird
„Gott selbst für die Seele1275 immer mehr 'offen' und zugänglich
infolge der Einheit ihres Lebens mit ihm“. – Wenn das gewöhnliche Glaubensleben
nicht mehr das Licht geben kann, um die folgenden Wege zur Vereinigung mit Gott
und die dazu nötigen Reinigungen der Seele einzusehen, und zu begreifen, dann
wird das Vereinigungsleben selbst zum Licht, das die Seele läutert und reinigt.
In diesem Zusammenhang wurde ich hingewiesen auf den reichen Jüngling im
Evangelium, der zum Heiland sagte: „Dies alles habe ich getan“ – und der vom
Heiland zu seiner besonderen Nachfolge gerufen wurde, nachdem er die
gewöhnlichen Forderungen der Gebote erfüllt hatte. Nach der allgemeinen
Erfüllung der Gebote gelangt die Seele auf einen verfeinerten Geistesweg, der
für die einzelne Seele zu einem besonderen Ruf der Gnade wird, wenn auch der
allgemeine Rahmen des Glaubenslebens beibehalten wird. – Es werden der
einzelnen Seele erhöhte Anforderungen und Pflichten gezeigt und vor Augen
gestellt.1276 Gott selbst wird dann zum reinigenden Feuer in der
Seele und verzehrt durch die Vereinigung mit ihr alles Ungehörige und
Mangelnde. So wie Feuer das Holz verzehrt und gleichsam es zum Feuer macht, so
durchdringt Gott das ganze Menschsein mittels seiner Vereinigung mit der Seele
und bringt eine Gesamtumstellung hervor. Dabei erlebt man sich zu Zeiten, als
habe man Gott „in sich“, im eigenen Inneren, und man fühlt sich „durchlebt von
ihm“.
3015 |
Während in den Anfangsstadien das Erleben der
fühlbaren Vereinigung sich gewöhnlich in den Gebetszeiten einstellt, erfährt
man in den höheren Stadien auch diesbezüglich eine merkliche Veränderung: Da
wird nämlich das Leben und Dasein selbst von Gott durchdrungen, ohne
Vorbereitung durch das Gebet, und man wird vom Geiste Gottes durchlebt, ohne
besonders dazu erhoben zu werden. – Vielfach betrachten die Menschen ihre Seele
fälschlich als etwas von ihnen Getrenntes und Fernes (wenn man etwa sagt: Man
muss seine Seele retten und mit Gott vereinigen), und sie beachten zu wenig,
dass der Mensch, konkret gesprochen, im Grunde „seine Seele selbst“ ist, dass
das unmittelbare, eigene Ich immer mehr auf Gott bezogen werden soll, dass der
Mensch selbst das Objekt der Vereinigung mit Gott oder das mit Gott zu
vereinigende Wesen ist.
3016 |
Auf den höchsten Vereinigungsstufen wird die
Vereinigung Gottes mit der Seele „objektiv“, d. h., der ganze Gegenstand,
nämlich das ganze Seelen- und Menschenleben wird von Gott erfasst und nach
Gottes Geist geformt und immer mehr für Gott fähig gemacht, während das
fühlbare mystische Erleben zurücktritt und schließlich überhaupt nicht mehr
empfunden wird. Solange man die Vereinigung fühlbar empfindet, ist sie eine
besondere, als Ausnahmezustand empfundene Erhebung einzelner Schichten der
Seele, während die „objektive Vereinigung“ von der Seele selbst nicht mehr als
etwas Außergewöhnliches empfunden wird. In dieser „objektiven Vereinigung“ –
die eine Weiterführung und Vervollkommnung des dauernden Vereinigungszustandes
der geistlichen Vermählung ist – wird das Gesamtleben „Gott angepasst“, dadurch
vereinigungsfähig mit Gott gemacht und in die Gottvereinigung des Subjektes
dieser Vereinigung eingefasst. (– Das Wort „Objektive Vereinigung“ wurde mir
gegeben als Ausdruck für diese noch höheren Vereinigungsstadien).
3017 |
Mit der „geistlichen Vermählung“ oder
„unwandelbaren Vereinigung“ ist gegeben eine vollkommene Umwandlung des Willens
in einer bleibenden Vereinigung der höheren Seelenbezirke mit Gott. Er
besiegelt diese Seele, der er sich „vermählt“ hat, mit seiner bleibenden
Gegenwart und Vereinigung und er macht sie zu seinem unwandelbaren Eigentum,
und zwar infolge der Befähigung, welche die Seele selbst nun erreicht hat, jene
Forderungen und Folgerungen nämlich zu erfüllen und ertragen, die dieser
Vereinigungsgrad mit sich bringt und verlangt. – Diese geistigen Konsequenzen
sind zum Teil allgemeine, die für alle Seelen in diesem Vereinigungsgrade
gelten, zum Teil besondere, die den besonderen Aufgaben, Berufungen,
Anforderungen an die einzelne Seele entsprechen. (Ich will hierüber nicht
unnötig wiederholen, was ich früher schon öfter zum Ausdruck bringen musste.) –
Eine gewisse sittliche Höhe ist für alle Seelen unumgängliche Voraussetzung für
die geistliche Vermählung, denn diese ist ja ein allgemeiner Abschluss einer
gewissen sittlich-religiösen Vollendung, der Abschluss an einem bestimmten,
erreichten Ziel. Der Umfang, und das Ausmaß dieser Vollendung richtet sich aber
auch nach den besonderen Aufgaben, Berufspflichten, in denen sich die einzelnen
Seelen bewegen und bewähren müssen, richtet sich nach den äußeren und inneren
Schwierigkeiten, in denen die Seele wird standhalten und ihre Vereinigung
umwandelbar wird bewahren müssen. So werden z. B. die sittlich-religiösen
Anforderungen an einem Priester andere sein als die an eine gewöhnliche
Ordensfrau. Deshalb kann unter den verschiedenen Seelen im Zeitpunkt der
„geistlichen Vermählung“ ein beträchtlicher Tugendunterschied bestehen, nicht
insofern als die geistliche Vermählung das Erreichen einer unwandelbaren
Vereinigung und darum der Abschluss einer allgemeinen Befähigung dazu1277
ist (diese Voraussetzung ist für alle Seelen bei der geistlichen Vermählung die
gleiche), aber insofern als die geistliche Vermählung zugleich der „geistige
Unterbau“ ist für die weiteren besonderen Aufgaben und Lebensumstände und
Absichten Gottes für jede einzelne Seele, die außer jener „unwandelbaren
Vereinigung“ noch einen mehr oder weniger hohen Grad von Tugend und Kraft
erfordern. So kann und wird im Hinblick auf das besondere Ziel jeder einzelnen
Seele tatsächlich auch ein großer1278 Unterschied des Tugendgrades
auch in jenen Seelen vorhanden sein, welche die Besiegelung dieser dauernden
Vereinigungsstufe und damit eines gewissen1279 allgemeinen
Tugendgrades erreicht haben.
3018 |
Anmerkung: Ich weiß, dass der Ausdruck
„Einheit mit Gott“ insofern einen Widerspruch bedeuten könnte, weil es keine
eigentliche „Einheit mit Gott“ geben kann; denn Gott ist „Alleinsein,
Alleinexistenz ohne Einheitsmöglichkeit mit einem anderen Wesen“. – Ich meine
aber mit diesem Wort die innerlich erfasste „Einheit der Beziehung“ zwischen
dem göttlichen Urbild und dem ganz dieses göttliche Urbild hingeordneten
geschaffenen Nachbild und Ebenbild – – wie später genauer erklärt wird.1280
3019 |
Der erste Mensch ging – infolge der Gnadengabe
einer besonderen Ebenbildlichkeit mit Gott – aus der Hand des Schöpfers in
einer „objektiven Einheit mit Gott“ hervor. Das gesamte seelische und physische
Menschsein war nämlich auf Gott und den Dienst Gottes hingeordnet und war dazu
in einheitlicher Weise fähig, ohne dass die Seele oder der Leib irgendeinen
Widerspruch oder Widerwillen dagegen verspürt hätten. Diese allgemeine und
einheitliche, harmonische Dienstbarkeit des ersten Menschen Gott gegenüber war
die „objektive Vereinigung und Einheit“ des ganzen Menschen mit Gott, die ein
freies Gnadengeschenk Gottes war und die den intimsten Verkehr mit Gott möglich
machte.
3020 |
Infolge dieser einheitlichen Hinordnung auf
die „Art Gottes“ als auf das Ur-Vorbild und infolge einer dem Geiste Gottes
„ähnliche Vergeistigung“ konnte die erste Menschenseele wie auf einer gleichsam
„natürlich“ scheinenden „geistigen Ebene“ und Linie mit Gott verkehren, denn es
waren die nötigen Voraussetzungen vorhanden, um dem Wesen des Schöpfer-Gottes
begegnen zu können. Diese Ebenmäßigkeit zu Gott hin – die freilich nicht im
Wesen des Menschen selbst lag, sondern ein freies Gnadengeschenk Gottes war –
bildete das Grundgeheimnis der „objektiven Vereinigung mit Gott“ in den ersten
Menschen oder der unmittelbaren Verkehrsfähigkeit mit Gott. Diese wunderbare
Verkehrsmöglichkeit mit Gott, die wir in der Fülle des Paradieseszustandes
bewundern, war die Folge sowohl der moralischen Höhe des ersten Menschen wie
auch der psychologischen Ordnung und Harmonie all seiner Seelenkräfte und der
vollkommenen Einordnung der physischen Kräfte in den Geist. Alle, auch die
feinsten Fähigkeiten des Menschen waren dem höchsten Ziel der Einheit mit Gott
zugeordnet und sie waren durch diesen (selbstverständlich übernatürlichen)
Paradieseszustand wie „natürlich“ mit Gott verbunden. Durch ihre besondere
Ebenbildlichkeit mit Gott trugen die ersten Menschen sozusagen in sich selber,
d. h. in ihrem menschlichen Wesen, worin gleichsam ein Abdruck des Ebenbildes
Gottes war. Diese Ebenbildlichkeit mit Gott war ihrem ganzen Sein und Wesen so
sehr eigen, dass sie infolge davon ihrem göttlichen Ideal und Schöpfer wie
naturgegeben verbunden waren; denn diese volle und einheitliche Hinordnung auf
Gott war gleichsam wie ein Naturgesetz in ihr menschliches Dasein hineingelegt
und durchdrang ihre feinsten Fähigkeiten. So ließ die harmonische Betätigung
all ihrer Fähigkeiten die ersten Menschen „wie naturgemäß“ ihres Schöpfers in
ihrem eigenen menschlichen Wesen und in der Schöpfung (Paradieses) innewerden,
und zwar ohne irgendwelche Bemühung. Dieser Zustand war die „Fülle der
objektiven Einheit und Vereinigung mit Gott“, die wie naturgegebene Hinordnung
aller menschlichen Kräfte auf Gott.
3021 |
Trotz dieses glücklichen Zustandes war aber
der Wille der ersten Menschen frei, konnte sündigen – und sündigte. Damit
zerbrach die wunderbare Harmonie im Menschen und entschwand die „objektive
Einheit mit Gott“. Die verschiedenen Kräfte und Fähigkeiten des Leibes und der
Seele „strebten nun auseinander“. Das Innewerden Gottes war damit den ersten
Menschen entschwunden und sie mussten „Gott suchen“ und sich anstrengen, um in
mühsamer Zusammenfassung ihrer verschiedenen Kräfte sich mit Gott in Kontakt
setzen zu können. Die lebendige Abbildlichkeit Gottes, infolge deren sie ihr
göttliches Urbild in ihrem Wesen selbst erfassen konnten, war zerrissen. Gott
wurde den Menschen durch die Sünde zu einem „dunklen Begriff“, dessen Inhalt
zwar unauslöschlich für sie existierte, weil Gott nun zugleich „ihr Richter“
geworden war, während vor dem Sündenfall ein göttlich-wesentliches und ein in
das tatsächliche Wesen des Menschen hineingelegtes Liebesverhältnis zwischen
Gott und Menschen bestanden hatte.
3022 |
Durch den Kreuzestod und die Erlösung Jesu ist
die gesamte Menschheit wieder – in Kraft der Erlöserverdienste – in die
Möglichkeit einer zu erwerbenden „Objektiven Einheit“ oder in die
Verbindungsfähigkeit mit Gott versetzt worden. Die zweite göttliche Person hat
sich mit unserer Menschheit „bekleidet“, und kraft dieser Menschwerdung Gottes
wurde allen Menschen die Verbindungsmöglichkeit mit Gott wieder verdient, und
zwar so, dass nun – im Glauben an Gott – unsere menschlichen Fähigkeiten wieder
zu Gott hinstreben und ihn finden können, und dass unser Menschsein wieder in
Gott aufgenommen werden kann.
3023 |
Die Gnade der Taufe bringt jeden einzelnen
Menschen tatsächlich in eine Lebensverbindung mit Gott – durch den Erlöser,
durch den wir neu Gottes Eigentum geworden und auf dessen Blut und Tod wir
getauft sind. Die den ersten Menschen geschenkte objektive Einheit mit Gott in
ihrer ganzen Fülle ist aber für immer verloren gegangen und jeder Getaufte muss
nun neu anfangen und sich bemühen, seine „Verbindung mit Gott“ ständig zu
erhöhen, und zwar kraft der Erlöserverdienste, die reichlich bereitstehen und
durch die allein wir fähig werden, die Vereinigung mit Gott erhöhen und zu
erweitern. – Diese Erhöhung kann aber nur in dem Maße wirklich und wahrhaft
fortschreiten, als wir uns bemühen, „das Gesetz der Sünde und der Unordnung in
uns zu überwinden“, dem wir durch die Erbsünde und deren Folgen überantwortet
wurden. Tatsächlich kommt auch nach der Taufe eine weitere Annäherung an Gott
nur zustande durch die fortschreitende Überwindung der erbsündlichen Anlagen.
Was wir die „heilig machende Gnade“ nennen, ist im Wesen eine gewisse „Einheit
mit Gott“, die sich nur durch wachsende Abkehr von den sündhaften Anlagen und
zunehmende Überwindung derselben immer mehr vermehren kann. Alle Übungen der
Frömmigkeit bzw. des religiösen Lebens, wie Gebet, Abtötung, gute Werke, haben
als nächstes Ziel uns die Möglichkeit zu verschaffen, unsere bösen,
erbsündlichen Anlagen immer mehr ablegen, überwinden und uns von ihnen
„abkehren“ zu können und auf diese Weise wieder eine objektive oder
„wesentliche“ Hinordnung auf Gott und Vereinigung mit ihm zu erreichen; sie
sind nicht das Ziel selbst und nicht Selbstzweck, sondern sind Mittel zu diesem
Ziel: unsere Verbundenheit und Einheit mit Gott zu vermehren und unser ganzes
Wesen und Sein mit ihm zu vereinigen. Die tatsächliche Vereinigung wächst aber
nur in dem Maße, als der eigene Widerspruch überwunden wird, in dem unsere
gefallene Natur gegenüber dem allheiligen Wesen Gottes geraten ist.
3024 |
Wenn die Sünde die einzige Ursache war für den
Verlust des Paradieses, der wunderbaren Gottebenbildlichkeit und aller Gnaden
der Einheit und Verbundenheit mit Gott (– und dies ist uns durch die Hl.
Schrift verbürgt –), so kann nur das entgegengesetzte Streben, die ernste
Überwindung der Ursachen des Falles und unserer gefallenen Natur uns instand
setzen, dass wir in ständigem1281 Bemühen durch die Erlösungsgnaden
Christi uns wieder in den Besitz der wesentlichen geistigen Güter bringen, die
wir infolge der Erbsünde verloren haben. Und so sicher Christus für uns Mensch
geworden und am Kreuz1282 gestorben ist, so sicher liegt für die
Menschen im Allgemeinen und für jeden Einzelnen die Gnade bereit, die es ihm
ermöglicht, durch Überwindung der Folgen der Erbsünde zur Wiedergewinnung der
sittlichen Reinheit des Paradieseszustandes und der „objektiven Hinordnung und
Vereinigung“ mit Gott zu gelangen. Selbstverständlich gibt es in diesem Bemühen
und auf diesem Wege viele Stufen und Höhenlagen, je nach der persönlichen
Bemühung und nach der Benützung der Mittel und Gnaden durch die einzelne Seele.
Christus hat aber als Erlöser „Vollarbeit“ geleistet und vermöge seines
gottmenschlichen Lebens und seines Todes haben wir die göttliche Gewähr, dass
das „Gesetzt der Sünde“ und ihrer bösen Folgen in uns zerbrochen werden kann
und das wir die entgegengesetzten Güter der Vereinigung mit Gott des Besitzes
Gottes wieder erreichen können. – Gewiss handelt es sich jetzt für uns um eine
Vereinigung im Glauben, aber diese ist, dem Wesen nach, ebenso wahr und sicher
und wertvoll, wie es die paradiesische Nähe Gottes war; zwar wird dieser Glaube
erst in der Ewigkeit in das Schauen und Genießen Gottes übergehen, an dessen
Gütern die ersten Menschen im Paradies schon teilweise sich erfreuen konnten,
aber es ist der gleiche Gott, den wir besitzen werden, und der göttliche Wert
der Erlösung ist so hoch, dass uns gefallenen Wesen in der Ewigkeit an sich
nichts an dem möglichen Genuss dessen entzogen wird, was den ersten Menschen –
im Falle der Beharrlichkeit in ihrem ersten Zustande – im Schauen und Genießen
Gottes für die Ewigkeit bereitet gewesen wäre. Durch die Erlöserfrüchte1283
werden wir Gottes teilhaftig, und zwar in umso höheren und umfangreicheren Maß,
je mehr wir diese Erlöserfrüchte1284 uns zuwenden und aneignen.
Unser Besitz Gottes und unsrer Anteilnahme an seiner Herrlichkeit in der
Ewigkeit richtet sich nur nach unserer eigenen Mitarbeit mit den Gnaden des
Erlösers.
3025 |
Die allgemeine Befähigung für den Besitz
Gottes wurde uns durch die Erlösung Christi verdient; der Grad des Besitzes
Gottes aber hängt von uns ab. – Ein Kind, das nach der hl. Taufe stirbt,
gelangt unmittelbar in den Besitz der Anschauung Gottes, obwohl die Folgen der
Erbsünde nach der Seele als Anlagen anhaften. Das Kind fiel persönlich nie
diesem ererbten moralischen Schwächen zum Opfer, und nur die persönliche
Betätigung im Sinne der erbsündlichen Anlage wird für die einzelne Seele
strafbar, oder ihr als Schuld angerechnet, ebenso wie nur die persönliche
Mitarbeit mit dem Zweck der Erlösungsgnaden Christi im Sinne der Überwindung
der bösen Anlagen zum Verdienst für die Seele wird. Für den Erwachsenen besteht
darum die doppelte Möglichkeit: Entweder benützt und vermehrt der Mensch die
als allgemeine Frucht der Erlösung jedem Einzelnen gebotene Fähigkeit, sich den
Besitz Gottes zu erwerben, und damit vermehrt er auch – als Lohn für seine
Mitarbeit mit den Erlöserverdiensten – den Umfang und Grad und die Höhe des
Besitzes und des Genusses Gottes für die Ewigkeit; oder aber der Mensch benützt
die ihm gebotene Möglichkeit nicht, verliert die Gnade der Taufe – und damit
wird ihm das in der Taufe als allgemeines, mögliches Erbe gegebene Anrecht auf
den Besitz Gottes „genommen“ und er bleibt von Gott für die ganze Ewigkeit
getrennt. Viele Getaufte machen sich zum „Sklaven“ der ihren Seelen anhaftenden
Folgen der Erbsünde und verlieren damit die ihnen schon persönlich zugewendeten
Erlöserverdienste Christi und den Besitz Gottes, der für sie schon möglich
gewesen wäre.
3026 |
Die Erhebung aus den moralischen Folgen der
Erbsünde oder die Überwindung derselben beginnt in den höheren
Seelenfähigkeiten, vornehmlich im Willen, weil die Entscheidung des Willens
durch den menschlichen Verstand und das Licht der Gnade auch1285 die
Übung des Glaubens nahegebracht wird. Durch die Übung des Glaubens kommt es zum
Erkennen und Einsehen der sündhaften, eigenen Anlagen und der Notwendigkeit,
sie zu überwinden. Sobald der menschliche Verstand unter dem Einfluss der Gnade
und der Entscheidung des Willens seine Schwächen anerkennt, steht ihm die
allgemeine Gnade der Erlösung zu deren Überwindung zur Verfügung. – Jede Seele
hat so viel Gnade, dass sie sich mittels ihres freien Willens zum Besseren, zu
Gott hin aufraffen kann. Die allgemeinen Früchte der Erlösung verteilen sich an
alle Menschen.1286 Über diese allgemeine Zuteilung hinaus fließen
aber noch besondere Gnaden an die einzelnen Seelen und an die einzelnen Völker
usw.; diese Gnaden kann Gott von verschiedenen Bedingungen und Umständen
abhängig machen und ihre Verteilung bleibt immer ein Geheimnis seiner1287
göttlichen Weisheit. Jeder Mensch aber – selbst wenn er „außerhalb“ der
katholischen Kirche lebt, aber der inneren Stimme seines Gewissens folgt – hat
so viel Gnade, dass er einer ewigen „leidvollen“ Trennung von Gott entgehen
könnte.
3027 |
Die Anerkennung der bösen Anlagen der eigenen,
gefallenen Natur durch den Willen – und zwar im Hinblick auf Gott und im Lichte
des Glaubens – ist schon ein großer Schritt und Fortschritt auf dem Wege der
Überwindung des erbsündlichen Bösen in unserer Seele. Der Verstand lässt dabei
den Willen mittels des Lichtes der Gnade die sittlichen Schwächen erkennen –
und der Wille sucht dann darüber, Herr zu werden. Je mehr der Verstand (mit dem
Lichte der Gnade) dem Willen die Einsicht in seinen wahren Zustand vorführt,
desto mehr verdichtet und verallgemeinert sich die Bemühung des Willens. So
kommt es zu einem ernsten Zusammenarbeiten in den höheren Seelenfähigkeiten,
das sich ständig ausbreitet und erweitert; entsprechend dem Maße der Erkenntnis
und Anerkennung der eigenen Sündhaftigkeit.
3028 |
Eine tiefere Erkenntnis der eigenen
Sündhaftigkeit ist aber immer nur möglich mit dem Lichte der Gnade, das ständig
die Schwächen der Seele aufdeckt. Dieses Licht der Gnade fließt in einem
gewissen Grad als allgemeine Frucht der Erlösung mit dem allgemein angebotenen
Glaubenslicht mit, muss aber durch die Anwendung eigener Mittel und Bemühungen,
durch Gebet, Opfer und die verschiedenen Übungen des religiösen Lebens noch
„fließender“ gemacht werden als besondere Gnade. Die Tiefe und Wahrheit der
eigenen Selbsterkenntnis richtet sich nach der persönlichen Mitbetätigung mit
den angebotenen allgemeinen Gnaden der Erlösung und nach der persönlichen
Bemühung in der tätigen Übung des Glaubens. Wer sich von seinen erbsündlichen
Anlagen und Fehlern befreien will, muss zuerst die geeigneten religiösen Mittel
anwenden, um zur wahren und tiefen Selbsterkenntnis zu kommen. Je nach dem Maße
der eigenen Mitarbeit mit der allgemeinen Erlösungsgnade fließt diese
reichlicher als „besondere Gnade“ des Lichtes und der Einsicht in die Bedürfnisse
der Seele, und je nach dem Grade der Selbsterkenntnis wird auch ein
entsprechender höherer Grad der Überwindung der bösen Anlagen in der einzelnen
Seele möglich.
3029 |
Die Gottebenbildlichkeit der ersten Menschen
oder das übernatürliche Ebenbild Gottes in ihnen bestand darin:
3030 |
1. Gott drückte als Schöpfer in liebender
Mitteilung sich selbst, d. h. das Abbild seines Wesens seinem Geschöpfe auf. –
2. Die Seele konnte individuell aufgrund ihrer objektiven und existenziellen
Einheit sich mit Gott, ihrem Urbild, treffen und begegnen. Es bestand zwischen
Gott und dem Menschen eine objektive Einheit der Beziehung, nicht in
wesentlicher Form, weil Gottes Wesen und Existenz nie von einem Geschöpf zu
erreichen ist, aber deshalb, weil Gott sich zum geschaffenen Abbild seines
Wesens, nämlich zum Menschen, herabließ, in dem er diesem seinem Geschöpfe
seinen göttlichen Vollkommenheitszustand in einer geschaffenen, nachgebildeten
Weise mitteilte: „Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bild und
Gleichnis!“ – In diesem Geheimnis höchster Gottebenbildlichkeit zeigt sich ein
doppeltes Wunder der göttlichen, unendlichen Liebe des Schöpfers, der sich 1.
auf diese Weise so geheimnisvoll und doch so „wahr“ an seine Geschöpfe
verschenkte und mitteilte und damit 2. den Fähigkeiten der Seele eine solche
psychologische und moralische Vollkommenheit gab, dass ihre geschaffenen
Anlagen in so intimer und individueller Weise ihren Schöpfer „erreichen“
konnten.
3031 |
Die geistige Seele trug in sich die Urzüge
Gottes. Die Vollkommenheiten der wesentlichen Seinsart Gottes (– man möchte
menschlich sagen: Die wesentlichen „Anlagen“ Gottes, wenn Gott „Anlagen“ hätte
und nicht vielmehr Sein, vollendetes Sein wäre –) waren als „geschaffene und
nachgebildete Anlagen“ in der Seele vorhanden und diese Anlagen waren – wie es
im Wesen einer „Anlage“, einer auf ein bestimmtes, letztes Ziel hin sich
entwickelnden und vollendenden Fähigkeit liegt – diese Anlagen waren bestimmt,
in immer höherer Entfaltung und Vollendung jene Urzüge Gottes auszubilden und
auszuprägen. – Die Summe und zugleich die Einheit der Anlagen und Fähigkeiten,
welche das „Existieren“ der Seele ermöglichen, also die Existenz der Seele
selbst war ein geschaffenes Abbild des göttlichen Seins und Wesens. Darin liegt1288
die „objektive Einheit“ (der Beziehung) zwischen Gott und Seele, dass alle
Anlagen und Fähigkeiten und gleichsam „Bestandteile“ der Existenz der Seele1289
in ihrer Art auf Gott, nämlich auf die Nachbildung seiner göttlichen Art und
Vollkommenheiten hingeordnet waren.
3032 |
Diese Ebenbildlichkeit Gottes in den ersten
Menschen war „individuell“, war eine Eigenheit jeder einzelnen
Existenzmöglichkeit, weil nicht bloß alle einzelnen Fähigkeiten, sondern auch
die einmalige und besondere Einheit all dieser Fähigkeiten ein Abbild Gottes
und damit auf Gott hinbezogen war. Das Abbild Gottes in den ersten Menschen war
nicht ein „universales“ Gnadengeschenk, sondern Gott „wiederholte“ sich
gleichsam1290 in jeder einzelnen Seele. Adam und Eva trugen als
individuelle Existenzen das Bild Gottes in sich.
3033 |
Alle einzelnen Fähigkeiten und
Betätigungsmöglichkeiten der einfachen Seele, die zusammen die Existenz der
Seele ermöglichen und bilden, waren in moralischer Hinsicht so vollkommen, dass
Gott „abbildlich“ in ihnen wohnen konnte. Alles, was der erste Mensch tat, war
in der Zusammensetzung der verschiedenen, dazu notwendigen Einzelakte seiner
Fähigkeiten so vollkommen, wie ein ungetrübter Spiegel, in dem Gottes Bild sich
spiegelte und leuchtete und zugleich Gott, den Schöpfer und Herrn, selbst
erfreute, ebenso wie auch die Paradiesesseele in der vollkommenen Ausübung
ihrer Taten sich stets an den höchsten1291 Vollkommenheiten Gottes
erfreute, um die sie wusste und deren Abbild sie bewusst in sich trug. Es war
in den ersten Menschen ein ständiges Wissen um Gott und seine Heiligkeit und
seine Vollkommenheiten, an denen sie sich ständig erfreuen konnten. Es war eine
wunderbare Wechselbeziehung zwischen Gott und der Paradiesesseele. – (Ich habe
über dieses Geheimnis sehr klare Begriffe, aber sie lassen sich schwer in
Worten ausdrücken, weil sie zu geistig sind und zu sehr mit psychologischen und
mystischen Erfahrungen verquickt, als dass man sie anderen in Worten
begreiflich machen könnte. Besonders das Geheimnis der „objektiven Vereinigung
mit Gott“ und das psychologische Geheimnis der „unwandelbaren Vereinigung mit
Gott“ (der geistlichen Vermählung) werden dadurch näher erklärt.)
3034 |
Der Urzweck jeder einzelnen Seele und all
ihrer einzelnen Funktionen war der, Gott in sich selbst als in seinem
Ebenbilde finden und erfassen zu können. Die Gotteserkenntnis der ersten
Menschen war darum „individuell und existenziell“, d. h. mit der Existenz oder
mit den Fähigkeiten jeder einzelnen Seele gegeben. – Dieses wunderbare,
göttliche Gnadengeschenk, wodurch der Schöpfer jeder einzelnen Seele sein
Abbild1292 aufdrückte und einprägte, zeigt so recht die unendliche
Liebe Gottes, mit der er sich selbst an seine Geschöpfe verschenkte und hingab;
denn mit diesem göttlichen Abbild1293 schenkte sich Gott jeder
einzelnen Seele als beständigen Genuss und Besitz, und zwar als individuelle
Gabe, denn jede einzelne Seele trug als Individuum mittels ihrer einmaligen
persönlichen Existenz dieses Abbild Gottes in sich. Nicht als ob jede Seele
durch ihre Existenz „ein Teil von Gott“ oder vergöttlicht gewesen wäre, sondern
insofern sowohl die einzelnen Fähigkeiten oder „Bestandteile“ der einfachen
Seele wie auch ihre allgemeine Einheit auf Gott als ihr immer mehr
auszuprägendes Urbild hinbezogen und hingeordnet waren.
3035 |
Die Paradiesesseele als geschaffenes,
übernatürliches Abbild1294 der göttlichen Vollkommenheiten war in
moralischer und psychologischer Hinsicht fähig, Gottes heiligstes Wesen zu
erkennen und zu erleben, das mit ihren eigenen Anlagen wie „in einer Richtung“,
wenn auch, obwohl in der gleichen Richtung, doch in göttlich-wesentlicher,
unerreichbarer Höhe lag. Die Vollkommenheit des Daseins und der sittlichen Höhe
der ersten Menschen war fähig, das individuelle Abbild des göttlichen Urbildes
aller Vollkommenheit bewusst in sich erleben und ertragen zu können, und zwar
als Dauerzustand – d. h. tatsächlich bis zum Sündenfall.
3036 |
Wir Menschen machen gewöhnlich – wie eben
angedeutet – den Fehler, dass wir uns tatsächlich zu wenig als individuelle und
persönliche Seele erkennen und anerkennen. Wenn wir von „unserer Seele“ reden,
meinen wir damit nur zu oft gleichsam etwas „Sekundäres“, als ob es tatsächlich
von unserer Person entfernt und getrennt wäre. Infolge der vielen Fähigkeiten
und Kräfte, welche den Bestand unserer (dennoch einfachen) Seele stützen und
tragen, werden wir uns kaum oder selten bewusst, dass im Grunde „unsere Seele“
zugleich unsere Existenz ausmacht. Wir denken aber zu einseitig an den „Umkreis
unserer Betätigungen“ und betrachten diesen als die Hauptsache unseres Seins
und Daseins, und wir erkennen uns zu wenig in der realen Einheit unserer
Existenz. Dies wirkt sich aber im religiösen Leben zum Nachteil unseres
tatsächlichen Fortschrittes aus; denn wir bedenken zu wenig die Bedeutung
unseres individuellen Ichs; d. h., wir nehmen und betrachten uns zu wenig als
denjenigen, an dem mittels des religiösen Fortschrittes eine sittliche
Umwandlung vollzogen werden soll. Wir begnügen uns zu sehr mit dem „Tun“ der
religiösen Übung, ohne dass unser tieferes Ich, die Eigenart unserer Person,
genügend in dieses Tun einbezogen wird. Wir bedenken zu wenig, dass der wahre
und wirkliche sittliche Aufstieg unseres Ich oder unserer Person das
eigentliche und letzte Ergebnis unserer religiösen Übungen sein muss.
3037 |
Die Mitteilung des Abbildes Gottes an die
erste Menschenseele traf die ganze Existenz der Seele als die personale
Zusammenfassung und den Zusammenschluss aller diese Existenz tragenden
geistigen und physischen Kräfte und Fähigkeiten. Es war eine wunderbare
Ordnung, „so zu sein“ (wie die ersten Menschen waren) und diese Ordnung schien
ihnen ganz „natürlich“. – Die Hl. Schrift sagt: „Gott lustwandelte mit ihnen im
Paradies.“ Um aber mit jemandem und zumal mit diesen göttlichen Gefährten so
vertraut verkehren zu können, ist eine wunderbare existenzielle Einheit (der
Beziehungen) und Verkehrsmöglichkeit vorausgesetzt.
3038 |
Um zu seinem Geschöpfe zu kommen, muss Gott
sich „herablassen“ und um seinem Gott und Schöpfer nahezukommen, muss die
Möglichkeit einer Beziehung im Geschöpfe gegeben sein oder geschaffen werden,
die eine Überbrückung des Abstandes herbeiführt und eine bestimmte
„einheitliche Linie“ und Verbindung schafft, die nur durch Gott selbst dem
Menschen geschenkt werden kann. In diesem Sinne war zwischen Schöpfer und
Geschöpf im Paradies eine Einheit des gegenseitigen Nahekommens, der
Möglichkeit, sich gegenseitig zu „erreichen“, sich in einer Einheit der
Freundschaft oder des Zusammenseins in einer vertrauten „Zweisamkeit“ zu
finden.
3039 |
Die volle Existenz einer Seele besteht in der
Betätigung aller ihrer1295 Fähigkeiten in einer harmonischen
Einheit. Wenn alle einzelnen Fähigkeiten objektiv Gott entsprechend dienstbar
sein können, d. h. in ihrer Betätigungsart voll und ganz auf Gott hingerichtet
sind, so ermöglicht die volle Harmonie der einheitlichen Betätigung ein „Wohnen
Gottes in der Seele“ und diese voll harmonische Betätigung wird zu einem Abbild
der die Seele bewohnenden göttlichen Natur des Schöpfers. – Dieses Wohnen
Gottes ist aber keine Verschmelzung Gottes und der Seele, sondern eine
Vereinigung aufgrund der objektiven Vereinigungsfähigkeit der Seele mit Gott. –
Beim gefallenen Menschen soll durch die Abkehr der einzelnen Fähigkeiten der
Seele von der sündhaften Gebundenheiten wieder das Wohnen Gottes in der Seele
ermöglicht und ursprüngliche Ebenbildlichkeit Gottes wieder hergestellt werden.
In diesem Sinne wurde ich hingewiesen auf das Pauluswort: „Wisst ihr nicht,
dass ihr Tempel Gottes seid, und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3,16)
3040 |
Aus diesen Tatsachen, die mir innerlich in
klar begreiflicher1296 Weise erfassbar werden, versteht man auch die
Größe des unersetzbaren Gutes, das den Menschen durch den Sündenfall verloren
ging. Statt zu bleiben in der objektiven Gottverbundenheit des
Paradieseszustandes, der eine dauernde und immer noch zu mehrende1297
Gnade hätte sein sollen, fiel der Mensch in einen Zustand des „objektiven
Widerspruches“ gegen Gott. Während früher alle Fähigkeiten seiner Seele wie
naturgemäß auf Gott hingerichtet waren, kehrten sie sich nun von ihm ab und
kamen in Widerspruch untereinander und mit Gott – bis auf ein leises Ahnen
jener früheren, höheren Ordnung, das Gott auch nach dem Sündenfall noch im
Menschen bestehen ließ. Es blieben in der Menschenseele grundgelegt alle guten
moralischen Anlagen des Paradieseszustandes, ja, es blieb auch eine gewisse
„Linie“ der früheren Ordnung und Harmonie bestehen, aber diese wurde zugleich
zum größeren Widerspruch gegen das niedere „Gesetz der Unordnung“, von dem der
Mensch nun erfasst wurde. An sich blieben im Menschen alle Möglichkeiten zum
Guten und das Sittengesetz blieb als Richtschnur seines Handelns im Herzen des
einzelnen Menschen eingeschrieben, sodass der Mensch das Sittengesetz voll und
ganz erfüllen würde, wenn er sich an diese noch in ihm bestehende „Linie“ des
Guten halten würde. Aber dieses höhere Gesetz und diese Richtschnur
zerschellten an der Willensschwäche des Menschen und an der mangelnden Einsicht
des Guten, dass er zu verrichten hätte. Der Mensch verfiel in einen Zustand der
Verdunkelung seiner Verstandeskräfte und der Erkenntnis über sich selbst; zudem
konnte er nicht mehr das tun und ausführen, was er „wollte“1298;
denn die einheitliche Kraft seines Willens war zerbrochen, ebenso wie das Licht
seines Verstandes über den Unterschied zwischen Gut und Böse verdunkelt war.
Der Mensch konnte nicht mehr ausführen, was er „wollte“.1299 So kam
der Mensch in einen Kampf zwischen zwei Gewalten, von denen er hin und her
geworfen wird; er verfiel einem Gesetz des Zwiespaltes in sich selbst: Das
tiefere Gesetz des Guten blieb für ihn ein unauslöschlicher, wenn auch dunkler
Begriff. Das Gesetz des Bösen aber gewann die Überhand infolge der Schwächung
seines Willens und der Verdunkelung seines Verstandes.
3041 |
Gott ist reiner Geist, aber dieser Geist hat
„Eigenschaften“, die sich in einer geschaffenen Nachahmung und Ähnlichkeit auch
im Menschen finden. – Der Geist Gottes „sieht und hört“ und weiß alles, aber
ohne die Organe, die der Mensch dazu nötig hat. Gott „liebt“ und hasst – d. h.,
sich selbst kann Gott nur lieben; die Geschöpfe kann er lieben und nach seiner
Gerechtigkeit auch hassen. Gott kann als Geist auch Zuneigung und Abneigung
„empfinden“ – ohne die Mittel des „Herzens und Gemütes“, die uns Menschen dazu
eigen sind.
3042 |
Gottes Liebe ist in gewisser Hinsicht
verschieden von unserer menschlichen Liebe und doch ist sie im Wesen der Liebe
der Unsrigen ähnlich und gleich; denn die Liebe Gottes und unsere menschliche
Liebe bedeutet, sich zu einem anderen Wesen neigen, sich ihm gültig nähern, ihm
gut und wohlwollend sein und dieses Wohlwollen durch die Tat beweisen. –
Ähnlich ist es mit dem Hasse Gottes. Gott hasst nach dem Maße, wie es seine
Gerechtigkeit verlangt. Hassen aber heißt: Sich aus bestimmten Gründen von
einem anderen Wesen abwenden, es wegen seiner bösen Taten von sich abweisen
usw. – Gott durchdringt als „allsehender“ und alles hörender Geist das1300
Weltall und all seine Geschöpfe, ohne, dass seinem „Sehen und Hören“ Grenzen
gesetzt werden könnten1301. – Gott weiß alles, und sein göttliches
Wissen durchdringt die Geheimnisse seiner Schöpfung; vor ihm gibt es kein
Geheimnis, weil alles Bestehen und alle Möglichkeiten seiner Schöpfung schon
von Ewigkeit her vor seinem göttlichen Wissen standen und weil auch das
Zukünftige nur mit seinem Willen und nach seiner göttlichen Zulassung geschehen
kann. Gott ist der Allwissende und der Erstwissende von Ewigkeit her.
3043 |
Ähnlich wie Gott die Eigenschaften des
„Sehens, Hörens, Wissens“ hat, und zwar als reiner Geist und in unumschränkter
Gebrauchsgewalt, so sind auch die entsprechenden Fähigkeiten des Menschen als
geschaffene und beschränkte Abbilder und Nachahmungen jener göttlichen
Vollkommenheiten in der Hauptsache „Geistanlagen“, obwohl sie zugleich abhängig
sind von den Gesetzen der physischen Natur des Menschen. Zwar möchte es uns
scheinen, als wären die Anlagen des Sehens, Hörens, Empfindens usw. nur oder
wenigstens in der Hauptsache physische Anlagen, aber es sind beim Menschen – im
Gegensatz zum Tiere – doch in erster und entscheidender Linie Geistanlagen, die
in der geistigen Seele des Menschen ihren Sitz haben und von dort aus reguliert
werden. Die physischen Sinnesorgane sind wohl Eingangs- und Ausgangstore,
Aufnahme und Ausdrucksorgane, aber das Bewusstwerden und die Verarbeitung der
Sinneseindrücke geschieht durch die geistige Seele, durch die Aktivität des
Geistes; andernfalls wäre es kein menschliches, sondern gleichsam ein „totes“,
unfruchtbares Sehen und Hören, usw. Zum menschlichen Sehen gehört als erste
Voraussetzung die seelisch-geistige Anlage, die mit jeder normalen Seele
gegeben ist (– die „sehende Seele“, d. h. die Seele mit der Fähigkeit zu sehen oder
die Seele, die sehen kann) und ferner das geistige Bewusstwerden des gesehenen
oder gehörten Objektes, – was eine ausschließliche Tätigkeit des Geistes ist.
So kommt es also im Menschen zum Sehen und Hören nur infolge der „sehenden und
hörenden Seele“.
3044 |
Das Tier hat ganz ähnliche, physische
Sinnesanlagen wie der Mensch, aber es wird dabei nicht von einer geistigen
Seele, sondern von einem „blinden Instinkt“ geleitet; es „erkennt“ auch seine
Umgebung, aber es fehlt die geistige Verarbeitung, und das geistige
Bewusstwerden, und nur der Instinkt wirkt weiter und leitet das Tier durch eine
„blinde“ Reaktion. Gewiss hat auch das Tier diesbezüglich ganz wundersame1302
Anlagen, insofern es z. B. eine mehrmals gesehene Umgebung oder mehrmals
gehörte Stimme wiedererkennen kann, aber es sind immer nur augenblickliche
Einwirkungen und Reaktionen des Instinkts, gelegentlich der Wiederholung des
schon oft Gesehenen und Gehörten. Es ist im Tiere ein instinktives Sehen und
Hören und „Wissen“ ohne die Möglichkeit eines geistigen Bewusstwerdens,
Verarbeitens, Reagierens gegenüber dem Inhalt des Gesehenen usw. – Im Menschen
dagegen vollziehen sich diese Sinnesvorgänge zugleich geistig: Das Gesehene
oder Gehörte wird zu einem geistigen Bild der Seele, das verschiedene Anlagen
der Seele anregt und in Tätigkeit versetzt; es wird zu einem persönlichen
Wissen, wodurch das geistige Seelenleben bereichert wird; es ist also im Grunde
ein „geistiges“ Sehen und Hören, weil das mit den Sinnen gesehene oder gehörte
Objekt zu einem geistig erkannten, bewussten Objekt wird. Sehen und Hören und
Empfinden sind also im Menschen – im Gegensatz zum Tiere – vornehmlich
Geistanlagen, die uns der Schöpfer als Nachahmung seiner göttlichen
Eigenschaften als Allsehender und Allwissender geschenkt hat. Ohne diese
seelischen Geistanlagen würden uns auch die Sinneswerkzeuge kein lebendiges,
wahrhaft menschliches Sehen und Hören vermitteln; so bleibt auch im
neugeborenen Kinde das Sehen und Hören so lange eine „tote“ und unfruchtbare
Eigenschaft, bis der Geist erwacht und beginnt, die von außen kommenden
Eindrücke bewusst aufzunehmen und zu verarbeiten.
3045 |
Der Schöpfer hat den ersten Menschen bzw. den
Menschen überhaupt mit diesen, im Grunde1303 geistigen Anlagen des
menschlichen Sehens, Hörens und Empfindens seine entsprechenden Eigenschaften
in einer geschaffenen, nachgeahmten, beschränkten Weise mitgeteilt. Was Gottes
Wesen in einer unumschränkten Weise besitzt, das hat er geheimnisvoll in jede
Seele gelegt und somit ist auch in diesem Sinne die Seele ein Abbild1304
Gottes.
3046 | Viel höher an Wert als diese auf die physische Mitbetätigung angewiesene Geistanlage des Sehens usw. stehen jene Anlagen der Seele, die wir mit den Namen Fantasie und Gedächtnis zusammenfassen, wodurch die von außen gelieferten Beiträge verarbeitet, das Leben im Allgemeinen in Tätigkeit gesetzt, und im Besondere