Zwei Jahre nach dem Beginn des Pontifikats von Papst Franziskus wird auf den von ihm verfolgten Kurs in Bezug auf die „Wegwerfkultur”, die den Menschen ausbeutende wirtschaftliche Macht und den sich gegen die Würde des Menschen richtenden Materialismus sowohl mit Zustimmung als auch mit Unzufriedenheit reagiert.

Mit dem Ziel einer Klarstellung der wahren Natur des sozialen Lehramtes von Jorge Maria Bergoglio führte ZENIT ein Interview mit dem Journalisten Andrea Tornielli, der mit seinem Kollegen Giacomo Galeazzi – beide sind für die italienische Tageszeitung „La Stampa“ tätig – vor wenigen Monaten den Essay „Questa economia uccide (PIEMME)“ (Diese Wirtschaft tötet) inklusive eines Interviews mit dem Papst veröffentlichte.

Aus dem Buch geht als unbestreitbares Faktum hervor, dass die Soziallehre von Papst Franziskus eine nahtlose Kontinuität zu jener seiner Vorgänger bilde. Dennoch scheint dieser Papst die große Macht des weltweiten Kapitalismus mehr zu stören als dies im Falle der vorangegangenen Oberhäupter der katholischen Kirche geschah. Wie ist dies zu begründen?

Es besteht Kontinuität, kein Kontinuismus. Jeder Papst unterscheidet sich von seinem Vorgänger und wenn stets ausschließlich vollkommene Kontinuität bestünde, wäre der Papst heute ein Fischer am See Genezareth. In diesem Sinne denke ich, dass Franziskus gewisse Finanzmächte ärgert, weil er gleichsam etwas in Vergessenheit geratene Inhalte der Soziallehre der katholischen Kirche beleuchtet und neu vorlegt.

Wurden die Anschuldigungen des „Sozialismus“, wenn nicht sogar des „Leninismus“, in gutem Glauben vorgebracht, oder handelte es sich um Provokationen oder instrumentelle Betrachtungen?

Wenn jemand den Papst als Leninisten bezeichnet, so kennt er weder den Papst noch Lenin. Dies sind grobe und eklatante Anschuldigungen, die von Menschen kommen, die einen jeden als Marxisten bezeichnen, der das Dogma der absoluten Freiheit der Finanzmärkte nicht anerkennt, nach dem wir in der bestmöglichen Welt leben. Auffallend ist, dass die Kritiker an Papst Franziskus so tun, als ob sie Krankheiten an einem System nicht sehen, dass – nach den Worten des Papstes – das Geld abgöttisch verehrt und den Menschen nicht in den Mittelpunkt stellt. Es fällt mir ein wenig schwer, guten Glauben an jemandem zu erkennen, der Bergoglio als Leninisten oder Marxisten betrachtet. Es ist natürlich etwas anderes, über einige Behauptungen des Papstes oder Seiten seiner Predigten oder der „Evangelii gaudium“ Diskussionen zu führen.

Die Soziallehre berührt auch das Thema der Migranten. Auch hier wird dem Papst vorgeworfen, einer wilden Immigration zuzustimmen und sogar mehr oder weniger bewusst ein Voranschreiten des Islam zu fördern…

Die Entscheidung, seine erste Reise nach Lampedusa zu unternehmen, die Umarmung der Migranten und Flüchtlinge, denen die Landung gelingt, das Gebet für die vielen im Meer Umgekommenen, haben weder mit einer Förderung der „wilden Immigration“ noch mit dem Voranschreiten des Islam etwas zu tun; sie stehen in Zusammenhang mit dem Gesicht einer Kirche, die sich auf die Leidenden hinabbeugt, die diese Brüder und Schwestern umarmt und sich gegen die Globalisierung der Gleichgültigkeit stark macht, indem sie das Beweinen dieser Tragödien lernt und sich darum bemüht, solche Geschehnisse in Zukunft zu verhindern. Es ist vor allem eine Frage der Humanität und erst dann der Politik.

Ein wiederkehrender Aspekt der Soziallehre von Papst Franziskus ist die Aufmerksamkeit für die Umwelt und die Sorge um die Schöpfung, welche in der nächsten Enzyklika thematisiert werden. Wird Papst Franziskus Ihres Erachtens die bereits von seinen Vorgängern verlautbarten Prinzipien in ganzheitlicher Form bekräftigen, oder eher originelle und überraschende Gedanken zum Ausdruck bringen?

Es ist mir nicht möglich, über die Inhalte der Enzyklika zu sprechen. Ich stelle mir vor, dass dieses erste so umfangreiche und wohlüberlegte Dokument des Lehramtes sicherlich originelle Gedanken enthalten wird. In dem am Ende des Buches angeführten Interview mit Franziskus antwortete der Papst folgendermaßen auf diese Frage: „Auch für die Rettung der Schöpfung gilt es, die Wegwerfkultur zu überwinden. Die Schöpfung ist das Geschenk Gottes an den Menschen, damit er es behüte, bebaue, dessen Früchte für seine Erhaltung genieße und an die künftigen Generationen weitergebe. Die Berufung zum Behüten ist mehr menschlich als christlich und betrifft alle: Es geht um das Behüten der Schöpfung, deren Schönheit, die Achtung vor allen Geschöpfen Gottes und vor der Umwelt, in der wir leben. Wenn wir dieser Verantwortung nicht gerecht werden, uns nicht um unsere Brüder und Schwestern und die gesamte Schöpfung kümmern, wird die Zerstörung voranschreiten. Leider müssen wir feststellen, dass jede geschichtliche Epoche Nachfolger des „Herodes“ aufweist, die zerstören, Zeichen des Todes konzipieren, das Gesicht des Mannes und der Frau entstellen, die Schöpfung vernichten. Wie Romano Guardini bemerkte, erhielt der Mensch als Geschenk diese „Unkultur“, die er in Kultur verwandelte. Wenn sich ein Mensch jedoch nicht als ihr Behüter sondern als ihr Herr fühlt, so wird er zum Schöpfer einer zweiten „Unkultur“ und begeht so Schritte in Richtung Zerstörung. Denken wir hier an die Atomwaffen, an die Möglichkeit, in wenigen Augenblicken unzählige Menschenleben auszulöschen. Ebenso sei die Genmanipulation erwähnt, die Manipulation des Lebens oder die Gendertheorie, die die Ordnung der Schöpfung nicht anerkennt. Denken wir auch an den Menschen, der den Turm von Babel wieder errichtet und die Schöpfung zerstört.“

Bedeutet diese so ausgeprägte Aufmerksamkeit des Lehramts von Papst Franziskus auf die Themen des „Sozialen“ tatsächlich – wie manche behaupten – eine Relativierung der mit „Moral“ in Zusammenhang stehenden Fragen, oder handelt es sich eher um eine enge Verbindung der beiden Aspekte?

Der Papst hat den Blickpunkt erneut auf die sozialen Themen gelenkt und es ist ein Faktum, dass die Aussagen zu manchen Themen der Moral quantitativ abgenommen haben. Allerdings sind die Worte von Papst Franziskus zu beiden Fragen unmissverständlich: Der Ausdruck „Wegwerfkultur“ wird ebenso mit den Abtreibungs- und Euthanasieopfern assoziiert wie mit den Opfern von  Ausbeutung und Arbeitslosigkeit.

Die Kritik an Papst Franziskus hat sich insbesondere in der Kirche verbreitet: Zahlreiche Katholiken fühlen sich fern vom Papst und nicht nur in Bezug auf die Wirtschaft. Dies gilt ebenso für das gesamte Spektrum von Liturgie über Theologie bis hin zur Moral innerhalb der Familie…

Ich weiß nicht, ob sich wirklich viele Katholiken „fern“ vom Papst fühlen. Gewiss gibt es Widerstände und die größten Widerstände wirken im Inneren. Es gibt Intellektuelle, die bis vorgestern ausgeprägte Papsttreue zeigten und heute vehemente Kritik an Papst Franziskus üben. Das Problem besteht darin, dass der Papst nicht so spricht und handelt, wie sie es wollen. Es ist meine Überzeugung, dass das soziale Lehramt von Papst Bergoglio einer der wahren Reibungspunkte mit bestimmten Bereichen ist, auch wenn medial gewisse Diskussionen über manche Aspekte der sakramentalen Disziplin viel besser funktionieren. Ich möchte jedoch daran erinnern, dass eine auch herbe Auseinandersetzung innerhalb der Kirche kein Novum darstellt und alle letzten Päpste während ihres Pontifikates auch scharfen Angriffen ausgesetzt waren.

 

Quelle: zenit.org

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