Mit zwei Apostolischen Schreiben hat Papst Franziskus das kirchliche Gesetzbuch geändert, um eine Beschleunigung der Prozesse zu bewirken, mit denen die Kirche die Nichtigkeit einer sakramental geschlossenen Ehe feststellt. Das Motu proprio „Mitis Iudex Dominus Iesus“ (Der Herr Jesus, der gnädige Richter) betrifft die lateinische Kirche und ihren „Codex Iuris canonici“ (CIC), das zweite Motu proprio „Mitis et misericors Iesus“ (Der gnädige und barmherzige Jesus) die mit Rom verbundenen Ostkirchen und ihr kirchliches Gesetzbuch.

Beide Papsterlasse tragen das Datum vom 15. August dieses Jahres und liegen derzeit in lateinischer und italienischer Sprache vor. Am Dienstagmittag wurden sie im Pressesaal des Heiligen Stuhls der Öffentlichkeit vorgestellt. Die neuen Regelungen des Kirchenrechts treten am 8. Dezember, mit Beginn des Heiligen Jahres, in Kraft. Kernpunkte der Reform sind vor allem die Abschaffung des bisher üblichen zweiten Urteils durch eine Berufungsinstanz, die bisher das Verfahren in erster Instanz zu bestätigen – oder zu verwerfen – hatte, die Einsetzung der Ortsbischöfe als erste Richter ihrer Diözesen, auch in Ehenichtigkeitsverfahren, sowie die Einführung von „Prozessen kurzer Dauer“, die in Fällen, in denen das Nicht-Bestehen einer sakramentalen Ehe evident ist, deren Nullität innerhalb von dreißig Tagen feststellen können. Bei diesen Schnellverfahren muss immer der Bischof der zuständige Kirchenrichter sein. Schließlich können der jetzt eingeführten Änderung zufolge da, wo es nicht anders möglich ist, in das für gewöhnlich dreiköpfige Kirchengericht auch zwei Laien berufen werden. Und im Extremfall kann das Kirchengericht sogar nur aus einer Person bestehen, die dann aber in jedem Fall ein Kleriker sein muss, der durch zwei mit der Materie vertraute Assessoren unterstützt wird.
Die Annullierung von Ehen gehört heute zum Alltag der kirchlichen Gerichtsbarkeit: Vatikanischen Quellen zufolge wurden 2013 in der gesamten Welt etwa 47 150 Ehen für nichtig erklärt – bei insgesamt 71 800 abgeschlossenen Verfahren. Davon entfielen mit 24 600 mehr als die Hälfte der annullierten Ehen auf die Kirche in den Vereinigten Staaten. In Deutschland waren es in diesem Zeitraum 740 Feststellungen der Ehenichtigkeit.
Papst Franziskus hebt in den beiden Schreiben hervor, dass er mit seiner Reform nicht die Nichtigkeitserklärung von Ehen fördern, sondern lediglich die Prozessdauer verkürzen wolle. Die Gläubigen sollten nicht zu lange im Ungewissen über den Ausgang ihres Prozesses bleiben. Er sei sich durchaus des Risikos bewusst, dass die verkürzten Prozesse auch das Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe infrage stellen könnten, so Franziskus weiter. Um dem entgegenzuwirken, habe er für diese besonders verkürzten Verfahren einen Bischof anstelle eines Richters vorgesehen.
 

Bei der nun erfolgten weitreichenden Reform der Ehenichtigkeitsprozesse hat sich der Papst beraten lassen. Am 27. August 2014 hatte Franziskus eine Expertenkommission berufen, deren Mitglieder am Dienstag auch die beiden Papstdekrete vorstellten. Es handelte sich um den italienischen Prälaten Pio Vito Pinto, Dekan des Vatikan-Gerichts „Rota Romana“, der in der Experten-Kommission den Vorsitz führte sowie um Kardinal Francesco Coccopalmerio, den Präsidenten des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte, Dimitrios Salachas, Apostolischer Exarch für die griechischen Katholiken des byzantinischen Ritus, Erzbischof Luis Francisco Ladaria Ferrer SJ, Sekretär der Glaubenskongregation, Prälat Alejandro W. Bunge von der „Rota Romana“ und Pater Nikolaus Schöch OFM, „Anwalt der Gerechtigkeit“ beim obersten Vatikan-Gericht der Apostolischen Signatur.

Die Pressekonferenz am Dienstag war kurzfristig einberufen worden und dennoch sehr gut besucht, was aber nicht verhindern konnte, dass keine einzige der großen italienischen Zeitungen gestern – die Nachricht von der päpstlichen Reform der Annullierungen landete prominent auf Seite eins – den Sachverhalt richtig darstellte. Selbst von „katholischer Schnell-Scheidung“ war die Rede. Dabei hatten sich Mitglieder der Experten-Kommission alle Mühe gegeben, Inhalt und Sinn der beiden Papst-Dekrete zu erklären.

So hatte Prälat Vito Pinto in einem einleitenden Statement hervorgehoben, dass die Figur des Bischofs und die Armen im Zentrum der Reform stünden. Die Armen wohl deswegen, weil beide Motu proprios in Punkt VI festlegen, dass die Annullierungsverfahren von den Diözesen kostenlos angeboten werden sollen. Hauptziel der Neuordnung, so der Prälat, sei das „Heil der Seelen“. Man habe in der Expertenrunde diskutiert, sei zu einem weitgehend einstimmigen Ergebnis gekommen und der Papst habe dieses Ergebnis nochmals von vier „großen Fachleuten“, die allerdings geheim bleiben sollten, prüfen lassen. Diese hätten Franziskus beruhigt, was Substanz und Form der Dokumente angehe.

Zu der Frage, warum der Papst die Ehenichtigkeitsverfahren noch vor der kommenden Bischofssynode ändert, bei der sie auf der Tagesordnung der Beratungen stehen werden, meinte der Dekan der „Rota Romana“ nur: Am Ende der Synode von 2014 habe der Papst gesagt, dass „die Kirche keine Herrin ist, dass auch der Papst kein Herr ist, sondern dass die Kirche und der Papst Diener seien, und der Papst habe die Bischöfe eingeladen, ebenfalls mit ihm Diener zu sein.“ Ausgehend von dieser „fundamentalen theologischen Ratio“ sei Franziskus zu dem Entschluss gekommen, dieses bedeutsame Dokument schon jetzt, vor und nicht nach der kommenden Synode zu veröffentlichen, weil er in dieser Frage eine weitgehende Übereinstimmung der Väter der außerordentlichen Synode von 2014 festgestellt habe und „die ordentliche Synode jetzt einen Anstoß geben kann, diese Reform mit Liebe anzunehmen“.

Kardinal Coccopalmerio, der Präsident des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte, stellte bei der Präsentation nochmals klar, dass die Abschaffung des zweitinstanzlichen Urteils nicht ausschließe, dass nach dem nunmehr einzigen Urteil des Kirchengerichts vom Ehebandverteidiger oder „Anwalt der Gerechtigkeit“ Berufung eingelegt werden könne. Wenn aber, und das sei nach Worten von Coccopalmerio wichtig, das Kirchengericht zu dem Urteil komme, dass dieser Einspruch nur aufschiebende und verzögernde Wirkung habe, könne es das in erster Instanz gefällte Urteil per Dekret festschreiben. Was die „Prozesse von kurzer Dauer“ angeht, so bekräftigte Coccopalmerio nochmals, dass diese dreißig Tage nach dem Zusammentritt der Parteien mit einem Urteil abgeschlossen und in fünfzehn weiteren Tagen ausgeführt sein sollen.

Der Kardinal kündigte auch an, dass sein Rat für die Gesetzestexte an neuen Normen arbeite, die nicht nur die Annullierungen betreffen, sondern Ehe und Familie insgesamt. Dabei gehe es auch um zivile Gesetzgebungen, die der Lehre der Kirche widersprechen. Es müsse etwa kirchenrechtlich geklärt werden, wie zum Beispiel die Taufe eines Kindes zu registrieren sei, das von einem homosexuellen Paar adoptiert wurde.

Erzbischof Ladaria Ferrer SJ von der Glaubenskongregation machte nochmals den Grund der jetzt erfolgten Reform deutlich: „In unseren traditionellen Gesellschaften konnte man davon ausgehen, dass die Lehren der Kirche bekannt waren und geteilt wurden. In der letzten Zeit hat sich der berechtigte Zweifel eingestellt, dass alle diejenigen, die in der Kirche heiraten, diese Lehren in ausreichendem Maß kennen und ihr Konsens sich wirklich auf diese bezieht. Und wenn das nicht der Fall ist“, so Ladaria Ferrer, „wäre ihre Ehe nichtig, sie würde tatsächlich nicht bestehen.“

 
Quelle: Die Tagespost (Guido Horst)

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