Geistliches Tagebuch von Maria Sieler
und Schriften über Maria Sieler

 

* 3. Februar 1899 in Winterdorf, Steiermark;
† 29. Juli 1952 in Rom

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Gesamtes Dokument

Seiten: 1.309
Wörter: 677.379
Zeichen (mit Leerzeichen): 4.528.163

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Letzte Bearbeitung

Mittwoch, 12. September 2018

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Digitalisiert von Romano Casanova
Bearbeitet von Dominik Wagner
Herausgegeben vom Verein Priesterforum

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Versionshinweis

D4

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Bearbeitungen und Hinzufügungen

Etliche Korrekturen
Absatznummerierung durchgehend
Endnotenverweise (die Endnoten selbst sind in Bearbeitung und wurden vorerst ausgelagert)

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Aufgrund des Umfanges werden die Briefe Maria Sielers in einem separaten Dokument gesammelt

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Übersicht

 

Geistliches Tagebuch von Maria Sieler  und Schriften über Maria Sieler 1

Übersicht 2

Geistliches Tagebuch von Maria Sieler 3

Vorwort des Digitalisierers über die Bearbeitung des Textes 4

Die Jahre 1918-1924 5

Das Jahr 1925 20

Die Jahre 1928/29 27

Das Jahr 1937 31

Das Jahr 1938 43

Das Jahr 1939 51

Das Jahr 1940 63

Das Jahr 1941 137

Das Jahr 1942 243

Das Jahr 1943 399

Das Jahr 1944 523

Einiges aus meinem privaten Tagebuch 738

Das Jahr 1945 757

Das Jahr 1946 837

Das Jahr 1947 862

Das Jahr 1948 948

Das Jahr 1949 980

Das Jahr 1950 1047

Das Jahr 1951 1063

Schriften über Maria Sieler Verschiedene Zusammenfassungen 1090

Leben_ 1091

Gutachten über Maria Sieler 1133

Allgemeines 1223

Pro Memoria 1264

Grundlegende Umrisse über das Priesterwerk 1281

Ausführliches Inhaltsverzeichnis 1287

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Geistliches Tagebuch von Maria Sieler

 

Vorwort des Digitalisierers über die Bearbeitung des Textes

Maria Sielers Tagebuch wurde von Hand geschrieben. Es gibt bei Frau Sieler zwei Arten von Tagebüchern: Ein persönliches und jenes, welches über die Priestererneuerung im Geiste Gottes berichtet. Das hier vorliegende Werk gehört der zweiten Art an. Vereinzelt sind jedoch auch Inhalte aus dem persönlichen Tagebuch eingeflossen. Die zugrundeliegenden Manuskripte (künftig M), die ich bei mir hatte, sind mit Schreibmaschine geschrieben und daher bereits als eine Auswahl und Bearbeitung zu betrachten – Maria Sieler arbeitete nämlich handschriftlich. Alle M's weisen für sich eine kontinuierliche, einheitliche Schreibweise auf. Ich konnte zwei Arten von M's ausmachen: (1) Eine Art von M (künftig M1), die kein „ß“ haben. Sie weisen zusätzlich auch einen einheitlichen übereinstimmenden Schreibstil auf und sind betreffend der Grammatik fast ohne Fehler. (2) In der zweiten Art von M (künftig M2) wurde die „ß“-Regel beachtet. Sofern vorhanden wurde immer M1 als Grundlage genommen, da auf diesen Skripten meist ein Vermerk war: „Komplett“. Die Angabe darüber, welches Skript als Grundlage genommen wurde, steht unterhalb des jeweiligen Titels.

Zu Grammatik und Rechtschreibung im digitalisierten Werk: Es wurde grundsätzlich die neue Rechtschreibung beachtet und dahingehend korrigiert (Duden). Manche Worte weisen jedoch eine Eigenart (Mundart, veraltete Aussagen etc.), die zu verändern einen schweren Eingriff darstellen würde. Diese wurden also möglichst beibehalten. Bespielsweise liest man in M diesen komplizierten Satz: „So schaute ich gleichsam den psychologischen Weg, den dieser Ausspruch Christi gegangen ist von der göttlichen Person als dem 'Ich' bis zum tatsächlichen menschlichen Mitleid und Mitfühlen dieses göttlichen 'Ich', das ein wahrhaft menschlich fühlendes 'Ich' ist.“ Intuitiv würde man die Satzelemente zugunsten der besseren Lesbarkeit anders zusammensetzen oder mehrere Sätze bilden, um das Gemeinte ins Wort zu bringen – das wurde aber im Digitalisierungsprozess unterlassen. Oder: „Unter 'Sinnestätigkeit' oder 'Sinnesleben' ist hier gemeint die allgemeine 'Gefühligkeit' im menschlichen Leib, die zwar …“ Man würde das Verb „gemeint“ an das Ende des Hauptsatzes setzen – auch davon wurde bei der Digitalisierung Abstand genommen. Manchmal sind Sätze also „originell“ verfasst. Wenn der gemeinte Sinn des Satzes nicht eindeutig zu erschließen war, wurde er so belassen, damit sich keine Fehler durch Interpretation einschleichen. Grundsätzlich: Es wurde möglichst so gearbeitet, dass der Sinn des Satzes nicht verändert wird: Entstand der Eindruck, dass der Satz in M stimmig ist, so wurde er so belassen – auch wenn er aus grammatikalischer oder stilistischer Hinsicht anders sein sollte oder könnte. Und im Zweifelsfall wurde ebenso der Text von M übernommen.

Im Falle eines Kongruenz-Fehlers war die Vorgehensweise folgende: Zuerst wurde überprüft, ob das betreffende Wort (oder der Satzteil) dem Satzkontext entspricht. Wenn nicht erfolgte die Korrektur des Wortes oder des (bestimmten bzw. unbestimmten) Artikels oder des Satzteiles. Ansonsten wurde jenes Glied korrigiert, was den Fehler verursacht. Beispiel: „Maria Sieler ist in den Haus.“ Hier ist eindeutig, dass „dem“ stehen muss, da „in“ Dativ verlangt und es keinen Hinweis gibt, dass es „in den Häusern“ heißen soll.

Zuletzt noch ein Wort zum Digitalisierer: Er hat das umfangreiche, vorliegende Werk ehrenamtlich erstellt. Er ist zudem kein Lektor und es werden dementsprechend Fehler unterlaufen sein. Dafür wird der Leser um Verständnis gebeten. Es wurde selbstverständlich versucht, die anvertraute Arbeit möglichst gewissenhaft zu tun. Es wurde genau darauf geachtet, dass der Sinn in den einzelnen Aussagen Sielers getreu überliefert wird.

 

 

 

 

 

 

 

Die Jahre 1918-1924

 

Grundlage M1

 

 

 

 

xx.xx.1918

[Seite 1 fehlt …]

1 |      … fliehen – nicht fürchten vor der Welt, in allen Versuchungen ins heiligste Herz Jesu fliehen. Herz Jesu, du Quell aller Reinheit, erbarme dich meiner! O jungfräuliche Mutter Maria, beschütze mich! – Will mich recht bemühen, freundlich und liebevoll zu sein gegen meine Nebenmenschen. O Jesus, sanft und demütig von Herzen, mach mein Herz dem deinen gleich!

2 |      Aber ich will meinem Jesus nicht nur heute dienen, da er mir so fühlbare Freude gegeben, nein, auch wenn er mir jeden Trost entzieht, wenn's recht traurig und kalt in meiner Seele, wenn ich mich so ganz allein fühle.

3 |      Ein großes Kreuz hat mir der Heiland geschickt: Mein treuer Bruder, gefallen. – Schier zu groß war es mir, es zu tragen. Wie schwer wurde mir die Ergebung in Gottes Willen! Wie habe ich mich dagegen gesträubt! Endlich habe ich mich darin gefunden. Ich gebe mein Kreuz nicht her; ich liebe es. (Schon vorher, als ich für den Bruder betete, trat mir im Gebete wiederholt durch innere Erkenntnis die Möglichkeit nahe, dass mein Bruder nicht heimkomme). – Nicht in Glück und Freude nur soll man Gott dienen, sondern auch wenn er Unglück und Schweres schickt. – Ich hoffe fest von Gottes Barmherzigkeit, dass er eine glückliche Sterbestunde hatte. Ich habe ja so viel für ihn gebetet. Wie oft habe ich ihn dem barmherzigen Herzen Jesu empfohlen nach der heiligen Kommunion, habe für sein körperliches wie für sein geistiges Leben gefleht, um eine glückliche Sterbestunde. Ich glaube, Jesu Herz ist zu gut, als dass er mich nicht erhört hätte. O Jesus, gib ihm die ewige Ruhe!

4 |      Am 3. September heilige Kommunion! Welche Freude für mich! – Montag, 2. September war ein schwerer Tag; ich fühlte meine Kraft zu Ende gehen. Viele Versuchungen, die mir den Herzensfrieden nahmen. Ich sehnte mich hinein in mein Stübchen, um am Fuße des Kreuzes den Frieden zu finden. Ach, wie schwach fühlte ich mich! Der Gedanke an die morgige heilige Kommunion erfüllte mich mit Trost.

5 |      Also, am Dienstag, den 3. September bei der heiligen Kommunion schöpfte ich neue Kraft aus dem Herzen Jesu. Den ganzen Tag fühlte ich so sehr die Nähe des Herrn! Der Gedanke, am Morgen kommuniziert zu haben, beseligte mich den ganzen Tag. O mein Jesus, lass mich nicht scheiden von dir! – 11:00 Uhr abends: Jetzt werde ich mein Abendgebet verrichten und dann schicke ich noch ein inniges „Gute Nacht“ zum Heiland im Tabernakel und werde mich zur Ruhe legen. –

6 |      Freitag, den 6. September. Viele drängende Arbeit, aber erster Monatsfreitag! Heute muss ich zur heiligen Kommunion gehen, und wirklich hab ich's erreicht! Wie groß war mein Verlangen danach und meine Freude! – Ich habe reichlich gefunden, was ich gesucht habe. Den ganzen Tag hat dann die Sonne gescheint in meinem Herzen.

7 |      Samstag: auch wieder Gelegenheit zur heiligen Kommunion. Ja, ich verstehe dich, o Herr. Es ist wahr, wie du gesagt hast: Meine Freude ist es, bei den Menschenkindern zu sein. O Herr, auch meine größte Freude ist es, bei dir zu sein! – Dann kommt der heiß ersehnte Sonntag, an dem ich immer sicher zum Heiland kommen kann. Komm, o Jesus, komm zu mir. Ach, wie sehne ich mich nach dir! – Und er hat sich mir geschenkt. Wer kann deine Liebe, o Herr, zu den Menschen begreifen? Ich stehe vor einem Rätsel. Welche Freude, welcher Frieden! Ganz will ich mich in Jesu Herz versenken. Ach, bräuchte ich doch nie mehr in die Welt zurückkehren! O, dass ich ganz rein wäre vor deinem Blicke – aber wie habe ich mein Kleid beschmutzt? Ach, könnte ich dich so innig lieben, wie du mich liebst! Ich verlange nur nach Liebe, nach wahrer Gegenliebe. – Ja, unermesslich viele Gnaden habe ich heute empfangen und wie hab ich sie benützt? – Wie bin ich so traurig und missmutig! Nur mit Klagen trage ich mein Kreuz. Ich verlange, von Menschen getröstet zu werden. Ich suche die Gesellschaft der Welt, mein Jesus aber sagt mir, die Einsamkeit zu lieben. – Abends nun denke ich zurück an den Tag. Alle Gedanken ziehen an meinem Geiste vorüber. Seltsame Gefühle! So traurig und einsam! Ach, mein Gott, sei du mein Trost! Niemand, gar niemand habe ich, der mich tröstet. Allein bin ich, so allein, niemand versteht mich. Mein Jesus, in dein Herz hinein, da leg ich alle meine Bitten, meine Sorgen, meine Lieben, meine Sünden, ganz tief hinein meine Leiden und Freuden, alle meine Fragen und neuen Tage. – Doch warum schreibe ich dies nieder? Feder, du bist nicht imstande, ein Menschenherz zu ergründen mit seinem Verlangen und Sehnen nach Glück und Befriedigung. Heiligstes Herz Jesu, erbarme dich meiner!

 

April

23.04.1919

8 |      Schon lange habe ich nicht mehr geschrieben. Monate sind vergangen. Wie viel Leid ist seither schon vorüber! Eine schwere Krankheit brachte mich zu Weihnachten an den Rand des Grabes. Doch es war noch zu früh zum Sterben. Der göttliche Heiland, der einst die Kranken von Palästina heilte, kam in nächtlicher Stille zu mir, berührte mich und ich war gerettet. Ja, der heilige Heiland hat den Ruf seines Kindes gehört: „Herr, die du lieb hast, ist krank!“ Wochen sah ich vergehen, und noch immer lag ich im Bett. In schlaflosen Nächten sehnte ich mich nach dem Herrn. Wochenlang den heiligen Sakramenten fernbleiben zu müssen war mir wohl das Allerschwerste. Doch meine Tränen und Bitten rührten Jesus und er kam wieder, mir zur Stärke und zum Trost. In gesunden Tagen bin ich zu meinem Jesus gegangen und er kam zu mir, da ich krank war.

9 |      Endlich, nach Wochen konnte ich wieder das Bett verlassen und doch, jetzt nach Monaten bin ich noch krank. Aber ich kann wieder an Sonntagen wenigstens die heilige Kommunion empfangen, obwohl es mich, ob meiner Schwäche, auch hart ankommt.

10 |                    Lange Leidenstage hat der Herr über mich gesandt. Vielleicht werden sie früher oder später mit dem Tode enden. In diesen dunklen Stunden fühlt man so recht, dass Gott der beste Trost ist. Wie eine gewisse Macht zog es mich hin zu ihm.

11 |                    Und noch immer bin ich krank. Vielleicht werde ich nicht mehr gesund. Vielleicht stehe ich schon sehr nahe meinem Grabe. Ich weiß es nicht, doch ein etwas sagt mir: Ich werde nicht mehr gesund. Nun ja, wenn Gott es will, ich will mich ihm ganz ergeben. Herr, wie du willst, nicht wie ich will! Ich wünsche aber auch viel lieber zu sterben als noch einmal gesund werden; ja, ich freue mich aufs Sterben. Auf der Welt habe ich noch nichts gehabt als Leid und Kummer. Nach dem wird Gott alle Tränen von meinen Augen abwischen. Aber ich wünsche einmal gut und selig zu sterben, auf dass ich auch zu meinem Heiland in den Himmel komme. – Jesus hilf, dass ich dich doch bald in ewiger Lust schauen kann!

12 |                    Was heißt Opferseele sein? – Wenn Jesus sich täglich unzählige Male auf dem Altar im heiligen Sakrament seinem himmlischen Vater opfert und er jedes Mal seine Leiden, seine Verdienste, seinen Tod am Kreuz für die Sünden der Menschen darbringt, soll sich eine Opferseele mit dem Opfer des göttlichen Herzens Jesu vereinigen. – Und ich will Opferseele sein. Fürs erste will ich mich dem liebevollen Herzen Jesu ganz hingeben als SEIN Opfer. Ich will ganz und ohne Vorbehalt meinem Heiland gehören. Ich weihe ihm mein Leben, meine Leiden, vor allem will ich [mich] bemühen, voll und ganz meinen Willen ihm zu opfern. – O mein lieber Jesus, nimm du meinen Willen ganz in Besitz. Ach, so oft folge ich meinem Willen und nur so selten vereinigte ich mich mit dem deinen.

13 |                    Ich will mich recht bemühen, meinem Eigenwillen zu entsagen. Ach, mein lieber Jesus, als du für uns auf die Welt kamst, hast du zu deinem himmlischen Vater gesagt: Siehe ich komme deinen Willen zu tun. – Hilf mir, auch mich dir ganz hinzugeben; ich bitte dich um die Gnade, dies immer besser und vollkommener tun zu können. Mit dem Gedanken „siehe, ich komme, o Gott, deinen Willen zu tun“ will ich jeden Tag aufstehen. Das soll der Grundsatz jeder Opferseele sein und auch der meine.

14 |                    Als Opferseele weihe ich dem Herzen Jesu alle meine Leiden, meine Krankheit. Ich will ihm zuliebe mein Kreuz tragen. Der göttliche Heiland hat ja gesagt: Wer mein Jünger sein will, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach! Und Kreuzesjüngerin will ich sein. Mein Jesus, in dein Herz hinein, da leg ich all meine Leiden, alle Mühseligkeiten und Schwächen, jeden Schlag meines Herzens und vereinige meine Armseligkeiten mit dem Opferleben deines liebreichen Herzens im heiligen Sakrament. Das soll ja der Hauptzweck der Vereinigung der Opferseelen sein, dem göttlichen Erlöserherzen unsere Opfer und Leiden zu weihen und sie mit den Seinigen zu vereinigen und dadurch das Erlösungswerk vollenden und Seelen für den Himmel retten.

15 |                    Als Opferseele will ich meinen Heiland recht innig lieben. Ich will ihn für jene lieben, die ihn nicht lieben. Er ruft ja vom Tabernakel uns zu: „Ich habe einen glühenden Durst, im allerheiligsten Sakrament geliebt zu werden, und so wenige sind es, die meinem Verlangen entsprechen und mein Herz durch ein wenig Gegenliebe erfreuen“. – O mein liebevoller Jesus, ich will dich recht innig lieben und mich bemühen, dir für deine Liebe recht viel Gegenliebe zu erweisen. Aber wie kalt ist meine Liebe, wie lau und gleichgültig bin ich zu oft! O lebensglühendes Herz, verzeihe mir und erfülle mein Herz mit jenen heiligen Flammen der Liebe, die dein Herz im Tabernakel verzehrt. Und besonders bei der heiligen Kommunion schenkt sich mir der liebe Heiland mit seiner ganzen Erlöserliebe. Da will ich ihn recht innig bitten: Ich liebe dich, mein Jesus, aber ich liebe dich so kalt. Gib mir doch eine glühende Liebe zu dir! Und wenn ich meinem Erlöser nach der heiligen Kommunion 1000 mal dies sagen würde, es wäre noch viel zu wenig oft, kommt mir vor, denn schau, mein liebster Jesus, ich möchte dich so recht von ganzem Herzen lieben.

 

Juni

04.05.1920

16 |                    Beichtzuspruch: Ich will in diesem Monat Maria besonders verehren, sie mit kindlicher Liebe öfters grüßen, zu ihr beten, dass sie auch meine Mutter sei.

 

Juli

xx.06.1920

17 |                    Der Wille Gottes führte mich hierher in die Heilanstalt. Und es gefällt mir gut hier. Der liebe Jesus hat schon für sein Kind gesorgt. Jeden Tag hab ich das große Glück, die heilige Kommunion zu empfangen. Niemals werde ich die Liebe meines Heilandes begreifen können. (In einer Art Beschauung geschrieben:) Wenn ich bedenke: Jesus, der sich unseres Sündenelends erbarmte, kam als kleines Kind in dieses Jammertal, lebte hier 33 Jahre, war nur Liebe und Güte zu den Armen und Kranken … Und wie er am Kreuze unter so großen Schmerzen sein Leben für uns hingab – wie er am Abend vor seinem Leiden im Sakrament der Liebe sich für uns zur Speise hinterließ: Ja, da Jesus die seinen liebte, liebte er sie bis ans Ende. – Aber ach, wie bin ich ihm oft gar so undankbar für seine Liebe! Jesus gibt sich mir täglich in der heiligen Kommunion mit seiner ganzen Erlöserliebe, mit seinem heiligen Herzen, welches ja die Quelle dieser seiner übergroßen Liebe ist. Er, der Heiligste und Vollkommenste, der Schönste kommt in mein armes, armes Herz.

18 |                    „Ich habe die größte Freude, in reinen Seelen zu wohnen“, sagte Jesus einst zu seiner heiligen Braut Gertrudis. Aber ach, wenn ich in mein Herz hineinschaue, was finde ich? Gleichgültigkeit, Kälte, Sünden. Ich fühle meine Unwürdigkeit, ach, ich fühle sie viel zu wenig. Herr, mach mich rein! Nimm du mein Herz, es gehört ja dir. Du willst darin jetzt einziehen und wohnen darin, aber ich bitte dich, bereite es zu einer dir würdigen Wohnstätte! Sieh, o Herr, was ist all mein Bemühen? Ich will mich nur nach dir sehnen. – Jesus täglich in der heiligen Kommunion besitzen, welches Glück! Wer Jesus hat, der hat alles: o wahres Wort. Was kann die Welt mir Glück gewähren? Mir hat die Welt noch kein Glück gebracht. Meine glücklichsten Stunden sind die nach der heiligen Kommunion, vereint mit Jesus. Jesus in der heiligen Kommunion besitzen, welche Freude! Gar so vergänglich sind die irdischen Freuden; es sind nur Scheinfreuden. Jesus besitzen ist wahre Freude. Nein, o Jesus, ich will keine andere Freude, nur dich allein! In dir will ich mein Glück und meine Freude suchen.

 

Unbekannter Monat

xx.xx.1921

19 |                    Weil ich nun so allein bin, will ich wieder einmal in dieses Büchlein schreiben. Aber was soll ich schreiben? Ich fühle in mir eine so quälende Unruhe – es dauert schon einige Wochen – und ich fühle mich innerlich so traurig und verlassen; nichts freut mich, ich sehne mich nach etwas Unbekanntem. Ich habe so große Sehnsucht nach dem Heiland und ich kann ihn nicht finden. Und so oft wiederholen sich diese Seelenleiden.

20 |                    Habe diese Woche viermal die heilige Kommunion empfangen; ich bemühte mich jedes Mal, mich so gut ich es vermochte darauf vorzubereiten, aber ich bleibe dennoch kalt und leer. Heute, Sonntag, nahm ich mir besonders vor, recht gut zu kommunizieren, konnte aber wieder so wenig Andacht finden. Das tut mir so weh, gegenüber meinem Jesus so kalt zu sein. Ich habe immer so sehr Verlangen, Jesus zu besitzen, ja, ihn immer mehr und ganz zu besitzen; ich kann es aber nicht erreichen. Ja, ich fühle es, ich bin viel zu arm und sündhaft, als dass Jesus mir fühlbare Tröstung gebe. Aber so recht innig einmal den Heiland besitzen, danach sehne ich mich gar so sehr. Ich möchte ihm alles sagen, was mein Herz bewegt, aber in der Stunde der heiligen Kommunion, da fühle ich mich so kalt. Aber du weißt, o liebster Jesus, dass ich dich liebe, dass ich nur dir gehören will. Du weißt alles, was ich denke, fühle und was mich bewegt. Wenn du dich auch scheinbar mir entzogen hast, so hast du mich dennoch nicht ganz verlassen. – Ich will mich bemühen, in Geduld zu warten bis du wieder kommst, bis die Zeit der Prüfung vorüber ist.

21 |                    Ich bin noch so jung und sollte doch in der Jugend glücklich sein, aber ich bin es nicht. Ein Etwas, was ich selbst nicht begreifen kann, liegt auf mir, was kein wahres Glück aufkommen lässt. Manchmal fühle ich mich gar so niedergedrückt. Meiner Jugend erstes Sehnen hat sich nicht erfüllt. Mein innigster und aufrichtigster Wunsch, dem lieben Heiland im Kloster zu dienen, hat sich nicht erfüllt. Und das tut weh, tut noch immer so weh, immer brennt noch die alte Wunde im Herzen, weil ich mich halt gar nicht glücklich fühle in der kalten Welt. Ach, wie ekelt mich die Welt an! Ich finde keine Freude in ihr; alles ist Schein und Trug. Statt ins stille Kloster hat mich der Heiland einen anderen Opferweg geführt, den Weg der Krankheit und des Entsagens. Manchmal ist es ein harter Kampf, mich einzufinden. Aber dem Herzen Jesu zu lieb, das doch immer das Beste vorhat, will ich mich ihm ergeben. Ich will mich bemühen, im Geiste der Opferliebe Jesu mein Kreuz zu tragen, Jesus gegenüber willenlos zu sein. Und wenn ich mich ganz dem Willen Jesu übergebe, so finde ich in ihm einen großen Trost, dass ich mit keinem Menschen in der Welt tauschen möchte. Der liebe Heiland will ja, dass wir ihm nicht nur dann treu dienen, wenn wir Befriedigung dabei haben. Er freut sich viel mehr, wenn wir seinem Willen dienen.

22 |                    Ich will keinen anderen Trost als Jesus allein. Ich wünsche, ich sehne mich, ihn ohne Unterlass zu besitzen. Ich habe manchmal eine so große Sehnsucht nach dem Heiland, dass ich nirgends bei Tag und Nacht Ruhe finde. Ich glaube, ich würde nicht erschrecken, wenn meine Krankheit schnellere Fortschritte machen würde. Dann dürfte ich schon bald ganz mit Jesus vereint sein. Das ist das Ziel meines Verlangens. Jesus, hilf, dass ich doch bald dich schauen kann in ewiger Lust! Aber, o Herr, dein Wille geschehe! Ich bin bereit, weiter den Opferweg zu gehen. Ich wünsche nur, dass ich immer geduldiger, demütiger, reiner werde und mein Herz immer mehr und endlich ganz dir ergeben sei. (Ich litt besonders darunter, dass mir ein großes Verlangen nach Heiligkeit gegeben war, ein besonderes inneres Ideal mir vorschwebte, dem mein Leben nicht so entsprach, wie ich es wollte).

23 |                    Du allein, o geliebtester Bräutigam meines Herzens, sollst alle meine Sehnsucht, meine Ruhe und meine Liebe sein. Ich will sein eine Opferseele des göttlichen Herzens.

 

xx.xx.1922

24 |                    Endlich will ich wieder in mein Büchlein schreiben. – Heute, Sonntag, 19. Februar habe ich dem lieben Heiland bei der heiligen Kommunion versprochen, ja nichts Ehrenrühriges über meinen Nächsten zu sagen. Ich will dafür recht oft an Jesus im heiligen Sakrament denken und alle unnötige Zerstreuung meiden.

25 |                    Ich habe heute meinem Heiland versprochen, jetzt überhaupt eifriger zu sein. Ich will mich recht des inneren Lebens befleißen und habe den Heiland recht innig um seine Gnade gebeten. Ach, ich war jetzt immer so lange laufen, habe so wenig auf die Stimme des Heilandes gehört, aber jetzt, mein Heiland, soll's anders werden; ich will von jetzt an das Irdische verlassen und Weltliches abstreifen, um desto inniger Jesus zu finden, will die Einsamkeit des Herzens leben, mich an nichts hängen, in der Welt ein Klosterleben führen. O mein Jesus, lass mich dadurch einen Ersatz finden dafür, dass ich dem Sehnsuchtsrufen meines Herzens nicht folgen kann. Ich will eine dem Herzen Jesu geweihte Opferseele sein, will mit dem geheimnisvollen Opferleben Jesu im Tabernakel mich vereinigen, will recht oft an seine Opferliebe denken. Alles, was ich da schreibe, ach, es ist so eine Anregung und ich will es öfter lesen, will jeden Tag mein Vorsatz für die Woche erneuern.

26 |                    Ich war jetzt lange Zeit so lau; ach, das tut mir so weh; wie wird es erst dem Heiland wehgetan haben. Ich fühlte mich geistig so schwach. Ich weiß auch die Ursache: Weil ich so viel mit der Welt hielt, weil mein Herz von so viel irdischen Dingen erfüllt ist. Darum war meine Liebe zu Jesus so kalt und fühlte ich mich von ihm so verlassen. Aber von jetzt an will ich mich Bestreben, dich innig über alles zu lieben. In meinem Herzen ist eine so große Sehnsucht, den lieben Heiland vollkommen zu lieben, immer mit ihm vereinigt zu sein. Ach, wenn ich nur einen recht frommen Beichtvater und Seelenführer hätte, der es mich lehrte, Jesus über alles zu lieben. Aber ich will ihn bei jeder heiligen Kommunion bitten, dass er es mich lehre, so, wie mir einst bei den Exerzitien ein Priester sagte. – O Jesus, ernähre mich mit deinem heiligen Herzblut, erziehe auch mein Herz nach deinem Herzen!

27 |                    In meinem Herzen ist immer ein gewisses heißes Sehnen nach einem ungestillten Glück, ach ich fühle, es ist die Sehnsucht nach dem stillen Klosterleben. Das macht mich manchmal so unruhig. O Jesus, stille du diese Sehnsucht mit dir selber, denn nur du kannst mich voll und ganz glücklich machen.

28 |                    Ich will von nun an mich bemühen, ein dem Herzen Jesu geweihtes Opferleben zu führen.

29 |                    Ich will jeden Sonntag einen bestimmten Vorsatz für die kommende Woche machen. – Ich will mich recht bemühen, eine dem heiligen Herzen Jesu geweihte Opferseele zu sein.

30 |                    Die Faschingstage haben mir viele Freude gebracht. Ich konnte jeden Tag die heilige Kommunion empfangen, konnte so viel knien vor dem lieben Heiland im heiligen Sakrament; leider war ich wohl lau, sollte noch viel andächtiger gewesen sein.

31 |                    (Aus der heiligen Beichte): Ich soll Jesus danken für die bewahrte Unschuld, eine der größten Gnaden. Ich solle mich dem lieben Heiland ganz aufopfern, das letzte und größte Opfer, das Opfer meines Lebens, immer wieder erneuern. Meine einzige Freude und Trost soll Jesus sein. Ein betrachtendes Leben führen (Leiden Christi), Stoßgebetlein zum heiligen Sakrament; festhalten an dem Gelübde der Jungfräulichkeit; es jedes Mal bei der heiligen Kommunion erneuern; mich Bestreben, recht rein und immer behutsamer zu sein.

32 |                    Erster Grad der Hingabe für Opferseelen: Ich will mich ganz dem liebevollen Herzen Jesu hingeben, mein Leben, meine Krankheit und alle inneren und äußeren Leiden, alle Körper- und Seelenkräfte. Ich will ganz dem Heiland gehören und will diese Aufopferung recht oft erneuern.

33 |                    Ich will diese Aufopferung in die Tat umsetzen. Der Heiland will vor allem mein Herz besitzen. Er soll darin herrschen, nicht ich mit meinen sündhaften Neigungen. Ich will jetzt recht arbeiten und kämpfen gegen meine eitlen und eigensüchtigen Neigungen. Weg mit allen eitlen Gedanken, mit eitler Selbstbeschäftigung und aller Eigenliebe! Ich will dem lieben Jesus alle meine Sinne zum Opfer bringen, recht demütig sein. Ich fühle, dass Jesus das von mir verlangt. Er will mein ganzes Herz.

34 |                    Hilf mir, mein Heiland, das zu erreichen; sonst bin ich keine wahre Opferseele. Nimm du meine Gedanken in Besitz, all mein Wünschen und Wollen! Sei du das Ziel meines Verlangens, dass ich nicht mich suche in meinem Tun! Du, o Jesus, sollst herrschen in meinem Herzen. Hilf mir, recht demütig und abgetötet [zu] sein und hilft mir, mich selbst zu verleugnen. – Der Heiland will ein leeres Herz, wo nicht das Ich und die Welt herrscht. Darum will ich Jesus bei jeder heiligen Kommunion bitten, dass er mein Herz ändere und für ihn umgestalte, dass es ihm ganz allein gehöre, nicht mir und nicht der Welt. Ich will in meinem Inneren jetzt fleißig wegräumen, putzen und abstauben, und Jesus wird mir dabei helfen; es ist ja ganz allein für ihn. Das sei mein Vorsatz; ich lege ihn hinein in Jesu Herz, in seine Liebeswunde, dass er ihn segne und zur Ausführung bringe, denn ohne seine Gnade vermag ich nichts.

35 |                    Schon ein paar Tage fühle ich mich so kalt; kein Opfergeist für den lieben Heiland ist in meinem Herzen. Es ist mir so schwer, mich zu überwinden, gegen meine Selbstsucht und den Ich-Geist zu kämpfen. Und dabei ist mir so bange ums Herz. Gewiss möchte ich anders sein. Sicher habe ich die Gnade des Heilandes nicht gut benützt und er entzieht mir darum jetzt seine Hilfe. – O mein Jesus, in dein Herz hinein lege ich meine Schwäche und meinen Wankelmut. Ich bitte dich, gib mir die Gnade, auf die Einsprechungen deiner liebe mehr acht zu haben. Ich sehne mich nach Kraft, ich sehne mich nach dem Heiland.

36 |                    Heute habe ich wieder das große Glück gehabt, Jesus in der heiligen Kommunion zu empfangen. Ich freute mich schon darauf, denjenigen zu besitzen, der gesagt hat: „Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“. – O mein Jesus, mein Alles, bleib in meinem Herzen und wache über mich und sei du allein der Vielgeliebte meines Herzens. Sei du meine Freude und mein Glück, auf dass ich nach nichts in der Welt mich umsehe. Hilf mir, eine wahre Opferseele [zu] sein und mich dir ganz [zu] ergeben, mein eigenes Ich [zu] bekämpfen und allein für dein liebreiches Herz [zu] leben und [zu] opfern.

37 |                    Heute heilige Kommunion. Ich habe den lieben Heiland heute recht innig gebeten, dass er das Licht seiner Gnade in meine Seele leuchten lasse, denn ach, ich fühle mich so niedergeschlagen und allein; kein Licht und kein Stern leuchtet mir. Bei der Beichte war es mir schon so bange; so finster war [es] in meinem Herzen. Ach, könnte ich mein Gewissen meinem Beichtvater enthüllen, aber das kann ich nicht. Wenn ich ihn um dies oder jenes fragen könnte, so wäre mir viel leichter, aber so muss man sich immer durchringen, bis man sich wieder auf dem rechten Weg weiß. Ich will gewiss alles tun, dass ich das richtige Ziel erreiche. Ich habe mich in dieser bangen Angelegenheit meinem Jesus empfohlen. Ich fühlte mich angeregt, recht ruhig darüber zu sein, demütig und ergeben und über nichts nachzugrübeln, sondern mich zu bemühen, den Willen Gottes zu tun, so gut ich ihn eben erkenne und mich über nichts unnötigerweise zu beunruhigen. Und jetzt ist es mir viel friedlicher im Herzen. Ich weiß, dass Jesu Liebe und Sorge über mich wacht. Heiligstes Herz Jesu, ich vertraue auf dich!

38 |                    Jetzt habe ich wieder Gelegenheit, dem lieben Heiland ein Opfer zu bringen, wenn ich ihm zu lieb all diese inneren Leiden geduldig auf mich nehme; denn ich will ja eine Opferseele des göttlichen Herzens sein. O mein Jesus, hilf mir, mir selbst entsagen und jeden Augenblick des Tages dir meine verkehrten Neigungen zum Opfer [zu] bringen, besonders alle geistige Eitelkeit und Selbstgefälligkeit!

39 |                    Heute heilige Beichte und Kommunion. Ich fühle mich innerlich immer noch so traurig und verlassen und konnte bei der heiligen Kommunion keine rechte Andacht finden. Das fühle ich so schmerzlich, denn ich möchte dem lieben Heiland wahre Gegenliebe entgegenbringen. Aber du weißt, dass ich dich liebe. Wenn es dein Wille ist, dass ich dir ohne geistigen Trost dienen soll, so will ich demütig fiat sagen. Ich wollte diese Seelenangelegenheit meinem Beichtvater sagen, aber es kommt mir so schwer an, dies zu tun. Ich fürchte, es könnte doch Eigenliebe oder Einbildung dabei sein. Wenn es bis zur nächsten Beichte nicht besser ist, will ich es sagen.

40 |                    O mein Jesus, gib mir Geduld! Diese inneren Leiden zu tragen ist viel schwerer als körperliche Schmerzen: sich so vom Heiland verlassen fühlen, diese Finsternis im Herzen und diese quälende Sehnsucht nach Jesus und ihn nicht finden zu können! Und da bin ich so schnell mutlos und weiß dann nicht, was ich tun soll. Aber ich will ja eine Opferseele sein und da muss ich ja für alles bereit sein, was der Heiland schickt. Ich will mich bemühen, stark zu sein, mich mit dem stets sich opfernden Herzen Jesu vereinigen und mich ihm hingeben, wie es sich für eine Opferseele gehört.

41 |                    Vorsatz bei der heiligen Beichte: „Fiat voluntas tua“ bei jedem Herzschlag, ja in allen Augenblicken des Tages. Ich will danach kämpfen gegen meine Natur und meine Empfindungen, dass mein Leben bis zur nächsten Beichte ein „fiat“ gegenüber dem lieben Heiland sei.

42 |                    Vorabend von Mariä Verkündigung: Heute bei der heiligen Kommunion, endlich meinen Heiland gefunden! Wie glücklich bin ich! O Jesus, du mein Alles, meine Freude und mein Glück! Wie freue ich mich auf morgen, wo ich wieder das Gelübde der Jungfräulichkeit erneuern kann, wo ich wieder sagen kann: Jesus, du bist mein und ich bin dein. Dir will ich gehören, ganz und ungeteilt meine ganze Liebe, meine Herzensreinheit. O Herr, lass mich eine Lilie sein, woran du eine Freude hast! O seliger Tag, wie ersehne ich dich! Ach, wäre ich auch so rein, dass ich meinem himmlischen Bräutigam ganz wohlgefällig sein könnte! O mein Vielgeliebter, mach mein Herz zu einem Brautgemach deiner Liebe! O Maria, jungfräuliche Gottesmutter, schmücke mein Herz für den kommenden Festtag! Hilf mir, deinem lieben Sohne Freude [zu] machen!

43 |                    Ja, das Fest Mariä Verkündigung war ein geistiger Freudentag für mich!

44 |                    Schon lange habe ich nicht mehr in mein stilles Büchlein geschrieben. Wie viel Schweres hat mir das Leben seither gebracht! Welchen Kummer, wie schwer fühlte ich das Kreuz, das mir der Heiland auferlegte! Mein Jesus, in dein Herz hinein, da leg ich alle meine Leiden, dass du mich lehrest stille sein …

45 |                    Aber mehr als alle diese Leiden fühle ich die inneren Kreuze. Wie ist mir immer so bange bei der heiligen Beichte! Wenn ich mich einmal in dieser Hinsicht mit meinem Beichtvater aussprechen könnte, aber ich getraue mich nicht. (In jener Zeit sprach Jesus schon fühlbar zu mir, was mir eine große innere Ratlosigkeit brachte. Das innere Ziel wurde mir höher gestellt) – mein Heiland, gib du mir Licht, dass ich mich nicht verirre! Ich vertraue auf deine Hilfe. Mach du meinen Willen rein und nur dir zugewandt! – In der Nachfolge Christi steht: es gibt keinen Weg zum wahren inneren Frieden als den Weg des Kreuzes und der täglichen Abtötung. – Ich will mich bemühen, diesen Weg gehen zu lernen.

46 |                    O Jesus, reiß mich los von allen irdischen Dingen, von allen Geschöpfen; denn ich glaube, jede Liebe und Zuneigung, die man den Menschen zuwendet, entzieht man gewissermaßen dem Heiland. Er soll mein Alles sein, mein Trost und meine Zuflucht. ihm allein will ich meine Leiden klagen. Ich will nur jene Freuden suchen, die aus Kreuz und Leiden erblühen, nur Kreuzesblumen will ich, sonst keine.

47 |                    Mein Jesus, hilf mir, dies besser und vollkommener tun. Lehre du mich Kreuzesjüngerin sein! Sei du mein Lehrmeister! Ich vertraue mich dir an. Du hast schon so viele Seelen deine Nachfolge gelehrt. Ich will dich bei jeder heiligen Kommunion bitten, du sollst mein Seelenführer sein. Sei du mein Licht, lehre mich meine Sünden und Fehler erkennen, dass mich die Eigenliebe nicht blende. Ach, da ist mir so bange und ich fürchte mich, ob ich wohl auch auf dem rechten Weg bin.

48 |                    Heute Fronleichnamsfest, das Hochfest der Liebe. Da soll ich dem lieben Heiland recht von Herzen dank sagen für die Einsetzung des heiligen Sakramentes.

49 |                    Ach, wenn Jesus nicht dieses Liebessakrament uns gegeben hätte, wie traurig wäre es auf der Welt! Wem könnte man Freud und Leid erzählen, wer würde uns helfen, unsere täglichen Kreuze und Kreuzlein zu tragen? Aber so sind wir so glücklich, Jesus in unsere Mitte zu haben. Leider vergessen die Menschen, vergesse auch ich so oft, dem Heiland für diese große Liebe zu danken. – Mein Heiland, heute an diesem hohen Fest nimm meinen innigsten und heißesten Dank entgegen! – Wenn ich bedenke, wie viele, unzählige Gnaden du mir durch deine liebevolle Gegenwart im Tabernakel gegeben hast, ach, da bin ich wohl ein großer, großer Schuldner. Wie viele Kälte, Undank, Gleichgültigkeit, ja vielleicht sogar laue Kommunionen ich dir für deine Liebe gab, das muss dir wohl recht weh tun. Aber guter Jesus, ich knie mich geistigerweise hin vor dem Tabernakel und es kommt von meinem undankbaren Herzen: Mein Jesus, Barmherzigkeit! Verzeih mir, jetzt will ich aber anders werden, wirst es sehen, mein Heiland! Schenk mir, ich bitte dich, auch ferner deine Liebe! Nicht wahr, liebster Jesus, kommst wieder gerne in mein Herz bei der heiligen Kommunion? Schau, ich komme auch so gern zu dir! Bereite du mein Herz jedes Mal vor, denn ich bin es nicht imstande. Gib mir, o Jesus, ein recht großes Vertrauen auf deine Liebe, besonders bei der heiligen Kommunion, denn das Vertrauen ist ja der Schlüssel zu deinem Herzen!

50 |                    Ich habe immer ein solches Verlangen nach dem Heiland und, wenn ich so sagen darf, eine gewisse Sehnsucht nach Leiden. Kommt das von Jesus oder ist es seine Täuschung? Ich fühle immer eine solche quälende Sehnsucht, die sich nicht befriedigen lässt. – Du hast unser Herz für dich geschaffen und unruhig ist es, bis es ruht in dir, o Gott!

51 |                    Ich will immer mehr nach der Vereinigung mit Jesus streben. Welches ist der kürzeste Weg dahin? Ich glaube, Liebe und Leiden, ein verborgenes Leben, wahre Kreuzesliebe. – Mein Heiland, sei du mir Licht, sei du mein Seelenführer, dann werde ich nicht irregehen.

52 |                    Heute habe ich den lieben Heiland wieder beleidigt; darüber ist mir so bange. Was soll ich tun? Mich ihm zu Füßen werfen und ihn um Verzeihung bitten, dann wird er mir wieder gut sein; bei der nächsten Beichte es sagen mit dem Vorsatz, diesen Fehler mit seiner Gnade nicht mehr zu begehen. – Wenn es in mir manchmal so unruhig ist und ich genau nachdenke, dann habe ich bestimmt den Heiland in irgendeiner Weise beleidigt. Das ist eine ernste Mahnung von ihm.

53 |                    Heute Abend will ich eine Stunde lang aufbleiben, um dem Heiland in geistiger Weise Gesellschaft zu leisten vor dem Tabernakel, besonders aber, um seine Todesangst am Ölberg zu verehren, so wie er es von der heiligen Margareta Maria verlangt hat.

54 |                    Mein Jesus, mach mich zu einer wahren Opferseele deines heiligen Herzens, so wie es Zweck und Ziel des Vereins ist!

55 |                    Wie glücklich bin ich, dieser Vereinigung anzugehören, dir Liebe und Sühne und Opfer darzubringen für jene Seelen, welche dich verachten und beleidigen! Hilf mir immer vollkommener [zu] werden; ich gehöre dir, bin dir geweiht durch das Gelübde der Jungfräulichkeit. Hilf mir, mein liebster Bräutigam, reinen Herzens sein, um dich einst ewig zu schauen. Jesus hilf, dass ich doch bald dich schauen kann in ewiger Lust!

56 |                    „Mein Jesus, ich will nichts als dich, was du mir nimmst; ich beuge mich. Nimmst mir mein Liebstes: Herr, es sei, bricht auch das Herz mir, wird's doch frei. Ja, nimm nur alles hin von mir, nur Eins – das flehe ich heiß zu dir – und lass mir, lass mir bis ans End: Die Nähe von deinem Sakrament!“

57 |                    Heute Herz-Jesu-Sonntag, einer meiner liebsten Festtage des Jahres. Besonders heute sollen wir dem Herzen Jesu Sühne und Liebe bringen und ihm Abbitte leisten für all die Sünden und Verbrechen, die seinem heiligen Herzen zugefügt werden. Ehre, Liebe, Sühne dem göttlichen Erlöserherzen!

58 |                    Ach, ich fühle mich heute so allein und niedergedrückt. Meine Seele sehnt sich nach Licht. Heiligstes Herz Jesu, ich vertraue auf dich!

59 |                    Wenn ich mich nur einmal mit einem Priester aussprechen könnte, aber so habe ich immer wieder Zweifel und Bangigkeit. Ich habe auf der Welt niemand, dem ich mich anvertrauen könnte. „Aber wenn ich auch wandle in Totesschatten, so fürchte ich kein Unheil, weil du bei mir bist“. Der Herr ist mein Licht, was soll ich fürchten?

60 |                    Aber nur nicht verzagen! Jesu Herz wird mich nicht verlassen. Ich bin ja eine Opferseele; da darf ich nicht sogleich verzagt sein.

61 |                    Mein Jesus, in dein Herz hinein, da leg ich mein Seelenheil, alle Unruhe! Sei du mein Seelenführer, auf dass ich mich nicht verirre! In dein Herz lege ich das Opfer, das du jetzt wieder von mir verlangst, die Verkennung und Verdemütigung, so schwer es mich auch ankommt, den letzten Trost, den ich noch auf der Welt hatte. Ich leg dieses Opfer in dein heiliges Herz; gib mir dafür recht innige Liebe zu dir!

62 |                    Los von allem, was du, o Herr, nicht bist! Lös mich los von allen irdischen Banden! Herr, dich allein! Ich will eine Opferseele sein, ganz dir hingegeben für alles Kreuz, das du für mich bestimmt hast!

63 |                    Durch Leiden kann man am wirksamsten an der Rettung der Seelen für den Heiland wirken. Ich will großmütig sein gegen den Heiland. Nur keine Kreuzesscheu, mutig und ohne Zögern dem Heiland das zum Opfer bringen, was er von uns verlangt!

64 |                    Als Opferseele muss man auch bereit sein, dem Heiland Sühne und stellvertretende Genugtuung zu leisten für alle unglücklichen Seelen, die in der Sünde fortleben. Durch Opfer und Leiden müssen wir als Opferseelen dem Heiland einen Ersatz bieten, um Ihnen dafür die Bekehrung zu erflehen.

65 |                    Ich möchte dem göttlichen Herzen gern ein Opfer bringen für Seelen, die mir nahe stehen. Ich möchte dem Heiland das Opfer meines Lebens bieten, um Seelen vor dem ewigen Verderben zu retten, aber noch fühle ich nicht ganz den Mut und die Kraft dazu. Da sehe ich wieder, wie sehr ich noch am Leben und am Irdischen hänge, und zudem muss man noch die Erlaubnis des Beichtvaters haben und das getraue ich mir nicht zu sagen. Mein Jesus, gib mir die Kraft! Wenn es dein Wille ist, wird es schon noch geschehen.

66 |                    (Jesus verlangte von mir im Jahre 1922 das Opfer des Lebens, gebracht am 15. August 1922. – Jesus versprach mir damals: „Wenn du das tust, wird keiner deiner Angehörigen verloren gehen.“)

67 |                    Mein Heiland, sei du mein Licht, dass ich mich nicht verirre! Erleuchte mich, dass ich meine Sünden erkenne! Da ist mir immer so bange! Sei du, o Herr, mein Licht, dass mich die Eigenliebe nicht blende! Gib mir wahre Demut, dass ich mich selbst erkenne! O Jesus, gib mir die Gnade der Demut und Erkenntnis meines eigenen Nichts!

68 |                    Exerzitien 1922: Ich will mich bemühen, gute Exerzitien zu machen; ich bitte dich, mein Heiland, gib mir deine Gnade! Dazu hast du mich hierher gerufen, um einige Tage die weltlichen Dinge zu vergessen und mit dir allein zu sein. Ein einziger Gedanke: Jesus und ich! – Das soll der Grundgedanke dieser Tage sein: Dich, mein Heiland, immer mehr zu erkennen in deiner großen Liebe, in deine grenzenlose Hingabe an die Geschöpfe; mein eigen Ich zu erkennen, all meine Sünden und Schwächen, meine Gleichgültigkeit dir gegenüber. O Jesus, hilf mir, mich selbst erkennen! Gib mir die Gnade einer guten Exerzitienbeichte. Ich will all meine Zweifel und Unruhen dem Priester sagen. Sprich du durch ihn zu mir, dass ich den richtigen Weg finde, der mich immer näher zu dir führt!

69 |                    Gib mir, mein Heiland, die Gnade, das Opfer (= das Opfer meines Lebens anbieten) zu bringen, das, wie ich glaube, du von mir verlangst. Gib mir Großmut gegen dich, dass ich kein Kreuz und kein Opfer scheue!

70 |                    Maria Himmelfahrt: (1922) ein Tag reinster Freude für mich! Bei der heiligen Kommunion mich dem göttlichen Herzen ganz aufgeopfert, so wie ich erkenne, dass er es will (das Opfer meines Lebens angeboten). Und ich bin so überaus glücklich darüber. O mein Jesus, nimm mich hin, wann ich dir am liebsten bin!

71 |                    … Ich will mich von jetzt an mehr bemühen, mein nichtswertiges Ich zu bekämpfen, auf dass Jesus immer mehr in meinem Herzen zur Herrschaft komme und ich endlich sagen kann: „Ich lebe, doch nicht ich, sondern Jesus lebt in mir!“

72 |                    Mein Heiland, bewahre du dein Kind rein von jeder Sünde; ich hätte dann auch eine große Freude.

73 |                    Die heilige Kommunion – mein Himmel auf Erden! Mein größtes Glück! Mein Jesus, mein Alles! Mein Lehrmeister, mein Seelenführer. – Mein Jesus, in seliger Vereinigung gibst du mir alles zu erkennen, was du von deinem Kinde willst! Ein reines, stilles Herz, leer von der Welt, immer bereit, deiner Stimme zu folgen, volle Hingabe an deinen heiligen Willen, reine, glühende Liebe, die sich im Opfergeist äußert.

74 |                    Wie süß die Rast nach Leid und Last, an Jesu Brust, der treuen! Wie muss das Herz trotz Kreuz und Schmerz beim Heiland sich erfreuen!

Gebetssammlung November:

75 |                    Mein Heiland, hilf, dass ich es auch einmal zu was bringe! Ich will nicht früher ruhen als bis ich meinen verdorbenen Willen und meine bösen Neigungen gänzlich unterdrückt habe und Jesus allein in meinem Herzen herrscht. Sonst kann ich nie eine wahre Opferseele sein.

76 |                    Eine Opferseele des Herzens Jesu in ihrer Vollendung! O du mein höchstes Ideal!

77 |                    Mein Heiland, mach aus mir eine vollkommene Opferseele, ich biete mich dir an, vernichte allen Widerstand, den dir meine Armseligkeiten und Sünden entgegenstellen! Mit der glühenden Liebe deines Herzens fülle den Abgrund, der mich von dir trennt, dass ich dir immer näher komme!

78 |                    Wenn ich auch durch das Opfer meines armen Lebens irgendwie zur Rettung der Seelen beitragen kann, Herr, so nimm es hin!

79 |                    Mach mich stark zu jedem Opfer und wenn es mein Herzblut wäre! Du weißt, mein Heiland, du weißt alles!

 

Januar

01.01.1923

80 |                    Neujahrstag. Was soll ich meinem Jesus als Neujahrsgeschenk bringen? So dachte ich mir heute Morgen bei der heiligen Kommunion. Was wird ihm am meisten Freude machen? – „Mein Kind, gib mir dein Herz!“ So rufst du immer wieder den deinen zu.

81 |                    Mein Jesus, ich gebe dir heute mein Herz und als Gegengabe, mein Heiland, was gibst du mir? – O senk in dieses dir geweihte Herz neue, glühende Liebe zu dir hinein!

82 |                    Ganz lege ich ins heiligste Herz Jesu das ganze kommende Jahr und alles, was es bringen wird, Freud und Leid, all meine geistigen und leiblichen Angelegenheiten.

83 |                    Mein Jesus, eine Bitte: Gib mir mehr Vollkommenheit, mehr Seeleneifer, mehr Opfergeist, mehr Liebe, mehr Hingabe!

84 |                    Im neuen Jahr nur eine Liebe – Jesus; nur eine Sehnsucht – Jesus; nur ein Wunsch – Jesus; nur eine Freude – Jesus; nur ein Ziel – Jesus!

85 |                    Mein Jesus, ich erneuere heute wieder meine Hingabe an dich als Schlachtopfer. Herr, nimm an das Opfer deines Kindes!

86 |                    Ich biete mich dir für alles an als dein Opfer, über das du verfügen kannst nach deinem heiligen Willen. Ich biete dir an das Opfer meines armen Lebens. Mein Jesus, du weißt alles, du weißt, dass ich dich liebe. O mein Jesus, nimm mich hin, wann ich dir am liebsten bin!

87 |                    Endlich bin ich eine mit Jesus auf dem Altare dargebrachte Opferhostie. Mein Heiland, wie danke ich dir für diese so unendliche große Gnade! Du hast gesiegt, und was soll dein Kind anders als sich dir ergeben? Du hast mir deinen Diener gesandt, hab Dank, mein Heiland, dafür!

88 |                    Und jeden Tag opfert mich jener Gottgesandter immer wieder mit dem Heiland vereint bei der heiligen Messe. Meine Seele, bedenke, was das für eine große Gnade ist!

89 |                    Täglich opfert mich ein Priester bei der heiligen Messe dem lieben Heiland und jeden Tag morgens vereinige ich mich mit jenem Priester, der mich bei der heiligen Messe zum Opfer bringt.

90 |                    Sooft ich tagsüber oder in der Nacht denke, erneuere ich dieses Opfer. Jeder Schlag meines Herzens soll es erneuern.

91 |                    Schon seit Wochen lagert in meiner Seele tiefe Nacht und Verlassenheit. Kein Licht, kein Sternlein leuchtet mir. Mein Jesus, ist das deine Antwort, die du deinem Kinde schickst?

92 |                    Wohlan, mein Jesus, deine übergroße Liebe war es, die mich zu jener Hingabe befähigte, deine Liebe hat mich an dein Herz gezogen, deine Gnade wird mich stützen, die Folgen dieser Hinopferung zu tragen.

93 |                    Trotz dieser inneren Verlassenheit und Dürre bin ich so voll Ruhe und Ergebung. Nur die Sehnsucht nach dem lieben Heiland quält mich, und die Furcht, ihn zu beleidigen.

94 |                    Bei der heiligen Kommunion am Mittwoch leuchtete wohl ein Sternlein durch die dunkle Nacht meiner Seele. – Da, am Herzen Gottes erkennt man so vieles, was ich nicht imstande bin, niederzuschreiben. O mein Jesus, wie bist du so gut! Dir vertraue ich mich ohne Vorbehalt an.

95 |                    Heute heilige Kommunion. Nachmittags will ich zurückdenken an diese wonnevolle Stunde. O, dass ich die Liebe meines Heilands besser begreifen könnte! Mein Jesus, dein Kind hat immer so sehr Sehnsucht nach dir!

96 |                    Ich habe heute Jesus gebeten, dass er immer in meinem Herzen bleiben möge, nicht nur bei der heiligen Kommunion, wenn auch nicht in fühlbarer Weise, auch dann, wenn ich mich scheinbar von ihm verlassen fühle in innerer Trockenheit und Traurigkeit.

97 |                    Mein Heiland, verlasse dein Kind nicht! An deinem süßen Herzen lässt du mich erkennen, dass deine Gegenwart aller Opfer wert ist, dass du mich vollkommen beglücken willst. Nur volle Hingabe verlangst du. Ach, wie wenig entspreche ich deinem Verlangen. Habe Geduld mit mir! Du weißt, dass ich dein schwaches Kind bin. Mit deiner Gnade werde ich dir doch immer wohlgefälliger werden.

98 |                    Wie oft wundert es mich, dass ich dir nicht zu untreu bin. Wie viele Rückfälle an einem Tag! Wie ist es mir dann bange, wenn ich das so erwäge: Wie kann der liebe Heiland an mir Freude haben mit meinen vielen Untreuen?

 

99 |                    Herr, du allein genügst! Das war der Ruf deiner Auserwählten. Herr, dich allein! Das soll der Sehnsuchtsruf meines Herzens sein. Und wie viel ließest du mich über dieses Wort erkennen bei der heiligen Kommunion! Nach dir soll all mein Streben gehen, all meiner Sehnsucht Ziel sollst du sein. Du mein alles, mein einziger Schatz und mein liebster Bräutigam. Dir habe ich die Lilie meines Herzens geweiht. Du bist mir Alles geworden.

100 |              Zu dir erhebt sich mein Geist des Morgens, dich wenigstens geistigerweise auf dem Altare anzubeten, wenn ich es nicht wirklich tun kann. Nach dir sehne ich mich, nach sakramentaler Vereinigung oder doch wenigstens geistig im Verlangen, dich zu empfangen.

101 |              Und untertags will ich mich auch bemühen, recht oft die innigsten Grüße zum Tabernakel zu schicken, um immer in deiner Gegenwart zu sein. Und über den Zerstreuungen des Tages sucht mein armes, unruhiges Herz wieder Ruhe abends im Gebetsverkehr. Jeden Tag freue ich mich auf das Abendgebet, um mein kaltes Herz wieder am Herzen Jesu zu erwärmen. Wenn ich nachts erwache, so bist du wohl mein erster Gedanke, dich im Tabernakel zu grüßen.

102 |              Mein Jesus, du hast mich bewogen, mich dir als Schlachtopfer deiner Liebe hinzugeben. Wie viele andere Seelen werden dir aber treuer als ich! Dieser Gedanke hat mich lange Zeit angehalten, mich dir in dieser Weise zu opfern.

103 |              Wie wenig Gegenliebe erweise ich dir, wie bin ich so kreuzesscheu und zaghaft, wenn ich mich überwinden soll, meiner Eigenliebe [zu] entsagen, meinen Willen [zu] brechen!

104 |              Ach, mein Jesus, ich mache dir wohl wenig Freude. Und das tut mir selbst weh und betrübt mich. Ich möchte dir gegenüber glühend sein. Mein Heiland, schick mir einen frommen Führer, der mich lehrt, dir recht treu zu sein, auch im Kleinen!

105 |              Jesus muss herrschen, ich muss abnehmen! Das soll mein Kampfesruf sein, denn ich täglich erneuern will. Jesus, um diese Gnade bittet dein Kind.

 

Juli

01.06.1924

106 |              Was habe ich heute am Anfang des Herz-Jesu-Monats meinem lieben Heiland bei der heiligen Kommunion versprochen?

107 |              Gleichsam tot und abgestorben sein mir selber, keinen Willen, keinen Wunsch zu haben; nur Jesus soll in mir herrschen.

108 |              Wie viele Gnaden habe ich in letzter Zeit von Gott erhalten! Ich durfte durch besondere Anregung der Gnade das Gelübde ewiger Jungfräulichkeit ablegen. Welch große Gnade, die Gott nicht jeder Seele gibt!

 

Exerzitien 1924 im Vinzentinum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Jahr 1925

 

 

 

 

Juli

25.07.1925

109 |              Wie lange schon lagert tiefe, dunkle Nacht über meiner Seele; kein Sternlein, kein Sonnenstrahl erhellt das Dunkel. Mein Herz sehnt sich nach Licht von oben, meine arme Seele verlangt nach Ruhe und Frieden, aber wie sie auch ruft: Es bleibt Nacht. Wenn Jesus, das ewige Licht, zu mir kommen wird, so ist vielleicht morgen meiner Seele Sonnentag. Mein Jesus, wenn du bei mir einkehrst, dann werden die Nebel verschwinden, denn ich habe schon so sehr Sehnsucht nach dir; und wenn es auch Nacht bleibt in mir, du gibst mir doch Kraft zum Durchhalten in den Prüfungen, die du über meine Seele verhängt hast. – Und wenn mein Herz so mit Sehnsucht nach meinem Heiland erfüllt ist, so ist das immer ein gutes Vorzeichen. Jesus wird mich dann bald heimsuchen.

 

26.07.1925

110 |              Mein erster Gedanke am Morgen: Heute kommt mein Jesus zu mir. Viel leichter als sonst ist es in meiner Seele; eine innige Freude erfüllt mein Herz. Jesus, mein Jesus, ach, wäre der Augenblick schon da, der mich mit dir vereint! Sonst bin ich so kalt, so trocken; heute ist mir alles so klar! Mein Gott, mach mich so rein, so heilig, ganz wie deine Mutter es war, als sie dich empfangen hat, ganz so, dass ich dir gefalle! – Ein inniges Vertrauen erfüllt mein Herz; es zieht mich so mächtig hin zum Tabernakel, zu ihm, dem Geliebten meiner Seele. – Und endlich, endlich habe ich ihn, o Seligkeit! O Glück nach langen, langen Leidensnächten! Heute darf ich bei Jesus sein und Jesus würdigt sich, seinem unwürdigen Kinde Zeichen seiner Gegenwart zu geben. Ich fühle gleichsam seinen Herzschlag in mir; ich fühle mich eingetaucht in ein Meer von Glück und Freude und Liebe, die mich ganz überfluten. Alle Zweifel schwinden wie Nebel vor der Sonne.

111 |              Heute kann ich bei Jesus sein. Wenn ich meinen Heiland sehen könnte, es würde keine größere Freude sein, als die ich jetzt empfinde. Alle Leiden, alle Zweifel und alle meine Kämpfe, alles Schwere erzähle ich ihm wie ein Kind seinem Vater. Jesus spricht zu mir, zu meiner Seele; ich darf mit ihm reden, so wie man mit Menschen verkehrt. Ja, wenn ich ihn bitte in den übervollen Gefühlen meines beglückten Herzens: „Rede Herr, dein Kind hört“, sagt Jesus so vernehmlich: „Ist meine Gegenwart nicht eine laute Sprache?“ – Niemals wäre ich imstande niederzuschreiben, was ich empfunden. Jesus belehrt mich, wie ich ihn mehr lieben, ihm treuer sein kann; wie es mir leichter sein wird, seinen inneren Einsprechungen zu folgen, wie ich immer mit ihm vereinigt bleiben kann.

112 |              Jesus zeigte mir, wie ich gleichsam immer in ihm sein soll, leben soll von seinem Leben. Ich fühlte mein Herz sich in seinem Heiligsten Herzen verlieren; ich war so unbegreiflich eins mit ihm. So solle es immer sein: ein Herz mit dem göttlichen Herzen, ein Leben von seinem Leben, ein Opfer mit dir, du immerwährendes Schlachtopfer; ein Opfer in deinen Händen, dir ganz ergeben, ob Freude oder Leid. Leiden sollten meine Freude sein. Du zeigtest mir, o Jesus, die Gesinnungen deines Herzens; du willst mir diese Gesinnung einflößen. Ich solle ganz durchglüht, ganz durchdrungen sein von dir, mein Jesus, mein alles.

113 |              Wie wenig kann man von allem erwähnen. Es muss selbst gefühlt und erlebt sein, was in dieser Viertelstunde nach der heiligen Kommunion Jesus mir erwiesen hat. Schon ein Augenblick dieses seligen Genießens macht vergessen alle Seelenleiden, alle Kämpfe und Versuchungen. Ich fürchte keine Leiden mehr; im Gegenteil, das Kreuz ist es, was mich mit Jesus vereint.

114 |              Am Nachmittag kann ich es nicht unterlassen, in die Kirche zu gehen und Jesus nochmals zu danken für alle Gnaden der heiligen Kommunion. Ja, heute war meiner Seele Sonntag. Aber abends zog schon wieder Trockenheit in meine Seele, und Jesus, die ewige Sonne, verbarg sich hinter schwarzen Wolken.

 

27.07.1925

115 |              Montag beginnt wieder das gewöhnliche, opferreiche Leben. Trockenheit, und innere Finsternis, ist ja die Tagesordnung; doch gibt Jesus hie und da ein Lichtstrahl, der das Dunkel meiner Seele erhellt. Einen Augenblick seliger Ruhe im Herzen Jesu: Jesus zeigt sich mir als der liebste Freund und Führer meiner Seele, dem ich in jeder Weise vertrauen kann; er wolle nur das Beste für mich; er wolle mein ganzes Herz besitzen, ganz und ungeteilt. Nichts schmerze ihn mehr als Misstrauen und Wankelmut, mit dem ich so oft sein Herz verwunde. Nur Liebe und Hingabe verlange er und beständig gleichen Opfergeist.

116 |              Und ich bitte Jesus, er möge nicht achten auf das Widerstreben meiner Natur; er möge diesen Widerstand vernichten, durch den ich immer wieder seine Liebe abweise. – Mein Jesus, hab mit mir Geduld; ich will alles, was du willst. Gib mir eine große, innige Liebe zu dir, denn die Liebe überwindet alles. – Dann wieder dunkle Nacht.

117 |              Nach dem Abendgebet sagte mir eine innere Stimme: „Was würdest du tun, wenn jetzt Jesus zu dir käme?“ – Ich antwortete: „Ich würde mich an sein heiliges Herz werfen und nie mehr von ihm weggehen.“ Und sogleich war ich mit meinem Erlöser vereinigt. Er gab sich mir in fühlbarer Weise.

118 |              Ach, könnte ich so rein, so heilig sein, dass Jesus nur Freude an mir habe! Aber alles, was ich tue, ist so unvollkommen und mangelhaft. Ich wünsche, immer glühend zu sein Jesus gegenüber.

 

28.07.1925

119 |              Ein Tag voller innerer Kämpfe und Schwierigkeiten. Vollständige innere Verlassenheit; viele Zweifel und Versuchungen steigen in meiner Seele auf. Diese beständige innere Abtötung, die Jesus von mir verlangt, fällt mir so schwer. Ich kann zum Heiland rufen und flehen, er hört mich nicht. Mein Herz sehnt sich, meinem Seelenführer sich auszusprechen, aber das kann ich nicht mehr so leicht wie früher.

120 |              Als ich aber abends den schmerzhaften Rosenkranz betete – bei den Geheimnissen „der für uns das schwere Kreuz getragen hat“ und „der für uns gekreuzigt worden ist“ –, da würdigte sich Jesus, mich zu erleuchten. Er gab mir zu verstehen, wie er aus Liebe zu uns das Kreuz, das Holz der Schmach und Schande nach Kalvaria trug, wie er verspottet, beschimpft und wie ein Auswurf der Menschheit behandelt wurde. Alles war mir klar, alle Bosheit, die man an ihm verübt hat, wie er dann am Kreuze starb, verlassen, verlacht, als der größte Missetäter. Jesus gab mir über sein schmerzvolles Leiden so viel zu erkennen und zu begreifen. Er gab mir zu verstehen, dass sein Lebensweg auch der meine sein werde, dass ich verachtet und verkannt würde, dass ich einmal auch so sterben werde. Er wolle mich als treuen Gefährten auf seinem Kreuzweg; ich möge nur Vertrauen auf ihn haben und nicht mutlos werden – zuerst bäumte sich etwas in mir auf gegen das, was Jesus mir zu verstehen gab; eine leise Furcht erfüllte mich. Aber dann gab mir Jesus so viel inneren Trost, dass ich mich bereit erklärte, mit ihm diesen Kreuzweg zu gehen.

 

29.07.1925

121 |              Ich machte wieder den Vorsatz: Mein Jesus, alles, nur keine Sünde! Ferner nahm ich mir vor, ganz auf den lieben Heiland zu vertrauen, mich ihm ganz zu überlassen. Innig freute ich mich auf die heilige Kommunion. Und Jesus ließ mich seine gnadenvolle Gegenwart fühlen. Ich war so eins mit seinem lieben Herzen. Er belehrte mich, wie ich immer so eins sein soll mit ihm. Ich müsse mich seiner Führung ganz überlassen, ihm ganz vertrauen, wenn ich auch scheinbar von ihm verlassen sei. Und wenn ich in vollständiger innerer Verlassenheit und in Seelenleiden wäre und doch ganz auf ihn vertraue und ihm die gleiche Liebe entgegenbringe wie zur Zeit seiner Gegenwart, so mache ich ihm die größte Freude.

122 |              Jesus verlangt so sehr nach meiner Liebe; er bittet mich gleichsam, ihn zu lieben über alles. Soll das mein Herz nicht rühren?! Ich wünsche, tausend Herzen zu haben, um sie ihm zu weihen. O, dass mein Herz immer rein und glühend wäre, aber du siehst, lieber Heiland, wie kalt und öde es in meiner Seele ist. Das ist mein größtes Leid, dass ich meinen Gott nicht so lieben kann, wie ich möchte.

123 |              Der Morgen brachte mir viel Freude; ich fühlte ja die Welt nicht mehr; ich war bei Jesus. Aber unter tags so viele innere Kämpfe. Satan bemüht sich, mich abzubringen vom rechten Weg; er will mich abhalten vom Gehorsam gegen meinen Seelenführer; er flößt mir ein solches Verlangen nach äußerem Trost ein, dass es mir schwer wird, vollkommen von allem losgeschält zu sein und Jesus ALLEIN zu vertrauen.

 

30.07.1925

124 |              Gestern und heute ist wieder Trockenheit mein Anteil und tiefe Trostlosigkeit, aber ich will nicht verzagen und mutlos sein, sondern ganz auf den Heiland vertrauen. Ich will mich recht bemühen, beständig ganz leer zu sein von mir selbst, mein Herz, all meine Geisteskräfte in ihn versenkt sein zu lassen. Morgen habe ich ja Gelegenheit zu kommunizieren. Ich will mich heute schon durch innere Abtötung darauf vorbereiten.

 

August

01.08.1925

125 |              Der heutige Tag brachte mir das Glück der heiligen Kommunion. Aber so leer, so kalt fühlte ich mich bei der Vorbereitung. Auch nachher bei großer Trockenheit mein Anteil. Ich fürchte dann immer: Vielleicht habe ich etwas nicht recht gemacht oder bin ich in Sünden. Ich fürchte in solchem Zustand immer, Jesus beleidigt zu haben. Aber wenn ich auch nichts von seiner Gegenwart fühle, er ist doch bei mir. Für diesen Glauben wäre ich bereit mein Leben hinzugeben, jederzeit. – Ich will mich in solcher Trockenheit recht bemühen, mit dem lieben Heiland recht herzlich zu sein. –

126 |              Auch den ganzen Tag hindurch war ich leer und fühlte ein solches Widerstreben gegen Jesus in meiner Seele, dass der bloße Gedanke an ihn mir direkt zur Qual wurde. Ich sah in mir nichts als drückende Leiden im Dienste Gottes; so wenig Freude bringe es mir; die Hingabe an den Heiland schien mir wie drückende Sklavenketten. Und ach, diese innere Finsternis! Ich kann Rufen und Schreien zu Gott: Es verdoppelt noch meine Seelenqual! O, wie lang ist solch ein Tag und wie viele solche Tage liegen hinter mir! Und doch, nicht verzweifeln und mutlos sein oder verzagen! Jesus wird mir auch die Kraft geben, durchzuhalten, wenn ich nur festen Willen habe. Er hat mich einmal nach der heiligen Kommunion belehrt, in solchen inneren Leiden solle ich mir vorstellen, ich sei in einem Kerker. Da sei es immer finster und traurig und öde, aber dieser Kerker sei sein heiliges Herz. Und wenn ich alles noch so schmerzlich empfinde, wie könnte ich da mutlos sein? Wenn ich mit seinem heiligen Willen vereint sei, wäre ich ja immer in ihm, und zu ungeahnter Zeit käme er, mir einen lieben Besuch zu machen. – O Jesus, gib mir ein unbegrenztes Vertrauen auf dich!

 

xx.xx.1925

127 |              Am Sonntag war meine Seele nach der heiligen Kommunion voll von Freude und Frieden. Ja, ich durfte wieder am Herzen Jesu ruhen. – Der liebe Heiland belehrte mich, wie ich ihm ganz hingegeben sein soll und mir selbst abgestorben. Je mehr ich mich selbst verlasse, desto inniger würde ich mit ihm vereinigt. Jesus ließ mich das unendliche Glück der Vereinigung mit ihm kosten. Ich war ganz erfüllt und durchdrungen von ihm; ich fühlte mich gleichsam selbst nicht mehr. Der liebe Heiland zeigte mir, wie ich ihm ein beständiges Opfer sein soll. Das wenige, das ich für ihn tun könne, würde er alles mit seinen unendlichen Verdiensten umgeben und bereichern. Er würde mich seinem ewigen Vater als stellvertretendes Opfer für die Sünden der Menschen vorstellen, und Gott Vater würde mich annehmen Jesu wegen. Ich müsse beständig mit seinem heiligen Willen vereinigt sein, ihm immer zu Diensten und mir selbst ganz abgestorben.

128 |              Ich hatte so ein glühendes Verlangen, dem Herzenswunsch meines Erlösers ganz zu entsprechen. Es war mein größter Schmerz, dass ich es so wenig kann. Ich bot mich für alles an, was er für mich wolle. Mein Jesus, mach mit mir, was du willst, aber gib mir auch deine Gnade dazu! Achte nicht auf das Widerstreben meiner Natur, sondern tue mit mir, was dich am meisten verherrlicht! – Wie klein und nichtig erscheinen mir in solch glücklichem Zustand alle Opfer und Leiden! Wie leid tut mir alle Zaghaftigkeit und Leidensscheu, womit ich so oft das liebe Heilandsherz betrübe.

129 |              Die kurze Zeit der heiligen Kommunion ging vorüber. Ich fühle Jesus nicht mehr bei mir. Innere Verlassenheit und Trockenheit herrschen wieder in mir. Ich sehe ihn mir nichts als drückende Leiden und ein unbegreifliches Widerstreben gegen das, was Jesus von mir verlangt. Ich wähne mich in einem tiefen Abgrund, in dem es nur Finsternis und Seelenqualen gibt. Ich fühle mich so trostlos, und doch verlangt mein Herz so sehr nach äußerem Trost. Jeder Gedanke an inneren Trost ist mir zur Qual. –

130 |              Ich habe doch noch das Glück gehabt, Exerzitien machen zu können. Ich freue mich schon sehr darauf, aber nicht, weil ich vielleicht viele Tröstungen erwartet hätte, nein, um mich innerlich zu stärken und zu festigen. Es gibt da in diesen Tagen so viel innere Kämpfe; auch die innere Finsternis umgibt mich. Mein Jesus, gib mir die Gnade der Beharrlichkeit! – Ich will recht innig beten zu Schwester Therese vom Kinde Jesu. Ich habe so großes Vertrauen auf sie; sie wird mir den richtigen Weg zeigen. –

131 |              Es lebe Jesus in meiner armen Seele! Das ist ja die beständige Forderung, die der liebe Heiland immer wieder an mich stellt. Aber ich wünsche auch nichts so sehr, als dass Jesus ganz in mir lebe, nicht bloß nach der heiligen Kommunion, sondern IMMER. – Jesus lebt in dem Maße in mir, als ich mich selbst vernichte und alles in mir zerstören lasse, was von mir noch da ist. Er muss herrschen, ich muss abnehmen!

132 |              Wie viele Belehrungen hat mir der liebe Heiland über diesen Punkt gegeben, namentlich nach der heiligen Kommunion, wo er mir durch seine heilige Gegenwart so viele Gnaden gewährt, wo ich gleichsam seinen Herzschlag fühle, wo er mich in den Schleier seiner Gegenwart einhüllt, wo ich wirklich bei Jesus sein darf und äußerlich mir alles entschwindet. Es ist unmöglich, dies auszudrücken; man muss es selbst erlebt haben. Aber nicht dieses Leben allein meint der Heiland, sondern etwas anderes, was meiner Natur sehr widerstrebt. –

133 |              Heute ist mein Herz so leer, so trocken. Ich habe das lebhafte Gefühl, dass Jesus in mir ist, aber es bringt mir nur Schmerz, weil ich ihm gar nichts an Liebe schenken kann. Wenn ich mich auch noch so sehr bemühe, es scheint unmöglich, dass Jesus an mir Freude habe, so arm, so träge, so kalt bin ich. –

 

15.08.1925

134 |              Sind auch die Leiden manchmal sehr schwer, Jesus gibt mir dann auch wieder große Gnaden.

 

17.08.1925

135 |              Heute ließ mich Jesus nach der heiligen Beichte schauen, mit welcher Liebe er seine liebe Mutter in den Himmel aufnahm, aber nicht nur in den Himmel: Er versenkte sie auch in sein heiliges Herz zum Lohne dafür, dass sie ihn mit so großer Liebe in ihrem Herzen trug.

136 |              Und Jesus sagte mir innerlich vor der heiligen Kommunion, er wolle mir heute die Gnade geben, dass er mich in sein heiliges Herz aufnehme; doch müsse ich zuvor alles, was von mir ist, ablegen; nur die Kleinen, die Armen und Losgeschälten könnten in sein Herz eingehen. Und ich sah und fühlte geistig, wie mir alles abgenommen wurde, was mich natürlicherweise erfüllt – gerade so, wie man ein beschwerendes Kleid abnimmt; es wurde mir so frei und leicht, nur ganz Geist.

137 |              Nach der heiligen Kommunion hat mir Jesus jene Gnaden in ganz fühlbarer Weise geschenkt. Ich war ganz durchdrungen von ihm, ganz im Herzen Jesu. Er gab mir dann so kostbare Belehrung und das Versprechen, er würde mich immer in seinem Herzen tragen, wenn ich mich bemühen würde, in ihm zu bleiben. Er sagte mir: „du bist meine Auserwählte; ich habe dich auserwählt als mein Herzenskleinod; wo immer auf der ganzen Welt ich mich in der heiligen Messe meinem himmlischen Vater zum Opfer bringe, biete ich auch dich meinem Vater dar; ich bringe dich dar, du kannst mich aufopfern“.

138 |              Er gab mir sein Herz zur beständigen Wohnung als den Ort der Ruhe, wo ich ausruhen könne von allen Leiden, als Quelle der Kraft, um mich geistig zu erneuern, als Ersatz meiner eigenen Unfähigkeit und Schwäche. Er stellte mir all seine Tugenden und Reichtümer und die Heiligkeit seines Herzens zur Verfügung, dass ich mich damit bekleidete und sie mir gleichsam aneigne. Jesus schenkte mir die Fülle der Liebe seines Herzens.

139 |              Dies ist die Stunde der Gnade, um stark zu werden, in ihm, den diese Vereinigung mit ihm sei die Quelle vieler Leiden. [sic!] Alle Leiden hätten ja in seinem Herzen ihren Ursprung genommen. Er zeigte mir alle Leiden seines heiligen Herzens wie einen Abgrund aller Arten von Seelenpeinen. Alles hätte er in seinem Herzen durchgekämpft und vorausgekostet. Ach, so ein Meer von Schmerzen tat sich vor meiner Seele auf, so unermesslich – er zeigte mir, wie er in seinen Leiden allein war; niemand konnte es recht begreifen.

140 |              Dann zeigte mir der Heiland seine äußeren Leiden und alle Absichten höchster Verherrlichung in seinen Leiden, die er mit mir vorhabe. – Ich fühlte ein verzehrendes Verlangen in mir, diese Leiden mit ihm zu teilen, mit ihm Schlachtopfer zu sein.

141 |              Ich opferte mich ihm ohne Rückhalt auf und gab ihm all meine Freiheit, um ganz in seinem Banne zu leben. Was denkt man da an die Wirklichkeit der kommenden Schwierigkeiten! Da wird man nur von der Liebe beherrscht: O Jesus, du für mich und ich für dich!

142 |              Alle Gnaden und Einsprechungen, mit denen Jesus mich bedenkt, zielen hin auf das Mitleiden mit ihm, und zwar durchging ich drei Abschnitte der Vorbereitung:

1. Mitleiden der schauenden Seele;

2. Mitleiden mit ihm oder in ihm;

3. Leiden an seiner Stelle, ihm einen leidensfähigen Leib und

Seele bietend, da er jetzt nicht mehr leiden kann.

143 |              Der liebe Heiland will sich nochmals seinem himmlischen Vater opfern können. – Alles in innigster Beziehung zur heiligen Eucharistie und heiligen Messe (dann zeigte mir Jesus das innere und äußere Mitleiden).

144 |                    

145 |              

 

 

 

 

 

 

 

Die Jahre 1928/29

 

 

 

 

 

Oktober

xx.xx.1928

146 |              Durch die Vereinigung mit dem Herzen Jesu fühlte ich einen unbeschreiblichen Schmerz in mir, gerade als ob unzählige Bande, die mich an mich und an die Welt fesselten, abgeschnitten würden, damit ich mich ganz Jesu Leiden hingeben könne.

147 |              Am 28. wurde es in mir etwas leichter; ich fühlte mich aber körperlich krank. Jesus sagte mir, ich würde bald krank und schwächer werden. Er wolle auch meine leiblichen Kräfte in Besitz nehmen, damit ich auch in dieser Hinsicht keine Befriedigung habe.

148 |              Am Montag sagte mir Jesus nach der heiligen Kommunion, es würden heftige Seelenleiden über mich kommen, sodass alle leiblichen Kräfte davon aufgebraucht würden. Er zeigte mir dann, dass ich mich ihm ganz, meine Natur überlassen solle, um mit seiner gottmenschlichen Natur vereinigt zu werden. Es war mir alles so klar, unaussprechlich.

149 |              Am Dienstag sagte mir der liebe Heiland nach der heiligen Kommunion, er lasse mich heute in den Abgrund seines Herzens schauen. Nachher fühlte ich mich innerlich ganz versenkt in das göttliche Herz, als in den Ort des Anfangs aller Liebe und Leiden und Bitterkeit, alles dessen, was er in seinem Leben gelitten habe; ich schaute, wie seine unendliche Liebe immer die Triebfeder all seiner Werke war, wie sich seine menschliche Natur ganz der Liebe seines Herzens unterordnete. Jesus verlangte von mir die innigste Nachfolge. Ach, wie ist man da begeistert, wie klein kommen mir da meine Leiden vor im Hinblick auf Jesus! Wie bittet man das so innig: Lass mich aus dir Kraft schöpfen, lass deine Liebe übergehen auf mich! Man fühlt nur den einen Schmerz: Dass man so wenig lieben und leiden kann.

150 |              Keine Menschenzunge ist imstande, alle Gnaden und Herablassung Jesu auszusprechen. Der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf scheint aufzuhören. – Auch untertags fühlte ich oft Jesu Gegenwart.

151 |              Am Mittwoch hatte ich während des Empfanges der heiligen Kommunion einen bitteren Geschmack (Gefühl) derselben. Jesus sagte mir dann innerlich: „So bitter wird dir meine Gegenwart sein“. – Er zeigte mir dann, wie er in seiner größten Liebe ganz Leid und Schmerz sei. Diese Gegenwart müsse mir gerade so lieb sein. Er werde mir diesen Zustand schenken, aber mit seinen Leiden auch seine göttliche Kraft.

152 |              er belehrte mich, wie ich mich ihm ganz überlassen solle, wie er in mir gleichsam seine Leiden erneuern wolle. Er mahnte mich, seine heilige Gegenwart recht auf mich wirken zu lassen, um dadurch stark zu werden in der Liebe und im Vertrauen … Auf meine Zaghaftigkeit hin sagte er mir: „du musst mir vorher deine Liebe geben“. – Ich kann nicht anders als Vertrauen; ich kann mich seiner Gnaden nicht entziehen. Es ist doch so süß, bei Jesus zu sein. Gewiss werden mir schwere Leiden bevorstehen, aber wenn er der Urheber alles dessen ist, was in mir vorgeht, brauche ich nicht zu fürchten. Meine einzige Furcht wäre nur, dass ich in der Welt bleiben müsste. Doch auch hierin kann ich nicht anders als Vertrauen auf das, was er mir sagt. Und dies (dass ich in der Welt bleiben müsste) hat er noch nie von mir verlangt.

153 |              Ich kann nur das Wenigste beschreiben; das Meiste entfällt mir wieder, oder ich bin nicht fähig, es auszudrücken.

154 |              Am Tage vor Allerheiligen fühlte ich mich so krank, dass ich nur mit Mühe zur Kirche gehen konnte. Den ganzen Tag fühlte ich mich krank und schwach und erschöpft. – Nach der heiligen Kommunion sagte mir Jesus, ich müsse natürlicherweise aufhören zu leben, alle meine Körperkräfte müssten im Dienste des Leidens mit Jesus verwendet werden. Er zeigte mir, wie sich meine menschlichen Kräfte mit den Seinigen vereinigen. Eine unaussprechliche Vereinigung ließ er mich schauen.

155 |              Am Allerseelentag hatte ich beim Empfang der heiligen Kommunion den unbegreiflich bitteren Geschmack und zugleich fühlte ich im Herzen Jesu einen bitteren Schmerz. Ich sah wieder die Leiden, mit denen Es vom Anfang seines Lebens bis zum Kreuze erfüllt war. – Der liebe Heiland ließ mich mit sich mitfühlen und zeigte, wie ich alles empfinden werde. Ich war ganz verzehrt vom Verlangen danach, obwohl ich beinah bewusstlos war im Anblick dessen, was ich erlebte. – Jesus sagte mir dann, das sei nur ein Tropfen aus seinem Leidenskelch.

156 |              Er gab mir viele Belehrungen: Ich solle seine Gegenwart recht auf mich wirken lassen, auch wenn sie nur verhüllt sei; das reinige mich. In der Liebe seines Herzens müsse ich vollendet werden; darum solle ich dem schmerzhaften Gefühl nicht ausweichen. (Das habe ich leider oft getan, indem ich mich äußerlich mehr beschäftigte; dadurch verlor sich die innere Qual). Jesus sagte mir, wie rein ich sein müsse, um seine inneren Leiden mehr mitfühlen zu können; denn jeder Fehler vermindere die Liebe und das Mitleid. Er wolle mich zur höchsten Reinheit führen. – Kein Menschen Mund kann sagen und begreifen, wie Jesus sich zu mir herablässt …

157 |              Ach, welch tiefe, finstere Nacht herrscht jetzt wieder in meiner Seele! Alle Gnaden scheinen mir Täuschung und Traum. Peinvolle Zweifel quälen mich. Und doch fühle ich mich auch wieder mit dem Herzen Jesu vereinigt. Aber das ist ein Schmerz, dass das Herz fast ohnmächtig zusammenzuckt. Von ihm geht dieser unaussprechlicher Schmerz aus, so arg, dass ich fast jeden Tag abends ganz krank und schwach bin. – Jesus hat mich das voraussehen lassen. Doch dies bringt mir keinen Trost, weil mir alles Täuschung zu sein scheint. Hie und da lässt mich aber ein Blick in das schmachgesättigte Herz Jesu erkennen, dass alles, was ich fühle, nur ein Tropfen ist aus seinem Leidenskelch. Dann neue Liebe und Hingabe – und wieder unbegreifliche Finsternis.

158 |              Ach, so viel Sehnsucht: Weg von der Welt, in ein stilles Plätzchen! Hier halte ich es auf die Dauer nicht mehr aus. Der Gedanke daran macht mich schon mutlos. So allein, ohne Führung! – Wie froh wäre ich, wenn alles Täuschung wäre und wenn doch alles aufhören würde! – Der liebe Heiland findet viel treuere Seelen, als ich es bin. Solange keine Antwort von meinem Seelenführer! Das macht mir so viel Zweifel.

159 |              Am Sonntag (5. November) fühlte ich beim Genuss der heiligen Hostie einen ganz bitteren Geschmack und sogleich in meinem Herzen durch die Vereinigung mit Jesus ein ganz schmerzhaftes, bitteres Gefühl. Ein Blick in das leidende Herz Jesu! Es ist ein großer Trost, mit Jesus fühlbar zu leiden, auch wenn es schmerzlich ist. Aber wenn er die fühlbare Gnade zurückzieht und man ganz den natürlichen Empfindungen hingegeben ist, dann fühlt man so etwas, wie Jesus fühlte, als sich nach seinem Willen seine Gottheit mehr in die Heilige Dreifaltigkeit zurückzog und er ganz seiner heiligen Menschheit hingegeben war. Und zu diesem Grade des Mitleidens will mich der liebe Heiland führen. Darauf gingen in letzter Zeit alle Einsprechungen und die innere Führung aus.

160 |              Mein Jesus, lass mich nicht mutlos werden! Doch er tröstet mich oft mit den Worten: „Mit meinen Leiden gebe ich dir auch meine göttliche Kraft“. – Darum wünsche ich auch, so schwer es ist, nichts anders als Leiden; denn je mehr ich durch Jesus leide, desto mehr lebt er durch seine Leiden in mir, – und das ist der sehnlichste Wunsch meines Herzens, das er GANZ in mir lebe. – Nur weg von der Welt! Das ist meine einzige Bitte an ihn.

161 |              „Himmlischer Vater, ich opfere dir das Herz deines Sohnes auf als Quelle aller Liebe, aller Leiden, das Herz, das sich für uns geopfert hat, um uns zu erlösen und uns von unseren Sünden abzuwaschen.“ Dies Gebet hat mich Jesus gelehrt und jedes Wort besonders erklärt.

162 |              Ich solle mich recht von dem Gedanken durchdringen lassen, dass Jesus mich liebt. – Mein Jesus, ich glaube an deine Liebe zu mir! – Ich müsse den höchsten Grad der Vereinigung mit Jesus Erlangen, ein ähnliches Freisein von allem, wie es die ersten Menschen hatten bei der Erschaffung. Es soll ein Zustand des Friedens und der Ruhe in Gott sein.

 

Ostern 1929

163 |              Jesus zeigte sich meiner Seele fühlbar, wie er bei seiner Auferstehung war, in seinen Wunden, die er bei seinen Leiden empfunden hatte. – Er sagte mir, ich solle das Leben, das er bei seiner Auferstehung angenommen habe, in mir weiterleben lassen. Er wünsche es von mir fortgesetzt, wie er in der heiligen Eucharistie sich uns beim letzten Abendmahl geschenkt habe. Seine Leiden und Wunden sollen sich geheimnisvollerweise ständig in mir erneuern. – Die Gesinnungen seines Heiligsten Herzens sollen die meinen sein; so innig solle ich mit ihm vereinigt sein wie Leib und Seele …

164 |              Jesus fragte mich immer wieder, ob ich ihn aufnehmen wolle mit seinen heiligen Wunden und mit seinem Herzen. Im Vertrauen auf seine Gnade bot ich mich an für alle seine Absichten, die er mit mir habe. Wie könnte ich anders, da er mir dadurch die höchste Vereinigung mit sich versprach!

165 |              Der liebe Heiland eröffnete dann immer mehr seine Absichten, die er mit mir habe; wie ich seine Leiden mitfühlen werde und wie ich mich dabei verhalten soll. (Das muss innerlich selbst erlebt werden; ich kann es nicht aussprechen). –

166 |              Diese Tage waren wirklich Tage der Vereinigung mit Jesus, voll Freude und Frieden in ihm. Gar bald wird diese freudvolle Vereinigung in Leiden übergehen, wie Jesus mir gesagt hat; nur seine Leiden sollen der Beweis seiner Gegenwart in mir sein. Ich fühle aber keine Angst und bin innerlich ruhig.

167 |              Am Ostermontag sagte mir Jesus: „Lass mich dich überfluten mit meiner Gegenwart!“ – ich solle mich ganz von ihm in Besitz nehmen lassen, besonders von seinen Leiden. Diese sollen für mich die größte Demütigung sein, – wie es war bei seinen Leiden, wo er ganz seiner heiligen Menschheit hingegeben war. Er zeigte mir dann, wie er unter der Verachtung und Schmach von Seiten der Menschen gelitten habe, und wie ich es miterleben werde. –

168 |                    

169 |              

 

 

 

 

 

Das Jahr 1937

 

Basiert auf Manuskript 2 (M2)

M1 enthält keine Datumangaben.

 

 

 

 

Mai

07.05.1937a1

170 |              Wie sind Gottes Wege doch wunderbar! Wie hatte er mich doch wunderbar in dieses Haus geführt und mich diesen Priester … finden lassen. Ich danke dir recht innig dafür, mein Heiland! Wie viele Freude des seelischen Einsseins in deinem heiligen Herzen hast du damit gegeben! Ja, wir wollen dir recht treu sein. – Du gabst mir auch die Möglichkeit, mich vollends auszusprechen mit meinem Seelenführer und gabst so viele Gnaden inneren Lichtes. War auch meine Seele gewöhnlich in Finsternis, so sprachst du doch so oft zu meinem Herzen.

171 |              Eine besondere Gnade war es, dass ich das Gelübde der „vollkommenen Hingabe an Gott“ machen durfte. Das war wieder eine Gnadenstunde. Du wolltest, o mein Heiland, ich solle mich dir vor der heiligen Kommunion aufopfern; zuerst möge ich mich dir schenken, dann wolltest du dich mir geben.

172 |              In besonderer Weise ließ mich Jesus wieder eins werden mit sich; ich war gar nicht mehr vorhanden; alles in mir bei Jesus, doch war ich dabei so klar, so ruhig und fühlte mich so sicher in ihm. – Er sagte immer: so wahr du glaubst, dass ich jetzt (in der heiligen Hostie) zu dir gekommen bin, so sicher kannst du an die Gnaden glauben, die ich dir schon gegeben habe und immer noch gebe, besonders an jene, dass ich in dir die Folgen der Erbsünde ausgelöscht habe und dich mein heiliges Herz bzw. dessen innere Leiden miterleben lasse. – Jesus gab mir im Einzelnen viel Licht über die unermesslichen Gnaden, die mir immer noch so unbegreiflich waren und mir deshalb zum Gegenstand wiederholter Zweifel und Verzagtheit wurden.

173 |              Jetzt bin ich so eins mit dem Heiland, nicht in Süßigkeit und Tröstungen, sondern im sicheren Bewusstsein der Echtheit und Übernatürlichkeit meines Seelenlebens. – Ich will an seine Gnaden glauben, auch ganz nach dem Auftrag meines Führers. Eine innere Ruhe ist jetzt in mir und es ist in mir so ganz wunschlos geworden. – Der liebe Heiland sagte mir über diesen Akt der Hingabe an ihn, er wolle dadurch in mir die Gnaden der geistigen Vermählung erneuern und noch mehr zur Vollendung bringen. Ihm sei gedankt! (Herz-Jesu-Freitag)

 

August

19.08.1937

174 |              „Ich will neue Gnaden über das Priestertum ausgießen, da der Priester mit den gewöhnlichen Gnaden2 den Anforderungen3 der Zeit nicht mehr entsprechen kann. Ich will meine Priester zu einer Macht heranbilden und diese der Hölle und dem Zeitgeist entgegenstellen. Meine Priester, ganz von mir erfüllt, werden die bösen Geister in den Abgrund der Hölle zurückbannen.

175 |              Ich will, dass die Priester in dem von mir bestimmten Geiste erzogen werden, dass sie an die besonderen Gnaden glauben, dass sie ganz von meiner Liebe beherrscht seien. Meine Liebe soll in den Priestern wieder herrschend werden, um die erkaltende Welt durch die Liebe wieder zu erwärmen. Ich will ihnen gleichsam mein Herz öffnen und sie ganz an mich ziehen. Von ihnen erwarte ich alles.

176 |              Die Seelen sollen durch die Priester wieder den Weg zu meinem Herzen finden. Doch so viele Priester leben in Selbstsucht und Leidenschaft und die Seelen können dadurch nicht zu mir gelangen, da der Weg, der über die Priester führt4, nicht durchsichtig und klar ist. Ich will von den Priestern alles entfernen, was die Seelen hindern könnte, zu mir zu kommen. Ich will die Priester ganz an mein Herz ziehen und sie lehren, was ich für die Seelen von Ihnen erwarte.

177 |              Ich will mit ihnen teilen, was der Vater mir an Liebe für die Seelen in mein Herz gelegt hat. Ich will sie ganz teilnehmen lassen an mir, aus Ihnen einen zweiten Erlöser und Heiland machen, um die leidende und gedrückte Menschheit wieder an mich zu ziehen.

178 |              Doch sollen sie vor allem an meine große5 Liebe glauben. Mein Herz steht Ihnen offen. O, dass sie an meine große Liebe glauben möchten! Ich will meine Liebe gleichsam verströmen lassen auf alle Priester meiner Kirche.

179 |              Ich will sie aber besonders in einem Werke ausströmen lassen, das ich bilden werde für meine Priester. Dies soll zur Zentrale der Gnaden werden und gleichsam das Senfkörnlein sein, das sich über die ganze Welt verbreiten soll, da ich alle Priester an mein Herz ziehen will.

180 |              Wenn ich Wunder und Gnade wirkte, so tat ich es in meinen Aposteln, da wenige die Welt für mich gewannen. Ich lebte ihn ihnen; sie glaubten an mich, ihren Meister; das war das Geheimnis ihrer Kraft. Der Glaube (an ihr Priestertum) ist in den Priestern fast erstorben. Sie glauben zu wenig an ihr Priestertum. Mein Leben lebt nicht so recht in ihnen; sie leben sich selber. Ich will den Glauben an ihr Priestertum wieder stark und mächtig machen6. Ich will ihr Leben sein, ganz mit ihnen eins werden, mich ihnen mitteilen. Mein Herz soll ihr Herz werden.

181 |              Mein Herz hat so viel Liebe für die Priester bereit, dass noch wenige dahin gelangt sind, diese Schätze zu entdecken. Aber jetzt will ich sie meinen Priestern zeigen, da die Not meiner Kirche so groß ist und die Seelen zu mir um Erbarmen und Hilfe schreien. O, dass doch alle Priester zu mir kämen, dass ich allen mitteilen könnte, was ich so lange in meinem Herzen verschlossen habe!

182 |              In meinem Herzen werden die Priester alles finden, was sie für die Seelen brauchen, besonders die Liebe. Die Priester, meine Priester sollen ganz von meiner Liebe beherrscht sein, von meiner Liebe ohne Ende.

183 |              EINE Liebe, ein Herz mit mir soll der Priester haben. Er soll ganz eins sein mit mir und mein Freund, dem ich Seelen anvertrauen kann. EINE Liebe soll ihn täglich zum Altar führen, um sich mit mir meinem Vater zu opfern für die Seelen; EINE Liebe soll ihn gleichsam beständig am Opferaltar festhalten, um zu sühnen, wie ich gesühnt und geopfert habe. Er soll den Seelen nochmals Erlöser werden und die Seelen in meinen eucharistischen Bann ziehen. Am Altar soll der Priester sein Leben verbringen. Das soll der Mittelpunkt seines Strebens und Verlangens sein. Hier bin ich mit meinen Priestern und mit den Seelen in Verbindung. Und hier kann ich Wunder der Liebe in ihnen wirken. Ich will die Priester7 ganz in meiner Nähe haben, um sie ständig zu beeinflussen, ihr eigenes Ich aufzugeben.

184 |              Was gibt der Priester auf, wenn er sich selbst aufgibt? Ein schwaches, unfähiges Nichts. Was gebe ich ihm dafür? Ich lasse ihn an meiner Göttlichkeit teilnehmen und will gleichsam sein Herz werden, durch das ich mich den Seelen mitteilen will.

185 |              Meiner Gesellschaft (Jesus des Hohenpriesters)8 will ich den Vorzug9 geben, diese neuen Gnaden an meine Priester zu verkünden. Es sollen wirklich neue Gnaden sein. Überall kann man sehen, dass die Priester den Anforderungen der Zeit nicht mehr entsprechen können und dass der Glaube an ihr Priestertum zu wenig lebendig ist. Ich erwarte von den maßgebenden Persönlichkeiten, die ich an die Spitze meiner Kirche gestellt habe, dass sie meine Priester an mein Herz kommen lassen und sie zu meinem Herzen führen.

 

14.08.1937

186 |              Das Werk soll den Namen haben: Das Werk Jesu des Hohenpriesters, weil ich selbst der Gründer des Werkes sein werde; darin werden sich meine Absichten verwirklichen, die ich für die Erneuerung des Priestertums vorhabe, so, wie ich es meinem Kinde geoffenbart habe. In diesem Werke will ich eine Anzahl Priester bilden, die ganz nach meinem Geiste leben, so wie ich sie dem heutigen Zeitgeist entgegenstellen will. In meinen Absichten werden sie Apostel sein.

 

187 |              Ich habe einen Priester schon lange vorbereitet, damit er in dem Werk gleichsam meine Stelle vertrete. Durch diesen will ich die Gnaden für meine Priester ausgießen. Er soll der Geist des Werkes sein. Der inneren Ausgestaltung nach muss es das Werk meiner Dienerin Luise Margareta sein, der ich schon lange vorher diese meine Absichten gezeigt habe, die ich für die heutige Zeit vorbereitet habe. Es wird sich herausstellen, dass es im Grunde nur ein Werk ist und dass ein Ganzes sich bildet aus zweien. Daraus wird man auch ersehen, dass alles vom Heiland ausgeht.

188 |              Gleichsam eins mit dem Priesterwerk soll jenes Werk der Gesellschaft Mariens sein, in einem verbunden. Es darf nicht getrennt werden, da ich dadurch meine Mutter ehren will als die Vermittlerin der Gnaden für das Priesterwerk10 und da ich gleichsam fühlbar und sichtbar werden lassen will, was gegenseitiges Beten und Opfern für die Früchte in der Kirche bringen kann. Man ist von diesen Absichten, die ich bei der Gründung der Kirche hatte, zu weit abgewichen und hat zu menschlich gehandelt. Das muss in der kommenden neuen Zeit geändert werden. Ich will meine Kirche gleichsam auf eine neue Grundlage stellen und die Einheit der Kirche wiederherstellen, wie sie in der ersten christlichen Zeit war. Maria will mitwirken am Neubau der Kirche, der durch die Priester geschehen soll. – Es soll eine neue Art der Tätigkeit der Gesellschaft Jesus sein, ähnlich wie z. B. die überseeischen Missionen. Ein Teil der Gesellschaft Jesu soll sich dazu hergeben. (Wahrscheinlich können Weltpriester mittun.)11

189 |              Meine Wahl ist es, meine Gnaden zu offenbaren, wem ich will. Wenn ich das kleinste Kind erwählte, so habe ich dabei meine allerweisesten Absichten. So wenig Widerstand erwarte ich von den maßgebenden Persönlichkeiten, dass sie mit Kindeseinfalt an die Gnaden und Wege glauben, durch die ich meine Kirche zur Einheit führen will. Meine Liebe will mehr Einheit in der Kirche herrschen lassen. Die Einheit macht meine Kirche stark. Die Feinde haben dann keinen Zutritt.

190 |              Alles Gute soll in der Kirche verwertet werden, von dem man in reichlicher Prüfung annehmen kann, dass es von mir kommt. Ich will das Haupt der Kirche sein; die Priester sollen mein Herz sein; alle Glieder sollen sich durch das Herz zum Haupte wenden. Ich will, dass die Einheit der ersten Christenheit wiederhergestellt werde, um dadurch die Feinde zu besiegen und meiner Kirche zum Triumphe zu verhelfen.

191 |              Ich habe M. zur Botin meiner Liebe zu den Priestern gemacht.12

 

21.08.1937

192 |              Ich will mir ein Werk gründen, das ganz für die Priester ist. Da will ich die Gnaden meiner Erneuerung ausgießen. Es soll wirklich MEIN Werk sein, weil ich es ganz nach meinen Absichten ausgestalten will.

193 |              Ich will mich zu den Priestern herablassen, sie als meine Söhne und Freunde behandeln und sie bilden13, dass sie ganz gefügig in meiner Hand den Seelen dienen können. Ich will sie bilden, wie ich meine Apostel befähigt habe, eine Welt voll des Heidentums für mich zu gewinnen.

194 |              Ich will die Priester an mein Herz ziehen, das ihnen so viel Schätze der Liebe und Auserwählung bereithält, mit denen ich sie erfüllen will. Ich will ALLE Priester für mich gewinnen; darum soll es ein weltumfassendes Werk werden. Ich will es den Söhnen meiner geliebten Gesellschaft Jesu14 anvertrauen, von denen ich erwarte, dass sie meine Absichten kräftig unterstützen und die Einflüsse des bösen Feindes, der sich dagegen erheben wird, möglichst fernhalten. Es werden sich auch Priester dagegen erheben, die unter dem Schein meiner Freundschaft gegen das Werk kämpfen werden; doch ihre Macht wird zerschellen. Allen jenen, die mein Werk nach meinen Absichten fördern, werde ich gut sein und meine Liebe besonders beweisen; vor allem in ihrer Sterbensstunde werde ich sie in mein Herz aufnehmen.

195 |              Ich habe mir einen Priester herangebildet, dem ich die innere Gründung meines Werkes anvertrauen will. Er soll aus seiner innersten Überzeugung heraus den Priestern meine Absichten verkünden, da er selbst Zeuge ist, wie viele Gnaden ich für das Priestertum in der heutigen Zeit bereithalte und wie viel ich ihm selbst davon geschenkt habe. Er soll der Apostel meiner Absichten sein, weil ich keinem so viel geoffenbart habe wie ihm. Er soll in dem Werk meine Stelle vertreten und ich erwarte von ihm, dass er für meine Absichten ganz Opfer sei.

196 |              Das Werk soll in innigsten Zusammenhang gebracht werden mit den Offenbarungen, die ich meiner Dienerin Luise Margareta gegeben habe und die vornehmlich dieser Zeit angepasst sind; jetzt will ich diese Absichten verwirklichen. Meine Liebe soll wieder meine Priester beherrschen und so die Seelen an mich ziehen und sie einen Gott der Liebe und zumal unendliche Barmherzigkeit finden lassen.

197 |              Mein Herz hat Erbarmen mit so vielen Seelen, die eines Führers bedürfen, so vieler Armer, die nach einer Zuflucht verlangen und in die kalte Welt hinausgestoßen sind. Meine Priester sollen wieder meine Liebe und Barmherzigkeit verkünden und vor allem sollen sie selber lebende Abbilder meiner selbst sein. Mein Leben soll in ihnen herrschen.

198 |              Was der Welt heute am meisten fehlt, ist die Liebe. Meine Liebe soll wieder der Anteil meiner Priester werden; darum müssen sie an mein Herz kommen, um daraus Liebe zu schöpfen. Meine Priester sollen meine Liebe predigen, sollen sein Leben „leben“, sollen mir ähnlich werden in der Hingabe an mein Erlösungswerk, für das sich als Gott Mensch geworden bin. Sie sollen wieder den Wert der Seelen begreifen und sich in den Dienst meiner Seelen stellen.

199 |              Was mich beleidigt und betrübt, ist dies, dass die Priester für sich selbst15 leben, im Beruf ihr zeitliches Fortkommen sehen und so wenig höhere Interessen haben. Mein Herz ist so beleidigt deswegen. Wer gibt mir die Seelen zurück, die durch die Nachlässigkeit der Priester verwirrt und verirrt sind und so eine Beute der Welt und meines Feindes werden? Wer entschädigt mich für so viele Kinderseelen, die einen Freund suchen, dem sie sich mitteilen können und von dem sie Liebe erwarten – die aber keinen solchen finden und so der Verführung anheimfallen und für mich verloren sind?

200 |              Meine Priester sollen wieder Hirten der Seelen werden; mein Hirtenherz will ich ihnen schenken. Ihr Leben soll mein Wandel sein. Dazu gebe ich ihnen meine besondere Gnade und ich will, dass man daran glaube. Die Priester sollen zu diesem Glauben geführt werden. Sie sollen wieder ihren Heiland und Meister kennenlernen.

201 |              In meiner Kirche werde16 ich mein Erlöserleben fortsetzen. Vor allem soll sich bewahrheiten: „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“. Darum gebe ich diese Gnaden jetzt, da die Not meiner Kirche und der Seelen so groß ist. Zeichen und Wunder werden meine Priester begleiten, wenn sie an meine Gnade und vor allem an die Gnade des Priestertums glauben. Warum sollte meine Macht weniger groß sein als zur Zeit der Apostel?

202 |              Ich will wieder groß werden in meinen Priestern. Mein Leben wird sich in ihnen widerspiegeln und sie werden meine Priester sein. O, dass sie es erkannten, wie ich sie liebe, was ich von ihnen erwarte, welche Schätze der Gnade ich in ihre Hand gelegt habe, und wie die Seelen meist nur durch sie zu meinem Herzen finden!

203 |              Ich habe nun einmal diesen Weg (doch das Werk) gewählt um die Priester an mich zu ziehen. Ich will dort die Gnaden direkt ausströmen lassen durch den Priester, den ich mir dazu erwählt habe. Mein Leben soll wieder in den Priestern herrschend werden. Darum ist notwendig:

1. Ehrfurcht vor sich selbst und vor dem Zweck, zu dem die Priester bestimmt sind;

2. Glauben an ihr Priestersein, d. h., sie sollen alle Gnaden verwerten, die ihnen damit geschenkt sind, und sollen diese den Seelen zuwenden.

3. Ihr Leben soll Abtötung und Entsagung sein; nicht dass sie sich unter Menschenwürde erniedrigen sollen, doch ihr INNERES Leben soll MEIN Leben sein.

4. Sie sollen ihr Leben geistig17 auf dem Altar verbringen, sollen ein Opfer mit mir sein in beständiger Hingabe an den Vater, sollen ein Leben der Sühne für die Sünden leben.

5. Sie sollen ihr Leben auf dem Altar leben18, d. h., meine Gegenwart im heiligen Sakrament sollen sie zum Mittelpunkt ihres priesterlichen Lebens machen. Da sollen sie einen Freund finden, der sie versteht; da die Kraft, sich ganz zu opfern. Was mich betrübt ist dies: dass meine Gegenwart im Sakrament von den Priestern so wenig geschätzt wird. Und doch bin ich ihnen so nahe und möchte ihnen alles geben. Da sollen die Seelen wieder zu mir geführt werden. Alle Mühe der Priester wird vergeblich sein, wenn sie die Seelen nicht mit mir in Verbindung bringen.

6. Die Priester sollen wieder Vorbilder der Menschheit werden. Habe ich Menschen zu so hoher Würde erhoben, so kann ich sie auch durch meine Gnade zu größtmöglicher sittlicher Höhe bringen, dass sie meiner Gnade Ehre machen. Ich will heilige Priester erwecken. Meine Heiligkeit soll wieder in den Priestern herrschend sein. Jeder Priester soll sich zur Aufgabe machen, seinem Meister ähnlich zu werden. Meine Liebe muss wieder in den Priestern lebend und herrschend sein.

204 |              Nichts kann mich davon abbringen, auch wenn man versucht, meinen Absichten entgegenzutreten19. Meinen Kindern, die ich damit beauftragte, gebe ich Martyrergeist. Sie werden mir kein Opfer verweigern und werden mir gefügig sein. Alle jene, die mitarbeiten, werden großen Segen erfahren. Meine Feinde werde ich in den Abgrund der Hölle stürzen; meine Absichten werden sich verwirklichen und meine Kirche wird erneuert und verjüngt werden20.

205 |              Ich will, dass meine Gedanken21 jedem Einzelnen beigebracht und von den Priestern geglaubt werden. Darum will ich ein eigenes Institut, wo das gelehrt und berücksichtigt wird, weil es in dieser Form am meisten vertieft werden kann. Der Priester soll es im Einzelnen aufnehmen, für sich verwerten und hinaustragen und Apostel sein. Es soll sich über die ganze Kirche verbreiten.

206 |              Zu diesem22 Werk verbunden soll das meiner heiligen Mutter sein. Ihre Fürbitte für die Priester hat vieles bei mir erreicht. Ihr zu Ehren soll es EIN Werk sein. Sie soll die Freiheit haben, ihre Hilfe zu betätigen für die Erneuerung der Priester. Ich will sie dadurch ehren als die Vermittlerin aller Gnaden für das Priestertum. Sie will ihr Leben und alles, was sie mir gegeben hat, für diesen Zweck nochmals fruchtbar machen.

207 |              (Der Heiland sagte mir, er habe Pater Ferdinand Baumann zur Gründung und Leitung dieses Werkes nach seinen Absichten sich vorbereitet; das sei der Priester, der mir geistig23 schon seit Jahren bekannt war und für den ich opfern und beten musste, ohne dass ich ihn persönlich kannte. Im Jahre 1936/3724 führte mich der Herr mit ihm zusammen.)

 

Grundlegende Umrisse des Werkes

208 |              Hauptzweck der Gründung ist:

1. Selbstheiligung und innere Umgestaltung der einzelnen Mitglieder in Christus dadurch, dass sie sein Leben in sich aufnehmen.

2. Einführung aller Priester der Kirche in diesen Geist und ihr Zusammenschluss in diesem Geist.

3. Zusammenschluss von Priester und Volk zur Einheit der Kirche.

209 |              Das Werk soll ganz „jesuitisch“ sein, was die Ausbildung der Mitglieder im Noviziat betrifft. „Der Geist des heiligen Ignatius“ darf nicht verloren gehen.

210 |              Seelisch werden sie gebildet nach dem Vorbild Jesu des ewigen Hohenpriesters, sein Leben in sich aufnehmend. Sie sollen:

a) an alle neuen priesterlichen Gnaden glauben; denn Jesus will neue Gnaden des Lichtes und der Einsicht in die Bedürfnisse der heiligen Kirche und der Jetztzeit geben.

b) an die Macht und Würde des Priestertums glauben, in einem neuen Glaubensleben bezüglich ihres heiligen Berufes. Sich stützend auf ihre göttliche Sendung sollen sie von ihren Würden und Gewalten ganz Gebrauch machen. Sie sollen sich als von Gott gesandt betrachten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“. – Sie sollen in allem Christi Stelle einnehmen wollen: Der Priester, ein zweiter Christus!

211 |             „Ich habe das Werk erwählt zur Zentrale aller neuen Gnaden für mein Priestertum. Ich werde es mit meinem Lichte und meiner Kraft umgeben. Die Mitglieder des Werkes werden diesen Geist bis an die Grenzen der Erde tragen. Es wird neues Leben in meiner Kirche entstehen25“.

212 |             Ausgangspunkt und Mittelpunkt der Erneuerung der Priester ist das rechte Mitopfern mit der heiligen Messe.26 Der Priester soll ein Opfer sein mit dem göttlichen Erlöser und Hohenpriester. Von da werden jene neuen Gnaden der Vereinigung mit Christus und neue Fruchtbarkeit des priesterlichen Wirkens ausgehen.

213 |             Jesu Leben soll des Priesters Leben werden. Jesu Interessen und Anliegen müssen im Priester zur Tat und Verwirklichung werden. Der Priester soll tun, was Jesus getan hat, gleichsam als dessen zweite Persönlichkeit sein Wirken fortsetzend. – „Ich werde in ihnen lebend sein, und sie werden nicht enttäuscht werden.“

214 |             Die Priester sollen die Leiden des Herzens Jesu zu ihren eigenen machen, sollen Jesu Erlöserleben und seine Sorge um die Seelen in sich selbst fortsetzen. Der Priester soll an Christi statt und nach seinem Vorbild der große Büßer, der Versöhner der göttlichen Gerechtigkeit sein. Er soll eindringen in Christi Herz, das ein beständiges Schlachtopfer für die Sünder war. In dem Maße, als der Priester vor Gott der Versöhner an Jesu statt ist, im gleichen Maße wird er den Seelen die Erlösungsgnaden Christi zuwenden und sie fruchtbar sehen in den Seelen. Alle Gnaden der Erlösung und der Heiligung für die Seelen müssen vom Priester sozusagen mitverdient werden durch ein beständiges Mitopfern mit Christus. Nur ein priesterliches Opferleben wird die Erlösungsgnade Jesu für die Seelen zu ihrer vollen Frucht, Kraft und Wirksamkeit vollenden. Dies ist ein Hauptübel, dass die Priester ihr Leben in dieser Beziehung nicht für maßgebend betrachten27.

215 |             „Alle Gnaden, die ich meinen Aposteln gegeben habe, werde ich neu ausgießen und dadurch neues Leben in den Seelen wirken. Die Schäden meiner Kirche brauchen ein neues Heilmittel und das werde ich sein. Mit dem Heiligen Geist ausgerüstet, sandte ich meine Apostel aus. Mein Leben in den Priestern dieser Zeit wird nicht weniger Frucht bringen. Aber man soll an dieses neue Leben glauben, das ich den Priestern vermitteln will. Aus dem Glauben wird die Kraft kommen, dass die Priester mein Erlöserleben in der Kirche fortzusetzen vermögen. Meine Kraft, mein Leben wird sich in meiner Kirche neu entfalten, aber alle Gnaden sollen vom Priester mitverdient werden“.

216 |             Die Liebe zwischen Priester und Volk, die fast erstorben ist, und vielfach dem Hasse weichen musste, soll durch Christi Liebe in den Priestern wieder neues Verstehen und aufrichtiges Zusammenarbeiten erwirken. So wie die Apostel es getan haben, so soll heute wieder ein neues Zusammenwirken zwischen Priester und Volk entstehen28.

217 |             Die Welt befindet sich wie in einem neuen Kampf zwischen Himmel und Hölle. Wie die Hölle alle ihre Vertreter ausschickt, so will Christus in seinen in ihm umgestalteten Priestern die Welt wieder für sein Reich gewinnen.

218 |             Dem Werk Jesu, des Hohepriesters, soll angeschlossen sein die Tätigkeit für die Erneuerung der Familien im christlichen Geiste. Von den Mitgliedern sollen Laienhelfer ausgebildet werden, und zwar:

a) männliche, die durch entsprechenden Unterricht29 und Aufklärung einen neuen Geist in die zu gründenden Familien tragen. Sie sollen besonders in Jugendvereinen in diesem Sinne arbeiten. Es sollen auch ausgebildete Kreise sein30, die sich ganz dem Werke des Hohenpriesters als Mitarbeiter anschließen;

b) die weiblichen Helferinnen sollen ebenso in Mädchenvereinen gute christliche Mütter heranbilden und sollen den heutigen unsittlichen Ehezuständen wirksam entgegenarbeiten durch Aufklärung, durch Schulung und diesbezügliche Tagungen und Kurse in den Jugendvereinen.

219 |             Der Priester soll auch in dieser Aufgabe direkt für die Erneuerung der Familie und damit für die Kirche arbeiten. Priesterarbeit ist Volksarbeit.

220 |             Den ignatianischen Geist soll man besonders pflegen durch Priesterexerzitien in diesem Geiste. – Die Priester sollen im Werk ein Heim finden, wo sie die Möglichkeit haben, für kürzere oder längere Zeit sich in diesem Geiste auszubilden. Es sollen priesterliche Schulungskurse in dem von Gott gewollten Geist gehalten werden, damit diese Priester sich wieder untereinander in diesem Sinne betätigen können. Es sollen Priesterheime, Ferienheime errichtet werden, wo der einzelne Priester einen Mitbruder findet, wo Fehlende und Wankende neu aufgerichtet werden. Alles soll im Geiste des Herzens Jesu geschehen, dessen Leben ein Leben der Liebe ist.

221 |             Alles dies will Jesus voll Liebe getan wissen. Seine Liebe soll in diesem Werk neu erstehen. Jesus will der Menschheit wieder näherkommen, ähnlich wie damals, als er auf Erden lebte. Jesus mit seinem menschlichen Leben nach den Menschen unserer Zeit greifbar nahe: Er will es werden durch ganz in ihm umgestaltete Priester! –

222 |             MARIA wird die Führerin sein in der Erneuerung der Priester nach den Absichten des heiligen Herzens Jesu. Sie wird sich auch heute noch als starke Frau erweisen, die der Schlange den Kopf zertreten hat, und sie wird ihre Würde und macht als „Miterlöserin“ dem verderblichen Geist der Jetztzeit entgegenstellen.

223 |             Niemand steht dem Herzen Jesu so nahe wie der Priester. Deshalb will Maria ihre ganze Mutterliebe aufwenden, um ihrem göttlichen Sohn würdige Priester zu vermitteln. – Man soll mehr glauben, wie sehr sie um das Heil und Wohlergehen der Kirche besorgt ist; man glaubt viel zu wenig daran.

224 |             Maria war nach dem Tode ihres göttlichen Sohnes die Mutter der jungen Kirche. Sie war es, die die ersten Priester erst so recht in den Geist und in das Wesen ihres göttlichen Sohnes eingeführt hat und ihnen vollends das Innerste des Heilands mitteilte und sie darin festigte.

225 |             Maria hat sich für diese Zeit von Jesus die besondere Gnade erbeten, ihr Leben nochmals für die Priester zu schenken. Dies sei eben eine neue Gnade, um sich dadurch als Vermittlerin aller Gnaden für dieses Priestertum zu zeigen und um ihre Würde als „Miterlöserin“ geltend zu machen.

226 |             Um dies zu erreichen, wünscht Maria, ihr Leben gleichsam nochmals gelebt zu sehen von den Schwestern der Gesellschaft Mariens. – Maria will sich diesen Seelen gleichsam leihen, um deren Gebete und Opfer für das Priestertum fruchtbar zu machen und um dadurch die Vermittlerin der Gnaden für31 das Priestertum zu sein.

227 |             Diese Schwestern sollen das Leben Mariens nachleben und ihre Tugenden sich aneignen, besonders ihre Verborgenheit und ihre Demut – denn kein Heiliger hat das verborgene Leben so geübt wie Maria; dazu ihre beständige volle Hingabe an den Willen Gottes, ihre ständige Bereitschaft gegenüber den Absichten Jesu, ihre tiefe Verbundenheit mit Jesus auch nach der Mutterschaft, ihr Weiterleben des Heilandes auch nachher, als sie das Leben Jesu in einem wahren Sinne weitergelebt hat32. – Die Schwestern sollen, wie Maria, die Absichten Jesu bezüglich der Not der Kirche und der Erneuerung der Priester ganz erfassen. Maria gibt diesen Seelen die besondere Gnade, sich ganz mit ihr vereint für dieses größte Anliegen des Herzens Jesu zu opfern. –

228 |             Durch das Nachleben des Lebens Mariens und durch Mariens besondere Fürbitte und Gnade wird das Leben, Beten und Opfern der Schwestern einen viel höheren Wert erlangen; dies wird sie ihrem göttlichen Sohne zur Verfügung stellen, um die neuen Gnaden auf das Priestertum herabzuziehen. Sie will sich Seelen heranbilden, um ihr Leben für die Priester weiterzuleben.

229 |             Je mehr die Schwestern das Leben Mariens in sich aufnehmen und weiterleben, desto mehr werden sie das Leben Jesu in sich zur Wirklichkeit machen. Dieses „Leben Jesu“ werde durch die Fürbitte Mariens den Priestern übermittelt und in das Leben Jesu in den Priestern übergeben. Der Heiland will seine Mutter in dieser Weise ehren und will neue Gnaden für das Priestertum geben. Dadurch will er das Wirken Mariens für die Priester zur Anerkennung bringen, da Maria, und ihr Leben, von den Priestern zu wenig geschätzt wird …

230 |             Niemand hat sich für die Absichten des Herzens Jesu so bereitgestellt wie Maria. So sollen die Schwestern der Gesellschaft Mariens ganz im Geiste Mariens sich dem Herrn opfern und hingeben, und sich für diese Gnade bereit machen. Sie sollen sich selbst ganz aufgeben, um Jesus in sich leben zu lassen und dadurch den Priestern diese Gnaden zu verdienen. – Mit Jesus sollen sie im Geiste Mariens ein Opfer auf dem Altare sein.

231 |             Die Genossenschaft soll dadurch die notwendigen Gnaden durch Gebet und Opfer auf die Kirche und für die Erneuerung des Priestertums herabflehen, „um die Welt aus dem heutigen Neuheidentum zu retten. Die betenden Frauen sind die Kraft der Kirche“. – Es muss33 vielmehr auf das gegenseitige Beten und Opfern in der Kirche vertraut werden, auf dieses gegenseitige Sich-ergänzen und Sich-stützen. Es soll damit das volle Zusammenarbeiten, und die Einheit in der Kirche, betont werden.

232 |             Die neuen Gnaden werden dem Priester durch das beständige Mitopfern mit der heiligen Messe zufließen. Durch das gänzlich sich Hingeben und Opfern in Gemeinschaft mit Christus und durch die Bereitschaft, mit ihm Sühnopfer zu sein, empfängt der Priester von Jesus tatsächlich jenes versprochene Einssein mit ihm. Jesus nimmt den Willen zur Tat, zieht den Priester ganz an sich, formt ihn nach seinem Herzen und gibt ihm dadurch die Kraft, sich aus den menschlichen Niederungen in jene für den Priester bestimmte Christusähnlichkeit zu bringen.

233 |             Der Priester ist nach den Absichten Jesu, als bevorzugter Jesu Christi bestimmt, die vollen Früchte der Erlösung in sich Wirklichkeit werden und sie auf sich selbst als Ersten wirken zu lassen. Durch das beständige Mitopfern mit dem Opfer Jesu in der heiligen Messe soll der Priester:

a) sich Christus ganz zur Verfügung stellen für diese Art der priesterlichen Teilnahme an ihm.

b) Mit ihm Opfer sein wollen, um dadurch zur Teilnahme und zum Einssein mit Jesus zu gelangen.

c) Mit Christus mitsühnen, täglich gleichsam mit ihm auf den Kalvarienberg gehen, sich als wirkliches Opfer mit dem unblutigen Opfer Jesu vereinigen, in der heiligen Messe ganz eingehen in die Gesinnungen34 und Eigenschaften Jesu, sodass wirklich nicht nur Christus Opfer sei, sondern alle Priester mit ihm und dass sie dadurch gleichsam eine neue „Erlösung“ der Menschheit herbeiführen.

234 |             In jedem Priester soll wieder das Opfer Christi, die Erlösung der Menschen erneuert werden, und der Priester soll dadurch zur Christusähnlichkeit herangebildet werden; damit sollen neue Gnaden für die Menschheit verdient werden. Das soll keine bloße Gefühls- oder Formsache sein, sondern der Priester wird durch ein wirkliches, volles Bereitschaftsopfer in die Opfergesinnung und in das Erlöserleben Jesu hineingezogen, wodurch ihm dann diese „neuen Gnaden“ des wirklichen Lebens mit Jesus mitgeteilt werden.

235 |             Diese Lebensverbundenheit mit Jesus wird zur Quelle der Gnaden für die Seelen werden. Dadurch wird der Priester zum lebendigen Kanal und Mittler35 zwischen Jesus und den Seelen.

236 |             Aus dieser fruchtbaren Lebensgemeinschaft des Priesters mit Jesus ergibt sich eine äußere Nachbildung des Priesterlebens nach dem Leben Jesu, sodass er auch äußerlich sein Leben für die Seelen zu einem beständigen Kreuzopfer gestaltet. Dazu werden die Priester immer mehr sich Jesu Herz zu eigen machen. Als Ersterlöster soll ja der Priester das Leben Jesu leben.

237 |             Welcher Art sind nun die „neuen Gnaden“, die der Herr verspricht?

238 |             Es sind wirklich neue Gnaden, die der Herr geben will, Gnaden, die im Erlöserleben und in den Erlöserverdiensten enthalten und eingeschlossen sind, die aber bis jetzt noch nicht so ganz verwertet und nicht so allgemein eröffnet worden sind. Jetzt will der Herr sie neu jenen Priestern geben, die bereit sind, die Früchte der Erlösung in der Form zu gebrauchen und sich anzueignen, wie es in den fortlaufenden Offenbarungen und Aufzeichnungen angegeben ist.

239 |             Dies wird für die Priester zu einer (subjektiven) „Vollerlösung“ führen36, zu einer aufsteigenden Entsündigung, zu einer sittlichen Erhebung des „alten Menschen“ in einen neuen, erlösten Menschen, der Kraft dieser sittlichen Erhebung einer inneren Umwandlung in Christus nahekommt.

240 |             In der Kraft Christi werden dann die Priester imstande sein, das Angesicht der Erde zu erneuern. Der Herr will aber den Glauben daran, dass diese Gnaden einer Vollerlösung wirklich in seinem Erlöserleben eingeschlossen sind, und er will, dass diese Gnaden angestrebt und verwertet werden. – Er will sie aber zuerst gleichsam grundlegend im Priesterinstitut, dessen einzelne Mitglieder es sich zur Pflicht machen sollen, nach diesen Gnaden zu streben und alle Priester in diesen Geist und in dieses Streben einzuführen und so die ganze Welt dafür vorzubereiten. – Es wird eine Zeit kommen, da diese jetzt noch „neuen“ Gnaden allgemein zugänglich gemacht und gegeben werden. Es ist darin nichts gegen den Geist des Evangeliums oder gegen die Lehre der Kirche. Es muss nur ein vertiefter Glaube geübt und danach gelebt werden. Mit Gottes Gnade ist es möglich, dass der gefallene Mensch sich erhebe zu einer stufenweisen Befreiung von den sittlichen Folgen der Erbsünde und dass er damit Christus anziehe, wie der heilige Paulus sagt: „Zieht an unseren Herrn Jesus Christus!“ Durch eine tiefere Kenntnis des innersten Erlösergeheimnisses soll der Reichtum der uns erworbenen Erlöserverdienste gleichsam neu entdeckt werden und sollen die Früchte der Erlösung voll anerkannt und angestrebt werden.

241 |             Es sind Gnaden einer fortschreitenden und aufsteigenden Entsündigung und Freimachung von den sittlichen Folgen der Erbsünde, Gnaden der sittlichen Erhebung des „alten Menschen in einen neuen“, erlösten Menschen, der Kraft dieser sittlichen Erhebung und auch subjektiven „Vollerlösung“ einer inneren Umwandlung in Christus nahekommt, und dies aufgrund des Eingehens auf die gottgewollte Glaubensvertiefung. „Es sind wirklich neue Gnaden, die ich gebe, Gnaden, die in meinem Erlöserleben und in meinen Erlöserverdiensten eingeschlossen sind, die aber bis jetzt noch nicht so verwertet und noch nicht allgemein eröffnet wurden. Jetzt aber gebe ich sie neu den Priestern, die bereit sind, die Früchte der Erlösung in jener Form zu gebrauchen und anzuzeigen, wie es in den fortlaufenden Offenbarungen angegeben ist. Dies wird für die Priester zu einer Vollerlösung werden, zu einer aufsteigenden Entsündigung, zu einer sittlichen Erhebung des alten in einen neuen, erlösten Menschen … In meiner Kraft werden dann die Priester imstande sein, das Angesicht der Erde zu erneuern. Ich will aber den Glauben daran, dass diese Gnaden einer Vollerlösung wirklich in meinen Erlöserverdiensten eingeschlossen sind, und ich will, dass diese Gnaden angestrebt und verwertet werden.

242 |             Ich will sie aber zuerst grundlegend im Priesterinstitut, dessen einzelne Mitglieder es sich zur Pflicht machen sollen, nach diesen Gnaden zu streben und als Priester in diesem Geiste und in dieses Streben einzuführen und so die ganze Welt dafür vorzubereiten.

243 |             Es wird eine Zeit in der Kirche kommen, da diese jetzt noch 'neuen' Gnaden allgemein zugänglich gemacht und gegeben werden. Bis dahin wird aber noch ein großer geistiger Umschwung in der Kirche kommen, um die Menschen allgemein darauf vorzubereiten. Es kommt ein neues geistiges Zeitalter der Kirche.

244 |             Nichts darin ist gegen den Geist des Evangeliums oder gegen die Lehre der Kirche. Es muss nur ein vertiefter Glaube geübt und danach gelebt werden. Mit Gottes Gnade ist es möglich, dass der gefallene Mensch sich in einer stufenweisen Befreiung von den sittlichen Folgen der Erbsünde erhebe und dass er damit Christus anziehe, wie der heilige Paulus sagt: 'Zieht an unseren Herrn Jesus Christus!'

245 |             Durch eine tiefere Erkenntnis des innersten Erlösungs-Geheimnisses soll der Reichtum der uns erworbenen Erlösungsverdienste gleichsam neu entdeckt werden und sollen die Früchte der Erlösung voll anerkannt und angestrebt werden.

246 |             Ich selbst würdige mich, der Menschheit zu zeigen, welches Mittel sie aus der heutigen Verderbnis retten und erhöhen und wieder zu mir zurückführen kann. Darum offenbare ich dieses Mittel, das sie selber anwenden sollen. Ich selbst will die Welt retten und ich bin selbst das Heilmittel, das sie im Reichtum meiner Erlöserverdienste finden. Es soll nichts menschlich Erdachtes, nicht menschliche Weisheit sein, wodurch die Menschheit wieder zu mir zurückgeführt werde, sondern ich selbst zeige ihr den Weg.“

247 |             Christus schenkt sich neu der Menschheit in den Priestern, die nach seinem Herzen gebildet sind.37

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Jahr 1938

 

Grundlage M1

 

 

 

 

 

Februar

11.02.1938

248 |             Durch die Priesterweihe tritt der Priester in innigste Lebensgemeinschaft mit Christus. Das Priesterleben soll in jeder Beziehung das Leben Jesu wiedergeben. Jesu Erlöserleben soll im Priester wiedergelebt werden.

249 |             Was Jesus im Kreuzesopfer uns an Gnaden und Verdiensten erworben hat, das soll in der heiligen Messe gleichsam neu wieder den Seelen zugewendet werden und das soll vor allem die Aufgabe des Priesters sein. Jesu Aufgabe als Welterlöser soll in Kürze im Priester bei der heiligen Messe wiederholt werden.

250 |             Stufengebet und Kyrie: Beim Confiteor tritt der Priester mit Christus hin vor seinen Vater als der beständige Versöhner und Vermittler zwischen Himmel und Erde. Mit Jesus nimmt er die Sünden der Menschen auf sich und bekennt sie vor dem ewigen Vater als seine Schuld. Es ist ein Hauptzweck der heiligen Messe, Gott zu versöhnen und seine Barmherzigkeit neu auf die Menschheit herab zu flehen. Vor dem Geiste des Priesters sollen nicht nur seine eigenen Sünden stehen, sondern die ganze Schuld der Welt. Mit Christus geht er nun hin, um Barmherzigkeit von Gott zu erbitten. Er bietet sich mit ihm an, Erlöser der Seelen bzw. Miterlöser zu sein, und wird dadurch mit einbezogen in das Erlöserleben Jesu. Die Gesinnung des Priesters soll die Gesinnung Jesu sein, mit der er freiwillig die Schuld der Menschen auf sich nahm und sich selbst als Lösepreis einsetzte. Der Priester steht eben nicht als Einzelperson vor dem Altar, sondern im Auftrag Christi, als Vertreter der sündigen Menschheit. So will es seine Auserwählung als Priester und so erwarten es die Seelen von ihm. Bei der heiligen Messe soll sich der Priester nicht als gewöhnlicher Mensch betrachten, sondern als Mittler, als Christus, der Versöhner des beleidigten Gottes. An Christi Stelle schenkt er wieder Verzeihung, Lossprechung, Gnade und Erbarmen. Tritt der Priester in dieser Opfergesinnung „als Christus“ zum Altar hinan, wird ihn der ewige Vater gleich seinen Sohn in seinen ewigen, göttlichen Erlösungsplan miteinbeziehen und durch ihn neue Barmherzigkeit und Gnade ausgießen. An Christi Stelle soll er der Sohn des Vaters sein und durch dieses stellvertretende Opfer will der Vater nochmals ähnliche Gnaden geben. Des Priesters Flehen um Erbarmen wird vom Vater gehört werden, wenn er sich selbst ganz ausschaltet und vor Gott als der Schuldige hintritt wie Jesus – beim Stufengebet und Kyrie.

251 |             Gloria: Dann tritt der Priester schon zuversichtlich, auf Gottes Barmherzigkeit vertrauend zu dessen Throne hin und dankt ihm und lobt ihn beim Gloria, dass er auch anstelle der Seelen des Volkes als Lobgesang Gott darbringen soll. Im Namen und anstelle Christi soll der Priester vor Gott ein beständiges Lobopfer sein. Als der vielgeliebte Sohn, an dem der Vater sein Wohlgefallen hat, als ein neuer Ersatz an Treue, Liebe, Anbetung und Verherrlichung für das, was die Sünder dem Herrn durch ihre Abkehr versagen, soll der Priester als zweiter Sohn Gottes durch seine Lebensgemeinschaft mit Christus gelten.

252 |             Dominus vobiscum: Im Vertrauen, dass Gott sein Lob und seine Anbetung angenommen hat und ihm dafür seine Teilnahme an Christi Leben geben wird, will der Priester seine Freude darüber auch den Anwesenden mitteilen und bietet auch ihnen die Teilnahme an Gott an – im Dominus vobiscum. Er soll ja das Leben Jesu weitergeben; er empfängt es nicht für sich.

253 |             Orationes: Als der große Beter mit Christus will er nun alle Anliegen des Volkes Gott vortragen, wiederum als Vermittler in Christi Namen in innigster Gemeinschaft mit der heiligen Kirche. Die Anliegen Jesu und die der Gläubigen sind die seinigen geworden.

254 |             Epistel und Evangelium: Als dem Lehrer und Verkünder der göttlichen Wahrheiten an Jesu Stelle will ihm Gott gleichsam die Schatzkammern der göttlichen Geheimnisse öffnen, in die einzudringen nur seine Auserwählten, die Priester, berufen sind. Was er den Seelen verkündet, dafür soll er ständig bereit sein, sein Leben zu opfern. Sein Leben soll ein getreues Abbild dessen sein, was er seinen Gläubigen lehrt und was er ihnen zu befolgen empfiehlt. Hier wird sich besonders die Kraft der göttlichen Gnade zeigen: Das Leben des Priesters nach dem heiligen Evangelium wird den Seelen die Gnade verdienen, ganz einzudringen in die Absichten Gottes und den Priester als ihr Vorbild und ihren Lehrmeister zu betrachten.

255 |             Credo: Der Glaube ist das Fundament des religiösen Lebens, die Kraftquelle, woraus sich das übernatürliche Leben der Gnade entwickelt. Darum ist der Priester der Erstberufene, seinen Glauben vor Gott und den Gläubigen zu bekennen. Der Priester soll glauben an Stelle aller Ungläubigen, Schwachgläubigen, Heiden und Sünder. Seine apostolische Liebe soll sich auf alle erstrecken. Er tritt vor Gott hin als Vertreter, auch aller Irregegangenen und Abgefallenen und bietet sich ihm als Werkzeug an, diese verlorenen Seelen wiederzugewinnen. Von Gott und der heiligen Kirche ist er gesandt, den Glauben an den dreieinigen Gott auf der ganzen Welt zu erhalten und zu verbreiten in Gemeinschaft mit den Gläubigen und in Einheit mit der Kirche und seinen geistlichen Mitbrüdern. Alle Priester zusammen bilden vor Gott gleichsam nur ein Priestertum in Christus.

256 |             Dominus vobiscum: Als Ausspender der göttlichen Gnade bietet der Priester dem Volke abermals „den Herrn“ an. Ist sein Herz von lebendigem Glauben an Gott und an seine Priesterwürde und Priestermacht erfüllt, so wird Gott seinem Diener diesen Wunsch zur Wirklichkeit werden lassen und die Seelen zu sich an den Altar heranziehen und sie zur innigsten Teilnahme am heiligen Opfer befähigen.

257 |             Opferung: Wie Brot und Wein eine Gabe der Natur sind, so ist der Priester gleich allen Menschen allen menschlichen Schwächen unterworfen. Wie aber auch Brot und Wein bei der Opferung aus dem gewöhnlichen Gebrauch herausgehoben werden, so soll der Priester durch den Dienst Gottes, wozu ihn Gott als Auserwählten berufen hat, diesem reinen Brote gleichen, und soll dem Willen nach nichts mit der niedrigen Verderbtheit des Alltagsmenschen zu tun haben. Wie der Wein etwas Geistiges, Höheres versinnbildet, so soll des Priesters ganzes Streben sein, Christi Geist und Kraft in sich aufzunehmen und göttliche Kraft den Seelen zu vermitteln. Brot und Wein und des Priesters Leib und Seele sollen zusammen und zugleich Opfergabe sein, ausdrücklich für Gott zubereitet zur Annahme seines göttlichen Lebens. Im heiligen Messopfer soll der Priester zum Opfer Christi das Opfer seines eigenen Wesens hinzufügen, um Gott dem Vater auch ein wirkliches, lebendiges Opfer zu bieten. Je mehr der Priester sich selbst ganz aufgibt und, dem reinen Opfer von Brot und Wein gleich, sich als lebendige Opfergabe zur Umgestaltung in Christus bereitet, desto mehr wird er die Verwandlungskraft Jesu in sich wirksam machen. Eine vollkommene Selbstaufgabe wird eine noch höhere Art des Eingehens in das Leben Jesu bewirken.

258 |             Lavabo: Beim Lavabo will sich der Priester mit dem Unschuldigen und Reinen vereinen, um Gott in Christus ein würdiges Lobopfer zu werden. Seine Sorge soll sein, sich selbst rein zu bewahren, den Dienst am Altar würdevoll und heilig zu gestalten, nichts gemein zu haben mit denen, die die Welt und ihre Freuden lieben. Seine Ehre und Freude soll die Verherrlichung der heiligen Dreifaltigkeit sein, die ihn als Vermittler zwischen Gott und den Menschen erwählt hat. Das Volk sieht auch auf die Händewaschung und erwartet vom Priester ein Vorbild, einen treuen Spiegel, der das Leben Jesu wiedergibt.

259 |             Suscipe S. Trinitas: Nochmals bittet der Priester um gnädige Aufnahme seiner Opfergaben zum Andenken des Leidens Jesu Christi usw. Er legt sich selbst mit all seinen Opfern, Mängeln und Schwächen als Opfergabe hinzu und bietet die reinste Jungfrau und die übrigen Heiligen um ihre Fürsprache bei Gott. Er soll sich auch in diesen Gebeten selbst mit zu einem Opfer machen.

260 |             Orate fratres: Nochmals wendet sich der Priester zu den Gläubigen und bittet sie ebenfalls um Gebet, dass „mein und euer Opfer vor Gott wohlgefällig sei“. Mein Opfer = die Opfergaben UND mein eigenes Opfer meiner selbst; euer Opfer = Brot und Wein UND eure Mitopferung; das Opfer meiner Selbsthingabe und Brot und Wein, was nach der heiligen Wandlung in EIN Opfer verschmelzen soll; Brot und Wein und euer Mitopfern, was sich ebenfalls mit dem Opfer Christi vereinigen soll. – Der Priester steht eben als Vertreter des Volkes und Vollbringer göttlicher Opfergewalt am Altar.

 

April

19.04.1938

261 |             Heute will ich dir, liebster Jesus, noch einmal danken für alle Gnaden, die du mir in der letzten Zeit geschenkt hast. Jetzt gehöre ich dir noch vollkommener an durch das Gelübde, dein Leben weiterzuleben und mit dir selber deine Leiden in mich aufnehmen zu wollen. Ich möchte dich so herzlich bitten: Lebe ganz in mir mit deiner Liebe, mit deinem vollen Heiligen Leben, das du deiner heiligen Mutter geschenkt hast bei deiner Menschwerdung! Ich möchte dir auch diese heilige Reinheit und vollkommene Hingabe bieten wie Maria, möchte dir für deine Absichten mich so zur Verfügung stellen wie sie, die voll der Gnade war.

262 |             Das ist es, was du lieber Heiland so oft von mir gefordert hast, die Art der Hingabe Mariens. Ein liebens- und leidensfähiges Menschenkind suchtest du, indem du dein Lieben und Leiden erneuern willst. Ich darf, ähnlich wie Maria, geistige Mutterstelle vertreten, um dadurch Mutter der Priester zu werden. – Dies Gelübde hast du mir, mein Heiland, schon jahrelang vorausgezeigt. Ich habe es aber nie begriffen, welch weiten Weg du mich bis dahin führen würdest, bis du mich, voller Geduld mit deinem schwächsten Kinde, so weit gebracht hättest. O, dass ich nun nie mehr zu mir zurückkehre! – Viele Leiden, ja ein Leben voll Leiden wird die Folge dieser Hingabe sein und eigentlich der Beweis für dieses von dir gewollte Gelübde. Am meisten Angst hatte ich vor dem teilweise schon voraus erlebten Leiden, das aus dem „Sühne-sein“ folgt, nämlich „alle Sünden der Priester nochmals zu sühnen, um dadurch neue Gnaden für dein Priestertum zu verdienen“.

263 |             Wie du mir am Gründonnerstag gezeigt hast, willst du dein zu gründendes Priesterwerk und damit das neue Priestergeschlecht mit überschwänglichen Gnaden ausstatten, gleichsam neu lebenskräftig machen. Deine Gerechtigkeit verlangt aber dafür Entschädigung und Sühne. Auch die Sünden und Nachlässigkeiten der heutigen Priester verlangen Sühne und Genugtuung. Wie sehr wirst du, lieber Heiland, heute in deinen Priestern entehrt! Deiner Kirche gereichen sie zur Schmach. Das willst du gutmachen und gleichsam alles neu machen.

264 |             Deine heilige Mutter will sich dafür verwenden. Ihre Lebensbereitschaft soll in den für deine Absichten bestimmten Seelen neu fruchtbar werden, um neues übernatürliches Leben in den Priestern zu wirken. Mir scheint: Das soll ein viertes Gelübde in der zu gründenden Genossenschaft sein, das die Mitglieder aber erst nach reiflicher Prüfung ablegen.

265 |             Am heiligen Karfreitag durfte ich mich in der von dir gewollten Weise opfern. Meine vorhergehende Angst ging in Freude und Zuversicht über, mich endlich ganz aufgeben und verlieren zu dürfen. Ich glaube, dass Jesus mich, sein ärmstes Kind, mit Freuden aufgenommen hat. Es war eben alles Freude in mir, so stille, heilige Freude. Ich war wie ganz er.38 Ich fühlte von mir nichts, auch vom Heiland nichts. Es war ein Geist geworden aus uns. Ich kann diese Art der Vergeistigung nicht verstehen, viel weniger erklären. Und doch verstehe ich die Worte Jesu so klar. Er sagte mir – aber „sagen“ ist nicht der richtige Ausdruck; es ist ein Erfassen der innigsten Liebe, die er mir erwies und in der er mich begreifen ließ. – „Ich habe dich so rein gemacht, wie die Menschen bei der Erschaffung waren; denn nur in einem Zustand solcher Reinheit kannst du meine Gegenwart und mein innewohnendes Leben ertragen. Ich habe alle Erlösungsgnaden, alle meine Leiden dir so voll zugewendet, als hätte ich alles für dich allein gelitten und geopfert.“ (Jesus ließ mich früher sooft erkennen, dass er alle Priester in diesen geistigen Zustand der vollen Wirksamkeit seines Erlöserlebens und Leidens führen wolle.)

266 |             Jesus versprach mir, er wolle diesen Seelenzustand und diese Reinheit in mir erhalten und er werde für immer in mir bleiben und mich als „sein leidensfähiges Leben“ gebrauchen. Zugleich mit ihm würden auch seine Leiden, sein „Sühnopfer-sein für die Sünden“ in mir wachsen. Wie er vor seinem himmlischen Vater wie ein Sünder dastand, so würde ich dies mit ihm und wie an seiner Stelle leiden. Ich würde mit diesen Sünden, die er gesühnt haben wolle, (mit den Priestersünden) zu kämpfen haben, als wären es meine eigenen Sünden. Ich würde wie belastet sein mit dem, was ich gutmachen und sühnen und tragen müsse. Das würde ein großer Teil meines Leidens sein. Durch die allerhöchste Reinheit, die er mir geschenkt habe, würde ich den kleinsten Fehler, der mir wie mein eigener erscheine, und das kleinste dieser Leiden schwer empfinden und mich dadurch immer mehr für größere Leiden befähigen. Meine Lebensaufgabe sei, „seine Leiden um die Priester nochmals zu leiden und dadurch neue Gnaden auf das Priestertum herabzuziehen“. – Um diese in höchstmöglicher Vollkommenheit zu erwirken, schenke er sich mir derart.

267 |             Wie habe ich mich am Karfreitag auf die heilige Kommunion gefreut! Jesus war in mir; alles in mir war Jesus! Ich kann mich nicht anders ausdrücken. Ich habe aber nie irgendwelche geistige Tröstungen, sondern das sichere Erleben Jesu.

268 |             Ein Leben Mariens solle mein Leben für ihn sein; Maria habe sich in mir wieder, wie damals, ihrem lieben Jesus zur Verfügung gestellt. Sie sei in mir die Vermittlerin, dass Jesus in mir leben könne. Es sei eine Gnade Mariens für mich und zugleich für die Priester, dass sie dadurch die Vermittlerin des „neuen Lebens Jesu in den Priestern“ werde.

269 |             Ich sah und begriff innerlich alles so klar in einem geistigen Wissen und Erkennen. In Worten könnte man das nicht so bestimmt zeigen.

270 |             So darf ich dem ewigen Vater gleichsam ein doppeltes Leben bieten. Durch Mariens Gnade werde ich das Leben Jesu vollkommener leben. – Es ist eine große Ruhe über mich gekommen. Könnte ich immer felsenfest an die großen Gnaden glauben! Doch er sagt mir oft, gerade meine Leiden seien ein Beweis der Gnade Jesu.

271 |             Ich will nichts mehr für mich. – Jesus verlangt jetzt oft von mir, ich müsse hingehen und für seine mir geoffenbarten Absichten Zeugnis geben und eintreten. Es werde ein großer Triumph werden für sein Herz. Ich muss mich im Voraus so herzlich darüber freuen oder freut sich Jesus darauf? Ich kann es nicht unterscheiden. Mach das bald, lieber Heiland! Komm mit deiner göttlichen Allmacht deiner glühenden Liebe entgegen!

 

Juni

02.06.1938

272 |             Indem ich Mariens Leben-Jesu nochmals darbringe und auch gänzlich auf Trost vonseiten Mariens verzichte, würde von ihr den Priestern Trost und Licht und Gnade gegeben. So würde ich in tiefster Weise Jesu, ihr Leben, nochmals leben. Mein Glaube, das innere Wissen und die tief innerliche, geistige Betätigung müssen mir genügen. Auf diese Weise würde Maria zur Vermittlerin der Gnaden für das neue Priestertum.

273 |             Ich solle in vollkommenem Verzichten, ohne Rücksicht auf meine geistigen Bedürfnisse und ohne Verlangen nach Trost usw., Jesu innerstes Leben erfassen und mich darin verlieren. – Gewiss ist das in Worten nicht auszudrücken, doch mein Inneres ist darüber sicher und lichtvoll. – Sein Leben soll ich in mir zur vollen Wirksamkeit kommen lassen und dies allein solle mir genügen, um dadurch neue Gnaden für die Priester zu verdienen und gleichsam auf Vorrat zu sammeln; sie sollen dadurch anderen überreichlich geschenkt werden. Jesu Leben war ja auch ein beständiges, selbstloses Verdienen für die Seelen und für die Kirche.

274 |             Die Tiefe und Weite dieser Forderung Jesu lässt sich nicht ausdrücken. Damit trete ich in das Innerste des Herzens Jesu ein und erfasse ihn innerlich. Er lasse mich an ihm in einer vollkommenen Art teilnehmen. Alles dies steht klar vor meinen Augen.

275 |             Ich trete gleichsam ein in Jesu Erlöserleben und erlebe damit das innerste des Herzens Jesu. Vor zehn Jahren etwa hat mir Jesus oft versprochen: „Ich werde dich das Innerste meines Herzens erleben lassen; ich werde dir die Geheimnisse meines Herzens offenbaren“. Er machte es im höchsten Sinne war. – Ich bin so ruhig und vertrauensvoll, dass ich auch kann, was Jesus von mir verlangt. Wenn die Gnade echt ist, muss sich daran die geistige Wirksamkeit knüpfen. Das soll mir das sicherste Zeichen der Echtheit sein.

276 |              Bis jetzt ist, mein Innenleben betreffend, alles geistig vorher geschaute wahr geworden und kann ich mit der führenden Gnade innerlich das wirklich ausführen. So leitet mich Jesus schon 16 Jahre lang von Stufe zu Stufe. – Ich fühle mich seelisch wie neu, an einer bestimmten Entscheidung meines Innenlebens angelangt. Etwas Ruhiges, Sicheres und Festes beherrscht mich. Er sei gepriesen!

 

Juli

13.07.1938

277 |              „Lieber Heiland! Nimm mich ganz hin als dein zweites Ich, dein erneutes menschliches Leben, um die Absichten deiner Liebe zu erreichen! Nimm mich hin als ein vollkommenes, vollständiges Opfer für deine Kirche, für ihre Erneuerung durch heilige Priester! Ich will dir dienen mit jener Bereitwilligkeit und Hingabe, mit welcher dir einst den von deiner heiligen Mutter angenommenen Leib in allem unterworfen war. Ich will dir mit jener Liebe ganz zu Diensten sein, mit der Maria, deine heilige Mutter, es tat, um dir nach deinem heiligen Willen eine neue Menschheit in mir zu schaffen. O Jesus, du enttäuschest deine dir vertrauenden und dir ganz geopferten Kinder nicht!“

 

22.07.1938

278 |             Beim ersten Erwachen heute früh war ich wie vernichtet und zerschlagen durch meine seelische Unfähigkeit, geistige Armut und mein „Nichtssein“. Aus diesem Vernichtetsein entstand in mir etwas wie ein neues Leben Jesu. Im Voraussehen waren mit den inneren Leiden Jesu auch seine körperlichen Leiden verbunden. Ich würde sein Erlöserleben in mir erneuern, sodass ich infolge des Aufnehmens seines „ganzen Lebens“ auch in jener Weise ihm ähnlich sein werde. – Nach diesem geistigen Voraussehen kam wieder die gewöhnliche innere Vernichtung.

279 |             Nach der heiligen Kommunion war ich wieder im Zustand des fühlbaren Seins im Heiland. Es war ein wirklich erlebter Zustand: Jesus in seinen Leiden lebend in mir; ich, als Opfer für die Kirche, von Gott gesandt als Licht und Gnade zur Erneuerung der heiligen Kirche, als Werkzeug, durch das Jesus neue Gnaden vermittle, ihm ganz restlos als sein zweites Ich zur Verfügung gestellt, ganz für seine Absichten bereit. Zugleich war mein armes Wollen hineingestellt in Jesu allerhöchstes Wollen. Ich war so eins mit Gott, für mich nicht mehr vorhanden. – Es ist mir alles so sicher. Ich bin in dem Zustand meiner Aufgabe.

280 |             Den ganzen Tag über war ich innerlich vernichtet, unfähig, seelisch ruhig zu sein; mein Leben schien mir wie wertlos und umsonst. – Beim heiligen Segen am Abend war ich wiederum bewusst in jene geistige Aufgabe hineingestellt. Ich sehe alles in mir gegenwärtig, nein, ich bin oder soll sein, was ich sehe; und es kommt wie aus mir selbst.

281 |             Jesus in der heiligen Hostie würde mir nicht zur fühlbaren Kraft oder äußeren Anregung werden, sondern er sei „mein Leben“, d. h. sein Leben aus mir heraus, die Kraft seines Lebens, das Sein in mir, oder besser gesagt: Ich bin das, was ich sage, ein Opfer für die heilige Kirche. Die Kirche rüstet oder vielmehr Jesus rüstet seine Kirche zum großen Entscheidungskampf. Er wolle in mir der Kirche Beistand und Licht sein; ich solle ihm für diese Absichten ganz geopfert sein (in Worten ist es nicht auszudrücken. Jesu Leiden und Leben solle neu seiner Kirche in dieser bedrängten Zeit zugewendet werden durch mich.)

282 |             Ich sah mich wie nochmals an Jesu statt leidend und opfernd und seine Stelle vertretend im Leiden. Ich solle ganz Ja sagen zu meiner Aufgabe. Jesus sagte: „du bist nicht mehr; ich bin in dir.“ Wie in den Zeiten der Apostel gebe er auch jetzt seiner Kirche eine Mutter, dass neues Leben in der Kirche hervorgehe. (Man bedenkt zu wenig, wie sehr Maria Jesu Stelle vertreten hat.) – viele Seelen beten und opfern in dieser Absicht mit mir. Eine große Aufgabe stand teilweise unverhüllt, zum größten Teil verhüllt von mir. Ich bin in diesem Zustande Jesu, seine Stelle vertretend, seine Leiden erneuernd, irgendwie Ratgeberin und Stütze (der Kirche und des Papstes), wodurch Jesus seiner Kirche in dieser bedrängten Lage zu Hilfe kommt.

283 |             Ich bin mir selbst ganz wertlos. Bin ganz den Bedürfnissen seiner bedrängten Kirche anheimgestellt.

284 |                    

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Das Jahr 1939

 

 

 

 

 

 

Mai

07.05.1939

286 |             Nach vielen, unbegreiflichen Leiden wurde ich in den Zustand des wirklichen „Seins Jesu“ geführt. Ich war nicht mehr; er war das Leben, das Alles. Und ich sah, d. h., er ließ mich wissen, in menschlichen Worten ausgedrückt: Ich sei seine zweite menschliche Natur. (Ich war es, in der mir das erklärt wurde). Wie einst Maria, so ähnlich soll und sei ich sein zweites Leben. Eine zweite Art der geistlichen Vermählung gebe er mir, aus der viele, besondere Gnaden für mich fließen [würden].

287 |             Es war ein unaussprechlicher Zustand der Ruhe, und ich war wie er geworden. Ich sah auch die Verbindung mit Maria zur Möglichkeit eines Erlöserleibes. Ich solle ihm durch diese Art der Verbindung als Werkzeug dienen zu einer besonderen Erneuerung seiner Kirche durch die Priester. Es sei ein Grad der Einheit und Vereinigung, zu der Gott bis jetzt niemand geführt oder zugelassen hätte; Maria sei meine einzige Freundin und Vorbild. Wie aus ihr Jesus als Werkzeug (menschlich gedacht) hervorging, so werde aus dem Leben Jesu in mir neues Leben für die Kirche hervorgehen. Baumann habe die Berufung, als reine Quelle alle neuen Gnaden weiterzugeben.

288 |             Ich solle glauben an diese große Gnade, so sicher wie ich glaube an die Menschwerdung in Maria. Der Glaube werde sich auch aus der Wirksamkeit dieser Gnade in mir ergeben.

289 |             So tief sah ich die Gottheit herniedersteigen, um sich mit einer Menschheit zu verbinden; zum Vergleich sah ich, was in Maria geschah. Deshalb gingen in mir die vielen Leiden der inneren Vernichtung und Verdemütigung voraus, damit Jesus sich vollen Raum schaffen könnte, damit von mir nichts mehr da sei. Ich fühlte und sah mich darum auch vorher ganz aufgelöst und wie einen Geist oder wie nicht vorhanden, wie ein Wesen, das nicht mehr existierte. So war es auch heute früh, als Jesus mir dies erklärte; man verliert da sozusagen den Boden unter den Füßen.

290 |             Und nun fühle ich eine neue Art der Einheit und sein volles Leben in mir; wir sind eins geworden für immer.

291 |             Bleibe, O Jesus, immer! – So musste ich immer wieder bitten – ich will dir alles sein, wie Maria es dir gewesen! Was kann doch deine Liebe ersinnen, um sich mit dem ärmsten Menschenkinde zu verbinden! Ich will, O Jesus, ich will! – Das war meine einzige Antwort auf die große Gnade Jesu.

292 |             Als ich ihm in dieser fühlbaren Einheit alle meine besonderen Anliegen vorbrachte, sagte er mir: „du wirst immer mit deinen Bitten Zutritt haben zu meiner Gottheit“. – Und ich sah das Priesterwerk aus dieser Art der Vereinigung als Frucht hervorgehen. Er würde es gerade so hochstellen, wie seine Gnaden in mir groß und überfließend seien.

293 |             Ich bin so voller Ruhe, nein ich bin die Ruhe, die Einheit, das Leben, der Glaube; zu deutlich ist die Wirksamkeit dieser Gnade in meiner Seele. Es war ein volles Versenktsein in seine Gottheit, in der nur Gott war und die ein Wesen in sich aufnahm.

294 |             Herr, nie mehr zurück zu meinem elenden Nichts! Vernichtet sein für mich auf immer!

295 |             Vorher sah ich die Art der heutigen Priestererziehung: Wie man einen guten Menschen, einen pflichtgetreuen, reinen Priester machen will.

296 |             Das werde anders werden: Jesus werde den Priester erziehen; er werde volle Gewalt über die Priester erhalten durch die Einwirkung seiner Gnade und durch das Bewusstsein und Mitopfern des Priesters. Sein (Jesu) Leben werde alles bewirken. Und ich sah große Scharen von Priestern, wie sie jetzt sind – und dann, wie sie später sein werden, voll Glauben und Leben Christi. Es war ein großer Unterschied: früher ihr eigenes Tun, später das Leben Jesu in ihnen.

 

25.05.1939

297 |             Bei der heiligen Wandlung in der heiligen Messe wurde mir wieder das Wesen und die Aufgabe einer Hostie in Bezug auf meine Aufgabe gezeigt, und zwar in Verbindung mit Maria: ganz rein, aufnahmefähig für Jesus, ganz und willenlos seinen Absichten dienend.

298 |             Es wurde mir auch gezeigt: Maria als das Werkzeug für die Möglichkeit des menschlichen Lebens Jesu, ganz bereit, in sich den Allerhöchsten bilden zu lassen, sich darbieten für das Leben Jesu zum Zweck der Erlösung und Hinopferung am Kreuze, zur Hingabe Jesu in der heiligen Eucharistie für die Seelen.

299 |             Meine innere Aufgabe: In ihr Leben, ihre Gesinnung ganz – nicht dem Gefühle oder dem Willen nach – einzugehen und dies Jesus darzubieten, in ähnlicher Art wie Maria, für ein neues Leben in der heiligen Kirche; mich ganz zu opfern, um ein „neues Leben Jesu“ in mir bereiten und geben zu können für die Erneuerung in den Priestern: „Es werden Ströme neuen Lebens Jesu in den Seelen der Priester daraus hervorgehen“.

300 |             Alle Priester sollen einer Hostie gleichen, in der Jesus zum Leben gelangt und vollendet wird durch die eigene Mitwirkung. In der Vollendung dieses Geistes wird die Erneuerung des Priestertums bewirkt werden.

301 |             Der ganze Tag war eine Vorbereitung, eine Wegnahme alles dessen in mir, was den Absichten Jesu noch hinderlich wäre, ein weiteres Aufgeben meiner selbst.

 

Umwandlung in Jesus

302 |             Schon Ende 1922 hatte ich die beständige Mahnung, ich müsse mich dem lieben Heiland in der Art opfern, wie er sich ständig vor seinem himmlischen Vater opfere. Wie Brot und Wein als Opfergaben in der heiligen Messe in seinen Leib und sein heiliges Blut verwandelt werden, so müsse und würde ich in ihn umgewandelt und dadurch ein brauchbares Werkzeug für seine Absichten werden. Oft nach der heiligen Kommunion zeigte mir Jesus diese Art der Umgestaltung in ihn …

303 |             Durch den Begriff seiner Menschwerdung wurde mir diese innere geistige Umwandlung begreiflich gemacht; wie er als Gott eine menschliche Natur annahm, so ähnlich wolle er in mir wiederum eine menschliche Natur annehmen. Maria bot ihm die Möglichkeit einer leidensfähigen Menschheit. Was durch menschliche Seele und Leib gefehlt wurde, das sollte durch das Werkzeug der heiligen Menschheit Christi gutgemacht werden. Jesus, Gott mit göttlichen Eigenschaften, ließ sich herab in diese arme menschliche Hülle, um durch die menschliche, mit der göttlichen verbundenen Natur das gefallene Menschengeschlecht wieder zu Gott zu erheben und zu vergöttlichen. Der erste Zweck des menschlichen Lebens Jesu war Sühne; dann aber die Einbeziehung und Umgestaltung der Menschheit in göttliches übernatürliches Leben. Jesu Leiden und Sterben war der göttliche Preis und Einsatz, um den Menschen dieses übernatürliche Teilhaben an seinem Leben mitzuteilen, damit der Mensch wieder werde, wie er im Paradiese war. Der ewige Vater nahm diese Liebestat Jesu an und schenkte allen Menschen durch die Verdienste des Leidens und Sterbens Jesu dieses göttliche Teilnehmen als Frucht der Erlösung. (Diese durch die Verdienste je so erworbene Einbeziehung der Menschen in das höhere, göttliche Leben der Gnade wurde mir Wochen und Monate lang erklärt.)

304 |             Wie er mir versprochen hatte, sandte mir Jesu einen Priester, den ich bitten sollte, dass er mich bei der heiligen Messe opfere, wie Brot und Wein geopfert werden. Durch dieses beständige Mitopfern und diese fortwährende Opfergesinnung, die nach und nach in mein tägliches Leben überging, sollte sich diese geheimnisvolle Umwandlung und Einbeziehung meiner armseligen Menschheit in sein göttliches Leben vollziehen. Jeden Tag eine Opferhostie sein, die bestimmt ist, mit Jesus auf dem Altare er zu werden: Das war die ständige Forderung Jesu an meine Seele. Was anfangs vielleicht nur Willenssache und Gewohnheit war, sollte in wirkliches Leben im Heiland übergehen. – Freilich kann man erst dann in das Wesen eines anderen vollends und dauernd eingehen, wenn vom ersten Wesen nichts mehr vorhanden ist; so erklärte mir der liebe Heiland oft. Darum heißt es, den alten Menschen ausziehen und ein neues Leben annehmen, sich selbst sterben, Jesu Leben annehmen …

305 |             Nach ein paar Jahren sagte mir der liebe Heiland: „du bist jetzt eine zubereitete Hostie, um mein göttliches Leben in dich aufzunehmen“. Er ließ mir das oft fühlbar werden und gab mir Einsicht in sein fortschreitendes Leben in mir. Bei der Opferung gab ich mich ganz dem lieben Heiland hin, d. h., ich vereinigte mich jeden Tag mit der heiligen Messe jenes Priesters, dass Jesus an mir das Wunder der Umwandlung in ihn vollziehe. Wie nach der heiligen Wandlung Brot nicht mehr Brot, sondern Jesu Leib ist, so wolle er über das Opfer meiner selbst die Worte sprechen: Das ist mein Leib, mein Leben, das ich für meine Absichten gebrauchen will. Das wurde mir zum inneren, so sicheren Erlebnis, und dies war im Allgemeinen der Grundgedanke der göttlichen Führung in meiner Seele.

306 |             Jesus sagte mir aber oft auch dies: „du sollst mir ein Opfer sein für die Erneuerung meines Priestertums. – Ich will mir neue Priester schaffen, die mein Leben leben, die ganz in mich umgewandelt werden. Der Mittelpunkt der priesterlichen Tätigkeit soll und muss mein beständiges Hinopfern an meinen himmlischen Vater für die Sünden der Menschen sein. Jeder Priester soll teilhaben an dieser meiner täglichen Hingabe an meinen Vater. Ich will jeden Priester in eine solche Opferhostie umgestalten. Mein Leben wird dann in ihnen leben und sie werden mit mir eine wahre Versöhnungsgabe sein. Jeder Priester ein Opfer mit mir, Opfer in seinem ganzen Sein und Wesen und besonders bei der heiligen Messe! Da, wo er unmittelbar meine Stelle vertritt, soll er eins sein mit mir als Opfergabe. Da soll er eintreten in diese geheimnisvolle Umwandlung seines Wesens in mein Leben. Das Leben des Priesters soll sich auf dem Altar vollziehen. Die Zentrale der Mitteilung des göttlichen Lebens an die neuen Priester ist der Altar. Ich werde durch ihre tägliche Hinopferung jene geheimnisvolle Verbindung mit ihnen bewerkstelligen, die nach und nach ihr ganzes Priesterleben durchdringen wird und sie in mich umgestaltet. Ich werde in diesen eucharistischen Opfern ihre Seele mit mir selbst erfüllen, dass sie in ihren täglichen Pflichten mein Leben wiedergeben können. Von diesem Opfersein mit mir auf dem Altare wird neues Leben ausgehen auf die einzelnen Priester. Sie werden eine lebendige Quelle der Gnade für die Seelen werden. Soviel ich im einzelnen Priester lebe, soviel wird er mein Leben den Seelen vermitteln können. – Allen Priestern, die sich mit mir auf dem Altar opfern und diese Opfergesinnung in ihr priesterliches Leben hineinzutragen sich bemühen, werden mein Leben in sich verwirklicht sehen. Ich will damit allen Priestern einen neuen Strom ganz neuen Lebens eröffnen, der ich selbst bin, und sie werden neues geistiges Leben in den Seelen wecken. Ich stelle mich allen Priestern sozusagen zur Verfügung, dass sie am Altare von mir nehmen, d. h., ich nehme sie durch ihre Mitopferung in mich auf, gebe mich ihnen zurück. Dieser Strom meines Lebens wird meine ganze Kirche überfluten.“

307 |             Alle angehenden Priester sollen in dieser Opfergesinnung erzogen werden. Sie sollen in der Ausbildungszeit innerlich für dieses Ziel geformt werden, dass Jesus sie zur Zeit ihrer Weihe für diese Gnade bereit finde. In diesem Sinne wird den zum Priestertum Berufenen neues Licht zukommen, dass sie sich mit Eifer dieser Gnade fähig machen. Durch eine entsprechende Aufopferung sollen sie sich ganz dem Herzen Jesu für diese Annahme seines Lebens bereit und zur Verfügung stellen. Diese Art der Priestererziehung wird im Priesterwerk ernstlich gepflegt werden und wird eins zur Grundidee der allgemeinen Priestererziehung der heiligen Kirche werden. Dies hat Jesus in den Jahren 1929-31 oft gesagt und versprochen.

 

Über das Priestertum

308 |             Der Priester soll wirklich und in Wahrheit ein „zweiter Christus“ sein, soll in höchstem Maße teilhaben an seinem Leben, seinem Priestertum, seiner Erlöseraufgabe, seinem ständigen Sich-opfern für die Ehre des Vaters und das Heil der Menschen; er soll ganz aufgehen in Christi Leben, Lieben und Interessen.

309 |             Deshalb soll er schon ein vorbereitetes Opfer sein, wenn er zur Priesterweihe kommt; da soll er dann wirklich ganz eins und gleichförmig werden mit Christus; nichts Menschliches soll mehr im Wege stehen; mitverdienend und miterlösend soll er die Gnaden vermitteln und spenden, die aus diesem Einssein mit Christus kommen – ähnlich wie es Maria getan hat, die durch ihr Einssein und Mitopfern mit Christus die Königin der Priester und Apostel wurde.

310 |             Der Beweis, dass der Heiland wirklich solch große, neue Gnaden allen Priestern geben will, soll – nach dem Willen des Heilandes – das Innenleben von M. sein: Sie soll sühnend und das Leiden Jesu nachleidend diese Gnaden verdienen, vorbildlich in Empfang nehmen und soll dieses Leben leben, das der Heiland seinen Priestern geben will zur Erneuerung der Kirche und der Welt.

311 |             Deshalb führte sie der Herr in Wahrheit zu jenem Einssein mit ihm und zu jenem Aufgehen in seiner Gottheit, wie es in höchstem Maße seine heiligste Menschheit hatte und wie es im Übrigen schon das Wesen der heilig machenden Gnade als Ziel und letzte Bestimmung für jeden Getauften mit sich bringt, „bestimmt, gleichförmig zu werden dem Bilde seines Sohnes“ (Römer 8,29).

312 |             Die heilige Menschheit Christi fand nun aber ihren Abschluss, ihre Vollendung, nur in der göttlichen Person des ewigen Wortes. Das allein schon bedeutete für die Menschheit Christi ein beständiges Leiden, das eigentlich schon Erlösung war. Sie sah sich in einem Zustand der Vernichtung, leer, veranlagend; sie litt unter der eigenen Unfertigkeit, die ihre Vollendung nur in dem unendlichen Wesen der Gottheit fand.

313 |             Sie litt aber auch unter der Vereinigung mit der Gottheit (die an sich hätte höchste Beseligung sein müssen), insofern sie deren unendlich hoher Abstand in ständiger Verdemütigung hielt.

314 |             Sie litt unter dem Alleinsein, da sie innerlich weit weg war von allen Geschöpfen und auch wieder unendlich verschieden von der Gottheit, die sich mit ihr in der Einheit der Person verbunden hatte.

315 |             Sie litt ferner unter dieser besonderen Menschheit, die „in allem uns gleich war, die Sünde ausgenommen“, und die an sich die Möglichkeit und den Keim der Unordnung in sich trug, freilich für die Auswirkung unmöglich gemacht durch die Verbindung mit dem Wort Gottes. In dieser Menschheit sollte und wollte Christus die große Unordnung des geschöpflichen Stolzes und Unabhängigkeitsstrebens und die entsetzliche Weltschuld sühnend wegleiden und tilgen.

316 |             Die heilige Menschheit Christi litt auch unter der überschwer und unmöglich scheinenden Aufgabe. Da Jesus die Gottheit nur so weit auf seine menschlichen Fähigkeiten einwirken ließ, als es seiner Erlöseraufgabe dienlich war, musste Christus als Mensch heroischen Glauben haben an die Erfüllung einer Aufgabe, die ganz unmöglich und bei der er ganz allein schien, ja sogar Gegenstand des Abscheus vor seinem himmlischen Vater – wobei er anderseits immer dessen viel geliebter Sohn blieb und seiner höheren Erkenntnis nach sich als solcher wusste. M. soll nun Jesu Herz erleben, den inneren Zustand seiner heiligen Menschheit nachleben, seine Leiden durch ihr Einssein mit ihm nochmals leiden und neuerdings wie Jesus und an seiner Stelle, vorbildlich für die Priester, fruchtbares Opfer, Erlöser und Heiland sein. Die Muttergottes leiht ihr Herz und ihr Leben, das von neuem Christus geboren werde und wachse in den Priestern und damit in der Kirche und Welt.

317 |             Deshalb ging ihre Gnadenführung immer schon darauf hinaus, sich mit dem Heiland zu einem liebenden Opfer zu machen, so wie er es tat und tut vor dem himmlischen Vater. Wie Jesus aus und in Maria eine menschliche Natur annahm und diese als Werkzeug seiner Erlösungsabsichten gebrauchte, will er es ähnlich nochmals mit und in ihr tun.

318 |             Wie er durch seine Menschwerdung die ganze Menschheit, deren Glied er wurde, wieder in Verbindung mit der Gottheit brachte, so will er es heute gleichsam nochmals tun, eine neue Erlösung bewirkend. (M. Maria von Jesus Deluil-Matiny sagte schon: „Es braucht eine zweite Menschwerdung, um die gegenwärtige Menschheit zu retten, eine mystische Menschwerdung Jesu in den Seelen der Priester vor allem …“)

319 |             Wie M. durch Gottes wunderbare Gnade in ihn umgewandelt ist, an seiner Stelle steht, ihn lebt, so soll auch der Priester nicht mehr sich selbst leben, sondern Christus herrschen und leben lassen, opfernd, liebend, sühnend, erlösend, Verzeihung, Gnade und Belehrung spendend.

320 |             Bei der heiligen Messe mit dem Höhepunkt der heiligen Wandlung soll diese Hingabe seiner selbst und Umgestaltung in Christus täglich neu, inniger und bewusster werden, dass Christus auch vom Priester sagen kann: Das ist mein Leib.

321 |             Um aber derart übergehen und aufgehen zu können in Christus, ist das volle Erstreben seiner selbst notwendig, das Verleugnen alles entgegenstehenden Menschlichen.

 

August

17.08.1939

322 |             Jesus bei der heiligen Kommunion: Mit der Hingabe Mariens, seiner Mutter, solle ich ihm einen leidensfähigen Leib bieten, dass er bei seiner Kirche bleibe. Ich sah die restlose Hingabe Mariens. Ich solle ihm alles mit Liebe geben, wie sie es getan habe und wie sie es jetzt an meiner Stelle tun würde. (Man hat kein Wort dafür.) – Jesus wolle alle „neuen Gnaden“, die er den Priestern anbiete, vorbildlich mir geben. Ich solle alles mit der Liebe Mariens in Empfang nehmen.

Am Vormittag

323 |             Jesus wolle alle Gnaden, die er für das Priestertum bereithalte, in meine Seele legen als Beweis, dass er sie wirklich geben wolle. Ich solle das Opfer sein. – Ich bin in einem unaussprechlichen Leiden, in einem beständigen Todeskampf. Jesus sagte: „Durch dieses Leiden verdienst du die wirklichen Gnaden für die Priester. Alle Gnaden, die ich zum Beweis dir gebe, will ich allen Priestern geben, aber es muss erlitten und verdient werden“.

324 |             Mein inneres Leben soll ein Beweis sein für die Echtheit der Absichten der Erneuerung des Priestertums. Meine Leiden sollen mir der Beweis dafür sein, dass er mich als Werkzeug in diesem Sinne gebrauche.

Über Maria und das Priestertum

325 |             Maria hat dem Heiland das leibliche Leben gegeben. Der Priester soll es ihm gleichsam nochmals geben, und zwar in zweifacher Art:

1. indem er sein „zweites Ich“ sein soll.

2. in anderer Weise kraft seiner Vollmacht der Konsekration bei der heiligen Wandlung.

326 |             Jesus will das „Leben“ in seinen Priestern sein. Der Priester soll sich ihm gleichsam lebens- und leidensfähig leihen, oder vielmehr schenken und sich ihm geben, Maria ähnlich, die ihm das Leben geschenkt hat.

327 |             Der Heiland gebe den Priestern diese Gnade seines Lebens in Ihnen. Er gebe sie mir vorbildlich zum Beweis seines Versprechens, indem er in mir jene Gnaden ausgieße, die er nun im Begriff sei, seinen Priestern zu schenken.

328 |             Ich sah innerlich so vieles über Maria und das Priestertum: eine gewisse Ähnlichkeit des Berufes: Christusträger(in), Lebensspender(in). Das innige Verhältnis zum Heiland, wie es auch bei Priestern sein soll und muss. Maria nach dem Tode ihres göttlichen Sohnes die Hilfe und Stütze der Apostel, die Ratgeberin der ersten Priester; – die Mitbegründerin der Kirche, Führerin und Mutter der jungen Kirche, anwesend bei der Herabkunft des Heiligen Geistes, wie sie die Apostel noch tiefer in das Wesen und den Willen ihres göttlichen Sohnes einführte.

329 |             Die Apostel, die ersten Priester, die Jesus ihren Meister nannten, brauchten Maria, seine Mutter, um ihn noch besser kennenzulernen, da sein Beruf mit dem Mariens eine gewisse Ähnlichkeit hat.

330 |             Maria ist die Mutter nicht nur ihres göttlichen Sohnes, sondern aller Priester; wie sie die Priester als das „zweite Ich“ ihres Sohnes liebe, für sie bitte und ihnen das „Leben“ ihres Sohnes mitzuteilen bereit sei. Maria, die „Leben-Jesu-Spenderin“ für die Priester.

331 |             Jesus will mehr Gemeinschaftssinn in seiner Kirche, mehr gegenseitiges Zusammenarbeiten und mehr Verstehen. Große Nöten in der Kirche könnten nur durch echten Gemeinschaftssinn behoben werden. Darum wünsche er, dass auch seine Offenbarungen zur Behebung der kirchlichen und geistigen Nöte gewertet werden, wo kein dringender Grund zur Annahme eines Irrtums gegeben sei.

332 |             Er erwarte auch vonseiten der kirchlichen Behörde volles Entgegenkommen, und dass man nach seinen Absichten alles tue, was nur immer getan werden könne, um der Kirche, ihrem Ansehen und ihrer inneren Erstarkung zum Siege zu verhelfen im Begriff der Absichten seines Herzens.

333 |             Er habe den Aposteln und damit seiner Kirche für immer das Versprechen gegeben: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage“. Nach dem Maße seines Versprechens und in der Unendlichkeit seiner Liebe offenbare er sich fortgesetzt durch die von ihm erwählten Seelen, um seiner Kirche seine Gnaden und seine besondere Hilfe in den Notzeiten angedeihen zu lassen. Darum wolle er auch, dass seine Absichten Gehör fänden.

334 |             Als das „größte Anliegen seines Herzens“ zeigte mir Jesus wiederholt die Erneuerung des Priestertums. Durch die Priester wolle er neues Leben in seinem Geiste und wieder neue Liebe in der Welt erwecken.

335 |             Als den Weg zur Erneuerung der Priester zeigte er mir – wie schon erwähnt – mehr einiges Zusammenarbeiten. Ich sah eine Kluft, entstanden zwischen Priester und Volk. Die Einigkeit, die Kraft allen Bestandes, war zerstört. Eine gewisse Uneinigkeit und ein Getrenntsein in den Absichten und Meinungen bot den Feinden der Kirche und der Hölle Gelegenheit, noch mehr zerstörend einzuwirken. Ich sah und begriff die Bitte Jesu an seinen himmlischen Vater: dass alle eins seien wie du und Ich eins sind.

336 |             Jesus wolle wieder die Einheit in seiner Liebe, das so charakteristische und grundlegende Kennzeichen in der ersten Zeit seiner Kirche und der Apostel, herbeiführen. Die Einheiten seiner Liebe zwischen Priester und Gläubigen müsse eine der Hauptwaffen gegen die Angriffe der Feinde der Kirche werden. Jesus sagte mir wiederholt: „Ich will dich zu einem Opfer für die Priester und für meine Kirche. Ich will durch dich meine Kirche ihrem inneren Geiste nach erneuern“. Wenn er sich zu mir herablasse, um mir – einem Kinde aus dem Volke – die Nöte seiner Kirche zu zeigen, so sei es dabei vornehmlich seine Absicht, zu zeigen, welche Art der Einheit er in seiner Kirche wünsche. Die Gnaden, die er mir gebe, sollen wie eine Brücke sein, um die Abgründe zwischen Priester und Volk zu schließen. Durch das Band der Liebe und des Verstehens und des Einführens in die große Aufgabe, die seiner Kirche gestellt werden, wolle er wieder neues Leben und neue Gnaden auf die verwirrte Menschheit ausgießen.

337 |             In dem Maße, als seine Stimme gehört werde, würden seine Gnaden in den Seelen fruchtbar werden. Mit der Einheit in seiner Liebe würde die Liebe wieder das triumphierende Zeichen seiner Jünger werden. Die erkaltende Welt soll wieder in seiner Liebe fruchtbar und neu belebt werden.

338 |             Seine Liebe zu den Menschen, zu den Seelen, soll die Haupteigenschaft seiner Priester sein. Die Liebe müsse wieder die Priester beherrschen, die Liebe seines Herzens, wie es das letzte Vermächtnis, die letzte Mahnung Jesu an seine Jünger war.

 

Oktober

09.10.1939

339 |             Gestern ging ich zu den Addolorata-Schwestern. Es war so klar und wohl nicht von mir: Jesus will, ich solle mein Leben für immer abschließen, um das seine ganz anzunehmen und zu leben. Ich sah mich innerlich fähig und auf dieser Stufe angelangt. Jesu Leben mein Leben! An diese unbegreifliche Gnade solle ich für immer glauben. Es schien mir so klar und selbstverständlich. Seine Liebe und sein Leben ist ja mein Leben; seine Ruhe, wie ein unbegrenztes Sein, eine geistige Fülle, die alles bietet und ersetzt und die sich in mir durch seine besondere Gnade wiederholen soll.

340 |             Gewiss ist es unbegreiflich, aber wenn ich auf all die Jahre dieses Weges bis heute zurückschaue, finde ich alles klar.

341 |             Ich sah den Willen Jesu, dass ich für ihn durch einen besonderen Akt der Hinopferung für immer ganz bereit sei, ihm opfernd sein Leben nochmals zur Verfügung zu stellen für die Absichten seines Herzens für Kirche und Priestertum. Jesus will sichtbar sein inneres Leben wieder gelebt haben als Offenbarung für die Priester. Jesus will diesen Akt in Form eines Gelübdes für immer besiegelt.

342 |             Nach dem höchsten geistigen Erleben seines „Seins“ in mir würde ich allmählich zurückfallen in sein inneres Leben als Opfer vor seinem Vater, in das Erleben der Leiden seines Herzens besonders für die Priester. Ich würde dies in einem mir wie ganz natürlichen Zustand erleben als meine Leiden, innerlich umgewandelt in ihn, aber menschlich erlebt.

343 |             Jetzt bangt mein ganzes Inneres vor einem solchen Schritt; darf ich es wagen? Ich fürchte mich so sehr vor dem Kommenden.

344 |             O, dass Jesus Leben ganz in uns zur Vollendung komme nach den Absichten seines Herzens; ich möchte schon ganz treu sein, aber wie sehr fühle ich zugleich eine Furcht und Angst in mir, nicht Unruhe, aber die Furcht, ob ich dann auch entsprechend treu sein werde nach dem Maße der Forderungen Jesu. – Es ist ein vollkommenes Verzichten für immer auf mich, ein Eingehen für immer auf die Pläne Jesu – nie würde ich einen solchen Schritt ohne geistliche Leitung wagen.

 

15.10.1939

345 |             Ich erlebte die dreifache Tätigkeit des Heilandes: Zunächst sein ständiges Leben und Sein in der heiligsten Dreifaltigkeit, in einem ständigen, unzugänglichen Licht, das irgendwie immer bleibt – und das auch bei mir irgendwie bleiben wird bei aller Finsternis und bei allem Leiden.

346 |             Dann sein Leben als „Erlöser“: Das unzugängliche Licht seiner Gottheit, und die allerhöchste Reinheit seiner Menschheit, ist verbunden mit der gefallenen Menschheit. (Das ist eben das unbegreifliche Erlösergeheimnis, das man nicht in Worten sagen kann, obwohl man es innerlich begreift). Schon dieser Gegensatz bewirkte ein beständiges Leiden. – Dazu kam, dass er die Sünde der Menschen auf sich nahm, gleichsam als ob es die seinen wären. Durch den Kampf dagegen sollte er die gefallene Menschennatur wieder der Gottheit näherbringen. – So musste auch ich größtmögliche Reinheit erringen und werde ich die Sünden, besonders der Priester, erleiden, die ich zu sühnen haben werde.

347 |             Der dritte Zustand im Leben Jesu war jener, der sich bei seinen Wundern zeigte. Dabei strahlte die Kraft seiner Gottheit aus, verband sich mit der Menschheit zu einem und durch einen Akt seines Willens wirkte er, für gewöhnlich, die Wunder durch das Werkzeug der menschlichen Natur. Die Gottheit war aber nur als tragende Kraft wirksam. Jesus war eben der nach außen sichtbare Gesandte des Vaters in seinem öffentlichen Leben, in seinen Wundern, wobei sich seine Gottheit äußerlich zeigte. So werde auch ich eine entsprechende äußere Tätigkeit haben.

348 |             Diese drei Zustände waren aber bei Jesus wie in einem verbunden und nicht getrennt, und sie hinderten einander nicht; so werde es auch bei mir sein. Ich werde das Leben Jesu so erleben, dass es mein eigenes scheine und doch ganz das Leben Jesu ist (soweit es eben mit der besonderen Gnade menschlich möglich ist). Ich erlebte in diesem geistigen Ziel mein bevorstehendes Innenleben als das innere Leben Jesu. (Meine Seele lebt in Gott, in Jesus, wie ein Wesen in einem geistigen Licht, voll Kraft. – Ich habe kein Wort, dies zu erklären).

 

16.10.1939

349 |             Ich erlebte den unermesslichen Abstand zwischen dem Leben Jesu in mir und meiner eigenen armen Persönlichkeit, die Jesus so hoch in sich erhob. Sein Einstrahlen der Gottheit in mir ist mir eine unaussprechliche Vernichtung, die mich gleichsam ganz auflöst; ich erlebe in ähnlicher Art den Gegensatz: Jesu göttliche Natur und seine menschliche.

 

17.10.1939

350 |             Ich hatte ein großes Sehnen, ganz wie der Heiland zu sein, so wie ich ihn kenne, außer dem Verlangen, ganz bei ihm zu sein. Ein Sehnen, die Grenze und Schranke zu überbrücken, die durch die Sünde aufgerichtet wurde; ein Sehnen, wieder zu dem Besitz und Einssein mit Gott zu kommen, das die Menschen vor der Sünde hatten. So hatte der Heiland in seiner Menschheit auch immer das Verlangen nach der Herrlichkeit, die ihm zustand und die er hatte vor Anbeginn der Welt. – Bei all diesem Leiden bin ich aber doch heiter und glücklich.

 

18.10.1939

351 |             Einssein, ein Leben, ein Wesen, ein Geist, ohne Grenzen oder Gegensatz.

352 |             Ich erlebte die Verbindung der beiden Zustände des Lebens Jesu: das Erlöserleiden und das Sein in Gott. Ich bin ganz eins mit dem Heiland und dabei selig wie ein Kind; es ist unbegreiflich, was der Heiland vorhat. – Es scheint mir: Wenn mir dies geläufig ist, dann wird die äußere Tätigkeit kommen. Jetzt bin ich ganz eins mit ihm, ein GEIST und EIN Geist, ein Wesen; von mir fühle ich nichts.

 

19.10.1939

353 |             Ich erlebe eine weitere Stufe des Lebens Jesu in mir, die mir allerdings früher schon oft angekündigt wurde: Sein Leben derart, dass er sich durch mich den Priestern zeigen, offenbaren kann; dass dieses Leben überströmt auf das Werk. – Dieses Leben gebe ich dem Heiland wieder und gebe es dem Vater und gebe es der Muttergottes.

354 |             Es tat mir leid, dass ich nicht mehr wie früher zu Maria beten konnte; da hatte ich die Erkenntnis, das sei die größte Freude für Maria, wenn sie dieses Leben in einer Seele wiederfindet und sieht.

355 |             Dieses „gelebte“ Leben Jesu sei überhaupt das beste Gebet, lebendes Gebet. So sollen auch die Priester Jesu Leben leben und so will es der Heiland ihnen geben: sein beständiges Leben im Vater, sein Sühnen und Erlösen, sodass sie nur mehr seine Interessen und Anliegen kennen und aus dem heraus wirken.

 

25.10.1939

356 |             Ich bin wie in einem weiten, unermesslichen Raum, der nirgends angrenzt; da kann das Leiden nicht hin; da ist alles Geist; da hat man alles, was man braucht; da fehlt nichts; da braucht man nichts; man ist ganz gesättigt.

 

November

01.11.1939

357 |             Wie könnte ich meinen Seelenzustand schildern? „In ihm lebe ich, in ihm bewege ich mich“. Ich bin wie ein Geist, in dem nichts Irdisches besteht. – Es genügt mir, meinen Gott in so geistiger Art zu besitzen. Es ist kein Trost, nichts was menschlich gefühlvoll oder fühlbar wäre, nein: ein endloser Geist, ohne Grenzen. – Oder ich bin dieser Geist geworden! – Ich kann nicht zu ihm beten, er ist ja in mir; oder bin ich in ihm ganz aufgelöst? In Jesus habe ich alles. Und ich bin wunschlos und ohne Willen.

358 |             Als ich während der heiligen Messe in diesen Tagen die Messgebete beten wollte, sagte mir Jesus – oder tat er es in mir? – Das höchste Gebet ist dies: ihn ihm wieder zu geben, mit all den Wirkungen seiner Gnade, mit der er sich mir geschenkt hat, in jener vollkommenen Vereinigung, wo er sich selber gleichsam wieder empfängt. Und diese Mitopferung bei der heiligen Messe gebe durch ihn seinem Vater die höchste Ehre, weil man Gott nichts Höheres geben könne als: Jesus und Seelen, in denen er lebe. Ich bemühe mich seither, in diesem Sinne die hl. Messe zu leben. So wie Jesus sich gibt, bin ich in ihm ein wortloses Opfer.

359 |             Ich kann das eben nicht in menschlichen Worten ausdrücken; ich bin eben innerlich ganz „Geist“, und das kann ich in Worten nicht sagen.

360 |             Wo ich bin, ist alles Ruhe, Fülle, Erfüllung, Kraft und Einheit. In diesen höchsten Teil der Seele, wo alles Geist ist, kommt jetzt kein Leiden hin.

 

xx.11.1939

(Anfang!)

361 |             Wenn auch diese Vergeistigung von bleibender Wirkung ist, so ist sie doch nicht immer gleich spürbar erlebt. Vieles muss noch weggeschafft werden, was die geistige Vollendung in mir behindert.

362 |             „ihn GANZ leben, nicht nur in seinem beständigen, göttlichen Leben in der heiligsten Dreifaltigkeit“.

363 |             Jesus lebte als Mensch wie in einem geistigen Lichte „seine Gottheit“, die ausging von der Heiligsten Dreifaltigkeit und wieder gleichsam (zu Ihr) zurückging. Mit dieser Gottheit war die Erlösernatur verbunden, beständig von Ihr getragen und durchleuchtet. Selbst der aus dem reinsten Leib Mariens genommene Erlöserleib Christi war vor seiner Gottheit ein Anlass und gewissermaßen Gegenstand beständiger Vernichtung und Verdemütigung.

364 |             Jesus gab mir diesbezüglich viel Licht; ich erlebte in mir jenen Gegensatz: Seine Gottheit verbindet sich in mir mit einer leidensfähigen Menschheit, um in einem leidensfähigen Wesen für die Menschheit, bzw. für die Priester neue Gnaden zu verdienen. Bei der hl. Kommunion verbanden sich diese zwei, das Licht der Gottheit mit dem menschlichen Wesen zu EINEM. Ich kann diesen Seelenzustand dauernd ertragen. Dieser Seelenzustand wurde mir schon lange voraus erklärt.

 

10.11.1939

365 |             Nach vielen unbeschreiblichen Leiden der inneren Verdemütigung und Vernichtung bin ich nun wieder in einem neuen Einssein mit Jesus, noch einfacher, noch mehr Geist. Ich habe alles, was ich brauche; ich habe Überfluss, bin glücklich.

366 |             Alle Leiden der letzten Zeit sollten diese bleibende Möglichkeit herbeiführen. Früher war es nur für kurze Zeiten, um es der Seele begreiflich zu machen; die menschliche Seele könnte auf einmal so viel geistiges Licht nicht ertragen.

367 |             Es ist, wie wenn die Seele gleichsam ein Knäuel wäre, aus dem sich vieles löst und wegfällt und schließlich etwas ganz Einfaches herauskommt. Der Wille arbeitet sich kräftig durch.

368 |             Ich verstehe so gut, dass dieses Leben Jesu das Wertvollste ist, was man tun und geben kann. Ich sehe innerlich, wie Jesus „sein Leben in mir“ wieder fruchtbar werden lässt, wie es neues Leben wirkt, und weitergeht auf andere Seelen. Selbst wenn man gar nicht tätig sein kann, wirkt das doch weiter und geht weiter auf andere. Jesus will mich bereit machen zu einem „erneuten Leben an seiner Stelle“, um dadurch seiner Kirche „neue Gnaden“ zu geben.

369 |             Ich erlebe jetzt Jesus in mir, und zwar so viel von ihm, kann es aber nicht erklären. Oder eine Erklärung: In ihm lebe ich, bewege ich mich. Er ist eine lichtvolle Kraft.

370 |                    

371 |              

 

 

 

 

 

Das Jahr 1940

 

Grundlage M1

 

 

 

 

 

Andeutungen der Hl. Schrift über Jesu Erlöserleiden

Jesajas Kap. 53: Es hat der Herr auf ihn gelegt die Schuld von uns allen. – Wie ein Kleid das ihn bedeckt. (Et Dominus posuit in eo iniquitatem omnium nostrum)

Jesaias Kap. 53: Wir sehen ihn wie einen Aussätzigen.

2 Korinther 5,21: Ihn, der die Sünde nicht kannte, hatte für uns zur Sünde gemacht. (Eum qui non noverat peccatum, Deus pro nobis peccatum fecit)

Galater 3,13: Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes losgekauft, indem er für uns zum Fluch ward. (Christus non redemit de maledicto legis factus pro nobis maledictum)

Römer 8,29: Die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu werden, denn dieser soll der Erstgeborene sein unter vielen Brüdern.

Epheser 4,13: bis wir gelangen … zur vollen Mannesreife, zum Altersmaß für die Fülle Christi – alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.

Galater 2,20: nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.

Kolosser 1,24: Nun ergänze ich an meinem Fleische, was von den Leiden mit Christus noch aussteht, zugunsten meines Leibes, der Kirche.

Epheser 1,23: Haupt der Kirche, die sein Leib ist, erfüllt von ihm, der alles in allem erfüllt.

 

 

 

Januar

10.01.1940

372 |             Ich war abends in der Kapelle, ich war in Jesus. Er sagte zu mir: „Wie liebe ich dich, mein Kind, das ich mir auserwählt und aus vielen herausgehoben habe! Ich liebe dich wie mein menschliches Leben aus Maria. Ich bin im Begriff, Großes zu tun.

373 |             Ich habe mein Leben in dir gepflegt; ich werde es zur Vollendung bringen. Nach diesem erneuten Leben, nach diesem meinem fortlaufenden Leben in dir wird meine Kirche erneuert werden.

374 |             Ich habe mir in dir eine neue Erlösung geschaffen.“ (Ich sehe das in zweifacher Art: Als Herstellung meiner Menschheit wie vor der Sünde und dann in Form neuer Gnaden für die Erneuerung der Kirche.)

375 |             Jesus wolle „neue Gnaden“ ausgießen, die Erlösung in einer neuen, besonderen Art fruchtbar machen, wozu ich ihm Werkzeug sein soll.

376 |             Ich bat Jesus für Pater Baumann – „er ist die erste Frucht meines Lebens in dir. Viele, viele werden dann nach seinem Geiste sein. Ich werde Großes tun für meine Kirche.“

377 |             Vieles ist nicht in Worten auszudrücken. Ich lebe Jesus, aber es ist ganz einfach, ein Geist voll Ruhe und Einheit.

378 |             Es scheint mir: Ich kann mein Innenleben nicht mehr beschreiben; alles ist tief geistig und doch so klar erlebt. Ich lebe Jesus, aber dieses innere Erfassen geht immer tiefer; ich verliere mich immer mehr in seiner Gottheit und in seiner Geistigkeit. Mein Verhältnis zu ihm soll ähnlich werden und sein, wie das SEINE zum Vater und zum Heiligen Geiste war: Eine volle Einheit; und aus diesem vollen Erfassen (das Ziel ist mir geistig klar) wird sich meine innere Aufgabe entwickeln: sein Leben und Leiden nochmals mystisch wiederholend, für die Kirche fruchtbar machen.

 

29.01.1940

379 |             Es fehlen mir die Worte für das „Tun“ Jesu in mir. Ja, Jesus TUT es in mir; er sagt nichts, aber er arbeitet in mir wie in seinem „sein“, mich vorbereitend auf meinen kommenden Weg.

380 |             Er ordnet unser geistiges Verhältnis als ein wirkliches, treues Zusammenarbeiten für seine Absichten und ein gegenseitiges Sich-Unterstützen.

381 |             Er gibt Bereitschaft meinerseits, alles zu verlassen, damit er in mir sein Werk begründen könne. Er in mir, nicht ich! Er tut alles, ich gehe hin, …

382 |             Es war zuerst ein großer, mir unbegreiflicher Schmerz in mir, ein Sterben; dann löst es sich in mir und fängt an sich fühlbar zu regen als sein Leben, sein Sein. Er gestaltet mich für sein Wollen, dass es nur das seine sei, ich bin mit allem einverstanden. Er nur in mir, ich tue nichts. – Es kommen innere Zusammenhänge mit früher Erlebtem in meiner Seele; es zeigt sich die durchlaufende Führung, die Erwählung für sein Werk, das er in mir, aus mir heraus, gründet.

383 |             „Warum, o Jesus, eine Frauenseele zu so Großem?“ – Ich bin es, der sich in der Schwachheit verbirgt.

384 |             Ich bin ruhig. Es ist alles in Ruhe in mir, auch im Erstreben meiner selbst, im Leiden. – Ich habe Kraft in mir bis zum Überströmen, und doch so viel Schwäche, dass ich mir beständig von ihm geben lassen muss. – Das Verlangen, in ihm vollendet zu sein, wird mir zur größten Qual. Es ist das Verlangen, mich ganz aufzubrauchen. Ich habe so viel in mir, das zur vollen Entfaltung drängt, schon von Kindheit auf einen gewissen Idealismus. Ich fühle dann das Zusammenhängende in meinem Leben.

385 |             Ich sehe und erlebe das Werden seines Werkes: Geschützt, behütet von seiner väterlichen Hand wird sein Werk entstehen, klein, unscheinbar, aber innerlich stark.

386 |             Jesus bereitet mich auf viele Opfer vor, aber unser geistiges Einssein wird nur gestärkt sein, wenn auch örtlich getrennt. Später würden wir für immer zusammenarbeiten dürfen.

387 |             Es tut mir schon weh, sehen und erleben zu müssen, wie Jesus mich mir selber nimmt, aber er gibt mir „sich“, und ich bin reich entschädigt dafür. – Es ist so still in mir, nichts lauter Nichts, ein Geist.

388 |             Ich leide körperlich unter diesem „Tun“ Jesu in mir. Es sind innere Leiden, die mit nichts verglichen werden können. Nichts mehr, gar nichts mehr von mir oder für mich, alles „DU“. Eine Regung meinerseits ist eine Qual, weil man nur Jesu Leben sein will. Alles drängt zur inneren Vollendung, die man nie nach dem Maße des innerlich erlebten Zieles erreichen kann, und dies ist das größte Leid. Man möchte ganz in diesem Geistigen aufgehen, aber Jesus tut es zu unvermerkt und still.

389 |             Soll ich es wagen, ganz in ihm unterzugehen, fraglos über meine Zukunft, allein? Ja, da fühlt man dieses „allein“ mit Gott, in dem jede Seele ist, eigentlich ein Reich für sich, wo niemand so ganz herankann.

390 |             Ich glaube schon, dass der Heiland mir in der nächsten Zeit woanders einen Platz bereitet. Verschiedenes, früher Vorausgeschautes deckt sich damit.

391 |             Es ist nur wenig im Vergleich zu dem Erlebten. Ich habe eigentlich zu allem kein passendes Wort. – Jetzt, am Abend, bin ich ruhig, wenn auch ein wenig leidend. Der Heiland gebe seine alles überwindende Kraft. Maria, reine Hoffnung!39

 

Februar

06.02.1940

392 |             Ich bin ruhig; zwar bin ich in leidendem Zustand, aber ich fühle die Leiden nicht so sehr; es vollzieht sich vielmehr alles „geistig“, wie wenn ich nicht beteiligt wäre. Es betrifft aber mein innerstes Wesen. Alles konzentriert sich auf das „Sein“ JESU in mir. Alles an Kräften und Fähigkeiten in mir wird langsam, sei es mir bewusst, sei es auch unbewusst, von „ihm“ in Besitz genommen. Es ist dies ein innerer Vorgang, den man nicht erklären kann, und doch erlebe ich es klar. Ich lebe dann wieder bewusst JESU innerstes „Sein“; alles in mir wird von diesem „Sein“ aufgesaugt und aufgenommen.

393 |             Stelle ich mich diesem inneren Leiden fremd gegenüber, so kann es wie ein „zweifaches Leiden“ sein – ich kann es nicht anders erklären; bejahe ich es, so empfinde ich mitsamt dem Leiden eine unaussprechliche Ruhe und Seligkeit, die unzerstörbar in mir wohnt.

394 |             Ich will mich für die kommende Fastenzeit bemühen, alles in mir „bewusst“ zu bejahen, mich bewusst „ins Wasser zu stürzen“, ins Meer seiner Gottheit und seines „Lebens“. – Ich habe in mir die Forderung Jesu: Ich soll „wollen“. Ja, dieses Wollen hat so viele Stufen: im Allgemeinen, im Besonderen, im Einzelnen, für ganz, um in den Fluten zu verschwinden, unterzugehen oder fortgerissen zu werden, in ihm „zu schwimmen“, mich „dem Wasser anzuvertrauen“ – wie Petrus; all das liegt darin und ist in diesem „Wollen“ eingeschlossen.

395 |             Er ist das Sein, die Kraft. Er wird alles in mir erreichen: in seinem „Leben“ sich selber, sein Werk, wenn sein „Leben“ meine arme Menschheit überflutet hat, wenn diese ihn ganz zu seinem Leben dienstbar gemacht ist. – Alles soll „ihm“ dienen; dieses „Erleben seines Lebens“ ist das tiefste und geheimnisvollste, und doch ist es mir klar und enthält das Wesen meines Innenlebens.

396 |             Jesus will abermals menschliches „Tun“ und „Wollen“ brauchen, um in seiner Menschheit der Kirche nahezukommen. Zuerst soll sein Leben langsam erlebt werden in seinem kleinsten Kinde, dann gnadenvoll gegeben werden in seinen Priestern. – Jesus will in der Kirche leben; sein Geist, ER selbst will sie erneuern in seinen Priestern. Er fängt so klein, im Verborgenen an, sich opfernd mit dem Herzblut seiner kleinsten Kinder; es soll dies der Same sein für eine spätere Ernte. Wir haben keine andere Aufgabe als diese; alles Andere macht er selbst.

397 |             In der Fastenzeit will ich dieses „Leben“ in mir mehr und vollends, auch bewusst, bejahen. Gewiss tut es weh, bei allem inneren Frieden, aber dennoch!

 

07.02.1940

398 |             Später … wird nach diesen inneren Erlebnissen, die nur Offenbarungen für die Kirche sind, vieles in der Kirche geändert und nach diesem „Leben Jesu“ eingerichtet werden. Der Wert der Gnade wird in ein neues, höheres Licht gestellt werden.

399 |             Ich sah es heute voraus: Nach vielen Jahren wird aus diesem „Leben Jesu“ eine durchgreifende, tiefe Erneuerung der Kirche erfolgen. Jesus will seiner Kirche wieder mehr nahekommen in seinem gelebten Leben, sich dem einzelnen Priester gebend und wirklich kraftvoll erlebt in dieser Art seines Lebens, den Einzelnen erneuernd, umwälzend. Er will dies vorzeigen und schauen lassen in meiner Schwachheit, die getragen sein wird von seiner Kraft, von der Kraft seines „Seins“.

400 |             Es wurde mir erklärt durch den Vergleich mit der Herz-Jesu-Andacht. Wie diese heute die Seelen erfasst hat bis in die letzte Gemeinde, so wird es auch in dieser Sache sein: Alles, die Kirche wird von einer neuen Kraft durchdrungen werden. – Ich kann mich eben nicht anders ausdrücken.

 

08.02.1940

Vormittag:

401 |             Jesus zeigt sich und gibt sich in mir seiner Kirche. Einmal wird sie nach den Grundlagen meiner geistigen Führung eingerichtet werden. Es wird ein großer Triumph für die Kirche werden.

402 |             Ich soll mit der Kirche in innigster Gemeinschaft „geistig“ verbunden sein, weil sie sozusagen „jetzt“ geistig neues Leben erhält, das sie später wirksam erneuern wird. Das soll für mich wie eine Triebfeder sein zu grenzenloser Hingabe. „Neues Leben fängt nicht erst an im Augenblick 'des Lebens'; es geht vielmehr zurück bis auf den ausgestreuten Samen, der gelegt, befruchtet, keimend, wachsend, reifend für neue Ernte bestimmt ist“. Jesus will mich als solches Ackerland für seine Kirche. „Sein Leben“ ist der Same, der hundert- und tausendfältige Frucht bringen wird.

403 |             Dieses innere Wissen meiner Aufgabe ist zwar beschämend und verdemütigend für mich, gibt mir aber viel Kraft im Voraus, die mich befähigt, im Voraussehen meiner Aufgabe der Gnade grenzenlos zur Verfügung zu stehen.

404 |             Jesus wird mich unfähig machen, seinem „Leben“ zu widerstehen. Er wird sein Leben ganz vorherrschend werden lassen in mir für die Kirche, aber still, unvermerkt, bis zu „seiner Stunde“.

405 |             Ich will mich verbergen, vernichten, zertreten lassen –

Abends:

406 |             Weiter kam ich nicht; es ward finster in mir; das vorher so klare Ziel meiner Seele verschwand in scheinbarer Aussichtslosigkeit aller Opfer und Leiden. Ich war meinem Willen selbst weggenommen. – Eine öde Wüste trat an dessen Stelle. Kein Mensch kann begreifen, in welchen Zustand des Leidens man kommen kann: Zertreten in sich selber, sich selbst unwert, voll Ekel und Überdruss gegen sich; es tun sich in einem selbst Abgründe auf; man ist vor sich selber verborgen, vernichtet, zertreten. Solche Leiden sind mir ein Beweis, dass Jesus weitermacht, aber in solchen Zeiten scheinen mir die Leiden wie ein Hohn. –

407 |             Und wie viele Arten von Leiden kann es geben! Auflösend, zerstörend, vernichtend; man kann unfähig werden, sich irgendwie zu beschäftigen; alle Geisteskräfte haben am Leiden teil und sind beansprucht. – Der Heiland weiß, warum er mich für diese Zeit jeder drängenden äußeren Beschäftigung entzogen hat. Ich habe es heute wieder erfahren: Unmöglich könnte man derartige Leiden mit einem nach außen tätigen Leben vereinen. Da wird man sich seiner verborgenen geistigen Kräfte bewusst. Glücklich, wer sie in diesem Leben erfährt! Wie schrecklich müssen die Leiden in der Ewigkeit sein, wo diese Seele sich erst ihrer Selbst, ihres „Seins“, bewusst wird. Das Merkwürdige dabei ist: Man erfährt: „Diese Art des Leidens habe ich noch nicht in dieser Tiefe erlebt“. Freilich muss man immer das gleiche Wort gebrauchen, weil die Ausdrucksweise fehlt für die vielen Stufen und Grade dieser inneren Leiden. Wie aber der Vereinigungszustand, auch im Voraussehen, sich immer mehr erhöht, so geht es auch mit den inneren Leiden: Sie vertiefen und erweitern sich ständig. Es werden gleichsam neue Kräfte der Seele herangezogen; es tun sich neue Leidensmöglichkeiten der Seele auf. –

408 |             Jetzt bin ich ruhig, wie wenn immer Ruhe gewesen wäre. Mittags wurde mir wieder vorausgezeigt, dass ich von hier wegkäme. Ich müsse dann die Sache Jesu vertreten und darum müsse er mich ganz in Besitz genommen haben. In solchem Zustand bin ich so bereit, dass ich imstande wäre, sogleich alles zu verlassen. Ich werde da das wirkliche Leben Jesu inne, in dem Kraft für alles ist.

409 |             Heute Vormittag wurde mir – das geht so in einem Augenblick – die verborgene Art meiner inneren Führung erklärt: Verborgen, mir selbst verborgen, vor den Menschen verborgen, scheinbar ein gewöhnliches Leben. Das war eine große Freude für mich!

410 |             Ich sah auch voraus, oder ich sah abends zurück auf das große Leiden am Nachmittag. Ich meinte bei mir, es müsse sich um eine Art Ekstasezustand handeln, weil alles so rasch verschwindet, als sei es nicht gewesen, und weil alle Seelenkräfte, auch die des Geistes, daran beteiligt sind. Es wurde mir innerlich erklärt, Jesu Leiden waren „bewusst“ gelitten im gewöhnlichen, menschlichen Zustande. Es sei bei mir nur eine Art Tiefenwirkung in der Seele. Später werde sich das bei mir so steigern, dass meine äußere Tätigkeit dadurch unterbunden sei. Ich sah aber, dass dann „jemand“ alles für mich tun wird.

 

28.02.1940

411 |             Bei der hl. Messe vor dem Marienaltar in der Gruft von St. Peter opferte ich die hl. Messe zu Ehren Mariens auf, dass sie bei Jesus fürbitten möchte, im großen Anliegen. Ich überließ alles „ihr“.

412 |             Bei der hl. Wandlung erlebte ich Jesu „Tun und Leben“ fühlbar, obwohl es in den letzten Leidenszeiten unterbrochen schien. In seinem „Leben“ erkannte ich dann meine geistige Aufgabe: Das Leben Jesu leben als Offenbarung für die Kirche, für die Priester. Nach diesem seinem „Leben“ möchte Jesus alle Priester umgestaltet sehen. Ich sah mich innerlich an einem bestimmten Wendepunkt meines Innenlebens angekommen. Ich bin vorbereitet für das, was meine seelische Aufgabe umschließt. – Das „Sein Jesu“ führte mich in den Zustand des Glaubens an diese meine geistige Aufgabe für die Kirche. Durch das erneute Leben Jesu wird mein Leben eine Offenbarung für die Priester bzw. ein Mittel zur Erneuerung der Kirche.

413 |             Ich bin in innigster Gemeinschaft mit und in MARIA, an ihrer Stelle, ihr Leben lebend. Daraus entsteht dann Jesu Leben für eine Erneuerung in der Kirche; hierfür soll ich Jesus ganz als Opfer und Mittel dienen. Ich werde von Maria das „Leben Jesu“ und alles empfangen; durch ihre besondere Fürbitte und Vermittlung wird der Kirche dieses Erneuerungsmittel gegeben. Ich sehe den ganzen Plan als eine Aktion Mariens, weshalb auch eine „Frauenseele“ an ihrer statt erwählt wurde.

414 |             Ich sah den Geist der „Gesellschaft Mariens“. Mariens Verborgenheit, Demut und Schlichtheit waren der Gegenstand des besonderen Wohlgefallens Gottes. Diese Geradheit der Seele – so wie der Mensch aus der Schöpferhand Gottes hervorging – sollen sich jene Seelen aneignen. Was darüber ist, hat sich der Mensch selbst dazu gemacht; die berufenen Seelen müssen „heruntersteigen“, nicht „hinauf“, um diese vom Schöpfer gewollte Natürlichkeit sich aneignen zu können. Ich sah diese entsprechend dem Wesen Gottes, der die Einfachheit und Geradheit ist. In diesem Geiste Mariens fand Jesus die erste und hauptsächliche Vorbedingung zur Menschwerdung in ihr und die Möglichkeit einer Angleichung vorbereitet. Diesen Geist sah ich als erste Grundlage der „Gesellschaft Mariens“.

 

März

06.03.1940

415 |             Nach wochenlangen Läuterungsleiden ist wieder die innere Ruhe in mir. Gewiss, in einem Teil des Inneren ist immer Ruhe und irgendwie Unberührtheit von den Ereignissen des „unteren Teils der Seele“. Das erste Prüfungsleiden war ähnlich den passiven Läuterungsleiden, wo gleichsam alles früher Erworbene zusammengestürzt und alles Täuschung und Nichts erscheint. Die zweite Prüfungszeit war meist ganz geistig, wo der höhere Teil der Seele gar nicht berührt wurde. Man scheint in solchen Leidenszeiten gleichsam zwei Wesen in sich zu haben, zwei Tätigkeiten, von denen sich die eine irgendwie des Erlebens und Seins Gottes erfreut in vergeistigter Art während die andere in unaussprechlichen ganz vergeistigten Leiden verwickelt und wie darin begraben ist.

416 |             Ich erfahre überhaupt zwei Arten von Seelenleiden: ein mehr an die Sinne der Seele gebundenes und ein ganz geistiges. Das Sinnengebundene vollzieht sich im unteren Teil der Seele; man scheint daran selbst beteiligt, man ist hineingezogen, muss mitkämpfen und dagegen kämpfen, muss irgendwie dafür oder dagegen Stellung nehmen. In der letzten Zeit war ich wie ein verdorrter Grashalm in der großen weiten, endlosen Wüste; alles schien weggenommen, die Seele zum Tode, zum Nichts verurteilt, doch wieder zum Leben bestimmt, das man in sich begründen müsse. Die unaussprechliche Verlassenheit von innen und außen ist wie ein Hohn auf alle früheren Gnaden, die irgendwie in Erinnerung kommen. Man will begraben sein im Nichts, zu dem man verurteilt ist und das einem zukommt. – Aus dem Nichts wolle der Heiland sein Leben und sein Sein schaffen, erklärte er mir nachher einmal.

417 |             In der zweiten Art dieser Leiden, im ganz geistigen, ist man selbst wie nicht beteiligt; alles vollzieht sich scheinbar ganz geistig; es ist ein furchtbares, geistiges Feuer, das einen bis ins Höchste, Letzte durchdringt, wie das verzehrende Feuer Gottes selbst, das die Seele bis ins höchste geistige Genießen und Sein Gottes erhebt und doch unaussprechliche, geistige Qual in sich ist. In diesem Leiden ist Gott ein reinigendes Feuer.

418 |             Gott will nochmals das „Wunder einer erneuten geistigen Menschwerdung“ in mir wirken. MARIA war durch ihre Unbefleckte Empfängnis von Anfang an auserwählt und vorbereitet, um dem Heiland diesen Erlöserleib zu bieten (Trotz des inneren Wissens um ihre geistige Reinheit kann man es eben nur in trockenen Worten ausdrücken). Jesus bereitet sich geistig in mir eine „neue Menschheit“, um sein Leben geistig doch wirklich erneuern zu können. Was Maria von Anfang an durch ihren Gnadenvorzug verliehen war, das würde JESUS ähnlich durch wirkliche, praktische Vorbereitung, durch Reinigungsleiden, in mir erreichen; dadurch wolle er die Harmonie und Anpassungsmöglichkeit an ihn herbeiführen; darum gelte dies ständiges Absterben des eigenen Seins, damit Jesus mein Sein für das seine benützen und beherrschen könne.

419 |             Durch dieses, sein erneutes Leben will er sich seiner Kirche nochmals offenbaren, den Bedürfnissen der Zeit entsprechend, dass daraus eine geistige Erneuerung entstehe.

420 |             Dieses innere Wissen um die Art meiner geistigen Aufgabe entspricht jetzt dem, was Jesus mir vor 10 bis 15 Jahren so oft sagte, wofür ich aber damals keine nähere Erklärung finden konnte: „Ich will mich durch dich meiner Kirche nochmals zeigen; ich will in dir meiner Kirche nahekommen“.

421 |             Immer klarer zeigt mir mein inneres „Sein“, dass Gott ein großes Erneuerungswerk für die Kirche plant und dass mir an Maria statt diese Aufgabe zukommt. Wiederholt wird mir das Kommen eines neuen „Zeitalters der Kirche“ gezeigt, eine neue Entwicklung und Vertiefung des Glaubenslebens, „sein nochmals geoffenbartes gelebtes Leben, das sein Leben in den Priestern bewirken wird“.

422 |             Meiner Art und Schwachheit mehr angepasst sei es, wenn ich ganz das Leben Maria mir zu eigen mache und lebe. Maria gibt mir dieses Leben, woraus das Leben Jesu wird. Ich solle mittun und wirklich Mariens geistiges Leben leben wollen.

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423 |             Jetzt bin ich in einem unbegreiflich vergeistigten Zustand, ganz Geist, wirkliches „Sein im Geiste“, der alles aus sich hat und nichts von außen empfängt, ohne Grund, ohne Boden und ohne Grenzen.

424 |             Ich lebe das geistige Sein von innen heraus, angefangen vom erneuten „Jesus gibt sich mir“. Er bleibt in dem Maße in mir lebend als ihm durch die inneren Leiden, bzw. durch das Absterben meiner selbst Raum geschaffen wird. Dieser Weg ist der geistige Entwicklungsgang seit vielen Jahren (fühlbar seit etwa 20 Jahren). Dieses innere Absterben bewirkt ein beständiges Sichauflösen in mir, Vernichtung, Leere, Leichtsein; man verliert die „Schwere des eigenen Seins“ – ich habe keinen anderen Ausdruck für das, was ich gerade in letzter Zeit so besonders erlebte.

425 |             Das geistige, aber nicht fühlbare Erleben Jesu wirkt ein beständiges Sein von innen heraus in mir, obwohl mir das im Einzelnen gewöhnlich nicht zum Bewusstsein kommt, weil ich ständig von dieser Geistigkeit getragen bin.

426 |             Meist wird es mir vor den entsprechenden Vernichtungsleiden erklärt und nachher erlebe ich diese erhöhte Geistigkeit, dieses Leichtsein, in mir.

427 |             Seit Langem erlebe ich viele Abstufungen der Geistigkeit. Der Begriff: „Gott ist ein Geist“ ist eben für den Menschen etwas Unbegreifliches, aber in diesem inneren Leben erfährt man dieses „Geist-sein Gottes“. Mir scheint, die Seele wird dieser Geistigkeit angepasst und geist-aufnahmefähig gemacht. Jesus kann sich der Materie, dem Körperlichen, nicht voll mitteilen. – Zugleich werden auch die „menschlichen Fähigkeiten seiner gottmenschlichen Seele“ mir angepasst, um ihm gesichert für seine Absichten und Pläne zu dienen. Aber alles geht so unsagbar einfach vor sich.

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Nachmittags:

428 |             Vor dem Allerheiligsten trat wieder meine innere Aufgabe ganz klar mir vor Augen: Das Leben Jesu erleben als Offenbarung für die Kirche. Für diesen Zweck soll ich mich dem Heiland leihen.

429 |             Jesus „sagt“ nichts mehr wie früher. „Etwas“, eine höhere geistige Macht tut das in mir oder richtet mein geistiges Sehen und Erkennen hin auf das Tun und Wollen Jesu. Es vollzieht sich alles rein geistig, oder wie wenn er meine Geistesfähigkeit gebrauchen würde, um mir seine Absichten klarzumachen. Nach diesem erneuten Fordern Jesu um mein ganzes Sein, das ich ihm als das seine bereitstellen soll, kam ich aber in Furcht ob der Größe der darin verborgenen Gnade Gottes; ich hatte Angst, ich könnte irregehen und zu hohen Dingen anhängen. Gleich aber trat an der Stelle meiner inneren Angst das Verbundensein und Einssein mit Maria; ich hatte das innere Erkennen und zugleich das Erlebnis der Wirksamkeit der Gnade, mein Leben in ihrer Art, d. h. „ihr Leben“, das sie mir zu diesem Zwecke überlasse und das ich mir aneignen solle, dem Heiland für seine Absichten zur Verfügung zu stellen. Ich war ganz in Maria und erlebte dieses Leben der Reinheit, der Demut, der Einfachheit, das man geistig erkennen, aber nie in Worten wiedergeben kann. Dieses Leben solle ich Jesus nochmals bieten, auf dass er damit „sein Leben“ erneuern könne zum Heil der Kirche.

430 |             Diese so klar erlebte Gnade gab mir vollends die innere Ruhe und Klarheit: Mariens Leben mir zu eigen machen, damit Jesus es nochmals für sich gebrauchen könne.

431 |             Es ist darum mein Vorsatz: Jesu Leben soll nochmals durch Maria in mir gestaltet werden. In ihr will ich mich dem Heiland für seine Absichten ganz zur Verfügung stellen. – Alles in mir ist so einfach; in ihr bin ich verborgen und geborgen. Einmal hat sie mir in schweren Zweifeln und Leiden bei ihr eine Zuflucht geboten mit den Worten: „Bei der Mutter gibt es keine Täuschung und keine Enttäuschung.“

 

16.03.1940

432 |              Im Zustand des tiefen „Seins“ in Jesus sah und erlebte ich: Jesus als Gott (= das ewige Wort, die zweite Person in er Gottheit) verband sich mit der Menschheit, die er aus Maria annahm, zugleich aber nahm er die durch die Sünde gefallene und „von Gott getrennte Menschheit“ an, um in sich die Möglichkeit der Sühne zu schaffen. Jesus erlebte in seinem Herzen alle Möglichkeiten zur Sünde und sühnte sie vermittels des Gegensatzes seiner allerheiligsten Menschheit; diese, verbunden mit seiner Gottheit, schuf durch die Leiden des Gegensatzes die entsprechende Genugtuung.

433 |             Ich sah innerlich die Menschwerdung: Die Gottheit Jesu verband sich mit der Menschheit in Maria; er nahm zugleich das gefallene menschliche Wesen mit allen geistigen und leiblichen Schwächen an. Der Heiland erlebte irgendwie jede Sündenmöglichkeit zugleich als der beleidigte Gott, da er immer in der hl. Dreifaltigkeit lebte; als Mensch schuf er die entsprechende Sühne.

434 |             Jesus will in ähnlicher Weise dieses Leben seiner Sühne in mir wiederholen, um zu offenbaren, in welcher Art die wirkliche Erlösung in seinem Herzen vollzogen wurde. Er hat nicht so sehr durch seine äußeren Leiden, durch seinen Kreuzestod, die Sünden der Menschen gesühnt, sondern hauptsächlich durch eine geistige Sühne in seinem Herzen, weil die Sünde ein geistiges Tun und dadurch vornehmlich eine geistige Gutmachung verlangte.

435 |             Die Möglichkeit der erlösten Seele, sich von der Sünde freizuhalten und diese zu überwinden, hat Jesus durch die Leiden des Gegensatzes geschaffen (sein inneres Bemühen ist uns zur „Kraft“ geworden, die wir die Gnade nennen). Die Erlösung hat sich hauptsächlich geistig vollzogen; gewiss hat das ganze menschliche Wesen Jesu als Mittel und Werkzeug alles mitgelitten und wurde dieses Leiden zuletzt durch den Kreuzestod bis in das höchstmögliche Hinopfern gesteigert und vollendet.

436 |             Jesus will Ähnliches in mir wiederholen; es wird durch eine entsprechende Vorbereitung der Gegensatz zwischen „Jesus Leben“ und einer geistigen Sündenmöglichkeit gebildet; ich solle mich entsprechend bilden lassen. Es wird sich gleichsam alles in einem Teile meines Seins (wie etwa „links“) vollziehen.

 

April

05.04.1940

Herz-Jesu-Freitag
Abends in der Kapelle:

437 |             Jesus erfasste mich innerlich mit seinem vollen „Sein“. Wir sind eins, wie Seele und Leib zu einem Wesen zusammengeflossen.

438 |             Jesus will den Akt der Aufopferung im Sinne meiner geistigen Aufgabe: ihm als „eine Art zweiter Menschheit“ zu dienen, damit er sich seiner Kirche offenbaren könne. Seine Menschheit war ihm das Mittel, um sich opfern zu können; meine Menschheit, mein leidensfähiges Ich, soll ihm die Möglichkeit bieten, „seine innere Erlöserart, sie nochmals erleidend“ zeigen zu können.

439 |             In ihm habe ich mein volles Leben: alles in ihm und von ihm. Wir sind eins für seine Absichten.

440 |             Ich habe im Voraus das Vertrauen auf die Kraft von ihm, die mich dem Leibe nach erhält, wo der gewöhnliche Mensch versagen müsste. Das „Sein in ihm“ wird mich erhalten. Ich muss im Voraus glauben, dass er meine menschliche Kraft erhält, wie einst jene aus Maria, damit er sich opfern und offenbaren könne.

441 |             Jesus verlangt unbedingten Glauben an seine Gnaden, die er bereit halte und für die er mich gebrauchen will. Das ist eigentlich meine Lebensaufgabe: Mein „Leben“ ihm leihen, dass er es gebrauche als das seine. Daher die lange Vorbereitung, dass ich mich vollends verlasse oder mich „ihm“ anpasse, ohne noch je einmal zu mir zurückkehren zu wollen. Nur eines noch: ihm dienen als sein „Sein“.

442 |             Jesus verlangt nichts als Glauben, das volle Eingehen auf seine Absichten, für die er mich schon jahrelang vorbereitet.

443 |             O Jesus, es geschehe alles nach deinen Absichten! Ich will dir ganz zur Verfügung stehen. – Maria ist unsere Mutter!

 

07.04.1940

444 |             Aufopferungsakt: O Jesus, Heiland der Welt, durch Maria, deine und unsere Mutter, opfere ich mich dir ganz und endgültig auf für die Absichten deiner unendlichen Erlöserliebe. Alle Kräfte und Fähigkeiten des Geistes und Leibes stelle ich mit vollem freien Willen und unwiderruflich dir zur Verfügung, dass du damit nach deinem unergründlichen, heiligen Willen, von neuem opfern, und offenbaren kannst. Ich verspreche dir, immer daran zu glauben, dass du dich deines kleinsten Kindes bedienen willst, um gleichsam in einer zweiten menschlichen Leidensfähigkeit mit meiner menschlichen Natur, dich für das Priestertum und die Kirche zu opfern und deine innere Erlöserart, sie nochmals erleidend, zu zeigen. Ich verspreche dir auch, unerschütterlich zu vertrauen, dass dein Sein mir Kraft sein wird, die mich erhält und die mir allein ganz genügt. – O Maria, meine Mutter, lass mich gleichsam an deiner Stelle dem lieben Heiland so ganz und treu zur Verfügung stehen und für seine Absichten dienen, wie du es getan hast! Amen.

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445 |             Heute habe ich mich – im Gehorsam – dem Heiland als sein „zweites leidensfähiges Leben“ für immer aufgeopfert. Die jahrelange Vorbereitung befähigte mich für diese Art der Hingabe für immer. Maria erbot sich mir ganz zu schenken und zur Verfügung zu stellen, damit meine Aufopferungen an Jesus durch sie desto vollkommener sei. Ihre zärtliche Liebe gibt mir Mut und Vertrauen. Sie lässt ihr Kind nicht falsche Wege gehen. –

446 |             Am Sonntagmorgen bat ich sie kindlich, dass eigentlich sie es sei, die diesen Hinopferungsakt in mir vollbringe: sie in mir, an meiner Stelle. Dies ist ja meine einzige Bitte an sie: Mutter, so wie du möchte ich Jesu nochmals ein leidensfähiges Leben bieten, mit deiner Liebe und Bereitschaft; du musst alles in mir vollbringen.

447 |             Ich bin voller seelischer Ruhe, obwohl gestern ein Tag des Kampfes war: Im unteren Teil der Seele lag ich wie im Todeskampf, im höheren Teil war vollkommene Ruhe und ich war doch wieder wie nicht daran beteiligt.

448 |             Durch den Aufopferungsakt bin ich in eine unbegreifliche Einheit mit dem lieben Heiland zusammengeflossen; es ist eine Einheit, die ich früher nicht erlebte, und doch ist alles so einfach und selbstverständlich, dass man keine Worte dafür findet. Ich möchte zum Vergleich hinweisen auf die Wirkung der Mittagssonne. Wenn die Sonne am Mittag am höchsten steht und am hellsten scheint, kann man sie nicht anschauen, sie ist eben da; das ist nur möglich beim Morgen- und Abendgrauen. So ist es gleichsam Mittag in meiner Seele: Das göttliche Sein um- und durchlebt die Seele, aber es ist so einfach und selbstverständlich, dass man es nicht erklären und aussprechen kann. – Jesus und ich sind nun wie Seele und Leib zu einem Wesen verbunden – für immer. Wenn Jesus früher immer ganz besonders den Glauben an die Gnade verlangte, so ist dieser Glaube jetzt erlebte Wirklichkeit …

449 |             O Jesus, vollbringe in mir deine Absichten, die du mit meiner Hinopferung hast! Nimm mich mir für die Absichten deiner Liebe für deine Kirche!

450 |             Dieser Zustand der Einheit ist nun dauernd. Früher hat mich der liebe Heiland diese Einheit zeitweise vorauserleben lassen; jetzt bin ich mit ihm „ein Leben“. Er hatte mir ja voraus erklärt, es würde wie eine zweite Art der geistigen Vermählung sein, ein dauerndes „Sein in ihm“. Es ist aber nicht fühlbar, sondern alles Geist, voll unbeschreiblicher Einfachheit, wofür man keine Erklärung geben kann.

 

11.04.1940

451 |             Dieser Tage war ich trotz der ständig geistig erlebten Einheit mit Jesus wieder in einem inneren Leidenszustand. Das göttliche Sein in mir bewirkt immer wieder neue Arten von Vernichtungs- und Verdemütigungsleiden. Er hat geradezu mit Eile jeden Tag zu tun, um mich vollständig vorzubereiten, mich fähig zu machen für das „Erleben seiner inneren Erlöserart“, wie er mir erklärt. Er wollte das innere Erlösungsgeheimnis seinen Priestern und seiner Kirche offenbaren und bilde sich in mir ein neues leidensfähiges Wesen zu seinem „zweiten Leben“ für diesen Zweck.

 

Nachmittags – in einer Landkirche

452 |             In einer Landkirche war mir das „Sein Jesu“ fühlbar und bewusst. (Diese Einheit löst sich irgendwie, wie in zwei Teile, man wird sich gegenseitig fühlbar bewusst). In diesem Zustand erlebte ich ein weiteres gnadenvolles Tun des Heilands in mir; er wolle in mir „sein Verhältnis zum Vater bilden“, das er einst als Mensch hatte, er, die menschgewordene Liebe Gottes, durch die sich der Vater offenbart. Es ist ein Abstand zwischen Jesus und dem Vater: Jesus ist der, der etwas zu vollbringen hat, wozu ihn der Vater gesandt hat; sein Verhältnis ist Unterordnung und doch wieder Einheit …

453 |             Jesus erklärte mir: Wir beten zusammen, als Eines zum Vater: Vater unser … Jesus will, ich solle an meine Stellung glauben, an seine Stellung zum Vater. Wir sind eins für die Absichten des Vaters. – Begrüßen zusammen als eins die Mutter Maria; sie ist unsere Mutter. Der Heiland lehrt mich ein neues Gebetsleben, das früher nicht war … Wir leben EIN LEBEN, ein neues Jesusleben, ein neues Erlöserleben. Eine geistige Kindlichkeit, ein Glaube an Jesu Absichten ist in mir; alles ist ohne Bemühen, getragen von unbeschreiblicher Geistigkeit …

 

15.04.1940

454 |             Die Einheit mit dem Heiland in einem Sein und Leben ist dauernd, ohne Bemühen, ständig gnadenvoll gelebt. Das Verhältnis zum Vater ist das seine: Wir beten zusammen zum Vater, wir Opfern uns zu einem Opfer bei der heiligen Messe. – Eigentlich ist es ja nur Eines, aber ich kann mich nicht anders ausdrücken als mit „uns, wir“.

455 |             Immer mehr und weiter wie Jesus sein „Leben“ ganz „lebensfähig“ (auf sich gestellt, selbstständig) machen. Ich bin dieser Tage, trotz der ständig erlebten Lebenseinheit im Leiden, in einer noch höheren Entäußerung und Vernichtung. – Um einen Vergleich zu gebrauchen: Es ist so ähnlich, wie wenn man ein neues Haus baut; das Haus ist fertig gebaut, aber es sind noch Stützen und Pfeiler da, innen und außen, die man während der Arbeit gebraucht hat: Diese müssen entfernt werden. So habe ich vielleicht in meiner Seele noch Anlehnungsbedürfnis an den Heiland, und das muss entfernt werden; denn er will und macht, dass wir gleichsam nicht mehr zwei, sondern nur noch „ein“ seien.

456 |             Nachmittags, vor dem Allerheiligsten, erlebte ich den Heiland als Opfer für die Sünden vor dem Vater: Es entstand zwischen Jesus und dem ewigen Vater ein großer Abstand, den seine Gerechtigkeit aufgerichtet hat. – Ich war wie an Jesu Stelle, gleichsam ein Wesen mit ihm, und es war mir meine geistige Aufgabe wie enthüllt, nämlich nochmals dieses Opfer zu werden. – Da wurde mir bang aus Furcht vor dem Bevorstehenden. Jesus aber war mit mir in meiner Angst und sagte mir: „Wir tragen es zusammen, wir leben zusammen ein Leben.“ – Sein kraftvolles Sein ist meine volle Ruhe und Ergebung. Das Wissen um meine Aufgabe gibt meiner Seele jetzt nichts Erdrückendes, nein vielmehr etwas bereitvolles in ihm, seine Ergebung vor dem ewigen Vater.

 

16.04.1940

457 |             Bei der heiligen Messe lebe ich Jesus in EINEM Opfer, in ihm die Gleichheit unseres Lebens, Jesu Erniedrigung vor dem Vater als Opfer für die Sünden und sein inneres Opfer in mir wiederholend. (Ich sehe da wiederum meine Aufgabe.)

458 |             Nach der heiligen Kommunion sind wir zu EINEM Leben, ein neues sich offenbarendes Erlöserleben. – Ich habe kein Wort, um dieses „EIN Leben“ zu beschreiben. Wir leben „EIN Leben“ nochmals. – Seine Liebe und Herablassung steht vor mir und teilt sich mit in neuer gegenseitiger Hingabe. Er verlangt von mir ein volles, freies, gern gegebenes Ja zu diesem seinen Leben als Opfer; es soll nicht gleichsam in einer Ekstase ohne freien Willen geschehen, sondern ein voller, freier Mensch soll seine Zustimmung geben und mitwollen. – In neuem Licht erscheint mir die Güte und Liebe Jesu. Mit Maria betete ich wiederholt ein inniges Magnificat, das ja seit vielen Jahren der erste Gruß an den Heiland nach der heiligen Kommunion ist.

459 |             Jesus hat, so scheint es, noch viel Arbeit in mir. Den ganzen Tag war er tätig in mir; ich bin teilweise im Leiden und möchte zur Erklärung den Vergleich mit der Arbeit eines Schmiedes heranziehen: Dieser hält das Eisen ins Feuer und hämmert dann daran herum, um ihm eine bestimmte Form zu geben, und das wiederholt er so lange, bis sein Plan gelungen ist. – Ich bin in Finsternis bezüglich seines Lebens in mir, aber fühlbar arbeitet Jesus in mir, dort und da etwas wegnehmend und ersetzend. –

460 |             Das merkwürdige bei meiner jahrelangen Gnadenführung war und ist, dass ich in solchen inneren Prüfungsleiden keinen Schritt voraussehe, bis der Heiland nicht selbst wieder das Ziel sehen lässt. Für gewöhnlich gehe ich gleichsam planlos und ziellos mit ihm. –

 

17.04.1940

461 |             Heute bin ich – als sein Leben – schon freier und selbstständiger geworden. Schon bei der heiligen Messe bin ich an „seiner“ Stelle, ihn vor dem Vater nochmals vertretend, stellvertretend, ihn wiederholend. Sein sakramentales Leben bestätigt dieses erneute Sein. Es ist eine unsagbare Ruhe und geistige Kindlichkeit dabei in mir. –

462 |             Jesus entfernt allmählich seine früheren geistigen Stützen und lässt mich geistig an seiner Stelle seine eigenen Schritte gehen. Der Heiland „gebraucht“ mich als sein Leben. – So klar und stark auch die innerlich erlebte Gnade ist, es gibt doch kein Wort um sie zu erklären. Sein göttliches Sein durchlebt mich und wird zur lebendigen Kraft, – die er ist oder die ich bin? Ich bin wie „sein sich wiederholendes Sein“, doch ruhig, bereit und voll Sicherheit als „er“ – es IST das Leben an seiner Stelle, dass er mir schon seit so vielen Jahren in geheimnisvollen Gnadenstunden, ganz an ihn gebunden, vorauserleben ließ: Voll erfasst von ihm, an seiner Stelle für seine Absichten, sein zweites leidensfähiges Leben. –

463 |             Der Heiland macht bis ins Kleinste alles wahr; was er mich oft, so oft schauen und voraus erleben ließ, ist nun zur ständigen Wirklichkeit geworden. –

 

28.04.1940

464 |             Die ganze Woche hindurch war ich in seelischen Leiden wie begraben; d. h., diese wickeln sich im unteren Teil meines Seins ab. Ich leide, bin aber zugleich wie nicht leidend, bin darum wie nicht beteiligt. Mein oberes Sein ist Ruhe, volles einheitliches Leben Jesu, wenn auch im Zustand der sich weiter entwickelnden Prüfungsleiden. Die Einheit mit dem Leben Jesu ist immer da, ein dauernder Zustand, immer wirksam. Ich bin „sein Leben“, das er für seine Absichten ausgestaltet und „gebrauchsfähig“ macht. – Nach der heiligen Kommunion bin ich „im Vorausleben“ gebrauchsfähig als Jesu sich wiederholendes Leben.

465 |             Jesus ist ganz Mensch mit allen menschlichen Fähigkeiten, von denen jede Einzelne bis ins Höchste entwickelt und ausgeprägt ist. Er ist Mensch mit vollem freien Willen und ist selbstständig in all seinen Handlungen. Sein Wille ist vollkommen frei, doch vermöge [sic!] seiner Erlöseraufgabe dem Willen des Vaters untergeordnet: ein fertiger Mensch, in dem alle möglichen Akte des Wollens in Selbsttätigkeit gesetzt werden können.

466 |             Mit all diesen Fähigkeiten erlebe ich Jesus als sein sich wiederholendes Leben vor dem Vater und dem Heiligen Geiste. Der liebe Heiland will, ich solle immer im tiefsten Glauben meine Aufgabe leben. In der Kapelle sagte er mir: „Mein Leben, du sollst immer im Zustand deiner Aufgabe sein“. Immer bewusst, soweit es möglich, im bleibenden Akte des Glaubens sein, um sein Leben in mir lebend zu verwerten. –

 

Mai

09.05.1940

467 |             Nach zwei Wochen schweren Leidens, eine Art Prüfungszeit, wie ein gleichsames „Todleiden“ in höherer Art selbstständiger Willens- und Seelentätigkeit, kommt heute wieder Licht und Entspannung in die Seele, das mir meine Aufgabe neu zeigt. –

468 |             Jede eigene Seelentätigkeit soll gleichsam in mir ausgelöscht werden, schon von der ersten Willensregung an, jede unwillkürliche Aktmöglichkeit in ihrer ersten Regung und Wurzel an umgebildet und für Jesu in mir nachgebildete Seelentätigkeit fähig gemacht werden. Und um gleichsam immer im tiefsten Sein, im geistigen Tun ganz für Jesu Absichten mich abschließen zu lassen, auf jede von außen einströmende Hilfe verzichten zu können, kam ich in diese Art rein geistiger Läuterungsleiden in einen unerklärlichen Leidenszustand: Abgeschlossen als Geist in unaussprechlicher Verlassenheit, abgesondert von jedem geistigen Trost und jeder nur im kleinsten Ausmaß möglichen geistigen Betätigung, ganz Geist, um immer mit rein geistigem Umgang innerlich zufrieden sein zu können, im geistigen meine ganze Lebensbetätigung zu finden und diese als geistig erworbenen Güter Gott wieder zurückzugeben. Der Heiland will in mir seine innere Erlösertätigkeit nachbilden, um sie nochmals in mir, mich als Werkzeug gebrauchend, erleidend, sie wiederholend, seiner Kirche zu offenbaren.

469 |             Aber immer blieb in diesem schweren Geistesleiden das tiefste Sein Jesu in mir zu einem Wesen wie ein neues Leben verbunden, und dieses Sein Jesu wirkte wie ein Feuer, das nicht belebt, wie im gewöhnlichen ruhigen Seelenzustande, sondern totmacht.

470 |             Jetzt bin ich im Zustand, dass ich meine geistige Lage gleichsam überschauen kann und erkennen in seinem Sein. Im tiefen, doch wieder wie im selbstverständlichen Schauen, in einem Lichte, das in mir das Licht und mein ständiges Licht und mein Wesen ist, aber nicht immer gleich wirksam ist, erkenne ich Gottes Absichten in seiner Schöpfertätigkeit im Menschen, die Seele in ihrer Urbestimmung, die Sünde im Entstehen, den seelischen und leiblichen Verfall des Menschen, die Erlösungsnotwendigkeit, den Erlöser usw. –

471 |             Nach diesem inneren Erkennen hatte die aus der Schöpferhand hervorgegangene Menschenseele nach Gottes ewigem Ratschluss und Urgesetz zwei Möglichkeiten:

1. Die vorhandenen Keime zum Guten zur vollen Entfaltung und zur Tätigkeit zu bringen, alle Anlagen zur Entwicklung zu benützen; die keimhaft veranlagten Tugenden zum vollen Ebenbild Gottes auszugestalten; oder

2. durch den freien Willen jene Möglichkeiten in den, der Tugend entgegengesetzten, Akten zu verwirklichen, die wir die Sünde nennen.

472 |             Alle von Gott geschaffenen, entwicklungsfähigen guten Anlagen sind im Augenblick der freien Willensentscheidung der ersten Menschen in „mögliche“ gottwiderstrebende und gottwidrige Akte verwandelt worden, seelisch und dem Leibe nach: Der Mensch verfiel in sich dem Gesetz der Sünde. – Zufolge der Willensentscheidung des Menschen verwandelten sich die Anlagen in Gott widerstrebende Möglichkeiten.

473 |             Zum Unterschied vom Menschen vollbringt Gott mit göttlich freiem Willen immer nur gute, göttliche Akte. Der Mensch aber muss sich unter Gott erniedrigen und unterordnen. Die erste Sünde war nun im Augenblick des Geschehens ein Abkehren von Gott, ein Gott-gleich-sein-wollen, eine Überhebung der Gott untergeordneten Menschennatur, ein Nicht-achten auf das ewige Gesetz: Es gibt nur einen Gott – woraus sich eine absolute Abhängigkeit aller Geschöpfe ergibt. Gott hatte den Menschen aus Liebe geschaffen, um ihn teilnehmen zu lassen an ihm, nicht aber, dass der Mensch Gott gleich sein wolle. Die Seele überhob sich wider den Schöpfer, wollte ihm gleich sein, ohne sich an den göttlichen Plan der Entwicklung zu halten, wonach die Seele, Gottes Ebenbild voll entwickelnd, als neuer göttlicher Ertrag zu Gott zurückkehren sollte, um von ihm in ewiger Seligkeit wieder aufgenommen zu werden. Der Plan Gottes, sich in seinem Geschöpfe gleichsam wiederzufinden, wurde durch die Sünde zerstört, das Ebenbild Gottes zerrissen. – Und da Gott in der ersten Menschenseele, bzw. den ersten Menschen nach seinem ewigen göttlichen Ratschluss die Richtung geben wollte und so gewissermaßen der ganzen Schöpfung, dem gesamten Menschengeschlecht, verfiel der Mensch nach Adam [und] die ganze Nachkommenschaft, selbst verschuldet, einer noch höheren göttlichen Unterordnung und zugleich Strafwürdigkeit. –

474 |             Wie nun Gott der Menschenseele bei ihrer Erschaffung die Entscheidung über zwei Möglichkeiten gegeben hatte, so war damit auch die Belohnung oder Bestrafung für Gut und Bös gegeben. Selbst wenn man sich Gottes Gerechtigkeit wegdenkt, liegt im Wesen des Guten schon eine bestimmte Frucht, eine Belohnung, eine Befriedigung, die in der gottgewollten Betätigung der vorhandenen Anlagen und Keime verborgen ist. Jeder gutgetane Akt ist für sich schon der Seele eine natürliche Belohnung, die nach Gottes Gesetz und Willen die Betätigung der gottgewollten Anlagen mit sich bringt, es folgt daraus eine Freude, ein Glück, vom Schöpfer hineingelegt.

475 |             Anderseits trägt – auch abgesehen von der Gerechtigkeit Gottes – jede Sünde Gottes gesetzwidrige Handlung in sich eine Strafe, einen der Naturanlage folgenden Schmerz, der Befriedigung entgegengesetztes Gefühl, weil ja die Seele die hohe Bestimmung hat, Gottes Ebenbild in sich möglichst auszugestalten, durch die Sünde aber dieser naturgegebenen Bestimmung entgegengehandelt wird. Der Mensch verfiel damit der Seele und dem Leib nach dem Gesetz des Leidens. Dazu kommt die naturgemäße Strafe durch die Gerechtigkeit Gottes, weil die Seele absolut abhängig ist von Gott.

476 |             Durch die Empörung der ersten Sünde wurde der ganze Mensch, Seele und Leib, dem Ausbruch aller in ihm schlummernden, durch die freie Willensentscheidung verkehrten Anlagen überantwortet, bis der Erlöser kam und gleichsam eine Heilung, eine Neuordnung aller Aktmöglichkeiten vornahm. – Der Leib hatte eingewilligt in das Begehren der Seele: Seine Trennung von Gott wurde zur Strafe – eine zeitliche; er verfiel dem Gesetz des Todes, bis Gott am jüngsten Tag das menschliche Leben wieder erhebt durch die Verdienste der Leiden und des Todes des Erlöserleibes.

477 |             In einem Ausfluss des Erbarmens des Vaters und der Liebe des Heiligen Geistes schuf Gott gleichsam eine zweite, neue Menschenseele und übergab sie seinem Sohn. – In der gottmenschlichen Seele wurde dem Vater ein neuer göttlicher Ertrag geboten infolge der Bereitschaft des göttlichen Wortes, das wie ein Mensch werden wollte. Was in der ersten Seele verdorben wurde, sollte in der „zweiten“ als voller Erfolg und Ersatz der Gerechtigkeit Gottes geboten werden.

478 |             Weil die Sünde zuerst in der Seele geschah, das Ebenbild Gottes zerstörend, war darum die „SEELE JESU“ der Hauptfaktor in der Erlösung.

479 |             Die zweite göttliche Person wurde nach Gottes liebendem Ratschluss in die Welt gesandt, um die gefallene Menschheit wieder mit der beleidigten Gottheit zu versöhnen und zu verbinden. Dazu bedurfte es des Zusammenwirkens der Gottheit und der Menschheit. In einem Ausfluss göttlicher Liebe bot sich das ewige Wort freiwillig an, die menschliche Natur anzunehmen, die einst aus der Schöpferhand des Vaters hervorgegangen war und darum einbezogen in Gottes unendliche Liebe und Herablassung.

480 |             Wie jedes Geschöpf in sich die Spuren der Weisheit und Allmacht Gottes trägt, so war der Mensch, als Krone der Schöpfung nach Gottes Ebenbild erschaffen, vor allen Geschöpfen von Anfang an bestimmt, Gottes übertragbares Wesen und sein in sich zu gestalten. Die Absicht Gottes war, sein inneres Wesen dem Menschen gleichsam mitzuteilen und ihn teilnehmen zu lassen an der Glückseligkeit seines innersten Wesens.

481 |             Dazu erhielt die Menschenseele die höchstmöglichen Anlagen. Ein Hauch vom unendlichen Wesen Gottes war sie von Anfang an bestimmt und veranlagt für göttliches Erleben. Als Ebenbild Gottes mit freiem Willen begabt war sie bestimmt, ein neues, übernatürliches Ebenbild Gottes in sich zu schaffen und zu erwerben. Sie war im Anfang der Erschaffung veranlagt und fähig, Gott in sich aufzunehmen, sich zu höchstmöglichem, gleichsam neuem „göttlichen Tun“ zu entwickeln, und dies alles der göttlichen Majestät als Produkt und neuen Ertrag der göttlichen Schöpferliebe zurückzugeben. So sollte in jeder Seele sich wiederfinden und neue Selbstverherrlichung in Empfang nehmen. [sic!] – Nicht, dass der Mensch Gott werde, sondern: Wie jedes Geschöpf den Stempel göttlicher Herkunft und den Keim zu weiterer Ausgestaltung und Vollendung in sich trägt, so sollte der Mensch den in seine Seele gelegten Keim göttlichen Ursprungs in vollendeter Art entfalten und entwickeln und Gott den Ertrag seines göttlichen Schöpfergeistes wie ein „göttliches Werk“ als neuen Akt der Selbstverherrlichung bieten. Die Menschenseele sollte den von Gott geschaffenen göttlichen Wesenskeim, das übernatürliche Ebenbild Gottes, MITWIRKEND zur Vollendung bringen.

482 |             Die Gottheit der zweiten göttlichen Person hat sich allen Glanzes und aller Herrlichkeit entkleidet und sich in der Seele Jesu verborgen. Immer wohnend und wirksam in der menschlichen Natur, lebte Sie zugleich verbindend wie ein göttlicher Strahl im Vater und im Heiligen Geist, wieder zurückkehrend in das menschliche Sein.

483 |             Die Seele Jesu war, gemäß ihrer Bestimmung, befähigt, ein unermessliches Wesen, die Gottheit des ewigen Wortes, voll in sich zu tragen; sie hatte dementsprechende Anlagen. Die Gottheit war im höchsten geistigen Teil der menschlichen Seele Jesu wie in einem geistigen Lichte anwesend, wie auf der höchsten Spitze des Geistes seiner Seele.

484 |             Das göttliche Wort hat als Erlöser zeit seines Lebens als höchste Verdemütigung freiwillig verzichtet auf göttliche Macht und Herrscherrechte, um in allem als Mensch befunden zu werden. Der Erlöser hat zeitlebens die Wirkung seiner Gottheit wie in scheinbarer, und doch wieder wirklicher Abhängigkeit seinem Vater anheimgestellt, für sich als höchste Verdemütigung, die vor seinem himmlischen Vater der erste und größte Akt und Grad der sühnenden Genugtuung wurde.

485 |             Diese gänzlich göttliche Willensentäußerung dem Vater gegenüber vollbrachte Jesus, das göttliche Wort, als ersten Akt vor seiner Menschwerdung: in allem wollte er dem Willen des Vaters unterworfen sein wie ein Mensch. Und der Vater nahm diese gänzliche Entäußerung an, wohlgefällig, liebend, als höchsten erlösungskräftigen Akt, in dem sich die zweite göttliche Person erniedrigte. Da Jesus zugleich bereit war, alle Schäden der Menschenseele innerlich zu tragen und zu heilen, war der Vater auch bereit, mit dem Sohn alle Menschen wieder an Kindesstatt anzunehmen.

486 |             Der Heiland hat somit als Erlöser seine göttliche und menschliche Freiheit seinem Vater, und damit zugleich der göttlichen Gerechtigkeit übergeben und zeitlebens in einem ständigen Genugtuungsakt sich dieser unterworfen.

487 |             Mit seinem göttlichen Wissen sah Jesus alle Sünden und Schäden der Menschenseele in all den tiefsten Auswirkungen voraus, die er bereit war, in sich zu erfahren, obwohl ganz rein und sündenlos; dies war mit eingeschlossen in seiner ganzen, unermesslichen Erlösertätigkeit. – Durch göttliche Unterwerfung, ständig innewohnend seinem menschlichen sein wollte der Heiland die Empörung der ersten Menschenseele gutmachen, verzichtend auf die Ausübung göttlicher Herrscherrechte.

488 |             Dieser seiner Erlöseraufgabe in ihrer ganzen Auswirkung war Jesus vom ersten Anfang seiner Bereitschaft und seiner Menschwerdung an sich ständig bewusst in seiner Gottheit und in seiner gottmenschlichen Seele, die eine wundervolle Harmonie bildeten. Doch hat dieses höchste, göttliche, geistige Wissen menschlich sich ausgewirkt als sich entwickelnd: Sich steigernd wie mit der erwachenden Vernunft des Kindes, wachsend und an Ausdehnung und Tiefe zunehmend; im Mannesalter sich auswirkend wie in einem Zustand des Ringens bis zum Letzten, bis zum Tode, da im allerschwersten Ringen eine unermessliche Aufgabe gelöst WERDEN MUSSTE. Dazu kamen dann als letzter Abschluss und Verdemütigung die äußeren Leiden. –

489 |             Jesus hatte als zweite göttliche Person ein eigenes göttliches Bewusstsein. Wohl ist in der EINEN Gottheit nur ein göttliches Bewusstsein; aber jede göttliche Person hat dieses Bewusstsein wie ein eigenes, ihr zugehöriges. – Das göttliche Bewusstsein des menschgewordenen Wortes war in göttlicher Einheit mit dem Vater und dem Heiligen Geiste einverstanden und doch wieder in jedem Entschluss selbstständig und den anderen göttlichen Personen in voller Einheit sich mitteilend; es war der zweiten göttlichen Person eigen und doch wieder in geheimnisvoller Einheit untrennbar mit den anderen göttlichen Personen verbunden und von Ihnen in vollem Einverstandensein und in voller Einheit dem menschgewordenen Wort zurückgegeben. Dieses göttliche Bewusstsein machte Jesu Erlöseraufgabe voll wirksam, ließ den Erlöser seine Aufgabe absolut anerkennen, wirkte auf seine heiligste Erlösermenschheit, die bemüht war, sich voll, liebend einzusetzen, um dem beleidigten dreieinigen Gott die entsprechende Genugtuung zu leisten. – Dieses göttliche Bewusstsein bewirkte auch, dass jene Genugtuung zugleich als „göttliche“ geleistet wurde.

 

19.05.1940

Dreifaltigkeitsfest

490 |             Welch unaussprechliche Wege völliger geistiger Vernichtung der Heiland mich führt, das bin ich in den letzten Tagen wieder innegeworden. – All diese inneren Leiden sind tief geistiger Art. Man hat kein Wort dafür. Im Hintergrund dieser Leiden steht aber doch manchmal das erlebte Ziel … Jesu Erleben in seiner seelischen Tätigkeit, wozu er mich durch diese Leiden umbildet. –

491 |             In völliger Vernichtung jeder eigenen Regung in mir stehe ich nach der heiligen Kommunion an Jesu Stelle. Ich bin gleichsam „er“ geworden; ich = er, seine liebevollen Absichten in mir verwirklichend. – Dieses Erleben ist in Worten nicht auszudrücken, es ist zu einfach und klar: Ich bin an Jesu Stelle, bin „er“, weil er sich offenbaren will in einem erneuten sein in mir. Es ist alles Ruhe, sein voll Ruhe, gesättigt, erfüllt, wunschlos. – Man kann, auch ohne zu sterben, Jesus in voller Einheit und Wirklichkeit erleben …

492 |             Dieses „ich an Jesu Stelle“ ist mir gegeben, damit er mich unumschränkt gebrauchen kann als ein Wesen, das im dient als sein „ich“. Es wird sich nach dem Maße seiner Absichten noch erweitern und vertiefen. –

493 |             Bei aller Ruhe trage ich eine große Last in mir: die Fülle seines „Seins“ mit so viel Vertiefung- und Ausbreitungsmöglichkeit, zum Überströmen. –

494 |             Mittags kam eine fühlbare innere Bewegung in dieses ruhevolle Ich-an-Jesu-Stelle-sein. Mein innerstes Leben fragte mich: Willst du mir als mein „ich“ dienen und alles annehmen, was „ich“ bin? Ich erkannte, wie ich ganz auf ihn gestellt sei. Ich gab mein „ganzes Sein“ zu einem erneuerten Ich für ihn … Und er sagte mir: „du wirst immer die vielgeliebte Tochter des Vaters und die auserwählte Braut des Heiligen Geistes sein.“ – Und es war in mir: Vater und Heiliger Geist vermählten sich mit mir (in einer geheimnisvollen geistigen Berührung) wodurch der Sohn gebildet würde, geistig sich wiederholend in mir. – Dies wurde vom Vater und vom Heiligen Geist bestätigt und bejaht. – Alles ist ein dreifaches geistiges Zusammenwirken der heiligsten Dreifaltigkeit, ein dreifaches Bejahen, und meinerseits ein volles Bereitstellen. Aber alles unsagbar einfach. –

495 |             Ich war ganz beschämt im tiefsten Wissen meines Nichts und des ganz Geschenkten. –

496 |             So tiefst im Geheimnis Gottes verborgen und aufgenommen, ward Maria noch in besonderer Weise Mutter im Sohne, ihr Muttersein wiederholend. –

497 |             Alles ist Einfachheit und Geistigkeit. Als „er“ habe ich alles in mir. Als „er“ bete ich zum Vater, zum Heiligen Geist. Ich lebe aus der Fülle des inneren Seins, das ich bin.

 

30.05.1940

498 |             Es ist alles in Worten nicht auszudrücken, und dies ist nur eine kleine Andeutung von dem inneren Erkennen meiner Aufgabe. „In diesen Leiden wirst du das Blühen des Werkes (für die Priester) sehen“, – wurde mir versprochen.40

499 |             In den vergangenen Tagen war ich in ein unaussprechliches geistiges Leiden versenkt. –

500 |             Heute, obwohl sehr im Leiden, hat mir der Heiland kostbares Licht gegeben über seinen Erlöserleiden. – Mein jetziges Leiden sei ganz Vorbereitungsleiden.

501 |             So, wie ich ständig mit meinem „Nichts“, mit meiner Ohnmacht zu kämpfen hätte, so musste der Heiland ständig „die Sünden sehen“, alle, jede Einzelne, in allen schrecklichen Auswirkungen für die Seelen und er sah sich wie ohnmächtig denen gegenüber und litt darunter, als wären es die „Seinigen“. Seine Gottheit war gleichsam ein abgeblendetes Licht.

502 |             Zum Vergleich wurde mir gezeigt, wie ein feinfühliger, reinlicher, gebildeter Mensch sich fühlen müsste, wenn er ständig in einem ganz beschmutzten, mit Ungeziefer behafteten Kleid sein müsste. Oder: Ein ganz reiner Mensch, die reinste Seele, mit allen nur möglichen Sünden bedeckt. So stand Jesus vor dem Vater und vor sich selbst.

503 |             Die ganze reine Seele Jesu musste die „sündige Seele“ zeit seines Lebens wie „in sich beherbergen“, war durch seine unaussprechliche Erlöserliebe wie „verantwortlich“ gemacht, musste auch die Bosheit der menschlichen Leidenschaften ertragen. Oder Jesus hatte die sündige Menschenseele gleichsam in sein Herz aufgenommen, und durch stellvertretendes Gutmachen mit den Vollkommenheiten seines göttlichen Herzens der göttlichen Gerechtigkeit Entschädigung geboten. –

504 |             Er will auch in diesem tiefsten Geheimnis seines Herzens anerkannt und verehrt werden, in seiner innersten Erlösertätigkeit.

505 |             Jesus hat dies freiwillig, nach dem Willen des Vaters, auf sich genommen. – Das war zum Teil die Seelentätigkeit Jesu, diese Sühnebetätigung vor der beleidigten Gottheit.

506 |             Meine ähnliche Aufgabe sei darum: zu größtmöglicher Reinheit zu gelangen und dann die „sündige Seele“ aufzunehmen. In diesem Akt, in dem Gegensatzleiden zwischen Reinheit und Sünde liegt die eigentliche Sühnekraft, weil dadurch die Sünde nochmals verabscheut, getilgt, gutgemacht und die Seele, die Wunden der Seele, durch die Erbsünde von all den dem Guten entgegengesetzten Aktmöglichkeiten ausgebessert und geheilt werden. –

507 |             Es war mir entsetzlich bange vor dem Kommenden, aber der Heiland war trotzdem immer der Heiland und hat dadurch nichts von sich verloren. Er wurde nicht befleckt, sondern hat die „Seele“ der Menschheit geheilt von ihren Sünden, Schäden und Wunden.

508 |             Ich würde mich so verlieren, dass nur die „sündige Seele“ bleibe, wie es beim Heiland in seinem höchst gesteigerten Leiden war, aber immer bleibe die göttliche Kraft, das Sein in ihm. – Auch das Versprechen der geistlichen Hilfe und des Verständnisses dafür wie in einem Herzen wurde mir gegeben. –

509 |             Es ist alles in Worten nicht auszudrücken, und dies ist nur eine kleine Andeutung von dem inneren Erkennen meiner Aufgabe.

510 |             „In diesem Leiden wirst du das Blühen des Werkes (für die Priester) sehen,“ – wurde mir versprochen.

511 |             Arm bin ich und nichts und leer, aber ruhig und klar und auch bereit …

 

Juni

08.06.1940

512 |             Keine eigene, innere Betätigung, ganz darauf verzichten! – Mit ihm, mit seinem Leben genug haben! – In Maria sein, ihn leben, in ihm zum Vater, zum Heiligen Geist beten! – Alles von ihm erwarten und mit ihm und den seinen zufrieden sein! – Bereitschaft zur entscheidenden Hingabe dieser Art – für immer! – In diesem Beten „in ihm“ wirst du alles erlangen. –

 

25.06.1940

Über Jesu innere Leiden.

513 |             Jesus nahm als Erlöser die Sündenschuld der Welt auf sich. Wohl konnte er nicht das Unrecht der Sünde als solches, als sein eigenes betrachten, aber er nahm auf sich das Gefühl der Schuld und des Beschuldigtseins, das auf die in der Sünde liegende Befriedigung folgt. Seine Aufgabe war es ja, die Schuld der Menschen gutzumachen, indem er sie auf sich nahm, indem er innerlich als der die Schuld tragende galt vor seinem himmlischen Vater, indem er durch seine liebende Barmherzigkeit zum Beschuldigten und sich „schuldig fühlenden“ wurde. – Die Größe dieses seines inneren Leidens erklärt sich aus seinem gottmenschlichen Wissen:

1. Um die Größe Gottes, der durch die Sünde beleidigt wird.

2. Um das schuldbare Verlieren Gottes;

3. Um die Auswirkung jeder Sünde für Zeit und Ewigkeit.

514 |             Die Schuld der Sünde hat der Erlöser durch entgegengesetztes inneres Leiden bzw. durch entsprechende innere Akte gesühnt. So z. B. bezüglich der Sünde des Zorns erfuhr und ertrug er – als Beschuldigter, der er vor seinem himmlischen Vater wurde – die Auswirkungen dieser Sünde in seinem Herzen: die dadurch bewirkte Entehrung Gottes, die Wirkung in der Seele des Menschen, die Wirkungen dem Nächsten gegenüber, die Wirkungen für die Ewigkeit. Er hatte ja die Schuld stellvertretend auf sich genommen, soweit es möglich war, d. h., die Folgen und Wirkungen der Sünde, da er selbst von der Sünde nicht berührt werden konnte. Und an den Wirkungen der Sünde, die er als Erlöser freiwillig auf sich genommen hatte, fühlte er sich schuldig.

515 |             Diesen verschiedenen Wirkungen, beispielsweise der Sünde des Zornes gegenüber, entfaltete sich seine gottmenschliche Sanftmut als entsprechende Sühne vor Gott. Und so hat Jesus als Erlöser alle Sündenschuld durch entgegengesetztes inneres Leiden bzw. durch seine gottmenschlichen guten Akte gesühnt. Dadurch wurde sein Herz zu einem ständigen Schlachtopfer; dies wirkte sich auch an seinem Leibe zu einem „Ganzopfer“ aus in seinem Tode. – Durch die Akte des menschlichen Bemühens Jesu wurde zugleich für die Sünder die „Kraft“ erworben, sich von der Sünde befreien zu können.

516 |             Bei der heiligen Taufe wird die Seele dieser Kraft und der Verdienste teilhaftig, die Jesus durch seine innere Erlösertätigkeit erworben hat.

 

26.06.1940

517 |             Der liebe Heiland will: Ich solle an nachstehend erwähnte Gnaden glauben und mich dementsprechend opfern:

1. Dass seine Gnade durch die jahrelangen Vorbereitungsleiden mich dahin in den Zustand der ersten Menschen bei der Erschaffung gebracht hat, dass er mir alle seine Erlösungsgnaden vollkommen zugewendet und diese auch von mir entsprechend angenommen und verwertet wurden. Und dass mein Wille mit seinem reinsten Willen im Stande ist zu harmonieren, soweit es der menschlichen Schwäche zukommt.

2. Dass alle meine inneren Leiden nicht meiner sündhaften Natur entspringen, sondern übernatürliche, durch seine Gnade verursachte Leiden sind, Leiden in der Art seiner inneren Erlösungsleiden, geistige und stellvertretende Leiden, bzw. das Nacherleben des Widerstrebens der menschlichen Natur, des Leidens unter den Leiden;

3. Dass ich bereit bin, sein Innenleben aufzunehmen, dieses zu erfahren, zu erleben und zu erleiden;

4. Alles von seinem wirklichen sein in mir zu erwarten, alles an Kraft und Wissen, „in ihm von seinem Sein“ in Empfang nehmen zu wollen, im Glauben an seine Gnade und im Vertrauen auf meine innere Aufgabe; gleichsam „ihn“ zu leben, von seinem Sein, mit allem zufrieden sein zu wollen von ihm;

5. Als sein „zweites sich wiederholendes sein“ mich vom Mütterchen ganz bedienen zu lassen, wie er alles von der Mutter erwartet und in Empfang nahm. – „ihn Leben“ und damit zum Vater und zum Heiligen Geiste beten. –

518 |             Diese Aufopferung soll gleichsam der Abschluss sein von den früheren Reinigungswegen; ich würde nachher in einen neuen Weg des Lebens in Jesus „an seiner Stelle“ gelangen.

 

29.06.1940

Aufopferungsakt.

519 |             O Jesus, mein wahres Leben und meine einzige Liebe, ich glaube dir, dass deine Gnade mich (durch die jahrelangen Vorbereitungsleiden) in den Zustand der ersten Menschen bei der Erschaffung gebracht hat, insofern als mein Wille imstande ist, mit deinem reinsten, allerheiligsten Willen zu harmonieren – soweit dies der menschlichen Schwäche zukommt. –

520 |             Ich will daran glauben, dass alle meine Leiden nicht meiner sündhaften Natur entspringen, sondern dass es übernatürliche, durch deine Gnade verursachte Leiden, Leiden in deiner Art, geistige und stellvertretende Leiden, bzw. das Nacherleben des Widerstrebens der menschlichen Natur, des Leidens unter den Leiden sind. –

521 |             Ich erkläre mich freiwillig und aus Liebe bereit, dein Innenleben aufzunehmen, es zu erfahren und zu erleiden;

522 |             Ich verspreche alles von deinem wirklichen innersten sein in mir zu erwarten, alles an Kraft und Wissen „in dir“ von deinem sein in mir in Empfang nehmen zu wollen, im Glauben an deine Gnade und im Vertrauen auf meine innere Aufgabe. Ich will dich leben, von deinem Sein leben, mit allem „von dir“ zufrieden sein.

523 |             Als dein zweites, sich wiederholendes sein will ich mich ganz von Mütterchen bedienen lassen, wie du alles von der Mutter erwartest und in Empfang nahmst, und dir alles von ihr geben ließest. – Ich will dich leben und so zum Vater und zum Heiligen Geist beten! –

 

29.06.1940

Am Fest der heiligen Apostel Petrus und Paulus

524 |             Heute habe ich mich, nach dem Willen Jesus bereit erklärt, seine inneren Leiden bzw. seine innere Erlösertätigkeit auf mich zu nehmen und diese nochmals zu erleiden, soweit es in den Absichten Jesu liegt. Durch die vielen seelischen Vorbereitungsleiden sollte mir die volle Einheit und Harmonie geschaffen werden, die mich befähigen sollte, sein inneres sein in mir gleichsam wiederholen zu lassen, bzw. meine Kräfte und Leidensfähigkeiten ihm als die seinen zur Verfügung zu stellen und dienen lassen zu können. –

525 |             In den letzten, inneren Läuterungsleiden lag ein ständiges Abkehren, ein vollständiges Aus-mir-herausgehen, ein Vernichten jeder persönlichen Akte. – Zugleich war damit ein schmerzliches „Mich-Sehen-Müssen“ in meiner ganzen Ohnmacht und Unfähigkeit, Sündhaftigkeit und Nichtswürdigkeit verbunden. Es war wie eine ständige verzerrende Sucht, mich ganz zu verlieren zu wollen und zu müssen – um ganz den Heiland an meiner Stelle zu leben. – Man hat kein Wort, um die Tiefe des Erlebens und Erleidens dieser ganz geistigen, zutiefst inneren Reinigungsleiden zu erklären. Nur durch das Ziel könnte dieser innere Geistesweg angedeutet und erklärt werden – irgendwie. –

526 |             Heute habe ich mit ruhigem Herzen – wiewohl im tiefsten und höchsten sein meiner Seele trotz aller inneren Leiden immer Ruhe herrscht – die Aufopferung gemacht. – Nun ist alles tot in mir, wie wenn von mir überhaupt nichts vorhanden wäre. – Jesus muss beginnen, an meiner Stelle, anstelle meines toten Seins sein innerstes Leben bzw. seine inneren Erlöserleiden zu entfalten. Ich gehöre ihm; alle meine Kräfte und Leidensfähigkeiten sind ihm mit diesem Akte ganz zur Verfügung gestellt, so, als wären es die Seinigen. –

527 |             Kurze Augenblicke nach der heiligen Kommunion sah ich voraus einen Grad meiner Leiden anstelle des Heilandes: Alle menschenmöglichen Sünden würde ich innerlich erfahren und erleiden, als Opfer an Stelle Jesu. –

528 |             Der liebe Heiland zeigte mir dann die dritte Art seines inneren Erlöserleidens. (Die erste Art der inneren Erlöserleiden, das Umgeben- und Bekleidetsein – Beladensein wurde mir erklärt am 30. Mai; die zweite Art: das Schuldtragen, Beschuldigtsein, verantwortlich sein für die Folgen und Wirkungen der Sünde, am 25.6).

529 |             Heute die dritte Art: Jesu allerhöchste gottmenschliche Reinheit erhob sich vom tiefsten Wissen um die Sünde in einem beständigen Sühne- und Entschädigungssein zu höchsten entgegengesetzten Akten vor seinem himmlischen Vater. – So würde auch ich wie er und an seiner Stelle alle menschenmöglichen Sünden als Opfer für die Menschen innerlich erfahren, erleiden und so das Opfer Jesu wiederholen. – Alle Sünden würden wie auf einem neuen Kampfplatz auftreten, aber mein geläutertes Inneres würde davon nicht befleckt werden, und der Glaube an Jesu Gnade würde mich aufrecht halten. Die Vorbereitungsleiden haben diese Fähigkeit in mir geschaffen und entwickelt. Das sei jetzt, an Jesu Stelle, meine Aufgabe.

530 |             Je reiner und heiliger die der Sünde entgegengesetzten Akte sind, desto mehr wird der beleidigten Gottheit gleichsam neue Sühne geboten; – im Herzen Jesu aber waren diese Akte in höchstmöglicher Vollkommenheit vor dem Vater tätig. – Und je mehr diese Sühne an Stelle Jesu geboten wird, ihn nochmals vertretend, desto höher ist der Wert der Leiden. –

531 |             Ich erlebe, innerlich in unbegreiflicher Ruhe, Jesu Sein in mir tätig, mich zutiefst in sein Inneres einführend. Es ist eine tiefe, kraftvolle Ruhe in mir. Jesus hat mich mit seinem „sein“ vollends in Besitz genommen und ich habe mein volles „ja“ gegeben zu seiner gnadenvollen Berufung.

532 |             Maria – der Mutter hab ich mein ganzes Innere mit allen Gnaden ihres göttlichen Sohnes übergeben. Ihr sei es geweiht und in ihr Mutterherz gelegt. – So wie Jesus als Kind ganz „ihr Eigentum“ war und sie als Mutter gleichsam Anspruch auf ihn hatte, so sei dieses „erneuerte Jesuleben“ in mir ihr nochmals übergeben.

 

Juli

10.07.1940

533 |             Die erste Woche nach der endgültigen Aufopferung an den Heiland (um sein Innenleben, bzw. seine innere Erlösertätigkeit in mich aufzunehmen) war ruhig, ohne besondere Leiden, wie eine klare, überzeugende Betätigung meines innersten Berufes, um die volle Bereitschaft in mir zu schaffen, mit entscheidender Hingabe einen „neuen Abschnitt“ meines Seelenlebens zu beschreiten. –

534 |             Am Montag (8. Juli), morgens bei der heiligen Messe, wurde ich von einer ruhigen, geistigen Kraft erfüllt und erfasst; sie führte mich über mich selbst hinaus, überstrahlte mich von „oben“ her und belebte mich gleichsam neu; alle meine Geisteskräfte wurden mit „hinauf genommen“; sie wurden mir wie weggenommen oder über mein gewöhnliches geistiges sein gestellt und mit jener allerhöchsten Kraft und mit jenem sein vereinigt. – Bei der heiligen Kommunion war eine wundersame Einheit zwischen diesem göttlichen und meinem armen geistigen sein. Eine bisher nicht erlebte Ruhe und Menschen- und Weltferne ließ mich das volle, göttliche, geistige sein JESU erfassen und verkosten. – Es wurde mir aber keine weitere innere Erklärung vom lieben Heiland gegeben, über den Zweck dieser in höchster Art erlebten Einheit mit ihm. –

535 |             Im höchsten Teil meines Seins blieb zwar diese wunderbare Einheit, aber im unteren Teil meiner Seele wurde ich in den zwei folgenden Tagen in schwere geistige Leiden hineingezogen. Es galt ja noch „höher“ zukommen; es musste vollends irdischer oder menschlicher Palast weggeschafft oder zurückgelassen werden, denn an „dem Ort“, wo ich war, musste vollkommene Freiheit von sich selbst, auch im guten Sinne, herrschen. – Immer wieder strahlte die „mich von oben herab beherrschende Kraft“, das göttliche Sein, auf mein armes, leidendes und ringendes sein herab und wirkte wie ein verzehrendes, durchdringendes Feuer, um alles unter ihren Strahlen aufzulösen und zu vernichten. Doch in all diesen Leiden war Ruhe, ich möchte sagen, tödliche Ruhe, die die Seele in jeder eigenen Selbstbestätigung totmacht oder unfähig für jede persönliche Regung. – (Geistige Regung).

 

11.07.1940

536 |             Bei der heiligen Messe, und besonders nach der heiligen Kommunion, kehrte das volle „Erleben des göttlichen Seins des Heilandes“ in mir wieder. – Es war „er“, der mich lebte und mein armes, schwaches sein aufnahm, damit es fortan ein „sein“ bilde, wo Jesus sein erneuertes sein zur höchstmöglichen Entwicklung bringen wollte. – Ich war mit Jesus „auf den Berg seines Herzens“ gestiegen, welchen geistigen Aufstieg er mir schon vor so vielen Jahren angekündigt hatte („ich will dich führen auf den Berg meines Herzens, dort wirst du mein inneres sein, mein Innenleben, erleben“).

 

11.07.1940

537 |             O, welche Freiheit von mir selbst, von der eigenen, geistigen Gebundenheit! – Es war wahrlich wert, in so vielen Leiden und Beschwerden dieses inneren Aufstieges beharrlich zu bleiben! Wie weit entfernt von aller Welt, von allen Menschen, von aller Anhänglichkeit! Ich war „in Jesus oben“ in seinem höchsten sein. – Unter mir war bodenlose Fülle und Kraft, wie ein Wasser ohne Grund; oben herrschte unumschränkte Freiheit, immerwährendes Leben und volles Erleben, vollständiges „Eingetretensein“ in eine göttliche, unermessliche Weite, ohne Grenze, eine Weite, die immer offen ist in Fülle.

538 |             Und Jesus und sein Sein war diese über Himmel und Erde erfasste Höhe. Ich erfasste in diesem göttlichen sein: Hier wolle er mich ein neues Gebet lehren, das Beten zu seinem Vater, sein Gebet wiederholend; hier werde ich sein inneres Erlöserleben und Erlöserleiden erfahren; hier könne keine menschliche Täuschung sich einmischen, weil alles Eigene „unten gelassen sei“. Dieses höchste sein in dieser Art habe er noch keine Seele erleben lassen. –

539 |             Doch, wie ist alles so einfach! In meinem armen Geiste hat sich ein neuer Geist gebildet, der in der höchsten Betätigung nur Einfachheit und Einheit ist, in dessen Grenzen die immerwährende Ruhe und Fülle ist. – Diese „Ruhe“ ist aber immer tätig; und weil die Seele in den jahrelangen Übungen sich daran gewöhnt hat, sind die Wirkungen dieser „tätigen Ruhe“ für die Seele viel klarer als in den früheren Jahren des Innenlebens, wo der Heiland vielleicht viel lauter zur Seele sprach, wo seine Stimme noch viel eigene seelische Tätigkeit übertönen musste und wo seine fühlbare Gegenwart die Seele voll Trost und fühlbarer Freude machte; jetzt ist das innerste Erleben Jesu ohne Trost, aber zur erlebten Wirklichkeit geworden, die für die Seele nicht mehr überraschend, sondern wie selbstverständlich wirkt.

540 |             Dieses höchste sein in mir ist aber gleichsam noch „leer“; ich bin wie ein Buch ohne Blätter. Diese Leere wird aber nach und nach tätig werden, wie ein neues Wesen, das seiner Aufgabe zugeführt wird, dessen Fähigkeiten gleichsam im tiefsten Grunde der Betätigung harren.

 

12.07.1940

541 |             Dieses allerhöchste sein wird nun mein dauernder Seelenzustand bleiben. Ich kann diesen Zustand ertragen, ohne davon im unteren Teil meiner Seele mich bedrückt oder beschwert zu fühlen; es ist alles Harmonie in mir; der untere Teil folgt dem höheren. –

542 |             Bei der heiligen Kommunion war wieder „alles“ Geist in mir, das höchste Sein Jesu. Es wurde mir gezeigt: Dies ist das innerste Sein Jesu, das ich erlebe, das beständige Wesen und sein seines Herzens, das er mir schenke für immer wie zu meinem Sein und geistigen Leben. Jesus schenkte mir sein inneres sein, dass es nochmals wie zu einer sich wiederholenden Tätigkeit gelange, fruchtbar werde für die Seelen und für die Kirche, neue Erlösungsfrüchte bringe; in diesem seinem innersten sein lag sein göttliches Gebetsleben als Erlöser, lagen aber auch alle Erlöserleiden; dies bereitet „sich wie zu einer Wiederholung“.

543 |             Jesus verlangt von mir oder gibt mir festen Glauben an meine innere Aufgabe; Glauben, dass ich mein armes menschliches Wesen zurückgelassen habe, dass alle meine Kräfte seinem Sein dienen und dass ein neues, leidensfähiges, mit seinem göttlichen sein verbundenes Leben entstanden ist. –

544 |             Ich erlebte so klar Jesu innerstes Sein in seinem menschlichen Leben, die ständige Grundhaltung seines Herzens, die ich in mir besitze, und die neue Früchte bringen soll.

545 |             Ich konnte die Herz-Jesu-Litanei beten oder/und sah und begriff bei jeder Anrufung das Geheimnis des Herzens Jesu. Bei der Anrufung: „Herz Jesu, im Schoße der jungfräulichen … gebildet“[sic!] sah [ich] das göttliche Sein der zweiten göttlichen Person – ich erlebte und erfasste innerlich – wie es sich mit einem menschlichen sein in MARIA vereinigte und wie diese zwei EIN neues Leben in voller Harmonie und Einheit bildeten: Die Gottheit und die Menschheit begegnen sich und vereinigen und vollenden sich zu einem gottmenschlichen Leben, dessen tragende Kraft die göttliche Erlöserliebe ist, der sich bejahend die menschliche Liebes- und Opfer- und Leidensfähigkeit unterordnete.

546 |             Ich möchte mit der Reinheit und der Hingabefähigkeit Mariens dem Heiland alle meine Kräfte geben können, damit diese ihm dienen in jener Bereitwilligkeit, mit welcher der aus Maria genommene Erlöserleib sich dem göttlichen sein restlos zu Verfügung stellte!

 

13.07.1940

547 |             Nach der heiligen Kommunion lebte und war ich in voller Einheit und Harmonie im höchsten geistigen Sein Jesu; es war eine unbeschreibliche Ruhe, Klarheit und besondere Freiheit von sich selbst. Ein ruhiges sein, gänzlich über sich selbst und den eigenen menschlichen Niederungen stehend, lässt die vollkommene Freiheit eines erlösten Gotteskindes verkosten.

548 |             Ich sah Maria, auserwählt vor allen Geschöpfen, von der Sünde nie berührt und dadurch bereit und fähig, der gefallenen Menschheit den Erlöser zu geben, der der Menschheit damit die Erlösung brachte, wie am Eingangstor einer neuen Zeit. Ich war eins mit Maria. Eine andere Aufgabe erlebte ich in meinem geistigen Wissen: Ich soll dem Heiland Werkzeug sein, um ein neues geistiges Zeitalter zu eröffnen. – Eine vertiefte Auffassung der Erlösungslehre wolle er seiner Kirche als neue Quelle der Gnaden offenbaren. – Jesus habe mir all seine Erlösungsgnaden voll zugewendet und geschenkt und somit eine Vollerlösung in meiner Seele bewirkt.

549 |             Alle Seelen sollen trachten und streben, sich der vollen Früchte seiner Erlösung teilhaftig zu machen, d. h., innerlich sich freizumachen von den Folgen der Erbsünde, Kraft der Erlösungsgnaden, die auch diese Möglichkeit in sich schließen (gemeint sind die Fesseln und Wurzeln der Sünde, die Austilgung der Schäden der Menschenseele, die durch die erste Sünde entstanden sind, die Herstellung der geistigen Ordnung, die Gott von Anfang an wollte, die innere Harmonie der Seele mit Gott, die der Heiland als Erlöser zwischen Gottheit und Menschheit wieder möglich gemacht hat.)

550 |             Die inneren Erlösungsgnaden sah ich so reichlich und kraftvoll, dass sie, voll zugewendet, wie eine Entsündigung zu wirken imstande sind, und dies sah ich auch als den Zweck der Erlösung.

551 |             Dieses volle Aufnehmen der dieserart wirkenden Erlösungsgnaden sah ich im neuen Zeitalter der Kirche in erster Linie den Priestern vom Heiland angeboten.

552 |             Untertags sah ich innerlich: den Priestern, jedem als zweiter Christus, wolle der Heiland diese Gnaden geben. Der Priester soll als „Ersterlöster“ sich freimachen von den Folgen der erbsündlichen Unordnung und zu voller Harmonie und zur Einheit mit seinem Meister zu gelangen suchen. Infolge seiner hohen Berufung, in der er Christus zu vertreten habe, solle er sich wirklich als in der Notwendigkeit sich zuerst zu erlösen (= als zuerst zu Erlösender) betrachten.

553 |             Der liebe Heiland hat mir auch wiederholt versprechend gezeigt: er wolle diese Gnaden den Priestern „neu“ geben. Ich sah diese Gnaden zuerst niedergelegt in dem zu gründenden Priesterwerk. Ich sah voraus, wie manche Priester dieses Werkes diese Gnaden rascher wie in einer geistigen Umwälzung in ihrer Seele erhielten, andere sah ich diese Gnaden erringen in dem Geiste, der die geistige Grundlage der Genossenschaft bildet, nämlich im beständigen Mitopfern mit Jesus auf dem Altar. In dem sie diese Opfer Gesinnung Jesu sich in ihrem täglichen Priesterleben zu eigen machen, werden sie als Folge eine Umwandlung in die Gesinnung und in das Innere Sein Jesu erfahren. Alle Priester dieses Priesterwerkes sollen aber dieses Ziel, diese innere Entsündigung anstreben.

554 |             Ich sah alle meine Leiden (alle diesbezüglichen und auch alle anderen Leiden) gleich wie in neuen Gnaden für das Priesterwerk niedergelegt und aufgespeichert, dass Jesus diese mit seinen göttlichen Erlöserverdiensten nach Belieben verteile. Da stand in mir das Verlangen auf, möglichst viel leiden zu können, dass vermöge dieser Leiden das Werk geistig reich ausgestattet werde.

 

August

31.08.1940

555 |             Welche unbegreiflichen Wege der Gnade führt mich der liebe Heiland! Er will anstelle meines Seins ganz sein eigenes einst auf Erden gelebtes Leben aufbauen und alle meine Kräfte und Fähigkeiten für diesen Zweck in sich umgestalten. – Aber der Heiland hat mühsame Arbeit mit einem so unbeholfenen, armen Wesen. Mein oftmaliges inneres Versagen verzögert seine Absichten. Aber besonders auch die Unermesslichkeit und Tragweite seiner Gnaden machen mich oft ängstlich und hemmen das Fortschreiten seines Lebens in mir. –

556 |             Ich muss ganz blind werden für mich, blind mich leiten lassen von seinem führenden „sein“ in mir. Wenn ich auf mich sehe, auf mein armes Nichts, auf meine Unfähigkeit, könnte ich ihrer werden, aber wenn ich immer auf ihn sehe, auf den allmächtigen, dann wird der Abgrund überbrückt durch seine grenzenlose Liebe und Herablassung. –

557 |             Besonders in der letzten Zeit, wo ich eigentlich innerlich wieder einen neuen Läuterungsweg gehe, hat mir Jesus oft den Zweck und das Ziel seiner gnadenvollen Herablassung gezeigt: Jesus bereitet ein neues, geistiges Zeitalter in seiner Kirche vor; er wolle sich seiner Kirche in einer besonderen Art offenbaren, die den geistigen Schäden der heutigen Zeit entgegengesetzt und ihren Bedürfnissen angepasst wäre; sein innerstes Erlöserleben soll besonders anerkannt werden und als neue Gnadenquelle sich über seine Kirche „wie neu“ ergießen. Bisher habe man ihn in der Kirche mehr von „außen“ erkannt, jetzt wolle er die Schätze seines „inneren Seins“ wie einen neuen Strom über seine Kirche fließen lassen.

558 |             Auch die Art, in der Jesus mir jetzt seine Absichten erklärt, hat sich gegenüber der besonderen Führung früherer Jahre sehr geändert. – Früher „sprach“ er gleichsam in einem gnadenvollen, fühlbaren Vereinigtsein zu mir, geistig fühlbar, aber doch klarer und deutlicher als eines Menschen Mund es erklären könnte; mit seinem Worte fließt ja zugleich Licht und Verständnis und Durchdringen seiner Worte mit. – Seine Gegenwart in mir oder um mich oder von mir ließ jede eigene Verstandestätigkeit wie stillstehen und seine geistig gesprochenen Worte und Erleuchtungen in einem vollen „Verschenktsein in ihm“ entgegennehmen. Damals schien mir mein inneres Leben „außergewöhnlich“. Wenn ich das große Leben meines eigenen Unvermögens und meiner Nichtigkeit seiner Herablassung gegenüberstelle, war es mir ganz unerklärlich. –

559 |             In letzter Zeit „spricht“ Jesus nicht mehr zu mir wie früher. Sein Leben und sein Sein offenbaren sich mir mit den tiefsten Absichten seines Herzens. – Wie ein Gut, das man in sich trägt, still, verborgen, und dessen Wert und Fülle und Eigenheit man mit dem Besitz erfährt, so ist Jesus in mir. – In ihm erlebe ich die Fülle seiner Absichten, die Unermesslichkeit seiner Liebe zur Kirche, die er neu bereichern will mit den Schätzen seines Herzens. Und ich trage und erlebe dieses göttliche Gefäß, das daran ist, nochmals seine Liebe in einer besonderen Art seiner schwer bedrängten Kirche zu zeigen und zu schenken. Mit seinem Sein in mir erfahre ich die Wege meiner geistigen Umwandlung, um ihn vollends erfassen zu können und für die Fülle seines Lebens reif zu werden, damit mein menschliches Sein kein Hindernis mehr sei für seine Absichten.

560 |             Es wurde mir dieses Sein Wirken in einem Vergleich deutlich gemacht: Die Erde, auf der wir leben, dreht und bewegt sich immer, und bringt dadurch Tag und Nacht hervor, obwohl wir Menschen von den eigentlichen Drehungen der Erde gar nichts wahrnehmen. Wir spüren und erfahren nur die Folgen und Wirkungen, die Veränderungen der Erde, und damit ist uns alles gegeben, was wir zum Leben brauchen. So ähnlich ist es in meinem Innenleben: Sein Leben bietet Kraft, Licht und Lebendigkeit, wenn es mir auch nach dem gewöhnlichen Erleben nur Ruhe, Stille, Selbstvernichtung, Lahmlegung jeder persönlichen Geistes- und Seelentätigkeit zu bedeuten scheint. – Jesus gleichsam die Erdkugel in mir, dreht und bewegt sich und macht tot jedes eigene Vermögen, um immer mehr an Ausdehnung zunehmen zu können; jeden Augenblick spendet die Fülle seines Seins in mir Leben zum Überströmen, so wie die Erde ihren Kindern in der Fruchtbarkeit ihrer Urbestimmung.

561 |             Und Jesus will zur Vollreife und Vollendung seines Lebens in mir gelangen. Verschiedene Male wurde mir dieses in folgender Weise erklärt: Mein höchstes Vorbild sei MARIA. – In ihr wurde das höchste Geheimnis Gottes verwirklicht; aus ihrem menschlichen Leben hat die zweite göttliche Person Ihr menschliches Leben genommen, den allerheiligsten Erlöserleib, damit Gottes Liebe sich sichtbar offenbaren konnte. Aus des Erlösers Leben ward der Welt Erlösung, das versprochene Heil, die Erfüllung aller Hoffnung für die Zeit und Ewigkeit. Die Sünde der ersten Menschen hatte einen Abgrund aufgerissen zwischen Gott und der Menschheit, den die Liebe des göttlichen Erlösers wieder überbrückt hat. In ihm waren den Menschen alle Gnaden gegeben, die eine Neuordnung der Fähigkeiten der Menschenseele nach ihrer Urbestimmung möglich machen sollten. Die Verdienste des Erlösers und die Annahme und Verwertung der Erlösungsgnaden brachte der Seele wieder die verlorene Teilnahme an Gott, die er in seiner unbegreiflichen Liebe dem Menschen zugedacht hatte. Die Freigebigkeit Gottes, bzw. des Erlösers wollte mit dem Bemühen, der Aufnahmefähigkeit, dem Willen des Menschen zusammenwirken, dass dieses Zusammenarbeiten in der einzelnen Seele, wie eine in ihr hervorgebrachte Erlösung, Frucht bringe. – Gewiss wollte Jesus durch sein Erlöserleben und -leiden die gesamte Erlösung der Menschen bewirken, aber er will ebenso seine Erlösergnaden in der Einzelseele betätigt sehen. Seine Erlösergnaden haben ja in sich die über volle Kraft aus der gefallenen sündlichen Unordnung eine wirklich „erlöste“ Seele zu gestalten, deren Grade und Maße41 von den zugeteilten Erlösungsgnaden und von der Aufnahmebetätigung der Einzelseele abhängen. –

562 |             Der Grundgedanke aller in letzter Zeit vom Heiland erhaltenen Erkenntnisse ist also: Die Erlösungsgnaden haben in sich die umgestaltende Kraft, um in der aller sündlichen Unordnung unterworfenen Menschenseele eine Neuordnung aller geistigen und seelischen Fähigkeiten hervorzubringen, und zwar bis zur sittlichen Vollkommenheit des Zustandes, in dem die Menschenseele in ihrer Urbestimmung von Gott geschaffen wurde. –

563 |             Damit ist aber nicht gemeint, dass der Zustand der gefallenen Menschennatur gänzlich ausgelöscht oder nicht mehr vorhanden sei; die gefallene Menschennatur bleibt vielmehr immer vorhanden, aber durch die Zuwendung der Erlösungsfrüchte ist die Gnadenkraft vorhanden, um die betreffenden Schäden in entgegengesetzte gute Akte zu verwandeln, eine Umwandlung des gefallenen Menschen in einen voll erlösten, durch die Erlösung umgestalteten Menschen zu vollziehen. – Es wurde mir dies mit folgendem Vergleich erklärt: In dem Samenkorn eines großen Baumes ist schon die Möglichkeit für das Wachstum, das Hervorbringen dieses Baumes gegeben; die Entwicklung hängt aber ab von dem Erdreich, in das das Samenkorn gelegt wird, von den Klimaverhältnissen und Gezeiten. So hat Jesus in seinem Erlöserleben den fruchtbaren Grund und die Möglichkeit gegeben zur vollen Umgestaltung der gefallenen Menschenseele; er hat als Erlöser nach dem Willen seines himmlischen Vaters Vollarbeit geleistet. – Es liegt aber in Gottes bzw. Jesu Absichten, die erworbenen Gnaden mehr oder weniger vollwertig und vollkommen den Seelen zuzuwenden und an sie auszuteilen.

564 |             Ich sehe mit der Erlösung gegeben eine Entwicklung und Entfaltung in der Zuteilung der keimhaft vorhandenen Erlösungskräfte, die kraft ihres göttlichen Wertes unerschöpflich in ihrer Wirkmöglichkeit sind. So sehen wir, die Jahrhunderte herauf, in wundervoller Entwicklung eine fortschreitende Bereicherung und Gestaltung der Kirche, entsprechend den Zeitbedürfnissen und Zeitverhältnissen. –

565 |              Schon in den ersten Jahren meiner besonderen Gnadenführung wurden mir alle noch für mich bereitgehaltenen Gnaden gezeigt, entsprechend dem Zweck und Ziel der besonderen Absichten Jesu. Diese haben ihr Endziel in einer Erneuerung seiner Kirche, bedingt durch eine Erneuerung der Priester.

566 |             „Neue Gnaden“ wolle der Heiland seinen Priestern geben, die weiterströmen werden als Erneuerung der heiligen Kirche.

567 |             Die Tragweite dieser Absichten Jesu, die ich in früheren Jahren nicht verstanden und begriffen habe, zeigt er mir in letzter Zeit immer näher und klarer. Zuerst solle ich jene Gnaden selbst erfahren, in ihr Wesen umgestaltet werden und dadurch Kraft dieser gleichsam „erworbenen und vom Heiland gegebenen neuen Gnaden“ das Opfer für seine Absichten werden. Dies soll zum Beweis der Übernatürlichkeit meines Seelenlebens werden. – Wie Maria soll ich mich dem Heiland gleichsam leihen, hingeben, dass er sich wie in einem „neuen, anderen menschlichen Leben“ in mystischer Weise wie „wiederholen“ könne in einer ähnlich erlebten und erlittenen inneren Wiederholung seiner inneren Erlösungsleiden. – Durch dieses, sein wiederholtes inneres Leiden und Leben wolle er diese Gnaden begründet zeigen. –

568 |             Ich bin mir innerlich wie tot; jede Seelentätigkeit ist mir wie weggenommen; eine unbeschreibliche Leere gibt dem doch immer gegebenen Sein Jesu voll geistiger Fülle Raum. „Jesus annehmen, aufnehmen, erleben und erleiden als Begründung seiner besonderen Absichten!“, das wird mir als Ziel der inneren Führung gezeigt. – Seine Gerechtigkeit verlangt Entschädigung, die zugleich Beweis und Offenbarung seines inneren Erlöserlebens sein wird. –

569 |             In den letzten Wochen war ich immer im Zustand seines völligen Ausschaltens meiner selbst; ich kann nicht „beten“, bin mir selbst fern geworden. Es geht stufenweise: Nach dem Maße meines eigenen „Totseins“ wird das Leben Jesu wachsen, zur Fülle und zur Vollendung gelangen. –

570 |             Am Abend des 25. August 1926 hat mir Jesus seine Absichten mehr anschaulich und klar gemacht. Nach peinvoller innerer Verdemütigung, die wohl jeder besonderen Gnade vorausgeht, wurde ich in einen fortgeschrittenen Zustand des „Lebens“ Jesu in mir versetzt. – Ich erlebte den Heiland nicht nur geistig; er teilte sich mir auch in einer körperlich fühlbaren Art mit. Das innerste Sein Jesu in mir „sagte“ mir oder ließ mich wissen: „Ich will mit dir ein geheimnisvolles Brautfest feiern, ein Kreuzfest; ich will das Kreuz sein, woran du gekreuzigt wirst.“ – Jesus war unbegreiflich in mir lebend, auch körperlich fühlbar; sein göttliches, geistiges Leben durchströmte mich ganz in meinen Gliedern; es war eine geheimnisvolle wonnige Glut, die mich durchlebte. Ich fühlte seine Wunden in einem geistigen Erfassen seines erlebten Seins in mir. So habe ich Jesus noch nie erlebt, obwohl es mir vor vielen Jahren als das Ziel meines Innenlebens erklärt wurde. – Ich war in einem geheimnisvollen, nicht zu erklärenden Zustand der geistigen Fülle in ihm, durchglüht von ihm, oder er war in mir Leben, das mein Leben ist. – Ich gab dem Heiland mein Alles, das ihm ein neues sein bieten soll. Da war alles wonniges Sein an ihm, aber ich verstand, dass es ganz in ein leidendes sein übergehen wird, weil eben die Leiden, seine Leiden, der Beweis für ihn sein werden. – Dieser Zustand dauerte, mehr oder weniger spürbar erlebt, bis zum nächsten Tag mittags. –

571 |             Am 23. August hatte der liebe Heiland von mir verlangt, ich solle mit ihm in die Einsamkeit der Exerzitien gehen, in denen er Führer sei. Aber dieser Führer „spricht nichts“. Er „tut“ nur in mir Verschiedenes: Er nimmt mich mir immer noch mehr weg, um seinem Leben noch mehr Raum und Ausbreitungsmöglichkeit zu geben. Ich bin nicht die „Zuhörerin“, sondern die Seele, die alles geschehen lässt. – Jesus arbeitet ständig in mir und ich verstehe seine Arbeit und Tätigkeit ohne Worte. Ich brauche überhaupt „nichts zu tun“, oder darf nichts tun, weil dies seiner Arbeit hinderlich wäre, weil er eben alles sein will in mir. –

572 |             „Leiden“ kann ich diesen Zustand nicht gerade nennen, obwohl in früheren Zeiten solche inneren Läuterungsperioden große seelische Leiden waren. Es ist eben merkwürdig, dass ich jetzt an nichts mehr leide, wo ich früher in ähnlichen seelischen Stadien so arg gelitten habe. – Alles ist jetzt Geist, eine geistvolle Ruhe durchlebt mich ständig, doch kommt mir alles wie gewöhnlich und nichts Außerordentliches vor.

573 |             Vor kurzem (3. September) „sagte“ mir Jesus – ich habe keinen anderen Ausdruck für das fühlbare Mitteilen Jesu oder für das Innewerden seiner Absichten in mir: Ich will dir besondere, große innere Gnaden geben als Beweis für meine äußeren Absichten, damit du mit Vertrauen den Weg gehst und damit du glaubst, dass es von „mir“ ist, was ich dir bezüglich meiner äußeren Absichten „sage“. – Die inneren Gnaden sollen dir der Beweis für meinen Auftrag hinsichtlich des Priesterwerkes sein. – Er zeigte mir wiederholt, dass es „weitergehe“. Er würde den Weg weisen. Die Größe seiner inneren Gnaden gebe mir Mut und Kraft und Zuversicht.

574 |             Dann war ich in letzter Zeit sehr im Leiden, die sich immer auf kommende Gnaden beziehen. Eine geistige „Langeweile“ quälte mich wegen der geistigen Untätigkeit und Leere, in die ich versenkt war. Ich konnte nicht beten; bei der heiligen Messe und Kommunion ist mir jede Betätigung genommen. Ich bin wie „nicht mehr zu Hause“ bei mir, bin mir selber fremd, wie jemand, den man aus seinem eigenen Hause gewiesen hat. Dazu kommt noch die scheinbare Erfolglosigkeit aller bisherigen Opfer und Leiden. Ich komme mir vor, wie jemand der „umsonst auf der Welt“ ist infolge seiner Nichtigkeit und Unbrauchbarkeit. Ich irre seelisch umher, bin aber ein friedlich Verstoßener, weil er eben nichts sein Eigen nennt oder weil er seine Güter einem Höherem übergeben hat, der alles gut verwertet. Darum muss ich meine Leere und Nichtigkeit lieben, denn diese dient einem höheren Zweck, der darauf aufgebaut ist. –

575 |             Trotzdem bin ich heiter und zufrieden; ich will ja nichts für mich. Jesus „nimmt“ das Meine, und gebraucht es als das seine, und dieses innere, immer tiefere „Wegnehmen“ erzeugt eine Art Leiden in mir. Aber es sind friedliche Leiden, die einmal einen Schatz bilden werden für die Kirche als „neue Gnaden“. –

 

September

14.09.1940

Fest Kreuzerhöhung

576 |             Ich war in S. Cruce. Unterwegs kam es zu einer geistigen Scheidung in meiner Seele: Sein Leben überwand das Meinige und wuchs empor, stark, unabhängig, ein neues Sein, das sich in voller Selbstständigkeit entwickelte. –

577 |             Bei der heiligen Messe war Jesus in mir derjenige, der sich am Altar opferte und mich mit sich nahm. Er ließ mich erleben: Sein Leben in mir ist und wird sein das Zeichen einer neuen Zeit in seiner Kirche. Ich bin ja nicht mehr; er will in mir dieses Zeichen werden. Mich gebraucht er nur, (wie er das Holz brauchte, als Kreuz, woran er gekreuzigt wurde), weil er eben für seine Absichten nochmals eine leidensfähige Natur braucht, wie einst jene die er aus Maria annahm. Meine Kräfte sollen ihm Mittel und Möglichkeit bieten. –

578 |             Er ist ganz ER in mir. Er nimmt alles in Besitz wie sein eigenes. Er herrscht in seinem „eigenen Hause“. Ich bin ruhig und stelle ihm alles zur Verfügung. Nach der heiligen Kommunion ist Jesus eben Jesus in mir, an meiner Stelle. – Er nimmt mich zu seinem Sein und ist gleichsam erneut wie in seinem Erdenleben, als er in einem menschlichen sein wohnte.

579 |             So klar ist sein Sein in mir. Da ist nichts Gefühltes; er ist wirklich an die Stelle meines armen Seins getreten! Ich trete ganz zurück. Ich will ja nichts für mich, sondern nur, dass Jesus zur Fülle und Vollendung komme.

580 |             Wie einfach ist dies! Vor Jahren waren wir zu zweien; heute ist nur eines: „JESUS“. – Jesus ist das Gebet in mir, das wirkliche, lebendige Gebet vor seinem Vater; schon sein Sein genügt vor dem Vater, bringt ihm unendliche Ehre und Verherrlichung durch die Herablassung seines Sohnes, der mystisch „nochmals geworden“ ist. – Der Vater stimmt eben zu und ist höchst befriedigt über die Absichten seines Sohnes. –

581 |             Jesus will nicht, dass ich persönlich irgendetwas bete; er ist das lebendige Gebet in mir. Sein gleichsam wiederholendes Leben ist ständig Gebet, Hingabe und Sühne, da sein Sein alles Gute einschließt und enthält. Jede persönliche Selbstbetätigung soll nicht in Form des Gebetes sein, sondern ihn zur Vollendung gelangen lassen, alles ihm zur Verfügung stellen, dem inneren Gnadenzuge folgend ganz zurücktreten, damit sein lebendiges sein wie eine neue Gnade für die Welt erstehen kann. „Beten“ wird er dann in einem neuen, anderen Leben. –

582 |             Jesus lehrt mich oder ich lebe dann sein Gebet vor dem Vater, seine ständige freiwillige Abhängigkeit, seine Hingabe. Ich leihe mich ihm ja zum neuen Sein; deshalb erlebe ich alles, wie wenn ich Jesus wäre, was er mit mir vorhat und ich bin Jesus, weil aus zweien nur eines wurde. Gewiss wird bis dahin noch manche Stufe der geistigen Entwicklung folgen, aber ich erlebe heute im Voraus das Ziel.

583 |             Jetzt muss ich so zufrieden sein, bis Jesus in mir „lebendig“ und tätig wird. Ich sehe „Maria, als sie das Kindlein in sich trug, hat es ihr in diesem sein genügt“; so soll auch mir sein Leben genügen, mit allem, was es in sich ist und mir bietet. Ich kenne und erlebe, was dieses Leben in sich ist: Ein Zeichen, dem man widerspricht, das sich verzehrte in einem geheimnisvollen Dasein bis zur vollen Hinopferung am Kreuze. Dieses geheimnisvolle Leben mit seinen innersten verborgenen Geheimnissen will sich offenbaren, eröffnen, zeigen. Die Apostel glaubten an sein göttliches Sein, weil sie ihn kannten. Der Heiland will sich so seiner Kirche „zu erkennen geben“, damit sie diesen ihren Bräutigam mit neuer Liebe ihren Gliedern zeige.

584 |             Ich darf also nicht „beten“, bis er mich das Gebet zum Vater lehrt, sein Gebet in seinem anderen sein. Ich weiß, wie ich mich innerlich verhalten muss, aber wie könnte ich ein Wort finden, um es zu erklären? Dies Verhältnis zwischen uns (in uns) ist zu „geistig“ und darum nicht in Worten wiederzugeben, aber es ist so klar und wirklich. Unser sein, das Jesus-Sein, ist Friede, Harmonie, so wie einstens auch sein menschliches Leben, sein Leib und seine göttliche Seele. –

585 |             Es bleibt aber eine kleine Sorge in mir: Jetzt kann ich nicht mehr zum Mütterchen beten. Mit diesem Kummer ging ich zu ihr und klagte es ihr. Aber die Mutter wusste einen guten Rat: In der Zeit, wo ich sonst die Lauretanische Litanei betete (dreimal täglich), soll ich ganz besonders in der Gesinnung sein, in der sie Jesus in sich getragen, erlebt und sich ihm gegeben hat für das menschliche Sein. – Ich nehme dann ihre Liebe und Hingabe in mich auf und diese sei die fruchtbarste und wohlgefälligste für den Heiland. „ihm nochmals Mutter sein“, geistig mit der Gesinnung der leiblichen Mutter: Wann könnte man genügend eindringen in das heiligste Verhältnis, das infolge seiner höchsten Heiligkeit und Bestimmung immer Geheimnis bleiben wird. Maria will mich doch ein klein wenig einweihen in dieses Geheimnis, weil dies ihrem göttlichen Sohne Ehre macht; sie will sich mir „leihen“, mir ihre Gesinnung einflößen, weil sie damit sozusagen dem Heiland ihre mütterlich reine Liebe nochmals darbringen kann. – Wie gut kann ich Mütterchen verstehen! Wie bin ich so eins mit ihr! Wie gerne möchte sie sich dem Heiland gleichsam nochmals darbringen, mit allem, was sie ihm einst bieten konnte! – Darum will ich „alles“ von ihr nehmen, um es Jesus als „ganz das Ihrige“ nochmals zu geben. –

586 |             „Es sei eine große Gnade“, die ich heute vom Heiland erhalten habe; so lässt er mich wissen. Er sagt nichts, aber ich erlebe diesen Fortschritt in mir. – Wir sind wie zwei schweigsame Wanderer, es herrscht zwischen uns das tiefste, geheimnisvolle Verstehen; er ist der Führer; er nimmt den anderen, meine Seele mit bis zu den höchsten Bergesgipfeln. – So tut Jesus in mir; er „nimmt mich mit“ in sich hinein, hinein in sein Innerstes, wo nur „eines“ bleibt, im vollen Erleben des Anderen und des Aufgenommen-Werdens und Aufgenommen-Seins in das Innerste seines Herzens.

 

15.09.1940

Fest der sieben Schmerzen Mariens

587 |             „Dem Heiland mystisch Mutter sein“, so wurde mir gestern in S. Cruce vor dem Bild der Schmerzensmutter mein innerer Beruf erklärt. Aber ich wagte gestern nicht, dieses innere Erleben niederzuschreiben. Es schien mir wie eine Anmaßung; noch nie wurde mir meine Aufgabe in dieser Form erklärt. Heute hat der Heiland dieses „Erleben“ wiederholt. Ich bin durch seine Gnade hineingezogen in den Glauben an dieses Geheimnisvolle. Was mir gestern unerklärlich schien, ist heute klar, ja eine Erleichterung, denn MARIA wird ihr Kind nie irregehen lassen und an ihre Seite und mit ihrer Gesinnung und Liebe verliert der böse Feind mit seinen Täuschungen die Kraft. –

588 |             Der liebe Heiland vertraute sich ganz Maria an. Sie gab ihm wirklich von ihrem Leben zu seinem leiblichen Leben, aber sie trennte sich nicht von diesem lebendigen sein, als sie es nicht mehr in sich trug. Sie lebte und litt es vielmehr weiter in geheimnisvoller Einheit bis zum leiblichen Tode dieses von ihr „gegebenen Lebens“. Damit wurde ihr diese Gnade der Auserwählung zum größten Schmerz, den je eine „Lebensspenderin“, eine Mutter getragen hat. Im Himmel besitzt sie das Leben Jesu von innen heraus als ihren besonderen Lohn und „lebt“ ständig wie in „seinem verklärten sein“ zum Unterschied von den anderen Heiligen, die Jesus „von außen“ besitzen, je nach dem gradeweisen Eindringen in die innerste Gesinnung Jesu. –

589 |             Im tiefsten geistigen Erkennen durchschaute ich dieses Geheimnis. Ich sah die Ähnlichkeit meines geistigen Berufes, meine innigste Einheit mit Maria; ich ging gleichsam auf in ihr und wir flossen zusammen in EINER Hingabe an Jesus, in einer geistigen, mystischen Lebensbereitschaft und Lebensbereitung für ihn. –

590 |             Seit der gestrigen großen Gnade bin ich wie in ein zweites wirkliches Leben Jesu eingetreten. Ich bin mit Jesus auf einer vom Meere umgebenen Insel; niemand kann zu mir herüber, ich kann auch nicht zurück, bin allein „er-ich“ in einem sein, das alles in sich hat und nichts zu empfangen braucht, weil es in sich alle Lebens- und Gnadenfülle trägt. –

591 |             Alles aber ist so einfach und ruhig, als wäre es nicht, und doch wieder so klar und bestimmt, voll Kraft und lebendiger Sicherheit. Jesus hat mir gestern die Möglichkeit des persönlichen Gebetes genommen, aber als Ersatz sich selbst, die Fülle lebendigen Gebetes geschenkt, zugleich damit auch das Wissen und die Anleitung, alle Bedürfnisse zu Gebetsaffekten in mystisches sein und Hingabe zu verwandeln. –

592 |             Es ist jedoch anstelle meines persönlichen Gebetes nicht leere Nichtstuerei getreten, wie ich es in der letzten inneren Prüfungszeit als Vorbereitung durchlitten habe, sondern ich bin jetzt in ein anderes gleichsam aktuelles sein mit Jesus eingetreten, wo immer tätiges, erlebtes Leben mit ihm herrscht. – Ich bin in einem außergewöhnlichen, wirklichen Leben an Jesu Stelle, wo dieses Leben alles ersetzt. – Jesus hat mir aber versprochen, er werde mich an Stelle meines persönlichen Gebetes ein anderes lehren, „sein Gebet“, das Beten zu seinem Vater.

593 |             Ich war dann nochmals bei der heiligen Messe. Dabei empfing ich die Anleitung, die heilige Messe, mit ihm zu erleben.

594 |             Vom Anfang bis zur Opferung die Gesinnung, Lebenshingabe und Lebensbereitschaft Mariens annehmen, ihr ganzes Sichbereitstellen für die göttliche Seele Jesu, um ihm einen lebens- und leidensfähigen Leib zu bieten. –

595 |             Mit dieser ihrer, mir gleichsam geliehenen und geschenkten, inneren Verfassung bei der Opferung eingehen in das Opfersein mit Jesus, das er mir gleichsam erneut gibt und ich in ihm empfange. Ich erhalte Jesu innerstes, geistiges sein; Jesus nimmt mein leidensfähiges sein in Besitz, damit das Opfer Jesu am Kreuz sich wie nochmals leiblich in einer mystischen und wieder wirklichen gelebten Opferung wiederholt, auf dem Altar vollziehe …

596 |             Bei der heiligen Wandlung stellt sich mir Jesus in mir, ähnlich wie einst auf Erden, als jetzt sich wiederholendes, leidensfähiges Opfer seinem Vater dar. Jesus kann gleichsam wieder „leiden, opfern, geopfert werden“ in einem lebens- und leidensfähigen sein, mit dem er sich nach seinen geheimnisvollen Absichten in dieser Art verbunden und vermählt hat. Der ewige Vater ist einverstanden mit dieser erneuten Opferbereitschaft und ähnlich erneuerten Opferwirksamkeit. –

597 |             Ich sehe im kommenden Zeitalter der heiligen Kirche dieses tiefste Eindringen und wirkliche Beteiligtsein am Opfersein Christi auf dem Altar vor dem ewigen Vater, den tiefsten Kern und Mittelpunkt des religiösen Lebens und eine neue Gnadenquelle, das Gegen- und Heilmittel gegen die Selbstsucht der Zeit, ein aufleuchtendes Zeichen und eine charakteristische Eigenheit der kommenden Zeit der Kirche.

598 |             Bei der heiligen Kommunion empfängt der Priester Christus, das lebendige Opfer. Wenn ich so in Jesus und mit ihm Opfer und mitgeopfert bin, wenn ich ständig zu seinem mystisch erneuten sein mich ihm gebe, erhalten die Priester als besondere unsichtbare Gnade einen Anteil an dem Opferleben Jesu in mir oder an meinem inneren Opferleben als sein Sein und Opfer in Jesus, weil ja mein Leben in besonderer Weise der Erneuerung des Priestertums in diesem Geiste zukommt und dafür geopfert ist. – Der Heiland hat mir dieses so erklärt: Weil ich von jetzt an in ihn, in eine wirkliche, aktuelle Lebensgemeinschaft eingegangen bin, die ich früher nicht hatte, beginnt auch meine oder seine erneuerte Wirksamkeit und Frucht für die heilige Kirche und für die Priester.

599 |             Heute verstehe ich den Sinn der Worte Jesu von gestern: ich gebe dir eine ganz große, entscheidende Gnade. –

600 |             Ich bin auch in einem ganz veränderten seelischen Zustand; ich lebe nicht mehr mich; ich lebe ihn, mit dem ich in mystischer Weise „ein neues, gebrauchsfähiges Leben bin“. –

 

Oktober

12.10.1940

601 |             Heute Morgen nach der heiligen Kommunion ließ mich der liebe Heiland seine Freude und Liebe zu den Seelen erleben, die bereit sind, für die Absichten seines Herzens einzustehen. –

602 |             Ich erhielt die innere Mahnung, nicht aus „falscher Bescheidenheit“ irgendwie seinen klar erkannten Willen abzuschwächen, sondern im Vertrauen auf die besonderen Gnaden die Sache seines Herzens zu verteidigen; seine Absichten könnten sich „mehr oder weniger vollkommen erfüllen“. Die größte Gnade sei, dass Jesus mich vor der Sünde bewahre, in gewissem Sinne die Folgen der Erbsünde in mir ausgelöscht habe und mich vor der Versuchung zur Sünde bewahre. Darüber hinaus müsste ich an meine innere Aufgabe glauben; das seien die Untreuen, wenn ich zu wenig glaube. –

603 |             Wenn diese meine äußere Aufgabe vollendet sei, beginne meine innere, nämlich sein inneres Erlöserleben und -leiden nachzuleben.

604 |             Jesus war in seinem ganzen Leben Erlöser; sein ganzes inneres und äußeres Leben war dem Zweck der Erlösung geweiht. Seine Priester, sein „zweites ich“ haben die gleiche Aufgabe: die eigene Erlösung möglichst voll zu verwirklichen und alle Seelen „mit zu erlösen“. Diese zutiefst erfasste Aufgabe bringe dem Priester nicht ungebührliche Knechtung und Belastung, sondern im Geiste Christi wahre Freude, Friede und Freiheit.

605 |             In Maria verbunden erhielt ich die Weisung, ich solle an meine Sendung glauben, die zunächst eine Sendung Mariens sei. Durch sie wolle der Heiland dieses große Werk vollbringen und es sei meine Aufgabe, Mariens Stelle zu vertreten, wozu sie mir in erster Linie die Gnade verleihe. In ihr werde alles vollbracht werden. – Wie sie ständig ganz im Inneren des Herzens Jesu lebte und dort seine Absichten erkannte, so könne und solle ich im gleichen Sinne glauben, was ich im Inneren des Herzens Jesu erfahre.

606 |             (Über Maria hatte ich diese Tage auch folgende Erkenntnis: Maria hat auch eine geistige Vorbereitung erlebt, bevor sie fähig war, die Mutter Jesu zu werden. Ihre Unbefleckte Empfängnis genügte sozusagen nicht. – Sie lebte genau nach dem mosaischen Gesetz, glaubte unbedingt an die Ankunft des Erlösers und erfuhr innerlich eine geistige „Angleichung an die gottmenschlichen Eigenheiten Jesu“, um diese in sich aufnehmen und ertragen zu können. Maria hat von ihrer Geburt bis zur Verkündigung eine große seelische Erhebung und Erweiterung durchlebt. Bewusst oder unbewusst? Das konnte ich nicht unterscheiden.)

607 |             Ich bin in einem inneren Läuterungsleiden, um noch vollkommener jede eigene Geistestätigkeit in mir auszuschalten, um noch vollendeter in das Innere des Heilandes einzugehen, um sein Inneres zu erfassen und zu erleben, sodass gleichsam mein ganzes Inneres „seinem Sein“ diene. –

 

17.10.1940

Fest der heiligen Margareta Maria

608 |             „Nie mehr für mich etwas wollen“; in dieser gänzlichen Loslösung von mir selbst ging ich heute früh, nach der heiligen Kommunion, ein in das Innere des Herzens Jesu. Dort traf ich meine geistige Schwester Margarethe Maria, von der mir Jesus als kennzeichnend schauen ließ: „Sie hat überwunden und geglaubt“. Den Sinn dieser Worte verstand ich so: Alle Leiden und menschliche Widersprüche, die sich ihrer Aufgabe entgegenstellten, hat sie überwunden und im Glauben an ihre Aufgabe hat sie für das heiligste Herz Jesu den Sieg errungen. – Immer helfe mir meine Schwester, aber nicht fühlbar, sondern durch das Heiligste Herz Jesu, von innen heraus; so versicherte sie mir und ich war in diesem Herzen schwesterlich mit ihr verbunden.

609 |             Es wurde mir wieder in Erinnerung gebracht, in welcher Form mir vor 15 Jahren der liebe Heiland meine innere Aufgabe erklärte: „Meiner Dienerin Margareta Maria habe ich mein Herz gezeigt. Dich will ich es erleben lassen.“ Dieses Eingehen in das Innere des Herzens Jesu ist das Ziel meiner besonderen Gnaden und Jesus will, dass ich unbedingt an dieser meiner Aufgabe festhalte. Im Heiland schaute und erlebte ich diese meine Aufgabe wieder neu: ihm die Vertraute seines Herzens zu sein, wie es bis jetzt noch keine Seele erlebt hat. Er will eben seiner Kirche die innersten Geheimnisse der Erlösung schauen lassen. –

610 |             Ich bin von allem Geschöpflichen und von mir selbst getrennt, bin eingegangen in das „innerste sein“ des Heilandes. – Er will, ich solle mich durch eine besondere Aufopferung ganz diesem erfassten, inneren sein des Herzens Jesu weihen und meinen unbedingten Glauben an meine geistige Aufgabe erneuern und bekräftigen, den Glauben nämlich: Dass von ihm kommt, was ich geistig erlebe, dass ich sein Herz, sein inneres sein erlebe. Ich soll ihm versprechen, mich vom „Geiste seines Herzens“ leiten zu lassen, nie mehr zu mir zurückkehren zu wollen, nur immer mehr in ihn aufgenommen werden zu wollen, in ihm alles zu haben, womit Jesus in seinem Leben zufrieden war. –

611 |             Ich bin ruhig und bereit; mein inneres Leben ist Ruhe, Freisein vom Urteil der Menschen. Ich bin mitgenommen und hineingenommen in ein geistiges Aufgehen im Inneren des Herzens Jesu. –

(Bezüglich des Priesterwerkes)

612 |             Das Priesterwerk und mein Innenleben, bzw. meine innere Aufgabe können und dürfen nicht getrennt werden.

613 |             Der Heiland will nämlich im Voraus den Zweck und die Folgen seiner Gnaden in meinem Innenleben zeigen und will das innere Erlösungsgeheimnis dann dem Geiste des Priesterwerkes als geistige Grundlage eingegliedert wissen, gewiss heute noch privat, aber doch schon jetzt auf die Grundlage des Glaubens übertragen und darauf aufgebaut. Die Grundlinien treten ja jetzt schon hervor. Diese inneren Offenbarungen werden dem Werke als geistige Güter übergeben und müssen später vom Priesterwerk aus begründet und verteidigt werden.

614 |             Wenn der liebe Heiland das Werk …42, so dürfe gerade der Kern der Sache nicht vermindert oder umgedeutet werden. Gewiss müsse geprüft werden, aber der innere Geist, die innere Kraft, darf nicht gestört werden, weil dann das Werk die feste, tiefste Grundlage verlieren würde, nämlich das tiefere Erfassen und Eingehen in das innere Erlösungsgeheimnis.

615 |             Bei der Klarstellung des Werkes müssen die besonderen Absichten des Heilandes berücksichtigt werden und alles von einem erfahrenen Geistesmann geprüft und begründet werden. Mein Innenleben sei so weit [sic! soweit?], dass man die Grundlinien des Werkes schon herausnehmen könne. Der liebe Heiland will es „Jetzt“, weil dieses „Jetzt“ nach menschlichen Begriffen eine Zeit lang dauern wird. Aber er will in keiner Weise die Zeit verzögert haben.

 

20.10.1940

616 |             Ich bin in der geistigen Vorbereitung auf die letztgenannte Aufopferung. Diese ist ein vollständiges „Sich-hinein-wagen in das innerste des Herzens Jesu“. Ich sehe die Folgen dieser letzten Hinopferung für immer: Gänzlich untergehen in „ihm“, ganz mich ihm ausliefern im Verzichten meinerseits für immer auf alle geistig-persönlichen Rechte, auf meine „Ich-Rechte“. –

617 |             Ich sehe die Folgen dieser Hinopferung für die Kirche: Ich bin zutiefst miteinbezogen in die geheimnisvollen Absichten des Heilandes und in seine Pläne bezüglich der Erneuerung seiner Kirche; aus dem Inneren Jesu wird diese hervorgehen. –

618 |             Mein innerer Weg ist mir klar: ihn erleben, in sein „Ich-sein“, um jenes tiefste Geheimnis erfassen zu können, das sich zwischen Vater und Sohn entwickelt hat im inneren Erlösungsgeheimnis. Und doch ist mir alles auch geheimnisvoll verborgen: Ich kann nur jene Schritte machen zu diesem Ziel, die ich innerlich von der leitenden Gnade geführt werde. Persönlich stehe ich vor einer undurchdringlichen Wand. Nur mit dem Lichte der Gnade kann ich diese Wand durchbrechen in dem Augenblicke, wo mir dieses Licht gegeben wird. –

Nachmittag

619 |             Ich war morgens ruhig im Vertrauen auf die Führung des Heilandes, dem ich mich im Höchsten, Unbegreiflichen ganz überlassen will. Jetzt kam Schweres bezüglich des Werkes von außen. – Ich leide sehr, aber es ist meine Aufgabe, opfernd und leidend die Stelle Jesu zu vertreten. Er braucht gleichsam jemand, wo er das Opfer seiner selbst, seiner einst erlittenen Leiden wiederholen kann. Einmal werden diese Leiden den Triumph und den Sieg seiner Kirche herbeiführen. –

620 |             Ich bin und fühle mich wie ein Felsen im Meer. Die Wogen und Stürme dringen an den unteren Teil meiner Seele heran und möchten den Felsen, den Glauben an Jesus Absichten, brechen und zerstören. Aber diese Stürme dringen nicht hinauf in die oberen Teile meines geistigen Seins; dort herrscht ständig Ruhe und Friede. – Dort oben, wo gleichsam der Gipfel meiner Seele ständig vom Lichte von oben beleuchtet wird, dort oben ist alles wie „unerschütterlich“ fest begründet und liegt alles wie im ewigen Sonnenschein. Die Leiden im unteren Teil meiner Seele können meine körperlichen Kräfte erschüttern, wie das Wasser eindringen könnte in die Ritzen des Felsens, aber durch die „Sonne von oben“ werden auch die Schäden meiner körperlichen Schwäche aufgesaugt und ausgebessert werden. Und wenn man immer wieder die Möglichkeit aufwirft, der böse Feind könne der Urheber meines Seelenlebens sein, so stört doch nichts die unerschütterliche Ruhe in der Spitze meiner Seele. Dort leben Kräfte, die nie zerstört oder auch nur angetastet werden können. Dies ist das große Geheimnis, das Jesus in mir aufgerichtet hat. Ich kann eben nicht anders im höchsten Teil meines Seins als „stark“ sein. Und diese Kraft und Stärke kann manchmal so groß sein, dass meine schwache Natur darunter leidet im Drang, sich diesem höchsten Erleben ganz zur Verfügung zu stellen.

 

21.10.1940

621 |             Ich bin wohl sehr im Leiden, kann aber nicht anders als ruhig sein. Ich bin von allem Geschöpflichen getrennt, in eine geistige „Verlassenheit“ und Einsamkeit versenkt, die man in Worten nicht erklären kann. – „Ganz rein, frei von sich, ohne Ich“ eingehen in das Innere Jesu! – Und dieses Innere Jesu ist ein „bestehendes Dunkel“, das mit den Augen der Seele nicht mehr erfasst werden kann. – Das Ziel verschwindet gleichsam, während der Weg dahin durchbrochen und durchlitten werden muss. –

622 |             Warum führte mich der Heiland so geheimnisvolle Wege, wo man, menschlich gesprochen, immer allein sein wird, wo niemand mehr herankann, nie betretene Wege, wo eigentlich kein Führer mehr Aufschluss geben kann? – Und ich muss mitgehen; eine geheimnisvolle Macht nimmt mich mit sich und wenn ich allen ein Rätsel bin. –

 

22.10.1940

Abends

623 |             Ich glaube, ich bin fähig, die Aufopferung zu machen; ich bin innerlich frei von mir; die „Wand“ ist durchbrochen, die mich vom inneren Sein Jesu noch zu trennen schien.

624 |             Alles in mir ist Freiheit, Freiheit in Jesus, keine Hemmung meinerseits. – Ich bin ruhig und kann mich bei mir nicht mehr aufhalten, weil es in mir kein „bei mir“ gibt; alles ist in das „sein des Heilandes“ übergegangen. –

 

23.10.1940

625 |             Es war mir doch bange vor dem entscheidenden Schritt, mich so ganz zu verkaufen und zu verlieren an den Heiland. Wie kann man da in diesem Augenblick noch an Fäden hängen, die einen noch am alten, bösen „Ich“ gefesselt halten? Auch diese müssen zerschnitten werden, wenn das Herz auch darob zu brechen scheint. Das sind heilsame Schmerzen, die ein neues Leben in Gott (in Christus) hervorbringen.

626 |             Auch die Bangigkeit vor der Zukunft möchte sich heranschleichen, die Furcht oder vielmehr die lächerliche Unmöglichkeit, selbst etwas mit meinen kleinen Sorgen tun oder wissen zu wollen und damit dem Heiland erweisen zu können. Weil ich weiß, jetzt macht er alles selbst, kümmert es mich nicht oder ich kann mich nicht mehr kümmern, was seine Absichten angeht in mir oder was seine Sache betrifft. Ich bin mir verloren für immer. –

627 |             Gewiss hatte sich in mir schon allmählich der Tausch vollzogen. Sein Inneres nimmt ja schon meinen einstigen „Ich-Platz“ ein. – Jetzt bin ich ganz in seine Ruhe und Freiheit eingegangen. Meine Geisteskräfte sind durch die inneren Leiden wie aufgelöst und mit den seinen vereinigt und nun zu einem „neuen“ leidensfähigen sein und zu neuer geistiger Lebensmöglichkeit erstanden. Ein innerer Vorgang jahrelanger Entwicklung, um dem Heiland eine neue geistige Leidensfähigkeit zu schaffen, hat einen gewissen Abschluss erreicht. – Alles in mir ist Harmonie, wie im höchsten Teil meines Seins festgelegt. –

628 |             Bei der heiligen Messe wollte ich zum gleichen Leben mit dem Heiland erstehen, wie es sich vollzieht in der heiligen Hostie, die ganz „er“ wird, nur mit dem Unterschied, dass dieses neue Leben bestimmt sein soll für immer, zeit meines Lebens, als sein leidensfähiges sein zu bestehen. Ich bin die Hostie, die er für „sich“ gebraucht und brauchen will und die sich brauchen und verbrauchen lassen will für seine Absichten.

629 |             Nach der heiligen Kommunion – am Grabe des heiligen Petrus – habe ich die Aufopferung gemacht in nachstehenden Worten, um eben dem inneren Akt eine äußere Form zu geben:

630 |             „Mein Jesus, durch und in Maria, meinem himmlischen Mütterchen, weihe ich mich ganz und unwiderruflich dem inneren sein deines Herzens, um es zu erfahren und zu erleben, vom Geiste deines Herzens geführt und geleitet. Mit deiner Gnade und nach deinem Willen verspreche ich dir, immer unbedingt an diese meine geistige Aufgabe zu glauben und deshalb zu glauben, dass von dir kommt, was ich dort geistig erlebe.

631 |             Ich verspreche dir auch, nie mehr zu mir zurückzukehren, sondern immer mehr hinein genommen werden zu wollen ihn das Innere deines heiligsten Herzens, mein Genügen und alles zu haben an dem, womit du in deinem Leben zufrieden warst, o mein Jesus!“

632 |             Das innere Wissen geht tief hinein in das „Erfasst-haben“ Jesu, in ein vollständiges Übergehen in dieses innere Erfassen und Erleben. – Dort, tief im Herzen Jesu ist alles begründet, wo es keine Worte mehr gibt, wo die Geister sich verstehen und ineinanderfließen.

633 |             Jetzt bin ich ruhig und einfach; ein „neuer Raum“ ist in meinem höchsten, geistigen sein entstanden, der heute noch „leer“ ist, aber einmal dem inneren Erlösungsleiden dienen wird. –

 

24.10.1940

634 |             Nach der heiligen Kommunion erlebte ich heute die Folgen der gestrigen Aufopferung. Ich bin eingegangen in das Innere des Herzens Jesu, das er mir eröffnet hat als mein eigentliches sein. Ich habe kein Wort, um das Erlebte zu erklären, aber es wird immer so bleiben: Hier werde ich bleiben, um sein Inneres erfahren zu können. – Hier spricht man kein Wort mehr, sondern man versteht sich von Herz zu Herz. –

635 |             Ich habe in mir den unbedingten Glauben, dass es das Herz Jesu ist, was ich lebe; ich will und muss glauben, was ich in diesem Herzen erlebe. Es sind keine Gefühle, sondern unbedingte Seins-Wirklichkeit. –

636 |             Jetzt hat Jesus die Bitte wahr gemacht, die ich schon in jungen Jahren so oft an ihn richtete: „Ich will dich mit deiner Liebe lieben; lass mich „du“ werden, damit dich als „du“ dich lieben kann; dann bist du wirklich so geliebt von mir, so vollkommen, wie ich es wünsche.“ (möchte.) [sic!]

637 |             Aber es gehen schon wieder die inneren Läuterungsleiden weiter. „Ich muss glauben, was mir Jesus in seinem Herzen als seinen Willen zeigt.“ –

638 |             Alles ist Bereitschaft und Freiheit, so wie Jesus gegenüber seinem himmlischen Vater war. – In mir gibt es kein „bei mir“ oder „in mir sein“. Alles ist „in ihm“ geworden, alles ist in „ihm“ übergegangen.

 

25.10.1940

639 |             Die inneren Läuterungsleiden gehen weiter; zugleich entwickelt sich auch mein seelischer Zustand weiter. Ich habe innerlich das innere sein des Heilandes, sein Herz, erreicht und erfasst, bin eingegangen in sein Inneres. Im höchsten Teil meiner Seele, wo alles nur Geistigkeit ist, da ist dieses innere sein entwickelt und als dauernde Wirklichkeit begründet. Alle Kräfte der unteren Seelenfähigkeiten drängen nach oben in ihrer Bestimmung, sich dem höheren sein einzugliedern und das obere gnadenvolle Geschehen zur Vollendung zu bringen.

640 |             Heute früh ging eine weitere Entwicklung vor sich in diesem höchsten Seelenleben, indem ihr das Innere Jesu gegeben wurde: Es ging in das „Ich-Sein Jesu“ über. Nach der heiligen Kommunion bin ich in mystischer Weise „er“ geworden; sein inneres sein wiederholt sich in mir in einem neuen Entwicklungsvorgang. Ich erlebe dies klar: Nein, ich bin es. Der Glaube ist mir mit dem inneren Wissen um seine Absichten gegeben. Jesus will es so: Sein inneres personhaftes Ich soll sich wiederholen, um dieses Sein einst wirkliches „Ich“ wiederholend zeigen zu können. Ich lebe im Voraus das Ziel seiner Absichten: alles für die Kirche. Aus seinem einstigen „Ich“ ging die Erlösung hervor; aus dem Innersten jetzt noch verborgenen „Ich“ geht die Erneuerung der Kirche hervor. –

641 |             Ich kann mich nicht wehren gegen diese unglaubliche Gnade; sie ist mir gnadenvoll gegeben. Ich kann nur erklären, wie ich es innerlich empfinde. – Eigentlich dauert die Entwicklungszeit hierfür mein ganzes bisheriges Leben; alles wurde auf dieses höchste Ziel hingeordnet, in dem [mich] der Heiland seine Absichten bezüglich der Kirche begründet schauen ließ. Und doch ist alles wieder eine in mystischer Art gegebene Gnade.

642 |             Im höchsten Teil meiner Seele, wo sich das „Ich-sein“ Jesu vollzogen hat, erlebe ich, wie durch einen Schleier getrennt, den Vater. Dort oben war Jesus ständig mit seinem Vater in Verbindung. Der Vater lächelt mir gleichsam zu. – In Christus erlöst und geheiligt und in ihm zur Vollendung gelangt, wird man in ähnlicher Weise „ein Kind dieses Vaters“ – geht man ein in den Vater.

643 |             Ich erlebe: Der Vater will in jedem Priester in ähnlicher Weise seinen Sohn wiederfinden: So viele Priester, so viele Christus, und derentwegen wird dem Vater unendliche Freude, Ehre und Verherrlichung [zuteil], gießt er „neu“ seine Vaterliebe über die Menschheit aus.

 

26.10.1940

644 |             Die inneren Läuterungsleiden dauern an, doch dringen sie nicht hinauf in den höchsten Teil meines Seins, wo sich Jesu Ich-sein weiter ausbildet. Das Wissen um „mein Ich“ hat sich verloren; an dessen Sein ist das innere Sein Jesu getreten, das sich immer mehr ausprägt: sein „Ich-sein“ vor dem Vater innerlich zu erleben, damit sich Jesu innere Menschheit in mir durch eine besondere Gnade nach seinen Absichten ausbilde. Ich lebe dieses Leben der Reinheit, der Freiheit, wie es sich durch die jahrelangen Vorbereitungsleiden entwickelt hat. Ich bin als „Jesu Sein“ vor dem Vater wie in seiner geistigen Persönlichkeit. Ich bin wie er. Es ist mir gegeben, ich habe nichts dazu getan, ich konnte nichts tun als mich blind von der Gnade führen zu lassen. Und jetzt ist das Ziel Wirklichkeit geworden, das mir der Heiland jahrelang gezeigt hat: ihn erleben, sein innerstes Ich erleben, damit sein innerstes Erlöserleben bekannt werde. – Ich-Jesus ist frei von jeder geschöpflichen Unordnung; durch eine wundersame Harmonie ist geordnet das Verhältnis zwischen Leib und Seele, deren höchsten Abschluss die Gottheit bildet und alles ist in einem sein zusammengeschlossen.

645 |             Meine Menschheit ist die Trägerin dieses Geheimnisses, ein vergeistigtes, leidensfähiges Wesen, eingeordnet und untergeordnet in die Gott-Seele Christi. – Wenn ich diese Harmonie in mir erlebe, begreife ich, wie schon dieses Verhältnis, nämlich Gott-Seele-Leib Christi, dem Vater ein Gegenstand unendlichen Wohlgefallens war. Schon dieser Grad der Herablassung der zweiten göttlichen Person hätte reichlich genügt, um der sündigen Menschheit Barmherzigkeit zu erlangen und zu schenken. Man erfährt ja zugleich die unendliche Größe Gottes bzw. der zweiten göttlichen Person, die in Ihrer unbegrenzten Freiheit des Willens und jeder Regung einen begrenzten Menschenleib annahm und sich dessen Gesetzen und den Gesetzen der Menschheit unterordnen, und davon leiten lassen wollte. In diesem Erleben bin ich oder ist Jesus der Gegenstand der entzückenden Liebe des Vaters, durch die Gottheit ständig in unzertrennlicher Liebe verbunden. Der Vater ist wie die Sonne, die sich wie im Spiegel sieht und wiederfindet, obwohl der Sohn durch die freiwillige Selbsterniedrigung aus Liebe zum Vater diesem untergeordnet ist und scheint. „Ich und der Vater sind eins“. Voll der Freude und des Entzückens im Schauen des Sohnes in dieser begrenzten Menschheit ist der Vater bereit, im Sohne alle Menschen wieder als Kinder anzuerkennen. Der Vater hat im Sohne den Menschen hochgeschätzt, der einst aus seiner Schöpferhand hervorging, als der Vater sie erschaffen hat „und es war gut“. – Ich sehe die hohe Bestimmung des Menschen.

646 |             Durch die Menschwerdung scheint sich die Ehre, Freude und Liebe des Vaters im Schauen des Sohnes noch zu erhöhen, weil die zweite göttliche Person im Begriff war, die Liebe des Vaters zu verkünden und sich schauen zu lassen. Maria hat dieses göttliche Gefäß, die Liebe und Freude des Vaters in sich getragen; sie war auserwählt, dem Sohn Gottes die menschliche Begrenztheit zu bieten, das Mittel, wodurch sich der Vater im Sohn offenbaren konnte.

647 |             Es ist mir eine Überwindung, diese inneren Erlebnisse zu schreiben, aber ich wurde auf Maria hingewiesen. Ich soll in dem, was die Gnaden des inneren Berufes betrifft, von ihr ausgehen und wieder zurückkehren, in ihr mein Vorbild finden, in ihr und ihrer Einfachheit bleiben. Der Vater hat dir den Sohn anvertraut; Jesus hat sich ganz Maria anvertraut. –

648 |             Für mich persönlich ist dieses innere Schauen, Erleben des Verhältnisses zwischen dem Vater und dem Sohn wie eine Art „Bestätigung des wirklichen Daseins Gottes“. Der Glaube wird damit „gelebt-erlebt“. –

649 |             Ich will glauben, was ich „als Jesus“ erlebe; ich erlebe es als er-ich. Ich bin hineingezogen in das Ich-Sein Christi. –

 

27.10.1940

Christkönigsfest

650 |             Gestern, und in der vergangenen Nacht war ich in schweren Läuterungsleiden. Der untere Teil in mir wird vom oberen „Jesus-sein“ ständig vernichtet. –

651 |             Jetzt bin ich ruhig, bin ganz Geist in Jesus. Ich sehe und erlebe die „Seele“ nach der Bestimmung Gottes.

652 |             Die Seele des Menschen, ein Ebenbild Gottes, ein Anteil vom Geist Gottes, ganz Geist, fähig „Gott aufzunehmen und zu erfassen“ wurde durch die freie Willensentscheidung des Menschen bei der ersten Sünde von Gott getrennt, in die Materie heruntergezogen und in diese eingehüllt. Vor der Sünde hatte die Seele ständig Zutritt zu Gott, war sie frei und diese Freiheit gab ihr etwas Erhabenes, einen Anteil an der unendlichen Freiheit Gottes. Das Höchste, was Gott der Seele gab, war die Freiheit in sich selbst, die Freiheit und die Bestimmungen jederzeit sich zu Gott zu bewegen. Durch die erste Sünde ging diese „Freiheit“ verloren, die Freiheit „zu Gott“ und die Freiheit in sich selbst. Die Seele wurde in etwa von dem beherrscht, was sie durch die Sünde begehrte; sie verlor sich selber und wurde fortan vom niederen Menschlichen, von der Materie beherrscht. Die Verbindung zwischen Gott und der Seele war durchbrochen und zerstört. Kein Mensch, keine Seele konnte zu Gott gelangen, mit Gott vereinigt werden, wie es eben die Bestimmung des Menschen war. Wenn Gott auch die Väter des Alten Bundes an sich heranzog, und sich ihnen offenbarte, so war doch die ursprüngliche Verbindung mit Gott und die Anteilnahme an ihm nicht möglich. –

653 |             Bei MARIA machte Gott eine Ausnahme; im ersten Augenblick ihres Daseins gab ihr Gott jene Seele, wie sie ursprünglich aus der Schöpferhand hervorging, voll Freiheit zu Gott und Freiheit in sich selbst, um sich für Gott zu erweitern und sich noch höher zu entwickeln zu einem höheren und vollkommenen Ebenbild Gottes; es wäre ja eines Gottessohnes unwürdig, aus einem durch die Sünde erniedrigten Geschöpfe hervorzugehen.

654 |             Der Heiland, der Gottmensch, stellte durch die Annahme der menschlichen Natur die Verbindung zwischen Gottheit und Menschheit wieder her. Die zweite göttliche Person verband sich mit der reinen Menschheit in Maria; die Gottheit nahm die Menschheit wieder in sich auf und die Verbindung war da.

655 |             Die vom Vater geschaffene Seele Jesu war entsprechend befähigt, die Gottheit in sich zu tragen. Im höchsten Teil der Seele Jesu, in der Geist-Seele, wohnte die Gottheit. Leib und Seele wurden vom göttlichen „Ich“ beherrscht. Jesus hatte eine ähnliche Menschenseele wie wir, ähnlich wie die Menschenseele zuerst von Gott geschaffen wurde, aber mit der höchsten Entwicklungsmöglichkeit.

656 |             Ich erlebte verschiedene Stufen und Entwicklungsanlagen in meiner Seele. – Für gewöhnlich spürt man die Seele nicht; sie ist der Materie verborgen und die meisten Menschen werden sich ihrer Seele erst nach der Trennung von der Materie nach dem Tode bewusst. – Es kann aber in diesem Leben schon zu einer gewissen Scheidung kommen zwischen Leib und Seele. Diese wird ermöglicht durch das Gegenteil oder die entgegengesetzten Akte von dem, wodurch der erste Mensch die „Seele“ in sich verloren hat. Die Sünde ist eine Befriedigung der niederen Naturanlage und das der Sünde entgegengesetzte Heilmittel ist Aszese oder Leiden (Abtötung, Selbstverleugnung usw.). Dadurch muss die Seele wieder von der Materie getrennt und losgelöst werden. Kraft der Erlösungsgnaden Christi (Sakramente, Gebet) vollzieht sich durch das Leiden (in der oben genannten Art) eine gewisse Reinigung der niederen Naturanlage und das Erheben der Seele zu Gott. Ohne Leiden, das der Sünde entgegengesetzte Mittel, kann der Mensch seine Seele nimmer für sich erlangen.

657 |             Die niedere Lage oder den unteren Teil der Seele erlebte ich als sinnlich-gefühlig; man nimmt da die Seele noch durch die Sinne wahr. In einer vorgeschrittenen Art ist die Seele geistig-fühlbar; man erlebt sie als Geist, aber man erlebt sie noch. Im höchsten Teil ist die Seele vorhanden ganz als Geist, als wenn sie nicht da wäre (für das Gefühl) und doch ist sie (rein geistig) umso sicherer erlebt. Sie ist schon vollständig frei in sich geworden. – Ich habe diese verschiedenen Erfassungsmöglichkeiten der eigenen Seele und deren Loslösung vom Körperlichen in folgender Weise erlebt: Durch viele von Gott bewirkte Leiden macht sich die Seele, durch die göttliche Gnade (Sakramente usw.) gestärkt, von der Materie los, rafft sich gleichsam auf, wird sich ihres Rechtes bewusst, wird „in sich frei“ gemacht. Gott zieht in besonderen Gnadenzeiten durch sein Einströmen die Seele gleichsam noch mehr aus dem Materiellen heraus; in solchen Zeiten wird die Seele in sich und für Gott freigemacht und hat sie zum Teil ihre eigene Freiheit wiedererlangt. Sie wird sich ihrer höchsten Bestimmung bewusst und für diese freigelegt. Hat die Seele durch die Gnade solche Freiheit erlangt, so erstarkt sie, steigt über die ihr noch eigenen Hindernisse hinaus, wird „geistig“ oder besser gesagt, es kommen ihre geistigen Eigenheiten zum Durchbruch, die im Stande sind, alles Materielle zu überwinden. Auf dieser höheren Entwicklungsstufe erlebt oder erfährt man die Seele als Geist, der die Kraft hat, alle unter ihr liegende Materie zu beherrschen und zu überwinden. Sie wird gleichsam zur Herrin im eigenen Hause und steht über allem als der herrschende Geist. Wie ungehindert kann sie nach ihrer ersten Bestimmung zu Gott gelangen. –

658 |             Auf der früheren Stufe kommt Gott zur Seele, hebt sie aus sich heraus, vereinigt sich mit ihr; die Seele erlebt ihre Freiheit in sich selbst. Auf der zweiten Stufe kann und will sich die Seele zu Gott erheben; sie ist ihrer ersten Bestimmung wieder innegeworden, erlebt ihre „Freiheit zu Gott“. Die Vergeistigung der Seele schreitet dann fort durch eine noch höhere Absonderung vom Geschöpflichen, Sinnfälligen, Sterblichen. Sie muss gänzlich heraus aus dem Sterblichen, muss in sich ein dauerndes, geistiges Reich begründen. Sie steigt vollständig empor über das Materielle, steigt gleichsam über sich selbst, über ihre niederen Fähigkeiten hinaus. Die rein geistigen, wie keimhaft veranlagten Eigenheiten kommen zur höchsten Entwicklung. Nachdem die Seele in dieser Entwicklung gleichsam über sich selbst hinaus gestiegen ist, gelangen sie auf eine gewisse „geistige Ebene“, wo der höchste geistige Teil wie vollständig zur Ruhe kommt und die Geistseele ihrer Bestimmung nach ohne Bemühen in vollem Frieden wieder zu Gott einmündet. –

659 |             Auf dieser höchsten geistigen Stufenfolge ist die Seele fähig Gott gleichsam ständig in sich zu tragen, weil ihre Geistigkeit dem Geiste Gottes schon irgendwie angepasst ist. Gott ist ein Geist und kann sich der Materie nicht voll mitteilen, weil diese die göttliche Geistigkeit nicht zu ertragen vermöchte und durch sie wie vernichtet würde. Darum kommen auf diesen höheren Stufen der Vergeistigung die unaussprechlichen Vernichtungsleiden. Der göttliche Geist überstrahlt die Seele ständig in einem entweder dunklen oder auch klaren Wissen, vernichtet sie gleichsam und löst sie in sich vollständig auf; so werden die schlummernden Geisteskräfte für Gott aufnahmefähig gemacht, geweckt und enthüllt. –

660 |             Nach meiner Erfahrung hat die Seele in sich die schon gegebene (und dem Maße der von Gott vorgesehenen Gnadenzuteilung entsprechende) Möglichkeit, Gott schon in diesem Leben zu ertragen und zu erleben, nachdem sie auf dieser höchsten geistigen Ebene angelangt und die entsprechende Geistlichkeit wiederhergestellt ist, die durch die Erbsünde verloren ging. Gott kommt eben der Seele durch viele, gewiss, unsagbare Leiden entgegen; diese schaffen, zusammen mit der Gnade und der eigenen Mitwirkung, in der Seele die Möglichkeit oder sind das Mittel, um das Erbsündliche, das niedere Menschliche in sich mehr oder weniger vollständiger zu überwinden und die einst geschaffene und keimhaft vorhandene Geistigkeit der Seele wieder zurückzugewinnen.

661 |             In MARIA sah ich das anders. Sie war zutiefst miteinbezogen in den Erlösungsplan Gottes, weil die zweite göttliche Person aus ihr Mensch werden wollte. Maria hat darum diese infolge der Erbsünde „in sich verlorene“ Seele nie gehabt. Da sie von der Erbsünde frei blieb, war auch ihre Seele vom ersten Augenblick ihres Bestandes an „frei in sich“; sie brauchte nicht erst durch schwere Läuterung vom Materiellen freigemacht zu werden. Darum war sich Maria vom ersten Anfang an ihrer Seele „bewusst“. Sie erlebte aber ständig eine Erweiterung und Vergeistigung im Hinblick auf ihre allerhöchste Auserwählung. Die Seele Mariens war nicht sogleich fähig, die „Mutter eines Gottes“ zu werden. Sie brauchte eine geistige Anpassung, die grundlegend in ihrer Seele zwar schon vorhanden war, aber gleichsam erst ausgebaut werden musste. Doch waren zu diesem Zweck bei ihr keine eigentlichen, auf dieses Ziel hingeordnete Leiden notwendig, weil die geschöpfliche, durch die Sünde verursachte Unordnung in ihr nie vorhanden war. Ihre Seele erhob sich vom ersten Anfang an frei zu Gott und entsprechend fand ihre geistige Entwicklung statt bis zur höchsten Vergeistigung, in der ihre Seele einmündete in Gott und der Heilige Geist sie sich angepasst fand, um das Wunder der Menschwerdung Jesu in ihr zu wirken. Diese Vorbereitung dauerte für Maria unbewusst. Ohne diese Vorbereitung aber hätte ihre Seelen nicht die Fähigkeit gehabt, weder die Gottheit Christi in sich aufzunehmen noch die Einwirkung des Heiligen Geistes zu erfahren.

662 |             Die Seele Jesu wurde vom Vater entsprechend geschaffen, um vom ersten Anfang ihres Bestandes an die Gottheit in sich zu tragen. Der Leib Jesu ist durch die Einwirkung des Heiligen Geistes in Maria „geworden“ und gewachsen nach den Naturgesetzen. –

663 |             Heute, bei der heiligen Kommunion, erlebte ich wieder klar die in die Menschenseele hineingelegte letzte Möglichkeit und höchste Bestimmung, durch Gottes freie Gnadenzuteilung „Gott“ in sich ertragen zu können, wenn die Seele das Höchstmaß ihrer Vergeistigung erlangt hat, aber nur auf diesem Wege. In diesem Zustand hat die Seele die Fähigkeit, Gott zu erfahren und zu erleben.

664 |             Weil es der menschliche Verstand nie erfassen kann, wurde mir heute wieder „wie eingegossen“ (ähnlich den eingegossenen gaben des Heiligen Geistes) der Glaube an meine Aufgabe: Jesu „Ich“ als mein Ich in mir zu erleben, in sein „inneres Person-sein“ einzugehen. Gewiss, die „Person Christi“ als solche wird und kann sich nie wiederholen, aber das innere Erleben von Jesu „Ich“ kann nach seinen Absichten durch eine besondere Gnade „wiederholend erlebt“ werden.

665 |             Die geistige Entwicklung auf diesem Weg und in dieser Art schreitet fort, ist mir „gegeben“. –

 

November

23.11.1940

666 |             Ich bin in einem geistigen Übergangszustand, um ein tieferes „sein“ in Jesus zu erlangen. Ich kann nichts dazu tun zu allem, sondern es nur geschehen lassen in mir. Hie und da erlebe ich geistig eine „Veränderung“, ein „Hineinbewegen“ in Jesus. Danach würde ich übergehen in das „sein des Gottmenschen“, dieses innere Geheimnis erlebend, in diesen Zustand aufgenommen werdend.

667 |             Alles ist Geist in mir. Der frühere erreichte Zustand bleibt, wenn auch scheinbar ohne Betätigung. Jener Zustand im obersten Teil meiner Seele, wo ich mit Jesus seine Gottheit erfasst habe und wo diese mit dem Vater verbunden hat: Jener Zustand scheint „herunterzusteigen“ in mir, die niederen Seelenfähigkeiten anzufüllen und mich ganz zu durchdringen. –

668 |             Dementsprechend vollzieht sich auch durch eine gewisse geistige Läuterung das gänzliche „Leerwerden“ von mir selbst in einer noch höheren Art, die dem menschlichen Ausdruck und Erklärung ist. Man erlebt ein höheres „Verlieren“ seiner selbst, ohne dass man dafür ein Wort hat, weil der ganze gnadenreiche innere Vorgang für die Seele selbst ein Geheimnis ist. –

669 |             Fühlbar erlebt bleibt die volle Bereitschaft, die immer tiefer sich auswirkt: seinem eigenen „Leben“ gänzlich zu entsagen und ein anderes Leben, das des Gottmenschen, in sich aufzunehmen, vom eigenen sein in ein anderes sein übergehen zu wollen. –

670 |             Es kommt zu einer immer vollkommeneren und vollendeteren Scheidung in mir. Wenn ich auch in den früher erlebten Stufen glaubte, Jesu Leben bis zur höchstmöglichen Grenze in mich aufgenommen zu haben, so sehe ich jetzt ein, wie mein sein noch vorhanden, mit dem Sein Jesu vermengt war, um doch einen Bestand bilden zu können. Jetzt kommt es zu einer höheren Art der Scheidung in mir, die mich befähigen soll, den Heiland in einer „reineren Art“, frei von mir, ertragen zu können. –

671 |             Bei aller Passivität bleibt doch das eigene Wollen, das tiefere Eingehen-wollen in Jesu Absichten bestehen. Während ich früher durch den göttlichen Besitz Jesu den Vater von den höchsten, geistigen Seelenfähigkeiten aus – über diese hinübergehend und hinüberreichend zum Vater – erlebte und erfasste, scheint sich jetzt das Erfassen des Vaters als „in mir“ zu entwickeln, noch tiefer gehend, mich durchdringend.

Abends

672 |             Ich leide heute sehr. Ich bin ohne Halt, ohne Existenz, ohne „ich“. Alles ist nichts und wie nicht in mir. Und dieses unaussprechliche „Allein-sein“, wofür man kein Wort hat. Nachmittags meinte ich, es gehe nimmer, so ständig in ein „Nichts“ hineinleiden. Alles schien so ungewiss. Vom äußeren Werk ist noch kein Zeichen zu sehen; lauter scheinbare Misserfolge.

673 |             Was habe ich in den letzten Wochen des Werkes wegen gelitten, von allen Menschen verlassen! Dieses Verlassen-werden von jeder äußeren Hilfe muss Schritt für Schritt innerlich bitterlich durchlitten werden. – Wie hat mich der Heiland so furchtbar „allein“ gemacht und allein gelassen! Und dazu kommt dann noch das Heimweh. – Und dann das innere Vorauswissen um das innere Opfer; das Totleiden bis ins letzte, wo der menschliche Ausdruck versagt, wo man ganz in eine Geisteswelt eingegangen ist! Ich kenne ja Jesu innere Leiden, dieses ständige Erlösersein in der tiefsten Auswirkung, weil ja mein ganzes Inneres durch die Vorbereitungsleiden darauf hingeordnet wird. Darum kam ich am Nachmittag in ein unaussprechliches Widerstreben dagegen: Immer leiden, immer leiden und so allein; kein Mensch, kein Trost kann mehr an mich heran. Ich kenne ja den Heiland.

674 |             Mitten in diesem Kampf aber wollte er meinen freien Willen entscheiden lassen. (Überhaupt: Wenn man gewöhnlich annimmt, der eigene Wille sei wie aufgehoben, so ist dem doch nicht so.) Je höher man innerlich voranschreitet, desto freier scheint mir die Willensentscheidung zu werden; man kommt in die klar erkannte Lage, wo man ein freies 'Ja' sprechen kann. – So auch heute: „bis ins Höchstmögliche auf mich für immer verzichten und dafür ihn gewinnen können; damit gewiss hienieden ein Leben unaussprechlicher Leiden, das sein Leben ist, aber dafür 'ihn' haben [und] mit ihm alles, was er als Gottmensch an Gütern und Liebenswürdigkeit in sich schließt; ihn ganz in mich aufnehmen und alles mit ihm wagen“: ob ich wolle? – Ja, ich will dich, ich will dich ganz, wie du bist, in deinem ganzen Sein; ich will „du“ werden. – Jenes Verlangen hast du mir schon von Jugend auf eingeflößt. Ich will „du“ werden, weil ich dann in dem Maße dich besitzen kann, wie es mein innerstes Verlangen ist; weil ich dich in dieser Weise auf die tiefste Art besitzen kann. – Ich will auf alles verzichten, um „dich“ zu erleben und zu erfahren und zu erfassen, weil du alles bist! –

675 |             Aber meine arme Nichtigkeit! Ist dir diese kein Hindernis? Wenn ich mich ständig so in meiner abgrundtiefen Nichtigkeit schauen muss, nichts, lauter nichts in mir, so scheint mir, ich kann gar nicht leben, meine Nichtigkeit erdrückt mich. – Und doch muss ich sie immer sehen, nein erfahren, erleben, durchtränkt sein von ihr. – Aber noch größer als diese ist doch die Glut und das Verlangen in mir, in ein Nichts aufgelöst zu werden, damit an dessen Stelle „dein volles Sein“ erstehe, unbehindert von mir; denn nur das, was noch von mir kommt, ist deinem vollen Sein hinderlich. Ich will für mich nimmer sein, weil ich nichts so hasse als mich, und weil ich nichts so herbeisehnen und herableiden möchte, wie dein „Ich“ an meiner Stelle, damit erfüllt werde, was du damit erreichen willst, damit du deine Absichten erfüllt siehst für deine Kirche. „Alles für meine Kirche „, das sehe ich als dein höchstes Verlangen.

 

24.11.1940

676 |             Heute Morgen bin ich ruhig, obwohl die inneren Vernichtungsleiden andauern. Ich bin wie ein „leerer Geist“, der nirgends Anlehnung und Stütze findet. Ich habe alles verloren in mir: es gibt kein „in mir“ oder „bei mir“. – Desgleichen scheint auch das in früheren Stufen schon erreichte Ziel des „Seins als Jesus“ wie nicht vorhanden. Alles Leere und Nichts. – Und doch finde ich eine gewisse Befriedigung darin, weil dies der tiefste Drang in mir ist: Auflösung, Vernichtung meines ganzen Seins, um ganz „er“ zu werden. –

 

25.11.1940

677 |             Täglich sterben! Sterben für sich, bis in das tiefste eigene Leben und Sein. Und dieses Sterben geht mit großen Leiden vor sich. Dort, wo man sich nimmer vorhanden glaubt, sich selber ganz versteckt, muss Jesus immer noch eigenes Tun finden. – Und wo noch eigene Tätigkeit herrscht, muss alles ausgelöscht und ertötet werden. –

678 |             In diesem inneren Todleiden erlebt man die nie zu erreichende Höhe der Seele, die nicht von den Folgen der Erbsünde berührt wurde: Jene Reinheit und Freiheit von sich, wie sie sich in Maria fand, ein ganz auf Gott hin gerichtetes Leben, frei von jeder Ichsucht und von der eigenen Ichgebundenheit.

679 |             Man erlebt damit zugleich die ebenmäßige Angleichung, die Jesus bei seiner Menschwerdung in Maria vorfand: Jene heilige Harmonie, die Maria befähigte, den Gottmenschen in sich zu tragen, und jene heilige Unterordnung ihrer eigenen Fähigkeiten unter die ihres göttlichen Sohnes. In diesem Erfahren erlebt man die Erhabenheit Mariens, ihre wunderbare Auserwählung, ihre eigene Zugabe zum Erlöser. Jesus hat ihre heilige Menschheit für die seine gebraucht und damit jene ihre heiligen mütterlichen Anlagen in sich aufgenommen und für sich gebraucht. Und Maria gab sich ihrem Kinde mit den wunderbaren Schätzen ihrer heiligen Menschheit, die sie von Gott empfangen und durch ihre eigene Hingabe und Bereitschaft noch entwickelt und erhöht hatte. –

680 |             Zugleich erlebe ich auch die Grundlage aller Leiden des Erlöserlebens Jesu: Der Sohn Gottes lebte in der Herrlichkeit seines Vaters. Dadurch, dass er Mensch wurde, hat er allem entsagt und hat sich den engen Gesetzen der Menschheit untergeordnet. Seine Gott-Seele fand in Maria jene entsprechende, ihm ähnliche Angleichung, einigermaßen doch eine Entschädigung. [sic!] Doch schon in der Menschwerdung an sich lag eine unaussprechliche Verdemütigung. – „du hast, um uns zu erlösen, den Schoß der Jungfrau nicht gescheut“. – In diesen Worten erlebte ich die unendliche Herablassung des Gottessohnes im Geheimnis seiner Menschwerdung. Jesus fühlte die ärgste Verdemütigung nicht bloß hinsichtlich des Leibes, sondern auch in der geistigen Auswirkung, weil er in seiner göttlichen Freiheit sich dem menschlichen Sinnen unterordnete und dadurch in geistige Gebundenheit sich begab. – Dieses Leiden Jesu war entgegengesetzt der Ungebundenheit der menschlichen Freiheit, dem Selbstleben und Selbstbesitzen der gefallenen Menschheit. Die verschiedenartigen Auswirkungen des Wortes der Schlange im Paradies: „Ihr werdet sein wie Götter“, hat Jesus durch seine göttliche Unterordnung unter die Gesetze der Menschheit gesühnt (der eigenen, wie der gefallenen Menschheit, weil er in allem ihr überantwortet war). „er trug, d. h. er trug sie, er, der ganz Reine, und unterwarf sich der gefallenen Menschheit“[sic!]. Er litt vom ersten Augenblick seines menschlichen Daseins an unter dieser Verdemütigung, die ihn äußerlich sowie seinen geistig-seelischen Fähigkeiten nach einem „Menschen“ ähnlich machte. –

681 |             Wenn man den lieben Heiland so erlebt in seiner nackten Menschheit, und wenn man all den menschlichen Hochmut und die Selbstanmaßung gegenübergestellt schaut, so erlebt man einen anscheinend unüberbrückbaren Gegensatz. Und Jesus musste diesen Gegensatz ständig schauen, sehen, nein erfahren und erleiden durch die stolze Selbstüberhebung, mit der man ihn in seinem Erdenleben behandelte und mit der er sich infolge seiner Allwissenheit von allen Menschen behandelt sah. –

682 |             Die göttliche Allwissenheit führte dem Heiland als Erlöser die Auswirkung des Falles der Menschheit vor Augen. Das eigene göttliche Bewusstsein des Erlösers wirkte sich in seinem Erlöserleben zugleich als die beleidigte Gottheit aus, (infolge der Untrennbarkeit des göttlichen Wesens und der göttlichen Einheit). – Diese seine göttliche Allwissenheit war wie das klare Sonnenlicht, das alle Schäden in der Menschenseele aufdeckte, denen der Erlöser in der Wiedergutmachung sich liebend unterwarf. –

683 |             Man erlebt dabei die wunderbare Einheit in Jesus: die göttliche und die menschliche Natur in der Erlösertätigkeit in einer Person verbunden. – Es sieht sich behandelt wie einen Menschen, den man meint täuschen zu können, und er liebt und lässt sich scheinbar täuschen und leidet und erleidet verdienend für uns jenes klare Erkennen der eigenen Seele, das schon einen ganz hohen Fortschritt der Seele bedeutet: Sich selbst erkennen und Gott erkennen! –

684 |             Jesu Allein-sein in seinem Erlöserleben.

685 |             Wer könnte das innere Alleinsein Jesu erfassen! – Als Erlöser war der Heiland in jene tiefste Einsamkeit versetzt, die für ihn eine vollständige Trennung von jeder persönlichen Befriedigung und Tröstung und Trostannahme bedeutete und mit sich brachte. – In äußeren Leiden findet der Mensch immer noch eher Trost und Hilfe. In seinem inneren Erlösersein war Jesus als „eine Erlöser-Person“ von allem getrennt, weil ihm eben niemand ebenbürtig war.

686 |             Im Leben des Menschen wirken Seele und Leib zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen und gleichsam Trost zu geben und zu verschaffen. Das ist ein Naturgesetz. – Darum auch in diesen Arten der inneren Reinigung das Bittere der Trennung von sich, die Trennung zwischen Seele und Leib: Die Seele muss „allein“ gemacht werden, muss vollständig in ihrer nackten Geistigkeit bestehen können. – Im Erlöserleiden Jesu wirkten Seele und Leib in einem ganz auf Gott hingerichteten Zustand sich aus, um auf allen Trost zu verzichten, da in jedem menschlichen Trostsuchen außerhalb Gottes in gewissem Sinne eine ständige Abkehr von Gott stattfindet. In diesem Erleben: „Jesus allein“ erfährt man einen ungeheuren Abgrund von Leiden, die der Heiland ständig gelitten hat und die er in seiner größten Verlassenheit am Kreuze geäußert hat und wo dieses Allein-sein die höchste Leidensstufe in diesem Sinne erreicht hatte. –

687 |             Ich meine, das hier Beschriebene lässt mich der Heiland nicht so sehr als mein „Nacherleben“ erfahren, als vielmehr um mir meine Vorbereitungsleiden zu erklären. Ich erkenne und schaue darin, wie notwendig diese Läuterungsleiden für mich sind und wie tief das eigene Abgestorbensein vor sich gehen muss, um seinem inneren Sein angeglichen werden zu können. Dafür fällt eben der menschliche Ausdruck. – Man erlebt ständig eine innere Erweiterung und Vertiefung, ein Totwerden für sich selbst. Zugleich aber erlebe ich: Mit dem Sterben des Eigenen erweckt Jesus in mir alle meine Geistesfähigkeiten wie zu neuem Leben. Es wird totgemacht, aber zugleich zu neuem Leben erweckt für seine sich in mir zu wiederholende Tätigkeit. Jesus will sich eben in mir sein neues, leidensfähiges Sein schaffen. –

688 |             Darum erlebe ich auch seit Kurzem in mir, dass mein Wille jetzt wieder die volle Freiheit erlangt hat und freiwillig hindrängt und bereit ist, sich dem göttlichen Sein des Heilandes zu unterwerfen, wie es meine innere Aufgabe in sich schließt: Jesus als Gottmenschen, als Erlöser zu erleben. – Jahrelang meinte ich nämlich, von meinem Willen nichts zu spüren, weil ich diesen immer mitgenommen oder hineingenommen glaubte in den Willen Jesu; durch die Vereinigung mit Jesus schien mein Wille rein ausgeschaltet, wie wenn ich der eigenen Freiheit beraubt gewesen wäre. – (Dies bedeutet auch eine schwere Stufe der inneren Reinigung). Es ist aber gewiss, dass der Heiland die eigene Entscheidung des freien Willens immer dann geschehen lässt, wenn es sich um eine „neue“ Hinopferung oder um den Beginn einer weiteren Stufe der geistigen Entwicklung handelt. – Nie wird man innerlich gezwungen oder genötigt zur vollen Hingabe; diese beruht immer im gewissen Sinne auf freiwilliger Entscheidung. – (Jesus betonte seit den ersten Jahren meiner besonderen Gnadenführung: er wolle ein „freiwilliges“ Opfer, wie das seine gewesen sei.)

689 |             Es ist mir, als wenn alle meine Geistesfähigkeiten zuerst für mich totgemacht, und dann gleichsam in die des Heilandes umgestellt würden, damit hierdurch jene innere Angleichung und Einigung an ihn möglich gemacht werde. –

 

28.11.1940

690 |             Gestern Abend und heute früh war ich in unaussprechlicher innerer Verdemütigung, doch brachte mir diese auch eine große innere Ruhe und Befriedigung, weil ich „die Wahrheit“ darin erkannte. Ich bin das Gefäß aller Schwäche und Nichtswürdigkeit, wert, verachtet zu werden. Dies ist die größte Gnade, die der Heiland gibt: diese eigene Vernichtung klar einzusehen und bejahen zu können.

691 |             Alles muss in mir vernichtet werden, damit „er“ zu Vollendung und Fülle gelangen kann. – Ich bin auch in unaussprechlicher, seelischer Freiheit von allem Geschaffenen und allen Geschöpfen. –

692 |             Am Altar der Kreuzigung des heiligen Petrus – als ich heute in St. Peter noch einer dritten heiligen Messe beiwohnte, erlebte ich in mir die ganze, große, unendliche Liebe Gottes, des Heilandes, zu den Seelen und zugleich den unerschöpflichen Reichtum seiner Erlösungsfrüchte. Ich sah, wie diese sich in meiner armen Seele betätigt haben und dieses tiefe Erkennen meiner inneren Nichtigkeit und zugleich der Größe der Liebe Jesu hervorgebracht haben.

693 |             Ich sah, wie Jesus bereit wäre, allen Seelen in ganzer Fülle von seinen Erlösungsgnaden mitzuteilen. Ich fragte innerlich: Warum teilst du diese Gnaden nicht allgemeiner aus? Sie sind bis jetzt nur einzelnen Seelen voll zugewendet worden! – Er, das Leben in mir, antwortete mir: „Ich will darum gebeten sein“. – In dieser Antwort Jesu erkannte ich, er wolle den Glauben an diese Gnaden und aus diesem Glauben heraus die Bitte um die volle Zuwendung der Erlösungsfrüchte für seine Kirche. – Ich schaute dann auch, wie schon öfters den großen Wert der Menschenseele in den Augen Jesu: Dieser Wert ist so groß, dass Gott selbst, der Erlöser, die Menschenseele annehmen wollte, um sie zu erneuern. Ich sah die gefallene Menschheit, die Menschenseele durch die Erlösung umgestaltet, d. h., dass die Gnade gegeben ist, durch die sie umgestaltet von dem Fluch der Erbsünde erlöst und geheiligt werde. Mit den Leiden der Erlösung ist auch die Möglichkeit, d. h. die schon verdiente Gnade gegeben zur vollen Erlösung der Seele. Ich sah dies alles so bestimmt und folgerichtig und wie selbstverständlich und sah dabei die unendliche Liebe des Erlöses zur erlösten Seele. Ich staunte, und es schien mir unbegreiflich, dass bei diesem Reichtum der Erlösungsgnaden die volle Erlösung doch nur in wenigen „begnadigten“ Seelen ihre ganze Auswirkung zeige, obwohl doch diese Gnaden allen Seelen zugänglich schienen. Ich bat den Heiland, diese Schätze seines Herzens auf alle Seelen auszugießen. –

694 |             Im Heiland, meinem Sein, erlebte ich dann die Fülle seines Verlangens, diese vollen Erlösungsgnaden (gewiss in bestimmten Graden) wie „neue Gnaden“ über seine Kirche auszugießen. Ich sah sein Herz übervoll von diesen Gnaden; ich möchte sagen: Jesus „litt“ unter Überfülle seiner Liebe und unter dem Verlangen, der Kirche, bzw. den Seelen diese Gnaden mitteilen zu können. – Ich schaute diese vollen Erlösungsgnaden dann für alle Seelen offen und wie in nächster Zeit zugänglich gemacht.

695 |             Ich schaute dies als eine besondere Aufgabe des Priesterwerkes, die vollen Erlösungsgnaden auf die Kirche herab zu flehen, nach diesen Gnaden im Glauben begründet zu streben und die Menschen deren Wertschätzung und das Streben darnach zu lehren.

 

28.11.1940

Mittags

696 |             Ich erkannte und bewunderte die vielerlei Arten von Gnaden, die der Heiland über meine Seele ausgegossen hat zum Heil und zur Bereicherung seiner Kirche. Dieses Licht hatte ich, als ich auf der Stiege bei unserer Marienstatue vorbeiging. Da war mir, als breite MARIA die Arme aus und spreche: „Alles wird gegeben auf meine Fürbitte, indem es mir gestattet ist, die Schätze der Erlösungsgnaden an die Kirche auszuteilen“. – Nachher, in der Kapelle, sah und fühlte ich mich vollständig von Maria abhängig, wie wenn sie für alle inneren Gnaden verantwortlich wäre. Dies habe ich in letzter Zeit schon öfters erlebt. Ich war wie ihr Kind, wie der Heiland ihr gegenüber, als wenn sie volle Mutterrechte habe über mich, wie einst über das Jesuskind.

697 |             Das ist mir eine große Beruhigung. Maria wird für alles sorgen, und die Einflüsse des Feindes fernhalten. –

 

Dezember

02.12.1940

698 |             Nach einigen Tagen schwerer, innerer Leiden ist heute nach der heiligen Kommunion neue, vollständige Ruhe in meine Seele gekommen. In großer unsagbarer Freiheit und Ruhe besteht Jesus in mir in vollständiger Unabhängigkeit. – Es ist aber alles so einfach, wie selbstverständlich. Man kann wohl immer nur das gleiche Wort gebrauchen, um immer Neues und Tieferes auszudrücken. – Jetzt ist Jesus, das „ich als Jesus“ freier noch wie in den früheren Stufen, ist wie vollständig frei von jeder Anlehnung. Es scheint aber diese jetzige Stufe noch in der Entwicklung zu sein.

 

03.12.1940

699 |             Alles ist so einfach unaussprechlich ruhig in mir, oder besser gesagt, es ist nichts in mir als der Heiland; „er“, nicht ich! – Ich habe kein Wort dafür. – Alles ist ihm untergeordnet, wie wenn es seine Fähigkeiten wären; es ist kein Gegensatz oder Widerspruch zu spüren. – Was ich fühlbar erlebe, ist jetzt mein Wille; alles in mir drängt zum vollen Glauben, dass Jesus vollendet in mir erstehe, wie wenn alle meine Fähigkeiten in gewissem Sinne ganz frei wären von mir und bereit, einem neuen, anderen Sein das Bestehen zu bieten, wie früher dem meinen. –

 

04.12.1940

700 |             Es ist immer eine große, seelische Ruhe in mir, doch verbunden mit rein geistigen Leiden; es scheint ein Zusammendrängen all meiner geistigen Fähigkeiten, um dem Leben Jesu in mir einen vollständig freien Bestand bieten zu können. – Es ist nicht ein fühlbares Vorauserleben wie in Gnadenzeiten, die man außergewöhnlich empfindet; es ist vielmehr ein Erleben wie in gewöhnlicher selbstverständlicher Art, wobei alle seelischen Fähigkeiten durch die langen, vorausgegangenen Reinigungen die Möglichkeit in sich erlangt haben, dem Heiland zu einem neuen Sein zu dienen. Es ist aber alles so einfach, dass man kein Wort dafür hat. –

701 |             Der Wille ist bereit; wie wenn es ganz natürlich wäre und keiner weiteren Anregung bedürfte, strebt alles danach, sich dem Sein des Gottmenschen anzupassen. Die Natur leidet zwar noch unter dem Drang und Streben der Geisteskräfte, und vielleicht ist das ein Zeichen, dass noch irgendwo unbewusstes Eigenes vorhanden ist, aber der geistige Schmerz ist ruhig und hält die Seelenkräfte nicht gebunden. – Es liegt in diesem Leiden auch eine gewisse „Scheu“ der Natur vor der unbegreiflichen Gnade, die Gott mir zu geben im Begriff ist. –

702 |             Nach der heiligen Kommunion lebt Jesus in mir wie eine „leere Fülle“; alles in mir ist sein „Sein“, wie wenn es etwas Gewöhnliches, Selbstverständliches wäre; sonst ist nichts da. – Man hat kein Wort dafür, höchstens einen Vergleich:

703 |             Wenn man in der Sonne wohnen würde, so könnte man sie nicht beschreiben, weil man sie dann nicht außergewöhnlich finden würde; man wäre ihr ja angepasst, sonst könnte man nicht in ihr leben. Wenn man aber plötzlich von der Erde in die Sonne versetzt würde, könnte man den Unterschied besser erklären, als [man] es bei langsamem Übergehen kann. – So ist der Heiland in mir oder ich bin, oder ist er das Wesen der Sonne in mir geworden. – Man kann ihn nicht beschreiben, weil er alles erfüllt hat und diese Fülle zugleich Ruhe ist und ihre Wirksamkeit so einfach und wie selbstverständlich ausübt. –

704 |             Diese scheinbar ruhevolle Fülle hat aber lebendiges Leben in sich. Es entwickeln sich geheimnisvolle Vorgänge in mir. Ich erlebe die volle Harmonie, die das Leben Jesu für sein Bestehen in mir verlangt oder beansprucht. Alles muss Einheit, Freiheit sein, um eine „neue Einheit“ zum Bestehen zu bringen. –

705 |             Wiederum schaue ich als Vorbild MARIA und die Erhabenheit ihrer Natur, die nicht unterworfen war dem Gesetze der Sünde und ihren Folgen, der eigenen Gebundenheit. Im Sinne ihrer Aufgabe und auf ihrem Weg erlebe ich die Möglichkeit einer Angleichung der Menschheit an die Gottheit, an den Gottmenschen: Durch die „erste Menschenseele“ – wie sie im Paradies geschaffen wurde und wie Gott sie Maria im ersten Augenblick ihres Lebens gab – war die Möglichkeit einer natürlichen Angleichung an Gott gegeben. Aber Gott gab Maria nicht bloß die „reine Seele“ wie bei der Erschaffung der ersten Menschen; im Hinblick auf ihre Auserwählung wurde ihr noch eine besondere Entwicklungs- und Erweiterungsmöglichkeit gegeben, die sich wie in selbstverständlichem, natürlichem Bemühen auswirkte und sie emporführte und bildete zur Befähigung für die Höhe und Würde ihrer Berufung. – Es ist dies ein nicht wiederzugebendes Geheimnis, das ich da innerlich schaue. Ich begreife und erfahre damit den Weg, der als Vorbereitung zu einer harmonischen Angleichung an Gott erforderlich war. Und in Maria war die höchstentwickelte Harmonie; in jenem Höchstmaße, dass sie Gott, dem Gottmenschen eine Mutter sein konnte, dass sie wirklich Gott in seinem göttlichen Wesen und seinen Vollkommenheiten ertragen und erfahren konnte, so sehr war ihre Seele vorher „gottaufnahmefähig“ gemacht worden. Maria hat der Welt den Erlöser gegeben und wurde hierzu schon in natürlicher Hinsicht befähigt durch die besondere, allmähliche seelisch-geistige Angleichung an Gott.

706 |             Zusammen mit der höchsten menschlichen Würde Mariens schaue ich meine Aufgabe, in ähnlicher Art den Erlöser zu erfahren und zu erleben, (gewiss in mystisch verliehener Gnade) ohne dass freilich jemals der Gnadenvorzug Mariens erreichbar wäre. Die göttliche Mutterschaft Mariens in ihrer nie zu erreichenden Höhe und Auserwählung – worin auch ihre persönliche Makellosigkeit miteingeschlossen ist – wird keinem Menschen mehr gegeben, weil Gott nur einmal Mensch wurde. Gott will aber der Kirche den Erlöser in seinem inneren Erlösungsgeheimnis zeigen. – Und so schaue ich zusammen mit dem Weg der Angleichung Mariens einen zweiten, ähnlichen Weg der Angleichung, den meine Seele durchgehen muss, um ein Erleben des Gottmenschen als Erlöser möglich zu machen. Es ist ein Weg des mühsamen Erhebens der gefallenen Menschenseele bis zur harmonischen Angleichung an die Geistigkeit Gottes. Die erbsündliche, im Zustand der gefallenen Natur befindliche Menschenseele muss durch Überwindung der Sündenfolgen, durch das volle Auswirken-lassen der Erlösungsgnaden und durch einen besonderen Weg der Vergeistigung und Angleichung an die Geistigkeit Gottes bzw. des Heilandes zur Möglichkeit kommen, den Gottmenschen als Erlöser zu erleben.

707 |             Was mir in meiner Schwäche und Armseligkeit zu erreichen nicht möglich ist, will mir Maria ersetzen. Ich sehe, Maria will die Vermittlerin des Erkennens Jesu in der Kirche werden, dadurch, dass sie mir durch innere Reichtümer und Gnadenvorzüge ersetzt, was mir noch fehlt und infolge meiner Armseligkeit noch mangelt, damit jene möglichst vollständige Harmonie geschaffen werde, die eine solche Gnade verlangt.

708 |             Ich soll glauben, oder der Glaube ist mir gegeben, dass mir durch Maria und durch ihre Vermittlung der für meine Aufgabe notwendige und zu erreichende Gnadenzustand geschenkt wird. Maria leiht sich mir und schenkt sich mir in diesem Sinne; es ist alles ihr Werk. Sie hat der Welt den Erlöser gegeben und sie zeigt ihn wieder der Welt, indem sie alles tut und vorbereitet, indem sie die [zu] befreiende Seele erwählt und führt und das Fehlende und Mangelnde ersetzt durch ihre von Gott geschenkten und von ihr erworbenen geistigen Reichtümer und Gnaden. Auf diese Weise will Maria der Kirche den Heiland „als Erlöser“ zeigen, vornehmlich im inneren Erlösungsgeheimnis, dessen Offenbarung eine Erneuerung der Kirche herbeiführen soll und wird. Ich komme in eine noch höhere Verbindung mit Maria, in ein wirkliches, geistiges „Ineinanderfließen“; ich nehme sie auf in mir, oder sie gibt sich mir in jener Weise, die mich für meine Aufgabe befähigen soll.

709 |             Zugleich mit meiner inneren Vorbereitung will der Heiland hier aber auch die hohe Befähigung der Menschenseele zeigen. In der Seele leben Kräfte, die von der Mehrheit der Menschen überhaupt nie in Gebrauch oder in Anspruch genommen werden; Kräfte, die aber doch von Gott und für Gott geschaffen wurden und die ihrer Betätigung harren. Darum der hohe Wert der Menschenseele und ihrer Kräfte, die Gott „gebraucht“ und bestätigt haben will; – ich begreife dabei auch das „Wesen“ der Seele, einer geistigen Substanz mit vielen Kräften und Fähigkeiten. Ich erlebe klar meine Seele. – Ich kann als „Seele“ bestehen und in diesem „Bestehen“ erlebe ich das „Wesen der Seele“: ein geistiges Lebewesen, ein vollständiges, unabhängiges „Selbsttätigsein“. –

710 |             Man versteht dadurch auch mehr den großen Verlust, den die „erste Menschenseele“ durch die Sünde Adams erlitten hat. – Ferner will wohl Gott dabei den unendlichen, unerschöpflichen Reichtum der Erlösungsfrüchte zeigen, die, von der Seele angenommen, sie entsündigen und dadurch, bei eigener Mitwirkung, jene höchsten Fähigkeiten der Seele anregen und in Tätigkeit bringen.

 

05.12.1940

711 |             Mein Seelenzustand ist ähnlich wie in den letzten Tagen. Meine Seele scheint wie vollständig frei geworden zu sein in sich. – Dieses „Freiwerden“ von der eigenen Gebundenheit, ihre Loslösung vom Materiellen, scheint mein Leben zu einem Geistigen zu machen. Die Seele scheint sich außerhalb oder oberhalb des Menschlichen zu bewegen. Es ist aber alles sehr einfach und wie wenn es selbstverständlich und naturhaft wäre. – Es ist ein weiterer Vorbereitungsweg zum vollen Erleben-können meiner Aufgabe.

712 |             Heute, nach der heiligen Kommunion, erlebte ich in mir diese reine Geistigkeit, die mir als Weg dahin erklärt wurde, dass ich Jesus erleben könne. Ich erlebte das vollständige Beherrschen der niederen Naturanlage, das „volle Freiwerden des Willens“, der dadurch fähig wird, sich dem göttlichen Sein Jesu anzugleichen und anzupassen, ohne von diesen „erdrückt“ zu werden und wie wenn diese Anpassung sich auf natürlichem Wege vollziehen würde. In diese Richtung bewegt sich mein Inneres. – Gewiss, wenn ich mich so ganz als ein Geist fühle, ohne die früher gewohnte Anlehnung an das eigene Menschliche, dann möchte es mir bange werden beim Erleben dieses außerordentlichen Zustandes.

713 |             In diesem Bedenken stand aber dann von meinem Geiste wieder Maria in ihrer vollständigen Freiheit von der eigenen menschlichen Gebundenheit, frei in sich und frei bereit, sich dem höchsten Geschehen der Menschwerdung des göttlichen Wortes zur Verfügung zu stellen. – „Maria ließ es geschehen“; in diesem Schauen begriff ich ihre höchste Freiheit, in der sie sich dem Willen Gottes unterordnete und zu der sie Gottes Absichten vorbereitet und befähigt haben. Daraus kam mir dann wieder jene innere Ruhe und Bereitschaft, die mich dem Willen Jesu hingegeben machte – trotz des Widerstrebens und der Furcht vor außergewöhnlichen Dingen.

714 |             Jetzt, da ich so viele Gnaden von Maria erhalte, und sie es ist, die sich herablässt, gleichsam zur Führerin meines Innenlebens zu werden, jetzt kommt mir eine besondere Gnadenstunde in Erinnerung, deren Bedeutung ich früher nie ganz begriffen [hatte] oder daran vielmehr nicht zu glauben wagte; doch jetzt kenne ich die Absichten, mit denen der Heiland mir jene Gnaden gegeben hat.

715 |             Es war am 6. Januar 1931; ich kann mich noch gut dessen erinnern (anderer Umstände halber). Ich war an einem Wallfahrtsort der schmerzhaften Muttergottes (in Weizberg, in der Nähe meiner Heimat). Nach der heiligen Kommunion am Sakramentsaltar wurde ich von Jesus ganz in Besitz genommen, sodass ich wie nicht mehr vorhanden war; alle meine Geistesfähigkeiten standen gleichsam still, und er beherrschte mich ganz. – Es wurde mir vom Heiland wieder meine geistige Aufgabe gezeigt, und zwar in einem außergewöhnlichen Licht und übernatürlichen Hineingenommensein in ein gewisses Vorerleben, das mir noch sehr deutlich in Erinnerung ist: Jesus wolle mit mir in eine Art innige Gemeinschaft eingehen, wie es sich gewöhnlich zwischen Seele und Leib vollzieht und besteht; wir flossen geistig ineinander, wie zu „einem Sein“. – Es war mir unbegreiflich, wie Jesus das machen wolle, doch war mir die augenblickliche Gnade so klar und sicher, dass meine Hingabe und mein Glaube an seine Absichten sich unbedingt seiner liebenden Herablassung unterwarf. Aber wie und auf welchem Wege würde sich das dauernd vollziehen, wofür ich dem Heiland mich ganz schenken sollte? Da stand gleichsam Maria vor mir. – Ich hatte ja die Wallfahrt in der Meinung gemacht, um von ihr Licht und Hilfe in meinen gefahrvollen Seelenweg zu erbitten. – Maria reichte oder gab mir ihr göttliches Kind in das Herz. Ich sah das Kindlein im Voraus in mir wachsen und sich entwickeln und groß werden und es wurde – alles in rein geistigem Erleben – der Heiland daraus, wie ich ihn da in mir erlebte, als er mich das Geheimnis seiner liebenden Absichten im Voraus wissen ließ. Und es wurde der „Leidende Heiland“ daraus, so, wie sie ihn dort auf dem Hochaltar auf ihrem Schoße trug. –

716 |             Weil nun mein ganzes Streben immer dahin ging, Jesus voll und ganz in mir zu besitzen, und weil Maria ihn mir gab, und geben wollte, so opferte ich mich dem Heiland gänzlich auf für seine Absichten. (Dieses „Vorauserleben“ meiner geistigen Aufgabe ward mir schon öfter vorher und auch nachher zu Teil, aber damals war es in einem außergewöhnlichen Maße). Es brachte mir aber auch den Umstand schwerer Bedenken, dass ich keinen Priester hatte, dem ich mich ganz eröffnen konnte – der Umstände halber – um zur vollen inneren Klarheit in den sich wiederholenden Gnadenzeiten zu kommen. Da wurde mir damals (wie schon öfters) der Priester gezeigt, dem Jesus die besondere Gnade geben würde und den er darauf vorbereitete und den er einbezogen habe in seine Absichten in besonderer Weise, mich und mein Innenleben und das Wirken seiner Gnade in mir zu verstehen. Mit den gewöhnlichen Gnaden könne ein Priester das nicht, aber diesem Priester gebe er die Gnade der Einsicht und eine besondere Gnade des „Einfühlen-Könnens“ in mein Innenleben, auch bezüglich seiner Absichten; denn dieses Verstehen sei ein rein geistiges, ein Verstehen von Herz zu Herz, von Seele zu Seele. –

717 |             Ich bin nun vollständig ruhig, und erlebe meine Seele als freien Geist, dessen oberste Fähigkeit die freie Selbstbestimmung ist, der freie Wille, wodurch eine eigene, freie Ich-Person abgeschlossen und vollendet ist. Im Heiland bildete die Gottheit diesen Abschluss und diese Umschlossenheit, weil die göttliche Person die seelisch-menschlichen Fähigkeiten beherrschte infolge seiner „Einperson“ in zwei Naturen. –

718 |             Für gewöhnlich erlebt der Mensch nur in wenigen Fällen seine eigene freie Willensentscheidung. Diese hängt meistens von den anderen, niederen Seelenfähigkeiten ab, von denen der Wille und die letzte Entscheidung meist beeinflusst und beherrscht wird: von der niederen Naturanlage, von der menschlichen Einsicht, von den Leidenschaften, die den seiner Anlage nach vollständig freien Willen trüben und beeinflussend bestimmen. Zu einer dem höheren Willen nach wirklich ganz freien Entscheidung kann es nur dann kommen, wenn der Wille in der Seele diese Alleinherrschaft erlangt hat und die eigene Gebundenheit durch lange, mühevolle Selbstbeherrschung darunter zu stehen kommt. –

719 |             Ich habe noch nie in solchem Maße die vollständige Freiheit meines Willens erlebt, wie in der letzten Zeit. Früher beherrschten meist andere Fähigkeiten und Möglichkeiten den Entschluss des Willens, wie z. B. fühlbare Gnaden, innere Führung, die auf ein bestimmtes, gottgegebenes Ziel hindrängte; innere Leiden, die den Willen gleichsam zwingen von dem oder jenem abzulassen, dies oder jenes zu tun. Man begreift dabei die Erhabenheit Gottes, des göttlichen freien Willens, der nie gehindert oder bedrängt werden kann, weil es eben nur Gott eigen ist, jederzeit göttlich frei und gut zu entscheiden, und weil seine Entschlüsse nur göttlich gut sein können.

 

06.12.1940

Herz-Jesu-Freitag

720 |             Heute Morgen, bei der heiligen Messe, ging ich im Sein Jesu zum Vater über. Ich und der Vater! Welch inniges Verhältnis zwischen uns! Eigentlich nur Eins, doch mit dem Unterschied eines gewissen Abstandes oder einer gewissen Abhängigkeit, in die sich Jesus infolge seiner Erlöseraufgabe und seines Erlösungswerkes versetzt hat. Dabei aber doch wieder jene volle, heilige Harmonie, die im untrennbaren Wesen der Gottheit besteht! Welche Ruhe und Bereitschaft und Liebe im Sohne dem Vater gegenüber! Die gegenseitige göttliche Liebe und Bewegung und Einheit lässt klar den Heiligen Geist in der dreifaltigen Einheit des dreieinigen Gottes unterscheiden. Er ist wie ein göttliches Band, ein Abschluss und eine Umschließung des Gottesgeheimnisses. –

721 |             Der Vater ist voll Freude, gleichsam nochmals seinen Sohn zu umfangen und zu besitzen, der mit einem Menschen zu einem Wesen verbunden ist und durch den er das Geheimnis der Erlösung offenbaren will. – Ich fühle mich geborgen im Herzen des Vaters; wie unzertrennlich scheint jetzt unsere Harmonie zu sein, die Jesus in mir geschaffen hat, damit ich ihn vor dem Vater vertreten könne. – Maria ist jetzt wahrhaft Mutter dieses Geschehens, sie steht dem Vater so unglaublich nahe und ist ganz einbezogen in das Erlösungsgeheimnis. Ich erlebe sie als die vielgeliebte Tochter des Vaters, die Mutter seines göttlichen Sohnes, jetzt die Vermittlerin neuer göttlicher Absichten. – Welche Freiheit von meiner früheren, eigenen Gebundenheit! Alles in mir ist „Jesus“ geworden und als er bin ich jetzt das wirklich geliebte Kind des Vaters. (Das Wissen um das „Sein als Jesus“ ist in gewöhnlich scheinende Wirklichkeit übergegangen.)

722 |             Nach der heiligen Wandlung schaue ich in mir den Vater, wie er bereit ist und daran ist, den Sohn, den Erlöser in dessen innerster, jetzt noch verborgener Art der Kirche zu zeigen und zu offenbaren. Darum wurde meine Seele befähigt und ihr die Möglichkeit zu erreichen gegeben, dass sie in das innerste Wesen seines Sohnes eingehe, damit jenes Geheimnis (des Erlösers) wie in einem Nacherleben offenbar werde. – Der Vater zeigt seiner Kirche den Erlöser auch in ihrem innigsten gegenseitigen Verhältnis (des Vaters und Sohnes): Die Unterwerfung des Sohnes unter den Willen des Vaters, wodurch der Welt die Erlösung geschenkt wurde; das Opfer des Sohnes, der wie ein Mensch werden sollte und darum zeit seines Lebens auf göttliche Rechte verzichtete, um ganz als Mensch leiden zu können; auch den Heiland als Opfer der Gerechtigkeit Gottes – Jesus beladen mit der Schuld aller Sünden. –

723 |             Ich habe in mir die Bestimmung und die Aufgabe, ganz in die Person Jesu (in der Art seiner Erlöseraufgabe) einzugehen, seine Aufgabe erlebend, wie die meine. Darum auch bei der heiligen Kommunion ein noch höheres Freiwerden von meinem Eigenen, um ganz Jesu Sein für dauernd anzunehmen und mit ihm, als er vor dem Vater, dieses Geheimnis zu erfahren und zu erleben. Ich habe in mir kein Widerstreben dagegen; das Sein Jesu ist vollkommen harmonisch erlebt im Vater wie in einem Wesen. –

724 |             Doch mit welcher Einfachheit ist heute alles vollzogen worden! Wie selbstverständlich scheint es, ohne fühlbares Befangensein, mit der Selbstverständlichkeit der wesentlichen Wirklichkeit und des tatsächlichen Bestandes. Ich habe auch das früher so klar erlebte „Gefühl“, Jesu Leben als das Meine zu besitzen, verloren; es ist wirklich geworden, ohne das fühlbare Wissen darum; alles ist nun einfach und bestimmt bestehend: Ich bin das vielgeliebte Kind des Vaters, jenes, das das Wesen des Sohnes angenommen hat, um sein innerstes Geheimnis nacherleben zu können, jener Mensch, durch den der Vater seinen Sohn in bestimmter Art offenbaren will. –

 

07.12.1940

725 |             Es ist merkwürdig, wie ich mich selber verloren habe und wie sich eigentlich dieses geistige Ineinanderfließen zwischen dem Heiland und mir vollzogen hat. Ich bin wie in ihm aufgelöst und es ist ER daraus geworden. Es verliert sich aber immer mehr dieses Wissen um „ihn“; es geht in ein gewöhnliches Ich-sein in mir über, doch mit dem Unterschied, dass ich sein göttliches Sein wie das meine besitze, mit dem ich lebe und das mir für meinen Gebrauch als das seine gegeben ist.

726 |             In der Vorbereitungszeit schien es mir, als ob „er“ von mir Besitz nehme; jetzt, wo ich in ihn „aufgelöst“ bin, nehme ich Besitz von Jesus und erlebe diesen Besitz. Daraus entwickelt sich dann das Nacherleben seiner. – In den vergangenen Tagen ward mir beim Erleben meiner Seele und ihres Freiseins wiederholt das Innere Jesu gegenübergestellt, das sich nun wie zu EINEM Sein vereinte und das wie mein Eigenes nun übrigblieb. –

727 |             Es vollzieht sich aber alles in unbeschreiblicher Einfachheit. Durch das Sein Jesu, das ich als das meine erlebe, scheint auch als eine selbstverständliche Folge die Verbindung oder das ganze Einssein mit dem Vater sich entwickelt zu haben. Ich bin infolge meiner Aufgabe gleichsam in den Kreis eingegangen, in welchem sich das Leben der Heiligen Dreifaltigkeit bewegt, und bin darin wie mitbeteiligt (in einer mystischen Art).

728 |             Alles entwickelt sich wohl noch weiter. Das Sein Jesu muss mich noch mehr in einem mir gewöhnlich scheinenden Ich-Sein durchdringen und mich seine gottmenschlichen Fähigkeiten wie die meinen gebrauchen lassen, damit dieses innere Werden zur Höhe und Vollendung gelangen kann. Ich muss also ihn als das Meine gebrauchen, und dadurch als „er“ in ihm befestigt werden; ich muss ihn mir ganz aneignen, und daraus ergibt sich wie von selbst meine geistige Aufgabe.

729 |             Alles ist Ruhe und Bereitschaft in mir. Die Ruhe ist eigentlich meine geistige Lebensbedingung und Lebenskraft geworden. –

 

08.12.1940

730 |             Fest der unbefleckten Jungfrau:

731 |             Der heutige Festtag scheint mir wie ein geistlicher Grenzstein zu sein in meinem Innenleben. Schon gestern Nachmittag entstand in mir eine vollständige Loslösung, gleichsam ein Aufhören meines eigenen Innenlebens, des Persönlichen. An dessen Stelle trat ein anderes, wirkliches Leben, von dem ich Lebenskraft und Sein erhielt und das mir wieder wie das meine schien. – In dieser Art hatte ich das Abschließen mit mir selbst noch nie erlebt (es ist eben das Merkwürdige, man meint immer, jetzt habe man die höchstmögliche Stufe des Seins Jesu erreicht, aber trotz dieser scheinbaren Fülle entwickelt es sich doch weiter). Abends kam ich in ein geistiges Leiden, ein weiteres Absterben, doch blieb bei allem die Ruhe und Bereitschaft. Meist erlebt man im Leiden das entscheidende Wirken und Wollen Jesu, weil sich die Leiden immer auf das zu erreichende Ziel hinrichten und hinstrahlen.

732 |             Heute ist alles Geist und Ruhe in mir, ohne jede Bewegung oder eigene Tätigkeit. „Nichtstun und alles geschehen lassen, nichts Wollen und alles Annehmen!“ – Es regt sich auch nichts Widerstrebendes in mir. –

733 |             Nach der heiligen Kommunion betete ich den Aufopferungsakt an MARIA, durch den ihr das Werk des Hohenpriesters ganz geweiht wurde und sie für immer als die Vermittlerin aller Gnaden des Priesterwerkes anerkannt sein wird, so wie es mir der Wille Gottes schien. Weil nun alles IHR Werk ist, ist es auch ihre Herzenssache, für die sie einstehen und kämpfen muss und wird. In diesem Fall wurde das Kind schon der Königin geweiht, noch ehe es geboren wurde. Umso besser, weil Maria damit die Möglichkeit gegeben ist, die Mutterrechte und Mutterpflichten auszuüben. –

734 |             Die Aufopferung gab mir auch vollständiges unüberwindliches Vertrauen bezüglich meines Innenlebens. – Es ist nicht Gefühl, sondern Wirklichkeit in mir: Ich lebe ein anderes Leben, das Maria der Welt geschenkt hat: Jesus; und das zu leben, hat mir immer wieder Maria vermittelt.

735 |             Mein früheres Leben scheint wie abgeschlossen, es beginnt ein anderes, ein neues. Aber wie könnte man das innerlich so klar diesbezüglich Erlebte ausdrücken? –

736 |             Im Erleben seines Lebens wird mir Jesu Inneres, sein Erlöserleben, als „Nacherleben“ zu erfahren gegeben. Ich lebe ihn und von ihm, als „er“, doch nicht fühlbar, sondern tatsächlich. Als Beweis dafür müsse das Erlebnis von heute und der weiteren Entwicklung und der Zukunft gelten. – Doch ich finde kein Wort, um diese innere Einfachheit und Wirklichkeit zu erklären. –

737 |             Innig mit Maria verbunden und mit herzlichem Vertrauen will ich ihr danken für Ihre mütterliche Güte, mit der sie ihr Kind umhegt; sie ist meine ganze wirkliche Hoffnung.

738 |             Ich glaube, o meine liebe Mutter Maria, dass ich durch deine Vermittlung jene Stufe des „Seins Jesu“ in mir erreicht habe, die als Bedingung seines „Nacherlebens“ notwendig ist. Ich erwarte auch alles Weitere von dir. Ich glaube und anerkenne, dass deine überreiche Gnadenfülle das Fehlende und Mangelnde ersetzt hat und dass mein ganzes Innenleben das Werk deiner mütterlichen Güte und Liebe ist. Ich verspreche dir, dieses Leben Jesu, das du zu tragen gewürdigt wurdest, in mir durch den Glauben zu bewahren, es zu leben, nie mehr zu meinem eigenen Leben zurückkehren zu wollen, sondern es nach den Absichten Jesu zur Vollendung und vollen Auswirkung in mir gelangen zu lassen, nicht für mich, sondern zur Erhöhung der heiligen Kirche, ganz als Opfer nach den Absichten des Herzens Jesu. – Aber alles, o Mutter, ist und bleibe dein Werk, nur deines allein! – Ganz von dir ist und sei dieses Leben abhängig. – Amen.

739 |             Ich bin nicht mehr; ich will Jesus Leben. – Mutter, wenn ich einmal darunter müde werde, dann stütze mich! Ich erwarte alles von dir! –

 

15.12.1940

740 |             „Vollende und befestige, O Herr, was du in mir gewirkt hast!“ – In diesem Sinne war wohl in der vergangenen Woche die innere Gnade ständig in mir tätig. – Das Jesus-Sein in mir muss noch mehr von jeder Einmischung meinerseits gereinigt werden; es muss wie „von mir persönlich getrennt“ werden.

741 |             In den ersten Tagen war es mir, als verliere sich das Leben Jesu, als entferne es sich von mir. Es bestand zwar, doch war es mir, als müsse es sich gleichsam „ohne mich, frei von mir“ voller entfalten. Der Heiland will geistig-menschliche Kräfte gebrauchen, um sich ein neues, leidensfähiges Sein zu schaffen, aber dieses neue Sein muss frei von den persönlichen Besonderheiten und Eigenheiten der betreffenden Lebens- und Kraft- und Seinsgeberin, ohne Anlehnung daran, entstehen und sich vollenden. Dementsprechend waren auch die inneren Läuterungsleiden. Ich war ruhig, denn die Ruhe ist ja meine ständige Lebensgrundlage geworden – aber das „Jesus-sein“ entfernte sich gleichsam von mir. – „Jesus“, das andere Leben, das alles in sich und aus sich hat, muss in sich erstarken, muss von mir persönlich vollständig losgelöst werden, um einen in sich vollständig freien Bestand zu entwickeln und zu haben. Es muss getrennt werden von der Anlehnung an meine persönlich-familiengebundenen Anlagen und Eigenheiten. Es muss eine reine, gleichsam „neutrale“ rein geistbeherrschende Menschheit geschaffen werden. –

742 |             Dies auch aus folgenden Gründen: Wie mir klar gezeigt wurde, sind alle Gnaden, die mir Gott auf diesem Wege gibt, nicht so sehr Gnaden für mich, oder private Gnaden, sondern sie beziehen sich alle auf eine geistige Erneuerung der Kirche und des Priestertums. Dementsprechend entwickelt sich auch meine geistige Einstellung, dieses volle Loslösen von mir, um einem allgemeinen Zweck zu dienen. –

743 |             Ich erlebe innerlich den Zusammenhang mit den ersten diesbezüglichen Offenbarungen, die mir der Heiland im Jahre 1923/24 gab, als er oft nach der heiligen Kommunion die Forderung [an] mich stellte: Du sollst mir ein Opfer sein für die Erneuerung meiner Kirche und des Priestertums. – Damals war mir allerdings der Weg und die Art vollständig verhüllt und fern. Die führende Gnade brachte mich aber durch dieses klare Erkennen und Wissen um Jesu Absichten und Willen so weit, dass ich mich ihm als Schlachtopfer für seine klar erkannten Absichten hingab; jetzt steht das ganze Ziel im Einzelnen klar vor mir. –

Mittags

744 |             Es ist jetzt eine weitere neue Entwicklung in mir. Das Sein Jesu ist im Begriff einer vollständigen Trennung von meinen persönlichen Besonderheiten des Charakters, der Familie und Abstammung usw. Ich werde einbezogen und gehe ein in die reine Menschheit Christi, die vollkommen frei ist von jeder Mischung und Anteilnahme an fremden Einflüssen, weil sie eben in allem Gott angeglichen war. Das sehe ich als die Charakteristik Christi als Mensch, als die Eigenheit, die ihn von unseren gewöhnlichen-menschlichen Besonderheiten unterscheidet. –

745 |             Ich erlebe in mir oder ich nehme an die unbeschreibliche reine und freie Menschheit voller Harmonie und Ausgeglichenheit: ich an Jesu Stelle die Eigenheit des Menschen Jesu vertretend.

746 |             Einer nur ist unser Vorbild und unser Ideal als Mensch, dem angeglichen zu werden das Ziel und Streben aller Menschen sein soll. Weil nun nach den Absichten Gottes „Christus“ im ganzen Umfang als Erlöser beleuchtet und gezeigt werden soll, so wird – wie ich innerlich sehe – Christus als charakteristisch hervortreten in dem Geheimnis, das geoffenbart werden soll.

747 |             Es vollzieht sich in mir ständig ein „Zurücktreten“ meiner selbst. Dieses wird bewirkt durch die feinen Regungen einer geistig tätigen Kraft der Gnade in mir, die eine immer weiter sich entwickelnde Bewegung im Inneren hervorruft, die mir selbst ein Geheimnis ist. – Was von mir an Persönlichem dem Heiland zum Bestehen gegeben wird, das tritt scheinbar zurück, um geistig höheren Kräften die Stelle einzuräumen, sodass ich heute das Sein Christi ihn mir in einer höheren, vollkommeneren Art abhebt. Ich erlebe mich rein geistig, doch klar hervorgehoben in der Person Christi, dessen Sein und Bestand noch ständig im Vollenden begriffen ist. – Es ist ein großes Geheimnis, was ich da innerlich erlebe. In diesem inneren Erheben und noch höheren Eingehen in Jesus erlange ich auch die Bereitschaft auf einen noch vollständigeren Verzicht auf mich selbst, sodass mir das Sein Christi immerwährend genügt.

 

16.12.1940

748 |             In einer weiteren völligen Entfernung von mir gehe ich tiefer ein in die reine Menschheit Christi. Ich stehe wie vor einem Tor, das offensteht und dessen voller Eintritt mir bevorsteht: Christus in seinem Erlösungsgeheimnis. –

749 |             Als unbedingt notwendig zu diesem Erkennen und Erfassen Christi sehe ich das vollständige Entfernen oder Zurücklassen meiner selbst; andere, neue menschliche Kräfte bieten dem Heiland eine neue Lebensmöglichkeit, die aber im gewissen Sinne frei sein muss von meinem Eigenen, Persönlichen.

750 |             Ich erlebe den Heiland als Menschen in seiner ganzen Vollendung: Eine durchaus vergeistigte Persönlichkeit, der alle zum vollen Menschsein gehörigen Eigenschaften, Fähigkeiten und Kräfte in höchster Einheit und Zusammenordnung eingeordnet sind. Daher die höchste, vollendete geistige Größe und Macht seiner Menschheit. Die Einheit und das Zusammengeschlossensein zu einem Ganzen entwickelt eben diese volle harmonische Kraft. – Würde der Heiland das Persönliche meinerseits dulden, so würde seine Menschheit in mir eine bestimmte Einseitigkeit erfahren. Darum verstehe ich gut dieses immer weiter fortschreitende Mich-entfernen von mir.

751 |             Ich schaue und erlebe Christus als den vollkommensten Menschen. Würde man die besten Menschen alle zusammennehmen und mit dem Heiland vergleichen, so wären sie ihm gegenüber nur Stückwerke und gleichsam Teile; es fehlte eben daran diese bewundernswerte Einheit eines Ganzen, Vollendeten, des harmonisch Geordneten. –

752 |             Wie ist der himmlische Vater im „zweiten Menschen“ reich entschädigt für das, was im „ersten Menschen“ verdorben wurde! – Ich erlebe in Christus den übervollen Ersatz, der dem Vater im Menschensohne geleistet wurde. Ich kann gut begreifen und verstehen, wie Gott um „dieses“ Menschen willen der ganzen Menschheit wieder Barmherzigkeit schenkte. Im Sein Christi, in seiner vollendeten und vollkommensten Menschheit, finde ich das wie selbstverständlich. –

753 |             Ich durchlebe auch die geistige Fülle dieses Gottmenschen: Ein Gefäß, würdig und darauf hingeordnet, um als Mensch zugleich „Gott“ sein zu können und Gott-würdig, d. h., so wie es einem Gott geziemt, in sich tragen zu können. Diese, „einem Menschen“ gegebene Möglichkeit, sehe ich zurückgehen auf Maria. In ihr war der erste Grund gelegt und die erste Vorbedingung und Möglichkeit gegeben für jene Verbindung von Gottheit und Menschheit. Maria war es, die im gewissen Sinne die Menschheit wieder gottaufnahmefähig gemacht hat, indem sie jene Menschheit gab, die befähigt war, einen Gott in sich zu tragen.

754 |             Ich erlebe auch Christus in seinem Selbstzeugnis: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, indem ich seine durchdringende Geisteskraft erfahre. – Christus in der Fülle seiner Geisteskraft, die alles beherrscht und überwindet, die auch die Unordnung des „ersten Menschen“ überwunden hat. Die Erlösung der Menschheit hat sich in seiner geistigen Kraft entwickelt, in der Wiederherstellung der vollen Ordnung, die Gott im „ersten“ Menschen geschaffen hatte, die aber verloren ging und die im „zweiten Menschen“ wiederhergestellt wurde und zu einer Überfülle sich steigerte, als göttliche Entschädigung. Die Erlösung hat sich im Wesentlichen geistig in Christus vollzogen, in einer höchsten Wiederordnung der ungeordneten menschlichen Fähigkeiten. In diesem Sinne schaue ich Jesus als den Beherrscher und Bezwinger aller Geistesfähigkeiten und Geisteskräfte, als einen Herrscher, dessen Reich im wahrsten Sinne ein Reich des Geistes ist. –

755 |             Ich bin mit Jesus eingegangen in dieses Reich des Geistes, um diesen Akt der inneren Erlösung zu erleben, der sich in ihm vollzogen hat. – Ich sehe meinen Weg voraus und es war mir, als fragte mich die Stimme Christi: Willst du da immer bleiben und wie teilhaben an meinem Sein und nie mehr zu dir zurückkehren? – „Ja, Herr, ich will bleiben; lass mich hierbleiben in diesem Reich des Geistes, wo es nur Freiheit und Kraft und Ruhe gibt! In dir will ich mein volles Genügen finden.“ –

756 |             Ich spüre den unermesslichen Unterschied, der zwischen mir und dem Leben und Sein Christi besteht. (Es ist eben dieses merkwürdige Geheimnis in mir entwickelt: Es ist mir, und das ist wohl tatsächlich: Der Heiland braucht zu seinem Bestehen in mir meine Kräfte und Fähigkeiten wie die seinen, ich erlebe sein Sein als von mir gegeben, während ich zugleich die „Zuschauerin“ in diesem Erleben bin). Es ist mir, als fielen die Strahlen seiner Geistigkeit auf mich, als wolle eine unaussprechliche Kraft mich erdrücken; ich entferne mich aber dann vollständig von „mir“, dass ich ganz „Geist“ bin, denn im vollen „Geistsein“ wird der Gegensatz einigermaßen ausgeglichen, weil der Geist „leicht“ (erhaben) ist. Darum sehe ich auch voraus, dass in meinem Innenleben immer wieder Läuterungsleiden eingeschaltet werden, weil ich Christus in einer sich in mir steigernden Art erleben werde; das macht ein ständiges Wachsen in mir notwendig, damit ich ihn ertragen kann. –

757 |             Ich sehe auch in Christus ein gewisses, ständiges, geistiges Wachsen und sich weiterentwickeln der Auswirkung seiner Erlöseraufgabe, die zwar schon am Anfang seines menschlichen Seins in ihm grundgelegt und vorhanden war, aber sich in einem menschlichen Entwickeln gesteigert und ausgewirkt hat. Dementsprechend wird meine Seele stufenweise befähigt werden, immer tiefer in dieses Wachsen Christi, seiner Persönlichkeit und seines Erlösungsgeheimnisses einzugehen und wie daran teilzunehmen. Es wird eben dies kein bloßes „Schauen“ sein, sondern sich zu einem Miterleben steigern, und zwar bis zur Vollendung, als in Christus der Mensch in die höchste Art der inneren und äußeren Hinopferung nach Gottes Ratschluss einbezogen wurde. –

758 |             Gewiss, man meint immer wieder eine noch höhere Steigerung und eine noch höhere geistige Befähigung sei nicht mehr möglich, sei ausgeschlossen; man habe das Höchstmögliche schon erreicht. Aber dies gehört zu dem Geheimnis, das Jesus in mir aufgerichtet hat: Ich stehe geistig ständig wie vor einer Mauer, die mir undurchdringlich ist. Soweit er sie öffnet, erlebe ich dahinter Neues, noch nie Geschautes. Es wäre mir ganz unmöglich, mit meinem Verstand irgendetwas dazuzutun oder auch wegzunehmen von dem, was ich da erlebt habe. – Sicher bleibt die erreichte Stufe des Innenlebens bzw. des Erlebens Jesu immer bestehen, aber sie wird überholt von einer neuen. Es ist wie eine geistige Leiter, auf der man immer höher steigt und die wie notwendig scheint. Aber immer ist mir verborgen, was die nächste Stufe, die zu erreichen ist, an Erleben mit sich bringt. Gewiss, die vorausgehenden Läuterungsleiden sind auf das jeweils nächste geistige Ziel hingeordnet in einem dunklen Wissen, aber doch irgendwie undurchdringlich. –

759 |             Wenn die Tiefe und Schärfe der inneren Leiden abflaut, dann kommt an deren Stelle immer eine große, geistige Ruhe und Ausgeglichenheit. Anscheinend ist dann der Grund der betreffenden Leiden nicht mehr in der Seele vorhanden, ist der Gegensatz und das Hindernis zu der zu erreichenden Stufe weggelitten oder durch das Leiden selber entfernt. –

Abends:

760 |             Es ist ein durch die Gnade hervorgerufenes Streben und Drängen in mir, vollkommen in Christus unterzugehen, von ihm aufgenommen zu werden. „Nicht mehr ich, alles er!“ Im vollen Erleben seines Seins will ich mein ganzes Genügen haben und suchen. Mein Sein muss vollends aufgelöst werden, der mit „ER“ erstehen, ähnlich wie einstens in seinem Erdenleben. – Ich will nicht rasten und ruhen, bis Jesus dieses von ihm vorausgezeigte Ziel in mir erreicht hat. Damit erreicht er ja dann seine tiefsten Absichten, dass er wie neu für die Welt erstehe in einem neuen Verstanden- und Erkanntwerden. (So wie er es mir vor so vielen Jahren erklärte: Ich will durch dich meiner Kirche in meiner Menschheit nahekommen und mich dadurch mehr zu erkennen geben.)

761 |             Dieses Verlangen kann sich zu einer verzehrenden Glut steigern angesichts der eigenen Ohnmacht, da man einsieht, dass nur Gottes Gnade ein höheres Hineinkommen in Jesus bewirken kann und dass man trotz des eigenen Bemühens ständig vor einem verschlossenen Tore steht und doch im Vorauswissen des gottgegebenen Zieles unter dem inneren Drang danach leidet. – Alles aber wird seine Gnade tun, wenn die innerlich fortschreitende Reife der Seele sich vollzogen hat.

 

18.12.1940

762 |             Mein ganzes Inneres verzehrt sich in dem großen Verlangen, ganz im Heiland aufzugehen; dies steigert sich zu einer inneren Qual, die alles in mir auflösen möchte. Vor mir steht das große Ziel meiner seelischen Aufgabe: Christus, den Erlöser zu erleben, in ihn einzugehen, ihn in mir vollends werden zu lassen. Für diesen Zweck muss all mein menschliches Sein vernichtet werden, damit dafür seine43 heilige Kräfte ihm zur Verfügung stehen. –

763 |             Ich erlebe Christus in mir wie am Eingang eines „geistigen Tunnels“; ich muss vollends von ihm aufgenommen werden; ich werde mich in seinem Inneren verlieren, um ihn zu erfahren. Es ist ein Geheimnis in mir: Jesus lebt in mir, ich lebe ihn, aber noch bin ich nicht eingegangen in sein Inneres. –

764 |             Ich sehe dies aber bevorstehen und darum der Überdruss an mir. Alles ist er, ich will nichts mit mir zu tun haben, weil Jesus alles ist. O könnte ich diese Wahrheit ganz durchleben: Christus ist alles und es ist in Wirklichkeit so! Wer ihn einmal erfahren hat, der muss sich selbst in gewissem Sinne hassen, sich selbst vernichten wollen, weil im Überwinden und vernichten seiner selbst die wahre Ordnung, Christus im Menschen, wiederhergestellt wird. –

765 |             Was ist es Großes um die innere Wiederordnung und die volle Harmonie der menschlichen Fähigkeiten! So wie Gott den ersten Menschen schuf, war er „gut“ und wohl geordnet, waren alle seine Fähigkeiten, die höheren geistigen, sowohl wie die niederen. Das gab dem Menschen jene Ruhe und Freiheit, die so recht das Glück des Gotteskindes ausmachte im Paradies.

766 |             Diese wundervolle Ordnung wurde aber gestört durch die erste Sünde: Das geistige Begehren und Strebevermögen lehnte sich auf gegen die von Gott gesetzte Ordnung – der Mensch wollte Gott gleich sein – und diesen höheren folgten dann die niederen: Wir wollen genießen. – Es entstand im Menschen der Widerspruch gegen das Gesetz Gottes. Nicht, dass Gott das geistige Streben des Menschen lahmlegen oder unausgenützt hätte haben wollen; er hat es vielmehr als noch mehr entwicklungsfähig gegeben zum Weiterstreben in der gottgewollten Ordnung, damit der Mensch zu noch größerer Gottähnlichkeit gelange. Vor Gott war auch das niedere Strebevermögen und Begehren (wie Essen und Trinken usw.) gut und von ihm gewollt, wenn es ihn den Grenzen der gottgeschaffenen Ordnung bleibt. Aber der einen Unordnung folgten andere, sodass der Mensch völlig die Herrschaft über sich verlor, worin die Sünde lag.

767 |             Im „zweiten Menschen“, in Christus, der gleich allen Menschen dieselben Begehrungsfähigkeiten hatte, ward vom ersten Augenblick seines menschlichen Daseins an die höchste Ordnung, ein Ersatz und eine Überfülle [vorhanden], wodurch allen Menschen gleichsam ein Überströmen von neuen, geistigen Ordnungskräften geboten wurde. Gerade die innere Ordnung, die Einwendung aller Fähigkeiten auf den gewollten Zweck wurde im Menschen Christus zu jener Überfülle an geistiger Größe und Erhabenheit. –

768 |             Was den gewöhnlichen Menschen schwach und in sich zu höherem geistigen Erheben unfähig macht, ist eben das ungeordnete Begehren verschiedener Fähigkeiten, weil dadurch die Einheit der gesamten Kräfteanspannung behindert wird. Nun aber gewinnt der Mensch durch die eigene Anstrengung immer mehr an Kräften und Energien in sich selber; vereint werden diese noch stärker, und zusammen mit der Erlösergnade Jesu Christi, „jener Überfülle an Kraft“, befähigen sie den Menschen, die innere Unordnung mehr und mehr und schließlich vollständig zu überwinden. Waren die durch die Natur gegebenen höheren Energien und Kräfte durch den Fall des ersten Menschen und durch das eigene Nachgeben der Menschen gegen sich selbst gleichsam eingeschlummert und schwach geworden, so erlangt und erwirbt der erlöste, in Christus, in seine Erlösungsgnade durch die Taufe einbezogener Mensch durch den Kampf gegen sich selber immer mehr an Kraft und immer mehr die Herrschaft über sich selbst. Der Mensch leidet ja in sich am meisten unter der eigenen Gebundenheit, einer Folge der Erbsünde, die ihn scheinbar unfähig macht den höheren guten Regungen in sich zu folgen, die trotz der Erbsünde noch in ihm vorhanden sind.

Abends:

769 |             Es ist ein verzehrendes Leiden in mir: So kann ich nicht weiter bestehen; weil mir alles entzogen und weggenommen wird für Jesus; ich habe nichts, was mir irgendwie genügt; alles drängt in mir: Nicht mehr ich, sondern DU! –

770 |             Gewiss, er erfüllt mein Sein, aber es ist wie leer, nicht „geöffnet“; ich muss in „ihn hinein“. – Immer in ihm mein volles Genügen haben! Das will ich, und obwohl eine verzehrende Qual mich dahin drängt, kann ich in meiner Unwürdigkeit und Nichtigkeit doch nicht einen Schritt weiter machen. Der Heiland ist wie verschlossen vor mir und doch zieht und lockt er mich so unglaublich. –

771 |             In meinen Leiden fliehe ich zu MARIA. Ich bitte sie, mich ganz und vollends für den Heiland zu bereiten. Bei ihr finde ich doch Trost und Verstehen. Ich möchte nur immer zu ihr beten: Mutter, gib mir dein Kind ganz, ganz zum Erleben, so wie ich es als innerstes Ziel schaue und erringen muss. Du kannst es beschleunigen, indem du mir aus deiner Liebe und Reinheit ersetzest. –

772 |             Als ich sie heute Morgen wieder so ähnlich bat, gab sie mir innerlich antwortend zu verstehen: „Es muss alles durchlitten werden, um es anderen zu verdienen.“ – Ja, ich will leiden, immer leiden, Jesus erleiden für die Kirche und die Seelen in der Form, wie er sich geben will.

773 |             Wie bin ich vernichtet und beschämt, wenn ich so meine Ohnmacht und Armut schauen und damit das Ziel und den Weg meines Innenlebens vergleichen muss; beides ist sich gegenübergestellt und das erhöht mein Leiden. –

774 |             Ich muss vergehen, damit „ER“ vollends Raum gewinne. Der Heiland kann in seiner Liebe und Herablassung sich aus Schutt und Asche, in das er mich innerlich auflöst, ein neues Haus bauen und er findet nichts Besseres in mir. Das ist erdrückend, denn ich möchte ihm ein warmes Heim bieten, wie Maria; aber es ist auch meine Armut recht so, denn alles muss sterben. Leer muss ich werden und jede Möglichkeit zu handeln und zu besitzen muss mir weggenommen werden, damit der Heiland selbst alles tun kann in mir.

 

19.12.1940

775 |             Heute bin ich ruhig; die Art der Leiden von gestern ist in stille Bereitschaft und unbedingtes Vertrauen auf die innere Führung übergegangen. – Vielleicht hat Jesus in jenem inneren verzehrenden Verlangen noch etwa vorhandenes Widerstreben gegen seine Absichten in mir weggenommen.

776 |             Ich bin tiefer in ihm, bin tiefer in sein Inneres eingetreten, fühle mich darin heimelig und geborgen und bereit. Immer wieder ließ mich Jesus tröstend verstehen: In ihm, wenn ich doch nichts wolle als „ihn“, sei nichts zu fürchten, „in mir ist nichts zu fürchten“. – Und Gott weiß, dass ich nichts will, als dem Heiland gefallen, nicht um besondere Gnaden wegen, sondern einzig um Christi wegen. –

777 |             Gewiss fürchte ich, vielleicht einen besonderen Weg der Offenbarung gehen zu müssen, andere Wege als bis jetzt genannte und bekannte; davor habe ich das größte Widerstreben, aber es sei alles um Seinetwillen um seiner Ehre willen!

778 |             er wird mir nichts Schwereres auferlegen als seine Ehre verlangt, weil ja damit dann seine Absichten gefährdet wären.

779 |             Meine größte Zuversicht ist meine liebe Mutter MARIA. Ihr ist mein Inneres anvertraut. Sie kann ihr Kind nicht gefahrvolle Wege führen, und wenn sie wirklich gefahrvoll wären, so wird sie mich sicher geleiten und an den Gefahren des Irrtums oder einer falschen Auffassung vorbeiführen. Ich halte mich ganz an MARIA und das gibt mir die tiefste Ruhe.

 

Äußere und innere Leiden Christi

780 |             Wohl macht das Kreuzesleiden des Erlösers als etwas Anschauliches mehr Eindruck auf den Menschen und üben die äußeren Leiden Christi zunächst größere geistige Anziehungskraft aus. Darum entsprach es dem Bedürfnis der Menschen und der Art Gottes, zunächst das Sichtbare, Greifbare, Anschauliche wirken zu lassen, wie es sich in den äußeren Erlöserleiden zeigt. Aber wenn auch zunächst die äußeren Leiden in den Vordergrund gestellt wurden, so sind doch die inneren und äußeren Leiden Jesu, die beide dem gleichen Zweck dienen, gleichwertig vor Gott. Das Kreuzesleiden bleibt bestehen als das hervorragendste Erlösungsopfer, aber es wird nun noch mehr seine innere Ursache gezeigt; denn das Kreuzesopfer und die äußeren Leiden Jesu gehen aus seinen inneren Leiden, aus seinem Herzen hervor – sind deren Folge und Steigerung. –

781 |             Von außen für Gott nach innen. Der Heiland will die äußeren Erlöserleiden als in seinem Inneren begründet zeigen. Er will sein inneres Leiden als gleichwertig mit den äußeren offenbaren, will das Wesen der Erlösertätigkeit erklären, die schon von außen veranschaulicht und begriffen ist. Damit führt Gott die Kirche in den Mittel- und Ausgangspunkt der Erlösung ein. Den Zeitbedürfnissen und der Entfaltung und Entwicklung der Offenbarung entsprechend zeigt sich Christus seiner Kirche in einer „neuen Art“. –

782 |             Wenn man annimmt, Christus habe nur durch seinen Kreuzestod – der freilich überreichlich genügt hätte – die Welt erlöst, so liegt eher der Gedanke nahe: Ich bin fertig erlöst, denn Christus hat alles getan. Das Kreuzesopfer aber, zusammen mit dem inneren Opfer und Leiden Christi zur Wiederherstellung der sittlichen Ordnung, fordert folgerichtig ein eigenes Mitarbeiten und Selbst-Erlösen wollen. Was nämlich Christus durch seine Leiden für die Seele möglich gemacht hat, das muss die erlöste Seele in sich gleichsam fertigmachen und vollenden. Die sittliche Wiederherstellung des Ebenbild Gottes in der Seele des Menschen geschah in erster Linie durch eine wirkliche Wiederherstellung im Gottmenschen. Aus der Überfülle der Heiligkeit und der Verdienste seiner reinsten Menschheit kommen die helfenden Gnaden, auf die in der Taufe, zugleich mit der heiligmachenden Gnade, das Anrecht gegeben wird. Die Gerechtigkeit Gottes und das Wesen der Sünde und der Erlösung verlangen nicht bloß eine Genugtuung, sondern auch eine Wiederherstellung der gewollten Ordnung.

783 |             Wenn man die äußeren Erlöserleiden und den Kreuzestod allein als Sühne und Genugtuung bezeichnete, so wäre dem Heiland die Anerkennung eines wesentlichen Teiles seines Lebens als Erlöser entzogen. Schon in seinem ersten Entschluss, gemäß dem Willen des Vaters Mensch zu werden, kann man aber eine Genugtuung sehen. Christus wollte „Mensch“ werden, um in dieser Eigenschaft dem Menschengeschlecht überfließend das zu ersetzen, was es durch den allgemeinen Sündenfall verloren hatte. Insofern auch wird Christus im ersten Anfang seiner Menschwerdung zum „Haupt“, zum „ersten“ Menschen, der infolge der Vereinigung der Gottheit mit der Menschheit in sich die Möglichkeit hatte, der göttlichen Gerechtigkeit einen überfließenden Ersatz und überreiche Genugtuung zu bieten. – Wenn nun schon das äußere körperliche Leben Jesu eine solche Fülle und Kraft des Ersatzes und der Genugtuung in sich trug, so musste dies vielmehr noch von den inneren, „neuen“ Menschen gelten, da doch das Äußere aus dem Inneren hervorgeht. – Hat der Heiland das sichtbare Leben als Erlösungspreis hingegeben und zu diesem Zweck es überhaupt angenommen, so ist es ebenso sicher, dass Jesu Inneres in einer tiefen Bedeutung an der Erlösung beteiligt war. Mit dem Menschsein als „reiner gerechtfertigter Mensch“, zum Ersatz und zur Genugtuung nahm er sich zugleich der gefallenen, innerlich verdorbenen, verwundeten Menschheit an, nahm sie gleichsam in sein Inneres, in sein Herz auf, damit sie dort unmittelbar von ihm wieder geheilt und geordnet werde. – Im Kreuzestod hat sich dann das sichtbare Opfer mit dem inneren Opfer und Leiden verbunden. Kreuz und Herz Christi greifen eben ineinander und können im Wesentlichen nicht ohne Einseitigkeit getrennt werden.

 

Über Jesu Erlöserleiden

784 |             Der Heiland wollte die Folgen der Sünde in sich als solche erleiden und dadurch zugleich gutmachen. Seine inneren und äußeren Leiden sind eben die natürlichen Folgen der Sünde, denen er sich freiwillig als Erlöser überantwortet hatte. In dieser Hingabe, die er anstelle der sündigen Menschheit vollzog, liegt die unergründliche, unendliche Liebe seines Herzens. –

785 |             Christus wollte als Mensch in seiner Menschheit das gutmachen, was die Menschen an sich verdient hatten. Daher ist jedes seiner Leiden eine natürliche Auswirkung der Sünde; nicht so sehr der Zorn des Vaters über die Menschheit hat sie verhängt, sondern Jesu stellvertretende Liebe, zusammen mit der Liebe des Vaters, hat sie ihm auferlegt. Der Vater war einverstanden mit der Erlöserliebe des Sohnes, die ganz der Liebe und dem Willen des Vaters entsprach, im Sohne der Menschheit Erlösung und Befreiung von der Sklaverei der Sünde zu schenken. – So trafen den Gottmenschen nach seinem freien Willen die entsprechenden Folgen und Strafen der Sünde, d. h., jene, die von Rechtswegen der Sünde gebührten. –

786 |             In diesem Sinne steht der Erlöser als Mittler, als Erleider vor dem Vater, wozu er sich angeboten hatte, und was, zusammen mit dem Vater, nur „göttliche, unermessliche und unendliche Liebe“ ersinnen kann. – In dieser unendlichen Erlöserliebe liegt der Adel der Menschheit Christi, die unergründliche Liebe seines Herzens. Er nahm die Sünde auf sich und büßte sie an sich, innerlich und äußerlich. Er rechnete auch mit allen Möglichkeiten der Leiden, die durch die gefallene Menschheit, der er sich überantwortet hatte, einem vermeintlichen Sünder und Verbrecher als gerecht scheinende Strafe und Schande und Qual zugefügt werden konnten. – Darin liegt die unaussprechliche Demut und Selbstvernichtung des Erlösers, dass er sich ganz in die Gewalt der Sünde und der Sünder begab. –

787 |             Noch bevor er die Auswirkung in seinem körperlichen Leiden über sich ergehen ließ, war er in seinem Herzen ständig in ein ähnliches seelisches Leiden versetzt, durch den Gegensatz seiner allerheiligsten Menschheit und den Sünden, die er als Erlöser in ihren Auswirkungen auf sich genommen hat. Das Wissen um die göttliche Gerechtigkeit, die er selbst als Gott besaß, und um die Sünde der Menschheit, versetzte seine reine und unendlich zarte heilige Menschheit in einen Zustand ständiger Leiden, die in der Art des Verabscheuens und des Gutmachenwollens bestanden. Nur die heiligsten Gefühle der Menschheit Christi waren eben imstande, die Erniedrigung des Menschen voll und ganz zu erfassen, die in der Widersetzlichkeit gegen Gottes unendliche, in der Erschaffung gezeigte und kundgegebene Liebe lag. – Ersetzend und stellvertretend bot sich da Jesu Hingabe der göttlichen Gerechtigkeit als Opfer dar. –

788 |             Christus war in seiner Eigenschaft als Erlöser derjenige, der die Sünde an sich strafen ließ, und alle seine inneren und äußeren Leiden waren Auswirkungen der Sünde. In diesen Leiden wurde er durch seine unendliche Liebe das Opfer der göttlichen Gerechtigkeit. Nicht der Vater zürnte dem Sohne, sondern die Sünde forderte Gottes Gerechtigkeit heraus, wie es sich in den Leiden offenbarte, die der Erlöser über sich ergehen ließ. –

 

20.12.1940

789 |             In mir ist alles Liebe, Hingabe und Bereitschaft. Mein Inneres verzehrt sich in dem einen Verlangen, ganz im Heiland aufzugehen, ganz von ihm aufgenommen zu werden. –

790 |             Alles ist nun zur Ruhe gekommen. Es herrscht nur Einheit, volle Sicherheit in Christus in mir.

791 |             Zu Mittag in der Kapelle war diese volle Einheit in Fülle in mir. Der Heiland fragte mich: „Willst du ganz teilnehmen an MIR, an meinem Erlöserleiden, es gleichsam teilen mit mir?“ Und ich war ganz in ihm; seine heiligste Menschheit ward mir wie die meine gegeben. – O Heiland, endlich, endlich sollte ich dich ganz erfasst haben, denn im Erleben und Erleben deines Seins wird sich die ersehnte Fülle zeigen. – Ja, ich will teilen, ja, alles an deiner Stelle leiden und erleben will ich, weil ich doch damit dich ganz besitzen kann und darf. Du weißt: Wenn du nicht leidend in mir lebst, finde ich keine volle Ruhe. Eigentlich kannst nur du mir ein solch verzehrendes Verlangen, einflößen, das mich für deinen vollen Besitz zugleich befähigen soll. –

792 |             Der liebe Heiland bot mir aber zugleich seine reinste Menschheit zum ständigen Erleben an, denn „nur in dieser und mit dieser und kraft dieser sei ich imstande, das in mir zu erfahren, zu erleiden und zu ertragen, was sein inneres Erlöserleiden ausmache“. Meine Menschheit, auch in der höchstmöglichen reinen Art, sei dazu nicht fähig; sie würde darunter erliegen und vollständig in Verwirrung geraten. Darum müsse ich mir seine heilige Menschheit, in die er die meine „umgewandelt“ habe, ganz aneignen, mit Ihr leben, von dir ganz erfüllt sein, und ich dürfe nie mehr zu mir zurückkehren wollen. Und ich müsse glauben, fest glauben an die große Gnade, dir er mir gebe und glauben an seine Absichten, die er mit mir habe. –

793 |             Ich bin innerlich gesättigt, ganz erfüllt von ihm doch erlebe ich dies in einem unermesslichen „Wohlfühlen“ und „Sichersein“ in ihm, in seiner gottmenschlichen Kraft. – Alles ist frei von mir, vom Eigenen, „Alles ist in ihm“ geworden, in seiner Einfachheit und Einheit – ohne dass ich es in Worten ausdrücken könnte. – O, dass nie mehr eine eigene Regung diese wundervolle Harmonie stören möge! – Ich will ganz und für immer an ihm genug haben; gewiss sehe ich als Folge nur Leiden, Leiden, die ich nur kraft seines Seins ertragen werden können. –

 

21.12.1940

794 |             Ich bin in großem Frieden im Sein der reinsten heiligsten Menschheit Jesu. – Darf ich für ständig hier leben und weilen? Oder ist es nur ein Erleben, um von seiner gottmenschlichen Liebe ganz durchdrungen zu werden? Ich glaube an das Erstere, weil ich ohne Beschwerde und ohne einen Druck meinerseits bleiben kann. Jesu Heiligkeit hatte nichts Erdrückendes, nichts Beschwerendes für mich. Ich lebe Jesus in großer Einheit und Harmonie, wie wenn es selbstverständlich wäre, ohne irgendwelches, auch nur unbewusstes Verlangen, das sich in einem inneren Widerstreben äußern müsste – nochmals zu mir zurückzukehren.

795 |             Ich kann nun den Heiland in seinen gottmenschlichen Eigenheiten und Eigenschaften dauernd ertragen! – Wie wenig ist das, was ich verlassen habe, mein eigenes Sein im Vergleich zu dem, was mir dafür in Christus gegeben ist! – Und welche Leiden, fast möchte ich sagen Härte, musste die Liebe Jesu anwenden, bis er die arme, an sich selbst gebundene Seele so weit brachte, dass sie sich von sich selber loszumachen imstande war! – Und welcher Ersatz dafür! O, wüssten die Menschen, was es ist um Jesu heilige Persönlichkeit, welche Überfülle sie enthält und wie nur diese das Menschenherz sättigen kann: Es müsste sich allgemein wiederholen und zu dem Ergebnis kommen, das im heiligen Evangelium von den Aposteln berichtet wird: „Und sie verließen alles und folgten ihm nach“. – Das ist eben die bezwingende und beherrschende Macht seines Seins. – Und welches ist erst der Genuss seines innersten Wesens im Weilen und Verkosten seines Seins? Wenn schon die Liebe, die seinem Inneren entströmt, so erhaben und beseligend, so fein und weich und milde, so zart und süß ist, was bietet erst sein Innerstes, [das] das Zentrum und die Quelle all seiner gottmenschlichen Vollkommenheiten [ist]! In ihm erlebe ich die Fülle alles Guten! Und mit St. Paulus muss ich bestätigen: Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört und keines Menschen Herz ist gekommen, was Gott … Und mit Jesus hat man für immer genug. –

796 |             O, ich darf verweilen im Allerheiligsten, nein nicht nur dort weilen, es ist mir vielmehr zu meinem Besitz und wirklichen „Leben“ gegeben als mein „Sein“. – Christus hat sich mir zu eigen gegeben: Er will sich mir mitteilen, mich teilhaben lassen an sich! Es scheint mir kein Leiden so groß sein zu können, dass die innere, aber so sanfte und ruhige Kraft des nicht überwinden könnte. –

797 |             Und doch hat mir gestern Jesus gesagt: „Nur in Kraft meines Seins kannst du imstande sein, alle Leiden zu ertragen, die mein Inneres, meine inneren Erlöserleiden, in sich bergen.“ Christi heiligste Menschheit ist dieses Geheimnis an Liebe und Leiden, an Erlöserliebe, die aus seinem innersten ihren Ausgang nahm.

798 |             Jesus hat mir auch ein tröstliches und kostbares Versprechen gegeben, das mir Kraft und Mut bis zu meinem Leben- und Leidensende geben soll: „So sicher du jetzt mich lebst, mein gottmenschliches Sein erlebst, das sich dir mitteilt und das dich meine Erlöserliebe erleben lässt, so bestimmt kannst du erwarten, dass dies einst dein ewiger Besitz sein wird; das bedenke, wenn du unter den Leiden, die mein Sein eigen sind, 'schwach' werden möchtest!“ –

799 |             Darum verlangt der Heiland immer wieder: Glauben, Glauben an seine Gnade, die er mir gibt, und an die Absichten, die er damit hat.

800 |             Ich übergebe alles, was mich und mein Inneres betrifft, meiner liebsten Mutter MARIA. –

 

22.12.1940

801 |             Jedes Mal, wenn ich mich angeregt fühle, meine inneren Erlebnisse niederzuschreiben, empfehle ich es immer innig Maria. Schon beim Erleben eines weiteren inneren Wissens empfehle ich dieses ganz ihr an und übergebe es ihr als „ihr Eigentum“, dass sie es (in ihrem Mutterherzen) mir bewahren möge, bis sich Gelegenheit zum Schreiben habe, eingedenk der Worte der Heiligen Schrift: „Maria bewahrte all diese Worte in ihrem Herzen.“ So übergebe ich ihr alles und bitte sie, dass sie mir die rechten Worte gebe, um mich entsprechend und immer richtig ausdrücken zu können. – Sie allein hat die Geheimnisse ihres göttlichen Sohnes erkannt und durchlebt wie niemand anderer. Ihr ward ja durch die Mutterschaft gleichsam der Weg freigemacht zum Herzen ihres Kindes; Maria und ihr Kind waren wie eines. Mit der Empfängnis des Erlösers ging Maria gleichsam ein göttliches Licht auf, in das sie hineingezogen wurde, das sie mitlebte und das im fortschreitenden Wachsen und Entwickeln des Kindes in ihr immer mehr zu einer Fülle wurde. Trennte sich dann auch das leibliche Leben ihres Kindes von ihr, so wurde sein inneres, übernatürliches Leben in ihr dauernd und weiterbestehend; ja, es wurde noch tiefer und höher, weil sie im Wesen und in der Art des Kindes in sich die Bestätigung seines innerlich erlebten und erfahrenen Seins fand. Die wahre Erkenntnis Christi können wir darum nur in Maria lernen, weil niemand ihn so erkannt und durchlebt hat, wie sie. –

802 |             Ich bin und bleibe ständig in dem Sein der heiligsten Menschheit Jesu; Sie ist mir zu meinem Sein und Leben gegeben. Ich bin ganz frei von mir selbst, ich leide nicht mehr unter dem, was ich an mir selbst verloren habe – wie das früher und besonders in Läuterungszeiten so heftig war, weil noch immer ein Anklammern, ein unbewusstes Sich-selbst-besitzen-wollen in mir war.

803 |             Welchen Frieden gibt mir seine heiligste Menschheit! Mit welcher Einheit bin ich eins mit ihr! Sie ist die Meine, auf der sich jetzt weiter fortschreitend meine inneren Erlebnisse aufbauen. Diese werden mir nicht durch ein „Voraussehen“ gegeben, sondern es ist Tatsache, was ich in mir erlebe und woraus sich alles Folgende weiterentwickeln wird. Im Heiland ist mein Sein begründet und festgelegt, in ihm bin ich geborgen und sicher! Die Liebe und Zartheit, mit der ich in Jesus, von ihm aufgenommen und durchlebt bin, ist unvergleichlich inniger und größer als je eine liebende Mutter ihr Kind umfangen hat. Diese seine unendliche Liebe, ihre Freiheit und Milde gibt mir die volle Sicherheit des Vertrauens, die sich ihm vollkommen für seine Absichten überlässt.

804 |             Und ewig einmal diesen göttlichen Besitz erleben dürfen! Denn ich schaue voraus: So wie jetzt – dann ewig! Ich bin beschämt darüber, weil ich mit seiner Gnade das Wenige verlassen und aufgegeben habe, das doch nur böse und unberechenbar und sündhaft war, ich bin in den Besitz seines heiligsten gottmenschlichen Seins gelangt; und er verspricht mir: Ewig wird dies dein Anteil sein. – Und doch hat im Grunde er alles getan; ich war und bin immer nur die Empfangende. –

805 |             Heute aber ward mir in Christus ein Geheimnis gezeigt und seine sich darin offenbarende unendliche Liebe hat mich erschüttert.

806 |             Ich sah meine weitere Entwicklung in seiner heiligsten Menschheit und es schien mir ein ständiges Bemühen meinerseits notwendig zu sein. Ich lebe Jesus, aber dies wird zu einem Erleben seines Erlösungsgeheimnisses führen und dieses Erreichen wird immerfort von meinem eigenen Mitwollen abhängen. Ich muss ständig glauben, muss alle meine Geistesfähigkeiten bis ins Letzte anspannen, muss mich gleichsam dazu opfern bis in die letzte Opfermöglichkeit. Was meine innere Aufgabe in sich schließt, wird sich alles „menschlich-fortschreitend“ erfüllen.

807 |             Ich sehe mich jetzt in dem „Kindsein“ seiner heiligsten Erlösermenschheit. Was ich innerlich erlebe, ist das Wesen seines gewöhnlichen Seins, die Grundlage seines Menschseins, dessen innerster Inbegriff. Ich bin also dort, wo ich anfange. Die erste Stufe ist anscheinend erreicht: Ich habe mich mit seiner Gnade „selbst verlassen“ können und bin fähig, ihn in seinem gewöhnlichen gottmenschlichen, ruhigen Sein und Zustand zu ertragen. Von da fängt mein Weg eigentlich erst an. Ich bin gleichsam in den „Kinderschuhen Christi“. – Ich hatte heute viel Licht über Jesu Erlösermenschheit, über das Geheimnis der Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur in einer Erlöserperson, über die Tätigkeit und das Zusammenwirken beider Naturen im Erlösergeheimnis. Ein solches Geheimnis konnte nur Gottes unendliche Liebe ersinnen. –

808 |             Ich erlebte entwickelt die Erlösungsnotwendigkeit. Ich schaute „den ersten Menschen“ aus der Hand Gottes hervorgehen; er war „gut“. Es folgte die Auflehnung, die Widersetzlichkeit gegen Gottes Gesetz und die angedrohte Folge und Strafe. – Gott entzog dem Menschen seine Freundschaft; der Mensch kam in die Gewalt dessen, dem er gefolgt war und auf den er gehört hatte, in die Gewalt des bösen Feindes. Zugleich verlor er in sich die höhere Richtung, die ihn früher ständig auf Gott hingerichtet hatte; er kam zum Bewusstsein seiner selbst und seiner inneren Anlagen, und es erwachten in ihm all die verschiedenen Möglichkeiten und Fähigkeiten, die nun nach der ersten Unordnung sich gegen Gott betätigen wollten. Der Mensch verlor in sich den Halt und die Gewalt über sich selbst, die früher durch die Freundschaft mit Gott wie selbstverständlich war. Wie Wasserquellen brachen die schlummernden Anlagen und Fähigkeiten im Menschen hervor und wollten sich betätigen, wollten herrschen in der Richtung gegen Gottes Gesetz. Und der Mensch war seiner eigenen Schwäche und zugleich der Gewalt des bösen Feindes ausgeliefert; die Natur des Menschen war verdorben, krank, widerstandslos in sich selber, in der Gewalt des Bösen. Der Mensch litt darunter; er wollte zwar noch das Gute, aber es gelang ihm nicht, weil die Kraft es zu vollbringen nur mit der Gnade und Freundschaft Gottes möglich war. Es war eine unheilvolle Kluft entstanden zwischen Gott und den Menschen.

809 |             Dieses Unheil übertrug und vererbte sich bei der Vermehrung des Menschengeschlechtes von einem Menschen auf den anderen und auf alle Menschen, weil

1. das Naturgegebene, Übertragbare als Anlage sich weiter vererbt hat nach dem von Gott geschaffenem Naturgesetz und

2. weil niemand fähig war, Gottes Barmherzigkeit und Freundschaft zu erwerben und die Gewalt des bösen Feindes zu brechen, in die der Mensch sich begeben hatte.

810 |             Es handelt sich also um etwas Leibliches, Natürliches und um etwas Geistiges. Und dieses zweifache Übel nennen wir die Erbsünde; Vererbungsgemäß war der Mensch in einem gewissen Grade dem Teufel anheimgegeben.

811 |             Ich habe innerlich diese natürliche Übertragung in Form der „Erbsünde“ vom ersten Menschen auf alle erlebt und geschaut. Ich muss gestehen: Ich habe immer an die Erbsünde und deren Folgen geglaubt, schon deshalb, weil ich sie ja selbst erlebt habe, aber dieses jetzige Erkennen war so klar und selbstverständlich, dass es mir wie natürlich schien. Der Mensch konnte sich selbst nicht helfen und erretten, weil seine Natur verdorben war. Gott aber wollte ihn retten und Gottes Liebe ersann das höchste Wunder, den Weg zur Befreiung des Menschengeschlechtes aus der Gewalt des Menschen in sich selbst und aus der Gewalt des Teufels.

812 |             „Gott selbst kommt und erlöst uns“. Die zweite göttliche Person verband sich mit einer „neuen Menschheit“ in Maria. Diese reine, neue Menschheit war durch Gottes unendliche Liebe bestimmt, eine Neuordnung im gefallenen Menschen herzustellen. Dieser Erlösernatur ward von Gott eine Menschenseele mit den gleichen Fähigkeiten wie die der „ersten Menschenseele“ gegeben, aber zugleich mit der höchsten Entwicklungs- und auch der höchsten Leidensfähigkeit. Diese Seele war zusammen mit dem Erlöserleib bestimmt, eine Neuordnung der seelischen und leiblichen Anlagen, Kräfte und Fähigkeiten im Menschen vorzunehmen. Gottheit und Menschheit, zusammen in der einen Person, waren zugleich an dieser Neuordnung und Erlösung beteiligt.

813 |             Ich erlebe diese reinste, heiligste Menschheit, diese göttliche Erlöserperson. Ich schaue als die stärkste Macht in den erlösungsbedürftigen Menschen die Macht des bösen Feindes, die eine ewige Überantwortung an diesen mit sich bringen kann; deshalb bot Christus sein Leben als Lösepreis an und begab sich in den Tod, um die Menschen vom ewigen Tod zu befreien. Das war das größte und wichtigste in seiner Erlösertätigkeit.

814 |             Die höchste innere Ausübung der Erlösertätigkeit bestand in einer Erneuerung der geistig-menschlichen Fähigkeiten. Jesu reinste Menschheit schaute durch das Licht und Wissen, das er als Gott hatte, den unermesslichen Abgrund und die große Kluft, die zwischen Gott und Mensch bestand. Die göttliche Gerechtigkeit forderte eine entsprechende Überbrückung, Gutmachung, Heilung. Der Mensch sollte wieder in eine geordnete Harmonie mit Gott kommen und der Seele sollte die Kraft gegeben werden, sich in Freundschaft mit Gott zu befinden, von dem er getrennt war. Diese Möglichkeit zur Neugestaltung und Befreiung ward der verdorbenen Menschenseele in Christus gegeben.

 

24.12.1940

815 |             Ich bin leer von allem, was ein Mensch sonst zum inneren Leben braucht. Ich lebe Jesu inneres rein geistiges Sein, wie in einem Geiste, der nichts an Leben bietet, weil dieses geistige Sein Jesu mir jetzt leer scheint. Es ist dies aber ein Zustand einer höheren Läuterung, um für immer mit dem Heiland als meinem Sein auskommen zu können. Vollständig frei von mir muss dieses werden, damit Jesu Menschheit die volle Kraft und überhand gewinnt. Er arbeitet und poliert an mir, aber wie könnte ich sein ständiges „Mich mir ganz wegnehmen“ beschreiben? Er sieht wohl die feinsten Regungen meinerseits, die sich in „sein Leben in mir“ einmischen wollen oder noch nicht entfernt sind. Und ich lasse ihn gerne machen; ich will nichts für mich; er vollendet sich selbst in mir. Zuweilen kann das wohl wehtun, aber so ist es recht. Nur er, nicht mehr ich!

816 |             Gestern Abend sah ich, wie in seiner Menschheit voraus oder diese ließ mich schauen: Das Erleben seines inneren Erlösungsgeheimnisses soll nicht allein zum Zweck einer Offenbarung für die Kirche dienen; es fließen damit zugleich auch „neue große Gnaden“ für die Kirche; Kraft dieser Gnaden wird ein „neuer Geistesweg“ gezeigt und erklärt, wie nämlich die erlöste Seele die durch Christus überreich vollzogene Erlösung mehr oder weniger vollständig in sich verwirklichen könne. – Die durch die inneren Erlöserleiden schon gegebenen und verdienten Gnaden werden den Seelen durch das Erleben der Erlöserleiden mehr zugänglich gemacht. Christus ist bereit, die schon erworbenen Gnaden für die Seele in einer weiteren, volleren Art zu eröffnen.

817 |             Ich bin unsagbar ruhig und bereit; ich will in allem Jesu Absichten zur Verfügung stehen. Ich fühle in mir alle Rücksicht auf mich selbst überwunden; dieses Freisein von mir gibt unglaublichen Frieden und Kraft, weil so dann Christus mich voll erfüllen und durchleben kann.

 

Weihnachtsfest

818 |             Heute Nacht, bei der heiligen Kommunion, in der Mitternachtsmesse ward ich ganz frei von mir in Jesu heiligster Menschheit. Ich fühle und es steht fest: Ich bin an einem Wendepunkt meines Innenlebens angelangt. Ich lebe Jesus wie mich, und zwar so, dass es mir selbstverständlich scheint und gar nichts Besonderes. Alles ist in ihm geordnet. Nur die Fülle des Geistes und der Kraft, die mich durchlebt und die mich über mich selbst hinausgehoben zu haben scheint, macht mich so unerklärlich leicht und frei und vergeistigt. –

819 |             Ja, der Heiland ist getreu, und genau nach dem vorausgeschauten Ziel bewegt sich die innere Erfüllung. Nur ist die Wirklichkeit des Erlebens ungemein tiefer und stärker, und somit scheint der Heiland weit mehr zu geben, als man es im Vorausschauen erfassen konnte. – Nach der heiligen Kommunion war mir in und mit ihm das Wissen gegeben, dass jetzt sein eigentlicher Weg beginnt, dem alle jahrelangen Vorbereitungsleiden galten: Christus in seinem inneren Erlösungsgeheimnis erleben, denn nicht im „Schauen“ oder „Offenbaren“ sei dieses Geheimnis zu erklären, sondern im Nacherleben in seiner heiligsten Menschheit, wie an seiner Stelle es erfahrend und erleidend. Es ist so schwer, in Worten auszudrücken, weil es mir der Heiland nicht in „Worten“ erklärt; in seinem Sein empfange ich vielmehr das Wissen um ihn und seine Absichten; ich schaue und erlebe die weitere Entwicklung „in ihm“, der sich ständig in mir vollendet und dementsprechend mir seine Mitteilungen zukommen lässt. In der nächsten Zeit scheint nun eine vollständige Änderung in meinem Innenleben einzutreten. Das innere Erfahren wird sich in einem „Erleiden“ vollziehen.

820 |             Ich weiß ja einigermaßen aus dem oftmaligen Erkennen und Schauen seiner inneren Erlöserleiden, in welcher Art sich dieses, sein inneres Leiden vollzogen hat und wie sich in „seine Seele die Sünde gelegt“ hat, aber für dieses Geheimnis besteht keine menschliche Erklärung und würde auch keine genügen, um es klar und tief genug ausdrücken zu können, weil dies ein „rein geistiges Gebiet“ ist. – Anders verhält es sich mit seinen äußeren Leiden, die zugleich als eine greifbare Tatsache sichtbar geschaut werden können und die der Heiland auch durch manche Seelen schon veranschaulicht hat. Anders sei es auf dem rein geistigen Gebiet der inneren Leiden; ich würde durch die Teilnahme an ihm, durch das Erleben seines Seins ganz da hineingezogen werden und es würde mir alles innerlich so begegnen wie ihm. –

821 |             Ich begreife meinen inneren Weg, und er hat für mich jetzt nichts Erschreckendes und Niederdrückendes mehr, weil meine natürlichen Anlagen „in ihm“ geworden und gleichsam in ihm umgewandelt sind. Es ist nur das Streben in mir mich ganz ausschalten zu können, um in möglichst vollkommener Weise in ihm vollendet zu werden.

822 |             Schon in den ersten Jahren der inneren Begnadigung sprach Jesus wiederholt in Gnadenstunden zu mir: „Ich möchte eine Seele finden, in der ich mich innerlich wie wiederholen kann; ich will mich in dir wiederfinden; ich will in dir meine Leiden nochmals wiederholend zeigen – durch dich an meiner Stelle“. – Öfters auch gebrauchte er die Worte: „O könnte ich eine Seele finden, in der ich so ganz leben kann!“ Und ich fühlte die Glut seines Verlangens, sich mir ganz mitzuteilen. – Ich habe mich ihm jedes Mal voll Liebe angeboten: „Ich bin bereit, nimm mich, ich will nur das eine: Ganz 'du' werden zu können, weil ich dann auf das Vollkommenste dich lieben kann“. –

823 |             Und ich war durch eine außergewöhnliche Vereinigung ganz in ihn hineingezogen, sodass ich vollkommen von ihm durchlebt war. Damals verstand ich aber bei Weitem nicht ganz den Sinn seiner Absichten, aber Jesus arbeitete dauernd in meiner Seele zur Vorbereitung auf dieses hohe Ziel. –

824 |             Und jetzt scheint der Heiland das wahr gemacht zu haben, und ich bin darüber voll Freude und Frieden. –

 

28.12.1940

825 |             Nach einem schweren inneren Läuterungsleiden ging ich gestern Abend in einen neuen geistigen Zustand ein. In großer innerer Ruhe in der Kapelle durchströmte mich Jesus mit sich. Er war es, der blieb, und das Meine war nicht mehr vorhanden.

826 |             Er ist es, der mich lebt, aber es scheint nichts Besonderes, sondern es ist das vollendet, was er in mir aufgebaut hat, sein Sein. – Es gibt kein Wort, um mein Inneres zu erklären; es ist lauter Geist, Harmonie und Einheit; nicht nur mit ihm, sondern es ist nur eines: „er“. – Ich meinte, unter der Fülle des Geistes unmöglich schlafen zu können, weil ein geistiges Element mein inneres Sein beherrscht. –

827 |             Heute Morgen vollendet sich die gestrige Stufe weiter. Es gibt kein Wort dafür. Ich lebe ein neues Leben, das Leben Christi; ich brauche das nicht mehr zu glauben; es ist so. – Nach der heiligen Kommunion ist mir dieses Sein Christi in mir „ein Unterpfand des einstigen ewigen Besitzes“. In dieser Bürgschaft sei die Kraft vorhanden, ihn ertragen zu können bis zur Vollendung der irdischen Wanderschaft.

828 |             Ich genüge mir so; ich habe alles, was ich brauche; in ihm ist alles gegeben. – Auf mich ist gelegt das geistige Schicksal der Kirche, auf mir lastet eine geistige Hebung der Kirche. Mit ihm bin ich der Erleider neuer Ströme von Gnaden, durch die er sich in einer neuen Art seiner Kirche offenbaren will. – Ich nehme voll von ihm Besitz, denn „je nach der Fülle seines Lebens, das offenbar werden soll, werden sich seine Absichten mehr oder weniger erfüllen und Frucht bringen“. – Ich will meine Aufgabe bis zur letzten Möglichkeit getreu sein, damit seine Gnaden über das Werkzeug voll ausströmen können.

829 |             Christus ist Ruhe und Kraft und Leben; dies bin ich nun in mir, ohne es in Worten erklären zu können. – Ich kann nichts beten, nicht einmal gut ein Ave Maria, weil mir in meinem Inneren alles gegeben ist, und alle geistigen Güter in mich eingeschlossen sind, auch MARIA. Ich habe jedoch keine Ahnung, wie sich nun alles weiterentwickeln wird. Ich stehe vor einem verschlossenen Tor, das ich selbst bin. Es ist mir nur das eine Verlangen gegeben, diese Stufe mir ganz anzueignen und sie zu durchleben als Vorstufe zur nächsten. –

 

31.12.1940

830 |             Seit gestern bin ich in einem merkwürdig schweren geistigen Leiden. Christi Sein vollendet und vervollkommnet sich fortgesetzt in mir.

831 |             In der letzten Zeit war ich in und mit und durch Christi Sein gleichsam über mich hinausgehoben, war in Jesus als „ER“ wie über meinem früheren eigenen Sein stehend. Die unaussprechliche Geistigkeit trug mich gleichsam und gab mir ständig etwas Erhabenes, von meinem früheren, gewöhnlichen Freien. Ich wurde gleichsam von Christus getragen, durchdrungen, und das gab mir etwas Außergewöhnliches, Spürbares, wenn auch Vergeistigtes. Gestern Nachmittag nun verschwand dieses ganze, gleichsam über mir entwickelte Jesus-sein. Ich erlebte die innige Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur zu einem Wesen, das aber, von außen gesehen, rein menschlich und von Christus auch so erlebt schien. So tief und innig war die Gottheit mit der Menschheit verbunden, dass sie für den Menschen in Christus etwas Selbstverständliches, wie Natürliches war, das ihm unbedingt eigen, zugehörig, notwendig war. Sie war ein unbedingt notwendiger Abschluss seines Erlöserseins. Die gottmenschliche Erlösernatur schien allen anderen Menschen gleich, obwohl sie von göttlicher Kraft und wirklichem göttlichen Sein durchlebt war. Beide Naturen waren so innig miteinander verbunden und verschmolzen, ich möchte sagen, wie das Blut, das alle Teile des Körpers durchdringen muss, um die Lebenstätigkeit im Menschen zu erhalten; so durchdrang die Gottheit der zweiten göttlichen Person die heiligste Erlösermenschheit und machte nur Eines daraus: einen Gottmenschen. Wie aber das Blut das Lebensspendende im menschlichen Körper ist, so war die Gottheit in Christus das Höhere, Bestimmende, Regierende, das Letzte, was die Menschheit Christi gleichsam „fertig“ und lebensfähig machte für ihre Erlöseraufgabe.

832 |             Gestern Abend entschwand jene Geistigkeit über mir und schien mich in mir ganz zu durchleben, wie wenn sie mir zugehörig sei. Dabei entging mir scheinbar jene tragende Kraft, die mich „von oben herab“ gestützt und geleitet hatte und die mir unbedingt notwendig schien, damit ich meinen inneren Seelenzustand aushalten und ertragen konnte. Ich kam wie in eine unaussprechliche Verlassenheit und geistige Kraftlosigkeit; ich glaubte, fast nicht leben zu können, weil mir diese obere Stütze fehlte. So schien es mir.

833 |             Zugleich aber mit diesem großen, inneren Leiden erlebte ich, als würde jenes „höchste Leben“ über mir nun in mich versetzt und übertragen; ich wurde ganz durchdrungen von dem, was ich vorher als „über mir“ erlebt habe.

834 |             Heute bin ich ausgeglichen und ruhig in mir, doch erlebe ich klar die Änderung, die Jesus mit seinem Sein in mir bewirkt hat; wie das Blut hat mich dieses höchste Sein durchdrungen, und ich lebe jetzt ganz von dem, was eigentlich mein Leben ist. Jesus scheint ein wirkliches Wunder in mir zu schaffen: Jesu gottmenschliche Erlösermenschheit soll ich nachleben, so, dass sie mir als die meine erscheine; dadurch soll eben nach seinen göttlichen Absichten dieses Geheimnis geoffenbart werden. –

835 |             Immer weiter vollendet sich dieser gnadenvolle Zustand in mir. Ich brauche es nicht mehr zu glauben wie früher; mit dieser inneren Umwandlung ist mir vielmehr alles gegeben; ich lebe Jesu Leben, seine heiligste Erlösermenschheit. Doch scheint mir dies bei allem ganz einfach, ruhig, natürlich. Gewiss leide ich unter dem Ungewohnten, Erhabenen, unaussprechlich Reinen; da aber durch das geistige Leiden das eigene „Abgestorbensein“ sich immer tiefer vollzieht, scheint mir auch dieses „Leben“ immer mehr wie natürlich und notwendig, weil ich sonst nichts mehr habe, um „leben“ zu können. Und zudem wird mir ständig Christi Leben angeboten. –

 

Abends

836 |             Weil der liebe Heiland es will, möchte ich seiner unendlichen göttlichen Liebe und Gnade die Ehre geben und folgende Erklärung schreiben: So wie heute habe ich Jesus noch nie „gelebt“. Ich bin von ihm durchdrungen und durchlebt, wie das Blut den Körper durchströmt und ihm das Leben gibt. Ich lebe Jesu Leben. – Ich glaube das und will es immer glauben, auch wenn dieses Leben vielleicht einmal im Gegensatz mit dem heutigen ruhigen Sein sich nur als Leiden und Widerstreben äußern wird. Ich glaube, dass ich in Jesu „Sein“ eingegangen bin. Gewiss, der Heiland in seiner Person kann sich nicht wiederholen, aber er hat tatsächlich ein großes Wunder der Gnade in mir gewirkt; sein Leben hat sich wie „wiederholend“ in mir innerlich gebildet. –

837 |             Ich leide mit ihm, dass er seine innere Erlösertätigkeit, sie gleichsam wiederholend, zeigen kann. Wie sich das vollzogen hat, ist mir ein Geheimnis, auf welche Art sich das auswirken wird. [SIC!] – Jetzt ist sein ruhiges Sein in mir, oder ich bin in dieses umgewandelt worden. Es ist in mir eine unaussprechliche Ruhe, Freiheit, Fülle und ein Zusammengeschlossensein aller Fähigkeiten zu einem harmonischen Leben und Sein. Ich spüre nicht die geringste, ungeordnete, sündhafte Neigung (und das schon seit langer Zeit), aber es vervollkommnet sich das noch immer. Alles in mir ist auf das Gute gerichtet; ich bin eingegangen in jene Harmonie, wie Jesus mir so oft sein inneres Sein zum Leben angeboten hat. –

838 |             In diese Richtung fortschreitend sehe ich nun eine weitere Vollendung und Umgestaltung meines persönlichen Seins in ihm. Das Ziel ist eben: Jesu Erlösermenschheit zu erleben; von dieser Reinheit und Freiheit aus, Jesu inneres Leiden als Opfer für die Sünden der Menschen zu erfahren und damit das innere Erlösungsgeheimnis zu erleben und zu erleiden. Wie sich das vollziehen wird, ist mir, trotz der inneren Fülle, wie ein verschlossenes Tor; doch Jesus will, dass ich dies als Zweck und Ziel all seiner Gnaden glaube.

839 |             Ich sehe in meinem Innenleben seit meiner Kindheit zwei Ziele: Das erste, das mir schon in den Jahren der Unterscheidung und bei der ersten besonderen Gnade (mit sechs Jahren) eröffnet wurde, war das Streben: Ich muss zurück zu jener Reinheit, wie sie der Mensch einst bei der Erschaffung im Paradies hatte; (in einem, mich stets begleitenden inneren Lichte war mir darüber eine bestimmte Erkenntnis). Das war schon das mehr unbewusste und wie selbstverständliche Streben meiner Kinderjahre und steigerte sich in meinen Jugendjahren zu einem unbedingten, bestimmteren: Ich muss es erreichen. – Über dieses Streben hinaus wurde mir dann durch ganz besondere Gnaden (mit 21 Jahren) als zweites Ziel eröffnet: Jesu Sein und Leben in mich aufzunehmen, in ihm umgewandelt werden, weil er eben sein inneres Erlösersein wiederholend zeigen, und mich dazu heranbilden und befähigen wolle, und zu diesem Zweck solle ich mich „ihm leihen“.

840 |             Gewiss war es ein mühsamer Weg der Läuterung und Leiden. Doch Jesus bestätigt mir heute wiederholt: „Ich habe dieses Ziel in dir erreicht“.

841 |             Ich habe die entsprechende Reife in ihm (so bestätigt mir der Heiland immer wieder). Es ist so; denn wie ich mein Innenleben fühle, das und so kann nicht ich sein. – Und doch ist dieses „Leben“ so selbstverständlich und einfach erlebt, dass es scheint: Ich bin es. –

842 |             „Lieber Heiland, ich glaube an deine übergroßen Gnadenwunder, die du mir zur Erfüllung deiner Absichten gewirkt hast. Ich will ganz und vollkommen das Opfer deiner Absichten sein und werden. Dein erlebtes Sein in mir ist mir die Bürgschaft, dass mein Inneres keine Täuschung ist, weil der Mensch auf gewöhnlichem Wege nie und nimmer diese innere Freiheit und Reinheit erreichen kann. Ich glaube an deine Gnade und an das Wunder, das du an mir wahr gemacht hast, wenn mir auch der Weg und die Auswirkung deiner Absichten verborgen und verhüllt sind.

843 |             Durch dieses Bekenntnis will ich deiner Gnade die Ehre erweisen. Ich schließe vollständig ab mit mir, so wie heute das alte Jahr schließt. Ich beginne ein neues, vollkommeneres Leben zum Heil deiner Kirche. Ich will mich weiter ganz deinem Leben und Sein überlassen, damit es, dein inneres Erlösersein in seiner inneren Auswirkung wiederholend, sich möglichst vollkommen erklären kann.“

Maria von Jesus dem Erlöser.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Jahr 1941

 

Grundlage M1

 

 

Januar

01.01.194144

844 |             Ich habe heute innerlich erfahren: Es gibt noch einen höheren Grad des Eingehens in Jesus. – Die heutige Stufe, die ich bei der heiligen Kommunion erhielt und jetzt im weiteren Entwickeln ist, hat noch etwas Tieferes, obwohl mir gestern wegen der inneren Fülle des Seins in Jesus ein weiteres Fortschreiten unmöglich schien. Das heutige Erleben ist bewusster, klarer, vollendeter, mehr erfasst; meine Natur leidet zwar unter der Tiefe des inneren Erlebens, als wenn die geistige Höhe das unterhalb Liegende, die niedere Natur verdemütigte und vernichtete. Das ganze Streben geht aber dem lichtvollen Ziele zu: Jesus vollkommen und vollendet leben. Der Heiland hat wohl deshalb gestern von mir eine bestimmte Erklärung des Glaubens verlangt, weil er auf dieser in mir erreichten Höhe weiterbauen will. Ich spüre ja innerlich: Jesus will Glauben, unbedingten Glauben an seine Gnaden und dazu freiwillige, weitere Hingabe, sodass seine göttliche Freigebigkeit, seine liebenden Absichten und meine freiwillige Hingabebereitschaft sich zusammenschließen. Er will aber zugleich, dass ich die Folgen der Hingabe als die Auswirkungen der Höhe und Tiefe seiner Gnaden anerkenne.

845 |             Ich erlebe auch eine Änderung in mir: Früher war mein Innenleben mehr ein „Annehmen und Entgegennehmen seines Seins“, verbunden mit einem scheinbaren „Todmachen meines Eigenen“. Jetzt aber scheint diese Stille aktiv zu werden; ich soll „wollen“ und, der inneren Führung entsprechend, alle Kräfte auf die seinen in Tätigkeit setzen. Darum ist Jesus heute anders in mir als gestern: Er will „leben“, sich entfalten, tätig werden; alles muss ihm dienen. Er wird meine Kraft gebrauchen für sich und er ist es, der sie gebrauchen wird. Darum wird das vorher anscheinend „stille“ Leben tätig und bewusst. Jesus gebraucht und lebt mich. Alle Energien in mir werden tätig für ihn. Ich erfahre und erlebe in mir seinen Willen: Willst du alles sein, was ich bin? – Ich will alles sein und erfahren, was du bist in deinem Erlöserleiden. – Und doch ist diese Anregung eine weitere Offenbarung der stets fortschreitenden Erhöhung seines Lebens, das mich für sich gebraucht, damit ich, einbezogen in „ihn“ und seine Leiden, alles sein wolle, was „er“ ist.

 

02.01.1941

846 |             Ich bin in schweren geistigen Leiden, bin allein in Jesus, getrennt von mir selber, weit weg von allen Geschöpfen. Er ist allein eine Person ohne Anlehnung an andere Stützen, die ihm irgendwelche Hilfe und Trost geben könnten, weil Jesus eben allein „Erlöser“ ist.

847 |             Ich habe alles in mir, was ich brauche an geistigen Gütern, an Kraft und Trost. Es ist aber jetzt ein Übergang in mir, um die Fülle Jesu als die meine gebrauchen zu lernen. Deshalb nimmt er mir das Eigene, meine Person Stützende, damit ich gleichsam gezwungen sei, die überfließenden Güter Jesu als die eigenen zu verwerten.

848 |             Dies ist ein Geheimnis, das Jesu nachzulebendes Sein in sich schließt: Mit ihm und mit allem, was er in sich ist, für immer genug haben. Mir scheint, diese rein geistigen Leiden führen mich ein in die innere Fülle Jesu, in der alles gegeben ist.

849 |             Jesus hat sich als Gott begnügt mit dem, was ihm der Vater mit dem aus Maria genommenen Sein gab; die Enge und Beschränktheit dieses menschlichen Seins fand Ersatz im göttlichen Sein, das ihm alles bot, was seine heiligste Erlösermenschheit bedurfte. Es ist aber der gewöhnlichen menschlichen Natur eigen, in Gleichgearteten, im Menschen eine Stütze zu suchen und zu finden. Daher spüre ich eine feine, hohe Art des Leidens in dem Sinne: in Jesus für immer genug zu45 haben; ihn mir ganz anzueignen und zu gebrauchen. Dabei fühle ich mich aber so leicht und frei; ich spüre, wie ich in Leiden weiterschreite, hinein in ihn, wo volles Genügen herrscht. Und das gibt denn unaussprechlichen Frieden, die Fülle seines Friedens und seiner inneren Ausgeglichenheit.

850 |             Das ist der Unterschied zwischen der jetzigen und der früheren Art meiner inneren Führung; früher wurde mir Jesus gegeben; jetzt eigne ich ihn mir an; ich durchlebe ihn, ich erfahre ihn im Erleben. Und er genügt mir reichlich. Mag es auch für mein niederes Sein ein natürlicher Schmerz sein, dass es sich dem höheren Streben ganz unterordnen muss: Ich will kein Mitleid haben, sondern es gibt nur ein Ziel: Jesus durchleben in seinem tiefsten Sein.

851 |             Man kann auch im Leiden ruhig und zufrieden sein. Es fehlt aber für die tiefen inneren Erlebnisse der richtige Ausdruck; die Worte sind viel zu grob dafür. Alle Leiden und Vorgänge im Inneren Jesu, die ich erlebe, sind so unsagbar fein und vergeistigt und zart.

852 |             In diesen feinen inneren Erlebnissen verstehe ich erst, wie viele harte, grobe Leiden vorher kommen mussten, ehe Seele diesen feinen „Schliff“ erhielt, wo man die feinste innere Bewegung wahrnimmt und beachtet, die stille Regung der Gnade sofort aufnimmt und auch das kleinste Vorkommnis in der Seele nicht gering achtet. Das bezieht sich auch auf eigene Regungen und kleine Fehler, die dem allerreinsten Sein Jesu widersprechen. Daher diese unaussprechliche innere Verfeinerung des eigenen Gemütslebens und der geistigen Empfindsamkeit.

853 |             Dieser Vorgang der Verfeinerung der inneren Akte entspricht meiner Aufgabe, die Tiefe und feine Art des Gemütes und der Seele Jesu annähernd erfassen und begreifen zu lernen, weil sich nur daraus seine inneren Leiden erklären lassen. Das gleichsam harte, derbe und trockene Gemüt muss lange gehämmert und poliert werden, um Jesu feinste Regungen aufnehmen und beachten zu können.

854 |             Einen großen Teil dieser inneren Verfeinerung bewirkt schon die Liebe und durch die Liebe geht man zuerst in das Gemüts– und Gefühlsleben Jesu ein. Was man liebt, will man im kleinsten zu erfahren suchen; daher der erste Weg46 des Einfühlens in Jesu Absichten, das innere Erforschen-wollen seines leisesten Willens und Wunsches. Durch dieses Streben bekommt man ein feines Gefühl für die leisesten Herzenswünsche Jesu, die deshalb nicht minder stark und bestimmt sind. Im Gegenteil: Je mehr das früher sinnengebundene Gefühl vergeistigt wird, desto klarer und bestimmter, wenn auch stiller und zarter, erkennt man den Willen Jesu.

855 |             Diese innere Verfeinerung verschärft auch die inneren und äußeren Leiden, weil dadurch die Empfindsamkeit gesteigert wird. Es wird aber auch das schmerzliche Widerstreben der Natur durch die Bereitwilligkeit zum Leiden gemildert, weil mit dem inneren Fortschreiten alle Leiden im Voraus bejaht werden und das eigene Abgestorbensein wächst. Man geht auch hierin über sich hinaus und will das eigene, widerstrebende Gefühl nicht beachten.

 

03.01.1941

856 |             Mein inneres Eingehen in Christus und Teilnehmen an seinem Inneren entwickelte sich weiter in mir. Ich bin mit ihm wie in einem geistigen Tunnel. Es sind aber nicht mystische Gnaden, wie sie in früheren Jahren scheinbar von außen an die Seele herantraten, und wie außerhalb der Seele von dieser aufgenommen wurde, sondern es vollzieht sich jetzt alles unmittelbar in mir.

857 |             Ich bin in diesem „Tunnel“ wie vollkommen abgeschlossen von mir: Zu beiden Seiten ist gleichsam eine „Wand“, die Trennung von mir und von allen Geschöpfen. Vor mir ist in einem geistigen Schauen fast ständig Jesu Inneres, an dessen Eingang ich stehe. Je mehr ich in dieses Geheimnis seines Herzens, innerlich weiterschreitend, eindringe, desto mehr verschwindet alles Frühere meines Lebens und meines einstigen Seins. Es ist mir dabei, als nehme ich nach dem Grad des unbedingten Zurücklassens alles Eigenen ihn innerlich auf, sodass er in mir das Vollkommene, Beherrschende wird.

858 |             Ich kann dieses innere Weiterschreiten in ihn hinein geistig gut unterscheiden, aber es fehlt das rechte Wort, um es auszudrücken. Es sind so feine und doch so starke Erlebnisse, aber nicht nur Erlebnisse, sondern Wirkungen und Veränderungen in mir.

859 |             Dieser geistige „Tunnel“ ist das Innere Christi; ich bin am „Hineingehen“, ich nehme ihn auf, um ihn zu leben. Freilich vollzieht sich dieser letzte, volle Übergang in rein geistigen Leiden. Das Eigene, scheinbar Notwendige versinkt wie in Finsternis; angesichts des „Lichtes“ und des vollkommenen Besitzes und Ersatzes hat es keine Bedeutung mehr. Ich lasse es zurück, weil das eigene Freisein grenzenlos sein muss in Anbetracht des unendlichen Besitzes, der mit dem Inneren Jesu aufgenommen wird.

860 |             Es ist nicht möglich, Christi heiligste Menschheit allein anzunehmen; da sie nicht trennbar ist von der göttlichen Erlöserperson, muss mein eigenes Sein dieser angeglichen werden. Deshalb dieser weiter andauernde Aufstieg und Angleichungsprozess. Geschah meine innere Umwandlung früher in mehr passiver Art, so gehe ich jetzt mehr aktiv, selbst mitarbeitend in Jesus Inneres ein. Es ist mehr ein „Mitgehen–wollen“, ein „Teilnehmen–wollen“ an Jesus. Zeitweise sehe ich das Ziel: Mit dem Eingehen in Jesu Inneres wird sich auch, je nach der erreichten Stufe, das innere Erfahren seines Innenlebens entwickeln.

861 |             Bei dem „Zurücklassen des Eigenen“ handelt es sich nicht mehr so sehr um bewusste Anhänglichkeit an sich selbst, an eigenen Tätigkeiten oder um ein Sich–selbst–besitzen–wollen, sondern um unbewusste eigene Betätigungen und Anlagen, die man in Worten nicht mehr zu erklären imstande ist. Die noch vorhandenen Hindernisse erschaut man nur im Lichte Christi; man erkennt sie nur durch den Gegensatz zwischen dem vollendeten und vollkommenen Sein Jesu und den jedem Menschen notwendig anhaftenden Eigentümlichkeiten. Darum ist dieser jetzige Grad des Eingehens in ihn ein Zurücklassen der eigenen Besonderheiten, eine höhere Angleichung an den Gottmenschen, ein Aufnehmen und Ertragenlernen seines Seins.

862 |             Weil aber mein ganzer, innerer Weg neben der besonderen, gegebenen Gnade ein persönliches Mitwollen und Mitwerben zu fordern scheint, so entwickelt sich auch dieses höhere geistige Gebiet gleichsam auf einem Weg des Erwerbens und Aufsteigens, dem das göttliche Licht ständig vorangeht. Das scheint der Unterschied zwischen dem Erfahren der schauenden Seele, – wobei diese Art der inneren Führung nicht notwendig scheint – und meinem Seelenweg des Erlebens Christi zu sein, wo ich nach Gottes Absichten durch eigenes mit der Gnade ermöglichtes Erleben und Erfahren in ihn aufgenommen werden soll. Nach dem Grade, wie ich in ihn eingehe und ihn lebe, werde ich ihn innerlich erfahren und erleben. –

863 |             Ich bin in großer innerer Ruhe trotz all der vorwärtsdrängenden Leiden; alles in mir scheint aktiv zu sein. Es gibt keine Zeit mehr zum Ruhen, bis ich nicht vollständig in Christi Sein und Wesen ruhe. Ich fühle in mir nichts mehr, was nicht „mit wollte“; es drängt vielmehr alles vorwärts. Mein Weg ist „unabsehbar“. Er wird Jesu Erlöserleben durchgehen und wird enden am Ölberg und auf Kalvaria.

 

05.01.1941

(mitgeteilt!)

864 |             Die letzten Tage war Maria in dem geistigen „Tunnel“; ringsherum schien Finsternis, aber vor ihr war das Licht, das Jesu Inneres ist und das lockte, einzutreten. Hat die Finsternis immer etwas Beengendes, so weckt Drängen und leidvolles Verlangen das lichtvolle Leben (vgl. „In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen; das Licht leuchtete in der Finsternis …“ – Johannes 1,4f)

865 |             Gestern Früh, nach der heiligen Kommunion, war sie dann, ohne zu wissen, wie es geschah, in dem Licht, von ihm umflutet und umgeben; Sie lebte in und von dem Licht, das Jesu Inneres ist. An dieses Licht kann keine Finsternis, kein Dunkel, keine Störung heran; auch die unwillkürlichen Regungen der natürlichen Anlagen können nur außen an diesem lichtvollen Leben vorbeiziehen, aber sich nicht festsetzen. Und dieses Leben im Lichte des Herzens Jesu hat etwas unbeschreiblich Heimeliges, Beglückendes, Freies, Lichtes, Leichtes, Reines und Beseligendes. In diesem lichtvollen Leben erfasste Maria einmal ein erneutes, wortloses Angebot und Jesus fragte, ob sie in diesem Leben immer bleiben wolle, und zugleich antwortete ihr Wille mit neuer Bereitschaft.

866 |             Als früher einmal Maria den Heiland gebeten hatte, er möge auch die unwillkürlichen Regungen der eigenen Seelenfähigkeiten wegnehmen, da ließ der Herr sie verstehen und wissen: Bevor ihr nicht – in langsamem Hineinwachsen – Jesu Seelentätigkeiten ganz mitgeteilt seien, könne sie es nicht ertragen, ganz von jeder unwillkürlichen Betätigung ihrer Fähigkeiten frei zu sein; es gehört nämlich zur Natur der Anlagen, dass sie sich betätigen.

867 |             Nachdem diese neue Stufe der Lebensfülle Jesu in ihr wieder gefestigt und erstarkt ist, drängt sich – obwohl die erreichte Lebensstufe bleibt – wieder mehr ein Dunkel ins Bewusstsein, das wohl der Ausdruck für ein weiteres Weggenommenwerden und Zurücklassen eigener Anlagen ist. Zugleich kommt wieder das leidvolle Drängen und Verlangen, tiefer und höher in das gottmenschliche Leben Jesu hineinzukommen, wenn auch dieses Verlangen nicht auf etwas Bestimmtes gehen kann, da das Ersehnte ja ein Geheimnis ist. Die schon bestehende und bleibende Lebensfülle sichert wohl einen unverlierbaren Frieden, Ruhe und Freiheit im tiefsten Grund der Seele, macht aber im Bewusstsein doch dem Verlangen nach noch größerer Fülle und der Verdemütigung über die eigenen menschlichen Anlagen Platz, die an sich ja gut und wertvoll sind, aber in ihrer Einseitigkeit und in ihren Grenzen doch keinen Vergleich mit den Vollkommenheiten Jesu aushalten und, im Vergleich damit, beschämend minderwertig scheinen und sind.

868 |             Der Vorbote, das Anzeichen und die Atmosphäre des mystischen Wirkens Gottes ist anscheinend immer eine gewisse himmlische Ruhe, die einmal erlebt sein muss, um verstanden zu werden, die aber niemals ganz durch Beschreibung klargemacht werden kann.

 

06.01.1941

869 |             Seit gestern Abend bin ich, wie mir scheint, ganz eingetreten in Jesu inneres Sein. Ich bin in dem Zustand, der in den letzten Tagen in einem Läuterungsprozess errungen werden musste. Ich lebe Jesu inneres Sein und lebe es in Fülle. Jesus bot es mir an für immer.

870 |             Es ist freilich unaussprechlich. Alles ist mir entschwunden, auch ich mir selbst, und geblieben ist er, den ich nun lebe wie mich. So habe ich bisher den Heiland noch nie erfahren: Ich bin in seinem Inneren und er ist an meiner Stelle, aber so, als wäre es ich. Er beherrscht mich ganz und in ihm beherrsche ich auch die unwillkürlichen Regungen. Es ist also so einfach und scheint mir selbstverständlich.

871 |             Ein großer Friede erfüllt mich. Ich fühle mich eingehüllt in Jesu Sein, das mir alle Lebenskraft ist. Ich lebe mit dem Sein Jesu wie früher mit meinem Eigenen und es bedrückt mich nicht; es ist mir im Gegenteil Erlösung und Befreiung von meiner früheren Gebundenheit. Ich lebe Jesus klar, ruhig und einfach.

872 |             Ganz will ich mir Jesus zu eigen machen, seinen göttlichen Reichtum auswerten, dass er neue Früchte für ihn bringe.

 

07.01.1941

873 |              Mein ganzes Sein ist vom Heiland durchlebt. Ich bin und lebe ständig ein lebendes Licht, ein seiendes Licht, ein lebendes Leben. In Kraft dieses unaussprechlichen Lebens ist alles in mir diesem Licht untergeordnet, von ihm durchdrungen und geführt.

874 |             Es ist ein erhabener und unerklärbarer Zustand und doch so einfach, ruhevoll und stark. In diesem allerhöchsten Leben ist alle Herrschaft über mich selbst; nichts mangelt mir, weil in und mit diesem Leben alles vorhanden und darin inbegriffen ist.

875 |             Wenn man in diesem Leben die Größe Gottes erlebt, dann begreift man auch, wie verschwindend klein ihm gegenüber die ganze Welt ist, wie er sie gleichsam mit einem Hauche beherrscht und lenkt. Man erlebt auch etwas von der Seligkeit, Ruhe und Einfachheit Gottes; es ist wie ein ständiges glücksgesättigtes Lächeln und friederfülltes Strahlen.

876 |             Dennoch bin ich seit gestern Abend zugleich wieder in einem weiteren Läuterungszustand. Nach dem gestern geschauten Ziel soll ich innerlich zu einer noch vollendeteren Erhebung gelangen. Obwohl ich aber deshalb etwas im Dunkeln bin, bleibt doch die wesentliche, erreichte Stufe mit der entsprechenden inneren Auswirkung des Friedens, der Ruhe und der Heiterkeit bestehen.

877 |             „Beten“ aber kann ich nicht. Wenn ich versuche, ein „Ave Maria“ zu beten, so erlebe ich Maria, die eingelebt ist in dieses Leben, das ich lebe und es ist, als lächle sie mir darin zu. Es könnte mir leidtun, nicht zum „Mütterchen“ beten zu können, wenn nicht alle Ruhe und der Vollbesitz alles Guten in mir herrschen würde. – Ich darf mich nicht auf einer geistig (niedereren) tiefer liegenden Stufe bewegen, als sie47 ist, die mir von Gott gegeben wurden. Ich bin eben jetzt in dem Stadium: Jesus mir ganz aneignen und zu eigen zu machen, ihn „durchleben“, ihn verwirklichen und in mir wiederholen.

 

09.01.1941

878 |             Ich bin in großem Frieden, wenn auch in seelischer Dunkelheit und im Prüfungszustand. Die wesentliche innere Gnade, „Jesus leben“, bleibt ungetrübt und ist ein bleibender Zustand. Mein ganzes Sein ist von Christi Leben durchdrungen, ist frei von mir und wird, wie mir scheint, nicht vom eigenen Widerstreben gehindert. Im Gegenteil: Alles in mir strebt wie natürlich zu einer noch höheren Vollendung in Christus.

879 |             Das eigene Streben und Wollen ist auch bei den größten Gnaden nicht ausgeschaltet; je freier vielmehr die Seele von der eigenen Gebundenheit wird, desto mehr drängt alles wie naturgemäß dem höchsten Ziele zu: Gott. In Gott, in seinem vollen Besitz, im vollen Eingehen in ihn und aufgenommen werden von ihm erfährt die Seele erst die tiefste Vollendung.

880 |             Ich lebe dieses höchste Ziel der Menschenseele, bin von Jesus durchlebt und getragen. In diesem erhabenen Zustand erkennt man viel klarer die hohe Bestimmung der Seele und die hohe Befähigung, die sie von Gott erhalten hat.

881 |             Zugleich erlebe ich auch die unendliche Größe Gottes, die von einem seiner Geschöpfe getragen und aufgenommen werden kann, ohne dass sie dieses beenge und bedrücke. Jesus schafft sich in der Seele gleichsam einen neuen „Aufenthalt“, ein zweites Sein, und die arme Seele ist durch seine göttliche Gnade befähigt, dieses Sein ihm zu bieten und zugleich den vollen Frieden und die heilige Ruhe zu genießen, die der Besitz Gottes mit sich bringt.

882 |             Im Erleben der Größe Gottes bzw. Christi erscheint mir die ganze Welt wirklich „klein“. Wenn ich in mir seine göttlichen Eigenschaften erfahre, finde ich es der Größe Gottes ganz angemessen, entsprechend und selbstverständlich, dass er mit einem Akt seines Willens die ganze Welt regiert.

883 |             All die großen Gnaden aber sind nur ein Vorgeschmack des ewigen Besitzes. Noch liegen die Schleier der Zeitlichkeit über diesen gewiss erhabenen Erlebnissen. Einst aber, im Licht der Ewigkeit, wird sich dieses Erleben in Vollkommenheit fortsetzen.

884 |              Die jetzigen Gnaden dienen im gewissen Sinne dazu, mich dem Heiland voll anzugleichen, sein einstiges menschliches Sein möglichst vollkommen in mir zu verwirklichen, um Ihm dann so für seine göttlichen Absichten zu dienen.

885 |             Die nächste Zukunft ist mir ständig wie ein verschlossenes Tor; Jesus ist dieses verschlossene Tor, das sich mir nur noch nach dem Maße meines Eingehens in ihn öffnet. Es scheint mir freilich kein höherer Zustand mehr möglich, weil alles in jener Fülle in mir enthalten ist, für die man kein Wort hat. Und doch bereitet sich ein höherer Aufstieg in mir vor und vertieft und befestigt sich schon in dieser jetzigen Prüfungszeit das gegenwärtige Erleben Jesu.

 

12.01.1941

886 |             Nach einem mehrtägigen inneren Prüfungszustand bin ich heute tiefer noch im Sein Jesu. Er lebt mich, aber so als wäre ich es. Ich scheine derart in Christus aufgenommen zu sein, dass von uns beiden nur „Eines“ geblieben ist, nämlich mein ganz vergeistigtes Sein als „er“.

887 |             Mein Seelenzustand ist zu einfach, um geschildert zu werden; es gibt kein erklärendes Wort dafür. Jesus hat mich ganz in sich aufgenommen. Er lebt gleichsam nochmals ein menschliches Sein und dieses, sein menschliches Sein, beherrscht und durchdringt in einfacher und wie selbstverständlicher Weise mein Inneres, und doch ist es so, als sei das ich. Ein wunderbarer Friede und Stille, eine milde Heiterkeit und geistige Fülle ist in mir. Eine alles überwindende Kraft und Leichtigkeit erfüllt mich so sanft. Ich lebe aus der wunderbaren Fülle, die mir in mir gegeben ist, in der alles enthalten ist, die ich unerschöpflich und ohne Bemühen gebrauchen kann, weil ich in mir diese Fülle bin und erlebe.

888 |             Ich bin nun wohl auf der Stufe angelangt, wo ich Jesus ganz nach meinem Bedarf gebrauchen kann. Das Meinige ist zurückgelassen, das Seinige ist in mich übergegangen und setzt sich in mir fort. Das Seinige ist mein Leben geworden und ich bin es, der dieses Leben lebt.

889 |             Das Allerhöchste, was ich in Jesus erfahre, ist die unaussprechliche Harmonie und Einheit aller Seelenfähigkeiten, die zusammengeschlossen sind zu einem Sein. Ich erlebe dieses geistige Gebiet, diese Eigenheit Christi, die das Sein des gottmenschlichen Lebens ausmacht; ich erlebe seine allerhöchste Reinheit und Ausgeglichenheit, die er von Natur aus hatte: Alles in ihm war seinem Willen untergeordnet und dieser gehorchte dem göttlichen Willen in ihm ohne Kampf und ohne Widerstreben. In Christus war alles in Einheit, war ein beständiges „Ja-Sagen“ zum göttlichen Willen und Sein in ihm. – Was diese innere Ausgeglichenheit, Reinheit und Einheit Jesu betrifft, war in ihm nicht nur das „Notwendige“ vorhanden, was seine gottmenschliche Erlösernatur vollkommen heilig und vollendet machte; es war vielmehr darüber hinaus eine Überfülle vorhanden, überfließende Schätze als Ersatz vor dem Vater, als Gnaden für die Menschheit.

890 |             Die zwei Naturen in Christus waren so eng in sich verbunden, dass in ihm alles Menschliche jeder göttlichen Regung Untertan war. Diese vollkommene Unterwerfung und dieses Eingegangen-sein des Menschen in das göttliche Sein in Christus erzeugte das große Verdienst48, den göttlichen Überfluss, der uns geschenkt wird als Gnade des Einbezogenwerdens in Christus, in sein Erlöserleben. Der „eine“ Mensch erfüllte somit vor Gott, unmittelbar in Gott, als Gottmensch, die Schuldigkeit des ganzen Menschengeschlechtes, indem er sich in allem der gerechten und allheiligen Gottheit unterordnete. Der Mensch in Harmonie mit seinem Gott und Schöpfer: Dies wäre das höchste Ziel aller Menschen, dass sie wieder zu jener möglichst großen Nähe und Einheit mit Gott gelangten, von der der Mensch einst ausgegangen ist.

891 |              In den Erlösungsgnaden Christi ist auch diese Möglichkeit eingeschlossen. In ihm ist alles in reicher, unerschöpflicher Fülle vorverdient, was die Seele braucht, um wieder zu Gott zurückkehren zu können, um den inneren Widerspruch, den die Sünde aufgerichtet hat, auszugleichen im Vertrauen auf die schon erworbenen Güter und Gnaden des Erlösers. „Mit Freuden sollen wir schöpfen aus den Quellen des Erlösers.“ In Christus sollen wir vor Gott „wiedergeboren“, innerlich erneuert, mit Christus bekleidet werden; wir sollen Christus uns ganz als „Erlöser“ aneignen, an all seinen Verdiensten teilhaben und teilnehmen wollen, in ihm wiederhergestellt werden vor dem Vater, in ihm und mit ihm wiederaufgenommen werden, im „ersten Menschen“, im Menschensohn zum Vater zurückkehren und wieder eingehen zum Vater. Darum wurde Christus vom Vater in die Welt gesandt, dass er alle Verlorenen wieder in sich aufnehme, dass alle in Fülle an ihn teilhaben und er sie wieder heimbringe zum Vater. Alle Gnaden einer geistigen Wiederkehr zum Vater sind in Christi Erlöserleiden eingeschlossen. In Christus kann alles wiedergutgemacht, ausgebessert, erneuert, von ihm bedeckt und umkleidet werden.

892 |             Jesus hat in sich Heil in Fülle und an ihm liegt es, dieses erworbene Heil nach dem Maße seiner Absichten und je nach der Not seiner Kirche ausströmen zu lassen. Die Schätze seiner Gnaden reichen überfließend hin, um aus allen gefallenen Menschen wieder Heilige, vollerlöste Seelen zu schaffen.

893 |             An uns liegt es, daran zu glauben, dass Gott Vater im Gottessohn die Möglichkeit gegeben hat, dass seine Kirche wirklich eine „Gemeinschaft der Heiligen“, eine „erlöste Gemeinschaft“ werde. Jesus will in dieser Zeit seiner Kirche neu den unerschöpflichen Reichtum seiner Gnaden zeigen. Er will sie „neu“, d. h. in größerer, neuer Fülle ausströmen lassen, will alle Seelen um sich sammeln und teilnehmen lassen an sich.

894 |             Die Kirche soll voll teilhaben am Erlöser, der sich ihr ganz als Bräutigam geschenkt hat. Er will sein Herz öffnen und seine leidende, geprüfte Braut erneuern mit den Schätzen seines Herzens. Und es wird neue Kraft über sie kommen; Christi Leben wird sich in ihr erneuern; ihre Priester werden wie Herolde sein, die alle Seelen um Christus scharen, und von seinem Herzen, von seinem Inneren wird der Triumph seiner Kirche ausgehen, d. h., die Überwindung und Besiegung aller heutigen Zeitirrtümer. Christi Leiden werden wie eine neue, d. h. in größerer, neuer Fülle ausgestreute Saat tausendfältige Frucht bringen.

 

14.01.1941

895 |             „Ja, Herr, du kannst mit mir machen, was du willst; ich will mich von dir für deine Absichten gebrauchen lassen. Ich kenne deine Forderungen, die du heute wiederholt an mich stellst. Das große Werk deiner Liebe, die Offenbarung deines inneren Lebens willst du auf mich legen; du brauchst jemand, der gleichsam dich zu vertreten bereit ist; damit du deine Liebe, deine unendliche Erlöserliebe zeigen kannst, muss sich dein einstiges wirklich gelittenes Leiden wiederholen. Darauf willst du dann das Werk deiner Liebe aufbauen. – Ich bin bereit; lege deine Absichten auf mich; wiederhole dich in mir! Ich glaube, dass du es bist, der nicht betrügen und nicht irreführen kann. Mit dir werde ich alles erlangen, was du bist, und das erfüllt das ständige Sehen meines Herzens. Ich will nur dich!“

896 |             Gestern Abend war ich in schweren geistigen Leiden, für die49 ich keine Erklärung hatte. Alles in mir litt: sterben, in noch höherem Maße sterben und vergehen, damit noch Größeres in mir werden könne. — Diese Leiden trafen mich gleichsam im Mittelpunkt meines Inneren; dort wollte der Heiland mit mir aufräumen, um sich an diese Stelle zu setzen. Ich litt die ganze Nacht weiter, obwohl ich inzwischen schlafen konnte; der Geist schläft nicht und gewöhnlich setzt Jesus bei Nacht fort, was er untertags nicht in mir erreichen kann. Auch am Morgen, bei der heiligen Messe und Kommunion, blieb ich in diesem leidenden Zustand, obwohl ich mich immer wieder ganz dem Heiland übergeben wollte. Für gewöhnlich kann ich „nichts“ zu ihm sagen; ich überlasse mich dem Leiden und allem, was er damit erreichen will. –

897 |             Ich spüre nun, es geht innerlich höher, ganz in ihn hinein; er muss das Überragende, das Vorherrschende in mir werden; er will ganz die Oberhand gewinnen. In den Leiden erkenne ich im Voraus Weg und Ziel, und leide in mir die bestehenden Hindernisse weg. Trotz der Leiden bin ich ruhig, obwohl sich dabei eine kleine Bangigkeit heranschleichen möchte, weil ich fühle, „in welchem Grade“ ich mich verlieren werde.

898 |             Doch gerade jetzt erfasste ich Jesu wiederholtes Werben um meine volle Zustimmung und Einwilligung in seine Absichten. Er will Großes für seine Kirche. Er will sich hier in seinem inneren Erlösersein mitteilen. Dazu braucht er „jemanden“, durch den er sich offenbaren, zeigen kann. Die betreffende Seele muss ganz in sein Inneres, in sein Sein eingehen, muss ihn erleben und erleiden, damit er sich gleichsam geistig „wiederholen“ kann.

899 |             Ich fühle in mir, wie ich mich immer mehr verliere, aber „er“ kommt als Ersatz und setzt sich in mir fort. – „Nun, mein Heiland, ich will dir ganz Opfer und zu Diensten sein, wie du mich für dich gebrauchen willst. Ich wage es im Vertrauen auf dein liebes Herz. Nimm mich für deine Absichten!“

 

16.01.1941

900 |             Seit gestern bin ich wohl sehr im Leiden, doch finde ich kein Wort, um diese Leiden genügend zu erklären. Es ist wie eine unaussprechliche Verlassenheit, innere Verdemütigung und Vernichtung. Es durchdringt mich wie das Feuer im Verbrennen das Holz durchglüht. Ich bin aber merkwürdig ruhig dabei und finde meine Zufriedenheit darin, weil ich klar einsehe, dass dies mir zukommt: Auflösung und Vernichtung.

901 |             Ich glaube, mich in voller Einheit mit dem Heiland zu befinden, denn in den bestehenden inneren Leiden fühle ich kein Widerstreben gegen Jesu Leben in mir. Alles ist vielmehr Einheit und „Leben“, „EIN“ Leben, das ich lebe. In mir trage ich die Ursache meiner Leiden, der jetzigen und der zukünftigen, weil es das Leben und die Leiden desjenigen sein werden, dessen Sein ich in mir trage und lebe. In ihm habe ich alles, weil er in sich die Ruhe und Kraft und das ist, was meine Sicherheit ausmacht. In Gott, in Jesus, in seinem Besitz, den ich wie selbstverständlich lebe, ist diese Sicherheit, die kein Geschöpf, auch nicht die vertrauteste Seele einer anderen geben könnte, jene Sicherheit, die wohl nur Gott geben kann.

902 |             Ich habe nur eine Aufgabe: Bereitschaft zum Leiden, „ihn“ leiden; darin liegt alles, weil Jesus die Ursache von allem und auch von jenen Leiden ist, die „seine“ Leiden sind. Er verspricht mir, dass dies die Bürgschaft seines einstigen ewigen Besitzes ist.

903 |             Ich will aus dieser inneren Ruhe leben, die trotz der inneren Leiden und Bedrängnis so überreich in mir ist.

 

18.01.1941

Abends

904 |             Wie in den vergangenen Tagen, so war ich auch heute in schweren geistigen Leiden. Ein geistiges Feuer erfüllt und verzehrt mich. Das erzeugt so vergeistigte Leiden, die mit nichts verglichen werden können. Trotz dieser Leiden herrscht aber immer Ruhe in mir und volle innere Ausgeglichenheit. Die Einheit mit dem Heiland scheint vollständig zu sein; wenigstens habe ich anscheinend jenen Grad erreicht, der mir vom Heiland früher immer als Ziel gezeigt wurde: Ich kann Jesus in ruhevoller Einheit leben, ohne einen inneren Widerspruch in mir zu fühlen.

905 |             Nachmittags, als die inneren Leiden den Höhepunkt erreicht zu haben schienen, ging ich in die Kapelle. Da schaute ich innerlich den Heiland als Erlöser, d. h. als jenen, der den in der Sünde liegenden Widerspruch zwischen Gott und Menschen auf sich nahm und der das Opfer ward, um diesen Widerspruch auszugleichen. In einem Augenblick schaute ich den Anfang der Menschheit, den Sündenfall, die Erlösungsbedürftigkeit der Menschen und die Erlöserbereitschaft Jesu, sein Eingehen in eine menschliche Erlösernatur. Jesus als Gottmensch nahm als Mittler die Sünde auf sich. Ich schaute dies Geheimnis, das jetzt noch Geheimnis ist. Es war aber alles in mir, wie wenn Jesus in mir sich in diesem Geheimnis öffnete. Und in der Einheit mit ihm bin ich der, durch den Jesus dies nacherleben lässt. Ich bin die Seele, auf die dieses Erleben gelegt ist; ich gehe ein in dieses Geheimnis.

906 |             Ich fühle die Last Gottes, die auf mir liegt. Ich erschaudere von diesem ungeheuren Kreuz Christi, das einst das seine war. Ich schaue die Entsündigung der Menschheit, die in der Mittlerschaft Jesu sich vollzogen hat. Eine unaussprechliche Last ist in mir: Jesus, der Erlöser, den ich erleben werde.

907 |             Es erfasst mich eine Angst vor dem Bevorstehenden; das kommende Kreuz scheint mich zu erdrücken, aber es ist wie unentrinnbar und unmittelbar in mir vorbereitet im Leben Jesu, in dem, der die Kraft und das „Leben“ ist, mit dem alles gegeben ist. Und so streckt sich doch alles in mir diesem Kreuz entgegen, weil Jesus daran ist, und das genügt. –

908 |             Jetzt, am Abend, bin ich ruhig und bereit. Im Gehorsam kann ich weiter mich der inneren Führung und den Absichten Gottes hingeben. Es ist nur das eine Streben in mir, ganz von Jesus aufgenommen zu werden in sein Erlösersein. Alles Sonstige ist mir gleichgültig, wenn er nur seine Absichten der Liebe erreicht. Mit ihm ist volle Bereitschaft: „Siehe, einen Leib hast du mir bereitet; ich komme, deinen Willen zu tun“. – Seele und Leib zum Leiden hast du dir neuerdings bereitet in mir; siehe ich bin bereit!

 

19.01.1941

Nachmittags, beim Segen in der Kapelle

909 |             Mein innerer Weg geht seit gestern ein Stück weiter. Ich werde innerlich eingeführt in das Leben Jesu als des Erlösers, in den Zweck seiner Menschwerdung. Durch Jesu Leben in mir bin ich daran, teilzunehmen an seiner Mittlerschaft, die er als Erlöser ausübte. Durch die führende Gnade drängt alles in mir auf diese Anteilnahme am Erlösersein des Heilandes hin, was eigentlich der Zweck aller mir gegebenen Gnaden war. Ich leide unter diesem inneren Vorwärtsdrängen: Immer tiefer hinein in Jesu Innerstes!

910 |             Beim heiligen Segen war ich ganz tief in ihm und schaute weiter meinen geistigen Weg. – In Jesus ward mir die innere Versicherung: Die Einheit des Seins in ihm, in der er mich mit sich vereinigt hat und an sich teilnehmen lässt, wird nie gestört oder unterbrochen werden. Diese Einheit mit ihm wird sich über den Tod hinaus ewig fortsetzen, wenn ich bereit bin, ihm ganz zur Verfügung zu stehen. Er habe damit seine besonderen Absichten. –

911 |             Der Heiland ließ mich Ferner innerlich wissen: Die Vollerlösung, die er in mir bewirkt habe, sei ein Beweis, wie tief und erhaben seine Erlösergnaden wirksam seien. All diese Gnaden, die er mir gegeben habe, seien aber nicht nur für mich, sondern sie werden fruchtbar werden für viele Seelen und werden das „Priesterwerk“ befruchten, dem alle „neuen“ Gnaden als geistige Güter übergeben werden.

912 |             Das ist auch ein allgemeines Gesetz in der Gnadenzuwendung: Wo immer in einer Seele seine Erlösergnaden fruchtbar werden, da haben sie die Bestimmung und die Kraft, weiterzuströmen auf andere Seelen, Frucht zu bringen und fruchtbar zu werden, auch für andere Seelen. Das ist die geistige Fruchtbarkeit der Erlösungsgnaden Jesu. Jede „vollerlöste“ Seele wird in Christus zur „miterlösenden“ Seele, nach den Absichten Gottes „ergänzend, was noch aussteht“.

 

20.01.1941

913 |             Jetzt bin ich in großem inneren Frieden; es ist wie ein Ausruhen nach den letzten inneren Leiden, die heute Morgen noch sehr heftig waren.

914 |             In mir, bzw. vor mir eröffnete sich ein weiterer Weg des Eingehens in Jesus, noch tiefer hinein in sein Innerstes. Alles in mir drängte dahin, doch litt ich zugleich unter mir selbst unbewussten Hindernissen, die wohl in mir noch vorhanden sein mussten. Dazu kam eine innere Verdemütigung, die mich wie vernichtend durchdrang.

915 |             Vor mir stand das Ziel: Jesus in seiner Stellung als Mittler und Wiederhersteller erleben, der darum und deswegen Mensch geworden ist und die Menschheit angenommen hat, um als „zweiter“ Mensch den Widerspruch zu lösen und den Zwiespalt aufzuheben, den der „erste“ Mensch in Adam zwischen Gott und den Menschen geschaffen hatte. Gott-Sohn bot sich zu dieser Mittlerstellung an und wollte als „Mensch“ diesen Zwiespalt überbrücken, indem er die Wurzel dieses Zwiespaltes, die in der Sünde liegt, auf sich nahm.

916 |             Adam, der rein und gut war, als Gott ihn schuf, unterlag in der Prüfung; Christus, der Gottessohn, als höchster und reinster Mensch überwand innerlich, was Adam zu Fall brachte. Dort, wo Adam nachgegeben hatte, griff Christus ein, im Inneren der Seele, und setzte in sich die Gegenleistung, die Überwindung dessen, was Adam zu Fall brachte. Nicht als Versuchung trat die Sünde an Jesus heran wie bei Adam, aber als etwas, was Jesus gutmachen, sühnen, überwinden und ersetzen wollte. Jesus wollte gleichsam tun, was Adam nicht getan hatte: Das Böse bekämpfen und überwinden, und er wollte wegleiden, was die Menschen nicht voll sühnen konnten. So waren in der Seele Jesu als des Überwinders der Sünde drei Arten von Leiden (die aber durch Nacherleben und Nachleiden noch werden klarer werden):

1. jene Akte, die der Mensch unterlassen hat und wodurch die Sünde nicht geschehen wäre;

2. jenes Leiden, das notwendig der Sünde folgt, weil Böses und Gottwidriges getan wurde;

3. vor allem die Akte der höchsten Reinheit und Vollkommenheit, die Jesus der göttlichen Gerechtigkeit als Ersatz und Überwindung entgegenstellte. –

917 |             Der Reinste machte rein das Unreine, der Höchste erhob das Gefallene, indem er geistig, und zwar als Gottmensch, in sich das tat und anwandte, was Adam unterlassen hatte. Adam wollte sich aus sich erhöhen und fiel; Christus nahm gleichsam das Gefallene an und auf sich und erhob es.

918 |              Christus nahm all das Gottwiderstrebende und Widersprechende auf sich, das in der Sünde liegt, angefangen von der ersten Abkehr von Gott bist zu all den folgenden schrecklichen Sünden und auch in den feineren Abstufungen bis zur vollerlösten, reinen Menschheit, die der heiligsten Menschheit Christi einigermaßen ähnlich wird. All dieses Gottwiderstrebende nahm Christus auf sich im ersten Augenblick seiner Bereitschaft zur Menschwerdung, um in sich alles zu überwinden, was in Adam zur Trennung von Gott geführt hatte.

919 |             Christus kannte die Sünde nicht, weil er in göttlicher Reinheit nicht fähig war zu sündigen. Vermöge ihrer Würde und Bestimmung kommt nichts der Menschheit Christi gleich. Auch die vollerlöste Seele, die ihr am ähnlichsten ist, bleibt immer weit von der Heiligkeit der Menschheit Christi entfernt; gewiss wird sie derart Christus ähnlich, dass sie an Gott irgendwie auch im höchsten Graden teilhaben kann, doch bleibt sie eben dadurch weit hinter Christus zurück, weil sie von Christus erlöst und dazu befähigt wurde, während er seine Vorzüge infolge seiner Natur in sich hat. – Christus lernte aber die Sünde stellvertretend für Adam und somit für die ganze Menschheit kennen. Er nahm sie in ihren ganzen und verschiedenartigen Auswirkungen auf sich, machte sie gut, überwand sie, heilte die Wurzeln vermögen seiner menschlichen Überwindungskraft, indem seine Menschheit unmittelbar vor Gott das Opfer dieser zu leistenden Überwindung wurde. Auf Christus als dem Erlöser lag die Sünde der Menschheit. Er übernahm sie freiwillig, machte jede Möglichkeit der Sünde wie zu seiner und überwand sie mit seinen gottmenschlichen Akten, wie wenn er selber die Sünde begangen hätte, oder hätte begehen können. In ihm, dem Gottmenschen, forderte die Gottheit mit vollem göttlichen Recht unmittelbar jene Reinheit der Menschheit zurück, in der diese vom Schöpfer gedacht und geschaffen war.

920 |             So erfuhr Jesus als Gottmensch in sich menschlich den Widerspruch, der zwischen seiner höchsten Reinheit und der Sünde liegt, und jeder einzelnen Möglichkeit der Sünde wurde seine entsprechende entgegengesetzte allerhöchste Vollkommenheit entgegengestellt. – Diese Art der Leiden, der Überwindung und Bemühung, die für Christus den Mittler und Wiederhersteller die göttliche berechtigte Forderung und der Widerspruch der Sünde erzeugten, wurde den Menschen als Kraft geschenkt, damit sie, jeder in sich, wirksam überwinden können, was der Erlöser für die Gesamtheit durch seine eigene Kraftanwendung ermöglicht hat. Mit der geheimnisvollen Anteilnahme am Leben Jesu in der Taufe wird auch diese Kraft zur Verfügung gestellt.

921 |             Jesus als Gott entkleidete und entäußerte sich seiner „Macht und Herrlichkeit“, die er beim Vater besaß. Weil der Vater der Menschheit Rettung bringen wollte, nahm Jesus eine menschliche Natur an, die in ihrer Reinheit seiner göttlichen Heiligkeit angepasst war, aber zugleich nahm er geistig die gefallene Menschheit auf sich, um sie in ihrer Wurzel zu heilen. In einem Vergleich gesagt: Nehmen wir an, ein vollkommen gesunder Mensch könnte eine aussätzige Natur annehmen, damit durch die volle Gegenwirkung des vollkommenen gesunden Organismus die Krankheit des Aussatzes überwunden werde. Der gesunde Mensch würde den Aussatz wie in sich erleiden, ohne davon angesteckt zu werden; er wäre davon bedeckt, würde sich seines Zustandes schämen, aber aus Liebe zur Menschheit – damit dieses Übel seine verheerende Kraft verliere – würde er diese schreckliche Krankheit tragen, an sich haften lassen; seine vollkommene Gesundheit würde die Auswirkungen dieser Krankheit brechen und der Menschheit die Möglichkeit voller Heilung und Befreiung bringen. – Ich habe kein Wort, um es weiter zu erklären, wie ich es innerlich erkenne: Christus, die zweite göttliche Person, wesenhaft Gott, entäußert sich seiner Herrlichkeit, nimmt mit der reinen menschlichen Natur zugleich die sinnliche, gefallene Menschheit in sich auf, damit diese geheilt und gesund gemacht werde durch seine gottmenschlichen Vollkommenheiten und Tugendakte. Er, der reinste Mensch, der Gottmensch, war mit den Auswirkungen der Sünde umkleidet; die Sünde von allen Menschen war auf ihn gelegt in ihren Folgen und Auswirkungen; er war gleichsam dafür verantwortlich gemacht. –

922 |              Bei der heiligen Messe, heute früh (am Sankt Georg Altar in Sankt Peter), schaute ich Jesus in seinem göttlichen Mittleramt als Gottmensch, der in sich die Kraft hatte, alles gutzumachen, was im Menschen durch die Sünde verdorben wurde. Jeden Augenblick ist Christi Mittlerschaft mit dem einst vollzogenen Erlöserleiden vor der Gerechtigkeit Gottes gegenwärtig und tätig. Es ist wie eine immerwährende heilige Messe, in der sein Erlöseropfer50 dargebracht wird.

923 |              Durch die Priesterweihe tritt aber jeder Priester geheimnisvoll in dieses Mittleramt Christi ein, in diese Mittlerschaft mit Christus. Jeder Priester übernimmt damit die Aufgabe, zunächst in sich selbst durch die Überwindung des eigenen Sündhaften, sich zu befähigen, zu möglichster Nähe und Teilnahme an Christus emporzusteigen, dann aber auch obliegt ihm die Aufgabe, in und wie Christus, die Sünde des anvertrauten Volkes stellvertretend innerlich gutzumachen und zu überwinden und so, in Vereinigung mit Christus, Anderen die Kraft zur Entsündigung mit zu vermitteln. So soll der Priester gleichsam zweifach „Überwinder“ sein und so selbst zum Mittler zwischen den Seelen und Christus werden, wie Christus der Mittler wurde zwischen Gott und der Menschheit.

924 |              Vormittags: Ich bin in unaussprechlicher Einheit mit Jesus, aber es ist so unsagbar einfach. Alles ruht in mir, ist stille, ohne besondere Leiden. Ich lebe gleichsam im Mittelpunkt Christi, in meinem Mittelpunkt, in Jesus Erlösersein. Ich bin wie umhüllt von ihm, ganz in ihm. In ihm schaue und erkenne ich seine Erlösertätigkeit, den Zweck seiner Menschwerdung. In diesem Sinne gehe ich ein in ihn, um daran teilzunehmen, um dieses Geheimnis nachzuerleben. Wiederholt bietet mir Jesus diese Gnade der vollen Anteilnahme an ihm an: Ob ich ganz für seine Absichten bereit sei? – Ich weiß, in welchem Grade ich mich verlieren werde und wie sehr er das Beherrschende in mir sein wird. Ich kenne die Folgen: Mit Jesus die Sünden auf mich nehmen, um die Art seiner inneren Leiden erfahren, mit ihm zum „Sünder“ werden vor dem Vater und damit vor Gottes Gerechtigkeit erleben und erleiden, in welcher Weise die geistige Überwindung der Sünde sich vollzogen hat, mit dem Heiland das Opfer der Sünde werden, mit ihm zum Überwinder werden: Das alles schaue und erlebe ich in Jesus. Nie mehr werde ich mir gehören können, immer werde ich im „seinen“ mich befinden, um in seinen Interessen mich aufzubrauchen, so wie es für ihn der Zweck seiner Menschheit war.

925 |             Jesus blieb aber bei allem immer Jesus; er verlor nichts in sich und kehrte in gleicher Wesenheit, wie er ausgegangen war, wieder zum Vater und in sein Reich zurück. So muss ich glauben, dass in mir die vollerlöste, reine Menschheit ist und bleibt, und dass die Sünden, die ich bekämpfen und überwinden werde müssen, mich innerlich nicht berühren, auch wenn ich darunter leiden werde, als wäre es meine Sünden – wie es bei Jesus war.

926 |             Ich bin voll Friede und Freude und bereit; denn ich nehme auf jede Weise dann in höchster Art am Erlöser teil und werde von ihm aufgenommen und verbraucht. –

927 |             Abends: „Wenn du ganz auf dich verzichtest, werde ich dir meine Geheimnisse offenbaren“.

Vom Geheimnis des Gottmenschen:

928 |             Insofern Gott in sich ein unveränderliches Wesen ist und sich selbst seinem Wesen nicht entziehen kann, insofern war Christus eine ständige Anschauung Gottes eigen. Auch als Jesus sich selbst „entäußert“, das heißt, alles nicht „Notwendige“ abgelegt hat, blieb der naturnotwendige göttliche Eigenbesitz immer bestehen, erfreute sich sozusagen Jesus ständig im Vater und dem Heiligen Geist, schaute und besaß er sich ständig. Dieses naturnotwendige Schauen Christi war ständig vorhanden. – Durch die eigene Selbstentäußerung Jesu als Erlöser war dieser schauende Selbstbesitz auf das Gott–zugehörige51 Maß beschränkt, weil Christus freiwillig auf „seine Herrlichkeit“ verzichtete und diese für die Zeit seines Erlebens gleichsam „ablegte“, ohne ganz davon getrennt werden zu können.

929 |             Die Erlösermenschheit hätte übrigens nicht bestehen und auch jede Leidensfähigkeit [sich] nicht voll auswirken können, hätte Jesus nicht ständig die Strahlen seiner Gottheit auf ihr ruhen lassen. Darum war die Gottheit in der heiligsten Menschheit Jesu wirksam wie ein abgeblendetes Licht, das zwar immer das gleiche unveränderliche Licht bleibt, aber seine Strahlen in sich und im Vater52 zurückhält. Die Gottheit wirkte auf die Menschheit Christi ein, mehr als die Fordernde, die Beleidigte, die das Unrecht der Sünde Beleuchtende, die Genugtuung Verlangende, die Gerechte, zugleich aber als die Stützende und Stärkende, weil immer untrennbar und unveränderlich mit dem göttlichen Wesen des Vaters eins. Die Gottheit vergöttlichte nicht bloß das menschliche Tun Jesu, sondern erhöhte auch seine Erlöserleiden, deren Aufgabe darin bestand, die beleidigte Gottheit wieder zu versöhnen und gutzumachen, was die Menschheit gefehlt hatte.

930 |             Gewiss war die Menschheit Jesu in sich so vollendet heilig und vollkommen und in allem „Gott angepasst“, dass keine Erhöhung oder Vervollkommnung mehr notwendig oder möglich und denkbar war. Doch bestand immerhin noch jener große Unterschied zwischen Gottheit und Menschheit, der in gewissem Sinne nie überbrückt und ausgeglichen werden kann, weil Gott ein unendliches Wesen, der Mensch aber, auch in seinem vollkommensten Zustand, sterblich und endlich ist.

931 |             Christus konnte infolge der Fülle seiner Vollkommenheit auch nichts für sich verdienen, weil er in sich aufs Höchste vollendet war und alles im höchsten Maße besaß. Aber gerade dadurch wurde sein Erlöserleben im höchsten Maße verdienend und verdienstlich für die Menschheit, weil er seine Vollkommenheiten benützte, um sie opfernd und leidend für die Menschheit zu verwerten. Dieser göttliche Schatz seiner Vollkommenheiten wurde zu einer Überfülle „gebraucht“, aber nicht verbraucht und auch nicht eigentlich vermehrt. Jesus benützte seine Vollkommenheiten, um sie der göttlichen Gerechtigkeit als Ersatz zu bieten und um die Sünde zu überwinden und gutzumachen. Dadurch war Christi Leben ein ständiges Verdienen und sich Bereichern für seine Brüder, die Menschen, und ist uns in Christus „alles Heil“ geworden, das er uns verdient hat.

932 |             In einem gewissen Sinn konnte das stets verdienende und opfernde Leben Jesu seine göttliche Glorie und Herrlichkeit nicht vermehren, da er als Gott diese Vollendung besaß; sie wurde aber vermehrt durch alle Seelen, denen er die Erlösung brachte, ferner dadurch, dass Jesus von seinem Vater verherrlicht wurde, als er zu ihm zurückkehrte.

933 |             Auch als leidensfähiger Erlöser konnte Jesus die Gottesschau ständig besitzen, da doch die Seele in sich die Möglichkeit hat, zugleich Freude und Schmerz ertragen zu können; er ließ sie so weit auf seine Menschheit einwirken, als es seiner Erlöseraufgabe dienlich war. Darum blieb die Wirkung der Ruhe und Kraft und einer gewissen Freude wohl immer. Er besaß sich ja immer selbst und nichts wurde ihm gegeben. Nur insoweit besaß er nicht die volle Auswirkung seiner göttlichen Herrlichkeit und Macht, als er freiwillig als Erlöser darauf verzichtete und sich gleichsam seinem Vater unterstellte.

934 |             Es gibt eben verschiedene Formen und Arten der Gottesschau und des Gottesbesitzes.

935 |             Im Zusammenhang mit den obigen Erkenntnissen wurde mir von Neuem erklärt: Die Unbedingtheit der Abstammung der Seele von Gott, wodurch sie vollständig Gottes Eigentum ist; ihre Geistigkeit, ihre absolute Abhängigkeit von Gott. – Durch die Sünde wurde Gottes unbedingtes Eigentum missbraucht und sein Recht geschädigt; es wurden Gebiete verunehrt, über die im höchsten Sinne nur Gott zu verfügen hatte. Somit greift die Sünde in erster Linie in eine Geisteswelt hinein. Geisteskräfte wurden in der Sünde zuerst missbraucht und diese zur Sünde missbrauchten Geisteskräfte wurden im Gottmenschen, im Menschen in Christus, wieder erneuert, gereinigt durch entsprechende innere Reinigungsvorgänge, durch Leiden, die einer in der Sünde liegenden Befriedigung entgegengesetzt und entgegengestellt sind.

936 |             Wir Menschen denken zu wenig an das unbedingte Eigentumsrecht Gottes über unsere Seele, über den ganzen Menschen. Nur ein Gottmensch konnte die der Verunehrung des Gotteseigentums entsprechende Wiedergutmachung übernehmen. –

937 |             Für das Geheimnis der Gottesschau im Menschen Christus hat man in den Erlebnissen auf den höheren Vereinigungsstufen, besonders von der geistlichen Vermählung an, eine gewisse Bestätigung.

938 |             Die wirkliche, wesentliche Vereinigung, die Kraft der Einheit mit Gott bleibt in gewissem Sinne unveränderlich bestehen, auch in den weitergehenden Läuterungsstufen. Diese ändern aber oft die Auswirkung jener bleibenden Vereinigung. Sie besteht nicht mehr so sehr in der Art eines fühlbaren Trostes, sondern als Kraft im wesentlichen Sinn, als etwas Vorwärtsdrängendes, Beleuchtendes. In ganz großen inneren Leiden scheint gewiss ihre Wirkung zu verschwinden, aber man hat dabei den Eindruck, als sei Gott in einer die Seele unmittelbar durchdringenden Art tätig, als sei er im Leiden selbst verborgen. Es ist, als wenn Gott unmittelbar selbst die Seele läutere, und reinige; das erhöht die Leiden, ist aber zugleich auch die Kraft. So erfahre ich auch weiterhin die Tätigkeit Gottes in meiner Seele. Gott wird zum verzehrenden Feuer, das die Seele durchdringt und durchglüht. – Man könnte auch sagen: Die Fühlbarkeit der Vereinigung vermindert sich, die Vereinigung wird noch geistiger, wird zum beherrschenden Geist in der Seele und schließlich zum völlig Beherrschenden, sodass man in einen scheinbar gewöhnlichen Zustand zurückzukehren glaubt, alles wie selbstverständlich findet und fast nichts Außergewöhnliches mehr darin sieht. Und doch erlebt man stark und unveränderlich, dass man von einer göttlichen, tragenden Kraft durchlebt ist. – So entwickelt und verändert sich von der geistlichen Vermählung an aufwärts ständig die Auswirkung der Vereinigung. Die Vereinigung der „geistigen Vermählung“ ist noch weit entfernt vom Erleben Gottes in sich. Ja, die „Vereinigung“ hört sozusagen auf und geht in das „Erleben Gottes“ über. Das ist die Stufe, auf der ich mich jetzt bewege, im Nacherleben des Gottmenschen Christus.

939 |             Dementsprechend steigern sich aber auch die inneren Leiden bzw. die Leidensfähigkeit in der Seele. Man erlebt beide Zustände in einem: Gott und das Leiden; beide wirken sich aber voll aus und keines wird durch das andere vermindert oder gestört. In diesen höheren Zuständen kann man überhaupt Verschiedenes zugleich erleben, weil viele früher schlummernde Kräfte in der Seele herangezogen wurden und betätigt werden können.

940 |             Etwas Ähnliches, freilich viel53 vollkommeneres, sehe ich in der Menschheit Jesu. In ihm war die Gottheit etwas wie Selbstverständliches, das zum Wesen des Ganzen gehörte, und auch ihre Wirkung vollzog sich wie selbstverständlich. Die Gottheit war auch dort wie ein Feuer, das die Menschheit Christi durchglühte und sie zu unaussprechlichen Leiden für die Menschen befähigte.

941 |             Dunkel sehe ich voraus auf später kommende, diesbezügliche Erkenntnisse und Erfahrungen über die Art und Weise, wie sich die Gottheit Jesus auswirkte in seine größten seelischen Leiden, die sich bis zur Gottverlassenheit steigerten.

 

21.01.1941

942 |             Heute, bei der heiligen Messe (in St. Peter beim Altar des Heiligen Gregor des Großen, bei der heiligen Wandlung) wurde mir innerlich der letzte, kommende Abschluss in meinem Innenleben erklärt, der mich für meine Aufgabe voll befähigen soll.

943 |             Mein bisheriger Weg war anscheinend eine ständige Vorbereitung, eine dauernde Angleichung und ein Hineinleben in Jesu Inneres. Die letzte Vollendung wird nun eine innere Einprägung und Besiegelung bilden, die mir durch Christi Menschheit gegeben wird. Durch eine wirkliche Anteilnahme an der Erlösermenschheit Jesu, für die mein jetziges Sein vollständig in Beschlag genommen, „reserviert“ werden wird und die mein Dasein und gleichsam den letzten Zweck meines Daseins ausmacht, wird mein ganzes Sein unausweichbar und unverlierbar auf das Nachleben der heiligsten Menschheit Jesus festgelegt werden.

944 |             Es wurde mir innerlich klar gezeigt: Im jetzigen Zustand bin ich gewiss schon in einem wahren Sinn eingegangen in Jesu Sein, aber ich bin trotzdem auch noch von meinem Sein geleitet und beherrscht. Das bringt doch noch eine gewisse Veränderlichkeit in meinem Innenleben hervor; so kann man sich z. B. dem Leiden einigermaßen entziehen, kann man sich etwas schwerer oder leichter machen, als es in Wirklichkeit ist, kann man das innerlich Erfahrene mehr oder weniger klar ausdrücken und empfinden. In meinem jetzigen Zustand wäre darum keine einheitliche Erklärung des Innenlebens Jesus möglich. Durch eine letzte Besiegelung und Beschlagnahme in Christus wird mir daher in Folge seiner göttlichen, dauernden und im höchsten Sinne genommenen Einwirkung einer Art Unveränderlichkeit in ihm verliehen, sodass mein Dasein klar und unverrücklich sein Inneres wiedergibt, wie das meine gelebt. – Ich erkannte genau, wie Jesus das machen wird, aber es ist ein geistiger Begriff, für den ich kein Wort habe.

945 |             Nach der heiligen Kommunion schaute ich in Einzelheiten dieses, mein letztes Ziel: Es vollzieht sich in einem vollständigen Verzichten auf jeden Gebrauch meinerseits; sein Leben ergibt und zeigt sich unabänderlich als „das meine“ in mir. Zugleich erlebe ich die Auswirkungen der göttlichen und der menschlichen Natur und ihre Verbindung im Erlöserleben Jesu, das Verhältnis Jesu zur heiligsten Dreifaltigkeit, wie er die Sünde in sich empfand usw. Ich erkannte genau, in welcher Weise ich das erleben werde: Eben ganz in seiner Person, gleich wahrhaft wie ein eigenes Erlebnis. Das alles soll ja nicht für mich persönlich und privat nur gelten, sondern soll als Offenbarung und „neue“, weitere Erkenntnis über Christi Inneres und Erlöserleben der heiligen Kirche zukommen.

946 |             Im Vorausschauen auf dieses mein Leben des Herzens Jesu fragte ich mich, wie schon öfter: Muss ich dann die ganze Zeit des Erdenlebens Jesu nachleben? Es wurde mir aber erklärt: Dieses innere Erleben ziehe sich auf eine „geistige Zeit“ zusammen.

947 |             Ich fühle nun, wie ich innerlich zu diesem letzten Ziel hinbewegt werde, in einem noch höheren, beständigen Verlassens meiner selbst, auch des jetzt schon erworbenen Zustandes (des Seins Jesu), der im letzten Abschluss noch eine bedeutende Veränderung erfahren wird. Ich gehe damit vollständig in eine Geisteswelt ein. Gewiss bleibe ich dabei äußerlich im gewöhnlichen, normalen Zustand, ohne Ekstase, aber ich bin mir und meinem menschlichen Urteil über die inneren Erlebnisse entzogen und erfahre fühlbar die Erlebnisse Christi als die eigenen.

948 |             Ich bin in großem Frieden und voll bereit für Jesu Absichten. Mit ihm ist mir die Kraft zum Durchhalten gewiss, weil ja er mich lieben wird. –

 

27.01.1941

949 |              Die vergangenen Tage waren schwer und voll geistiger, läuternder Leiden. Es gilt mich noch mehr freizumachen von möglichen eigenen Einflüssen, um ganz in das Geistesleben Jesu eingehen zu können. Es handelt sich nicht um bewusste Dinge, sondern um die dem Menschen anhaftende Einseitigkeit oder natürliche Schwäche. Die inneren Leiden sind daher stets auf dieses Ziel hingerichtet: Mich ganz von mir zu entfernen und hinein in „eine andere Geisteswelt“, in das Erlöserleben Jesu!

950 |              Ich habe kein rechtes Bild oder Wort, um diese Leiden zu erklären. Ich verliere gleichsam unter mir und in mir jeden Halt, fühle mich wie ein Strohhalm zwischen Himmel und Erde, und auch dieser Strohhalm muss noch verbrennen und aufgelöst werden, um ganz dem vergeistigten Sein Christi angepasst zu werden, um alles in sich selbst befestigen zu können, weil der eigene Geist, alle Kraft und Bedürfnisse ganz dem Sein Jesu untergeordnet werden müssen. Der Geist muss dazu gleichsam aufgelöst und umgestellt werden, muss [dem] Jesu angeglichen werden, um ihn ertragen zu können und in ihm das Lebenselement zu erhalten. Jede weitere Entwicklungsstufe bringt aber etwas, was man noch nicht „kann“, was der Natur noch widerstrebt, was gleichsam einen Widerspruch der eigenen Geistesnatur auslöst.

951 |              Mein geistiges Empfinden und Leiden war: Ich habe mit mir nichts mehr zu tun; ich habe ja nichts mehr, was mir etwas zu tun gäbe; es ist alles leer und ausgebrannt. – Aber unmittelbar über diese Leere ist ein geistiges Wesen entstanden, voll innerer Fülle und Lebenstätigkeit. Freilich kann ich mich auch mit diesem Wesen nicht betätigen, werde aber davon angezogen und hineinbewegt. Ich bin wie ein Fremdling im eigenen Haus, weil ein anderer in diesem herrscht, und diese Herrschaft kann der Seele unaussprechliche Leiden bringen.

952 |             Wohl das größte Leiden aber ist dabei für mich, nicht „beten“ zu können. Unwillkürlich will man „beten“, um Hilfe rufen, mit dem Heiland vertraut sein wie früher, aber es ist mir geradezu die Möglichkeit hierfür genommen; wenn ich es versuche, scheint alles leer und wertlos, ich kann nicht empfangen, weil ich mit dem auskommen kann, was ich in mir besitze. In ihm ist alles und ich muss mir nur Jesus ganz aneignen. Ihn gebrauchen und zur Quelle aller Kraft machen. So werde ich geradezu gezwungen, Jesu Sein zu gebrauchen und damit zu leben. Schon der Versuch, in gewöhnlicher Weise zu „beten“, beunruhigt mich; gleichsam „von ihm zu nehmen“ bringt mir aber große Ruhe und Kraft, weil alles vorhanden ist.

953 |              Gestern Nachmittag kam eine auffallende innere Erlösung und Erleichterung über mich. Es war mir, wie wenn ein Stein, der mich sehr beschwerte, von mir fiele. Anstelle der früheren Schwere ging eine große, unaussprechliche Geistigkeit in mir auf, eine neue Freiheit von mir selbst, die in mir die noch vorhandenen Hindernisse wegnahm. Ich war in einen unbeschreiblichen großen Raum eingetreten, wo nichts Eigenes, Beengendes oder Bedrückendes herrschte, wo ich alles abgelegt hatte und mich frei bewegen konnte. Das gab mir eine noch nie begriffene Ruhe und Klarheit und Kraft.

954 |              Über eigene Hindernisse hinweg bin ich wieder tiefer in Jesu Innerstes eingetreten und genieße als köstliche Frucht der vorhergehenden Leiden diese unbegreifliche Freiheit von mir selbst, erlebe anstelle der eigenen Gebundenheit Jesus in seiner unendlichen Freiheit, Ruhe, Kraft und Fülle. Es ist kein „Fühlen dieses erhabenen Zustandes“, sondern ein Sein in diesem Zustand, das Besitzen einer nun vorhandenen, erreichten Stufe des Lebens Jesus. – Das innere Erleben Jesu erfährt eben immer weitere Vertiefung. Es ist wie beim Gang in einen Tunnel. Man ist bald „drinnen“, aber geht man weiter, so kommt man tiefer hinein, obwohl es immer noch der gleiche Tunnel ist. So ähnlich erfährt man jede einzelne Vollkommenheit Jesu immer tiefer, erfasst man ihn reichhaltiger, wird man immer mehr von ihm erfüllt und gesättigt, von ihm aufgenommen und belebt, und schließlich ist er von mir „gelebt“. – Leider fehlt mir der Ausdruck, um diese weiter erfassten Wege und Stufen klarstellen zu können.

955 |              Gar bald, schon am Abend, kam ich über diese erreichte Stufe hinaus in ein neues Leiden. Die erreichte Freiheit, das tiefe Sein im Heiland bleibt, aber eine neue Last ist auf mich gelegt: Wie eine Wiederholung der Erlöserleiden lastet es auf mir und ich kann dem nicht entrinnen; es ist mit dem Sein Jesu in mir vorbereitet; infolge der Absichten Gottes bin ich diesen Leiden überantwortet. – Ich spüre die ganze Last, die ich bis jetzt getragen habe: All die Ungerechtigkeit des Urteils der Menschen in der Sache Gottes und dazu die Unmöglichkeit, mich irgendwie zu verteidigen oder die Absichten Jesu beschleunigen zu können: Mit Jesus verurteilt nach dem Gesetz der Menschen. Und ich erlebe die Schwere des ähnlichen Zustandes, denn der Erlöser ganz als Mensch ausgekostet hat. –

956 |             So tief habe ich die Last dieses schon jahrelang getragenen Kreuzes noch nie verkostet. Je geistiger eben die Seele wird, desto tiefer wird das Leiden, und dadurch, dass man so tief mit Jesus in seine Liebesabsichten eingeht, wächst auch das Verständnis für ihn. Jesus erfuhr aber in seinem ganzen Leben eine ständige Verkennung und ein Übersehen und Nichtbeachten seiner Absichten; er ward als ein „bloßer“ Mensch erachtet.

957 |             Ich gehe tief ein in diese seine Leiden, in all seine diesbezügliche Leidensmöglichkeit. Jesus ward zum gewöhnlichen Menschen, zum „lächerlichen“ Übermenschen, zum Verbrecher in den Augen der Menschen. Alle meine Leiden der Verkennung und Entrechtung sind in mir der Weg, um diese Art der Leiden Jesu zu verstehen. Und Jesus ließ es über mich54 ergehen. Mit der Kraft seines Herzens ertrug er sein Leben. – Diese weitere Stufe des Eingehens in Jesus und das vorweggenommene „Bejahen dieses Erlebens“ im Annehmen seines Seins weckt in mir zunächst einen Widerspruch der Natur. Jesus in diesem Leiden aufnehmen widerstreitet mir, aber nicht nach meinem Gefühl; denn dieses gibt sich ja gern dem Heiland. Man erfährt jedoch „Tieferes“ in sich: Jene Fähigkeiten, die dieses Leiden ertragen sollen, wehren sich dagegen. Dieser Kampf, zusammen mit Jesus Gelassenheit und Leidensbereitschaft, erzeugt das besagte geistige Leiden. Dieses ist aber für mich der Weg hinein in die Geisteswelt Jesu, tiefer hinein in ihn. (Freilich hat man kein Wort für dieses „tiefer hinein in ihn“). – Die ganze Nacht litt ich unter dieser Art seines Leidens, unter diesem Eingehen in Jesus. – Es ist aber alles rein geistig gelitten; der früher erlangte Grad der Freiheit und Geistigkeit bleibt bestehen.

958 |              Heute Morgen (27. Januar) war ich wieder ruhig. Ich habe das Hindernis in mir durchgebrochen und durchlitten, sodass ich Jesus in der geschilderten Art seines Erlöserseins ertragen kann. – Nach der heiligen Kommunion und bei der heiligen Messe bin ich weit von mir entfernt, lebe ich in und mit dieser Geisteswelt Jesu. Sie bietet mir alles. In ihr kann ich mich selbst ganz entbehren, weil in Jesus alle Fülle vorhanden ist.

959 |              Der Heiland scheint „Eile“ in mir zu haben. In meinem Innenleben ist ein Tag dem anderen gleich. Aber wie könnte ich seine Arbeit in mir beschreiben? – Leiden ist immer der Weg zu einer höheren Stufe in meinem55 Innenleben; und von jener Stufe aus führt dann wieder ein weiterer Weg noch tiefer in ihn hinein. Und doch scheint alles ganz gewöhnlich. – Nur die feine Geistigkeit kann diese inneren Regungen und Bewegungen erfahren. –

960 |              In jenem vollkommenen Aufgenommensein von ihm und Bleiben in ihm kamen mir die äußeren Umstände wie eine schwere Last in Erinnerung. Die scheinbare Aussichtslosigkeit seiner das Werk betreffenden Absichten will mir Bange machen, wenn ich auch nicht gerade zweifeln kann. Ich möchte, wenn ich könnte, dem Heiland einen Vorwurf machen: „Aber das hast du doch nicht wahr gemacht!“ Wir Menschen wollen eben immer das Äußere sehen. Ebenso bedeutet der andere Umstand für mich ein ständiges Opfer, dass ich schon so lange meinen (rechtmäßigen) Seelenführer entbehre. – In solcher Stimmung, die eine leichte Bangigkeit und Furcht vor noch höherer Hingabe in mir aufkommen lassen wollte, sagte mir Jesus in geistigen Worten: „Wenn du dich ganz verlässt und auf alles verzichtest, werde ich für alles sorgen, und alles übernehmen.“ Und ähnlich wiederum: „Verzichte ganz auf dich; ich übernehme alles.“

961 |              Bei solchen rein geistigen Worten ist immer „Wort und Wirkung“ zugleich. So war ich auch in jenem Augenblick mir selbst schon in einer noch höheren Art weggenommen und trat die Wirkung sofort ein, weil ja in der Seele kein persönliches, willentliches Widerstreben herrscht. – Im zweiten, kürzeren Wort war der Sinn des Erstgenannten enthalten. Das tiefere Wort war das Zweite, die tiefere Wirkung aber lag im Ersten. Sie bezogen sich beide auf die Tiefe seiner Absichten, auf die Art, in der ich mich nach seinem Willen verlassen soll, um meinem Eigenen ganz entzogen zu sein und dafür das „seine“ aufzunehmen. Jedes Mal war die innere Wirkung der tröstlichen Worte Jesu volles Vertrauen und neuer Mut. „Im weiteren Verzichten übernahm Jesus alles“. – Solche Worte sind wie ein Blitz, der beleuchtet.

962 |             Bei der heiligen Messe habe ich mich heute von Neuem ganz mit ihm für seine Absichten geopfert in großer innerer Sicherheit, dass „er“ der Urheber meines Innenlebens ist: Jesus, an den ich glaube, auf den ich hoffe und vertraue, und den ich über alles liebe. Das genügte mir, um mich ganz in ihn hineinzuwerfen: Ich vertraue DIR, weil du alles bist. – Und ich bin in großem Frieden und voll Vertrauen, dass Jesus alles „macht“, weil er „alles“ mit mir übernommen hat. [sic!] –

 

30.01.1941

963 |              Seit gestern Abend bin ich wieder in eine höhere Stufe des „Seins“ in Jesus eingegangen. Freilich waren die Leiden der vorausgehenden Tage innerlich peinigend.

964 |              Über die jetzigen inneren Leiden im Allgemeinen: Es ist schon ein merkwürdiges Geheimnis um diese Läuterungsleiden, die der liebe Heiland verursacht. Die letzterreichte Stufe des Seins in ihm bleibt für gewöhnlich bestehen. Man festigt sich darin, sodass man sich wie selbstverständlich und in voller Klarheit darin befindet. In letzter Zeit vollzog sich das in wenigen Stunden, weil ja der Wille schon ganz auf Gottes Wirken und Absichten hingerichtet ist und kein eigenes Widerstreben und „Selbstbesitzen–wollen“ mehr vorhanden ist. – Dann aber erlebt man innerlich, wie mir scheint, im Voraus wieder einen höheren Zustand. Ein weiteres Ziel tut sich im Inneren auf und darauf wird das ganze innere Streben hingerichtet. Es ist, als genüge einem die frühere Stufe nicht mehr, weil Höheres in Aussicht steht.

965 |              Hierauf „verdunkelt sich“ das vorhergehende Erleben Jesu. Das höhere, geschaute Ziel strahlt in dieses „Dunkel“ hinein und lässt es als zu wenig und nicht genügend erscheinen. Dadurch wird der Wille angeregt, mit voller Energie dem Höheren entgegenzustreben. Aber da erlebt man die eigene Unfähigkeit, irgendeinen Schritt auf das erschaute und ersehnte Ziel hinzutun. Es ist ein schmerzliches Leiden und Erleben der eigenen Unfähigkeit und der Unmöglichkeit, wobei die früheren Gnadenzustände still und passiv und wie nicht mehr vorhanden scheinen. – Jesus greift meistens „von oben herab“ ein. Das höchste Licht, das höhere Wissen, durchstrahlt ständig mein Inneres und bewirkt damit jene peinigenden inneren Auflösungsleiden, die vollkommene Loslösung von sich selbst.

966 |              Das zu erreichende Ziel und die eigene Unfähigkeit hierfür begegnen sich ständig in der Seele. Man scheint innerlich an das gebunden zu sein, was in der Seele noch als ein Hindernis vorhanden ist und was sie noch fernhält von der geschauten, höheren Stufe. Das Erleben dieses Hindernisses in sich erzeugt das schwere Leiden, das dem zu erringenden Ziel entspricht. Handelt es sich um einen höheren Grad der Loslösung von sich und um ein tieferes Eingehen in Jesus, so erlebe ich als Hindernis die eigene Gebundenheit, die nicht willentlich ist, die aber ein unbewusstes Zurückhalten des Dranges zum Höheren bedeutet. – Es entsteht gleichsam ein Zweikampf zwischen dieser eigenen Schwäche und dem geschauten und erstrebten höchsten Ziel in Jesus. Man wird dabei in sich niedergerungen und erdrückt in der durch das Licht von oben erkannten eigenen Nichtigkeit und Unfähigkeit. Man hat das Empfinden, als würde das ganze Innere mit einem glühenden Kamm durchgekämmt. Das ganze Innere wird wie mit einem geistigen Feuer durchglüht. Auch das frühere gelebte Jesus–Leben scheint dabei nochmals durchgeläutert und gefestigt zu werden. Ein Zustand greift in den anderen hinein.

967 |              Es sind dies aber nicht jene sinnengebundenen, fühlbaren Leiden früherer Jahre, sondern sie sind tief vergeistigt. Trotz dieser inneren Leiden bleibt die innere Ruhe oder wenigstens die Kraft der Ruhe. Ich kann sagen: Bei all diesen Leiden fühle ich mich nicht beschwert oder bedrückt, weil das sinnliche Anlehnungsgefühl schon längst weggelitten ist und der Geist sich frei in sich bewegt. Es sind eben rein geistige Leiden, die aber umso schärfer in die Seele eindringen und sie durchglühen. – Allmählich verschwindet jedoch das Hindernis in der Seele; der unwillkürliche geistige Kampf hört auf und an dessen Stelle tritt eine große innere Ruhe und Ausgeglichenheit. Ohne dass man gewahr wird wie, leuchtet neu der frühere Grad des Erlebens Jesu auf und wie in Gottes Kraft gelangt man zu dem erstrebten Ziel, zu jener weiteren Erhöhung, die wie ein dunkler Begriff in der Seele war oder auf die man durch die Eigenart der Läuterungsleiden hinbewegt und hineingehoben wurde.

968 |              Das Merkwürdige ist, dass man an diesen inneren Geschehnissen auf diesen höheren Stufen beteiligt und doch wieder nicht beteiligt scheint. Jesus tut alles in mir, ich brauche nichts zu tun, als geschehen zu lassen, was er in mir tun will. Er nimmt von mir Besitz nach seinen Absichten. Er sondert in mir aus und reinigt, was noch hinderlich ist. Er vervollkommnet und belebt, was er zu „seinem Leben“ in mir braucht.

969 |             Die Leiden der letzten Tage bezogen sich vor allem auf ein vollkommenes „Verzichten auf mich“, damit meine eigene, geistige Tätigkeit vollkommen ausgeschaltet werde (ich habe freilich kein Wort, um diese Grade immer höheren Verzichtes auf sich selbst wiedergeben zu können). Das Schmerzliche dabei ist, dass ohne eigenes Wollen immer wieder Selbsttätigkeit und eigenes Streben wie unbewusst im Inneren aufsteigt. Es handelt sich da um Fähigkeiten und Regungen, die – ohne böse zu sein oder Böses zu wollen – tief verborgen gleichsam „ihr Unwesen treiben“ oder wenigstens in sich die Kraft hätten, Jesu Leben in mir zu stören oder zu beeinflussen. Da greift dann jenes reinigende Feuer ein und es entsteht eine Qual des Verlangens, ganz von sich loskommen zu können. Man hasst und verabscheut sich und wird durch diese menschlichen, ungeordneten Fähigkeiten verdemütigt und vernichtet.

970 |             Diese geistigen Hindernisse in mir sind jetzt Regungen des Unwillkürlichen, „Unbewussten“: Innere Regungen der Sorge um Jesu äußere Absichten, der Gedanke an meine äußere Lage, Angst oder Furcht vor Leiden, das vollständige Weggenommenwerden meines eigenen Ich, wodurch die Seele wie in eine Sackgasse hineingezwängt wird. Kurz: Bewegungen und unwillkürliche Reflexe der Gedankenwelt regen und betätigen sich im Unterbewusstsein. Sobald sie aber dem „höheren“ Willen und Bewusstsein unter dem schon begründeten Leben Jesu gleichsam in die Nähe kommen, werden diese unbewussten Regungen sofort kraftlos und ohne Weiteres ausgeschaltet. Beides geht nicht zusammen, weil das höhere Seelenleben schon vollständig in Jesus eingeordnet scheint und das willentliche Widerstreben keine Bewegungsmöglichkeit im Inneren mehr besitzt. Sobald diese Regungen zum „höheren“ Bewusstsein gelangen, zerfließen sie sofort in nichts.

971 |             Ich erkenne aber klar, wie diese Bewegungen das innere Fortschreiten stören. Darum hasse ich das „Herumgeistern“ dieser Gedankenwelt in mir. Jedes unwillkürliche Verweilen bei mir selbst muss von Grund aus ausgebrannt werden. – Es war in der letzten Zeit in meinem Inneren so, dass es kein „in mir oder bei mir“ mehr gibt; damit verlieren diese verborgenen „Schwarmgeister“ ihre Unterschlupfwinkel. Alles muss von Jesu Sein aufgesaugt und in diesem Sinne für mich vernichtet werden. – In Jesus ist vollständiges Beherrschen jeder Regung. Es gibt eigentlich in ihm nichts um sich persönlich Sorgendes, sich Schmeichelndes, weil in Gott alle Regungen wohlgeordnet sind und alle Fähigkeiten harmonisch ineinandergreifen. Keine innere Bewegung ist da leer oder „umsonst“; alles dient vielmehr einem bestimmten Akt wesentlichen Inhaltes, einem wohlbegründeten Zweck und einer klaren Richtung, die keiner Überlegung bedarf.

972 |             Gestern Abend (29. Januar) in der Kapelle kam es dann in mir zu einer „Absonderung“. Jesus wurde zum völlig Beherrschenden in mir. Er durchdringt mich gleichsam wie ein elektrischer Strom, von dem alles belebt und bewegt wird. Von mir ist nur die äußere Hülle; das Regierende und Belebende in mir ist „er“. Alles in mir ist von Jesus „beschlagnahmt“; alles in mir gehorcht diesem seinem durchdringenden Leben. Nichts ist für den eigenen Gebrauch geblieben, weil das Eigene vollständig aufgelöst wurde. –

973 |              Es ist ein großer Unterschied gegenüber den früheren Graden des Seins in Jesus. Jetzt bin ich wohl beim letzten Abschluss angelangt. Heute Morgen scheint das gestern Erlebte noch stärker und tiefer und von mir noch mehr abgesondert geworden zu sein. In jener großen Ruhe, die mir Jesu Leben in diesem, vollendeten Zustand gibt, wollte ich ihn ihm wieder geben bei der heiligen Kommunion, [sic!] dass er sich ganz in mir befestige.

974 |              Es ist wie ein neues Leben, das mich beherrscht. Mein eigenes Tun ist vollständig aufgeräumt, und das gibt die unsagbare, selige Ruhe. In Jesus kommt keine eigene Regung, die ihn bewegen würde. In ihm ist alles Wirklichkeit und Tat, ich möchte sagen, „eine tuende und seiende Wirklichkeit“ und Akt. Der aufsteigende Willensakt ist Tat, und sonst bewegt nichts das Innere Jesu. Dadurch gelangt umso mehr die innewohnende Kraft zur Auswirkung, weil ihm jede Fähigkeit und Tätigkeit unterstellt ist.

975 |              Jetzt erkenne ich erst, welchen Grad des Verzichtens der Heiland von mir verlangte, und was Jesus in der Seele durch Leiden möglich machen kann. Der jetzige Besitz beleuchtet das, was ich verließ und was nun „unten liegt“. Und zu solcher Höhe ist die Seele schon in diesem Leben geschaffen!

976 |             Nach dem früher Geschauten scheint dieser Zustand die letzte Beschlagnahme durch Jesus zu sein, wodurch alle Kräfte und Fähigkeiten in mir von ihm und für ihn reserviert worden sind und alles in mir seinem Sein dient wie einstens seine eigenen menschlichen Kräfte, aber mit dem Unterschied, dass er sich herablassend meiner Armseligkeit anpasst, während das Leben aus Maria vollendet ihm untergeordnet war. Sein göttliches Licht, das mich ganz erfüllt, beschämt meine große Armut und es be­schämt mich die Tatsache, dass er sich mit mir begnügt, um seine Absichten der Liebe ausführen zu können. Aber alles in mir will ihm froh und gern zu Diensten sein. Und wenn für ihn etwas nicht fähig wäre, so möge er es unbarmherzig ausbrennen.

977 |             Jetzt erkenne ich auch, wie weit selbst ein anscheinend vollkommenes Leben von Jesu Leben entfernt ist. In Jesus ist alles überragend, vom göttlichen Sein und Willen regiert. Das göttliche Ich beherrschte ihn und das gab meinem menschlichen Leben jenen unendlichen Wert. Es ist eine unermessliche Gnade, die Jesus in mir aufgerichtet hat: Ich erlebe Jesus wie mein früheres Leben, aber er ist es. Ich habe diese unbedingte Sicherheit und auch die tatsächliche Wirksamkeit seines Seins ist mir ge­geben. Ich glaube aber, diese erreichte Höhe wird sich noch vertiefen und ausbreiten und festigen. – O Jesus, nur nie mehr zurück zu dem Ich, das ich verlassen habe! Nur immer mehr dich erfassen und durchleben in deinem gottmenschlichen Geheimnis – wie du es mir als deine Absicht zeigst!

 

31.01.1941

978 |             Der liebe Heiland ist tätig in mir und nimmt mich nach und nach ganz für sich zu seinem erneuten Sein. Diese seine Tätigkeit empfinde ich in seiner geheimnisvollen Forderung auf meinen eigenen Besitz sowie in einer vollen Wegnahme meiner selbst durch ihn. Ich stehe vor einem ent­scheidenden Abschluss meines Innenlebens! Ich erkenne klar, in welcher Art Jesus mich ganz für sich gebrauchen will, in welcher Form er meine Kräfte und Fähigkeiten in Beschlag zu nehmen begriffen ist. Ich spüre inner­lich unmittelbar die Folgen des gänzlichen Verzichtes auf mich. Dies löst eine innere Entscheidung aus. Mich ganz und für immer aufgeben im Sinne, dass ich auf jede Betätigung in mir verzichte, dass ich keine Sorge oder Anlehnung an mich mehr haben kann, das ist es, was ich innerlich als entscheidend fühle. Nicht, dass man dem Willen nach an sich hinge; aber es ist eben ein Naturgesetz und als Bestimmung in die Seele gelegt, dass sie sich um sich selbst kümmere, sorge und um ihretwillen betätige. Im Verzicht darauf spüre ich daher das Große, das Hinausgehen über das Geheimnis der menschlichen Natur, wonach jeder Mensch gemäß dem von Gott gesetzten Plan sich selbst behauptet. – Gerade da erlebt man die Kraft der göttlichen Gnade, die alles zu überwinden imstande ist und deren Forderungen keine Grenzen gesetzt sind.

979 |              In jener Forderung liegt der weitere Umstand: Alles, mich selbst unumschränkt dem Heiland überlassen. Durch das eigene Erleben ist das von der Seele zwar klar begriffen und tief begründet, aber es wird niemals möglich sein, diesen Grad des Beherrschtwerdens von Jesus in Worten zu erklären.

980 |              Ferner liegt darin: Verzichten auf die eigene, menschliche Sorge, wie sich „sein Werk“, das Priesterwerk, entwickeln wird. Das menschliche „Ich“ möchte ja voranmachen und „etwas dafür tun“; es ist mir aber, als würde mir alles aus der Hand genommen, weil er es in die Hand nimmt. Er gebraucht mich dazu, aber es ist mir vollständig verborgen, in welcher Art, doch weiß und fühle ich, dass er durch sein Wirken in mir „Licht“ macht für seine Absichten. Es ist mir alles geheimnisvoll dunkel; ich spüre, dass ich das Werkzeug sein werde, aber alles „tut“ er. Auch hierin soll und kann ich mich nie mehr einmischen „wollen“. Es ist daher eine Wendung sowohl in meinem Innenleben wie auch im äußeren: Was früher meine Arbeit und mein Bemühen noch schien, das übernimmt jetzt der Heiland ganz selbst. – Ich sehe dabei, wie selbstisch der Mensch ist, wie gern man selbst etwas tun „wollte“; man spürt, wie man – ohne persönlichen, bewussten Willen – an sich am Erfolg hängt; man spürt das erst ganz, wenn dem Eigenen alles aus der Hand genommen wird.

981 |             Und das Letzte, was in dem von Jesus geforderten und bewirkten Verzicht liegt: Meine Zukunft, ich selber bin mir weggenommen. All meine Kräfte, Fähigkeiten, Aktmöglichkeiten dienen seinem sich gleichsam wiederholenden Sein. Jesus will das große Wunder in mir wirken und vollenden: Sich offenbaren, sich erlebt und gelebt zeigen, wiederholt durch meine menschlichen Fähigkeiten. Jetzt aber vollzieht sich in mir seine entscheidende, letzte volle Besitznahme von mir. Er gebraucht alles in mir für sich, so ähnlich wie er einst seine eigenen Lebenskräfte gebraucht hat, um bestehen zu können. – Ich lasse mir gerne „alles“ nehmen, aber ich spüre auch das Entschiedene, das für mich darin liegt, dass er es nimmt.

982 |             Heute früh (31.01.1941), schaute und erkannte ich innerlich diese überragende Eigenheit Jesu: Alles in ihm ist hingeordnet und konzentriert auf das göttliche Sein in ihm! (Dieses Erkennen hat in der Auswirkung auf mein Innenleben etwas Unsagbares). Es gibt in Jesu Innerem keine unnötige Regung und Bewegung; alles ist der Hauptsache zugewendet; die vielen geistigen Fäden der inneren Betätigung sind wohlgeordnet und dienen alle dem höchstens Sein in ihm. Und diese innere Harmonie wird vom göttlichen „Ich“ beherrscht. Es gibt nur ein „ich will“ in Jesus, und alles gehorcht. Es fehlt in ihm vollständig unser menschliches „ich soll, ich muss“. Jesu menschliche, seelische Fähigkeiten sind vollkommen dem göttlichen Ich eingeordnet und untergeordnet, ohne dass ein Druck oder Zwang auf Jesu Seele ausgeübt wurde. Alle Bewegungen vollziehen sich in voller Ruhe und Ausgeglichenheit untereinander, obwohl beide Naturen, die göttliche und die menschliche, voll zur Auswirkung gelangen.

983 |             Und Jesus hat mich bestimmt, dass dieses Geheimnis des Lebens Jesu in mir zu menschlichem Begreifen und Erklären gebracht werde, damit dieses Geheimnis für die Kirche offenbar und zum Gegenstand der Verehrung und der Würdigung werde. Dadurch soll Jesus in seinem Erlösungsgeheimnis mehr erkannt werden, wodurch wiederum seiner Kirche neue Gnaden zufließen werden.

984 |             Dabei erkenne ich klar, wie verstreut und zerstreut meine Fähigkeiten in mir sich noch bewegen, obwohl die jahrelange Reinigung sie geläutert hat. Jetzt gilt es, sie zu sammeln, zusammenzuschließen und zu konzentrieren, damit eine abgerundete geschlossene Kraft daraus entstehe. Alle meine geistigen Fähigkeiten gelangen damit an den Ort ihrer Bestimmung und Aufgabe. Diese Zusammenfassung aller Geistesbewegungen und Kräfte hat die Bestimmung und den Zweck, die volle Harmonie, die in Jesus ist, nachzubilden, um ihm dargestellt zu dienen. Ich spüre klar, wie Jesus das macht in mir und wie er mich für sich gebraucht. – Wenn ich so weit in Jesu Sein eingegangen bin, wie ich es innerlich als Ziel schaue, wird er mich durch einen besonderen Akt seiner Gnade unveränderlich befestigt machen.

985 |              In mir ist volle Bereitschaft gegenüber den Absichten Jesu. Ich fühle zwar sehr tief das entscheidende Opfer meiner vollen Hingabe, aber ich überlasse mich „ihm“ ganz, sowohl mit meiner Hingabebereitschaft wie mit dem noch unbewusst vorhandenen Widerstreben der eigenen Natur und etwaiger leiser Furcht und einer gewissen Bangigkeit um meine Armseligkeit. Bei allem befinde ich mich in großem inneren Frieden. –

 

Februar

01.02.1941

986 |             Meine inneren Leiden sind so groß und durchdringend, dass es mir nicht möglich ist, einen richtigen Ausdruck dafür zu finden. – Und doch bin ich auch ganz glücklich dabei; denn es ist die größte Gnade, in dieser Art mein Nichts und meine Unfähigkeit erkennen und einsehen zu können.

987 |             Ich bin ganz durchtränkt von meiner Nichtigkeit, Schwäche und Ohnmacht. Dieses tiefe Erkennen der eigenen Unmöglichkeit und das ständige Schauen–müssen auf den Abgrund meiner Armseligkeit ist mir eine wirkliche Wohltat, weil der Heiland damit die Wahrheit zeigt. – Es trifft in mir zu, was der Prophet Malachias – in der Lesung vom Fest Mariä Lichtmess – sagt: „… und wer kann bestehen bei seinem Anblick? Er ist wie schmelzendes Feuer und wie Lauge des Wäschers …“

988 |              Im Wesentlichen bleibt der früher erreichte Zustand des Erlebens Jesu bestehen und sein Leben in mir ist es, was dieses verzehrende Feuer der inneren Leiden verursacht. Nichts ist rein vor seiner Gegenwart; sein göttliches Licht aber durchleuchtet ständig die Seele und durchdringt sie bis in die letzte Tiefe und versetzt sie dadurch in diesen durchgreifenden Läuterungsprozess.

989 |              Ich bin aber ganz ruhig und wäre zufrieden, wenn ich mein ganzes Leben in diesem Zustand zubringen könnte, weil es mir die größte Wohltat ist, so tief und unverfälscht die lautere Wahrheit meiner Nichtigkeit einsehen zu können. Das ist ja der Mensch vor Gottes Anblick und Gegenwart. Daher muss ich immer und zutiefst anerkennen, dass „alles“ seine göttliche Gnade in mir getan hat. Und dass seine Gnade in mir groß war, erlebe ich, wenn ich auf den Gegensatz zwischen meiner geistigen Erhebung in Jesus und dem Abgrund meiner Armut und Verdienstlosigkeit schauen muss.

990 |              Die Wahrheit beruhigt meine Seele. Herr, lass mich immer in dieser Wahrheit bleiben! Ich bitte dich um nichts so innig als um diese größte Gnade. –

 

05.02.1941

991 |              Seit gestern Abend bin ich – nach großen Leiden – wieder in großer innerer Stille und Ruhe. Die heftigen seelischen Leiden haben aufgehört, und an deren Stelle ist eine unsagbare Stille über mich gekommen. Gewiss tut es mir gut, einmal ein wenig ausruhen zu können. Sonst ist alles in Dunkel gehüllt in mir. Ich weiß keinen Schritt weiter von dem, was der Heiland nun in mir vollbringen wird. Ich bin ihm mit allem, was in mir ist, gerne zu Diensten, und bereit.

 

10.02.1941

992 |              „Mit vielen Leiden wirst du in mich eingehen“. So hat mir vor zwölf und mehr Jahren der liebe Heiland oft im Vorauserleben das letzte Ziel seiner Absichten mit meiner Seele schauen lassen. Im Vorauserleben und Verkosten dieses gnadenreichen Zustandes sah ich mich damals schon ganz nahe daran. Doch überwältigt und fast erdrückt von der Fülle seines Seins in mir und dem Gegensatz meiner geistigen Schwäche musste ich den Heiland immer wieder bitten: „Geh weg von mir; ich kann dich nicht ertragen.“ So selig und glücklich und aller Welt enthoben auch das Erleben seines innersten Seins machte, so klar erkannte ich den unermesslichen Abstand. Seine unaussprechliche Geistigkeit und Heiligkeit war für meine arme Menschheit etwas Unerträgliches und Erdrückendes. Wenn ich aber so im Erkennen meiner Ohnmacht innerlich ganz entmutigt war und doch wieder das Verlangen nach seinem vollen Besitz mich verzehrte, tröstete mich Jesus oft: „Ich werde mich deiner Schwäche anpassen“. – Und Jesus ist heute noch daran, sich meiner Schwäche anzupassen.

993 |              Wie viel nahm mir der Heiland seither weg, wie viel musste ich verlieren und aufgeben, mit welchen durchdringenden Leiden reinigt er mich seit Jahren, dass ich mittels dieser Reinigung ihm angepasst werde! – O Torheit des Menschen, der sich Gott „gleich“ stellen möchte!

994 |              Und doch schreite ich innerlich stets weiter in ihn hinein. Es gibt keinen Stillstand in mir, wenngleich der innere Aufstieg fast immer durch Leiden verdunkelt erscheint.

995 |              Heute erlebe und erfahre ich wieder die Frucht der Leiden der vergangenen Tage, die freilich bitterschwer waren. Ich kann jetzt „bleiben“ in der Geistigkeit Jesu, brauche keinen eigenen Anlehnungspunkt in mir, kann mich gut entbehren. Ich wurde in eine reine Geisteswelt hineinversetzt, ohne irgendwo sonst Stütze und Halt zu finden; weit weg von mir und meinem eigenen Sein bin ich mir ganz verloren; ich muss für immer einen anderen „Raum“ bewohnen und ihm mich anpassen. Dieser geistige „Raum“ hat keinen Grund und Boden und bietet keine Anlehnungsmöglichkeit; ich muss mich dort halten können, scheinbar ganz aus mir; ich bin dort ganz allein, ohne Hilfe und Trost. Diese „Geisteswelt“ bietet mir alles. Ich muss sie mir ganz aneignen, mich dort wohlfühlen. Sie wird mein Lebenselement.

996 |              Entsprechend schwer waren aber auch die auf dieses Ziel hinführenden Leiden. Zwar bin ich in großer, seelischer Ruhe, aber die Erfahrungen in dieser Geistigkeit, in der ich mich bewege, sind für die Seele so unaussprechliches Leiden und ein Widerspruch und Gegensatz für das Eigene, das nun in sich selbst ist. Ich möchte einen schwachen Vergleich gebrauchen: Es ist, wie wenn man von der Erde in den weiten Himmelsraum hinausversetzt würde und dort bleiben müsste, frei in der Luft schwebend, ohne sich an etwas halten zu können; weil man aber unbedingt nun dortbleiben müsste, so müsste man sich jenem Raume anpassen. Es müsste daher alles Beschwerende abgelegt werden; das Verlangen zurückzukehren müsste einfach ausgeschaltet werden; man müsste alles abgeben, was hindert, in diesem Zustand zwischen Himmel und Erde auszuhalten. – Man wird anerkennen müssen, das geht nicht; das ist zu viel für menschliche Leistungsfähigkeit. – So ergeht es mir innerlich. Ich glaube auch, mir sagen zu müssen: Das halte ich nicht aus; das geht weit über meine Kraft hinaus. Aber Jesus nimmt einfach meiner Seele alles Beschwerende weg, macht mich „leicht“ in sich, macht mich gleichsam „zum Geiste“, frei von mir und von allem Beengenden; denn nur Gleich und Gleich fließt leicht ineinander. – Gerade erlebe ich in mir als Leiden jenes Beschwerende, das mich so erdrückt und beengt. Durch das Erfahren des eigenen Hindernisses werde ich davon befreit. Es sind dies aber rein geistige Vorgänge, die man nicht beschreiben kann. Das jeweilige Hindernis erlebt man als einen Gegensatz, als etwas Widersprechendes, wodurch diese geistigen Läuterungsleiden hervorgerufen werden. Und Gottes Licht scheint gerade dann in besonderer Weise tätig, mich ganz durchleuchtend und wie „suchend“ nach etwaigen Hindernissen im verborgensten Inneren.

997 |              Nachdem ich Jesus annähernd angepasst bin, nimmt er mich auf in seine innere Geistigkeit. Trotz all der durchdringenden Leiden schaue ich, wie frei von mir, ständig ein großes Geheimnis, das ich früher nie so klar erkannte: Die zweite göttliche Person, das „Ich“ dieser göttlichen Person wird bei der Menschwerdung das „Ich“ im Menschen Jesus. Ich erkenne das so klar, wie dass „2 mal 2 gleich 4“ ist. Es ist die gleiche Person in Gott–Sohn und dem Heiland; es besteht nur der Unterschied, dass Gott–Sohn sich der Macht seiner Herrlichkeit „entäußert“, und sie gleichsam im Vater zurückgelassen hat, und sich unterdessen dem Vater unterstellte. Er bleibt in sich ganz der Gleiche, bleibt dem Wesen nach „derselbe“ und verändert sich nicht im geringsten, aber er hat für eine Zeit lang die Macht seiner Herrlichkeit gleichsam auf die „Seite gelegt“, um inzwischen eine andere Stelle zu übernehmen und um etwas ausführen zu können, was ihm bei der Ausübung seiner Stellung als Gott–Sohn nicht möglich wäre. – Ich erkenne so klar diese Änderung der „Funktion“, wobei das Wesen sich nicht ändert. Es ist – in einem Vergleich gesagt – wie wenn ein Königssohn für eine Zeit lang die Stellung eines Arbeiters mit allen Auswirkungen jenes Berufes übernähme. Der Königssohn wäre wirklicher Arbeiter, obwohl er nichts von seiner Königswürde an sich verliert. So erkenne ich klar auch die Auswirkungen der „Funktionsänderung“ in Jesus. Obwohl sich die Person in Christus nicht geändert hat, ist er von der Herrlichkeit seines Vaters in das arme Gewand unserer Menschlichkeit versetzt.

998 |              Ich schaue den Unterschied und ich komme mir vor wie ein Mensch, der von der Erde wegversetzt wäre; infolge der eigenen Entfernung von der Erde könnte er die Geheimnisse des weiten Himmelraumes und der Sternenwelt besser erfassen, weil sie ihm „nähergekommen“ sind. So durchschaue ich in großer Geistigkeit, im weiten, unermesslichen Raum der Geistigkeit und weit getrennt und entfernt von allem, das besagte Geheimnis. In gewissem Sinne wird man durch die beschreibenden Leiden „weltentrückt“ und erlebt und erfasst [man] mit Leichtigkeit und wie mit Selbstverständlichkeit übernatürliche, göttliche Geheimnisse.

999 |              Heute bin ich so froh und ruhig, diesen entscheidenden Schritt von mir weg in Jesu Geisteswelt völlig gemacht zu haben. Nicht verlangt es mich mehr zurück in mein elendes Sein. Ich will mich Jesu Kraft und Sein anvertrauen, will hier wohnen und bleiben für immer, um immer vollendeter ihm angepasst zu werden. — Es ist aber alles unaussprechlich einfach in mir.

 

11.02.1941

1000 |        In unsagbarer Einfachheit und Stille nimmt Jesus ganz Besitz von mir. Von oben herab erfasst er meine Seelenkräfte, sammelt sie und erfüllt sie mit sich, wie in einem letzten Abschluss, dem alles in mir unterstellt ist. –

1001 |        Gestern schon war der liebe Heiland in diesem Sinne in mir tätig. Das Geheimnis seiner hl. Menschwerdung war der Weg, durch den er mir seine Tätigkeit in mir erklärte. Ich verstehe es so gut und begreife, wie die zweite göttliche Person die Menschheit in Maria annahm, wie die zwei Naturen eine Person wurden. Die göttliche Person war in der heiligen Menschheit Jesu ebenso „Ich–Person“ wie einst in der Herrlichkeit des Vaters. Gott–Sohn selbst wollte eben der Menschheit Erlösung bringen. Dies ist ein unbegreifliches Geheimnis göttlicher Liebe, obwohl mir die vollzogene Tatsache so klar und begreiflich und nahe ist. Die göttliche Ich–Person vollendete die heilige Menschheit Jesu erst zu einem vollständigen, selbstständigen Wesen, dem Gott–Menschen Christus.

1002 |        Heute, bei der heiligen Messe (es ist das Fest der Erscheinung Mariens in Lourdes) gab ich mich durch die Hände Mariens wiederum ganz den Absichten Jesu hin. Ich fühle ja, wie der Heiland mich zum Letzten hinführt. Ich will mit mir nichts zu tun haben, sondern mich ganz seinen Liebesabsichten überlassen. – Bei der heiligen Kommunion erfüllte mich Jesus in so einfacher Weise ganz mit sich. Er ist das Tragende, Beherrschende und Überragende in mir; von mir ist nichts geblieben. Eine bestimmte Innigkeit in ihm gibt mir eine so stille Seligkeit und unsagbaren Frieden.

1003 |        Jesus will: Ich soll fest glauben, dass er, der Heiland und Erlöser, sich in ähnlicher Weise mit mir verbinde, wie er es mit der Menschheit in Maria tat. Er will eben jenes Geheimnis erlebt zeigen.

1004 |        Ich fühle mich, um einen naheliegenden Ausdruck zu gebrauchen, wie ein Schifflein, das dieses Geheimnis in sich trägt. Mit meinen geläuterten Seelenkräften, die er für sich anpasste, bildete er sich die Möglichkeit einer Angleichung an ihn. Ist die Möglichkeit und Fertigkeit für ihn in mir ganz hergestellt, so vollzieht er selbst die letzte Beschlagnahme und Vollendung. Und in diesem Stadium, im Werden dieser letzten Angleichung befinde ich mich jetzt. Wohl wird sich dieser Zustand langsam und wie natürlich auswirken; Jesus macht alles so einfach und wie selbstverständlich, damit meine Armseligkeit nicht erschrecke und nicht in Aufregung und Furcht kommen kann. Sein Wirken in mir ist so still, wie nicht vorhanden, und doch wieder so stark und umwälzend und durchdringend.

1005 |        Der liebe Heiland will von mir Glauben an die Größe seiner vollzogenen Absichten und Gnaden. Nicht dass ich jetzt Jesus würde – er wird und kann sich nie wiederholen –, aber er will wiederholend das Geheimnis zeigen, dass sich in ihm als Erlöser vollzogen hat; er will zeigen, in welcher Art Gottheit und Menschheit bei der Erlösung beteiligt waren und zusammenwirkten. Auf diese seine letzte Absicht sind alle Gnaden in mir hingeordnet.

1006 |        Ich übergebe alle Gnaden Jesu und damit mich selbst dem lieben Mütterchen, dass sie alles übernehme und dass sie durch ihre Mutterhand alles in mir vollendet werde. Mit ihr will ich sein eine Magd des Herrn, die alles nach Jesu Absichten geschehen lässt.

 

21.02.1941

1007 |        Heute Nachmittag, während einer Schreibarbeit, wurde ich innerlich neu von Jesus erfüllt, bzw. von Jesu Ich–sein durchlebt. Es ist nur „eines“, vom göttlichen „Ich“ geleitet. Ich habe keinen anderen Ausdruck für das Erlebte.

1008 |        Jesus fragte mich: „Willst du ganz und für immer auf dich verzichten, um mein Leben weiterhin zu leben?“ – In dieser Frage war zugleich die Tragweite und Tiefe seiner Absichten beleuchtet. – Gewiss sagte ich gern: Ja, Heiland, ich will dein „Ich“ leben, will für immer auf mich verzichten, will nach deinen Absichten an deine Stelle treten, will dich erleben. – Jesus will immer freien Willen und freiwillige Hingabe.

1009 |        Ich bin wie auf einer großen geistigen Ebene in Jesus angelangt. – Ich möchte mein Innenleben vergleichen mit einer Bergbesteigung. Je näher man dem Berg kommt, desto größer und gewaltiger erscheint er. So ließ die Größe der Absichten Jesu mich erschauern. Langsam aber, und wie unmerklich steigt man zur Höhe hinan. Es geht scheinbar in Windungen, aber es geht doch aufwärts. Man wähnt sich schon oben, weil so vieles unten scheint, wenn man zurückschaut. Schön wäre die Aussicht, belohnend für die Mühen des Anstieges, aber es gilt, den Gipfel zu erklimmen. Man meint, der Gipfel müsse eine Spitze sein, wo man sich eigentlich nicht so recht wohlfühlen kann. Ist man aber oben angelangt, so sieht man sich auf einer schönen, weiten Hochebene, wo man sich frei ergehen kann. Es ist oben auf der Berghöhe so eben wie unten im Tal. Zudem besitzt und genießt man eine große, unsagbare Freiheit von aller Unrast und allem Getrubel da unten. – Ähnlich ist es in mir. Ich bin jetzt auf dieser großen „Ebene“ in Jesus. All mein Sein ist aufgesogen von ihm und er beherrscht mich als „er“. Es ist viel zu einfach, ich möchte sagen, zu „eben“, um in Worten ausgedrückt zu werden. Mein Sein ist so unglaublich mit ihm zusammengeflossen auf dieser geistigen Ebene.

1010 |        Ich bin vollständig von mir weggeführt, von mir entfernt, weggegangen von mir. Schon seit längerer Zeit weilte ich in einer anderen Geisteswelt. Ich schaute sie oft als Jesu Geisteswelt. Wenn aber das innere Licht erlosch, konnte ich mich nicht mehr zurechtfinden56 und orientieren. In diesem Zustand war ich in der letzten Zeit. Ein ständiges, immer weiteres „Mich–von–mir–entfernen“ bewirkte, dass ich mich ganz verlor in einer geistigen Umgebung, wo man nichts mehr tun, nichts wollen kann, wo man sich nur „mitnehmen“ und leiten lassen kann. Es ist ein den Menschen fernstehendes, ungeklärtes Gebiet.

1011 |        Wie auf dem Meer eine Welle die andere schlägt und erreicht, so ist auf diesem Gebiet, geistigen Wellen gleich, die einzige, immer wiederkehrende Regung: Ganz und für immer auf mich verzichten, aufhören, für mich zu sein, ein „anderes“ Leben annehmen.

1012 |        Im Aufleuchten dieses anderen kommenden Zustandes erlebe ich Jesus: Sein Ich durchdringt mich; alles in mir ist untertan seinem göttlichen Ich in mir. Ein anderes Leben ist in mir im Entstehen.

1013 |        Die letzten Tage waren voll Pein in diesem „sich ganz verloren haben“, ohne einen Ersatz dafür zu haben. Jesus arbeitete in großer Stille in mir.

1014 |        Noch größer wird immer die Stille, wenn Jesus wieder einen Abschnitt fertiggemacht hat. Ich gewahre und erlebe jetzt in mir eine unaussprechliche Freiheit von mir, eine nie erlebte Geistigkeit, einen viel höheren Zustand als bisher.

1015 |        Von diesem Zustand werde ich, wie in einem Zusammenfließen, hinüberbewegt, dorthin, wo ich gleichsam aufgelöst werde, und verschwinde, und wo Jesus das vollkommen und einzig Lebende und Belebende scheint. Er ist das Höchste, Tragende in mir und braucht mein Sein als das Niedere zu seinem Bestehen. Es scheint alles aus meinen geläuterten, vergeistigten Fähigkeiten gebildet, aber zum letzten Abschluss von ihm belebt und durchlebt.

1016 |        Ich sehe ein, dass ich im letzten Stadium seiner Vollendung in mir bin, doch wird sich dieser Zustand noch weiter ausdehnen, klären und befestigen. Nach meinem Erfassen ist es wie eine „dauernde Ekstase“, die aber mein gewöhnlicher Zustand ist. (Jesus hat mir schon vor vielen Jahren diesen Zustand im Voraus gezeigt und erklärt als einen „ekstasenähnlichen Zustand“.)

1017 |        Ich kann mich in keiner Weise mit mir beschäftigen; es scheint das eine Schwierigkeit für mich zu werden, aber ich schaue voraus: Wenn ich einmal in diesem Zustand ganz befestigt bin, dann gelange ich durch ihn, gleichsam durchschauend und durchschreitend durch ihn, wieder in ein scheinbar gewöhnliches Leben, das aber das seine bildet, das Erleben seines Lebens. Der Heiland will eben das Geheimnis seines gottmenschlichen Lebens als Offenbarung für die Kirche zeigen.

1018 |        In der Kapelle wollte ich wenigstens alle Anliegen sagen, für die Seelen ihn bitten, die mir nahestehen. Jesus aber wollte nicht diese Art der eigenen Betätigung. Er wehrte es mir mit den (geistigen) Worten: „Ich werde für alles sorgen.“ – Er verlangt nur grenzenloses „ihm zur Verfügung stehen“. Er nimmt mich ganz mir weg und gebraucht mich für sich, aber ich muss und soll das auch ganz wollen. Ich soll mich ganz in ihn hineinstürzen, mich ihm ausliefern, dass er bestehen kann. —

1019 |        Ich übergebe alles dem lieben Mütterchen; aus ihrem Herzen und aus ihrer Hand muss Jesus alles von mir in Empfang nehmen.

 

22.02.1941

1020 |        Ich bin „eins“ geworden mit Jesus, ein neues Leben, das von seinem Ich durchlebt ist. Es ist „eines“ und doch sind wir zu zweien; die ganze Nacht blieb dieser gnadenvolle Zustand.

1021 |        Die Seele in mir schaut ständig die Gottheit, kann ihren Blick nie von Ihr wenden, doch trägt die Seele die Gottheit. Alles in mir ist wie „herausgehoben“ aus dem früheren Sein, aus dem sich ein neues Sein gebildet hat; das Frühere scheint weit unten zurückgelassen.

1022 |        Meine Seele kann dieses neue Leben gut ertragen; sie ist nicht mehr bedrückt davon, sondern bewegt sich in unsagbarer Freiheit in Jesus. Es scheint mir auch nichts Außergewöhnliches; alles ist einfach und wie wenn es so sein müsste. Da versteht man das langsame, mühsame Heraus- und Hinaufführen meiner Seele, ihr Angleichen an Jesus und seine große Herablassung, die zuletzt mit dieser Selbstverständlichkeit und Einfachheit abschließt. Es ist gewiss ein Wunder geschehen in mir.

1023 |        Der Heiland bereitet mich zur größten Gnade, die er noch nie gegeben hat und die er nur der Not seiner Kirche wegen gibt; er will ihr eine neue tiefe Erkenntnis Christi geben, woraus ihr neue Kraft und Gnade zufließen wird. – Jesus will nur Glauben, Glauben an seine Absichten der Liebe, wozu er ein armes Menschenkind benützen will. Seine Gnade und meine volle Bereitschaft müssen sich zusammenschließen.

1024 |        Alles in mir „will“ ihm dienen. Ich erkenne den Umfang und die Ausdehnung dieses „ihm dienen“. Jesus braucht menschliche Kräfte und Leidensmöglichkeiten, die er beherrscht und mit denen er zusammenwirkt zu einer Wiederholung seines Erlöserlebens, soweit es seinen Absichten entspricht. Mein Ich hat nichts mehr zu tun, ist ausgeschaltet; an dessen Stelle ist sein „Ich“ getreten. Eine unsagbare Ruhe und Harmonie ist in mir, eine unaussprechliche Freiheit von allem Geschaffenen. Nichts stört mehr dieses Leben, das in mir geworden ist. –

 

23.02.1941

1025 |        Während der liebe Heiland mich bisher so geheimnisvoll dunkel seinen Weg der geistigen Angleichung an ihn geführt hat, schien es mir, als wolle er mir heute offen von seinen Absichten mitteilen.

1026 |        Es ist ein ständiges Hinbewegen zu Jesus in mir. Meine Seele bewegt sich aktiv, um ganz von Jesu Sein in Besitz genommen zu werden. Zuweilen ist es wie eine vollständige „Landung“ in ihm, ein fertiger Zustand. Doch scheint meine innere Verfassung noch nicht die völlige Möglichkeit zu bieten, um dauernd ganz von ihm beherrscht zu werden, denn zwischen hinein werde ich wieder in mich zurückversetzt. Trotz meines eigenen Bemühens, das ja der ständige Zug der Gnade ist, kann ich mich nicht dauernd vollständig in ihm halten. Zwar fühle ich in mir kein Hindernis, denn dem Willen nach ist die volle Bereitschaft in mir, doch wird im verborgenen Inneren noch nicht die Fähigkeit zu jenem bleibenden Einssein hergestellt sein. – Jede neue Stufe scheint höher, vollendeter zu sein und zeigt Jesus in einer höheren, neuen Art.

1027 |        Heute, nach der heiligen Kommunion, war ich ganz wie in Jesus vollendet und er sprach geistig zu mir: „Ich liebe die Menschheit (den Menschen) so sehr, dass ich gleichsam nochmals eine Menschheit annehmen will, um mich als Mensch nochmals, wie wiederholend, meinem Vater opfern zu können. Ich will deine Menschheit benützen, um meinen Liebesdrang erfüllen zu können. Ich liebe die Menschen so sehr, dass ich mich in allem gleichsam wiederholen möchte, um den Zweck und die Absicht57 der Erlösung und meiner Menschwerdung voll zu erreichen. Ich möchte in allen Seelen den Zweck meiner Menschwerdung voll erreichen.“

1028 |        Im Zusammenhang mit diesem geistigen, in Worten nicht wiederzugebenden Erfassen der Liebesabsichten Jesu schaute ich zurück auf die Worte, die mir immer unvergesslich eingeprägt58 bleiben, seit der ersten diesbezüglichen außergewöhnlichen Offenbarung am Herz-Jesu-Freitag 192459: „Ich will mich in den Seelen vervielfältigen, ich will in den Seelen wieder lebend werden. Ich will dich dazu benützen und werde mich mit dir so vereinigen, wie Seele und Leib ein Leben sind, um durch dieses, mein gleichsam wiederholtes Leben meine Absichten erreichen zu können“. (Damals waren mir diese Worte unbedingt „sicher“, aber doch dunkel.)60

1029 |        Ich erfasste so tief Jesu Erlöserabsichten und sein ganzes Erlösungswerk. Dessen erster Zweck war, die Menschheit durch das Leiden und den Kreuzestod von der Knechtschaft Satans loszukaufen; die zweite Absicht war: Durch die Annahme einer menschlichen Natur die Menschheit wieder herzustellen d. h. durch die geistige Überwindungskraft, die in der Erlösungsgnade enthalten ist, die durch die Erbsünde gebundene Menschheit wieder heiligungsfähig zu machen. Ich schaute: Durch einen Menschen kam die Sünde mit ihren Folgen in die Welt und alle Menschen wurden davon ergriffen; wiederum durch einen Menschen, durch den Gott–Menschen, wurde die Überwindung der Sünde möglich gemacht und die Menschheit gleichsam erneuert. Die erste Menschheit war von Gottes Liebe geschaffen. Er will den Menschen nicht verloren gehen lassen und so wurde der zweite Mensch, Christus, von Gott gesandt, um die gefallene Menschheit zu erlösen und zu erneuern.

1030 |        Als bei der heiligen Wandlung der Priester die heilige Hostie emporhob, sagte Jesus: „Lieber (als in der toten Hostie) möchte ich mich in lebenden Menschen meinem Vater opfern“. –

1031 |        Der Heiland ließ mich sein großes Verlangen erkennen, „der Menschheit wieder nahezukommen“, sich zu den Menschen herabzulassen, denen er gleichsam Bruder geworden war. In einem Menschen sind alle Menschen gerettet und geheiligt worden und nur durch Christus und in Verbindung mit ihm kann der Mensch die Absichten Gottes bei der Erlösung verwirklichen.

1032 |        Nach der dritten heiligen Messe wurde ich ganz von Jesus aufgenommen. Er ließ mich nun so klar wie noch nie seine Absichten mit mir erkennen und zeigte mir den Zweck seines „Einswerdens“ mit mir zu einem neuen Leben, das er zu sein scheint. Dadurch wiederholt er mittels meiner Menschheit sein Sein vor dem Vater, will damit die Tätigkeit seiner Menschheit bei der Verwirklichung der göttlichen Erlösungsabsichten zeigen, aber auch erklären, inwieweit die erlöste Menschheit fähig gemacht wurde, durch die Erlösung an ihm teilzunehmen61. Er will ferner die Möglichkeit der Wiederherstellung der gefallenen Menschheit zeigen, die durch seine leidende Menschheit gleichsam überwunden und erneuert wurde; kurz, er will den ganzen Umfang der durch die Erlösungsgnaden gebotenen inneren Erneuerungsmöglichkeit zeigen.

1033 |        Der Heiland62 will in allen Menschen den Zweck seiner Erlösung voll erreichen und will alle Menschen zur Teilnahme an und mit ihm befähigen. Jesus sagte mir dann: „Dazu will ich mich meiner Priester bedienen63 und will in ihnen mein Leben fortsetzen, damit den Menschen (wie aus eigener Erfahrung)64 die Fülle meiner Erlösungsgnaden erklärt werde.“ – Zuerst soll der Priester der Erlösungsgnaden Jesus voll teilhaftig sein und damit ganz von Christus beherrscht werden, dann soll er den Menschen die Fülle der Erlösungsgnaden zeigen und mitteilen.

1034 |        Ich sagte zum Heiland, (nachdem er mir seine Pläne zeigte)65: „Ja, warum benützt du aber eine Frauenseele?“ – Jesus: „Das hat meine Mutter getan! Sie war die Erste, welche die Menschheit in sich überwunden und gottaufnahmefähig gemacht hat.“ – Dann dankte ich „Maria“ für die große Gnade dieser meiner Auserwählung für Gottes Absichten. Ich sagte, mich zu ihr wendend66: „Liebe Mutter, ich danke dir innig dafür!“ – Maria: „Mein Liebling glaube mir, dass du mein Liebling bist!“ – „Es ist mein größtes Verlangen, die Menschheit wieder zu meinem Sohne zu führen; das wird immer mein Anteil sein.“

1035 |        Ich wunderte mich bei mir selber, wie ich so einfach und wie selbstverständlich mit Jesus und Maria verkehren konnte; es war alles so einfach. – Jesus sagte: „Immer wird die Türe dir offen sein zu den heiligsten Geheimnissen.“ –

1036 |        Nachher kam mir der Gedanke, wie Jesus immer nur von meinem Innenleben, von meinem eigenen Eingehen in ihn und von seinem Einswerden mit mir und seinen Erneuerungsplänen67 spricht und nichts sagt von seinen äußeren Absichten, von der Gründung des Werkes, das doch seine Absichten verwirklichen soll. Da sprach der Heiland68 innerlich zu mir: „Kümmere du dich nur allein darum, dass du ganz in mich aufgenommen werdest; ich werde so Großes tun, dass du es nicht ertragen könntest.“ (Nämlich, wenn ich es jetzt schon wüsste; es würde meine Armseligkeit zu sehr beschämen).

1037 |        In der Kapelle sagte mir dann später Jesus: „Wenn du mich voll ertragen kannst, werde ich dir einen 'Stempel', ein Siegel aufdrücken (geistig eine Art Unveränderlichkeit)69, dass du dich meinen Absichten nicht entziehen kannst und dass du mir dienst wie mein eigenes Sein“. –

 

28.02.1941

1038 |        Ich bin im Inneren „Werden“ meines Lebens mit Jesus, und zwar, so dünkt mir, in seinem letzten, höchsten Abschluss; er „übernimmt“ mich.

1039 |        Die letzten Tage war ich in großer innerer Verdemütigung und Beschämung. Es waren gleichsam zwei Akte in mir: Im höheren Teil der Seele drängt Jesus auf meinen vollen Besitz; alles ist in hohes geistiges Licht gestellt, doch ist dieses Licht nicht beleuchtend, sondern zeigt ein absolutes, sich entwickelndes „Werden“. Dadurch wird das Niedere in mir beschämt und verdemütigt, weil es unmittelbar für die Absichten Jesu herangezogen wird und sie anerkennen muss. Im Schauen dieser sich in mir erfüllenden Absichten Jesu einerseits, und meiner so großen Schwäche und Armseligkeit anderseits möchte ich mich „zu Tode“ schämen. „O, wenn ich mich doch bald tot geschämt hätte, wenn alles Böse, Menschliche, vollständig in mir vernichtet wäre!“ Das ist wie eine quälende Sucht in mir.

1040 |        Gestern Abend (27.2.) kam dann eine Änderung in mir. Es ist, wie wenn Jesus voll „auflebt“ in mir. Durch die vorhergehenden Leiden ist ihm mehr Raum geschaffen worden in mir. Es durchdringt mich wie ein elektrischer Strom, der eine Maschine treibt. Es ist aber alles so einfach und wie selbstverständlich.

1041 |        Heute Morgen wurde ich in Maria versetzt und ihre Hingabe und Bereitschaft, Jesus in sich „werden“ zu lassen. In ihrer Gesinnung soll ich es „wollen“, mitgehen wollen, mich ganz „dazu hergeben“. Maria leiht sich mir; ich lebe ihre Gesinnung, in der sie alles geschehen ließ. Sie möchte dem Heiland wieder möglichst Vollkommenes bieten. Wie weit bin ich von ihrer Reinheit und Vollkommenheit entfernt, aber sie hebt mich in sich empor; wie in ihr wird Jesus seine Absichten mit mir vollbringen. Ich freue mich sehr darüber, denn sie, die Mutter, trägt dann die ganze Verantwortung. Sie wird es möglichst gut und vollkommen machen. In Maria, gleichsam wiederholend, wird der Heiland sich mir mitteilen, wird er mir sein Leben verleihen; wie er einstmals auch leiblich in ihr lebte, so wird er geistig in mir leben, aber doch auch meiner Menschheit nach, mich für sich gebrauchend. Ich erfasse es so klar: Alles geschieht durch Maria. In ihr wird der Kirche die Erneuerung gebracht, wie durch sie der Welt die Erlösung wurde.

1042 |        In Maria bin ich ganz in Jesu Leben aufgenommen. Er macht alles selbst; ich bin ihm das Werkzeug, das ihm dient ähnlich jenem, das er einstens aus Maria nahm zur Erlösung. Er will eine „Erneuerung“ der Kirche durch das Priestertum herbeiführen, und zwar will er es vollführen durch das so oft gezeigte Priesterwerk.

1043 |        Heute sah ich das Priesterwerk70 in seinem inneren Aufbau viel klarer. Es wird auf die tiefste Grundlage des Glaubens gestellt, wie Jesus es mir schon früher gezeigt hat. Das Kommen des Menschen von und zu Gott, das Erlösungsgeheimnis, Christus bis ins tiefste verstanden: Das wird in den Mittelpunkt des Instituts gestellt. Daraus werden die Folgerungen für den Priester gezogen: der Priester an Christi Stelle das Erlösungswerk in der Kirche fortsetzend. Zuerst soll er sich bemühen, in tiefem Glauben an die wirksame Gnade Christi, dessen Absichten bei der Erlösung in sich voll zu verwirklichen. Ich sehe so klar: Nach dem Maße des Glaubens fließen die Gnaden Christi; das entscheidende ist dieser unbedingte Glaube, vereint mit eigener Mitwirkung, aber auf dem einfachsten evangelischen Weg (d. h. im Geiste des Evangeliums).

1044 |        Im Glauben an Christus lag die Kraft, und der Erfolg der Apostel. Der Priester aber ist unbedingt und unmittelbar der, zu dem Christus wie zu den Aposteln sprach: „Geht hin und verkündet das Wort Gottes, verkündet mich, den der Vater gesandt hat; und wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ –

1045 |        Ich schaue im kommenden Priesterwerk diese absolute Christuszugehörigkeit: Von ihm gesandt, zutiefst verwurzelt im Vertrauen auf die Fülle der Erlösungsgnade, ist es das geistige Zentrum71, aber wirkend in größter Einfachheit und Selbstverständlichkeit mit Christus.

1046 |        Das Priesterwerk, ganz auf den Grundlagen der Absichten Jesu aufgebaut, wird zum „Senfkörnlein“ für die Kirche werden, zum „Sauerteig“, der alles durchdringt. Jesus will im geistigen Aufbau seines Werkes all das verwertet haben, was er mir gezeigt hat und was als grundlegend in meinen Schriften steht: Das Werk sei all den heutigen Zeitübeln als ein sicheres Heilmittel entgegengestellt. Es seien alle Heilmittel gegen die Übel darin enthalten.72

1047 |        Ich habe noch nie so klar die geistige Tiefe des Werkes des „Hohenpriesters“ geschaut und dessen hohe Bedeutung für die Kirche. Jesus fängt klein an, mit wenigen, wie einst mit seinen Aposteln, aber sein Werk wird so stark, dass es die ganze Kirche erneuend durchdringt durch sein tiefstes Geheimnis: den Glauben. – Der Glaube bildet den einzelnen Priester und damit schließlich in gewissem Sinne die ganze Kirche um. Wie einst die Apostel so predigt und verkündet der Priester: Christus, den Erlöser, den Gekreuzigten. –

1048 |        Ich bin in unaussprechlicher Einheit mit Jesus, nein ich lebe ihn, mein ganzes Sein ist ihm unterstellt. Er verbraucht meine Menschheit als sein Leben. – Jesus hat wahr gemacht, was er versprochen hat. Es ist aber viel zu einfach, um das richtige Wort dafür gebrauchen zu können. Er ist es, der mich lebt.

1049 |        Es wurde mir auch erklärt, weshalb der Heiland das Priesterwerk in Form seiner Ordensgenossenschaft wünscht: Es entspricht der Eigenart und dem Wesen einer geistlichen Genossenschaft, wo jedes einzelne Mitglied in einer bestimmten Art geformt und erzogen und nach einem bestimmten Ideal herangebildet wird. Durch diese Art der Ausbildung kann der Priester am leichtesten nach der vom Heiland73 gewünschten Weise gebildet werden. – Die Mitglieder des Werkes haben dann die Aufgabe, wieder andere Priester, bzw. alle Priester in diesem Geiste zu bilden, (hauptsächlich Priesterseelsorge soll die Beschäftigung der Mitglieder in Priesterexerzitien sein usw.)74, oder als Priestererzieher in Priesterseminaren tätig zu sein. In der Masse können die Absichten Jesu nicht in der von ihm gewollten Art vertieft werden.75

 

März

02.03.1941

1050 |        Dieser Tage76 war in mir ein ständiges „Erhöhen“ und Vervollkommnen des Lebens Jesu, ein ständiges Wachsen. – Ich bin nun ganz „weg“ von mir, habe mich ganz verlassen; der entscheidende Schritt ist gemacht. Jesus ist das Belebende, Beherrschende in mir geworden.

1051 |        Ausgehend von diesem letzten entscheidenden Übertritt in ihn fängt er nun an, sich in mir zu befestigen und „auszudehnen“. Ich bin innerlich wie ein Kind, das sich tragen und bewegen lässt, wohin der Heiland es will, weil es ja selbst nicht die Möglichkeit und Freiheit hat, über sich zu verfügen. O, süßes Kindsein in Jesu Armen!

1052 |        Es ist nun wahrhaftig nur „eines“ aus uns geworden. Nie hätte ich im Voraus es so erfassen oder auch nur ahnen können, wie Jesus tatsächlich mich ganz in sich aufgenommen und zu „einem Leben“ gemacht hat, indem er der Lebende ist und alles in mir „ihm“ unterstellt bleibt.

1053 |        In den letzten Tagen konnte ich schon dauernd dieses gnadenvolle Leben ertragen. Heute erlebte ich im Voraus eine noch größere Innigkeit und Tiefe, zu der ich innerlich hinbewegt werde. Auch die völlige Befestigung in ihm ließ Jesus mich schauen. Ich bin in der Vorbereitung darauf, für immer eines Lebens mit ihm zu werden. – Ich spüre aber auch das Entscheidende dieser Gnade: Ich bin mir selbst nun für immer verloren und werde immer in dem „seinen“ mich befinden. Daraus kommt die Auswirkung seiner Absichten: das Erleben seines Seins.

1054 |        Merkwürdigerweise ist mir gar nicht bange davor. Es ist Kraft und Mut im Überfluss da und nie wird sie versiegen; ich lebe ja die Quelle aller Kraft. In ihm ist alles in Fülle. – Aber Jesus braucht ein Leben ganz zum Leiden. Ich werde in ihm all die Bedrängnis und Bitterkeit seines einstigen Daseins erleben, wo all die Kraft in ihm noch zu wenig schien und ein Engel kam und ihn stärkte. – Jesus wollte leiden und es kam alles wie ganz natürlich über ihn, so wie über uns schwache Menschenkinder. Aber er hat alles überwunden und ist für alle Menschen zur Quelle der Kraft geworden.

1055 |        Es ist ein großer, unsagbarer Friede in mir; es gibt keinen Kampf und kein Widerstreben, alles ist nur Ordnung und Harmonie; mein ganzes Sein wächst in Ruhe und Bereitwilligkeit voll in Jesus hinein. Durch die langen Vorbereitungsleiden sind unermessliche, geistige „Weiten“ in mir geschaffen worden, denen sich der Unendliche anpasst. Wie groß hat Gott die Menschenseele geschaffen, dass sie gar ihren Schöpfer in sich tragen kann und er sie ganz für sich und sein Sein gebrauchen kann! –

 

03.03.1941

1056 |     Heute bin ich wieder sehr im Leiden. Gestern hat mich der Heiland wieder einen Blick werfen lassen auf eine weitere Erhöhung des Lebens in ihm, auf einen innigeren, vollendeteren und bleibenden Zustand. Als ich abends wieder die kommende neue Stufe vorausschaute, erschien sie mir als ein fertiger Zustand. Zugleich erkannte ich das Entscheidende für mich: Jesus wiederholte sein Versprechen, alles „wahr zu machen“, was er bezüglich der Ausführung seiner Absichten versprochen hat, jedoch über meinen vollendeten inneren Zustand. Ich war von einer absoluten inneren Sicherheit erfasst und durchdrungen. –

05.03.1941

1057 |        Der innere Prüfungszustand dauert an. Er besteht vornehmlich in einer großen inneren Beschämung wegen meiner abgrundtiefen Nichtigkeit, der die vielen Gnaden des Heilandes gegenüberstehen. Wie soll man das zusammenreimen? Und doch muss ich mir in meiner großen Armseligkeit die außerordentlichen Gnaden eingestehen; dabei ist mir aber, als verlache mich die ganze Welt, weil es so unvereinbar ist. Ich fühle mich wie ein eingebildeter „Narr“, dem die Gnaden Jesu wie ein „Narrenkleid“ stehen. Um Jesus und seinen innerlich erfassten Absichten treu zu sein, muss ich sagen: Der Heiland hat mir diesen Auftrag gegeben; er will dies und das. Und ich verstehe gut, dass man darüber lacht und nichts tun will, weil nichts an mir ist, was die Absichten Jesu bestätigen könnte. Jesus hat sich das kleinste, unfähigste Werkzeug erwählt, das sich darüber schämt, dieses Werkzeug sein zu müssen.

1058 |        In diesem Leidenszustand schaute und verstand ich aber Jesus, den Sohn Gottes, in der armen Menschengestalt: In dieser für ihn so verdemütigenden Gestalt musste er um der Wahrheit willen sagen: Ich bin der Sohn Gottes. Ich erfasste dabei die ganze tiefe Beschämung des Erlösers. Um der Wahrheit wegen musste er sich vor seinen Richtern als der Sohn Gottes, als „König“ bekennen – und es schien lächerlich, Anmaßung, dass ein „Mensch“ solches von sich sagte. Die Wahrheit seiner Worte und die damit empfundene Beschämung über seinen äußeren Zustand drückten ihn mehr als das Narrenkleid und die Dornenkrone, die man ihm spottweise angetan hatte. – Ich erkenne die ganze Tiefe dieses Leidens Jesu und dies dauerte sein ganzes Leben: Gottes Sohn, auch als Mensch ganz rein, aber in der armen Gestalt der gefallenen Menschennatur, die er angenommen – zugleich mit den Sünden der Menschen, die er auf sich genommen – ist dem Urteil und den stolzen Anmaßungen der Menschheit überantwortet bis zur höchsten Verdemütigung in seinen körperlichen Leiden. Jesus, Gott, eingehüllt in die arme Menschlichkeit und in die stolze Menschheit hineingestellt! – Und in diesen verachteten Heiland gehe ich innerlich ein, um seine Leiden nachzuerleben.

1059 |        Jesus lässt mich im Voraus die Hauptstationen seines Erlöserleidens erleben und gibt mir als Grund für dieses Vorerleben an: „du musst wissen, wer ich bin – (und was du mit mir übernimmst!)“.

1060 |        Heute (5.3.41) fordert Jesus die volle ganze Bereitschaft, das grenzenlose Vertrauen auf seine Führung: „Gänzlich und für immer auf mich verzichten, und mich in den Abgrund seines Seins stürzen!“ – Ja, ich liege in diesem Abgrund, aber es herrscht da lauter „nichts und wieder nichts und Leere“. Nichts erwarten, aber alles mit ihm annehmen! Für mich wird es nichts mehr geben, aber alles in mir wird für ihn werden. Dieser Zustand muss durchlitten werden, bis er mir geläufig ist, und auch jedes unwillkürliche Begehren nach irgendetwas für mich, in mir totgemacht ist. Als Leiden des Gegensatzes entwickelt sich ungewollt in mir – nicht mehr das Verlangen, aber – das Bedürfnis, mich irgendwie an mich halten zu können, weil es undenkbar und nicht zum Aushalten scheint, dass man in diesen Abgrund des „Nichts“ versinken muss. Und zwar für immer; denn dieser Abgrund gibt mich mir nie mehr zurück und für immer bin ich mir und für „mich“ verloren. –

1061 |        Ich raffe mich aber mit voller Energie und festem Willen auf und übergebe mich für immer „diesem Abgrund“ des Seins im Heiland. Im eigenen Überwindungswillen strömt auch die Kraft und Gnade Gottes ein.

1062 |        In ihm will ich dieser Abgrund seines Leidens werden, der leidensfähig für ihn erstehen soll, in ihn umgebildet und von ihm durchlebt. Alles in mir, bis ins Kleinste, muss für ihn brauchbar werden und fähig, dass mein Sein ihm diene wie einst das Seinige. – Darin liegt das Geheimnis dieser tiefen, geistigen Leiden, von denen an der Oberfläche meines gewöhnlichen Lebens gar nichts gespürt wird. Diese Leiden bewegen mich keineswegs äußerlich; so sehr greift Jesus in die „Tiefe“ in mir. – Es scheint wie auf dem Meere. Die Oberfläche zeigt sich ruhig und blau und von der Sonne umspielt, aber tief unten herrscht reges Leben vieler Fische und geheimnisvoller Lebewesen.

1063 |        Ich habe mich heute Morgen aufgerafft und mich neuerdings ganz dem lieben Heiland ausgeliefert, im Vertrauen auf ihn und ganz auf ihn. Ich glaube, dass er der Urheber meines Innenlebens ist, der mich nicht enttäuschen wird. Er ist der, an den ich glaube; Gott selbst ist der Gegenstand meines Glaubens. In ihm ist alle Überwindungskraft gegeben.

 

08.03.1941

1064 |        Diese Tage waren voll von Leiden, für die es keinen Ausdruck gibt, weil sie zu tief und zu geistig sind. – Ich bin „nirgends“, scheinbar ohne Halt und Grund, weiß eigentlich nichts um mich. Die Leiden berühren mich derart tief, dass „ich“ davon wie nicht berührt werde; die „Oberfläche“ in mir ist vollständig ruhig und klar, ich möchte sagen „sonnig“. Nichts kann den inneren Frieden stören, obwohl die inneren Leiden so heftig sind, dass es mir das Herz beengt und zusammenschnürt.

1065 |        Jesus gräbt gleichsam immer mehr in die Tiefe, bohrt mich im tiefsten Grund auf und zieht immer neue Kräfte und Fähigkeiten für sich heran. Ich spüre schon, was er damit will: Er macht mich immer mehr leidensfähig, und zwar derart, dass ich alle Leiden mit unerschütterlicher Ruhe ertragen kann.

1066 |        Gerade im Leiden gibt er mir viel Licht, aber nicht „Licht“ wie sonst, wo man vieles geistig schaut und erkennt, sondern Jesus „erzieht“ mich zum Leiden. Ich habe kein anderes Wort für dieses innere Erleben. Es gibt keinen Trost für mich als den, leiden zu können. – Ich habe auch kein Verlangen nach Trost. Jesus genügt mir vollständig im Leiden. Ich habe auch kein Verlangen, dass es zu Ende gehe; das Leiden ist eine verborgene Quelle geistigen Erstarkens; sie wird zum Strome, der mich mit sich nimmt und in dem ich mich geborgen fühle. Es ist dies ein großes Geheimnis: Jesus ist darin verborgen; er ist der Strom, von dem ich getragen werde. –

1067 |        Gut leiden zu können ist ein großes Geheimnis. Ich kann begreifen, dass ich jetzt, nach den vielen, mit außerordentlichen Leiden angefüllten Leidensjahren, in dieser Kunst schon besser geübt bin. Die Leiden beunruhigen mich nicht mehr.

1068 |        Ja, gut leiden zu können ist ein großes Geheimnis. Und er lehrt es mich. Es heißt: Das Kreuz lieben, weil man den Heiland am Kreuze findet, oder noch tiefer gesagt: weil es eben ein Kreuz ist. – Ich habe keine andere Hoffnung als das Kreuz; es ist mein einziger Schatz. Alles hat er mir genommen und hat mir das Kreuz dafür gegeben. Und darin erkenne ich das sicherste Zeichen, dass „seine Hand“ alles leitet und dass aus diesem Kreuz einmal der Sieg, sein Sieg kommen wird. Hätte er mir Freuden, Anerkennung, Freunde gegeben, so müsste ich bangen. –

1069 |        Wie sehr hat mich der liebe Heiland durch das Leiden umgestellt! Vor 10 bis 15 Jahren fand ich großen Trost und Beruhigung darin, als ich einmal vom hl. Paulus las: „Als meine Leiden … wünschte ich zu sterben“; ich war nämlich oft in ähnlicher Stimmung und meinte, es im Leben nicht mehr aushalten zu können; so groß und schwer waren meine Leiden. Und jetzt wünsche ich, immer im Leiden bleiben zu können, nicht nur bis zum Tode, nein weiter, solange Gott es will. Ja, so hart und bitter, ich möchte sagen, so furchtbar hart sie auch sind, ich liebe die Leiden viel mehr als die größten Gnaden. Die größte „Erleichterung“ im Leiden finde ich darin, dass ich mich mit allen eigenen Interessen, Wünschen usw. vollständig aufgegeben habe und Jesus mich in Besitz genommen hat. Das Leiden verliert seine Schärfe, wenn man sich ganz verlassen und „totgemacht“ hat, wenn das Mitleid mit sich, und die Sorge um sich selbst ganz aufgezehrt ist, wenn der eigene Widerstand völlig gebrochen ist. Dann werden die Leiden in Ströme des Friedens verwandelt.

 

20.03.1941

1070 |        Mutter, dein Kind ist müde vom Leiden! Lass mich ein wenig an deinem Herzen ausruhen! Lass mich nicht „ermüden“ auf meinem inneren Leidensweg! – Aber Mütterchen verhält sich so still. Mir unbewusst lässt sie jedoch gewiss einige Tropfen Stärkung in mich überfließen.

1071 |        Die seelischen Leiden der vergangenen Tage gehören wegen ihrer Tiefe und Geistigkeit wohl zu den schwersten der letzten Jahre. Es ist auch das Ziel so hoch, das ich dadurch erreichen sollte. – Das Aufgenommensein in Jesus ist, soweit ich es begreife, vollständig und bleibend. Vermittels seines Seins in mir beherrsche ich die „unten liegenden“ Seelenfähigkeiten ganz. Es brauchte aber immerhin noch einen Akt, ein willentliches Erfassen seines mir mitgeteilten Seins, um die innere Harmonie, das volle Eingeflossensein in Jesus dauernd aufrecht halten zu können.

1072 |        Diesbezüglich schaute ich ein noch höheres Ziel: Die Einheit, das Zusammenfließen zweier Wesen zu einem – wobei Jesus der Beherrschende und Tragende ist – muss sich wie selbstverständlich und natürlich–einfach, ohne Mühe und ohne Besinnung gestalten und dann in das Bewusstsein seines erlebten Seins übergehen. Ich muss den „Heiland bewusst erleben“ und muss derart von ihm aufgenommen werden, dass ich in das Bewusstsein seines Seins eintrete und wie an seiner Stelle und in seiner Eigenheit ihn erleben und erfassen kann.

1073 |        Darauf sind die jetzigen inneren Leiden hingerichtet. In den Leiden erfährt man ja auch die Richtung der Gnadenführung; sie beleuchten die dem vorausgeschauten Ziele noch entgegenstehenden Hindernisse. Das Ziel tritt dabei zwar meist ins Dunkel zurück und man schreitet im Leiden gleichsam planlos vorwärts, aber die Leiden ersetzen doch gewissermaßen das innere „Licht“.

1074 |        Es ist jetzt gleichsam ein noch höheres „Totleiden“ jeder eigenen Möglichkeit, das zu erreichende „Leben Jesu“ persönlich zu beeinflussen. Darum erlebe und leide ich eine schmerzliche Ausschaltung der mir eigenen persönlichen Fähigkeiten. Diese scheinen wie lahmgelegt oder, besser gesagt, entrückt und aufgehoben, um für das Jesu–Leben umgeformt und befähigt zu werden. Dieser rein geistige Vorgang scheint wie eine „Ekstase“ des Geistes zu sein, wobei bestimmte Fähigkeiten, besonders des Verstandes, für mich vollständig unbrauchbar gemacht und aufgehoben sind. Anstelle der früheren Tätigkeit tritt eine große Leere und gleichsam eine Erstarrung. Wenn ich mich aber in manchen Augenblicken im Voraus in Jesus vollendet schaue, so sind merkwürdigerweise gerade diese jetzt ausgeschalteten Fähigkeiten am meisten betätigt und beteiligt; sie sind dann umgeschaltet in ein geistiges Wissen in ihm, sind eingetreten in das Bewusstsein seines Seins. Es handelt sich also wohl in diesem Leiden um ein Totleiden höchster geistiger Fähigkeiten, die für meinen persönlichen Gebrauch ausgeschaltet, aber für das Bestehen seines Seins gereinigt und dann neu geweckt und belebt werden.

1075 |        Es ist unglaublich, wie viel man auf diesem rein geistigen Gebiet leiden kann. Man erfährt dabei auch die geistige Weite, die durch solche Leiden geschaffen wird. Es ist eine neue Welt, die sich da auftut. Erklärt und begreifend erlebe ich vieles in dieser Wunderwelt meiner menschlichen Seele, in der Jesus sein Arbeitsfeld, seine Werkstatt aufgeschlagen hat und mich ganz umformt in sich.

1076 |        Jesus hat mir auch in einer Ruhezeit zwischen diesen Läuterungsleiden ein merkwürdiges Wort gesagt: „du bist nun 'deinen Tod' gestorben; du lebst nun mein Leben und du wirst dann 'meinen Tod' sterben.“ Das deckt sich mit dem, was mir der liebe Heiland schon vor Jahren wiederholt sagte und was von mir klar begriffen wurde am Tage der geistigen Vermählung (08.12.1934): „du wirst keines 'natürlichen' Todes sterben, sondern mit mir am Kreuze.“ Damals erfasste ich klar die Worte Jesu; sie beleuchten im Voraus meinen inneren Lebensweg, das Nacherleben seines Lebens und abschließend seinen Tod, d. h. die geistigen Umstände seines Todes. – Ich muss nur immer wieder die Treue Jesu bewundern: Nicht einen Schritt weicht er ab von dem einst geschauten und von ihm beabsichtigten Ziel. Wenn auch mich Jahre davon trennten, vor seinen göttlichen Augen stand seine Absicht immer in göttlicher Gegenwart. Was für ihn immer gegenwärtig ist, geht für mich in ein wirkliches Erleben des vorausgeschauten Zieles über, und darin habe ich eine unbedingte Bestätigung seiner göttlichen Führung. Es wird eigentlich alles viel „mehr wahr“ als ich früher, gewiss gläubig und hingebend, annahm. Ich erfahre ja leidend in mir jene Wirklichkeit. Darum kann ich nicht genug seine göttliche Treue bewundern, die nicht ablässt, seinem kleinsten Kinde immer wieder die Wahrheit des Vorausgezeigten zu beweisen. Diese seine Treue wird für mich zu einer ständigen Beschämung, weil ich so wenig imstande bin, ihm so ganz wie ich möchte zur Verfügung zu stehen. Mein Wille eilt dem Können immer weit voraus. Darum muss Jesus einfach mich mir „wegnehmen“, damit seine göttlichen Absichten voll zur Geltung kommen.

1077 |        Es ist auch eine ganz merkwürdige Liebe zum Leiden in mir vorhanden. In ihm wird man mit all seinen gottmenschlichen Vollkommenheiten erfüllt; die Reinigungsleiden aber bezwecken die Möglichkeit, dass man seine göttlichen Vollkommenheiten ertragen und sie für ihn, an seiner Stelle, gebrauchen kann. Darin liegt das Geheimnis meiner Leiden. Umgestellt und befähigt für ihn muss ich ihn allmählich ertragen und gebrauchen lernen; der Heiland will sich ja in mir „erneuern“. –

1078 |        Als vor Tagen einmal (am 17.3.1941) meine inneren Leiden geradezu unaussprechlich waren, wurde ich in einer kurzen Ruhepause beim hl. Segen in der Kapelle hinübergeführt in das Bewusstsein seines Seins. Ich war bewusst an seiner Stelle, ihn erlebend. Ich spürte, wie ich durch die Leiden zum Sein Jesu emporstieg und ihn annahm. – Er ist einst zu uns herabgestiegen und hat mit all seinen göttlichen Vollkommenheiten unsere arme Menschheit angenommen, sie umgestellt und erneuert und uns dadurch Erlösung und Heil gebracht. Ich steige nun aus meiner Menschlichkeit durch seine wirksam gewordene und erworbene Gnade zu ihm empor und werde befähigt, ihn anzunehmen, ihn mir anzueignen und zu erleben. Ich erlebe diesen doppelten Weg seiner gottmenschlichen Liebe, die im Erlösungsgeheimnis und im Reichtum der erworbenen Erlösungsgnaden eine solche Möglichkeit begründet hat. – Mein früheres Sein war vollständig zurückgelassen; mein höheres Sein steigt zu ihm empor, erfasst ihn, wird von Jesus durchdrungen und belebt. Sein bleibendes Leben übernimmt die Funktionen des „Ich“ in mir und alles Niedere dient diesem „Ich“ einfach und selbstverständlich. – Es war ein Erlebnis von unaussprechlicher geistiger Klarheit und Wirklichkeit.

1079 |        Seitdem ist in mir ein ständiges „Hinübergehen“ zu ihm, ein Erfasst-Werden in höchster Weise, ein „Eingehen“ in das Geheimnis seines Bewusstseins. Durch das Leiden ist eine Unbrauchbarkeit meiner Fähigkeiten für mich, eine Erstarrung für mich geschaffen, aber darüber hinaus ein ständiges „Hinüberbewegen“ in Jesus. Diese Leiden und diese Bewegung dauern Tag und Nacht fort. Heute Nacht waren diese Leiden besonders heftig. Die äußere Umgebung wird mir gleichsam „zu eng“; darum ging ich heute Morgen nach einer hl. Messe und der hl. Kommunion auswärts in eine Kirche, um durch äußere Bewegung den inneren Leiden ein wenig Erleichterung zu geben. Jetzt aber am Vormittag) bin ich in großer geistiger Ruhe. Das Eingeflossensein zu einer Einheit im Heiland besteht „ohne Mühe“, ohne besondere Akte, wie natürlich einfach. – Vielleicht habe ich nun dieses Ziel vollkommen erreicht; es scheint mir wenigstens so. – Oder ist es nur eine geistige Ruhepause? –

 

21.03.1941

1080 |        Heute bin ich in großer seelischer Ruhe, als ob ich nie im Leiden gewesen wäre. Alles ist Ruhe und Ausgeglichenheit in mir.

1081 |        Ich bin nun, wie mir scheint, vollständig über mich hinausgeschritten, habe mich ganz verlassen, bin eingegangen in Jesus und er ist der ganz Beherrschende in mir geworden. Somit habe ich ganz und für immer auf mich verzichtet und will nie mehr von mir Gebrauch machen für mich. Alles in mir ist ihm zu seinem Bestehen dienstbar geworden. Diese Tatsache, diese innere Vollendung gibt mir eine unaussprechliche Ruhe und Gelassenheit.

1082 |        Der liebe Heiland erfüllt nun sein Versprechen, mich ganz für sein Sein zu gebrauchen. – Vor der hl. Kommunion wurde ich mir wie von Neuem weggenommen, meinem eigenen Gebrauche entzogen und ihm ganz in Dienstbarkeit unterstellt. Es vollzieht sich aber alles in großer Einfachheit. Danach hatte ich die innere Erklärung meines nun kommenden, fortschreitenden Weges: Nachdem ich willentlich, und ganz frei entschlossen mich Jesus vollständig dienstbar gemacht habe und damit die Möglichkeit und Fähigkeit in mir hergestellt ist, seinem Wesen ganz zu unterstehen, bin ich frei geworden, um seine göttlichen Absichten in mir ausführen zu können. Es darf nichts Wankendes oder Beunruhigendes mehr in mir möglich sein, sondern nur noch das volle Verzichtet–haben auf jeden Gebrauch und alle „Rechtsansprüche“ meinerseits. Dann geht Jesus daran, sein Recht über mich voll geltend zu machen. Er kann sich dann ganz in mir „auswirken“. Vorher wäre das nicht möglich. – Ich habe ganz klar erlebt, wie sein „Ich“ voll zur Auswirkung gelangt und meine volle Dienstbarkeit beansprucht. Das Bewusstwerden meiner seelischen Aufgabe kann dann vollständig in mich überströmen. Ich bin dann ganz bewusst von Jesus beherrscht und vermittels seines ihm innewohnenden Wesens wirkt sich dann das Erleben seines Seins aus. Wie ganz natürlich bin ich dann in seine Eigenheit getreten und unterstehe dem Vater, aber der „Sohn“ lebt für sich „sein“ Leben, seine Erlöseraufgabe, die er in der Zeit übernommen hat. – Ich erkenne weiter mein fortschreitendes Erfassen und geistiges Durchleben meiner Erlöseraufgabe.

1083 |        Ich bin ganz durchströmt und getragen von Jesus. Wie „neu“ ist alles in mir. Ein „neuer Mensch“ von unaussprechlicher Vollendung und geistiger Harmonie ist in mir entstanden. Und so groß und weit fühle ich mich innerlich! In unerklärbarer Freiheit ist das Niedere vom Höheren beherrscht, und ist alles zur Einheit geworden, die Jesus beherrscht und erfüllt.

1084 |        Gewiss bleibt das eigene Wollen wie ausgeschaltet, aber es ist doch zu einem freien, vergeistigten Wollen geworden, das gleichsam in Jesus übergeflossen ist und in ihm seinem göttlichen Willen dienstbar ist. – Es ist nur die eine Regung in mir spürbar: ihn ganz gebrauchen zu dem neuen Leben, das in mir durch ihn geworden ist! –

Abends:

1085 |        Ich lebe Jesus in unaussprechlicher Reinheit und Vergeistigung. Ich bin ganz von mir weg und bin aufgenommen in ihn. Wiederholt erklärt er mir diese nun durch seine Gnade in mir gewordene Reinheit als den annähernden Zustand seiner heiligsten Reinheit als Mensch.

1086 |        Jesus sagte mir: „Glaube mir, dass du mir dienst, ähnlich wie einst meine Menschheit. – In dieser Reinheit, die du innerlich erfassest und erlebst“ – so erklärte mir der Heiland weiter – „bin ich vom Vater herabgestiegen, habe mich vermählt mit der Menschheit aus meiner Mutter, die mir das Heiligste geboten hat, was ein Mensch seinem Gott bieten konnte. Aber im Augenblick der Annahme dieser reinen Menschheit umgab ich mich auch mit der gefallenen, erlösungsbedürftigen Menschheit. Das Gleiche wird sich in dir vollziehen.“

1087 |        Jesus zeigte mir so klar und begreiflich (was ich eben in Worten nicht genügend ausdrücken kann): Ich bin „der“, so bin ich, im Vater. – Dabei schaute ich (alles genau begreifend), abgesondert vom Vater, Jesus in seiner göttlichen Reinheit. – Deine Menschheit ist vorbereitet, um mich aufzunehmen. – Ich schaue dabei meine für seine Absichten vorbereitete Menschheit. – „So bist du nun in dieser Reinheit vor Mir und vor dir. Deine Reinheit wird immer bestehen bleiben, aber ich nehme zugleich eine gefallene Menschheit in dir an; du wirst sie erleben, wie ich sie erlebt und überwunden habe. Du wirst sie durch mein Sein erleiden, ähnlich wie ich sie erlitten habe. Ich will eben dieses Geheimnis erlebt zeigen.“ – Jesus fügte hinzu: „Glaube mir das!“

1088 |        Das Merkwürdige ist, dass Jesus immer mein eigenes „Mitwollen“ verlangt, mein eigenes Mitwirken und Bemühen, das sich auf den Glauben an seine Absichten gründet, damit nebst seiner unermesslichen Gnade alles auch meinerseits „miterworben“ wäre.

1089 |        Die jetzige innere Erhebung empfinde ich äußerlich, wie wenn ich körperlich „gewachsen“ wäre oder wie wenn ich die Erde nicht berühren würde.

1090 |        Ich sehe alle vergangenen Leiden als Vorbereitung, um diesen Zustand zu erreichen, der dem Heiland brauchbar erscheint. Alles Bisherige diente der Vorbereitung dafür. – Wann wird Jesus den letzten Übergang vollziehen? Ich weiß, wie er es machen wird, aber ich habe kein Wort dafür; es ist alles rein geistig begriffen.

 

22.03.1941

1091 |        Diese geheimnisvolle Verbindung mit dem Heiland besteht weiter, ja, sie erhöht sich anscheinend fortwährend. Ich lebe ein unaussprechliches Leben der Reinheit und der Freiheit von mir selbst. In diesem Leben der Reinheit bin ich bewusst in Jesu Sein eingetreten und ich kann es gut und ohne irgendwelches Widerstreben meinerseits ertragen. O, hätte ich nur ein Wort, um mich genügend ausdrücken zu können!

1092 |        Jetzt kenne ich den Heiland, seine göttliche Reinheit und seine Vollkommenheit als Mensch. – Nicht das mindeste Widerstreben der menschlichen Natur ist vorhanden, noch irgendwelches, ungeordnetes Begehren oder ein Verlangen nach Befriedigung der Natur, auch im guten Sinne. Jede Fähigkeit ist vielmehr in sich befriedigt, weil sie auf Gott hingeordnet und hingeströmt ist und dort ihre volle Sättigung gefunden hat. Alles dies ist seiende Wirklichkeit. Das Niedere im Menschen ist, wie wenn es nicht vorhanden wäre; so vollkommen wird es vom Höheren beherrscht.

1093 |        Mein Leben und meine Fähigkeiten sind nun ganz dem Leben Jesu angeglichen. Jesu Leben aber ist nicht bedrückend oder überwältigend, sondern lauter Ruhe und Einfachheit, weil es so dem Gottmenschen natürlicherweise zukommt. – Jesus fragte mich immer wieder: „Genüge ich dir für immer?“ Und im gleichen Augenblick strahlt noch höher sein Sein in mir auf. – Ich kann nicht anders, als zur Antwort immer wieder mich ihm ganz hingeben. Er versprach mir dann (in St. Peter): „Wenn dir hier mein Leben genügt“ – damit meinte er aber in tieferem Sinne auch sein Leben der Leiden, das ich innerlich erfasste – „wirst du mich die ganze Ewigkeit in unermesslicher Herrlichkeit besitzen“. –

1094 |        Ich lebe Jesus und bin nun zu dem Zustand gelangt, den er mir seit Langem versprochen hat: Sein Leben, sein „Ich“ ist mir bewusst das meine geworden. – In der Kapelle fragte mich der Heiland: „Willst du mir ganz 'Maria' sein?“ (D. h. ihm als Menschheit dienen.) Und jedes Wort Jesu ist so reich an innerem Erfassen seiner Absichten. – Ja, es ist abgemacht: Ich bin Jesu leidensfähige Menschheit.

1095 |        Ich erkenne so klar die Absichten seiner Liebe. Ich bin eingetreten in ihn. Ich habe keinen Zweifel; es ist alles absolut sicher und klar. Ich bin durchtränkt von ihm. – Es ist „eins“ geworden aus uns, aber „er“ ist der „Lebende“.

 

24.03.1941

1096 |        Der beschriebene seelische Zustand ist im Wesentlichen bleibend. Obwohl ich heute wieder sehr im Leiden war, ist doch das Wesentliche, Jesus bewusst erleben, unverändert. Ja, es wird tiefer wirksam durch die Auswirkung seines Seins. –

 

25.03.1941

Fest Maria Verkündigung

1097 |        Ich scheine nun die höchste, wesentliche Stufe des Erlebens Jesu in seinem inneren, grundlegenden Geiste erlangt zu haben, wie er es mir zugedacht hat. Mein weiterer Weg wird nun darin bestehen, dieses Erleben zu voller Auswirkung gelangen zu lassen.

1098 |        Der Heiland „durchlebt“ mich nun ganz, wie wenn dies meine persönliche Eigenheit wäre, aber ganz einfach und wie selbstverständlich. Ich möchte sagen: Es ist, wie wenn Jesus geistig eine „Blutübertragung“ in mich vorgenommen hätte; so bin ich in einfachster Weise von seinem bewussten Sein durchströmt, das auch meine niederen Fähigkeiten erneuert.

1099 |        Es ist zu wunderbar und unaussprechlich, um in Worten ausgedrückt zu werden. Und diese Ruhe und Stille! Dabei ist es, wie wenn alles so sein müsste oder immer so gewesen wäre. Ja, Jesus ist immer so gewesen; in ihm ist nichts „geworden“. Er hat alle seine göttlichen Vollkommenheiten aus sich und durch sich; dieses heilige Geheimnis erlebe ich nun in Fülle in ihm wesentlich. –

1100 |        er hat in jahrelanger Geduld in mir das Wunder fertiggebracht, dass ich ihn in dieser Weise ertrage und lebe, und ihn für seine Absichten gebrauchen kann, wie ich früher mit meinen menschlichen Anlagen und Eigenheiten gelebt habe. Jetzt sind seine jahrelangen Versprechungen Wirklichkeit geworden. Das ist nun „mein“ Leben. Aber nichts scheint außerordentlich; alles ist so einfach und natürlich. –

1101 |        Ich erlebe auch das heutige Festgeheimnis: Heute ist Gott-Sohn zur Jungfrau herabgestiegen und hat sein göttliches Wesen zu einer menschlichen Auswirkung gebracht. Gott ist „Mensch“ geworden mit seinem göttlichen Wesen und [seinen] Eigenheiten und Vollkommenheiten.

 

27.03.1941

1102 |        Nach meinem inneren Erfahren scheint mir, dass ich die volle Einigung mit Jesus erlangt habe. Freilich scheint jeder neu erreichte Zustand die Höchstgrenze des Möglichen zu sein, weil Gott dem menschlichen Erfahren gegenüber immer eine undurchdringliche Wand bedeutet, die nur von ihm geöffnet werden kann.

1103 |        Gestern war wieder ein schwerer Leidenstag, aber heute Morgen – und auch schon während der Nacht – änderte sich der Leidenszustand wieder. Gewiss blieb auch im Leiden das wesentliche Sein und das Erleben unaussprechlicher Reinheit und [die] Freiheit unabänderlich bestehen, aber es wird in ein gewisses Dunkel gehüllt, und „darüber“ entstehen neue Reinigungsleiden. Gestern drängten die inneren Leiden auf ein noch höher „bewusstes“ Erleben Jesu hin.

1104 |        Heute Morgen, nach der hl. Kommunion, wurde ich in einem Augenblick in ein höher bewusstes Erfassen seines Seins geführt, noch mehr von mir entfernt, frei von mir und bewusst von Jesus durchdrungen. Die vorhergehende Stufe hat sich anscheinend nicht wesentlich erhöht, aber Jesus beginnt, „sich auszubreiten“, sich in mir zu besitzen. So scheint diese Art seiner Auswirkung doch wieder einen Grad der Erhöhung zu bilden. – Alle Bewegungen Jesu in mir sind aber nicht überwältigend, sondern so zart und sanft und ruhig und doch wieder stark mich umbildend. Alles entwickelt sich in großer Stille.

1105 |        Ich hoffe auch, dass der Heiland bezüglich der äußeren Absichten für sein Werk vorwärtsmachen will. Nach der hl. Kommunion bat ich ihn heute um Licht, wie und wann ich den mir bekannten77 Schritt tun soll. Da antwortete er mir so sanft: „Mein Wille ist der Drang in dir zum Tun“, d. h., mein Wille wird dich bewegen, etwas zu tun.

1106 |        Eigentlich bin ich ganz verändert. Jesus breitet sich in mir aus und durchlebt mich ganz. Ein fortwährender Akt seines „Ich“ beherrscht und durchlebt mich. Ich bilde in mir ein „Ganzes“, ein fertiges, in sich abgeschlossenes Wesen, in dem Jesus erneut sich lebt. Und ich spüre, dass dies gerade zur vollen Entfaltung und Auswirkung kommen muss: Ein von meinem früheren Sein und Ich unabhängiges Jesusleben, das zwar mit meinem Leben hergestellt wird, das aber doch von Jesus „gelebt“ wird, sodass er sein Leben gleichsam wiederholt. Dieses Jesusleben wird in sich und durch sich, durch seine eigene Lebenskraft frei und selbstständig. Es hat ja alles aus sich und in sich. Es kommen Kräfte zur Auswirkung, die Jesus aus sich hat und die zu gebrauchen ich befähigt wurde. So kommt das Jesusleben in mir zur Kraft und vollen Entwicklung.

1107 |        Die ganze Entwicklung vollzieht sich aber in wunderbarer Einfachheit. – Freilich beruht mein inneres Wachsen auch ständig auf meiner Bereitschaft und meinem eigenen Mitwollen. Wenn auch Jesu Leben in Fülle mir bereitsteht, so kommt es doch auch immer auf mein Zutun an, es anzunehmen und zu durchleben. Jesu Leben wird mir also „zum Erwerben“ geboten. Im freien Erwerben–wollen wächst seine Kraftentfaltung in mir. –

 

31.03.1941

Morgens

1108 |       Ich glaube, dass ich jetzt in ein neues Stadium meines Innenlebens eintrete. Allem Anschein nach habe ich die den Absichten des Heilandes entsprechende Einigung mit ihm erreicht und wird sich diese volle Einigung nun an mir auswirken.

1109 |       In der vergangenen Woche erlebte ich Jesus „bewusst“, war ich „hinübergegangen“ in ihn, bin in ihn „aufgenommen“, habe ihn „angenommen“ und weiß in mir um sein Leben, um sein Sein. Es ist ein Erfahren seines Seins in mir. Mein Sein wurde für sein Bestehen in mir dienstbar gemacht und die Möglichkeit zu einer solchen Dienstbarkeit erlebe ich bewusst im inneren „Zusammenfließen“ mit Jesus.

1110 |        Diese Einigung hat sich in großer Einfachheit stufenweise vollzogen. Ich bin damit „bewusst“ Jesu leidensfähige Menschheit geworden zum Zweck der Ausführung seiner Absichten. Es sind aber rein geistige Vorgänge, die ich mit meinen, durch die vielen Reinigungsleiden vergeistigten und verfeinerten Fähigkeiten innerlich wirklich erfahre; es sind wirkliche innere Bewegungen, nicht Gefühle. Im Voraus-Fühlen und Erleben erfuhr ich diesen seelischen Aufstieg schon bald 20 Jahre. Nun bewegt sich alles langsam zum wirklichen Zustand hin und wird zum persönlichen Erleben.

1111 |        Vor zwei Tagen ließ mich der liebe Heiland weiter schauen: Das „bewusste“ Wissen um sein Sein geht in ein selbstverständliches Leben seines Seins über und ist nun meine Eigenheit. Es ist „mein“ Zustand geworden, der mir ganz gewöhnlich scheint und keine besondere Mühe kostet, wenn er auch bedingt ist durch eigenes Mitwollen. Die Möglichkeit und Befähigung zu diesem Mitwollen wurde mir durch die immer wieder eingeschalteten Läuterungsleiden gegeben, die ein ständiges Absterben meiner selbst bewirkten und mich umso mehr fähig machten, mich der inneren Führung vollkommen auszuliefern.

1112 |        Dadurch, dass ich mich vollständig verlassen habe, bin ich über mich hinausgeschritten und in Jesus eingegangen. Dieses „innere Eingehen“ als mein Erleben scheint nun mein kommender Weg zu sein. Gestern stellten sich schon diesbezügliche Leiden ein, die in diese Richtung führen. Vom „bewussten Erleben Jesu“ ging es zur Selbstverständlichkeit dieses Lebens und von da aus trete ich in „Jesu Bewusstsein“ ein. Heute Morgen, nach der hl. Kommunion, war mir dies ein vollständig neues Erleben: Ich trete in das Bewusstsein Jesu ein.

1113 |        Die inneren Vorgänge haben sich nun noch mehr verfeinert und vergeistigt, doch sind die inneren Bewegungen in mir vollständig klar und erfassbar. Ich sehe darin die merkwürdige „Arbeit“ der inneren Leiden, die eine solche Verfeinerung in der Seele ermöglichen. – Ich erfasste ganz klar und bestimmt das Bewusstsein Jesu um sich, um seine Aufgabe, sein Wesen, um das, was seine Stellung als Erlöser, als Gottmensch ausmacht. Ich erfasse das Wesen seines Seins und gehe damit in diese seine Stellung und Eigenschaft über; sie wird im sein78 Nacherleben zur meinen. [sic!]

1114 |        Dies ist jetzt das Geheimnis der inneren Bewegungen in mir. Es fordert ein noch höheres Verlassen jedes persönlichen Einflusses meinerseits, weil dieser ja die göttliche Führung stören könnte. Darum bin ich in göttliche Gebiete Jesu übergegangen, die meinem Einfluss fernstehen. Bei all diesen seelischen Vorgängen ist aber immer mein eigenes Wollen erforderlich – vornehmlich, dass ich mich auf die betreffende Stufe „mitnehmen“ lasse, alles mit der Gnade Jesu „miterwerbend“.

1115 |        Mit seinem Bewusstsein seines Seins gelange ich in das Erleben, oder vielmehr in das „Erleiden“ des Seins und der Eigenschaft der inneren Erlöserstellung Jesu, die im Erleben zur meinen wird.

 

Abends

1116 |        Heute Abend, beim hl. Segen, führte mich Jesus in neue, geistige Gebiete. Ich trete in sein Bewusstsein ein, in seine Erlöserstellung, in der das Höchste seine unaussprechliche, göttliche Reinheit ist. – Aber auch seine heiligste, reine Menschheit war ganz Gott angeglichen. Seine Menschheit diente ja den göttlichen Absichten der Erlösung und war bei seiner göttlichen Leidensunfähigkeit das notwendige Werkzeug, der tätige Faktor der Erlösung.

1117 |        Diese heiligste Menschheit diente der Erlösung. In einem Menschen sind alle Menschen gefallen. In einem Menschen, durch menschliche Akte des Gottmenschen, die durch die göttliche Person Christi göttliche Akte wurden, ward die Menschheit wieder erneuert und hergestellt.

1118 |        Jesus hatte nicht nur göttliche Reinheit, die ihm als Gott unbedingt eigen sein musste, er besaß sich auch unabänderlich in seiner menschlichen Reinheit und Sündenlosigkeit. Er behauptete sich darin und sie wurde entgegengestellt der von der göttlichen Gerechtigkeit geforderten Reinheit des Menschen bzw. aller Menschen. Diese ständige, in den zwei Naturen in Christus sich auswirkende Gegenüberstellung zwischen Gottes gerechter Forderung und der ersatzleistenden reinen Erlösermenschheit bildete den Schwerpunkt in seiner Erlöserperson und die tiefste Grundlage seiner Erlöserleiden. Jesus war sich dieser Gegenüberstellung immer bewusst. Er besaß sich aber selbst in den größten Leiden auch als Mensch in seiner Reinheit und Sündenlosigkeit; obwohl die ganze Sündenlast der Menschheit auf ihm lastete, fühlte er sich nie in unmittelbarem Sinne als Sünder.

1119 |        In dieses Gebiet seines Bewusstseins begebe ich mich nun geistig. So trete ich in Jesus ein, erfahre und erlebe ihn, bin einbezogen in dieses Wissen Jesu um seine Unsündlichkeit und nehme teil daran. Ich bin nicht nur innigst beteiligt an Jesus in dieser seiner Erlöserstellung, ich bin infolge seiner Absichten in diese seine Eigenschaft eingetreten, um sie nachzuerleben, weil Jesus dieses Geheimnis erklären will. – Jesus ließ mich erkennen und sprach zu mir: „du musst glauben an deine wiederhergestellte Menschheit, die nicht mehr der persönlichen Begierlichkeit unterworfen ist. Du musst dich behaupten in deiner Reinheit, die durch meine Gnade die Möglichkeit erhielt, mir als „Menschheit“ zu dienen. Deine Reinheit bleibt, ebenso wie in mir, unveränderlich bestehen“.

1120 |        Ich erkannte dann das Geheimnis der Menschheit Jesu, die er aus Maria nahm. Durch einen Akt göttlichen Willens ward die Reinheit in Maria bei ihrer Empfängnis hergestellt, obwohl sie an sich dem Gesetz der Sünde unterworfen gewesen wäre. Vermöge der göttlichen Absichten, wonach Gott-Sohn in ihr die Menschheit annehmen wollte und im Hinblick auf die gleichsam göttliche Notwendigkeit der Reinheit, die ihm als Mensch zukam, wurde in Maria jeder Keim der Begierlichkeit ausgelöscht, auf dass Maria die Fähigkeit hätte, ein reines, der göttlichen Reinheit entsprechendes Fleisch zur Menschwerdung zu bieten. Und gerade aus dieser menschlichen Reinheit und Unversehrtheit, die der göttlichen Reinheit Jesu irgendwie ebenbürtig war, wurde die heiligste Erlösermenschheit vom Heiligen Geiste gebildet. In dem immerwährenden Akt und im wirklichen Sein der Reinheit Jesu lag der höchste Sühneakt, der zum göttlichen Akt wurde durch die göttliche Person Christi.

1121 |        Was Gott in Maria durch einen göttlichen Akt seines Willens hervorbrachte in der Wiederherstellung ihrer Menschheit, das hat er – so zeigte mir Jesus – durch die jahrelangen Reinigungen annähernd in mir hergestellt, insoweit ich in den Zustand versetzt bin, dass ich ihm nach seinen Absichten dienstbar sein kann. Daran müsse ich mich immer festhalten und an seine Gnaden glauben. Dieses geistige Gebiet wird am meisten zu leiden haben und bekämpft werden; alle Leiden werden gleichsam dagegen anprallen, aber – so erklärte mir der Heiland – ich müsse wie ein Fels unerschütterlich bleiben; ich müsse mich auf die Tatsache stützen, dass Jesus mir durch die Teilnahme an ihm diese besondere Gnade der Unsündlichkeit verliehen habe. Ich meine, er gibt mir da eine bestimmte Gnade der Festigung.

1122 |        Ich erfasse jetzt ein tiefes Geheimnis Jesu. Ich trete ein in das Bewusstsein meiner durch Jesu Erlöserverdienste wiederhergestellten Menschheit. Durch die geheimnisvolle Verbundenheit mit ihm nehme ich teil an seiner göttlichen Reinheit; sie wird wie zur meinen.

1123 |        Ich spüre, wie ich in einem noch höheren Maße von meinem persönlichen Leben „weggehe“, und eingehe in sein Bewusstsein, das ihm als Erlöser eigen war.

1124 |        Obwohl ich alles gut und klar begriffen habe, was Jesus mich erkennen ließ, habe ich doch nicht das rechte Wort dafür. Es bleibt aber die Wirkung der tätigen Gnade, die vom Heiland damit bewirkte Veränderung, in mir bestehen. Ich bin ganz einbezogen in seine Geheimnisse, daran teilnehmend, sie in diesem Sein und Zustand erlebend.

1125 |        Alles vollzieht sich aber in großer Ruhe und Einfachheit.

 

April

01.04.1941

1126 |        Heute Morgen kam ich in einen noch nie erlebten Zustand der Freiheit, des Gehobenseins, in einer Art, wie ich es noch nie erfahren habe. Ich erkannte dies als einen neuen „Zustand“, der bis jetzt noch nie in diesem Maße in mir vorhanden war. Der liebe Heiland gab mir nach der hl. Kommunion keinerlei Erklärung darüber. Es war nur das „Verbleiben“ des Erlebens der vollständigen Freiheit von allen eigenen, persönlichen Einflüssen. Ich war, auch in den niederen Fähigkeiten und Anlagen, ganz von mir frei geworden.

1127 |        Bei der hl. Messe in der Kapelle der Heimsuchung war mir dieser Zustand der „Befreiung von mir“ bewusst als die Gnade der Unsündlichkeit – wie mir dabei erklärt wurde, das Aufgehobensein aller persönlichen Einflüsse, und zwar dies als dauernder Zustand der inneren Befestigung der Sinne. Alles, so erklärte mir der Heiland, was in mir an Unruhe oder scheinbarem Zwiespalt noch hervortrete, seien Leiden und Verdemütigungen als Leiden oder die der Menschheit anhaftende Schwäche, hätte aber mit den sündhaften, niederen Anlagen nichts gemein.

1128 |        Ich bin in einem wahren Sinne ein „neuer Mensch“ geworden. Obwohl ich schon jahrelang unter keiner Versuchung zu irgendeiner Sünde gelitten habe und auch seit längerer Zeit keine ungeordnete Regung mehr in mir vorhanden war, sodass ich mich anscheinend in voller Harmonie zwischen Seele und Leib befand, so bedeutet doch die heutige Gnade eine weit höhere, innere Erhebung, ein Ausgelöschtsein des niederen Menschen. Zwar hat mich dieser in letzter Zeit schon gar nie gestört, aber nun ist die dauernde Gnade der Befreiung von der menschlichen Möglichkeit zu sündigen gegeben. Jesus erklärt mir dies so: Ich nehme teil an Jesu göttlicher Unsündlichkeit; ihm kam das als Gott notwendig zu; ich nehme durch Gnade infolge seiner Absichten daran teil.

1129 |        Der menschliche Mund hat kein Wort für diesen Zustand. Ich kann deshalb weiter nichts darüber sagen als nur: Unglaublich einfach, rein, frei, über mich hinausgehoben, und doch wie wenn es so sein müsste oder immer so gewesen wäre.

1130 |        Diese Gnade wirkt zugleich wie eine körperliche Erneuerung, weil die Möglichkeit der Unordnung, die Möglichkeit des Kämpfenmüssens aufgehört hat. Wohl war eine gewisse Spannung zwischen Seele und Leib oder eine Spannung in der Seele, eine gewisse Furcht vor der Sünde schon seit Langem nicht mehr vorhanden, weil die Wurzel der Sünde, die Neigung zu Ungeordnetem entkräftet war. Nun ist vollkommene Ruhe eingetreten. – Diese große Gnade hat eine unaussprechliche Wirkung in mir hervorgebracht.

 

02.04.1941

1131 |        Der inneren Anregung folgend will ich folgendes Beifügen zur Erklärung der mir gestern (1.4.) zuteilgewordene Gnade der „inneren Befreiung von mir und zugleich der Gnade der Unsündlichkeit“, wie sie mir innerlich genannt wurde. Es handelt sich um meinen inneren Weg dahin und um meine persönlichen Erfahrungen auf diesem Gebiet.

1132 |        Von Kindheit an war mir schon das Streben in die Seele gelegt: Ich muss zurück in den Zustand, wie der Mensch „einst“ war. – Besonders in meiner Jugendzeit war mir dieses Streben etwas Selbstverständliches, etwas, was mir für einen Getauften eine unbedingt notwendige und daraus folgende Forderung schien, zu deren Erfüllung oftmalige Beichte und hl. Kommunion die unfehlbaren Mittel sein mussten. Wenn dieses Streben auch ständige Kämpfe und Opfer forderte, so fand ich doch nie etwas Außergewöhnliches darin. In meinem Geiste lebte das höhere Wissen, dass die Möglichkeit, jenes Ziel zu erreichen, mit der Gnade Gottes gegeben sei; dies war das „Licht“, das meinen inneren Eifer nicht erlahmen ließ.

1133 |        In meinem 20. Jahre ungefähr hatte ich es dahin gebracht, dass ich mich in der hl. Beichte eigentlich keiner Sünde anzuklagen wusste. Ich meinte, damit schon das Ziel erreicht zu haben, das ich von Kindheit auf in mir trug. Ich fragte auch einmal einen Beichtvater, ob dies die Vollkommenheit sei. Er antwortete mir, ich sei sicher zur Vollkommenheit berufen. Das war eine mir gewisse Enttäuschung, weil ich meinte, am Ziele zu sein.

1134 |       In den folgenden Jahren kam ich in einen ständigen Kleinkrieg mit all den bösen Anlagen, die ich in mir trug und die ich früher gar nicht so bemerkte. Ich wurde in mir in die Tiefe meiner Seele geführt, so vieles Gottwidrige schlummerte. Ich merkte viele Neigungen zur Ichsucht. Selbstgefälligkeit, Freude an meinen Andachtsübungen, die mich in meinen Augen „fromm“ machten; Sorge, andere möchten es besser machen und vor Gott mehr gelten als ich; Verlangen nach Trost, Selbstbeschäftigung, Freude an sich und der Wunsch, dass der Beichtvater möglichst „gut“ von mir denke und ich bei ihm und auch bei Gott möglichst den ersten Platz einnehme; Furcht, von anderen gering geschätzt oder zurückgesetzt zu werden. Wenn diese Fehler vielleicht auch nicht so zutage traten, weil ich schon in früheren Jahren die Auswirkung dieser Anlagen durch unbedingt energischen Willen dagegen im Streben nach Vollkommenheit niedergedrückt habe, so waren sie doch in der Seele und machten einen ständigen Kampf notwendig. Ja, dieser Kampf konnte mich derart ermüden, dass mir bei meiner Anlage zur Mutlosigkeit immer wieder der Gedanke kam, unmöglich von meinen verborgenen Fehlern loszukommen, obwohl ständig der unbedingte Drang und das Streben in mir lebten: Das musst du erreichen! Es schien mir eben in den Augen Gottes ein Hindernis zu sein für die vollkommenste Vereinigung mit dem Heiland, die ich immer anstrebte.

1135 |        Als Jesus in den Jahren 1920 und folgenden seine besondere Führung meiner Seele mir in fühlbarer Weise zeigte, wurde damit auch mein Reinheitsstreben noch erhöht. Durch die besonders fühlbare Gnade wurde es mir irgendwie erleichtert, aber der Heiland rückte auch das Ziel noch höher. Als Jesus dann in den Jahren 1922-1923 mir seine besonderen Absichten eröffnete, begann der Krieg in mir gegen mich noch heftiger. Ich erlebte gleichsam ein Doppelleben in der Seele, indem ein Teil immer höher zieht und strebt, und ein anderer sich umso mehr wehrt, als er gleichsam einsieht, dass er damit seine Rechte verlieren muss und allmählich totgemacht wird.

1136 |        Eine besondere Wendung in diesem Streben brachte in mir eine große Gnade am 15. August 1923: Ich war mir ganz weggenommen und war und lebte nach der hl. Kommunion ganz in Jesus. Er zeigte mir seine Absichten, wofür ich ihm Opfer sein sollte: „Ein Leben“ mit ihm werden, in dem er sich geistig wie wiederholen wolle. Dazu sei aber in mir ein Leben außergewöhnlicher Reinheit notwendig. Er wolle sich mit mir ähnlich verbinden, wie Seele und Leib ein Leben sind, und er werde „der Lebende“ sein. Ob ich in eine solche innige Verbindung mit ihm eingehen wolle? Es war eine Stunde unaussprechlicher Gnade, die ich nie vergessen werde. – Ja, ich wollte. „Ich will gerne, aber lieber Heiland – das war immer meine Bitte – du musst mich auch ganz rein und heilig und vollkommen machen. Du musst dieses große Verlangen in mir wahr machen“. – Der liebe Heiland gab mir dann ein kostbares Versprechen, das mir ein ständiger Schutz gegen die Sünde und gegen meine bösen Anlagen wurde. Er sprach: „Wenn du in diese Art der Verbindung mit mir eingehen willst und immer es willst, werde ich dich vor jeder Sünde bewahren. Das Verlangen und der Wille, mir in solcher Weise zu dienen, wird dir ein beständiger Schutz vor der Sünde sein“. Jesus erklärte mir dann auch ganz genau, wie ich mich verhalten solle. Von da an lebte jeden Augenblick in meiner Seele das Wissen um die Absichten Jesu in mir. Ich war bereit, mit Jesus ein Leben zu werden; Jesus kam meiner Bereitschaft ständig entgegen und bot sich mir gleichsam für diese Art unserer Verbindung an. Von jener großen Gnade an hatte ich den unauslöschlichen geistigen Eindruck des Anbietens seines Lebens vonseiten Jesu an mich, wozu er mich bereiten wolle und ich dienen solle. „Wenn du 'dies' willst, nämlich ein Leben mit mir werden“: Dies war das Schutzmittel und zugleich ein ständiges inneres Reinigungsmittel gegen meine bösen Anlagen. Diese Bereitschaft für die Absichten Jesu wurde mir von jener Gnadenstunde an zu einem beständigen „Schild“, unter dem ich mich verborgen hielt. Und der Heiland hat auch sein Versprechen wahr gemacht: Ich war wie verborgen vor mir selber unter dieser ständigen Bereitschaft ihm gegenüber. Es war eine wunderbare Gnade, deren Wahrheit ich nicht genug bestätigen kann.

1137 |        Doch war es nicht so, als ob ich nun von mir und von all meinen bösen Neigungen und Anlagen befreit gewesen wäre. Im Gegenteil, jetzt begann der Kampf erst recht in mir. Zudem kamen jetzt auch die schweren, seelischen Leiden, die auf jenes letzte Ziel der Verbindung mit dem Heiland hingerichtet waren. Jesus begann, unbarmherzig alles in mir auszurotten, was ihm und seinen Absichten in mir im Wege stand. Das innere Licht entschwand und der nackte Glaube an ihn und seine Liebesabsichten mussten bestehen bleiben. – Jene erwähnte, besondere Gnade hatte aber eine doppelte Wirkung: einesteils tröstend und schützend, andernteils durchleuchtend und reinigend. Sie beleuchtete ständig den Abstand zwischen dem Heiland und mir, ließ mich ständig meine Fehler, und alles Gottwidrige sehen, und dies wurde mir so zu einem inneren Reinigungsfeuer, das mich immer durchleuchtete.

1138 |        Man darf ja nicht glauben, dass Jesus bei solchen Gnadenführungen der Seele etwas an Leiden erspart oder dass die innere Reinheit, die er verlangt, der Seele nur „geschenkt“ würde. Jede Tugend muss vielmehr auch Schritt um Schritt erkämpft, jeder Fehler mit großer Festigkeit und Selbstüberwindung ausgerottet werden. – Der erste Faktor in dieser Selbstüberwindung ist der Wille, der bereit ist, die eigene sündhafte Verderbtheit der gefallenen Menschennatur einzusehen und sich einzugestehen. Der Heiland lässt dann ständig diese Anlagen erlebt vor der Seele stehen, wie zum Hohn gegenüber allen Bemühungen, und dies bildet das tiefste Geheimnis in diesen inneren Reinigungszeiten: Man erlebt sich immer selbst. Das erzeugt dann in gewissem Sinne eine Abscheu vor sich selbst, einen Selbsthass, sodass man immer neue Mittel sucht, durch äußere und innere Abtötung, durch Selbstverleugnung seinen bösen Neigungen den Krieg zu erklären. Es kommen Zeiten, Wochen und Monate, wo man ständig in tiefem Kampfe mit sich selbst liegt. Doch das ist die Größte aller Gnaden, denn die Seele gelangt zur Selbsterkenntnis. Unbarmherzig geht sie darum gegen sich an und verschleiert sich selbst nichts mehr – soweit ihr die innere Erkenntnis darüber zuteilwird, was wieder ein eigenes Kapitel bedeutet.

1139 |        Mit der Gnade Gottes entdeckte ich immer neue böse Anlagen und Unvollkommenheiten. Schließlich aber gelangte ich im ständigen Kampfe mit mir selbst, verbunden mit der Gnade Gottes, dahin, dass der Wille frei wurde, von jeder bösen, gottwidrigen Regung, entsprechend der inneren Reinheit, die Jesus von mir forderte. – Der Wille wird zuerst befestigt in der Seele und wird wie zum Wächter an der Pforte der Seele. Er wird, wie wenn es ihm wieder natürlich wäre, auf das Gute und auf Gott hingerichtet.

1140 |        In den Jahren 1930 – 1933/34 kam ich dahin, dass der Wille die vollständige Herrschaft über alle niederen Regungen erhielt und nichts mehr wissentlich in der Seele zuließ, was ihrer Reinheit hätte schaden können. Es handelte sich da nicht um Sünden, sondern um erbsündliche Anlagen oder Keime und besonders – im Hinblick auf die besondere Aufgabe, die Jesus mir zugeteilt hatte, und die eine besondere Reinigung meinerseits verlangte – um das, was den Absichten Jesu auf meinen inneren Seelenwegen sich hätte entgegenstellen können.

1141 |        Ich kann mich gut erinnern, dass Jesus mir um die Zeit der geistigen Vermählung (08.12.1934) eine bestimmte Gnade der inneren „Befestigung“ gegeben hat. Ich verstand das Wort in seiner Bedeutung eigentlich nicht, aber es fiel mir eine große Veränderung in mir auf. Von der Zeit der geistlichen Vermählung an unterlag mein Wille nie mehr einer inneren niederen Regung. Ich fand dies als einen „neuen Zustand“, über den ich mich oftmals sehr verwunderte.

1142 |        Nach meiner Erfahrung besteht die Gnade der Befestigung in einem besonderen Akt der Gnade Gottes, der aber in der Seele schon vorbereitet ist durch eine tiefe Umstellung aller Seelenfähigkeiten und ihre volle Hinrichtung auf Gott und auf das Gute. Diese Gnade wirkt sich dann aus in einer Empfindungslosigkeit gegen alles, was an Versuchungen von außen und innen an die Seele heranstürzen79 könnte. Der Wille ist in Gott befestigt und dauernd fähig gemacht, nur das Gute zu wollen. – Nach der Gnade der Befestigung ist es, wie ich mich gut erinnere, dem Willen wie ganz unmöglich, wissentlich etwas Gottwidriges zu tun. Freilich wird die Willensfreiheit nie aufgehoben, aber der Wille ist schon in Gott gefestigt und hält sich an den Absichten Jesu fest.

1143 |        Was mir Jesus am 15. August 1923 bedingt versprochen hatte, das hat er im Laufe der Jahre bis 1934 möglich gemacht, scheinbar auf einem gewöhnlichen Weg in eigener Selbstarbeit, wobei seine besondere Gnade ständig das Ziel vor Augen stellte.

1144 |        Überhaupt dürfte sich gewöhnlich bis zur Zeit der geistigen Vermählung die große Umformung der Seele in Gott vollziehen, die, je nach Anlage und Berufung der Seele, mehr oder weniger tiefe Läuterungsleiden voraussetzt. Die Zielsetzung vor Gott dürfte bei allen Seelen in diesen Gnadenführungen im Wesentlichen die Gleiche sein: Die in sich völlig umgebrochene Seele gelangt zur vollen, unwandelbaren Einigung mit Gott. Die Art des inneren Umbruches aber, und die ihn bewirkenden Läuterungsleiden richten sich nach der Veranlagung der einzelnen Seele und nach dem Zweck, den Gott mit der einzelnen Seele verfolgt und der nur Gott bekannt ist. Deshalb sind die der geistlichen Vermählung vorausgehenden Leiden im wesentlichen80 wohl bei allen Seelen gleich, weil sie in der gleichen Richtung und dem gleichen Ziele zustreben; da aber auch jede Seele sich selbst erlebt, wirken sich die notwendigen Reinigungsleiden doch auch verschiedenartig aus.

1145 |        Vom Jahre 1934 an wurde mir ein noch höheres Ziel gestellt und setzte darum eine noch tiefere, durchgreifendere Läuterung ein. An jenem Gnadentage des 08.12.1934 versprach mir Jesus auch ausdrücklich, was er mir früher schon öfters gesagt hatte: „Ich will in dir die Folgen der Erbsünde auslöschen.“ Dabei erkannte ich zugleich, dass es sich um eine noch tiefere Art der Reinigung handle. „Ich will dich so rein machen, wie die ersten Menschen bei ihrer Erschaffung waren“; dabei erkannte ich auch deren Reinheit, in der sie aus der Hand Gottes hervorgingen.

1146 |        Nach dem Abschnitt der inneren Befestigung des Willens begann nun für mich eine neue Läuterungszeit. Deren Sinn war: Die alte, erbsündliche Veranlagung, der jeder Mensch unterworfen ist, die Wurzel des Bösen und Gottwidrigen musste von Grund auf entfernt werden. – Es war eine furchtbare Leidenszeit. Es war mir, als lebten alle Sünden und Sündenmöglichkeiten in mir auf, ausgenommen jene gegen die hl. Reinheit. Zeitweise war es mir, als sei gleichsam die Hölle in mir oder sei ich allen bösen Geistern ausgeliefert. Diese besonderen Leiden dauerten zwei Jahre in größter Heftigkeit. Ich kam mir vor wie der größte Sünder, dem all diese Sünden eigen waren, deren ich fähig war infolge der allgemeinen erbsündlichen Veranlagung.

1147 |        Durch diese Leiden und das eigene Mitwirken sollte der Zustand der Reinheit der ersten Menschen hergestellt werden, die volle Harmonie in der Seele und zwischen Seele und Leib, frei von jeder Neigung, die Gott widersprochen hätte. Dies wurde mir in den Leiden zwischen hinein immer wieder als Ziel erklärt und dies war zugleich mein Streben.

1148 |        In den letzten Jahren (1937-1939) wiederholten sich diese Arten der inneren Reinigung in einer verfeinerten, noch mehr vergeistigten Art; die Leiden beleuchteten in mir das gleiche Ziel, doch vollzog sich alles in einer höheren, feineren Art. Mir fühlbar war zwar schon seit einigen Jahren alles Gottwidrige zum Schweigen und Absterben gebracht, aber wer ist rein vor dem reinsten Auge Gottes? –

1149 |        Seit einem Jahre erlebte ich immer in einer höheren Art die scheinbar volle Harmonie aller Regungen in mir. Alles schien eingeordnet in Jesus. Er führte mich innerlich den Weg der Angleichung an ihn mit dem Ziel der vollen Einigung mit ihm: „Ein Leben“, wobei alles ihm eingeordnet ist, weil er es beherrscht und ich ihm diene als seine „leidensfähige Menschheit“. – Oft hat mir Jesus gesagt: „Ich habe die (geistigen) Folgen der Erbsünde in dir ausgelöscht zu dem Zweck, dass du mir – nach meinen Absichten – als 'reine Menschheit' dienen könnest“. – Es wurde mir auch viel über die Sündenlosigkeit Mariens erklärt. – – –

1150 |        Als mich Jesus in den letzten Tagen in sein „Bewusstsein“ einführte, wurde mir – wie er mir erklärte – zur Ermöglichung des Nacherlebens seiner göttlichen Reinheit die „Gnade der vollen inneren Befreiung und Unsündlichkeit“ gegeben, die notwendig sei zu meiner Aufgabe. –

Weitere Erklärungen der „Befestigung in der Gnade“

1151 |        In der „Befestigung in der Gnade“, bzw. in der Vorbereitung darauf werden vornehmlich die Seelenkräfte befähigt, alles Sündliche und Gottwidrige abzustoßen; das erkennbar Gottwidrige war im Willen vorher schon überwunden und die Seele ist schon so tief in Gott verankert, dass innere und äußere, gottwidrige Ansätze keinen Reiz mehr auf sie ausüben. In der „Befestigung“ werden dann die Seelenkräfte dauernd umgestellt und befähigt. Ohne vorhergehende strenge Aszese ist aber die Seele infolge ihrer angeborenen erbsündlichen Natur niemals fähig, eine solche Gnade zu empfangen. Zu gegebener Zeit kommt dann die Befestigung als Frucht der Gnade und des eigenen Mitwirkens.

1152 |        Ich hatte heute die innere Erkenntnis, die Gnade der „Befestigung“ sei bei mir mit der Gnade der „geistigen Vermählung“ abgeschlossen gewesen. – Ich erinnere mich noch sehr genau, dass Jesus mir wiederholt diese Gnade, und besonders den wesentlichen Inhalt dieser Gnade, versprochen hatte, und zwar schon jahrelang vorher; ich erlebte auch schon Jahre vorher die Wahrheit des Versprechens Jesu, was freilich eine beständige Übung meinerseits bedingte, bis die Seelenkräfte dauernd befähigt wurden. Nach meiner Erfahrung vollzieht sich diese Gnade stufenweise und ist abhängig von der Treue gegen die Gnade, bis sie schließlich durch eine besondere Gnade Gottes zum Abschluss gelangt. – Ich erinnere mich auch noch gut der Worte des Heilands am Tage meiner geistlichen Vermählung: „Ich habe dich so rein gemacht, dass du nicht mehr fähig wärest, mich mit einer Sünde zu beleidigen, und wenn du jetzt sterben würdest, so würdest du mich im gleichen Augenblick besitzen“. Früher schon sagte mir der Heiland wiederholt in Gnadenstunden: „Ich werde dich befähigen, dass du mich mit keiner Sünde beleidigen kannst.“ – Es ist aber trotzdem Tatsache, dass auch mit der „Befestigung“ die Seele noch nicht unsündlich geworden ist; tief in der Seele bestehen noch ungeordnete Neigungen, sicher nicht wissentlich, aber infolge der erbsündlichen Natur, die auf solchen Höhenstufen zwar gebrochen, aber nicht vollkommen ausgetilgt sind; es besteht darum in der Seele an sich noch die „Möglichkeit“ der Sünde.

1153 |        Darum zeigte mir Jesus von der „geistlichen Vermählung“ und der damit bei mir abgeschlossenen „Befestigung in der Gnade“ an wiederholt: „Ich will in dir die Folgen der Erbsünde bzw. die damit anhaftende Sündenmöglichkeit auslöschen.“ – Beweise für die Wahrheit dieses Versprechens sind mir die darauffolgenden diesbezüglichen Leiden.

1154 |        Die jetzige Gnade der inneren Befreiung, Unveränderlichkeit und Unsündlichkeit – wie sie mir innerlich erklärt wurde – hängt zutiefst mit meinem geistigen Beruf zusammen und ist eine notwendige, nähere Vorbereitung darauf. Es ist nicht so sehr eine Gnade nur für mich als vielmehr eine „Notwendigkeit“ für die Absichten Jesu. – Auch dieser Gnade gingen jahrelange Vorbereitung und Fähigmachung meinerseits voraus, zusammengehend mit den anderen, besonderen Gnaden. –

 

03.04.1941

1155 |        Ich genieße die Fülle der großen Gnade, die der Heiland mir vor zwei Tagen gab. Ich ruhe in der Ruhe, bin gesättigt von der Fülle der Ruhe. Ich bin zum höchstmöglichen Ruhepunkt gelangt, in dem Jesus sich ständig bewegt. – Soeben aber hat mir Jesus gesagt: „Diese innere Vollendung und Freiheit von dir ist dir nicht als Selbstzweck gegeben, sondern dient deinem Beruf; dieser außerordentliche Zustand der inneren Erhebung wird 'gebraucht', dient meinen Absichten, ist nicht so sehr für dich, vielmehr ganz für mich. In der Ewigkeit wirst du diesen Zustand der Reinheit wieder für 'dich' finden und genießen.“ – Jesus „gebraucht“ jetzt diesen Zustand der Reinheit.

 

13.04.194181

Ostern 1941

1156 |        O JESUS, gemäß deinem Willen und nach deinen Absichten stelle ich mich gänzlich und vollkommen deinem „Ich“ und deiner göttlichen Person zur Verfügung. Ich verzichte auf jeden Gebrauch von mir und für mich, verzichte auf die Rechte meiner Person und übergebe diese sowie all meine geistigen und leiblichen Kräfte und Fähigkeiten deiner göttlichen Person, damit du die Ausübung all meiner persönlichen Rechte und Funktionen übernehmen mögest.

1157 |        Ich bin also für „mich“ nicht mehr vorhanden und damit ist dir eine neue Lebensmöglichkeit in mir gegeben. Du wirst von nun an meinen Platz einnehmen.

1158 |        Einst hast du mir mich gegeben, indem du mir nach den Gesetzen der Erschaffung des Menschen das natürliche Leben mit all den dazu gehörigen notwendigen Fähigkeiten schenktest und überdies das übernatürlich-geistige Leben durch die heilige Taufe. Ich übergebe dir nun dieses Leben, auf dass es durch einen Akt deines göttlichen Lebens und Willens dir diene. Indem ich auf mich selbst verzichte, übergebe ich das neue Leben, das durch deine göttliche Gnade in mir entstanden ist, ganz den Bedürfnissen deiner hl. Kirche. Es soll nicht Selbstzweck für mich sein, sondern ich opfere es mit allen für mich daraus entstehenden Gnaden und Verdiensten auf für das geistige Wachstum deiner Kirche, für den Triumph deines Reiches auf Erden, entsprechend deinen Absichten, die du mir am Karsamstag gezeigt hast, indem du mich wissen ließest: „Ich stelle dich in den geistigen Mittelpunkt meiner Kirche. Ich will durch dich meine Kirche neu bereichern und ihr den Reichtum meiner Erlöserliebe zeigen. Glaube mir das! Du musst daran glauben und dich als Werkzeug dafür betrachten.“

1159 |        Ich überlasse mich darum auch der Führung deines göttlichen Geistes, der mich anstelle meines früheren eigenen Bewusstseins leitet und den ich in meinem Inneren gut unterscheiden kann. Du also belebst von nun an mein Sein. –

 

17.04.1941

1160 |        Heute habe ich mich nach Jesu Willen seiner Ich-Person unterstellt und habe damit zugleich auf jeden Gebrauch meines eigenen „Ich“ verzichtet. Ich sehe die Folgen dieser Hinopferung klar ein und sehe sie teilweise voraus, aber es ist wohl das Schwerste, über diese rein geistigen Vorgänge zu schreiben, für die es keinen Ausdruck gibt. Die schweren vorangehenden Leiden brachten mir die entsprechende Befähigung, um jene Folgerungen auf mich nehmen zu können. Diese Leiden führten mich gänzlich von „mir“ weg und dieses innere Weggeführtwerden von mir führte mich hinein in die gänzlich in sich „frei stehende“ Person Jesu, die auf dieser Welt keinen Ruhepunkt hatte. Damit bin ich hineingeführt in den ständigen Abgrund der Erlöserleiden Jesu.

1161 |        Die heiligste Menschheit, die der Person Christi nur vorübergehend einen Aufenthalt bot, machte aus dem Gottmenschen Jesus Christus einen Pilger, der nichts auf Erden sein Eigen nannte, weil sein Reich nicht von dieser Welt war. Jesus, Gott von Gott, nimmt vorübergehend eine leidensfähige Menschheit an zum Zweck einer göttlichen Wiedererneuerung der Menschheit, die gerade seine göttliche Ich–Person mittels menschlicher Kräfte und Fähigkeiten vollzieht.

1162 |        Das gleiche zweite „Ich“ des dreipersönlichen Gottes, das unteilbar und doch selbstständig immer im Vater war, wohnte der Erlösermenschheit Jesu ein [sic! inne!]; dieses „Ich“, das in jedem menschlichen Lebewesen die treibende und selbstbeherrschende Kraft ist, wurde zu einem Faktor im Erlösungsgeheimnis, zum Bindeglied zwischen Gottheit und Menschheit. Nach Jesu göttlicher Allgegenwart, die ihm als Gott-Sohn im Vater zukam, war er im Vater auch im Himmel gegenwärtig, aber seine „Person“ hatte den Himmel verlassen und war einwohnend einer für diese seine Person bereiteten Menschheit, belebte sie mit all den Folgerungen, die eben eine Person zum Mittelpunkt eines „wirklichen Lebens“ machen, zum Mittelpunkt ausströmender und umkreisender Akte; seine Person beherrschte gleichsam von „oben“ herab alle Fähigkeiten der menschlichen Natur und gestaltete die zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, zu einer Person.

1163 |        Durch unendliche, göttliche Erlöserliebe wurde Jesus zur leidensfähigen Person nach all den Gesetzen des menschlichen Lebens: Jesus [ist] wirklich „Mensch“ geworden, obwohl zugleich wahrer Gott! – Ich begreife so gut dieses Geheimnis, aber wie könnte man es in Worten aussprechen? Es gibt dafür kein menschliches Wort. Dies Geheimnis erklärt sich nur im „Schauen“ und wird damit zum „Wissen“.

1164 |        Ich erkenne so gut die „Akte“ der „Person“ im Menschen, deren Funktionen des sich selbst Regierens und Leidens sowie das Zurückströmen aller sich auswirkenden Kräfte zur „Person“ wie zum Mittelpunkt und zu dem alle Verantwortung tragenden Ausgangspunkt. Die „Person“ ist das Zentrum, das sich in sich selbst besitzt und die Herrschaft über sich selbst behält (in gutem, geordnetem Sinn genommen). – In Jesus war diese Person-Kraft infolge seiner göttlichen ewigen Anlage aufs Höchste vollendet. Sein Ich war höchste Vollkommenheit und diese Vollkommenheit veränderte sich auch nicht (und konnte sich infolge seiner göttlichen Natur nicht verändern), als Jesus zum Träger der menschlichen Funktionen seiner Menschheit82 wurde, sich den menschlichen Kräften entsprechend anpassend. Durch dieses allerhöchste Einwohnen seines göttlichen „Ich“ wurde seine heiligste Menschheit auf erhabenste Weise geadelt und geheiligt: Sie wurde zur gottmenschlichen Person. Alle menschlichen Seelenfähigkeiten und Kräfte sind augenblicklich „hingeströmt“ und wie befestigt „geblieben“ im göttlichen „Ich“.

1165 |        Jesu Ich, seine Person wurde damit auch zum Träger aller Leiden und Leidensmöglichkeiten, durch die er zur Erlöserperson wurde, zum Mittler und Vermittler göttlicher und menschlicher Funktionen. Dies Geheimnis seiner „Mittlerperson“ hat sich in seinem „Ich“ entwickelt und abgespielt, hat dort seine Auswirkung gefunden. Alle sich entwickelnden Akte wurden eine unendliche göttliche83 Sühne vor dem Vater, infolge der göttlichen Unteilbarkeit zurückströmend zum Vater. In diesem Sinne wurde Jesus Opfer für die strafwürdige Menschheit und zum Opfer göttlicher Gerechtigkeit. – Ich verstehe gut, wie sich das abgespielt hat.

1166 |        In den letzten Vorbereitungsleiden wurde ich tief eingeführt in die „Akte der Person“ und erfasste damit Jesu göttliche Erlöserakte. – Der Schlüssel und die Erklärung für meine jetzigen inneren Erlebnisse findet sich im Wesen des „Ich“ bzw. des Ich Jesu als des Trägers all seiner persönlichen, das Geheimnis der Erlösung betreffenden Erlebnisse. Ich werde hineingezogen und einbezogen in Jesu innere Erlebnisse. Durch die Teilnahme an ihm bzw. durch das Eingehen in sein „Ich“ werden mir diese Erlebnisse „bewusst“ und durch das Bewusstwerden werden sie wie zum eigenen Erlebnis. Daher war in den letzten Läuterungsleiden das unaussprechlich Quälende dies: Mein eigenes „Ich“ aufgeben, die letzte Stütze zum Bestehen. Tag und Nacht dauerten diese Leiden fort: das „Weggenommensein“ jenes Bestehens, das vollkommene Ausgeschaltetsein der „Ich–Aktmöglichkeit“, gewissermaßen das Verlieren des „Bewusstseins um mich selbst“. So ähnlich müsste es sein, wenn jemandem der Kopf weggenommen wäre und er dennoch weiterleben müsste. – Aber gerade dadurch wird Jesus der Platz in mir bereitet, den mein „Ich“ ausfüllte, und er übernimmt nun statt meiner die Tätigkeit.

1167 |        Jesus war in sich eine Person; keine war ihr gleich; sie fand daher nirgends Stütze oder Anlehnung. Sie war den menschlichen Lebensfähigkeiten (= der menschlichen Natur)84 untergeordnet, die für seine göttliche Person und die Ihr angemessenen Forderungen beschränkt waren; daher kam das Leiden einer beständigen „Einengung“, Beschränkung, die Jesus gleichsam zu einem gewöhnlichen Menschen herabwürdigte und für ihn ein dauerndes Leiden der Verdemütigung mit sich brachte. Jesus war damit vom Reiche seiner Herrlichkeit und Unumschränktheit versetzt in das Reich der beengenden Menschheit, die ihm infolge jener der menschlichen Natur eigenen Enge die ihm eigentlich85 zukommende göttliche Bewegungsfreiheit versagte. Aus Liebe versagte sich Jesus die ihm eigene göttliche Freiheit, um für den ungebundenen Freiheitsdrang Adams und aller Menschen zu sühnen. Da der Mensch „Gott gleich sein wollte“, ist Gott zur Menschheit herabgestiegen und hat sich mit dieser begnügt. Ich erkenne in allen Erlöserleiden Jesu eine ständige Wechselbeziehung zwischen Sünde und entsprechender Sühne. In der Person, im „Bewusstsein“ Jesu trafen sich Sünde und Sühne fortwährend und dies löste seine inneren Leiden aus.

1168 |        Durch die heutige Aufopferung habe ich auf die Auswirkung und Freiheit meiner Person verzichtet, habe dieser für immer entsagt und mich der Person Jesu unterstellt, damit diese die Funktionen meiner früheren Ich-Tätigkeit übernehme. Damit gehe ich zutiefst in Jesu „Ich“ ein, was ja meiner geistigen Aufgabe entspricht. In Jesus werde ich erleben und miterleben seine inneren Bewegungen, Akte und Leiden, die seine Erlöseraufgabe in ihm hervorgebracht hat. Einbezogen in Jesu göttliches Erlösungsgeheimnis, werde ich dieses erleben als Offenbarung für die Kirche.

1169 |        Durch die vorhergehenden Leiden hat mich der liebe Heiland totgemacht für alle meinerseits möglichen Einflüsse, damit ich möglichst klar sein Innenleben wiedergeben könne, soweit es seinen Absichten entspricht.

1170 |        Gemäß der inneren Führung habe ich heute am Grabe des hl. Petrus den Akt der Hinopferung gemacht: Nichts mehr für mich, alles für Christi Reich auf Erden, für den Triumph seiner göttlichen Erlöserliebe!

 

18.04.1941

(Abend)

1171 |        Heute habe ich Unsägliches gelitten. Es scheint mir unmöglich, dieses Doppelkreuz ertragen zu können: Den Heiland, sein Inneres – was mir unfehlbar bevorsteht und dem ich mich mit der gestrigen Aufopferung überantwortet habe – und zugleich das äußere Kreuz, nämlich die scheinbare Aussichtslosigkeit der Absichten Jesu. Es scheint mir, als müsse der Heiland eingreifen, damit die äußere ständige Spannung weggenommen werde und ich mit Ruhe in den inneren Leiden aufgehen könne.

1172 |        Wie stehe ich, menschlich gesehen, ohne äußeren Halt und Stütze da, so ganz nur in den Armen Gottes! Zwar sind dies die zuverlässigsten Arme, aber man ist Mensch und verlangt auch nach einem äußeren Ruhe- und Stützpunkt. – Es ist jedoch merkwürdig, dass ich gerade in diesen großen Leiden den meisten Trost finde, weil ich dadurch seiner Hilfe sicher bin.

1173 |        Wie bitter fühle ich all die Ungerechtigkeit, die in dem ganzen Vorgehen gegen Jesu Sache liegt! Nur Gottes Gnade allein ist imstande, das Vertrauen aufrecht zu halten, so sehr hat man alles vernichtet! Und das Schmerzlichste dabei ist, dass diese äußere Aussichtslosigkeit gleichsam auf mich zurückfällt, weil sie meiner Armut und Nichtigkeit als Folge zukommt; und ich muss mich so ertragen in meiner abgrundtiefen Vernichtung und Ohnmacht. –

1174 |        Aber Gott ist allmächtig. – Und ich leide weiter!

 

20.04.1941

1175 |        Dieser Tage wurde mir Folgendes in Erinnerung gebracht:

Als ich dem lieben Heiland gegen Ende des letzten Kalenderjahres alle Misserfolge der Bemühungen in seiner Sache vorhielt, sagte er mir: „Ich habe damit Stützen und Anwälte für meine Absichten gesucht; weil ich diese nicht gefunden habe, will ich dir eine Fülle von Gnaden geben, damit sie zum Beweis für meine Absichten werden“.

1176 |        Jetzt, beim Schreiben, erklärte mir Jesus weiter, daran anknüpfend: „Ich habe alles den P. General zum Beweis miterleben lassen wollen (d. h., wenn er früher einen Anwalt seiner Sache gefunden hätte, der es dem P. General überbracht hätte). Im vollen Vertrauen auf meine Gnade und mit daraus entspringendem Mut hätte man das erreicht“.

1177 |        Dies deckt sich auch mit verschiedenen anderen diesbezüglichen Worten, die Jesus mir vor einigen Jahren sagte.

 

25.04.1941

1178 |        Heute sah ich die innere und äußere Form des Priesterwerkes klar wie noch nie, in großer Einfachheit.

1179 |        Innere Form:

1.                   Eine „Gesellschaft“ von Priestern, nicht eigentlich ein neuer Orden, aber in Form eines Ordens; die vertiefte, erneuerte Grundlage des Priestertums in diesen Priestern gibt das Gepräge eines Ordens durch die Zusammengehörigkeit eines Strebens nach dem vollen Ideal des Priestertums, wie der Heiland es will, im Geiste der „Apostel“. – Die innere Grundlage, das geistige Priesterideal wird aus den Schriften herausgearbeitet und dem Heiligen Vater vorgelegt. Außer dieser inneren Form des Ordens, dem wahren Ideal des Priestertums, hat die „Gesellschaft des Hohenpriesters“ keine besonderen Verpflichtungen. Es baut auf dem Geist und Bildungsgang des Jesuitenordens auf.

1180 |        Äußere Form:

2.                   Der Heiland will das Priesterwerk einem schon bestehenden Orden angeschlossen haben. Der Gedanke eines wirklich neuen Ordens ist in der heutigen Zeit unausführbar. Die „Gesellschaft des Hohenpriesters“ soll unter dem Schutz eines Ordens stehen, in sich frei dem vom Heiland gewollten Priesterideal zustrebend, doch dem bestehenden Orden eingeordnet. Die Tätigkeit des Priesterwerkes, vornehmlich Priesterseelsorge nach ignatianischem Vorbild, wie z. B. Exerzitien, ist ja auch verschieden von der Haupttätigkeit des anderen Teiles des Ordens, den Missionen.

3.                   Der Heiland fragt an, ob die G. d. g. W. das Werk aufnehmen wollen. Er verspricht, dass die Zusage der ganzen Genossenschaft zum größten geistigen Nutzen sein wird. Das Werk wird auch später den Titel „Gesellschaft“ führen und wird zu einem eigenen Institut werden, etwa in Form eines allgemeinen Priesterseminars in diesem Geiste als Zentrum des Werkes.

 

27.04.1941

1181 |        Niemand kann die Größe meiner Leiden begreifen. – Ich bin wie nicht, und habe doch alles in mir. Ich bin nichts und bin mir des Abgrunds meiner Verdemütigung bewusst, und doch bin ich so reich. Ich bin herabgestiegen von der mir bewussten Höhe und lebe den Abgrund aller Niedrigkeit. Alles steht mir in Fülle zur Verfügung und doch bin ich davon getrennt und kann nicht dahin gelangen. Ich lebe in mir unendliche, geistige Weiten und bin doch so arm und klein und niemand gibt mir das scheinbar Notwendige.

1182 |        Ich weiß um meine Armut, und unzählige Geister umgeben mich und spotten meiner Armut und Hilflosigkeit und belächeln mich ob meiner Niedrigkeit. Die vielen, vielen stehen um mich und fragen sich gegenseitig spöttisch: Wer ist der? Ich spüre die Bewegungen ihrer Geister, der Menschenseelen, weil alle sich mit mir berühren. Dieser Spott und das Wissen um diese Geister dringen wie unzählige Dornen in mich und durchdringen mich so schmerzlich. Ich bin jemand der, „war“ und jetzt sein Sein verloren hat und unter alle Lebenden herabgestiegen ist.

1183 |        Ich suche einen Ruhepunkt, eine Stütze, aber um mich sind lauter Nichts und Leere. Ich habe keine Heimat und keine Seele, die mir eine Ruhestätte bieten könnte; ich bin allein, so allein wie noch niemand, weil niemand sich solcher inneren Reichtümer bewusst ist und das ergibt diesen Abgrund des Alleinseins. Niemand versteht mich und kann mich verstehen; ich bin jemand, der allein ist. – Ich muss ständig innerlich vergehen, weil so viele um mich sind, die mich vernichten wollen.

1184 |        Ich trage eine Last in mir und bin so schwach, und doch ist es meine Last, die ich trage, die auf mir liegt, wie die meine. Diese Last ist das innere Wissen um jene, die mich nicht verstehen und zugleich das Verlangen, von allen verstanden zu werden. – Ich lebe in mir die Fülle des Friedens und bin wie ein Vertriebener, Ruheloser, der nirgends Anlehnung findet.

1185 |        Ich weiß um meine innere Größe und ich weiß um meine Armut zugleich. – In mir ist nur Verlangen nach Leiden, das Verlangen mich zu verzehren infolge des Wissens in mir, aber ich bin so empfindsam und schwach, dass ich darunter vergehen muss. –

1186 |        Niemand kann mich verstehen. –

1187 |        Ich liebe dieses Leben und dieses Leiden als das meine, und ich möchte mich daran totleiden. –

1188 |        Ich habe so vieles in mir, was niemand aussprechen kann und wohin niemand hingelangen kann, weil es unmittelbar in mir ist und ich der Besitzer dieses Wissens bin, des Wissens um Gott und seine Größe. – Und doch ist das Verlangen, es auszuteilen, so verzehrend!

1189 |        Die vergangenen Tage waren voll unaussprechlicher, geheimnisvoller Leiden; ein ständiges Vergehen und Vernichtet-Werden brachte mich in einen Abgrund des Nichts, der gestern Abend seinen Höhepunkt erreichte; ich war wie ein Wesen, das in sich aufgelöst ist, wie nicht mehr existierend, und das nicht mehr um sich weiß.

1190 |        Heute Mittag in der Kapelle steigerte sich dieser Zustand noch. Es war mir, als weite sich mein Inneres unermesslich. Der Zustand meiner Nichtigkeit und des Aufgelöstseins kam mir ins Bewusstsein. Unerklärliche geistige Veränderungen in mir versetzten mich wie zwischen Himmel und Erde: Ich lebe göttliche Weiten und sein Wissen und sein wie das meine, und zugleich lebe ich meine arme Menschheit. – Es ist eine merkwürdige Änderung in meinem Innenleben eingetreten.

 

29.04.1941

1191 |        Am vergangenen Sonntag (27.04.) Mittag wurde ich wie in einer seelischen Umwälzung in das Innenleben des Heilands hineinversetzt. Ich erlebte seine inneren Leiden als die meinen; diese inneren Erlebnisse wirkten sich ganz als die meinen aus;86 meine frühere eigene Person war ganz verschwunden. Jetzt bin ich wieder mehr im gewöhnlichen Zustand, doch geht die Richtung der inneren Führung auf eine dauernde Art dieser seelischen Leiden und Erlebnisse aus.

1192 |        Ich streife mich innerlich ganz ab und werde befestigt in dem bewussten Erleben des Jesus-Ich. – Es ist schwer, die innere Führung in Worten zu erklären, wenn man sie auch noch so klar erlebt. Ich verstehe und begreife genau Jesu Ich-Person, die Erleberin seiner Erlöserleiden; ich unterstelle mich ihr infolge der Befähigung, die mir durch Jesu Gnade, und die begleitenden Läuterungsleiden, zuteil wurde. Ich verlasse mich selber ganz; (gewiss entzieht sich die Tiefe dieses Sich–Verlassens meinen menschlichen Begriffen, weil dies immer ein Geheimnis bleiben wird; ich werde eben in einen Zustand versetzt, der für die Absichten Jesu brauchbar scheint). Mir persönlich erklärt sich das in einem beständigen „Herabsteigen“, „mich meiner entäußern“, das sich in inneren Leiden vollzieht.

1193 |        Heute Morgen ist mir die innere Grundhaltung der kommenden, dauernden Erlebnisse ganz klar. Ich habe die feine Unterscheidungsgabe in mir, um die inneren Bewegungen und deren Ziel zu erfassen. Ich erkenne auch ganz klar die Erlebnisse des letzten Sonntags, die Art der ständigen Erlöserleiden Jesu, das Ineinandergreifen der inneren Bewegungen Jesu, die sein inneres Leiden auslösen.

1194 |        Ich habe heute so klar Jesus begriffen: Er ist der, der die große Last der Erlösung der Menschen auf sich nimmt, indem er einer aus ihnen wurde, während im göttlichen Wissen ihn alle Menschen umgeben, deren Last er trägt, weil er sie für die Menschen alle trägt. Er, der Eine für alle! Er im Mittelpunkt der ganzen Menschheit! – Der Heiland ist sich aber ständig seiner Erniedrigung durch die Menschwerdung bewusst; das Wesen göttlichen Seins strahlt ständig in den Abgrund seiner Niedrigkeit. Dies entfaltet sich als ein Erlebnis mit zwei Auswirkungen, gleichsam mit zwei Seiten.

1195 |        Jetzt, im ruhigen Zustand, finde ich es sehr merkwürdig, wie es möglich ist, dass ich Jesu Stellung als „Gott“, als Erlöser, erleben kann. – Es wird mir darüber erklärt: Die Möglichkeit zu einer solchen Art innerer Erlebnisse an seiner Stelle setzt sich nicht aus Momentmöglichkeiten zusammen, sondern ist das Resultat aller inneren Erlebnisse der letzten Jahre, in denen ich gleichsam in göttliches Erfahren und Begreifen seines göttlichen Wesens emporgehoben und dafür dauernd befähigt wurde. Göttliche Begriffe und Wissen um Jesus wurden mir damit praktisch angeeignet und jene inneren Erfahrungen, die in der Seele schlummern, leben im kommenden Zustand auf und ermöglichen das dauernde Erlebnis. All die Grade der inneren Vereinigung mit dem Heiland, die mit den Gnadenzeiten „vorüber“ scheinen aber in Wirklichkeit doch nicht „vorüber“ sind, wurden in der Seele gleichsam aufgespeichert und treten dann jetzt in Tätigkeit.

1196 |        Nach diesen Erklärungen verstehe ich gut, dass alles der Vorbereitung auf meinen seelischen Beruf diente, wenn ich in das tiefe Erfahren Gottes, bzw. des Erlösers eingetreten war. Dadurch, dass ich zuvor zutiefst in Jesu Sein und Erleben eingegangen war, wurde mir die Fähigkeit und Möglichkeit gegeben, diese inneren Bewegungen einmal als die meinen zu erleben. Ich betrete dann schon früher erlebte geistige Gebiete, die gleichsam wieder in mir „aufleben“. Darum habe ich auch am Sonntag ein vielerlei an augenblicklichen Erlebnissen gehabt, dass sich aber doch aus dem Erleben der vergangenen Jahre zusammensetzt. So dauerte die Vorbereitung schon 20 Jahre und aus all diesem inneren Erkennen und Wissen um Jesus setzt sich dann das wirkliche Erleben Jesu zusammen. Nichts ist inzwischen der Seele verloren gegangen. Wenn es auch aus meinem bewussten Wissen entschwunden ist, so wurde doch meine Seele dadurch „erweitert“ und befähigt, göttliches zu erfahren.

1197 |        Heute (29.4.1941) verlangte der liebe Heiland die volle Bereitschaft „ganz in ihm aufgehen zu wollen“. Jene inneren Erlebnisse in seiner Person werden nach und nach in den Vordergrund treten und die „meinen“ sein. Jesus wiederholt sich damit innerlich, soweit dies seinen Absichten entspricht. Ich weiß ganz klar, wie beiläufig sich alles entwickeln wird; das wirkliche Erleben ist aber dann immer weit erhabener und wahrer als das Erleben des vorausgeschauten Zieles.

1198 |        Ich habe nun wiederum auf jeden Gebrauch meinerseits verzichtet und habe dem Heiland nach seinem Willen versprochen zu glauben, dass meine kommenden inneren Leiden die seinen und sein Inneres sind („du musst daran glauben, dass dies mein Inneres ist!“). Damit habe ich mich seinem gottmenschlichen Erleben übergeben und schreite diesem dauernden Erleben entgegen. –

 

30.04.1941

1199 |        Ich erlebe passiv im Ich-Zustand in Jesus:

„Nur reine, göttliche Liebe hat mich gedrängt, diese Mittlerstelle zwischen Gott und der Menschheit anzunehmen, diesen Zwiespalt zwischen Gottheit und Menschheit auf mich zu nehmen“. – Ich erkenne und begreife so klar, wie 2 mal 2 gleich 4 ist, diese Übernahme der Mittlerstellung durch Jesus als Gott-Sohn und die darin liegende göttliche, unendliche Liebe des Gottmenschen. In ihm nehme ich an dieser göttlichen Liebe teil, indem ich in ihn eingehe und an dieser seiner Mittlerstelle teilnehme.

1200 |        Ich sehe es klar ein: Nur Liebe kann mich zu diesem Leben ständigen Opfers befähigen; nur die Teilnahme an göttlicher Liebe kann mir den Mut dazu und die Beharrlichkeit darin verleihen. – Nach meinem inneren Eindruck handelt es sich um eine Gnade der Unveränderlichkeit der Liebe. Jesus lässt mich teilnehmen an seiner göttlichen Erlöserliebe. In Jesus sah ich: „Die Liebe kann sich in dir noch steigern durch die Teilnahme an meiner Liebe“. – Übrigens gibt es kein passendes Wort für dieses innere Erfassen seiner Liebe.

1201 |        Als Erlöser trägt der Heiland in sich den Zwiespalt, den die Sünde zwischen Gott und den Menschen aufgerissen hat. Ganz teilnehmend an ihm erfasse ich den Umfang dieses Zwiespalts, bin einbezogen, um dies zu erfahren: Jesus, die Mittelsperson, gleichsam die Brücke, auf der sich die Folgen dieses Zwiespalts ausgelöst und ausgewirkt haben.

1202 |        Ich schaue den „Genuss“ der Menschheit an sich selbst, das Sich-selbst-Genießen und sich an [die] Stelle Gottes setzen. Die Befriedigung des ungeordneten Selbstbesitzes, wodurch Gott gleichsam auf die Seite gestellt wird, das ist „die Wurzel aller Sünde“. Gott versagt dem Menschen nicht den Gebrauch des Genusses, der dem Menschen natürlich und notwendig ist; die Gefahr liegt aber in der ungeordneten Selbstbefriedigung, die von Gott abzieht und zum Selbstdienst wird und wozu der Genuss leicht verleiten kann. – Im Gegensatz hierzu verzichtet der Erlöser auf den Genuss des Selbstbesitzes, auf den Besitz des „Genusses“ in sich. Dieses Leiden greift tief ein in Jesu Erlöserleiden. – Zugleich schaue ich aber: Der Heiland war dabei kein Büßer, kein Aszet, kein Einsiedler, wie wir bei diesem Gedanken vielleicht annehmen möchten. Er ist uns allen gleich geworden, aß und trank wie wir. Er verzichtete nicht auf den Gebrauch des Genusses als Mensch, aber auf die Befriedigung des Genusses.

1203 |        Ich begreife und erkenne dabei auch meine innere Führung, die mich befähigt hat, in ihm auf den Genuss meines Besitzes in mir verzichten zu können. Gemeint sind damit vorerst geistige Güter des sich innerlich als Mensch „Genießens“, was sich dann auch gegenüber irdischen Gütern auswirkt.

 

Mai

04.05.1941

1204 |        Ich leide unter der Qual, mein tiefstes Erleben niemand erklären zu können. Und so wachse ich mit großen Leiden hinein in sein Alleinsein.

1205 |        Abends in der Kapelle war mir sehr schwer. Ich bin ganz als Jesus allein, leide sein Verlangen sich mitzuteilen – und niemand kann „ihn“ verstehen.

1206 |        Es wurde mir erklärt, wie ich durch diese Leiden ständig seine innere Lage und seine Leiden mir aneigne, ständig „herabsteige“ in den Abgrund seiner Erlöserleiden, die mich schließlich ihm ähnlich machen, durch das Eingehen in ihn, und die ich als die meinen erlebe. Je mehr ich in ihn herabsteige – so erklärte mir der liebe Heiland – und mich damit ihm unterstelle, desto mehr bin ich „eine Person“ in der seinen, und je mehr ich allein die eine Person, nämlich „er“, werde, desto fruchtbarer wird seine Erkenntnis, desto mehr wird den Seelen die Erkenntnis Christi vermittelt.

1207 |        Ich zerbreche mich innerlich ständig, damit „er“ allein erstehen kann. Niemals hätte ich gedacht, seelisch so viel leiden zu können; aber gerade im Leiden erfährt man den Heiland und geht man in ihn ein.

 

Mai

05.05.1941

1208 |        

1. Der eine Teil (des annehmenden Ordens) widmet sich den Missionen, der andere Teil (das Werk des Hohenpriesters) widmet sich ausschließlich der Priesterseelsorge.

2. Ein Noviziat für beide Teile.

3. Die Priesterseelsorger erhalten eine weitere Ausbildung in dem vom Heiland gewünschten und bestimmten Geiste.

4. Beide Teile behalten den Geist der schon bestehenden Genossenschaft in voller Einheit. Die Priesterseelsorger haben außer dem Ideal des Priestertums weiter keine besonderen Verpflichtungen.

5. Die Ausbildung der Priesterseelsorge ist ähnlich wie die in einem Noviziat, d. h. verpflichtend.

6. Nach ihrer Ausbildung übernehmen die Priesterseelsorger Priesterexerzitien, Priesterseminare und leiten die eigenen Noviziate der Genossenschaft in diesem Geiste.

7. Die Priesterseelsorger sind zusammengeschlossen durch den einen Geist und das eine Streben und bilden eine Einheit in Form eines in sich geschlossenen Werkes (das Werk des Hohenpriesters) und unterstehen dem General. – Das Priesterwerk wird in den Orden eingebaut, muss aber doch genug Freiheit zur selbstständigen Entwicklungsmöglichkeit und Wirksamkeit haben.

8. Der Gründer des Werkes untersteht nur dem General.

9. Der von Gott bezeichnete Gründer des Werkes muss zu diesem Zwecke freigestellt werden. – Der äußere verantwortliche Gründer ist der General; die innere Gründung bzw. die geistige innere Ausbildung übernimmt H. P. B.

1209 |        Das Werk könnte als „selbstständiges Werk“ jetzt nicht bestehen, wird aber innerhalb einer Genossenschaft sich gut entwickeln und eine Großmacht der Kirche werden, weil die betreffende Genossenschaft heute schon einen großen Einfluss besitzt und somit dem „Werke des Hohenpriesters“ ein erfolgreicher Schutz und eine feste Grundlage sein kann.

1210 |        Dieser Plan des Heilandes gilt für jetzt.

 

06.05.1941

1211 |        Der liebe Heiland87 wünscht die Gründung eines Werkes zum Zweck einer allgemeinen Erneuerung des Priestertums. Das Priesterwerk, von ihm genannt „Die Genossenschaft88, das Werk des Hohenpriesters“ soll einer schon bestehenden Genossenschaft unterstehen mit dem Unterschied in der Tätigkeit, dass sich der sich anschließende Teil ganz der Priesterseelsorge widmet, nachdem seine Ausbildung in dem vom Heiland gewünschten Geiste vollendet ist. Die geistige Ausbildung vollzieht ähnlich verpflichtend wie sonst in einem Noviziat. Es bleibt jedoch als Grundlage das Noviziat der schon bestehenden Genossenschaft für jene Mitglieder des Werkes, die ihr früher schon angehörten, die sich aber der speziellen Tätigkeit zuwenden.

1212 |        Die geistige Ausbildung der Mitglieder des Priesterwerkes soll sich in jenem Geiste vollziehen, die der Heiland in meinen Schriften als Grundlage bezeichnet hat. Die Mitglieder des Priesterwerkes sind auf der Grundlage des gemeinsamen Strebens nach dem vollen, vertieften Ideal des Priestertums zu einer Einheit im gemeinsamen Leben zusammengeschlossen.

1213 |        Es soll aber nicht gleich als ein Werk der Erneuerung des Priestertums gelten, sondern der Heiland wünscht es vorläufig so: Wir stellen die Ausbildung unserer Priester auf diese Grundlage. Ein Teil von uns wendet sich auf der Grundlage der speziellen Ausbildung ausschließlich der Priesterseelsorge zu.

1214 |        Das Werk wird sich durch die Art und Weise seiner Wirksamkeit selbst empfehlen und rasch zu dem vom Heiland gewünschten Ansehen und einer umfassenden Wirksamkeit entwickeln.

1215 |        Der neue Teil soll nur dem General unterstehen und die gegenseitigen Beziehungen bei einem eventuellen Übertritt streng geregelt werden. Das Priesterwerk soll in seiner Wirksamkeit selbstständig sein.

1216 |        Der Heiland wünscht den Schutz und die Verantwortung durch die Obrigkeit eines schon fest bestehenden Ordens, weil ein anfangendes Werk mit der genannten Tätigkeit allein nicht bestehen könnte.

 

11.05.1941

Von Jesu inneren Leiden als den meinen

1217 |        Heute Mittag in großen Leiden sprach ich in der Kapelle zu Maria: „Mutter, sieh dein leidendes Kind, verlass mich nicht!“ Und sogleich erlebte ich ihre mütterliche Beziehung in mir. Ich fühlte mich einbezogen in die mütterliche Liebe, mit der Maria den Heiland als ihren Sohn umgab, und sie versicherte mir diese ihre ständige mütterliche Liebe infolge der besonderen Absichten Jesu und meiner inneren Teilnahme an ihm. Ich schaute auch Maria in Nazareth ständig an den Leiden ihres Sohnes teilnehmend, nicht in der Weise, als ob sie das Erlöserleiden erlitten hätte, sondern im Mitfühlen als die Mutter des Erlösers. –

1218 |        Wie könnte ich den Abgrund meiner inneren Armut und Entblößung beschreiben? – Ich stieg89 ständig in mir „herunter“ zu noch tieferer innerer Verdemütigung. Ich entäußere mich andauernd all meiner früheren geistigen Güter und erlebe damit den Abgrund geistiger Armut. Wo sind die Zeiten des reichen inneren Erfahrens Gottes, des inneren Erlebens und Gesättigtseins im Heiland, wo ich in ständigem inneren Licht ganz durchtränkt war von Jesus und seinen göttlichen Reichtümern? Ja, arm bin ich geworden, innerlich so arm, dass es keinen Ausdruck dafür gibt. Es ist mir, als würde ich ständig innerlich entkleidet; es wird mir alles weggenommen, nur mein nacktes Leben bleibt mir; und ich leide so sehr unter meiner Armut, weil mir die Stufen meiner Erniedrigung so sehr bewusst sind. Und ich bin gebunden in meiner geistigen Armut und kann mich nicht rühren; ich muss mich so ertragen und davon gesättigt werden. Ich habe ein großes Verlangen im Wissen um all die geistigen Güter, die ich einst in mir besessen und genossen habe; ich möchte mich dahin aufschwingen, nicht so sehr um jene Güter zu genießen, als vielmehr um meine innere Armut damit zu bedecken.

1219 |        Und doch liebe ich auch meine gänzliche innere Entblößung. Ich liebe meine Armut, aber im Gegensatz dazu erlebe ich den ganzen Hochmut der Menschen, ihr Herabsehen auf mich. Alle stehen über mir, weil niemand so arm ist, wie ich. Der Hochmut der Menschen und ihr schrankenloser Selbstbesitz und ihre Selbstherrlichkeit drücken mich noch mehr nieder, weil der zwischen uns liegende Abstand dadurch gleichsam noch vergrößert wird. Ich fühle den Hochmut der Menschen wie Dornen, die mich innerlich verwunden, und ihr Selbstbesitz drückt mich noch tiefer in den Abgrund meines Nichts. Ich habe Ekel vor dem Hochmut und der Hochfahrenheit, und alle stellen sich über mich. Und ich muss alles mit ansehen und erleben und bin innerlich gebunden und muss mich so ertragen. – Das Einzige, was mich beruhigt, ist meine eigene, innere Kampflosigkeit, das Leben der Reinheit, das ich innerlich lebe. Diese Reinheit ist mein einziger Schatz, dieses eigene Freisein von allem Ungeordneten, von jener inneren Zerrüttung, die sich auf alle Kräfte der Menschenseele erstreckt. Alle Kräfte meiner Seele sind „frei“ geworden für andere Arbeit und andere Leiden. Es ist wie ein neues Sein in mir, dem eine andere Aufgabe zugewiesen wird, weil die eigene aufgehört hat.

1220 |        Mein inneres Leben ist ein ständiges „Eingehen“ in die inneren Erlöserleiden Jesu, bzw. in Jesus, weil ich mit seinen Leiden sein inneres Sein aufnehme. Ich durchgehe innerlich viele Stufen des inneren Erfassens Jesu, für die man aber keinen Ausdruck findet, weil sich alles in rein geistigem Erleben vollzieht. Ich meine aber, dass all diese nicht ausdrückbaren Stufen des Eingehens in Jesus später durch das wirkliche Erleben nochmals auftauchen und erfahrungsgemäß werden.

1221 |        Eigentlich erhöht sich täglich meine innere Besitznahme von ihm oder vielmehr Jesus nimmt mich täglich mehr in Besitz; jeden Tag verändert sich meine innere Stellung. Alles aber vollzieht sich in Leiden, in leidvollem „Entblößtwerden“ von mir und meinen eigenen Einflüssen.

1222 |        Die innere Armut, mein ständiges inneres Herabsteigen erklärt mir die tiefe Verdemütigung, in die der Heiland in seiner Menschwerdung, in der Annahme der Menschheit, sich versetzt hat. Unter alle Menschen ist er gleichsam herabgestiegen und hat sich freiwillig unter alle Menschen gestellt wie einer, der allein ist in seiner Armut. So wenig bot ihm eigentlich die Menschheit im Vergleich zu seinem früheren Besitz; so groß war der Gegensatz der armen Menschheit zu seinem unveränderlichen göttlichen Selbstbesitz, den der Heiland immer in sich besaß. Dies ist ein Geheimnis, das man nur im Erfahren der Größe Gottes erfassen kann: das Herabsteigen Gottes bzw. des Erlösers und das Vorliebnehmen mit der Menschheit. – Dabei ist zu bedenken, dass ich trotz all der inneren Umstellung mich noch weit mehr in meiner Menschheit besitze, als der Erlöser sich besessen hat, infolge des unendlichen Abstandes und des Gegensatzes zwischen Gottheit und Menschheit. Das Erkennen dieses Gegensatzes ist ein Geheimnis, für das es kein Wort gibt. – Die ganze Menschheit „freut“ sich und bildet sich Großes ein im Besitz der armen, sterblichen Menschheit; sie triumphiert im Selbstbesitz und stellt sich über alles Göttliche. –

1223 |        Einschließlich dieses inneren Erkennens erlebe ich mein eigenes Mit-heruntergenommen-werden in die volle Erlöserstellung Jesu. Durch das erfahrungsmäßige Erleben des betreffenden Leidens gehe ich anscheinend in Jesus ein; ich „übe mich“ im Ertragenkönnen des betreffenden Leidenszustandes Jesu, befestige die Möglichkeit des Erlebens seiner Leiden. Seine inneren Leiden stehen dabei meinem inneren Eindruck nach tief „unter“ meinem menschlich wahrnehmbaren Zustand bzw. seinem in mir bleibenden Seelenzustand. Anscheinend gehe ich in seine erfahrungsgemäße Geisteswelt ein und erlebe die Reaktionen seines eigenen Seelenlebens mit (weil ich damit den Zustand des Menschen erlebe). – Ich gehe ständig aus mir heraus und in Jesus ein und das geschieht mit vielen Leiden, aber diese Leiden sind nicht sinnengebundene Leiden, sondern rein geistige; die Sinneswelt oder die Gefühlswelt wird davon wie nicht berührt.

 

Abends:

1224 |        Ich bin heute im inneren Erfahren der Leiden Jesu in den Abgrund seiner Selbstentäußerung und Armut geführt worden. Ich weiß und kenne nun die Art seiner Losschälung, das Aufgeben seines Besitzes und der Ausübung und des Genusses seiner göttlichen Macht und Herrlichkeit, sein Herabsteigen in die menschliche Enge und Armut menschlichen Daseins, seine unaussprechliche Verdemütigung, die man nur dann annähernd begreifen kann, wenn man in das Erfahren der Größe Gottes und seines göttlichen Seins einbezogen war.

1225 |        Durch das Erleben dieser inneren Leiden Jesu bin ich passiv in den Zustand der Selbstentäußerung des Erlösers eingeführt und wie daran teilnehmend geworden. Seine innere Armut war aber nicht die Armut von einem, der nun nichts mehr besitzt oder besitzen kann, sondern es war die Armut des freiwilligen Verzichtes auf den Gebrauch seiner göttlichen Güter für die Zeit seines Erdenlebens. Infolge seines göttlichen Wesens konnte er ja nicht auf den göttlichen Selbstbesitz, auf das ewige Recht seiner Gottheit verzichten. Aber gerade die göttliche Wesenhaftigkeit ließ Jesus den ganzen Abgrund seiner Entblößung und Erniedrigung sehen, weil es niemand gab, der von solcher Höhe herabsteigen konnte. –

1226 |        Jetzt, nach diesem Erfahren, bietet sich mir Jesus ständig an, dass ich diese Selbsterniedrigung in ihm, zur meinen werden lasse. – Ich entäußere mich gleichsam, der führenden Gnade folgend, all meiner geistigen Güter des Erkennens Gottes usw. und gehe leer in ihn ein, wie im Austausch ihn dafür besitzend; jene geistigen Güter sind mir aber Weg und Möglichkeit geworden, diese göttlichen Erlösergeheimnisse durch „ihn“, mit ihm, wie an seiner Stelle und in seiner Person tiefer erfassen zu können.

1227 |        Trotz seiner geistig-menschlichen Armut besaß Jesus sich in seiner wesenhaften Göttlichkeit, war aber durch seine Menschwerdung angewiesen auf seine menschliche Kraft, in der seine göttlichen Eigenheiten und Eigenschaften zur Auswirkung kamen und sichtbar wurden. Jesus nahm seine göttlichen Eigenschaften sozusagen mit in sein menschliches Leben, wo sie menschlich in Tugenden und Vollkommenheiten zur Entfaltung kamen. Durch die Enge der menschlichen Natur jedoch beschränkt, konnte Jesus seine göttlichen Reichtümer nicht „aufbrauchen“; sie konnten sich nicht dergestalt entfalten, wie es seiner göttlichen Natur eigen war. Dieser Gegensatz zwischen seiner göttlichen Unbeschränktheit und der Einschränkung durch die Natur eines wahren Menschen brachte für Jesus das unaussprechliche Leiden seiner menschlichen Armut und Erniedrigung. Dazu kam infolge seiner göttlichen Allwissenheit und der von ihm übernommenen Erlöseraufgabe sein Sühnezustand.

1228 |        Adam wollte „emporsteigen“ und ist gefallen; Jesus stieg „herab“ und löste damit den Zwiespalt in der Seele der Menschheit und erwarb der erlösten Seele die Kraft, dass sie, die Verdemütigung Christi im Glauben anerkennend, sich Gott unterwerfe und unterstelle. Der durch die Taufe in Christus einbezogenen Seele wird diese wirksame Erlösergnade mitgeteilt.

 

15.05.1941

1229 |        Seit einigen Tagen bin ich in einer inneren Qual des Verlangens, ganz in Jesus aufgelöst zu werden. Alles in mir strebt dem innerlich erfassten Ziele zu; das Ziel erlebe ich passiv in mir, kann aber noch nicht ganz „dort“ bleiben, nämlich im Bewusstsein Jesu, das sich in meinem Inneren ausbreiten soll. Wie alles sich geistig empfangend und wieder geistig gebend vollzieht, so erlebe ich auch jetzt zugleich zwei Zustände: Das Empfangen des Bewusstseins Jesu – was, menschlich ausgedrückt, in mir bis zur letzten Entwicklung und Vollendung vorbereitet ist – und dann das eigene aktive Bemühen, das unaufhörliche Hinstreben-müssen, das Sich-hinbewegen, das Sich-klammern-wollen an diesen Zustand. Dies geschieht in einem Verzehren meiner selbst; es ist ein leidvolles Mich-ganz-aufbrauchen, weil in mir nichts mehr vorhanden ist, was genügen könnte, und das höchst erkannte Ziel in Jesus sein durchglühendes Licht hereinwirft. Es ist wie ein wonniges Feuer in mir, das glühend mich lockt, von diesem geistigen Feuerstrom aufgenommen zu werden und darin unterzugehen. Es ist dies eine Glut des Verlangens ohne Worte.

1230 |        Es ist das im tiefsten Innern eigentlich schon erreichte und genießbare Sein Jesu, das zur Vollendung drängt. Etwaige Hindernisse müssen noch verzehrt und entfernt werden. – Ich weiß, wie sich meine Zukunft im Heiland gestalten wird, denn ich lebe sie zeitweise schon voraus. Dieses Erfahren lässt mich auch die Notwendigkeit dieser Leiden einsehen, nämlich in Hinsicht auf die große Entscheidung, die sich daraus für mich ergibt. Aber es ist doch der Herr, der zieht und lockt und das vielleicht noch vorhandene Eigene im eigenen Verzehren auf ihn umstellt.

1231 |        Und immer wieder verlangt der liebe Heiland den Glauben an seine Gnaden und Absichten. Immer wieder bin ich angeregt, ganz und für immer auf mich zu verzichten, um ihn gänzlich zur vollen Herrschaft gelangen zu lassen. – „Ja, Herr, ich glaube, dass 'DU' es bist. Ich verzichte ganz auf mich; du lebst dann dein Leben; das meine verschwindet“.

1232 |        Ich bin eins mit ihm wie ein Atemzug, der ein Leben belebt. Jesu Sein ist mir so geheimnisvoll und doch so klar und bestimmt und sanft gegeben, nicht „fühlbar“, aber in einem schon teilweisen Erleben.

 

16.05.1941

1233 |        Heute hat mir der liebe Heiland eine ganz außergewöhnliche Gnade gegeben, die mich wieder näher zu meiner inneren Vollendung führt: Er ließ mich an seiner göttlichen Liebe teilnehmen.

1234 |        Ich durchlitt schon in den letzten Tagen Qualen eines passiven Verlangens nach einer höheren Art der Teilnahme an Jesus. Heute Morgen war ich gleichsam ganz am Vergehen, um in ihm vollendet zu werden. – Nach der hl. Kommunion war ich in großer Ruhe, in seine göttliche Liebe getaucht, wie von einer inneren, geistigen Glut erfüllt; ich konnte aber nicht begreifen, was das zu bedeuten habe. Da wurde mir in Erinnerung gebracht, was Jesus mir vor Kurzem versprochen hatte: „Die Liebe kann sich in dir noch steigern; ich lasse dich teilnehmen an meiner Liebe“.

1235 |        Ich war ganz durchglüht von der Liebe, die im Herzen Jesu war und die durch ihn nun in mir ist. Das kann nur erfassen, wer diese Liebe erlebt hat. Ja, „Gott ist die Liebe“ – und „daran haben wir die Liebe Gottes erkannt, dass er seinen Sohn in die Welt sandte …“ und ich erlebe und erfasse diese Liebe und eigne sie mir an durch Jesus, den ich in unbegreiflicher Einheit lebe. –

1236 |        Und die Liebe sprach Worte der Liebe: Nimm teil an meiner Liebe! – Die Liebe vollendet dich! – Die Liebe stützt dich! – Die Liebe führt dich! – Die Liebe ergießt sich in andere Herzen. – Die Liebe macht dich unveränderlich; sie versagt nie, weil sie alle Kraft in sich trägt. – (Alle Worte der Liebe brachten eine entsprechende Wirkung in mir hervor).

1237 |        In dieser Einheit der „einen“ Liebe erklärte mir Jesus die Liebe: In dieser Liebe hab ich einst meine Menschheit angenommen und umfangen und sie damit befähigt für alle Leiden. Mit dieser Liebe nehme ich dich in mich auf und umfange ich dich (d. h., ich war mit dieser Liebe in ihm umfangen; wiederum brachte sein Wort zugleich entsprechende Wirkung hervor).

1238 |        Jesus hat mir aber erklärt, diese Gnade sei nun nicht mit der einmaligen Mitteilung abgeschlossen, sondern sie stehe mir jeden Augenblick zur Verfügung; ich lebe von nun an von der Liebe. Die Liebe macht unveränderlich, wankt nie, und das soll die dauernde Wirkung sein. –

1239 |        Ich bin nun ganz Liebe geworden und lebe die Liebe, die Jesus selbst ist. – Liebe sein ist Schlachtopfer sein. Die Liebe macht in sich das Schlachtopfer aus; sie verzehrt sich selbst. – Es ist aber auch eine Qual, die Liebe ertragen und ihre Gluten in sich bergen zu müssen und sie nicht erklären zu können. Die Liebe will verstanden werden, möchte überströmen, möchte alles erfüllen, drängt zum Weiterströmen. So ist das größte Leiden, die Liebe in sich tragen zu müssen und sie nicht mitteilen zu können. Dem lieben Heiland hat diese Liebesqual am Kreuze erdrückt!

1240 |        Und diese göttliche Liebe hat Jesu Menschheit immer erfüllt. Welches Leiden für sein Herz!

1241 |        Der liebe Heiland versprach auch: „Wenn du der Liebe folgst, kannst du nie irregehen. Die Liebe führt dich sicher ans Ziel. Alles entfaltet sich aus der Liebe, (d. h., all meine Vollendung entwickelt sich daraus)“. –

1242 |        Ich bin nun in mir ganz Liebe geworden, aber sie spricht keine „Worte“, sie gibt, sie lebt ein Leben. Sie ist ungeteilt und genügt sich ohne Worte, weil sie unaufhörlich gibt.

 

Abends:

1243 |        Ich bin in großer innerer Ruhe. Meiner inneren Führung nach gibt mir der liebe Heiland eine besondere Gnade der Befestigung in seiner Liebe, in der Kraft ist für alles [sic!]. Jesus bietet sich mir ja ständig gleichsam an: Alles aus ihm nehmen! Aus seiner Unerschöpflichkeit der Liebe mir seinen Reichtum aneignen! – Er gibt mir dann die Gnade der dauernden Befähigung und Befestigung des Verharrens in seiner Liebe, d. h. die Gnade, seine Liebe dauernd ertragen zu können.

1244 |        Wer seine Liebe einmal erfahren hat, der kann sie nimmer lassen. Sie hat Kraft zum Überströmen. Aus dieser Liebe kommt dann die letzte Vollendung. Aber nur im Herzen der „Mutter“, der Mutter der schönen Liebe! In Maria vollendet werden!

 

18.05.1941

1245 |        Mein innerer Weg und Leitgedanke ist jetzt: Ich überlasse mich der „Liebe“; ich opfere mich der „Liebe“.

1246 |        Seit der letzten großen Gnade, die mir Jesus mit der Mitteilung seiner Liebe gegeben hat, lebe ich diese Liebe. Ich lebe von der Liebe, die sich jeden Augenblick neu mitteilt und gibt; ich brauche sie nur anzunehmen, sie mir anzueignen und damit zu leben.

1247 |        Jetzt, da ich mich vollständig verlassen habe, kann ich die Liebe annehmen und vermag sie zu leben, weil sie nicht mehr gestört wird durch meine Selbstliebe. Die Selbstliebe ist ja eine Feindin der wahren Liebe, weil sie ihre eigene Befriedigung sucht. Die Liebe Gottes sucht nur, was Gottes ist.

1248 |        Ich lebe die Liebe; damit lebe ich Jesus, den Erlöser, weil er die (menschgewordene) Liebe ist. Sein „Wesen“ ist die Liebe und so bin ich zum „Wesen“ Christi, zum göttlichen Zentrum der Liebe gelangt.

1249 |        Damit ist eine Änderung in meiner inneren Führung eingetreten. Früher bot sich mir der Heiland an; er führte und leitete mich. Jetzt bietet sich mir die Liebe an (die der Heiland ist). Es gibt aber nur eine göttliche Liebe, die da ist in Christus. – Jeden Augenblick bietet sich mir „die Liebe“ an. In ihr werde ich noch tiefer in das Wesen Christi des Erlösers eingeführt. Die Liebe „nimmt mich mit“; sie gestaltet mich in „sich“ um, und sie will sich dadurch offenbar machen. Damit gehe ich einen anderen, inneren Weg, den Weg der „Liebe“. Die Liebe teilt sich mir mit und will sich dadurch „neu“ erkannt machen und mitteilen. Die „Liebe“ will überströmen und die ganze Welt erneuern. Sie will wieder herrschend und zu einem reinigenden Strome werden.

1250 |        Vor zwei Tagen schaute ich auch die Liebe der Apostel zum Heiland. Sie hatten die wahre Liebe; sie liebten ihn wirklich, hatten ihn gern, waren von ihm ergriffen. Diese ihre Liebe wurde zur Kraft für all ihre apostolischen Erfolge und Leiden und Opfer. Nur in ihrer starken Liebe lag, wie ich sah, ihr weltumspannender Erfolg. Immer wieder schöpften sie Kraft, neue Kraft aus der Liebe. – Besonders schaute ich die Liebe bei Petrus. Wie steigerte sich dessen Liebe nach seinem Fall, da er den Meister beleidigt hatte in seiner schwachen Stunde!

1251 |        Ich schaute ferner: Der „Geist“ im Reiche Gottes, in Gott selbst ist die Liebe. Der „Geist“ im irdischen Reiche Gottes, in seiner Kirche, ist die Liebe. Wenn die Liebe verschwindet, dann verschwindet der Geist Christi. Wenn der Mensch zu sich herabsteigt, verliert er die wahre Liebe. Seine „Liebe“ wird dann zum Selbstdienst und ist keine wahre Liebe mehr. Nur von Gott kommt die wahre Liebe, weil er die Liebe ist. – In Jesus aber hat sich die Liebe „gezeigt“ und will sich wieder „neu“ zeigen; nicht als ob sie neu wäre, sondern es ist immer wieder die alte, aber auch immer wieder die neue Liebe, die sich im Erlösungsgeheimnis gezeigt hat, die nun neue Tiefen zeigen und die Grundquellen der Liebe überströmen lassen will.

 

22.05.1941

1252 |        Seit der gnadenvollen Mitteilung seiner Liebe, die mir der liebe Heiland gewährte, hat sich mein Innenleben geändert; es ist ganz beherrscht von Jesu Liebe, die in seinem Innern das Beherrschende war. Ich bin eingehüllt in seine Liebe; ich lebe ihn als „die Liebe“, von der ich getragen und umgeben bin. Und in seiner sich mir mitteilenden Liebe erlebe ich sein Sein.

1253 |        Die göttliche Liebe, die Jesus den Menschen mitzuteilen kam und die sich in seinem Leben und Leiden zeigte, ist in ihm das beherrschende, göttliche Element. Das wirkliche, göttliche „Liebe-sein“ hat für den Heiland auch in gewissem Sinne alle Härten und Schärfe seines Erlöserlebens gemildert; es hat zwar nicht die „Leiden“ weggenommen, aber seine göttliche Liebe wurde zur Kraft, die ihn alles „gerne“ leiden ließ, weil es eben der Liebe eigen ist, ein freiwilliges und bereites Opfer zu sein.

1254 |        Die Liebe wurde in Jesus zur tragenden und treibenden Kraft und Fähigkeit. Die Liebe drängte vorwärts; die Liebe drängte zur Menschwerdung, zum vollen Schlachtopfer-sein für die gefallene Menschheit. Der Heiland stand ganz unter seiner göttlichen Liebesgewalt, die nur zu dem Zwecke vom Vater ausging, um die göttliche Liebe zu offenbaren. Die Erlöserliebe machte darum in sich sein größtes Leiden aus, weil sie unaufhörlich „drängte“ sich „mitzuteilen“, sich zu opfern, diese Liebe zu „beweisen“. Sie achtete nicht der „Leiden“, sie fand ihre höchste Befriedigung darin, zu opfern und zu leiden und sich aufzubrauchen. Die Liebe Jesu konnte auch trotz allen erlittenen Undanks nicht verbittert oder menschlich verletzt werden, wie es sonst auch die edelste irdische Liebe sein kann. Die göttliche Liebe des Erlösers, die zugleich unendlich barmherzig ist, kann nicht von Verbitterung, sondern nur von seiner göttlichen Gerechtigkeit, wenn es diese verlangt, bestimmt werden sich abzuwenden. Es wurde mir innerlich der Vergleich gezeigt: Wie die Sonne in sich nur Feuer und Glut ist, so ist das Wesen Gottes nur Liebe, barmherzige Liebe. – Ich schaue Jesu Erlöserleben ganz eingehüllt in die göttliche Liebe, nein, es ist vielmehr „Liebe“, er selbst ist die Liebe. Es gibt keinen menschlichen Ausdruck für die „Liebe“, die zum Erlöser geworden ist; es ist die unendliche Liebe.

1255 |        Ich erlebe den Heiland, seine göttliche Liebe, nicht gefühlsmäßig oder sinnnennmäßig, sondern geistig, sie erfassend und durchdringend. Ich erlebe ihre sanfte Gewalt, die alles erfüllt und überwindet, die zu allem befähigt und die nie endet, die immer gleiche, weiterströmende Kraft in sich trägt, weil es eben die göttliche Liebe ist, die unendliche Liebe. Mein Inneres ist erweitert, um diese unendliche Liebe als „unendlich“ erfassen zu können. Im gewöhnlichen Zustand könnte man das nicht, weil der Mensch für gewöhnlich nicht die Liebesfähigkeit besitzt, um die unendliche Liebe erfahren zu können; die Liebe würde sein Herz erdrücken. Infolge der letzten großen Gnade aber habe ich diese göttliche unendliche Liebe „erfahren“. Mit ihm habe ich sie in mich aufgenommen, soweit er es mir zugedacht hat, weil er mich stützt und befähigt und diese unendliche Liebe von seiner Kraft getragen wird.

1256 |        Innerlich so von seiner Liebe befähigt, werde ich von Jesus seit einigen Tagen einen neuen Weg geführt: Mein Innenleben, meine Erlebnisse und mein Erfahren um ihn tritt nun ganz zurück. Sanfte, innere Bewegungen lassen alles dies ganz zurücktreten, es entsteht eine große Stille und Leere – und es dämmert dafür Jesu Sein auf. Das ist ein Erleben, für das es keinen menschlichen Ausdruck gibt. Wie die Sonne sich morgens erhebt und ihre Strahlen voraussendet, alles vergoldend, so erhebt sich Jesu Sein in mir und breitet sich belebend aus, wie die Sonnenstrahlen sich belebend ausbreiten über die dunkle Erde. Mit dem Erheben seines Seins verschwindet das Meine. Aber diese Sonne, Jesus, will in mir sich ein bleibendes, dauerndes Sein ermöglichen; darum lässt mich Jesus schon im Voraus Teil für Teil erleben. – Armes, menschliches Wort!

1257 |        Heute, am Fest der Himmelfahrt Jesu, ist sein Erstehen in mir noch stärker und inniger. Ich schaute innerlich, wie Jesu irdisches Erlöserleben, und seine Aufgabe, vollendet ist und er heimkehrt zum Vater. Da fragte mich der liebe Heiland: „Willst du nun mein Leben, mein inneres Dasein fortsetzen?“ Zugleich bot er es mir an. – Ich bot mich ebenfalls an, ihn erleben zu wollen, sein inneres Sein fortzusetzen, bereit zu sein für das, was er mir jeden Augenblick anbietet und zur Verfügung stellt. Es ist aber unsagbar.

1258 |        Ständig überstrahlt mich Jesus; er belebt sich in mir und führt sich selbst zur gänzlichen Herrschaft. Ich trete damit ständig zurück und überlasse ihm meinen Platz. Aber Jesus bedeutet mir immer wieder: „Es wird für immer sein“. – Ich werde damit in sein inneres Dasein eintreten, das ganz einfach, wie selbstverständlich, das meine sein wird; ich weiß schon, wie es sein wird: Ich unterstelle mich ihm ganz und seine Person beherrscht mich. Ich kann dann sein inneres Dasein ebenso wenig austilgen, wie jetzt das meine – ohne besondere Gnade – weil es eben dann gleichsam mein Wesen ist. Jesus will halt nochmals gelebt sein, damit es die Menschen erfahren, wie sein inneres Leben war.

1259 |        Ich bin in großem Frieden und alles vollzieht sich geistig in unsagbarer Stille.

 

26.05.194190

1260 |        Gestern war ein schwerer Tag voll unsagbarer Leiden. Alles in mir war wie im Zerbrechen. Arm, ohne jede Stütze, verdemütigt, aussichtslos scheinend die äußere Lage und dazu die inneren Leiden: es gibt keine Worte für all dies!

1261 |        Und doch war ich dabei in tiefem Frieden: Nur zu, nur zu! – Möge alles zerbrechen! Ich habe doch nie eine besondere Gnade gesucht; ich habe auch kein Recht, diese zu behaupten. – Alles in mir drängte trotz der heftigen Leiden vorwärts, irgendwohin. Das Ziel aber wusste ich nicht, weil alles im Dunkel lag.

1262 |        Heute Morgen war alles ganz anders. Ich brauchte mich um nichts bemühen. Ich war ein anderer geworden, ganz in sich abgeschlossen und beherrscht von einer anderen Kraft, die aber die meine ist, die ich selber bin. Alles aber in unsagbarer Einfachheit. Es scheint nicht der Heiland – ich weiß eigentlich jetzt nichts um ihn – und doch lebe ich ihn. Es ist so. Wenn ich sagen würde: Ich bin von ihm erfüllt, so stimmt das nicht, denn ich spüre kein Erfülltsein. Wenn ich sagen wollte: Ich bin mit ihm vereinigt, so entspräche das nicht der Einfachheit der Wirklichkeit. Wie das Wasser in sich das Wesen des Wassers hat, das Feuer das Wesen des Feuers, so einfach lebe ich Jesu Sein, nicht vereinigt, nein, gegeben wie mein Sein und Wesen.

1263 |        So wie eine Wasserquelle aus der Tiefe der Erde quillt und Wasser spendet, ohne Bemühen und wie ganz natürlich, so ist eine geheimnisvolle Quelle in mir, die unaufhörlich gibt. Ich spüre aber kein Geben, sondern es ist alles da; ich brauche nicht zu nehmen, denn es ist alles da und ich brauche es nur zu sein; und ich bin es ohne Bemühen, denn es ist gegeben. Jesus ist mir gegeben. Ich lebe aus dem gegebenen Sein Jesu.

1264 |        Welch unsagbare Ruhe! Es ist mir wie jemand, der ausgekämpft hat, der alles im Überfluss hat und doch wieder so klein und einfach sich fühlt, jeden Augenblick ohne Mühe empfangend, alles ohne Bemühen besitzend.

1265 |        Jetzt, am Abend, bin ich wieder im Leiden, während der oben beschriebene Zustand bleibt. – Möchte ich für immer befestigt sein in diesem göttlichen, mühelosen Sein! Doch es drängt in mir noch weiter, weiter. –

 

30.05.1941

1266 |        Mein Inneres könnte ich mit einem uferlosen Meer vergleichen. Meine Seele ist wie ein Wassertröpflein im Meere göttlichen Seins gleichsam aufgelöst worden, ist darin untergegangen und ist nun nicht mehr vorhanden. In Jesus bin ich untergegangen und er ist alles in mir geworden. Ich, d. h. mein Sein, ist in der Fülle seines Wesens zerflossen und es ist alles nur Fülle des Lebens (nicht des „Erlebens“, denn das wäre zu wenig gesagt).

1267 |        Das „Leben“ drängt aber fortgesetzt zu größerer Fülle, die es grenzenlos in sich trägt. Es hat alles in sich, empfängt nichts, weil es die Quelle alles Lebens ist. Man kann auch dieses „Leben“ nicht beschreiben oder erklären – es müsste die Fülle Gottes „erfasst“ sein; es muss „erfahren“ werden.

1268 |        Es ist ein friedvolles Gesättigtsein, das aber nie genug hat und zu immer höherer und tieferer Vollendung des „Durchlebens“ jenes Lebens drängt. Das ist ja mein eigentliches, inneres Ziel: Das göttliche Leben Christi, des Erlösers, leben, und zwar in seiner Person wie in der meinen, wie wenn es die meine wäre. Und in seine Person bin ich nun aufgenommen und ich werde durch die führende Gnade darin geübt, sie dauernd ertragen zu können. Das Wassertröpflein, mein einstiges Ich, findet sich nun nicht mehr, hat seine Kraft verloren und es herrscht die Fülle des grenzenlosen Meeres.

1269 |        Alles dies sind nur schwache Vergleiche für mein Innenleben. Was die Seele so klar und unabänderlich erfährt, kann der Mund nicht aussprechen. Das menschliche Wort hat keinen Ausdruck für göttliches Erfahren und für das Durchdringen göttlichen Wesens, wofür die Seele geschaffen ist, was sie aber nie in Worte kleiden kann.

1270 |        Ich überlasse alles, was meine innere Vollendung anlangt, ganz dem Heiligen Geiste. Er hat das Herz Jesu in Maria gebildet; Jesus in mir muss auch sein Werk sein.

 

Juni

01.06.1941

Pfingstfest

1271 |        Heute habe ich eine große Gnade vom Heiligen Geiste empfangen: „Die Gnade der geistigen Befestigung für meine gottgegebene Aufgabe“.

1272 |        Ich wollte mich auf das hl. Pfingstfest recht gut vorbereiten durch möglichst vollkommene Treue gegen die innere Gnadenführung. Ich überließ mich gänzlich dem „Leben Jesu“ und dessen geistigem Wachstum in mir. – Heute Morgen, nach der hl. Kommunion wurde ich innerlich von einer noch nie erlebten und gefühlten, geistigen Kraft ergriffen, aber in der einfachsten Weise. Sacht und still war ich in mir ganz umgewandelt. Eine nie erlebte Kraft und Mut kam über mich und darin erkannte ich klar meine innere Aufgabe.

1273 |        Es wurde mir innerlich erklärt: „Heute wird auch der Kirche durch dich große Gnade geschenkt.“ – Ich schaute dabei die großen Gnadenwirkungen des hl. Geistes in den Aposteln am hl. Pfingstfest und deren Befähigung für ihre apostolische Sendung. – Es wurde mir eine geheimnisvolle geistige Umwandlung zuteil, die ich in Worten nicht erklären kann, deren Wirkungen aber in mir unabänderlich bestehen: Ich bin nur Kraft und Mut und Hingabe für Jesu Absichten in mir sowie für das äußere Anliegen. Die Ausführung und Erreichung dieses Zieles braucht und duldet kein Bedenken meinerseits, sondern steht fest in mir. Ich bin von einer großen geistigen Kraft getragen.

1274 |        Im Laufe des Vormittags wohnte ich noch mehreren hl. Messen bei. Während der letzten hl. Messe erkannte ich besonders klar meine „geistige Sendung“, die mir gezeigt wurde, und bei der hl. Wandlung wurde mir innerlich die „Gnade der Befestigung für meine Sendung“ zuteil. Es war ein rein geistiger Vorgang, der sich in Worten nicht beschreiben lässt. Ich schaute das Wirken der drei göttlichen Personen: Der Vater hat alles erschaffen; das Wort, der Sohn ist Fleisch geworden und hat alles erneuert; der hl. Geist hat alles befestigt und geheiligt. Es war mir dieses Erkennen der drei-persönlichen Wirksamkeit so unglaublich nahe und begreiflich. Ich sah und fühlte mich einbezogen in diese dreipersönliche Wirkkraft, insbesondere durch die geistige „Sendung“, die mir vermöge der Gnade übertragen wurde. Ich hatte die innere Versicherung: „Stets wird der Heilige Geist mein Führer sein, weil meine Sendung die geistige Erhöhung und Heiligung der Kirche betrifft.“ – Ich schaute die streitende Kirche, sich durch Seelen „erneuernd“, die Gott zu diesem Zweck gesandt hat. Alle Heiligen hatten daran irgendeinen Anteil und eine besondere Sendung, sei es in dieser oder in jener Weise; alle stützen und tragen das Gebäude der Kirche mit; jedes von Gott verliehene Charisma hat eine besondere Bedeutung für das innere Leben der Kirche. – Ich schaute und erkannte die ungeheure Menge jener frommen und starken Seelen, die hienieden nie genannt werden, die aber großen geistigen und erneuernden Einfluss haben auf das geistige Leben in der Kirche. Ich erkannte und schaute die große Einheit und Zusammengehörigkeit in dem „einen“ Wirken des hl. Geistes in der Kirche. – Dann schaute ich die triumphierende Kirche im Himmel, wo all diese verborgenen Gnadenwirkungen offenbar sein werden, und der geistige Einfluss und die Bedeutung der inneren Mitarbeit der einzelnen Seelen klar sein wird. – Mit diesem Einblick in das Wirken des hl. Geistes habe ich wirklich große Gnaden empfangen in der Kapelle des Carmelo del Sacro Cuore.

1275 |        Es wurde mir auch gezeigt: Alles, was Gott jetzt im Verborgenen wirkt und grundlegt, wird ein anderer äußerlich ausführen (H. P. B. Ich sah ihn innerlich ähnlich vom Heiligen Geiste geführt und dazu befähigt. Es sei eine Führung in einem Geiste). So wird die Gnade Gottes fruchtbar werden.

1276 |        Der Heiland91 will das Priesterwerk gegründet haben, das der hl. Kirche eine große geistige Erneuerung und Erhöhung bringen wird.

1277 |        Es wurde mir auch erklärt: „du bist innerlich so weit durch die Gnade vorgeschritten, dass beides, die innere und die äußere Aufgabe, sich zu einer Entscheidung entwickeln kann.“ Die innere Aufgabe ist das Erleben des Erlöserlebens, die äußere: die Veranlassung und Gründung des Priesterwerkes.

1278 |        Ich bin in mir nur Kraft und Mut und Zuversicht betreffs der Absichten Gottes. In einer ähnlichen Stimmung mochten92 die Apostel gewesen sein am ersten Pfingstfest. Sie waren ihrer Aufgabe sicher, denn zu klar war ihnen die Wirkkraft des hl. Geistes, und die damit gegebene wirksame Gnade, als dass sie Bedenken haben oder zweifeln konnten.

 

02.06.1941

1279 |        Gestern hat mir der hl. Geist große Gnaden gegeben durch die „Befestigung meiner geistigen Sendung und Aufgabe“, wie mir die Gnade innerlich genannt wurde.

1280 |        Heute Morgen wurde mir die Ausdehnung und Wirkung dieser Gnade noch tiefer erklärt. Nach der hl. Kommunion war ich tief in Jesus. Sein inneres Sein war mir ein geistiges Meer, in das ich aufgenommen bin und das mir zum ständigen Aufenthalt wird. Ich bin ganz in Jesus aufgelöst, von ihm getragen und belebt. Weit ab von mir selbst, von meinem eigenen Sein, bewege ich mich in ihm. Und der liebe Heiland ließ mich klar erkennen und vorauserleben: In diesem inneren Zustand, weit ab von mir, wird mir sein Sein zum Erleben. Er ist das Schiff, das mich auf diesem geistigen, uferlosen Meere trägt, und das Schiff ist zugleich der Steuer- und Fährmann, von dem es geführt wird. Ich bin darin aufgenommen und bin Erleber und Erleider seines inneren Wesens als Erlöser. Ich überlasse mich ihm ganz zu diesem Zweck.

1281 |        Ich sehe voraus: Nie mehr werde ich das Ufer, mein eigenes Sein, betreten, das für mich ein verlassenes Land ist. Immer werde ich mich in seinem Leben bewegen (nur mit diesem Vergleich kann ich einigermaßen diese inneren Erlebnisse schildern, die man nie vollständig in Worten ausdrücken kann). Aber wie merkwürdig schwach ist da die arme Seele! Es ist wahr: Der Ertrinkende hält sich an einen Strohhalm und meint, daran eine Hilfe zu finden. So ähnlich war auch mir im ersten Augenblick, als ich von Jesus so weit hinaus in sein Sein geführt wurde und mir von ihm bedeutet wurde, da würde nun für immer mein Aufenthalt sein. Ich meinte, versinken zu müssen, weil ich die eigene Stütze – auf mich selbst – nicht mehr habe.

1282 |        Unwillkürlich wollte die Sorge aufsteigen: Ja, dann kann ich für mein Innenleben nichts mehr tun, kann mich nicht mehr darum bemühen, und das scheint zunächst ein Verlust als Aufgeben der eigenen Freiheit und des eigenen Bemühens. – Aber allsogleich übernimmt Jesus alles und ich übergebe mich ihm ganz mit allen kleinlichen Sorgen um mich. Er übernimmt mich nun ganz und es überkommt mich eine stille Geborgenheit und selige Ruhe in ihm. Ich bleibe nun ganz dort in seinem tiefen Sein. – Es wurde mir aber auch eine besondere geistliche Hilfe versprochen.

1283 |        „Nie mehr zurück, lieber Heiland“, bettelte ich – ohne Worte, denn in Worten kann ich nichts zu ihm sagen. Es vollzieht sich alles in rein geistigem Verstehen, aber umso inniger. – Ich überlasse mich dem Meere, dem Schiffe und dem Fährmann für alles, was ich dort erleben und erleiden werde; denn ich weiß, dass „du“ es bist; ich kenne dich!

1284 |        Dieses vollkommene Übernehmen Jesu, das Untergehen in ihn vollzieht sich heute fortwährend in mir. – Mittags war ich in der Kapelle und sogleich war Jesus tätig in mir und erklärte mir meine geistige Zukunft: In ihn aufgenommen, werde ich zum Erleider seines inneren Wesens als des Erlösers; es steht mir alles unmittelbar bevor. Durch seine Gnade bin ich innerlich so weit, „dass ich nicht mehr umkippen kann“. Dazu sei mir die Gnade der Befestigung gegeben, für die ich in der Vorbereitungszeit befähigt wurde. Ich sehe mich in seinem Sein befestigt und damit für meine innere Aufgabe befähigt.

1285 |        Es ist ein unsagbarer Friede und eine unaussprechliche Stille in mir infolge des Losseins von mir selbst; denn in Jesus gibt es nur Friede, Ruhe, Zuversicht und Geborgensein. Mein Leben scheint mir „vorüber“ und für alles, was ich verlassen habe, finde ich in ihm reiche Entschädigung. Es93 sind so grobe und trockene Worte, die man für diese rein geistigen Vorgänge und Gnaden gebrauchen muss. Jesus aber macht alles so sanft und still und zart und ich verstehe ihn so gut und kann auch so sanft mit ihm umgehen und verkehren; und alles dringt an sein Herz und alles wird mir in seinem Herzen durch Antwort erwidert und ich verstehe alles so gut. Unser Verhältnis ist eigentlich ganz „wortlos“ und doch so verstehend. Es ist ja nur Eines und in dem „Einen“ gibt es keine Grenze. Es vollzieht sich alles rein geistig.

1286 |       Ich bin nun dort, an dem Punkte, der meinem Innenleben als Ziel gesetzt war, eigentlich am Anfang des letzten Zweckes aller bisherigen Gnaden. „Mütterchen“ hat alles gemacht. Gerade in ihrem Monat habe ich ihr das Erreichen dieses Zieles übergeben und sie hat nun alles gemacht mit ihrer mütterlichen Güte und Treue!

 

03.06.1941

1287 |        Ich bin, wie mir scheint, unmittelbar vor meinem geistigen Ziele. Seit gestern früh ist mein inneres Leben ganz umgestellt: Ich bin und bewege mich unmittelbar in Jesus. – In Jesus! Wie könnte man das genügend erklären? Dies umfasst in einer Reinheit alle früheren inneren Aufstiege zur Vereinigung mit dem Heiland, all die tiefen Erlebnisse des Erfahrens Gottes und des Erfassens und Durchdringens seines göttlichen Geistes sowie das durch wiederholtes Erfahren erlangte Wissen um die Eigenschaften und Liebenswürdigkeiten Jesu, das Einbezogensein und das teilweise schon erfahrungsmäßige Miterleben seines inneren Erlöserlebens. Wie in einem großen Kreis ist alles dies eingeschlossen. Und immer „enger und kürzer“ – so möchte ich mich ausdrücken – drängt sich alles zusammen, weil die erfahrende und schauende Seele mit dem höheren inneren Aufstieg alles rascher und kürzer erfasst und begreift und weil alle seelischen Vorgänge sich in großer Vergeistigung abspielen. Man ist eingeführt in das Wesen Gottes bzw. des Erlösers. Eine Gnade bildet eine weitere Stufe und zugleich eine Möglichkeit für die nächstfolgende Stufe, die zudem in der bestehenden Stufe vorbereitet ist. Da treten so wunderbar die Eigenheiten unserer Seele zutage, die, befähigt durch die Gnade Gottes, eindringen kann in die tiefsten Geheimnisse und Eigenschaften Gottes, wenn sie genügend befreit ist vom Joch der Sünde und wenn sie damit ihre ursprüngliche Freiheit wiedererlangt hat, in der sie von Gott geschaffen wurde. Die Seele ist für unendliches göttliches Erfahren und Erfassen Gottes bzw. für innere Teilnahme an ihm angelegt. Durch diese Anlage der Seele lassen sich alle mystischen Gnaden erklären und darauf müssen sie auch zurückgeführt werden, soll dem Schöpfer damit die wahre Ehre und als letzter Zweck die Verherrlichung werden.

1288 |        All die „formellen“ Arten des inneren Verkehrs mit dem Heiland haben bei mir schon längere Zeit aufgehört; das ganze innere Erleben ist in „wortloses“ geistiges Verstehen übergegangen. Es gibt in gewissem Sinne keine „Akte“ mehr, sondern man „nimmt“ das innerlich durch Jesus bzw. durch die Gnade Gebotene, weil die Seele ganz fein inspiriert und feinfühlig ist, wenn sie treu mit der Gnade mitwirkt. Sie nimmt sofort jede, auch die feinste Gnadentätigkeit auf. In diesem Sinne bietet mir Jesus selbst alles mit sich; die Seele erfasst, begreift, durchdringt Jesus ohne Fragen oder Bemühen und lässt sich ungehindert „mitnehmen“ in sein tiefstes Wesen und Sein. Sie „empfängt“, „nimmt auf“ und gebraucht das Gebotene; sie ruht im „Gegebenen“, wird davon stark und von der Liebe des Gebers überzeugt. Sie durchdringt die Person des Gebers und wird von ihr erfüllt und gesättigt; sie erwidert das Empfangene und lässt sich gern und willig alle Hindernisse wegnehmen, die einem höheren Eindringen in Jesus noch im Wege stehen. Es gibt hierin für die Seele nur mehr ein „Ja“, auch wenn die Auswirkung schmerzlich fühlbar wird, dann, wenn Gott selbst für die Seele zum läuternden Feuer wird und sie befreit von allen Hindernissen.

1289 |        Ich bin nun unmittelbar in Jesus mich bewegend und lebend. Früher waren es seine Eigenschaften, Leiden und Erlöseropfer, die ich lebte; jetzt lebe ich alles in seiner Person. Der Funke ist gleichsam im Feuer selbst zum Feuer geworden, ist nun ein Feuer und erlebt in sich einen Prozess des Brennens. Es ist dies das Stadium, das mir schon so lange als Ziel vorausgezeigt wurde. Durch diese Art der Einheit wird das Erleben seiner Person bzw. seiner Erlösertätigkeit möglich sein; es ward damit zum eigenen Erfahren, wie in der eigenen Person.

1290 |        Trotz aller Leiden, die läuternd in mir tätig sind, bewege ich mich in großem Frieden in Jesus. –

 

07.06.1941

1291 |        In unaussprechlichen inneren Leiden entwickeln sich merkwürdige Vorgänge in mir. Es scheint, dass die Seele so sehr vom Körperlichen gelöst wird, dass sie sich nicht mehr auf dem gewöhnlichen Wege durch die menschlichen Sinne betätigt und94 diese infolge ihrer Veranlagung nötig hat. Die inneren Leiden scheinen jetzt auf das Ziel hingerichtet zu sein, dass sich die Seele rein geistig betätigt und frei wird von der Tätigkeit der Sinne, die als Hemmung für ihre Aufgabe empfunden wird.

1292 |        In gewissem Sinne richtete sich mein Inneres schon jahrelang darauf hin; es wurde mir dies auch oft in Gnadenstunden vorausgezeigt. In diesen Tagen aber, und besonders heute wird mir diese innere Richtung und Führung bewusst, und ich merke bereits die sich daraus ergebende Änderung in den inneren Seelenvorgängen.

1293 |        Dadurch vollzieht sich die Einheit mit Jesus, ich möchte sagen „kurz“, direkt, unmittelbar, auf schnellstem, einfachstem Wege. Der seelische Umweg über die Sinne wird ausgeschaltet und die Seele ist unmittelbar in Jesus aufgenommen. Dadurch wird die vollkommene Einheit in ihm hergestellt. Ich selber werde dadurch gleichsam „abseits gestellt und nebenan gelassen“; die Seele, das rein geistige Sein in mir geht in die Geisteswelt Jesu ein.

1294 |        Es entstehen damit eine unmittelbare Einheit und eine unmittelbare Aufnahmefähigkeit für Jesu inneres Wesen, worauf alles in mir hingerichtet und hingeordnet wird.

1295 |     Die inneren Leiden, die das vollends ermöglichen sollen, sind ein ständiges Sterben, ein schmerzliches Totleiden der Betätigung durch die menschlichen Sinne und durch die niederen Seelenfähigkeiten.

Abends:

1296 |        Ja, es ist so; die letzte Trennung von mir bzw. die höchste Stufe des Eingehens und des vollkommenen Aufgenommenwerdens in Jesus vollzieht sich in der Ausschaltung jeder seelischen Betätigung durch die Sinne. Meine Seele wird freigemacht von dieser Art des Erkennens und Betätigens, die für gewöhnlich notwendig ist, die aber für meine Aufgabe eine „Hemmung“ wäre. Die jetzigen inneren Leiden gehen darauf hinaus, das „Hindernis“ der Betätigung über die Sinne zu beseitigen, ähnlich wie früher schon die Betätigung der Fantasie ausgeschaltet wurde. Sonst betätigt sich die Seele auch in ihren höchsten Akten noch auf dem Wege über die Sinne; auch der Weg des höheren Verkehrs mit Gott in den mystischen Gnaden geht über die Sinne und dann darüber hinaus. Dieser Mittelweg wird in den jetzigen Läuterungsleiden weggeräumt und ausgeschaltet.

1297 |        Die Einheit mit dem Heiland ist ja schon vorhanden, aber das direkte Aufnehmen bzw. Miterleben seiner Geistestätigkeit erfordert zuerst noch die Entfernung der besagten Schranken. – So klar ich auch diese inneren Vorgänge erlebe, so unmöglich ist es mir sie in Worten auszudrücken.

1298 |        Durch die Entfernung bzw. das Entbehren-können der durch die Sinne der Seele gebotenen Hilfsmittel geht das innere Miterleben Jesu des Erlösers in rein geistige Gebiete über, in eine unmittelbare Einheit mit Jesus. So habe ich es auch vor einigen Tagen im Voraus geschaut bzw. probeweise erlebt. Meine Seele „überspringt“ mich – um mich annähernd auszudrücken –, geht ganz über mich hinaus und findet in Jesus höheren Ersatz für das Verlassene und für die frühere Art des Erkennens und Erlebens, wo die einzelnen Elemente durch die Sinne zugeführt wurden. Die Erlebnisse des Erlöserseins Jesu werden unmittelbar zu Erlebnisakten meiner Seele, als eigene mir95 bewusst. Das eigene Produzieren jener seelischen Akte, die in mystischen Gnadenzuständen mittels der Sinne, mithilfe der Gnade und des Einströmens des Erfahrens Gottes und göttlicher Dinge sich entfalten, wird in Zukunft bei mir aufhören und ausgeschaltet sein. Damit wird jede „Einmischung“ meinerseits unmöglich gemacht und wird meiner Seele durch diese höchste Vergeistigung eine unmittelbare Aufnahmefähigkeit geboten.

1299 |        Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Mitfühlen und Miterleben einerseits, und anderseits dem Erleben als eigenem Erfahren. Durch die Betätigung der eigenen Sinne, die ein Erlebnis in der Seele bewusst werden lassen, wird das Erlebnis zum eigenen und ein Erlebnis des Eigenen, auch wenn es sich um Übernahme der Erlebnisse eines anderen handelt. Es ist ein eigenes Produzieren durch Mitfühlen, Miterleben, Übertragen des anderen. Jener innere Vorgang wird nun aber bei mir ganz auf unmittelbares Erfassen Jesu umgestellt. Meine Seele nimmt sofort als eigenes Erleben jenes der Person Jesu auf.

1300 |        Es werden für eigene, persönliche Erlebnisse jene Erlebensfähigkeiten ausgeschaltet, die ein von innen oder von außen kommendes Erlebnis gleichsam der Person, der beherrschenden Kraft im Sein der Seele, zuführen und damit ein Selbsterlebnis als eigenes Produkt veranlassen. Jene Fähigkeiten werden hinübergeleitet und unmittelbar empfänglich gemacht für die Erlebnisakte Jesu, sodass ich seine Affekte, Stimmungen, Leiden, als die meinen aufnehmen kann. Die geistigen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Erlebens finden dann im Heiland und nur in ihm ihre Betätigung. Es ist eben eine merkwürdige Tatsache, dass ich für mich persönlich nichts als Selbsterlebnis oder eigenen Genuss erleben kann.

1301 |        Was bei mir ausgeschaltet wird, all die Fähigkeiten, die sonst ein eigenes persönliches Erlebnis hervorrufen und hervorbringen, werden mir in Jesu Sein ersetzt werden. Die früheren eigenen Erlebnisse werden dann gleichsam miterlebnisfähig gemacht werden, sodass ich die Dinge, die mich betreffen, zugleich mit denen des Innenlebens Jesu erfassen kann, aber nur durch Jesus. Insofern wird es nicht ein ekstatisches Leben sein, wo ich für meine Bedürfnisse ausgeschaltet wäre, sondern es wird alles normal scheinen und bleiben. In bestimmten Anlagen bin ich schon über mich hinaus, bin und bewege ich mich in Jesu Geisteswelt; sie kann sich aber infolge meiner noch unfertigen Umstellung nicht ganz auswirken.

 

08.06.1941

1302 |        Heute bin ich in großem Frieden, aber wie ohne geistigen Stütz- und Anhaltspunkt. Im Augenblick der hl. Kommunion hörten alle Leiden auf und „es war eine große Stille“. – Ich scheine mich so vollständig verlassen zu haben, wie es mir für diese Stufe als Ziel gezeigt wurde. Doch kann man dies selbst nicht beurteilen, und es könnte auch eine geistige Ruhepause sein. Ich hänge aber nicht mehr an den früher bezeichneten „Hindernissen“, und erlebe volle geistige Einheit mit Jesus. –

 

15.06.1941

1303 |        Der liebe Heiland führt mich innerlich immer weiter. Er führte meine Seele „abseits“ von mir, einer rein geistigen Betätigungsmöglichkeit zu. Die Auswirkung dieser inneren Führung war merkwürdig: Ich war in mir wie „arbeitslos“ geworden. – Es ist damit in meiner Seele eine neue Veränderung eingetreten: Meine Seele steht gleichsam abseits vom Leibe, ist frei in sich wie ein Geist, aber merkwürdig in sich zusammengeschlossen, „kurz und direkt“ in sich. Diese rein geistige Seele erfasst unmittelbar Jesus, und auch Jesus erfasst sie direkt und nimmt sie in sich auf. Damit erfährt sie Jesus einfacher und vergeistigter und durchdringt ihn rascher, und Jesus wird in dieser Art mit tiefem Erfassen von der Seele aufgenommen.

1304 |        In den letzten Tagen war das eine Neuheit für mich, den Heiland in dieser vergeistigten Art zu besitzen. Es war gleichsam ein Überfließen seines Seins in mir, dann wieder ein ständiges „Sich-mir-bieten“. Jesus bot sich mir mit all seinen Reichtümern und Vollkommenheiten und ich bin bereit, ihn anzunehmen, weil meine Seele in diesem vergeistigten Zustande vorbereitet ist, ihn ertragen zu können. – Aber Jesus mahnte mich: „Mich annehmen mit allem, was ich bin!“ Ich erfasste schon, was er damit meinte: Nicht nur das Genießen seiner Vollkommenheiten und Reichtümer, sondern „seine Leiden“ mit ihm annehmen! – Ich erlebte und erfasste Jesus in den letzten Tagen so tief und vergeistigt und kam mir vor wie ein kleines Kind, das in einem Haufen Goldstücke wühlt und doch nichts damit anzufangen weiß, weil das Kind eben das Gold noch nicht gebrauchen kann.

1305 |        Zwischen hinein kamen wieder innere Leiden. Sie gehen auf eine entscheidende Trennung von allem Selbstbesitz, was man aber in Worten nie wiedergeben kann. Auf diesem Gebiete erfährt man so recht die Unendlichkeit Gottes. Man meinte, schon alles hingegeben zu haben, und man möchte fragen: Was könnte mir noch fehlen, um Gott vollkommen besitzen zu können? Ja, Jesus weiß immer Neues auf diesem Gebiete, immer wieder einen neuen Grad des Sich-Verlassens, eine weitere Stufe des „Verzichtens“. Dieser Weg führt nie „zum Ende“, weil Gott ein unendliches und für die Seele nie ganz zu durchdringendes Wesen ist.

1306 |        Auf der jetzigen Stufe verlangte Jesus volle Freiheit, um meine nun vergeistigten Seelenfähigkeiten für „sich“, für sein Wesen gebrauchen zu können. Gott zwingt der Seele nie eine Gnade auf. Er lässt ihr immer die freie Entscheidung und lässt ihr die Folgen und die Auswirkungen seiner Gnade für die Seele selbst sehen und begreifen. – Die Seele stellt sich den Absichten Jesu, mit allen daraus folgenden Auswirkungen, zur Verfügung.

1307 |        Der liebe Heiland erfasst alle meine Seelenfähigkeiten; sie unterstehen gleichsam ihm; er beherrscht sie. Ich stehe abseits und lasse ihn machen. Ich habe mich ja aufgegeben. Er verfügt über mein früheres Eigentum. – Ich erfahre dabei, wie tief jeder Mensch sich selbst als absolutes Eigentum besitzt. Gott hat das Recht und die Macht des Sich-selbst-besitzens als unveräußerliches Recht mit der Seele geschaffen. Dadurch ist ein Mensch absolut vom anderen abgeschlossen, wird er in sich ein fertiges Einzelwesen, ein Reich für sich, das „er“ selbst, [das] das „Ich“ im Menschen beherrscht. – Ein Hauptübel der Zeit ist heute der ungeordnete Selbstbesitz, das zu straffe Sich-Verkrampfen und Verschließen im eigenen Selbstbesitz. Es sind da nicht die irdischen Güter gemeint, sondern das geistige Sich-Abschließen des einzelnen Menschen in sich, weil dadurch die Liebe in der Welt erkaltet.

1308 |        Heute Morgen in unserer Hauskapelle führte mich Jesus weiter: All meine nun von mir selbst freien Seelenkräfte wolle er gleichsam in Beschlag nehmen, davon Besitz ergreifen, sie nochmals einer Betätigung für „ihn“ zuführen. In großer geistiger Stille und Klarheit begriff ich: Er formt damit ein neues Wesen, das seine Person, sein „Ich“ ganz beherrscht. Durch ihn, durch seine Person, erlebe ich dann sein Wesen. Meine Kräfte dienen ihm leidensfähig, dass er sich gleichsam wiederholen kann. – Der Heiland ließ mich erkennen: „Diese Gnade einer solchen Vereinigung mit mir habe ich noch nie gegeben“. – Er hat damit besondere Absichten für unsere Zeit. – Ich erfasse klar diese Art der Vereinigung und die daraus entstehenden Folgen. Ich bin im inneren Werden dieses ganz geistigen Geheimnisses. –

1309 |        In der Herz-Jesu-Kirche der Salesianer am Bahnhof war ich bei der heiligen Messe sehr traurig darüber, dass es heute keine Fronleichnamsprozession gab und damit dem Heiland viel Ehre und Verherrlichung entzogen würde. Da sprach Jesus zu mir: „Eine Seele kann mich für alles entschädigen; die Liebe entscheidet, und Wert hat allein der Grad der Vereinigung, in der sich eine Seele mit mir befindet.“ (Alles andere habe für die Seele keine Bedeutung). – Ich war in einem unbegreiflichen Zustand in ihm: In der „Vereinigung aus Liebe“, die in solcher Form Jesus in mir schaffen will. Auch meinerseits aus Liebe. Aus Liebe auf alles verzichten, und aus Liebe „ihn“ leben wollen. Die Liebe vereinigt und überbrückt den Gegensatz zwischen uns. – Ich erkannte: Dem Heiland macht diese Art der Vereinigung mit mir so viel Freude und Ehre und Verherrlichung. – Ich will ihm als Opfer für seine Ehre und Verherrlichung dienen. Ich habe mich ihm dann wieder ganz und vollkommen nach seinen Absichten hingegeben. Auch in den letzten Tagen war dies die Forderung Jesu und seiner Gnade: Im Vater „ihm“ zur Verherrlichung dienen!

1310 |        In Jesus schaute ich es wie selbstverständlich, dass ein Mensch, der Gottmensch, zur Entschädigung für die ganze Welt wurde. Im Augenblick erfasste ich das ganze Erlösungswerk und dessen unendlichen Wert. Im Menschen Christus vollbrachte es die göttliche „Person“ und dies war das Wertvollste. Ich erfasse auch die „Größe“ der göttlichen Person Christi in der armen Ausführung seiner menschlichen Natur, die aber auch entsprechend angelegt war, um mit der göttlichen Person „mitarbeiten“ und mitgehen zu können. – Es wurde mir dabei auch erklärt: Meine menschliche Natur bzw. meine Seele sei dementsprechend „erweitert“ und befähigt, dass der Heiland seine Absichten ausführen könne.

1311 |        Ich bin in gänzlicher Bereitschaft dem Heiland gegenüber. Ich habe in mir die Zuversicht, dass seine Gnade in mir nie versagen wird, trotz all meiner Armut, und dass gerade die Schwäche des Werkzeuges ihm zur größeren Verherrlichung sein wird. –

 

Juli

04.07.1941

1312 |        Seit der letzten Aufzeichnung (vor fast drei Wochen) habe ich eine tiefe geistige Entwicklung erfahren und durchlebt. Diese war von ständigen schweren Leiden begleitet.

1313 |        Es galt der vollständigen „Befreiung“ von mir. Jesus gebraucht meine Kräfte, die aber so von seinem Sein beherrscht werden, dass sich ein Ganzes aus zweien bildet und ergibt. Und alles dies vollzieht sich ganz tief geistig; bei diesem geistigen Geschehen bin ich meinem eigenen Einfluss entzogen und kann alles nur geschehen lassen. Diese Entwicklung vollzieht sich aber ununterbrochen: Kein Tag ist dem anderen gleich; jeder Tag bringt gleichsam eine Vertiefung und eine geistige Erhöhung, wobei ich der Erleider dieser inneren Geschehnisse bin. Während mein ich, mein früheres Sein, immer mehr und ganz zurücktritt, erhebt sich Jesus in mir. Es ist aber alles unaussprechlich einfach und wie selbstverständlich, wie mein eigenes Leben, nur mit dem Unterschiede, dass ich früher in meinem gewöhnlichen Leben stets der „Empfangende“ war, während ich jetzt der „Besitzende“ bin, der alles in sich hat und der durch die führende Gnade angeleitet wird, das in sich Besessene zu gebrauchen, es sich ganz anzueignen und davon zu leben.

1314 |        Dadurch entwickelt sich Jesu Leben als etwas Selbstständiges in mir; es ersteht aus seinem Sein, lebt sein Sein. Mein früheres Sein ist abseits gelassen, hat nichts mehr zu bedeuten, ist wie ausgedient. Das neue Leben: Jesus ist wie ein Motor, dessen eigene Kraft das Funktionieren der Maschine bewirkt. Dieser geistige Motor ist seine in mir alles beherrschende Person, der alles Sein in mir unterstellt ist.

1315 |        Die Leiden dieser geistigen Umstellung waren aber überaus schmerzlich. Man betritt damit Gebiete, die der Menschenseele für gewöhnlich ganz fernstehen und fremd sind und in die man nur langsam eingewöhnt werden kann. Es ist nur zu wahr, was mir der Heiland schon vor vielen Jahren über meinen kommenden Seelenzustand sagte. Oft und oft ließ er mich dieses „Sein aus ihm, sein Leben“, in Gnadenstunden im Voraus erleben und verkosten: „Dahin will ich dich führen; du wirst dann ganz mein Leben leben, ganz von mir beherrscht sein. In diesem Zustand in dir will ich mich meinem Vater nochmals opfern, um das Geheimnis der Vereinigung der Gottheit mit der Menschheit in meinem Erlöserleben zu zeigen“ – so ähnlich sprach der Heiland oft zu mir.

1316 |        In dieser Art der Führung liegt überhaupt das Ziel meines ganzen Innenlebens. So ganz im Voraus in Jesus aufgenommen und von ihm erfüllt und durchlebt, bat ich damals Jesus immer wieder: „Lass mich jetzt schon in diesem deinem Sein verbleiben! Ich möchte nie mehr zu mir zurückkehren. Wie unendlich glücklich macht diese selige Freiheit in dir!“ – Jesus sagte mir dann oft: „In diesem Zustand kannst du mich jetzt auf die Dauer noch nicht ertragen; mein Sein würde dich gleichsam erdrücken, weil daraus viele Folgerungen und Leiden entstehen. Ich werde dich aber dahinführen. Du wirst mich sicher „so“ erleben, wenn du ganz auf „dich“ verzichtest und mein Leben in dir zur Herrschaft kommen lässt.“ – Und jenes Einssein mit Jesus, wo er der Lebende war, ging vorüber und an dessen Stelle traten unaussprechliche Reinigungsleiden, von denen Jesus mir sagte, sie seien der Weg zum gezeigten Ziel und sie würden mich mit seiner Gnade für jenen Vereinigungszustand befähigen.

1317 |        Heute kann ich nicht genug die Treue des Heilandes bestätigen; in meinem ganzen Leben ist seine göttliche Führung wie ein ununterbrochener Faden, der auf das gezeigte Ziel hingeordnet ist, und immer mehr führt mich Jesus meiner inneren Vollendung zu, d. h. der Auswirkung jener Art der Vereinigung mit ihm.

1318 |        Die letzten Wochen waren deshalb doppelt schwer, weil ich zusammen mit den Leiden der vollen inneren Befreiung von mir auch die Leiden Jesu bzw. deren geistige Grundlage miterlebt habe als Vorbereitung auf meinen eigentlichen geistigen Beruf. Ich erlebte und erlitt Jesu Herabsteigen vom Throne seiner Herrlichkeit in die arme, beschränkte Menschheit, die seinem göttlichen Wesen nichts entsprechend bieten konnte; sein Alleinsein, da er auch als Mensch niemand Seinesgleichen hatte; sein nach außen unbedeutendes Leben im Vergleich zu seiner göttlichen Veranlagung; die Verdemütigung seines Zustandes als Mittler, umgeben vom Hochmut der Menschen, deren tiefstes, gefallenes Wesen er in göttlicher Allwissenheit ständig durchschaute. Und diese Gefallene, sündige Menschheit hat ihn noch tiefer hinuntergedrückt, da sie sich über ihn erhoben und ihn in ihre Gewalt bekommen hat. Jesus aber hat sich unter diese Menschen gestellt und hat sich den Auswirkungen der gefallenen Menschheit und ihrer Sünden ausgeliefert. Es ist wahr, was Jesus mich darüber schauen und erleben ließ: „Niemand ist von solcher Höhe in solche Tiefe und Niedrigkeit herabgestiegen wie Ich.“ – Ähnliche Leiden waren mir angetan wie ein eisernes Kleid, das man nicht ablegen oder entfernen konnte. Jesus bildet damit sein Wesen in mir aus; darauf war die ganze innere Führung hingeordnet. Es gibt jedoch kein Wort, um dies näher zu erklären; es ist zu tief geistig und zu einfach und vor allem zu wesentlich und persönlich in mir, weil ich der bin, der es trägt wie sein eigenes Wesen, das man ja auch nicht weiter erklären kann. Wenn ich nicht eine besondere Gnade dazu habe, kann ich mich darum nicht darüber aussprechen oder es beschreiben; ich kann mich nicht anders ausdrücken als: Es ist eigentlich nichts Besonderes, sondern es ist mein Wesen, meine Eigenheit, und es ist so unglaublich „intim“ und selbstverständlich in mir, wenn es auch die schmerzlichsten Leiden sind.

1319 |        Seit heute (4.7.) Morgen bin ich in einem veränderten Zustand. Ich lebe aus mir, bin aus mir und empfange nichts. Die tiefste Quelle in mir ist das Leben, sein Leben. Und ich bin das Leben, das sich mit einer unaussprechlichen inneren Geschmeidigkeit und Leichtigkeit, ohne Mühe oder Gewalt vollständig selbst beherrscht. Die Quelle in sich selbst gibt Wasser im Überfluss und belebt alles. Ich bin eine wundersame Harmonie von Geistigkeit, Leichtigkeit, Kraft, Energie und Geschmeidigkeit. Und doch ist alles so, als müsste es gerade so sein und es scheint nichts Besonderes. Ich weiß eigentlich nichts von Jesus, aber die Harmonie und das innere Zusammengeordnetsein meines inneren Wesens erschließt mir die Fülle eines unaussprechlichen geistigen Lebens, das ich in mir selbst verwirklicht glauben muss.

1320 |        All diese erhabenen Zustände sind aber nicht Selbstzweck. Schon drängt die innere Führung weiter und das „Leben“ in mir will einer neuen Betätigung zugeführt werden. Es werden da keine Worte gebraucht wie früher, wenn Jesus in besonderen Gnadenzuständen den künftigen geistigen Weg erklärte. Jetzt „will das Leben gelebt sein“; es drängt aus sich zur Entfaltung, weil es eben Leben und darum wirksam ist und Wirkkraft in sich trägt. Es ist dies ein wunderbares Geheimnis, dieses innere Mitgenommenwerden, diese Selbstentfaltung, dieses Selbstleben, das so unendliche, göttliche Geheimnisse in sich schließt, die noch kein Menschenherz erfahren hat. Die Ewigkeit des Himmels wird den schauenden Geistern immer Neues an Geheimnissen kundtun.

1321 |        „Alle Gnaden und der geistige Aufbau meines Innenlebens dienen einem Zweck“. Es ist nichts Zufälliges, Bedeutungsloses, Alltägliches. Vor Gott hat auch das kleinste Geschehen in der Menschenseele einen Zweck, eine Ursache ein Ziel. – Christi Menschwerdung diente dem Zwecke der Erlösung; sein Leben war für eine Wirksamkeit bestimmt, die in den erlösten Seelen eine neue Fruchtbarkeit hervorbringen soll. Die Ursache seiner Menschwerdung aber lag schon viel weiter zurück. Der Fall Adams drängte die Liebe Gottes unaufhörlich, damit doch nicht das ganze Menschengeschlecht mit ihm zugrunde gehe. Jesus nahm die Mittlerstelle als Erlöser auf sich. Die durch die Sünde Adams in sich verdorbenen Kräfte der Seele mussten erneuert und durch göttliche Kräfte, wie durch Einströmen göttlicher Kräfte in die Menschenseele, wieder umgewandelt werden. Darum tat sich in Jesus die Gottheit und Menschheit in einem Wesen zusammen und vollbrachte damit das Werk der Erlösung. Im Augenblick der Menschwerdung nahm der Erlöser zugleich das Werk der inneren Umgestaltung der gefallenen Menschenseele auf sich (– nicht als ob es für alle Menschen nur „eine“ Seele gebe, aber um mich so am einfachsten ausdrücken zu können).

1322 |        Ich schaue immer dieses Geheimnis: In einem Menschen sind alle gefallen; in einem Menschen wurden alle wieder erneuert. In der ersten gefallenen Menschenseele wurden mit dem Sündenfall alle Sünden möglich gemacht, wurden augenblicklich alle Sünden gleichsam grundgelegt, die alle Menschen zusammen vor Gott strafwürdig machten. In der einen, gefallenen Seele Adams wurde damit das ewige Verderben aller ihm folgenden Menschen angebahnt, weil nach Gottes Ratschluss die erste Seele für alle folgenden Seelen maßgebend war. Gerade deshalb nahm die zweite göttliche Person eine Menschennatur und -seele96 an, die, an sich vollkommen rein und unbefleckt, den nun vorhandenen Zwiespalt lösen sollte. Mit seiner Menschheit bzw. mit seiner Seele nahm der Erlöser den Fall der Menschheit auf sich, nämlich die gefallene Menschenseele mit den Auswirkungen der Sünde, und zwar so intim, wie wenn es nun seine Seele wäre. Diese sündige Seele wurde überwunden mit den Kräften und Fähigkeiten seiner eigenen Seele und somit gleichsam erneuert. Es war wie eine Überwindung des Krankhaften in der Menschheit und es geschah etwas wie eine neue Blutzufuhr, wodurch die gefallene Menschenseele wieder neues Leben und neue Lebensfähigkeit bekam. Nicht als ob Jesus wirklich zwei Seelen in sich getragen hätte. Die eine, erste, ganz reine war vielmehr die seine; die Gefallene nahm er an und sie war nun wie seine Aufgabe, die er zu lösen hatte, zu der er im Augenblick seiner Menschwerdung „Ja“ gesagt hatte. Es war somit ganz seine Aufgabe und Jesus unterzog sich dieser Aufgabe freiwillig, gedrängt von der Liebe seines Herzens.

1323 |        Der Heiland trug damit in sich die Auswirkungen der Sünde in ihrer ganzen Tiefe, Undankbarkeit, Hässlichkeit. Durch diese Auswirkung der Sünde wurde er selbst wie zum Sünder vor seinem Vater, weil er sich erbarmend der Sünder annahm und stellvertretend gleichsam die Folgen der Sünde auf sich nahm. „Jemand“ musste das Unrecht der Sünde Gott gegenüber einsehen; der Mensch in seinem gefallenen Zustande war dazu nicht fähig, wenn er auch menschlich sehr litt unter seinem Fall und dessen Wirkungen. Die Sünde verlangte darum ein Einsehen durch göttliche Erkenntnisart, wenn der göttlichen Gerechtigkeit eine vollkommene Genugtuung geleistet werden sollte.

1324 |        Viel klarer als es in Worten auszusprechen möglich ist, erfahre ich dieses innere Erlösungsgeheimnis. Wie in Jesus bin ich darin aufgenommen und es ist in mir die volle Bereitschaft, vermittels und kraft meines inneren Vereinigungszustandes daran teilzunehmen. Jesus der Erlöser: Das ist der Zweck dieses Grades meines Einsseins mit dem Heiland. Nicht in Worten, nein, in innerem Erfahren schaue ich meine Aufgabe: „Wenn du an mich, an den Erlöser, glaubst, so glaube an deine Aufgabe!“ Im Glauben an Jesus muss ich mich seiner Aufgabe als der meinen unterstellen. „Glaubst du an Gott, an den wirklichen Sündenfall, an den Erlöser und an die Erlösung, so glaube in vollkommener Hingabe an den Zweck all deiner Gnaden!“

1325 |        Heute Mittag wurde mir wieder der wirkliche Fall Adams, der Sündenfall des Menschengeschlechtes vorgeführt. Nur dieser war die Ursache der Menschwerdung. (Gewiss hätte die zweite göttliche Person auch ohne den Sündenfall Mensch werden können, aber es wäre dann keine leidende Menschheit Christi geworden). Ich erfasse ganz klar: Die Menschwerdung Christi ist das größte Ereignis der ganzen Menschheitsgeschichte; es gibt nichts Wichtigeres, nichts Größeres auf dieser Welt. Christus ist somit zum Mittelpunkt der ganzen Menschheit und alles Geschehens geworden. Wie oft wurde mir dies schon beim Gebet des „Engel des Herrn“ erklärt: In welcher Tiefe habe ich heute dieses größte Geheimnis erfasst! „Und das Wort ist Fleisch geworden“. Eine unumstößliche Wahrheit; und die Ursache dieser Menscherdung Christi war nur die Sünde. Man glaubt aber heute zu wenig an die Sünde und darum hält man Christus, den Erlöser, weithin nicht mehr für notwendig. Und dieses Geheimnis, Jesus der Erlöser, soll ganz tief in meinem Inneren zur Auswirkung kommen.

1326 |        Ich bin in voller, innerer Bereitschaft, dieses Geheimnis mit Jesus mitzuerleben, es gleichsam zum meinigen werden zu lassen. Es ist ein unbegreifliches Drängen in mir, dass dies in mir erfüllt werde, dieses Erleben, das mich Jesus als große Gnade für seine Kirche und als unermesslicher Segen für die Seelen vorausschauen lässt. Jesus wird dadurch mehr anerkannt werden in seinem göttlichen Erlösergeheimnis. Er wird dann mehr erkannt und geliebt werden in einer Art und Weise, in der er früher verborgen war.

1327 |        Und ich werde damit Jesus tiefer besitzen, weil er dann leidend in mir gegenwärtig ist. Das ist aber das Allerhöchste: Christus besitzen, alles für ihn aufgeben, ihm Raum schaffen, ihn leben lassen, ihn zur Herrschaft führen! Mit S. Paulus will ich handeln: „Alles habe ich für nichts, für Staub, erachtet, damit ich Christus gewinne.“

 

06.07.1941

1328 |        Ich bin heute im geistigen Genießen einer großen, unendlich geheimnisvollen Gnade, die mich Jesus gestern Abend innewerden ließ: Ich diene ihm als seine Menschheit. –

1329 |        Dieses klare innere Innewerden und Berufensein hat eine unaussprechliche Wirkung in mir hervorgebracht, die ich nicht tief genug erfassen und ausleben kann. – Damit macht der liebe Heiland sein vor vielen Jahren gegebenes Versprechen wahr: „du wirst Mir wie meine Menschheit dienen; ich bereite mir in dir eine Menschheit, die mir dient wie einst jene, die ich aus meiner Mutter annahm; ich habe damit meine Absichten“. –

1330 |        Diese innere Berufung war eine Gnade des Erhebens in mir, ein Herausheben aus meinem eigenen Sein und dadurch ein: Ihm allein anheimgestellt und überantwortet und von ihm ganz abhängig sein. Und die selige Freiheit von mir und das ganz ihm überantwortet sein!

1331 |        Ich genieße Jesus in unaussprechlicher Weise, doch ist dieses Genießen unmittelbar in mir, ganz in mir verwirklicht. – – –

 

07.07.1941

1332 |        Gestern ließ mich der liebe Heiland die große Gnade, „ihm als Menschheit zu dienen“, so recht genießen und in der ganzen Tiefe und Bedeutung erfassen. – Die durch die letzten Reinigungsleiden geschaffene, vollkommene Befreiung von dem Einfluss meiner Person versetzte mich in den unaussprechlichen Zustand der Freiheit in Jesus. Dieser selige Zustand lässt sich mit keinem Worte erklären. –

1333 |        Aber schon am Abend zeigte Jesus eine weitere Folgerung und Fortsetzung dieser Gnade: „ihm als 'seine' Menschheit dienen!“ ihm angehörig und ganz angepasst sein, entsprechend seiner Person, seiner persönlichen Eigenheit und seinen Absichten ihm dienstbar gemacht werden! Und heute bin ich nun wieder sehr im Leiden, im geistigen Erringen jener Eigenheit. Der vorhergehende Zustand bleibt in unaussprechlicher Weise bestehen, das Einssein mit dem Heiland ist ganz persönlich und wesenhaft, und doch sind die inneren Leiden wie unzählige geistige Dornen zwischen ihm und mir. Es ist anscheinend ein weiteres Aufgeben meiner persönlichen Eigenheit und damit ein vollkommenes Angepasst-Werden an seine göttliche Person, um damit die Fähigkeit zu erwerben, möglichst vollkommen seinen inneren Akten und Antrieben folgen zu können, sodass Jesus wirklich mit mir „leben“ bzw. mich für seine Absichten gebrauchen kann. Das vollkommene von ihm Erfüllt- und Getragensein lässt ständig eine unsagbare, innere Seligkeit genießen, und doch sind die Leiden dabei so heftig, dass ich vergehen könnte97 vor innerem Weh. Es ist dabei auch die verzehrende Sehnsucht, ganz in seiner Person untergehen zu können. Es ist mir auch, als löse die Liebe, die eine Liebe, mich ganz auf; es ist wie ein Feuer in mir, doch ist dieses Feuer zugleich so leicht und erfreuend und ständig mich stärkend.

1334 |        In diesen Leiden tröstete mich der liebe Heiland mit der Versicherung: „In den Leiden deiner inneren Umgestaltung wird der Menschheit die Gnade verdient, das innere Erlösungsgeheimnis fruchtbringend zu erfassen.“

 

12.07.1941

1335 |        Die Leiden der vergangenen Woche dienten dazu, die früher erhaltene Gnade, „dem Heiland als Menschheit zu dienen“, noch in der Richtung zu vervollkommnen, dass ich „ihm als seine Menschheit“ eingeordnet werde.

1336 |        Ganz „ihm“ unterstellt sein, seiner göttlichen Eigenheit, die in der Erlösung zur Auswirkung kam, und dazu befähigt sein, ohne Wanken, wie wenn mir das zugehörig wäre, so wie Seele und Leib die Einheit eines Lebens bilden: In solche Art der Einheit mit Jesus wurde ich diese Tage eingeführt.

1337 |        Seit heute Mittag bin ich in dieser Einheit „eines Lebens“ gemäß der Besonderheit meiner inneren Berufung. Es ist mir dies wie eine neue Kraftzufuhr vonseiten Jesu, weil nun sein Sein noch in höherer Weise in mich überzuströmen vermag. Es ist in höherer Art ein Zustand des „auf ihn gestellt sein“, „ganz aus ihm leben“, aber so, als wäre dies meine Eigenheit. Von Jesus spüre ich eigentlich nichts; die Einheit ist so innig und selbstverständlich, als wäre es überhaupt keine Einheit oder Vereinigung (denn diese besteht in gewissem Sinne eben aus zwei oder mehreren Teilen); es ist eben dies mein Zustand, der mir zukommt, ein Wesen, das gelebt wird.

1338 |        Zugleich erfüllt mich ein großes Verlangen, dieses mein Leben ganz auszuleben. –

 

13.07.1941

1339 |        Ich leide sehr und kann mich doch nicht erklären darüber. Ich bin wie herausgenommen aus der Welt, bin von niemand abhängig und brauche niemand, weil ich alles im Überfluss in mir besitze; und doch wieder bin ich so arm und klein und nichtig, wie es noch niemand in sich erfahren hat. Mein ganzes Sein ist unaussprechliche Selbstentäußerung und Verzichten auf jede Befriedigung, aber dafür eingeordnet in göttliches Sein, dem diese Leere von allem Geschöpflichen zukommt, weil es dies alles doch in sich trägt und vom Geschaffenen nichts beansprucht.

1340 |        Mit diesen Leiden bereiten sich neue Wege für mich vor. Immer wieder opfert sich alles in mir: Gib mich ganz dir nach deinen Absichten! Ich finde nicht eher Ruhe, als bis du mich ganz nach deinen Absichten gebrauchst! –

1341 |        Ich erlebe in diesen Leiden meinen kommenden Weg: Ich nehme Anteil an den Leiden Jesu durch die Art der Einheit, durch die ich ihn, an seiner Stelle, lebe. Ich überlasse mich den Auswirkungen der Sünde, die Jesus als Erlöser auf sich genommen hat; diese treffen unmittelbar mich; ich bin derjenige, der alles dies erleidet, die Auswirkungen der Sünde im Inneren Jesu, in seinem Herzen und auch von außen her. Jesus hat sich dem allem ganz hingegeben und ausgeliefert. – Die Sünde brachte Armut, Verfolgung von Seiten der Mitmenschen, Müdigkeit, Schwäche, all die äußere Ruhelosigkeit der Menschheit und alle Folgen der Sünde, wodurch die Menschen einander verfolgen und worunter sie leiden. Jesus hat mit den Menschen mitgelitten und hat selbst an den Folgen der Sünde teilgenommen, als wäre er der Mitschuldige an der Sünde. Er ist in allem unser Bruder geworden und hat all unsere Schwächen mitgetragen. All die Folgen der Sünde von innen und außen hat Jesus stellvertretend in sich gelitten und dadurch die Menschheit befähigt, sie im Geiste der Buße ertragen zu können.

1342 |        Ich bin im unmittelbaren Teilnehmen an Jesus und seinen inneren Erlöserleiden. – Wie sehr ich auch darunter leide, ungleich mehr drängt es mich doch, dass es erfüllt werde. –

 

20.07.1941

1343 |        Heute kann ich eine weitere neue Entwicklung in meinem Innenleben feststellen. Ich bin an der inneren Ausgestaltung seines Seins bzw. am Übernehmen seiner Aufgabe als Erlöser.

1344 |        Ausgehend von den letzten Wochen, wo Jesus mich als seine Menschheit bildete und mich dies auch innewerden ließ, gelangte ich in eine große, unaussprechliche Entfernung von mir. Das Meine ist verlassen, beiseitegestellt, zurückgelassen; es ist wie wenn ein Wanderer, der vom Getriebe dieser Welt auf die höchste Bergesspitze gestiegen ist, sein früheres Eigentum zu seinen Füssen sieht und nun keine andere Aufgabe mehr hat als die, sich dort oben eine neue Existenz zu schaffen.

1345 |        In der ganzen vergangenen Woche war ich wie existenzlos; es gab keinen Grund in mir, wofür ich eigentlich da wäre. Alles eigene Bemühen, mir selbst etwas zu schaffen, ist mir ja unmöglich, weil ich selbst nicht im Besitze meiner Fähigkeiten bin und mein ganzes Inneres einer höheren Beschlagnahme unterliegt. Wenn Jesu Leben nicht wirkt in mir, scheint alles tot zu sein; wenn die führende Gnade scheinbar stillsteht, ist es, als ob ich den inneren Weg verliere, d. h., es ist ein ständiges Warten auf die führende Hand Jesu, die in mir die geistige Entwicklung vollbringt. Die letzte Woche war ein solches Warten auf eine weitere Ausgestaltung seines Seins in mir; es war wie ein Schlusspunkt, dem nichts mehr zu folgen schien. Obwohl ich für mich selbst nichts besaß und mein ganzes Sein dem Sein Jesu unterstellt war, schien eigentlich eine Existenz zu fehlen; die Gnade, in die man eingeübt ist, wird ja auch wie zu etwas Gewöhnlichem und bietet einem nichts Neues mehr. Es steigen dann neue Strebefähigkeiten auf, weil die tiefsten Betätigungsmöglichkeiten der Seele „leben“ und einer neuen Entfaltung und Verwirklichung zugeführt werden wollen. So litt ich sehr unter dieser scheinbaren Untätigkeit in mir.

1346 |        In Wirklichkeit aber war es nicht geistige Untätigkeit, was Jesus in mir wirkte und veranlasste, sondern ein weiteres Entfernen von meinem früheren Sein. Das löste eine große Stille in mir aus und in dieser Stille wurden gleichsam neue Energien geweckt. Wie ein Kind auf eigenen Füßen zu stehen kommt, so erlebte ich mich als Jesu Menschheit. Meine innere Aufgabe tritt mir ins Bewusstsein und ersteht auf jener Grundlage, wo mein Wille sich mit seinen Absichten trifft. Die eigene frühere Schüchternheit ist zurückgelassen und mein Inneres lässt sich wie auf einem neuen Wege weiter in Jesus umbilden. Heute bin ich nun wie in ein neues Stadium seines Seins eingetreten: Mit Jesus nehme ich teil an seiner Aufgabe und Sendung vom Vater, an der Aufgabe der Erlösung. Es ist in mir wie ein bewusstes Bereitstellen dafür. In ihm bin ich – wie in seiner Eigenheit – dem hingegeben und diene ich diesem Zwecke.

1347 |        Ich erfasse die Beweggründe der Sendung des Erlösers: Die innere Entsühnung und Entsündigung der Menschheit als eine Offenbarung der göttlichen Liebe, die sich in der Menschwerdung des Sohnes gezeigt hat. Dies alles erfasse ich in einem Augenblick und passiv; es ist ein Einblick in göttliche Geheimnisse, den man mit keinem Worte erklären kann. Die Seele wurde jahrelang durch göttliches Aufnehmen dafür befähigt; ich möchte sagen: Ich kenne mich im Göttlichen aus, bin in göttliche Geheimnisse eingeführt.

1348 |        Nun treten auch die Akte seines Lebens in Tätigkeit und Bewegung in mir, die Art der Vereinigung, die Jesus in mir geschaffen hat, wirkt sich mehr aus. Ich erfasse den Grund seiner Menschwerdung, die im Augenblick gleichsam zu meiner Aufgabe wird. Meine Seelenfähigkeiten dienen diesem Zweck und Erleben. Es werden zugleich neue, eigene Energien eingespannt und von ihm gebraucht, die mich befähigen, mit diesem inneren Erleben „mitzugehen“, es als das meine zu erleben und auszukosten. Ich bin nun in diese bewusste, passiv eingestellte Bereitschaft versetzt. Mein Inneres ist in großer unsagbarer Ruhe, Einfachheit und Entschlossenheit, geführt durch die göttliche Kraft seines Lebens in mir. Jesu göttliches Leben in mir tritt in Kraft und wird in meinem Miterleben seines Seins lebenstätig.

1349 |        In dieser Woche und besonders heute habe ich innerlich die von Gott gewollte Art der Sendung des Priesters geschaut. – Der Priester ist von Gott bzw. von Gott-Vater gesandt an Christi Stelle, um Christi Aufgabe weiterzuführen. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“. Im Augenblick der Priesterweihe nimmt der Priester vor Gott die Stelle Christi an, um dessen Aufgabe unmittelbar fortzusetzen. Infolge seiner Berufung und Sendung ist er vor Gott dafür verantwortlich gemacht. Er hat vor Gott und vor Christus die gleiche Aufgabe und die gleiche Sinnbedeutung wie Christus selbst.

1350 |        Christus kam in die Welt, um die Menschheit zu entsühnen und zu entsündigen, um den Abgrund zwischen Gott und der Menschheit zu überbrücken, wozu er sich selbst gleichsam als Brücke bot. Diese Aufgabe liegt auch in der Sendung des Priesters, bleibt für immer des Priesters Aufgabe und Gebot. Der Priester soll gleichsam eine neue Brücke und ein neuer Vermittler zwischen Gott und den Menschen sein; er soll die Stelle Christi vertreten und ausfüllen. Seit der Priesterweihe ist er sozusagen dafür verantwortlich; er hat diese Stelle und Stellung Christi übernommen und trägt sie weiter vor sich selbst, für die Seelen und vor Gott. Er ist so von Gott gewollt und soll so eingestellt sein, dass er die Welt durch sein Einssein mit Christus der Aufgabe und der Gesinnung nach nochmals entsühne und entsündige vor Gott und in den Seelen, dass er die Schuld der Welt abtrage.

1351 |        Sooft der Priester zum Altare geht, geht er mit Christus auf den Kalvarienberg, um vor Gott die Welt zu entsühnen und das abzutragen, was die Menschen vor Gott verschulden. In diesem Bewusstsein soll der Priester die heilige Messe lesen. In Vereinigung mit Christus und an Christi Stelle soll er die ganze Sündenlast der Menschheit sühnend vor Gott tragen wollen und das ganze Priesterleben soll von diesem Gedanken beherrscht sein, die Menschheit vor Gott zu entsündigen. – Durch das Vergessen und Vernachlässigen dieser Aufgabe kommt es zur Trennung jener Vereinigung mit Christus, für die der Priester doch bestimmt ist, kommt die Gefahr der Verweltlichung. In der Vereinigung mit Christus liegt aber die Kraft des Priesters. Durch den besonderen Grad der dem Priester gegebenen Vereinigung und durch das Vertrauen auf das Erlöserleben Jesu werden die Verdienste Christi fruchtbar. – In diese Richtung soll schon die Erziehung des Priesterkandidaten gehen: Der Priester ist der Entsühner und Entsündiger an Christi Stelle für die Menschen und vor Gott.

Abends:

1352 |        Es ist ein großes Verlangen in mir, in Jesu Erlöseraufgabe aufzugehen, sein Leiden als das meine zu erleben. Durch ihn in mir ist mir alles geboten. Eine ständige, verzehrende Bereitschaft in mir bietet sich Jesus dar: „Nimm mich dazu! Ich will untergehen in deinem Erlöserleiden; damit erlebe ich ja dich im innersten Wesen und Sein.“

1353 |        Ich habe keinen Ausdruck für dieses glühende Verlangen, gleichsam Jesus erleben und geben zu können. Es ist nur eines, wovon sein Herz erfüllt war – und er flößt es mir ein, dass nämlich seine eigene Liebe nochmals gelebt, verwirklicht und ihm geboten werde und dass sie als Frucht seiner Liebe eine Wiederholung finde. Alle Liebe und Treue der Seelen ist ja vor ihm wie sein Eigentum, weil es die Früchte seiner Opfer und Leiden sind, die er in seinen Getreuen ermöglicht hat. Jesus bietet sich damit seinem Vater dar und der Vater nimmt es als die Erlösungsfrüchte seines Sohnes an.

1354 |        O Jesus! Du hast dich in mir bereitet. Ich bin bereit, dass es erfüllt werde!

 

21.07.1941

1355 |        Vorher war ich, wie immer vor besonderen Gnaden, in großer, peinvoller, innerer Verdemütigung.

1356 |        Der liebe Heiland fragt mich immer wieder: „Willst du alles so nehmen, wie du es innerlich erkennst? Bist du für alles bereit?“ (Dieses Erkennen im ganzen Umfang der Absichten Jesu lässt sich mit keinem Worte ausdrücken). Ich fühle keinen Widerstand in mir; alles drängt zur Erfüllung.

1357 |        Jesus eröffnete mir dann heute seine Absichten in klarer Form: „Ich will meinen Priestern mein Hirtenherz schenken. – Ich schaute vom Himmel her die gefallene Menschheit in ihrer Not und Sündhaftigkeit und Hilflosigkeit und mein Herz war voll Mitleid und Trauer darüber und Ich beschloss: Ich selbst will kommen, will mich selbst opfern für die Rettung der Seelen. – Der Priester, an meiner Stelle gesandt, soll dieses mein 'mich selbst opfern und selbst gehen' zu dem Seinigen machen nach meinem Vorbild. Ich will den Priestern mein Herz schenken, ihnen mein Herz eröffnen, auf das meine Gesinnung in sie überströmen kann. – Nur dies ist der Zweck aller Gnaden, die ich dir gebe; Ich schenke damit meinen Priestern mein Herz. Sie sollen kommen und davon nehmen. Sie sollen von mir, von meinen priesterlichen Tugenden leben und gesättigt werden; und sie werden gesättigt und erfüllt werden von den Gesinnungen meines Erlöserherzens. Sie sollen Mich leben; ich bin ihnen zur Verfügung. – Glaube mir, du bist das Werkzeug für meine Absichten. Das Erleben meiner Erlöserliebe, für das Ich dich befähigt [habe], ist die Offenbarung meines Herzens an die Priester und ist der Beweis für die Schenkung meines Herzens.

1358 |        Ich stelle es allen Priestern zur Verfügung. Diese Offenbarung meiner Erlöserliebe ist vornehmlich für die lehrende Kirche, für die Priester bestimmt. Die Gläubigen könnten mich nicht so verstehen; an diese gelangt es an zweiter Stelle durch die Priester. Durch die Früchte, die es in ihnen hervorbringt, wird es Gemeingut der ganzen Kirche werden“.

1359 |        Jesus drängt mich erneut daran zu glauben, dass dieses Erleben seiner Erlöserliebe bzw. seiner inneren Erlöserleiden durch die Schenkung seines Herzens an die Priester begründet ist und dass dies der Zweck all meiner Gnaden sei. Von diesem Standpunkt aus soll ich mein Innenleben betrachten und mich selbst als Werkzeug ansehen. – Dieser letzte Zweck würde mir auch alle Leiden leichter machen. – Ich fühle auch von diesem letzten Ziel her eine große Erleichterung und Vereinfachung, weil damit allem ein letzter und höchster Zweck gegeben ist.

1360 |        Ich bin in großem Frieden und vollkommener Bereitschaft. Ich bin ganz abgewandt von meinem eigenen Früheren und lebe Jesu Sein mit all meinen Kräften, die seiner Person in mir dienstbar gemacht sind. Dieses Erleben lässt sich eben mit keinem Worte ausdrücken. Ich bin meinem eigenen Sein vollständig abgewendet und der Person Jesu eingeordnet, aber es ist ganz einfach und wie selbstverständlich. Dieser Zustand bildet sich ständig steigernd in mir durch entsprechende innere Läuterungsleiden.

1361 |        Es ist wie eine vollkommene Bindung aller Seelenkräfte, die seiner Person überantwortet sind; durch diese neue Einheit wird eine neue Betätigungsmöglichkeit hervorgerufen, weil mein früheres Sein unterbunden und dadurch eigene Betätigung wie unmöglich gemacht ist.

 

22.07.1941

1362 |        Ich bin allem Äußeren, allen hemmenden Einflüssen und Hindernissen abgewandt und lebe innerlich in voller Harmonie das mir durch Jesus in mir Gebotene. Trotzdem leide ich sehr unter dem inneren Druck meiner vielleicht noch möglichen und durch die Naturanlage mir anhaftenden Hemmungen, die sich wie zufällig noch dazwischen drängen und die volle Wirksamkeit der göttlichen Führung behindern könnten. Es sind besonders die Anlagen meiner persönlichen Schüchternheit, Mangel an Vertrauen, auch auf mich selbst, in gewissem Sinne Mangel einer bestimmten Selbstbehauptung, die man der Gnade Gottes schuldig ist – was dann den übernatürlichen Mut und die Kraft der Gnade behindert. Auch eine gewisse mir früher stark anhaftende Schwäche der Mutlosigkeit und Wankelmütigkeit, wodurch die Gnade Gottes in Gefahr kommen könnte. – Ich bin wie in einem inneren Feuer, im Erleben dieser teils bewussten, teils unbewussten Hindernisse, die sich von meiner Seite der Führung des Heilands, wenn auch nicht gewollt, doch unbewusst und wie zufällig, in den Weg stellen könnten. All diese sich mir aufdrängenden Schwächen und persönlichen Anlagen verdemütigen mich und lassen mich meine absolute Armut und Nichtigkeit noch tiefer erkennen.

1363 |        Sonst werde ich auf dem gestern gezeigten Wege weitergeführt und bin ich bei der hl. Kommunion darin gefestigt worden, die Führung Jesu in der besagten Form aufzufassen. –

1364 |        Es wurde mir ferner erklärt, auch das äußere Erleben der Sünden, wie es sich bei den Menschen im Umgang mit ihnen gibt, gehöre in den Bereich der Sühne und des Erlöserlebens Jesu geradeso wie das innere Erkennen des Falles der Menschheit.

1365 |        Ich erlebe auch im Erkennen den unaussprechlichen Grad des Losgelöstseins von allen äußeren Hemmungen seitens der Geschöpfe, von irgendwelcher persönlicher Anhänglichkeit sowie die innere vollkommene Befreiung und Lösung von meinen eigenen Einflüssen bzw. auch vom Mitleid mit mir selbst und von Weichheit und Ängstlichkeit, kurz die völlige Abgestorbenheit aller möglichen äußeren und inneren Hindernisse und zugleich die volle innere Harmonie des Seins in Jesus, wie sie den fruchtbaren Grund seines Erlebens bildet.

1366 |        Ich bin ganz durchdrungen von der Überzeugung: Der liebe Heiland hätte keine ungeeignetere, schwächere, nichtswürdigere Seele finden können als mich. –

 

29.07.1941

1367 |        Anscheinend komme ich in ein neues Stadium in meinem Innenleben. Gestern schaute ich den kommenden Weg: Jesus will mich in die ständige Grundhaltung seines Herzens einführen, in sein Sein im Vater, in sein inneres Gebetsleben. – Durch die inneren Leiden schließe ich mein Leben ab; es bietet mir persönlich nichts mehr, auch geistig nichts zu genießen für mich persönlich; es geht in dem mir innerlich gebotenen Sein Jesu auf, ist einem anderen Wesen eingeordnet, lebt dieses und für dieses.

1368 |        Der liebe Heiland versprach mir gestern auch, ich würde in die innere Bereitschaft versetzt, sein Inneres erleben zu können; mein eigenes Bemühen dahin sei nutzlos; nur in den inneren Leiden soll ich mich entsprechend formen lassen. – Heute Morgen, nach der hl. Kommunion, hatte ich darüber noch mehr Licht. Ich verstehe, wie es in mir geschehen wird: Ich werde das Herz Jesu erleben; es wird so sein, als wäre es das Meine; ich werde in den Zustand seines inneren Lebens versetzt werden. (Ich habe kein Wort, um es genügend erklären zu können).

1369 |        Den ganzen Tag über war ich abwechselnd sehr im Leiden, dann kam wieder Licht, wie es mir werden wird; dazu die Bereitschaft: für mich gibt es nie mehr etwas; mein ganzes Sein geht im Erleben Jesu bzw. seines Inneren auf, das mein dauernder Zustand werden wird; durch den inneren Vereinigungsgrad wird es in mich übergehen.

1370 |        Jesus hat damit seine Absichten; er liebt und leidet dann mit seiner Liebe. (Ich habe kein passendes Wort, aber es ist mir sehr klar).

1371 |        Ich leide sehr, weil ich gerade im Übergang bin, wie jemand, dem alles weggenommen ist, was er zum geistigen Leben unbedingt braucht, der aber noch nichts dafür bekommen hat, noch kein inneres Dasein hat. Dazu leide ich unter meiner äußeren Existenzlosigkeit und der scheinbaren Aussichtslosigkeit des äußeren Werkes.

 

31.07.1941

1372 |        Ich leide sehr; doch kann ich meine Leiden nicht erklären. Ich bin innerlich und äußerlich wie existenzlos, heimatlos, verdemütigt von allen Seiten, allein, wie ein Vöglein, das kein Nest hat und nirgends eine Ruhestätte findet. Seelisch habe ich scheinbar jede Orientierung verloren. Ich habe keinen Ausdruck für die Größe meiner Leiden. – Dennoch bin ich in großer Ruhe, obwohl ich nicht weiß, wie alles noch enden wird. – Aber, O Herr, ich will leiden, alles andere mache du! – – –

 

August

01.08.1941

1373 |        Ich bin in unaussprechlichen, inneren Verdemütigungen wie begraben. Niemals noch hat – so ist mir – so ein Nichtsnutz gelebt, wie ich bin. All meine früheren Fehler stehen wie zum Hohn vor mir und ich finde auch in meinem jetzigen Leben nichts, was mich rechtfertigen könnte. – Es ist wie ein großes Feuer in mir, in das ich zum Verbrennen geworfen bin, weil alles in mir nur der Vernichtung wert ist. Das dauerte die ganze Nacht hindurch so an, obwohl ich sonst ziemlich gut geschlafen habe. Das Höhere in mir schlief nicht und das Bewusstsein meiner Niedrigkeit stand immer beschämend vor mir. Ich bin ob meiner Nichtigkeit ganz unaussprechlich beschämt und muss immer darauf schauen und das vergrößert die innere Qual.

1374 |        Trotzdem bin ich in Frieden. Ich bin überzeugt, dass nur diese Verdemütigung mir zukommt, und gegenüber der inneren Überzeugung, die ich von meiner Nichtigkeit habe, ist es immer noch zu gelinde wie ich mein Nichts und meine grenzenlose Armseligkeit erfasse und schaue. – Ich bin bereit, mein ganzes Leben in diesem Zustand zu verbringen, denn das wäre dann die Wahrheit von mir. –

 

02.08.1941

1375 |        Die schweren inneren Leiden sind nun abgeflaut und ich bin in großem Frieden. Ich bin auch für alles bereit, was nun kommen mag. Durch die innere Einstellung, in die ich durch jene Leiden versetzt wurde, erkenne und erlebe ich: Jesus gibt mir sein Herz zum Erleben und Erleiden; es wird keine Ruhe und Befriedigung für mich mehr geben außer in seinem Herzen.

1376 |        Jesus will, dass ich glaube: Das Leben seines Lebens waren die ständigen Opfer und das Verzichten auf alles, was menschliche Ruhe und Genießen anlangt. Im göttlichen Sein aufgehen, Gott geben, was Gottes ist, das war der Inhalt seines Erlöserlebens.

1377 |        Gewiss, meine Seele ist in göttliches Erleben emporgehoben und schon an ständiges Verzichten auf alles Menschliche gewöhnt. Von da aus werde ich nun noch mehr über mich hinaus- und in Jesu Sein und Leben hineingehoben. Er will, dass ich ganz in dem seinen zufrieden bin und ganz darin aufgehe.

1378 |        Ich bin bereit, für immer in ihm zu sein, sein Leben zu leben und seinen Tod zu sterben. Er genügt. – (Ich habe kein Wort, um diese meine Bereitschaft zu erklären, in die ich durch die vergangenen Läuterungsleiden versetzt wurde.)

 

04.08.1941

1379 |        Nach einer kurzen Ruhepause am Samstag (2.8.) bin ich seither wieder sehr im Leiden. Die innere Vernichtung, die letzte Auflösung meines eigenen Seins ist wie ein geistiges Feuer, das mich verzehrt. Und doch bin ich so ruhig dabei, als würde ich nichts leiden.

1380 |        Ich glaube, durch diese inneren Leiden werden ganz besondere Kraftenergien in mir entwickelt bzw. von Jesus in mich hinübergeleitet und in Tätigkeit gesetzt. – Es ist auch dies ein merkwürdiges Geheimnis, dass man bei allem so in Frieden sein kann. Ich kann daraus erkennen, wie viele geistige Kräfte die Vereinigung mit Jesus mit sich bringt, oder vielmehr, in welch großem Maß seine göttlichen Kräfte in mir gebraucht werden; denn aus sich selbst könnte man niemals ein solches Maß von inneren Leiden ertragen. Und doch ist dies alles nur eine Vorbereitung auf die kommenden Leiden. – – –

1381 |        Dazu legt sich noch meine äußere verdemütigende Lage: Der Ärmste kann vielleicht seine Rechte mehr behaupten, als es mir meine Lage gestattet. Es heißt schweigen, immer schweigend leiden und tragen. Das bringt wieder mit sich die scheinbare Aussichtslosigkeit der äußeren, vom Heiland gewünschten98 Gründung, sodass man in Verdemütigungen wie begraben liegt. Und doch ist eine Überzeugung in mir, die nicht von mir sein kann. Gerade dieses Kreuz, dieses scheinbar aussichtslose Kreuz ist meine ganze Hoffnung. Durch diese großen Leiden wird der Sieg Christi und seiner Absichten vorbereitet. Jesus kann keine Schwächlinge und Feiglinge brauchen; durch das Leiden wird Überwindungskraft in der Seele erzeugt und in dieser Kraft, zusammen mit seiner Gnade und seinem göttlichen Lichte, müssen alle bestehenden Schwierigkeiten überwunden werden. Darum nur nicht schwach werden! In Christus ist Kraft für alles. In ihm haben die hl. Märtyrer alles überwunden und alle großen Werke Gottes sind ein Sieg des Kreuzes. – Gewiss, es kann schwache Augenblicke und Stunden geben, wo man im Übermaß der inneren und äußeren Last meint: Es geht nicht mehr. Gerade haben mich solche Augenblicke übermannt. Aber Jesus in mir versicherte mir: „Und es wird doch.“

1382 |        Ich erfasse auch gut die innere Führung, die mich anleitet, über das Kreuz in Ruhe hinwegzuschreiten, als wäre es ein Blumenweg und nicht ein Dornen- und Leidensweg; sich auch nicht an das Leiden zu hängen oder unnötigerweise daran seine Kräfte zu vergeuden, sondern auch hierin ein Pilger zu sein. In Jesus lasse ich mich umformen in seine Pilgergesinnung, in der er nichts auf Erden sein Eigen nannte, auch nichts in sich selbst, weil ja alles dies vorübergeht. Er leitet mich an, auf den endlichen Sieg meine Hoffnung zu setzen und alle Kräfte nur im göttlichen Sein zu bewahren, wodurch sicher alles menschliche Entgegentreten überwunden werden wird. Nie aus dem Göttlichen herausgehen, alle menschlichen Kräfte im gebotenen Göttlichen zu bewahren, eines Lebens mit ihm sein und diesen Zustand habituell und dauernd werden lassen und bewahren: Das ist das Geheimnis der Überwindungskraft Christi. So soll ich mich immer als Pilger betrachten, der nichts sein eigen nennt auch nicht das Leiden, sondern dies als Mittel zum Siege betrachten.

1383 |        Ich spüre, wie ich so hineinwachse und umgeformt werde in Jesu Herz und allmählich mit seinen Gesinnungen leben kann. Teilweise kann ich es schon in der Kraft seines mir gegebenen Seins. Durch die Übung der Opfer und Leiden werde ich immer mehr in ihn umgeformt und in ihn eingeführt.

 

05.08.1941

1384 |        Morgens: Herr, ich will immer leiden, aber verborgen!

1385 |        Untertags: Ich bin in einer geheimnisvollen, inneren Umbildung, die sich nur im Leiden vollzieht. Es wird mir innerlich ständig „etwas“ geboten, das ich mir aneigne und gebrauche. Von diesem „Etwas“ sagte mir Jesus in der Kapelle: „Glaube mir, dass du mein Herz erleben wirst, das ich dir ständig anbiete.“

1386 |        Ich leide sehr. Es ist nämlich ein Gegensatz in mir wie Feuer und Wasser. Das Feuer muss gleichsam das Wasser verzehren und auftrocknen und es bleibt nur mehr das Feuer. Mit dem, was das Wasser „erleiden“ würde, bis es vom Feuer aufgezehrt ist, möchte ich meine jetzigen inneren Leiden vergleichen. Und alles vollzieht sich so intim, tief innerlich in mir; ich bin selbst der, dem das alles geschieht, und ich selbst trage die Folgen dieser geheimnisvollen Umwandlung. Es besteht da ein großer Unterschied zwischen früheren mystischen Vereinigungsgnaden und dem jetzigen Erlebe. Es ist gleichsam wie bei Kreisen, die einem gemeinsamen Mittelpunkte zustreben, dem sie immer näherkommen, bis sie das tiefste „Ich“ des Seins der Seele treffen; die Gnaden machen die Vereinigung mit Jesus immer kürzer, direkter, unmittelbarer, bis sie schließlich den Mittelpunkt der Seele selbst, das Persönliche der Seele, treffen, wo sich dann die geheimnisvolle Umgestaltung in ihn vollzieht. Darum werden auch die Leidensreflexe, die Läuterungsleiden, die jene geistige Umwandlung vollziehen, immer schärfer und durchdringender, je näher man seinem Herzen kommt. So wie die Sonne jedes Lebewesen in der Nähe verbrennen würde und wie nur ein sonnenähnliches Wesen in ihrer Nähe existieren könnte, so ähnlich erlebe ich dieses geheimnisvolle Teilnehmen am Heiland in mir.

1387 |        Die inneren Leiden werden verursacht durch das Unendliche, das man in seinem Herzen erfährt und erlebt. Sein Leidensmut und Opfergeist ist unermesslich, andauernd und beharrlich; da kommt nun die schwankende, wenn auch gut gewillte Seele in unmittelbare Berührung mit diesen gottmenschlichen Vorzügen, und der unwillkürliche Gegensatz scheint unerträglich und löst dadurch diese inneren Leiden aus. Ich werde unmittelbar in diese seine Opferbereitschaft hineingezogen, erlebe sie, als die meine – und das bildet den besagten Gegensatz.

1388 |        Ebenso scheinen die Geduld und der göttliche Gleichmut des Herzens Jesu der armen Seele unerträglich. Es scheint, wie wenn eine Hand ins Feuer gehalten würde und sich nicht davon entfernen könnte, bis schließlich die Hand brennt und dadurch vom Feuer gehalten wird; so war seine Geduld und sein Gleichmut im Wesen seiner göttlichen Liebe, nur von der Liebe getragen, gestützt und gehalten. – Alle Vollkommenheiten des Herzens Jesu sind nur von der göttlichen Liebe gestützt und genährt, von der göttlichen Liebe, von der sein menschliches Herz erfüllt war. Dieses Herz war Träger und Gefäß der göttlichen Liebe, worin sich alle göttlichen Vollkommenheiten gesammelt haben.

1389 |        Diese verschiedenen Vollkommenheiten Jesu in sich in Fülle zu erfahren und zu erleben, löst immer wieder in mir etwas wie einen Seufzer aus: Es ist unerträglich, es ist unerträglich! Aber im tiefsten Sein in mir widerspricht das höhere Verlangen der leidenden Natur mit der sehnsüchtigen Bitte: Noch mehr, O Herr! – Das wiederholt sich den ganzen Tag. Ruhe scheint erst dann zu werden, wenn das Brennende in mir zum Feuer selbst geworden ist.

1390 |        Ein anderes, großes und geheimnisvolles Leiden Jesu war die Beschränkung durch seine menschlichen Kräfte, besonders durch den menschlichen Verstand. Wohl besaß Jesus immer die göttliche Allwissenheit, aber dies strömte ihm unmittelbar durch das Einssein mit dem Vater zu. Als Mensch fühlte er sein Wissen insofern beschränkt, als sich das göttliche Licht und Wissen den menschlichen Kräften harmonisch anpasste. Nun war wohl sein menschlicher Verstand vollendet und vollkommen, aber es war eben doch der Verstand eines wahren Menschen, „In allem uns gleich, die Sünde ausgenommen“. Jesus litt unter dieser Beschränkung durch die menschlich begrenzten Kräfte, ähnlich wie wenn jemand sich bewusst wäre, dass er seinen früheren Verstand verloren oder dümmer geworden wäre. – Ich erlebe ein ähnliches Leiden dadurch, dass die früheren Erkenntnisse und Erlebnisse verdunkelt sind, gleichsam zugedeckt, wie etwa die Ziegel eines Hauses durch den Mörtel.

1391 |        Und erst das göttliche Schweigen und die Verborgenheit Jesu! Fast 2000 Jahre z. B. hat Jesus geschwiegen von den Leiden seines Herzens und hat dieses Sein Innerstes, Verborgenstes, Geheimnisvollstes erst unserer Zeit aufbewahrt. Welcher Mensch könnte so lange schweigen? – Der liebe Heiland hat mir schon früher gesagt: Ich habe es noch niemand „so“ erfahren lassen, worauf ich dich vorbereite; es sind die Geheimnisse meines Herzens.) Das ganze Priesterwerk aber wird eine Frucht dieser inneren Leiden Jesu Sein. Die göttlichen Früchte seiner Leiden sind ihm immer noch gewiss und werden unfehlbar in den Seelen fruchtbar werden. – Der Mensch freilich möchte sogleich oder doch bald die Früchte seiner Bemühungen genießen. Jesus aber hat Zeit.

1392 |        Jetzt verstehe ich erst klar, was ich vor 15-20 Jahren nicht so recht begriffen habe, als Jesus mich innerlich so oft an sein Herz zog und mir sagte: „Ich will dir die Geheimnisse meines Herzens offenbaren. Du wirst mein Herz erleben“. Und ich erlebte damals schon eine göttliche Überfülle. Wenn ich aber dabei meinte, in seinem göttlichen Sein aufgelöst zu werden, fügte Jesus oftmals bei: „Es wird dies einmal ein dauernder Zustand werden. Es wird dies dann dein gewöhnliches Leben sein“. –

 

10.08.1941

1393 |        Keine innere Teilnahme an Jesus bzw. sein inneres Erleben entwickelt sich weiter. Es vollzieht sich aber alles in ununterbrochenen Leiden, die in der Ausschaltung meiner eigenen Verstandestätigkeit und meiner persönlichen Einflüsse bestehen.

1394 |        Ich möchte diese meine eigene Ausschaltung mit einem Fernrohr vergleichen. Der Astronom, der die Sternenwelt erforschen will, bedient sich des Fernrohrs, um störende Nebeneinflüsse und Bilder auszuschalten, die seinen Blick in den Himmelsraum hindern würden. Zugleich bringen die feinen Instrumente und Gläser des Fernrohrs die Sonnenwelt gleichsam näher und lassen sie klarer erkennen und unterscheiden. Durch eine kleine Öffnung, durch das Rohr, schaut der Astronom in den Himmelsraum und das Dunkel im Fernrohr wird ersetzt durch künstliche Lichtempfänglichkeit. – In ähnlicher Weise bin ich mir selbst und den äußeren Einflüssen weggenommen. Ich erlebe eine besondere Erhöhung, ja, eine vollständige Ausschaltung meiner eigenen Geistestätigkeit, die das einströmende göttliche Licht wohl sehr stören wurde.

1395 |        Für die eigene Natur bedeutet diese Umstellung ein beständiges Leiden. Dafür werden aber neue Kräfte in Tätigkeit gesetzt; das schon teilweise bestehende Erleben Jesu wird durch die höhere innere Umbildung immer mehr ermöglicht, gewinnt an Kraft und drängt immer mehr zur Selbsttätigkeit und zum persönlichen Erleben. Mein früheres Sein wurde ja durch die innere Umbildung immer mehr verdrängt, und die Erlebnisse des Inneren Jesu werden infolgedessen zu direkten, unmittelbaren, eigenen Erlebnissen. Diese innere Erhebung und das völlige Verlassen des Eigenen werden in mir zur Grundvoraussetzung des unmittelbaren Erlebens Jesu als eines eigenen Erlebnisses. Je größer die Entfernung von sich selber wird, desto greifbarer und erfassbarer bildet sich in mir Jesu Innenleben aus.

1396 |        Seit gestern erfasse ich wie noch nie das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit, das Wesen Gottes in sich. Ich schaue in Gott fortwährend drei Bewegungen und Tätigkeiten: Der „Vater“ erzeugt in sich das „Wort“, die ständig ausströmende und erschaffende Liebe Gottes. Das „Wort“, durch das alles geschaffen wurde und durch das sich die Liebe des Vaters zeigt, ist die zweite Person in Gott, vollkommen in sich frei und seines göttlichen Seins sich bewusst: Göttliches Ausströmen, das die zweite göttliche Person erzeugt. Die Bewegung zwischen Vater und Sohn, die das Ausströmen des „Wortes“ verursacht, wird ermöglicht und gleichsam veranlasst durch die dritte göttliche Person, weil die ewige göttliche Liebe alles verursacht, erzeugt und fruchtbar macht. Ich schaue alle drei Arten von Bewegungen voneinander geschieden, jede in sich ihrer besonderen Tätigkeit bewusst, die aber in sich nur eine ist, einem Wesen eigen. – Ich schaue das „Wort“, das in der Zeit vom Fleische umkleidet wurde, um die Liebe des Vaters kundzutun. Nachdem Gott-Vater durch die Erschaffung besonders seine Allmacht gezeigt hat, zeigt er durch das „Wort“ und dessen Menschwerdung besonders seine Liebe. Das Wort ist wesenhaft Gott von Gott, Gottes Liebe, wodurch Gott sich offenbart und zeigt, sich sichtbar zu erkennen gibt und menschlich spricht. Und dieses selbe Wort ist Fleisch geworden. Das, was Gott kundtun wollte, was ihm selbst ausströmt, was seine Liebe ständig in ihm hervorbringt, das ist der Menschensohn geworden. Also ist Christus die Liebe, die der Vater sendet, seine Liebe.

1397 |        Und das Wort war infolge der einen göttlichen Wesenheit immer untrennbar im Vater, auch während seines Erdenlebens. Ich erfasse so gut diese göttliche Untrennbarkeit, weil der Vater sich ja ständig durch den Sohn offenbart. Wohl war Jesus seiner menschlichen Natur nach veranlasst, auf unsere menschlichen Wege und Weisen mit dem Vater zu verkehren – weil er sich dieser menschlichen Natur ganz wie ein gewöhnlicher Mensch überantwortet hatte – aber durch seine wesenhaft göttliche Anlage war sein Einssein mit dem Vater immerwährend. Seine menschliche Seele besaß allezeit Gott, aber nur die göttliche Wesenhaftigkeit, während der Erlöser, zeit seines Erdenlebens das Genießen seiner göttlichen Wesenhaftigkeit abgelegt und auf seine göttlichen Rechte verzichtet hatte. – Im Augenblick seiner Menschwerdung begann seine Entblößung, sein Verzicht auf das Genießen dessen, was Gott ist, begann sein Erlöserleiden. Das „Wort“ nahm Fleisch an, entblößte sich allen göttlichen Rechtes und in der Knechtsgestalt, um des Falles der Menschheit willen, gab es Gott, was Gottes ist. – – –

1398 |        Was ich in wenigen Augenblicken so klar erkenne und begreife, dazu brauche ich viele Worte, denen noch dazu die volle Klarheit mangelt. – Die jetzige Art des Erkennens ist auch nicht, wie früher, die Art des „Schauens“, obwohl ich kein anderes Wort dafür habe. Es ist vielmehr ein Durchfühlen, Durchleben, Durchdringen des göttlichen Geheimnisses. Es ist eine Bestätigung des früher Geschauten, ein Erleben, das sich in mir selbst vollzieht, sodass ich im Durchfühlen und Durchleben bestätigen muss: Ja, es ist so; das ist Gott; das ist der Erlöser, die menschgewordene Liebe, von der Liebe des Vaters gesandt.

1399 |        Heute Morgen habe ich dieses Geheimnis in der einfachsten Weise erlebt und durchfühlt, wie wenn es nun meine Eigenheit wäre und meiner Anlage entspräche. Ich schaute den „Ratschluss“ Gottes: „Lasset uns den Menschen machen nach unserem Ebenbild und Gleichnisse!“ – Ich erfasse die von Gott geschaffene Anlage der Menschenseele, die für göttliches Erfahren angelegt und eigentlich nur zu diesem Zweck geschaffen ist. Die Seele hat gottähnliche Anlagen, wozu auch die äußeren Anlagen des Schaffens, des Beherrschens und Regierens der Schöpfung gehören. Ich schaue diese gottähnlichen Anlagen des Menschen in seinen äußeren Betätigungen; ob sie sich nun zum Wohl oder zum Wehe der Menschheit auswirken, immer stammen diese Anlagen von Gott aufgrund jenes göttlichen „Ratschlusses“. Nach dem Ebenbilde und Gleichnis Gottes ist der Mensch geschaffen, mit dem Unterschied, dass Gott all seine Fähigkeiten aus sich selbst und ohne Bemühen besitzt, während das Geschöpf, der Mensch, seine naturhaft angelegten Fähigkeiten selbst herausholen, entfalten und durch entsprechendes Bemühen zu fruchtbarer Entwicklung und Fertigkeit bringen muss. Alles aber stammt von Gott.

1400 |        Ebenso ist es mit den höheren Anlagen der Seele. Die Möglichkeit, Gottes Wesen zu erforschen und zu durchdringen, ist nach Gottes Ratschluss und Liebe in der Menschenseele grundgelegt, weil Gott sich den Menschen, seinen Geschöpfen, zu erkennen geben und seine göttlichen Eigenschaften zum Genuss bieten wollte.

1401 |        Ich meine, der liebe Heiland hat mich dies erkennen lassen, weil mir manchmal doch ein wenig bange wird, wenn er mich in so großer Einfachheit und Selbstverständlichkeit seine tiefsten Geheimnisse durchleben lässt; und ich spüre, in welchem Maße sich das noch erhöhen wird. Da habe ich in mir die Beruhigung: Die Seele ist für göttliches Erkennen geschaffen; die Erkenntnis Gottes soll ihr vornehmstes Ziel sein. In meinem Falle sehe ich das als meinen besonderen Beruf und erkenne ihn wiederum klar: Die Person Christi, des Erlösers, in seinen inneren Geheimnissen erleben, so von ihm aufgenommen werden, dass sein Leben zu meinem eigenen Erlebnis wird, weil er sich in diesem Geheimnis besonders offenbaren will. – Ich werde in dieser geistigen Aufgabe eine ständige Steigerung erleben, werde mich nie darin vollendet fühlen, sondern eine immerwährende Entwicklung erleben. Vollendung würde mir erst in der Ewigkeit [sein], wenn ich das genieße, was ich auf Erden durchlebt und erlebt habe. Dort sei für mich die Zeit der Vollendung, der Sättigung und des Genießens des Erlebten und im Glauben Erfahrenen. – Ich sah auch: Ein Akt des Glaubens, auch im gewöhnlichen Seelenleben, bringt der Seele einst eine besondere Erfüllung des Geglaubten in der Ewigkeit. Auch auf diesem Gebiete gilt vor allem das Wort des Heilands: „Mit welchem Maße ihr ausmesst, mit demselben wird euch wieder zugemessen werden“. Gott will vor allem, dass man an ihn glaubt und ihn für das hält, was er ist. – Alles hier Geschriebene habe ich teils gestern Abend, teils heute früh bei der hl. Messe wiederholt in noch höherem Lichte erfahren. – – –

1402 |        Jetzt, am Nachmittag drängt mich das „Leben“, das ich lebe, immerwährend: Mich dem Inneren des Erlösers, das mir das meinige scheint, als eigenem Erleben hinzugeben! Ich soll glauben, dass ich Jesus so in mir zum eigenen Erlebnis besitze und dass sich die Vereinigung zu einem gleichsam wesenhaften Stadium entwickelt hat. Jesus verlangt immer wieder: Glauben, Glauben an das, was er in mir vorbereitet hat und was sich bis zur Erfüllung gesteigert hat!

1403 |        Gewiss, ich kann nur einfach und demütig bekennen: ich selbst erfahre ja mein Inneres in diesem Stadium; es braucht nur noch den Glauben, dass ich diese unaussprechliche Einheit in mir wirksam werden lasse; denn Jesus nimmt immer auf den eigenen Willen und die eigene Entscheidung Rücksicht. – Wenn ich schreibe, leide ich immer darunter, dass ich nicht die einfachen Worte in der einfachen Art gebrauchen kann, wie ich alles in Gott erfahre.

1404 |        Abends: Ich werde innerlich veranlasst, mich dem Erleben des Erlösers hinzugeben. Gemäß der inneren Führung bin ich dafür befähigt. Die unaussprechliche innere Entblößung und Losschälung hat mich geführt in den Zustand des Verzichtens der zweiten göttlichen Person, als sie die Menschheit annahm.

1405 |        In der Kapelle erlebte ich den Grad der Entblößung vom Genuss der Gottheit, wohinein sich Jesus als Erlöser im Augenblick seiner Menschwerdung begeben hat. – Ich erfasse dabei in mir auch den Weg der Reinigung und des Strebens nach Heiligung, auf dem der Heiland mich von Kindheit auf bis jetzt in unaussprechlichen Leiden und Prüfungen geführt hat, um dies erfahren zu können, um annähernd den Zustand erreichen zu können, den Jesus für notwendig hält, damit ich diese Geheimnisse erleben kann. Ich habe aber keinen Ausdruck für die Art der Entblößung von allem Geschöpflichen und vom eigenen sein, die erst befähigt, den Erlöser in seinen wesenhaften Fähigkeiten und Vollkommenheiten ertragen zu können.

1406 |        Durch das Versetzt-Werden in den Zustand des gewöhnlichen, menschlichen Seins des Erlösers, in die Grundhaltung seines Herzens, bin ich zugleich auch im Wesen Gottes bzw. im Vater, von dem der Sohn ausging, aber wesenhaft immer in ihm blieb. Es ist aber nicht eine Art der mystischen Vereinigung mit Gott, wie ich dies erlebe, sondern ich erkenne es als ein Aufgenommen-sein99 in Gott, ein Teilnehmen an Gott, das zurückströmt zu mir und mich durchlebt und trägt. Es ist ein Zustand in Gott, der schon ist und war und nicht erst gegeben wird und der nun mein Wesen und Sein ausmacht. Dadurch, dass ich in Gott eingegangen bin, werde ich teilnehmend an ihm im unmittelbaren Erfahren göttlichen Seins, in dem all das Feuer ist, das gibt, ernährt und durchdringt.

1407 |        Aus diesem Erleben heraus begreife ich Jesu Verzichten auf seinen göttlichen Genuss. Es ist ein dunkles Sein in Gott, das sich mir wesenhaft mitgeteilt hat. – Nachdem ich heute Morgen das „Wesen des Wortes“ erfahren habe, begreife ich auch den geistigen Zustand des Erlösers, sein Wesen als Gott im Vater. – Vom gewöhnlichen mystischen Erfahren Gottes, vom glückseligen jubelnden Gesättigtsein von Gott, vom Verzichten auf all diesen Trost, bin ich nun geführt worden zu einem dunklen, wesenhaften Erleben Gottes, zu einem unmittelbaren Teilnehmen an seinen göttlichen Geheimnissen.

1408 |        Bei diesem ersten Erleben in der Kapelle konnte ich nur staunend erwägen: „Also das war der Erlöser; so war es in seinem gottmenschlichen Inneren!“ – Ich stehe aber knapp am Anfang. – So tief ist er herabgestiegen. – So lange und so schmerzlich musste ich hinaufsteigen, um das erleben und erfahren zu können. – Und doch ist mein Zustand nur der, wie ich ihn ertragen kann, wie er einem gewöhnlichen Menschen möglich und für Jesu Absichten notwendig ist. –

1409 |        Der liebe Heiland will, dass ich neu meine Hingabe bekräftige durch einen Akt des besonderen Glaubens an all die Geheimnisse, die ich in ihm erleben werde, angefangen vom heutigen Erlebnis.

1410 |        Ja, Herr, ich glaube, dass DU das bist, was ich in mir erfahre. Ich gebe mich ganz deinem Erleben hin und ich glaube, dass du es bist, dein Wesen als Erlöser, dein Inneres, deine Herzensgesinnung. Ich verzichte für immer ganz auf mich und opfere alle meine menschlichen Kräfte deinem Erleben, das du damit bewirken willst. Ich will dir ganz als Werkzeug dienen, dass dein Sein in mir möglichst klar und rein zustande kommen kann. Was ich mir erlebe, das bist du. – Aber alles soll sich nicht in mir vollziehen, sondern wie einstmals in Maria, in unserer Mutter. Ihr sei dieses Geheimnis deines Werdens in mir ganz anvertraut. –

 

11.08.1941

1411 |        Ich bin in einer merkwürdigen Veränderung in Jesu wesenhaftes Erleben hineingehoben, aber es ist so einfach, als wäre es das meine. – Im ersten Augenblick meinte ich, es müsse mich erdrücken, der Grad und die Art des Verzichtens sei unerträglich, das Durchlebtsein vom Göttlich-Wesenhaften müsse mich auflösen; aber jetzt kann ich es ruhig ertragen.

1412 |        Es gäbe noch vieles zu schreiben, aber es gibt kein menschliches Wort dafür. Es wirkt jetzt in diesem Erfahren so vieles zusammen, wovon ich früher nicht verstanden habe, zu welchem Zweck es diene.

 

18.08.1941

Über die Gesellschaft Mariens

1413 |        Die Genossenschaft geht hervor aus der besonderen Fürsorge Mariens für die geistigen Bedürfnisse der Kirche und entspricht unseren äußeren Zeitverhältnissen. Maria will in dieser Schwesterngenossenschaft gleichsam ihre mütterliche Liebe für die Kirche zeigen und will in den Schwestern das ausgeführt haben, was sie in ihrem Herzen als für unsere Zeit notwendig sieht.

 1. Der Zweck der Genossenschaft ist eine geistige Unterstützung der Priester nach dem Vorbilde Mariens. Die Gesellschaft sucht den Priestern das zu sein, was Maria den Priestern gewesen ist, so ganz vertraut mit den geistigen Nöten der Kirche, „ganz weit“ eingestellt und gewillt, mitzuhelfen, um eine geistige Erneuerung der Kirche herbeizuführen. Mit Mariens Augen und Einsicht will sie durch Gebet und Opfer hineingestellt werden in dieses Erneuerungswerk. Dies muss das geistige Ziel der Genossenschaft sein. Alles aber im Geiste Mariens, der Mutter des Erlösers und der Königin der Apostel.

 2. Die Genossenschaft muss so angelegt werden, dass auch höhere Stände, d. h. gebildete Fräulein, nicht nur der Mittelstand und der niedere Stand, da ein geistiges Betätigungsfeld finden. Ich schaue da eine weite, allen Bedürfnissen entsprechende Anlage ohne Engherzigkeit. Deshalb muss auch die äußere Anlage „modern“, den heutigen Verhältnissen angepasst sein. Es muss der vornehme Stand ebenso wie der niedere eine Einführungsmöglichkeit haben. Warum auch der höhere Stand? Weil er infolge seiner Vorbildung in besonderer Weise die Möglichkeit besitzt, die geistigen Nöte der Kirche zu erfassen und sich dafür zu opfern bzw. einzusetzen. Der geistige Zweck dieses Berufes ist ja Mitarbeit mit den Priestern bzw. mit dem Priesterwerk, ähnlich den Diakonissen der ersten Jahrhunderte.

 3. Der Gesellschaft Mariens ist noch eine halb weltliche Genossenschaft angegliedert, das Werk der Erneuerung der Familie, der zweite weibliche Teil. Aufgabe des ersten Teiles ist es, diese Mitglieder des zweiten Teiles zu unterstützen, ihre Ausbildung in dem von Gott gewünschten Geiste zu übernehmen oder doch dabei mitzuhelfen, ihnen ein Heim zu bieten, wo sie ihn allem nützlichen und praktischen Wissen unterwiesen werden, das ihr Beruf fordert. Die höhere geistige Ausbildung dieser zweiten Gruppe steht den Priestern des Werkes zu; alle frauliche Ausbildung erhalten sie von der Gesellschaft Mariens. Dieser unterstehen sie und bei ihr haben sie heim und Unterkunft. Von da muss das Werk der Erneuerung der Familie ausgehen als ein Werk Mariens. Es wird zur Zentrale für den fraulichen Teil und damit eine praktische Unterstützung der Priester. So ist der vom Herrn gewünschte örtliche Zusammenschluss begreiflich. Es muss „ein Werk“ sein und darf nicht getrennt werden. Die Gesellschaft Mariens soll ganz im Geiste Mariens auch in dieser Hinsicht, die Nöte der Kirche erfassen, um ihnen direkt abzuhelfen und wirksam an ihrer Überwindung mitzuarbeiten.

 4. Neben dieser Betätigung ist die innere Anlage beschauliches Leben mit Chorgebet im Geiste der Kirche. Die erste Gruppe soll in allem das Leben Mariens nachleben und dieses Marienleben in unmittelbarer Betätigung wirksam werden lassen, aber doch in Abgeschlossenheit, während die zweite Gruppe sich nach außen betätigt. Der innere Geist, und die besondere Eigenheit der Gesellschaft Mariens ist schon früher angegeben worden. Als besonderes Kennzeichen geht der Geist der Einfachheit, Demut und Liebe nach dem Vorbild Mariens, der Gründerin, und im Sinn des stillen Lebens in Nazareth.

 5. Ich möchte das nicht in der Form von sogenannten Chor- und Laienschwestern für die erste Gruppe ausgeführt haben. Doch sehe ich es nach der ganzen Anlage nicht anders möglich als in zwei Abteilungen, von denen jede sich entsprechend ihrer geistigen Ausbildung und ihren Vorbedingungen für diesen Beruf betätigen kann, wobei aber beide nur eine Familie ohne irgendwelche Abstufung bilden.

 

XX.08.1941

1414 |        Bei der letzten Aufzeichnung erwähnte ich zwar ein Erleben der höchsten Stufe der geistigen Entblößung, die sich beim Erlöser in seiner Menschwerdung vollzogen hat und die ich nacherleben und wodurch ich eingehen solle in die innere Gesinnung und in den Zustand Jesu. (Ich meinte, diese Stufe der inneren Entblößung und Entkleidung schon erreicht zu haben.) Aber in den letzten Tagen erlebte ich doch noch eine diesbezügliche Erhöhung, auch infolge der Veränderung meiner äußeren Lage, die nicht ohne entsprechende Losschälung möglich war.

1415 |        Zuzeiten bin ich ganz an Jesu Stelle, ich möchte sagen: Ich lebe seine Entblößung von allem eigenen Genuss. Jesus blieb in sich in seiner Wesenheit als Gott, im Übrigen aber fühlte er sich als gewöhnlicher Mensch, ein menschlich gelebtes, göttliches Sein. Es gibt keinen Ausdruck für dieses innere Erleben, das ich in mir trage.

1416 |        In besonderer Weise erfasse ich das Geheimnis: Jesu ständiges Sein im Vater. Der Vater zeugt jeden Augenblick den Sohn in sich, das Wort, das die menschliche Natur annahm. Er zeugt fortgesetzt das Wort, auch nach dessen Menschwerdung. Das ist ein wunderbares Geheimnis. Durch den Sohn offenbart sich der Vater sichtbar im Sohne. Diese göttliche Betätigung wurde nie unterbrochen, auch nicht, als das Wort fleischgeworden war. Das ist das wunderbare Sein Jesu im Vater, das immer „wird“ und doch immer gewesen ist.

1417 |        Das Geheimnis, das ich in der vergangenen Woche so geheimnisvoll schaute, kann ich jetzt durchdringen, erfahren, begreifen: Der Vater zeugt jeden Augenblick den Sohn auch in dessen Menschheit. Und doch erscheint der Heiland nach außen als gewöhnlicher Mensch. Sein Inneres, seine göttliche Wesenhaftigkeit liegt verborgen. Darin liegt das größte Geheimnis bei seiner Menschwerdung. Jesus ist wahrer Gott und fühlte sich und war auch in sich wie ein Mensch. So sehr hat er sich allen göttlichen Genusses und seiner göttlichen Rechte zeit seines Lebens entäußert. Aber gerade durch diese göttliche Liebestat ist Gott „sichtbar“ geworden: Gott zeigt sich im Sohn. Für die Menschen ist Christus ein sichtbarer Beweggrund des Glaubens geworden. Wir sehen nicht den Vater, aber wir sehen den Sohn – die Welt hat den Sohn gesehen –, durch den sich der Vater geoffenbart hat, und sich noch offenbart.

1418 |        Durch die göttliche Führung bin ich veranlasst, immer tiefer in diese göttlichen Geheimnisse einzudringen bzw. sie in mir zu erleben. Durch die besondere Art der Vereinigung mit Christus wird es zu meinem eigenen Erlebnis, kann ich es nacherleben und nacherfahren. Auf diesen Stufen der Vereinigung mit Christus wirkt nicht mehr die fühlbare Gnade des Einsseins mit Jesus, sondern die schon gegebene Gnade ist wirksam. Man ist aufgegangen in Gott und Gott strömt zurück in die Seele (um eine kleine Erklärung zu versuchen). Man erlebt diese göttliche Wechselbeziehung, ich möchte sagen, diesen göttlichen Austausch, zu dem sich Gott der Seele gegenüber herbeilässt [sic!]. Es ist „ein“ Strom geworden, der ununterbrochen „fließt“, obwohl die Seele auf diesen Gnadenstufen alles dies wie für100 gewöhnlich hält. Die Wirkung aber ist unaussprechlich. Es ist ein unaufhörliches „Nehmen und Geben“, ohne fühlbares Erfahren, aber umso wirksamer und wie selbstverständlich scheinend. Das Tor ist für immer geöffnet, die Hindernisse sind beseitigt. Der göttliche Strom wird selbst zum „Leben“, zum treibenden Leben, das alles in sich besitzt. Die Fülle dieses Lebens ist nun Gott selbst, der immer in der Seele zeugt und gleichsam neues Leben hervorbringt, sodass Gott sich gleichsam wiederfindet oder vielmehr der Vater seinen Sohn in der Seele wiederfindet, weil wir alles durch Christus empfangen haben. So wird Christi Leben in der Seele wiederholt, wo der Sohn die Frucht der Erlösung wird, und die Seele ist durch Christus eine Opfergabe für den Vater. (Natürlich ist es nicht so gemeint, als würde die Seele nun wirklich Gott …).

1419 |        Aus diesen eigenen Erfahrungen heraus begreife ich auch das „ständige Werden“ des Sohnes, auch in seiner Menschheit. Gott der Vater offenbart sich durch die „Tat“, durch das gelebte Sein des Sohnes.

1420 |        Ich erlebe auch die fortgesetzte eigene Entblößung, die notwendig ist als Grundlage für das Erleben dieses Geheimnisses. Nichts anderes soll für mich Bedeutung haben, denn dies ist mein Beruf: Christi Erlösungsgeheimnis erfahren. Jesus fordert restloses Mitgehen, vollkommenes Aufgeben des eigenen Seins, damit ich dadurch immer mehr in sein Sein eingehen könne, wodurch ich zum Erleber seines Seins werde. (Es gibt kein Wort, um diese Art des inneren Mitgehens ausdrücken zu können).

1421 |        Das oben Beschriebene lässt einigermaßen den Weg verstehen, auf dem ich innerlich diese „ständige Zeugung“ des Sohnes im Vater begreifen kann. Dies ist wohl das wunderbarste Geheimnis, das ich bisher erfahren habe.

 

23.08.1941

1422 |        In der vergangenen Nacht war ich immer in Leiden, obwohl ich eigentlich recht gut geschlafen habe. Es war ein ständiges „mich ganz verlassen“, mich verabscheuen, und zum Ersatz meines Eigenen Vom-sein-Christi-aufgenommen-werden. Wie in einem Spiegel sah ich mich selbst mit allem Gegensatz zu Jesus. – Morgens, bei der hl. Messe und Kommunion war ich ganz getrennt von mir, ich möchte sagen: Jesus erstand neu in mir, aber so, als wäre ich es.

1423 |        Diese schmerzliche Trennung von mir, die ich so stufenweise erlebe, ist eine neue Möglichkeit für sein Erleben, eine noch höhere Grundlage dafür. Wie viele Stufen des Verlassens meines Eigenen habe ich schon durchschritten? Und immer wieder meint man, schon am Ziele zu sein und ständig von Neuem steht man wieder wie vor eine Mauer, die den weiteren Ausblick verhindert. Es kommen dann neue Wege und Möglichkeiten zu einem noch höheren Erleben Jesu.

1424 |        Es bereitet sich auch eine große Aktivität in mir vor, eine Bereitschaft, in der Kraft seines Seins seine Absichten zu verteidigen.

1425 |        Eine solche Höhe des „Mich-verlassens-habens“ habe ich bis jetzt noch nie erlebt. Es tut mir unaussprechlich wohl, so ganz von mir getrennt zu sein, weil das Sein Jesu umso mehr in mich einströmen kann und mir unüberwindliche Kraft gibt.

 

24.08.1941

1426 |        Heute Morgen, und auch schon während der Nacht, war ich wieder in einem unaussprechlichen Zustand einer inneren Befreiung und Einkleidung von mir, ein Leiden, das ich mit keinem Worte erklären kann. Es schien mir: Ich muss vergehen, muss aufhören, ich bin nicht mehr, bin ein Sterbender, der mit dem Tode ringt.

1427 |        Aber aus diesem Todleiden erstand ein neues Leben in einer bis jetzt nicht erlebten Art, sein tätiges Leben in mir, oder besser gesagt: Ich lebe den Heiland an seiner Stelle; so sehr hat er mich überwunden und so stark lebt er mich. – In der Kapelle erneuerte Jesu das Wissen um seine Absichten und seinen Willen, und die Forderung, mich vollends gebrauchen zu können als Werkzeug zur Offenbarung seines Erlöserherzens für die Priester.

1428 |        Es ist eine merkwürdige Änderung in mir: Jesus offenbart sich mir durch mich selbst. Ganz intim, als er erlebe ich mich. Er gebraucht mich für sich. Ich bin der, durch den er sich offenbart im unmittelbaren Erleben seiner selbst. Er offenbart sich durch mich, im Erleben seines Seins an seiner Stelle. Ich diene ihm für sein Sein. Er will die Leiden seines Herzens in mir wiederholen als nochmals menschlich gelitten, damit sein Inneres offenbar werde für die Priester. – So klar wie heute habe ich seine Absichten noch nie erfahren, noch nie so unmittelbar seinen Willen erfasst.

1429 |        Ja, ich opfere mich dir, dass du dein Innenleben in mir wiederholen kannst, dass du als Gottmensch neu erkannt werdest – was du besonders deinen Priestern offenbaren willst. Nachdem ich aber dein Herz in so unmittelbarer Nähe erfahren habe, begreife ich auch, dass eine Wiederholung deines Innenlebens nur durch große Leiden in mir möglich sein wird. Dein Leben war ja vom ersten Augenblick an ein unerhörtes Opferleben. Von deiner Menschwerdung bis zu deinem Tode am Kreuz warst du ständig der Mittler zwischen Gott und den Menschen. Dieses, dein inneres Leben willst du besonders den Priestern zeigen und zugleich es ihnen bieten und darreichen mit dem Versprechen, es ihnen zu eigen zu geben. Du willst es ihnen schenken. Du willst damit deine Gesinnung in sie übergehen lassen, aus ihnen einen zweiten Erlöser machen und damit eine geistige Erneuerung deiner Kirche herbeiführen. Ich soll dir als Werkzeug dienen. Du brauchst dazu ein leidensfähiges Herz. – Und du willst meinen Glauben an dieses Wunder deiner Liebe, das du im Begriff bist, zu wirken.

1430 |        Ich will glauben, O Herr, so unbegreiflich es auch ist und so schwer mich auch deine Herablassung niederdrückt, wenn ich auf meine unaussprechliche Unwürdigkeit schaue. Aber du drängst mich: glauben, glauben im Vertrauen auf dich! – Ich erkenne auch: Alle bisherigen Leiden befähigen mich für das Erleben des Zustandes deiner Entblößung von deiner göttlichen Herrlichkeit bei deiner Menschwerdung. Ich werde dadurch in jenen Zustand geführt, dorthin, wo dein Erlöserleben angefangen hat. (Ich habe dieses augenblicklich so geschrieben, wie mir Jesus durch sich seinen Willen vernehmen ließ.)

 

26.08.1941

1431 |        Der liebe Heiland hat mich wohl deshalb hierher geführt, dass ich in einer anderen Art von Leiden geprüft werde, die seinen Absichten mit meiner Seele in anderer Weise dienlich sind. Geistig bedeutet dies eine Erhöhung der Leiden, freilich in anderer Form. Die Trennung von der Welt ist eine vollständige, die Einsamkeit noch größer. Diese Vorbedingung ist der führenden Gnade dienlich, eine noch größere Trennung in mir, bzw. von mir selbst, herbeizuführen.

1432 |        Es geht jetzt innerlich wirklich auf Leben und Tod; habe ich früher schon viel innerlich gelitten, jetzt geht es auf das Tiefste. Es gibt keine Möglichkeit mehr, mich an etwas zu klammern, es ist nichts mehr vorhanden, weil alles abgeschnitten ist. Nur Gott weiß, was ich zu Zeiten leide. Ich habe auch keinen Wunsch nach Erleichterung, weil jeder eigene Wille tot ist und weil ich blind von anderen Kräften geführt werde, die ich selbst will und in denen ich aufgegangen bin.

1433 |        Ich bin jetzt wohl in das Stadium eingetreten, wo ich, wie mir früher vorausgezeigt wurde, endlich in die Person Christi eingehe. Ich habe mich ganz verloren, auch das Bewusstsein meines Seins. Ich bin weit von allem Irdischen getrennt; es ist wie ein leerer Raum, der aber alles besitzt und nirgends Mangel hat. Aber doch so arm und klein, dass ich jeden Augenblick von dem innerlich Gebotenen nehmen muss. Dies lässt sich mit keinem Wort ausdrücken. Die Leiden sind oft derart, dass ich meine, darunter zusammensinken zu müssen, wenn ich nicht von unsichtbaren Kräften getragen würde. Es gibt aber Kraft in mir im Überfluss, soviel, dass ich darunter leide. Dies weist auf noch größere Leiden hin und gibt zugleich das Verlangen nach Leiden.

1434 |        Nach all diesen Leiden scheint es, dass ich bis jetzt immer noch Stützen an mir selber hatte, die aber jetzt weggenommen sind. Darum dieses „von mir entfernt sein“, aber auch die „Bedürfnislosigkeit, mich weiter zu besitzen“. Es MUSS gerade DAS gelitten sein, soll ich, ganz von mir, und zwar auf die Dauer getrennt, mit dem Jesus-sein verbunden sein oder, wie ich es jetzt innerliche erfahre, in seine Person eingehen, um seine Innerlichkeit nacherleben zu können.101 Es ist unmöglich, all das in den Leiden erfahrene in Worten auszudrücken. Es sind die wunderbaren Erlebnisse der Person Christi, des Wortes, das Mensch geworden ist. – So war Jesus; das war die göttliche Person des Sohnes, der der Menschheit eingewohnt hat. Er ist nicht von der Erde wie wir. Er kam von der Ewigkeit. Er kam vom Vater. Er ist das Wort selbst. – Dieses Erfahren lässt sich mit keinem Wort ausdrücken. Es ist wie ein inneres „Befühlen“ und Bestätigen des früher Erfahrenen. Ich kenne Christus in seinem inneren Wesen, ich kenne den Menschensohn. „Der“ wohnt in der menschlichen Natur Christi.

1435 |        Ich begreife nun auch das Bild des Heilandes, das mir einst, vor ungefähr einem Jahr, gezeigt wurde. Ich hatte schon lange Jahre den Heiland gebeten, er möge mir einmal sehen lassen, wie er als Mensch ausgesehen hat. Ich wollte Jesu menschliches Angesicht und seine menschliche Gestalt kennen. Vor einem Jahr schaute ich unvermutet, ohne irgendeine Vorbereitung, Jesu menschliches Aussehen, nicht mit menschlichen Augen, sondern mir geistig sichtbar doch gut wahrnehmbar, und sein Aussehen prägte sich mir ein. Jetzt, da ich in so außergewöhnliche Weise die Person Jesu erfasse, begreife ich auch viel mehr den geheimnisvollen Gesichtsausdruck des Erlösers, weil doch sein inneres Wesen sein Angesicht belebte. Ich begreife auch das Wort des Judenvolkes: „Wie dieser hat noch keiner gesprochen“. Er kam vom Vater, von der Ewigkeit und das machte das Unergründliche seines Wesens, dem keiner widerstehen konnte. [sic!]

1436 |        Der Heiland war von großer Gestalt, richtig ganz männlich und nicht von weiblicher Süßlichkeit, wie man sein Bild oft darzustellen sucht. Er hatte ein längliches Gesicht, eine blassgelbe Hautfarbe; die Gesichtszüge waren von ernster Männlichkeit, nicht hart, doch fest, ohne irgendwelche Weichlichkeit. Die Stirn war ernst und majestätisch, die Nase lang, das Gesicht schmal und gut ausgebildet, voll ernster Schönheit. Der Mund ebenmäßig, das Kinn stark, überhaupt das ganze Gesicht das eines starken, gut ausgewachsenen Mannes. Die Haare waren ganz dunkel, aber nicht schwarz, sie hatten in der Mitte des Hauptes einen Scheitel und hingen zu beiden Seiten des Gesichtes lose herunter, doch schön geordnet. Aber das Tiefste, Unergründlichste waren seine Augen. Ja, er kam von der Ewigkeit. In diesen Augen lag das Unergründliche seiner Herkunft, seine Göttlichkeit. Sie waren dunkel, von einem geistigen Feuer belebt und lebhaft, voll Ernst und Gerechtigkeit, doch wieder voll Milde und Güte. Der Blick ging über die Erde, wieder der Ewigkeit zu, von der er gekommen ist. Von diesem seinem Blick strahlte seine Gottheit aus, etwas Bezwingendes und Beherrschendes, dem niemand widerstehen konnte. Das Wunderbarste im göttlichen Angesicht Jesu waren seine Augen.

1437 |        Es stößt mich seither immer, wenn ich diese weichlich-süßen Bilder des Heilandes sehe, mit den blonden Haaren und den blauen Augen und dem fraulichen Gesichtsausdruck. Er ist gerade das Gegenteil von dem, wie ich den Heiland sah. Er war ganz Mann von männlicher Ausgeprägtheit und hatte nichts von weiblicher Weichlichkeit. Ich habe Jesus genau gesehen: Wenn ich Zeichentalent hätte, so hätte ich ihn gut abzeichnen können.

1438 |        Ich habe auch den Heiland als Kind gesehen. Oftmals bat ich die liebe Mutter Jesu: „Lass mich einmal dein Kindlein sehen!“ – Es war um die Weihnachtszeit 1939, aber schon nach Neujahr 1940. Die Muttergottes kann ich aber nicht beschreiben. Ich hatte das geistige Gefühl, sie zeigte mir ihr Kindlein. Es hat auch nicht die Weichlichkeit anderer kleiner Kinder; es war schon stark und ernst und hatte nichts Märchenhaftes, das sonst auch kleine Knaben als Kinder haben. Das Gesicht war ernst, doch ungemein lieblich, ganz vergeistigt, voll Leben und Wirklichkeit und Weisheit und hatte nicht den stummen, nichtssagenden Ausdruck kleiner Kinder. Es lag schon das Anziehende, das Göttliche darin, der Ernst der Sendung, seine grenzenlose Liebe und seine göttliche Herkunft. Das Gesicht war länglich und blass-gelb, aber nicht krankhaft, sondern voll großer Natürlichkeit, die in ihm ausgeprägt war. Es war merkwürdig: Wie ich das Kind sah, war es klein, wie Kinder in den ersten Monaten. Es fing an, vor mir zu wachsen, wurde ein Jahr alt (nach der Größe zu schließen), einige Jahre, ein lieblicher Knabe voll lieb-ernster Schönheit; es lag etwas ganz übernatürlich-göttliches in seinen Augen, in dem gütig-ernsten Blick. Solche Augen habe ich noch nie gesehen. Hier leuchtete das göttliche Wesen heraus und überstrahlte seine Menschlichkeit. Das Kind wurde 10-12 Jahre alt, immer diesen ernst-erhabenen, übernatürlichen, gütigen Gesichtsausdruck tragend. Es wurde ein Jüngling von 18-20 Jahren; ich kann mich dessen noch so gut erinnern, wie Jesus als erwachsener Jüngling aussah. Er wurde vor mir zum Mann und wurde diese ernst-gütige Gestalt, wie ich ihn beschrieben habe (das andere Gesicht, das ich zuerst beschrieben habe, hatte ich aber später).

1439 |        Immer, schon als Kind, trug der Heiland dieselben Grundzüge seines Antlitzes wie im Mannesalter. Da war nichts von weiblicher Weichlichkeit. Er war voll ernster Männlichkeit, voll unaussprechlicher Milde und Güte, voll Anmut und Erhabenheit. Er trug ein langes, fast gleichweites Gewand bis zu den Füßen reichend, mit weiten Ärmeln. Ich habe noch nie einen solchen Mann gesehen, von solch erhabener Größe, ebenso wenig ein solches Kind von solch erhabener Kindlichkeit und Natürlichkeit. Es gibt keine Ähnlichkeit, weil eben seine Göttlichkeit seine Menschheit bildete und überstrahlte und beherrschte. Als ich nachher das Bild Jesu nach dem Leichentuch von Turin sah, fand ich die erste Ähnlichkeit. Ja, so waren seine Gesichtszüge, so die Bildung seines göttlichen Hauptes, so war der lebende Christus, wie ich ihn geschaut habe.

1440 |        Jetzt, wo ich in diesen Tagen in so unaussprechlicher Weise innerlich die Person Christi erfahre, kommt mir das geschaute Bild Jesu noch mehr in Erinnerung. Das war der Ausdruck seiner göttlichen Person. So mochte sich seine Göttlichkeit in menschlicher Weise gezeigt haben; das konnte wahrlich der menschliche Ausdruck seines Innenlebens gewesen sein. Wenn schon oft im gewöhnlichen Leben die Seele sich auf dem Angesicht zeigt, mit all den guten und bösen Anlagen, so muss dies umso mehr beim Gottmenschen der Fall gewesen sein. Dessen Göttlichkeit konnte nicht ganz verborgen geblieben sein; seine göttliche Liebe und Güte muss auch dem Äußeren eingeprägt gewesen sein. Es war wohl die größte Sehenswürdigkeit, Christus in seiner menschlichen Gestalt gesehen zu haben, wie er unter den Menschen wandelte, der Menschen größter Sohn, ein Gott in Menschengestalt.

1441 |        Man kann aus seiner Erhabenheit auch begreifen, dass seine Jünger alles verlassen haben und ihm nachgefolgt und bei ihm geblieben sind und ihr Leben für ihn geopfert haben; dass Tausende ihm nachgelaufen sind bis in die Wüste, und ohne Brot bei ihm ausharrten und sich nicht losreißen konnten. Es waren die Strahlen aus seinen göttlichen Augen, die dieses Hingerissen-sein verursachten, die nicht ohne Wirkung bleiben konnten. Bei den Guten löste seine erhabene Erscheinung Liebe und Hingabe und Glauben aus, bei den Bösen Hass und Abneigung gegen ihn. – So ist Christus heute noch zur Entscheidung für jede einzelne Seele und für ganze Völker geworden.

1442 |        Ich habe heute wieder, obwohl ich sehr leide, über meinen inneren Weg viel Licht empfangen. Jesus will sein Inneres seinen Priestern bzw. der lehrenden Kirche zeigen; ich werde innerlich umgebildet in Jesus, sodass er mittels meiner Leidensfähigkeit dies ausführen kann. Ich gehe in seine Innerlichkeit ein, in seine Person. – Es sind nur einfache Worte, die ich gebrauchen kann, und immer die gleichen, aber was hat das für mich für eine Bedeutung! Welche Leiden schließen sie ein! – Ja, es ist wahr, was Jesus mir gesagt hat über diesen inneren Übergang: „In großen Leiden wird sich deine innere Umbildung vollziehen.“

1443 |        Und doch kann ich nicht zweifeln an den Absichten Jesu, die meine innere Umformung bestätigen. Ich bin weit entfernt von mir, wie jemand, der nicht ist und doch sein muss, der sich verloren hat und dafür ein anderes Wesen angenommen hat, das aber jetzt doch das meine scheint. Und doch bleibt alles so „gewöhnlich“ bei mir, ja, ich werde immer noch kleiner und einfacher und eine unaussprechliche Opferbereitschaft ist mein eigentliches Leben; ich bin Gott gegenüber unersättlich. Wenn ich leide, dass ich meine, es könne nicht mehr höher gehen, dann habe ich die größte Befriedigung; bin ich in leichterem Zustand, so bin ich nicht befriedigt. Es verzehrt mich das Verlangen nach Vollendung, die sich nun im Leiden vollziehen kann. Ich trage ein verzehrendes Feuer in mir, das Christus ist.

 

28.08.1941

1444 |        Es gibt keinen Ausdruck für meine inneren Erlebnisse, weil alles zu geistig erfahren ist; und doch ist mir alles so klar und das Wirken der göttlichen Gnade und die Veränderung, die sie hervorbringt, erhöhen sich fortwährend; ich lebe Jesus in mir. Ich werde innerlich mitgenommen und ein inneres Feuer ist in mir tätig.

 

September

02.09.1941

1445 |        Drei Tage lang wusste ich jetzt nichts von meinem Innenleben; es schien abgeschlossen, oder ich hatte den vorher als Ziel gesetzten Zustand schon erreicht. Heute früh nun, bei der heiligen Messe, war ich gleich ganz über mich hinausgehoben, mehr noch als sonst, obwohl ich auch im letzten Zustand mich nicht mehr berührte. Ich hatte in mir das Wissen, und Jesus ließ mich vorausschauen: Er wolle mir eine ganz besondere Gnade geben; es sei die größte von allen bisherigen Gnaden, die er aber besonders für seine Absichten gebe. Es war auch die Gewissheit damit verbunden, ich käme anderswohin; ich glaubte darunter wieder das „Herz-Jesu-Kloster“ verstehen zu müssen, und ich hatte in mir die Bereitschaft, alles für ihn zu opfern und dorthin zu gehen, wo dann alles in Ordnung käme.

1446 |        Ich meinte zunächst, dies sei schon das Neue, was Jesus mir mitteilen wolle. Es war eine große Kraft, die ich nicht selber war, die mich ganz erfüllte, es war ER. – Bei der dritten heiligen Messe aber erhöhte sich unvermutet mein früherer Zustand und ich erlebte Jesus in einem neuen Maße in seinem gottmenschlichen Leben, sein Leben als Gott und Mensch, das ein göttliches und doch menschliches Leben war.

1447 |        Es wurde mir darüber erklärt: Jesus lebte als Mensch den „Habitus“ als Gott weiter, den er nie ablegen konnte infolge seines göttlichen Wesens; sein menschliches Leben war ein göttlicher „Habitus“ als Mensch. – Ich kann mich nicht besser ausdrücken, kann nur das nackte Wort gebrauchen, das aber so viel an innerer Erkenntnis in sich schließt, weil ich es so genau begriffen habe.

1448 |        Ich schaute dann den Habitus in den verschiedenen Stufen des mystischen Lebens: Auf den unteren Stufen besteht der Habitus in „Gefühlen“ und einer Bemühung, die im Willen liegt; es ist eine besondere Gnadengabe, aber noch nicht dauernd; daher auch die große Gefühlstätigkeit der Sinne usw. in den Anfangsstadien. – Mit dem fortschreitenden geistlichen Leben wird dieser Habitus oder das wirklich übernatürlich gelebte Leben immer mehr vertieft und vergeistigt und das Gute und die Tugenden werden zu einer wesentlichen Gewohnheit in der Seele.

1449 |        Auf den höheren Stufen und in den Graden der vollkommenen Vereinigung, und darüber hinaus, wird dieser Habitus ein wirklicher Dauerzustand, der Seele wirklich eigen; es wird ihr Wesen und braucht keine weitere Bemühung. Die Hindernisse, die einem dauernden Tugendleben entgegenstehen, wurden ja schon in den Reinigungsstufen entfernt, und die so geläuterte Seele bringt das Tugendleben leichter und sozusagen ohne Mühe oder wenigstens ohne besondere Mühe fertig. Die höhere Vereinigung mit Gott hat schon das Übergewicht in der Seele erlangt, und das Böse in der menschlichen Natur ist schon zurückgedrängt.

1450 |        Es gibt aber noch einen höheren Habitus, wo die Seele das göttliche Leben Christi schon so wirksam in sich trägt, dass es die dauernde Befähigung zu allem Guten bildet. Dieser Habitus ist dann „naturhaft“ geworden.

1451 |        Bei Gott gibt es nur einen „göttlichen Habitus“, der seiner göttlichen Vollkommenheit eigen ist, der immer gewesen ist und sich nicht vermindern oder steigern kann. Bei der Menschwerdung Christi bleibt dieser göttliche Habitus dem Erlöser eigen. Er konnte ihn niemals ablegen, weil er sonst aufgehört hätte, Gott zu sein. Er lebte als Mensch diesen göttlichen Habitus weiter, der ihm auch in seinem menschlichen Leben absolut eigen war.

1452 |        In Maria war ein entsprechender Zustand schon bei ihrer Empfängnis grundgelegt, durch ihre Unversehrtheit von der Erbsünde und deren Folgen, der Begierlichkeit. Er erhöhte sie102 immer mehr bis zu ihrer göttlichen Mutterschaft. Es war schon immer ein bleibender, aber doch sich immer mehr entwickelnder Zustand, wodurch sie fähig wurde, Christus jenes menschliche Leben zu geben, das fähig war, göttliches Wesen zu tragen. So war in Jesus der göttliche und menschliche Zustand (nicht der Naturen) ineinandergeflossen und es war auch dem Leibe Christi oder seinem leiblichen Leben die Möglichkeit gegeben, Göttliches und göttliche Vollkommenheiten in sich zu tragen und wirksam werden zu lassen. Die göttliche Person Christi wurde Haupt und Träger der menschlichen Natur, diese war ihm ganz Untertan und es wurde so ein gott-menschliches Leben gelebt.

1453 |        Der göttliche Habitus wurde sein gott-menschlicher Zustand und seine Eigenheit. Aber gerade dieser Zustand bildete das größte Geheimnis seines Erlöserlebens, in dem göttliches und menschliches Sein zu einem [sic!] harmonierte und sein göttliches Sein ständig „neu“ vom Vater hervorging, obwohl Jesus in sich ein vollständig selbstständiges Wesen war. In diesem Geheimnis der gottmenschlichen Einheit liegt eigentlich das größte Wunder der Liebe Gottes und des Innenlebens des Erlösers.

1454 |        Heute nun hat mir Jesus versprochen, er lasse mich an diesem seinem Habitus teilnehmen, weil das notwendig wäre zum Erleben seines Innenlebens. (Ich weiß ganz gut, worum es sich handelt, aber ich habe kein Wort dafür; es ist zu tief geistig erfasst.) Das Geheimnis seines inneren Seins wird mir durch die Vereinigung mit ihm mitgeteilt, nachdem ich dafür befähigt worden bin. Ich gehe somit ein in seinen geistigen Habitus, in seinen dauernden Zustand der Vollkommenheit, der für mich Mittel zum Erfassen seiner inneren menschlich-göttlichen Geheimnisse ist. – Das ist aber eine Gnade nur für meinen besonderen Beruf, nicht für gewöhnlich gegeben. Sie ist nicht Selbstzweck, sondern wird nur gegeben, weil eben Jesus das innere Geheimnis seines gottmenschlichen Seins den Priestern, bzw. der lehrenden Kirche offenbaren will. Jesus aber nimmt mich dazu, ich habe nichts dazugegeben, er braucht jemand dazu und es ist das Unglück – wenn ich es so sagen darf – dass ich der bin, den er dazu nimmt.

1455 |        Ich weiß ganz gut, wie sich das in mir auswirken wird, aber es gibt kein passendes Wort dafür. Er nimmt mich dazu, damit er es zeigen kann. Ich erlebe dieses Geheimnis im Erleiden dieses Zustandes. Er schenkt mir seine Vollkommenheiten – es sind ja die seinen –, dass ich damit leben und ihn leben kann. Es wurde mir dabei auch das Wort des heiligen Paulus erklärt: Ich lebe, doch nicht ich, Christus lebt in mir. Von da aus entwickelt sich mein Zustand: Ich lebe Christus. Er schenkt sich mir, dass ich damit ihn leben kann. Es ist eine besondere Gnade für unsere Zeit, für eine Erneuerung des christlichen Geistes dadurch, dass Christus mehr in einem neuen Verstehen erkannt wird. Diese Gnade dient besonders den Priestern: Damit schenkt sich ihnen der Heiland zu einem neuen, tieferen Innewerden seines gottmenschlichen Lebens, das bis jetzt noch mehr Geheimnis war.

1456 |        Der liebe Heiland will nun immer wieder meinen Glauben an seine Absichten. Ich muss glauben an seine Liebesabsichten, denen ich diene.

1457 |        Ich spüre aber, wie er schon in mir an der Arbeit ist und einen weiteren Weg, nämlich den oben beschriebenen, in mir vorbereitet. Er nimmt mich dazu. Ich gebe mich dazu her. Ich lasse mich gebrauchen „für ihn“. – Er nimmt mich schon zu dem oben Beschriebenen und ich habe Freude dabei, weil ich nun ganz aufhören und nur sein Sein leben werde. „Das seine bleibt immer“, so verspricht er mir. Das macht mich so glücklich. „Das seine bleibt immer“.

 

Oktober

27.10.1941

1458 |        Ich lebe eine große Qual des Verlangens, in Jesus vollendet zu werden. Diese verzerrende Sehnsucht ist größer als alle anderen Leiden der inneren Angleichung an ihn. Immer vorwärts, dem erschauten Ziele zu: Christus erleben in seiner Erlöseraufgabe, ihn erleidend erleben, seine inneren Vollkommenheiten mir gleichsam aneignend, weil ohne sie die Eigenart seines gottmenschlichen Innenlebens nicht klar genug erfasst werden könnte. Jesus führt mich immer tiefer ein in sich, oder besser gesagt, die schon erfasste Einheit mit ihm wird ein noch höheres Umgewandelt-sein in ihn, ein Durchlebt-sein von ihm.

1459 |        Bei all seiner ununterbrochenen Führung steht das Ziel in mir fest: Er teilt sich mir mit in jener geheimnisvollen Weise, die notwendig ist zum Erleben des gottmenschlichen Geheimnisses seines Seins, worin sich die Erlösung der Menschheit vollzogen hat.

1460 |        Den Ausgangspunkt bildet das Geheimnis Gottes der unbedingten Wirklichkeit seiner Existenz. Gott existiert wirklich; ich habe es erfahren und erlebe diese Wahrheit jeden Augenblick real, wirksam in mir. Ich bin eingegangen ihn dieses wirkliche Gottesgeheimnis, bin durchlebt von dieser Wahrheit, weil ich sie jeden Augenblick in mir erfahre, ja unauslöschlich erfahre. – In den vergangenen Tagen, als ich mehr „spürbar“ in einer noch außergewöhnlich mir vorkommenden Art von Jesus durchlebt war, schaute ich geistig das Wesen Gottes (es wurde mir so gezeigt): Wie EINE Flamme, die sich in drei Flammen teilt, aber nur eine ist und wobei jede dieser Drei gleich groß ist. Die Flamme in der Mitte ward mir als der Vater erklärt, die zwei zur Seite als Sohn und Heiliger Geist, die vom Vater ausgehen. Jede göttliche Person hat aber die gleiche göttliche Macht und ist in sich ganz selbstständig, obwohl jede eine andere Betätigung bewirkt und alle drei doch nur ein Wesen ausmachen. (Für diese Art des Erfahrens der Heiligen Dreifaltigkeit gibt es kein Wort, weil sich alles in einem Augenblick im Schauen vollzieht; man kann nur tote Worte gebrauchen.) In die göttliche Person zu Rechten des Vaters (des Sohnes)103 bin ich wie eingegangen, ja es ist mein Beruf, diese zu erleben. Ich bin so von der zweiten göttlichen Person erfüllt, wie wenn dies zu meiner Natur und zu meiner besonderen Eigenheit gehören würde.

1461 |        Ich erlebe die unaussprechliche Verbindung der Person des Wortes mit der göttlichen Person des Vaters, das Sein und Wesen des Sohnes, menschgeworden und doch im Vater seiend. Die göttlich wesenhafte Reinheit des Sohnes war in nichts verändert in seinem menschgewordenen Zustand, in seiner menschlichen Natur. Die besondere göttliche Vollkommenheit, die innere Harmonie und Freiheit und die Macht des Sich-selbst-beherrschens behielt Jesus in seiner Menschheit bei. Man kann das nicht in Worten erklären. Die eigene Losgelöstheit von der menschlichen Gebundenheit und den niederen Hemmungen, die volle geistige Freiheit – wohl die höchste Frucht jahrelanger Selbstverleugnung und innere Reinigungsleiden – bringen die Seele diesem Erfassen seiner göttlichen Vollkommenheit näher. In meinem Zustand, durch das Leben und Sein Jesu, erlebe ich diese göttliche Freiheit des sich Unumschränkt-Beherrschens. Ich bin wie teilnehmend daran. Wie die Augen eines bittenden Kindes immer zum Vater gerichtet sind und wie wenn dies dem Kinde infolge der Abstammung vom Vater wesenhaft wäre, so war Jesus in seinem Erdenleben naturhaft zum Vater hingerichtet. Weil der Vater ihm ständig das Leben gab, war Jesus wesenhaft, naturhaft, ohne Bemühung mit ihm verbunden und doch war Jesus als Mensch ganz selbstständig. – Auf den Stufen der höchsten Vereinigung der Seele mit Gott kann man das begreifen, wenn Gott schon das Leben der Seele IST, schon wirksam, jeden Augenblick tätig, ohne Bemühung, ich möchte sagen: Wenn die Seele schon wie in Gott aufgegangen ist, in Gott wie vergöttlicht ist, und seine göttlichen Eigenschaften schon erfahren hat.

1462 |        In den letzten Wochen war ich in großen Leiden, die es mir innerlich ermöglichen sollten, die göttlichen Vollkommenheiten Christi gleichsam zu eigen zu machen bzw. sie ertragen zu können. – Diese innere Angleichung geht unter großen Leiden vor sich, für die es keinen Ausdruck gibt. Ununterbrochen, Tag und Nacht, arbeitete der Heiland in sehr schmerzhafter Weise in mir. Die Art der Einheit, wie ich sie früher schon in mir besaß, „genügte“ mir nicht mehr, weil Jesus mir Höheres in Aussicht gestellt hat, nämlich ihn in einer noch höheren Weise zu erfahren, und weil er mir diese höhere Art des Einsseins mit ihm schon „zugedacht“ hat. Diese Spannung zwischen dem schon in Aussicht gestellten Ziel und dem bisher Erreichten, das jetzt unvollkommen scheint und nicht genügt, ruft unaussprechliche Leiden hervor. Man „erlebt“ schon in unvollkommenen Umrissen, wie in ständigem Ahnen, das zu erreichende Ziel und dieses Erleben strahlt hinein in die Seele wie Sonnenstrahlen in einen Winkel, wo es noch Staub gibt, der nun ohne Nachsicht gezeigt wird. So ähnlich wirkt das göttliche Licht mit dem innerlich schon gezeigten höheren Zustand. Diese geistigen Sonnenstrahlen sind wie glühende Blitze und wie Feuer, wovon die Seele ständig und unbarmherzig getroffen und durchglüht wird. Der schmerzliche Abstand zwischen dem jetzt nicht mehr genügenden Zustand und dem erschauten Ziele wird zu einem beständigen Aufsteigenwollen der Seele, die sich aber doch wie gebunden fühlt, weil das Aufsteigen Sache der Gnade ist. Man fühlt im Inneren eine schmerzliche Hilflosigkeit und dieses Wissen um die eigene Ohnmacht und Armut vergrößert das Leiden und macht es vielfältig. Ich bemühe mich ständig, oder vielmehr, ich werde ständig hinbewegt zu Höherem, das immer lockt und zieht, und doch kann ich mich dort nicht festhalten; es ist, wie wenn ich es schon erfasse und doch noch nicht erreiche. In diesen Leiden liege ich wie begraben. Ja, es war mir in den letzten Wochen, als läge ich in einem kochenden Kessel. Um mich wie höhnend die äußere, bedrängte Lage, die Leiden um der Sache des Herrn willen, die Hilflosigkeit und Ohnmacht und doch wieder das Vorwärts-gedrängt-werden zur Verwirklichung; all das lastet auf mir wie meine Last, die ich zu tragen habe. – In mir einen Abgrund von Vernichtung und Verdemütigung, ständig unbarmherzig wie durchglüht von den göttlichen Strahlen unbeschreiblicher Reinheit und Vollkommenheit – was mein Ziel ist und unbedingt in mir hergestellt werden muss. Die arme Seele schreit gleichsam immer zu: Herr, gib mir das, lass mich in dem Ruhen, dort möchte ich sein, dort muss sich sein! – Diese große, verzehrende Sehnsucht nach dem inneren Ziel ist noch das größte von allen Leiden. Es gibt keinen Augenblick der Ruhe und des Befriedigt-Seins, bevor ich nicht dort bin, an dem Ziel, das mir ständig winkt und mich einlädt.

1463 |        Und doch sind dies alles so glückliche Leiden, möchte ich sagen, ohne innere Bitterkeit. Der Friede, und die Heiterkeit ist unzerstörbar, weil die Leiden sich in großer Freiheit vom Niederen bewegen. Das Einssein mit Jesus ist wie wesenhaft, unzerstörbar auch in den schmerzlichsten Leiden. Es ist ähnlich wie bei einem hohen Berg, der ganz im Wasser steht, aber dessen Gipfel aus dem Wasser herausschaut und von der Sonne beleuchtet ist. Der Berg steht fest, auch im Wasser; er kann nicht davon zerstört werden; mögen auch noch so viele Hochwasser und Stürme ihn umspülen, der Gipfel liegt doch wie im ewigen Sonnenschein. – Jesus selbst ist ja das reinigende Feuer in mir. Alles muss „er“ werden, alles muss von ihm aufgesaugt, in ihn umgewandelt werden und diese innere Umstellung geht mit ganz großen Schmerzen vor sich. Christus, der Begehrenswerte, wird der große Sehnsuchtsschrei meiner menschlichen Armut. Nicht mehr ich, nein, nicht ich, nur du allein, sonst nichts! Wie ich mich hasse und verabscheue, weil ich noch immer „mich“ sehen muss in mir! Ich habe ein anderes Leben in mir erfahren, für dessen Vollkommenheit es keinen Ausdruck gibt; ich muss durchlebt werden von ihm.

1464 |        Er bietet sich mir ständig, aber ich kann ihn noch nicht so erreichen, wie mir die Sehnsucht danach eingeflößt ist. Ich muss sterben und vergehen, damit er an meiner Stelle neu erstehen kann. Mein Ziel, und meine Aufgabe ist, Christus in seinem gottmenschlichen Leben erleben. Und dieses Ziel ist mir unauslöschlich eingebrannt, ist meine Eigenheit.

1465 |        Eine merkwürdige Eigenheit dieser inneren Leiden ist, dass man in sich veranlasst wird, immer wieder, ja unzählige Male am Tage auf sich, auf jeden Gebrauch meinerseits, zu verzichten. „Ich will mich nimmer; ich will nur dich, nein, ich will mich nicht, ich verschreibe und opfere mich ganz für dich, ich unterstehe deiner Person, immer nur du! – Ja, ich bin bereit, ganz 'du' zu werden, schneide, brenne, zerstöre mich, aber erhebe dich zum Leben in mir!“ Diese ständigen Hinopferungen und Beteuerungen sind wie charakteristisch in diese Leiden eingeschlossen. Es scheint mir wie bei zwei irdisch einander liebenden Seelen, denen jede gegenseitige Liebesbeteuerung neuen Trost und Freude bringt. So bin ich innerlich ständig veranlasst, Jesus meine Hingabe und meine Bereitschaft zu erklären. O, einmal dort sein, ganz von Jesus aufgenommen, wo er lebt und das Meine ihm ganz zum neuen Leben dient! Das ist mein unerklärliches verzehrendes Sehnsuchtsleiden. – Und wie liebe ich dieses Leiden! Leiden und wieder leiden ist das Brot, nachdem ich verlange. Denn diese Leiden verbinden mich in höherer Weise mit Jesus und darum liebe ich sie.

1466 |        Ich bin innerlich so losgelöst von meiner natürlichen Gebundenheit und dem Mitleid mit mir, dass ich mich für ein immerwährendes Leiden an Jesu Stelle bereiterkläre. Christus erleben und ihn erleiden, mein menschliches Sein erleiden, dieses Geheimnis erfahren und wenn es auch mit den größten Schmerzen und Leiden verbunden ist: Es gibt kein höheres Ziel als dieses. – Ich weiß aber ganz gut, um was es geht. Ich kenne sein inneres Erlöserleiden, weil mir Jesus wiederholt erklärte: Diese Leiden ermöglichen in mir die Fähigkeiten zum Erleiden seines Seins; ich eigne mir damit die entsprechende Leidensfähigkeit an.

1467 |        Heute Morgen (27.10.1941) bei der heiligen Messe, als der Priester bei der heiligen Wandlung die heilige Hostie in die Höhe hob, kam eine große Freude über mich, dass ich einst Jesus so sehen werde, wie er ist, nicht mehr unter der Gestalt des Brotes verborgen. Aber im gleichen Augenblick war der Heiland wie lebendig in mir und es war mir: „er lebt in mir; im Augenblicke meines Todes fällt nur der Schleier; ich erlebe ihn dann wirklich schauend und er führt mich ein in sein Reich.“ – Das war mir mit innerer Sicherheit versprochen.

1468 |        Ich erkannte dabei auch: Der Zustand des Schauens Gottes in der Ewigkeit ist schon in diesem Leben vorbereitet und begründet; ja, nach der Stufe der Vereinigung im Diesseits wird sich auch die Vereinigung der Seele mit Gott im Himmel vollziehen. Nur der Grad der Vereinigung mit Gott hat für die Seele und deren Ewigkeit Bedeutung und er wird schon in diesem Leben vorbereitet.

1469 |                

1470 |        

 

 

 

 

Das Jahr 1942

 

Grundlage M1

Die Schreibweise von M1 zu M2 differenziert sich auf einige Seiten, dass ich versuchte, NUR wesentliche Unterschiede in den Endnoten zu erfassen -> Wie Auslassungen, evtl. Sinnverschiebungen, fehlende Satzteile etc.

 

 

 

 

 

Januar

10.01.1942

1471 |        Während der Läuterungsleiden, in denen ich in letzter Zeit lag, prägte sich auch wieder mehr in mir das Ziel dieser Leiden aus: An den Vollkommenheiten Christi teilnehmen, sie durch die Vereinigung mit seiner göttlichen Person miterleben, bzw. zu meinen eigenen machen.

1472 |        Ich erkenne auch den Grund und Zweck dieser außerordentlichen Gnaden, die mir Jesus mit sich selbst gewähren will: Wenn ich seine göttliche Person, bzw. seine inneren Erlöserleiden erleben soll, ist diese Gnade eine dazu notwendige Voraussetzung. – Jesus hat sein ganzes Erlöserleben mit einem göttlich vollkommenen Habitus gelebt. Seine göttlichen Vollkommenheiten wurden damit in der Menschheit Christi in menschlichen Vollkommenheiten ausgeprägt und gelebt. So wurde in einem Menschen dem Vater für die gefallene Menschheit die gebührende Sühne und Genugtuung geleistet. Diese menschliche Sühne wurde durch die göttliche Person des Erlösers zu einer göttlichen. Es wurde darum der göttlichen Gerechtigkeit eine wirkliche göttliche Genugtuung in menschlicher Weise und doch mit göttlicher Vollkommenheit geleistet. Und das machte das Erlöserleben Christi vollwertig und überfließend an Wert.

1473 |        Ich erkenne innerlich, oder vielmehr in Christus erfahre ich seine einzelnen Vollkommenheiten. Gottes Langmut, Liebe, Barmherzigkeit, Reinheit z. B. wurden in Christus in einen menschlichen Habitus gekleidet. Dazu kamen noch die besonderen Vollkommenheiten Christi als des Erlösers: sein kindlicher Gehorsam gegen den Vater, seine Hingabe, Demut, Opferbereitschaft, Leidensliebe, Feindesliebe, seine absolute Unterwerfung unter den Willen des himmlischen Vaters. Auch diese Erlöservollkommenheiten wurden in göttlich-vollkommener Weise geübt und gelebt. Besonders in seinem Leiden ist seine Demut, sein Herabsteigen unter alle Menschen, sein göttliches Schweigen und seine Ruhe für einen gewöhnlichen Menschen unmöglich. Da zeigt sich der göttliche Charakter des Erlösers, der auch den gerechtesten Menschen weit überragt. Es bleiben dem Heiland als Erlöser trotz seiner Menschwerdung auch verschiedene andere göttliche Vollkommenheiten, die mehr und ausschließlich dem Wesen Gottes eigen sind. Obwohl z. B. Jesus als Erlöser seine göttliche Allmacht gleichsam im Vater zurückgelassen hatte (so möchte ich mich irgendwie ausdrücken), stand ihm doch der Gebrauch seiner göttlichen Allmacht wie auch seiner göttlichen Allwissenheit immerwährend zur Verfügung, ja war infolge der göttlichen Wesenseinheit mit dem Vater unzertrennlich in ihm. Für gewöhnlich aber ordnete sich der Heiland ganz dem Vater unter als Mensch. Christus konnte als Mensch immer „nehmen“ (wie einer, dem es gehört und der das Recht hat) aber in Unterwerfung unter den Vater „empfing“ er, um damit sein göttliches Erlöserleben überfließend für uns zu gestalten. – Dazu kommen noch die innergöttlichen Vollkommenheiten, die in Christus auch einen menschlichen Charakter mit seiner Menschwerdung anlegten, die aber doch das Erlöserleben noch wertvoller machten. Die göttliche Reinheit und Geistigkeit verlor im Menschen Jesus nichts an Vollkommenheit. Seine Seele war so außerordentlich ausgestattet, dass sie gerade diese göttlichen Vollkommenheiten voll in sich tragen konnte. Die göttlichen Wesensvollkommenheiten waren untrennbar von der Person des göttlichen Wortes und gerade die göttliche Person des Sohnes wohnte der Seele Christi und somit dem Leibe Christi inne. So verlor Jesus als Mensch nichts von den104 göttlichen Vollkommenheiten.

1474 |        Wenn ich nun als meinen inneren Weg den erkenne; [sic!] das innere Erlösergeheimnis bzw. die inneren Erlöserleiden Christi zu erleben, und zwar wie in seiner Person, so zeigt mir die innere Führung als notwendig damit gegeben, dass ich diese Leiden an Christi Stelle auch in ähnlich vollkommener Weise erlebe. Da Christus die höchste Vollkommenheit jedes Menschen in jeder Weise überragt, wurde ich jahrelang einen besonderen Weg der Angleichung bzw. einer besonderen Vereinigung mit ihm geführt, wodurch es mir möglich werden sollte, Christus in jener vollkommenen Art und Weise zu erleben, wie es den Absichten Gottes entspricht, d. h. so, dass der Zweck dieser besonderen Gnade erreicht und erfüllt werde.

1475 |        Seit heute Morgen bin ich in großer Ausgeglichenheit des Geistes. Ich lebe ein Leben vollster Harmonie mit „mir“; ich bin das, was ich lebe und ich lebe das, was ich bin. Es ist alles vollkommen harmonisch, aber in einer unaussprechlichen Vergeistigung. Ich bin in mir so „leicht“ als bestehe ich nicht; mein geistiges Sein ist über das niedere in einer erhabenen Weise hinausgeschritten und das niedere Sein dient dem Höheren in voller Ausgeglichenheit. Mein ganzes Sein ist nun vollkommen in die göttliche Person Christi eingeordnet, so, dass ich von Ihr gar nichts spüre, sondern das sie meine Person zu sein scheint.

1476 |        In Christus habe ich alles gefunden und alles in mir wird von seiner göttlichen Person dirigiert und geleitet, ohne dass mir dies zum Bewusstsein kommt, weil ja die Einheit schon so ganz harmonisch besteht. Von diesem erreichten Punkt und Ziele aus ist mir nun die Möglichkeit gegeben, seine Vollkommenheiten als Erlöser zu erleben und ertragen zu können. Ich lebe somit seinen göttlichen Habitus mit. Durch die jahrelangen Läuterungsleiden wurde in mir die entsprechende Fähigkeit, Haltung, Situation geschaffen.

1477 |        Eine besondere innere Eigenheit ist meine unaussprechliche Ruhe, Friede und geistige Heiterkeit. Diese Eigenheiten werden durch kein inneres Leiden zerstört, möge mich dieses auch noch so sehr bedrücken. Trotz aller Leiden bin ich in mir nur Freude und Heiterkeit, unzerstörbare Ruhe, Festigkeit und Gleichmut. Und je mehr ich mich innerlich lebe, bzw. aus mir selbst nehme, desto mehr Kraft und geistige Harmonie entfaltet sich in meinem inneren Sein.

1478 |        Ich sehe aber heute noch eine besondere Gnade der „Befestigung“ in diesem Geisteszustand voraus, womit dieser Zustand dann ein dauernder, habitueller wird.

 

11.01.1942

1479 |        Ich bin im Genießen der Erhöhung des Erlebens der Vollkommenheiten Christi, in die ich gestern eingegangen bin. Ich spüre aber nichts von Jesus, sondern durch die Einheit mit der göttlichen Person Christi bin ich in diesem Zustand. Seine göttliche Person teilt sich mir mit, sodass ich der Erleber seines innersten Seins als Erlöser bin. Und ich kann das mir zugeteilte Maß seiner innersten Vollkommenheit gut ertragen.

1480 |        Es ist ein Leben völliger Kampflosigkeit; die innere sittliche Vollendung ist vollkommen ausgeglichen; es ist wie eine Sättigung, die nie eine Trübung berührt hat. – Ich lebe aus meinem innersten Sein, das lauter Fülle ist. Je mehr ich mich hinein versenke, desto reicher fließen die tiefsten Quellen meines Seins, die unergründlich sind. – Ich bin mir alles, habe alles, bin grundlos in mir. – Es ist mir eine unaussprechliche Seligkeit, so in mich hinabzusteigen und mich zu genießen. – Und dieses Genießen meiner selbst wird nun nicht mehr gestört durch mein früheres Sein. Ich bin ganz harmonisch aufgenommen und eingegangen in die tiefsten Quellen des göttlichen „Ich“ Christi und kann mich daran satt trinken nach meinem Belieben im Genuss dieses Selbstseins. Es ist eine Überfülle des eigenen „Ich“, dessen Geheimnis eben diese Fülle ist; denn ich erlebe ja das göttliche „Ich“. Ich erfahre die Worte nicht klar auszusprechende Wahrheit: Gott genügt sich selbst. Er ist in sich unaussprechlich glücklich und selig und kein Geschöpf kann ihm ähnlich hinzufügen oder seine innerste Glückseligkeit vermehren, weil eben105 Gott selbst der Urquell aller Seligkeit ist. Darum ist wahr: Gott brauchte die Menschen nicht zu erschaffen, und wenn er sie erschaffen hat, dann hat es nur seine göttliche Güte getan, um die Menschen teilnehmen zu lassen an seiner eigenen Glückseligkeit.

1481 |        Ich bin in einer Fülle von Ruhe und Harmonie, von Frieden und Kraft, Freude und Freiheit. Und der Grund dieser Fülle ist nur106 mein schrankenloser Selbstbesitz. Ich besitze mich, ich regiere mich, ich behaupte mich in mir, ich bin wirkliches und wahres „Ich“, das vollkommen unabhängig ist. Der Grund und die Quelle all meiner inneren Vollkommenheiten und dieses Genusses ist das Geheimnis meines „Ich“. Daraus fließt alles; das „Ich“ trägt alles, regiert alles und überfüllt alles, aus dem „Ich“ geht alles hervor.

1482 |        Ich habe heute Morgen erfahren: Jesus als Mensch behielt diese göttlichen Vorzüge vollkommen in sich. In sich und wesenhaft verfiel er in seiner Menschheit nicht der Unterordnung oder einer eventuellen Beengung durch sein menschliches Sein. Was im Erlöser eine Beengung und eine Beschränkung schuf107, war das Aufgeben der Ausübung seiner göttlichen Macht und Herrlichkeit, das Verlassen des Himmels und des Besitzes der Seligkeit des Himmels, der ihm gebührenden Anbetung und Ehre, deren Besitz er mit der Armut und Verachtung auf der Erde vertauschte. Insofern fühlte der Heiland die Enge dieses menschlichen Lebens, das ihm wesentlich nicht zustand. Darin108 lag auch seine göttliche Herablassung, weil er freiwillig auf dieses Genießen verzichtete. Und dieses Leiden blieb ihm das ganze Leben hindurch, bis er wieder zum Vater zurückkehrte. Dieses Leiden war ihm auch „bewusst“. Er fühlte jeden Augenblick seines irdischen Lebens den gewaltigen Abstand zwischen dem, was er jetzt besaß und dem, was er verließ und was ihm gebührte. Weil aber Jesus sich in solchem Maß entäußern wollte, trug er diese seine eigene Verdemütigung mit dem Habitus seiner göttlichen Vollkommenheiten, d. h.109 mit der vollkommensten Liebe zu den Menschen, mit der tiefsten Demut, mit der größten Geduld, mit der hingebensten Opferliebe und Leidensbereitschaft, eben in einem solchen Maße von Tugend, wie es nur einem göttlichen Wesen eigen sein konnte. Und aus diesem göttlichen Tugendhabitus sprossten alle Erlösertugenden; sie hatten alle einen göttlichen Charakter. Ebenso groß wie seine Herablassung und Demut war auch seine Hingabe in diese Herablassung; ebenso vollkommene Hingabe war sein Tod am Kreuze. Was ihm im Innern seines Seins die Kraft gab zu diesen Opfern, das war sein innergöttlicher Habitus, seine Liebe, seine Ruhe und göttliche Ausgeglichenheit, seine Heiligkeit. Das110 waren die göttlichen Kraftquellen für sein ganzes Erlösersein. Und das111 konnte er infolge seiner göttlichen Wesenhaftigkeit nie ablegen, denn sonst hätte er aufgehört, Gott zu sein. Auch der innere Selbstbesitz, das eigene göttliche „Ich“, die Quelle seiner Vollkommenheiten, war immer wirksam, konnte sich in ihm nie vermindern trotz der äußeren Verdemütigungen und Leiden und trotz seines schmachvollen Todes am Kreuze. Und gerade sein göttliches „Ich“ vollzog mit seinem göttlichen Tugendcharakter das ganze Erlöserleben. Jedes112 Leiden war ein Leiden, das „ich“ trage. „Ich“ erleide; „Ich“ verdemütige mich. Und das „Ich“ strahlte immer in größter Ruhe und Hingabe und voller Harmonie mit sich selbst; es gab keinen Unwillen, trotzdem er diesem113 berechtigt war; aus seiner göttlichen Geduld heraus strömte die Geduld nach außen. Aber Jesus fühlte die Leiden auch wirklich, wie eben alle anderen Menschen, in denen sich ein bestimmtes berechtigtes „Wehren“ dagegen auflehnt. Da war es wieder seine vollkommene Ergebung und Liebe114 zu den Menschen, was ihm dieses Wehren überwinden half115. Und so empfand Jesus im Einzelnen alle Leiden in ganz menschlicher Weise116. Ja, in einer viel höheren und schwereren117 Weise, weil er sich stets seiner göttlichen Würde bewusst war. Er fühlte riesengroß den Abstand seines jetzigen Lebens und dem früheren im Himmel. Er war in allem vollkommen und so wurde auch sein Zartgefühl, seine geistige und körperliche Empfindsamkeit, seine innere Vornehmheit und sein Edelmut, all seine gottmenschlichen Anlagen wurden in seinen Leiden und viel empfindlicherem Maße verletzt als bei gewöhnlichen Menschen. Ebenso war es in seinen inneren Leiden. Er fühlte die Schmach der Sünde, die er auf sich genommen hatte, in der verdemütigendsten Weise, weil er der Reinste und Heiligste war. Zudem war es noch seine Schmach, in der er vor seinem himmlischen Vater dastand in den Sünden der ganzen Menschheit. Und er trug diese „Schande“ mit der hingebensten Liebe.

1483 |        Es ist dies das Geheimnis des „Habitus“, einer schon bestehenden Tugend, die ihre Kraft entfaltet. Freilich gibt es da nicht mehr die einzelnen Kämpfe, weil sie schon durchgekämpft118 und schon „erkämpft“ sind. Die einzelnen Schwierigkeiten sind schon im Voraus ertragen worden, aber sie waren nicht minder schwer, wie wenn der gewöhnliche Mensch in seinen sündhaften Anlagen damit kämpft. Gewiss, wenn das Böse schon überwunden ist, dann strömt die „Kraft“ der Tugend ein, die kein Wanken mehr zulässt. Die Tugend „trägt“ dann die Seele und es bleibt trotz allen Leidens die Ruhe bestehen; es gibt keine Verwirrung mehr, kein „Abspringen“ und kein Aufgeben. Die Seele könnte zwar in diesem Stadium noch wankend werden, aber es ist eine bestimmte Befestigung vorhanden, weil die Liebe zu Gott schon vollkommen ist. Der alte Mensch ist schon überwunden und der neue Mensch herrscht schon mit Christus und in der Kraft Christi in der Seele. Das ist sicher ein begehrenswerter Zustand, in dem das Niedere schon überwunden ist. Aber Gott gibt doch noch ebenso viele Gelegenheiten zu leiden, wodurch die innere Kraft der Tugend erprobt und in der Übung befestigt und bewährt wird119. Dann kommt die Frucht der früheren Übungen, die Ruhe, Gelassenheit, die anscheinende Unüberwindlichkeit; die Tugend ist schon auf Felsen gegründet.

1484 |        Noch ein Umstand wirkt mit zu der inneren Ruhe in Leiden und Verdemütigungen, die einen schon errungenen Tugendhabitus voraussetzt: Die Seele hat sich nämlich schon von ihren eigenen Interessen losgelöst. Die Freiheit von sich, vom eigenen Vorteil, die Losschälung von der eigenen Bequemlichkeit und vom Mitleid mit sich selber, das Freigemachtsein von der Furcht vor dem Verlust der Ehre und des Ansehens vor den Menschen: Das gibt diesen Gleichmut. Man sucht sich nicht mehr selbst, sondern man hat sich mit allem Gott übergeben, nicht in Worten, sondern in der Tat. Und das wird auch zu einem Zustand, wo man keiner besonderen Übung mehr bedarf; es wird zu einer glücklichen Gewöhnung der Seele. Ich habe in den ersten Jahren meines besonderen Innenlebens oft und viel in ein Wort eindringen müssen, das mir Jesus zum Begreifen und Durchdringen vorstellte, das Wort: „Dem der überwindet, werde ich geben ein verborgenes Manna“. Ich habe dabei im Voraus verkostet den Genuss einer schon erprobten Tugend, des schon überwundenen Menschlichen, die wahre innere Freiheit, die wirklich einem verborgenen Manna gleicht. Das ist wohl der höchste Genuss, der Genuss der eigenen Freiheit, in der die selbstische Gebundenheit überwunden ist, die den Menschen zum Sklaven seiner selbst macht. Gott ist das Vorbild der wahren Freiheit, und nur in Gott gelangt man zur wahren Freiheit mit sich selbst. Auch in diesem Sinne ist wahr das Wort, das einst Jesus gesagt hat: „Die Wahrheit wird euch freimachen.“ Die wahre Selbsterkenntnis führt der Seele das traurige Geheimnis des eigenen Nichts vor Augen, aber es ist dies die Wahrheit, und wenn man diese Wahrheit anerkannt hat, dann geht es an das Freimachen von dem eigenen Bösen, um sich dafür Gott mit seinen göttlichen Vorzügen anzueignen und diese Güter dafür zu besitzen. Mit und in Gott eignet man sich ein ausgeglichenes Maß der Tugend an, was auch eine große Wohltat ist für das irdische Leben, schon im Umgang mit den Menschen.

1485 |        In Jesus war nun göttlich wesenhaft das Maß des vollkommenen Tugendhabitus. Daraus schöpfte er in seinem Erlöserleiden und dieser göttliche Habitus verklärte seine ganze Persönlichkeit. Er strahlte und strömte so sehr aus ihr hervor, dass sogar die hasserfüllten Juden sprachen: Wer ist DER? – So wie DER hat noch keiner gesprochen!

1486 |        Das göttliche Ich „trug“ und beherrschte auch seinen Leib und doch hat sich in seinem ureigensten göttlichen120 Wesen nichts geändert. Seine göttlichen Vollkommenheiten erfüllten sein menschliches Sein und wurde somit als menschlich „gelebt“ in menschliche Akte übertragen. Jesus „besaß“ sich als Mensch in gleicher Weise, wie er sich vor seiner Menschwerdung im Vater besaß. In seinem göttlichen Wesen blieb er der Gleiche. Seine Seele war so angelegt, dass sie an sich seiner Gottheit keine Beengung oder Schranke auferlegte. Christus besaß sich als Mensch dem Wesen nach nicht weniger denn als Gott. Er konnte sein göttliches Wesen nicht ablegen und konnte sich seinem tieferen inneren Wesen nach in Nichts einschränken oder ändern.

1487 |        Diese göttlichen Vorzüge wurden aber nur benützt, um die Erlösung vollkommener, herrlicher, wahrhaft göttlich zu gestalten; sie waren ja Mittel und Werkzeuge der Erlösung. Sie gaben jene geistige Spannkraft und waren wie121 Stärke, die alles vollbringen ließ. – (Dieses innere Erfahren lässt sich nicht in Worten wiedergeben, es kann nur „erfahren“ werden. Dies bezieht sich auf alle göttlichen Vorzüge, besonders auf „das“ göttliche Wesen Christi im menschlichen Sein, so wie ich es erlebe. – Die göttliche Unveränderlichkeit der göttlichen Person in seiner Menschheit ist dabei das Erhabenste).

1488 |        Die Menschheit wurde mit göttlichen Kräften, die im Menschen Christus herrschten, erlöst. Es waren göttliche Vollkommenheiten, die sich dazu hergaben und dazu dienten. Und Jesus gab sich in wahrhaft göttlicher Freiheit der Erlösung hin, wie eben die Freiheit seinem göttlichen Wesen entspricht. Über die göttliche Freiheit aber herrscht das Gesetz der Liebe und die göttliche Liebe war der erste Antrieb zu seiner Menschwerdung und zur Erlösung.

1489 |        Hier liegt noch ein großes Geheimnis, das ich zwar innerlich erfahre, aber noch nicht in Worten erklären kann. Jesus blieb als Gott bei seiner Menschwerdung in jener vollkommenen Eigenschaft des Schaffenden, Tuenden, wie ich ihn vorher als erkannt beschrieben habe; aber er übte diese Eigenschaften nicht aus und passte sich seiner menschlichen Seele an. Es blieb aber noch eine höchste Art der geistigen Betätigung, eine Art eingegossenen Wissens, wenn sich dieses auch durch seinen menschlichen Verstand betätigt hat. Behielt der Heiland in seiner Menschheit auch die göttliche Eigenschaft der Allwissenheit? Ich kann das nicht unterscheiden, aber ich erkenne ihn als den „Wissenden“; sein Wissen war ein eingegossenes, ein bestehendes Wissen. Hier liegt ein ganz großes Geheimnis, das ich zwar erkennen, aber noch nicht in Worten erfassen oder aussprechen kann. – Und gerade auf diese Art seiner geistigen Betätigung, wie ich sie im Heiland innerlich erfahrend sehe, richtet sich die oben beschriebene Ausschaltung meiner eigenen Geistigkeit, damit ich jene höchst geistige Art miterleben könne, in der sich Jesus mit seinem menschlichen Verstand betätigt hat. Soweit es sein Wille ist, soll ich diese Art seiner geistigen Betätigung miterleben und ihr folgen.

1490 |        Dazwischen liegt nun die große Frage: Wie wurde Jesus vom Zustand seiner innersten Glückseligkeit aus zum Leidenden? Ich muss nach meinen inneren Erfahrungen bekennen, dass beides zugleich bestehen kann; innerlich im höchsten Zustand des Genießens Gottes Sein und zugleich in ein Meer von Leiden versenkt sein. – Jesus „nahm das Leiden auf sich“ und die Leiden waren von seiner göttlichen Vollkommenheit „getragen“, d. h. von höchster Liebe, von höchster Geduld, von vollkommenster Hingabe, in vollendeter Ergebung und Opferliebe, in größter Demut und Schweigsamkeit, in der vollkommensten Weise, wie sie eben nur ein Gott in seinen Vollkommenheiten ertragen kann. Gewiss waren die Leiden mit menschlichen Kräften gelitten, weil Gott leidensunfähig ist, aber das menschliche Leben Christi war von göttlichen Geisteskräften getragen; in der Geisteskraft liegt aber die Möglichkeit und Kraft des Ertragenkönnens auch für das menschliche Sein, und die Geistesverfassung bewirkt und vollführt die Vollkommenheit des getanen Werkes bzw. des gelittenen Leidens. Da kam der göttlich-vollkommene Habitus Christi zur Wirksamkeit. Darum sind wir mit göttlicher Liebe, mit göttlich-vollkommenen Akten erlöst worden. Jesus übte die Werke seiner Erlösung so aus, wie sie vor dem Vater wohlgefällig waren, d. h., wie sie vor dem Vater vollkommen waren und sie waren in den Augen des Vaters wohlgefällig und vollkommen, weil sie seinen eigenen göttlichen Charakter trugen und damit eine vollkommene Sühne und Genugtuung waren.122

 

16.01.1942

1491 |        In meinem Erleben der göttlichen Person Christi trete ich nun mehr in die innergöttlichen Vollkommenheiten ein, bzw. in das Geheimnis Gottes „in sich“, wie es sich in der Erlöserperson Christi begeben hat. – Heute Morgen habe ich dieses erhabene Geheimnis in unaussprechlichem Erleben erfahren. Diesem Erfahren gingen wieder, wie es immer geschieht, ganz große innere Erhebungsleiden voraus. Der in mir bestehende123 jeweilige Geisteszustand genügt nicht mehr zum Erleben der nächstfolgenden Stufe des Erfahrens Christi, und es wird durch innere Leiden eine höhere Art der Vergeistigung meiner Seelenkräfte und damit eine weitere Möglichkeit geschaffen, das Geheimnis Christi, des Erlösers, in noch höherer Weise zu erfassen. Derartige Geheimnisse liegen ja dem gewöhnlich menschlichen Denken vollständig fern und können nur in der Einheit mit Gott bzw. mit Jesus erfasst und durchdrungen werden.

1492 |        In meinem Fall ist der Weg zu diesen göttlichen Erkenntnissen die Vereinigung und die Einheit mir der göttlichen Person Christi. In „ihm“ stehen mir seine göttlichen Geheimnisse offen; mit seinem göttlichen Lichte erleuchtet, durchdringe ich ihn; aber es ist nicht nur ein Licht, das mich diese Geheimnisse erkennen und durchdringen lässt, sondern meine Seelenkräfte werden langsam übergeführt zur Möglichkeit des Erlebens seiner innergöttlichen Geheimnisse. Diese werden zu meinem eigenen Erfahren, d. h., ich gelange zu jener geistigen Einstellung und bin in der Stellung des Erlebens jener Geheimnisse, wie wenn „ich“ so in der Stelle Christi wäre, dass ich aus eigenem Erfahren sprechen kann und muss. – Heute bei der hl. Messe stellte Jesus wieder die innere Frage und124 Forderung an mich, ob ich bereit wäre, „alles zu lassen, um in seinen göttlichen Erlösergeheimnissen ganz aufgehen zu wollen“. Im gleichen Augenblick überschaute ich diesen geistigen Begriff, „alles verlassen“: Dies bedeutet die immer vollkommenere Ausschaltung meines eigenen Seins, meiner persönlichen Ideen, auch der geistig guten, jeder eigenen Geistesbewegung, die eine Störung im Erleben Christi bedeuten würde.

1493 |        Gottes Geheimnisse „in sich“ erfahren, ist nicht möglich dem eigenen Wollen oder selbstständigen Durchdringen- und Erfassenwollen. Meine Geisteskräfte werden daher „gebraucht“ und fähig gemacht; sie müssen das eigene Wollen und Sterben ablegen lernen und still warten, bis sie dazu befähigt sind und mitgenommen werden. Darum werden immer wieder diese Läuterungs- und Erhebungsleiden eingeschaltet.

1494 |        Ausgehend von den früheren Erlebnissen über den sittlich-vollkommenen Habitus Christi als Mensch wurde ich innerlich weitergeführt und gelangte heute in den inneren Zustand des göttlichen Seins, worin Christus als Mensch blieb. Ich erlebte den göttlich-wesentlichen Habitus Christi.

1495 |        Gott ist in sich ein beständig „Tuender“, ein Akt, eine „Tat“ nicht nach menschlichen Begriffen abhängig von früher überdachten Taten. Das entspricht der Vollkommenheit seines göttlichen Habitus, weil alles in ihm schon im ersten Ursprung des Entstehens bereits vollkommen ist. Der Mensch hingegen muss sich in seinen Ideen stets verbessern; sein erstes Wollen ist meist unvollkommener als die tatsächliche Ausführung des zuerst Geplanten. Auch in den guten Taten muss sich der Mensch stets verbessern in eigener Selbstarbeit und darin zeigt sich die Unvollkommenheit unseres menschlichen Seins gegenüber dem göttlichen. Der Mensch ist ein Strebewesen, im normalen Zustand auf die Selbstarbeit und Selbstverbesserung angewiesen. Er hat in sich im normalen Zustand die Anlage, seine Werke stets verbessern zu können, wenn er die in ihm schlummernden Kräfte und Mittel weckt und gebraucht. Darum ist der Mensch ein „werdendes“ Wesen, einem beständigen „Werden“ und der Veränderlichkeit unterworfen. Auch der Fortschritt oder Rückgang der Seele in religiöser Hinsicht ist immer in Veränderung. – Die Hilfsmittel zu einer steten Vervollkommnung der menschlichen Ideen bzw. seines inneren Wollens und seiner äußeren Werke sind die geistigen Fähigkeiten, Verstand und Wille, die Fantasie, das Gedächtnis und die ihnen zukommenden Bewegungen. Darin liegt das eigentliche Arbeitsfeld der Seele auch für Werke, die nach außen gehen, die aber in jedem Falle aus diesem inneren Arbeitsfeld hervorgehen. Darum ist der Mensch ein „bedingtes“ mittelbares Wesen; die Güte seiner Werke hängt von dem Maße seiner inneren Anlagen und vom Gebrauch der innerlich vorhandenen Mittel ab.

1496 |        In Gott schaue und erlebe ich dies völlig anders. Vor Gottes Auge liegt alles, wie es ist. Darum ist Gottes Entschluss im ersten Augenblick der richtige, der sich für die Tat bewährende. Darum ist Gott ein „unmittelbares“ Wesen, in sich der „Unbedingte“. Er kann jene Möglichkeit einer Vervollkommnung seiner Werke und Entschlüsse entbehren. Seine Werke und Absichten gehen nicht vor der Ausführung zur Überprüfung erst noch durch seinen Verstand, sondern sie werden ausgeführt, nach seinem Willen, der nicht vorher noch der Abwägung oder des Überlegens bedarf. Gottes Entschlüsse gehen eben schon vollkommen gut und recht125 aus seinen Vollkommenheiten hervor und bedürfen keiner Verbesserung; Gottes Werke sind schon im ersten Augenblick ihres Entstehens im göttlichen Entschluss wahrhaft vollkommen. Hervorkommend aus dem göttlichen sittlich-vollkommenen Habitus tragen sie schon den Charakter eines vollkommenen Werkes an sich und werden sie auch in der endlichen Ausführung vollkommen sein. Darin liegt der große Unterschied zwischen göttlichen und menschlichen Werken. Der Habitus, der Charakter des inneren Seins und Wesens tut sich nach außen kund und zeigt sich in den Werken. Oft wird sich der wahre Wert der religiösen Werke des Menschen erst in der Ewigkeit zeigen.

1497 |        Gottes Wesen ist in sich absolute Unveränderlichkeit. Durch alle Ewigkeit ändert er sich nicht in seinen göttlichen Anlagen. Alle drei göttlichen Personen haben die gleiche göttliche Anlage der Unveränderlichkeit ihres göttlichen Wesens. Die zweite göttliche Person nahm diese mit sich in ihre Erlösermenschheit und konnte in den wesentlichen Vollkommenheiten nichts verlieren, wenn sie auch in den Wirkungen nach außen sich einer besonderen Veränderung unterwarf, die jedoch freiwillig und nur von zeitlicher Dauer war. Ihr inneres Sein bleibt dabei unverändert und in dieser göttlichen Unveränderlichkeit liegt das erhabenste Geheimnis der Menschwerdung Christi.

1498 |        Mit seiner göttlichen Person wurde in der Menschwerdung Christi nicht nur sein göttlich-vollkommener Tugendhabitus in seine Menschheit mitgenommen, sondern auch seine göttlich-wesenhaften Anlagen, auch jene des Tuenden126, des „Actus“, wie ich ihn schaue127, dem Wesen dieser Vollkommenheit nach. Jesus übte nun aber diese Anlage nicht aus, sondern betätigte sich nach Art seiner menschlichen Seele. Im Augenblick seiner Menschwerdung verließ er seine Stelle als ausübende göttliche Person und wurde in den Zustand der Erlöserperson versetzt. – Die Seele Jesu war nun so angelegt, dass sie die Art der wesenhaft-göttlichen Betätigung ertragen bzw. an sich Geschehenlassen konnte; sie diente dem göttlichen Wesen des Wortes zur menschlichen Art und128 Weise der Betätigung und war das Mittel zum wahren menschlichen Leben Christi. Die Seele Jesu „empfing“ ja zuerst die Gottheit bzw. die göttliche Person und machte sich dieser dienstbar zu Akten, die der göttlichen Person Christi entsprachen. Obwohl die menschliche Seele Jesu „geschaffen“ war wie unsere menschliche Seele, so konnte sie doch der göttlichen Person Christi in einer Weise dienen, dass jene sich in ihrer göttlichen Art durch sie129 betätigen konnte. Durch den menschlichen Verstand und die übrigen Anlagen der Seele Jesu floss der göttliche Habitus des Seienden, des Wissenden usw. Christi Leben war auch in seiner Menschheit „Tat“, schon wirkliche, absolute „Tat“, nicht „Übung“; sein Wissen brauchte nicht durch den Verstand erzeugt oder hervorgerufen werden; es war schon da; seinen Verstand „trug“ sein göttliches Wissen in sich; er war der Behälter seines Wissens.130 Das menschliche Leben Jesu entwickelte sich, wurde immer umfangreicher, aber deshalb nicht vollkommener, weil es schon von Anfang an höchst vollkommen war. Die Richtschnur im menschlichen Leben Jesu war die göttliche Person und ihr vollkommener Habitus sittlicher Heiligkeit.

1499 |        Seit heute Morgen befand ich mich in der Art der Verstandesbetätigung131 Christi als Mensch, nicht als der „Übende“, sondern als der „Seiende“; gelebte „Tat“ ist das Resultat dieses Lebens. Auf dem vollkommenen Tugendhabitus baut diese göttliche Vollkommenheit des „Tuenden“ auf und es wird eine menschlich gelebte göttliche Vollkommenheit. Ich konnte im eigenen Erleben dieses Zustandes das Wesen eines derartigen Lebens gut unterscheiden und erklären, aber jetzt am Nachmittag bin ich wieder im Dunkel und sehr im Leiden.

 

19.01.1942

1500 |        Ich leide innerlich unaussprechlich; ich werde seelisch wie „hingeschlachtet“ mit großen Schmerzen. Wo ich mich hinwende: es ist nur geistiger Schmerz und Leiden. Dabei habe ich das große Verlangen, wenigstens in Ruhe leiden zu können und nicht dabei noch an äußere Pflichten gebunden zu sein.

1501 |        Doch es herrscht in mir der Wille: Ich will leiden, will immer leiden.

 

20.01.1942

1502 |        Heute bin ich innerlich ausgeglichener und nicht mehr so arg im Leiden, aber doch in einem innerlich gekreuzigten Zustand wegen der Leere meines Verstandes und wegen meiner Nichtigkeit; dieser Zustand ist nicht minder schwer, obwohl in anderer Form. In dieser Art des Leidens bin ich innerlich dem nächstfolgenden Ziele näher. Aber mit diesem Ziele ist mir etwas anscheinend so Unerreichbares vorgestellt, dass ich mich frage: Wie wird Jesus jetzt das in mir machen, dass ich tatsächlich jene Stufe des Eingehens in ihn erreiche, die ich voraussehe? Es ist in Worten nicht auszusprechen, in welcher Weise mich Jesus für sich gebrauchen will, um seine göttlich-geistige Verstandestätigkeit als Mensch meinen Verstandesfähigkeiten näher zu bringen und diese zu einer gewissen Wiederholung seiner geistigen Betätigung als Mensch zu gebrauchen. – Doch ich lasse den Heiland in mir machen, was er will, wenn es mir auch noch so wehe tut.

 

21.01.1942

1503 |        Die großen Leiden sind nun etwas abgeflaut und ich nähere mich anscheinend dem geistigen Ziele, dem sie den Weg bereiten sollen.

1504 |        Heute Morgen, als ich unter einer Sorge bezüglich einer äußeren Angelegenheit in Unruhe war und darunter litt, „nahm mich Jesus mit dieser Sorge in sich auf“ und ließ mich innerlich verstehen: „Wenn du bereit bist, auf jede geistige Selbsttätigkeit zu verzichten, so will ich dich mit allem, was dich äußerlich oder persönlich betrifft,132 in Mich aufnehmen, und in Mir wird dir alles zukommen, was dir persönlich entspricht“. – Im gleichen Augenblick war ich mit allen eigenen Bedürfnissen in Jesus aufgenommen, sodass ich mich in keiner Weise mit meinen persönlichen Angelegenheiten beschäftigen kann; alles wird mir in ihm und mit ihm besorgt. Der geistige Sinn der inneren Erkenntnis oder vielmehr des in einem Augenblick von Jesus in mir Bewirkten und Vollzogenen war der: Wenn ich vollständig auf mich verzichte (und dabei schaute ich die Tragweite dieses Verzichtes), so wird mir in ihm auch alles gegeben, was mir persönlich notwendig ist.

1505 |        So schreite ich innerlich immer mehr in Jesus hinein, aber der Weg dahin ist so weit, dass es scheint, ich könne schier nimmer ans Ziel gelangen.

 

22.01.1942

1506 |        Heute bin ich wieder sehr im Leiden, die unaussprechlich sind. Ich kann sehen, wohin ich will, in mir: Es ist alles Leiden. Es gibt keinen Augenblick der Ruhe. Das sind geistige Schmerzen, die in Worten keinen Ausdruck haben.133

 

26.01.1942

1507 |        Obwohl es in mir etwas ausgeglichener ist, so bin ich doch immer noch im Leidenszustande und habe die nächstfolgende Stufe noch nicht erlangt, die mir als Ziel gesetzt ist und auf die ich in den Leiden134 zuschreite: Die Art des göttlich-wesentlichen Habitus Christi in seiner Menschheit zu erfahren, bzw. hierzu gebraucht werden zu können zum eigenen Erleben, so wie eben die Seele Jesu die göttliche Person Christi „bedient“ hat bzw. von dieser „gebraucht“ wurde, während der göttlich-wesenhafte135 Habitus bestehen blieb in seiner göttlichen Unveränderlichkeit und doch wieder ein wirkliches Menschenleben von Jesus gelebt wurde.

 

28.01.1942

1508 |        Es dauern die inneren Leiden an, die mich dem nächsten Ziele zuführen sollen: Christus als Mensch in seinem göttlich-wesentlichen Habitus ertragen zu können. In den letzten Tagen durchschritt ich aber in einer allmählichen Erhebung zum eigentlichen Ziel verschiedene Zwischenstufen.

1509 |        Aus der Art der inneren Leiden erkenne ich, was man in sich selbst verlässt und wie ich bisher meiner eigenen Natur nach dem Naturgesetz gedient habe. Es werden in mir ständig gleichsam Fäden durchschnitten, die man mit keinem Wort ausdrücken kann. Da erkennt man, wie tief und fest unser menschliches Sein in sich geformt und befestigt136 ist, wie die menschliche Natur sich an ihrer Art in sich festhält. Mein Leben soll eben nicht mehr für mich dienen, hat nicht mehr den Zweck, Selbstdienst zu sein, sondern es wird umgeformt, um der göttlichen Person Christi dienen zu können. Der Selbstdienst, diese von Gott in die menschliche Seele gelegte Eigenheit, wird jetzt in mir in seinen tiefsten Anlagen umgebrochen, und das geht mit ganz großen, geistigen Leiden vor sich.

1510 |        Der Mensch ist von dieser Erde genommen und die Seele ist durch das Naturgesetz absolut den menschlichen Anlagen eingeordnet; in diesem Sinne ist die Seele mit ihren Anlagen „diesseitig“, wenn sie auch mit ihrem höheren religiösen Wollen darübersteht. Christus aber kam vom Himmel und ist nicht von dieser Welt; dieser Umstand gab seinem menschlichen Sein eine ganz andere Anlage und Richtung. Dies erlebe ich gerade jetzt, wo meine Seelenfähigkeiten ganz dem geistigen Einfluss der göttlichen Person Christi unterstellt, und für diese befähigt werden. Indem ich die ganz gotthingeordnete Richtung seines gottmenschlichen Lebens erfasse, erkenne ich die Verschiedenheit und den großen Abstand seiner menschlichen Natur von der meinen. In seiner menschlichen Natur war die vollkommene Hinordnung, mit der sie ihm zu Diensten war, eine wirkliche Naturanlage seiner Seele – absolut dienstbar. Darum war vom ersten Augenblick des menschlichen Lebens Christi alles auf die göttliche Person hingerichtet, wie diese es verlangte. Sein irdisches Leben war nicht erdhaft, weil die göttliche Person es beherrschte. Somit wurde Christi Leben zum Pilgerleben auf dieser Erde, auf der er wirklich nichts besaß und keinen Ruhepunkt hatte, bis er wieder zum Vater zurückkehrte. Dieser Umstand, so einfach er scheint, entspricht einer137 Naturanlage seiner Seele, die derart für diese göttliche Pilgerschaft geschaffen und gestaltet war. Infolge der Umstellung meiner Seelenfähigkeiten in jene göttliche Anlage erlebe ich nun aber den großen Abstand, der nur mit Leiden in mir überwunden werden kann. Dadurch wird meine Seele weiter der göttlichen Natur dienstbar gemacht. Ich erlebe hier einen ganz großen Unterschied zwischen dem gottmenschlichen Leben Christi und unserem Menschenleben. Dies ist die Wirkung der göttlichen Anlage, die auch im Menschen Christus unverändert blieb. Ich kann dies auch aus den Leiden erkennen, die jene Richtung in meiner Seele ermöglichen sollen. – Nichts auf dieser Welt besitzen, auch nicht dem Geiste nach, wie es sich im Menschen Christus begeben hat; das ist wiederum ein großes Geheimnis und entspricht der göttlichen Unveränderlichkeit. Und doch schien und war Christi Leben ganz gewöhnlich, denn er aß und trank und schlief, und die göttliche Person war das maßgebende im menschlichen Sein Christi. – Für mich nun, obwohl ich in so langen Leiden schon in manchen umgestaltet bin, ist diese Richtung etwas ganz Neues, und es ist auch für meine Natur etwas Schweres, das menschliche Sein ganz in den göttlichen Bereich zu verlegen; bedeutend sind auch die Folgen, denn mein menschliches Leben wird sich in einem geistig-göttlichen Rahmen auswirken. In diesem für mein kommendes Leben so folgenschweren Umstand liegt der Schwerpunkt meiner geistigen Übung, deren Resultat und Ergebnis die göttlichen Bewegungen oder Lebensakte der Person Christi sein werden. Ich kann nun aber den ruhigen Zustand in dieser Art und deren mögliche Folgerungen ganz gut ertragen.

1511 |        Eine weitere Art des naturgegebenen menschlichen Selbstdienstes sind die Bewegungen der Fantasie (die ich aber wohl schon überwunden habe) und die ganze Gedankenwelt im menschlichen Sinne. – In Christus war infolge seiner göttlichen Anlage des „Tuenden, des Actus“, die nach unseren menschlichen Begriffen nicht zu entbehrende Gedankenwelt nicht vorhanden, obwohl er in seiner natürlichen Anlage den gleichen Menschenverstand besaß wie wir. Sein Wissen wurde aber nicht wie bei unserem menschlichen Denken durch den Verstand produziert oder erzeugt, sondern es bestand schon in göttlicher Weise. Das göttliche Wissen war beim Heiland schon Natur und brauchte nicht erst erzeugt zu werden. Darum waren seine geistigen Bewegungen schon die „Tat“ und Verwirklichung seines Wissens; das, was er „tun“ wollte, brauchte keine Überlegung, auch nicht eine augenblickliche Erwägung, sondern sein Wissen „floss“ durch seinen menschlichen Verstand, sein göttliches Wissen spielte sich in seinem menschlichen Verstande ab und bewegte sich darin. Sein Verstand war eben in solchem Maße vergeistigt, dass er diese Art göttlicher Betätigung ertragen und in sich geschehen lassen, ja in menschlicher Weise dazu dienen konnte. – Man kann dieses Geheimnis nicht in menschliche Worte fassen, obwohl ich weiß, wie sich das abspielt138. Eine von Gott gegebene Erleuchtung zum Beispiel geht auch durch den menschlichen Verstand und je höher die Seele vergeistigt ist, desto unmittelbarer wird sie auf diesem Wege dem menschlichen Bewusstsein nahegebracht. Der Weg zum Bewusstwerden der fühlbaren Gnade oder einer göttlichen Einsprechung „verkürzt sich“ und wird immer unmittelbarer, je mehr die Seele in ihren Anlagen vergeistigt wird. Die Anlage des Gebers ist eben dann der des Empfängers nähergerückt139 und die göttlichen Gnaden werden darum dann auch in einfacherer Form von der Seele aufgenommen. Das „fühlbare“ Bewusstwerden der besonderen Gnade fällt dann weg und es entwickelt sich dafür ein rein geistiger Weg, der stiller und verborgener, aber unmittelbarer und klarer und für die Seele umso wirksamer ist, weil gerade das fühlbare Aufnehmen der besonderen Gnaden eine bestimmte gleichsam störende Bewegung140 oder – ich möchte sagen – ein Geräusch in der Seele hervorruft. Die Seele wird nun immer mehr geistig feinfühlig und feinhörig141; es braucht nur mehr eine göttliche Bewegung in der Seele, ja, ein Akt seines wahrgenommenen Willens genügt142, und sofort wird sie von dieser143 erfasst und augenblicklich durch den vergeistigten Verstand ins Bewusstsein gebracht. Je höher die Seele in der Vereinigung fortschreitet, desto mehr wächst auch die göttliche Beeinflussung, die dann für gewöhnlich vielleicht gar nicht mehr als solche ins Bewusstsein gelangt, sondern unmittelbar aufgenommen und vielleicht augenblicklich und sofort in die Tat der Seele umgesetzt wird. Auf diesem Weg wird Gott zum Beherrscher und Gebieter in der Seele selbst, obwohl der Seele vielleicht alles ganz gewöhnlich scheint. So geschieht es auf den höheren und höchsten Gnadenstufen der Vereinigung mit Gott, wo man dann meint oder es den Anschein hat, als hörten die besonderen Gnaden auf. Der Grund dieser Veränderung liegt aber in Wirklichkeit in der Unmittelbarkeit der besonderen Gnaden, die mit der Vergeistigung der Seelenfähigkeiten gegeben ist. Im wirklichen Vorgang zwischen Gott und der Seele hat sich nichts geändert, nur hat sich deren Aufnahmefähigkeit erhöht durch die Vergeistigung bzw. durch die höhere Art der Vereinigung mit Gott. Gott wirkt unmittelbar in der Seele, die „tut“ augenblicklich das, was sie selbst als vollkommen und heilig findet, wird aber in Wirklichkeit von Gott geführt und geleitet. Es wirkt das göttliche Leben in der Seele und sie „lebt“ das göttliche Leben, das ihr früher durch die Gnade ins Bewusstsein gebracht wurde.

1512 |        Von diesem geistigen Stadium aus weitergeführt, werde ich nun in die Möglichkeit versetzt, die göttliche Art der Verstandesbetätigung in Christus zu erfahren und mitzuerleben und somit mich selbst bzw. meinen Verstand als Mittel gebrauchen zu lassen, um das göttliche Sein und Leben Christi in mich aufnehmen zu können. Das göttliche Wesen in Christus wirkte unmittelbar in seinem Verstand, aber immerhin in seinem Verstand, denn sonst wäre es kein wahrer Mensch gewesen; sein Verstand hatte die Eigenheit, das „fließende“ göttliche Wissen aufnehmen zu können.

1513 |        Eigentlich wurde ich schon jahrelang den Weg einer diesbezüglichen Vorübung geführt, damit mein Verstand in die Möglichkeit jener Verstandestätigkeit des Menschen Christi umgeschaltet werde; doch war mir der Zweck all dieser Vorübungen bzw. der verschiedenen Stufen der Vergeistigung nicht klar bewusst geworden. Gerade die höchste Seelenfähigkeit des Verstandes lag fast immer im Feuer der Läuterung. Wie mühsam war die Übung, in die ich vom Heiland versetzt wurde, jede eigene Bewegung meines Verstandes auszuschalten! Er weiß, was ich darum innerlich144 gekämpft und gelitten habe, schon durch die beständige „Finsternis“, in die mein Verstand gehüllt war. In Wirklichkeit wurde ich leer gemacht145 von eigener Betätigung und gleichsam dem Heiland überlassen zum Umformen. Der Wille wird viel eher als Verstand und Gedächtnis Gott gefügig gemacht. Die Art dieser Seelenfähigkeiten ist tief in ihrer Naturanlage verwurzelt, und wenn der Wille schon längst bereit und befähigt ist, wird erst noch146 die Anlage des Verstandes, für die Seele selbst zu arbeiten, mit großen Leiden umgestellt. Dies ist ja die tiefste Anlage in der Seele, ihr eigenes Sein zu unterstützen, für sich selbst da zu sein, sich selbst zu dienen. In meinem Fall muss jeder Selbstdienst aufhören und alles wird in mir zu Diensten der göttlichen Person Christi umgestaltet. Das bedingt eine absolute Veränderung in meinem ganzen Innenleben, die stufenweise herbeigeführt wird. Das endliche Ergebnis aber muss eine dauernde Befähigung werden, der göttlichen Person vollständig zur Verfügung zu stehen.

1514 |        Jetzt, am Abend, bin ich in großer Ausgelassenheit mit mir selbst; d. h., in einer erhöhten Einordnung in Jesu Sein, das aber das meine zu sein scheint. Die Leiden sind abgeflaut und ich befinde mich in einem erhabenen Zustand völliger Kampflosigkeit; es ist ein unaussprechliches „Ruhen“ in mir.

 

31.01.1942

1515 |        Gestern war ein schwerer Tag, aber er zeigte in den Leiden ein weiteres Ziel in Jesus. – Morgens nach der hl. Kommunion war ich in den gewöhnlichen Zustand Jesu als Mensch versetzt: Seine göttliche Natur war so innig mit der menschlichen Natur verbunden (aber nicht zusammengeflossen), dass sich beide Naturen ergänzten und wirklich nur ein Leben bildeten. Sein göttliches Wesen trug das menschliche Leben; die Gottheit Christi verbarg sich darin und es schien alles ganz gewöhnlich, weil seine menschliche Natur der göttlichen in ganz geheimnisvoller Weise zur Verfügung stand. Das Geheimnis bildete die wunderbare Ergänzung beider Naturen in Ihren Auswirkungen.

1516 |        Ich erkannte auch den geistigen Zustand Jesu als Kind, kann es aber mit keinem Wort so recht ausdrücken. Die Gottheit schien mir gleichsam wie ein Lichtkörper, von dem das Kind erfüllt war. Das Licht im Kinde war aber nicht tätig, sondern es „ruhte“ gleichsam in ihm. Gewiss bewahrte das Licht die Anlagen und die Wirkungen des Lichtes und es blieb befestigt im großen Licht des Vaters, von dem es ausging. Mit dem Wachsen des Kindes entfaltete sich dann das göttliche Licht im Kinde zu einer immer regsameren Tätigkeit zum Vater und im Vater. Das göttliche Kind erfasste im Licht seiner Gottheit seine Erlöseraufgabe und dieses Erfassen und Erkennen wuchs mit den Jahren und mit der Entfaltung der Kräfte seiner menschlichen Natur.

1517 |        Ich erlebte es so: Jesus hielt sich für gewöhnlich in allem an die Gesetze seiner Menschheit und überschritt für gewöhnlich deren Grenzen nicht. So hielt auch das Bewusstsein147 seiner Erlöseraufgabe in der auszuübenden Form – das ganze Ausmaß der Erlöseraufgabe war sich Jesus schon bei seiner Menschwerdung voll bewusst –148, gleichen Schritt mit dem Erwachen bzw. mit der Entwicklung seines menschlichen Intellekts. Es war aber nicht so, als hätte das kleine Kind – oder auch schon das kleine Wesen vor der Geburt – nichts von seinem erniedrigenden Zustand als Erlöser gewusst. Jesus trat vielmehr schon im ersten Augenblick seines gottmenschlichen Daseins bewusst in diesen erniedrigenden Zustand. Aber dieses geistige Leiden, obwohl im höheren Teil der Seele mit Bewusstsein gelitten, blieb im Kinde mehr verborgen und nahm erst mit dem Alter zu im Bewusstwerden durch den menschlichen Intellekt. Das Leiden „ruhte“ gleichsam im Kinde, weil es zum menschlichen Bewusstwerden seinen menschlichen Verstand brauchen musste, der aber nach den gewöhnlichen Gesetzen der menschlichen Natur entfaltete. Das Kind äußerte sich auch noch nicht über das Leiden, aber nicht etwa deshalb, weil es gleich anderen Kindern noch nicht sprechen konnte, sondern in erster Linie deswegen, weil der geistige Reflex des Bewusstwerdens durch den menschlichen Intellekt sich dem entsprechenden Alter und dem damit sich entwickelnden Gemütsleben anpasste. Was die geistige und seelische Entwicklung betrifft, war Jesus allen Menschenkindern gleich. Weil aber die göttliche Person, die Trägerin dieses Kindeslebens war, ihr göttliches Bewusstsein niemals ablegen konnte, so war auch schon im ersten Augenblick das Bewusstsein des göttlichen Seins vorhanden, wenn es sich auch in den Auswirkungen auf die menschliche Natur deren Wachstumsgesetzen anpasste und sich allmählich entsprechend erhöhte. So fühlte Jesus vom Augenblick seiner Menschwerdung an alle die begleitenden Verdemütigungen, hielt sich aber auch hierin an die Grenzen seiner Menschheit. Dabei war aber Jesus doch das geistig frühreife Kind, dessen menschliche Entwicklung den Anforderungen und der Würde der Gottheit und der göttlichen Person entsprach.149

1518 |        Es wurde mir darüber folgender geistige Vergleich gegeben: Ein Königssohn hat sich mit einer armen Braut verbunden und ist mit dieser in ihre arme, kleine Wohnung eingezogen; er hält sich nun mit seiner Braut in der armen Hütte auf und begnügt sich damit, weil er eben die Braut liebt und sich ihr angelobt hat und alles mit ihr teilen will150. Er lebt das Leben seiner Braut, obwohl er sich ständig seiner Abkunft, seines Reichtums und seiner Macht bewusst ist und seinen Adel nicht verlieren konnte, da er von adligem Blute ist. Weil er aber seine Braut liebt, hält er sich in allem an deren Leben und Lebensart. Er „geht nicht aus“ ohne die Braut und beide leben zusammen. So hat Jesus unsere Menschheit angenommen und sich in allem der menschlichen Natur bedient, weil er die Menschen liebt und sich deshalb zur Menschheit herabgelassen hat. Er hielt sich für gewöhnlich in allem an die Grenzen seiner menschlichen Natur, obwohl er sich seiner Gottheit stets bewusst blieb. Er ließ sich in seiner Liebe so sehr zu seiner Menschheit und durch diese zu jeder Menschheit herab und wohnte ihr so zu tiefst ein, dass er sich fast zu vergessen schien. Jesus „ging nicht aus“, d. h. er ging nicht aus sich heraus, sondern betätigte sich stets durch seine Menschheit und tat nichts, ohne seine Menschheit als Werkzeug zu gebrauchen, diese war ihm das Hilfsmittel zu einem menschlichen Leben.

1519 |        Jesus als Gott äußerte sich durch die menschlichen Sinne. Wie er sich in allen durch seine Menschheit äußerte und sich dadurch den Menschen kundtat, sich seiner menschlichen Sinne hierzu bedienend, so nahm er auch als wahrer Mensch die Außenwelt durch die Sinne und Seelenfähigkeiten in sich151 auf. Er ist uns eben in allem gleich geworden. So drang, genau so wie bei uns, die Außenwelt über die Sinne und den Verstand in sein Gemüts- und Seelenleben ein. Weil aber alles von seinem göttlichen Person-Zentrum, dem Träger seiner Akte, aufgenommen wurde und damit seine Gottheit traf, fand die eindringende Außenwelt auch göttliche Reflexe und Reaktionen, die wieder mit göttlicher Feinheit und Feinfühligkeit in sein Gemüts- und Seelenleben zurückgeworfen wurden und zurückstrahlten, deren Entwicklungsstufe aber angepasst. Ähnlich reflektierten sich die äußeren Leiden, schon die des Kindesalters Jesu, entsprechend dem Erwachsen und Entfalten des Gemütslebens im Kinde.

1520 |        Jesus lebte ein göttliches Leben, das durch die menschliche Seele und deren Hilfsmittel und Kräfte bzw. durch seine gesamte menschliche Natur zu einem wahren, wirklichen Menschenleben wurde. Wenn Jesus z. B. den Unglauben der Juden mit seinem menschlichen Verstand und Gemüt aufnahm, so war das Wissen um diese Geisteshaltung des Volkes, das Durchschauen des Unglaubens, infolge seiner göttlichen Allwissenheit schon vorher in ihm und brauchte nicht erst durch überlegen und Nachdenken in seinem Verstand erzeugt und erarbeitet zu werden. Sein menschlicher Verstand wurde aber zum menschlichen Träger dieses seines göttlichen Wissens und war das Mittel zur Aufnahme des göttlichen Reflexes und zu dessen Weitergabe an das ganze Gemüts- und Seelenleben Jesu, ohne dass in ihm das Wissen erst erzeugt oder produziert hätte werden müssen. Und auf diese Weise wurde Jesus zum Leidenden.

1521 |        Ich erkannte aber innerlich: Jesus bediente sich seiner göttlichen Allwissenheit für gewöhnlich nicht im großen Format – ich habe kein anderes Wort für dieses innere Erfahren – sondern er ließ das Leben und dessen Begleitumstände so an sich herankommen, wie die augenblicklichen, jeweiligen Erlebnisse jeden Menschen treffen. Gewiss schaute sein allwissendes Auge in die Ferne, aber er ließ die Gegenwart nicht minder als wahrer Mensch auf sich wirken. Er war in jedem Augenblick ganz seinen menschlichen Aufnahmefähigkeiten und den entsprechenden seelischen Akten und Reflexen hingegeben. Sonst wäre Jesus kein wahrer Mensch gewesen, denn es hätte ihm die Grundlage und Bedingung dafür gefehlt. Im Verkehr mit dem Vater und im Sein im Vater wurden freilich die von außen eindringenden Erlebnisse in göttlicher Weise gleichsam verarbeitet und dem Vater und vor dem Vater als göttliche Werke und Leiden weitergegeben und dargebracht. Dieses Weitergeben und Darbringen geschah schon im Leben und Leiden selber; denn Jesus war, obwohl ein selbstständiges göttliches Wesen, doch wesentlich immer im Vater und bot sich selbst mit seinem Erlöserleben jeden Augenblick zum Opfer dar. So wurden die Eindrücke der Außenwelt von Jesus in menschlicher Art und Weise aufgenommen, gingen seiner göttlichen Person zu, wurden von dieser in das Gemütsleben reflektiert und zurückgeworfen und gingen als gottmenschliches Tun und Leiden durch seine göttliche Person im wesentlichen göttlichen Sein zum Vater, alles dies aber in Augenblicksgeschwindigkeit.

1522 |        Ich erlebe heute, wie mein ganzes menschliche Sein immer mehr in den göttlichen Bereich Christi gezogen wird. Ich spüre aber nichts von Jesus, sondern ich bin einfach dem Träger meines Seins ganz unterstellt. Mein früheres Sein ist wie losgelöst, weggefallen und zurückgelassen. Das gibt mir einen großen inneren Frieden, und eine neue Kraft durchströmt mich, die Kraft des Trägers und Beherrschers meines Seins und Lebens. Ich bin in einer noch viel höheren Konzentration als früher und dies erleichtert meine innere Lage, weil ich im Höchsten meines Seins befestigt bin. Das gibt mir die große Ruhe und Bereitschaft für das Kommende.

1523 |        Jesus verlangt immer wieder neue Hingabe und Bereitschaft und er „nimmt“ mich immer mehr für sich.

 

Februar

01.02.1942

1524 |        Heute glüht alles in mir von inneren Leiden. Ich bin ganz aus meinem früheren Sein herausgehoben; die Grundlage dafür ist entfernt und ich fühle mich geistig wie zwischen Himmel und Erde. Wohin ich mich wende in mir, überall ist nichts, lauter Nichts, nur Ekel und Widerstreben gegen mich. Mein armes, verachtungswürdiges Sein muss verbrannt werden im Feuer der göttlichen Liebe.

1525 |        In diesen schweren Leiden bin ich hingerichtet auf ein weiteres geistiges Ziel in mir: ganz im göttlichen Bereich mein Sein zu finden und zu fundieren. – Nichts mehr für mich, ganz in Christi Person aufgehen, dort für immer befestigt werden! – Von der Person Christi geht das Leben aus, für das ich gebraucht werde; sie erfasst und durchdringt mich zu einem Leben.

1526 |        Aber wie sind die Leiden, die mich umgestalten, so furchtbar lebendig und durchdringend! Ja, es ist wahr – so möchte ich beinahe auch diesbezüglich sagen – dass es schrecklich ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Ich bin wie ein Baum, der aus seinem gewöhnlichen Standort ausgegraben und anderswohin versetzt wird, aber dies geschieht gleichsam mit glühenden Werkzeugen.

1527 |        Doch alle Leiden sind auch wiederum nichts gegen den Genuss des Friedens und der vollen Harmonie, die ich gestern Abend und heute früh in Jesus vorerlebt habe. Dann bin ich für immer in ihm gerettet und gesichert.

 

Abends

1528 |        Soeben hatte ich in der Kapelle beim Hl. Segen wiederum das klare Erkennen innere Erkennen und Erfahren, dass Jesus schon vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung an geistig gelitten hat. Schon beim Entschluss, Erlöser werden zu wollen, überschaute Jesus das ganze Ausmaß seiner Erlöseraufgaben und deren Auswirkung für ihn. Er war sich dann seiner Verdemütigung voll bewusst, als er in den Schoß Maria herabstieg. Er fühlte da den unermesslichen Abstand zwischen der ihm gebührenden Stellung und dem verdemütigenden Zustand des Weges aller Menschenkinder. Infolge seiner göttlichen Vollkommenheit der Unveränderlichkeit konnte er sein göttliches Bewusstsein keinen Augenblick ablegen. Er blieb sich also immer seiner göttlichen Würde bewusst, aber es blieben doch für gewöhnlich nur die habituellen Wirkungen dieses göttlichen Bewusstseins bestehen, da er als Erlöser der ihm als Gott gebührenden Ehre, soweit möglich entsagen und zur innigsten Verbindung mit der Menschheit sich erniedrigen wollte. Es blieb die wesentlichen Wirkungen seines habituellen göttlichen Bewusstseins, während er als Erlöser auf gewisse Auswirkungen seines göttlichen Seins und Bewusstseins verzichtete; er begnügte sich mit dem tiefsten eigentlichen Wesen, das er unverlierbar war, entsagte aber, soweit möglich der Ehre, die ihm gebührte.

1529 |        Und in dem, was seine Erlöseraufgabe schon in dieser Einsicht mit sich brachte, erkenne und erlebe ich die Leiden des göttlichen Kindes, wahre und schmerzliche, geistige Leiden, obwohl die Leiden des Gefühls- und Gemütslebens erst allmählich und immer mehr sich steigernd nach den gewöhnlichen Gesetzen der menschlichen Natur einsetzten. Als Jesus z. B. bei seiner Geburt von den Menschen abgewiesen wurde und in jener armen, verdemütigenden Weise das irdische Leben beginnen musste, fühlte er seine Armut und litt darunter. Es waren wirkliche Leiden, weil die göttliche Person, die das Bewusstsein ihres Seins nie verlieren konnte, sich der neuen Lage immer bewusst war. Im Menschen Christi litt eben die göttliche Person Christi, die ihr ganzes Menschenleben vom ersten Augenblick an „bewusst“ als göttliche Person getragen und die wesentlichen Auswirkungen der Gottheit immer an ihrer menschlichen Seelen erfahren hat – sonst wäre sein Leben kein gottmenschliches gewesen, was es aber doch jeden Augenblick war und sein musste. In der höchsten Spitze der Seele, in der Gottseele überschaute die göttliche Person Jesu den Abstand gegenüber ihrem früheren Sein und die jetzigen verdemütigenden äußeren Umstände und so wurde ihre Lage bewusst zum Leiden.

1530 |        Nehmen wir zum Vergleich an, unsere Seele wäre sich im Augenblick ihres Entstehens ihrer Lage und ihres Aufenthaltes während der aller ersten Lebenszeit bewusst, oder gar: Sie hätte vorher eine bestimmte Stellung eingenommen, die sie nun, um sich wissend, mit der beengenden Lage in der ersten Lebenszeit vertauschen müsste: Wie müsste sie sich verdemütigt vorkommen! Doch unsere Seele ging aus dem Nichts hervor und erwacht erst mit der Vernunft zum Bewusstsein und zur geistigen Betätigung. Die zweite göttliche Person aber hatte ihr Sein und Bestehen von Ewigkeit her und musste die Veränderung ihrer Stellung bei der Menschwerdung bewusst wahrnehmen. In Christus betätigte sich die Gottheit schon im Mutterschoß durch und vermittels der geistigen Seele dem Vater gegenüber und bediente sich, vom ersten Augenblick des menschlichen Seins an, der menschlichen Seele im Verhältnis zum Vater, da die menschliche Seele Jesu ja vom ersten Augenblick an bewusst von der göttlichen Person getragen war. Darum war Jesus auch schon als kleinstes Kind und schon im Mutterschoß leidensfähig und bewusst leidensfähig. Die weiteren Auswirkungen auf die „Sinne der Seele“ bzw. auf das Gefühl, Gemüt und alle Anlagen, die eine Betätigung des menschlichen Verstandes voraussetzen, entwickelten sich nach den gewöhnlichen Naturgesetzen mit der Vernunft des Kindes und steigerten und weiteten damit psychologisch die geistig schon bestehenden Leiden. Im ersten Lebensalter Jesu vollzogen sich darum die Leidensmomente in den höchsten Anlagen der Seele und allmählich mit der Entwicklung des Kindes erfassten sie auch die tieferen und niederen Anlagen. Immer aber kam sowohl sein göttliches wie sein menschliches Sein irgendwie zum Ausdruck, weil sein göttlich-wesentlicher152 Habitus immer wirksam war, aber sich durch die menschliche Seele betätigte und auswirkte.

1531 |        Jesus spürte auch die äußeren Umstände seines ersten Kindeslebens, die Armut, Verfolgung, Kälte usw. Auch dies wurde als wirkliches Leiden von seiner gottmenschlichen Seele aufgenommen und dem Vater schon als gelebte und gelittene Erlösungsakte dargebracht. Es war aber nicht so, als hätten diese Leiden für gewöhnlich das Frohsein des Kindes Jesu gehindert und eine melancholische Wirkung auf seine Kinderjahre ausgeübt. Wohl wirkten die seelischen Ereignisse auch auf das Gemütsleben des Kindes, aber dieses war auch insofern ein göttliches Kind, als seine Geisteskraft die Trägerin des ganzen Gemütslebens war und folglich darüberstand und es beherrschte. Die menschliche Entwicklung, die sich durch die Sinne der Seele zu äußern begann, ließ dann allmählich im gesamten Seelenleben des Kindes die Erlöseraufgabe in immer vollerer Auswirkung sich ausprägen und aufleuchten. Es war so, als dringe das Bewusstsein des Erlösers zunächst von oben, von der höchsten Spitze der Geistseele und von den höchsten Geistesfähigkeiten hinab nach unten in die tieferen Anlagen und Fähigkeiten der Seele, bis dann die Entwicklung des Kindes so weit war, dass es auf dem gewöhnlichen menschlichen Weg die äußeren Eindrücke und Einflüsse von außen nach innen und von unten nach oben leiten und führen konnte. Mit dem zunehmenden Alter wuchsen in der Seele Jesu auch die Auswirkungen seiner Erlöseraufgabe, d. h. die Erlösung wurde menschlich dem Erlöser immer intensiver bewusst als seine Last, die abzutragen er gekommen war. Jesus wurde damit auch psychologisch zum Mittelding zwischen Himmel und Erde und durch die Last seiner Aufgabe zum Mittler. Er trug in sich die Last, die er auf sich genommen hatte und die der eigentliche Zweck seiner Menschwerdung war. Sie war mit seinem menschlichen Leben so eng verbunden, dass sein eigenes Leben ganz der Erlösung diente. Er lebte diese Erlöserleben jeden Augenblick, und mit jedem Augenblick trug er die Schuld der Sünde der ganzen Menschheit ab, indem er sich zum Träger des Zwiespaltes machte, der durch die Sünde zwischen Gott und der Menschheit aufgerissen war, der seitdem auf die Menschheit lastete und den er als zu lösende Aufgabe auf sich genommen hatte. Auf ihm lag darum das Gesetz des Zwiespaltes, das die Sünde in ihren Auswirkungen zwischen Gott und den Menschen hervorgebracht hatte. Jesus erlebte und fühlte die Folgen dieses Zwiespaltes in ihrer ganzen Schmach und Schuld, die er abzutragen hatte, alles, was die Sünde als Folge mit sich brachte, den Stachel der Sünde, das Verletzende und Schmerzhafte für die Seele, das die Sünde zur Folge hatte, das Verdemütigende, das die Sünde für die Seele brachte. Es waren sie seelischen Auswirkungen der Sünde, die Jesus auf sich genommen hatte und für die er Opfer wurde. Das alles hatte die Sünde angerichtet und so tief hat sie die Menschheit erniedrigt.

1532 |        Eine Folge des durch die Sünde hervorgerufenen Zwiespaltes zwischen Gott und der Menschheit war auch der Tod Jesu am Kreuz. Auf der Sünde lag das Gesetz des Todes und Jesus hat auch diesen auf sich genommen, um die Gewalt des Todes zu brechen. Christus wurde Mensch, um für die Menschen sterben zu können, damit dem Tod das ewig Tödliche genommen wurde. Durch ihn und seinen Tod führt nun der Tod wieder zum Leben in Gott. Jetzt, am Abend bin ich in großem Frieden in Christus bzw. in meinem Sein. – Morgen, am Feste der Darstellung Jesu im Tempel und seiner eigenen Einopferung an den Vater, will ich mich ohne Vorbehalt ganz mit Jesus opfern, um ihm ganz zu Diensten zu sein nach seinen Absichten. Aber so wie Jesus mit Maria und in Maria sich opferte, so ist sie auch jetzt gleichsam die Opferpriesterin und die eine Mutter, die uns darbringt.

 

02.02.1942

1533 |        Heute Morgen habe ich mich durch die Hände Mariens Jesu ganz zum Opfer gebracht und durch ihn und wie er im Tempel seinem himmlischen Vater. Ich will dem Heiland das bieten in mir, was er nicht mehr hat: Eine Leidensfähigkeit, die ihm nach seinen Absichten zu einer geistigen Wiederholung seiner inneren Leiden dienen soll. Ich weiß wohl im inneren Erfahren, welches Ausmaß der Hingabe er von mir verlangt. Aber im Glauben an ihn, im vollen Vertrauen auf seine göttliche Treue bin ich ihm ganz zur Verfügung gestellt, denn ich erfahre in meinem Leiden die Treue seiner göttlichen Verheißungen.

1534 |        Ich bin in großem Frieden und in Einheit mit Jesus; das ist nicht fühlbar, sondern ein habituelles Erleben seines Seins und der Wirkungen, die Jesus in sich trägt; ich lebe ihn.

1535 |        Der liebe Heiland ließ mich auch, als Beweis seiner wirklichen tatsächlichen Leiden vom Augenblick seiner Menschwerdung an, diese innerlich erfahren, besonders den Hochmut der Menschen, der sich in seinen Kinderjahren auf seine Hilflosigkeit ausgewirkt hat. Ich habe diese seine Leiden, im eigenen Erfahren innerlich erlebt, aber es gibt kein Wort, um sie wiedergeben zu können.

1536 |        Jesus war klein und hilflos geworden und ließ die sündigen hochmütigen Menschen über sich herrschen. Er wusste aber dabei um sich und seine Würde, und empfand in seiner unendlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit unaussprechlich das Unrecht des Stolzes und der ihm angetane Geringschätzung, Zurücksetzung und Verachtung. In zwei Worten könnte man vielleicht sein geistiges Leiden so andeuten: „Das alles (an Würde, Größe, Reichtum) bin ich – und so (wie ein Nichts, das unerwünscht und lästig ist) behandeln die Menschen mich und setzen sich verächtlich über mich hinweg“. Und dieser Hochmut der Menschen drang wie glühende Pfeile in das Herz des Kindes. – Ich durchschaute die ganze Menschheit in ihrem Hochmut und Stolz, in ihrem Eigendünkel153 und ihrer Anmaßung und wie die Menschen, von denen ich mich umgeben fühlte, mit Abneigung und Verachtung auf mich herabsahen. Es war ein geistiges Durchschauen der Seelen und dessen geistige Auswirkung auf den armen, unscheinbaren Erlöser. So wie Jesus die Menschen durchschaute und als Wirkung daraus sich für ihn das Leiden unter seiner armen, verdemütigenden Lage ergab, so habe ich es innerlich in eignem Erfahren erlitten. Die Wand, hinter der sich die Seele vor sich selbst verborgen [hat], hatte sich geöffnet und in Jesus durchschaute ich die Abgründe der Sünde in den Seelen, besonders ihren Hochmut und Stolz. Dies sehen zu müssen erzeugt einen so großen Schmerz in der Seele, dass es keinen Ausdruck dafür gibt. – (Soeben versprach mir der Heiland, es werde in meinen Leiden bzw. im Nacherleben seiner Leiden bestätigt werden, dass es sich mit den Leiden Jesu bei seiner Menschwerdung und in seiner ersten Lebenszeit wirklich so wie beschrieben verhalten hat.) – Ich stelle mich aber dem Heiland und seinen Leiden ohne Vorbehalt zur Verfügung.

 

03.02.1942

1537 |        Seit gestern Abend erlebe ich in mir einen bis jetzt noch nie erfahrenen ausgeglichenen Geisteszustand. Ich bin mir alles; in diesem „bei mir“ herrscht volle Ruhe und – was das Köstliche ist – vollkommene, geistige Kampflosigkeit. Alles in mir „ruht“ in mir. Ich bin angelangt an meinem geistigen Zentrum und dieses Zentrum ist mein Sein und mein „bei mir“. – O, wie glücklich, selig, ruhig ich bin! Ich bin aber aus mir selbst so glücklich, selig, ruhig, weil ich in mein Sein zutiefst eingetaucht und davon durchlebt bin.

1538 |        Ich schaue in mir, von der höchsten Spitze meines Seins bis zu meinem unteren Sein: Es ist ein Augenblick seligen Genießens, weil alles in mir zu meinen Füßen liegt und ich alles mit einem Akt meines Wollens regiere. Ich kann in mir tun, was ich will, denn alles gehorcht mir auf den Wink, weil jedes geistige Atom mir selbst unterstellt ist. Dieser Akt meines Wollens ist aber nicht ein gebieterischer und gebietenmüssender Wille, nein, er ist schon Leben selbst, ist schon das Tun. Ich wende mich auf jedwelche Seite meines Seins und es ist ein schon getaner Akt. Ich „tue“ immer das, was ich will, und es ist immer schon getan in mir, so sehr sind meine Geisteskräfte in mir zur Verfügung. Mein ganzes Sein ist „Leben“, schon wahrhaftiges, wirkliches Leben, das keiner Vorübung oder selbstischen Bemühung bedarf. Ich „tue“ alles aus der Quelle meines Seins, die immer schon wirkliche „Tat“ hervorbringen kann. In mir strömen Kraftquellen, die immer schon Taten hervorbringen können; wie die Fluten eines Wasserfalls nehmen sie mein Sein mit. Es sind immer fließende Quellen in mir, die aber eine Eigenheit haben, dass sie nämlich nimmer fühlbar sind und kein Geräusch machen. Ihr Merkmal ist die Stille, die Ruhe, und aus dieser unergründlichen Ruhe fließen meine ganze Kraft und mein Sein.

1539 |        Ich bin wie eingebettet in ein Herz, das so weich, so warm und so still ist. Ich bin von den zärtlichsten Armen umfangen und ständig an ein liebendes Herz gedrückt. Dieses Herz ist mein „Daheim“ und mein Sein und ich lebe dieses lieb-warme Herz. Mein Leben ist der Schlag dieses Herzens; darum braucht es keine Anregung und keine „Bemühungen“ mehr, weil dieses Herz lebenswarm ist und ewig und immer schlägt und lebt. In so weichen Kissen hat Jesus mich in sich gebettet und selig bin ich in ihm zur Ruhe gekommen. O Himmel, wie selig wirst du einst sein! –

1540 |        Ich habe Unaussprechliches für alle Leiden und Kämpfe hier schon erhalten. Ich lebe den, dessen tiefstes Sein „das Sein und die Tat“ ist, ohne Vorübung und Vorbemühung. Ich bin in dieser Teilnahme an ihn und ich habe dieses herrliche Ziel erreicht; ich kann Jesus in dieser Vollkommenheit ertragen und er kann mich für diese göttlichen Akte gebrauchen.

1541 |        Ich habe heute Morgen viele innere Erkenntnisse gehabt, weitere Erklärungen über das, was ich gestern geschrieben habe.

1542 |        „Auf Jesus, den Erlöser, war das Gesetz des Zwiespaltes zwischen Himmel und Erde gelegt“. – Dieses Wort wurde mir heute erklärt:

1543 |        Wie Gott dem Menschen bei der Erschaffung eine besondere Belohnung für den Fall der Treue gegen sein Gebot in Aussicht stellte, so kündigte er auch eine Strafe an für den Fall der Nichtbeobachtung. – Als die Sünde geschehen war, folgte auch schon die Strafe: Die ersten Menschen „sahen ein“, was sie getan hatten. Sie „litten“ unter ihrem eigenen Vergehen und die Sünde brachte das Leid in seiner inneren und äußeren Form in die Welt. Das Leiden wurde zu einem Gesetz, das Gott über die Menschen verhängte, und zwar war es für Gott ewig so bestimmt. Und das Ende dieses Lebens sollte der Tod sein, dem auch eine ewige Trennung von Gott folgen sollte. – Jede Sünde, mag sie noch so verlockend scheinen, gebiert in der Seele des Menschen den Schmerz. Der Sünde Folge ist das Leid: Das wurde zu einem unabänderlichen Gesetz für die Menschheit. Schon das „Einsehen“ des Menschen nach begangener Sünde bedeutet für ihn immer einen Schmerz; denn das Gefühl und Bewusstsein, ein Unrecht begangen zu haben, steht unabsichtlich vor ihm. Und wenn der Mensch in diesem Zustand stirbt, so folgt gerade dieses Leiden schon ewig oder zeitlich. Kein Mensch kommt an diesem Gesetz vorbei, ob er an die Sünde selbst glaubt oder nicht154.

1544 |        Da kam Christus. Er stand nicht unter diesem Gesetz, aber er nahm es auf sich, damit es für die Menschheit nimmer auf ewig zum Tode führen solle. Er wollte „einsehen“, was die Menschen nicht sehen wollten noch wollen: ihre große Schuld vor Gott. Er wollte den Schmerz dieses Einsehens auf sich nehmen, damit er für die Menschen zur Heilung und Befreiung von der Sünde würde. Er wollte ein Leben solchen Leidens führen, damit die Menschheit gerettet werde. Er wollte „sterben“ damit die Macht und das Gesetz des ewigen Todes gebrochen werde, und der Mensch nicht ewig für seine Sünde leiden solle. Er stellte sich freiwillig unter dieses Gesetz, die Sünde und ihre Schuld vor Gott erkennen zu müssen – auf dass die Menschen durch ihn wieder zum Heil und zur Versöhnung mit Gottes Gerechtigkeit gelangen können.

1545 |        Christus nahm auf sich den Stachel der Sünde; er erlitt ihn an seiner gottmenschlichen Seele und an seinem heiligen Leibe. Jesus ertrug den Stachel der Sünde nach außen: Er unterstellte sich hienieden dem Leben der Sünder in ihrer Bosheit, Laune und Grausamkeit. Er erlitt die Sünde in ihren Folgen an seiner Seele und an seinem Leibe: Die Sünden nämlich, die von außen ihn verwundeten, den Unglauben, den Hass, den durch die Sünder über ihn verhängten Tod. Er starb am Stachel und an der Bosheit der Sünde. – Das innere Maß, womit der Erlöser die Sünde maß, war seine Heiligkeit und Reinheit gegenüber den Abgründen der Sünde in all ihren Möglichkeiten und Auswirkungen für die Seelen. Christus muss die Sünde dem Zustand der Reinheit, in dem die Menschen aus der Schöpferhand Gottes hervorgingen und mit dem zeitlichen und ewigen Verderben, in das die Sünde den Menschen nach Gottes Gerechtigkeit gebracht hat. Christus schaute die Sünde mit den Augen der Gerechtigkeit Gottes.155 Er schaute und erkannte jede einzelne Sünde, die für die Seele ewigen Tod bedeuten sollte. Freiwillig „erlitt“ er innerlich das Böse und Hässliche und den Undank der Sünde. Er sah sie an156 mit göttlichen Augen und verabscheute sie anstelle der Menschen vor Gottes Gerechtigkeit. – Und um dieser Leiden willen, bzw. um anstelle der gefallenen Menschheit diese große Schuld vor Gottes Gerechtigkeit anzuerkennen, ist Christus Mensch geworden. Er wollte die Sünde „erleiden“ und um dieser Leiden willen und um dieses göttlichen Ersatzes willen im Erlöser157 gab Gottes Gerechtigkeit wieder Erbarmen und hob das ewige Gesetz des Zwiespaltes auf um seines Sohnes willen, der sich freiwillig unter das Gesetz gestellt hat und die Folgen der Sünde an sich erlitt, auf dass Versöhnung werde zwischen Gott und den Menschen. Damit der Mensch durch sein eigenes Einsehen und Erkennen seiner Sünden die Möglichkeit der Überwindung der Sünde und der Befreiung aus ihr erlange, dazu erwarb Christus von Gottes Gerechtigkeit das Gesetz der Erlösung und der Barmherzigkeit158 und besiegelte es mit seinem Tode.

 

04.02.1942

1546 |        Ich kann nun ganz gut den inneren Zustand ertragen, den ich gestern beschrieben habe und in den ich am 2. Februar abends eingegangen bin. Es ist kein bloßes Vorauserleben, sondern es ist schon mein wirklich erreichter und bleibender Zustand. Es ist eine ungemein große Wohltat, mein früheres Sein so erstorben zu wissen, dass es mich nimmer stört; es ist überschritten vom neuen, wirklichen Leben, das ich in Christus, bzw. in seiner göttlichen Person schon ertragen kann. Der köstliche Genuss meines inneren Zustandes ist die völlige eigene Kampflosigkeit, das vollständige Ruhen in mir selbst, weil alles, was ich an geistigen Gütern brauche, in mir schon vorhanden ist; ich brauche sie nur zu leben. Ich nehme immer aus den unerschöpflichen geistigen Vorräten in mir. Es braucht keine Bemühung, diese oder jene Tugend zu „üben“, ich lebe vielmehr das Tugendleben in jeder Form, denn es ist mir gegeben. Es kostet mich keine Überwindung, dies oder jenes Unangenehme zu tun; ich tue es und kann es machen und ich habe die Kraft in mir, das Unangenehme dieser Handlung mit auf mich zu nehmen, ohne dass dadurch mein innerer Friede und die geistige Harmonie gestört wird.

1547 |        Ich bin in mir ganz „daheim“. Ich lebe immer das Zentrum meines Seins und dies ist die Quelle, aus der ich leben und nehmen kann. Ich lebe die Quelle selbst; ohne mich darauf besinnen zu müssen, schöpfe ich wie naturhaft aus ihr. Sie ist mein gewöhnliches, naturhaftes Sein geworden. Darum ist so viel an einem „Erringen-müssen“ weggefallen. Ich stehe ständig auf der Spitze meines Seins und tue augenblicklich alles, was das tiefste leiseste Empfinden verlangt. Der Kampf ist im vollen Besitz übergegangen und das Selbstbeherrschen der leisesten Regung in mir ist errungen und ist naturhaft, ohne Notwendigkeit einer Bemühung oder Besinnung geworden. – Ja, es ist wahr: Gottes Wesen ist die Ruhe und Einfachheit. Wie einfach ist mein Leben geworden! Ich erfahre Gottes wesenhafte Vollkommenheiten im Erleben der göttlichen Person Christi, der ich dienstbar sein kann zu einem menschlichen Erfahren und Erleben seines göttlichen Seins.

1548 |        Aber schon steht ein neues, weiteres Ziel vor mir: Diese geistige Kampflosigkeit, dieses tiefe, geistige Nicht-Berührt-Werden von den Anforderungen, die von außen herankommen, diese volle Befestigung in mir selber bietet mir die Möglichkeit zum Erfahren der nächsten geistigen159 Stufe, in die mich Jesus im Erleben seines Erlöserseins einführen will: Den inneren Zwiespalt ertragen zu können, den die Sünde in die Welt gebracht hat, bzw. dessen Auswirkungen, die der Erlöser auf sich genommen hat. Jesus stellte sich unter das Gesetz des Zwiespaltes. Er wollte ein gottmenschliches Erleben und Erfahren der Tiefe des Zwiespaltes durchkosten, wollte die Sünde in ihrer tiefsten Wurzel im eigenen Erleben ihres Wesens kennen, so wie sie in seinem menschlichen Leben an ihn herantrat. Er durchschaute die Sünde in ihrer tiefsten Wurzel in den Seelen, durchschaute mit göttlichen Augen die Abgründe der Sünde und ließ sie in ihrer ganzen Gemeinheit und Hässlichkeit auf sich wirken.

1549 |        Dies schaue ich als das nächste Ziel in meinem Innenleben, dem ich in der kommenden Zeit zugeführt, und wozu ich befähigt werde.

 

06.02.1942

1550 |        Schon gestern Morgen, nach der hl. Kommunion, konnte ich in Jesu eine noch höhere Beschlagnahme meines Seins durch die göttliche Person Christi vorausschauen. Im Vorauserkennen schien mir der nächstfolgende Zustand in Christus mehr in die niederen Lagen meines Seins zu dringen und zugleich schien mir, Christi Sein in mir werde das ganz Überragende, das Tragende werden. – Der Zustand der beschriebenen Harmonie und Ausgeglichenheit in mir ist dauernd. Ich lebe „mich“ und besitze mich und aus diesem Selbstbesitz strömt die innere Lebensfülle, die nicht mehr als fühlbares Zuströmen wahrgenommen wird, sondern einfach da ist. Alles Leben kommt aus mir selber; es kommt mir keine „Übung“ zum Bewusstsein, denn das innere Sein äußert sich durch die Tat, durch die habituellen Wirkungen meines inneren Seins bzw. durch das „Leben“ der göttlichen Person in mir, dem ich diene und dem zu dienen ich nun befähigt bin.

1551 |        Gestern Nachmittag war ich wieder sehr im Leiden, obwohl im Wesentlichen der innere Zustand blieb. Ich litt das Leiden aus und mit dem Wesen und der Kraft meines inneren Seins, d. h. aus mir selbst160, wie jemand, der aus eigener Kraft erringend und erkämpfend einem höheren Ziele zustrebt. Das Leiden selber war der Weg zur Höhe, die ich mit eigener Kraft und Energie erringen musste. Mein Sein in mir wurde zum eigenen, selbstständigen Wollen, zu dem ich zutiefst von Jesus dirigiert wurde. Es kam Leben, selbstständiges Leben in mich, aber es schien ganz das meine zu sein: Meine eigenen Mittel dienten dem Zuschreiten zu einer Erhöhung in Christus.

1552 |        Heute Morgen erkannte ich weiter, obwohl alles schwer auf mir lag, die Absichten Jesu hinsichtlich der Art, wie er mich für sich gebrauchen will. Ich überschaute den allmählichen Aufstieg zum endlichen Ziel und musste bestätigend die Wahrheit und Konsequenz der göttlichen Führung in mir wirksam anerkennen. Der letzte Zweck aller göttlichen Gnaden stand wiederum161 klar vor mir: Jesus gebraucht mich zu einer Wiederholung seiner innersten Geheimnisse als Gottmensch, wozu ich ihm dienen soll. Auf mich ist jetzt seine Absicht gelegt: Ich bin „in ihm“ aufgegangen, um kraft seiner göttlichen Person jenes Geheimnis wiederholen zu können. Jesus hat mein menschliches Sein umgestellt und zu einer Teilnahme an seiner göttlichen Natur in dem Maße befähigt, dass es ihm damit möglich ist, seine Absichten zu vollbringen.

1553 |        Ich schaute innerlich das Ausmaß seiner göttlichen Erlöse Aufgabe und die Auswirkungen, die sie in meinem Innern hervorbrachte. Ich erkannte, wie sich Jesus zum Mittler machte, um das Gesetz des Zwiespaltes zwischen Gott und den Menschen in ein Gesetz der Versöhnung und göttlichen Barmherzigkeit zu verwandeln. Ich erfasste in diesem Geheimnis die Akte der göttlichen Person des Erlösers, seine göttlichen Mittlerakte. Er selbst führte das Amt des Mittlers bewusst in seiner göttlichen Person aus. Die Auswirkungen und Reaktionen trafen seine göttliche Person und er selbst überwand sie kraft seines göttlich-wesentlichen Habitus. Diese Erlösung wurde somit zu seinem eigenen Werke, das Christus selbst geleistet hat. Seine allerheiligste Menschheit war ihm das Hilfsmittel dazu und sie war es, die ihm leidend hierfür diente, während die göttliche Person die eigentlichen erlösenden Akte vollbrachte und ausführte.

1554 |        Der liebe Heiland fragte mich nun (im geistigen Verstehen), ob ich ihm so zu Diensten sein und mich von ihm so gebrauchen lassen wolle, wie ich es innerlich erfahre? Dabei erkannte ich meine Stellung und Aufgabe in ihrem Ausmaß und in ihren Folgen und Auswirkungen. – Ich war ja längst bereit und stellte mich neuerdings dem Heiland zur Verfügung, nicht so sehr in ausdrücklichen Worten als vielmehr durch eine neue Hingabe. Da erhob sich Jesus in mir, d. h., Jesus trat an die Stelle meiner Person, so, dass sie wirklich die meine scheint und ist, weil er die göttlichen Akte inspiriert, die zu meinem eigenen Erleben sein werden (so einfach dieses innere Erfahren war, lässt es sich doch mit keinem Wort ausdrücken). – Jesus fragte mich: „Genüge ich dir 'so' für immer?“ Und ich war dabei im Zustand, wie er mir als Person genügen soll. – „Herr, ja, du genügst mir so für immer!“ Es war wirklich eine freudige Antwort meinerseits. Ich hatte auch voll den Willen Jesu und seine Absichten begriffen.162 Ich opferte mich in Worten und in der inneren163 Tat ganz seiner göttlichen Person und diese gab sich mir für immer als meine Person. -

1555 |        Jesus versprach mir auch ganz sicher: Er wolle mir durch sich selbst alles ersetzen, was ich durch das Opfer meiner eigenen menschlichen Person aufgegeben habe; er sei und wolle mir Ersatz sein; ich möge mich ihm ruhig überlassen. – Im Erfahren „meines“ göttlichen Wesens hatte ich die volle Garantie seines Versprechens.

1556 |        Ich schaute aber auch die Wirkungen seiner göttlichen Herablassung für mich: Ich bin damit wie an seine Stelle getreten – oder ist Jesus an meine Stelle getreten? Ich erlebe es so: Ich bin an seiner Stelle, d. h., ihn gleichsam ergänzend mit meinen menschlichen Kräften, aber so, dass nur ein Leben und eine Person ist, die in Wirklichkeit nun die Funktion meiner Person ausübt. Ich erkenne die Folgen dieser Art des Einsseins mit Jesus in dem, was den eigentlichen Zweck dieser wunderbaren Gnade betrifft: Ich werde somit164 zum Leidenden, zum Kämpfenden in meiner inneren Aufgabe; mich treffen die geistigen Auswirkungen und Reaktionen seiner Mittlerstelle vor dem Vater. – Ich erkannte ferner: Mein geistiges Gegenüber ist der Vater;165 zu ihm gehen alle meine inneren Akte, weil ich in Jesu Stelle bin bzw. im tiefsten Wesen von Jesus, im Nacherleben seiner inneren Erlöserleiden dirigiert und geleitet werde. – Ich konnte voll und klar meine ganze Lage für die Zukunft überschauen und erkennen und ich war doch voll großen Friedens über den Tausch, den Jesus mit mir gemacht hat.

1557 |        Mit diesem göttlichen Akte Jesus in mir hat sich sein inneres Leben nun noch mehr vereinfacht: Es ist nur eines geblieben und nur eines ist wirksam; es stützt sich in mir alles auf „mich selbst“ und „ich selbst“ bin mir alles. – Ich bin nun im höchsten Maße auf mich gestellt und stehe auf der Spitze des Seins in mir.

1558 |        Mein ganzes Leben ruht in unaussprechlichem Frieden und Bereitschaft und Vertrauen. Heute hat sich Jesus in mir im höchsten Ausmaß zur Person erhoben. -

 

Abends

1559 |        Jesus bot mir am Morgen sich selbst als mein „Ich“, aber untertags wurde es wieder recht schwer für mich. Es kamen wieder Leiden, die mir aber eine Bestätigung der in der Frühe erhaltenen Gnaden waren. – Jesus macht sich selbst in mir zum Tragenden, zum „Ich“. Er ringt sich durch und wünscht empor. Alles Frühere in mir muss vergehen und vergeht im Leiden, weil nun kein Platz und keine Betätigung mehr dafür da sind. Das löste eine peinigende, geistige166 Langeweile in meinem Inneren aus, die nicht zu beschreiben ist.

1560 |        Beim hl. Segen am Abend aber „bin ich ganz an meiner Stelle“, d. h. so, wie sich Jesus mir als mein „Ich“ gegeben hat. Ich bin ganz auf mich gestützt und gestellt und tue alles aus mir. – Jesus macht jetzt eigentlich ganz das wahr, was er schon so lange voraussehen ließ: Er vereinigt sich derart mit mir, dass er meine Stelle einnimmt und wie „Ich“ scheint. Ich erlebe „ihn“ als sei er mein „Ich“ und dies wird sich im Leiden so auswirken, dass ich der Leidende und Ringende werde. Ich leide dann alles an seiner Stelle, wobei aber er der Beherrscher ist und die Funktion der Person in mir ausübt. Ich „spüre“ aber nichts von Jesus, nur bin ich von einer Fülle von Geisteskraft belebt, welche die meine scheint und aus der ich lebe. Es ist aber so wunderbar einfach. Ich bin mir alles und sonst ist keine Bewegung in mir vorhanden. Ich kann aber bestätigen, dass Jesus mich wirklich in jenem Zustand versetzt und mich wirklich zu dem geführt hat, was immer als Ziel er mich vorausschauen ließ, und was er immer als notwendig vorauserleben ließ für seine Absichten in mir: Jesus will in mir seine inneren Leiden wiederholen.

 

12.02.1942

1561 |        Seit ein paar Tagen bin ich wieder mehr167 im Leiden. Insbesondere bin ich sehr verdemütigt über die bisherigen Misserfolge und die scheinbare168 Aussichtslosigkeit des äußeren Werkes, das Jesus will. Es ist merkwürdig, wie ich geistig (im Herzen Jesu) verbunden bin mit jener Priesterseele, die der Heiland vorbereitet hat und zur Ausführung seiner göttlichen Absichten will. Mit dieser Seele vereint leide ich unter der Demütigung169, dass bisher jede Mühe und jedes Opfer scheinbar vergeblich war. Es ist mir, als litten wie zusammen die Schmach des Misserfolges aller Bemühungen und aller Opfer und Leiden, die wir für die Sache des Heilandes ertragen haben. Es ist mir, als „lache und spotte die Hölle und auch die Menschen170 uns aus wegen unseres Vertrauens auf Gottes Allmacht und Treue“. Aber wir wollen gern, im Herzen Jesu vereint, alle Beschämung, und diese „Schande“ für Jesus tragen, denn wenn er selbst auf Erden ein solches Werk gründen wollte, würde es ihm auch so widerfahren; er hat noch größere Schmach, Verfolgung171 und Verdemütigung gelitten und wir wollen es nicht besser haben als er selbst. Freilich sind wir ohnmächtig und gebunden durch den Widerspruch und Kampf des Menschen gegen die Absichten Gottes; aber wenn wir die Ohnmacht sind, so ist Christus die Allmacht.

1562 |        Außer diesen Leiden trage ich noch sehr an anderen geistigen Leiden, die ich mit keinem Worte beschreiben kann. – Allem Anschein nach geht es innerlich wieder weiter.

 

15.02.1942

1563 |        Nun liege ich seit über einer Woche in einem inneren Vorbereitungsleiden, für das es keinen Ausdruck gibt. – Wohl bleibt der vorherige Zustand in Jesus bestehen und auch die Wirkungen des gegebenen Seins in Jesus betätigen sich weiter. Ich leide darum all diese inneren Leiden ganz „aus mir“; ich bin der Erringer, der einer neuen Stufe bzw. einer höheren Auswirkung des Erlebens der göttlichen Person zustrebt, die ich an seiner Stelle, als meine Person, erleben soll. Ja, der Weg ist weit und mit viel Mühen gelangt man tiefer in Jesus hinein. Ich bin dabei den habituellen Wirkungen seines Lebens in mir hingegeben, „spüre“ aber von Jesus selbst nichts. Ich „lebe“ aus dem Sein Jesu in mir und das genügt mir vollständig, weil meine geistige Umstellung dem Einströmen seiner göttlichen Person angemessen ist.

1564 |        Es ist aber merkwürdig, wie sich über diese bleibende Höhe hinaus ein neues Ungenügen meiner menschlichen Fähigkeiten einstellt, Jesus erhöht sich anscheinend in mir, will sich noch mehr ausbreiten, mich noch mehr in Anspruch nehmen und mir sein Leben als mein Leben mitteilen. In dieses innere, sich wieder steigernde Ungenügen greift gleichsam die nächstfolgende Stufe ein, die sich aus diesen Leiden ergeben soll. Ich erfuhr wohl eine sich gleichsam in die Höhe bewegende Veränderung in mir, aber es war mir noch kein bestimmtes, klares Ziel in mir gestellt. Man hat aber für diese inneren Vorgänge kein eigentliches Wort, weil es rein geistige Wahrnehmungen und tief erlebte göttliche Inspirationen sind, von denen ich innerlich geleitet und beeinflusst werde. –

1565 |        Seit gestern und heute aber erfahre ich in mir eine weitere, höhere Entwicklung in Christus. – Jesus hat mir gestern in St. Peter merkwürdige Versprechungen für die Priester gegeben. So erfahre ich in ihm seine göttlichen Liebschaften für die Priester:

1566 |        er will allen Priestern die Gnade einer ähnlichen Vereinigung mit seiner göttlichen Person anbieten, wie er sie mir gibt. Das bedeutet die „Schenkung seines Herzens an die Priester“. Die Priester sollen daran glauben und diese Gnaden anstreben und sich darum bemühen, zunächst durch Überwindung der erbsündlichen Sündhaftigkeit und Unordnung im Glauben an die Erlösungsfrüchte Christi.

1567 |        Mein Innenleben und alle Gnaden, die er mir gibt, sind Offenbarungen seines Herzens, besonders an die Priester. Ich bin das Opfer für die neuen Gnaden, die er jetzt den Priestern geben will. Er will sich allen Priestern in einer ähnlichen Weise der Vereinigung, wie er sie mir gegeben hat, mitteilen. Diese Art der Vereinigung mit ihm wurde mir vorbildlich für die Priester gegeben, mit dem Unterschied, dass diese Vereinigung beim Priester auf dem gewöhnlichen (nicht so bewussten) Gnadenwege entsprechend seinem Berufe wirksam und tätig sein wird. Mein Innenleben ist eine172 Offenbarung Christi bzw. seines Innern an die Priester; es ist die Eingangspforte oder der Weg zum Eindringen des Priesters in das Innere des Herzens Jesu, in sein göttliches Wesen und Sein. Damit stellt Jesus den Priestern sein Herz zu Verfügung, dass sie nach ihrem Belieben daraus nehmen und sich aneignen können.

1568 |        Die Wirksamkeit und Wirkkraft des Priesters liegt in der Vereinigung der Priesterseele mit dem Sein Jesu. Darum will Jesus alle Priester gleichsam zur höchsten Einheit und Vereinigung mit ihm aufrufen. Er gab mir das sichere, innere Versprechen: Er wolle und beabsichtige sich allen Priestern in jener mir vorbildlich gegebenen Einheit mitzuteilen, weil nur in der Einheit mit ihm die Wirkkraft und das Geheimnis der Wirksamkeit des Priesters bestehe. – er gibt diese Gnaden „neu“, den neuen Anforderungen der Zeitverhältnisse entsprechend; kraft und zufolge seines Lebens und Seins im Priester wird die Kirche den Geist des Unglaubens und der heutigen Verwirrung der Geister überwinden. Er selbst will im Priester wirksam sein und kraft seines Lebens im Priester wird dieser den neuen Anforderungen der heutigen Zeit genügen können. Jesus sprach zu mir: „Glaube mir das! So wahr ich in dir lebe! (D.h.: Ich bin bereit, diese Gnaden den Priestern zu geben, und zwar als 'neue Gnaden'). Sie sollen daran glauben und sie anstreben.“

1569 |        Der Heiland ließ mich verstehen, dass er die wesentliche Gnade der Einheit mit ihm und seiner Person den Priestern geben wolle, nicht die begleitenden Gnaden und Umstände, die ich im Zusammenhang damit erfahren habe. Er will durch mich zeigen, dass er diese Art der Vereinigung in der Seele hervorbringen kann, die bis zur Teilnahme an seiner göttlichen Person geht. Der Priester in erster Linie aber sollte zu dieser persönlichen Anteilnahme an Christus gelangen, weil dies seiner hohen Berufung und Auserwählung entspreche. Infolge seiner Weihe und Berufung hat ja der Priester einen kürzeren Weg, als ich ihn zurückzulegen hatte, bis zu dieser Einheit, weil ja der Priester als solcher Christus schon näher steht, als ich ihm stand. – Auf diesem Wege würde der Priester in Wahrheit Jesu „zweites Ich“, weil er durch eine solche wesentliche Einheit mit Jesus die entsprechende Gewähr trägt, dass seine äußere Würde und Berufsausübung wirklich von Christus getragen und geleitet wird. Das innere Sein des Priesters gibt sich ja in der äußeren Tätigkeit kund und nur in der Einheit mit Christus vermag der Priester wahrhaft fruchtbar für die Seelen zu wirken. Damit wird dann auch sein äußeres Ansehen wieder mehr gesteigert173, geschätzt und anerkannt werden.

1570 |        Ich bin mir innerlich sicher, dass „mein Leben und alle von Gott erhaltenen Gnaden für die Erneuerung des Priestertums bestimmt sind“. Ich soll mich als Opfer für diese göttlichen Liebesabsichten betrachten. Infolge der besonderen Fürbitte MARIENS fließen diese neuen Gnaden durch eine Frauenseele den Priestern zu.

1571 |        Ich schaue aber innerlich auch wieder das Priesterinstitut, das Jesus unbedingt gegründet haben will und in dem und wodurch die Priester in diesen vertieften Geist eingeführt werden sollen. Ich schaue auch, konzentriert und zusammengefasst die Art und Weise, wie dies den Priestern dargelegt werden soll. Einzelnes kann ich jetzt nicht unterscheiden, schaue aber voraus, dass es mir innerlich mitgeteilt und näher gezeigt werden wird.

1572 |        Ich erinnere mich noch sehr174 genau, dass mir Jesus dieses Versprechen schon öfters gab. Besonders klar und entscheidend sagte mir dies Jesus anfangs September 1936, als ich bei meinem damaligen Seelenführer Dr. List Exerzitien machte. Jesus sprach zu mir: „Ich will den Priestern neue Gnaden geben, und zwar Gnaden der Vereinigung mit mir; ich will dich zu einer besonderen Gnade der Einheit mit mir führen, aber ich gebe diese Gnaden dir vorbildlich für die Priester. Ich bin bereit und will den Priestern ähnliche Gnaden der Vereinigung mit mir geben, so175 wie ich sie dir gebe. Du sollst dich als Opfer für die Erneuerung für das176 Priestertum betrachten, die ich jetzt vorbereite. Aber diese Gnade der Vereinigung mit mir in den Priestern wird für sie ihrem Berufe entsprechen sein und sich dementsprechend auswirken. Nur in der Einheit mit MIR vermag der Priester wirklich segensreich zu wirken. Jeder Priester, der sich außerhalb mir bewegt, wird wenig Frucht in seinen priesterlichen Arbeiten erfahren (und hat auch wenig Frucht).“ – Ähnliches sagte mir der Heiland schon oft. Und Jesus verlangte, dass ich mich ihm als Opfer hingebe für diese seine Absichten; ich musste an seine Absichten glauben und auf diese Hingabe hat sich überhaupt mein ganzes Innenleben aufgebaut und begründet177. Das war der erste Anlass dazu. Schon in den ersten Jahren meiner besonderen Führung wollte Jesus von mir: „du sollst mir ein Opfer sein zur Erneuerung meines Priesterstandes178.“ Und wiederholt: „du sollst mir das Opfer sein für meine Absichten bezüglich der Erneuerung des Priestertums.“ – Jesus zeigte mir sehr oft seine Pläne und sie standen in jenen Jahren immer vor meinen geistigen Augen. Er ließ mich auch den Enderfolg voraussehen und er sprach dann zu mir: „Dazu sollst du mir Opfer sein“. – „Ich will alle Priester in einem Geiste zusammenführen“, und ich schaute diese seine Absichten und Pläne auch ausgeführt.

1573 |        Auf dieses Versprechen und letztes Ziel begründete und führte der Heiland mein Innenleben hin.

1574 |        Ich habe auch das innere Wissen, dass mein Erleiden der inneren Leiden Jesu der Beweis sein wird, dass Jesus den Priestern wirklich diese Gnaden geben will und dass mein Innenleben wahr und kein Ausfluss meiner Einbildungskraft ist, noch sein kann. –

1575 |        Heute schaue und erlebe ich ein weiteres Ziel in Jesus in mir, das wohl einem Abschluss gleichkommen könnte: Jesus will mein eigenes Sein vollkommen auslöschen. – (Am 02.09.41 habe ich in Bethanien geschrieben: „Wenn ich mich nicht täusche, hat Jesus mir versprochen, er werde mein vergangenes Leben ganz auslöschen und mir ein „neues Leben“, das seine, geben, seinen Habitus, mit dem ich dann werde leben können“.)

1576 |        Ich werde innerlich immer wieder gleichsam „gefragt“ (aber nicht in Worten, sondern im göttlichen Wirken in mir), ob ich bereit wäre, vollständig und für immer auf mich zu verzichten und ganz in seiner Person und mittels seiner göttlichen Person mein menschliches Leben ihm darzubieten zu einer Wiederholung seines Innenlebens. – Ich erfahre aber das Wirken der göttlichen Person Christi und seine Inanspruchnahme meines Seins schon insofern, als ich für mich in einer so vollständigen Leere bin, die man mit keinem Wort erklären kann.

1577 |        Mit dieser kommenden Stufe der Erhöhung scheint mein Eingehen in Christus sich zu vollenden und abzuschließen. Ich bin mir aber vollständig klar, in welcher Weise ich von ihm gebraucht und in Anspruch genommen werde, weil sein Wirken dementsprechend ununterbrochen in mir tätig ist. Dieses göttliche Wirken und die vollständige geistige Entblößung und Entziehung meiner Geistesfähigkeiten für meinen eigenen Gebrauch erfüllt mich mit großer Freude und Befriedigung und Ruhe. Mir ist, als werde ich für mich ganz „arbeitslos“ (was in den vergangenen Wochen und Tagen oft das schmerzliche Empfinden einer faden Leere erzeugte). Es ist eine große, unaussprechliche Stille und Leere in mir; es wird in mir nichts an Wissen und Wollen erzeugt, denn – so sehe ich es voraus – die göttliche Person Christi trägt alles in sich und bringt alles mit sich, was die menschliche Seele und das menschliche Leben Jesu brauchte und bedurfte. Die Seele Jesu war nur die Trägerin und Vermittlerin und damit die Erleiderin und Erleberin der Funktionen der göttlichen Person, weil Christi göttliches Wesen habituell in seiner Menschheit bestehen blieb. Die Seele Jesu vermittelte die äußeren Eindrücke in seinem Leben und führte sie der göttlichen Person zu, aber in ihr wirkte sich auch das göttliche Leben Christi aus. So vereinigte und vermittelte die Seele Jesu göttliche und menschliche Funktionen zu EINEM Leben. –

1578 |        Ich bin heute in einem merkwürdigen Zustand völliger Leere und geistiger Untätigkeit, aber auch in voller Bereitschaft und Hingabe an Jesus. Ich will ihm ganz und mit Freuden zu Diensten sein.

 

15.02.1942

1579 |        Ich bin auf eine unaussprechliche geistige Höhe meines Seins in mir gestellt, das frei ist von Abhängigkeit von meinen tiefer liegenden geistigen Anlagen in mir. Eigentlich ist es mir schon gleichsam „Natur, in dieser Weise über mir zu stehen und frei zu sein von der Notwendigkeit einer niederen Geistesbetätigung“; denn ich habe all meine geistigen Güter und Werte aus mir selbst, um „leben“ und existieren zu können. Diese Unabhängigkeit von jeder Notwendigkeit und Möglichkeit einer tiefer liegenden Betätigung gibt mir innerlich jene erhabene Unumschränktheit meines Wesens, die mich wirklich zum vollen Besitzer meines Seins macht, {und} gibt mir dieses „Geborgenseins in mir“, die Sicherheit meiner geistigen Existenz. Ich bin in mir Ruhe und Harmonie und Freiheit.

1580 |        Jesus hat sich in unglaublicher Weise mit mir vereinigt und mich wirklich zum Erleben seiner göttlichen Person erhoben, und zwar so, dass ich ihn als seine Person erleben kann. Diese Art der Vereinigung ist mir geradezu eingeprägt und der „Besitz“ seiner göttlichen Person in mir ist so unauslöschlich, dass ich in sein Wesen zwar nicht wirklich, aber doch „habituell“ (= dem Habitus nach) eingegangen bin und die Wirkungen seines Seins und Wesens als meine eigene erfahre und erlebe. Trotz dieser geistigen Höhe und des wirklichen Genießens meiner Höhe in mir leide ich aber unaussprechlich, schon durch die vom Heiland in mir zugelassene Beschämung über die außerordentlichen Gnaden und über das tatsächliche Erreichen dieses Zieles, das ich erlebend in mir erfahre und bestätigen kann.

1581 |        Es hat sich auch jene wunderbare Einfachheit in mir ausgeprägt und179 ausgebildet, in der es nur „Sein“ und „Leben“ und ständiges180 „Tun“ gibt; dieses „Tun“ ist aber schon wie naturhaft, sodass es für gewöhnlich nicht mehr als solches ins Bewusstsein tritt. In den tiefer liegenden Anlagen meines Seins „möchte“ zwar die Natur dem Höheren in mir doch etwas „bieten“ und ihm „helfen“, weil eben der Selbstdienst in der Natur liegt und diese sich in unwillkürlichen Bewegungen äußert. Ich leide aber unter diesem „Bieten Wollen“ der niederen Kräfte meiner Seele, weil „ich“ mir vollständig genüge. Daraus erkenne ich auch, dass im „Tieferliegenden“ noch nicht alles erstorben ist und die Natur sich noch einmischen will, wenn auch unwillkürlich und unbewusst. Mein höheres Sein aber „stößt“ all diese niederen Bewegungen ab und dies geschieht in großen Leiden. Es ist mir, als wären diese tieferliegenden Bewegungen, die noch „Eigenes“ hervorbringen wollen, wie glühende Pfeile, die mich treffen und durchdringen. Ich kann gut unterscheiden, wie durch diese höhere Abwehr (die wie naturhaft ist) die eigene Betätigung absterben muss. Diese Art der inneren Leiden steigert sich bis ins Unaussprechliche. Je mehr „ich“ mich in mir behaupte, desto mehr stoße ich wie natürlich die frühere gewohnte eigene181 Tätigkeit ab; denn ich genüge mir selbst überreich und mein „Ich“ trägt alles in sich zum Sein und Leben. Die niedere geistige Tätigkeit kann zwar die höchste Stufe des Seins in mir nicht mehr stören, aber ich leider sehr, weil dieses „Tieferliegenden“ noch nicht mit „mir“ harmonisch ist und weil ich daraus erkenne, dass noch ungeordnete Möglichkeiten in mir bestehen; denn alles in mir drängt zur Vollendung, zu einem Ganzen, das ich innerlich als letztes182 Ziel schaue, – nein, nicht „schaue“, sondern „weiß“; denn das innere Schauen ist in „Wissen“ oder „sich bewusst sein“ übergegangen. – In Jesus wusste ich heute früh, dass er mein eigenes Sein (d. h. das „für-mich-selbst-sein“, das Sein in der früheren Weise) auslöschen wolle. Ich weiß nun um die Art des Auslöschens meines früheren „Seins“ und darum sind mir die diesbezüglichen Leiden eine Bestätigung der göttlichen Verheißungen.

 

16.02.1942

1582 |        Ich lebe „mich“ in großer Einfachheit und Ruhe, obwohl ich noch sehr in Leiden bin, die vor der hl. Kommunion in der gleichen Weise, wie gestern anhielten. Seit der hl. Kommunion aber dringe ich immer mehr in den Mittelpunkt und das Zentrum meines Seins vor und ich erfasse damit noch tiefer das Wesen meines „Lebens“. Ich gelange zu einem noch geschlossenerem Behaupten meines Seins; ich breite mich in mir aus und weiß um mich183 und mein Sein. Ich lebe die Ruhe und meine Unumschränktheit, und habe in mir keine Grenze oder Abschließung. Es ist in mir nur Freiheit, glückliche Freiheit ohne Mühe, weil diese Freiheit nicht erkämpft oder erst gegeben wird, sondern aus mir ist. Ich „ruhe“ vollkommen in mir und genieße diese Ruhe, die mein Sein wesenhaft in sich trägt.

1583 |        Trotz dieses unaussprechlichen Genießens meines „Selbst“ war ich aber sehr im Leiden. – Mein Sein kam in eine merkwürdige „Einengung“; die Unumschränktheit kann sich nicht auswirken, weil die Seele, die sie trägt, beschränkt und begrenzt ist. Die inneren wesentlichen Vorzüge sowie der Genuss dieser Vorzüge bleiben bestehen, aber die Auswirkung dieser Vorzüge ist beschränkt. Gottes Wesen ist ja in sich wesentlich uneinschränkbar, naturhaft unbegrenzt, aber die göttliche Person Christi unterwarf sich als Erlöser diesen Schranken nach außen, während er die innere Unbeengtheit und Unumschränktheit, die ihm wesenhaft ist, sich bewahrte. So erlebe ich, an Jesu Stelle, eine Fülle von Unbeschränktheit184 in mir, die nicht höher sein könnte, und doch leide ich unaussprechlich unter der Enge, die meine innere Unumschränktheit nach außen begrenzt. Ich trage in mir eine Fülle seligen Genießens meiner selbst, aber ebenso groß sind die Leiden, weil ich diese selige Fülle „in mir“ tragen muss. Ich genieße meine Freiheit uneingeschränkt in mir und ergehe mich wonniglich darin, aber diese185 Freiheit ist in menschliche Grenzen gespannt und kann diese Grenzen nicht überschreiten. Ich bin voll Einfachheit und damit voll der großen Lust eines Wesens, das nicht geteilt ist und sich nicht zersplittern lässt, und doch bin ich angewiesen auf die Hilfe meiner Seele, um Leben und existieren zu können. In mir ist alles Ordnung, und diese allerhöchste Ordnung lässt mich in mir vollkommen „ruhen“, aber ich trage sehr an den Gesetzen und der Ordnung meiner Seele, der ich übergeben bin. Ich genieße mich in unaussprechlicher Reinheit und auch die Seele, die mich trägt, ist mir entsprechend zugemessen und angepasst, aber zugleich trage ich eine unaussprechliche Last des Zwiespaltes und der Unordnung, die ich auf mich genommen habe und die nun mein Anteil ist. Ich durchlebe mit mir, mit meinem Leben alle Leben der186 Menschen, und deren Lebensweisen sind wie glühende Pfeile, die mich ins Tiefste verwunden. Ich trage gleichsam alle Menschen in mir und habe sie alle mit meinem Leben auf mich genommen und dies wurde meine brennende Last, die tief in meinem Wesen verbunden ist. Wohin, und auf welche Seite ich mich auch wenden mag, ich empfinde diese Last. Und sie ekelt mich an, weil sie eine Last voll Unordnung und Zwiespalt ist – und in mir ist alles Ruhe und Harmonie und Heiligkeit. Das ist der Widerspruch mit meinem Wesen, dem ich mit meinem Leben überantwortet bin.

1584 |        Die göttliche Person nahm mit ihrer Menschwerdung den Widerspruch auf sich, den die Sünde zwischen Gott und den Menschen aufgerichtet hat, und in der Seele Jesu, der Trägerin der göttlichen Person, kam dieser Widerspruch zur Auslösung. Die Seele Jesu war ähnlich der erstgeschaffenen Seele, die aus der Hand des Schöpfers hervorging, aber sie war höchst vergeistigt und gleichsam vergöttlicht, um ihrem höchsten Zwecke vollkommen dienen zu können. Infolge Ihrer Reinheit und Heiligkeit war sie vollkommen befähigt, der göttlichen Person zu einem menschlichen Leben zu dienen. Mittels dieser Seele nun empfand die göttliche Person die Umänderung ihrer Lage und sie litt durch die Seele, weil sie mit dem menschlichen Leben in einem Augenblick in die Unordnung der Welt eingetreten und damit augenblicklich dem Zweck der Menschwerdung überantwortet war.187

1585 |        Ich erlebe den äußeren Widerspruch, den die Sünde in die Welt und unter die Menschen brachte und den Christus als Erlöser-Mensch erlitt und dem er ausgesetzt war. Christus, als Gott die höchste Ruhe und Ordnung und Harmonie in sich, kam naturgemäß188 in Widerspruch mit der äußeren Unordnung und Disharmonie, die das menschliche Leben für ihn mit sich brachte. – Ich erkannte dies vergleichsweise so, wie wenn ein reiner, ordnungsliebender Mensch plötzlich in eine unsaubere, unordentliche Wohnung einziehen und dort mit allem niederen, leichten Gesindel und allen möglichen Untugenden zusammenleben müsste. In ähnlichem Sinne erlebte ich Jesu innere Leiden bei seiner Menschwerdung. Aber Jesus stieg zu uns allen herab, die wir diesen bösen Anlagen behaftet sind und er189 hat alle Menschen mit Liebe und Barmherzigkeit ertragen, indem er sich selbst und alles, was ihm von diesen Menschen widerfuhr, zum Opfer machte190.

1586 |        Der gewöhnliche Mensch kann sich keinen Begriff machen von dem feinen Empfinden, das dem Wesen Gottes in sich entspricht und eigen ist (so, wie ich innerlich erfahre)191, und dass Gott auch in ähnlicher Weise192 der ersten Seele bei der Erschaffung mitgegeben hatte. Auch die erste Seele war in vollkommener Ordnung in sich und mit ihrer Umgebung. Diesen ihren hohen Anlagen war auch die niedere menschliche Natur eingeordnet. Der erste Mensch im Urzustand trug nichts von193 den Unarten und niederen Gesinnungen oder Sonderlichkeiten und Extravaganzen des gefallenen Menschen in sich. Er war frei von der Kompliziertheit und Verschrobenheit und Verworrenheit der heutigen, sich wandelnden Anschauungen. Er war ganz einfach und gerade und natürlich und erfreute sich auch seiner Einfachheit und Geradheit. Ebenso war es für die ersten Menschen selbstverständlich, alles Notwendige an Gütern zu besitzen und keinen Mangel zu haben, weil sie noch nicht dem niederen, ungeordneten Begehren unterworfen waren und die Güter, die ihnen Gott gab,194 mit Maß und Ordnung und zugleich mit Genuss gebrauchten. Sie empfanden weder Armut noch Hunger noch irgendeinen Mangel. Wenn sie auch nach Gottes Anordnung das Paradies bebauten, um sich davon zu nähren, so erlitten sie dabei doch nicht die Ermüdung oder das hemmende Ruhebedürfnis. Es war den ersten Menschen natürlich, das Leben angenehm und schön zu haben.195 – Die Sünde mit ihren Folgen brachte die vollständige Umänderung. Der Mensch verlor nicht das Bedürfnis und Verlangen nach jenen, angenehmen Gütern des Lebens, aber gerade dieses angeborene Bedürfnis und die angeborene Anlage des Menschen, jene Güter zu besitzen und zu genießen, brachte den Widerspruch zwischen seiner Natur und ihrer gefallenen Lage mit sich. Des Menschen Leben und Lage wurden damit zu einem beständigen Leiden und Kämpfen nach dem früheren Genießen und der früheren Sorglosigkeit. Der Mensch wollte sich für die gottgegebenen und nun verlorenen natürlichen196 Güter einen anderweitigen Ersatz in den irdischen Gütern suchen; er wollte im Genießen der neu errungenen Güter aufgehen, konnte aber darin kein Maß und Gleichgewicht und keine wahre Befriedigung finden.197 Und der Mensch musste dies auch, weil er von der früheren Sorglosigkeit im Paradies ausgeschlossen, und das schon von Gott Gegebene mit selbst erworbenen Lebensgütern ersetzen musste, um leben zu können. Damit kam auch das von Gott ihm eingeprägt Ideal Gottes (Gott stets als das höchste Gut anzuerkennen) ins Schwanken, und der Mensch machte sich falsche „Götter“ zurecht; damit versank er immer mehr im Irdischen, konnte aber auch darin keine Befriedigung finden.198 So versank der Mensch immer mehr in den irdischen Gütern, in denen er Ersatz finden wollte. Und so wurde das menschliche Leben in all seinen Formen unruhig und unstet, und verrohte der Mensch immer mehr in seinen Sitten und Anlagen.

1587 |        In diese Welt und Umgebung trat nun Christus, der Reinste und in sich Geordnetste. Auch seine menschliche Natur war, wenn auch unserer Menschennatur gleich, doch in all ihren Bedürfnissen aufs Höchste geordnet und vornehm199.

1588 |        Ich habe heute Morgen das unsagbar schmerzliche Empfinden erlebt, mit dem Jesus als Mensch seine menschliche, ungeordnete und durch die verschiedensten sündhaften Anlagen erniedrigte200 Umgebung in sich aufnahm. Er stieg herab und lebte mit den Menschen zusammen und ertrug deren Unarten, als wäre er einer aus ihnen. Und doch litt Jesus schon vom ersten Augenblick seines menschlichen Seins unglaublich darunter.

1589 |        Ich empfand die menschliche Enge, in die sich Jesus in seiner menschlichen Natur begeben hat, und wie er unter den menschlichen Unarten und der Anmaßung seiner Umgebung litt. Ebenso erlitt ich sein Empfinden der Armut und der äußeren Not. Dieses Empfinden stand in einem unaussprechlich schmerzlichen201 Gegensatz und Widerspruch mit den göttlichen Reichtümern, die er in sich besaß; und er wollte Angewiesensein auf den täglichen Broterwerb der gewöhnlichen Menschheit.202 Ebenso standen Kälte und Hunger und Durst203 und die gewöhnlichen menschlichen Bedürfnisse und Leiden im höchsten Widerspruch mit seiner göttlichen Art. Dies umso mehr, weil Jesus als Gott die wesenhaften göttlichen Güter (im geistigen Sinne) in sich trug und die Armut nur als Erlöser, aber in wirklichem Erleiden als Mensch, auf sich nahm.204 Gemessen an seiner göttlichen Person und seiner göttlichen Art, an seiner reinsten, heiligsten Menschheit, und am Zustand der Reinheit der erstgeschaffenen Menschen und ihren herrlichen Vorzügen, bedeutete die gefallene Umgebung für Jesus einen schmerzlichen Gegensatz und Widerspruch. Und gerade der Umstand machte das Missverhältnis und den Gegensatz so schneidend scharf und durchdringend, dass nämlich die göttliche Person Christi und ihre allerheiligste, zarte und empfindsamste Menschheit die Tiefe und Größe des Abstandes und Gegensatzes und das Maß der entsprechenden Leiden bestimmte. Und dieser große, scharfe Widerspruch und Gegensatz machte Jesu diesbezüglich Leiden überschwer und übervoll.

1590 |        Ich erlebte diese Leiden in der Stelle und an Stelle Jesu, eben als die meinen, und es war mir, als trage ich alle Menschen in mir, oder sie waren um mich mit all ihrer Unordnung und Unruhe und Unwahrhaftigkeit und Gier und Hast und all ihren Eigenheiten und üblen Gewohnheiten, die in unaussprechlicher Weise meinem eigenen Empfinden widersprachen und widerstrebten.

1591 |        Ich weiß aber, dass ich erst knapp am Anfang meines Erlebens der inneren Erlöserleiden bin. Mittels des Erlebens der göttlichen Person werde ich langsam zum Erleben seiner inneren Leiden befähigt. Indem ich immer tiefer in das Wesen Christi eindringe und vordringe, und es mir gleichsam aneigne, um in seine gottmenschlichen Empfindungen eingehen und sie im eigenen Erfahren erleben zu können, wird sich jenes innere Erleiden und Erleben steigern und dauernd befestigen.

 

23.02.1942

1592 |        In der letzten Woche habe ich wohl einen der tiefsten und schwersten inneren Läuterungsprozesse durchlitten. Es gibt keinen Ausdruck, um diese schmerzlichen, durchdringenden Leiden zu beschreiben.

1593 |        Gestern, im Laufe des Morgens kam eine kleine geistige Entspannung in meinem leidendem Inneren und ich „wusste“ in Jesus von Neuem ganz klar seine Absichten: Jesus will das Priesterinstitut, eine Gesellschaft von Priestern, die nach seinen, in meinen Aufzeichnungen enthaltenen Weisungen in den Geist einer inneren Erneuerung eingeführt werden unter der Leitung von Pater Baumann und die damit für den Zweck ihrer priesterlichen Betätigung befähigt werden, alle Priester zu erfassen und in diesen Geist einzuführen. – Jesus will alle Priester in einem Geiste zusammenführen. – Mein Innenleben soll der Beweis sein, dass Jesus es so will.

 

März

04.03.1942

1594 |        Nach zwei Wochen schwerer, innerer Leiden, die eine weitere geistige Erhebung in mir zum Ziele hatten, bin ich seit gestern Nachmittag wieder in einen Ruhezustand gekommen. Die Heftigkeit der Leiden ist etwas abgeebbt und ich kann nun schon das erlittene geistige Ziel erleben und genießen. – Schon vor diesem schweren Läuterungsprozess hatte mich der liebe Heiland wissen lassen, welche Absichten er damit habe: Er wolle mein eigenes Sein (= das Sein für mich nach früherer Art) ganz auslöschen und mich, soweit es seinen Absichten entspricht, vollkommen befähigen, ihm als Menschheit zu dienen, und zwar so, dass dieses Leben in ihm wie mein eigenes, gewöhnliches Leben erscheint. – Dementsprechend waren auch die inneren Läuterungsleiden in mir tätig. Es ist immer etwas Geheimnisvolles, wenn Jesus dieses überaus schmerzliche Feuer der Leiden in mir entzündet. Im höchsten Sein bleibe ich dann in dem vorher erreichten und erhobenen Zustand, ja ich werde zuweilen schon im Voraus in das nächstfolgende geistige Ziel versetzt, aber „darunter“ werden dann wie in einem geistigen Feuer die noch vorhandenen eigenen Hindernisse geweckt und verbrannt. Es kommt zu einem Widerspruch und Gegensatz in mir, der eben diese durchdringenden Leiden auslöst. Es gibt aber kein menschliches Wort, um dieses geistige Feuer zu beschreiben.

1595 |        Gestern Nachmittag kam ich in eine unaussprechliche Ruhe und seitdem bin ich in bisher noch nicht erfahrener höchster Weise in das Wesen der göttlichen Person Christi eingeführt und aufgenommen. Ich erlebe damit „Gottes Wesen“ in seiner ihm stets eigenen Ruhe und absoluter Kampflosigkeit in sich. Es wird mir dies nicht in einem Zustand des geistigen „Schauens“ mitgeteilt, sondern es wird zu einem eigenen Erleben und zum eigenen Wissen darum.

1596 |        Ich erlebe Gottes Wesen in seiner stets gleichbleibenden Ruhe. In Gott gibt es keine Bewegung oder Akte nach unseren menschlichen Begriffen: Aus der Tiefe und Fülle205 seines göttlichen Wesens strömen schon die Tat und das Wissen. Das ist ein wunderbares Geheimnis!206 Aus seinem „Sein“ kommen schon das Wissen und die Tat, ohne Vorbereitung. Diese göttliche Vollkommenheit ist seinem Wesen eigen und in seinem Wesen begründet. Gottes Wesen fließt immer aus seiner eigenen, ureigensten Quelle, die er selbst ist. Wie ein Licht sich nach allen Seiten hin verströmt, erwärmt und belebt, so strömt aus Gott das Sein hervor, das sich aber nie verzehrt und verströmen kann, weil seine Quelle in sich ewig und unverändert bleibt. Es ist dies wohl das Wunderbarste, was ich bis jetzt in Jesus erlebt habe. Da ich immer höher dazu befähigt werde, steigert sich das Erleben des göttlichen Wesens der Person Christi immer mehr in mir.

1597 |        Jesus bleibt auch als Mensch in diesem göttlichen Zustand der Vollkommenheit als der Seiende, der Tuende. Die ganze Ewigkeit scheint nicht zu genügen, um dieses göttliche Wunder ganz zu durchschauen und zu verkosten. Mit seiner göttlichen Person „nahm“ Jesus diese göttliche Vollkommenheit „mit“ in seine menschliche Natur. Ich erfasse jetzt dieses Geheimnis viel tiefer als in den früheren Stadien, weil ich durch die letzten Leiden in höherem Maße vergeistigt wurde und es deshalb in höherer Weise ertragen kann. Mein inneres Leben ist der oben beschriebene Zustand Jesus geworden, weil ich nun in höherer Weise befähigt bin, der göttlichen Person in dieser Art dienstbar zu sein.

1598 |        Heute Morgen ist mein Leben dies besagte Leben der göttlichen Person Christi. Zugleich erfasse ich die Art der Beziehungen jener göttlichen Vollkommenheit zu seiner menschlichen Natur bzw. die Auswirkungen jener Vollkommenheit in seiner menschlichen Natur. – Die göttliche Person brachte alles an Wissen und an Vollkommenheiten mit in seine Menschheit; das Wissen usw. brauchte in seiner menschlichen Natur bzw. in seiner Seele nicht erst erzeugt werden; es war alles mit der göttlichen Person schon vorhanden. – Das Wunderbarste aber in diesem göttlichen Geheimnis in Christus war, dass er sich ganz den Fähigkeiten seiner Seele, bzw. der menschlichen Entwicklung und dem Wachstum seines menschlichen Körpers anpasste und nur dementsprechend diese göttliche Vollkommenheit wirksam werden ließ207. Es ist eben das größte Geheimnis und das größte Ereignis in der ganzen Menschheitsgeschichte: Gott – ist – Mensch – geworden! Gott hat sich dem menschlichen Wesen und dessen Anlagen eingefügt, ohne das Menschliche, die ureigensten menschlichen Anlagen zu überschreiten oder irgendwie zu beseitigen oder auszuschalten. In Wirklichkeit hatte Gott den Menschen bei seiner Erschaffung auch so gedacht, dass die unmittelbar aus Gottes Schöpferhand hervorgebrachte Seele über dem Leib stehen und der Mensch in all seinen Anlagen herrlich und wunderbar208 geordnet sein sollte. In Christus ist der göttliche Plan herrlich gelungen: Gott selbst lebte die Menschheit in ihm; es war ein göttliches Leben, das seine menschliche Natur belebte. Gott wurde „Mensch“, blieb aber der gleiche Gott in seinem Wesen und veränderte sich urwesentlich in nichts [sic!]. Er gebrauchte nur die menschliche Natur, um das göttliche Sein in menschliche Akte zu verlegen, um es der Menschheit „sichtbar“ und greifbar werden zu lassen, in gottmenschlichen Akten und Taten; die tiefste Quelle dieser göttlichen Taten, die im Menschen Christus sichtbar gelebt wurden, blieb aber das gleiche göttliche Sein in seiner wirklich göttlichen Art. Das Erströmen des göttlichen Seins und Lebens im Menschen Christus war gleich „mühelos“ wie einst im Vater; die Akte selbst, d. h. das göttliche „Leben“ nach unserem menschlichen Begriffe wurde augenblicklich von der menschlichen Seele aufgenommen und so in menschliches Tun umgesetzt; damit waren es wirklich göttliche Lebensakte und Werke, von Gottes Wesen informiert, aus Gottes Wesen hervorgegangen und somit haben sie in Wahrheit göttlichen Lebenswert.

1599 |        Ich erlebte dieses wunderbarste Geheimnis heute in einer Weise wie bisher noch nie: Gott ist Mensch geworden! In all seinen Akten wurde sein göttliches Leben zugleich zum menschlichen Leben; es wurden Taten im menschlichen Sinne, ganz angepasst den jeweiligen Forderungen und Umständen seiner menschlichen Natur, auch nicht auf Vorrat und im großen Format, sondern so, wie es jeder andere Mensch auch gebraucht hätte, – obwohl dem Heiland jederzeit alles an göttlichen Gütern zur Verfügung stand, weil er selbst die Quelle dieser Güter war.

1600 |        Ich habe gestern auch noch eine andere besondere Erfahrung gemacht in mir, die mir bisher nicht in diesem Maße auffiel: In der göttlichen Person bin ich in unaussprechlicher Weise in seine göttliche Einfachheit, Einfalt und – um mich irgendwie auszudrücken – „Kindlichkeit“ eingegangen. Diese Einfachheit und Einfalt ist eine wunderbare göttliche Vollkommenheit; dem gewöhnlichen Menschen scheint sie unbegreiflich und doch ist Gottes Wesen Einfalt. So groß, erhaben, weise und mächtig Gottes Wesen in sich auch ist, so sind all diese Vollkommenheiten gleichsam eingehüllt in Einfachheit und Einfalt. Auch in seinen mächtigsten Schöpfungen und Werken zeigt der Geist Gottes das, was ich mit dem Geist des Kindes oder der Kindlichkeit vergleichen möchte. (Um dies Geheimnis in menschlichen Worten zu erklären: „Ich bin mir alles“, ich bin mir sicher209, daraus fließt Gottes „Kindesgeist210“). – Alles, was von der schlichten Kindeseinfalt abweicht, ist nicht vom Wesen und Geiste Gottes. Der Geist des Bösen und der Welt bläht auf, weicht ab von der Kindeseinfalt, fühlt sich zu erhaben, um mit der Einfalt bestehen zu können. Das war schon die erste Ursache der Sünde im Paradiese und ist jetzt noch immer die erste Ursache jeder Sünde211. – Wenn ich mittels der göttlichen Person Christi Gottes Wesen erlebe, lebe ich damit die Einfalt eines Kindes, so klein und schmiegsam und ergeben, so freudig und auf mich selber vertrauend, ohne Furcht mich zu verlieren, weil ich mir selber unverlierbar bin. Die Einfalt und „Kindlichkeit“ des Wesens Gottes ist in sich selbst, in seiner göttlichen Allmacht und im göttlichen Vertrauen auf sich selbst begründet, worin er sich unverlierbar besitzt und in sich gesichert ist. – Dies ist auch etwas Bezeichnendes am Wirken Gottes in einer Seele, dass diese allmählich in diesen Kindesgeist, in diese Einfalt und Einfachheit zurückgeführt wird, die durch die Sünde verloren ging. Gott verachtet nicht das Kleinste in der Seele, so wenig wie in der sichtbaren Natur. Er schafft und erhält Welten und schaut zugleich auf die unscheinbarsten Vorkommnisse dieser Welt und des menschlichen Lebens; besonders erzieht er die Seele zu dieser geistigen Kleinheit, weil nur darauf der geistige Fortschritt begründet ist.

1601 |        Jesus behielt den Kindesgeist der Einfalt in seinem menschlichen Leben bei, wo er menschlich gelebt wurde, nicht bloß in seinem Kindesleben, sondern auch unverändert bestehen blieb in seinem Mannesalter, weil dieser Geist eben dem göttlichen Wesen eigen ist. Diese „Kindlichkeit“ im Wesen Gottes zu erleben ist entzückend! So groß und mächtig und erhaben und so einfach und wie kindlich und einfältig!

1602 |        Heute Morgen nach der hl. Kommunion habe ich Gottes Wesen im Menschen Christus in einer bisher nie erfahrenen Weise erlebt. Und diese Art des Erlebens bleibt meine Art mittels der göttlichen Person, die mir als meine Person „dient“ oder vielmehr, der ich diene zum menschlichen Leben. Gottes Wesen wird im Menschen Christus ebenso vollkommen gelebt wie einst im Schoße des Vaters, dem Wesen nach unverändert. Gerade diese Tatsache bildete die göttliche Erhabenheit der Sühnekraft seines Lebens vor dem Vater und machte sein Leben zum göttlichen Ersatz für alle Entehrungen und Beleidigungen, die Gott von der gesamten Menschheit zugefügt werden. Christi Leben ist göttliches Leben und Sein in menschlichen Akten und Taten und Opfern. In einem Menschen haben alle Menschen gesündigt. In einem Menschen, in Christus, wurden alle Menschen erlöst und können alle wieder gerettet werden und diese allerheiligste Menschheit steht bis zum Ende der Zeiten „bittend“, ersetzend und sühnend vor dem Vater. (Es gibt kein menschliches Wort, um dieses Erlebnis und dieses geistige Wissen in menschliche Worte zu fassen, weil es zu erhaben und doch wieder zu einfach und zu bestimmt ist. Das menschliche Wort ist zu „kraftlos“ in seinem Ausdruck.)

1603 |        Heute erlebe ich ein weiteres Geheimnis Christi, das mir vollständig neu ist: Christus starb am Kreuze und stand am dritten Tage wieder vom Tode auf in seiner verklärten Menschheit, die wieder lebend ist – und in eben ganz der gleichen Menschheit aus Maria, nur höchst vergeistigt und leidensunfähig, sitzt er nun durch alle Ewigkeit „zur Rechten des Vaters“. Ich weiß aber nun auch, in welcher Weise Christus sein göttliches Leben im Himmel lebt: Er lebt es wie auf Erden mittels seiner menschlichen Natur in höchst vergeistigter Weise, doch immer noch mittels seiner Menschheit. Er hat die Menschheit nicht abgelegt in seiner Herrlichkeit im Himmel, sondern er „Lebt“ sein göttliches Sein mittels seiner verklärten Menschheit. In diesem Sinne setzt er sein göttliches Erlöserleben im Himmel fort und ist er dadurch noch unser immerwährender Mittler, indem er unablässig sein göttliches Sein durch seine verklärte Menschheit der göttlichen Gerechtigkeit darbringt bis zum Ende der Zeiten. Und gerade diese göttliche Mittlerschaft Christi im Himmel ersetzt jetzt noch all unsere Mängel und Sünden vor dem Vater, und dessentwegen verzeiht der Vater die Menge der Sünden. – Christus, unser Mittler im Himmel in seiner verklärten Menschheit! Dies war das Neue, das ich heute Morgen erlebte. Alle Leiden des Erlösers sind dem Vater immerwährend durch Christus in seiner göttlichen Person vergegenwärtigt und stehen somit wieder „neu“ vor dem Vater. Alles erreichen wir durch Jesus, unser Erlöser, durch die und alles Heil geworden212, durch seine hl. Menschwerdung, durch seine „leidende Menschheit“, die er noch im Himmel als Versöhnungsmittel immerwährend vor dem Vater zeigt und darbringt (und die dem ewigen Vater auch immerwährend bei der heiligen Messe dargebracht wird)213. – Christus lebt das Leben seiner Herrlichkeit durch seine heiligste Menschheit in verklärtem Zustand durch alle Ewigkeit; seine verklärte Menschheit ist das Zeichen seiner Barmherzigkeit und göttlichen Mittlerschaft bis zum Ende der Zeiten; dann hört die Sühne auf und ist die Zeit der Barmherzigkeit abgeschlossen und es kommt die Zeit der Erfüllung.

 

13.03.1942

1604 |        Ich hatte die Anregung, heute früh nach „al Gesu“[sic!] zu gehen, anlässlich des Jahrestages der Heiligsprechung des hl. Ignatius. Obwohl ich in den vergangenen Tagen in großen Leiden war, wurde ich dort nach der hl. Kommunion in große innere Ruhe versetzt, die den ganzen Tag hindurch blieb. Ich war in merkwürdiger innerer Verbindung mit dem hl. Ignatius, wie ich sie bisher nie hatte; er war mir wie „mein geistlicher Vater“ und es schien, als lebten wir einen Geist; eine nie erfahrene geistige Zusammengehörigkeit mit ihm erfüllte mich.

1605 |        Nach dem hl. Segen am Abend erhöhte sich dieser Zustand noch und ich schaute mit dem hl. Ignatius und seinem Geiste das zu gründende Priesterinstitut. Ich wusste und erkannte die Möglichkeit eines Zusammenschlusses des Priesterinstitutes mit dem Orden des hl. Ignatius, ja ich erkannte dies als den Willen des hl. Ignatius. Jesus bietet das „Werk des Hohepriesters“ der Gesellschaft Jesu an, weil es den Geist des hl. Ignatius in sich trägt.

1606 |        Das Priesterinstitut birgt in sich das Ideal des hl. Ignatius, eine Weiterführung seines geistigen Weges, eine Vertiefung seiner Bestrebungen. Man solle prüfen und es würde dies bestätigt werden. Es sei eine Ehrenaufgabe, die der Heiland dem Orden anbiete, für eine grundlegende Erneuerung der Kirche in der Form dieses Werkes durch die Erneuerung des Priestertums tätig zu sein.

1607 |        Ich schaute auch voraus, welch unermessliche Wirkkraft speziell für das Werk des Hohenpriesters im Zusammenhang mit dem Jesuitenorden gegeben sei, und welche Ehre dem Herzen Jesu, durch die Annahme dieses Werkes der Gesellschaft Jesu geboten würde. – Es sei wirklich eine Ehrenaufgabe für den Orden, die Jesus diesem anbiete.

1608 |        Ich war erstaunt über das, was ich da innerlich in Jesus erkannte über den Herzenswunsch des hl. Ignatius und seine geistige Aufgabe und seinen Zusammenhang mit dem Priesterwerk. – Ich weiß nicht, wie das alles geschehen könnte, da ich den Widerstand kenne, doch konnte ich aus dem innerlich Geschauten annehmen, dass es so wird oder werden könnte.

 

20.03.1942

Über das Ordensleben, wie ich es innerlich als Ideal erkenne

1605 |        Als den Wesenskern eines wirklich fruchtbaren geistigen Ordenslebens erkenne ich: zuerst das Leben nach den Forderungen des Evangeliums, und danach die Beobachtung der evangelischen Räte. Wenn man zuerst die Gebote Gottes in aller Gewissenhaftigkeit beobachtet und die alltäglichen Christentugenden übt, dann strebt die Seele wie naturgemäß einem höheren, fruchtbaren Gnadenleben zu.

1606 |        Das Ordensleben, so scheint mir, baut sich folgerichtig auf den einfachsten Tugenden auf; diese müssen sich wie naturgemäß weiterentwickeln und müssen schließlich gipfeln in einer, den gewöhnlichen Christen überragenden Tugend, die aber in Wirklichkeit nur vollkommen geübte Christentugend ist.

1607 |        Bei den verschiedenen Erfahrungen meines Zusammenlebens mit Ordenspersonen habe ich immer wieder gefunden: Man strebt eifrig nach einer genauen Beobachtung der Ordensregel und des dem Jesuiten eigenen Ideals und man rühmt sich, dass „die hl. Regel sehr genau beobachtet“ werde, aber das alltägliche, gewöhnliche Tugendleben wird nachlässig geübt. Man begnügt sich mit dem „Leben nach der hl. Regel und den betreffenden Konstitutionen“ und dabei hat man nicht selten den Eindruck, als sei das ganze Gebäude dieses Ordenslebens hohl und leer, weil der solide Unterbau des wahren Ordenslebens fehlt, ohne den die gediegenste Ordensregel wenig fruchtbar sein kann.

1608 |        Man vernachlässigt z. B. oft die gewöhnlichen Forderungen eines wirklich harmonisch geordneten Zusammenlebens, d. h., man unterlässt die gegenseitige wohlwollende Liebe, die sich gewöhnlich Christen in der Welt mit Selbstverständlichkeit bieten. Ich habe beobachtet, dass einfache Weltleute oft viel mehr wahre, aufrichtige Hilfsbereitschaft und Wohlwollen sich entgegenbringen als Ordenspersonen, die vielfach sich mit starren Formen „gegenseitiger Liebe“ begnügen. Oft möchte man fast sagen: So viele Schwestern im Hause, so viele Klüfte; jede steht allein und man meint, damit nach Vorschrift der hl. Regel sich nicht auf Menschen zu stützen. Das mag in gewissem Sinne richtig sein, aber eine solche Auffassung macht das Ordens- und Gemeinschaftsleben kalt und öde, weil die Befolgung des einfachsten Gebotes der christlichen Nächstenliebe fehlt, die im Kloster ebenso Gebot ist wie in der Welt. Ich habe oft erschüttert feststellen müssen, dass einfache, ungebildete Weltleute viel mehr aufrichtiges Wohlwollen haben und üben als Ordensleute.

1609 |        Ein solches Ordensleben, in dem nur die Ordensregel, wenn auch mit großer Genauigkeit beobachtet wird, und die gewöhnlichen Tugenden eines wahren Christen vernachlässigt werden, scheint wie ein Ackerfeld, das schlecht umgepflügt ist und auf dem darum das Unkraut nicht ausgetilgt ist; was darauf wächst, mag nach außen schön scheinen, entbehrt aber des inneren Wertes; so kann man im Ordensleben Scheintugenden sehen, die aber vor Gott wenig wert haben; man trägt nach außen gleichsam den schönen Mantel, aber innen trägt man das gewöhnliche Werktagskleid.

1610 |        Was vor Gott Wert hat, ist immer nur die alte, einfache, gewöhnliche Forderung: Die Sünde und Leidenschaften durch Selbstverleugnung möglichst vollkommen ausrotten und an deren Stelle Tugenden pflanzen. Und gerade das Ordensleben soll diese höchste und einfachste Forderung möglichst vollkommen erfüllen. Der Ordensstand soll das Mittel sein, um die wichtigste und einzige Aufgabe unseres Lebens, zur vollen Vereinigung mit Gott zu gelangen, leichter und tatkräftiger zu erfüllen. Die besondere Eigenheit einer Kongregation soll dieses wichtigste Werk unseres Lebens zielbewusster und klarer machen und mit dem geistigen Sonderziel der Kongregation verbinden. Die Heiligung der Seele soll durch die Eigenheit des betreffenden Ordens erleichtert, näher umschrieben und vertieft werden; das Erste wird durch das Zweite bedingt und erreicht.

1611 |        Nur soweit ich wirklich der Sünde absterbe und mir selbst Gewalt antue, komme ich Gott, dem Heiligsten, wirklich nahe; alles andere ist nur Scheintugend und trügerisch. Viele Ordensleute aber weichen dieser einfachsten Forderung des täglichen Lebens aus und begnügen sich mit der Befolgung der Ordensregel nach den Buchstaben. Sie tragen gleichsam die Schale des Ordenslebens an sich, dringen aber nur selten zum Kern vor, der das Wichtigste wäre und ist. Nur in dem Maße aber wird die Seele wirklich vollkommen, als sie sich übt, ihre angeborenen Leidenschaften und Sünden zu überwinden und so wie naturgemäß zu einem wahren fruchtbaren Ordensleben zu kommen.

1612 |        Deshalb soll nach meinem Erkennen schon dem Neuling dieser Weg vorgelegt werden und muss er darin geübt werden, bevor er auf das höhere Ziel der Eigenheit des betreffenden Institutes besonders hingeführt wird. Das letzte Ziel bleibt ja für alle das gleiche, wenn auch die Sonderideale des betreffenden Ordens bestimmte Mittel und Wege aufweisen. Jeder Neuling, der es nicht ernst nimmt mit dem notwendigen Unterbau des geistlichen Lebens, wird niemals tauglich werden, die Eigenart des Ordens sich voll auswirken zu lassen und dessen äußeren Aufgaben recht zu erfüllen.

1613 |        So aufgefasst scheint das Ordensleben etwas Einfaches und Gewöhnliches, aber es trägt in sich den Kern des religiösen Lebens und das Wichtigste, was der Mensch auf dieser Welt zu tun hat und wodurch allein er Gott nahekommen kann. Man ist nur in dem Maße mit Gott vereinigt und wirklich in Gott lebend, als man sein böses, angeborenes Ich der Sünde abgelegt hat. Das ist auch und gerade im Ordensstande das wichtigste Ziel und soll dort in höchster Vollendung und Vollkommenheit erreicht werden. Der besondere Weg zu diesem einen Ziel ist dann die Eigenheit dieses oder jenes Ordens die Hilfe und Zielsicherheit bieten soll. Ist das tiefste, eigentliche Streben nach wirklicher Selbstüberwindung kräftig und anhaltend, so entwickelt sich das besondere Ideal des betreffenden Ordens wie naturgemäß; der wesentliche Weg zu dem eigentlichen, letzten Ziel ergänzt sich wie von selbst durch die besondere Eigenart214, die ihm das besondere Gepräge gibt. Dann könnten beispielsweise auch die heutigen äußeren Anstandsregeln fallen, die man zuweilen als gegenseitige Liebe bezeichnet, die aber auch Weltleute befolgen, damit sie einander nicht zu nahe kommen und sich gegenseitig nicht verletzen. Es genügt die wirkliche, solide Tugend, die immer das Ihrige tut und nie versagen wird. Das Streben nach wirklicher, gegenseitiger Liebe sollte durch die äußeren Anstandsregeln im Gemeinschaftsleben durchleuchtet und zu tatkräftiger Liebe werden, sodass die Anstandsregeln dann wirklich Tugend sind. Wenn die bösen diesbezüglichen Anlagen überwunden sind, müsste an deren Stelle wie von selbst die wahre Liebe erblühen.

1614 |        Die Einheit und Geschlossenheit des einen Strebens zu Gott auf der einzig richtigen Grundlage der Überwindung alles Sündhaften eröffnet von selbst die Fülle der Tugenden mit all den Wirkungen zarter, gegenseitiger Rücksichtnahme; ohne diese wahre Tugend fasst man sich nach meinen Erfahrungen vielleicht mit Glacé-Handschuhen an, unter denen aber dornige Hände verhüllt sind. Ist die Seele liebevoll und wirklich wohlwollend, dann werden auch ihre Worte und Taten wohlwollend sein. Mit äußeren Anstandsregeln die innere Unausgeglichenheit verdecken: Das tun auch die Kinder dieser Welt. Gotteskinder müssen höher stehen und mehr vermögen.

1615 |        Die ganze Erziehung des Neulings muss in diese Bahnen geleitet werden. Nur auf diesem Weg erreicht das Ordensleben seinen wirklichen Zweck und wird es geistig fruchtbar in Christus, der uns durch seine Erlösung eine Fülle der Gnaden zu diesem einzigen Ziel und Zweck215 verdient hat. Dies ist der Weg zur wahren Heiligkeit: die Überwindung unserer selbst, um angeglichen zu werden der heiligsten Menschheit Jesu, der dann ewig im Himmel beigestellt zu werden wir befähigt sein sollen.

1616 |        In unserem Falle wollen wir das höchste Ideal in Maria finden. Es war mir merkwürdig, dass das Ordensleben in der beschriebenen Form mir geistig so als gottgewollt „bewusst“ war. Ich ging zur Lourdesgrotte und bat Maria um Licht und Sicherheit; denn mein inneres Wissen schien mir zu einfach und zu gewöhnlich, da man heute vielfach, wenn nicht für gewöhnlich, sich der genauen Erfüllung der Ordensregel rühmt. Da schaute und wusste ich im Augenblick durch ein besonderes göttliches Licht das „Leben“ Mariens in dieser einfachen Form, mit den gewöhnlichen216, täglichen Tugenden angefüllt und doch so Gott am höchsten wohlgefällig, wie nie ein Menschenkind. Mariens Leben ist das Ideal unseres Lebens und Strebens. – Ich wurde durch das innere Licht ermuntert, mein geistiges „Wissen“ niederzuschreiben.

 

April

04.04.1942

1617 |        Ich leide nun wieder sehr. Es ist ein hohes Ziel in mir in Vorbereitung, das ich eigentlich schon in etwa erlebe, das aber doch noch nicht ganz von mir erlebt werden kann.

 

17.04.1942

1618 |        Nach einer langen Zwischenpause, die ganz mit inneren Erhebungsleiden angefüllt war, bin ich heute Morgen in St. Peter zu einer neuen Stufe meines Innenlebens gelangt.

1619 |        Ich kam in Jesus zum vollen Kindschaftsverhältnis gegenüber dem Vater. Dieses geistige Ziel, das ich in manchem schon lange erfahren habe, ist nun der Inbegriff eines dauernden Zustandes. Das Kindschaftsverhältnis Jesu zu seinem himmlischen Vater – bzw. mein Nacherleben in Jesu Stellung als Mensch zum Vater – wurde mir in den vergangenen Leidenswochen vorbereitend erklärt und begründet, sodass ich sein Sein im Vater als eine notwendige Folge in seinem gottmenschlichen Leben begreife und auch als meinen Zustand erleben kann.

1620 |        Die letzten Wochen der Läuterung sollten mich für das hohe Ziel befähigen, wie Jesus es mir erklärte: das Sein für mich (=für meine Person, als eigener Genuss und selbstständiges Lebensresultat) auslöschen und in Jesus, im Nacherleben seines inneren Lebens, eine neue Lebensaufgabe, eine Entschädigung zu finden. Ich würde damit in ein neues Geistesgebiet, in einen neuen inneren Lebensinhalt versetzt, den mir anzueignen meine eigentliche Aufgabe sei, damit ich dadurch in Jesu menschliche Lebensaufgabe eintreten könne.

1621 |        In der letzten Aufzeichnung habe ich erwähnt, wie ich im Vorleben durch die entsprechende innere Führung diesen Zustand erlebt und genossen habe. Dazwischen liegen nun fast acht Wochen schwerster Leiden, für die es keinen Ausdruck gibt. In gewissem Sinne bekleidete mich der liebe Heiland schon damals mit dem neuen Gewand seines Seins, aber dann kamen – wie es in meinem Innenleben in der Regel ist – die entsprechenden Leiden z. B. des Unvermögens und der scheinbaren mir immer wieder vorgeführten Aussichtslosigkeit den erwähnten Zustand in Jesus dauernd ertragen zu können. Es sind dies die immer sich wiederholenden Leiden der eigenen Schwäche und Armut und des absoluten Einsehenmüssens der eigenen Mangelhaftigkeit und des Unvermögens. Trotzdem aber steht das Ziel unverrückbar in der Seele; diese ist gleichsam damit umhüllt und wird, trotz allem, angehalten und genötigt, die neue Bürde zu tragen. Das löst dann die Leiden eines gewissen inneren Zwiespaltes aus: Zwar ist das Wollen, und die Bereitschaft da, aber es drückt doch die Last und das Wissen um ein dunkles Mitgenommenwerden auf Wegen, die der Seele letztlich doch ein undurchdringliches Geheimnis sind. Man wird gleichsam mit verbundenen Augen geführt und getragen. Das Wissen des geistigen Weges ist Jesus selbst: Das „Leben“ Jesu ist der Weg und dieses „Leben“ bietet mit sich selber alles. Dieses Erleben bildet den Grundzug meiner inneren Leiden in den vergangenen Wochen: Das Leben Jesu bietet alles und alles kommt und fließt aus „dem Leben“. Das „Leben“ ist Licht und Kraft und Sicherheit und Ruhe. Es handelt sich um das unbedingte Gewöhnen meiner Seele an diesen göttlichen Lebensquell, den ich in mir trage und nur zu „leben“ brauche, und mit dem alles gegeben wird. Damit hört der gewöhnliche Weg des Empfangens und Bittens im gewöhnlichen Sinne auf; die Quelle wird durch das „leben“ von selbst zum Fließen gebracht. Aber dieses endgültige Entsagen (der Art des Empfangens aller geistigen Lebensgüter und Hilfsmittel auf den früheren Wegen), die Übung und Kraft des Verharrenkönnens darin, und das absolute „Selbstleben“ brachte meine arme Seele in die Abgründe des Nicht-Könnens und des Unvermögens und des Unvermögens zu ertragen.217 Die Seele musste in Leiden gewöhnt werden, alle inneren Güter aus dem „Leben“ selber zu nehmen und auf das gewöhnliche „Empfangen“ verzichten zu können. Es war mir dabei, als wiederholten sich alle früheren Prüfungsleiden der letzten Jahre, und zwar so, als wären sie in diesen Wochen zusammengezogen und konzentriert.

1622 |        Zudem bietet das Leben Jesu am Anfang den Eindruck des Überfließenden, das für die Seele zur Qual sein kann. All dieses Leben ist gleichsam eingerahmt in einen engen Geistesraum, was der Seele unerträglich ist und scheint: Es ist das Erleben-Müssen des Lebensquells aller geistigen Güter als meines eigenen, den ich mit Jesus wie aus mir selbst entströmend gebrauchen muss. Dieser Umstand, so einfach er scheint, ist in den höchsten Steigerungen dieses Erlebens für einen Menschen wie unerträglich. Gottes Wirken fließt eben wie naturgemäß aus einem Wesen, ist schon wirkliches Leben und Tun und Entfaltung; der Mensch aber ist durch seine Natur an einen Zwischenraum, einen zeitlichen Abstand und ein Nacheinander gebunden und braucht dies, um seine eigenen Güter zur Entfaltung und zur Verwendung kommen zu lassen. In Jesus erhalte ich nun jenen unmittelbaren Lebensquell, schon fertig und bereit zum „leben“. Diese Unmittelbarkeit des Lebens aus mir selbst muss mir geläufig und gewohnheitsmäßig werden durch das Aufgeben meines früheren eigenen Seins und Lebens. Das „Leben“ ist alles: Das Empfangen und Gebrauchen nach der früheren Art hört auf und hat in gewissem Sinne schon aufgehört und wird steigernd unterbunden.

1623 |        Dieses Innewerden der Tatsachen jenes inneren Zustandes ist im ersten Stadium wie erdrückend. Es bedeutet die Umstellung des ganzen Menschen auf den neuen „eigenen Lebensquell“; es braucht gleichsam ein ständiges, geistiges Hinhorchen- und Hingerichtet-sein auf diesen. Auch auf diesen hohen und höchsten Stufen des geistigen Lebens und der Vereinigung mit Gott verbindet sich die Aktivität mit der Passivität. Das eigene Wollen geht zusammen und zugleich mit dem passiven Eingehen in Gott bzw. in Christus. Wie auf den niederen Stufen des mystischen Lebens die eigene Bemühung Hand in Hand mit dem passiven Empfangen geht und wie dies auch das Grundgesetz im gewöhnlichen Christenleben ist, so ist auch nach meiner Erfahrung das Wollen die erste Vorbedingung zum Empfangen der Gnade; man muss die gebotene Gnade annehmen wollen und die Empfangene anwenden und gebrauchen und übend mitwirken.

1624 |        Ein anderer Umstand, der mir in den letzten Wochen mehr zum Bewusstsein kam, ist die Verschiedenheit des Selbstgenusses Gottes vom Selbstgenuss des Menschen. Gott ist sich selbst alles; sein Sein genügt ihm vollkommen zur Befriedigung; er bedarf dazu keiner Selbsterwägung218 seiner göttlichen Vollkommenheiten, keine Betrachtung seiner eigenen göttlichen Güter, um sich darin zu erfreuen zu können. Wenn Gott sich auch an den von ihm geschaffenen Gütern erfreuen kann und diese ihn verherrlichen, so genügt er doch sich selbst im vollsten Sinne zu seinem eigenen Glück und Genuss. Gottes Wesen genießt sich selbst und braucht dazu keine Erwägung seiner Vollkommenheiten, um diesen Selbstgenuss zu erhöhen. Der Mensch im Gegenteil genügt sich selber nicht. Seine eigenen Güter, weil geschaffen, sind von Natur aus für ihn selbst unbefriedigend und streben bei normalen Menschen zum Ausbau des eigenen Wesens. Um seine Güter zu genießen, muss sie der Mensch einer Prüfung und Selbstbetrachtung unterziehen; er braucht eine Vorstellungsgabe, um zum eigentlichen Selbstgenuss zu gelangen. Der normale Mensch braucht in gewissem Sinne diesen Selbstgenuss und dieses Selbstgefühl, damit sich sein menschliches Leben zu Wirksamkeit entfalten kann. Damit beginnt für den Menschen die Befriedigung219 im geordneten Sinne, die ihm angeboren ist, und die zur Entwicklung gebraucht wird durch das Sich-Vorführen der eigenen Güter. Wenn diese vom Schöpfer gegebene Anlage in gewissen Grenzen gehalten wird, ist dieses Selbstgefühl zum Nutzen für die geistige Entwicklung des Menschen. Sein Wesen bedarf dazu gleichsam eines Spiegels und gelangt erst durch die wenn auch manchmal unbewusste Vorstellung seiner Selbst zum Selbstgenuss. Gott hat dieses Gut aus sich selbst220 und kann diesen „Selbstspiegel“ entbehren. – Diese Vollkommenheit in Jesu ertragen zu können, braucht auch ein bestimmtes Leiden, das man in Worte nicht erklären kann. Jenes göttliche Sich-Selbst-Genügen war mir ein großer Schmerz, ebenso das Verzichten auf das eigene Sein und Bestehen als selbstständiges Wesen, das naturgemäß ein Recht hat auf den Genuss des eigenen Seins. Gottes unmittelbares, gleichsam bemühungsloses Wesen, das sich selbst221 vollauf genügt, scheint dem Menschen zunächst222 „trocken und zu kurz“, weil für gewöhnlich unsere menschlichen Gefühle und Sinne unsere geistigen Akte erweitern, gefühlsmäßig ausbauen und unsere menschlichen Fähigkeiten angepasst machen. Gottes Selbstgenus vollzieht sich direkt, unmittelbar und wesenhaft; es liegt schon in seinem Wesen, während der Mensch diesen Selbstgenuss erst hervorholen und zur Entwicklung bringen muss.

1625 |        Im Erleben dieses göttlichen Selbstgenusses Christi als meines eigenen, schien mir dieser Selbstgenuss nicht zu genügen; er erscheint mir zunächst als zu kurz und zu leer, da er der Mitarbeit des eigenen Vorstellungsvermögens entbehrt. Erst mit der Ausschaltung meiner eigenen gewohnheitsmäßigen Tätigkeit wurde in mir die entsprechende223 Erlebnismöglichkeit geschaffen, um Gottes göttlichen Selbstgenuss unmittelbar ertragen zu können, was ein unaussprechliches Selbstglück bedeutet und eine Befriedigung in sich selbst, für die es keine Erklärung gibt. Die Ausschaltung meiner eigenen diesbezüglichen Tätigkeit wurde hauptsächlich durch passive Leiden vollzogen, in denen meine Seele in große eigene Enge und Leere, ohne irgendwelchen224 Selbstgenuss getrieben wurde. – Im jetzigen Erleben Jesu kann ich den Ausdruck gebrauchen: Ich genüge mir selbst, weil ich selbst der Besitzer meiner Güter bin und alles aus mir habe.

1626 |        Eine andere wesentliche Vollkommenheit Gottes, die ich in Jesus erlebe, ist Gottes Einzigkeit und Unwiederholbarkeit. In dem Maße wie ich mich selbst zu verlassen und in Jesus einzugehen innerlich dirigiert wurde, ging ich auch ein in den Einzigen, All-Einen. Darin liegt ein großes Geheimnis: Gott hat nicht seinesgleichen; er bleibt und ist immer der Eine. Und dieser Eine muss genügen und die Seele wird in Gott auch die eine, die diesen Gott besitzt. Es kommt zur Trennung von allem Geschaffenen, um diesen einen Gott besitzen und erleben zu können. Dieses absolute Genügenkönnen des einen Gottes und einen Gutes bis zur Höchststufe, wie sie mein Erleben Gottes jetzt bietet, hat sich wohl schon jahrelang aufgebaut.225 Das kam mir insofern zum Bewusstsein, als ich innerlich226 zur Gewissheit und Überzeugung kam: Ich gehe einen Weg allein, ich weiche ab von der Masse und trenne mich damit von der geistigen Gesellschaft der Menschen. Diese Wahrnehmung ist von großen inneren Erschütterungen begleitet; denn der Mensch braucht für sein Leben nicht nur eine äußere Zusammengehörigkeit mit den Menschen, sondern er ist auch für eine geistige Gemeinschaft geschaffen. Ich habe die Abzweigung meines geistigen Weges sehr schmerzlich empfunden. Schon in den Jahren 1925-1926 ist mir mein besonderer Weg ins Bewusstsein getreten. Das Gefühl und das Wissen, anders zu sein als andere Menschen, innerlich eine Absonderung und Abzweigung zu erleiden, trat in meinem Innenleben immer stärker auf und ich wandte folglich zu Zeiten meine ganze innere Kraft und Energie auf, um in der Bahn gewöhnlicher Menschen zu bleiben. Aber der Geist, der mich lenkte, war stärker als meine Energie und Kraft; sanft und zeitweise unmerklich nahm mich der Geist Gottes mit sich (das ist aber nicht so gemeint, als würde man den Menschen nach außen fremd, sondern es handelt sich nur um eine innere Absonderung; es zerbricht die innere Gemeinschaft mit der Welt)227. Gottes Führung zersprengt die Ketten einer geistigen Gemeinschaft mit den Gepflogenheiten des irdischen Lebens; es kommt zu einer Entfremdung mit den Meinungen der Umgebung, auch wenn diese nicht böse und sündhaft wären. Gottes Geist sondert die Seele ab und führt sie seine Wege. Es entwickelt sich gleichsam ein volles Heraustreten aus diesem Leben und ein Eingehen in ein anderes Leben, in das Leben des Geistes. In meinem Falle führte Jesus mich seine Wege im Eingehen in einen speziellen geistigen Beruf: das Erleben seines Inneren. Die besagte Trennung vollzieht sich nicht nur gegenüber der Außenwelt; es ist auch die unbedingte228 Trennung von den eigenen persönlichen Meinungen, gleichsam eine Entleerung vom Eigenen. Man wird innerlich angeregt, einem Alleinleben nachzustreben, und wird innerlich dahin229 geformt. – Auch in den höheren Stadien des Erlebens Jesu habe ich die schmerzliche Erfahrung gemacht, die fast erdrückende Wahrnehmung, einen Weg zu gehen, auf dem man von Menschen nicht verstanden wird; es war die Absonderung in das Alleinsein mit Gott, in das göttliche Wesen, das Üben des Genügens mit dem alleinigen Besitz Gottes. Jetzt, in den vergangenen Wochen230 trat dieses Leiden wieder sehr in den Vordergrund und gipfelte im Genügen des Erlebens Jesu bzw. im Genughaben an seiner göttlichen Person. „Ich genüge mir!“: Die göttliche Person Christi dient mir als meine Person; für mich ist mein Leben beendet; ich diene dem seinen. – In der letzten Zeit trat das Empfinden der Vereinsamung als Mensch und das Bedürfnis, in einem gleich geführten Menschen ein Gegenüber und Verstehen zu finden, sehr hervor und Jesus gab mir einen großen Trost durch eine besondere geistige Verbindung in seinem Herzen231 mit einer ähnlich geführten Priester-Seele232. Ich erlebte diese geistige Verbindung schon viele Jahre voraus: Es ist eine geistige Gemeinschaft in seinem Herzen „von Seele zu Seele“, die kein Wort erklären kann.233

1627 |        Es ist schwer, in menschlichen Worten dieses Geheimnis der Einzigkeit Gottes auszusprechen, die Jesus mit seiner göttlichen Person in seine menschliche Natur mitnahm und die ich in dieser Art der erhabenen Vereinigung als die meine erlebe.

1628 |        Die besondere Eigenart234 meines heutigen, tieferen Eingehens in Jesus ist aber getragen von der göttlichen und wunderbarsten wesentlichen Vollkommenheit Gottes: von seiner schenkenden, sich mitteilenden Liebe. Ich habe dieses Geheimnis in einer wunderbaren Weise erfahren, wovon ich früher keine Ahnung hatte.

1629 |        Gottes Wesen ist Liebe, sich verschenkende Liebe. Diese fand einen höchsten Ausdruck in der Erschaffung der sichtbaren Schöpfung, die ein Abbild seines göttlichen Reichtums und seiner Herrlichkeit ist. Von Ewigkeit her gedachte Gott die Welt zu schaffen, und zwar zu dem Zweck, sich dieser mitzuteilen. Das Urvorbild bei des Vaters sichtbarer Schöpfung ist das immerwährende göttlich-ewige Hervorgehen des Sohnes, des göttlichen Wortes, vom Vater. Diese göttliche Lebens- und Liebesverbundenheit gedachte der Vater auch auf die sichtbare Schöpfung zu übertragen in Wesen, die aus seiner Schöpferliebe hervorgehen, um teilzuhaben an seiner göttlichen Liebe und Herrlichkeit und Vaterschaft. Das erste Ideal dieser sichtbaren Wesen, die der Vater zu schaffen gedachte, war das Urbild seines göttlichen Sohnes, das erste Menschenbild, das dem Vater vorschwebte und nach dem er die Menschen zu schaffen gedachte.

1630 |        Ich habe dieses Geheimnis so klar erfasst: Gott Sohn, das erste Urbild der Menschheit! Im Menschen wollte sich Gott Vater sichtbare Wesen schaffen, denen er, ähnlich wie seinem Sohne, sich mitteilender Vater sein könne, an die er sich gleichsam verschenken könne. Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde und er gedachte dabei des höchsten göttlichen Urbildes der gesamten Menschheit, seines göttlichen235 Sohnes, der die Krone der sichtbaren Schöpfung werden sollte.

1631 |        Christus war von Gott als Krone der Menschheit gedacht. Ich habe innerlich erlebt: Christus wäre auch dann Mensch geworden, wenn die Sünde nicht geschehen wäre; denn die ganze Schöpfung ist von Gott in erster Linie für seinen Sohn, für das „Wort“ geschaffen worden. In diesem Falle wäre Christus in einer menschlichen Herrlichkeit als König der gesamten Menschheit erschienen, weil der Vater alles für ihn geschaffen hatte. In der Zeit hätte er die menschliche Natur angenommen, um als Haupt der Menschheit dem Vater zu huldigen.

1632 |        Nach dem ewigen Vorbild des Wortes wollte sich der Vater Söhne, Kinder schaffen, die ihn – ähnlich wie das Wort – verherrlichen würden durch das Geistesgesetz, das er in ihre Seelen schreiben wollte: Durch die Kindschaft, in der er Menschen erschuf. Der Vater wollte den Menschen ähnlich wie seinem Sohne Vater sein in einem wahren und wirklichen Kindes- und Vaterverhältnis, ähnlich der Gemeinschaft der heiligsten Dreifaltigkeit, bzw. des göttlichen Wortes mit dem Vater. Nie sollte nach der Absicht des Vaters diese göttliche Liebe unterbrochen werden, die vom Vater im Heiligen Geiste zum Sohne strömte und durch den Sohn zur gesamten Menschheit. Kinder wollte sich der Vater schaffen, die ihn in seinem Sohne als Haupt der Schöpfung huldigen und236 verherrlichen. In Christus sollte der höchste und erhabenste Mensch erstehen. Gott in menschlicher Gestalt; so sehr wollte der Vater die Menschheit erhöhen und auszeichnen.

1633 |        Ich schaute Christus als den237 ersten Menschen, als die Krone der Menschheit, dem göttlichen Wesen des Vaters gleich, aber als Mensch dem Vater dienend als Vorbild und Urbild der gesamten Menschheit. Es ist unaussprechlich. So wollte sich der Vater im Sohne an die Menschheit gleichsam verschenken! Seinen göttlichen Sohn wollte er ihr mitteilen. – Gottes Wesen ist mitteilende Liebe. Gerade in der Karwoche hatte ich das innere Erleben der göttlichen Herrschaft Christi über die Menschheit in sündenlosen Zustand und darauffolgend das Erleben der Stellung Christi als Haupt der Menschheit in ihrem sündigen Zustand. Bei der Lesung der Passion am Karfreitag, näherhin bei der Frage des Pilatus an den Heiland: Bist du ein König, hatte ich das innere Schauen und Wissen: Ja, Christus war von Ewigkeit als König und Haupt und Krone238 der Menschheit und der Schöpfung von Gott „gedacht“.

1634 |        Die Sünde hat den ersten, ewigen Plan des Vaters gestört, aber nicht zerstört. Wäre Christus ohne die Sünde der Menschen als herrlicher, leidensunfähiger Mensch erschienen, so kam er infolge der Sünde im leidensfähigen Zustand seiner Brüder, weil er ihnen in allem gleich werden wollte. Er nahm auf sich die Armut und Not, die durch die Sünde gebracht und geboren wurde. Er nahm auf sich das Leiden, das die Sünde als Strafe nach sich gezogen hatte. Er trug alle Leiden dieser gefallenen Menschheit, für die er gekommen wäre und kam, weil er als unser Bruder vom Vater bestimmt war. Er wurde ein Mensch wie wir, die Sünde ausgenommen. Sein göttliches Wesen beibehaltend diente er als Mensch dem Vater, sühnend für unsere Schuld. Göttliches Leben in menschlichem Sein vor dem Vater löschte die Schuld und um seinetwillen versöhnte sich der Vater wieder mit den Menschen. Damit behielt Christus seine erste Stellung als Haupt der Menschheit bei: Er gab sich für alle. Er, der Eine, für alle. Immer noch der erste Mensch, der König der Menschheit.

1635 |        Christus lebte als Mensch das Leben des Kindes Gottes, so wie Gottvater sich das Leben der Menschen gedacht hatte – aber durch seine göttliche Person ward es zugleich zum göttlichen Leben und zum vollen Ersatz für die sündige Menschheit. Wie Gott den239 erstgeschaffenen Menschen ein Geistesgesetz in die Seele schrieb: Das Kindschaftsverhältnis zum Vater, so erfüllte der ewige Sohn dieses zerstörte Kindschaftsverhältnis, in dem er das wesentliche Gesetz Gottes, alle wesentlichen sittlichen Vollkommenheiten in menschlicher Form lebte und erfüllte und dadurch den unabsehbaren Abstand und Abgrund zwischen Gott und der Menschheit wieder ausfüllte und schloss. Das Kindschaftsverhältnis zwischen Gottvater und der Menschheit war nun wieder hergestellt, durch den Sohn und vorbildlich im Sohn. Damit bleibt Christus unser König in Ewigkeit.

1636 |        Der Urplan Gottes ist im Grunde der gleiche geblieben: Der Mensch war bestimmt, das Kindschaftsverhältnis des göttlichen Sohnes zum Vater nachzuleben, im Sohne sich dem Vater zu geben und durch ihn den Vater zu verherrlichen. Nach der Sünde bzw. nach der Erlösung, d. h., nachdem wir in der Taufe kraft der Verdienste des Erlösers wieder eingehen in die Kindschaft des Vaters, sollen wir mit seiner Gnade dieses Verhältnis wieder leben, das uns durch Jesus wieder geschenkt wird. Ohne dieses können wir nicht zum Vater eingehen. – „Wir sind Kinder Gottes durch Jesus, das Haupt der Menschheit!“ Es ist unmöglich, dieses göttliche Geheimnis ganz in menschliche Worte zu fassen, und im geistigen Erfahren kann man nur bewundernd den Vater preisen. So innig sind wir einbezogen in den göttlichen Plan!

1637 |        Nach der heute in St. Peter erhaltene besondere Gnade gelange ich nun in eine höhere Stufe des Erlebens Jesu. – Schon gestern war ich nach Wochen großer Leiden in einer unaussprechlichen geistigen Ausgeglichenheit. Mein Inneres war vollkommen geordnet, das Sein für mich war wie ausgebrannt und volle Harmonie führte die Herrschaft in mir. Ich fühlte von Jesus nichts, doch ich lebte ihn wie mein eigenes Leben und alles bin ich mir selber. Heute Morgen nun, nach der hl. Kommunion (in der Gruft bei Pius X), „nahm mich Jesus mit zum Vater“. Ich bin nun an seiner Stelle das lebende Leben des Sohnes durch das Gesetz seines Lebens, das Jesus in mir geschaffen und ermöglicht hat. – Ich erkannte auch den neuen Abschnitt des Lebens, der durch das Verzichten auf mein früheres eigenes Leben für mich beginnt.

1638 |        Mein jetziges Leben ist Jesu Leben vor dem Vater, nach dem Gesetz, das Jesus durch seine göttliche Führung in mir vorbereitet hat. Ich bin nun hineingehoben in das Leben Jesu. Mein Inneres ist umgewandelt und ich kann ohne Besinnung die innere Lebensart Jesu vor dem Vater erfüllen, soweit es der Heiland eben für seine Absichten braucht. Damit ist das Sein „für mich selbst“ abgeschlossen und ich gebe in den Erlöserzustand Jesu ein, in den er sich in seinem irdischen Leben begeben hat. Ich weiß: „Mein inneres Leben habe ich aus mir selbst“ d. h. aus der göttlichen Person Christi, und seine Vollkommenheiten kann ich in dem Maße ertragen, als Jesu sie mir zuzuteilen gemäß seinen Absichten240 für notwendig hält. Es ist alles da, was ich innerlich brauche. Ich lebe „aus mir selbst“, ohne Akte, denn das „Leben“ ist alles.

1639 |        Damit bin ich ganz vom Vater abhängig, um alles bitte ich den Vater, dem Vater bin ich ganz unterstellt. Ich erlebe damit, wie Jesus als Erlöser sich ganz dem Vater unterordnete, immer im Vater war, nur sein Wohlgefallen suchte und nur seinen Willen tat, weil der Vater die beleidigte göttliche Person war, die der Sohn durch diese göttliche Unterwerfung wieder versöhnte. Diese göttliche Unterwerfung war der erste und höchste Akt der Erlösung. Und der Vater „bestimmte“ auch die Sühne für die sündige Menschheit, der sich der Sohn kindlich unterwarf. – Es ist ein unaussprechliches Kindschaftsverhältnis, das Jesus vor dem Vater erfüllte.

1640 |        In Jesus ging ich heute Morgen in diesen seinen Zustand ein und ich muss gestehen: Es ist mir neu und ungewohnt und es braucht noch Übung meinerseits. Ich war angeregt, ganz auf den Gebrauch der früheren Art meines Lebens und Betens zu verzichten und diesem inneren Leben Jesu zu folgen, das mir in ihm geboten ist; ich kann es in großen Frieden und unaussprechlicher Einfachheit.

1641 |        Jetzt ist mir vollständig klar, was der Heiland damit meinte: Das Sein für mich auslöschen und dafür sein Leben annehmen. Ich bin nun Jesu Leben im Vater und ich bin sehr ruhig; es scheint aber ganz mein eigenes Leben zu sein.

1642 |        Für diesen Zustand wird mir nun immer wieder eine besondere Gnade der Befestigung versprochen, wenn ich dafür befähigt bin.

 

28.04.1942

1643 |        Immer mehr, sich täglich mehr entfaltend, prägt sich Jesu Leben als Mensch vor dem Vater in mir aus und seit gestern wird mir mein innerer Zustand „bewusst“. Es ist das bewusste Tun und „Leben“ aus dem schon vorhandenen inneren Leben Jesu heraus; die innere Fülle entfaltet sich zu menschlichen Akten; alles, was das innere Leben betrifft, ist mir schon geboten im habituellen Sein, wodurch ich Jesus lebe.

1644 |        Dadurch bin ich ganz in mir konzentriert, bin ich mir selbst alles und empfange ich nichts. Wie naturgemäß schöpfe ich aus mir selbst, und alles, was ich brauche, ist schon in mir grundgelegt. Es braucht keine Übung im gewöhnlichen menschlichen Sinne; in Jesus kann ich alles vollkommen tun, d. h., soweit sich Jesus in seiner Vollkommenheit mir mitteilt. Es scheint aber, als komme alles „von mir“; ich stütze mich auf „mich selbst“. Damit kommen gleichsam neue Energien zur Entfaltung, die ich in mir besitze und die mir im „Leben“ zum Bewusstsein kommen.

1645 |        „Jesus lebte seine göttliche Vollkommenheit in menschlichen Akten; es waren infolge der Selbstständigkeit seiner göttlichen Person ganz und gar seine eigenen Vollkommenheiten, die er in einem Leben in menschliche Form vor dem Vater lebte.“ – Auf diesem inneren Stadium bin ich jetzt angelegt.

1646 |        Wenn ich schreibe: „In menschlichen Akten“ lebte Jesus seine göttlichen Vollkommenheiten, so will das nicht heißen: „Ich glaube, vertraue, will geduldig, demütig sein“, sondern: Ich bin das aus mir, aus der Fülle meines inneren Seins und in dem Maße als Jesus sich mir mitteilte. Meine menschliche Natur, bzw., meine Seele ist nun genügend geläutert und gereinigt, um die Anforderungen, welche die Vollkommenheiten des Habitus Jesu an sie stellen, zu leisten und zu tragen und dabei nicht unruhig oder unfähig zu werden; meine Natur bleibt nun in völligem Frieden gegenüber den Anforderungen, die das innere Leben Jesu an mich stellt. – Jesu menschliche Natur und Seele war schon vom ersten Anfang an vollkommen heilig und seinem göttlichen Habitus angepasst; wenn auch seine menschliche Natur unter der göttlichen Fülle litt, so herrschte doch stets volle Harmonie, weil das Menschliche vollkommen der göttlichen Person eingeordnet war. – Meine menschliche Natur musste erst entsprechend geläutert und vorbereitet werden, um die Anforderungen seines inneren Lebens leisten und ertragen zu können, und zwar bis zu der Stufe, auf der ich mich jetzt bewege und auf der ich der göttlichen Person Christi diene als ihr menschliches Leben. Da aber dieses Leben Jesu als mein eigenes erscheint und ich es wie mein eigenes lebe, so habe ich mit seiner göttlichen Person alle Vollkommenheiten „aus mir“ und meine Natur bzw. meine Seele ist so umgeformt, dass ich diese Vollkommenheiten sofort und augenblicklich, nur im Besinnen auf mein Leben betätigen und leben kann; aber auch dieses Besinnen ist Zustand und besteht nicht in einzelnen bewussten Akten, sondern in der Fülle des inneren Lebens in Jesu, in seinem göttlichen Habitus. Es ist – um es in Vergleichen zu sagen, wie beim Springbrunnen, der sich von selbst ergießt, weil die entsprechende Vorrichtung schon eingebaut ist oder wie bei der elektrischen Klingel, die läutet, wenn man auf den Knopf drückt.

1647 |        Das innere bewusste Leben prägt die Vollkommenheiten in wirklichen „Taten“, in innere, schon vollzogene und gelebte „Akte“ aus. Das Leben in der gewöhnlichen aktmäßigen Form ist überhaupt nicht mehr vorhanden; dies ist längst überschritten und an dessen Stelle ist das Leben „ohne Akte“, d. h. ohne übungsmäßige Akte getreten. Die „Tat“ selbst, z. B. Geduld ist habituell und stützt sich wie naturgemäß auf die eigene Fülle und den Selbstbesitz, woraus die gelebten inneren Vollkommenheiten sich ohne Bemühung ergeben. Mein jetziger Zustand ist aber höher wie der vorhergehende, weil das innere Leben Jesu nun „bewusst“ vor dem Vater im Habitus des göttlichen Sohnes gelebt wird. Es bedurfte darum einer noch höheren Bereitung und Bereitschaft, um mich bewusst an Jesu Stelle dem Vater zu opfern in den Taten und Leiden des inneren Lebens Jesu. Jesu inneres Sein241 wird wieder zu menschlichen Werken und Leiden242 durch meine menschliche Natur, die jene Werke und Leiden kraft seiner göttlichen Person hervorbringt – soweit es eben den Absichten Christi entspricht, der dieses Geheimnis seines gottmenschlichen Lebens offenbaren will. Mein eigenes Sein wird dadurch immer vollständiger ausgelöscht und von Jesu Leben verdrängt.

1648 |        Dieser, mein innerer Zustand lässt sich schwer in menschliche Worte fassen, weil er eben „Zustand“ ist, ein schon bestehender und gegebener Zustand. Er erscheint mir aber nicht „fremd“, sondern ist das Ergebnis und die Folge so vieler, jahrelang aufgebauter Bemühungen unter der Führung der göttlichen Gnade. Ich nähere mich nun sehr – so vermessen der Ausdruck auch scheinen243 mag – dem habituellen gottmenschlichen Zustand des göttlichen inneren Seins244 Jesu in seinem Erdenleben.

1649 |        Mit der göttlichen Person war seiner hl. Menschheit bzw. seiner Seele alles gegeben, was sie an Vollkommenheiten brauchte, weil ja seine göttliche Person die Trägerin und Vollbringerin all seiner menschlichen Taten war. Das „Ich“ in Christus war das „Leben“; seine Seele, und seine heiligste Menschheit war ihm entsprechend eingeordnet und damit wurde sein menschliches Leben zu einem göttlichen Leben, und das Göttliche war das führende und richtungsgebende Prinzip in Jesus. (Ich verstehe dieses Geheimnis zwar ganz klar, aber meine Worte sind zu schwach und unklar, um es auszudrücken und erklären zu können).

1650 |        Hierin liegt auch das Geheimnis der vollen Gleichförmigkeit des Erlöserlebens Jesu mit seinem himmlischen Vater und daraus folgt wiederum der übervolle Ersatz seines Erlöserlebens für die Menschheit. – Christi menschlich-sittliche Vollkommenheiten waren den göttlichen Vollkommenheiten des Vaters gleichförmig infolge der göttlichen Wesenhaftigkeit Christi im Vater. Christi menschliche Werke erreichten deshalb an Vollkommenheit vollständig die göttliche, wesenhafte, habituelle Heiligkeit Gottes des Vaters, die im Menschen Christus in menschlicher Art gelebt wurde. Somit war Jesus „immer im Vater und tat allzeit den Willen des Vaters“, weil er wesenhaft in sich die Möglichkeit besaß, ganz gleichförmig mit dem Vater menschlich-vollkommene Werke zu verrichten. So blieb Jesus als Mensch in der göttlich-wesentlichen Gleichförmigkeit mit dem Vater, genau so wie vor seiner hl. Menschwerdung. Des Vaters göttlich-wesentliche Vollkommenheit und Heiligkeit wurden nun im Sohne wirklich zu menschlichen Taten und Werken: Welches Entzücken für den himmlischen Vater! Darum reichte dieses „eine göttliche Menschenleben“ übervoll als Ersatz für die ganze Welt mit den ungezählten Menschen für immerwährende Zeiten. Und nur ein göttliches Erlöserleben konnte dieses volle Maß göttlichen Ersatzes erreichen. In dem einen göttlichen Sohne, in Christus, ist jeder einzelne Mensch vom Vater wieder aufgenommen in ewige Kindschaft, denn die Gotteskindschaft wurde durch Jesus sohnschaftliches Menschenleben wiederhergestellt.

1651 |        Und Jesus tat alles, „um den Vater zu verherrlichen“, um dem Vater durch seinen eigenes gottmenschliches Leben alles an Ehre zu ersetzen, was ihm an Unehre von der ganzen Menschheit angetan und zugefügt wurde. Der Heiland war das liebende Kind, das durch seine Liebe das Herz des Vaters für alle irregegangenen Kinder wiedergewann, indem er alles so tat und litt, wie es der Vater nicht vollkommener hätte tun und leiden oder wünschen können. Jesus blieb als Mensch in der göttlichen Gleichförmigkeit mit dem Vater und damit hatte er den Vater gleichsam in seiner Gewalt und der Vater tut alles, um was er ihn bittet.

1652 |        Die Vollkommenheit unserer Werke ist es, womit wir das Herz Gottes bezwingen können. Je mehr unser Leben und unsere Werke der Vollkommenheit des göttlichen Sohnes nahekommen, desto mehr Gewalt haben sie beim Vater, weil gleichsam „der Sohn“ zum Vater spricht. Nur durch den Sohn können wir dem Vater nahekommen und nur er ist unser Weg zum Vater. Darum ist das einzig wesentliche Werk unseres Lebens dies: Im Leben Christi dem Vater nahekommen, denn Jesus „zeigt“ uns den Vater.

1653 |        Vor einigen Tagen schaute ich, wie das erste Kindschaftsleben, das der Vater in den Menschen bei ihrer Erschaffung grundgelegt hatte, in MARIA nie gestört, sondern immer nur erhöht wurde. Ihre Seele ging durch ein besonderes Privileg als Gotteskind aus der Hand des Vaters hervor im Hinblick auf das menschliche Leben Jesu, das aus Maria hervorgehen sollte und im Voraussehen der göttlichen Erlöserschaft Christi, zu der Maria durch ihre Hingabe beitragen sollte. Maria war und blieb darum immer Kind des Vaters und ihr Kindschaftsverhältnis erhöhte sich noch mehr und bis zum höchsten Sinn, als der Vater ihr „seinen Sohn übertrug“. Maria tat immer den Willen des Vaters, wie immer er auch an sie herantrat.245 Sie lebte höchste Gotteskindschaft, wie es kein Mensch je erreicht hat.

 

29.04.1942

1654 |        Heute Morgen nach der hl. Kommunion war ich in einen wunderbaren Zustand versetzt, dessen Tiefe ich bis jetzt nicht erreicht hatte: Ich erlebte das letzte Ziel meines Seins im Vater anstelle Jesu, und zwar als habituellen Zustand. Im Vorerleben ging dem voraus das vollständige Verzichten auf meine persönlichen Rechte auf mich selbst, ein wirkliches Auslöschen meines persönlichen Seins, um dafür nach den Absichten Jesu ganz sein inneres Leben als Mensch vor dem Vater zu wiederholen, aufgenommen von seiner göttlichen Person. Ich war „ganz von mir selbst befreit“, als „Jesus“ im246 Vater und vor dem Vater. – Das innerste Geheimnis dieses Erlebens lässt sich in Worte nicht erklären.

1655 |        Ich war in voller innerer Gleichförmigkeit mit dem Vater, vollkommene Harmonie; wir waren eins. Es ist eine unaussprechliche Lust, so ganz im Vater zu weilen, dieses wirkliche und endliche „Daheim“ in seiner Vaterliebe zu verkosten, an seiner inneren Unumschränktheit teilzuhaben, die volle Ausgeglichenheit zwischen uns zu genießen. Das Eigene meines Seins störte mich nicht mehr; es war nicht mehr. Es ist auch die volle Bereitschaft im Vater gegeben, worin der Sohn, das Kind, alles tut und tun kann, was und wie der Vater will. – Die Liebe und Hingabe und Unterwerfung unter den Willen des Vaters ist mein ständiger Herzschlag. Im Vater gibt es nur Jubel und freudige Ergebung, weil er alles lenkt und volles Geborgensein herrscht. – O, wann werde ich, völlig vollendet in Jesus, diesen dauernden Zustand genießen?! – Im Vater ist absolute Wahrheit und in seinen Armen bin ich gefahrlos. – Aber ich habe das innere Wissen, dass ich „bald“ dauernd eingehen werde an Stelle Jesu in den Vater, d. h., sobald ich die entsprechende Befähigung hierfür habe. – Ich habe, gemäß der inneren Führung, ganz auf mich verzichtet und bereitwillig in Jesus mich dem Sein im Vater übergeben.

1656 |        Jesus ganzes menschliches Leben hat sich vor dem Vater und im Vater abgespielt. Wer könnte so ganz in dieses Geheimnis eindringen und es in Worten wiedergeben? Jesus ganz im Vater und dem Willen des Vaters jeden Augenblick hingeben, in allem nur die Ehre des Vaters suchend, indem er sich selbst bis in den Tod vernichtete, damit der Vater wieder anerkannt werde; o vollkommene Liebe des Sohnes in der Gleichförmigkeit mit dem Willen des Vaters!

1657 |        Solange der Mensch sich selbst lebt und genießt, kann er die Liebe Gottes bzw. die göttliche Liebe der heiligsten Dreifaltigkeit nicht schauen und erfahren; nur die eigene Entblößung von sich selbst und ein höheres Hineingehobensein in Gott, bzw. in Christus, lässt dieses wunderbare Geheimnis gleichsam mit göttlichem Empfinden und Fühlen erfahren und durchkosten.

1658 |        Und Jesus bietet sich mir selbst als mein Leben, damit ich an seiner Stelle das Geheimnis der Liebe Gottes in der Erlösung erleben könne. Jesus will dies für die heutige Zeit, damit die Liebe Gottes wieder die kalte Welt erwärmen könne. – Wie ich mich so ganz verloren hatte und in Jesus im Vater weilte, rief ich unwillkürlich in mir aus: O, dass die Menschen an dich glauben möchten! – Da ward mir die Antwort: „Sie werden durch dich glauben“. Und ich schaute eine große Erhöhung und Vertiefung des Glaubens in den Völkern durch die Offenbarung dieses innersten Geheimnisses der Liebe Gottes in der Erlösung.

1659 |        Mein ganzes Leben wird sich vor dem Vater und im Vater vollziehen. Ich weiß den Weg: Die Liebe Gottes ist der Weg. – Seit heute Morgen ist eine Glut des Verlangens in mir entfacht, in Jesus ganz vollendet zu werden, um immer im Vater sein und weilen und in allem seinen Willen erfüllen zu können, denn das kann man nur im Sohne vollkommen.

1660 |        In den letzten Tagen wurde mir auch seine neue Gebetsweise gezeigt: das Gebet des Lebens Jesu. Gewiss spricht und sprach Jesus zum Vater von der Menschheit und den einzelnen Seelen; aber Jesus ist der erste und höchste Sohn des Vaters, in dem alle anderen Söhne und Kinder unmittelbar vereinigt und verbunden sind. Wenn der Vater den Sohn sieht, so schaut er auch die ganze Menschheit, alle in Christus erlösten und besonders alle auf Christus getauften. Jesus ist das Haupt der Menschheit; im Haupte schaut der Vater alle Glieder. Wendet sich das Haupt zum Vater, so gedenkt der Vater naturgemäß auch aller Glieder. Hat das Haupt gelitten, so gilt das Leiden für die ganze Gemeinschaft. Liebt das Haupt, so „lieben“ vor dem Vater auch die Glieder. Jesus konnte in seinem Erdenleben nichts tun und leiden und lieben, ohne dass nicht auch die ganze Menschheit geistig daran teilgehabt hätte,247 bzw. ohne dass es der ganzen Menschheit zum Heil gewesen wäre. Die Liebe Gottes ist unendlich und somit sind die Leiden des göttlichen Erlösers unbegrenzt wertvoll und wirksam. In Christus ist daher die ganze Menschheit vor dem Vater wieder in Gnaden248 aufgenommen, wenn sie an Christus glaubt.

1661 |        Jesu Leben war ein ständiges Gebet, weil eine ständige und vollkommene Unterwerfung unter den Vater. Nicht das Beten mit bestimmten Worten ist ja das höchste Gebet, sondern dies: „den Willen des Vaters zu tun“. – Das Leben in Gott, das Tun seines Willens steht höher als jedes Gebet in Worten, weil in jenem Gebet des Lebens die unendliche Liebe Gottes wirksam ist und es zum Herzen des Vaters dringen lässt. – In meinem Innenleben hört das Beten in Worten beinahe vollständig auf und es tritt dafür ein das Gebet des Lebens Jesu. Die innere Vollkommenheit des Lebens Jesu verbürgt eine sichere Erhörung; es braucht nur die Absicht zum Beten und Bitten vor dem Vater, denn das Tun und Opfern Jesu im Vater ist alles wert und erreicht alles. Wenn ich darum in letzter Zeit das Bedürfnis hatte, für ein bestimmtes Anliegen zu beten, bzw. den Vater zu bitten, so hatte ich öfters die innere Mahnung: Jesu Leben bewirkt alles, umfasst und erreicht alle Seelen und ihre Bedürfnisse, besonders jene, die ich in meinen Leiden erreichen und denen ich helfen möchte (es wurde mir aber auch innerlich erklärt, dass all mein Opfer und Leiden in Jesus vornehmlich für eine verborgene Art einer inneren Erneuerung der Kirche und des Priestertums Frucht bringen wird)249.

1662 |        Ich bin in Jesus in sein Gebet vor dem Vater eingegangen. Es beruhigt mich sehr und ich übe mich darin. Die Liebe Gottes ist allgemein und die Liebe umschließt und erreicht auch den Einzelnen. Darum lebe ich das größte Geheimnis des Gebetes: Jesu Leben ist alles und erreicht alles!

 

30.04.1942

1663 |        In Jesus habe ich heute ein weiteres Geheimnis seines Erdenlebens im Verhältnis zu seinem himmlischen Vater erfahren: Jesus besaß als Mensch immerwährend die unmittelbare Gottesschau, die wesentliche Schau des Vaters.

1664 |        Jesus besaß auch als Mensch sich ständig in seinem göttlichen Wesen und konnte dieses göttliche, bewusste Wesen niemals ablegen, sonst hätte er als Mensch aufgehört, Gott zu sein – aber da er sich so ganz seinem Erlöserleben hingab und das menschliche Leben ganz in menschlicher Weise auf sich nahm, so waren in ihm für gewöhnlich nur die göttlich-habituellen Wirkungen seines göttlich-wesentlichen Seins tätig. Ich möchte sagen: Mit seiner Menschwerdung trat Jesus gleichsam so sehr aus dem göttlichen Bereich heraus und erniedrigte er sich so tief, dass er – menschlich ausgedrückt – den Vater als seinen Herrn und Gott anerkannte und sich ihm in allem unterwarf. Selbstverständlich blieb die wesentliche göttliche Einheit immer bestehen, aber als Erlöser entblößte sich Christus so sehr, dass er von allen als Mensch erfunden wurde. Anders aber war sein göttlich-wesentlicher Verkehr mit dem Vater. Ich will hier nicht wiederholen, was ich schon früher erwähnt habe – obwohl ich heute dieses Geheimnis neu schaute: Die zweite göttliche Person, das Wort, ging jeden Augenblick vom Vater hervor als selbstständige göttliche Person usw. Dies Geheimnis blieb in seinem Menschenleben unverändert bestehen und Jesus gab dadurch als Mensch ständig Zeugnis für den Vater. So blieb die wesentliche habituelle Einheit mit dem Vater bestehen, der aus dem Vater hervorgeht, der gibt sich diesem wieder zurück in menschlichen Akten und Lebensbetätigungen. Dadurch blieb bestehen der göttlich-wesentliche Habitus zwischen Vater und Sohn in der Verschiedenheit der göttlichen Person und der Weise ihrer Betätigung und zugleich die wesentliche Einheit des einen Gottes. Da aber Jesus als Mensch sich vor dem Vater-Gott erniedrigte und alles dem Vater übergeben hatte, was sein menschliches Leben betraf, so war der Vater wirklich der Herr und Gott des Erlösers, von dem er alles erbat und erhalten hatte, auch sein Leben, das er dem Vater wieder zurückgab.

1665 |        Die innere wesentliche Einheit mit dem Vater bedingte daher für den Sohn ein beständiges „Gegenüber“, das ihm in der Vaterschaft Gottes gegeben war. In dieser Weise „schaute“ Jesus ständig wesenhaft den Vater; denn der himmlische Vater war das „Gegenüber“ des Erlösers in seinem Erdenleben. Da aber Jesus die göttliche wesenhafte Einheit mit dem Vater besaß, so war „der Vater immer in ihm“, sodass der Sohn sagen konnte: „Wer mich sieht, der sieht auch den Vater.“ Trotzdem war der Vater das „Gegenüber“ des Sohnes, weil er in allem sich vom Vater abhängig gemacht hatte. Gewiss blieb trotz aller Hingabe an den Vater die habituelle Selbstständigkeit der göttlichen Person des Erlösers250 bestehen, aber Jesus unterwarf sich auch als Gott der Führung des Vaters. (Freilich konnte Jesus jeden Augenblick von der vollen göttlichen Selbstständigkeit Gebrauch machen, aber dieses Geheimnis liegt im tiefsten wesentlichen Verkehr mit dem Vater und lässt sich in Worten nicht erklären; man kann es nur im geistigen Schauen erfahren.)

1666 |        Die „Gottesschau“ des Erlösers war aber ganz verschieden von der mystischen Gottesschau in den mystischen Gnadenzuständen. Die mystische Gottesschau ist ein Innewerden Gottes, ein Erfahren Gottes, eine Vereinigung mit dem erfahrenen Gott, ein Eingehen in die Geheimnisse Gottes,251 ein Genießen und Zusammensein mit diesem Gott, in verschiedenen Formen und Stufen252. Sie wird auf den unteren Stufen des mystischen Lebens immer wieder unterbrochen und dauert dort253 für gewöhnlich nur kurze Zeit. Es müssen in der Seele erst wieder neue geistige Aufstiegsmöglichkeiten vorbereitet werden, damit das Erfahren Gottes sich steigern und erhöhen kann zu einem tieferen Eingehen in Gott. An den höheren Gnadenstufen des mystischen Lebens wird das Erfahren Gottes sich steigernd habituell und dieser Zustand tritt nach meiner Erfahrung zur Zeit der geistlichen Vermählung ein. Auf diesen Gnadenstufen prägen sich aus, die Vereinigung der Seele mit Gott und ein bestimmtes Erfahren Gottes als Zustand, der aber doch wieder zu Zeiten von einer außergewöhnlichen Fülle Gottes, in der Eigenheit eines noch höheren Besitzes Gottes in der Seele überboten wird.254 Im gewöhnlichen findet man Gott immer in sich und ist vom göttlichen Erleben getragen; wenn auch diese Gnaden von schweren Leiden verdeckt sein können, so „ist Gott doch in mir da.“ – Die mystische Gottessschau bedingt für die betreffende Seele ein „Suchen Gottes“, ein Verlangen nach Gott, eine Vorbereitung auf Gott. Diese Gottesschau und das Erfahren Gottes ist auch einem gewissen Wechsel, einem Aufsteigen und Erhöhen unterworfen. Auch auf den höheren255 Gnadenstufen ist das Erfahren Gottes bedingt durch ein Hingeben an Gott. Die Schau Gottes selbst, d. h., das Wesen dieser Gnade ist veränderlich und kann mehr oder weniger klar von der Seele erfahren werden; sie ist für gewöhnlich256 bedingt und mittelbar. Doch ist nach meinem Erfahren auch hier eine höhere Möglichkeit, eine Art unmittelbaren Erlebens und Erfahren Gottes nicht ausgeschlossen. Nach der Zeit der geistlichen Vermählung, wo die Seele vielleicht noch höheren inneren Reinigungen unterworfen wird – denn im inneren Leben und Fortschritt gibt es kein Stillstehen oder ein genug haben – stellt sich dementsprechend eine höhere Ausschaltung des Persönlichen in der Seele ein, wodurch dann eine Disposition zu einem unmittelbaren Erkennen und Durchdringen Gottes und seines göttlichen Wesens geschaffen wird. – Der alte Mensch mit seinen eigenen Vermittlungen weicht dem neuen Menschen in Christus im höheren unmittelbaren Eingehen in Gott.257

1667 |        Die Gottesschau Christi aber war infolge seiner wesenhaften Einheit mit dem Vater unbedingt, unmittelbar, habituell. Die mystische Gottesschau wird vom Glauben an Gott bedingt, Christus schaute den Vater im Wesen Gottes – ohne Glauben. Er durchdrang das Wesen des Vaters durch seine göttliche Wesenhaftigkeit als zweite göttliche Person. Darum besteht zwischen der Gottesschau Christi als Mensch und der mystischen ein nie auszugleichender Unterschied. Gewiss hatte ich oft ein Erfahren Gottes, dass ich meinte: Höher als ich jetzt Gott bzw. den Heiland erfahren, geschaut und durchdrungen habe, kann man es sich nicht mehr denken und ist es nicht mehr möglich, weil mein Gott das Wesen doch schon durch und durch erfahren und durchkostet hat, und doch habe ich dann noch viel höhere Stufen überschritten, die also doch möglich waren.258 Und diese Erfahrung werden wohl alle Mystiker haben. Gott teilt sich eben der Seele jeweils in der höchsten Weise mit, die für die Seele möglich und erträglich ist; aber diese Möglichkeit kann sich durch Läuterungsleiden und Aufgeben des Eigenen bzw. durch Aszese259 ständig steigern.

1668 |        Christus schaute zudem den Vater mit seinen göttlichen Vollkommenheiten der Allwissenheit und mit der Kraft göttlichen Durchdringens. Er schaut Gott-Vater „wie er ist“. Unser Erkennen dagegen im Erfahren Gottes ist immer schwach, auch wenn wir es für das höchstmögliche und unüberbietbare halten; unser menschliches Wesen ist eben bedingt und beschränkt. Christus schaute ungehemmt und göttlich-unumschränkt den Vater und mit seinem göttlichen Lichte durchdrang er ihn, während wie Menschen Gottes Wesen sozusagen nur an der Oberfläche in diesem Leben erfahren können. In das tiefere Wesen Gottes gehen wir erst nach dem Tode ein in unmittelbaren Schauen. Die mystische Seele erfährt Gott, soweit es ihr zugeteilt wird; Christus erkannte und „wusste“ den Vater, wie er ist. Mit seinem göttlichen Habitus schaute und wusste Jesus den Gott-Vater. Und doch hatte er das Kleid seiner Herrlichkeit abgelegt, und war außen ein armer Pilger wie wir. Es liegt überhaupt ein unendliches Geheimnis der Liebe Gottes in der Menschwerdung Christi: Gott und Mensch zugleich!

1669 |        Heute Morgen habe ich wieder tiefer in meine geistige Entwicklung geschaut. Es wurde mir durch die innere Führung bestätigt: Ich erlebe das innere Erlöserleben Christi und zu diesem Zweck gehe ich ein in das Wesen des Erlösers, in seinen inneren Habitus. Mit diesem bin ich imstande das innere Leben Jesu als das meine zu erfahren. Ich bin nun dort angelangt, „wo Jesus schon als Mensch in mir besteht“ und sich noch immer vervollkommnet (meinem inneren Habitus nach), soweit es eben Jesus gemäß seinen Absichten für notwendig findet. Und „Jesus übergibt sich in allem dem Vater und der Vater ist sein Gegenüber und ihm allein wird das Erlöserleben dargebracht, das als 'bewusst unterworfen' vom Sohne gelebt wird.“

1670 |        Der Vater ist nun auch mein „Gegenüber“, den ich immer schaue, weil ich immer nur für ihn lebe und ganz auf mich verzichtet habe. Dieses innere Verzichten vollzieht sich in diesen Tagen ständig, es ist ein beständiges Aufgeben aller eigenen Lebensbetätigungen. Selbstlosigkeit ohne Ausdruck hat Christus in seinem Menschenleben geübt und gelebt. Sein Leben war nur dem Vater und seinen Brüdern geweiht. In diesem Sinne werde ich dem Heiland angeglichen und deshalb kann ich auch nie in Worten annähernd die Tiefe meiner inneren Entblößung begreiflich machen. –

1671 |        Wenn ich scheinbar immer wieder früher Erwähntes wiederhole, so hat dies seinen Grund darin, dass auch Jesus schon früher Erlebtes und Erklärtes in gewissem Sinne in mir wiederholt. Eine innere Stufe baut sich auf der anderen auf, und um mir selbst den ganzen inneren Weg begreiflich zu machen, stellt mir Jesus bzw. die innere Führung wiederholt das ganze Bild meines inneren Weges260 im Zusammenhang dar; ich erlebe dann Weg und Ziel nochmals in einer Wiederholung, aber meist auch Vertiefung des inneren Erlebens. Durch die Armut der menschlichen Worte ist man aber gezwungen, fast immer die gleichen Ausdrücke zu gebrauchen wie früher, wenn auch das innere Erleben schon längst eine geistige Vertiefung und Erhöhung erfahren hat. Im Grunde wiederholt sich das innere Leben einfachhin nie, sondern jede Stufe und jede neue Entwicklung ist durchdringender und innerlich umgestaltender; es ist eine ständige Vertiefung und Erhöhung, sodass man sagen kann: Kein Tag ist dem anderen gleich und es vollzieht sich ein beständiges geistiges Wachstum.

 

Mai

01.05.1942

1672 |        Heute Morgen hatte ich den inneren Antrieb, nach St. Peter zur hl. Messe zu gehen. Ich war in großer innerer Harmonie bezüglich der Anforderungen der Gnade und in unaussprechlicher Bereitschaft gegenüber dem Willen Gottes. Ich war ganz im Vater.

1673 |        Während der heiligen Messe kam es wie eine geistige Welle über mich in der Einheit mit dem Vater und ich habe mich in Jesus vor ihm ganz aufgeopfert, um Jesu, des Erlösers Stelle vor dem Vater einzunehmen. Ich war ganz in Vertrauen und Hingabe an ihn und in diesem grenzenlosen Vertrauen auf seine göttliche Allmacht habe ich vollständig auf mich selbst und mein eigenes Sein für mein ganzes Leben verzichtet, um mich dem Heiland für seine Erlöserstellung hinzugeben.

1674 |        Die innere Einheit in Jesu im Vater ist wunderbar; der innere Friede und die Ruhe und Befriedigung über diesen Akt der Hingabe ist überirdisch – ich kann kein anderes Wort dafür gebrauchen. – Mein Leben ist für mich beendet und ich habe mich mit Jesus in die Arme des allmächtigen, allerweisesten, allergütigsten Vaters begeben. In solchen Gnadenstunden erfährt man wohl am tiefsten die Treue Gottes, die nie enttäuschen kann und in der man für Zeit und Ewigkeit vollkommen geborgen ist. Man geht auf im Wesen Gottes und verkostet, durchdringt, durchlebt die unendliche Liebe Gottes. – Ich lebe ja Jesus, und sein Leben in mir ist die sicherste Bürgschaft, dass ich immer in den Armen des Vaters ruhen werde.

1675 |        Es ward mir aber innerlich erklärt, dass diese Aufopferung vor dem Vater eine große Bedeutung hat, die ich nicht zurücknehmen könne, und dass der Vater mich dementsprechend aufnehme, und Folgerungen ziehen wird. Vor dem Vater ist das „ernst“ gemeint, und dieser Akt bedeutet einen neuen Abschnitt meines Lebens. – Ich bin aber so von Vertrauen auf den himmlischen Vater erfüllt, dass ich keine Furcht oder Unruhe wegen meines künftigen Lebens habe; denn der Vater macht alles gut.

1676 |        Ich bin derart über mein eigenes Sein sowie über alle irdischen Dinge und über die ganze Welt hinausgehoben, dass es mir schwerfällt, meine äußere Arbeit zu verrichten; es ist wie eine Ekstase des Geistes; ich möchte immer „ruhen“ in dem, was mein „inneres Leben“ ist. Gewiss stört mich die Arbeit gerade nicht im Erleben Gottes, aber der Geist ist wie abwesend und das eigene irdische Leben hat nichts zu bedeuten. Ich möchte nur rufen: Lasst, lasst mich „dort“ weilen, wo das wahre Leben ist, vollends in Gott!

 

Juni

04.06.1942

1677 |        Heute, während des Hochamtes in der Kapelle wurde mir in besonderer Weise und klar wie nie der innere Geist des vom Heiland gewünschten Priesterinstitutes gezeigt. Zugleich wurde mir so überzeugend sicher wie noch nie vom Heiland versprochen, d. h. im Sein Jesu hatte ich die unbedingte Sicherheit: Das Erleben des inneren Erlöserlebens Jesu ist der Beweis dafür, dass Jesus bereit ist, neue, besondere Gnaden seinen Priestern zu geben, Gnaden einer besonderen Lebenseinheit des Priesters mit Jesus. (Der innere Begriff dieser versprochenen neuen Lebensgemeinschaft Jesu mit seinen Priestern lässt sich nicht in Worten ausdrücken.)

1678 |        Es wurde mir die Wirksamkeit des Sakramentes der Priesterweihe erklärt. Durch die Priesterweihe tritt der Priester gleichsam die Stelle Christi an, nimmt er damit Christi eigene Tätigkeit, Lebens- und Opferaufgabe auf sich und geht in eine Erlösergemeinschaft mit Christus ein. Gewiss ist und bleibt Christus der alleinige Erlöser, doch der Priestercharakter lässt den Priester an Christi Stelle treten, um die Erlösergnaden wirksam den Seelen zu eröffnen und zuzuwenden. Christi Leben in der Kirche ist ein verklärtes Leben; der Priester tritt durch seine Weihe und Lebensgemeinschaft mit Christus kraft des Sakramentes des Priestertums in einen stellvertretenden, leidensfähigen Christuszustand ein. Er soll jetzt verwirklichen und betätigen, was Christus schon getan und ausgeführt hat. Dem Priester obliegt die Aufgabe, die Erlösergnaden fruchtbar zu machen und die in der Erlösung schon bereitgestellten Früchte den Seelen zuzuwenden.

1679 |        Diesen Priestercharakter kann nun ein Priester mehr oder weniger fruchtbar in sich tragen und sich auswirken lassen. Nach Gottes Ratschluss hängen aber für gewöhnlich die Wirksamkeit der Kirche und das Heil der Seelen von der größeren oder geringeren Fülle und Betätigung des priesterlichen Charakters und Geistes ab. Gewiss kann Gott durch einen weniger vom wahren Geiste des Priestercharakters erfüllten und durchlebten Priester die Seele retten – also mehr durch unmittelbares Wirken der Gnade Gottes in der Seele -, aber der gewöhnliche und allgemeine Weg ist der mittelbare durch den Priester. Deshalb ist auch nicht so sehr die äußere Tätigkeit das Letzte und Entscheidende im Wirken des Priesters, sondern das Höchste und Wirksamste ist in erster Linie sein innerer Geist. Der gelebte innere Geist des Priestercharakters ist das weittragende Fundament für den Priester. Und dieses Fundament im Priester ist Christus selbst. Christus rettet und heiligt die Seelen durch den Priester, der durch seine Weihe in diesem „Christus-Charakter“ eintritt.

1680 |        Die geistige Fülle des gelebten priesterlichen Christuscharakters hängt nun aber von einem mehr oder weniger tiefen und ausgeübten Glaubensleben des Priesters ab. Der Priester darf sich nicht begnügen mit einem allgemeinen, mehr theoretischen Glauben an Gott, sondern er muss diesen Glauben in allem und in jeder Weise praktisch betätigen. Das mag zunächst fremd und fast anstößig klingen, als ob der Priester im gewöhnlichen Leben vielfach sich nicht vom Glauben an Gott leiten ließe – und doch wurde mir heute ganz klar gezeigt: Die geistige Erneuerung des Priestertums hat ihren Ausgangspunkt in einer Vertiefung und wahren Übung des Glaubens; das Bejahen und Annehmen der Glaubensgnaden, bzw. der Forderungen und Gnaden eines wahren Glaubenslebens ist das geistige Fundament des zu gründenden Priesterwerkes. – Das Leben des Priesters stützt sich damit auf die einfachsten Formen wahren christlichen Lebens. Alle Gnaden, die ein praktisch geübtes und bestätigtes Glaubensleben erfordert und bietet, sollen vom Priester zuerst konsequent geübt und gebraucht werden, und zwar in den einfachsten Forderungen religiös-vollkommenen Lebens. Was er anderen lehrt, soll der Priester zuerst selbst schon geübt haben.

1681 |        So sollen die Eigenschaften Gottes im Priester ebenso wie im einfachen Volke ihre Bedeutung und Auswirkung finden können. (Es würde zu weit führen, wollte ich alle diesbezüglichen Einzelheiten, auf die ich hingewiesen wurde, anführen, wie z. B. die Folgerung aus dem lebendigen und konsequenten Glauben an die Weisheit und Allmacht Gottes und seiner Vorsehung, an die Güte, Barmherzigkeit, Langmut, Einfachheit und Treue.) Tatsächlich ist aber vielfach und weithin im praktischen Priesterleben der (unausgesprochene oder auch uneingestandene) Grundsatz herrschend geworden: Der moderne, gebildete Mensch sorgt für sich selbst; er stellt praktisch Gott beiseite, tut in vielem, als brauche er Gott nicht mehr und lässt dafür mehr seine eigene Vernunft gelten.261 Damit entzieht aber Mensch und Priester den göttlichen Eigenschaften und der göttlichen Gnade die Möglichkeit des Wirkens. Dieser Geist und Grundsatz ist aber nur allzu sehr auch in das religiöse Gebiet und Geistesleben eingedrungen und kann nur von einem vorbildlichen und konsequenten Glaubensleben, von einer neuen, tiefen Glaubensströmung überwunden werden. Die absolute Abhängigkeit des Menschen von Gott und seiner Vorsehung und damit ein ersprießliches Leben aus und für Gott muss zuerst im Priester sozusagen wieder verkörpert werden. Es wurde mir gezeigt, dass der Priester sich eher noch in seiner Amtsstellung als in seinem privaten Leben an Christi Stelle fühlt und doch muss das Privatleben des Priesters die Stufe sein, auf der seine Amtswürde in Christus sich aufbaut. Wo das Erste fehlt, wird das Zweite weniger fruchtbringend sein.

1682 |        Der Priester soll ganz und nur von den Interessen Gottes, bzw. Christi und seines Reiches auf der Erde beherrscht und erfüllt sein. Als Beispiel hierfür wurden mir die Emausjünger gezeigt: Sie sprachen von dem, was sich zugetragen hatte und waren traurig: Ihr Herz war von Christus und seinem traurigen Tode erfüllt – und Christus gesellte sich zu ihnen. Ebenso wurde mir in Erinnerung gebracht das Wort des hl. Apostels Johannes: Kindlein, liebet euch untereinander! – Christus soll zum Lebensprinzip des Priesters werden, und zwar ebenso in seinem Privatleben wie seinem amtlichen Leben. Christus soll Gestallt gewinnen im Priester.

1683 |        Ich schaute diesen Geist in dem zu gründenden Priesterwerk verwirklicht und erfüllt. Aber – so schaute ich es innerlich – nur einfache, fügsame Seelen können es sein, die fähig sind, sich zu diesem Ideal bilden zu lassen. All jenen Priestern aber, die aufrichtig gewillt sind, auf dieses tiefste Glaubensleben zurückzugreifen und sich davon erfüllen zu lassen, kommt Christus selbst entgegen. Christus bietet sich dem Priester gleichsam persönlich an. Christus durchdringt und durchlebt dann den Priester und führt sich selbst im Priester immer mehr zur Herrschaft. – Ich schaute eine Heerschar von Priestern, mit Christus umkleidet, vor dem Throne Gottes. Aus dieser priesterlichen Heerschar bildet sich der Triumph der Kirche über die gottlosen Zustände der heutigen Zeit.

1684 |        Ich schaute im Priesterwerk drei besondere Merkmale: Glaube, Hoffnung und Liebe. Das Priesterinstitut baut sich hauptsächlich auf der praktischen und konsequenten Übung und Betätigung der theologischen Tugenden auf. Diese drei göttlichen Säulen tragen das gesamte religiöse Leben mit allen Gnaden, die es bietet, und sie steigern es bis zur höchsten Vollendung sittlicher Vollkommenheit in den einzelnen Mitgliedern. (Auf mein Bedenken, dass solche Priester dann zu einfältig würden, ward mir erwidert, dass mit den theologischen Tugenden auch die vier Kardinal- und alle anderen Tugenden mit der christlichen Klugheit erblühen werden.) Der Priester soll den Glauben durchleben und gleichsam alle Gnaden des Glaubens in sich selbst erleben und ausschöpfen und262 im Glauben findet er dann Christus als sein neues Leben. Christus soll das Leben des Priesters sein; das heißt aber: Durch den Glauben wird Christus im Priester tätig, denn Christus kann dann im Priester wirken, wenn das eigene „Ich“ der Selbstliebe und die übertriebene eigene Vorsorge nicht mehr die Wirksamkeit der Gnade hindern. Wie schon oft wurde mir auch heute wieder erklärt: Es gibt nur ein Mittel zur Rettung der heutigen gottlosen Welt: Zurück zum kindlichen Glauben! Im Priesterleben aber soll die Glaubensquelle eröffnet und vorbildlich vorgelebt werden. Ich wurde hingewiesen auf das Beispiel der hl. Apostel: Warum wählte sich Jesus die unverständigen, einfachen Fischer? Im geistigen Schauen ward mir die Antwort: Die Schlichtheit des Geistes, die kindliche Annahme Gottes, bzw. Christi und seiner Lehre sind das Fundament und die Grundlage, worauf Gott die Erneuerung der Welt gestellt hat. – Als Frucht eines solchen tiefen Glaubenslebens verspricht Jesus seinen Priestern sich selbst. Der Priester findet dann ihn in seinem Inneren, in seiner Wirksamkeit in seinen Erfolgen: Die Kraft Christi ist mit ihm. Und dieses Leben Christi in den Priestern wird die Welt wieder erneuern und gläubig machen.

1685 |        Zu diesem tiefen Glauben tritt dann das Opfer Christi im Priester. Kraft des Lebens Jesu in ihm vermag der Priester auch ein Leben des Opfers zu führen, so dass Jesu Erlöserleben sich sozusagen im Priester wiederholt. Dadurch steigt der Priester zur höchsten Christusähnlichkeit empor und sein Leben wird in Christus neu wirksam, weil er sich von Christus und seinem Geiste leiten und führen lässt. – Es ist aber alles viel zu geistig und zu einfach, als dass man es in der erkannten Tiefe wiedergeben könnte. Was man nur in trockenen Worten niederschreiben kann, das muss das Licht Christi innerlich durchschauen und durchdringen. Der Heilige Geist muss den eigentlichen Sinn der Absichten Christi für den Einzelnen verständlich machen: Jesus führt den Priester in sich selber, in sein Inneres, ein, und zwar auf dem Weg über das zu gründende Priesterinstitut.

1686 |        Ich schaute auch eine merkwürdige, große263 Ähnlichkeit zwischen den Gnaden, die Christus im Allgemeinen den Priestern neu geben will, und den Gnaden der Vereinigung, die er mir gab.

1687 |        Schon vor mehr als zehn Jahren wurde mir öfters vom Heiland gesagt: „Ich will dir ganz besondere, neue Gnaden geben. Aber es werden insofern nicht 'neue' Gnaden sein, als es Gnaden eines wirklichen fruchtbaren Glaubenslebens sind, um zu zeigen, welche Gnaden die Erlösung der Menschheit durch meine Menschwerdung in sich schließt. Es sind Gnaden der Ausschöpfung der Erlösungsgnaden, des Erlebens der Früchte der Erlösung“. – Obwohl ich dies wiederholt meinen Führern mitteilte, verstand dich doch nicht den Sinn dieser Worte Jesu, wenn auch eigentlich die ganze innere Führung sich auf die Erfüllung dieses Versprechens Jesu hinrichtete. In den letzten Jahren wurde mir vieles klarer, manches aber blieb dunkel. Jesus ließ mich wiederholt schauen, ich würde alle Möglichkeiten der Glaubensgnaden durchleben, bis zur höchsten Steigerung des Erlebens Jesu. Und zwar wurde mir mein Innenleben im Voraus immer im Zusammenhang mit „neuen Gnaden für das Priestertum“ gezeigt, zum Zwecke einer allgemeinen Erneuerung der Priester Jesu versprach mir oft: „Ich will den Priester ähnliche Gnaden der Vereinigung mit mir geben, wie ich sie dir gebe; und dies wird für die Priester zu einer geistigen Erneuerung führen“. Und wieder: „Ich will die Priester zu einer ähnlichen Vereinigung mit mir führen und Kraft dieser Vereinigung und Einheit mit mir werden sie die heutigen Zeitübel in der Welt überwinden und ein neues Glaubensleben schaffen. Ich gebe diese Gnaden der Not der Zeit und den Bedürfnissen der Kirche entsprechend“. Und im Glauben an diese „neuen Gnaden“ für das Priestertum verlangte er, dass ich mich ihm ganz zum Opfer bringe, um diese neuen Gnaden zu eröffnen. Heute erkenne ich im Großen den Zusammenhang meines Innenlebens „mit den neuen Gnaden für die Priester“.

1688 |        Wie mich Jesus oft über mein Innenleben belehrte, sind meine Gnaden der Vereinigung mit ihm „erworbene Gnaden“, zwar mit einer besonderen Gnade erworben, doch auch mit beständiger eigener Mitwirkung, wie auf gewöhnlichem Wege, gleichsam mit erworben, eben eine Steigerung und ein Aufbau der Früchte des durchlebten Glaubenslebens, damit man sehen könne, was man mit seiner Gnade vermag und welche Art der Vereinigung durch die Mitwirkung mit den Erlösungsfrüchten erreichbar ist. Mein Innenleben bleibt insofern dem inneren Streben nach „gewöhnlich“, d. h. es wurde mir nur im außergewöhnlichen Erleben der Gnade der Weg und die Art der Vereinigung sowie das Ziel und der letzte Zweck aller Gnaden bewusst gemacht. Freilich war es doch wieder in dem Sinne außergewöhnlich, weil es eine höchste Anspannung aller Seelenkräfte forderte und eine außergewöhnliche Einheit mit Jesus zum Ziel hatte, was sich immer wieder im Voraus erlebte und durchkostet. Der letzte Zweck all dieser „erworbenen Gnaden“ der Einheit mit Jesus ist das Erleben Jesus bzw. seiner innerer Erlöserleiden, und seines Innenlebens als Frucht der Vereinigung. Die Art meiner Vereinigung hatte zum Ziel ein Eingehen in Jesus Inneres zum Zweck des Erlebens seines heiligsten Herzens. Das sei die letzte Frucht dieses „erworbenen Lebens Jesu“.

1689 |        Im Zusammenhang mit den neuen Gnaden für das Priestertum findet die Einheit des Priesters mit Jesu auf einem ähnlichen aber gewöhnlichen Wege eine entsprechende priesterliche Auswirkung, eben seinem heiligen Berufe entsprechend; es sind aber doch neue Gnaden der Vereinigung mit Jesus, der Kraft, der sittlichen Vervollkommnung, einer besonderen wirksamen Lebensgemeinschaft mit Christus. Jesus belehrte mich öfters: Mit dieser Art der Vereinigung mit ihm würde ein neuer Geistesweg durchbrochen, der im Priesterleben fruchtbar zur Auswirkung käme und eigentlich vornehmlich den Priestern als neue Art der Berufungsgnaden in einer besonderen Vereinigung des Priesters mit Jesus zugutekomme. – Der einzelne Priester aber müsse diese Gnaden anstreben, die den Priester zu einer Vertiefung des Glaubenslebens führen und damit zugleich befruchtend in das Volk eindringen werden.

1690 |        Vor Gott ist mein innerer Weg, dem angebotenen Weg der Gnade in den Priestern ähnlich; in meinem Fall aber wird der wenig mir durch besonderes Licht der Gnade klar bewusst, während die Gnade im Priester weniger bewusst, aber infolge seiner hohen Berufung umfassender und umfangreicher wirken, wenn der Priester ehrlich danach strebt. Es wurde mir aber versprochen, dass diese erworbene Christus Gemeinschaft in manchen Priestern sich auch in außergewöhnlichen Erfolgen zeigen wird. – Der Priester steht ja durch seinen Beruf Gott näher und seine Christusverbundenheit soll sich nach Gottes Absichten in seinem Priesterleben auswirken.264

1691 |        Ich war in einem außergewöhnlichen Zustand des Einsseins in ihm, sein Leben in mir war mein Sein, und da versprach er mir wiederum: „So wie mein Sein und Leben sich in dir steigern zum Erleben und Erfahren meines inneren Erlöserlebens und -leidens, so wahr werde ich diese neuen Gnaden (die ich dabei innerlich erfahren und begriffen habe), die Gnaden meines besonderen Lebens den Priestern geben“. – Es war keine Täuschung und es ist mir sicher: Jesus führt die Priester in sich selber, in sein Inneres ein, auf dem Weg über das zu gründende Priesterinstitut. Beweis dafür wird sein mein Erleben des Innenlebens Jesu. Ich habe schon öfters ganz klare, sichere Eindrücke dieses göttlichen Versprechens erhalten, aber die heutige Gnade hat alle bisherige Sicherheit noch überboten.

1692 |        Jesus stellte dann an mich die Frage und Forderung: „Willst du dieser Beweis werden und sein?“ (Dabei stand das innere Leben und Leiden Jesu mir offen, um darin einzutreten.) – „Ich habe nie etwas anderes gesucht als dich allein, und mit dir will ich265 alles, was du in dir selbst bist!“ – Alles aber, was ich heute innerlich erfahren und hier beschrieben habe, spielte sich nicht mit Worten ab, sondern rein geistig, im Verstehen und Aufnehmen und Zurückgeben, und zwar schneller als mit Gedankenschnelle, nämlich im Erfahren des Seins und Wesens Gottes, das ich in mir erlebe. Ich war nun ganz dem Leben dieses „Beweises“ hingegeben und ausgeliefert, aber in großem Frieden: Denn in Gott gibt es trotz aller Leiden nur Friede und Freude des Geistes.

1693 |        (B. soll dieses Lebens des Glaubens vorerst in sich verwirklichen, auch in seinem persönlichen Leben sich ganz vom Geiste Christi beherrschen lassen. „Die Liebe Christi und das Leben Christi drängt mich“, das sei der Inhalt seines ganzen inneren und äußeren Lebens. – Die Liebe Christi wieder vorleben, die Liebe Christi zeigen und verwirklichen, zur Tat des Priesters machen! Er soll vorher üben, was er anderen zur Pflicht machen muss. Er muss vorher zum Ideal der Absichten Jesu werden.)

 

26.06.1942

1694 |        Heute nach der heiligen Kommunion und teilweise schon gestern erkannte ich in wunderbarer Weise und in tieferen Zusammenhang das Geheimnis der zweiten göttlichen Person in der Erlösung, Christus als das Haupt der Menschheit, Christus als der „erste Mensch“.

1695 |        In innerem Erkennen und Wissen wurde ich bis auf den letzten Grund zurückgeführt und hineingeführt in das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit. Der Vater gedachte von Ewigkeit her die Welt zu schaffen für die zweite göttliche Person, die Mensch werden und damit Urbild und Vorbild ähnlicher Geschöpfe sein sollte, welche der Vater schaffen und gleichsam an seiner verschenkenden und mitteilenden Liebe teilnehmen lassen und dadurch beglücken wollte. Urvorbild für die Erschaffung des Menschen ist das ständige Zeugen und Hervorgehen der zweiten göttlichen Person vom Vater und das immerwährende Sich-wieder-zurückgeben in jubelnder göttlicher Einheit des göttlichen Wortes im Vater. Diese heilige göttliche Einheit und Gemeinschaft der göttlichen Personen sollte in dem zu schaffenden Menschen gleichsam eine Nachbildung finden. Man kann dieses Geheimnis nur in den kurzen Worten fassen: Geheimnis der Liebe Gottes; Gott ist die Liebe; der Vater ist die erschaffende Liebe. Aus Liebe „wollte er erschaffen“, und zwar Wesen, denen er sich ähnlich wie seinem göttlichen Sohne schenken und von denen er wiederum Liebe empfangen wollte. Der erste „Gedanke Gottes“, der Urantrieb, war nur Liebe und Liebe wiederum – wie im ungeschaffenen Worte – wollte er empfangen. – Für diese jubelnde Einheit des sich im Sohne in der Liebe des Hl. Geistes schenkenden Vaters gibt es kein menschliches Wort; es kann nur im inneren Wissen und Erkennen erfasst werden.

1696 |        Gott Vater hatte „große Gedanken“ (um sich menschlich auszudrücken), als er den Menschen erschaffen wollte. Gottes innergöttliche Ideen waren ihm zum Vorbild. Nach dem Ebenbilde Gottes hat sich Gott Vater die Form der Menschen „gedacht“ und zum Ziel gesetzt. So, wie der Mensch aus seiner Hand entstehen sollte, so sollte in der Zeit die zweite göttliche Person inmitten der Menschheit wandeln. In ihr sollte die freie, selbstständige Liebesbetätigung Gott gegenüber in menschlichen Akten geübt werden.

1697 |        Der Mensch, nach Gottes Ebenbild und Vorbild aus des Vaters Schöpferhand entstanden, blieb aber durch freie Willensentscheidung nicht in diesem gottgewollten Zustand und fiel in den Zustand der Feindschaft Gottes, den wir die „Sünde“ nennen. Oft schon habe ich dieses Geheimnis des Falles der ersten Menschen und ihre herrliche, von Gott geschenkten ersten Gütern innerlich geschaut, und doch dringe ich immer wieder noch tiefer ein in das Wesen dieser bei der Erschaffung gegebenen geistigen Güter und in deren Zusammenhang mit der zweiten göttlichen Person als dem Haupte der Menschheit sowie in die Ebenbildlichkeit des Menschen mit der göttlichen Person des Wortes. Heute aber habe ich diese gottgedachte Ebenbildlichkeit des ersten Menschen mit dem ungeschaffenen Worte wohl am tiefsten erkannt und ich „weiß“ nun um dieses Geheimnis. „So wollte es Gott Vater“. Urvorbild in der Erschaffung des Menschen war das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit.

1698 |        Nach dem Sündenfall blieb der göttliche Plan, im Wesentlichen bestehen. Gott änderte in der Hauptsache, prinzipiell, nicht seinen Plan. Er schuf sich Ersatz in seinem göttlichen Sohne; der eine Mensch Christus diente Gott dem Vater als Ersatz für die ganze Menschheit. – Christus kam nun nicht in der herrlichen leidensunfähigen Gestalt, wie es ohne den Fall der ersten Menschen geschehen wäre; er kam in der Gestalt des Ersatzes, des Genugtuers. Sein innergöttliches Leben im Vater und mit dem Vater blieb das gleiche. Der Vater „sandte das Wort“ in leidensfähiger Gestalt, in der Gestalt des Sünders, indem Christus alle Leiden des Sünders auf sich nahm, alle Leiden, welche die Sünde in die Welt brachte. Christi inneres Verhalten blieb das gleiche an Reinheit und Heiligkeit wie einst im Vater, aber dieses göttliche Verhältnis des Sohnes zum Vater betätigte sich durch die Akte der menschlichen Seele. (Das wäre zwar auch im leidensunfähigen Zustand Christi der Fall gewesen, aber die Akte hätten dann den Verklärungszustand an sich getragen.) – Die Seele Christi im Erlöserzustand war leidensfähig gleich unserer Seele; statt des Verklärungszustandes trug sie in sich den Sühnezustand, den Charakter des Ersatzes für die ganze Menschheit.

1699 |        Jesus Christus machte sich als Haupt der Menschheit vor dem Vater zum verantwortlichen Träger aller Menschenseelen. Die Akte der Seele Christi waren ebenso heilig, wie seine göttlichen Liebesbetätigungen im Vater vor seiner Menschwerdung; es266 waren die gleichen göttlichen Akte, nur mit dem Unterschied, dass sie durch seine Seele in menschlicher Betätigung dargebracht wurden. Es blieb ja die beherrschende Einheit des einen Gottes bestehen. Die wesentlichen göttlichen Akte (um ein Wort für diese gegenseitige göttliche Betätigung zu gebrauchen und die Wirklichkeit des Erkennens zu bezeichnen) sind ein Sein, ein seiendes Verhältnis. Diese seiende göttliche Betätigung zwischen Vater und Sohn blieb auch im Menschen Christus erhalten, nur mit dem Unterschied, dass nun durch die Menschheit Jesu diese wesentlich-göttliche Betätigung dem Vater zuströmte.

1700 |        Diese innergöttliche Betätigung der drei göttlichen Personen ist das wunderbarste Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit. Ich schaue und durchschaue dieses Geheimnis, ausgehend von dem Vereinigungszustand, den ich in Christus erreicht habe, d. h. eben in einem ähnlichen Zustand im Vater. – Es ist ein Zustand innerer göttlicher Gleichförmigkeit, ein beständiges „Ja“ zueinander, nicht ein „Ja“ des Wortes, sondern des Lebens und Vollbringens und schon Vollbracht-Habens und des Harmonierens im höchsten wesentlichen Sinne.

1701 |        Alle leidensfähigen und zugleich leidenden Betätigungen der Seele Jesu im Erlöserzustand waren ersatzkräftig, sühnebetätigend durch die eigenartige Verbundenheit Christi des Hauptes mit der gesamten Menschheit; dadurch kamen sie notwendig allen Seelen zugute; denn Christus als Haupt trug gleichsam alle Menschenseelen in sich. Dies lag schon im Urplan Gottes, den er im Wesentlichen nie geändert hat. So sehr war in den Gedanken Gottes von Anfang an die zweite göttliche Person mir der geschaffenen Menschheit verbunden.

1702 |        Durch die Betätigungen der Seele Christi gegenüber dem Vater – Betätigungen, die göttlich waren – vollzog sich der geistige Erhebungsprozess der gefallenen Menschenseele. In Christus wurde die sündige Menschheit wieder „gottfähig“ gemacht, wieder zu Gottes Freundschaft erhoben. In den Akten der Seele Christi vor dem Vater wurde unserer sündigen Seele die Möglichkeit der Heiligung gegeben, wurde sie für gottgefällige Akte fähig gemacht; denn niemand kann zu Gott kommen, dem es nicht von Christus verdient und damit vom Vater gegeben wird. Das Erheben des Todsünders aus seinem tiefen Fall bis zum höchsten Tugendleben und zur innigsten Vereinigung mit Gott ist ermöglicht und vermittelt durch die menschlich-göttlichen Akte Christi gegenüber dem Vater. Es gab keine Sünde, deren Christus nicht gedacht hätte, und es gibt keine Sünde, die nicht vergeben werden könnte, weil eben Christus als Erlöser dieser Sünde und des Sünders gedacht hat. Christus erschauerte beim Anblick der Sünde und dieses Erschauern ward zum gottmenschlichen Anerkennen vor Gott und brachte der Seele des Sünders die Heilung und Erlösung von der Gewalt der Sünde; die betreffende sündige Seele wurde dadurch fähig der Hinwendung und Erhebung zu Gott.

1703 |        Mit diesen stellvertretenden Verdiensten Christi ist für den einzelnen Sünder nicht nur die Sündenvergebung von Gott erlangt worden, es ist auch – bei ernstem Mitarbeiten – die innere Befreiungs- und Erhebungsmöglichkeit mitverdient worden. Der Mensch kann nun im Vertrauen auf die schon erworbene Erlösergnade Christi sich in erster intensiver Mitarbeit mit den ihm zufließenden Gnaden befreien und erheben zur Freiheit eines wahren Gotteskindes, die durch die Sünde und deren Folgen verloren ging. Die seit Ewigkeiten von Gott geplante Kindschaft kann wieder zu einem dauernden Verhältnis zwischen Gott und der Seele werden. Gott-Vater wollte ja in seinem Menschheitsplan ein vollkommenes Kindschaftsverhältnis begründen, indem uns die göttliche Person des Wortes Vorbild ist.267 Was durch den Fall Adams unmöglich und zerstört wurde, das ist durch Christus wieder möglich und aufgebaut worden.

1704 |        Ich habe heute so ganz klar geschaut und begriffen: Gott wollte mit der Erlösung nicht nur die Sündenverzeihung ermöglichen, sondern in den Erlöserverdiensten ist auch eingeschlossen die Pflicht der Mitarbeit der einzelnen Seele und dadurch die Möglichkeit der Befreiung von der Sündhaftigkeit in aufsteigender Reinigung der Seele von den Fesseln der Sünde. Es wurde mir innerlich erklärt: Nur das Erstere annehmen, hieße die Erlösungsverdienste Christi schmälern und sie nicht in ihrer ganzen Konsequenz und Folgerichtigkeit annehmen. Es muss in der erlösten Seele das Streben vorhanden sein, kraft der Verdienste Christi eine Vollerlösung zu erreichen. Ja, ich schaute in großer geistiger Klarheit und Sicherheit: Jede erlöste Seele soll wieder das erste Kindschaftsverhältnis zu Gott anstreben, wie es im Paradies begonnen hat, um eben in diesem Leben oder wenigstens nach dem Tode in jenem höchstmöglichen Vollbesitz Gottes gelangen zu können. So lag es im Plane der Erlösung und Menschwerdung Christi, und es hieße der Gnade Gottes und seiner unendlichen Liebe und Barmherzigkeit268 widersprechen, wollte man diese Absichten Gottes für unmöglich oder unnötig oder überflüssig bezeichnen.

1705 |        Der Mensch soll wieder zu einem möglichst vollkommenen Kindschaftsverhältnis zu Gott gelangen, ähnlich wie es sich im Christus dem Vater gegenüber begeben hat; er ist uns ja, und zwar von Ewigkeit her, Weg und Vorbild. In wunderbarer Klarheit und geistiger Sicherheit schaute ich heute diesen vollkommenen und vollendeten Erlösungsplan Gottes. In diesen Erlösungsplan soll jede erlöste Seele ihr religiöses Leben einbauen und darin fruchtbar werden lassen. Was uns durch den Fall Adams verloren ging, ist uns durch Christus wiedergeschenkt und ermöglicht worden. Damit wird jener göttliche Liebeskreislauf wieder hergestellt, den die unendliche Liebe Gottes sich von Ewigkeit „erdacht“ und festgelegt hat. Gott will die einzelne Seele an seiner ewig beglückenden Liebe voll teilnehmen lassen; der Mensch soll sich Gott wieder zurückschenken, ähnlich wie es sich im Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit in Ewigkeit vollzieht. Die einzelne Seele wird so weit hineingezogen in dieses Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit, als sie sich kraft der Erlöserfrüchte Christi durch eine tatkräftige eigene Miterlösung von der Sünde in diesem Leben mit Gott verbunden hat.

1706 |        Ich habe so klar begriffen: Gottes unendliche Liebe will in unseren Zeiten dieses Geheimnis neu erkannt haben und er ist bereit, der einzelnen Seele mit entsprechenden Gnaden entgegenzukommen. Gott will, dass die einzelne Seele seine schon verdiente Gnade anfordert und sich dementsprechend den Anforderungen der Gnade überlässt und die einzelne Seele soll auch Gott mit ihrem Streben entgegenkommen.269 Besonders soll dieses Streben, und dieser Geist das geistige Ziel und die Grundlage des zu gründenden Priesterinstitutes werden. Der Priester ist ja in erster Linie zum Leben des Kindschaftsverhältnisses mit Gott berufen und gerufen in Christus, dessen Stelle der Priester infolge seiner Berufung270 zu vertreten hat.

 

28.06.1942

1707 |        Ich bin in einer unaussprechlichen geistigen Ausgeglichenheit wie noch nie. „Ich bin bereit, einzugehen in das Leben des menschgewordenen Wortes.“ Ich weiß um die Tragweite dieses Schrittes, der mir bevorsteht, aber es ist keine Furcht oder Unruhe in mir; ich bin lauter Vertrauen auf den Vater, in völliger Harmonie mit ihm.

1708 |        Es ist alles wunderbar einfach in mir, aber es ist vieles in mir, was sich in Worten nicht aussprechen lässt, weil es dafür ein menschliches Wort nicht gibt, weil es zu einfach ist. Mein geistiges Leben ist nicht Erleben, sondern Sein!

 

29.06.1942

1709 |        Mein inneres Sein (des Lebens Jesu) als MEIN Zustand durchdringt mich und erweitert sich in mir immer mehr. Es ist alles mein, was ich bin: ich bin „mir selbst alles, bin mir selbst zum Ziel“. Aus diesem „meinem eigenen Sein“ heraus vervollkommnet sich fortschreitend noch weiter alles in mir.

1710 |        Heute in St. Peter bat ich die Hl. Apostel Petrus und Paulus um ihre Führsprache bezüglich der Gründung des gottgewollten Priesterinstitutes. Da kam ich in eine merkwürdige geistige Verbindung mit ihnen und ich bin nun mittels einer inneren Erkenntnis „ihrer heiligen Gemeinschaft zugestellt“. Ich bin in einer vertrauten geistigen Gemeinschaft mit den heiligen Petrus und Paulus.

1711 |        Ich bin in mir so unaussprechlich froh und glücklich, weil ich in mir und mit mir in so wunderbarer Harmonie und Einheit bin. Ich „kann alles, was ich will“ und bin in mir so selig und glücklich und wunschlos.

 

30.06.1942

Über die mystische Gnadenführung

1712 |        Es ist etwas wundersam Großes, was Jesus in mir aufbaut und ich weiß darum: Ich bin gerufen, das „Leben des menschgewordenen Wortes zu leben“, das menschliche Leben Christi vor dem Vater zu wiederholen. Nicht dass Christus sich wiederhole, aber das innere Leben Christi, sein verborgenstes Geheimnis vor dem Vater soll dadurch geoffenbart und erneuert werden. Grundbedingungen für diesen inneren Zustand in Christus ist die Vollkommenheit, die innere Gleichförmigkeit und Ausgeglichenheit seines mir mitgeteilten Habitus, um dadurch dem göttlich-wesentlichen Habitus des Vaters nahezukommen. (Ich bemerke ausdrücklich: Soweit dies für die Absichten Gottes in mir notwendig ist; denn wer könnte je sich rühmen, Gott gleichzukommen?)

1713 |        Mein Innenleben wird nicht mehr durch spürbare Erleuchtungen geleitet; es beruht gleichsam auf eigene Entwicklung; das „Leben“ ist zugleich Licht, um innerlich zu leben und zu werden. Das Leben Christi in mir führt mich und ist mir selbst zum Ziel. Es ist wie eine selbsteigene Inspiration, eine Selbstführung, die in der Beschlagnahme meiner Geistes- und Seelenfähigkeiten durch Jesus ihren Grund hat. Ich möchte sagen: Ich lebe in unaussprechlicher, seelischer „Finsternis“; mein Verstand ist an meinen inneren Erlebnissen wie nicht beteiligt; aus der Tiefe meines Seins entströmt das Licht des „Lebens“. Diese geistige eigene Finsternis ist eigentlich der „Finsternis und Trockenheit“ in den gewöhnlichen seelischen Aufstiegen zur mystischen Vereinigung mit Gott ganz ähnlich, nur sehr verschärft, verfeinert271 und eingebaut in die besondere Berufung.

1714 |        In den Zeiten der „Finsternis“, die der mystischen Gnadenordnung eigen sind, kann auch der eigene Verstand usw. sich in gewisser Hinsicht nicht betätigen; es scheint alles tot und lahmgelegt. In solcher „Finsternis“ kann die Seele nicht mehr betrachten, nicht eindringen in vorher gewohnte geistige Betätigung; sie bleibt trotz aller Bemühungen leer und trocken. In diesen Zeiten wird die Seele einer wirksamen Reinigung unterzogen, damit sie Gottes Wesen und Vollkommenheit in umso hellerem Licht erleben und erfahren kann. In Wirklichkeit bleiben in solchen Leidenszeiten wohl die seelischen Betätigungen bestehen, aber gewisse Reaktionen Folgen und Erlebnisse bleiben aus, sodass sich die Seele gleichsam umsonst bemüht. Umso mehr aber wird durch diese infolge der inneren Finsternis erzeugte geistige Leere für das kommende Einströmen der Gnade und des Besitzes Gottes Raum und Lichtmöglichkeit geschaffen. Der Grund für diese seelischen Leiden ist also das Verlassen-Können und Aufgeben selbst erzeugter Reaktionen und selbst geschaffener geistiger Befriedigungen, um dem Einfluss und dem besonderen Wirken der Gnade Gottes Raum und Lebensmöglichkeit zu schaffen. Darum ergibt sich nach einer solchen überstandenen Leidensperiode für die Seele eine immer noch größere Freiheit von sich selbst, ein inneres Gewachsen-sein und ein höheres Aufnehmenkönnen Gottes. Gott und mein Besitz, das Glück und der Trost der Vereinigung mit Jesus kann dann in einem höheren Grade erlebt und erfasst werden als es auf den vorhergehenden Gnadenstufen oder mit eigener Betätigung und Bemühung möglich war; es ist ja nun nicht selbst Erzeugtes, sondern eine von Gott geschenkte wirksame Gnade der Vereinigung.

1715 |        Eigentlich hat sich mein ganzes Innenleben auf dieser Grundlage aufgebaut. Ich erinnere mich noch an die ersten Anfänge der Leiden innerer Finsternis schon in meinem 16. und 17. Lebensjahr; sie steigerten sich dann immer mehr und dehnten sich zeitlich aus. Das Produkt und Grundergebnis dieser inneren Leiden in ihren verschiedenen Formen ist immer die Reinigung der Seele von ihrer Selbstliebe und ihren eigenen Selbstbefriedigung. Die verdorbene Natur muss ertötet und gleichsam ausgeschaltet werden, soll Gott und seiner Gnade freier Spielraum gesichert sein. – Es wird wohl jede mystisch geführte Seele die Erfahrung gemacht haben, dass auch in Gnadenzeiten – wenn Gottes Sein wieder die Seele erleuchtet und erfüllt – die eigene Tätigkeit der Seele zum großen Teil schweigen muss. Gewiss bleibt die Seele Gott gegenüber aktiv, insofern sie die gebotene Vereinigung mit Gott annimmt und sich damit entsprechend der Führung der Gnade betätigt, aber das Einströmen Gottes in der mystischen Gnadenordnung ist und bleibt für die Seele immer passiv. Ja, mit dem fortschreitenden Innenleben steigert sich die Passivität. Gott kommt zu seiner Zeit und nimmt die Seele in Besitz; die Seele lässt das Wirken der Gnade in sich geschehen und gibt sich ihr immer unumschränkter hin; die eigenen Betätigungen der Seele schweigen immer mehr. Ebenso ändert sich die Gebetsweise der Seele, die immer mehr zur „empfangenden“, zur „geführten“ wird. Die mystische Vereinigung mit Jesus nimmt immer mehr den Charakter der Passivität an. Gott „nimmt“ die Seele zu seiner Vereinigung, während ihre eigene Betätigung gleichsam stillzustehen scheint. Das Wirken der Gnade geht in eine eingegossene Art über. Ich erinnere mich dieses Überganges genau. Es fiel mir sehr auf und es war mir, als bliebe mein eigener Verstand während der Zeit der mystischen Vereinigung mit Jesus still. Wenn Jesus zur Seele spricht und sie in sich hineinzieht, dann lässt diese es geschehen und nimmt auf, was ihr von Gott geboten wird. Gewiss bleiben die Seelenkräfte der betätigende Faktor und vollzieht die Seele die bereitende Hingabe zum Wirken Gottes, aber diese Bereitschaft selbst ist dem Einfluss der Gnade überantwortet.

1716 |        In den Zeiten der Prüfung nimmt mit der steigernden Vereinigung mit Gott die innere Finsternis nur noch zu. Es scheint alles Eigene verdeckt zu werden, um die überirdischen Güter desto reichlicher empfangen zu können. Doch gerade in diesen Zeiten der inneren „Finsternis“ empfängt diese Seele in gewissem Sinne großes „Licht“ über ihre göttliche Führung. Gott wird zum Licht in der Finsternis der geistigen Nacht. Gott verzehrt das Eigene in der Seele und baut sich selbst in ihr ein, bis jene charakteristische Gleichförmigkeit und Einheit in der Seele geschaffen ist, die sie für die geistliche Vermählung fähig macht. Da wird dann die Seele in einer dauernden und unwandelbaren Vereinigung mit Gott verbunden. Auch darüber hinaus bleibt aber die innere Finsternis und „Verlassenheit“ das charakteristische Leiden der Seele, wenn es auch andere, höhere und feinere Formen annimmt. Es wird zum verzehrenden, in höchster Weise reinigenden Feuer, das eigentlich in der Seele nie ganz und völlig aufhört, wenn es auch zeitweise unterbrochen wird. Je höher das Ziel Gottes für die Seele ist, desto mehr nimmt Gott den ganzen Menschen für sich in Gebrauch und desto mehr erhöhen sich die inneren und äußeren Leiden und Bedrängnisse. In dieser Hinsicht kann man Gott einen „zerstörenden Gott“ nennen. Nicht, dass er die Seele zerstört, sondern er löst sie gleichsam in sich auf und führt sie zu einer Neuordnung, in der er sich selbst zum Gebieter und Beherrscher einbaut. In unaussprechlicher Weise habe ich diese Art des eigenen Zerstörens in mir mittels der Gnade und Führung Gottes erlebt und durchlitten. – Im Grunde geht wohl jede Seele, die nach Vollkommenheit strebt, diesen Zerstörungsweg des Eigenen – ob ihr das bewusst wird oder nicht; der alte sündige Mensch kann eben nicht zusammen mit Christus bestehen. Das Leben Christi in der Seele, also Gott selbst verzehrt und unterdrückt das Menschliche, Sündhafte in der Seele und führt sich selbst zur unumschränkten Herrschaft, und zwar in einem geheimnisvollen Reinigungsprozess.

1717 |        Mein inneres Leben verlief bis zu meinem jetzigen Zustand in einer ähnlichen Reinigungsordnung, wie es sich im gewöhnlichen mystischen Leben begibt. Als letztes und höchstes Ziel in meinem Innenleben wurde mir vom Heiland immer die Zerstörung meines Eigenen und als Folge und Ersatz das Leben Christi vorausgezeigt: in Christus eingehen, in ihm im Vater leben, Christi Leben in mir wiederholen und es zur Folgerung machen.

1718 |        Dieses Leben Jesu, das er mittels seiner besonderen Führung und Aufgabe mich auf einer gewöhnlichen mystischen Grundlage erwerben ließ, soll sich in einem Nacherleben der Kindschaft bzw. Sohnschaft Christi dem ewigen Vater gegenüber ausprägen. Damit werde ich in eine nachgebildete Sohnschaft Christi eingeführt, die grundbedingt ist im Urplan Gottes, in dem Kindschaftsverhältnis der Menschheit zum Vater, wofür der göttliche Sohn das ewige Urbild ist. Diese mit der besonderen Gnade erworbene Kindschaft und Sohnschaft Christi in mir eröffnet mir die Erlebensmöglichkeit für das innere Erlöserleben, für das innere Leben des erlösenden Christus, nachdem eben die oben beschriebene Umwandlung des alten, gefallenen Menschen in den neuen in Christus verdienten, erlösten und endlich in ihn umgewandelten und in ihn erhobenen Menschen sich vollzogen hat.

 

Juli

22.07.1942

1719 |        Geheimnisvoll still, aber unaufhaltsam trotz seiner Unwürdigkeit und Armut wächst mein Innenleben bzw. das Leben Jesu in mir. Auf dem früheren Stufen des inneren Aufstieges entwickelte sich alles „auffälliger und gleichsam geräuschvoller“; der Wechsel zwischen Gnadenzeiten, d. h. fühlbaren Erlebnissen, und Leidenszeiten kam mir damals in einer mich tiefer bewegende Art zum Bewusstsein, während jetzt mein Innenleben in eine merkwürdige, fast gleichbleibende Ruhe gehüllt ist. Doch in dieser Ruhe wird Jesus „groß“ in mir; es ist ein geheimnisvolles „werden lassen“ in mir, das ich mich mit allen Kräften bereitstelle. Ich werde zum „Träger“ des neuen Lebens, dem ich meine geistigen Fähigkeiten überlasse und hingebe. Ich weiß auch keinen Schritt weiter und es ist alles in meinem Innenleben Kommende in großes Dunkel gehüllt; nur die Bewegung des Lebens Jesu sind das Licht, das mir vorwärts zeigt. Ich bin mir selbst wie weggenommen, was den eigenen Lebensgenuss und Lebensertrag betrifft, den man im gewöhnlichen Leben hat und haben muss. Eine große Finsternis hat gleichsam mein eigenes Leben bedeckt, sodass ich es nicht mehr für mich schauen und erleben kann, doch diese Finsternis wird zum aufgehenden Licht für Christi Leben in mir.

1720 |        Es scheint somit eine gewisse Trennung in mir sich zu vollziehen, als ob sich meine Geistesfähigkeiten von mir trennten, um sich in immer höherem Ausmaß der göttlichen Person Christi zu unterstellen. Ich, d. h. meine eigene Person steht „leer“, ist für das eigene Leben wie arbeitslos geworden, wie beiseitegestellt, und lässt das „andere Leben“ in mir emporwachsen. So wird mein früheres, gewöhnliches Leben zum Träger des neuen Lebens. Und doch scheint alles mein Sein zu sein, ohne Teilung. Die inneren Anforderungen des Lebens Jesu wie geheimnisvolle Bewegungen, die meine Hingabe immer vollendeter und vollständiger beanspruchen; ich werde genommen, um Jesus ein möglichst vollkommenes Leben zu bieten. Gewiss braucht es dazu meinerseits auch eine willentliche272 Selbst-Mitarbeit, doch die Passivität überwiegt weit die Aktivität; es ist mehr ein „Geschehen-lassen“ und „mich ganz zur Verfügung stellen“. Die begleitenden Leiden dieses inneren „Wachsens“ sind aber fast ständig andauernd, weil es für die Natur ein Schmerz ist, dass sie ihrem guten Recht und Genuss, für sich zu leben, fast oder schon ganz entzogen ist.

1721 |        Jedes Leben drängt naturgemäß zum Selbstbehaupten und Selbstgenießen, aber in meinem Falle entwickelt sich eine bedeutungsvolle Umschaltung dieses berechtigten „Lebens für sich selber“. So fest und treu273 steht ja jeder Mensch in sich selber – das ist ein großes Geheimnis der Menschenseele -, dass es ihr unter gewöhnlichen Bedingungen wie unmöglich ist, in die Lebensbedingungen einer anderen Menschenseele einzugehen. Die Seele ist absolut ein Einzel- und Eigenwesen und kann sich nie mit einem anderen, ähnlichen Wesen verwechseln oder sich in eine andere Seele auflösen. Die einzelne Seele ist ewig in dem ihr eigenes Wesen begründet.

1722 |        In meinem Fall kann ich dem Heiland meine Kräfte leihen und zur Verfügung stellen, aber es bleibt immer meine eigene Seele, in der sich dieses stellvertretende Leben Jesu entwickelt und vollzieht. Wenn die göttliche Person Christi gewissermaßen die Stelle meiner Person übernimmt, und meine eigene Person auszuschalten scheint, so ist es in Wirklichkeit doch eine Über- und Umschaltung meiner Fähigkeiten auf die göttliche Person, die nun in gewissem Sinne die Funktionen meiner Person übernimmt und der meine Person ganz zu Diensten gemacht und durch viele, viele Läuterungsleiden so angeglichen ist, dass Christus mir in seiner Person das Überragende und Beherrschende bieten kann. Nie aber kann man die Eigenständigkeit seiner Seele274 verlieren, nicht einmal zugunsten Gottes und seiner höchsten Absichten.

1723 |        Das einzige „Licht“, das mir in meinem Dunkel leuchtet und mir meine Richtung zeigt, ist das Licht des „Lebens“ selbst, das ich in Jesus „lebe“. Das Leben ist selbst Licht: Es sind also lichtvolle Bewegungen, die mir die innere Richtung weisen. Gestern gab mir das „Leben“ oder das „Sein“ in mir zu erkennen: „Mein inneres Gnadenleben sei einem impulsiven Antrieb überantwortet, der von mir selbst nicht kontrollierbar ist“. Obwohl ich diese „Worte“ nicht verstand, empfand ich doch das Licht und die Wirkung dieser Mahnung, weil ich zu dem genommen wurde, was damit gesagt war. „Die inneren Bewegungen des Lebens Jesu bewegen mich und nehmen mich mit“; das ist jetzt mein inneres Leben. Für mich bedeutet diese innere Führung: Unwillkürliche Bereitschaft und Fähigkeit, mich „mitnehmen“ zu lassen, unbedingte Notwendigkeit, mich dem seienden Zustand Christi in mir anzuschließen und in die seiende Ruhe aufgenommen zu werden, wo das wahre Leben herrscht.

1724 |        Gottes Wesen ist Sein und „Leben“, d. h. wirkliches Leben und Tun; Gottes Sein ist schon vollkommenste Tat, weil vollkommenstes Sein das ureigenste Wesen Gottes ist; in der Tat und Wirklichkeit der Vollkommenheit bewegen sich die Vollkommenheiten Gottes. – Wir kommen insoweit275 dem Wesen und Sein Gottes näher, als wir unser Tun und Wollen seinen göttlichen Vollkommenheiten anzugleichen suchen, was ja Pflicht und Aufgabe jedes Christen ist. Unser Verhältnis zu Gott wird dann ein Zustand, ein seiendes Verhältnis, ein bleibendes Resultat und Ergebnis unseres Lebens, wie es schon mit der Gnade der Taufe durch die Verdienste Christi in der Seele grundgelegt und begründet ist. Alle Tugenden und Vollkommenheiten, die wir zu üben imstande sind, werden immer mehr habituell und gleichen uns Gott an; wir gehen in einen wirklichen Seinszustand des Guten ein, der uns ihm mehr ähnlich macht. Gottes Wesen ist ja immer vollkommener, bleibender Seins- und Tatzustand aller Vollkommenheiten; in Gott „ist“ immer alles Gute. Im Kleinen ist dieser Zustand auch in uns durch die Taufgnade grundgelegt und kann sich ständig erhoben und vervollkommnen, wenn das Gute zum dauernden Zustand und Verhalten in uns wird. Dieser Zustand erhebt uns erst zum wahren Leben, weil er es zur wirklichen „Tat“, zum beständigen Tun und wirklichen Vollbringen macht. Gott muss uns für sich und seine Absichten in uns „gebrauchen“ können und dazu müssen wir in uns die Situation begründen und schaffen, dass wir augenblicklich auf seine Anregungen eingehen können.

1725 |        Auf dieser Grundlage beruht das besagte Mitgehen mit dem Leben Jesu in mir. In meinem Fall ist es das Leben Jesu, das mich führt, und für sich in Beschlag nimmt, und mit dem mitzugehen ich befähigt sein soll. Für gewöhnlich sind wir Menschen gehalten, uns selbst zu kontrollieren, uns Rechenschaft zu geben und Rechenschaft von uns selbst zu verlangen über unsere inneren Erlebnisse und Vorgänge. Früher konnte auch ich meine inneren Erlebnisse wirklich erleben und somit überprüfen und mir darüber Rechenschaft geben, aber seit einigen Wochen kann ich nicht mehr in der früheren gewohnten Art in mein Erleben eindringen. Es ist zu sehr wesentliches eigenes, mit mir selbst verbundenes Erleben. Sowenig ein Mensch über sich selbst, d. h. über sein eigenes Wesen Aufschluss geben kann, weil es eben sein Wesen ist, sowenig kann ich nunmehr mein Innenleben kontrollieren, weil es eben zu meinem Wesen geworden ist. Umsonst bemühte ich mich in letzter Zeit um eine Selbstkontrolle; dies brachte mir nur Unruhe und wurde mir zum inneren Hindernis. Auch in dieser Hinsicht ist das Genießen meines eigenen Lebens vorüber; ich bin einem höheren „Diktator“ überantwortet, in dessen Tun und Walten ich nicht nach meiner Willkür eindringen kann. Ich scheine nun mich selbst in dem Maße verlassen zu haben, dass Christi Leben „alles“ und das Einzige in mir ist. Die notwendige Konsequenz für mich ist nun, alles in mir geschehen zu lassen und mich dem „impulsiven“ Antrieb seines Lebens hinzugeben.

1726 |        Gestern schon hatte ich wiederholt das innere Wissen: „Ich habe nun jene Stufe des Lebens Jesu in mir erreicht, die mir in letzter Zeit als Ziel gesetzt war. Ich bin eingegangen in das Kindschaftsverhältnis Christi zum Vater, in eine nachgebildete Sohnschaft dem Vater gegenüber, so wie ich mich dem Vater bei der letzten Aufopferung überantwortet habe“. – Durch die vielen276 begleitenden Leiden scheine ich nun die notwendige, geistige Harmonie erlangt zu haben, um jene Folgerungen ertragen zu können, die in den Absichten Gottes für mich liegen. Die unaussprechliche Ruhe und Harmonie in mir, als seiender Zustand, auch in den größten Leiden, kann nicht mehr durch ein willkürliches „mich selbst erleben wollen“ gestört werden, weil ich mich für mich selbst verloren habe; meine eigene Freiheit ist in gewissem Sinne aufgehoben, aber wie könnte ich diesen geheimnisvollen Zustand erklären? Er ist, aber als Dauerzustand, jenem ähnlich, der mir früher vorübergehend (etwa während der Dauer einer hl. Messe) gerade dadurch auffällig wurde, dass ich mich vollständig in den Heiland aufgenommen fühlte, dass meine eigene Freiheit aufgehoben war und ich mich in Jesus befand, in einem persönlichen Verhältnis zueinander277, als „ich und du“. – Ich war zwar bei der hl. Messe – meist handelte es sich um die Zeit nach der hl. Kommunion -, ich sah auch mit den Augen des Leibes die hl. Messe oder meine Umgebung, aber mit den Kräften der Seele war ich so sehr in Gott hineingezogen und von ihm beschlagnahmt, dass alles andere, und auch ich mir selbst, entschwunden und nur Jesus für mich vorhanden war. Eigentlich entschwand mir nicht das Äußere, aber die innere Konzentration in Gott war so stark, dass mir alles andere gleichgültig und wie nicht vorhanden war, weil eben die Kräfte der Seele alle nach innen gekehrt waren. Jesus hat mir dann damals (vor 20 Jahren) schon wiederholt versprochen: „Dies wird für dich ein dauernder Zustand werden“. – Ich sah auch damals in jener fühlbaren Vereinigung meine äußere Umgebung, so wie heute, aber die Seelenkräfte sind heute wie damals für meinen eigenen Gebrauch aufgehoben und ganz in Gott konzentriert. Gerade in den letzten Vorbereitungsleiden tat mir dieser fortschreitend sich entwickelnde und erweiternde Zustand sehr weh. Aber aus diesen Zuständen, die fühlbare Vereinigung waren, hat sich nun diese rein vergeistigte Beschlagnahme meiner Seelenkräfte gebildet. Die diesbezüglichen Leiden zu dieser vergeistigten Höhenstufe, die so geheimnisvollen Vorgänge im Inneren, kann man nicht beschrieben. Nur durch die Umänderung der Zustände kann man die geistige, fortschreitende Entwicklung wahrnehmen und beschreiben. Alle Geisteskräfte waren in diesbezüglichen Leidenszeiten vollständig beschlagnahmt und ganz nach innen gekehrt und dort wie in eine Kette gelegt, dass ich sie nicht gebrauchen konnte. Die äußere Arbeit tat ich nur mechanisch, ohne dass scheinbar der Verstand usw. dabei war; dies war auch der Umstand, dass ich mich auch anderseits geistig nicht beschäftigen konnte, z. B. studieren und lernen, ich war dauernd wie einem halb ekstatischen Zustand. Nur mit dem Auge des Leibes stand ich gleichsam in diesem Leben, mein Inneres schien mir entrückt. Gewiss konnte ich meine äußere Arbeit so weit in Ordnung verrichten, aber mit welchen inneren Leiden! Es war ein unaussprechlich schmerzhaftes Doppelleben, dass man niemand mitteilen konnte, ohne dass eine Missdeutung möglich gewesen wäre. Gott weiß, was ich in diesem Sinne geleistet habe in den letzten Jahren. – Aber jetzt erkenne ich die Bedeutung dieses inneren Weges, der sich so geheimnisvoll in mein Inneres gelegt hat, weil ich schon die Frucht dieser Leiden genieße, die innere Konzentration in Jesus, weil mein inneres Sein in ihm nicht „Gefühl“, sondern wirklicher Zustand ist.278

1727 |        Heute scheine ich nun in ein weiteres Stadium meines Innenlebens, bzw. des Erlebens Jesu, zu gelangen, und es scheint sich mir einen neuen Weg zu eröffnen. In der Frühe, nach der hl. Kommunion erfasste ich Jesus in einem tieferen Geheimnis, das ich früher nicht in dem Maße begreifen konnte.

1728 |        Ich werde nun wieder zurückgeführt zum Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit. Im Vater lag von Ewigkeit die ganze Schöpfung; aus ihm ging jeden Augenblick das göttliche Wort hervor, das alles ins Dasein rufen sollte. Durch das „Wort“ sprach sich der Vater geheimnisvoll aus; in ihm war das Wort gezeugt, das ihm wesentlich ist, aber doch eine selbstständige göttliche Person. – Das Hervorgehen des Sohnes war sinnbildlich für die Schaffung anderer, dem Sohne ähnlicher Wesen, der Menschen, die vor des Vaters Augen „hinter“ der zweiten göttlichen Person, aber vorbildlich im Sohne, lagen. – Ich habe das merkwürdige Geheimnis erkannt: Von Ewigkeit her lag der zweiten göttlichen Person die ganze Menschheit, das kommende Menschengeschlecht gleichsam verborgen. Es war ein göttlicher Plan voll lauterster, schenkender Liebe an Geschöpfe, die durch das „Wort“ geschaffen werden sollten. Nicht dass Gott die Menschen des Sohnes wegen ins Dasein rufen MUSSTE; in Gott gibt es kein „muss“; alles tut er freiwillig und alles schafft er aus Liebe. Seine schenkende Vater-Liebe ließ aber mit dem göttlichen Zeugen und Hervorgehen des Wortes in seinem Plan auch gleich die Menschheit erstehen „in der göttlichen Person des Sohnes“. So war die Menschheit unzertrennlich mit der zweiten göttlichen Person verbunden, ich möchte sagen, Ihr ganz überantwortet; denn durch das „Wort“ sollte der Mensch erstehen und im Wort ruhte die Menschheit. Somit279 war die göttliche Person des Sohnes als erster wesentlicher Sohn das Haupt der geschaffenen Sohnschaft, das Haupt der Menschheit.

1729 |        Dem Sohne unterstand die gesamte, geplante Menschheit, die er als König einmal in sichtbarer Gestalt regieren und beherrschen sollte. Nach dem Fall der ersten Menschen ließ der göttliche Sohn die Menschheit nicht für immer von ihm getrennt bleiben und nicht zugrunde gehen, wie es seine Gerechtigkeit verlangt hätte. (Gott hätte die Menschen ins Nichts zurücksinken oder ewig bestrafen können). Gott-Sohn behielt die Menschheit in sich, ja man möchte fast sagen, als Erlöser gedachte er die Menschheit noch enger an sich zu ziehen dadurch, dass er sogar ihre Gestalt annahm und einer aus ihnen wurde. Im göttlichen Wesen des Sohnes ruhte die gesamte Menschheit, wie sie aus dem liebenden Schöpferwillen des ewigen Vaters mit der Zeugung des Sohnes hervorging. Nur die Liebe, göttliche, unendliche Liebe hat die Verbindung unzertrennlich gemacht. Diese im göttlichen liebenden Plan begründete „Unzertrennlichkeit“ ist das Geheimnis der allgemeinen Fruchtbarkeit der Erlöserleiden und Verdienste Christi. Mit der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person nahm diese in einem noch tieferen Sinn – im stellvertretenden Sinne für alle Menschen – die ganze Menschheit in sich auf; denn wie alle Menschen gottebenbildlich geschaffen waren, so wurde Christus den Menschen nun in der gefallenen Natur ähnlich. Diese geheimnisvolle, liebend geplante Zusammengehörigkeit Gottes und der Menschheit vollbrachte im Erlösermenschen Christus die Erlösung. Man hat kein Wort, um auszusprechen, was mich das göttlich-wesentliche Verhältnis zwischen Gott-Vater und Erlöser-Christus erkennen und erleben lässt; es ist der bleibende, seiende Zustand der Gottheit, die dem Vater göttliche Werke im Menschen darbrachte. Das „Wort“, das der Vater in sich zeugt und ausspricht, ist im Menschen Christus zur liebenden göttlichen Tat geworden. Der Liebende göttliche Wille des Vaters, der gefallenen Menschheit Verzeihung und Gnade und Barmherzigkeit zu schenken, ist im Erlöser-Sohn wirkliche Tat und wahrhaftes Vollbringen geworden. Die verzeihungsbereite Liebe des Vaters ist im Erlöser vollzogen worden. Es liegt ein unaussprechliches liebes Geheimnis in den Worten, dass wir oft so oberflächlich beten: „Und das Wort ist Fleisch geworden“. Gottes „Wort“ ist zu liebenden Werken und Leiden im menschlichen Sinne geworden.

1730 |        Das Wort, das der Vater sendet, übt sich im menschlichen Werken und Leiden mit der Menschheit, die (in den Gedanken und Plänen Gottes) im Zeugen des Wortes vom Vater hervorgeht. Im göttlichen Sohne ist vorgebildet die höchste göttliche Reinheit und Vollkommenheit; in ähnlicher Weise aber doch als geschöpflich tiefer stehend, sollte durch das „Wort“ die Menschheit vom Vater geschaffen werden. Im Sohne lag das Urvorbild der Reinheit und Heiligkeit für die gesamte zu schaffende Menschheit vorgebildet. So stand der göttliche Plan vor dem Vater: Rein und heilig nach dem Urvorbild des „Wortes“ sollten die Menschen sein, soweit dies den Geschöpfen möglich ist, aber sie sollten sich auch in immer höherer Weise heiligen und dem Urvorbild ähnlich machen, um an Gott teilnehmend sich erfreuen zu können in Ewigkeit. Im Sohne stand gleichsam das Ziel und Ideal der Menschheit vorgezeichnet in göttlich vollkommener Weise, in ihm war es vorgebildet. – Als Christus die menschliche Natur annahm, blieb er das gleiche Ziel und Vorbild. Die Vereinigung aber der höchsten Heiligkeit des Vorbildes und des Zustandes der gefallenen Menschheit in der einen Person in Christus ergab einen grenzenlosen Abstand und verursachte das unsagbare Leiden des Widerspruches und Gegensatzes. In Christus war ja beides vereinigt: Er trug in sich verwirklicht das Ideal und Vorbild, und er trug das Kleid der gefallenen Menschheit mit deren unermesslichem Abstand von seinem göttlichen reinsten Wesen.

1731 |        Jesus äußere Erlöserleiden und [seine] Lebensumstände280 waren den Leiden eines gefallenen Menschenkindes gleich, das sich in nichts von den Sünden unterschied; sein Tod war der Henkerstod, der Tod des größten Sünders und Verbrechers. Elender und verächtlicher konnte nicht der größte Sünder und Missetäter281 sein Leben beschließen. – Sein inneres Leben und Leiden war gekennzeichnet durch den ungeheuren Abstand dessen, was der Mensch von Gott aus hätte sein sollen und können, was er vor Gott einst war, aber nicht blieb, und was er nun wirklich war. Er trug in sich das höchste Vorbild und das, was daraus infolge der Sünde wurde. Der Vater legte den Maßstab der wesentlichen göttlichen Gerechtigkeit an, die auch die Gerechtigkeit des Sohnes war. Wenn ein Mensch sündigt, so folgt auf dem Fuße das Wissen um seine böse Tat, das sich unerbittlich auf seine Seele legt. Der Mensch weiß irgendwie um das, was er durch die Sünde verloren hat, weil der Weg seines inneren Gesetzes, den Weg der Gebote Gottes, unauslöschbar in seine Seele eingeschrieben ist. Gottes Liebe hat der Menschheit einen Weg gewiesen, der sein höchstes Vorbild im göttlichen Sohne hat. Ebenso unauslöschbar litt und empfand aber Christus im Kleide der Menschheit das Wissen um den Weg der Menschheit, die irregegangen war und die er nun, wie sein Wesen, in sich trug! –

 

23.07.1942

1732 |        Welches Maß von äußeren und inneren Leiden war nötig, um den Ruhezustand erreichen zu können, den ich jetzt genieße! Bereits drei Monate währte diese Leidensperiode, die mich jenem geistigen Ziele zuführen sollte, das ich jetzt als Zustand erlebe. – Ich bin ganz in mir konzentriert und ruhe in „mir“, wenn ich auch dieses mein Inneres nicht als das absolute Meine erfahren kann; denn eigentlich habe ich alles, was mein war, aufgegeben und das Meine ist im Leben Jesu neu geworden. So ruht all das Meine in ihm und die große, nicht zu beschreibende Harmonie ist meine Ruhe in ihm. Und ich lebe nun dieses Leben der Einheit als mein Leben.

 

27.07.1942

1733 |        In Gott gibt es für den Menschen nie ein „genug“, wenn man auch meint, ein höheres Ziel in ihm als jenes, das man gegenwärtig genießt, sei nicht mehr erreichbar. Nach einer kurzen Ruhepause drängt das „Leben“ doch wieder282 vorwärts einem noch höheren Ziel zu. Das Leben in Jesus ist eben wirkliches „Leben“ und immerwährendes Tätigsein und Wachsen, wenn es mir auch in gewissem Sinne oft nur im Leiden zum Bewusstsein kommt.

1734 |        So kam ich auch in den letzten Tagen wieder in ein inneres Dunkel, worin das innere Leben sich wieder zum weiteren Wachsen entfaltet. Was mir vorher genug und übergenug schien, das ist aber jetzt wieder zu wenig. – Es scheint sich ein immer noch höherer Grad meines eigenen „Entwerdens“ bzw. ein noch tieferes Eingehen in Jesus in mir zu bilden. Meine eigene persönliche Freiheit ist so viel wie aufgehoben – wenn auch mein Leben nach außen ein gewöhnliches bleibt; mein Inneres, das ganz mein Inneres scheint und doch nicht ist, ward einem anderen Träger und Diktator überantwortet; es ist mir selbst ein Geheimnis, das ich nicht ganz erklären kann. Ich leide in gewissem Sinne, weil ich mir in solchem Maße weggenommen bin, und doch ist meine Ruhe nur in diesem „mir ganz genommen sein“. Das eigene Sein drängt wie natürlich zur „Vernichtung“ und in dieser noch höheren Entwerdung und Vernichtung geht es noch tiefer hinein in das Zentrum Christi. So werde ich immer mehr vollends brauchbar gemacht auch zum persönlichen Erleiden des Geheimnisses Christi als des Erlösers, was das höchste Ziel meines inneren Lebens darstellt.

1735 |        Schon bisher war mein innerer Weg kein visionärer Weg des Schauens von Offenbarungen im gewöhnlichen Sinne, sondern ein Weg, der sich auf der wesentlichen mystischen Grundlage bis zur höchsten Vereinigung mit Gott bzw. mit Christus aufbaute; dementsprechend blieb auch mein inneres Erfahren Christi immer auf dieser Grundlage; es ist ein inneres Erfahren, das in der Vereinigung mit Christus seinen Grund und Ausgangspunkt hat und nicht von „außen“ in visionärer Weise in mein Inneres eingeht. Die Grundlage meiner inneren Erkenntnisse Christi bzw. seines Erlösergeheimnisses ist die Vereinigung mit ihm, auf die auch meine besondere Berufung hinzielt. So wird meine Art der Vereinigung mit Jesus ein wirklicher Zustand. Ich erfasse Jesus und durchdringe ihn in seinen tiefsten Geheimnissen in dem Maße, als die Vereinigung mit ihm sich vertieft und wesentlich erhöht und steigert. In diesem Sinne blieb mein innerer Weg auf der gewöhnlichen mystischen Grundlage aufgebaut und darin bauten sich meine besondere Berufung und alles innere Erleben ein. Deshalb fehlen auch in meinem Innenleben fast alle unwesentlichen Begleiterscheinungen des mystischen Weges, wie z. B. Vollekstasen, Gesichte und visionäre Schauungen und Erscheinungen. Statt dieser meist nach außen sich zeigenden Begleiterscheinungen ist in meinem Falle alles auf wesentliche innere Erfahrungen und Erkenntnisse Christi eingestellt und beschränkt. Alles Erkennen und Erfahren und Durchdringen Christi ist mir gegeben in ihm und baut sich im Vereinigungszustand in ihm auf. Kraft der Vereinigung „erfahre“ und erkenne ich ihn. Freilich ist dieses Erfahren eine besondere gegebene Gnade von ihm, die eben meinen besonderen, speziellen Geistesweg darstellt. – Vom Erleben und Erfahren Jesu mündet mein innerer Weg erst in das letzte Ziel, in das „Erleiden“ Christi, sobald die entsprechende geistige Disposition in mir durch die Vereinigung mit ihm geschaffen ist. Heute erkenne ich dies schon als nächstes Ziel: Ich werde Jesus „erleiden“ in seinem inneren Erlöserleiden. –

1736 |        Untertags erlebte ich wiederholt Jesus in seinem Geheimnis als Urvorbild der geschaffenen Menschheit: Christus, der Erstgeborene, seine göttliche Sohnschaft im Vater, und seine nachgeborenen geschaffenen Brüder, die gesamte Menschheit. – In Christus hatte der Vater von Ewigkeit her die göttliche Ebenbildlichkeit der Menschen in seinem Liebesplan grundgelegt, weil er die Menschheit so hoch erheben wollte und sie in ihrem Urzustand wirklich so hoch begnadet hatte. Die göttliche Ebenbildlichkeit Christi war darum auch die Grundlage in inneren Erlöserleiden; sie wurde ihm als Mensch gleichsam zum „Gericht“ (so, wie sie auch für den Menschen einst zum Gericht wird)283, das der Vater auf ihn als den Erstgeborenen gelegt hatte, auf dem die Schuld, und der Fall all seiner Brüder lastete. In ihm wurde dieses göttliche Gericht ausgelöst und ausgeführt: Jesus trug als Gottmensch in sich die vollkommene Ebenbildlichkeit und als wahrer Mensch, uns gleich geworden, den Gegensatz unserer Schuld und unseres Falles. Schon in den äußeren Akten der Menschwerdung Christi löste sich dieser Gegensatz zwischen den äußeren Umständen und Verhältnissen und seinem göttlichen Wesen aus. Jesus trug und empfand ja all die Armut seiner Menschwerdung nicht so wie z. B. wir Menschen, denen es natürlich ist, unter jenen Umständen ins Leben zu treten; uns fehlt ja das Bewusstsein unseres Zustandes und der erniedrigenden Umstände, unter denen der Mensch in dieses Dasein tritt. Jesus aber, obwohl von der reinsten Jungfrau wunderbar geboren, empfand vom ersten Augenblick seines irdischen Lebens den Gegensatz der äußeren Umstände zu seinem göttlichen Wesen und er empfand die Sünde als die Ursache dieser seiner Erniedrigung. Wir Menschen kennen freilich nichts anders als das arme Leben, das uns unsere sündhafte Menschlichkeit zuweist und was damit verbunden ist. In Christus aber stand unverrückbar jener Gegensatz; ja, sein göttliches Wesen war selbst dieser Gegensatz. Die Leiden, die den Erlöser von außen her trafen, weckten immer wieder jenen Gegensatz unter dem Gesichtspunkt der Sünde. Er sah und empfand ja nicht bloß und nicht so sehr die einzelne Sünde und das, was sie ihm antat, sondern er sah und empfand vielmehr den Zustand der Sündhaftigkeit und der Entstellung des Gottesbildes, woraus die einzelne Sünde als böse Frucht und Folge kam. In ihm als dem göttlichen Ebenbild und Urvorbild war der Weg der Menschheit vorgebildet; in ihm lag auch deren „Fall“, den er aus Liebe zu tragen auf sich genommen hatte (damit Gottes Gerechtigkeit versöhnt werde), zusammen mit der vollkommensten Ebenbildlichkeit, die er behielt. In seinem göttlichen Wesen lag das Vorbild, und so wurde der Fall der Menschheit wie zur Entstellung und Verzerrung dieses seines vorbildlichen284 Wesens, die er mit der Menschwerdung auf sich nahm. (Durch die göttliche wesenhafte Einheit mit dem Vater, als des Schöpfers der Menschen wurde auch das Bild des Vaters entehrt.)285

1737 |        Wir Menschen können nie ganz das Wesen der Sünde begreifen und deren Schuld vor Gott, weil wir das übernatürliche Erkenntnislicht verloren haben. Mit der Sünde war die Erkenntnis Gottes und das Wissen um Gott dahin, das den ersten Menschen wesentlich eigen war. Wir müssen Gott erst „suchen“ und wie ahnend erkennen und dadurch zum Glauben an ihn kommen. Es wurde mir diesbezüglich heute in der Kapelle das Wort gesagt: „Ein Augenblick voller Erkenntnis Gottes und des Wissens würde keine Sünde mehr in der Seele zulassen.“ (Eigentlich ging dieses Wort tiefer, als ich es im Worte wiedergeben kann, etwa: ein Augenblick … vollkommenen Glaubens an Gott, so wie es seinem Wesen zukommt … würde jede Sünde in der Seele auslöschen.)286 So sehr ist unsere Erkenntniskraft geschwächt und liegt unser ganzes menschliches Wesen in dieser Schwäche! Aber wir Menschen spüren dies gar nicht und wähnen uns noch weise und erhaben! In Christus aber lag das Bewusstsein des mit dem Fall erfolgten Gegensatzes. Er ist ja selbst herniedergestiegen in dieses Dunkel unseres Lebens und hat mit den armen Kräften eines menschlichen Verstandes zum Vater gebetet und uns gleichsam mit emporgenommen. Nicht als ob der Verstand Christi in dieses Dunkel gehüllt gewesen wäre – in ihm blieb die göttliche wesentliche Weisheit -, aber sein göttliches Wissen betätigte sich durch einen menschlichen Verstand. Sein göttliches Wesen empfand die geistige Armut unserer Fähigkeiten und wusste um das, was der Mensch an Erkenntnisse Gottes eingebüßt hat. Jesus erlitt auch selbst durch seine Umgebung die Folgen der Sünde des Unglaubens, der Auflehnung gegen Gottes Gebote, und diese Unordnungen trafen ihn und hatten ihn als Zielscheibe, der der wesensgleiche Abglanz des Vaters blieb.

1738 |        Es ist für uns leichter, die äußeren diesbezüglichen Leiden Christi uns zu erklären, das tiefste Geheimnis aber sind seine inneren Leiden. Ich habe dieses Innerste des Herzens Jesu erfahren, aber dieses Erleben kann nicht in menschlichen Worten gekleidet werden; trotz aller Versuche blieben es tote Worte, weil man die innere Gotteserkenntnis, die höchste göttliche Reinheit des Erlösers und den entsprechenden Gegensatz in ihm nicht in Worte ausdrücken kann. – Dieses Geheimnis bleibt immer ein geistiges Wissen und Erfahren; es wird aber im „Erleiden“ des inneren Erlöserzustandes Christi klarer werden, weil es in mir zum Nacherleben in Christus werden wird. „Das innere Wesen Christi wird meine überfließende Kraft sein“, so wurde mir in Hinblick auf dies Kommende und Schwere versprochen.

 

31.07.1942

1739 |        Als ich gestern Abend zum Fest des hl. Ignatius ein Bildchen zu seiner Verehrung aufstellte, kam ich in eine besondere geistige Verbindung mit ihm. Er war mir Vater und ich war seine „Tochter“ in einer besonderen, immerwährenden Zusammengehörigkeit mit ihm. – „Diese Verbindung wird immer bleiben, und im kommenden Priesterinstitut wird der hl. Ignatius als unser Patron und Vater verehrt werden“. – Es war mir, als schaute ich im Voraus sein Bild auf unseren Altären verehrt und sei dies eine Mahnung, dass wir ihm die Treue halten müssen. –

1740 |        Ich war eingeführt in das Glaubensdogma der „Gemeinschaft der Heiligen“, in die Gemeinschaft aller in der Gnade lebenden Seelen in Gott, eine Gemeinschaft, die nach dem Maße der Gnade und der besonderen Aufgaben mehr oder weniger eng und innig sein kann und worin jene besondere Verbindung mit dem hl. Ignatius begründet ist. Desgleichen wurde ich erinnert an Erkenntnisse aus der Zeit vor fast 20 Jahren, als mir wiederholt erklärt wurde die „Seelengemeinschaft“ mit jenem Priester, den Jesus zur Ausführung seiner Absichten erwählt habe und vorbereite; diese auch im Glaubensgeheimnis der „Gemeinschaft der Heiligen“ mögliche und begründete Seelengemeinschaft erlebte ich innerlich so viele Jahre im Voraus, bis ich diesen Priester persönlich kennenlernte. –

1741 |        Die letztvergangenen Tage waren überaus schwer. Ich durchlebte wieder einen durchgreifenden Reinigungsprozess, wobei nochmals alles in meinem Inneren gleichsam umgestürzt wurde. Ich war verdemütigt und wie vernichtet und von meinem Eigenen entblößt; ich stand gleichsam da wie ein armer Abgebrannter, dem man sein eigenes Haus in Asche gelegt hat, während er selber kaum das nackte Leben retten konnte; dazu hat er noch den Spott und die Schande vor seinen Feinden, die mit Wohlgefallen seinen Ruin feiern. So arm war ich in meinem Inneren und auch nach außen, wie ein Sandkorn, das der Wind in die Fremde getragen hat, und das nun zertreten am Weg dem Untergang überantwortet ist. So arm und so vernichtet vor meinem eigenen Auge hatte mich der Heiland gemacht, dass ich mir selbst ein Gegenstand des Zweifels war …

1742 |        Gestern Abend kam ich dann wieder in volle Ruhe, und heute Morgen nach der heiligen Kommunion schaute ich einen „neuen Weg“, der mich in das „Erleiden“ Jesus und seines inneren Erlösungsgeheimnisses einführen wird. Es ist dies gewiss ein weiterer bedeutungsvoller Schritt, aber ich bin ruhig und sicher, dass trotz des Wissens um die Bedeutung und die Folgen dieses Schrittes keine Furcht oder Unruhe in mir aufkommen kann. „Ich lebe die Ruhe und den Gleichmut Christi; in ihm bin ich geborgen und gesichert; sein Leben bietet mir volle Sicherheit und Bürgschaft“.

1743 |        Es scheint dies nun ein letzter und höchster Abschnitt meines Innenlebens zu sein. Ich weiß, worum es sich handelt und der Heiland will, dass ich dementsprechend nochmals mit einem besonderen Akt voller Hingabe an sein „Leben“ mich ihm aufopfere. Im Glauben an seine wirksame Gnade und an sein Leben, das er in mir aufgebaut hat und das seinen bestimmten Absichten dienstbar sein soll, möge ich mich – so ist es sein Wunsch und Wille – ihm ganz bereitstellen zum Erleiden seines Innern. Sein Leben in mir ist der eigentliche Antrieb zum Erleben und Erleiden seines tiefsten Geheimnisses, das er in mir mystisch wiederholen will und dem ich mich ganz überantworte. Das Leben Jesu führt mich zum Erleiden seines Seins. – In Worten kann ich diesen vom Heiland gewollten inneren Akt nicht gut wiedergeben, weil meine Aufgabe und ihr ganzes Ausmaß in ein rein geistiges Wissen gehüllt sind. –

1744 |        Ich hatte heute (31.7.) auch wiederholt in der Verbindung mit dem hl. Ignatius das besondere Wissen, dass er immer mein Führer sein wird, so wie einer seiner Söhne in meinem inneren und äußeren Leben und in Gottes Absichten287 eine besondere Stelle einnehme. – Durch die Hände des hl. Ignatius und Mariens möge ich diesen Aufopferungsakt dem Heiland darbringen. Der hl. Ignatius sei mein Führer und Vermittler bei Jesus und beim Vater. Von der Nachfolge Jesu führe der Geist des hl. Ignatius zum Leben Jesu; er habe auch heute noch einen großen Einfluss in der Kirche. Ich solle glauben an seine geistige Führerschaft für mich, verträten durch seinen Sohn P. Baumann. –

1745 |        Mein inneres Leben – so wurde mir wiederum versprochen – sei die Bürgschaft, dass alles Äußere bezüglich des Priesterwerkes sich so erfülle, wie es der Heiland versprochen hat.

1746 |        Ich bin in großem Frieden und Bereitschaft in Jesus; sein Leben ist meine Sicherheit und Kraft. – Ich will heute am Grab des hl. Ignatius – wie ich die Anregung habe – durch die Hände Mariens mich dem Heiland für seine Absichten opfern. –

 

August

07.08.1942

1747 |        Heute, nach der heiligen Kommunion, „bot“ sich mir Jesus in mir als „Leben“; ich solle glauben, dass sich dieses Leben in mir auslebt. Diese weitere und höhere Entwicklung ist sein „Leben“, das zum „Erleiden“ seines Lebens führt. – Es ist dies wiederum ein sicherer geistiger Eindruck, der aber beim Ausdruck in menschlichen Worten seine Geistigkeit verliert, während das Wirken der Gnade und Christi Leben und Worte288 zugleich Wissen, Licht und Kraft und Vollbringen-Können in sich schließen. –

1748 |        Untertags wurde mir innerlich viel über das Wirken Gottes in den Seelen bzw. in den Heiligen mitgeteilt; (der Geist der Heiligen ist im Grunde der Geist Gottes; bei Gott gibt es aber keine „Intoleranz“, d. h., Gott braucht nicht unbedingt den Geist eines Heiligen nur an dessen Gründung zu binden).

1749 |        Ich schaute beispielsweise den Geist des Heiligen Ignatius; er hat einen großen, außergewöhnlichen Einfluss erhalten im Reiche Gottes, der Kirche. Es wurde mir in der Form erklärt, wie Jesus zu den Aposteln sprach: „… Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten …“. So schaute ich auch vom heiligen Ignatius einen immerwährenden Einfluss in die Geschicke der Kirche. Es sei aber deshalb nicht unbedingt notwendig, dass sich der Geist des heiligen durch die von ihm gegründete Gesellschaft sich in seiner Gesamtstellung äußerst und die Kirche beeinflusst; Gott kann den gleichen Geist des heiligen Ignatius auch in anderer Form, die in der Absicht Gottes liegt, eventuell abzweigen und überleiten durch eine Seele, die ihn schon in sich aufgenommen hat und zugleich als Grundlage für ein anderes segensreiches Gebiet zur Ehre Gottes und zum Heil der Kirche benützen. Gott ist eben nicht gebunden; auch nicht da an menschlichen Anschauungen. Gott ist frei in seinem Wirken und in der Ausspendung seiner Gnaden, die nur sein Eigentum sind. Also bei Gott gibt es keine „Intoleranz“, alles Gute geht nur von ihm aus und er ist Herr über seine Absichten und Gnaden.289

 

18.08.1942

1750 |        Seit der letzten Aufopferung am Feste des hl. Ignatius kam mein Innenleben in eine neue Art des Fortschreitens. Durch den Akt der genannten Hingabe habe ich mich dem Heiland in besonderer Weise für das „Erleiden“ seines inneren Erlöserlebens, für ein höheres, wirksameres Erleben seines Erlösergeheimnisses als eigenes Erleiden und Erfahren, bereitgestellt. Dabei habe ich innerlich vorausgesehen, dass zu diesem Zweck innere Läuterungsleiden weitergehen, bis ich in den von Gott geplanten „Vollzustand“ in Christus aufgenommen und eingegangen bin. Die ganze innere Führung und Erfahrung ist jetzt auf jenes höhere290 und höchste und letzte Ziel hingerichtet: Christus in seinem gottmenschlichen Wesen und Leben als Erlöser zu erleiden. –

1751 |        Verschiedene Male, nach der heiligen Kommunion, „bot“ sich mir Jesus in seinem Wesen als Erlöser an. Ich durchschaute den inneren Geisteszustand des Erlösers in dem wunderbaren Geheimnis der Verbindung der göttlichen Person mit seiner heiligsten Menschheit; ich erfasste sein allerheiligstes Innenleben: „So war ich als Mensch; in dieser Form und Auswirkung belebte die göttliche Person meine gottmenschliche Seele“. Ich erfasste die göttliche Wirkkraft der zweiten göttlichen Person in der Menschheit Christi, wodurch seine göttliche Person291 und seine menschliche Natur im irdischen Leben zu EINEM Leben harmonierten. Im Leben des Gottmenschen wirkte das göttliche Wesen der Person des ewigen Wortes sich aus. Gottes Wesen, sein ureigenstes Sein, belebte und durchlebte in uneingeschränkter Geistigkeit die Seele Christi. Das ist ein tiefes, unfassbares Geheimnis im Leben Christi.

1752 |        Ich habe in einer bis jetzt noch nie verstandenen Tiefe und Klarheit dieses Geheimnis erfasst: Christus lebte sein menschliches Leben „aus der Fülle seines göttlichen Wesens“. Dieses göttliche Wesen in der menschlichen Natur Christi, im Leibe und in der Seele Christi, war der Gegenstand meines inneren Erfahrens. In Christi Leib und Seele war eine Fülle von Geistigkeit und Licht und Glut verborgen, für die es keinen Ausdruck gibt. Das Sein, das aus sich selbst „ist“, war in vollkommener göttlicher292 Fülle auch in Christus immer in seiner göttlichen Art tätig. Die göttliche Ungeschaffenheit und Unumschränktheit konnte auch in der geschaffenen Seele Christi und in seinem sterblichen Leibe nicht eingeschränkt oder gehindert werden. Der ewig Seiende und die Fülle des Lebens selbst belebte und „LEBTE“ das menschliche Leben Christi, ohne dessen geschaffene und menschlich notwendige Funktionen aufzuheben oder einzuschränken. Die „Glut“ durchglühte gleichsam den kalten Stein und machte diesen toten Stein glühend und lebendig und doch war und blieb der Stein Träger dieser Glut. Wie wunderbar herrlich und anbetungswürdig war Christi irdisches Leben bzw. Sein gottmenschliches Wesen! Ich habe noch nie so wie in den vergangenen Tagen Christi Leben in seinem wahrhaft göttlichen Sein und in dessen Auswirkung auf seinen heiligsten Leib und seine Seele erkannt und erfahren.

1753 |        Unsere an die Äußerlichkeiten unseres Lebens und an die Sinne293 gebundene, erdhafte Seele kann aber nur durch eine besondere Gnade in dieses Geheimnis des „göttlichen Wesens“ mit seiner ewigen Fülle von Licht und Glut und Ungeschaffenheit eindringen. Um das ungeschaffene, immer-seiende göttliche Wesen erfahren und erfassen zu können, wie es in der menschlichen Natur Christi wohnend und göttlich tätig war, muss die Seele in eine hohe Geistigkeit erhoben werden; sie muss294 erst von den Folgen der Erbsünde insofern befreit werden, als sie die ihr ursprünglich von Gott gegebene und eigene Geistigkeit und Freiheit wiedererlangen muss. Für uns arme Menschen bedeutet jenes Erfahren-Könnens des göttlichen Wesens ein vollkommenes Verlassen unseres gebräuchlichen, uns gegebenen Leben, das wir uns doch selbst nicht wegnehmen können, weil wir daran gebunden sind. Wir müssten, wollte Gott in diesem Leben dieses Geheimnis offenbaren, durch eine besondere Gnade dazu befähigt und erhoben werden.295 – Aus jenen durch Gottes besondere Gnade möglichen, inneren Erfahrungen sieht man aber, was „Großes“ der Mensch durch die Sünde verloren hat, und welche herrliche Veranlagung an sich die menschliche Seele besitzt, da ihr, trotz ihres gefallenen Zustandes, jene übernatürliche Erfassungs- und Erfahrungsmöglichkeit – bei besonderer Gnade Gottes – geblieben ist.

1754 |        Dieser, mein fortschreitender innerer Geistesweg ist von großen unaussprechlichen inneren Leiden begleitet. Zeitweise kann ich sagen: „Es ist zum Sterben vor lauter Leiden“. Und mein inneres Leben ist auch ein fortschreitendes Sterben, um doch wieder dementsprechend zu neuem Leben erweckt zu werden. Je mehr ich „sterbe“, desto größeren Raum gewinnt Jesus in mir.

1755 |        Als ich in den vergangenen Tagen einmal im Übermaß der inneren Leiden (beim hl. Segen in der Kapelle) die lieben Mutter Maria bat, sie möge mir ersetzen, damit ich rascher vorankomme und vollendet werden könne, da wurde mir von ihr die innere Antwort zuteil: „du könntest es gar nicht ertragen und es (jenes Ziel in Christus) nicht erreichen und hättest auch das bis jetzt Erworbene nicht erreichen können, wenn dir nicht 'vieles' ersetzt würde“.

1756 |        Am Feste Maria Himmelfahrt schaute ich die Seele Mariens, wie sie aus Gottes Hand hervorging. Maria „erkannte“ Gott vom ersten Augenblick der Erschaffung ihrer Seele an. Ihre Seele „erkannte“ Gott, war sich ihres Gottes bewusst und „schaute“ Gott. Ihre Seele besaß vom ersten Augenblick an diese ungetrübte Erkenntnis Gottes, worin das Geschöpf seinen Schöpfer erkennt. Ihre Gotteserkenntnis im ersten Augenblick ihres Bestandes wurde mir versinnbildlicht durch den Vergleich einer vollerblühten Blume, die sich wie naturgemäß der Sonne zuwendet. Blühend an Gotteserkenntnis ging Maria aus der Hand Gottes hervor. Diese ununterbrochene Gotteserkenntnis ist aber in Maria immer noch gewachsen und fortgeschritten und machte sie schließlich fähig, Gott selbst in sich zu tragen, dem Sohne Gottes eine wahre Mutter zu werden. Sie hatte zu Gott ein unmittelbares, direktes Verhältnis, das nie durch einen Schatten getrübt oder gestört wurde. Maria trug eben in sich die „erste Seele“, wie Gott sich die Seele gedacht hatte; im Hinblick auf ihre allerhöchste Auserwählung war die Seele Mariens auch noch besonders und viel höher ausgestattet, aber sie trug auch das erste Urbild der Menschenseele in sich. – Die höchste Gnade, die Gott der erstgeschaffenen Seele mitteilte, war die Erkenntnis Gottes. Dass das Geschöpf seinen Schöpfer erkennen und erfahren konnte, das wurde mir als die größte Begünstigung des Menschen durch Gott gezeigt. Die Anerkennung Gottes, die zugleich Unterwerfung und Glaube an ihn war, bedeutete die vornehmste Ausstattung, die Gott dem Menschen gab. Von dieser gottgeschenkten Stufe aus sollte sich die Seele des Menschen noch höher entfalten und entwickeln in einem geistigen Wachstum, das Gott in ihr grundgelegt hatte.

1757 |        Anschließend an diese in Maria geschauten Geheimnisse wurde ich am folgenden Tag, am 16. August, zu weiterer Erkenntnis geführt. Auch im gefallenen Zustand besteht für den Menschen die erste Pflicht darin, nach Erkenntnis Gottes zu streben, wenn auch in mühevollen Suchen nach ihm. Der gefallene Mensch muss Gott erst suchen, sich ständig bemühen, um Gott im Glauben finden zu können. Ohne dieses „finden“ und Festhalten an Gott im Glauben kann der Mensch nie sein eigentliches, ihm von Gott gesetztes Urziel erfüllen: Nämlich zu höchstmöglicher Gotteserkenntnis zu gelangen, die Grundbedingung alles geistigen Lebens ist. Auch für das gewöhnliche Christenleben – so wurde mir innerlich gezeigt – ist höchstmögliche Erkenntnis Gottes die Grundlage des religiösen Lebens und es ist ein Hauptübel unserer Zeit, dass die Gotteserkenntnis unter den Massen des Volkes und in den Seelen in solch großem Ausmaß geschwunden ist, wodurch die heutige ungläubige Zeitlage geschaffen wurde. Gott und die Menschheit sind heute sozusagen getrennt; die Gotteserkenntnis mit ihrer wirksamen Kraft der Erneuerung des einzelnen Menschen ist gelockert. Wenn auch der einzelne Mensch seinen Glauben an Gott nicht ganz verloren hat, so ist doch die Wirkkraft der Gotteserkenntnis für die betreffende einzelne Seele unterbunden, weil der Mensch in einem natürlichen Sinn sich selbst besitzt und als Herrn betrachtet, ohne Gott als den Urheber und Besitzer jedes Seins anzuerkennen, wie es Gott als dem alleinigen Herrn gebührt und wie es sein Plan bei der Schöpfung war. – Es wurde mir darum gezeigt: Alle neuen Gnaden, die Gott, bzw. Christus der Menschheit geben will, sind darin grundgelegt und dafür bestimmt, dass sie eine neue, d. h. vertiefte Erkenntnis Gottes in der Kirche ermöglichen. Christus offenbart sich in seinem tiefsten Erlösergeheimnis, im Geheimnis der höchsten Liebe seiner Herzen, um sich als Gott der Liebe und des Hingebens an die Menschheit zu erkennen zu geben. Christus will die Menschheit durch seine göttliche Liebe an sich ziehen und sie auf diese Weise zu einer gleichsam neuen, tieferen Gotteserkenntnis führen. Von dieser Erkenntnis Gottes aus soll der Mensch zur neuen Liebe und zu einem vollkommenen Glauben an ihn geführt werden; denn das Erkennen führt zur Liebe, zur wahren Gegenliebe Gott gegenüber.

1758 |        In den letzten Tagen habe ich eine bedeutende Veränderung in meinem Inneren erlebt; sie lässt sich zwar nicht gut in Worten wiedergeben, doch will ich es in etwa versuchen; Jesus hat mir wiederholt sein „Inneres“ angeboten. – „So wie ich bin, wirst du mich erleben“, ließ er mich wissen. Dabei erfasste ich das Wesen dieses seines Innenlebens. – Ähnliche Gnaden des Anbietens seines Inneren hat mir der Heiland schon vor mehr als 15 Jahren sehr häufig gegeben; doch wie hätte ich mir im Voraus diesen jahrelangen Zwischenraum des ständigen Vorbereitens auf die wirkliche Gnade erklären können? Und doch ist Jesus in nichts von seinem ersten göttlichen Plan mit meiner Seele abgewichen; im Gegenteil, die Wirklichkeit der Gnade übertrifft wie das frühere fühlbare Vorausleben und Vorverkosten.

1759 |        Gleichzeitig schreitet fort die immer vollständigere Befreiung von den Banden meines eigenen Ichs; wenn diese Bande auch in sich berechtigt wäre, so sind sie doch für das Wirken der göttlichen Person ein Hindernis und werden darum sozusagen aufgehoben. Ich besitze mich in einer unaussprechlichen Freiheit. Es ist dies die volle Befreiung von den eigenen Banden verschiedener Hemmungen der göttlichen Person gegenüber. Die größte Freiheit ist ja die: sich selbst zu verlieren und ungehindert sich in Gott ergeben zu können, zu einem schrankenlosen Besitz Gottes zu gelangen. Dadurch ist mein Innenleben so einfach und wird es immer noch einfacher, d. h., eigentlich kann ich nicht mehr von einem Innenleben im gewohnten Sinne reden; denn mein inneres Sein ist schon „Vollbringen und Tun“. Wie weit sich dieser Zustand noch vervollkommnen wird, ist mir ein Geheimnis. Ich weiß nur das letzte Ziel; was dazwischen liegt, ist mir dunkel und verborgen. Große innere Leiden wechseln immer wieder mit jenem voll ausgeglichenen Zustand des Inneren Christi.

1760 |        Ungeahntes habe ich heute innerlich erfahren über die Gottesebenbildlichkeit der Menschenseele. Als Gott die Menschenseele schuf, nahm er sich selbst, sein göttliches Wesen, zum Vorbild. Gottes unumschränkter Selbstbesitz herrschte nachgebildet auch in der ersten Seele mit der ihr eigenen Konzentration all ihrer Fähigkeiten und Kräfte. Es gab in ihr keine Zerstreuung oder Zersplitterung. Sie war in sich geordnet und auf Gott hingeordnet und hingerichtet, sowie auch Gott vollkommen in sich selbst konzentriert ist. – Gott genügt sich selbst vollkommen und bedarf keiner Erhöhung seiner göttlichen Fähigkeiten. Auch die Seele war in sich selbst vollkommen glücklich, weil sie in sich trug den Frieden und die Harmonie des Schöpfers, der den Menschen nicht erschaffen hat, um sein eigenes Glück zu vermehren, sondern um es den Menschen mitzuteilen. Auch der Mensch hatte am Anfang kein Bedürfnis, sein Glück zu vermehren, denn er trug es voll in sich im Ausstrahlen des Schöpfer-Abbildes. – In gewissem Gegensatz zu Gott, der jede Vollkommenheit im Höchstmaß besitzt, war der Mensch als Geschöpf in seinen Fähigkeiten bildungs- und vervollkommnungsfähig, konnte sie erweitern und fruchtbar machen und dazu stand ihm der freie Wille zu Verfügung. Diesbezüglich schaute ich innerlich: Alle göttlichen Fähigkeiten waren keimhaft in der Menschenseele grundgelegt in der geschöpflichen Form des Fruchtbar-Werden-Könnens. Die Gotteserkenntnis der ersten Menschen war weit vollkommener, als wir sie uns je erwerben und in diesem Leben als dauernd genießen können; denn der gefallene Mensch hat jene erste Fähigkeit seiner ungetrübten Verstandes und Wissens durch die Sünde verloren; er wurde in ein gewisses Dunkel gehüllt und ist auf das Suchen angewiesen, wenn Gott ihm nicht durch eine besondere Gnade sich ihm zu erkennen und zu erfahren gibt.296 – Der Mensch im Urzustand hatte nicht die mindeste Hemmung in sich, das Gute zu wollen und zu tun; er trug in sich das Abbild alles Guten-Wollens und Guten-Tuns. Somit stand der Mensch im reinen, ungestörten Seinszustand und Seinsverhältnis mit Gott. – Wie Gott aus sich selbst ist, so erfasste der Mensch kraft seiner Fähigkeiten des Verstandes und Gedächtnisses sein geplantes Wollen und brachte es mit den ihm angebotenen Hilfsmitteln mühelos zur Ausführung. – Auch die göttliche Fähigkeit des Regierens und Beherrschens der Schöpfung war im ersten Menschen nachgebildet vorhanden. Gott durchdringt mittels seines göttlichen Wesens das Universum, weil er alles als sein Eigentum gleichsam in sich trägt. Auch der Mensch hatte von Gott die Macht und Fähigkeit erhalten, die ganze Schöpfung sich dienstbar und unterwürfig zu machen. Er war von Gott als König und Krone der sichtbaren Schöpfung gedacht und eingesetzt.

1761 |        Noch viel größer aber als diese nach außen hervortretenden Fähigkeiten des ersten Menschen waren die inneren Vorzüge, die er durch seine Gottesebenbildlichkeit in sich trug. Ein tiefes Eindringen in die Geheimnisse meiner eigenen Seele, die mir als Beispiel und Erklärung zum Verständnis für den Zustand der ersten Menschenseele bezeichnet werden, lässt mich dieses unaussprechliche Geheimnis des „Geistes der Seele“ begreifen. Das Geheimnis der Geistigkeit der Seele macht wohl ihre höchste Gottesebenbildlichkeit aus. Infolge ihrer Geistigkeit besitzt die Seele die Möglichkeit, das Wesen Gottes, der reiner Geist ist, zu erfassen, zu erfahren und ihn in sich aufzunehmen. Im ersten Zustand besaß die Seele diese volle und reine Geistigkeit in ihrer Gesamtstruktur des Zusammenlebens mit dem Leibe. Dementsprechend war auch der Leib vergeistigt, sodass er der Seele folgen konnte, ohne dass die Geistigkeit der Seele durch das Menschlich-Materielle des Lebens gehindert worden wäre. Die Geistigkeit der Seele belebte ja den Leib zu einem Wesen mit der Seele, obwohl dieses Ganze aus Verschiedenem zusammengesetzt war: die Seele ein Geist, der Leib aus Erde. Die Fähigkeit der ersten Seele, Gott in diesem Leben verkosten und genießen und sich seines Umganges erfreuen zu können, setzt eine große Vollkommenheit ihrer Geistesstruktur voraus: Als Abbild Gottes war die Seele auf Gott angelegt. Wenn man viel am Erfahren und Erleben Gottes und seiner Vollkommenheiten durch vorübergehende, manchmal nur kurze Zeit dauernde Gnaden sich erfreut hat und die Befähigung hierzu sich mit vieler Mühe und großen Leiden erworben hat, dann kann man sich einigermaßen den glücklichen Zustand der ersten Menschen erklären, der dauernd war und ohne Bemühung. Zum Verstehen und Erfahren des Zustandes des sündenlosen Menschen wurde ich ja hingeführt und übergeleitet aus dem Beispiel und auf dem Weg über meine eigenen inneren Erfahrungen; denn aus dem gewöhnlichen Zustand der Seele heraus könnte man das Geheimnis der ersten Seele gar nicht erfassen und begreifen.

1762 |        Aus dem ganzen Ausmaß der Gott-Ebenbildlichkeit und Vollkommenheit, die die ersten Menschen tatsächlich besaßen, kann man dann auch die Tiefe des Falles und des Dunkels verstehen, worin die Menschheit durch die Sünde stürzte. Zwar blieb auch nach der Sünde die gleiche Geistigkeit der Seele im Grunde bestehen, aber die Seele wird nun weithin vom Leibe beherrscht, steht größtenteils im Dienste des Leibes, ist gleichsam materialisiert; der Mensch hat kein unmittelbares Bewusstsein mehr von seiner Seele, spürt nichts mehr von ihr in diesem Leben, wenn Gott sie ihm nicht in besonderer Weise offenbart. Erst im jenseitigen Leben erfährt und erlebt der Mensch wieder allgemein und unmittelbar seine Seele, wenn sie den Leib verlassen hat.297 Ziel und Fähigkeit der Seele blieb zwar im Wesentlichen das gleiche wie vor dem Sündenfall, aber der Mensch ist nun auf den Glauben an seine Seele angewiesen. Dieser Glaube wird ihm zum Verdienst, d. h. vor Gott übersteigt die Seele dadurch das Materielle und wächst sie zu Gott empor. Ich habe innerlich geschaut: Jeder Akt des Glaubens und jede Bemühung und jedes Opfer, das der Mensch im Glauben an Gott verrichtet, hebt die Seele mehr aus ihrer eigenen Materie heraus und bringt sie Gott näher. So wird der einstige sündige Zustand immer mehr geheilt und ausgeglichen und so wird ein eifriges298 und treues Glaubensleben zum allseits möglichen Ausgleich. Jeder Akt des Glaubens wird eine neue Anerkennung und Verherrlichung Gottes, und wenn der Mensch die Bande seines Leibes im Tode abstreift, kann und soll die Seele möglichst viel und Großes von ihrem ersten299 reinen Zustand zurückerobert haben.

1763 |        Als mir dies heute nach der hl. Kommunion erklärt wurde, fragte ich bei mir selber, wie denn dies möglich sei, nachdem die Seele durch die Sünde Adams ihre großen Vorzüge verloren hat. Es wurde mir darauf erklärt: Die wesentlichen Vorzüge der Gottesebenbildlichkeit blieben trotz der Sünde in der Seele in ihrem ganzen Ausmaß bestehen und die Seele besteht in ihrer Gottähnlichkeit und ihren geistigen Vorzügen weiter, aber an die Stelle ihres ersten, für die Seele mühelosen Weges ist nun der zweite Weg des Glaubens und Bemühens getreten. Vor der Gerechtigkeit Gottes wirken vor allem die Erlöserverdienste Christi; sie bedecken gleichsam die Mängel der gefallenen Seele, wenn diese sich ihm in vertrauensvollem Glauben übergibt und in Christus kann das Verlorene gleichsam wieder zurückerobert und wiedergewonnen werden. Für die Ewigkeit bleibt das gleiche Resultat und Ergebnis des Lebens. Christus ist unser großer, überragender Ersatz vor dem ewigen Vater, aber die Seele muss nun im dunklen Glauben sich bewähren und in vielen Opfern sich bemühen. Ich habe aber – was mir merkwürdig schien und war – innerlich erfahren: Der zweite Weg der gefallenen Menschheit mit den Gnaden des Erlösers ist herrlicher und eine größere Verherrlichung für Gott als der erste sündenlose Weg der Seele zu Gott, weil nun der Mensch sich im Glauben bewähren muss und Gott im Glauben verherrlicht und anerkannt wird.

1764 |        Als unser herrlichstes und im Grunde einziges Vorbild und sozusagen als unser „Andenken“ an die verlorene Paradieseszeit wurde mir heute wieder MARIA gezeigt. Sie bewahrte ihre göttliche Ebenbildlichkeit unversehrt und erhöhte sie noch fortwährend. An ihr kann man das Geheimnis göttlicher Freigebigkeit bei der Erschaffung der Menschen studieren. An ihr, die den Stempel der Ähnlichkeit und des Abbildes Gottes voll bewahrt hat, kann man auch die Größe Gottes erfahren. – Bei der Lourdesgrotte schaute ich heute Maria wieder in ihrer unversehrten Gottebenbildlichkeit. Sie zeigte sich mir als die Führerin aus der Nacht des heutigen Unglaubens. Besonders aber durch ihr Inneres – so wurde mir gezeigt – ist sie die Führerin zu einer neuen Zeit des Glaubens und einer neuen Glaubensvertiefung.

1765 |        Maria zeigte mir im geistigen Wissen: „So, wie ich bin, hat Gott die Menschheit geschaffen (und ich erfasste deren Erniedrigung durch die Sünde) – und so blieb ich. Durch mich kann die Seele das wiederfinden, was sie durch den Fall Adams verloren hat“. – Ich schaute Maria als die einzige wahre Eva und Mutter des Menschengeschlechtes300, die bewahrte, was Gott ihr gegeben hatte, während die erste Eva dieses Gut verlor. – Ich schaute Maria als die Führerin des Priesterwerkes, nicht nur im äußeren Sinne (insofern ihr dieses ganz geweiht sein, ihrer besonderen Fürbitte unterstehen und dies auch anerkannt werden soll), ich erkannte sie auch als die geistige Führerin, das geistige Vorbild. Ihr inneres, ihr unbeflecktes Herz soll als die Fülle und Quelle der Gnaden für das Institut verehrt und anerkannt werden. – Schon früher einmal hatte ich das innere Erkennen: Maria ist die Rettung und Führerin in dieser dunklen Zeit für die Kirche; sie ist die geistige und neue Lebensspenderin und Mutter des Priesterwerkes. Sie will und fordert, dass man ihr dies anerkennt, weil vom Priesterwerk die geistige Erneuerung der Kirche ausgehen wird.

1766 |        Ich habe heute aber auch dies ganz klar erkannt: Mein innerer Weg führt mich zu einer höchstmöglichen Gottesebenbildlichkeit zurück, in der der erste Mensch geschaffen wurde. Nur auf diesem Wege und unter dieser Voraussetzung sei es für mich möglich, die göttliche Person Christi ertragen, erleben und erleiden zu können. In dem Maße ich in eine erworbene Gottesebenbildlichkeit eingehe, vollzieht sich auch meine innere Angleichung an die göttliche Person Christi. – Gewiss kann man als Mensch im gefallenen Zustand nicht mehr die erste Ebenbildlichkeit Gottes in ihrer Urauswirkung erwerben – weil man durch die Erbsünde dem Gesetz des Falles unterliegt –, aber man kann die inneren Folgen der ersten Reinheit vor Gott wieder erwerben. Auch Maria trug, obwohl innerlich ganz frei von der Erbsünde, nach außen doch deren Folgen; sie war leidensfähig und dem Tode unterworfen, und kein Mensch geht an diesem allgemeinen Gesetz vorbei. Sogar der Gottmensch nahm diese Folge der Sünde stellvertretend auf sich.

1767 |        Obwohl ich in meinem ganzen Leben durch eine besondere Gnade auf dieses höchste Ziel hingeleitet und hingeführt wurde – (schon als Kind war mir das Streben in die Seele gelegt: Ich muss zurück zu jenem seelischen Zustand der Reinheit, indem der Mensch „einst war“), so habe ich doch heute innerlich erkannt, während mir Maria in ihrer vollen Ebenbildlichkeit Gottes und in ihrer vollkommenen Reinheit gezeigt wurde: Ihr gegenüber und im Vergleich zu ihr scheine ich wie ein kleines Gräslein, das gegenüber einem hohen Baum, der zum Himmel ragt, auf der Erde wächst. Und doch wurde mir wieder als mein Weg zur besonderen Angleichung an Christus gemäß meiner besonderen inneren Berufung der Weg Mariens gezeigt. Wie schon oft „bot“ und zeigte sich mir Maria wieder als mein einziges Vorbild.

 

20.08.1942

1768 |        Heute bei der heiligen Messe, bei der heiligen Wandlung schaute ich geistig wiederum Gottes ewige Absichten bei der Erschaffung der Menschen. Gottes Beweggründe waren nur reinste, göttliche Liebe; das immerwährende Hervorgehen des ewigen Wortes aus dem göttlichen Wesen des Vaters, diese göttliche Einheit im Heiligen Geist wollte Gott-Vater in geschöpflicher Form nachbilden mit der Erschaffung der Menschen. Nie sollte jene Liebeseinheit unterbrochen werden, die Gott (d. h. die heiligste Dreifaltigkeit) mit der Menschheit verband. Nach dem Wesen und der Besonderheit des göttlichen Wortes wollte der Vater den göttlichen Liebesrhythmus in geschöpflicher Weise mit den Menschen nachbilden; es sollte ein beständiger301 Kreislauf der Liebe zwischen Gott und den Menschen sein, und so war es auch am Anfang der Menschheit bis zum Sündenfall. Die Gemeinschaft zwischen Gott und den ersten Menschen bildete eine unaussprechliche Liebeseinheit wie in einer Familie. (Ich hatte dieses innerste Geheimnis und die tiefsten Folgen für Gott und den Menschen diesbezüglich geschaut und erfahren)302. Ich konnte so klar erkennen, wie „ernst“ Gott-Vater die habituelle Liebeserwiderung der Menschen aufnahm, weil diese zutiefst einbezogen waren in das Geheimnis des göttlichen Wortes, des Hauptes der Menschheit und Schöpfung und weil sie sich indessen Liebesgemeinschaft dem Vater ihrerseits wiederum schenkten und ihn dadurch verherrlichten. Wiederum schaute ich ganz klar: Die Erschaffung der Menschen hatte ihr Vorbild im Geheimnis des göttlichen Sohnes; es sollte eine dauernde geschöpfliche Sohnschaft und Kindschaft der Menschheit vor Gott erstehen. Der Vater ließ seine Schöpferliebe auf sie überströmen und der göttliche Sohn „nahm“ diese geschaffene Söhne als seine Brüder an. Im Grunde besteht dieser göttliche Plan immer noch und für alle Ewigkeit.

 

21.08.1942

1769 |        Weil gestern der Todestag von Papst Pius X war, wollte ich an seinem Grabe ihm unser großes Anliegen empfehlen. Ich befand mich sehr im Leiden und beim Sakramentsaltar in St. Peter wurde ich noch tiefer eingeführt in die Erklärung meines inneren Weges: Durch volles Aufgeben meines Eigenen und gleichzeitiges Eingehen in Christus würde Gott dem Vater die größte Verherrlichung [gezeigt]303. Wenn auch infolge dieser, meiner besonderen inneren Führung die äußeren Akte eines gewöhnlichen Innenlebens in der früheren Form, wie z. B. die früheren Gebetsakte, aufhören, so treten eben an deren Stelle das Leben der Tat, des Vollbringens und der tatsächlichen Übung des Lebens Christi. Die Überschaltung zu diesem Tat-Christusleben sei die größte Verherrlichung Gottes des Vaters, weil Christi Leben dadurch in der Seele gleichsam zur Wiederholung gelange. Alles aber, was der Mensch in Christus tue, übe304 und leide, erhöhe dessen Wirksamkeit in unermesslicher Weise. Das innere Leben wird damit zum „Zustand Christi“, in dem Christus seine Gesinnung und sein Leben wieder dem ewigen Vater darbringt. Ich schaute mich in meinem jetzigen Stadium in einem fortwährend sich erhöhenden „Zustand Christi“, der mit meinen Kräften und Fähigkeiten dem Vater nach den Absichten Jesu geboten wird.

1770 |        Ich war deshalb auch in der letzten Zeit erneut in einer starken, in Worten nicht zu beschreibenden passiven305 Aktion der vollkommenen Ausschaltung meiner eigenen persönlichen Geistestätigkeit, um dadurch in einen habituellen Geisteszustand Christi einzugehen. – Es vollziehen sich zurzeit wirklich geheimnisvolle geistige Veränderungen in mir. Ich gelange nun in das Stadium des inneren „Erleidens Christi“, das mit meinen Geisteskräften und Fähigkeiten konstruiert und nachgebildet wird. Doch keines Menschen Wort könnte je die Tiefe und Art meines „Nicht-Selbst-Verlassens“ erklären, um dadurch den Lebensauswirkungen der göttlichen Person Christi Platz zu machen!

1771 |        In der Gruft des Heiligen Vaters Pius X wurde ich mir noch lebendiger meiner geistigen Lage bewusst und erlebte ich im Voraus die Tragweite der Absichten Christi306 in mir. Mein ganzes Sein war dem hingegeben, womit Christus sein inneres Leiden in mir wiederholt, und zwar begriff ich meine Stellung in Verbindung mit dem von ihm gewünschtem Priesterwerk. Es wurde mir dabei innerlich ganz klar gesagt: „Dies ist der Preis (und zugleich der Beweis) des Priesterinstitutes“ (womit der göttlichen Gerechtigkeit die fruchtbaren Gnaden bezahlt werden, die Jesus seiner Kirche und den Priestern neu geben will). Um diesen Preis wird das Werk fruchtbar. – Bis dahin befand ich mich in großen Leiden des Erringens einer neuen Stufe der inneren Befreiung von mir bzw. von einem in Worten nicht auszusprechenden Grade verborgenster, unbewusster Selbsttätigkeit; aber durch die Einwirkung einer besonderen Gnade, die ich wohl auf die Fürbitte des Heiligen Vaters Pius X erhalten habe, war in einem Augenblick, wie mit einem geistigen Schritt, die innere Schwierigkeit überwunden und kam ich in vollen Frieden und Genuss der Frucht eines neu307 erhöhten Zustandes in Christus.

1772 |        Wie herrlich ist die in sich selbst befreite308 und befestigte Seele im Genuss der ihr eigenen Konzentration all ihrer Kräfte! Hier wird alle Kraft und Energie zusammengefasst und in Gott geordnet bzw. für Christi Leben gebraucht und verwertet. Ich erkenne immer wieder: Das Zurückerobern der ursprünglichen Ordnung der Seele d. h. zur Ordnung, die Gott in der mit ihm ebenbildliche Seele geschaffen hatte, ist die Grundlage meines inneren309 Fortschreitens in Christus. Wenn mir auch jetzt vieles nicht ganz bewusst ist, so wird doch die Wirkung der Anlage der „ersten Seele“ in mir in Kraft treten, sobald ich den Vollzustand in Christus erreicht habe, so wie er für das Erleiden seines Seins notwendig und gegeben sein wird; kraft dieser Anlagen bin ich dann erst befähigt, Christus die gereinigten und erhabenen Geisteskräfte bieten zu können, die fähig sind, ihm zum Erleiden seines innersten Geheimnisses zu dienen. – Ich bin voll Mut und Kraft, um weiter gerne und mit großem Verlangen mich für Christus voll zu bereiten oder vielmehr bereiten zu lassen. Alle Furcht vor dem Geheimnisvollen und Bevorstehenden ist jetzt verschwunden und das Verlangen nach dem Kommenden hat nun das Übergewicht in mir erlangt. Die Bereitschaft ist schon vorausgeeilt und hat jedes eigene Bedenken und die (bisher immer wiederkehrende) Furcht vor dem kommenden Leiden überwunden. Ich bin in Christus in ganz hoher Weise befestigt und konzentriert. Damit fällt die eigene Sorge um die menschliche Erbärmlichkeit, besonders das Mitleid mit sich selber weg, das den geistigen Fortschritt so sehr hemmen kann; es ist damit die weitere Möglichkeit geschaffen, in freiem Wollen sich rückhaltlos dem Wirken Christi zu überlassen. – So habe ich in St. Peter wirklich ganz besonders wirksame neue Gnaden erhalten.

1773 |        Heute bin ich wieder im Leidenszustand. Es bereitet sich eine neue Unterlage zu einem weiteren und tieferen Fortschreiten in Christus in mir vor.

 

26.08.1942

1774 |        Seit einigen Tagen bin ich in einem unaussprechlichen Leidenszustand versetzt. Eingeleitet wurde dieser durch ein Voraussehen der kommenden Vollendung meines Zustandes in Christus. In diesem inneren Voraussehen der kommenden Vollendung310 wurde ich auf das Endziel meines Innenlebens, oder vielmehr meiner Vorbereitung hingewiesen: Auf einen dauernden Zustand in Christus, mit dem erst meine eigentliche seelische Aufgabe beginnt, nämlich das Erleiden des Inneren Christi. Ich schaute die letzte Befähigung hierzu, die in den Dauerzustand mündet. Ich konnte auch den Abstand erkennen, der mich von jenem Dauerzustand noch trennt, sowie den hohen Grad einer kommenden Umwandlung in Christus. – Ich schaute auch wieder das Priesterinstitut, als Frucht all meiner Leiden,311 wodurch dem Herzen Jesu so große Ehre und Verherrlichung gegeben wird, und in der Kirche neue Ströme seiner unendlichen Erbarmung und seiner Liebe zu fließen beginnen werden. – Durch all dieses innere Voraussehen wurde in mir eine alles überwindende Großmut gegen Jesus entzündet sowie neue Bereitschaft für alle möglichen Leiden, die mit und in ihm mein Anteil sein werden. Ich erlebte im Voraus die endliche Gnade der Befestigung, die mir mit ihm gegeben sein wird. Dadurch kam ich in eine unbeschreibliche Sicherheit, in das Gesichertsein in Christus. Diese geistige Sicherheit im Voraussehen der Treue Christi in seinen Verheißungen entflammte in mir ein großes Verlangen – das zu einer verzehrenden Qual für mich wurde – an mein geistiges Ziel zu gelangen, und dafür scheint mir kein Leiden, ja auch nicht das eigene innere Martyrium zu viel oder zu schwer. Dementsprechend erlebte ich die absolute Treue Gottes in dem Ergebnis und der Frucht all meiner Leiden. – Diese durch eine besondere Gnade des Großmutes in mir entzündete Bereitschaft für die Absichten Jesu war aber eine Vorbereitung und ein Auftakt zu neuen, ganz großen Leiden in meinem Inneren. –

 

September

04.09.1942312

1775 |        Herz Jesu Freitag änderte sich mein innerer Zustand; große Erkenntnisse über die zweite göttliche Person wurden mir zuteil; Beleuchtung meines inneren Weges.

1776 |        – Große Leiden –

 

10.09.1942313

1777 |        Große Leiden – erkennen über das Wesen des Wortes, das vom Vater ausgeht – die innere Gleichförmigkeit, göttliche Wesensgleichheit – voller Ruhe und Ausgeglichenheit und neue Bereitschaft für immer und ganz für das Leben des Wortes –

 

11.09.1942314

1778 |        Große innere Ruhe und Leidlosigkeit und Harmonie, da aber die inneren Leiden aussetzen, wie gewöhnlich körperliche und geistige Ermüdung und Ruhebedürfnis.

 

12.09.1942

Fest Maria Namen

1779 |        Seit zwei Tagen hat sich mein innerer Zustand ganz geändert. Noch nie war ich in einer solchen dauernden inneren Geschlossenheit und Konzentration wie jetzt. Mein inneres Leben ist nicht „Übung“ oder „Akt“, sondern wirkliches Leben und Sein (freilich lässt sich dieser Zustand wieder in Worten nicht erklären). Wie ich es schon seit langer Zeit vorausgesehen und geübt habe, lebe ich jetzt alle Vollkommenheiten, lebe ich mein inneres Leben in „einem Akt“, in dem ich mich ganz beherrsche oder vielmehr in dem und mit dem ich mich schon beherrscht habe und besitze. – Damit hätte ich nun jene geistige Grundlage erreicht, die mir als notwendige Voraussetzung für das Erleben des inneren Christi erklärt und im Voraus gezeigt worden war. Kraft dieses Zustandes stehe ich vollkommen über mir und mein ganzes Sein ist schon von mir beherrscht. Ich bin in einem Zustand unaussprechlicher Freiheit gelangt, voll Ruhe und innerer Kampflosigkeit. Alles in mir ist „Sein“ und Wirklichkeit, ohne Übung und Bemühung.

1780 |        Heute Morgen vor der heiligen Kommunion kam ich durch eine besondere gnadenvolle innere Bewegung in einen gewissen Zustand der Großmut Gott gegenüber, um mir den innerlich erfassten Vollkommenheitszustand vollends anzueignen, aber damit ganz auf das Eigene zu verzichten und so in mir die Grundlage für Jesu inneres Sein bilden zu lassen. Ich erfasste ganz klar, welche Absichten Jesus mit jenem innerlich erkannten Vollkommenheitszustand für mich hat. – Ich „verließ“ mich, zog mich gleichsam aus mir heraus und nahm jenen inneren Habitus als mein Eigentum an, um damit zu leben. Er ist mein wunderbares Eigentum geworden, das sich wohl noch vervollkommnen und befestigen wird. Für die Hingabe meines armseligen eigenen Bemühens habe ich so unaussprechlich Großes erhalten! Und wie hat meine arme menschliche Natur vor diesem großen, bedeutungsvollen inneren Schritt gezittert und gebangt, und doch wieder darum gekämpft und gelitten. Alle inneren Leiden und Läuterungen richten sich ja eigentlich schon immer auf diesen grundlegenden Habitus in mir hin.

1781 |        Gerade in letzter Zeit wurde vom göttlichen Geiste meiner inneren Führung immer wieder erklärt: Mein inneres Erleben und Erleiden des Inneren Christi ist und wird nicht auf einer Grundlage des „Schauens“ oder von Visionen aufgebaut; nicht in geistigen Visionen werde ich die inneren Erlöserleiden erleben und erleiden, sondern ich werde gleichsam in einen substanziellen, wesentlichen Vereinigungszustand in Christus eingehen und kraft dieses besonderen Vereinigungszustandes erlebe ich seinen inneren Zustand. Christus teilt sich mir kraft eines besonderen hierfür erforderlichen Vereinigungszustandes mit seinem inneren Sein und Wesen derart mit, dass ich vermöge seiner göttlichen Person, die der führende „Aktus“ ist, sein Inneres mit meinen eigenen Seelenkräften als meine Erlebnisse und Leiden erfahren und erleiden kann. Nicht in Visionen, auch nicht solcher geistiger Art, wird mir das Innere Christi, des Gottmenschen, zum Erleben, sondern in der Auswirkung einer besonderen wirklichen Vereinigung. Dementsprechend ist auch meine ganze innere Vorbereitung aufgebaut. Ich werde nach und nach, stufenweise, eingeführt und angeglichen dem Vollkommenheitszustand Christi in seiner menschlichen Natur, für den aber maßgebend und beherrschend und bestimmende der göttliche Vollkommenheitszustand der Person des Wortes war.

1782 |        Gerade in den letzten Wochen habe ich auf diesem geistigen göttlichen315 Gebiet wunderbare, unaussprechliche Geheimnisse erlebt und erfahren. Als tiefstes Geheimnis schaute und erfasste ich fast ständig die Heiligste Dreifaltigkeit bzw. das Geheimnis des Vaters und des Sohnes im Besonderen. In innerem Erkennen begriff ich, oder vielmehr wurde ich zu tiefst eingeführt in das Geheimnis Gottes im Allgemeinen. Gottes Wesen war zunächst Ziel und Inhalt meines inneren Erkennens: seine göttliche Größe und Einfachheit, seine Geistigkeit und Erhabenheit, seine schenkende und mitteilende Liebe. Von dieser allgemeinen Erkenntnis des göttlichen Wesens aus wurde ich im Besonderen eingeführt in das Geheimnis des „Vaters“ und in das immerwährende Ausgehen des göttlichen Wortes, dessen Wesen mir in innerem Schauen erklärt wurde. – Gott-Vater ist in seiner göttlichen Art immer tätig. Selbst der Mensch ist in seinem Inneren gewissermaßen niemals müßig oder gedankenleer, sondern ist in seiner menschlichen Art in sich immer in Bewegung und „Arbeit“; sein tiefstes, verborgenstes Denken, und seine innere Beschäftigung mit sich selbst äußert und zeigt sich auch nach außen und nimmt eine dem Inneren entsprechende Gestalt und Form an, sodass der Mensch auf die Dauer sein Inneres nicht verbergen kann, ob es nun auf Gutes oder Böses hingerichtet ist; sein Äußeres ist der Ausdruck des Inneren.316 Eine ähnliche, aber göttliche erhabene innere „Bewegung“ schaute und erlebte ich auch in Gott-Vater. Gottes tiefstes Inneres zeugt und bringt ständig hervor. Sein göttliches Wissen und Erkennen317 um sich, seine göttlichen Gedanken und Pläne werden zum göttlichen Ausdruck in einer zweiten göttlichen Person, werden gleichsam formuliert im göttlichen „Worte“, das als selbstständige göttliche Person tiefster göttlicher Ausdruck vom und im göttlichen Wesen des Vaters ist. Was Gott-Vater wesenhaft als Geheimnis in sich trägt, das findet seinen göttlichen Ausdruck „im Worte“, das der Vater in innergöttlicher Bewegung ständig318 in sich zeugt und wodurch er sein Innerstes ausdrückt. Auch all die göttlichen Pläne der unsichtbaren und sichtbaren Schöpfung gehören zu den innersten Gedanken Gottes, die durch das „Wort“ ausgesprochen und hervorgebracht werden. Durch das „Wort“ ist auch alles geschaffen worden.

1783 |        Gott-Vater äußert sich durch das Wort. Weil er aber wesenhaft Gott und Alleinherr ist, so kann er in sich nur Göttlich-Wesenhaftes zeugen, das ihm zum Ausdruck dient. Und weil Gottes Wesen unumschränkt und göttlich frei ist, so kann des Vaters Wesen in seinem tiefsten Inneren nur ein göttlich unumschränktes und selbstständiges319 göttliches Wesen zeugen; denn auch Gott zeugt und bringt in sich selbst das hervor, was er wesenhaft ist, ähnlich wie die Gedanken und Pläne des Menschen eine menschliche veränderliche Gestalt und Form annehmen.

1784 |        Gott-Vater spricht sich aus im „göttlichen Wort“ als dem göttlich-wesenhaften Ausdruck seines innergöttlichen Habitus. Dieses göttliche Geheimnis wirkt sich immerwährend von und in Ewigkeit aus und hat in der Zeit das ganze Universum und die gesamte Schöpfung hervorgebracht. Gottes „Wort“ ist aber selbstständig, Gott von Gott, Wesen vom Wesen; von gleicher erhabener Geistigkeit geht es, immerwährend gezeugt, vom Vater hervor. Die gegenseitigen göttlichen Bewegungen zwischen Vater und Wort bzw. Sohn sind Bewegungen und Ausdruck höchster göttlicher Liebe; ein Geist der Liebe durchglüht sie beständig als immerwährendes Band der göttlichen Einheit. Dieser Geist der Liebe zwischen Vater und Sohn ist göttlich-wesenhafte Liebe, ist die ursächlichste göttliche Bewegung, ist gleichsam das göttliche Fundament Gottes; denn Gott bringt in sich alles aus Liebe hervor. Dieser Geist der wesenhaften göttlichen Liebe ist in sich unumschränkt und auch als göttlich wesenhafte Liebesbewegung ein selbstständiges göttliches Wesen, eine göttliche Person; denn Gottes Wesen trägt in sich nur Göttliches mit allen göttlichen wesenhaften Eigenschaften.

1785 |        Ich schaue und erlebe diese dreifache göttliche „Bewegung“ in ihrer göttlichen Verschiedenheit im Einzelnen und durchdringe dieses allerhöchste Geheimnis mit unaussprechlicher Leichtigkeit und Einfachheit. – In Hinsicht auf meinen speziellen inneren Beruf bleibt aber gleichsam unauslöschlich in meinem Wissen und Erkennen das Geheimnis des Vaters und des Sohnes haften. Dies ist der Gegenstand tagelangen inneren Schauens und immerwährenden inneren Wissens und Durchdringens. Ja, ich kann sagen: Ich kenne keinen Menschen so gut wie dieses Geheimnis und auch die sichtbare, geschaffene Natur ist mir in ihren Geheimnissen nicht so geläufig wie ich jenes ungeschaffene, wesentliche Geheimnis in Gott kenne und darum weiß; denn die Augen des Geistes durchdringen Unsichtbares, Geheimnisvolles, während die Augen des Leibes meist nur an der Oberfläche haften bleiben.

1786 |        So wurde ich ganz tief eingeführt in die innergöttlichen Geheimnisse und erkenne ich das immerwährende Hervorgehen des göttlichen Wortes, das zugleich „Sein“ und Wirklichkeit des göttlichen Wortes ist. Ich konnte aber mit meiner inneren Erkenntnis auch eindringen in das „Wesen“ des göttlichen Wortes. Das göttliche Wort, der Sohn, ist wesentlich das, was der Vater in sich ist, was der Vater seiner göttlichen Natur nach ist.320 Ich erkenne in ihm die gleiche Heiligkeit, Geistigkeit und Erhabenheit. Der Vater teilt sich dem Sohn gleichsam „selbst“ mit. Dieses Geheimnis lässt sich aber in Worten überhaupt nicht ausdrücken. Um diese göttliche Selbstmitteilung, diese ständig neue Lebenszeugung erfahren zu können, muss man zugleich das göttliche Wesen des Vaters erfassen können, denn beides ist unzertrennlich und immerwährend. Gott-Vater „ruht“ in sich nie; immerwährend zeugt er das Wort aus der Fülle seines göttlichen Wesens, und durch sein „Wort“ bestehen Sichtbares und Unsichtbares. Aber die höchsten göttlichen Wirkungen bringt der Vater durch das „Wort“ im „Worte“ selbst hervor. Die gleiche göttliche Vollkommenheit und Heiligkeit des Vaters spiegelt321 sich im göttlichen Sohne, denn im Sohne kommt gleichsam die göttliche Selbsterkenntnis zum höchsten jubelnden Ausdruck, weil gerade im eigenen göttlichen Sich-Erkennen Gott im Worte ein wesensgleiches Abbild mit all seinen innergöttlichen Vollkommenheiten zeugt. Diese göttliche Zeugung ist ein ständiges göttliches Widerspiegeln seiner wesenhaften Vollkommenheiten. Der Vater bringt durch dieses göttliche Selbsterkennen wirkliches, neues göttliches Leben hervor, wirkliche göttliche Tat und wahrhaftiges Vollbringen. Der Sohn vollbringt und vollzieht wahrhaft die tiefsten Gedanken und Pläne des Vaters, bringt sie zum wahrhaftigen Auswirken und Bestehen. Das „Wort“ schafft und vollbringt, was der Vater in sich plant und „denkt“. – Ich konnte so klar die Selbstständigkeit der göttlichen Personen in der Verschiedenheit ihrer Betätigungen in dem einen göttlichen Wesen erkennen.

1787 |        Hauptsächlich aber und in besonderer Weise werde ich eingeführt322 und hingewiesen auf die innergöttlichste Vollkommenheit des „göttlichen Wortes“, wie es ständig vom Vater hervorgeht. Diese Erkenntnis ist mir besonders eingeprägt, denn ich sah mich „berufen zum Erleben des göttlichen Wortes“. Mein innerer Weg führt mich in dieses tiefste Geheimnis ein. Während ich dieses göttliche Geheimnis innerlich erfahre, verbindet sich die göttliche Person des Wortes mit mir, mit meinem menschlichen Leben, und ich bin und werde so in unaussprechlicher Weise befähigt, dieses göttliche Geheimnis zu „leben“, sodass ich sagen kann: Nicht nur im Erkennen und Schauen weiß ich darum, sondern im eigenen Erfahren. Ich dringe somit vor bis zum göttlichen Mittelpunkt des Wortes, zur göttlichen Person, und lebe diese in eigenem Erfahren. Es wurde mir dabei in den letzten Tagen erklärt: Ich werde eingeführt in den göttlichen Ursprung des Sohnes, in das Geheimnis der Zeugung des Wortes und im gleichen Augenblick „nehme ich teil“ daran, d. h., ich lebe und erlebe das Geheimnis vom323 Ursprung des göttlichen Hervorgehens. Mein innerer Beruf führt mich bis zum göttlichen Mittelpunkt und bis an die Spitze des dazu notwendigen Vereinigungsgrades mit Gott.

1788 |        Deshalb werde ich auch immer wieder und nachdrücklich darauf hingewiesen: Nicht Schauen und Erkennen ist mein innerster Beruf, sondern „Leben“ und „Erleben“; ich gehe ein in jenen tatsächlichen Vereinigungszustand mit Christus, das heißt mit seiner göttlichen Person und damit auch mit seinem ganzen Sein. – Über diesen meinen inneren Weg, sowie im Allgemeinen über den Weg zur Vereinigung mit Gott wurde mir in den vergangenen Wochen vieles erklärt. Gott trägt gleichsam in seinem göttlichen Wesen alles als absolutes Eigentum, was immer er durch das „Wort“ geschaffen hat. Wie die heiligste Dreifaltigkeit nur eins324 ist, so trägt sie auch alles Geschaffene gleichsam in sich wie in einem Kreis; alles ist und besteht in Gott, in seinem göttlichen dreifaltigen Kreislauf. Außer und neben Gott besteht nichts Göttliches, nur Geschaffenes, weil er der absolute Alleinherr ist. Auch der Mensch war durch die Teilnahme am göttlichen Leben in der Gnade in gewissem Sinne in diesen göttlichen Kreislauf einbezogen, aber durch die Sünde trat er gleichsam aus dem Kreis heraus, weil er sich außerhalb des göttlichen Willens betätigte. Durch die Erlösergnade Christi nun wird der Mensch wieder in diesen göttlichen Kreislauf hineingezogen, weil er durch Christus wieder das göttliche Leben und die Befähigung zur Teilnahme daran erhalten hat. Durch jedes gute und religiöse Werk wird der Mensch tiefer und lebendiger in Christus für das göttliche Leben befähigt, kommt er gleichsam dem Mittelpunkt des göttlichen Kreislaufes näher, nimmt er intensiver daran teil, und dieses göttliche Leben behält er dann als dauernde Frucht für die ganze Ewigkeit. Durch das „Wort“, durch Christus wird uns alles göttliche Leben vom Vater zugeteilt.

1789 |        Ich schaute in diesem Zusammenhang auch die verschiedenen mystischen325 Vereinigungsgrade. Mannigfache innere Läuterungszustände befähigen die Seele zum „Innewerden“ und „Schauen“ Gottes. Die Seele erfasst und unterscheidet Gott in seinen göttlichen Geheimnissen. Innere Reinigung führt die Seele zu immer innigeren Vereinigung mit diesem geschauten und erfahrenen Gott, und so kommt die Seele schließlich zu einem wirklichen Vereinigungszustand, der – wenn die Seele treu ist gegenüber der Gnade – nicht mehr unterbrochen wird und sich immer mehr steigert. Unterbrochen aber wird immer wieder das Erfahren und Schauen Gottes, das Wissen und Erleben der Vereinigung mit Gott, denn es gibt in diesem Leben keinen dauernd gefühlten oder fühlbaren erlebten Vereinigungszustand, d. h., keine dauernden außergewöhnlichen Erlebnisse. In diesem Sinne ist das innere Leben einem bestimmten326 und beständigen Wechsel unterworfen, bestehen bleibt aber die wirkliche und wirksame Gnade des Grades der erworbenen Vereinigung mit Gott, die immer tätig ist und sich im Tugendleben kraft der Vereinigung auswirkt. Mit dem wiederholten zeitweisen Erleben der Vereinigung wird die Seele immer tiefer, weiter und wirksamer327 in die verschiedenen Geheimnisse Gottes eingeführt. Hierin ist der Weg der einzelnen Seele ganz verschieden. Wesentlich gleich bei allen Seelen bleibt aber der Weg der Vereinigung mit Gott selbst. Auf den höchsten Stufen wird Gott selbst zum Leben der Seele und wirkt gleichsam aus ihr. – Im Grunde hat nur der wirkliche bestehende Zustand der Vereinigung entscheidenden Wert vor Gott und bestimmt sich danach dann auch die Ewigkeit, wenn auch die verschiedenen guten Werke alle Gott näherbringen und wohlgefälliger machen.

1790 |        Der wesentliche Vereinigungszustand mit Gott in diesem Leben äußert sich in manchen unaussprechlichen Wirkungen; er ist immer wirksam, wird nie unterbrochen, kann sich in diesem Leben fortwährend erhöhen und auswirken, und er beruht nicht auf Täuschung, weil sich seine Kraft und Wirksamkeit in der Seele selbst betätigt und zeigt. – Gewiss kann sich dieser Vereinigungszustand auf ein bestimmtes göttliches Gebiet, auf ein besonderes Geheimnis Gottes hinrichten; denn Gott kann sich der Seele in einer besonderen Art mitteilen und die Vereinigung sich in der Seele auswirken lassen, gemäß der Vielfalt seiner Absichten in den Seelen. Auf diese Weise und auf diesem Weg kann auch ein bestimmtes Geheimnis Gottes in einer Seele zum dauernden Erlebnis werden aufgrund eines schon erworbenen Vereinigungszustandes. Hier wirkt sich dann die wesentliche Vereinigung mit Gott bzw. Christus aus aufgrund des Einsseins mit ihm. In diesem Sinne wird dann das Erleben und Erfahren Gottes in diesem oder jenem besonderen Geheimnis wie ein „natürliches“ Erleben, freilich in einer höheren und höchsten Gnadenordnung, aber hervorkommend aus der erreichten wesentlichen Vereinigung als wesentliches Erleben, Ertragen und Erleiden Gottes (in leidender Form), nicht hervorgerufen – wie auf den Unterstufen des mystischen Lebens – in geistig-visionärer Gottesschau, durch ein besonderes328 einströmendes besonderes Gnadenlicht. Gott selbst wirkt dann in der Seele und nicht so sehr ein besonderes gegebenes Gnadenlicht. Weil die wesentliche Vereinigung dauernd ist und dauernd wirksam sein kann, so kann auch ein solches Erleben eines Geheimnisses Gottes ein dauernder Zustand werden.

1791 |        Mit dieser inneren Erklärung wurde mir mein Geistesweg nahegebracht. Darauf habe ich die göttliche Führung geschaut: Mein inneres Erleben Jesu ist ein ähnlicher wesentlicher Weg, bei dem die besondere Vereinigung mit Jesus zum Ausdruck kommt im Erleben seiner inneren leiden. (Wenn ich mich mit dem Worte „schauen“ ausdrücke, so ist in diesem Sinne viel mehr ein „inneres Innenwerden“, ein mir mitgeteiltes Wissen in geistiger Form gemeint; aber der Einfachheit des Ausdruckes wegen bezeichne ich es mit dem Worte „schauen“.)329

 

14.09.1942

Fest Kreuzerhöhung

1792 |        Als ich heute Morgen in die Kapelle ging, kam ich in eine unbeschreibliche innere Konzentration. Ich war meinem eigenen Sein wie ganz weggenommen330 und enthoben und wurde mit der göttlichen Person des „Wortes“ in eine wesentliche Verbindung geführt, wie zu EINEM Leben und als MEIN Leben. Ich erlebte diesen Zustand als mein Ziel. Ich war ganz „genommen“ zu diesem Erleben der zweiten göttlichen Person und lebte die Akte des göttlichen Wortes, wie es vom Vater ausgeht. Es sind dies aber nicht „Akte“ im menschlichen Sinne, sondern es ist Sein der höchsten Vollkommenheit, die schon besteht, aber in menschlichen Akten übernommen und gelebt und so zu einem menschlichen Leben wird. Noch nie habe ich dieses göttliche Geheimnis in dieser höchsten Weise und in dieser Form erlebt wie heute, wo ich für mein eigenes Sein ganz ausgelöscht war, wobei aber doch wieder mein gewöhnliches Leben bestehen blieb. Es ist ein unaussprechliches „wirkliches Leben“ voll Erhabenheit und Geistigkeit – aber es gibt ja kein entsprechendes Wort dafür.

1793 |        In diesem wirklichen Erleben des göttlichen Wortes wurde ich hingewiesen auf das größte331 Wunder, das die heiligste Dreifaltigkeit im irdischen, menschlichen Leben Jesu wirkte: Das göttliche Wort wurde nicht erst im Augenblick der Menschwerdung für die Zeit des irdischen Lebens gezeugt, sondern es geht auch für die Zeit seines Erlöserlebens jeden Augenblick in seiner Art vom Vater hervor. Dies ist das wunderbarste Geheimnis zwischen Vater und Sohn. „Immer in seiner Art“, auch während des Erlöserlebens! Und in dieser göttlichen Form „lebt der Sohn die göttliche Gleichförmigkeit mit dem himmlischen Vater“; so tat Jesus immer den Willen des Vaters in jener göttlichen Einheit und doch in seiner menschlichen Gestalt und in menschlichen Akten und entsprechenden Betätigungen. „In jener göttlichen Gleichförmigkeit mit dem Vater“: Man muss dabei das göttliche Wesen des Vaters schauen in seiner innergöttlichen Herrlichkeit, Vollkommenheit und Harmonie332, um dieses erhabenste Geheimnis würdigen und anerkennen zu können.

1794 |        Dabei habe ich vorausgesehen, dass mir dieses Geheimnis zum dauernden Erleben, d. h. zu MEINEM Erlebnis werden wird. – Aber wie groß sind auch die inneren Leiden, durch die ich auf jenen endlichen Vollzustand vorbereitet werde! Fast unerträglich scheint der menschlichen Natur dieser Zustand der Vergeistigung und inneren Erhabenheit, der sich ständig in mir erhöht. Abends meine ich, nicht schlafen zu können, weil die Geistigkeit so vorherrschen ist, dass man von der körperlichen Ruhe doch keinen Genuss hat. Es ist mir, als sei ich zwischen Himmel und Erde, aber ohne eigenen physischen Genuss. Man mein, vergehen zu müssen unter diesem „Übermaß des Geistes“, das man in sich trägt. Auch der Körper kommt sozusagen unter diesem Druck des Geistes zu keinem Recht mehr, denn alles beherrscht das Geistesleben. So hart und schwer ist dieses gänzliche Absterben für das eigene Sein, um sich für ein erhabeneres Leben in Christus bilden333 und bereiten zu lassen!

1795 |        Meist am Morgen nach der heiligen Kommunion werde ich dann in einen Vollzustand des Vergeistigt-Seins versetzt und ich komme dann in einen Zustand der „Leichtigkeit“ und Freiheit von mir selbst, der mit keinem Worte zu beschreiben ist. Ich bin dann innerlich so fein und fügsam und elastisch und gehoben, dass ich mir selbst ganz fremd geworden bin. Gerade in und mit diesem Geisteszustand werde ich dann in jener besonderen Weise mit der göttlichen Person Christi vereinigt, dass ich ihm ohne weitere Bemühung ganz so folgen kann, wie wenn es mir natürlich und mein eigenes Leben wäre. Die entsprechende notwendige Disposition ist dann geschaffen. Aber auch dieser Vergeistigungszustand erhöht sich in letzter Zeit immer wieder334 von Tag zu Tag. Zwar kommt mir immer wieder vor: noch mehr mit Jesus harmonisch, noch mehr ihm angepasst und noch mehr in mir selbst ausgeglichen zu sein ist nun unmöglich und ich muss doch wohl das Höchstmögliche erreicht haben, aber nachdem ich dann innerlich wieder durch schwere Leiden gegangen bin, erlebe ich doch wieder, vielleicht schon am nächsten Tag, ein viel höheres Stadium der inneren Erhabenheit und des Vergeistigtseins.

1796 |        Mit diesem Zustand ist wesentlich verbunden eine unaussprechliche Ruhe und ein volles „in sich selbst Befriedigtsein“. Ich bin dann ganz Ruhe, Ruhe, Ruhe, Frieden und Kampflosigkeit. Man ruht in sich selbst. Es wäre nach meinem eigenen Erfahren auch unmöglich, den oben erwähnten Zustand des Erlebens Jesu ertragen zu können, wenn man in sich nicht vollends ausgeglichen wäre und nicht die entsprechende Harmonie und Ausgeglichenheit hätte. So begreife ich auch die Notwendigkeit, über die Bedürfnisse und Befriedigungen des niederen Menschen hinauszuschreiten und in sich selbst, auch natürlicherweise und in natürlicher Hinsicht, zur Ruhe und Selbstbedürfnislosigkeit zu kommen, um so dann jenen Vergeistigungszustand aushalten zu können. – Dieser innere wesentliche Zustand ist die Voraussetzung und Grundlage, um mit Christus harmonieren und zu einem Leben verbunden werden zu können. Darum ist es merkwürdig, wie sich der Heiland innerlich gleichsam „misst“ mit mir bzw. mit meiner jeweils erreichten geistigen Tragfähigkeit (ob sie ihm auch schon angepasst und genügend sei). Manchmal, besonders in Leidenszeiten scheint es dann, dass eine geistige Berührung mit Jesus ein unaussprechlicher Schmerz ist; man kann seine göttliche Geistigkeit nicht ertragen und fühlt sich gleichsam zurückgeworfen. Die Seele Jesu war von Anfang an entsprechend der göttlichen Einwirkung vergeistigt und vergöttlicht335, während ich erst zu dem Vergeistigungsgrade geführt und befähigt werden muss, der meinem Vergeistigungszustand in Christus entspricht und der notwendig ist, um dem inneren Erleben folgen zu können. – Jesus „zeigt“ sich dann mir im inneren Erkennen: „So gehe ich aus dem Vater hervor und so bin ich in mir selbst“ – und als Gegensatz dazu zeigt er mir dann meine arme „Vollkommenheit“, so wie er mich schon gebildet hat: Ach, welch schmerzlicher Gegensatz! Da bekommt man einen Eindruck von göttlicher und menschlicher Reinheit. So unaussprechlich rein und erhaben ist Gott! Und doch arbeitet Jesus jeden Augenblick so intensiv an meiner Vervollkommnung und Heiligung. Der ständige Drang, das eigene niedere unvollkommene Leben zu verlassen und dem erkannten höchsten Reinheits- und Heiligkeitsideal zuzustreben, bzw. im Leben und Sein Jesu es erreichen zu können, ist ein wahres, inneres Martyrium.

1797 |        Heute Morgen habe ich so tief und zugleich so einfach wie bis jetzt noch nie meine innere Harmonie in EINEM Leben mit Jesus, in seinem göttlichen Hervorgehen vom Vater erfahren. Dies dauernd zu erleben schaute ich als mein Ziel, dem ich zuschreite. Jubelnd und freudig habe ich mich dem Heiland für mein ganzes Leben dazu angeboten, denn wer einmal Gott in solch erhabener Weise gekostet hat, den gelüstet nie mehr nach anderem. –

1798 |        Untertags war ich heute wieder sehr im Leiden, aber es bleibt in mir immer das Wissen um den göttlichen Zustand des ewigen Wortes bestehen, wie es aus dem Vater hervorgeht und wie ich ihm innerlich angeglichen werden und mit ihm harmonieren soll. Das innere Hindrängen zu dieser Befähigung ist eine wahre, mich verzehrende Qual.

 

15.09.1942

1799 |        Mein Seelenzustand ist ähnlich wie gestern; ich bin im Erleben jener Geistigkeit und Erhabenheit, die ich gestern früh als im vorausgegebene Gnade hatte, um die kommende Einheit mit dem göttlichen Worte ertragen zu können. Ich leide in mir die noch bestehenden Gegensätze und Hindernisse weg, die ich gerade in diesen Leiden dunkel erfahre, ohne sie eigentlich benennen zu können. Ich bin daran, „alles zu verlassen“, was mich hindern könnte im Erleben des göttlichen Wortes. Und dieses „alles“ ist mein eigenes Sein für jeden Selbstgenuss, auch den Genuss der göttlichen Vereinigung für mich selbst. Ich spüre, wie jeder Selbstgenuss auch in der Form des Genießens Gottes umgeschaltet wird in das Erleben an Stelle Christi, sodass das Leben der göttlichen Person Christi wie zu meinem eigenen Erleben seines Seins wird, d. h. wie an seiner Stelle.

1800 |        Besonders verzehrend ist die Qual des Verlangens nach jenem Ziel und „Ruhepunkt“, den ich in und mit den Leiden ständig in mir erfahre. – Ich möchte mein jetziges Innenleben vergleichen mit dem Mann im Gleichnis des Evangeliums vom Schatz im Acker. Er verkaufte und gab alles hin, was er hatte, und kaufte den Acker mit dem Schatz. So habe ich im Erfahren des göttlichen Geheimnisses vom Vater und Sohn diesen göttlichen Schatz erkannt und genossen, und bin nun daran, alles hinzugeben, um diesen göttlichen Schatz erwerben zu können. Immer ruft es gleichsam in mir in verzehrender Sehnsucht: Ich will alles hingeben, alles, alles um in den Besitz dieser Schätze, das ist Gott selbst, zu gelangen. Ich möchte über mich selbst hinaussteigen, um dauernd in jener Konzentration ruhen zu können, die in sich selbst die Ruhe ist. – Ich weiß aber auch, was Großes und Schweres in jenem geistigen Bereich des Verzichtens auf alles Eigene für mich selber liegt. Doch das Schwergewicht meines Seins ist bereits „hinübergeschritten“, liegt schon „jenseits“, sodass die Leiden diesseits noch schwerer empfunden werden; das Tor ist schon so weit geöffnet, dass es mich unwillkürlich dort hineinzieht.

1801 |        Während ich so leide, schreite ich auch dauernd weiter im Erkennen Gottes und meines geistigen Weges. Gott selbst ist und wird mir zum Licht. In diesem Licht, das Gott ist, weiß ich um seine Absichten mit mir. Das Wissen und Erleben Gottes ist, wenn auch „dunkel“, eine beständige Wirkkraft in mir geworden, und in ihm werde ich immer mehr in ihn hineinbewegt. Ein göttlicher Lichtstrahl ist mir zum Weg geworden, der mir die geistige Richtung zeigt: Vom Vater ging dieser göttliche Lichtstrahl aus, von seinem Wesen, während ich dieses göttlich wesenhafte Ausgehen des „Wortes“ erkannte, wie es in mir zum Nacherleben gelangen wird: Dies werde sich vollziehen wie in einer „geistigen Empfängnis“. Zwar ist dies fast nicht auszusprechen, aber es wurde mir so klar336 „gesagt“ und auch die Form und Art des im Voraus gezeigten Aufnehmens des göttlichen Wortes zu meinem Erleben entspricht dieser Bezeichnung. Ich schaue und erkenne das Zeugen des göttlichen Wortes, wie es im Vater sich vollzieht; meine Seelenkräfte „nehmen das Wort in Empfang“ und „leben“ es in menschlicher Weise. Ich habe ganz gut diesen geheimnisvollen Vorgang begriffen und ich bin mit dieser wirksamen Gnade des Erfahrens in den Zustand der Vorbereitung auf jenes „Aufnehmen“ des göttlichen Wortes eingetreten.

1802 |        Ich konnte auch den Zweck und die Absichten Gottes mit dieser Form des Erlebens Jesu durchschauen: Das höchste Geheimnis Christi kommt damit zum Durchbruch und zur Offenbarung, jenes Geheimnis, das wesentliche Grundlage in seinem gottmenschlichen Leben und Wirken war; das immerwährende Hervorgehen seines göttlichen Wesens vom Vater, wie es sich mit seinen menschlichen Kräften sich zum göttlichen Erlöserleben geformt hat. Diese göttliche Inspiration, nein, dies göttliche Leben aus dem Vater selbst und das Ineinandergreifen der beiden (unvermischten) Naturen, der göttlichen und der menschlichen, die den leidenden Erlöser Christus formten: Dies tiefer begreifen zu lassen ist Gottes Absicht, und zwar mit dem höchsten und letzten Zweck und Ziel, dass Christus mehr erkannt und anerkannt werde in seinem verborgensten Geheimnis und dass die in der Erlösung bekundete unendliche Liebe Gottes mehr verherrlicht werde. Als letzte und endliche Frucht meines Erlebens Jesu (in der angedeuteten Form) wurde mir daher gezeigt: „Eine größere und tiefere Erkenntnis Christi“!

 

17.09.1942

1803 |        Ähnliche Leidenszustände. Tieferes Eingehen in das göttliche Geheimnis der Zeugung des „Wortes“ im Vater. Die inneren Erkenntnisse über das göttliche Wort vertiefen sich fortwährend, d. h., ich gehe erlebend tiefer in dieses Geheimnis ein. Das „Licht“ ist der Weg und es ist ein Weg des Lichtes.

1804 |        Ich habe auch innerlich klar erfahren und erkannt: Die immerwährende Zeugung des göttlichen Wortes besteht im „Erkennen337“ des Vaters. Ich kann dieses göttliche „Erkennen338“ noch nicht in dem Maße durchdringen und beherrschen, dass ich dieses göttliche Geheimnis näher in Worten erklären könnte. Ich habe das „wie“ geschaut, kann es aber nicht erklären. Das Wort ist das Resultat, und der Ausdruck des „Erkennens“, und das göttliche Erkennen geht darum – nicht zeitlich, aber unseren menschlichen Begriffen nach – der „Bildung des Wortes“ (um in menschlichen Ausdrücken zu sprechen) voraus. Im göttlichen Wesen des Vaters ist ein immerwährendes ihm eigenes göttliches Selbsterkennen339, ein „Selbstaussprechen“, ein gewisses ausdrückbares „Selbstwiederholen“, das daraus folgt. Dies scheint mir nach meinem inneren Erfahren das Tiefste und Erste zu sein in der göttlichen Zeugung des Wortes im Vater. Dem göttlichen Erkennen, der tiefsten göttlichen Bewegung im Wesen des Vaters folgt sozusagen der Ausdruck und Ausfluss dieses göttlichen Erkennens, der sich als Selbststand340, als zweite göttliche Person gleichsam „formt“ und sich „ergießt“. Dieser göttlich-wesenhafte Ausdruck als Folge des göttlichen Erkennens wurde im göttlichen Worte selbst zur „Tat“ in der Schaffung des Universums und im Erlöser Christus.

 

19.09.1942

1805 |        Heute bin ich in einem ruhigen, leidlosen Zustand. Ich bin in mir ganz konzentriert und ganz „leicht“, in mir gleichsam341 zusammengeschlossen. Diese innere Harmonie scheint und ist mir eigen, braucht nicht mehr erst erworben zu werden und scheint mir ganz selbstverständlich zu sein. Ich spüre immer mehr, wie mein eigenes Sein mir zum Erkennen der göttlichen Geheimnisse wird. Mein inneres342 Wissen um das Geheimnis des Vaters und des Sohnes ist nicht ein aufgenommenes und geschautes Wissen und Erkennen, sondern kommt sozusagen aus der Natur meines Lebens und Seins. Ich bin gleichsam selbst aufgenommen in dieses göttliche Geheimnis; durch die Vereinigung mit Christus wird es mir wie naturhaft eigen und ich bewege mich darin.

1806 |        Als ich heute in der Kapelle über dieses, mein „naturhaftes“ Wissen um das Geheimnis des Vaters ganz erstaunt war, wurde mir die geistige Antwort: In der Vereinigung mit Christus „erkenne“ ich den Vater, das Geheimnis Gottes in sich, denn nur durch Christus kann man den Vater erkennen.

1807 |        Mein inneres Verhalten ist ein gern gegebenes Ganzopfer für das Erleben der göttlichen Geheimnisse, aber mit keinem Worte kann ich die Einfachheit meines Innenlebens erklären. Es ist so, als müsste es gerade so sein.

 

20.09.1942

1808 |        Ich bin in einer näheren, speziellen, geistigen Vorbereitung auf das „Aufnehmen-Können“ des göttlichen Wortes, gleichsam im Augenblick seines Hervorgehens vom Vater. Meine Seelenkräfte verfeinern sich immer mehr, um diesen allerhöchsten göttlichen Vorgängen folgen zu können; es wird in mir die dazu nötige Disposition geschaffen. Probeweise lebe ich dieses Aufnehmen und „Empfangen“ des göttlichen Wortes zu Zeiten schon voraus. Mein Sein ist gleichsam auf die höchste Spitze gestellt und so kann ich den göttlichen Regungen mühelos folgen. Dieses Vorausleben ist dunkel, fast ohne fühlbare göttliche Einwirkung oder besonderes Licht, denn die geistige Entwicklung selbst ist das Licht und die Erklärung. Nur zeitweise bricht gleichsam ein göttlicher Lichtstrahl durch und beleuchtet heller den Weg und Ziel. Jenes Vorausleben vollzieht sich auch mitten in größten Leiden, wobei es dann in mir zu einer Spannung kommt zwischen Können und Nicht-Können. Das innere passiv gegebene Streben ist aber so groß, dass meine menschliche Schwäche dadurch geradezu überschritten wird.

1809 |        Gestern Abend kam ich dann in einen geistigen Ruhestand: Ich ruhte in dem schon erreichten Harmonieren mit der mir gestellten geistigen Aufgabe. Heute aber scheint mir jener erreichte Zustand und jenes Ziel wieder nicht mehr zu genügen.343 Ich spüre, wie jener gestrige Zustand nur in der „Spitze meines Seins“ vollständig war und heute wird darum auch mein niederes Sein für jenen Zustand344 der Harmonie mit dem Wort umgeformt. Es ist eine innere Vorbereitung und geistige Befähigung auf die „mystische, geistige Empfängnis des Wortes“. – Diese meine innere Vorbereitung auf das wirkliche Erleben und Leben des Erlöser-Christus setzt eben in mir die Möglichkeit einer geistigen Harmonie, Angeglichenheit und Übereinstimmung mit der göttlichen Person Christi voraus, wodurch mein menschliches Sein ohne Missklang, Disharmonie, ohne Zögern, Widerstreben oder Hemmung den Impulsen des göttlichen Seins der Person Christi folgen kann. In dieser heute wieder (vorübergehend) vorauserlebten geistigen Harmonie mit Christus muss ich dann noch befestigt werden, d. h., es muss ein Dauerzustand werden, da ich sonst – so lässt mich der Heiland wissen – die kommenden inneren Leiden gar nicht ertragen könnte und von ihnen erdrückt würde. Die Vereinigung meines Willens mit dem göttlichen Willen muss darum gleichsam eine unauflösliche und unabänderliche Tatsache geworden sein, wie auch jetzt mein freies Wollen allen Leiden (der Furcht, des Widerstrebens usw.) schon längst in Gott vorausgeeilt ist. Das „Leben Christi“, das ist die wirksame und sich auswirkende Vereinigung mit ihm, ist für mich dann die Kraft in seinem Erleben, und zwar so, dass ich die entsprechende Vergeistigung besitze, um mit seinen göttlichen Kräften harmonieren und in vollem Einklang mitgehen zu können. – Es werden aber immer meine menschlichen Kräfte bleiben, die in Kraft der Vereinigung mit Christus jene göttlichen Erlebnisse werden ertragen müssen und können (also nicht so, als ob ich dadurch Christus würde oder sei). Mein gewöhnliches äußeres Leben wird nicht aufgehoben werden und wird keine sichtbare Änderung erfahren, aber es wird gelebt werden DURCH jenes höchste Erleben in mir.

1810 |        Ein besonderer göttlicher Lichtstrahl beleuchtete mir folgendes Geheimnis: Gott Vater bringt im eigenen Sich-Erkennen als göttlichen Ausdruck das „Wort“ hervor und das „Wort“ ist darum der wesentliche Widerschein des Vaters, des Erzeugers. Weil aber die unendliche Gerechtigkeit des Vaters den Fall und die Sünde der Menschheit als eine Beleidigung und als einen Gegensatz zu seiner Schöpfer- und Vaterliebe erkennend in sich trug, so spiegelte sich auch im Sohne, dem Vater Gezeugten und seinem wesensgleichen Abbild, das gleiche Wissen um diesen Gegensatz und Widerspruch zur Heiligkeit, Liebe und Gerechtigkeit des Vaters, die auch die seine war. Zudem hatte jener Widerspruch und Gegensatz gewisse besondere345 Beziehungen zum „Wort“ als dem Urbild der Schöpfung und Haupt der Menschheit, das noch dazu freiwillig den Auswirkungen jenes göttlichen Widerspruches und Widerstreites (im Vater gegen die Sünde) sich unterwarf, indem es die menschliche Natur annahm und die Menschenschuld auf sich lud. Im Sohne wurde dann jener vom Vater mit göttlicher Vollkommenheit erkannte Gegensatz und Widerspruch zu seiner Vaterliebe und Gerechtigkeit menschlich gelitten und ausgetragen, und so wurde das Unrecht gutgemacht, die Beleidigung gesühnt, der Gegensatz gelöst.

 

21.09.1942

1811 |        Diese vergangene Nacht war schwer, aber am Morgen erreichte das innere Leiden noch seinen Höhepunkt. Es war ein sich-selbst-verzehren, ein passives sich-selbst-entäußern, wofür es keinen Ausdruck gibt. Es ist eine unaussprechliche Qual noch hier sein zu müssen (= das „mich“ noch leben zu müssen), während das Höchste meines Seins kraft der führenden Gnade schon in Gott aufgegangen ist, und dabei liege ich in scheinbar ganz unüberbrückbaren und unüberwindbaren eigenen Hindernissen. Diese geistige346 Spannung, nicht mehr hier und nicht ganz dort zu sein, noch nicht vollendet zu sein in dem klar erkannten Ziel, während der Zug der Gnade so überaus stark ist: Dies war für mich wie erdrückend. – Mitten in den größten Leiden aber in der Kapelle raffte ich alle geistige Energie zusammen und opferte mich freiwillig, wie von mir selbst geopfert, dem Heiland auf für alle Leiden, die sein Erleben für mich mit sich bringen wird. Es war ein freiwilliges Überwinden meiner selbst, folgend dem innersten Liebesantrieb dem Herzen Jesu gegenüber. Ich opferte mich auf, nicht nur weil Jesus diesen Opfer- und Leidensweg für mich bestimmt hat, und nicht nur um dem Zug seiner Gnade zu folgen, sondern weil ich ihn über alles liebe und weil ich stets tun will, was ihm die größte Ehre bringt. Nicht, weil es meiner Seele zum Nutzen sein wird, sondern einzig aus Liebe und freiwillig will ich ihm in allem und zu allem347 Opfer sein. Ich erwarte und erbitte von Jesus, dass er mich bis zu meinem letzten Atemzuge in dieser freiwilligen Opfergesinnung erhalte, so wie er sich ganz freiwillig in allem dem himmlischen Vater unterworfen hat, ohne irgendwelchen Zwang, ohne Eigennutz348, einzig aus Liebe.

1812 |        Nach dieser Überwindung meines zaghaften und leidensscheuen Temperamentes und im Aufstieg zur reinsten und höchsten Liebe zu Jesus kam eine große starke Ruhe über mich. Die inneren Leiden lösten sich in vollem Frieden auf. Ich ruhe gleichsam in den Armen des gütigsten und liebenden Gottes und es lebt eine alles überwindende Kraft in mir. Ich habe wohl ein großes Verlangen nach geistiger Vollendung in Christus, aber ich bin dabei in großem Frieden.

1813 |        Im Laufe des Tages hatte ich wieder eine geistige Schau über das Geheimnis des göttlichen Wortes, wie es aus dem Vater hervorgeht; ich kann mich aber nicht gut ausdrücken über dieses göttliche Geheimnis. Ich erkannte im göttlichen Wesen des Vaters ein ewiges Sein des349 Wissens um seine göttlichen Vollkommenheiten. Gott ist sich seines göttlichen Seins immerwährend wesentlich350 bewusst, ewig um sich wissend (bei Gott gibt es keine Zeit; all seine göttlichen Vollkommenheiten sind Vollzustand, Sein). Dieser Urgrund des göttlichen Wissens um Sich im beständigen Sein wogt aber in einem göttlichen Sich-erkennen, das gleichsam eine immerwährende göttliche351 Gegenüberstellung, ein göttliches wesentliches Abbild seines Seins ist, ein göttlicher Ausdruck seiner selbst, hervorgebracht durch diese wesentliche göttliche Bewegung des immerwährenden Sich-Selbst-Erkennens. Dieser göttliche Ausdruck seines Sich-Selbst-Erkennens ist in sich selbst begründet, obwohl vom Vater hervorgebracht, doch aus göttlichem Wesen gezeugt, darum Selbststand und selbstständige göttliche Person, ein Abbild des Vaters, vollkommenster Ausdruck und Wiedergabe seines göttlichen Wesens, eins im Wesen, aber verschieden im Selbststand, in der Person. Ewig, weil von Ewigkeit aus jener göttlichen Bewegung hervorgehend. Gleicher Macht und Herrlichkeit mit dem Vater, nicht abhängig, obwohl aus ihm gezeugt, eine wirkliche, allerhöchste, göttliche Verherrlichung des Vaters, weil ihn vollkommen ähnlich und unabhängig, ein wirklicher göttlicher Sohn und der Ausdruck seines göttlichen Wesens, doch eines Wesens oder eine Natur mit dem Vater, Zwei in einem.

 

23.09.1942

1814 |        Meine Hinopferung aus Liebe, die ich gestern gemacht habe, wirkt sich immer mehr in meinem Inneren aus. Ich selbst mit allen geistigen Gütern und meinem ganzen Sein bin zu einem Liebesopfer Gott gegenüber erhoben. Frei und aus Liebe übergebe ich meine Freiheit dem inneren Wachstum Christi in mir, d. h., ich bin ganz in sein reinstes Liebesopfer hineingezogen.

1815 |        Ich spüre dieses volle Hineinwachsen in seine vollkommene Liebesbetätigung. – In Christus war die Liebe alles und sein ganzes Leben war getragen von der Liebe. Wenn man so zu tiefst an Jesu Innerstem teilnimmt, erlebt man diese wahrhaft göttliche Liebe, aber dieses Erleben und Wissen in Worten auszusprechen, ist unmöglich. Es ist die Liebe des Vaters, die im, Herzen des Sohnes pulsiert, und diese Liebe war immer noch größer als alle Erlöserleiden; sie war unendlich größer als seine Leiden und sie überragte sein Erlösungsopfer; die Liebe stand „darüber“, d. h., er liebte mehr, als er gelitten hat.352 Aber für dieses geistig Erkannte gibt es wieder keinen Ausdruck.

1816 |        Ich bin nun in der inneren Verfassung, an dieser göttlichen Liebe teilzunehmen und immer mehr dafür befähigt zu werden. Ich fühle mich getragen von dieser Liebe, die alle Opfer und Leiden gleichsam leicht macht. Ich spüre, wie die Liebe mich innerlich vollendet und mein ganzes Sein vollständig umwandelt. Ich muss ja befähigt werden, göttliche Liebe ertragen zu können und die Liebe als einzige Triebfeder gebrauchen zu lernen, um in den kommenden Leiden die Liebe als Kraft gebrauchen zu können und um die inneren Leiden des Herzens Jesu auch in seiner Liebeskraft tragen und überwinden zu können. Doch von dieser Liebe, zu der ich jetzt in Christus erhoben bin, kann ich nicht sprechen, denn die Liebe macht alles einfach und selbstverständlich und hat keine Worte; die Liebe tut alles und gibt sich schrankenlos hin. – Nun bin ich ganz aufgegangen in das Liebesopfer Jesu, des Erlösers.

 

24.09.1942

1817 |        Ich bin so weit vorgeschritten, dass ich in geheimnisvoller Einheit mit dem göttlichen Worte lebe, oder vielmehr: Ich lebe „Es“. – Nach meinem letzten inneren Erfahren aber genügt mir dieser jetzige Vollkommenheitszustand und diese Einheit mit Christus wieder353 nicht mehr; es drängt mich weiter. Schon erlebe ich in meinem geistigen Blickfeld eine noch höhere Möglichkeit und auf dieses im Voraus erlebte Ziel werde ich nun hingeleitet. Das göttliche Wort lebt aus sich selbst sein göttliches Leben, obwohl vom Vater gezeugt und aus ihm hervorgehend. Im göttlichen Sohne kommt das göttliche Leben des Vaters gleichsam zum höchsten Ausdruck in seinem menschlichen Leben. Im göttlichen Worte kam die Fülle des göttlichen Lebens zur Offenbarung.

1818 |        Dabei erkenne ich die innere göttliche Wirksamkeit des göttlichen Lebens im Menschensohne, wie es gleichsam übertragen war auf menschliche Lebensfunktionen, aber immer354 göttliche Einheit blieb, in sich selbst geordnet und gelebt. Das Sein aus sich,355 ohne Teilung, nicht werdendes Leben, sondern Seiendes (dafür gibt es eben keinen Ausdruck, aber ich weiß es so gut) – dementsprechend war die menschliche Seele Christi, die von seinem göttlichen Leben durchlebt war. (Ich habe schon früher einmal über den Zustand der ersten Seele in ihrem Vollkommenheitsstand geschrieben, wie sie aus des Schöpfers Hand hervorging, und Christus trug in sich eine solche erste Seele, aber viel höher ausgestattet für das göttliche Leben.)356 Die göttliche Person „gebrauchte“ die Seele Jesu für ein göttliches Leben. Die Seele „nahm“ das göttliche Sein mit seinem unaussprechlichen Vollkommenheitszustand „auf“ und „trug“ es als seiendes, menschliches Leben, nicht erst ein werdendes mit sich entwickelnden geistigen Lebensfunktionen. Diese geistigen Lebensfunktionen waren schon da mit der göttlichen Person des „Wortes“ und lebte die Seele Christi ein. Das Geheimnis des „Aktus“, der absoluten Seinszustand Gottes der schon bestehende Vollkommenheitszustand mit seinen göttlichen Auswirkungen, blieb unverändert im Erlöser Christi bestehen, weil die göttliche Person des „Wortes“ die Trägerin dieser wesentlichen göttlichen Vollkommenheiten war und ist.

1819 |        Ich kann das Wort nicht aussprechen, das den inneren Zustand Christi in seinem menschlichen Leben erklären könnte, obwohl ich in ständiger Übung bin, mich diesem inneren Zustand Christi zu nähern: Die absolute Sammlung allen geistigen Seins in einem Lebensakt, der das Leben selbst ist, bedeutet vollendete Übung, aber nein, in Gott gibt es keine „Übung“, ist schon alles Tat und Vollbringen. Ich erkenne dabei den geistigen Vollkommenheitszustand, der meinerseits für dieses Erleben notwendig und gegeben ist. Ich erlebte auch die Folgerungen, die jenes Nacherleben für mich mit sich bringen wird. Noch besteht und bewegt sich eine geistige Spannung zwischen meinem jetzigen inneren Zustand und dem höheren wirklichen erleben. Ich erfasste den notwendigen geistigen Habitus, der mich mit dem göttlichen Worte dermaßen EINEN soll und muss, dass ich zu jenem höchsten und letzten Ziel gelangen kann, das eigentlich durch die führende Gnade schon in mir vorgezeichnet und umschrieben, ja, durch den schon erreichten Zustand der Einheit in Christus gleichsam unauslöschlich in mir eingeprägt ist. So ist das göttliche Leben selbst die ureigenste Triebfeder in mir, um mich mehr und mehr in sich umzuformen. Dieses göttliche Leben steht keinem Augenblick in mir still, sondern es lebt und lebt mich immer mehr und durchlebt mich. In einem Augenblick werde ich wie durch einen göttlichen Funken immer wieder gleichsam „vorausgetragen“ in einen noch höheren Zustand, auf den dann alle meine Geisteskräfte hingespannt und das innere Verlangen hingerichtet und mitgenommen wird. Dann gibt es kein Genügen und kein Ruhen mehr, sondern alles in mir strebt unaufhaltsam und unaufhörlich dem erfahrenen nächsten Ziele zu.

 

27.09.1942

1820 |        Am 24. des Monats erlebte ich mich im Voraus in einem höheren geistigen Zustand in einer unaussprechlichen Einheit mit dem göttlichen Worte und den entsprechenden Auswirkungen seines göttlichen Lebens und Seinszustandes in mir, d. h. in welchem Maße die göttliche Person meine Geisteskräfte in Anspruch nehmen wird, und zwar in einem Dauerzustand, zu EINEM LEBEN ergänzt. – (Es ist wiederum zu einfach, als dass es einen Ausdruck dafür gebe) –. Trotz des begleitenden Genusses hohen Friedens und voller Harmonie wirkte dieses Vorauserleben aber für mich noch wie erdrückend. Unerträglich schien schon die eigene geistige Betätigungslosigkeit: Die göttliche Person ist in sich alles, was man geistiges Leben und Betätigung nennt, sie begreift in sich schon alles in Vollendung und Vollzustand; diese Tatsache und dieses Erleben wirkt wie ertötend für das gewöhnliche menschliche Leben. Die menschliche Seele ist ein werdendes, ständig strebendes und sich entwickelndes Wesen und darum auf ständige Selbstarbeit angewiesen und unbedingt daran gewöhnt. Da die göttliche Person Christi aber alles in sich hatte, was ein geistiges Leben im höchsten Sinne ausmacht und für ein göttliches Leben befähigt, so wurde in der Seele Jesu nichts an geistigem Leben erzeugt oder entwickelt, sondern alles schon in Vollendung gelebt. Das göttliche Leben war alles in der Seele Jesu und doch lebte und trug die Seele Jesu das göttliche Leben mit der ihm eigenen personhaften Funktion. Hier liegt das größte Geheimnis der Verbindung von der göttlichen Natur des Wortes mit der menschlichen Natur, wobei jede ihre volle Funktion behielt und doch die göttliche Person das Tragende und Beherrschende war, ohne dass die menschliche Natur dadurch eingeschränkt wurde.

1821 |        Nach diesem Erlebnis am Morgen wurde ich untertags nach und nach in ein unaussprechliches geistiges Leiden versetzt. Die am Morgen erlebte innere Vergeistigung blieb mit allen Auswirkungen für mich bestehen, wurde aber zu meinem größten Leiden: „So kann ich nicht bestehen; ich muss vergehen“, in diesem Leiden wurde ich hin und her geworfen. Dazu entfalteten sich die in mir für diesen Zustand noch bestehenden Hindernisse und bald war ich in ein Meer von inneren Leiden versenkt, für die es keinen Ausdruck gibt. Ich war wie zermalmt von geistigem Schmerz und wie in mir selbst aufgelöst. Kein Ruhepunkt, keine Anlehnung, weder nach außen noch nach innen; ich musste gleichsam aus mir selbst bestehen können und in mir selbst die Lebenskräfte bilden. Ich musste das „tätigkeitslose“ göttliche Leben und der einen Funktion des „Seins“ ertragen lernen, um damit allein bestehen zu können. Dies setzt aber eine unsagbare Vergeistigung der Seele voraus, wie sie durch solche Leiden in mir erworben werden sollte. Es schien mir, als sinke ich in mir selbst zusammen, als sei ich in mir selbst haltlos geworden, als habe ich keine eigene Existenz mehr.

1822 |        Durch solche stufenweisen Leidensperioden sollte sich meine seelische Vergeistigung erhöhen, um das göttliche Leben des Wortes in seinem (menschlich gesehen) „tätigkeitslosen“ oder vielmehr bemühungslosen Seinszustand ertragen zu können. – Bei solchen inneren Leiden wirkt auch noch der besondere Umstand mit, dass sie sich zugleich auf meine hilflose äußere Lage erstrecken und auf diese übergreifen. Es wird mir gleichzeitig [und] so merkwürdig vor Augen meine verdemütigende äußere Lage geführt, und all die Leiden deretwegen in den letzten Jahren, dazu – menschlich gesehen – die äußere Aussichtslosigkeit der Gründung des von Gott gewollten Priesterinstitutes, die vor meinen Augen gleichsam nur auf meine eigene Unmöglichkeit und Armut und Nichtigkeit zurückgeführt wird. Es ist ja ganz unmöglich357 und unglaublich, dass Gott so Großes mit mir wolle, dass ich ihm in einem für die Kirche so entscheidenden und großen Werk als Werkzeug dienen soll. – Ich erlebe und erleide aufs Neue alles Scheitern schon versuchter Wege zur Ausführung und dabei kommt mir erst recht mein grenzenloses Elend zum Bewusstsein; (mein Innenleben ist überhaupt unzertrennlich mit dem Priesterinstitut verbunden.) – Ich werde so ganz in den Zustand meiner völligen Ohnmacht hineingeführt und erlebe deren Wahrheit bis in die tiefsten Abgründe. Und doch steht trotzdem dabei der Wille Gottes bezüglich der Gründung mir mit noch größerer Sicherheit vor Augen und alles Scheitern der auf innere Anregung hin unternommenen Wege wird auf meine Nichtigkeit zurückgeführt. – Ebenso vollständig ist die innere Vernichtung auf dem Gebiete meines Innenlebens. Es scheint mir alles ganz unmöglich, denn ich schaue in erschreckender Weise meine geistige Armut und mein eigenes Nichts; ich vergehe in diesem Anblick meiner Nichtigkeit, und doch bleibt mir dabei mein Geistesweg unaustilgbar eingeprägt. Zu gleicher Zeit bin ich in einer so hohen Weise358 in Christus hineingehoben und erlebe ich schon im Voraus eine noch höhere Stufe des Einsseins mit ihm; hier löst sich dann der Gegensatz zwischen meiner Armut und dem Geistesziele aus.359

1823 |        In dieser abgrundtiefen Selbstvernichtung bin ich trotzdem in einem so vergeistigten (passiven) Zustand, dass ich nirgends irgendwelche Anlehnung oder Ruhepunkt finde. Ich bin auf dem weiten Meer, von Sturm umhergetrieben, dem eigenen Untergang überantwortet, und habe nicht einen Strohhalm, der mir zur Stütze dienen könnte. Aus mir selbst muss ich mir einen Halt schaffen, in mir selbst eine Existenz auf diesem geistigen Meere erwerben. In diesen Leiden werde360 ich gleichsam ganz aus diesem Leben hinausgedrängt, weil doch nichts mehr an Halt und Trost und Stütze für mich vorhanden ist. In mir selbst scheint alles leer und ich bin wie begraben in der Geistigkeit. Und doch MUSS ich mir eine neue Existenz in mir selbst schaffen dadurch, dass ich mir die ständig gebotene Geistigkeit aneigne und mich damit gleichsam ganz auf die eigenen Füße zu stellen lerne, denn in der geschilderten inneren Lage müsste ich vergehen vor Schmerz. – Indem ich mich bemühe, mich an diese gebotene Geistigkeit und „Leere“ zu klammern, und damit befähigt werde, sie zu gebrauchen, hellt sich die innere Finsternis auf und das Licht bricht hervor zusammen mit dem inneren Halt in einem neu erworbenen Zustand.

1824 |        Es ist mir ganz merkwürdig und auffallend361, welch starkes Rückgrat ich mir in den letzten Leiden erlitten habe. Ich bin mir nun selbst Stütze und Halt und Kraft. Ich bewege mich nun wie mit362 Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit in der mir jetzt eigenen Geistigkeit und sie ermüdet mich auch nicht mehr. – Ich spüre, wie auch meine physischen Kräfte entsprechend gebildet und übergeführt werden, um dem Leben der Seele zu folgen und es ertragen zu können. Diese Vergeistigung macht sich auch dadurch bemerkbar, dass sich jedes „Genießen“ der notwendigen natürlichen Bedürfnisse umstellt, d. h., man hat nicht mehr den befriedigenden Genuss von Essen und Schlaf. In erster Linie muss ich in der Kraft des Geistes bestehen können, muss die Kraft des Geistes gebrauchen und genießen lernen. Und doch blieb mein äußeres Leben bis jetzt363 ganz gewöhnlich.

1825 |        In den letzten Tagen ist das große Leiden wieder abgeebbt und ich lebe die neue Kraft als Frucht und Wirkung des vergangenen Leidens. Ich bin dadurch innerlich überreich geworden und lebe als Gewinn eine größere Vereinigung und Einheit mit dem göttlichen Wort, aber nicht „fühlbar“, sondern „habituell“ als mein Leben. Ich bin nun wieder viel364 tiefer in das Wesen Gottes im Allgemeinen eingedrungen und nehme dementsprechend intensiver am göttlichen Leben des Wortes teil. Ich möchte mein inneres Leben vergleichen mit einer geistigen Kugel, die nirgends ein Ende hat. Vom einen Mittelpunkt vom Zentrum der Kugel gehen alle Radien aus. So lebe ich gleichsam die ganze geistige Kugel mit dem einen Zentrum und Mittelpunkt, in EINEM Wollen, das aber schon naturhaft ist. Ich lebe mein Sein durch das Zentrum selbst ohne weitere Zersplitterung; ich bin in mir selbst befestigt und lebe aus und mit einem Akt mein geistiges Leben. Und dieser Akt, der schon naturhaft ist, durchdringt mich ganz, gerade wie wenn die Kugel im Inneren in viele Grade geteilt wäre, die aber alle vom Mittelpunkt ausgehen und im Mittelpunkt zusammenlaufen und habituell mit einem Akt schon geleitet sind. – Ich weiß aber, dass sich dieser geistige Zustand noch immer mehr erhöhen und auswirken wird. Gerade vor dem letzten großen Leiden habe ich ja Christus in seinem menschlichen Leben so tief erkannt: Das göttliche Leben belebt nicht nur seine Seele, sie machte auch sein ganzes menschliches Leben zu einem göttlichen Leben. Dieses göttliche Leben im Menschen Christus war das Höhere, dem seine menschlichen Kräfte in voller Harmonie eingeordnet waren. Die göttliche Person hat den ganzen Menschen365 Christus vergöttlicht.

1826 |        Gestern habe ich in einem göttlichen Lichtstrahl auch das ganz große Geheimnis erkannt: Wie war es möglich, dass Gott Mensch werden konnte? Wie konnte sich die göttliche Natur in ihrer Unbegrenztheit, Erhabenheit und reinen Geistigkeit in eine menschliche, begrenzte Natur bzw. in eine menschliche Seele einfügen, ohne diese zu verdrängen und einzuschränken – wie es sich tatsächlich im Gottmenschen Christus vollzogen hat? – In einem Augenblick schaute ich die Antwort: Das Geheimnis dieser Möglichkeit liegt in der Gottebenbildlichkeit, in der die Seele bzw. der Mensch von Gott geschaffen wurde. (Meine früheren Erkenntnisse über die Gottebenbildlichkeit der Seele wurde dabei erweitert und vertieft.) Ich erkannte noch viel tiefer das Wesen Gottes in seiner Reingeistigkeit und deren verschiedenen Auswirkungen. Ich erfasste auch tiefer das Wesen einer Person im Allgemeinen: Das Wissen um die eigene Existenz und des Selbstregierens, der eigene Selbststand, der freie Wille, die Anlagen des Verstehens und des Beherrschens und doch wieder die eigene Um-Sich-Geschlossenheit, die ein Wesen vollständig und selbstständig macht, das von einem „Ich“ getragen und geführt wird. – Ich sehe alle unendlichen und vollkommensten Anlagen des Wesens Gottes in niederer, beschränkter Form auch in der menschlichen Seele vorhanden und grundgelegt: Die Geistigkeit, Unsterblichkeit, den freien Willen, die Anlagen des menschlichen Verstandes, die Person oder das „Ich“ im Menschen, die eigene Freiheit und eine gewisse Unumschränktheit, mit der der Mensch der Schöpfung vorstehen sollte; auch die Anlagen des Gemütes, die Leibesfähigkeit usw. im Zustand vor der Sünde, als die Seele in ihrer Unberührtheit, Geistigkeit und Reinheit unmittelbar vom Schöpfer kam. Dementsprechend war auch der Leib des Menschen den Bedürfnissen der Geistesseele angepasst; es herrschte in diesem Zusammenleben lautere Harmonie und Einheit, obwohl beide verschiedener Natur waren. Ich erkannte so tief das Geheimnis des Menschen, der nur für Gott geschaffen und deshalb auch „gottfähig“ war. Zwischen Gott und Mensch war in dieser Hinsicht nichts Artfremdes, obwohl Gott unendlich, der Mensch aber geschaffen war und sein Dasein nicht aus sich hatte wie Gott: „Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild“. Gott wiederum ließ sich zum Menschen herab und verkehrte mit ihm in der trautesten Weise im Paradies. So war Gott dem Menschen das Nächste und zeigte sich ihm als der Nächststehende; Gott und Mensch waren sozusagen EINS. – Hier liegt schon die erste natürliche Möglichkeit, dass Gottes Wesen auch dem menschlichen Wesen einleben und damit leben konnte. Noch mehr aber erscheint dieses Geheimnis gelöst, wenn man hingeführt wird auf die übernatürliche Gnadenordnung, mit der Gott die menschliche Seele ausgezeichnet hat. –

1827 |        Der Mensch hatte seinen Ursprung im Urbild der ganzen Schöpfung, im göttlichen „Worte“ selbst, das in besonderer Weise gerade dem Menschen Vorbild und Urbild war. Der Vater nahm sich seinen Sohn zum Vorbild, als er den Menschen schaffen wollte. So sehr trug der Vater den Menschen in seinem Herzen, dass er ihn gleichsam in jenen göttlichen Kreislauf einbeziehen wollte, in dem eigentlich nur Göttliches sich bewegte. So groß steht die Seele vor Gott, eben weil sie aus seiner Hand hervorging und unbedingt nur für Gott geformt war. Darum konnte auch das göttliche Wort eine Menschenseele als sein irdisches Lebenselement gebrauchen, weil diese Disposition von Anfang schon in der Seele von Gott geschaffen war. Die Anlage für Gott war schon da. Gewiss war die Seele Christi mit einer höchsten göttlichen Ausstattung für das Leben des Wortes geschaffen, aber es war im Grunde doch die gleiche Seele wie die der Menschen, gleichfalls dazu bestimmt, ein vollständiges menschliches Leben herzustellen und zu leben. Das Göttliche war die Tragkraft und Triebfeder und das Beherrschende, die Seele war die dienende, die aber doch das göttliche Leben an sich geschehen ließ und ihm Werkzeug war.

1828 |        Ich habe ganz klar die entsprechende Ähnlichkeit zwischen Gott und Mensch geschaut. Damit ich klarer unterscheiden und die Menschwerdung besser verstehen könne, wurde meinem Geist schon früher Erkanntes in einem Augenblick wieder vorgeführt und auch die Gegensätzlichkeit zwischen göttlichen und menschlichen Anlagen gezeigt und gegenübergestellt. So begriff ich die Möglichkeit, dass göttliches Leben in der Seele einleben und mit ihr gleichsam wie in parallelen Linien verlaufen konnte. Dies Geheimnis, so wunderbar es ist, hat seine Lösung in der Gottebenbildlichkeit der geschaffenen Seele, der sich Christus in seiner Menschwerdung bedient hat. (Dass Gott diese Möglichkeit zur Wirklichkeit machte, ist und bleibt freilich das größte Wunder der Welt und Menschheitsgeschichte, ein Wunder der unendlichen liebe Gottes zu den Menschen).

1829 |        Nachdem ich oft und tief in das besondere Geheimnis und Wesen der „Seele“ eingeführt wurde, kann ich auch aus eigenem Erfahren bezeugen, in welchem hohen Ausmaß die Seele auch im gewöhnlichen mystischen Gnadenleben für Gott befähigt, und ganz für Gott geschaffen ist. Die Seele kann immerfort wachsen und sich gleichsam erweitern in ihrer Aufnahmefähigkeit für Gott. Man kann die geheimnisvollen Vorgänge dieses Wachsens an sich selbst in der ständig fortschreitenden Entwicklung der Vereinigung mit Gott beobachten. Die Seele kann sich Gott immer mehr anpassen, sich immer mehr aufnahmefähig für ihn machen und sich bis zur höchsten, in Worten nicht mehr ausdrückbaren Weise nach Gott umgestalten kraft der Vereinigung mit ihm. Dadurch wird sie in immer höherer Weise vergeistigt und sozusagen erweitert, was die Grundlage und Voraussetzung für das Erfahren Gottes in diesem Leben und auch für das Leben im Jenseits ist. – Auf solch hohem, erlebten Vereinigungsgraden wird die Seele gleichsam von Gott aufgenommen, und als Gefäß für sein Gnadenströmen gebraucht. Die Seele wird als Werkzeug benützt, mit dem Gott seine Pläne der Liebe verwirklicht, wobei der höchste und im Grunde einzige Plan Gottes mit der Seele immer der ist, sie für ein Leben mit und in ihm umzugestalten und zu befähigen, sie möglichst tief in das Leben Gottes hineinzuziehen und am Leben Gottes teilnehmen zu lassen. In solchen mystischen Vereinigungszeiten fühlt sich auch die Seele kraft der Eingießung des göttlichen Lebens und Geistes wie vergöttlicht und in Gott aufgegangen, und es ist ihr zugleich das verzehrende Verlangen eingeflößt, Gott in einer immer höheren Weise besitzen und erfahren zu können. Und Gott kann die Seele zu heroischer Gegenliebe entflammen, dass sie nur EINE Bitte an ihn richtet, die zu einer Qual des Verlangens werden kann: „Herr, lass mich 'du' werden, um dich mit dir zu besitzen;366 um dich mit dir (gleichsam als du) zu lieben, um dir mit dir367 zu dienen; denn nur durch dich selbst – vermöge deiner göttlichen Vollkommenheit der Liebe, die ich in dir erlebe – kannst du würdig verherrlicht und geliebt werden!“ – Wenn Gott eine Seele so tief in seine göttliche Erkenntnis einführen kann, so kann er sich auch einer Seele bedienen, um ihr sein göttliches Leben wirklich mitzuteilen, und kann er auch – wie er es im Erlöserleben tat – sein göttliches Leben durch eine Menschenseele leben. Gott kann eben nur durch Gott selbst (das ist in seinem Sohne) auf voll-würdige Weise geliebt und geehrt und verherrlicht werden und so hat Gott, die zweite göttliche Person, sich zum Menschen gemacht, um als Gott-Mensch, als menschliches Werkzeug, Gott dem Vater göttliche Ehre und Liebe zu erweisen. So hat er sich an die Spitze der Menschheit gestellt und Gott den schuldigen Dienst der Entschädigung geleistet und leistet ihn immer noch bis zum Ende der Zeiten. In ihm allein kann Gott auf Gott-entsprechende Weise geliebt, geehrt und ihm Sühne geleistet werden. Möchte doch der Mensch viel tiefer in die Geheimnisse und Fähigkeiten seiner Seele eindringen und eingehen und sie für den Dienst Gottes zur Entfaltung bringen, wie es in der Absicht Gottes liegt, der die Seele für sich geschaffen, gottfähig gemacht und dementsprechend ausgestattet hat!

1830 |        Mit diesem inneren Erleben wurde mir die psychische Möglichkeit der Menschwerdung des göttlichen Wortes erklärt. Und doch bleibt und ist die tatsächliche Menschwerdung Christi im Einwohnen der göttlichen Person in der begrenzten und endlichen Menschenseele das größte Wunder der Weltgeschichte, in Anbetracht der Unendlichkeit Gottes und seiner göttlichen Vollkommenheiten368 und seiner göttlichen unbegrenzten Natur. Ein größeres Geheimnis als die Möglichkeit der Menschwerdung ist das Wunder der göttlichen Liebe in der wirklichen Ausführung der Menschwerdung Christi. Kraft der unendlichen Liebe Gottes wurde sie vollzogen und wurde auf diese Weise die unendliche Liebe Gottes zu den Menschen wirklich gezeigt und geoffenbart.

1831 |        Der tatsächliche Vollzug der Menschwerdung des Sohnes Gottes ist das größte Wunder der göttlichen Liebe und Erbarmung und Herablassung zum Menschengeschlecht. Niemand kann das Wunder ermessen, das in den Worten ausgesprochen369 ist: „du hast, um die Menschen zu erlösen, den Schoß der Jungfrau nicht gescheut!“ – Das tatsächliche Herabsteigen des göttlichen Wortes offenbart das Übermaß der Liebe, die der Vater in der Sendung des göttlichen Sohnes gezeigt und in der Hinopferung des Sohnes vollzogen hat, d. h. in der Ausführung, der sich der Sohn freiwillig geopfert hat. Dass Gottes Sohn, die zweite göttliche Person, sich tatsächlich mittels der Seele in ein menschliches Leben eingefügt, sich in diese menschliche Enge begeben und sich gerade eines geschaffenen Wesens bedient hat, um damit in seiner göttlichen Person als Ersatz für die gefallene Menschheit dem Schöpfer göttliche Werke darzubringen: In dieser Tatsache zeigt sich das größte Wunder der Liebe Gottes zur gefallenen Menschheit.

 

30.09.1942

1832 |        Die entsprechenden inneren Reinigungsleiden dauern an und lassen mich zugleich immer mehr das „Leben Jesu“ innewerden, wenn man auch nicht in Worten aussprechen kann, WIE es sich in mir weiter entwickelt und steigert. Ich werde geheimnisvoll „genommen“ für Jesus Absichten in mir.

1833 |        Weil sich aber dieses Leben so geheimnisvoll in mir weiter erhöht, kommt mir dann doch zuweilen wieder die Angst, WIE mich denn Gott in dieser Weise in Beschlag nehmen kann, da ich es mir selbst nicht ganz erklären kann und Außenstehende nie ganz in meine inneren370 Erlebnisse werden eindringen können. In diesem Leiden wurde ich heute in der Kapelle von Dem, der mich liebt, getröstet: „Die Vereinigung mit Mir und meinem Willen wird dich niemals irreführen, wenn du nicht anderes suchst. Opfere dich zum Größten, wenn du es auch nicht verstehst! Suche nur meinen Willen und meine Ehre und überlasse dich Mir ganz! Wenn du selbst auch im Dunkeln bist und es nicht begreifen kannst, und wenn auch andere es nicht verstehen, ich habe meine Absichten dabei!“ –

1834 |        Durch diese geheimnisvollen inneren „Worte“ (ich muss den Ausdruck „Worte“ gebrauchen, weil ich mich sonst nicht erklären kann, obwohl es ein allerhöchstes Erfahren der Absichten Jesu in mir war; denn in diesem Stadium gibt es eigentlich keine Worte, man erlebt alles in Gott)371, worin göttliche Kraft lag, wurde ich neu gestärkt und innerlich mitgenommen zu einem noch höheren Verlassen meiner selbst, denn im Verlassen meines Eigenen erhöht sich das Leben Christi in mir und gibt mir neue Kraft. – „Wenn du es auch nicht verstehst und wenn auch andere es nicht372 verstehen, ich habe meine Absichten dabei“; gemäß dieser inneren Weisung habe ich mich wieder ganz rückhaltlos geopfert und dabei die Kraft Christi in mir dazu erfahren.

1835 |        Ich habe dann wiederum den entsprechenden Vollzustand in Christus vorauserlebt und dabei wurde mir innerlich erklärt: DIESE höchste wesenhafte373 Vereinigung mit Christus bildet die Grundlage für das Erleben seiner tiefsten und verborgensten Geheimnisse.

1836 |        Heute Abend bin ich innerlich wieder hingeführt worden in den höchsten Zustand, den Jesus mir als Ziel gesetzt hat – in einer Umwandlung in ihn –374, wo ich nämlich schon ganz in seinem Erleben aufgehen werde.

 

Oktober

01.10.1942

1837 |        Nachdem ich gestern Abend wiederholt meinen endlichen Zustand in Christus erlebte, ist etwas davon, d. h. ein Vorgeschmack oder die Grundlage jenes Zustandes, in meinem Wissen und Wesen375 haften geblieben. Ich bin so losgelöst von mir wie noch nie, und jene Grundlage ist wirklich schon in mir ausgebildet. Ich bin aber doch wieder sehr im Leiden.

1838 |        Nachdem ich für MEIN Leben nichts mehr genieße, drängt es mich unwillkürlich zum anderen Leben in Christus hin, obwohl ich weiß, das mich dort große Leiden erwarten; ich will aber nichts als „ihn“ – trotz aller Leiden.

1839 |        Heute, während der heiligen Messe in der Kapelle, hatte ich ein besonderes Erkennen über das Geheimnis: Wie wurde die zweite göttliche Person in ihrer Menschheit zum Leidenden, da doch die Gottheit, d. h. die göttliche Person, das Beherrschende, das ich im Gottmenschen ein Leiden in der göttlichen Natur nicht zulassen konnte? – Ich erkannte: Nicht die beiden Naturen in Christus, die göttliche und die menschliche, haben sich vermischt, sondern die Erlebnisse beider Naturen flossen ineinander. Ich habe auch das „wie“ erkannt, kann aber nicht darüber sprechen, weil das innere Wissen noch nicht flüssig und vollständig ist.

 

03.10.1942

1840 |        Heute Morgen hatte ich wieder ähnliche Erkenntnisse wie gestern über das Geheimnis: Wie wurde die göttliche Person in Christus zum Leidenden, wie war der psychologische Vorgang? Untertags aber kam ich wieder sehr ins Leiden, doch kann ich darüber nicht schreiben. Es war dies ein überaus schwerer Tag. –

 

04.10.1942

1841 |        Die inneren Leiden dauern an und richten sich auf das endliche und anscheinend volle Eingehen in Christus, das zum wesentlichen Erleben seines Inneren führt. Ich weiß, wie es dann in mir sein wird, finde aber kein rechtes Wort, um jenen Zustand zu erklären: Ich bin dann ganz in seine innere Stellung und ICH bin dann der Erleber seines inneren Wesens und Erlöserlebens.

 

05.10.1942

1842 |        Ich bin in ein unaussprechliches Feuer geistiger Leiden eingetaucht, die mich ganz durchglühen. So wie das Blut im Körper kreist, so scheinen mich diese geistigen Reinigungsleiden zu durchdringen. Ich spüre dabei eine Umstellung meines ganzen Wesens: Dieses innere Feuer nimmt mich ganz mit und in diesem Feuer, das Gott selbst ist, finde ich anscheinend meine neue Existenz, in die ich hineingestellt und in der ich begründet werde. Ich spüre aber auch, wie diese Leiden mich gleichsam empor und herausheben aus mir selbst, d. h. mich meinem eigenen persönlichen Sein entheben, und mich verwirklichen in einer neuen Existenz, die nicht von mir ist, aber der ich mit all meinen Geisteskräften dienstbar gemacht werde. In mir ist nichts mehr für mich selbst, alles in mir „wird“ für Christus befähigt und drängt auf den endlichen Zustand in Christus hin.

 

06.10.1942

1843 |        In dieser geistigen Umwandlung, in der ich mich jetzt kraft der inneren Leiden befinde, prägt sich immer mehr das „Leben“ Jesu aus, d. h., es wird die Befähigung für das Erleben seiner göttlichen Person in mir verwirklicht. Es ist wahr: Die Leiden sind das Licht und das „Leben“ in mir befähigt mich stets vollendeter für sich. Ich erkenne nun ganz klar die Absichten Jesu mit mir: Es geht aus auf das eine sein in ihm, auf das Nacherleben seines inneren Erlöserlebens, aber auf der höchsten Stufe der Vollendung; ich bin dann am Ende meiner Befähigung hierfür und damit erst dort, wo der eigentliche Anfang meiner inneren Aufgabe beginnt.

1844 |        Ich werde nun in einem geistigen Rückblick nochmals durch alle Stufen dieses Aufstieges hindurchgeführt und ich erkenne deren Bedeutung für jenes letzte Ziel. Obwohl jede einzelne Stufe schon eine Vorbereitung und eine Auswirkung des kommenden Erlebens Jesu in sich trug, scheinen sie alle doch nur Bestandteile der beabsichtigten Befähigung zu sein. Gott geht in seinen Wegen von außen nach innen, vom Groben zum Feinen und so erreicht er die endliche Verfeinerung und Vergeistigung der Seelenkräfte, womit ihm dann das letzte, vollendete Bild gelingt. Er lässt der Seele meist auch nur den Endzustand voraussehen, soweit es die Seele erfassen kann. Die Zwischenwege, die tatsächlich auch durchschritten werden müssen, lässt er zunächst verdeckt. Im weiteren Verlauf aber lässt er eine Stufe um die andere aufleuchten, und zwar in einem gewissen Zusammenhang mit dem Endziel, sodass die Seele meint, in der Stufe, die sie gerade fassbar in sich erfährt, sei schon die letzte und höchste Absicht Gottes enthalten und mit eingeschlossen. Man möchte sagen: So „täuscht“ Gott gleichsam der Seele eine Kürze des Weges vor, um sie nicht durch den Ausblick auf die langen, atemlosen Wege zu entmutigen; immer wieder oder wenigstens zeitweise meint die Seele schon am Ziel oder ganz nah am Ziel zu sein, weil die führende Gnade die verschiedenen Unter- und Zwischenstufen verborgen hält. Es wirkt darin seine göttliche Weisheit, die sich in ihren Absichten und Plänen der Schwäche der menschlichen Seele anpasst und sie stufenweise emporführt, ohne sie durch das Vorauswissen des einen, langen und weiten Weges zu entmutigen. – Damit hält Gott auch das Streben und Bemühen der Seele wach, sowie die Freude und den Mut des eigenen Bemühens in Verein und in Kraft der Gnade. Wenn man dann an einem Wendepunkt zurückschaut auf die mittels der Gnade zurückgelegte Wegstrecke, die offen und aufgerollt vor einem liegt, so muss man sich selbst eingestehen: „Hätte ich im Voraus um die Länge und Schwere dieses Aufstieges gewusst, so hätte ich mich wohl nie dazu entschließen können“.

1845 |        Ich habe nun seit einer Woche merklich eine letzte Annäherung an die Verwirklichung meines Vollzustandes in Christus erfahren. Dieser kommende Endzustand376 wurde mir in dem einen Wort erklärt: Ich werde erleben die PSYCHOLOGIE CHRISTI, das Seelenleben Christi für dessen eigenes Erleben meine Seele in vielen Vorbereitungsstufen377 umgewandelt wurde. Unter diesem Gesichtspunkt überschaue ich jetzt meinen zurückgelegten Weg in einer anderen, einfacheren Form. Ich schaue zurück auf die vielen Erlebnisse über das Wesen der zweiten göttlichen Person: Dadurch bin ich befähigt worden, diese göttlichen Einwirkungen in meiner Seele ertragen zu können. Meine Seele soll ja dienstbar gemacht werden einer ähnlichen, mystischen Vereinigung mit Christus, wie sie zwischen seiner göttlichen und menschlichen Natur in seinem Erdenleben bestand; meine Seele wird zur Trägerin dieser besonderen mystischen Vereinigung. Jetzt schließt sich gleichsam der Ring der wiederholten Erlebnisse Gottes und der göttlichen Erlöserperson zusammen in einem Akt378, der mich zum persönlichen seelisch-substanziellen Erleben Christi und seines göttlichen Geheimnisses führt.

1846 |        Es wurde mir in den vergangenen Tagen die absolut mystisch-wesentliche Grundlage meines geistigen Weges als Befähigung für das Erleben der Psychologie Christi erklärt: Nicht in Visionen oder Ekstasen (also in Begleiterscheinungen des mystischen Gnadenlebens) erfahre ich das Geheimnis Christi, des Gottmenschen, sondern auf dem wesentlichen Vereinigungsweg wurde ich dafür befähigt. Gewiss sind zuzeiten auch Begleiterscheinungen eingeschaltet worden, aber auch diese bewegten sich alle in rein geistiger Form, als geistige Visionen, niemals aber in wirklich ekstatischer Weise oder in Vollekstasen, wenn auch das wesentliche ekstatische Gebet die Grundlage meines Innenlebens in den ersten Jahren bildete; diese Gebetszustände gingen dann langsam in einen wesentlichen, substanziellen Verkehr mit Gott über.

1847 |        Von meinem Endzustand aus, den ich jetzt klar wie nie zuvor erkenne, schaute379 ich nun meinen geistigen Entwicklungsweg als Grundlage für das Letzte (- das sich in Worte zwar nicht ganz ausdrücken lässt, aber wofür ich befähigt werde und in der Befähigung stehe -): Ich bin der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christus hingegeben; meine menschliche Natur, bzw. meine Seele erfährt und erlebt wesentlich, substanziell dieses göttliche Geheimnis, nicht in „Worten“ oder „Schauen“ erklärt, sondern als habituellen Zustand; meine Seele „dient“ der göttlichen Person, um jenes Geheimnis mystisch wiederholen zu können; es ist meine menschliche Natur, deren sich die zweite göttliche Person in einem wirklichen Zustand meinerseits bedient; ich bin dazu genommen. Wie sich im Einzelnen alles auswirken wird, das ist mir noch ein Geheimnis und verborgen, obwohl ich gewisse, entsprechende geistige Begriffe davon schon habe. – Es ist, wie mir anders erklärt wurde380, eine Selbstmitteilung der göttlichen Person Christi an meine Seele zu einem vollen „Selbsterlebnis“ meinerseits. – In den vergangenen Tagen wurde mir nun der Weg erklärt, der mich für diese substanzielle Selbstmitteilung der göttlichen Person Christi an meine Seele befähigt hat. Ich überblicke all die verschiedenen Stufen der mystischen Mitteilung Gottes an die Seele, bist zur höchsten Spitze einer wesentlichen, substanziellen Selbstmitteilung Gottes.

1848 |        Wie Gott sich der sichtbaren geschaffenen Natur mitteilbar mitteilt, indem er sie erhält und ihr das Wachstum und die Entwicklungsmöglichkeit verleiht (sonst würde die Welt in einem Augenblick in ein Nichts versinken), so teilt er sich in besonderer, gnadenvoller Weise der Krone der Schöpfung, dem Menschen mit, der einbezogen ist in das Leben Christi in Gott durch die Teilnahme an den Erlösergnaden, bzw. durch das göttliche Leben in der Taufe. Für gewöhnlich gibt Gott sich und seinen Willen zu erkennen auf dem Weg der Gebote und des Evangeliums; er kann es aber auch auf besondere Weise tun und er tut es in vielen Seelen. (Eigentlich wollte es Gott bei allen Seelen tun und es wird sich erst in der Ewigkeit zeigen, in welchem Ausmaß auch in der jetzigen Gnadenordnung Gott sich und seinem Willen den Seelen in besonderer Weise zu erkennen gab; selbst unter den Verlorenen werden Seelen sein, die große und besondere381 innere Gnaden hatten.) Im gewöhnlichen Seelenleben des Durchschnittschristen zeigt Gott einer Seele seinen besonderen Willen z. B. in der Liebe zum Gebet oder in einer besonderen Andachtsübung, die ihr besonders zusagt und durch die sie mehr Gnade zu erlangen glaubt, in besonderem Trost beim Gebet oder bei guten Werken, wodurch Gott diese Seele mehr für sich zu gewinnen trachtet, in der Hingezogenheit zu Gott und religiösen Übungen oder in der Übung der Nächstenliebe. Ein solcher Zug zu diesem oder jenem Guten ist ein Ansporn, dessen Gott sich bedient, um der Seele seine Absichten der Gnade mitzuteilen, wobei er ihr auch noch entgegenkommt durch besondere Ruhe, Frieden und Befriedigtsein beim Befolgen solcher Antriebe. – Im höheren Geistesleben teilt sich Gott einer Seele mit durch besondere Erleuchtungen, durch ein höheres, in sich abgeschlossenes Erkennen seines göttlichen Willens, das eine bestimmte Sicherheit gibt, diesen göttlichen Willen zu erfüllen oder erfüllt zu haben. Auch der besondere Trost im Gebet ist ein mächtiges Lockmittel Gottes, um die Seele ganz für sich zu gewinnen und um sie für einen besonderen Gegenstand seines Wohlgefallens zu begeistern, wozu sich die Seele aufschwingen soll; das Irdische erscheint der Seele dann mit schwächerer Anziehungskraft und Gott gibt sich ihr mehr als das höchste Gut zu erkennen. – Hier scheidet sich der gewöhnliche Geistesweg vom außergewöhnlichen. Hier beginnt eine höhere Art der Mitteilung Gottes an eine Seele, womit er ihr in besonderer Weise seinen Willen zu erkennen gibt und sich ihr in besonderer Weise mitteilt. Im Grunde ist ja das ganze Christenleben ein „Anteil-haben“ an Gott, eine Mitteilung Gottes, auf die der Mensch entsprechend zu antworten verpflichtet ist. In der mystischen Gnadenordnung geschieht nun diese göttliche Mitteilung oder das Erfahren Gottes und Erkennen seines Willens in einer besonderen Form, die nach meiner Erfahrung sehr verschieden sein kann.

1849 |        Der erste Grad ist wohl, dass sich Gott der Seele im mystischen Gebet vorstellt als „Der“, als Gott, als Erlöser, als der Liebenswürdigste, der die Seele über alles liebt und sie durch seine Liebe in besonderer Weise382 beglücken will, wenn sie ihm folgt. Unter diesem Gesichtspunkt treffen sich Gott und die Seele. Diese hat dabei auch ein schon vorhandenes Ahnen oder auch ein unbedingtes Wissen, dass „das“ Gott bzw. Jesus ist, der die Seele an sich zieht. Durch großen Eifer im Gebet und Abtötung kommen Gott und die Seele sich näher, Sie treffen sich in liebender Vereinigung, wobei die Seele entzückt ist von der Liebe und Herablassung ihres Erlösers. Diese Mitteilung oder Selbstoffenbarungen Gottes, in denen sich Gott der Seele zu erkennen gibt, sich ihr offenbart, werden häufiger und inniger, sicherer und bestimmter und es bildet sich eine unaussprechliche Vertraulichkeit zwischen den beiden Liebenden. In diesen Liebesvereinigungen beginnt nun Gott, der Seele seine besonderen Wünsche für sie mitzuteilen. – Er lässt sie erkennen, was ihm an ihr missfällt, welche Mängel sie an sich trägt, die er unbedingt verbessert haben will, welche Tugendübungen383 ihm an ihr besonders gefallen würden, welche Mittel sie gebrauchen soll, um sich ihm möglichst wohlgefällig zu machen. Es beginnt der Weg einer eifrigen Reinigung der Seele; entzückt über die Liebe Jesu will sie alles hingeben, um dafür ganz Gott zu gewinnen, der ihr gleichsam als Preis in Aussicht gestellt wird; Jesus teilt sich der liebenden Seele auch in seinen Vollkommenheiten mit, in denen er sich vor ihr enthüllt. Gott zieht dann zuzeiten seine fühlbare Gnade und384 Vereinigung zurück und lässt die Seele scheinbar allein arbeiten und sich mühen; so erprobt und bewährt die Seele ihre Liebe und Treue und macht sich damit würdiger und bereiter für höhere Liebesvereinigungen. Hier schneiden sich die speziellen Wege im mystischen Gnadenleben, weil doch fast jede (mystisch geführte) Seele von Gott auf ein anderes geistiges Ziel hingerichtet wird und daher im Einzelnen auch einen anderen Weg geht. – Gott teilt sich der Seele in diesen Zeiten intensiver mit; das heißt aber auch: Er verlangt volle Hingabe von ihr, absolute Trennung von der Welt und ihren Genüssen, soweit sie der Seele schädlich und hinderlich sein könnten für die Vereinigung mit ihm. Die Liebesvereinigung erhöht sich und wird zu einer vertraulichen Zwiesprache mit Gott. Und die ersten Worte Jesu sind entzückend für die Seele und machen sie zugleich erschauern, weil sie sich in solcher Nähe mit ihrem Gott erlebt. Diese vertraulichen Gespräche werden häufiger und schließlich sind Gott und Seele wie „zwei, die sich so gut verstehen“. – Inzwischen aber führt Gott die Seele schwere Wege der Abtötung und Selbstverleugnung, weil die eigene sinnliche Natur mit ihrer Genusshaftigkeit niemals mit solchen Gnaden zusammen385 bestehen könnte. Gott nimmt der Seele nun aber auch alles aus der Hand, was sie abhalten könnte von der Treue gegenüber ihrem Bräutigam. Das eigene Abgeben und Hergeben ist nun nicht mehr genug; Gott selbst beginnt jetzt, der Seele alles an irdischer Befriedigung zu nehmen, und sie wird unter großen Schmerzen von allem entblößt. Wenn aber die Seele aufrichtig und treu ist, fängt hiermit ein neuer Liebesweg an, der Weg der passiven Reinigung und Vereinigung. Es beginnt der Aufstieg der Seele auf Kalvaria. Doch wird sie innerlich immer wieder reich entschädigt durch viele tiefere Vereinigungsstadien, wenn z. B. Jesus selbst die Seele vom tiefsten Dunkel und der Nacht des Geistes386 ruft: „Komm an mein Herz! ICH bin es!“ – (O, dieses „Ich bin es“ entzückt die Seele) – „Steh auf und erfreue dich an mir nach der Nacht der Leiden!387 Hab keine Angst vor mir, denn ich liebe dich so sehr! Ich liebe dich so sehr, dass ich ganz in dich eingehen will. Ich will dich als mein Leben gebrauchen, mit dem ich leben will, und damit will ich mich meinem Vater nochmals zum Opfer bringen.“ – Nicht die Engel des Himmels können das Glück ermessen, von dem die Seele in solchen Augenblicken und Stunden durchströmt wird. Da wird die Liebe befestigt in der vollen Erkenntnis: Gott ist Alles, und wenn ich ihn nur auf Kalvaria besitzen kann, so lasse ich alles für ihn. Nach meiner Erfahrung liegen diese fühlbaren Ansprachen Gottes an die Seele etwa auf der mittleren Höhe des mystischen Lebens. Bei mir begannen sie am Anfang meiner besonderen Berufung (im Jahre 1922). Von dort zweigt auch mein innerer Geistesweg ab. – Meiner inneren Anregung gemäß soll ich hier nach meinem eigenen Erfahren beschreiben und erklären: Wie teilt sich der Seele Gott mit und welches war in meinem Innenleben die Vorbereitung und Vorbedingung für mein jetziges Stadium der Einheit mit Christus?

1850 |        Der mystische Gnadenweg verband sich nun bei mir mit einer besonderen Aufgabe, wobei aber die wesentliche mystische Grundlage immerwährend bestehen blieb, und alle Mitteilungen Gottes an meine Seele die Eigenart und Eigenschaften des wesentlichen Gnadenlebens beibehielten. Grundlage und Ziel blieb immer eine möglichst hohe Vereinigung mit Gott, ja es wurde mir schon bald zu Beginn meiner besonderen Berufung jene höchste Stufe der Einheit mit Christus – die mir nun bevorsteht – als letztes Ziel voraus gezeigt.

1851 |        Von den (geistig) fühlbaren Mitteilungen Gottes aus mündet der Weg in ein wesentliches Erfahren Gottes. Die fühlbaren Erlebnisse hören im höheren mystischen Leben mehr und mehr auf und die Gnaden Gottes werden auf eine wesentliche Art der Seele mitgeteilt. Über die (geistig) fühlbaren Ansprachen Jesu an die Seele hinaus gibt es noch höhere Vereinigungsakte und Stufen, wo Gott und Seele nimmer „sprechen“, sondern wo sie gleichsam ineinanderfließen und eine unaussprechliche Einheit des Lebens sich auszuwirken beginnt, die auch eine entsprechende innere Leitung der Seele mit sich bringt. (Gewiss bleibt die vorher beschriebene gegenseitige Verständlichkeit zwischen Gott und Seele immer im Grund bestehen; jene Ansprachen kommen immer wieder vor, aber sie werden seltener). Das Schweigen und in sich Verzückt-sein in den Augenblicken und Zeiten solcher Vereinigung und nach solcher „Zwiesprache“ ist höher als die Ansprache selbst. Von dieser Verzückung oder dem Genuss des „in Gott Aufgegangen-Seins“ tritt man wieder zurück zu einer liebenden Aussprache. Auf den höheren Stufen der umwandelnden Vereinigung und um die Zeit vor der geistigen388 Vermählung wird die Seele schon zur habituellen Vereinigung und zu einem dauernden Vereinigungsleben bereitet, das sich auch in andere Weise auszuwirken beginnt. Für gewöhnlich liegt die Seele in tiefer finsterer Nacht der Leiden wie begraben; sie meint, in sich vergehen zu müssen in der inneren Finsternis und Verlassenheit. Aber mitten in solchen Leiden, die für die Seele gleichsam unüberbrückbar für ein geistiges Licht scheinen, „berührt“ Jesus die Seele und augenblickliche erhebt sich die Seele, um Gott gleichsam ins Angesicht zu schauen, ihn zu erkennen und dem höchsten Genuss seines Seins sich zu erfreuen; aber im nächsten Augenblick versinkt dieses göttliche Licht in eine noch tiefere Finsternis, in der sich die Seele gefangen sieht. Es liegt etwas Eigenartiges um diese „göttlichen Berührungen“ deren sich Jesus bedient, um der Seele neue Kraft zu geben und sie seiner gnadenvollen Vereinigung zu erinnern, die im Grunde doch gleich weiter besteht, obwohl sich die Seele gänzlich vom Gott verlassen fühlt. In diesen höheren Lagen des mystischen Lebens wird nun die Seele angeleitet unterzogen,389 dass ihr die schon bestehende und vollzogene wesentliche390 Vereinigung genügt, dass sie aus diesen wesentlichen391 Kraftquellen nimmt und Gott „als Kraft“ gebraucht. In gewisser Hinsicht beginnt mit der geistigen Vermählung Gott selbst das Leben der Seele zu werden – die Seele ist bis zu jenen Stufen gereinigt und dementsprechend erhoben –, um Gott dauernd in der Seele besitzen zu können,392 während auch die fühlbaren Gnaden vielfach mehr zurücktreten393. Auch wenn Gott solche noch zu Zeiten gibt, haben sie doch eine andere Charakteristik, insofern Gott nun nicht erst „kommt“ und die Seele ruft, sondern er ist schon da und lebt schon mit ihr. So wird auch das innere Leben dauernd fruchtbarer.

1852 |        Mit der wesentlichen Mitteilung Gottes an die Seele beginnt diese auch in Gott selbst394, in seine innergöttlichen Geheimnisse, eingeführt zu werden. Gott selbst ist zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden und er führt sie dementsprechend, kraft der schon bestehenden Vereinigung und gleichsam durch sich selbst in seine inneren Geheimnisse, in sich selbst, ein. Gott selbst ist Licht und Leben der Seele und darum lässt er jene fühlbaren Hilfsmittel beiseite, deren er sich auf den unteren Stufen des mystischen Lebens bedient hat. In Kraft der schon bestehenden Vereinigung wächst die Seele immer mehr in Gott hinein und es beginnt gleichsam ein neues, fruchtbares Gnadenleben und eine weitere, höhere395 Umgestaltung der Seele in Gott. Er spricht auch für gewöhnlich nun nicht mehr in (geistigen) Worten, denn sein Sein ist selbst Licht und die Seele ist ungemein feinfühlig geworden und versteht und nimmt auch ohne Worte auf. Gewiss steigert sich auch in diesen geistigen Stadien der fortlaufende innere Reinigungsprozess in der Seele, ohne den ein höherer Fortschritt überhaupt nicht möglich ist; wenigstens ist dieser nach meinem Erfahren an einer noch mehr durchgreifenderen Läuterung gebunden.396 So kommt es zu einem Erleben Gottes in seinen höchsten Vollkommenheiten und Eigenschaften und der Grundzug des Innenlebens wird eine wesentliche Umwandlung und Umformung der Seele in Gott. Es wird in ihr eine weit höhere Anpassungsfähigkeit geschaffen als auf allen vorausgehenden Gnadenstufen. Gott selbst gestaltet die Seele um, und zwar durch sein Leben selbst. Gottes Leben ist immer wirksam und bedeutet für die Seele immerwährende Entfaltung und nie kann man da zu einer äußersten397 Grenze kommen. Das „Leben“ lebt immer und lebt die Seele in sich um (natürlich nicht so, als ob die Seele Gott würde oder jemals werden könnte, sondern die Umgestaltungsmöglichkeit der Seele in Gott ist infolge der Unendlichkeit Gottes grenzenlos).398 Die Seele wird befähigt, hineingezogen zu werden in Gottes tiefstes Sein; sie wird gottfähig gemacht und zu ihrem Vorbild hierfür wird das letzte und höchste Urbild des Menschen genommen, nämlich Christus selbst, dessen göttlicher Person sie zugestellt und in ständiger Umwandlung und Vervollkommnung nachgebildet und nachgeformt, man möchte sagen, an die Seite gestellt wird. (Wie schon auf den unteren Stufen ist auch jetzt dieses Gnadenleben von entsprechenden großen Leiden begleitet, weil es ohne Leiden und Bemühung keinen Fortschritt in diesem Leben gibt). – Die Art der Mitteilung Gottes an die Seele ist auf dieser hohen Stufe Gott selbst, aber es ist immer noch eine Mitteilung als irgendwie fühlbares Licht Gottes oder irgendwie wahrnehmbares Erleben Gottes. Darüber hinaus gibt es noch eine höhere Stufe, wo die Seele aus Gott „nimmt“ und ohne Vorbereitung sich seiner Absichten bewusst wird und bewusst ist. Das Wissen um seine Geheimnisse wird habituell im Teilnehmen an ihm; das scheint wohl die höchste Stufe zu sein. Gott ist für die Seele Leben und Mitteilung und die Seele ist schon aufgegangen in diese Mitteilung und lebt aus ihr, ohne es gleichsam noch wahrzunehmen. Hier herrscht auch die größte Einfachheit, weil Gott und die Seele schon „eines“ geworden sind; die vergeistigte Seele hat immer Zutritt zum Geiste Gottes.399 Gewiss wartet sie die Zeiten einer „fließenden“ Teilnahme ab und ist bereit, auch im Dunkel zu gehen. Aber doch ist die Teilnahme an Gott schon Zustand und habituell immer wirksam, wenn Gott auch nur zu Zeiten der Seele ihr seine göttliche Überfülle mitteilt. Im Grunde bleibt im ganzen mystischen Gnadenleben die gleiche Ordnung erhalten; nur in einer erhöhten Weise wirkt sich die Gnadenordnung aus: Es geht vom fühlbaren Erleben Gottes zum wesentlichen, zur wesentlichen Mitteilung Gottes an die Seele. Es bleibt aber auch immer, trotz aller Gnadenfülle, das dem mystischen Leben eigene Dunkel, die Finsternis des Geistes, bestehen. Ja, die Nacht des Geistes ist in den höchsten Gnadenstufen noch viel schärfer wirksam.400 Das eigene geistige Dunkel ist niemals so tief wie in diesem höchsten Erfahren, aber das Dunkel bedeckt nur die eigene Seele, weil Gott selbst wirksam ist in seinem wesentlichen Lichte. (Schon auf den unteren Stufen des mystischen Lebens soll ja das Dunkle und die Finsternis die Seele fähig machen für das Licht Gottes – was man wohl erst auf den höchsten Stufen ganz versteht.) Das Licht für sich selbst wird in der Seele ausgelöscht, weil schon alles Licht in Gott geworden ist und immer mehr wird. Die Seele kann ohne Vorbereitung und ohne eigenes fühlbares Wissen Gottes in seinen Geheimnissen bewusst sein; es ist dies aber kein Wissen als solches, sondern ein Seelenzustand des Lebens in Gott, von dem nun vieles offen geworden ist. (Gewiss ist das Erfahren Gottes in seinem vollen göttlichen Licht erst in der Ewigkeit möglich; hier ist es immer noch dunkel und an den Glauben gebunden, aber der Glaube ist in dieser Art der Teilnahme an Gott schon zur Sicherheit geworden.)

1853 |        Mit diesen Erklärungen wollte ich, der inneren Anregung folgend, das Wesen der Selbst-Mitteilung Gottes an die Seele schildern, so wie ich es erfahren habe. Von hier aus bewegt sich mein inneres Leben dem Vollzustand in Christus zu, in dem mir das Erleben der Psychologie Christi geboten werden wird. – Der hier beschriebene mystische Weg ist sicher nicht bei allen Seelen gleich. Ich habe ihn eben so geschildert, wie ich es in meinem Innenleben erlebt habe.401

 

07.10.1942

1854 |        Große innere Leiden …

 

08.10.1942402

1855 |        Die Leiden flauen ab und ich bin in einer großen Ruhe, aber in mir so leer wie eine Wüste.

 

09.10.1942403

1856 |        Morgens war ich in unaussprechlicher Ruhe und Leidlosigkeit. Wie seit Langem nicht mehr konnte ich wieder einmal eine Nacht ohne Leiden schlafen. Ich bin in mir so groß und unermesslich weit geworden, voll Freiheit und geistiger Bewegungsmöglichkeit. Ich ruhe in mir selber, und alles in mir ist mir selbst untertan in unbeschreiblicher seelischer Harmonie.

1857 |        Am Nachmittag aber wieder schwere Leiden und innere Verdemütigung. Es ekelt mich vor allen inneren Erlebnissen und am meisten vor mir selbst.

 

11.10.1942404

1858 |        Gestern war ebenfalls einen schwerer Leidenstag. Der vorherige harmonische Zustand blieb trotz der Leiden bestehen, aber gerade diese Harmonie wirkte nun wie ein zerstörendes Feuer im tieferen Grunde meines Seins und löste eine fast unerträgliche geistige Spannung in mir aus: Der höchste, schon erreichter Zustand möchte sich noch vollkommener durchsetzen, während anderseits noch ein verborgener, unbewusster Widerstand vorhanden ist: Widerspruch und Widerstreben und Ekel und eine geheime Furcht vor dem „Kommenden“, dem vollen Zustand in Christus, vor dem großen „Risiko“, gleichsam ins Meer (der Leiden Christi) zu springen und immer dortzubleiben mit der Hoffnung, nicht unterzugehen. Mein künftiges Leben scheint ein uferloses Meer zu sein, indem ich für immer bleiben werde.405 – So werde ich in mir selbst gleichsam „unterminiert“. Die große Ruhe, die ich trotz dieses Kampfes in mir erlebe, ist gleichsam tödlich gegenüber dem Widerstreben und Widerspruch der Natur in mir. Ich möchte sagen: Es ist eine „grausame“ Ruhe, die damit das letzte und verborgenste Widerstreben gegen das Höhere in mir vernichtet. Diese Ruhe ist gleich einer Ackerwalze, unter deren Schwere alles geglättet wird.

1859 |        Heute Morgen (11.10.1942) in St. Peter kam ich nach der heiligen Kommunion wieder in großen Frieden und Freiheit von jeder eigenen Hemmung gegenüber der göttlichen Führung.

1860 |        Beim Altare Mariens wurde ich dann in den Zustand einer vollen Bereitschaft versetzt, mich ganz in Maria dem Willen Gottes für seine Absichten in mir zu opfern. Es war, als lebe Maria in mir und, von ihr durchlebt und getragen, war ich innerlich veranlasst, mich für eine geistige (mystische)406 Mutterschaft dem göttlichen Worte zur Verfügung zu stellen. Es war wirklich eine ganz außergewöhnliche Gnade, die mir in und durch Maria zuteil wurde.

1861 |        Diese Gnade hatte auch eine ganz besondere Wirkung in mir: Ich kam in eine in diesem hohen Ausmaß noch nie erlebte Befreiung von mir selbst, in einen Zustand der inneren Freiheit und Unumschränktheit, der Befreiung auch von allen Hemmungen vonseiten der Geschöpfe, gerade so, als wäre ich ganz allein auf der Welt.

1862 |        Nach dieser großen Gnade in St. Peter war in mir die volle Bereitschaft, „mich ganz dem Herzen Jesu zu opfern“, und ich war geopfert für die Kirche, damit ihr durch das Erleben der göttlichen Erlöserperson eine neue Vertiefung der Erkenntnis Christi und damit eine größere Liebe Christi geschenkt und zuteilwerde. – In Maria war ich ganz diesem Zweck hingegeben.

1863 |        Aus diesen heutigen gnadenvollen Erlebnissen, die in mir nun bleibender Zustand geworden sind, konnte ich ersehen, wie vielfach die Art der Losschälung und Loslösung407 von mir selbst und von allem Äußeren ist, wie sehr die Gnade in mir tätig ist und wie schwer und lang der Weg ist, der mich für jenen hohen Zustand in Jesus befähigen soll. Dieser entzieht sich aber der eigenen Einsicht, es sei denn, man könnte mit einem göttlichen Lichte die erforderliche geistige408 Höhenstellung überschauen, in die meine menschliche Natur durch die göttliche Gnade allmählich und in ständigem inneren Wachsen versetzt wird. Schon die vielen Stufen des Aufstieges sind ein großes Geheimnis der göttlichen Gnade und diese ganze innere Arbeit Christi in mir ist ein merkwürdiges Werk seiner Gnade.

 

11.10.1942409

1864 |        In den letzten Wochen hatte ich wiederholt ein stufenweise fortschreitendes Wissen über das Geheimnis: Wie wurde Christus-Gott zum Leidenden? In welcher Form hat sich die zweite göttliche Person entäußert und sich infolge dieser Selbstentäußerung leidensfähig gemacht?

1865 |        Ich hatte diesbezüglich besonderes Erkennen und Wissen um das Wesen der göttlichen Natur, um deren Reingeistigkeit, wesenhafte Erhabenheit und absolute Leidensunfähigkeit. Ich wusste aber auch um das Geheimnis der Auswirkungen410 des Zusammenlebens der beiden Naturen in Christus. Schließlich wurde mir das Geheimnis in den beiden Sätzen zusammengefasst, in denen aber viel enthalten und eingeschlossen ist, was ich, der inneren Anregung folgend, im Einzelnen darzulegen versuchen werde:

1. Die Natur Christi wurde nicht bedrängt.

2. Die Erlebnisse der beiden Naturen (unvermischt bleibenden) Naturen griffen aber ineinander im Bewusstsein der einen göttlichen Person und so machte sich Christus freiwillig leidensfähig und zum Leidenden.411

1866 |        (Über diese beiden Naturen im Allgemeinen:) – Die Verbindung der göttlichen Natur mit der menschlichen in Christus war so eng wie die zwischen unserer Seele und unserem Leib, aber viel harmonischer (denn wir empfinden immer wieder die Störungen unserer gefallenen Natur gegenüber dem Höheren und Besseren). Die göttliche Person blieb sich wesenhaft ihres göttlichen Seins mit allen Auswirkungen des göttlichen Habitus bewusst. Für die Zeit seines irdischen Lebens hat Jesus auf die Ausübung vieler göttlicher Rechte und Vorzüge verzichtet und in gewissem Sinne seine Macht und Herrlichkeit abgelegt, sich ihrer entäußert und entblößt. Nicht ablegen konnte er jedoch das göttliche Bewusstsein und Wissen des ganzen Umfangs seiner göttlichen Vollkommenheiten. Er bliebe sich immer wesenhaft all seiner göttlichen Vorzüge bewusst, darunter auch seiner Leidensunfähigkeit, die an sich auch nach seiner Menschwerdung bestehen blieb, weil sie eine wesentliche Vollkommenheit Gottes ist. Christus hat aber freiwillig auch auf die Ausübung dieses göttlichen Vorrechtes und die Auswirkung dieses göttlichen Vorzuges insofern abgelegt, als er sich durch die enge Verbindung seiner göttlichen Natur mit seiner menschlichen ganz den Gesetzen seiner wahren menschlichen Natur überantwortete und dieser seiner erniedrigten Stellung sich bewusst war, und dies auf das Bewusstsein seiner göttlichen Größe und Würde wirken ließ. Seine der göttlichen Macht und Herrlichkeit entkleidete Lage in seiner menschlichen Natur wirkte sich – infolge seines freiwilligen Entschlusses – auf seine göttliche Person aus als verdemütigend und als Leiden und machte sie so zur leidenden göttlichen Person.

 

Erklärende Hinweise auf Selbsterlebtes

1867 |        Zur näheren Erklärung der göttlichen Leidensunfähigkeit und doch wieder der Leidensfähigkeit Christi wurde ich im Einzelnen hingewiesen auf eigene Erfahrungen, und zwar zunächst auf den großen Unterschied zwischen den Leiden auf den verschiedenen mystischen Stufen – für deren Bedeutung wurde ich all diese Stufen im Geiste hindurchgeführt. Nach meinem eigenen Erfahren haben die Leiden auf den unteren Stufen des mystischen Lebens einen ganz anderen Charakter als auf den höheren und höchsten412 Stufen. In den Anfangsstadien413 des geistlichen Lebens ist die sinnliche Natur von den inneren Leiden wie Trockenheit, Verlassenheit usw. niedergedrückt und beengt, weil ihr der geistliche Trost entzogen ist, den sie besitzen zu müssen glaubt; (– in diesem Verlangen liegt auch eine gewisse Berechtigung, denn auch Gott gibt ja den inneren Trost, damit sich die Seele daran erfreue und dadurch in seiner Liebe befestigt und zu noch größerer Hingabe an ihn veranlasst und geführt werde. –) Die Seele will noch zu sehr „genießen“ und die Früchte ihrer Hingabe an Gott beziehen und behaupten, und die sinnhafte Natur der Seele, die immer und überall eigene Befriedigung einheimsen will, leidet sehr unter dem Entzug des göttlichen Trostes, den sie vielleicht gewohnt war. – Außerdem greift Gott auch schon auf414 den Unterstufen nicht nur durch Entziehen des gewöhnten Trostes ein, sondern mehr noch dadurch, dass sich die Seele daran gewöhnen, und damit zufriedengeben muss, immer nur den Herrn der Gnade zu suchen, und nicht die tröstende Gnade als solche; damit soll die tiefe Sucht und Neigung der gefallenen Menschenseele nach dem Selbstgenießen und Befriedigtsein ertötet, und soll die Seele freigemacht werden von dieser erbsündlichen, selbstsüchtigen Anlage. Jede Sünde entspricht ja ihrem tiefsten Wesen nach der jetzigen Sucht und Anlage des Menschen, in ungeordneter Weise sich selbst zu besitzen, dem eigenen Willen zu folgen, sich behaupten, erfreuen und genießen zu können. Durch die Leiden der geistlichen Trockenheit und Verlassenheit wird diese genusssüchtige Anlage der Seele und dieses Streben nach Befriedigung unterbunden und gehemmt. Die Seele wird in einen solchen Zustand der Leere, Öde und Finsternis415 versetzt, dass sie sich an nichts mehr ergötzen und nichts mehr genießen kann von dem, woran ihre Natur allzu sehr hängt. Durch diese peinvollen Leiden gelangt sie zu einer größeren Freiheit von ihrer eigenen genusssüchtigen Anlage (– auch in geistiger Beziehung ist die Seele durch die Erbsünde „genusssüchtig“ geworden –) und sie wird unter der Einwirkung jener Leiden fähiger, sich aus dem eigenen Egoismus und der Egozentrik zu erheben und sich unmittelbarer416 auf Gott hinzulenken; denn gerade durch diese Leiden wird sie gedrängt, sich um Hilfe an Gott zu wenden und in ihrer eigenen Leere bei ihm Zuflucht zu suchen und zu finden. Dadurch wird die Seele im Allgemeinen auch „aktiver“, mehr zur Selbstarbeit und zum eigenen Bemühen angetrieben, und das gibt ihr einen großen Vorsprung im geistlichen Fortschreiten. Es muss eine fortschreitende Aktivität in ihr geweckt werden, denn nicht so sehr im Genießen des geistlichen Trostes und der Gegenwart Gottes kommt sie auf dem Weg des Guten voran als vielmehr dadurch, dass sie sich von den Fesseln der Sünde und den erbsündlichen Anlagen befreit. Nur in dem Maße kommt ja die Seele zu einer wahren und dauernden Nähe und Vereinigung mit Gott, als sie sich von der Sünde und deren inneren Folgen freimacht. Darum drängt und führt Gott die Seele, die er zu sich erheben will, auf dem von ihm bereiteten Weg der Reinigung. Die Neigung zur Sünde, die den Menschen körperlich und seelisch so vielfach bedrängt, wird dadurch unterbunden. – Auch fromme Seelen, die nicht gerade auf dem mystischen Weg geführt werden, leiden oft sehr unter diesem Leiden der inneren Trockenheit und Trostlosigkeit und es kann dies immer für ein gutes Zeichen angesehen werden, dass Gott eine solche Seele höher führen, mehr an sich ziehen will. Und gerade das mystische Leben baut sich auf die zeitweise Entziehung des inneren Trostes auf, und wenn diese typischen inneren Leiden nicht vorhanden sind und sich nicht wiederholen, die nur eine tief gehende Reinigung der Seele bezwecken, kann man nicht auf echte mystische Begnadigung rechnen bei einer betreffenden Seele; denn ohne tiefe Reinigung kommt sie nie in die Nähe Gottes. Gewiss kann auch der böse Feind die Seele zur Schlauheit und zum Nachlassen im religiösen Eifer veranlassen, indem er ihr das religiöse Leben öde und fade und kraftlos vorstellt, und gar manche Seele scheitern auf diesem Weg im Guten und lassen nach, weil sie zu wenig aktiv sich bemühen. –417 Auch im gewöhnlichen Christenleben ist das Leiden in seiner vielfachen Gestalt größtenteils nur zu diesem Zweck von Gott geschickt oder zugelassen, dass sich der Mensch aus seiner niederen Gebundenheit erhebt.418 Gott hat immer eine größere Hinwendung der Seele zu ihm als Ziel.

1868 |        Gewiss können schon diese Leiden der Seele auf den Unterstufen des geistlichen bzw. mystischen Lebens ein Maß erreichen, das über die Kräfte der Seele zu gehen scheint. Ich habe im Alter von 17-20 Jahren öfter 12 bis 17 Wochen dauernder geistiger Finsternis, Trockenheit und des Misstrostes gezählt, wenn auch zwischen hinein durch eine vorübergehende fühlbare Gnade Gottes wieder „lichte“ Augenblicke eingeschaltet waren. Von Woche zu Woche meinte ich da: „Es geht nimmer; ich kann es nicht mehr aushalten“. Gott geht hierin scheinbar an die äußerste Grenze des für die Seele Erträglichen und schafft ihr die höchstzulässige Bedrängung, um all ihre Kräfte zu wecken, ihren Willen zu stählen und sie ans Ertragen zu gewöhnen. – Nach einer solchen Periode der Läuterung und Reinigung merkt aber die Seele, wenn sie ehrlich zusieht, welch großen Fortschritt im Guten sie gemacht hat und welche wesentliche Vorteile sie sich im Leiden erwirkt hat. Nach wiederholten derartigen Leidensperioden gelangt die Seele auf eine Höhelage des Geistes, auf der sie nicht mehr so sehr nach geistigem Trost verlangt und bereit ist, Gott auch ohne diesen Trost mit gleicher Treue zu dienen. Ja, die Seele erkennt, dass die Finsternis des Geistes ihr zum größeren Fortschritt dient und deshalb ist sie auch bereit, um Gottes Ehre und ihrer eigenen Heiligung willen, ebenso gern wie früher im Trost, nun in Finsternis und Trockenheit zu bleiben. Das ist schon ein großer Fortschritt im geistlichen Leben. Der Wille ist damit schon zu großer Oberherrschaft über die Anlagen und Kräfte der Seele emporgehoben und schon in hohem Grade mit Gott vereinigt; es ist schon eine wesentliche Selbstbefreiung geleistet worden.

1869 |        Durch den hochherzigen Willensentschluss, sich in wahrer Großmut Gott völlig, und für jede Art der geistigen Finsternis und Verlassenheit, hinzugeben, überwältigt die Seele ihre genusssüchtige419 Natur und überschreitet mit einem geistigen Schritt die tiefer liegenden Unterstufen und Wege. Damit steigert sich ihre Hingabe an Gott, und sie erspart sich damit vielerlei kleinliche Leiden, die sie nun kaum mehr berühren. Die Seele geht nun einen direkten Weg zu Gott, wenn sie den großen, vielleicht heroischen Mut und die Großmut aufbringt, im Vorhinein auf jeden Trost von Gott zu verzichten oder ihn doch nur als Mittel zu ihrem Fortschritt zu gebrauchen, im Übrigen aber sich gern in allen inneren Läuterungsleiden der Gnade Gottes zur Verfügung zu stellen und nur die eigene Heiligung und damit die größere Ehre Gottes zu suchen.

1870 |        Ungleich härter und schärfer sind aber die dann folgenden420 und kommenden Leiden der passiven Läuterungen. Gewiss ist in diesen Abschnitten des geistlichen Lebens keine bestimmte Grenze gezogen, denn beide Arten von Läuterungen greifen ineinander, aber man merkt ganz gut die entscheidende Schärfe und Vertiefung. Man kann dadurch doch eine gewisse Grenze oder eine Änderung in der Wirkung der inneren Leiden feststellen, als man sich selbst eingestehen kann, dass man die früher erlebten Leiden gar niemals so hart empfindet und man spürt eine neue, andere Periode, die viel härter drückt und auf sich gelegt ist. Diese Leiden, in ihrer vollen Schärfe421 können auch eine starke Seele „schwach“ machen und zu Tränen bringen. Da genügt keine Großmut mehr, um diese Leiden gleichsam mit einem Sprung zu überwinden, wie es auf der unteren Stufe vielleicht noch möglich ist. Nun wirkt Gott selbst mit unsagbaren Leiden. Die innere Finsternis wird undurchdringlich und die Verlassenheit wird zu einer wahren Wüste des Schmerzes. Da hilft nicht einmal der gute Wille, alles ertragen zu wollen, was Gott auch in dieser Beziehung schickt. Dieser Kelch muss bis zur Neige getrunken werden. O, wer sie kennt, diese Nacht des Geistes auf dieser Höhe der passiven Reinigung! Das kann der begreifen, der es selbst erlebt hat. Wenn sich die Seele gleichsam krümmt vor Schmerz, so wird sie nur noch tiefer in den Schmerz hineingestoßen. Dabei ist aber das Verlangen nach Trost in der Seele schon überschritten und sie ist hierin schon gleichmütig, indifferent gemacht worden. Ihre Leiden sind darum jetzt ganz andere Art als früher. Sie liebt schon das Kreuz, und dennoch leidet sie sehr unter diesem Kreuz. Sie will schon leiden, aber dieses Leiden der Verlassenheit schneidet furchtbar ein, trotz alles Willens der Ergebung. – Durch diese inneren Leiden wird aber eine völlig veränderte Disposition in der Seele geschaffen. Die kleinen, alltäglichen Leiden und Schwierigkeiten – die freilich noch sehr422 fühlbar und schmerzlich sein können – verschwinden gleichsam im weiten und bitteren Meere jener inneren Leiden, von denen sich die Seele umgeben fühlt und die sie unauslöschlich in sich spürt und trägt. Das ganze Leben einer solchen Seele wird gleichsam durchsiebt; alle Spreu des eigenen erbsündlichen Habitus423 wird wie zusammengedrängt und gleichsam in ihr verbrannt. Alle möglichen Versuchungen und Anfeindungen von außen und innen stürmen an die bedrängte Seele heran, aber zu ihrem größten Nutzen. Vielleicht muss sie in ganzen Perioden solcher Leidenszeiten nur in sich ihre bösen Taten oder Tatmöglichkeiten und Anlagen424 sehen und verabscheuen; aber wie sehr wird ihr425 Wille durch solche geheimnisvollen Leiden gereinigt und freigemacht von der geringsten Anhänglichkeit und Hinneigung zur Sünde! Damit wird in ihr eine ganz vorzügliche Möglichkeit der Vereinigung mit Gott, dem Allerhöchsten426, geschaffen. Die Seele will wirklich nichts mehr als Gott und will ihn ganz allein. Und tief, unbegreiflich tief muss diese höchste Willensentscheidung in der Seele gehen, ja sie muss unwandelbar werden, sodass sie unter normalen Bedingungen nicht mehr widerrufen wird oder427 widerrufen werden kann, weil Sein und Wille der Seele schon habituell mit Gott verbunden sind. Die passive Reinigung schließt nämlich in ihrem normalen Verlauf eine wirkliche wesentliche Umwandlung der Seele in sich. Diese kehrt sich vom Bösen der erbsündlichen Anlagen wirksam428 dem Guten zu und das nicht nur mit dem Willen allein, sondern auch in einer durchgreifenden Reinigung des Geistes, sodass der ganze Mensch schon zu Gott hingekehrt ist; es erstreckt sich überhaupt die passive Läuterung auf die höheren Seelenfähigkeiten, des Geistes, während die aktive, die untere, mehr die sinnlichen Kräfte der Seele reinigt.429 Damit ist dann die notwendige Disposition und Voraussetzung vorhanden für eine unwandelbare Vereinigung mit Gott. Damit sind auch noch andere große Veränderungen in der Seele vor sich gegangen. Die Seele trägt nun den geistigen Habitus, das Niedere schon überwunden zu haben, d. h. das Gute nicht nur zu wollen, sondern schon zu vollbringen zu können und dies als bleibender Zustand. Die Seele hat sich ferner eine große Aktivität in sich selbst erworben;430 sie steht über so vielem, was sie früher bedrängt und beunruhigte; sie ist wie zu einer festen Burg geworden in sich selbst und gegen alle Angriffe von außen. Sie hat sich auch in diesen Jahren der Läuterung eine große Leidensfähigkeit erworben, eine Leidenskraft, die nun nicht mehr allein im Wollen liegt, sondern die schon geübt ist im Tragen und auch ruhig tragen kann.

1871 |        Gott verlangt aber noch viele und höhere Opfer von solchen Seelen, denn er pflegt eine Seele für gewöhnlich431 nicht zu solcher Höhe zu führen, ohne dass er ihr nicht auch zugleich Anteil an der Aufgabe einer geistigen Befruchtung der Kirche gäbe, was immer nur wieder nur im Leiden geschieht. Gott hat immer Absichten der Liebe für die Kirche, wenn er eine Seele zu größerer Leidensfähigkeit erzieht. Seine Gerechtigkeit bedarf der Entschädigung und Opfer, um deren Preis er neue Gnaden der Barmherzigkeit und Liebe auf die sündige Welt ausgießt. Deshalb wird in den dazu berufenen Seelen die entsprechende Anlage und Möglichkeit geschaffen, dass sie wirklich viel ertragen und leiden können. Die sogenannten alltäglichen Leiden kommen nun nicht mehr so an die Seele heran, was aber nicht heißt, dass die Seele sie gar nicht mehr spüre; sie hat vielmehr den Widerspruch der eigenen Natur dagegen schon überschritten und in diesem psychologischen Geheimnis liegt die wirkliche und höchste Leidensfähigkeit. Was ein Leiden eigentlich schwer und geradezu unerträglich macht, ist im Grunde nur der Widerspruch der Natur dagegen. Ist aber eine gewisse an sich selbstverständliche Leidensscheu der sich schmeichelnden und schonenden Natur überschritten und überwunden, so gelangt die Seele allmählich auf eine Ebene und432 Höhe, auf der sie für alles bereit ist und so Vieles und Großes leiden und tragen kann, was ohne Überwindung der eigenen niederen Naturanlage gar nicht möglich wäre. Dabei kann es wohl noch der Fall sein, dass die Seele zunächst mit einer gewissen, der Verzweiflung ähnlichen Gleichgültigkeit ganz großen Leiden, inneren und äußeren Schlägen, gegenübersteht und dadurch den Widerspruch der Natur dagegen aufs Höchste empfindet. Die Natur bringt eben lange Zeit nicht das volle „Ja“ fertig, während doch alles mit Liebe und folglich mit einem vollen „Ja“ getragen und bejaht sein will. Schließlich aber führt diese „Gleichgültigkeit“ doch zur Gleichmütigkeit auch der Natur und es siegt die höhere Leidensbereitschaft und Opferliebe der Seele vollends über das untere widerstrebende Empfinden. Das tiefste Geheimnis einer völligen Leidensbereitschaft liegt in der Hauptsache im vollen, rückhaltlosen Aufgeben der eigenen Interessen, gleichsam in einem „Auflassen seiner Selbst in Gott“.433

1872 |        Es zeigt sich aber die geheimnisvolle Tatsache, dass Gott die Seele für immer noch höhere Leiden und Opfer befähigt, wozu auch die Leidenskraft und Tragkraft der Seele mitwachsen muss. Wohl ist die Seele sozusagen schon an Opfer und Entsagungen so gewöhnt, dass sie vieles, was die Menschen „Leiden nennen“, nicht mehr in dieser Form empfindet wie der noch sinnhafte eingestellte Mensch. Die Seele ist schon lange bereit, alles zu leiden, will oder braucht keine Befriedigung mehr, ist trotzdem immer zufrieden und steht über den Alltäglichkeiten (die aber immer noch spürbar sind). Die „Natur“ hat nichts mehr zu sagen, sondern muss stille sein und dienen. Nun werden aber dafür die Leiden um so vergeistigter und damit um so tiefer und wirksamer. Dazu ist die Seele auch viel feinfühliger geworden. Sie kann aber auch so vieles ertragen, dass sie es im Einzelnen geradezu nicht mehr spürt, und sie hat dazu eine indifferente Ruhe erlangt. – Ich erinnere mich z. B. noch gut daran: Als ich lange Zeit hindurch an einer quälenden Schlaflosigkeit litt und monatelang sozusagen nicht schlafen konnte, was eine unsagbare Pein für einen Menschen bedeutet, da wurde ich innerlich zu einer solchen Ergebung in dieses verzehrend scheinende Leiden geführt, dass mir schließlich nicht einmal mehr der Wunsch434, und das Verlangen kam: „Ich will schlafen“. So wurde ich durch die führende Gnade in der vollen Indifferenz geübt, bis ich sie erreicht habe. – Gott scheint aber hierbei, das kann ich bezeugen, bis an die äußerste Grenze des für die Seele Erträglichen zu gehen, sodass diese im Übermaß der besonderen inneren Leiden wie erdrückt und zerdrückt wird.

1873 |        Auf diese Weise wird auch das in einem gewissen Grade berechtigte Begehren der niederen Natur unter die Herrschaft des Geistes gestellt und eine ruhige, gleichbleibende Ausgeglichenheit in der Seele ermöglicht. Die Natur wird ihres egoistischen Genussverlangens entkleidet und so weit unter die Leitung des Geistes gestellt, dass sie gleichsam überhaupt nicht mehr „wagt“ zufriedengestellt und erleichtert werden zu wollen, es sei denn in Übereinstimmung mit dem höheren Willen. So wird ein völliges Harmonieren und Geordnetsein in den Kräften und Anlagen der Seele erreicht. Aber diese höchste Ordnung wird nur hergestellt durch das Erleiden des Gegenteils und Gegensatzes zu dieser Ordnung. Jahrelang muss die Seele mit sich selber in ihren höheren und niederen Regungen und Anlagen im Kampfe liegen, bis das Niedere und Ungeordnete zum Schweigen gebracht und ein voller Habitus der Ordnung und Harmonie hergestellt ist.

1874 |        Die oberste Führung und die Lösung in diesem Kampfe gegen die egoistische und genusssüchtige Natur liegen in der fortschreitenden Vereinigung mit Gott. Gott selbst nimmt die Seele bzw. den ganzen Menschen sozusagen unter seine Herrschaft, denn die Seele allein würde jene volle Ordnung und Harmonie niemals fertigbringen. Gott leitet die Seele an, sich mit all ihren Kräften seinem allerhöchsten Dienst zu übergeben und alles Wiederstrebende auszugleichen und ausgleichen zu lassen, und er selbst nimmt in den passiven Läuterungen nach und nach diesen Ausgleich vor. Die Seele selbst könnte auch bei allem Bußgeist aus sich allein sich nie einer so gründlichen Reinigung unterziehen, denn es fehlt ihr schon die Einsicht in die eigene Gebundenheit infolge ihrer gefallenen Natur. Gewiss kann die Seele durch großen Bußgeist zu einer hohen Losschälung und zu einer großen Herrschaft über sich selbst gelangen und sie tut es auch unter der Anregung der Gnade, aber der letzte und feinste Schliff kann nur durch passive, d. h. von Gott verursachte und gegebene Leiden erreicht werden. – Und Gott vollzieht in geheimnisvoller Weise dieses Werk der Loslösung und Befreiung der Seele von ihrer eigenen Gebundenheit und damit vom Hang nach irgendwelcher Befriedigung, die nicht zusammen mit der höchsten Leidensbereitschaft in Christus bestehen kann. Wohl können auf diesen höchsten Stufen der Vereinigung mit Gott viele Leiden nicht mehr eigentlich an die Seele heran, aber es träten seelische, passive Leiden ein, die aus einem ungewollten und unbewusst noch vorhandenen Gegensatz zwischen dem Zustand der Seele und dem von Gott gesteckten hohen Ziel erwachsen.

1875 |        Man mag sich auf dieser Stufe auch in einer noch so bedrängten äußeren und inneren Lage befinden: Man kann doch nicht eigentlich von „Leiden“ sprechen, solange die Seele von jenen auf ein noch höheres Ziel hingeordneten passiven Leiden frei ist. So habe ich in meinem Innenleben erfahren, dass alle drohenden Schwierigkeiten meiner äußeren und inneren Lage immer mittels passiver Leiden zu einem gottgewollten Ausgleich gebracht wurden; jede äußere oder innere Disharmonie wurde durch passive innere Läuterungen, also unmittelbar unter dem Einfluss der Gnade, beseitigt. Aus der Art der Leiden konnte ich auch immer auf das Ziel schließen, das sie erreichen sollten. So habe ich alle äußeren Leiden, die meine Lage mit sich brachte und immer noch mit sich bringt, mittels der inneren, mich dazu befähigenden Leiden überwinden können. Wenn ich dann wirklich in jene äußerlich oder auch innerlich bedrängte Lage kam, so konnte mir diese meist gar nichts mehr anhaben, weil ich schon im Vorhinein durch passive Leiden darauf vorbereitet und dafür bereit gemacht worden war. Dank der Gnade Gottes erwirbt man sich in diesen freilich bitterharten passiven Leiden die entsprechende Disposition, um in voller Ruhe die jeweilige äußere und innere Lage ertragen und beherrschen zu können. Dadurch wird auch ein großer Vorrat an geistiger Bewegungsmöglichkeit geschaffen, sodass man ständig in Ruhe bleibt und in der inneren435 Ausgeglichenheit nicht gestört wird. Durch die große schon erlangte Freiheit beherrscht man das Tieferliegende der Vergangenheit und Gegenwart, für das kommende Zukünftige aber wird man wieder durch passive Leiden vorbereitet und gleichsam gewappnet.

1876 |        Es ist jedenfalls Tatsache, dass man auf diesen Stufen vielen Dingen und „Leiden“ gegenüber wie leidensunfähig geworden ist. Die Natur müsste wohl auch ganz zusammenbrechen, wenn z. B. alle Schwierigkeiten, in denen ich stehe, ständig wirksam wären. Man hat sich aber durch das Einssein mit Gott gleichsam ein „göttliches Rückgrat“ gebildet und ist in ihm sozusagen wie in einem Felsen gegründet. Des Öfteren kam ich auch in einen so merkbar vergeistigten Zustand, dass man meint: Auch das größte Leiden kann mich nicht aus der Einheit mit Gott bringen; die Leiden, die jetzt kommen, können mir nichts anhaben, sie berühren nur das Untere in mir. Und es ist auch tatsächlich der Fall, dass selbst in großen Leiden die oberste Spitze der Seele nicht berührt wird und mit gleicher, unerschütterlicher Ruhe gleichsam „leidensunfähig“ bleibt, bis Gott selbst die Seele ganz untertaucht und die Wasser der Leiden auch die oberste Spitze erreichen lässt. Aber auch dann bleibt eine gewisse Unerschütterlichkeit bestehen.

1877 |        Aus diesen eigenen Erlebnissen kann ich mir einigermaßen eine Vorstellung von der Leidensfähigkeit Gottes machen. An Gott prallt all das ab, was die Menschen „Leiden“ nennen. Das ist für die meisten Leiden schon eine Folge seiner Reingeistigkeit, doch ist die Reingeistigkeit kein Beweis für die absolute Leidensunfähigkeit und kein Hindernis gegen jede Leidensfähigkeit – wie das Beispiel der verworfenen Geister, der bösen Engel, zeigt.

1878 |        Die letzte Grundlage und Ursache der habituellen Leidensunfähigkeit Gottes liegt aber in seiner unendlichen sittlichen Vollkommenheit und Heiligkeit sowie in seiner wesenhaften göttlichen Erhabenheit. – Die göttliche Harmonie und Ausgeglichenheit als wesentlicher Zustand kann und konnte kein Leiden in ihm aufkommen lassen; in Gott IST alles überwunden (um sich menschlich auszudrücken), was wir Menschen mittels Leiden und Prüfungen zu überwinden haben. Alle göttlichen Regungen sind höchst vollkommen und keiner Schwäche fähig. – Ferner steht Gott in seiner wesenhaften göttlichen Erhabenheit über allem Geschehen und über allen Dingen der Erde, so sehr, dass kein Leiden an ihn herankann. Nicht einmal das göttliche Mitleid mit dem gefallenen Menschengeschlecht, das doch höchst wirksam war, hatte etwas von dem Mitleiden nach menschlichen Begriffen, das immer ein menschliches Mitempfinden und damit ein wirkliches Leiden besagt. Ebenso die Liebe, die in sich auch Leiden schafft, Gefühlserregungen in menschlichen Sinne verursacht. So, wie Gott liebt, so wirksam kann niemand lieben, doch hat seine göttliche Liebe an sich nichts an Schwäche, die irgendeinem Leiden gleichkommen könnte, denn Gottes Liebe ist augenblickliche Tat und über unseren menschlichen Gefühlen erhaben.436

1879 |        Auch Christus war infolge seiner göttlichen Natur in sich leidensunfähig. „In sich“, denn aus ihm und in ihm konnte sich auch in seiner Menschheit kein Leiden entwickeln, weil die göttliche Person das Entscheidende und Beherrschende und die Trägerin des menschlichen Lebens Christi war; Christus war daher vollkommen in sich geordnet, wesentlich wie Gott-Vater. Weder in der göttlichen noch in der menschlichen Natur Christi, jede für sich gesehen, gab es auch nur den leisesten Widerspruch oder Zwiespalt, der ein wahres Leiden bedingt hätte. – Zudem war auch die menschliche Natur Christi so ganz von der göttlichen Person durchlebt, dass sie ganz vergeistigt437 und vergöttlicht war und auch den größten Leiden gegenüber durch Einwirkung der Erhabenheit der göttlichen Person unempfindlich sein konnte. An sich hätte wieder Hunger noch Durst oder Müdigkeit oder auch Armut und Verfolgung den Gottmenschen etwas anhaben können; alle äußeren Erlebnisse, selbst die bittersten, hätten an sich den Erlöser infolge des erhabenen Wesens seiner göttlichen Person, der Trägerin seines menschlichen Lebens, nicht berühren können und er hätte trotzdem wahrer Mensch sein können. Die Erhabenheit der göttlichen Person nahm gleichsam auch die menschliche Natur mit sich438 in die Höhe, trug, belebte und beherrschte sie vollkommen und hätte sie an sich allen äußeren Leidenseinflüssen entzogen. (Wie oben gesagt habe ich wiederholt in besonderen Vereinigungserlebnissen mit der göttlichen Person erfahren, dass man zeitweise dem Einfluss der Leiden ganz entzogen werden kann oder dass bestimmte Gebiete der Seele dem Leiden gegenüber wirklich unberührbar und unbeeinflussbar geworden sind; die Empfindsamkeit ist zwar vorhanden, aber man hat die Leiden schon überwunden und es ist in manchen gleichsam eine erworbene Leidensunfähigkeit wirksam). Christus konnte also auch in seiner menschlichen Natur infolge der Heiligkeit und Erhabenheit seiner göttlichen Person439 weder von innen noch von außen bedrängt werden. Er wurde leidensfähig und leidend, weil er selbst es wollte und freiwillig sich ganz dem Erleben seiner Menschheit hingab, und zwar vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung in Maria an. Die enge Verbindung der göttlichen und menschlichen Natur in der einen Person Christi hatte dabei eine solche Vergeistigung der Seele und des Leibes Christi zur Folge, dass er alle (freiwillig erlittenen) Leiden mit göttlicher Hoheit, Würde und Kraft ertrug. Es war in der Seele Christi in seinen Leiden nicht jene sinnliche Bedrängung, die die Leiden für den Menschen umso mehr widerspruchsvoller machen, vorhanden; es war in Christi eben jene Erhabenheit und Überwundenheit der niederen Natur wirksam, die ein Leiden war in einer größeren Feinfühligkeit empfinden lassen, aber zugleich ein bestimmtes eigenes Freisein von den betreffenden Leiden ermöglichen.440

1880 |        Zum weiteren Verständnis der Leidensfähigkeit Christi wurde ich zunächst hingewiesen auf Erfahrungen an Kleinkindern bzw. auf das Bewusstwerden des Leidens im Kleinkind. (Obwohl ich früher Kleinkinder gepflegt habe und diese Tatsache beobachtet habe, wurde mir dies durch eine besondere innere Erkenntnis des Vorganges im kleinen Kinde erklärt; ich wusste um die äußeren Eindrücke nach meiner Beobachtung, konnte aber das tiefere psychologische Geheimnis im Kinde nicht verstehen.)441 – Schon bevor das Kind zwei Monate alt ist, kann man bei ihm bestimmte seelische Eindrücke feststellen, wie z. B. ein gewisses seelisches Gespür für liebevolle oder kalte Behandlungen, worauf das Kind entsprechend reagiert; die Seele ist ja schon im Kinde und besitzt im Grunde schon ihre Anlagen, wenn sie auch noch nicht entfaltet und entwickelt sind. Zu einem Leiden werden die schmerzlichen Eindrücke des Kindes erst dann, wenn das Kind zum Ich-Bewusstsein kommt, d. h. wenn die Eindrücke nicht bloß nebeneinanderstehen, sondern durch die Tätigkeit des zurück- und vorwärtsschauenden Verstandes als Erlebnisse des einen Ich dem Bewusstsein eingereiht und eingeordnet werden können. Die nebeneinanderstehenden Eindrücke werden zu wahren Leidenserlebnissen durch ihr Ineinandergreifen im bewussten Ich.442 Dann erst kann man von einem „Leiden“ im wahren Sinne sprechen, wenn diese schmerzlichen Eindrücke das persönliche Bewusstsein des Leidenden treffen und von dort aus in das Gemütsleben weiter reflektiert werden. Solange die Eindrücke gleichsam nur im „Unterbewusstsein“ oder in einer Art Vorbewusstsein bleiben – weil das Bewusstsein noch nicht voll erwacht ist – solange greifen sie nicht ineinander zu einem vollen persönlichen Erlebnis und damit zu einer wahren Freude oder zu einem wahren Leiden; es bleiben nur augenblickliche Eindrücke, die sich gleich wieder verwischen und deren Zusammenhang noch nicht durch das Bewusstsein der Ich-Person hergestellt ist. Selbst wenn die schmerzlichen Eindrücke des Kleinkindes lange andauern, fehlt doch das Ineinandergreifen der Leidensreflexe, das diese Eindrücke erst als Leiden der Ich-Person zum Bewusstsein bringt. Das Leiden beginnt also mit dem Bewusstwerden des Ichs, mit der Auswirkung des Erlebnisses auf das wache Bewusstsein der Ich-Person,443 mit dem durch das Ich erfassten und festgehaltenen Gegensatz und Widerspruch oder Zwiespalt444, der das Leiden hervorruft und das persönliche Bewusstsein des Leidenden trifft.

1881 |        Christus nun bewahrte auch in seinem Erdenleben und auch im Mutterschoße Mariens das volle göttliche Bewusstsein, nahm aber zugleich auch die Erlebnisse seiner menschlichen Natur in sein göttliches Bewusstsein auf. Jeden Augenblick seines göttlichen Seins bewusst, war er sich auch jeden Augenblick seines irdischen Lebens bewusst. Gott in seiner Unendlichkeit und Größe bleibend, erlebte Christus die Eindrücke und Auswirkungen des armseligen Zustandes eines werdenden Menschenkindes in ihrem ganzen Gegensatz zu seinen göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten. Gerade dieses Erlebnis der beiden Naturen und ihrer Auswirkungen im Bewusstsein der göttlichen Person macht Christus zum Leidenden, und zwar im vollsten Sinne. Er gab sich den Erlebnissen beider Naturen hin: Den göttlichen konnte er sich infolge seiner göttlichen Wesenhaftigkeit überhaupt nicht entziehen; den Erlebnissen seiner menschlichen Natur gab er sich in seiner freiwilligen Selbstentäußerung hin, indem er sie wie ein gewöhnlicher Mensch empfinden und den Auswirkungen seines göttlichen Habitus gegenüberstellen wollte. So ließ er die Erlebnisse der beiden unvermischten Naturen ineinandergreifen und zu einer unaussprechlichen Verdemütigung und zum lebenslangen Leiden werden. (Zum tieferen Verständnis dieses Geheimnisses wurde ich gleichsam durch eine besondere Gnade in diesem Zustand versetzt: „Ich“ bin „Gott“, mit allen meinen Vollkommenheiten, aber ich bin jetzt „das“: Ein armer Mensch, von den Menschen nur als Mensch erkannt; alles liegt in mir, die ganze Menschheit in Ihrem Fall und so stehe ich vor dem Vater. Und dieser Fall ist eng mit mir verbunden, als wäre es mein Eigener, der mich durch meine Menschwerdung überantwortet bin, er ist mir wie zur „Natur“ geworden, weil ich selbst in mir die Folgen dieses Falles erlebe.)445  Weil er sich in Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters in allem den für die Menschheit geltenden Gesetzen unterwarf, löste diese freiwillige Gehorsamsunterwerfung unter die Gesetze der menschlichen Natur einen Reflex der Vernichtung, Entäußerung, Entblößung im Bewusstsein seiner göttlichen Person und deren unendlicher Würde aus. Das „Ich“ im Christus gab sich den Erlebnissen seiner Menschheit hin. So trafen also die äußeren und inneren Leiden seine göttliche Größe und Würde, die durch die erniedrigte Stellung eines Menschenlebens verdemütigt und gleichsam verletzt wurde, und durch diese volle und freiwillige Hingabe an die Erlebnisse der menschlichen Natur machte sich Christus aus Liebe zur leidenden Person.

1882 |        Das göttliche Ich-Bewusstsein in Christus erlitt aber nie die mindeste Einbuße, auch nicht im zartesten Alter, und es war schon da ständig fortschreitender und zusammenhängender Erlebnisse fähig (was beim gewöhnlichen Kinde nicht der Fall ist). So bildeten schon die ersten Erlebnisse und Auswirkungen der Menschheit Christi (schon im Mutterschoße) ein wahres Leiden infolge des vollkommenen Bewusstseins des Kindes Jesu. Dieses Erleben war dem kindlichen Alter angepasst – weil Jesus in allem als Mensch erfunden werden wollte – und hat sich ständig gesteigert, je mehr das Leben Christi nach außen zu einem Erlöserleben wurde und je mehr die Leiden nach außen sich mehrten. Die zweite446 göttliche Person hat sich also so erniedrigt, dass sie sich gleichsam der Unbeholfenheit eines kleinen Kindes gleichstellte. Christus erlitt sein gottmenschliches447 Leben vom ersten Augenblick der Menschwerdung an bewusst in einem zusammenhängenden Opfer- und Erlöserleiden. Er ließ freiwillig alles so an sich herankommen und litt alles so menschlich, als wäre ihm der unendliche Abstand und Gegensatz zwischen der menschlichen Armseligkeit und seiner göttlichen Größe und Würde nicht bewusst.

1883 |        Mit seiner heiligsten Menschheit nahm er, ebenso in einem freiwilligen Liebesakt und zum Zweck der Erlösung, auch die gesamte Menschheit auf sich, um sie sühnend vor Gottes Gerechtigkeit zu vertreten und in seiner heiligsten Menschheit mit göttlichem Bewusstsein zu erleiden. In seinem göttlichen Bewusstsein trug er daher auch alles Gott-Widrige und Gott-Widerstrebende der gefallenen, gesamten Menschheit, als wäre es sein eigen, und mit diesem Erleiden wollte er die gesamte, gefallene Menschheit retten. In seiner hl. Menschheit würde gleichsam die gesamte Menschheit zusammengefasst, um entsühnt und geheiligt zu werden – durch sich selbst448. Darin hatten die Leiden seines menschlichen Lebens ihren tiefsten Ursprung und Grund. Von sich aus hatte Christus in seiner heiligsten Menschheit nichts zu leiden; was er litt, hat er freiwillig auf sich genommen und an Stelle der Menschheit gelitten. Obwohl ihm die äußeren Eindrücke und Einflüsse seines menschlichen Lebens an sich nichts hätte anhaben können, unterwarf er sich doch freiwillig und aus reiner Liebe allen Auswirkungen der menschlichen Natur mit dem ganzen Gemüt- und Gefühlsleben, das er aufnahm und unter dem er litt wie ein gewöhnlicher Mensch.

1884 |        Damit erniedrigt sich Christus im Augenblick seiner Menschwerdung unter die gesamte Menschheit, die er mit seiner menschlichen Natur auf sich nahm und der er in der Erlösung den niedrigsten und zugleich höchsten Dienst leistete. Ja, er erniedrigte sich, wie ich erkannte, vor jedem einzelnen Menschen. Gott hat ja infolge seiner Unendlichkeit zum einzelnen Menschen und zur gesamten Menschheit eine gewisse Beziehung und Verbindung und auch das Erlöserleben Christi war und ist auf die gesamte Menschheit und auf jeden einzelnen Menschen wirksam. Jesus trug jeden einzelnen Menschen wie die ganze Menschheit ganz tief bewusst in sich und opferte sich bewusst für den Einzelnen, so wie Jesus auch jetzt wieder für jeden Einzelnen da ist und zur Verfügung steht. So hat Christus in seiner heiligsten Menschheit die gesamte Menschheit geadelt, geheiligt, erneuert – soweit es auf ihn ankam, weil er für jeden Menschen das leiden wollte, was er in seiner heiligsten Menschheit gelitten hat. – (Auch dies kann man aber nur im Augenblick höheren Erkennens der göttlichen Wesensanlage der Unendlichkeit durchschauen; sonst bleibt alles, was man darüber sagt und hört, vielleicht nur tote Rede.)

1885 |        Alles in allem lag wohl der größte Liebesakt der göttlichen Person Christi dem Vater und der gefallenen Menschheit gegenüber in dem freiwilligen Akt der Unterwerfung unter die Gesetze der Menschheit, in der liebenden Annahme der menschlichen Natur, in dem Sühnen, dem Auf-Sich-Nehmen der gefallenen Menschheit, womit sich Christus sühnend449 dem Vater für die Menschheit anbot. – Diese Tatsache wurde mir mit einem einfachen Beispiel erklärt: Wenn ein Königssohn ein armes Mädchen als seine Gemahlin erwählt und sich aus Liebe zu ihr450 entschließt, ganz und gar das Leben der Armut und Arbeit seiner Braut zu führen und zugleich an allen Auswirkungen der Armut, der Einschränkung und des Verzichtes teilzunehmen, so wehrt sich trotz seiner heroischen Liebe doch das Bewusstsein der eigenen hohen Abkunft und Erziehung im Königssohn dagegen – oder er wäre sonst kein logisch denkender und intelligenter Mensch. Wenn aber der Königssohn bewusst alle kommenden Opfer seines Herabsteigens auf sich nehmen will, so gibt er gerade dadurch die beste und größte Probe seiner wahren, treuen Liebe zu seiner Braut. – So, und noch viel mehr hat auch der Sohn Gottes die Verdemütigung der Unterwerfung unter die Gesetze der Menschheit451 tief empfunden, weil er doch in wahrhaft göttlicher Weise, vom Bewusstsein seiner göttlichen Herkunft und der ihm gebührende Ehre durchdrungen wahr – sonst müsste man, wie im obigen Beispiel, Gott gleichsam einen Stümper nennen. Auch der Sohn Gottes wollte freiwillig und bewusst diese Verdemütigung und dieses Leiden auf sich nehmen und tragen, das ihm aus dem Bewusstsein und dem Vergleich seiner göttlichen Würde und der gegenüber seiner menschlichen Armut erwuchs. So genommen und verstanden erklärt das freiwillige Herabsteigen Christi aus der Höhe seiner Herrlichkeit in die unendlich tiefer stehende Armut der menschlichen Natur seine wirklich bewusste, unendliche Liebe, die er damit betätigt hat.

1886 |        Ferner wurde mir gestern folgendes Geheimnis zur Erkenntnis gebracht: Das göttliche Wort erniedrigt sich im Augenblick seiner Menschwerdung bewusst, auch unter die gesamte Menschheit und nahm mit seiner menschlichen Natur auch die gesamte Menschheit auf sich; ja, ich erkannte: Es erniedrigte sich vor jedem einzelnen Menschen. – Dies kann man aber nur im augenblicklichen höheren Erkennen der göttlichen Wesensanlage der Unendlichkeit durchschauen; sonst bleibt alles, was man darüber sagt und hört, im gewissen Sinne nur tote Worte. Gott hat zu jedem Menschen, sowie zu der gesamten Menschheit infolge der Unendlichkeit seiner göttlichen Natur eine gewisse Beziehung und Verbindung, und auch das Erlöserleben des Sohnes Gottes ist auf jeden einzelnen Menschen und auf die Gesamtheit der Menschen wirksam. Jesus trug aber jeden einzelnen Menschen ganz tief bewusst in sich und opferte sich bewusst für jeden einzelnen, so wie Jesus auch jetzt wieder für jeden Einzelnen allein da ist und zur Verfügung steht.452

1887 |        Beim Erkennen solcher göttlichen Geheimnisse besteht die größte Schwierigkeit darin, dass man dem Außenstehenden nicht die Tiefe des erkannten Geheimnisses mitteilen kann. Diesbezüglich hatte ich in den vergangenen Tagen das klare Wissen: Ein Gelehrter kann in seinen Studien über Gott und dessen Geheimnisse wohl tief in Gott eindringen und sich spekulativ ein bewusstes Wissen über Gott aneignen. Es besteht aber für seinen Geist die absolute Schwierigkeit, dass er sich nie ein Bild von der Erhabenheit und Geistigkeit Gottes, sowie von der Höhe und Tiefe seiner Liebe machen kann, wenn ihm nicht durch eine besondere Gnade die dazu notwendige Voraussetzung gegeben wird: Nämlich jene Vergeistigung der Seelenkräfte oder jenes Verlassen des Materiell-Menschlichen und damit jener erfassbarere Zustand der inneren Erhabenheit und Geistigkeit, kraft dessen allein er sich das göttliche Wesen vor Augen führen kann. Darum kann man in EINEM Augenblick höheren Erkennens, geführt von einer besonderen Gnade, sich ein ungleich erhabeneres Wissen über Gott und seine Geheimnisse und seine Liebe erwerben, als es einem bloßen Gelehrten in seinen Studien eines ganzen Lebens möglich ist. – Zudem ist im übernatürlich gegebenen Erkennen Gottes das Wirksamste die führende Gnade, die aber für gewöhnlich in den Studien fehlt. Durch die Gnade aber wird die schauende Seele in die für das Eindringen in das betreffende göttliche Geheimnis notwendige und entsprechende geistige Disposition versetzt, die sich der Gelehrte wiederum aus sich selbst nicht geben kann. – Anderseits kommt gerade aus dieser Tatsache die Schwierigkeit, dass man einem anderen, der es nicht erfahren hat, nie und nimmer die Tiefe des erkannten Wissens über Gott, über das Erlösergeheimnis und über die darin obwaltende Liebe zur Genüge erklären kann. Es bleiben eben tote Worte, weil man die erfasste Liebe Christi nie entsprechend in Worten aussprechen kann.

1888 |        Auch die Menschwerdung mit dem Geheimnis der beiden Naturen und deren Auswirkungen auf das göttliche Ich in Christus ist ein solcher tief und rein geistiger Begriff und bleibt auch immer geistige Frucht einer vollen Hingabe an Gott und von tiefster Wirksamkeit auf die Seele, die dieses Geheimnis so erkennt. Gott kann aber um den Preis der Leiden, in denen die Seele zu solchem geistigen Erkennen emporsteigt, anderen Seelen ein geistiges Licht geben, durch das sie eindringen können in die göttliche Liebe. Auf diesem Wege wird die Liebe fruchtbar in anderen Seelen und erreicht, was trockene Worte nicht zu erreichen vermöchten.

1889 |        Das obige geschilderte Geheimnis der Leidensfähigkeit Christi in seiner menschlichen Natur wurde mir in zwei Sätzen erklärt: „Seine Natur (menschliche) wurde in sich nicht bedrängt“ = Christus hatte von sich aus nichts zu leiden. – „Und die Erlebnisse im Kinde Jesu griffen ineinander“ – schon vom ersten Augenblick seines irdischen Lebens. In diesen kurzen Worten wurde mir das ganze Geheimnis der Leidensfähigkeit des Erlösers klargemacht, und während ich schrieb, hat sich dann das näher zu erklärende gleichsam aufgerollt. – Ebenso wurde mir in dieser Weise die Frage erklärt: Wie wurde Christus zum Leidenden? Als Antwort ward mir der kurze Satz: Dieses Geheimnis der freiwilligen Leidensfähigkeit Christi lag in den Auswirkungen der beiden (unvermischten) Naturen, die er auf sich wirken ließ, in dem einen göttlichen Bewusstsein. –453

 

14.10.1942

1890 |        Die letztvergangenen Tage (seit Sonntag, den 11.ds.) sind wunderbar. Es ist mit keinem Wort verständlich zu machen, welch wundervolle454 geistige Harmonie in mir herrscht. Aber täglich steigert sich noch diese, mir schon eigene Freiheit von meinem Früheren, und immer mehr bildet sich eine geistige Unumschränktheit und eine Bewegungslosigkeit scheinende Ruhe und Ausgeglichenheit meiner Geisteskräfte aus, weil sie alle schon dienstbar gemacht sind, und zwar mir selber. Ich bin mir455 selbst alles, uneinschränkbar, seiend habituell mich selbst lebend. Alles ist schon mein, nichts empfange ich, weil alles schon da ist in mir und in mir enthalten ist. – Heute Morgen bin ich in Einheit mit dem Vater und ich bin voll Jubel und Freude, weil er mich so wunderbar erhaben gemacht hat. In dieser Einheit mit dem Vater wird „mein“ kommendes Innenleben sich aufrollen. – Ich weiß nun in einem viel höheren Maße um die göttliche Einheit in den drei Personen; diese wesenhafte Einheit ist aber in Worten nicht ausdrückbar.

1891 |        Die völlige innere Kampflosigkeit lässt alles in mir ruhen. Nie in meinem ganzen Leben habe ich einen solchen Zustand der Vergeistigung meiner selbst, eine solche harmonische Ausgeglichenheit erlebt. Eigentlich ist ja nichts von meinem eigenen Innenleben mehr vorhanden; es ist vielmehr alles Sein in einer unaussprechlichen Weise. Doch steigert und vervollkommnet sich dies alles noch mehr in mir. Ich befinde mich in einem wirklichen Übergehen in Jesus Innenleben.

 

16.10.1942

1892 |        Mein innerer Zustand wird immer noch unmittelbarer auf mein Ich, auf die Spitze meines Seins gestellt: Ich bin alles in noch größerer Einheit und Einfachheit in mir selbst bestehend. Dabei bin ich aber doch etwas im Leiden, das mich noch höher in mich selbst sammelt und konzentriert. Nun weiß ich, wie Jesus in sich als Mensch war, wenigstens was die Grundhaltung und Grundlage seines Seelenlebens betrifft. Von diesem Zustand kann sich aber, ohne besondere Gnade, kein Mensch einen Begriff machen, vor allem nicht davon, was es heißt: in sich bemühungs- und betätigungslos sein und gleichsam „aktlos“ im Sein selbst leben, aus dem eigenen Sein geistig existieren! Niemand, auch nicht der größte Gelehrte, kann sich ein Bild machen von der Psychologie Christi, weil unter den gewöhnlichen Umständen niemand den Zustand dieser unumschränkten Freiheit und zugleich der eigenen Betätigungslosigkeit sich456 vorstellen kann. Und doch ist es das Einheitlichste und Einfachste, was man sich unter dem Begriff „Seele“ denken kann: Eine Seele, die sich vom Sein getragen fühlt oder vielmehr getragen ist; denn man fühlt nichts, sondern es ist so.

 

18.10.1942

1893 |        Dies war ein überaus schwerer Tag. Die unbeschreiblichen inneren Leiden zielen auf einen noch höher ausgeglichenen Zustand hin. –

 

18.10.1942457

1894 |        Heute bin ich wie zermalmt von inneren Leiden. – Als ich wie zufällig in den Offenbarungen von 1937 las, in denen Jesus seinen Priestern „neue Gnaden“ verspricht, stellte ich mir unwillkürlich die Frage: Und welches sind nun speziell die „neuen Gnaden“ für die Priester, die Jesus in seinen Versprechungen meint? – Da „lebte“ Jesus in mir und ich kam in einen Zustand des inneren Wissens in ihm, das mir Folgendes erklärte – was ich wiederum nicht so kurz458 und bestimmt ausdrücken kann, wie es mir „in Jesus“ klar war: „Es sind Gnaden einer aufsteigenden Entsündigung und Freimachung von den sittlichen Folgen der Erbsünde aufgrund des Eingehens in jene Glaubensvertiefung, wie ich sie dir geoffenbart habe; Gnaden der sittlichen Erhebung des 'alten Menschen' in einen neuen, erlösten Menschen, der Kraft dieser sittlichen Erhebung und gleichsam Vollerlösung einer inneren Umwandlung in Christus nachkommt.

1895 |        Es sind wirklich neue Gnaden, die Ich gebe, Gnaden, die in meinem Leben und in meinen Erlöserverdiensten eingeschlossen sind, aber bis jetzt noch nicht so verwertet und noch nicht allgemein eröffnet wurden. Jetzt aber gebe Ich sie neu den Priestern, die bereit sind, die Früchte der Erlösung in jener Form zu gebrauchen und sich anzueignen, wie es in den fortlaufenden Offenbarungen und Aufzeichnungen angegeben ist. Dies wird für die Priester zu einer 'Vollerlösung' werden, zu einer aufsteigenden Entsündigung, zu einer sittlichen Erhebung des 'alten Menschen' in einen neuen, erlösten Menschen, der Kraft dieser sittlichen Erhebung einer inneren Umwandlung in Mich nahekommt. In meiner Kraft werden dann die Priester imstande sein, das Angesicht der Erde zu erneuern. Ich will aber den Glauben daran, dass diese Gnaden einer 'Vollerlösung' wirklich in meinem Erlöserleben eingeschlossen sind, und ich will, dass diese Gnaden angestrebt und verwertet werden.

1896 |        Ich will sie aber zuerst grundlegen im Priesterinstitut, dessen einzelne Mitglieder es sich zur Pflicht machen sollen, nach diesen Gnaden zu streben und alle Priester in diesen Geist und in dieses Streben einzuführen und so die ganze Welt dafür vorzubereiten.

1897 |        Es wird eine Zeit in der Kirche kommen, das diese jetzt noch 'neue Gnaden', allgemein zugänglich gemacht und gegeben werden. Bis dahin wird aber noch ein großer, geistiger Umschwung in der Kirche kommen, um die Menschen allgemein darauf vorzubereiten. Es kommt ein neues Zeitalter in der Kirche.

1898 |        Es ist nichts gegen den Geist des Evangeliums oder gegen die Lehre der Kirche; es muss nur ein vertiefter Glaube geübt und danach gelebt werden. Mit Gottes Gnaden ist es möglich, dass der gefallene Mensch sich zu einer stufenweisen Berufung von den moralischen Folgen der Erbsünde erhebe und damit Christus anziehe, so wie St. Paulus sagt: 'Ziehet an unseren Herrn Jesus Christus!'

1899 |        Es handelt sich nicht um Außergewöhnliches, sondern es braucht nur einen folgerichtigen Glauben. Im Priesterinstitut soll dieser Glaube vorbildlich geübt und vorgelebt und gelehrt werden.“ –

1900 |        Dieser Art sind die neuen Gnaden, die Jesus seinen Priestern verspricht. Zum Beweis dieses Versprechens erlebe ich das innere Erlösungsgeheimnis, damit durch dessen tiefere Kenntnis die innersten Geheimnisse der göttlichen Liebe und der unermessliche Reichtum der uns erworbenen Erlöserverdienste entdeckt und die Früchte der Erlösung voll anerkannt und damit eine subjektive Ausschöpfung der Erlöserverdienste durch den Einzelnen angestrebt werde. –

1901 |        Als ich in der vergangenen Zeit sehr im Leiden war, weil man die großen Liebesbeweise Jesu, die er seinen Priestern gebe, nicht annehmen wollte, und weil sie immer noch ein Gegenstand des Kampfes und der Ablehnung seine, sagte ich zu Jesus, während er mir wieder die großen Gnaden zeigte, die er bereithält: „du siehst, niemand kümmert sich um deine Absichten und um deinen Willen; es will niemand auf eine Privatoffenbarung hören; die Menschen wollen lieber ihre eigenen Pläne durchführen, die ihr Verstand ihnen eingibt usw.“; – darauf antwortete mir Jesus: „Ich selbst würdige mich, der Menschheit zu zeigen, welche Mittel sie aus der heutigen Verderbnis retten und erhöhen und wieder zu mir zurückführen kann. Darum offenbare Ich dieses Mittel, das sie selber anwenden sollen. Ich selbst will die Welt retten und ich bin selbst das Heilmittel, das sie im Reichtum meiner Erlöserverdienste finden. Es soll nichts menschlich Erdachtes sein, nicht menschliche Weisheit, wodurch die Menschheit wieder zu mir zurückgeführt werde, sondern Ich selbst zeige ihr den Weg.“ – Christus schenkt sich neu der Menschheit in den Priestern, die nach seinem Herzen gebildet sind.

 

19.10.1942459

1902 |        Heute Morgen bei der heiligen Messe: „Es kommt Großes über mich“. Ich gehe vollendeter ein in das Sein Jesu, in sein göttliches Bewusstsein (in mystischer Weise). Ich erlebe dann zugleich das Glück des göttlichen Seins, weil Jesus sich göttlich-habituell nie verlieren konnte. Die zweite göttliche Person kam nicht vom Lichte in die Finsternis, sondern ist das Licht und bleibt es (der Mensch wird in Finsternis geboren und findet nur in Gott das Licht). Dieses habituelle Sein Jesu im göttlichen Lichte, er selbst als göttliches Licht,460 bleibt bis zu seiner Verlassenheit am Kreuz. Er war immer Gott und Mensch zugleich, aber mit dem einen göttlichen Bewusstsein. Es war das wunderbarste und herrlichste Kindesleben im Vater. Im Augenblick seiner Menschwerdung nahm aber Jesus auch die menschliche Natur der gefallenen Menschheit auf sich und gab sich durch seine heiligste Menschheit den Leiden der gefallenen Menschenseele hin. Die Aufnahme der gefallenen Menschheit war ja der Zweck seines Kommens und Herabsteigens zur Erlösung. Jeden Augenblick seines Lebens lebte er mit und durch seine heilige menschliche Natur461 auch die gefallene Menschenseele der Gesamt-Menschheit. (Nicht, dass es nur eine Seele gebe, aber „die Seele“ in den Folgen ihres Falles)462. Scheinbar lebte er also ein doppeltes Leben, aber in Wahrheit machte er sich diese Gesamt-Menschheit ganz zu eigen und so war es nur ein Leben, ein göttliches, aber infolge seines Zweckes der Erlösung überaus schweres Leben, gelebt mit dem einen göttlichen Bewusstsein. – Ich werde dieses Erlöserleben im mystischer, aber in wahrer Weise – soweit es in den Absichten Gottes liegt –463 zu leben haben, aber, auch um es ertragen zu können, wird mir auch das Glück seines göttlichen Seins habituell bleiben.

1903 |        Ich bin heute in einem ungemein erhobenen Zustand; doch kann dieser noch höher werden.

 

November

28.11.1942

1904 |        Ich bin in leidensreicher Vorbereitung auf die „geistige Empfängnis des Wortes“ und im Erringen des Paradieseszustandes, der zu erforderlich ist464; und zur Erklärung dessen erlebe ich immer wieder die Menschenseele im paradiesischen Zustand, im gefallenen Zustand, sowie auch dem Zustand der Seele Christi.

1905 |        Jede einzelne Seele ist ein abgeschlossenes Ganzes für den persönlichen Träger dieser Seele und niemand kann sie von außen ganz erforschen und ergründen. Wenn darum schon jeder Mensch in sich ein gewisses Geheimnis ist, in dessen Tiefe niemand, auch nicht der Nächststehende, eindringen kann, so ist dieses Geheimnis in Christus, dem Vollmenschen, für unsere Begriffe geradezu unüberbietbar groß. Denn Gott selbst, die zweite göttliche Person ist Träger dieses Menschenlebens und lebte es selbst. Um daher ganz in das Wesen des Gottmenschen einzudringen – dessen göttliches Wesen auch in seiner Menschheit unverändert blieb – müsste und muss man vorerst in das Wesen Gottes im Allgemeinen einzudringen suchen, in das Element und in die Eigenschaften Gottes, um von da aus auch das Wesen des Gottmenschen tiefer zu begreifen. – Wenn ich in innerem Erleben Gottes ihn selbst erfahre und in hohem Maße befähigt werde, ein Abbild Gottes in mir zu schaffen und dieses mit meinem Menschenleben zu vereinigen, so werde ich auf der Grundlage dieses wahren, wenn auch schwachen Abbildes Gottes in mir immer mehr und in höherem Maße465 befähigt, in die Tiefen des göttlichen Seins hinabzusteigen und kann ich aus dem in mir erworbenen Abbild Gottes auf das Wesen Gottes selber schließen.

1906 |        Gott ist in gewissem Sinne das gerade Gegenteil vom Menschen in dessen466 heutigem Bestand: Der Mensch ist herabgezogen in die Materie, ist größtenteils von ihr beherrscht und zur Strafe für die Sünde gezwungen, sein geistiges (d.i. übermaterielles) Leben durch die Materie zu leben und erst durch Überwindung des Materiellen sich wieder zu Höherem, zu Gott emporzuarbeiten; Gott ist aber in sich selbst die vollste Unabhängigkeit und Freiheit von allen Hemmungen und Beeinflussungen, wirklich rein geistig, nicht nur in seiner göttlichen Natur, sondern auch in seiner eigenen Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit im Handeln nach außen. Mag auch ein Mensch mit hoher Intelligenz und starkem Willen durch eigene Arbeit an sich eine große Unumschränktheit und Beherrschung und Sicherheit in seiner Tätigkeit sich erringen, das Streben und Bemühen nach höherer Vollendung bleibt doch immer in seinem Leben bestehen. Das Streben nach geistigem Wachstum und der Trieb nach Vervollkommnung sind mit der Geschaffenheit und Begrenztheit des Menschen gegeben und es herrscht in seinen inneren Bewegungen ein ständiger Wechsel und Wandel; das Strebevermögen ist der menschlichen Natur wesentlich eigen, schon infolge der ständigen, durch die erbsündlichen Anlagen bedingten Spannungen zwischen Höheren und Niederen. – Auch vor der Erbsünde hatte der Mensch einen ähnlichen Vervollkommnungstrieb, ein von Gott gegebenes Entfaltungsstreben, aber es herrschte dabei in ihm doch vollste Ordnung und Harmonie und es bestand nicht der uns jetzt bekannte gegenseitige467 Widerstreit zwischen Geist und Materie, jener Kampf und gespannte Zwiespalt zwischen den verschiedenen Anlagen der Seele, der durch den Sündenfall verursacht wurde. Im paradiesischen Zustand des Menschen herrschte ein voller gottebenbildlicher Zustand, der eine ausgeglichene Harmonie und Einheit zwischen Gott und den ersten Menschen möglich machte. Vor allem die Einheit und Einfachheit Gottes war in dem von allen Hemmungen freien Menschen ebenbildlich nachgeschaffen und bildete die Grundlage dafür, dass der paradiesische Mensch das göttliche Wesen und den Willen Gottes unmittelbar und augenblicklich in sich erfahren und erkennen konnte. Es war ja in der Menschenseele eine dem göttlichen Wesen ähnliche Disposition vorhanden: Sie trug in sich – wenn auch in geschaffener und darum niederer Form – die göttlichen Anlagen der Einfachheit und der in sich geschlossenen Einheit „eines Ganzen“, was eine absolute, grundlegende Eigenschaft Gottes ist. Durch diese Einfachheit des paradiesischen Menschen war ein direktes Verhältnis mit Gott, ein unmittelbares Harmonieren und Übereinstimmen mit ihm ermöglicht und diese bildete die Grundbedingung für das Kindesverhältnis gegenüber Gott (das nach Gottes Plan auf die Nachkommenschaft der ersten Menschen übergehen sollte).

1907 |        Wohl waren die ersten Menschen dem Wesen Gottes gegenüber ganz verschieden und gleichsam „artfremd“ – denn Gott ist ungeschaffen und aus sich selbst bestehend, der Mensch aber geschaffen und absolut abhängig von Gott – aber die geschaffenen Anlagen des ersten468 Menschen liefen doch parallel mit den göttlichen Eigenschaften und waren, obwohl geschaffen und beschränkt, doch den göttlich wesentlichen Anlagen ähnlich und angepasst. So machte die Einheit und Einfachheit im Menschen ein unmittelbares Harmonieren und Verstehen und ein gleichsam selbstverständliches, wie „natürliches“ Zusammenleben der ersten Menschen mit Gott möglich, wenn auch der große und in sich unüberbrückbarer Abstand zwischen Gottes Erhabenheit und der menschlichen Geschöpflichkeit immer bestehen blieb469 und bestehen bleiben musste. Dies waren ja die Absichten Gottes bei der Erschaffung des Menschen: Ein Vater-Kindschaftsverhältnis470 wollte er zwischen sich und den Menschen begründen; um dieses zu ermöglichen, bildete er den Menschen entsprechend und „hauchte“ ihm die Ebenbildlichkeit mit sich ein; so standen Mensch und Gott wie in einem „natürlichen“ Verhältnis zueinander, das aber ganz auf der von Gott geschenkten übernatürlichen Ausstattung und Befähigung des Menschen beruhte. Die Seele war gleichsam auf Gott abgestimmt und ihr innerstes Empfinden und Verhalten Gott gegenüber war das eines wahren Kindes, so offen und vertraut, wie wenn dies der Seele „natürlich“ gewesen wäre. – Durch die Sünde kam dann der verhängnisvolle Riss zwischen Gott und der Menschheit – wie auch der Riss im Inneren des Menschen selbst. Die Seele behielt wohl in sich ihre wesentlichen Anlagen und durch Christus wurde das Kindschaftsverhältnis mit Gott wieder vermittelt und ermöglicht, aber das Erleben und Erfahren dieses Kindschaftsverhältnisses mit Gott bleibt dem Menschen nun in diesem Leben für gewöhnlich verborgen; an dessen Stelle tritt das Erleben im Glauben, d. h. durch den Glauben und mittels des Glaubens.

1908 |        Gegenüber dem paradiesischen Menschen mit seinen Vorzügen, seiner besonderen gottebenbildlichen Ausstattung, Harmonie und Kindschaft mit Gott, schaue und erlebe ich dann den „zweiten Adam“, mit einer ähnlichen aber weit vollkommeneren menschlichen Ausstattung, mit der geleichen Seele, die aber für göttliche Anlagen geschaffen und bereitet ist und doch wieder dazu bestimmt ist, ein wahres und wirkliches Menschenleben zu betätigen und zu leben. Die Seele Christi trug in sich sozusagen den gleichen Atemzug mit Gott, der Bedingung war für göttliches Leben. Sie war ganz auf göttliches Leben abgestimmt und in der Harmonie und Einheit ihrer eigenen Anlagen dafür befähigt. – Nach meiner Erfahrung kann man sich das Geheimnis Christi in seiner Menschheit nur durch den Vergleich mit dem paradiesischen Zustand Adams menschlich nahebringen. Dieser Vergleich ist auch sehr begründet, weil der erste und der „zweite“ Adam wie Begründung und Folge aufeinander bezogen sind.

1909 |        Die schweren inneren Leiden der letzten Wochen sind nicht zu beschreiben, weil Gott selbst sie entzündet, um meine Seele umzuwandeln und der „Menschheit Christi“ nachzubilden und anzugleichen. – Dieser lange innere Reinigungsweg hat im Wesentlichen immer das gleiche Ziel: Einzugehen in den moralischen Zustand der Seele „vor der Sünde“ und jene vollkommene Gottebenbildlichkeit miterwerben oder vielmehr zurückzuerobern, die Bedingung ist für das Erleben Christi in jener Form, wie sie mir durch die göttliche Führung nahegebracht wird. – Im Grunde ist mein Geistesweg eigentlich sehr einfach und die gradlinige Fortsetzung des Weges, den alle Christen gehen sollen. Außergewöhnlich ist dabei nur die besondere Höhe des letzten Zieles: Eine „reine Menschheit“ in mir zu ermöglichen und zu schaffen, die befähigt sein soll, Christus den Herrn als jene Menschheit zu dienen, durch die er sein inneres Erlöserleben in mystischer Weise471 wiederholen kann. –

1910 |        Was den Aufstieg und die Rückkehr der Seele zum paradiesischen Zustand und damit die Annäherung an den Zustand der Seele Christi betrifft – soweit dies hienieden möglich ist – kann ich aus eigener Erfahrung Folgendes bestätigen: Der erste Abschnitt dieses inneren Weges besteht in der Überwindung alles moralisch Sündhaften in der Seele. Dies ist zwar ein unumgänglich notwendiger und wesentlicher Teil des Weges, aber es ist doch der leichtere, und in gewissem Sinne nur vorbereitende Abschnitt für den eigentlichen Aufstieg der Seele. Das ganze Ausmaß des tatsächlichen Sturzes der Menschenseele liegt nämlich nicht bloß in der Sünde, sondern geht viel tiefer, bis auf deren letzte Wurzel. Die Überwindung der Sünde liegt zunächst vornehmlich im Willen; viel tiefer geht dann schon der zweite Abschnitt: Die Reinigung von den sündhaften und ungeordneten Anlagen, die in sich noch nicht Sünde sind, aber die Sünde ermöglichen. Gegen diese Anlagen muss in der Seele ein geistiger Tugend-Habitus, ein Ausgleich erworben und gleichsam ein Gegengewicht geschaffen werden, wodurch, wenigstens für die gewöhnlichen Lagen und Schwierigkeiten, ein geistiges Schwanken ausgeschlossen und eine gewisse Befestigung und Garantie für die Seele gegeben ist. Auch dieser schon472 erworbene Habitus aber kann und soll sich immer noch mehr vertiefen und erweitern und wird dann bewirken, dass die Seele zu großer innerer Freiheit von den Hemmungen der Materie und den Beeinflussungen durch die Außenwelt gelangt und dass sie von den Selbsttäuschungen der Selbst- und Eigenliebe befreit wird, die ein ständiges Hindernis und Herabmindern des wahren geistigen Fortschrittes für die Seele bedeuten. – Die Folgen des Sündenfalles gehen aber noch weit tiefer als die Begriffe der „Sünde und sündhaften Anlagen“ besagen. Gewiss muss zuerst auch der Hang zur Sünde überwunden werden, aber dann beginnt erst die eigentliche geistige Erhebung von der tiefsten Folge der Erbsünde, von jener geistigen Unordnung, die ihrerseits erst die Möglichkeit und Neigung zur Sünde ganz erklärt: Die letzte und tiefste Wurzel der erbsündlichen Unordnung ist in der Seele die Verdunklung der Wahrheit über sich selbst und eine gewisse Trennung von Gott.

1911 |        In diesem Zusammenhang mit dieser inneren Erkenntnis über die Tiefe des adamitischen Falles473 hatte ich auch die mir zunächst merkwürdig vorkommende Erkenntnis, dass die Sünde Adams nicht erst anfing, als er die verbotene Frucht aß, sondern dieses Essen der verbotenen Frucht seine erste Ursache in der Verwirrung seiner Liebe zu Eva hatte. Der erste Mensch hatte nämlich, infolge seiner besonderen Gnadenausstattung, ein direktes unmittelbares Verhältnis zu Gott; er brauchte nicht erst auf dem Weg über die Geschöpfe zu Gott aufsteigen, sondern konnte jederzeit Gott unmittelbar finden und sollte nur von Gott her und in Gott sich den Geschöpfen zuwenden. Die gottebenbildliche Einfachheit seiner Seele, und deren geistigen Anlagen, führte ihn direkt zu Gott, und dann von Gott her zu seiner Gefährtin Eva, die Gott ihm beigegeben hatte; so lag es in den Absichten Gottes bei der Erschaffung des Menschen. Als Eva dem Adam die verbotene Frucht anbot, wandte sich dieser – sein geistiges, übernatürliches Verhältnis zu Gott außer Acht lassend – in sinnlicher Liebe der Eva zu, kehrte sich damit in gewissem Sinne von Gott und dem von Gott im Menschen grundgelegten übernatürlichen Geistesgesetz ab, und damit zerbrach in Adam das direkte Verhältnis der Menschen zu Gott. Die geschöpfliche Liebe zu einem Geschöpf hatte in Adam die Oberhand gewonnen und aufgrund dieser geschöpflichen Liebe übertrat er – entgegen der höheren, übernatürlichen Möglichkeit und Verpflichtung – das ihm von Gott gegebene Gebot. Das vom Schöpfer in den ersten Menschen grundgelegte Gesetz des direkten Verhältnisses und Weges zu Gott war durch ihre erste Abkehr von diesem Gesetz und Vorrecht zerstört. Dies war die erste Ursache der Sünde, und im Grunde ist auch heute noch die Abkehr von Gott die letzte Wurzel aller Sünden.

1912 |        Das Verständnis des Falles der ersten Menschen erklärt wiederum das Geheimnis des sittlichen Aufstieges der Seele und der Erhebung aus den Folgen des Sündenfalles. In der Abkehr des Menschen von Gott und in der ungeordneten Hinwendung zum Geschöpf liegt das Wesen der Sünde überhaupt und mit der Überwindung dieser ungeordneten Hinwendung und Abkehr beginnt auch der Aufstieg und die Hingabe der Seele an Gott. – Jede Sünde trägt in sich auch schon ihre Strafe und ihre Folgen. So waren Folge und Strafe der ungeordneten Hinwendung und Liebe zum Geschöpf eine gewisse Trennung der einzelnen Menschen untereinander. Damit ist nicht so sehr die äußere Trennung gemeint, als vielmehr eine gewisse Trennung der Geister, eine geistige474 Absonderung des Einzelnen. Dies verlangt nun Gott vom Menschen, damit dieser wieder direkt zu Gott gelangen könne. – Jeder Mensch geht allein seinen Weg zu Gott; nicht zwei Menschen kommen zusammen zu Gott bzw. in den Himmel, mag sie auch nach außen noch so sehr ein gemeinsames Band verbinden. So war es schon bei der Erschaffung der Menschen von Gott bestimmt. Die äußere Gemeinschaft kann ein Weg dazu sein, kann Mittel und Anregung sein, kann aber auch zu Selbsttäuschung führen. Jenes tiefste Gesetz, in dem Gott die Menschen erschaffen hat, bleibt für immer bestehen. Das gilt auch für das höhere Geistesleben: Je höher und näher zu Gott die Seele emporschreitet, desto intensiver und tiefer vollzieht sich die jetzt sehr schmerzliche Trennung von allem Geschöpflichen, das Eigene mit eingeschlossen. Dadurch soll dem entgegengetreten und abgeholfen475 werden, was die erste Ursache der Sünde war, dass der Mensch sich nämlich zu den Geschöpfen (zu einem anderen Menschen) herab und damit von Gott wegziehen ließ. Auf diese Tatsache weist auch der liebe Heiland hin, wenn er sagt, er sei gekommen um zu trennen die Mutter von der Tochter, den Sohn vom Vater usw.

1913 |        Jede Sünde wird nur durch ihr Gegenteil und den Gegensatz zu ihr überwunden (und zu dieser Überwindung bzw. zu den dem Bösen entgegengesetzten Tugendakten sollen nach Gottes Absicht die von ihm zugelassenen Versuchungen helfen und anregen). Je höher diese Überwindung fortschreitet, desto feinere und tiefere Formen nimmt sie an. Das gilt auch für die notwendige Loslösung von den Geschöpfen, nachdem jede Seele in sich für Gott geschaffen ist und nur in sich, als Einzelwesen, sich wieder Gott nähern kann. Nicht die sinnliche und geschöpfliche Anhänglichkeit der Menschen untereinander führt zu Gott, sondern eine gewisse geistige Absonderung und Einsamkeit, die aber nicht Lieblosigkeit sein braucht und soll und darf. Vielfach nimmt Gottes Führung selbst diese geistige Trennung vor und auf den höheren Stufen des Geisteslebens schafft Gott geradezu solche von den Geschöpfen trennende Leiden in476 der Seele. Der Anfang dazu ist wohl eine gewisse innere Trennung von den Menschen durch Meinungsverschiedenheiten, Verleumdungen usw.; auf den höchsten Geisteswegen folgt dann die Trennung von dem innerlich Eigenen, wie es sich in den passiven Reinigungsleiden vollzieht.

1914 |        Bezüglich dieser Grundlage der sittlichen Erhebung aus den Folgen der Erbsünde und der persönlichen Sünde habe ich innerlich vieles erlebt und habe erkannt, wie gerade auch im höheren Geistesleben jede tiefste Wurzel und Anlage zur Sünde durch deren Gegensätzlichkeit und entgegengesetzte Haltung zu überwinden ist, weil nur auf diesem Wege die entsprechende Tugend wieder erworben werden kann. – Freilich kommt den meisten Menschen diese tiefste Wurzel des Bösen und Folge der Sünde gar nicht recht zum Bewusstsein; denn der Mensch täuscht sich selbst, gibt sich selber immer recht, meint sich selbst behaupten zu müssen und bedeckt sich für gewöhnlich mit der ihm durch die Sünde gleichsam eigen gewordenen Unwahrhaftigkeit gegen sich selbst. Nur in Gott lernt er sich selbst kennen, wird er sich seines wahren Zustandes bewusst und wird er geheilt von der tiefsten Unordnung und Wurzel und Folge der Sünde, von der Unwahrheit über sich selbst.

1915 |        Ohne eine ganz besondere Gnade Gottes kann zwar die Fülle und Reinheit des paradiesischen Zustandes der Seele Adams niemals zurückerobert werden, aber in Christus und kraft seiner Verdienste wird uns ein Ersatz dafür gegeben und mit ihm bekleidet sind wir entschädigt für das Verlorene. Ich habe schon früher jene besondere Gottebenbildlichkeit der ersten Seele beschrieben, in der Gott die Menschen schuf und die mit der Sünde verloren ging, wenn auch die Anlagen der Seele immer noch Gottes Bild und Züge tragen. Die tiefste Wurzel des adamitischen Sturzes ist nun eine gewisse uns bekannte Disharmonie in der Seele, das ständige Suchen und Kämpfen in ihr, das Widerstrebende und Widersprechende, mit einem Worte eine gewisse geistige Unruhe und Unordnung, die für gewöhnlich auch auf den höheren Vereinigungsstufen mit Christus nicht zur vollen Ruhe kommt; freilich kommt diese tiefste Unordnung dem Menschen für gewöhnlich nicht ganz zum Bewusstsein, es sei denn mit einer besonderen Gnade. Es handelt sich aber hier im Grunde um die Anerkennung und das Eingeständnis der Ur- und Hauptunordnung der jetzigen Seele, um das traurige Geheimnis ihres geistigen477 Egoismus und ihrer Egozentrik, wodurch sie sich selbst lebt und besitzen will, es handelt sich um den Abstand und die Trennung der Seele von Gott, während sie nach Gottes Plan in einem vollen Kindschaftsverhältnis zu ihm stehen soll. Aus diesem tiefsten Zentrum des Egoismus strahlt die – meist uneingestandene – Unordnung aus auf das menschliche Leben, wodurch der Mensch sich selber leiten und dirigieren will, mehr oder weniger unabhängig von Gott, wodurch er sich sicher immer recht zu geben sucht und wodurch er daher in Finsternis bleibt über seinen wahren Zustand und die Ur-Unordnung. Die feine Harmonie mit Gott, die bewusste Abhängigkeit von ihm in allem, das Geleitet-sein von Gott ist übergegangen in Selbstleitung der Menschenseele und so irrt sie im eigenen Irrtum, in einer gewissen Unwahrheit, dahin, weil es nur in Gott die volle Wahrheit gibt.

1916 |        Ich wurde im eigenen Erleben in diese geistigen Abgründe des gefallenen Zustandes der Menschenseele eingeführt, erkannte dann als Gegenstück dazu die „reine Menschheit“ des paradiesischen Menschen, wie er aus der Hand des Schöpfers hervorging, und erlebte schließlich die „reinste Menschheit Christi“. Die reinste Seele Jesu steht da in vollster Wahrheit und wahrster Wirklichkeit, alle menschlichen Selbsttäuschungen und Irrtümer übersteigend und überbrückend; sie ist Gottes Spiegel in voller Klarheit und Heiligkeit. Sie war gebildet und geschaffen, um die ewige Wahrheit und das göttliche Licht der zweiten göttlichen Person zu tragen, ihr zu dienen und als göttliches Gefäß verwendet zu werden. – Was den Menschen jetzt am meisten behindert, Gott nahezukommen, ist das Dunkel über seine wahre Wirklichkeit; was ihn anderseits der ewigen Wahrheit Gottes am nächsten führt, ist die Wahrheit über sich selbst, das Eingestehen der eigenen Ohnmacht, Abhängigkeit, Vergänglichkeit usw. – In der Seele Jesu nun war alles Wahrheit, Wirklichkeit, unmittelbare Offenheit und Bejahung der wahren Wirklichkeit; sie war ein aufgeschlossener Spiegel für göttliches Leben. So stand sie in unvergleichlicher Dienstbarkeit bereitet und bereit für die göttliche Person des Wortes. – Und von dieser Seele nahm Gottes Sohn Besitz. Der Abglanz des Vaters, das ewige Licht beleuchtete und durchdrang die tiefsten Tiefen dieser Seele mit dem göttlichen Licht und Leben.

1917 |        Die heiligste Seele Jesu war in allem Werkzeug und Gefäß für das göttliche Leben selbst. Den Urgrund und die tiefste Quelle für das Seelenleben Christi müssen wir daher im göttlichen Sein der zweiten göttlichen Person selbst suchen, also im wahren Bereich des göttlichen Wesens selbst. Dort liegt der Schwerpunkt für alle Taten und Opfer des Erlösers, von dort, vom göttlichen Habitus her, strömte das wahrhaft göttliche Leben in die Seele Christi. Der göttliche Habitus war das Entscheidende im Leben des Erlösers und wir müssen das Wesen Gottes erforschen können, um das gottmenschliche Leben Christi mehr oder ganz würdigen zu können. Dieses volle göttliche Leben und Sein ohne Einschränkung in den wesenhaften, göttlichen Eigenschaften durchlebte die Seele Jesu und machte sein ganzes Menschenleben wirklich und wahrhaft göttlich, machte all seine Werke göttlich und voll göttlichen Wortes. Das göttliche Sein selbst erfüllte die Seele Jesu. Dieses Geheimnis zu durchschauen ist wunderbar …

1918 |        Dadurch erhielt die Seele Jesu gleichsam göttliche Freiheit und Bewegungskraft und Unumschränktheit in sich selbst, erhielt sie die höchste Erhabenheit und Leichtigkeit, die noch weit die paradiesische Freiheit überstieg. Man hat aber kein Wort, um diese Erhabenheit und Leichtigkeit und Unumschränktheit wirklich erklären zu können, wenn man es sich nicht auf dem Weg des Selbsterlebens ableiten und nahebringen kann. Diese Erhabenheit und Unumschränktheit beinhaltet nicht nur die Freiheit von den niederen Hemmungen der Materie und der irdischen Bedürfnisse, sondern auch eine unaussprechliche Freiheit und Erhabenheit und Leichtigkeit des Geistes und der höchsten Seelenfähigkeiten, eine absolute Zusammengeschlossenheit des Niederen und des Höheren zu einem Leben, gleichsam zu einem Akt, in dem alle geistigen und leiblichen Betätigungen und Bedürfnisse eingeschlossen und schon bejaht sind. Und diese göttliche Erhabenheit beherrschte und belebte auch den Leib Christi. So war das Erdenleben Christi ein Leben voll göttlicher und menschlicher Harmonie und Einheit. Zudem wirkten ständig auch alle anderen göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten in der Seele Jesu, die ihrerseits imstande war, in jedem Augenblick jene Vollkommenheit in göttlicher Vollendung menschlich zu leben und auszuführen. Dieser Umstand hat die Seele Jesu wundersam geadelt und vergöttlicht, da sie Werkzeug göttlicher Funktionen war.

1919 |        In der Seele Jesu glühte daher auch die Unendlichkeit der göttlichen Liebe, die göttliche Liebeskraft des Umfassens der gesamten Menschheit, die Liebe, die alles und für alle Menschen zu leiden, und zu opfern bereit war. Die ganze Menschheit war gleichsam im göttlichen Sein der zweiten göttlichen Person zusammengefasst und die Seele Jesu war infolge ihrer besonderen Vollendung und Vergeistigung fähig, diese gesamte Menschheit und jeden einzelnen Menschen mit menschlichen Gefühlen der Geduld, Barmherzigkeit usw. zu umfassen und zu tragen. Das war an sich für die Seele Jesu nichts Erdrückendes (wie man menschlich annehmen müsste/möchte), sondern die Seele Christi war so weit und so sehr für die Unendlichkeit der göttlichen Liebe geschaffen, dass sie alle Leiden für die Gesamt-Menschheit, welche die göttliche Liebe ersonnen hatte, zu leiden, und zu ertragen vermochte. Die Seele Jesu lief in ihren Fähigkeiten parallel mit den göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten und war das angepasste Werkzeug für die menschliche Auswirkung der göttlichen Vollkommenheiten und die Ausführung der göttlichen Erlöserpläne. Daher war sie auch fähig, unmittelbar göttliche Funktionen auf sich zu nehmen und für die göttliche Person das Mittel zu sein im Verkehr mit dem Vater; ja, sie war ein ebener, gerader Weg zum Vater durch die göttliche Person. Kein Leiden und kein menschlicher Druck hinderten sie daran, zur höchsten Einheit Jesu in und mit dem Vater gebraucht zu werden. Es war in ihr eine volle menschliche Gleichstimmung und Ebenmäßigkeit mit dem göttlichen Wesen zum Zwecke harmonischer Dienstbarkeit angelegt.

1920 |        Aus diesem inneren Erleben heraus verstehe ich die ungeheure Spannung und den Abgrund, in den die Menschenseele im Allgemeinen durch die Sünde gestürzt ist; ich verstehe den Riss zwischen Gott und der Menschheit, den die zweite478 göttliche Person durch ihre Menschwerdung wieder überbrückt hat, und zwar mittels einer neu geschaffenen Seele, die der göttlichen Person vollkommen dienstbar war, und menschlich das getragen und gelitten hat, was göttliche Vollkommenheit und Liebe ihr zu tragen, und zu leiden auferlegte. – Groß ist die Menschenseele in ihre Erschaffung durch die Hand Gottes; tief und folgenschwer ist ihr Fall in der Sünde; groß wiederum ist ihre Erhebung aus der Sünde durch die Erlösung dank der Seele Christi, die das Werkzeug zur Erlösung war; groß ist die Seele auch, weil sie – wie ich es zutiefst erfahren habe – unaussprechlicher Vereinigung mit Gott fähig ist, weil sie tragfähig und erlebnisfähig für Gott ist, weil sie – in Christus – göttlicher Funktionen fähig war.

1921 |        Die Seele Jesu479 war ferner auch befähigt, unmittelbar den Genuss Gottes ertragen zu können, all die Süßigkeiten und Freuden der Gottheit Christi wie selbstverständlich und instinktiv zu übernehmen und sich davon ausfüllen zu lassen und das göttliche Leben mittels ihrer höchst geistigen Fähigkeiten als „einen Akt“ zu leben. Dabei haben sich aber die beiden Naturen in Christus nicht vermischt, sondern die Seele Jesu war den göttlichen Funktionen nur ganz dienstbar.

1922 |        Auch im Himmel und in alle Ewigkeit genießt die Seele Jesu unmittelbar das göttliche Leben, dem sie in Jesu Erdenleben Werkzeug war. Sie wurde nach dem Tode Jesu nicht etwa beiseite getan, sondern sie genießt die zweite göttliche Person und in ihr die heiligste Dreifaltigkeit als das Zentrum aller auserwählten Seelen. –

1923 |        So habe ich in vielen inneren Erfahrungen die göttliche Dienstbarkeit der Seele Jesu erlebt, ausgehend von der Seele im erstgeschaffenen paradiesischen Zustand, der jenem der Seele Jesu ähnlich und für ihn gleichsam grundlegend war. – Damit ist aber nicht gesagt, dass ich Jesus als den Erlöser erfahren und erfassen kann, „wie er ist“; denn das volle Erkennen Gottes und seiner Geheimnisse in unverhülltem Schauen beginnt erst in der Ewigkeit und „Stückwerk ist unser Wissen auf Erden“. Aber ich erfahre und erfasse Christus so weit, als er sich mir offenbaren will, weil und wie es seinen Absichten unendlicher Liebe und Erbarmung dient. – Ich kann auch nicht leugnen, dass Christus mir verspricht, durch eine ganz besondere Gnade den vollen Zustand der paradiesischen Seele in sittlicher Hinsicht in mir wiederherzustellen, um meine Seele zum ebenmäßigen und geeigneten Werkzeug für das Erleben seiner innersten Erlösergeheimnisse zu machen. – Wenn ich an meine innere Aufgabe voll und ganz glaube und glauben muss, so muss ich auch eingestehen und bekennen, in welch hohem Maß meine Seele schon befähigt wurde, das Geheimnis Christi zu erleben, nicht in Visionen oder ekstasemäßig, sondern mittels einer solchen seelischen Vereinigung, dass ich erklären kann und muss: „So ist es; so habe ich es erlebt“. Und immer noch erhöht sich dieser Zustand der Einheit und des Zusammenlebens und Harmonierens mit Jesus, das mir das innere und innerste Wesen des Erlösers eröffnet und erklärt.

 

30.11.1942

1924 |        Ich werde innerlich immer veranlasst und angetrieben zu glauben, dass Jesus in mir eine reine Menschheit wiederherstellen wird, wie sie im Paradiese bestanden hat, denn – so wurde mir heute des Öfteren erklärt – dies sei die Grundlage und Grundbedingung um die göttliche Erlöserperson in jener Form erleben zu können, wie es in den Absichten Jesu liegt. Dazu sei jene reine Menschheit erforderlich. (Dies scheint zwar ganz unglaublich, aber der Wahrheit gemäß und der inneren Führung entsprechend muss ich es bekennen). Es wurde mir aber heute innerlich bewusst: Die volle Auswirkung dieser ganz außerordentlichen Gnade und die Einheitlichkeit und Vollendung dieses Zustandes tritt erst mit dem wirklichen Dauerzustand des Erlebens Jesu ein; alles Vorhergehende ist Vorbereitung und Befähigung dafür. Als Gradmesser und Prüfstein wird bei dieser ununterbrochenen fortschreitenden Vorbereitung und Befähigung immer wieder das „Wesen der göttlichen Person“ mit ihren göttlichen Vollkommenheiten angelegt und es wird in mir ein entsprechender geistiger Habitus geschaffen, um der göttlichen Person als Menschheit dienen zu können. Die innere Führung und Vorbereitung sucht dabei gleichsam mit den göttlichen Vollkommenheiten der Person Christi menschlich entsprechend Schritt zu halten, wenn mir dies auch infolge der damit verbundenen Leiden im Einzelnen nicht immer zum Bewusstsein kommt. Die Möglichkeit einer solchen Anpassung und Angleichung ist in der Seele grundgelegt durch ihre Gottebenbildlichkeit, da sie im Grunde immer noch die Anlagen eines – sehr kleinen und schwachen, aber doch – wahren Abbildes Gottes in sich trägt. So erfahre ich erklärend und begleitend mit meiner inneren Entwicklung jeweils das Wesen jener göttlichen Eigenschaften, in die ich gerade eingeführt und für die ich so weit befähigt werde, dass ich sie nach dem Maße meiner geistigen Aufgabe ertragen kann. Das Erleben jener göttlichen Vollkommenheiten – die in der Seele gleichsam keimhaft nachgebildet und ermöglicht sind – läuft gleichsam neben der seelischen Umwandlung und Entwicklung her.

1925 |        Gegenwärtig z. B. erlebe ich als Begleit-Gradmesser das göttliche Wesen des „Aktes“, das in der Erlöser-Menschheit als wesentliche göttliche480 Eigenschaft weiter bestanden hat (und das in der Einfachheit der geistigen Seele noch eine entfernte Ähnlichkeit, Verwandtschaft und Nachbildungsmöglichkeit findet): Dieses Leben EINES Aktes, sozusagen einer einzigen geistigen481 Bewegung, die alles in sich enthält und alle Seelenfähigkeiten zu einer einzigen482 aktmäßigen Tat und Wirklichkeit zusammenschließt (um ein erklärendes menschliches Wort zu versuchen) – was für den geschaffenen Menschen zunächst ganz unverträglich und unmöglich scheint. Wie immer werden – in unsagbaren seelischen Leiden – die in meine Natur bzw. in meiner Seele noch bestehenden Dispositionen und Widersprüche gegen jene göttliche Vollkommenheit allmählich ausgemerzt bis zur notwendigen Angleichung nach dem mir gesteckten Maß und Ziel. So wird jetzt eine unbedingte Einheit und Zusammengeschlossenheit all meiner Seelenfähigkeiten hergestellt, bis jeder natürliche Widerspruch meines eigenen Seins dagegen überwunden und behoben ist. Das bedeutet aber eine gänzliche innere Umstellung, und ein beständiges – im seelischen Schmerz wohl dem Streben ähnliches – „Vergehen“ meines selbst und meines bisherigen Habitus. Es ist wie ein Einfügen in das, was der Natur eine „geistige Enge“ scheint, in der alles auf einen einzigen Weg und Punkt hingeht und zusammendrängt. Das vielerlei in der Seele wird gleichsam in einen Akt eingespannt, in dem aber alle vorhergehenden Akte und Regungen der Seele schon geordnet sind, um dem göttlichen „Actus“ folgen zu können. Zugleich erleide ich ein „Totleiden“ aller, der Seelen eigenen Bewegungen, eine geistige „Untätigkeit“ (so scheint es), die man nicht in Worten ausdrücken kann, weil diese inneren Veränderungen dem gewöhnlichen Seelenleben fremd sind. Diese Abnahme oder Wegnahme der eigenen Betätigungen der Seele auf dem normalen Weg bedeutet aber zugleich auch eine unaussprechliche Befreiung von den Hemmungen des eigenen „Ich“, eine unermessliche und wunderbare „Freiheit“ in mir selber und eine nicht zu beschreibende geistige Unumschränktheit.

1926 |        Diese geistigen Veränderungen vollziehen sich aber im jetzigen Stadium gleichsam „im Dunkel“, weil die fortschreitende Bewegung und Umwandlung in sich selber das Licht ist. Das fühlbare Licht des Erkennens, das bisher immer wieder von Zeit zu Zeit wie mit einem geistigen Lichtstrahl mein Inneres beleuchtete, war ein Hilfsmittel, das jetzt nicht mehr nötig ist und darum wegfällt. Es wird jetzt alles in mir mit dem wirklichen Sein und der Wesentlichkeit eingeordnet, die das fühlbare und aufstrahlende Licht Gottes483 nicht mehr braucht.

1927 |        Jetzt kann ich auch mehr verstehen, was Jesus meinte, wenn er mir davon sprach, dass er mein Sein für mich auslöschen werde usw. Langsam werde ich seinem göttlichen Sein eingeordnet und untergeordnet. Damit verliere ich gleichsam die Existenz für mich, für den eigenen Genuss und Besitz, der an sich meiner Person entspricht und zukommt, und ich werde dadurch befähigt, das Sein484, das Resultat seines gottmenschlichen Lebens zu erfahren. So vollzieht sich in mir gleichsam eine Umschaltung, ein Hinüberordnen und ein Aufnehmenkönnen des inneren Zustandes Jesu in seinem gottmenschlichen Erdenleben. Im Grunde bleibt dieser Vorgang in mir zwar ein sich immer mehr entwickelndes Geheimnis, aber ich werde innerlich veranlasst und gemahnt, an die Gnade dieser Umbildung in mir zu glauben, weil an dem Glauben der innere Fortschritt gebunden ist. (Man muss in diesen inneren Veränderungen immer das gleiche erklärende Wort gebrauchen, obwohl sich der betreffende Zustand in mir sich immer vertieft und es wiederholen sich auch immer wieder die gleichen Vorgänge mit vertieften Veränderungen).485

1928 |        Dabei bin ich aber auch in einer Weise und Tiefe, die nicht mit Worten ausdrückbar ist, allein in mir selbst, wie in einer Wüste, wie getrennt von jedem Einfluss von außen her und gleichsam unbeeinflussbar nur dem inneren Erleben und Erleiden hingegeben. Es hat sich in mir eine Trennung und Absonderung von den Menschen vollzogen, die sich nicht beschrieben lässt; es ist wie eine Abwehr, die jeden fremden und auch den eigenen menschlichen Einfluss ausschaltet. Damit ist aber nicht gesagt, dass man gute Ratschläge usw. nicht annehmen wollte oder könnte, sondern diese Abwehr der Beeinflussung von außen oder durch das Eigene geht tiefer und zielt auf eine unbedingte Hinordnung und Hinspannung auf höchste göttliche Einflüsse, zielt auf eine gewisse geistige Unbeweglichkeit und Unerschütterlichkeit.

1929 |        Alles dies vollzieht sich aber wie in einem Meer voll geistiger Ruhe. Mögen auch die begleitenden Leiden noch so schwer und drückend sein, es wächst doch zugleich mit ihnen und durch sie die innere Kraft und die Absolutheit und Unbedingtheit der Hingabe an die göttliche Führung. Damit werde ich in einen Dauerzustand des Erlebens-Könnens Christi eingeführt, für den ich unwandelbar befähigt und befestigt werde.

1930 |        Ich werde auch von Neuem auf den Umstand hingewiesen, dass das wirkliche Erleben des inneren Erlöserlebens Jesu mir wie mein eigenes Leben erscheinen wird, dem ich unentrinnbar überantwortet bin. Es werden meine persönlichen Erlebnisse sein, also nicht etwa nur ein Schauen und Erkennen des Inneren Christi, wie es sich jetzt noch zum Teil vollzieht, obwohl ich vielfach auch jetzt schon die Erkenntnisse über Christus aus eigenem Erfahren wiedergeben kann. – Das Wunderbarste aber an allem ist die Einfachheit meines Innenlebens, für die486 es überhaupt keinen Ausdruck und keine Erklärung gibt.

 

Dezember

01.12.1942

1931 |        Ich bin heute in einem solchen Maß mir selbst weggenommen, dass es kein erklärendes Wort dafür gibt. Der Zustand ist ähnlich einer Ekstase, die sich aber bei vollem Bewusstsein vollzieht. Der höhere Teil meines Seins ist auf ein höchstes Ziel hingeordnet und ist dort wie gebannt. Dieses Entrücktsein betrifft aber mich selbst, den Einfluss487 meines eigenen Ichs, den ich ganz entzogen werde. Ich weiß gleichsam nichts um mich; mein eigenes488 Sein ist mir selbst entrückt und entzogen, ebenso alle Dinge, die mich betreffen, meine Angelegenheiten und meine Umgebung. Es ist aber nicht ein Entrücktsein der Sinne, sondern vielmehr ein intensives Entrücktsein des Geistes gegenüber jedem Einfluss durch mein eigenes Ich.

1932 |        Dieser Zustand bildet für mich noch ein Leiden, unter dem man vergehen zu müssen meint. Dieses Entrücktsein führt mich in eine unaussprechliche geistige489 Leere und Untätigkeit, wie in einem Nichts-Zustand, ohne irgendwelche Bewegung und Bewegungsmöglichkeit, und diese beinhalten eine vollständige Umstellung meines geistigen Seins. In diesen großen Leiden ist auch fast jedes Erinnerungsvermögen an mich selbst, bzw. an meine Angelegenheiten wie ausgelöscht; wie eine undurchdringliche Wand trennt mich dieser Zustand ebenso vom Früheren wie von der Zukunft; ich bin gleichsam eingeschlossen zwischen zwei dunklen Mauern, aus denen es kein Ausweg gibt. Und diesen Leiden bin ich unentrinnbar hingegeben.

 

02.12.1942

1933 |        Heute Vormittag in der Kapelle kam ich in einen vorher nie erlebten Zustand, den ich nicht mit anderen Worten erklären kann als mit diesen: Das Licht in mir selbst, das Sein für mich selbst wurde gleichsam ausgelöscht. Es wurde mir etwas im Inneren weggenommen und es kam ein Dunkel über mein eigenes Sein. An dessen Stelle trat ein anderer, wesentlicher Zustand, der mir als Ersatz dafür genügen soll. Ich finde auch vollen Ersatz daran, aber im vollen Verzicht meiner selbst.

1934 |        Damit bin ich meinem geistigen Ziele unmittelbar nahegekommen; denn es genügt mir nun das Sein Jesu als wesentlicher Zustand, der aber ganz der meine scheint. Bisher wurde ich doch noch fühlbar von der führenden Gnade unterstützt, aber jetzt scheint dieser wesentliche Zustand schon vollauf zu genügen. – Ich sehe jetzt auch ein, welch großen Fortschritt ich in den letzten Wochen durch Gnade und Leiden machte und wie ich immer mehr meinem geistigen Endziel nähere.

 

04.12.1942

1935 |        Schon genügt mir der vorhin erreichte und beschriebene Zustand wieder nicht mehr. Er ist mir schon geläufig und ich bewege mich ungehindert darin. Darum drängt es mich weiter zu einem noch höheren Grad des Mich-Verlassens, zu einer noch größeren Freiheit von meinem eigenen Einfluss. Ich weiß schon um die Freiheit Gottes bzw. des Wesens der göttlichen Person des Wortes und es drängt mich, darin ungehindert mich zu ergehen.

 

05.12.1942

1936 |        Mein geistiges Fortschreiten vollzieht sich fast in ununterbrochenen Leiden. –

 

06.12.1942

1937 |        Heute erlebe ich in wunderbarer Weise die Früchte der gestrigen inneren490 Leiden (und der vergangenen Tage)491, die auch während eines großen Teils der Nacht anhielten. Schon am Morgen, als ich erwachte, war ich in einem völlig veränderten Zustand.

1938 |        Ich habe innerlich das gewonnen, worum ich so sehr gelitten habe: eine unaussprechliche Befreiung von meinem Eigenen. Diesem Zweck hatten jene Leiden der geistigen Entrückung von mir selbst gegolten und es war mir nun auch die tiefste Ursache jenes „Mir-Selbst-Entrückt-Seins“ klarer, nämlich die erbsündliche Anlage der seelischen Egozentrik. Infolge der Erbsünde ist die Seele in ungeordneter Weise auf sich selbst konzentriert, auf ihren eigenen Genuss eingestellt. Die erste Seele im Paradies war direkt auf Gott hingeordnet, war ganz aufgeschlossen und aufgetan für Gott. Sie suchte in keiner Weise ihren eigenen Genuss oder sich selbst und war offen und aufgetan für Gott und auf Gott hingelenkt. Damit besaß die Seele eine unmittelbare Empfänglichkeit für das göttliche Wesen, eine ihr eigene Aufgeschlossenheit Gott gegenüber, mit der sie ihn erkennen, erfassen, genießen konnte. – In meiner Seele wird nun diese unmittelbare Empfänglichkeit für Gott wieder ermöglicht durch jene inneren Leiden, durch jene Entrückung für meinen selbstischen Gebrauch und es wird wieder die feine, wie naturhafte (obwohl selbstverständlich übernatürliche) Hinwendung zu Gott ermöglicht und geschaffen, die sich in Worten überhaupt nicht ausdrücken lässt. Diese sich jetzt in meiner tiefsten Anlage vollziehende Ausmerzung der feinen und verborgenen Egozentrik dient in meinem Falle besonders auch einer vollen seelischen Aufgeschlossenheit und wie natürlichen Offenheit492 gegenüber dem mir zugedachten Erleben, damit göttliche Gebiete gleichsam ungestört in die Seele einströmen und einfließen können. Die Frucht dieser Leiden ist daher eine wundersam hohe Befreiung von den verborgensten, mir selbst unbewussten eigenen Hemmungen, sodass meine Seele gleichsam für göttliche Erhabenheit und geistige „Leichtigkeit“ zur Verfügung stehen und gebraucht werden kann. (Freilich ist dies in menschlichen Worten nicht ganz klar zu machen und es wird für den Außenstehenden ein Geheimnis bleiben). Es ist eine ungehinderte Freiheit in mir, die mich belebt und trägt. Sie scheint mir schon wie ein Naturzustand zu sein – (Natur ist hier nicht im Gegensatz zur Übernatur gemeint, sondern im Gegensatz zur Notwendigkeit der Übung, des Bemühens oder Erringens) – dürfte sich aber wohl immer noch erhöhen. Diese Freiheit gibt eine gewisse Leichtigkeit des Sich-Selbst-Regierens, was eine schon errungene493 seelische Harmonie aller Kräfte und Fähigkeiten voraussetzt. Der tiefste Grund meines inneren Seins ist Ruhe selbst, jene Ruhe einer seelischen Ausgeglichenheit und des Sich-Selbst-Besitzens (in geordneter Weise)494, das in mir schon Zustand geworden ist.

1939 |        Bei der heiligen Messe und nach der heiligen Kommunion erhöhte sich noch diese innere Fülle, die aber verschieden ist von jener Fülle, die sonst ein fühlbares Vorauserleben eines jeweils kommenden höheren Zustandes bedeutete und begleitete. Jetzt ist die innere „Fülle“ ein wesentliches Erleben, ein schon bestehender Habitus, eine schon errungene Wesenheit meiner Seele. Ich lebe ein wunderbares Leben der Reinheit, eine mir schon eigene Kampflosigkeit, gleichsam ein Ausruhen in mir selber, weil ich im tiefsten Zentrum meines Seins mich selbst besitze. Ich verkoste die Wirklichkeit und Fülle eines in mir schon geordneten Selbstbesitzes ohne Zersplitterung oder Zerteilung durch eigenes, ungeordnetes Selbst-Genießen-Wollen. Damit komme ich zu jener vom liebenden Heiland versprochenen Grundlage meines Innenlebens, die eine Garantie für das Erleben-Können seines Innenlebens sein wird.

1940 |        Diese volle Ordnung und Harmonie, die in mir hergestellt wird, ist zugleich eine Angleichung und Wiedereroberung des Paradieseszustandes der Seele in seiner wesentlichen, sittlichen Hinsicht und Reinheit. – Heute Morgen habe ich die Fülle jenes Paradieseszustandes erkannt und verkostet, jene seelische Ausgeglichenheit, in der Gott die ersten Menschen erschaffen hat. All die früheren geistigen Stufen meiner Erhebung aus der sündlichen Unordnung einigen sich jetzt und bilden jene Zusammengeschlossenheit eines Ganzen in mir, wo die Einheit aller Seelenkräfte und die wahre Ordnung herrschen. All die geistigen Linien und Fäden, die ich früher einzeln in vielen inneren Leiden und Kämpfen spürbar erlitten und erlebt habe, sind nun schon in sich zur Harmonie geeint und zusammengeordnet. Früher war noch ein vielerlei von Bewegungen und Tatmöglichkeiten in mir; das scheint jetzt nicht mehr vorhanden zu sein, weil schon eingefügt und eingeordnet ist in jene Einheit und Einfachheit, die nun Zustand geworden ist,495 ohne irgendwelche Bemühungen, wie aus sich selbst bestehend. Die vorhergehenden Leiden sollten die sündliche Unordnung zerbrechen und eine Neuordnung all meiner seelischen Anlagen und Kräfte vollziehen.

1941 |        Aufgrund dieses Selbsterlebten weiß ich nun um die Tiefe des Falles der ersten Menschen, der neben den anderen bekannten Folgen auch und vor allem die Disharmonie der Seelenfähigkeiten mit sich brachte. Ich weiß um die Abgründe dieses Falles, weil ich seine Tiefe auf dem langen Aufstieg zur Nähe496 des moralischen Paradieseszustandes erlebt und durchlitten habe und zurückschauend sie überblicken kann.

1942 |        Auf der jetzt erreichten Höhe gibt es keine Tugendübung mehr in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes, der ein Bemühen der Seele zu dieser oder jener guten Tat, wenn auch ohne Schwierigkeit und mit der größten Leichtigkeit, besagt; dieser Weg ist längst überschritten. Jetzt wirkt sich aus dem Grunde der schon geordneten Seele der bereits erlangte Habitus wie selbstverständlich aus und dieser Zustand wird der Seele497 zur Natur (in dem oben erklärten Sinne). Gewiss bestehen da noch unbegrenzte Vervollkommnungsmöglichkeiten, weil die Seele in Gott und durch Gottes Gnade immer wachsen und sich vervollkommnen kann.

1943 |        Darum ist mit dem Obigen nicht gesagt, dass mein innerer Weg nun am Ende sei, aber mit dem Erreichten eines bestimmten Abschnittes ist ein Zustand einer gewissen Ausgeglichenheit gegeben, die mich die Art und Wirksamkeit der Paradiesesharmonie und Fülle der ersten Menschen ahnen und zum Teil erleben lässt. Der volle Paradieseszustand ist hienieden auch in der Seele selbst nicht erreichbar, ganz abgesehen davon, dass nach außen immer die Leidensfähigkeit, Vergänglichkeit, der Tod, das Vergehen der Materie usw. bleibt. In der jetzigen Ordnung sind die den ersten Menschen verliehenen Vollkommenheiten, das klare Licht des Verstandes und das wie natürliche Erkennen Gottes sowie die ungehemmte Freiheit seines Willens nie mehr zurückzuerobern. Der Mensch ist vielmehr jetzt dem Dunkel des Glaubens an Gott und dem damit verbundenen Sterben unterstellt.

1944 |        Während ich heute früh dieses, mit besonderer Gnade in mir erreichte Ziel genoss und zugleich den vollen Paradieseszustand der ersten Menschen erfasste, wurde ich in diesem Zusammenhang auch einer anderen Seele inne, einer Seele, die sozusagen auf der gleichen Ebene und auf der gleichen Grundlage gebildet ist, aber doch noch weit höher ausgestattet ist als selbst die erste Menschenseele: die Seele Mariens. In ihr ist alles übertroffen, was selbst Paradiesesfülle und -vollkommenheit bedeutet. Beim Anblick, d. h. im geistigen Innewerden ihrer seelischen Harmonie und Reinheit drängt sich einem unwillkürlich das Wort auf, das man dann aus dem überzeugten Wissen um ihre Unübertrefflichkeit heraus nie genug wiederholen kann: Tota pulchra es, Maria … gratia plena! Dieses Staunen bezieht sich nicht nur auf ihre moralische Reinheit und Sündenfreiheit, sondern auch auf das, was sich noch viel erhabener an ihr auswirkt, auf die wunderbare seelische Ordnung und Ausgeglichenheit Mariens, auf diese ganz zu Gott hingewandte Einheit ihrer Seele, die jede Unordnung und Zersplitterung, jede leiseste Disharmonie ausschließt. Und das alles war in Maria „Natur“, d. h. nicht Übung oder Bemühung nach unserem Begriff; es war im Grunde nichts Errungenes oder Erkämpftes, sondern dauerhafter und gesicherter Zustand bis auf die tiefste Tiefe ihres Seins, ohne Wanken oder Schwankung, gefestigt gegen alle äußeren Einflüsse, unbeweglich in Gott gebunden, aber dies doch wiederum nicht in einem Naturzwang, wie vielleicht jemand aus dem Gesagten schließen möchte, sondern in voller Freiheit. Ihre geistige und vollkommene Freiheit war, ähnlich wie gegenüber äußeren Einflüssen frei und unbehindert auch gegenüber dem Einfluss oder, wie man meinen möchte, „Zwang“ vonseiten Gottes und seiner Gnade. Maria besaß ebenso die Freiheit des Willens, wie auch Eva sie besessen hatte. Ihre Freiheit ging frei-willig498 in Gott und seinem heiligen Willen auf.

1945 |        Gott zwingt niemanden, auch nicht mit seinen größten Gnaden (was ich irgendwie aus eigener Erfahrung bestätigen kann). Es gibt auch auf den höchsten Stufen des Seelenlebens – ebenso wenig wie auf den niederen – keine an sich erzwungene Tugend, selbst nicht bei größten Gnaden. Im Grunde entscheidet sich jede Seele selbst für oder gegen Gott; die Entscheidung für Gott sichert ihr freilich wieder ein größeres Maß von Gnaden und somit wirkt sich die schon erworbene Tugend in der Entscheidung aus. – Ganz ähnlich schaute ich es auch im Leben Mariens. Gott hat in ihrer Seele eine Überfülle von paradiesischen Gnaden angelegt, aber Maria hat diese mit der ihr eigenen Freiheit in ganz hohem Maß ausgebaut und noch vervollkommnet. – Gerade in der rechten Ausübung der Freiheit des Willens499 kommt jede Tugend zu wundervollster Blüte und Auswirkung, wenn die Freiheit schon von der ersten Anlage an sich für Gott betätigt und so das ganze Tugendgebäude eine herrliche Frucht der Freiheit des Willens und damit der größeren Verherrlichung Gottes wird. Selbst wenn ein Mensch in manchen ganz schwierigen, unvorhergesehenen Lagen oder durch unvorstellbare Leiden und Opfer geradezu gezwungen scheint, „aus der Not eine Tugend zu machen“ (wie man zu sagen pflegt), wenn er also wie unbewusst oder unter dem Druck der Verhältnisse die Freiheit seines Willens zur Entscheidung für Gott benützt, so wirkt sich doch auch in diesen Fällen der schon erworbene Tugendhabitus vor Gott in voller Freiheit aus und Gott beurteilt und schätzt die Handlungen der Menschen vor allem nach ihren guten Absichten an seinen Willen.500 Selbst wenn der Mensch einmal in der Verwirrung einer augenblicklichen Lage einmal nicht entsprechend seinem schon erreichten Vollkommenheitshabitus handelt, so findet vor Gott gleichsam auch eine solche infolge des augenblicklichen Zwanges unüberlegte aber gut gemeinte Entscheidung Verstehen und gibt er auch dafür Entschädigung und Belohnung.501

1946 |        Wohl die wunderbarste Folge des vollkommenen Tugendhabitus Mariens ist in ihrer Psychologie die Einheit und Einfachheit der Betätigung der Seele bzw. die Zusammengeschlossenheit all ihrer Bewegungen und Fähigkeiten zu einer gemeinsamen Tat, einer lebendigen, vollen und vollkommenen Tat Gott gegenüber. Bei gewöhnlichen Menschen besteht nämlich auch in einem schon vorgeschrittenen Vollkommenheitsstreben immer noch ein gewisses Suchen, Wanken und Schwanken, Widerstreben und Widersprechen, auch wenn es schließlich doch zur guten Tat, und Handlung kommt. In Maria aber bestanden diese Schwankungen und Widersprüche nicht; sie hatte ja nicht die moralischen Folgen der Erbsünde an sich und war deshalb jeden Augenblick mit all ihren Kräften und Anlagen zu einer vollkommenen Handlung fähig und dazu bereit. Alles in ihr tat gleichsam jederzeit mit zum Guten und so liebte sie tatsächlich immer Gott aus ganzem Herzen und aus allen Kräften. Sie besaß ja auch in sich die volle Ordnung und Hinordnung auf Gott, der das klare und höchste Ziel all ihrer Handlungen war, während die gewöhnlichen Menschen dieses Ziel erst immer wieder von Neuem suchen und festlegen und sich entsprechend überprüfen müssen. So liefen in Maria gleichsam alle seelischen Bewegungen und Akte in einer lebendigen Linie zusammen und wurden in der Ausübung zu einer Tat, weil schon alles zu dieser guten Tat in entsprechender Vollkommenheit vorbereitet und bereit war. In Gott besteht nicht nur Fähigkeit oder Bereitschaft, sondern ständige „Tat“, und zwar in einem Akt und in höchster Vollkommenheit; ähnlich liefen die geschaffenen Fähigkeiten Mariens infolge ihrer harmonischen Ordnung in sich selber und Gott gegenüber zu einer gemeinsamen guten Tat zusammen. Während sonst auch bei vollkommenen Menschen die äußere Ausführung hinter dem besseren Einsehen und Wollen weit zurückbleiben kann, war in Maria Seele und Leib und deren Kräfte harmonisch geordnet und das gab ihr eine wundersame Freiheit und geistige Beweglichkeit502, dass sie ihren geistigen Vollkommenheitshabitus auch nach außen ausführen konnte,503 zumal sie von einer gewissen Schwere der gefallenen Natur frei war. – Dieser geistige Vollkommenheitszustand überhob sie aber nicht den irdischen Leiden, oder dass sie ihre Leiden nicht gefühlt hätte, die sie im Gegenteil zur Königin der Märtyrer machte; ihr vollkommener Tugendhabitus war aber auch darin insofern wirksam, als ihre Tugenden dabei aktiv gebraucht und die Leiden mit dem ihr eigenen Vollkommenheitsmaß getragen wurden. –504 Durch diese Zusammenfassung und diesen einheitlichen Zusammenschluss ihrer Fähigkeiten war das Leben Mariens die volle Verwirklichung der in ihr angelegten Möglichkeiten und Werte. Die Möglichkeit des Zusammenfassens und Zusammenschlusses aller Kräfte in der Einheit und Einfachheit der Seele und ihrer Lebensbetätigungen ist ja in gewissem Sinn psychologisch das Größte, was die Seele an Wertmöglichkeiten in sich besitzt und deren Verwirklichung gibt ihr erst den vollen und ganzen Wert. Dann erst besteht ja wahre und wirkliche Tugend, wenn sie sich auch entsprechend betätigt und bewährt.

1947 |        Eine weitere Folge des vollkommenen, eingegossenen Tugendhabitus in Maria bestand darin, dass alle seelischen Wertmöglichkeiten bis aufs Höchste ausgenützt, verwertet, gebraucht wurde und dass ihre Betätigung wie ein Naturzustand war. Ihre Freiheit war ja ganz und immer schon in Gott aufgegangen und ihr ganzes Leben war auch im Einzelnen eine wie naturhafte Betätigung und Verwirklichung der in ihr grundgelegten Güter und Werte und Möglichkeiten, war eine menschlich vollkommenste Auswirkung ihres inneren vollkommenen Habitus. – In diesem Erkennen über Maria liegt noch ein anderes in Worten nicht ganz zu erklärendes Geheimnis: Maria tat in allem das menschlich Vollkommenste. Es gab in ihrem Leben kein Mittelmaß noch eine weniger vollkommene Tat. Zwar bestand selbstverständlich ein Unterschied hierin zwischen ihrem Jugendleben und ihrem späteren Leben, wo sie naturgemäß auch in der Tugend gewachsen war, aber sie tat in jedem Augenblick das Vollkommenste, das ihr möglich war, verwirklichte jeweils die höchstmögliche Werte. So tat sie, was nie ein Mensch, außer Christus tun konnte, weil in ihr schon der vollkommenste Habitus und damit die vollkommenste Tatmöglichkeit gegeben und vorhanden war. – Für gewöhnlich kann sich der Mensch ohne besondere Gnade Gottes überhaupt keinen rechten Begriff machen von der Hoheit eines solchen bestehenden Tugendhabitus, durch den jede einzelne gute Tat schon Natur ist, d. h., von Natur aus und wie von selber gut ist und wodurch somit das ganze Leben mit allen Akten wie von sich selber schon vollkommen und gut ist (und bei Gott ist überdies jede Tat und jeder „Akt“ von Natur aus höchst vollkommen). Es ist auch für die meisten schon schwer, sich ein Bild zu machen von jenem höheren Seelenleben, wo die Schwierigkeiten der Seele schon mehr oder weniger überwunden sind, wo also die Seele schon ohne weitere Besinnung vollkommen handeln KANN, (d. h. vollkommen nach menschlichem Begriff), wo die inneren Wertmöglichkeiten der Seele schon in der Praxis und Tat geübt und verwirklicht werden und das Gute schon zur Oberhand gelangt ist. – Von diesem Zustand ausgehend und aufsteigend kann man sich in etwa ein Bild machen von dem vollkommenen Tugendleben Mariens, das ein fertiger Zustand ist und wodurch sie in jedem Augenblick alles mit der jeweils ihr möglichen höchsten Vollkommenheit verwirklichte und verrichtete.

1948 |        Ich war heute so sehr in die lebendige Wirklichkeit der Seele Mariens versetzt, und zwar wurde mir diese erklärt im Zusammenhang und Vergleich mit meinem Seelenzustand und von da aufsteigend zu weit höheren und geistigen Werte und Akte. Auf diesem Weg konnte ich in etwa die geistige Vollkommenheitsfülle des Herzens Mariens erfassen und mir erklären: So war Maria in sich, in dieser Richtung ging ihr Tugend- und Heiligkeitszustand. Von da aus konnte ich mir auch erklären, wie ihre menschlichen Vorzüge Möglichkeit und Mittel boten, um den reinsten Leib der zweiten göttlichen Person zu formen, weil eben die allerhöchste Grundlage und Anlage hierfür in Maria schon gegeben war. Darum brauchte Gott – um mich menschlich auszudrücken – im Augenblick der Menschwerdung Christi nicht erst ein Wunder in Maria zu wirken, damit sie fähig würde, wahre Mutterstelle gegenüber dem menschgewordenen Wort einzunehmen. Es war vielmehr so, wie der Engel es ihr verkündet hat: Du bist voll der Gnade! Gott hat nämlich jenes Wunder schon vorher, im ersten Augenblick ihrer Empfängnis, in Maria gewirkt, im Hinblick auf ihre allerhöchste Auserwählung hat er sie mit jener reinen Seele bekleidet und ausgestattet, wie er sie sich für den Menschen im Urzustand gedacht hatte, als wahres Kind Gottes. Alle weitere Schönheit und Heiligkeit bis zur Menschwerdung Christi in ihr hat sich dann Maria gleichsam selbst „erworben“ durch ihr freies Mitwirken mit den Gnaden und Anlagen, ähnlich wie ein Baum vom Keime und von der Wurzel aus sich entfaltet, seine Kraft aus der Wurzel nimmt und emporwächst. Mariens Seele glich einem Ackerfeld, das ganz gesäubert ist von jedem Unkraut, weil Gott selbst sie gleichsam als Ackerfeld benützten und aus ihrem Boden wachsen und aus ihr alles das nehmen wollte, was seinen göttlichen Habitus tragen und zugleich dafür tragbar sein sollte: die reinste und heiligste Menschheit Christi. In Maria war schon das vorhanden, was Jesus als Mensch zu seiner göttlichen Natur hinzu und dieser ohne Disharmonie entsprechend und würdig brauchte. Darum ist die höchste Krone Mariens die Gottes-Mutter-Würde, in deren allerhöchsten Dienst ihre Makellosigkeit und Heiligkeit gestellt wurde, die dafür Vorbereitung war.

1949 |        Vorwärtsblickend habe ich in Maria auch wider meinen geistigen Weg geschaut und das Ziel erkannt, nämlich in Maria jenen Zustand der Reinheit und Vollkommenheit zu erreichen, der es mir möglich machen wird, die göttliche Erlöserperson zu erleben. Der Paradieseszustand wurde mir wiederum als das Mittel gezeigt, das mich innerlich derart vorbereitet, dass ich die göttliche Person Christi erfassen und ihn in seinen innersten, göttlichen Beweggründen verstehen und erleben kann. Erst mit dem wesentlichen Vollkommenheitszustand der Paradiesesseele ist die Möglichkeit dazugegeben.

1950 |        Ich erkannte auch wieder: Ich werde dieses Ziel erreichen, das heißt, es wird mir gegeben werden, weil es die fruchtbare Grundlage und Voraussetzung für die Absichten Gottes in mir ist. Ich schaute die Art und Weise dieser Möglichkeit und ich wurde angehalten und angetrieben, daran zu glauben. Es war mir auch möglich und leicht, an dies menschlich ganz unmöglich Scheinende zu glauben;505 denn ich sah, wie dieser Zustand begründet und seine Möglichkeit mit eingeschlossen ist in den Erlöserverdiensten Christi und wie er durch besondere Gnade Gottes schon in mir vorbereitet ist. Er wird abgeschlossen werden mit einer Gnade der Befestigung und der Umwandelbarkeit als Dauerzustand zur Ermöglichung und als Mittel für meine geistige Aufgabe. Ich konnte gut verstehen und erkennen, wie meine Seele, auf diese hohe Weise befähigt, den Akten der zweiten göttlichen Person folgen kann, nachdem sie jetzt schon ununterbrochen auf dieses Ziel und damit auf die letzte Auswirkung aller mir geschenkten Gnaden hingeführt und dafür befähigt wird. Das Erleben des inneren Lebens Jesu läuft eigentlich jetzt schon parallel mit meiner geistigen Vorbereitung mit, damit ich auch die göttliche vollkommene Wesentlichkeit Christi ertragen zu können lerne.

1951 |        Ich kann nicht anders als glauben an die mir versprochene geistige Grundlage des Paradieseszustandes, weil ich diesen als wesentliche Notwendigkeit für das Erleben des Erlösers im Zusammenhang mit den göttlichen Eigenschaften Christi erkannt habe.

 

08.12.1942

1952 |        Seit gestern Abend bin ich wieder sehr im Leiden, das mich einer ungehemmten Freiheit in mir selbst und einer umfassenden und allgemeinen Geschlossenheit und Harmonie zwischen Seele und Materie zuführen soll. Diese seelischen Stadien aber, die ich jetzt durchlebe, kann man den Außenstehenden nicht mit Worten erklären, wenn ich selbst sie auch noch so klar erlebe.

1953 |        Schon am Morgen erfasste ich zugleich mit meinem inneren Weg und den begleitenden Leiden auch die Seele Mariens in ihrer unerreichbaren Heiligkeit und Vollkommenheit des Paradieseszustandes. Dabei wurde mir nicht so sehr ihre Sündenlosigkeit vorgeführt als vielmehr die Art ihres gotthingeordneten Wesens. Das ist vielleicht das Wunderbarste an Maria: Die volle Harmonie ihres Seins und die Fülle ihrer geistigen Freiheit, mit der sie Gott hingegeben war und ihr Gesamt-Innenleben in Gott aufging. Mit dem Wort „Freiheit“ meine ich hier die ungehinderte Hingabemöglichkeit und Bereitschaft ihres ganzen Seins, auch ihrer leiblichen Kräfte, an Gott in der vollen Harmonie ihres Wesens, die Ungehemmtheit und das Ungehindertsein in der Hingabe an Gott. Dabei habe ich wieder jene unübertreffliche volle Gottebenbildlichkeit erkannt, kraft welcher eine Seele unmittelbar gottfähig und gotthingabefähig wird, jene Gottebenbildlichkeit, die zur höchsten Erkenntnis Gottes führen kann, weil nämlich damit die besten Bedingungen gegeben sind, um Gott nahezukommen und ihn zu erkennen. Dazu ist auch jene Vollkommenheit des seelischen Habitus vorausgesetzt, wodurch schon alles in der Gesamtstruktur der Seele naturhaft (in der Übernatur) gut und geordnet ist. – Ich kann diesen Zustand nur aus den eigenen Erfahrungen im Innenleben heraus innewerden; er wird mir auch durch den Hinweis und Anknüpfung an meinen eigenen Seelenzustand erklärt. Heute Morgen war es aber ein Dauerzustand, in dem ich die Seele Mariens gleichsam mit meiner Seele zusammen erfasste und um sie wusste.

1954 |        In der heiligen Messe am Vormittag hatte ich die besondere Erkenntnis über den Aufstieg der Seele Mariens zum höchsten Zustand in Gott und zur höchsten Stufe der Gottebenbildlichkeit (die mir gezeigt wurde), in der sie Gott so ganz nahekommen konnte. Es wurde mir gezeigt, wie in Maria der Urplan Gottes, den Menschen als wahres Gotteskind zur Vereinigung mit ihm zu führen, höchste Wirklichkeit geworden ist. – In Maria waren alle Bedingungen erfüllt, die eine ungehinderte direkte Gotteserkenntnis ermöglichen und mit sich bringen und eine Seele sozusagen auf einem „ebenen“ hindernislosen Weg wie selbstverständlich zu Gott gelangen lassen. Ich schaute nämlich in Mariens Seele das vollkommenste geschaffene Ebenbild Gottes mit der – in Worten nicht mehr weiter erklärbaren – Folge und Möglichkeit, in Kraft und Auswirkung dieser Ebenbildlichkeit, gleichsam Verwandtschaft und Zugehörigkeit zu Gott sich ganz in den „Dienst“ Gottes zu stellen, aber nicht bloß in einen „Dienst“ nach unseren gewöhnlichen menschlichen Begriffen, sondern im Sinne der bewussten Harmonie und Übereinstimmung ihrer höchsten Seelen- und Geisteskräfte mit Gott und seinen heiligen Absichten und Wünschen. Gerade dadurch wird aber die höchste Absicht Gottes, die er bei Erschaffung des Menschen hatte, erreicht und verwirklicht; der Mensch ist nämlich berufen, Vermögen seiner gottebenbildlichen, gottgemäßen, sozusagen gottverwandten Anlage direkt zu Gott zu kommen und ihn ihm und seinem heiligen willen aufzugehen. Die Anlagen und Fähigkeiten der Seele Mariens liefen in ihrer höchsten Vollendung wirklich in geschaffener Weise parallel und übereinstimmend mit den seinshaften, göttlichen Anlagen; ihre Anlage und Ausstattung war so vollendet, dass ihr eine unmittelbare Erkenntnis Gottes möglich war (aber nicht unmittelbare Gottesschau)506. Selbstverständlich blieb dabei in ihr immer noch die Möglichkeit und damit Verpflichtung und Antrieb geistigen Wachstums Gott gegenüber und immer höheren Aufstiegs und innigerer Vereinigung.

1955 |        Ich erkannte innerlich auch die Unterschiede der Seele Mariens gegenüber der Paradiesesseele. Gott gab Maria bei ihrer Erschaffung die reine Seele, wie er sie sich ursprünglich für alle Menschen gedacht hatte, ausgestattet mit der Reinheit und den Vollkommenheiten des wahren Gotteskindes. Maria unterlag aber schon dem Leibe nach den Folgen der Erbsünde, als da sind Leidensfähigkeit, Vergänglichkeit, Tod; die Folge der Erbsünde trafen aber auch gewisse, nicht moralische Anlagen ihrer Seele. Wohl waren auch ihre Geisteskräfte mit außerordentlichen Gaben ausgestattet, aber sie hatte doch nicht von Anfang an jenes besondere, den ersten Menschen vor der Sünde gegebene, übernatürliche Verstandeslicht, wodurch sie Gott in einer besonderen, unmittelbaren Weise erkennen konnte. Mariens inneres Leben entwickelte und entfaltete sich ganz aus dem Glauben an Gott und aus der Treue gegen Gott. – Anderseits trug Maria im Hinblick auf ihre hohe Berufung die wesentlichen, höchsten Anlagen in einer ganz außerordentlichen Fülle in sich, in weit größerer Fülle als die ersten Menschen vor dem Sündenfall. Daher hatte Maria auch im ersten Augenblick bei507 der Erschaffung ihrer Seele eine – von jener besondere, der ersten Menschen verschiedene – hohe Art der unmittelbaren Erkenntnis Gottes (aber nicht die unmittelbare Schau Gottes, sondern: Für gewöhnlich muss man einem Kind in den Unterscheidungsjahren von Gott erzählen, ihm Gott durch äußere Einwirkung nahebringen. [Im Gegensatz dazu] wusste Maria als kleinstes Kind im tiefsten Sein ihre Seele von Gott. Sie hatte ein wie naturgegebenes Wissen von Gott, gemäß ihrer außergewöhnlichen, übernatürlichen Ausstattung ihrer Seele.)508, und die den Zustand der wesentlichen Reinheit, Makellosigkeit und Vollkommenheit ihrer Seele entsprach, wenn sie auch hinsichtlich der besonderen, unwesentlichen Gaben und Privilegien des Verstandes und der Geistesfähigkeiten der seit der Erbsünde für die Menschheit bestehenden Ordnung unterlag. Auch diese besagte Art der Gotteserkenntnis Mariens geht aber weit über unsere Begriffe hinaus, da wir eigentlich nie ganz eindringen können in ihre Seele, frei von Sünde und Begierlichkeit und erfüllt von ihrer Gotteserkenntnis, die ihrer Vollkommenheit und ihren Vorzügen entsprach. (Maria war aber keine Mystikerin nach unseren Begriffen; in ihr war dieser Weg gleichsam übersprungen. Es war in ihr alles eine Naturanlage mit besonderer übernatürlicher Ausstattung.)509 Diese von Anfang an sehr hohe Gotteserkenntnis in Maria wuchs aber infolge ihrer treuen Mitarbeit und Bemühung ständig bis zu jenem Grad und zu jener höchsten Art Gottesfähigkeit, wodurch sie würdig unangepasst war, um Gott selbst in sich zu tragen. – Zu diesem geistigen Fortschritt Mariens waren aber keine besonderen Leiden notwendig, wie dies bei uns gewöhnlichen Menschen infolge unseres Hanges zur Sünde und unseren bösen Neigungen der Fall ist; uns muss Gott so vieles gleichsam erst entreißen und wegnehmen, damit wir uns, ich möchte sagen, gezwungen sehen, Gott allein als den Gegenstand unserer Liebe und Abhängigkeit anzuerkennen. Gewiss war Maria gleich uns leidensfähig, aber ihr waren die Leiden und Schwierigkeiten ihres Lebens von Anfang an ein Mittel, um ihre Seele zur vollen Entfaltung gelangen zu lassen, ein Mittel zur Bewährung der in ihr grundgelegten Tugenden Unvollkommenheiten. Von innen heraus hat sich ihre Seele entfaltet und ist auf diesem Weg zu jener unübertrefflichen und unerreichbaren Heiligkeit emporgewachsen. – So hat also Maria in gewisser Hinsicht scheinbar „weniger“ empfangen als die ersten Menschen, aber die wesentlichen Anlagen zur Heiligkeit waren in ihr doch viel höher510 als bei jenen und sie hat auch ungleich mehr erreicht, als die ersten Menschen trotz der Übernatürlichkeit ihrer ersten Anlage jemals hätten erreichen können. Maria ging dabei in ihrem Leben im Wesentlichen den Weg des Glaubens und des durch die Gnade ermöglichten Ereignisses der höchsten Vollkommenheit und Gottähnlichkeit. Vollauf gilt von ihr das Wort der Heiligen Schrift: „Viele Töchter haben Reichtümer gesammelt, du aber hast alle übertroffen“. Maria hat zu der gottgegebenen Anlage der Makellosigkeit ihre eigenen Verdienste gelegt und jenen göttlichen Schatz zu hundertfachem Ertrag gebracht.

1956 |        Im Erleben der Seele Mariens und ihrer geistigen Entwicklung habe ich auch wieder die große Entfaltungsmöglichkeit der Menschenseele überhaupt511 geschaut und habe tief erkannt, wie die Seele nur für Gott und die Angleichung an Gott geschaffen ist; wie sie in ganz hohem Maß sich zur vollen Gottebenbildlichkeit emporringen kann; wie sie auf diesem Weg zum endlichen Genuss und Erfahren Gottes in etwa schon hienieden und voll dann im Jenseits gelangen kann.

1957 |        Gleichzeitig wurde mir meine eigene geistige Entwicklung in höherem Maße erklärt und zum Bewusstsein gebracht: Die Umstellung nämlich und die Vervollkommnung meiner Seelenfähigkeiten, damit sie unmittelbar der göttlichen Person dienstbar zu sein vermögen. Diese Möglichkeit geht über den Paradieseszustand hinaus und für dieses Ziel zeigt sich mir Maria als Vorbild und Führerin.

 

10.12.1942

1958 |        Es ist eine merkwürdige Tatsache im höheren Seelenleben, dass man auf den höchsten Stufen des Erfassens Gottes und im Genuss Gottes zugleich auch im tiefsten Leidenszustand sich befinden kann. So habe ich in den letzten Tagen meine durch Leiden vollzogene geistige Vollendung erlebt und zugleich war ich im Erleben des Inneren512 Mariens. Ich genoss anscheinend meine letzte und höchste Vorbereitungsstufe, die mich in den wirklichen Vereinigungszustand mit Jesus einführen soll – der mir vorbildlich in Maria gezeigt wurde –, aber zugleich litt ich derart, dass ich meinte, mein Herz müsse mir stillstehen vor geistigem Schmerz. Gleichzeitig, mit jener Stufe der Vollkommenheit, litt ich eben513 auch noch etwaigen Widerspruch der Natur in mir. Es war dies gleichsam ein Doppelerleben514, aber im Grunde doch nur ein Erleben, in dem die Wirkung des höchsten und des niederen enthalten waren. Ich war wie aufgegangen in Christus und lebte mein Eingefügt-Werden in seine göttliche Person, aber zugleich war ich auch tief vernichtet und verdemütigt wegen des völligen Aufgebens alles Eigenen, das für jenen letzten Zustand in Christus erfordert ist und auch wegen eines gewissen Widerspruches der Natur gegen dieses höchste Erleben.

1959 |        Gestern Abend litt ich noch mehr515, aber heute Morgen war ich in einem völlig veränderten Zustand. Die geistige Geschlossenheit und Einfachheit meines inneren war mir nun wie ganz natürlich und schien mir nichts Außergewöhnliches, sondern geradezu etwas Selbstverständliches zu sein,516 als ob es so sein müsste, obwohl mir dieser jetzige – wie mir scheint – höchster Zustand beim früheren Vorausleben als etwas ganz Außergewöhnliches vorkam. Dieser Zustand ist jetzt wie mein Naturzustand geworden und ich scheine wie auf gleicher (Höhe)517 Ebene gegenüber dem Wesen Gottes, wobei das wunderbarste an diesem wirklichen Zustand die unaussprechliche Einfachheit ist. – Zugleich war ich eingeführt in das Innere Christi, das aber mein Eigenes und Gewöhnliches zu sein schien und mir auch nicht mehr als etwas Außergewöhnliches vorkam wie bei früherem Vorauserleben. Dieses „Erleben des göttlichen Seins selbst“ ist vergleichbar mit seinshaften, geistigen Blitzen, in denen Gott sich äußert und mitteilt.

1960 |        Ich wurde innerlich aufmerksam gemacht: Jesus lasse mich nun sein wesentliches Verhältnis im Vater erleben. Und zugleich wurde ich in einen wunderbaren Zustand versetzt, für den es überhaupt kein Wort gibt. „Ich war im Zentrum meines Seins und ich lebte den Widerschein und war zugleich selbst der Widerschein meines Zentrums“; so etwas wurde mir „mein Geheimnis im Vater“ erklärt. Es war mir im gleichen Augenblick, als habe ich bzw. meine Seele glühende Fühler, mit denen ich das göttliche Wesen des Vaters betastete und wahrnahm. In diesem Erleben ist nichts mehr, was einem Worte oder sprechen ähnlich wäre, man vernimmt kein Wort mehr, sondern alles vollzieht sich in augenblicklichem geistigen Verstehen und Spürhaftigkeit.

1961 |        Von der Höhe dieses wunderbaren Vorgangs aus konnte ich ermessen, welchen ungeheuren Weg seelischer Reinigung und Erhebung ich durchschritten haben muss, dass ich mich wortlos mit Gott verstehen kann. Wo früher in meinem Inneren noch wortähnliche Bewegungen waren, da waren es nun glühende Blitze518 und diese ließen mich und den Vater erkennen, das Zentrum meines Seins. O, diese wunderbare geistige Feinfühligkeit! Und der naturhafte Zustand auf dieser Ebene meines Seins und Lebens! Es ist unaussprechlich, was man mit Gottes Gnade erreichen kann und in welchem Maße sich die Seele dem Wesen Gottes mit seiner besonderen Gnade519 anpassen kann und in welch wunderbare Weise Gott sich zu einer Seele herablässt und sich ihr anpasst. Ich wusste dabei tiefer noch um das Geheimnis der Seele, die gleichsam „vom Munde Gottes“ ausging, mit gottähnlichen, geschaffenen Anlagen, und die wieder zu Gott zurückkehren kann und so Gott dienstbar sein kann, wie ich es augenblicklich erfuhr. Ich erlebte in mir die Bestätigung der Gottebenbildlichkeit der Seele, besonders jener Seele, welche Gott durch besondere Gnade in den ersten Zustand zurückgeführt hat.

1962 |        Ich weiß, diese wunderbare Dienstbarkeit gegenüber Gott bzw. gegenüber der zweiten göttlichen Person im Vater wird bei mir Naturzustand werden und ich stehe an der an der Schwelle dieser kommenden Erlebnisse. Voraus gehe – so wurde ich inne – der Paradieseszustand, für den ich die moralische Befestigung hätte520. Ich spüre auch, wie nun ein geistiger Weg und Abschnitt in meinem Innenleben521 zum Abschluss gekommen ist und wie nun ein ganz neues Stadium in meinem Innenleben522 beginnt. Ich weiß, in welcher Art und Weise ich Jesus erleben werde und ich weiß um das wesentliche Verhältnis Christi zum Vater, aber auch um die Art der Verdemütigung der zweiten göttlichen Person in ihrer Menschwerdung, was ich ebenfalls blitzartig erfasste.

1963 |        Ich bin nun dem Wesentlichen meines geistigen Zieles sehr nahe gekommen und ich weiß darum in einer solchen Klarheit und Tiefe, von der ich vorher keine Ahnung hatte und mir auch keine Vorstellung machen konnte. Und dies alles verdanke ich nebst der Gnade Gottes jenen großen und jahrelangen Leiden, durch die er mich hindurchführte.

1964 |        Ich habe nun das wirkliche göttliche Leben und Erleben gekostet – wie es meiner geistigen Aufgabe entspricht –523 und damit ist mir aber mein Eigenes neu zum Ekel geworden und ich habe mich mit voller Hingabe wiederum dem Heiland geopfert für seine Absichten, die ich kenne. Es wird nun wie524 mein Dauerzustand werden dieses erleben Jesus im Vater, das beständige Zeugen und Hervorgehen des Wortes im Erlöserleben (dessen ich blitzartig im Wesentlichen innegeworden bin), ebenso die wunderbare Einheit des Vaters im Sohne bzw. des Sohnes in seiner menschlichen Natur und seinem Erlöserleben im Vater525. – Alles dies ist mir aber so „nahe“, so „eben“ und glatt und einfach, wie man sich einem Menschen gegenüber befindet, den man gut kennt. Durch die Gnade Gottes habe ich ein so naturhaftes Verhältnis zu Gott erreicht, als wäre kein Abstand mehr zwischen Jesus und mir.

1965 |        Nachdem ich in allem Vorhergehenden die Treue und Wahrheit der Verheißungen Jesus wirklich526 erfahren habe, ist die Gewissheit und Überzeugung in mir, dass ich auch jenen Dauerzustand in Jesus tatsächlich erreichen werde.

 

16.12.1942

1966 |        Nach den unaussprechlichen Leiden, die in den letzten Tagen von innen und außen auf mich eingestürmt sind, bin ich nun heute wieder in großem Frieden. Ich bin wie herausgenommen aus allem Irdischen und vor allem aus mir selbst, bin von allem wie befreit und in mir geistig und befestigt.

1967 |        Ich lebe eine Vergeistigung, die mich (nach meinem Urteil) einer unmittelbaren Erlebnisfähigkeit des Erlöserlebens nahebringt und in mir ein unmittelbares Gotteserlebnis ermöglicht. (— Damit meine ich nicht jene höchste Unmittelbarkeit, wie sie im Himmel oder in der Seele Christi oder Mariens ist, sondern die für meinen geistigen Beruf nach den Absichten Jesus entsprechende und notwendige Unmittelbarkeit. –) Das göttliche Leben, von dem ich ständig geführt und beeinflusst werde, lenkt mich auf die Unmittelbarkeit der Einheit mit Christus hin und drängt mich, dass ich mich diesem Zustand habituell übergebe, das Eigene, Persönliche gleichsam „unten“ lasse und auf jener mir gegebenen Höhe mich befestigen lasse.

1968 |        Ich bin auch wirklich in der schon errungenen Verfassung, die mich fähig macht, einzugehen in jene mir gebotene Einheit mit dem Erlöser. Es ist in mir ein ständiges rein geistiges Anbieten vonseiten Jesu und eine schon in mir ermöglichte und darauf antwortete Hingabebereitschaft meinerseits. Dieses göttliche Angebot und meine Bereitschaft sind geistige Bewegungen in mir, die sich im Augenblick verstehen, ergänzen und ineinanderfließen. Es handelt sich dabei nicht um irgendwie gefühlsmäßige Gnaden, sondern alles vollzieht sich in einer Tatsächlichkeit, Wirklichkeit, Geistigkeit und Einfachheit, die ermöglicht und herbeigeführt ist durch den Zustand der Einheit zwischen den göttlichen Kräften und den meinen. Gott lässt aber auch in diesen höchsten Gnaden die Seele selbst entscheiden und diese erlebt ihn sich jene Probe ihrer Fähigkeiten. – Ich spüre nun in mir kein „Wehren“ oder Fürchten mehr vor dem unmittelbaren „Erfassen des göttlichen Wesens“. Die Seele hat sozusagen schon geistige Fühler bekommen, mit denen sie Gottes Wesen gleichsam betasten kann, und in einem Augenblick spürt und erfasst sie auch die Folgerungen und Konsequenzen jenes Eingehens auf die göttlichen Absichten und sie weiß um ihre eigene Befähigung dafür. Entsprechend diesem geistigen Erfahren drängt alles in mir zu Gott hin und von dort strömt auch die größte Zugkraft auf mich zu. Mein ganzes Inneres ist darum ein ständiges „nimm mich hin“! Ich will nichts mehr für mich, nur noch deinen Absichten dienen.

1969 |        Diese Erlebnismöglichkeit für Gott ist heute weit unmittelbarer als auf den vorhergehenden Stufen, obwohl, oder vielmehr gerade weil ich von Gott, bzw. Jesus nichts fühle oder erlebe und mein Seelenzustand unsagbar einfach ist und wie selbstverständlich scheint. — (In diesem Sinne ist mein Innenleben nicht mehr mystisch, wenn man damit außergewöhnlich Scheinendes und Fühlbares meint, sondern es ist eine wie naturhaft gewordene Betätigung der durch besondere Gnade gleichsam freigemachten und geweckten höchsten Anlagen der Seele Gott Gegenüber). – Ich bin in merkwürdige Weise aufgenommen in das göttliche Leben der zweiten Person, bin für dieses in wesentlicher Weise bereitet. Gerade diese Unmittelbarkeit Gottes in mir und mit mir gibt mir diese unaussprechliche Einfachheit meines Seelenzustandes. Zwar fehlt mir noch der letzte, versprochene Zustand der habituellen Befestigung in einem unwandelbaren Dauerzustand, aber ich spüre wie das göttliche Leben mich immer mehr vollendet und dauernd fähig zu machen sucht – was sich aber immer in feinen und tiefen Leiden vollzieht.

1970 |        Am vergangenen Sonntag (den 13. Dezember) Habe ich die für den Dauerzustand erforderte Erhabenheit der Seele erfasst und dieses Wissen ist mir als Ziel haften geblieben. Vorbildlich dafür wurde mir die göttliche Mutterschaft Mariens bewusst gemacht527. – Da ich kurz nachher wieder sehr im Leiden war, war es mir nicht möglich, das über Maria innerlich erlebte gleich niederzuschreiben, aber das Wissen darum blieb mir als Selbsterlebtes in Maria. Über die Art dieses Wissens oder Erkennens muss ich Folgendes bemerken: Wenn mir auch keine anderen Ausdrücke als „Erkennen“, „Schauen“ usw. zur Verfügung stehen, so habe ich dieses Geheimnis doch nicht im geistigen schauen erkannt, sondern der Seelen- und Geisteszustand Mariens wurde mir mittels meines eigenen Innenlebens und des schon erreichten wesentlichen Zustandes der Vereinigung mit Gott erfassbar gemacht. Es entwickelte sich eine Erhöhung und Steigerung meines Innenlebens und ich wurde in den Seinszustand Mariens versetzt und erlebte in dieser geistigen Erhebung durch eine besondere Gnade die Funktionen und Betätigung Mariens bei der Menschwerdung Christi. Bloßes Erkennen und Schauen könnte dieses Geheimnis der seelischen und leiblichen Mitwirkung Mariens bei der Menschwerdung Jesu nie in solcher Tiefe den Erkenntniskräften nahebringen. Kraft der seelischen Vergeistigung und Erhebung aber konnte ich jenen geheimnisvollen Vorgang der Bereitschaft Mariens so folgen, dass mir dieses Geheimnis wie ein Selbsterlebnis ist, insofern ich selbst in die wunderbare Bereitschaft Mariens für die Menschwerdung Jesus und ihre leibliche göttliche Mutterschaft versetzt wurde. – In einem erhöhten Maße – meine Befähigung zu solchem Erkennen steigert sich in Folge fortschreitender Vergeistigung immer mehr – wurde ich inne der Erhabenheit des ganzen Seins Mariens, ihrer geistigen Einfügsamkeit in das Leben der zweiten göttlichen Person. Ihre Seele war so wunderbar verfeinert, dass sie gleichsam göttliches Leben Atmen und in sich aufnehmen und ein strömen lassen konnte. Als wahre leibliche Mutter gab sie dem göttlichen Kind das, was die göttliche Person zum leiblichen Dasein brauchte. Sie bot dem Kinde Jesu die Erhabenheit ihres eigenen Seins als Mittel zu einem menschlichen Leben und Dasein der göttlichen Person. Die seelische Reinheit Mariens hat darum auch Ihren Leib so sehr vergeistigt, dass er ihre Seele ganz und vollkommen dienstbar war. Durch diese Einheit und Harmonie Ihres Seins was sie befähigt, der göttlichen Person als Mutter zu dienen. Ich wurde inne, wie diese Funktion Mariens sich in der Menschwerdung Christi betätigte, wie alles in Maria, vollkommen bereit, sich dienstbar machte, und ich habe auch die Auswirkung der seelischen und leiblichen Erhabenheit im leiblichen Sein des göttlichen Kindes, in der heiligen Menschheit Jesu, erkannt. Die heilige Menschheit Jesu ist eine konsequente Folge und Frucht der Heiligkeit bzw. der heiligen Menschheit Mariens. In Maria war alles das vollkommen vorbereitet, was der Sohn Gottes für den menschlichen „Träger“ seiner göttlichen Person brauchte, beanspruchte und beanspruchen musste.

1971 |        Dieses Geheimnis wurde mir aber auch als Bild und Vorbild für meinen eigenen geistigen Beruf angegeben. Der wirklichen Mutterschaft Mariens wurde mir gegenübergestellt die mystische Mutterschaft, die Jesus in mir jetzt vorbereite. Es ist dies freilich unaussprechlich, aber der Wahrheit entsprechend muss ich es so anführen. – Ich war in jene geistige Erhabenheit versetzt, die notwendig ist, um Jesus in seinem innersten Geheimnis als Gott Mensch erleben zu können. Ich wurde inne, wie dementsprechend meine seelischen Kräfte geformt und gebildet werden, um seinen eigenen göttlichen Bewegungen folgen zu können. Ich erlebte diese meine eigene Funktion in Jesus voraus und ich war in den Zustand der vollen Funktion versetzt, war schon tatsächlich und „tätig“ für Jesus gebraucht. Ich fand mich schon in einer höchsten Verfeinerung meines ganzen Seins in Jesus aufgegangen und dabei erschien mir dies noch als mein eigenes Leben. Auf diesen Zustand, in dem ich mich befand, trifft auch wirklich die Bezeichnung zu, die mir gegeben und womit mir die jetzige Vorbereitung erklärt wurde: eine mystische Mutterschaft. Ähnlich wie in Maria besteht meine jetzige seelische Vorbereitung in der Schaffung einer gewissen Einfügsamkeit in Gott, in der Ermöglichung des Erfassens und Erlebens des göttlichen Wesens, um ihm in unmittelbarer Weise zu Diensten sein zu können.

1972 |        Zugleich wurde mir aber auch die Verbindung jener mystischen Mutterschaft mit dem zu gründenden Priesterinstitut erklärt. Es wurde mir hierüber das merkwürdige Wort gesagt: Wie eine Mutter das Kind in sich trägt mit allem, was dem Kinde eigen ist, wie das Schicksal und die Tragik, die Bedeutung und das Wirken seines Lebens in der Mutter ermöglicht und vorbereitet wird, so ist in meinem Innenleben das Priesterinstitut begründet und eingeschlossen und vorbereitet. Das zu gründende Priesterwerk ist eine Folgerung meines Innenlebens und das Innenleben ist die Begründung und Bestätigung für das Priesterwerk, weil dieses, seinem Geiste nach in meinem Innenleben enthalten, begründet und bestätigt sei. Gleichzeitig erlebte ich eine unzertrennliche Einheit, Zusammengehörigkeit und gegenseitige Begründung zwischen dem Priesterwerk und meinem Innenleben und ich war dadurch gezwungen, die Wahrheit des Gesagten zu bestätigen.

1973 |        Ich wurde ferner noch tiefer eingeführt in das Geheimnis: Wie wurde Christus als Gott zum Leidenden? Es ward mir darauf die Antwort: Die Gottheit Christi selbst, sein göttliches Sein war selbst das Gericht über seine Menschheit, mit der zusammen er auch die Sünde der Welt auf sich nahm528. Es vollzog sich ein unmittelbares Gericht Gottes an und in seiner Menschheit infolge des Widerspruchs, den er als Erlöser in den beiderlei Kräften in sich selbst hingegeben und ausgeliefert war. – Dieser Satz wurde mir dann im Einzelnen analysiert und erklärt.

1974 |        Das göttliche Sein Christi Selbst war das Gericht über die Menschheit im Widerspruch der Auswirkungen der beiden Naturen in Christus. Die Vereinigung der beiden Naturen in der einen Person des Erlösers brachte in seinem Erleben einen ständigen Widerspruch, weil sich die allerheiligste zweite göttliche Person in der Menschwerdung freiwillig dem gefallenen Zustand der Menschheit hingegeben hat, denn das war der Zweck seiner Menschwerdung. Sowohl die Menschwerdung Christi, wie die Menschheit im Zustand der gefallenen Natur war die Folge der Sünde. So stieg denn die zweite göttliche Person als Erlöser im Augenblick der Menschwerdung gleichsam in einen Abgrund, in einen Widerspruch mit sich selbst hinab, der ausgelöst wurde durch die unmittelbare Verbindung der beiden Naturen in einer Person und zu einem Leben. Christus gab sich als Erlöser freiwillig dieser Folgerungen und Auswirkungen dieser unmittelbaren Verbindung des göttlichen und menschlichen hin. So wurde seine Gottheit zum Gericht, zum unabänderlichen Widerspruch gegen das gefallene Menschentum, dass er zusammen mit seiner heiligsten Menschheit auf sich genommen hatte. Vom Wesen Gottes strahlten Reflexe aus auf das Menschenwesen und damit wurde der Abstand und Gegensatz zwischen dem geschaffenen und gefallenen Menschlichem und der göttlichen Majestät und Heiligkeit beleuchtet, erklärt, erhöht und verschärft. – Ich wurde eingeführt in diese Unmittelbarkeit der Menschheit Gegenüber der Gottheit in Christus, weil ich das auch wirklich und dauernd so erleben werde – was aber in Worte wieder nicht ganz erklärbar ist, obwohl es volle Wahrheit und Wirklichkeit im eigenen Erleben sind. –

1975 |        Eine gewisse Ähnlichkeit und Erklärung jenes Leidens Christi, bieten mir meine inneren Leiden, die sich in diese Richtung besonders in den letzten Jahren immer mehr gesteigert und erhöht haben. Der Heiland lässt dabei die schon erreichte Vereinigung mit ihm wirksam werden als Mittel zu einer weiteren Reinigung und Vereinigung mit ihm. Gott selbst wird gleichsam zum reinigenden Feuer in der Seele. Die Vereinigung mit ihm lässt in erhöhtem Maße den Abstand bis zu einem noch höheren Ziel, das in der Seele vorbereitet wird, deutlich werden. Gott selbst „beleuchtet“ die Seele und deckt alle verborgenen Widerstände auf, die unbewussten und ungewollten Hindernisse und Hemmungen Gott gegenüber, alle Ohnmacht und alles Unvermögen der Seele, wodurch sie trotz des guten Strebens529 und eifrigen Wollens im Abgrund ihre menschliche Schwäche liegen bleibt. Da hinein strahlt gleichsam unbarmherzig das göttliche Licht und die durch dieses unmittelbare göttliche Licht verursachten Leiden sind unter allen Leiden die tiefsten und verzehrenden, wenn auch nie ganz erklärbar für jenen, der nicht die Schärfe und Kraft des wesentlichen Lichtes Gottes empfunden hat. – Daraus erklärt sich auch das psychologische Geheimnis: Wie man im höchsten Erfahren und Genießen Gottes zugleich in den größten seelischen Leiden sein kann, für die es keinen Ausdruck gibt. Man kann da in Wahrheit530 sagen: Gottes Wesen verzehrt mich, erhebt mich in sich selbst und deckt gerade in Folge dieser besonderen Nähe zu ihm alle denkbaren Widersprüche und Unstimmigkeiten in der Seele auf. Sein allerreinstes Wesen senkt sich gleichsam in den Abgrund der menschlichen Schwäche, Ohnmacht, Sündhaftigkeit und lässt diese, gerade durch den Unterschied und Gegensatz mit seinem Wesen schmerzlich innewerden.

1976 |        Mittels dieser eigenen Erfahrungen wurde mir nun das Geheimnis des Leidens Christi nahegebracht. — Zu dessen richtigem Verständnis muss man zunächst das Geheimnis der wesentlichen Seinsverbundenheit des ewigen „Wortes“ mit der gesamten Menschheit im Auge behalten. In Gott ist irgendwie alles enthalten, auch der Fall der Menschheit, und dieser Fall hat sich im Gott–Menschen Selbst vertretend ausgelöst und ausgewirkt, weil er selbst es wollte. – Christus nahm als Erlöser freiwillig alle Sünden der Menschheit auf sich, und darum war mit seiner heiligsten Menschheit auch das ganze Menschentum – das liegt im Geheimnis der Seinsverbundenheit des göttlichen Wortes mit der gesamten Menschheit –531, die gesamte Menschheit untrennbar verbunden und gleichsam an ihn gebunden. Er hatte das volle Wissen um den Zweck seiner Menschwerdung und um alle sich daraus ergebende Folgen und Folgerungen, weil er freiwillig und stellvertretend sich diesem Erleben hingab. Seine göttliche Person bot sich als „Mittel“ zur Tilgung jener ungeheuren Schuld vor Gottes Gerechtigkeit an und somit wurde er selbst zu diesem Mittel und erlebte in sich selbst jenen göttlichen Widerspruch und Abscheu gegen die menschliche Unordnung, dem er sich freiwillig aus Liebe überantwortet hatte. Dieses Leiden der göttlichen Erlöserperson in ihrem gottmenschlichen Wesen wurde der göttliche Ersatz vor Gottes Gerechtigkeit. Das Feuer selbst erlitt gleichsam den Verbrennungstod und löschte damit die Schuld vor Gottes Gerechtigkeit. In ihm traten die beleidigte Gottheit und die Beleidigerin Menschheit in der unmittelbaren Nähe und Vereinigung in der einen göttlichen Person einander gegenüber und durch das Leiden des sich daraus ergehenden Widerspruchs hat der Gott–Mensch die Möglichkeit der Heilung für die Menschheit erlitten und sich selbst zum Mittel und Mittler gemacht. Zu diesem unmittelbaren Widerspruch im Wesen des Mittlers kamen noch die Verdemütigungen seines Mensch—Seins, die Armut, Verfolgung usw. hinzu. Auch diese bedeuteten aber ein noch größeres inneres Leiden, wenn man den Zweck seiner Menschwerdung und das volle Maß des Widerspruchs alles dessen gegen das Wesen und die Rechte seiner göttlichen Person zu würdigen versteht. Jesus erkannte nämlich in seine Menschwerdung die Armut und Not usw. als direkte Strafe für die Sünden der Menschen an und nahm sie als solche auf sich. Sein ganzes äußeres Erlöserleben war kraft der unmittelbaren Folge des Widerstreits mit dem Wesen und den Rechten seiner göttlichen Person dem Zwecke der Sühne geweiht. In ihm beleuchtete das göttliche Wesen unmittelbar das tatsächliche menschliche Wesen, das durch die Menschwerdung und deren Zweck im Zustand der strafwürdigen Menschheit vor dem göttlichen Wesen stand und somit ständig diesem göttlichen Gericht ausgeliefert war. In diesem Sinne waren in dem einen Christus gleichsam zwei und trotzdem war die Einigung der beiden unvermischten Naturen in ihm so eng, dass sich die doppelte Auswirkung beider psychologisch wie in einem und demselben Akt und auf einer Lebensgrundlage bestätigte und äußerste. Die Möglichkeit hierzu, dass tatsächlich nur EIN Leben in zwei Naturen gelebt wurde, war durch die höchste Vollkommenheit der Seele Jesu gegeben, welche die Auswirkungen beider Naturen in einem Augenblick gewahren, Aufnehmen und ihrer gegenwärtig sein konnte; es war dies seine vergöttlichte Seele, die den beiden in sich und vermischten Naturen zugleich aufs Vollkommenste dienstbar sein konnte. — Es ist aber mit dem Obigen nicht gesagt, dass Jesus sich ständig in jenem Leiden in gleicher Schärfe des Widerspruchs befunden habe. Zu vielen Zeiten war das göttliche Leben in ihm, das Sein im Vater, auch das psychologisch vorherrschende; und das menschliche Bewusstsein trat dann wohl mehr zurück, wie etwa bei seiner Verklärung auf Tabor oder in seinem wesentlichen Gebetsverkehr mit dem Vater. Jesu Gebet hatte ja eine besondere, wesentliche Grundlage; es war viel mehr ein höheres Aufgehen im Vater, als ein Beten in menschlichen uns nachahmbaren Worten. In Christus WAR der Vater und er war im Vater und so war das wesentliche göttliche Licht ständig strahlend und immer tätig und irgendwie wirksam. Aber schon im Allgemeinen war der Dienst des Wortes in einer armen Menschheit vor dem Vater höchste Entschädigung, weil das gottmenschliche Leben in Christus die gefallene Menschheit ständig dem Vater nahebrachte und weil Kraft der Menschheit Jesu durch ihren göttlichen Träger die gefallene Menschheit ständig vor dem Vater befürwortet wurde.

1977 |        Wie schon oben gesagt, kann man die Auswirkungen der unbedingten Einheit der beiden unvermischten Naturen in dem einen Erlöserleben zwar in Worten nicht näher erklären, aber in dem Seelenzustand, in dem ich mich jetzt befinde, begreife ich dieses Geheimnis, soweit es Jesus mich innewerden lässt, weil es für meine geistige Aufgabe notwendig ist. Das Nahekommen und Erfassen dieses Geheimnisses findet einigermaßen einen Anknüpfungspunkt in hohem Geistesleben, in dem die Seele den höchsten Genuss erfährt und davon erfüllt wird, während sie zugleich und gerade dadurch im tiefsten Widerspruch und in unaussprechlicher Verdemütigung im Hinblick auf die eigene Armseligkeit sich befindet. Durch diese Leiden wird aber die Seele gleichsam „flüssig“ gemacht532, d. h. befähigt, um in einem Augenblick und wie mit einem Akt göttliches Erleben und zugleich tiefstes Leiden tragen und erfahren zu können. In einer ähnlichen, aber viel höheren wesentlichen533 Weise konnte das göttliche, wesentliche Sein der zweiten Person die heiligste Menschheit Christi534 überstrahlen, zumal Christus ja freiwillig den Widerspruch zwischen dem gefallenen Menschentum und dem heiligsten göttlichen Wesen ertragen wollte, auf diese Weise die göttliche Wesenheit zum Gericht an der angenommenen Menschheit werden ließ und in diesem Zustand sich sühnend der göttlichen Gerechtigkeit aussetzte und preisgab. So ging Christus in seiner Menschheit ins Gericht von Gott, ja vor sich selbst.

1978 |        Im Zusammenhang mit dem Innewerden des Geheimnisses der Leiden des Sohnes Gottes wurde ich auch hingewiesen auf ähnliche Erkenntnisse über die Seelen der Verstorbenen und ihre Reinigungsleiden.

1979 |        Im gewöhnlichen Zustand während des Erdenlebens sucht sich der Mensch gleichsam selbst zu bedecken, sich mit seiner Eigenliebe zu schützen, um nicht vor Gott und mit sich selbst in beschämenden Widerspruch zu kommen. Wie die menschliche Natur sich den Mitmenschen gegenüber von vornherein gut und tadellos zeigen will, so ist die Seele auch vor sich selbst gleichsam mit einem Schutzmantel der Selbstliebe bedeckt; so liegt es nun einmal in der gefallenen Menschennatur. Der Mensch will den eigenen Vorwürfen entgehen, will unter dem Schein des Recht–Tuns mit sich selber zufrieden sein, und vielleicht ist das bitterste für ihn, wenn er seinen eigenen Schwächen auf die Spur kommen oder gar sie vor den Mitmenschen bekennen muss. Auch bei einem fortgeschrittenen Seelenleben bleibt es für die Seele schwer, sich ihre Fehler bewusst zu sein und sie sich einzugestehen. Es braucht wohl schon einen heroischen Tugendgrad, wenn eine Seele gerne ihrer Schwäche und Sündhaftigkeit eingedenk ist und sich geradezu freut, wenn ihr diese zum Bewusstsein und zur eigenen Kenntnis kommen, weil sie damit in die Möglichkeit versetzt wird, mit starkem Willen an deren Besserung und Beseitigung zu arbeiten. Erst recht heroisch ist es, wenn eine Seele sich sogar freut, falls man ihre eigenen Fehler ihr vorhält und sie ihr zur Kenntnis bringt; das zeugt von einem sehr großen Fortschritt der Seele. Im Allgemeinen ist es aber eine Tatsache der gefallenen Menschennatur, dass der Mensch sich selber zu schmeicheln pflegt535 und sich selber zu gefallen sucht.

1980 |        Im Augenblick des Todes aber hört diese Selbsttäuschung auf. – Ich hatte schon mehrmals die innere Erkenntnis, dass der Mensch im Augenblick des Todes Gott im göttlichen Gericht unmittelbar gegenübertritt und damit auch sich selbst in seinem wahren Zustand erkennen muss. Jede Seele im Stande der Gnade trägt aber Gottes übernatürliches Ebenbild in sich und im Augenblick des Todes kommt ihr dies auch zum unmittelbaren Bewusstsein. Dieses Aufflammen Gottes in der Seele nach dem Tode wird Ihr zur Reinigung und allenfalls auch zur Peinigung im Jenseits. Dieser Funke Gottes beleuchtet unbarmherzig den wahren Zustand der Seele und wird ihr zum eigentlichen Reinigungsfeuer, das sie nicht loslässt, bis sie den Zustand der Reinheit erreicht hat, der von Gott und vor Gott für sie gefordert ist. In diesem Sinne wird Gott auch für die Seele im Jenseits zum unmittelbaren Gericht. Das göttliche Feuer dringt vor bis zu ihrem wahren Zustand und führt diesen ständig der Seele selber536 vor. Sie ist unmittelbar Gott ausgesetzt und muss sich ständig sehen in ihren Mängeln, beleuchtet vom durchdringenden Licht Gottes.

1981 |        Ich hatte auch die mir zunächst merkwürdige Erkenntnis, dass die Seele schon gleich nach dem Tode den hienieden erreichten Vereinigungszustand mit Gott irgendwie genießt, sich an Gott erfreut und ihn erlebt, auch wenn sie gleichzeitig im Reinigungszustand bleibt. Es ist nicht so, als würde die schon hienieden erreichte Vereinigung mit Gott während der noch notwendigen Reinigungsleiden im Jenseits aufgehoben oder unterbrochen. Die Seele wird sich vielmehr im Augenblick des Todes ihrer unmittelbaren und persönlichen Verhältnisse zu Gott bewusst und eine wesentliche Vereinigung mit Gott wird und kann dann nicht mehr unterbrochen werden, sollte auch die Seele noch viele Schwächen und Mängel an sich tragen. Die Seele geht im Augenblick des Todes in den bewussten Zustand ihrer schon erreichten Vereinigung mit Gott und mit dem entsprechenden Beseligungswert ein. Während sie aber vielleicht im höheren Teil ihres Wesens Gott genießt, wird ihr gerade dieses Gotteserfahren gleichsam zum reinigenden Feuer des Verlangens, das sie ganz einhüllt und die letzten Schlacken und Mängel an ihr verzehrt und auflöst. Falls die Seele überhaupt den Kontakt mit Gott in sich hat und nicht im Zustand der Trennung von Gott durch schwere Sünde vor das göttliche Gericht kommt, wirkt sich also die hienieden erworbene Vereinigung mit Gott als verzehrendes und reinigendes Feuer für die Seele aus. Das ganze Menschengeschlecht ist ja in Gott, und in jeder getauften Seele, die nicht in schwerer Schuld ist, lebt Gott in besonderer Weise – durch die heilig machende Gnade –537 und dies wird der Seele nach Ihrer Trennung vom Leib bewusst. Ja, es können sich Seelen ihm Reinigungszustand befinden, die in diesem Leben schon einen hohen Vereinigungsgrad erreicht haben, aber doch noch nicht in dem Maße vollendet sind, als es ihnen durch die Gnade Gottes möglich gewesen wäre und darum538 Gott von ihnen erwartet und gefordert hatte. In ähnlicher Weise wird auch für den Verdammten, Gott zum ewigen Gericht, den er unausweichlich ausgesetzt ist: Ständig muss sich nämlich der Verdammte die ewige Trennung von Gott in unmittelbarer Weise eingestehen. Gott wird für ihn zum strafenden Feuer der Gerechtigkeit, in denen der Verdammte unmittelbar an Gott glauben muss und dies ist die größte Strafe und das größte Leiden für den Verdammten.

1982 |        Die Seele aber, die hienieden eine gewisse Vereinigung mit Gott erworben hat und im Augenblick des Todes sich dieser bewusst wird, reinigt sich durch die wahre Selbsterkenntnis und dem brennenden Vergleich mit dem, was sie in und vor Gott sein sollte und könnte, gleichsam selbst und auf diesem Weg wird ihr Gottes Sein und Wesen immer mehr erfassbar gemacht; sie gelangt zu einem immer vollkommeneren Genuss der ihr gleichsam zustehenden Vereinigung Gottes, obwohl sie dabei und vielleicht gerade dadurch zugleich noch mehr leiden kann;539 sie kann z. B. umso mehr Sehnsucht und Verlangen nach dem vollen Besitz Gottes leiden, je mehr die Befreiung von den eigenen seelischen Hindernissen und damit der Genuss der Vereinigung wächst. Dabei kann die Seele schon sehr Gott lieben und sich an ihm erfreuen und gerade auf diesem Weg erhebt sie sich zur vollen Läuterung und Befreiung von den ihr noch anhaftenden Mängeln, bis sie endlich zum vollen Zustand und Genuss der mit der Gnade hienieden erworbenen und ihr zukommenden Vereinigung mit Gott eingehen kann und damit zugleich der Gesellschaft der Heiligen voll teilhaftig wird.

1983 |        Nach jenem inneren Erkennen540 beginnt dieser Reinigungsprozess der Vorbereitung auf den vollen Besitz Gottes, wozu sich die Seele hienieden befähigt hat, schon im Augenblick des Todes und sie ist verschieden, je nach der Stufe der schon erworbenen Reinheit der Seele vor Gott, und je nachdem sie die Sündenstrafen schon in diesem Leben abgebüßt hat. In jedem Fall aber sind diese Leiden im Jenseits weiter Schärfe als alle irdischen Leiden, und zwar wegen der Unmittelbarkeit, mit der die Seele (deren Leiden weit tiefer, durchdringender541 und schmerzlicher sein können als die des Körpers) dem verzehrenden und durchdringenden Lichte Gottes überantwortet und ausgesetzt ist, sowie wegen der unerbittlichen Wahrhaftigkeit, mit der die Seele sich selbst in ihren Sünden in jenem Lichte sehen und verabscheuen muss.

1984 |        Auch im Reinigungsort wirkt sich also in besonderer Weise die Tatsache aus, dass die Seele, entsprechend losgelöst von der Materie, zugleich irgendwie Gott genießt und doch dabei auch sehr leiden kann. Auch dies ist eine Wirkung des Geheimnisses der Unmittelbarkeit Gottes gegenüber der Seele und des persönlichen Verhältnisses zu Gott, wofür die Seele, das Ebenbild Gottes, berufen und bestimmt ist.

 

25.12.1942

1985 |        Heute Nacht habe ich eine wunderbare Gnade erhalten: die Gnade der vollen Einigung meines Seins542 für den Dienst der göttlichen Person Christi. Dies ist zwar in Worten nicht zu erklären, aber die Folge543 dieser Einigung wird sich in meinem Innenleben auswirken, und so wird es klarer werden.

1986 |        In den vorausgehenden Tagen waren aber auch die inneren Leiden so schwer und tief, dass sie jeden gewöhnlichen Begriff übersteigen; sie sollte eben diese volle Einigung mit der göttlichen Person vorbereiten. Ich war praktisch in diesen (als Ziel gesetzten) Zustand erhoben, und war zeitweilig ganz entsprechend ausgeglichen, dann aber wurde ich gleichsam wieder in einen geistigen Rückschlag versetzt, der mich überhaupt an jeder besonderen Gnadenführung wollte zweifeln lassen. Abgrundtief schien da der innere Widerspruch zwischen mir und jener Gnade zu sein, die ich andererseits doch wieder als unabänderliches Ziel in mir trug. Ich war zeitweise der göttlichen Person in mir gleichsam geistig greifbar nahe und es war ein Erleben wie von Mund zu Mund, eine geistige Ebene, die ein Hinüberfließen möglich machte; aber es musste sich ein entsprechender Dauerzustand erreichen lassen und den konnte ich nicht festhalten, weil es nicht in meiner Kraft lag. So war ein schmerzliches Auf und Ab in mir, ein Vergehen meines Eigenen, ein Entrücktsein meines Geistes für meinen eigenen Gebrauch und Genuss und zugleich ein Übergeschaltetsein in höhere Kräfte, die ich absolut in mir trug.

1987 |        In der Tiefe dieser geistigen Leiden bereitete und ebnete sich die Möglichkeit für den zu erreichenden Dauerzustand. Am Vormittag des Vortages von Weihnachten „lebte“ ich schon zuweilen diese volle Vereinigung544 ohne jeden Widerspruch in mir, aber am Nachmittag verdoppelte sich wieder das oben beschriebene Leiden. Es war mir, als müsse ich alles Geschaffene und Geschöpfliche um mich vollends verlassen und mir in mir einen wie ungeschaffenen, vollkommen frei stehenden Bestand erringen, als müsse ein anderes, neues Fundament in mir gegraben werden, in dem ein anderes Leben hineingesetzt und eingesenkt werde.

1988 |        Bei der Mitternachtsmesse kam dann eine große Ruhe in mich und augenblicklich nach der heiligen Kommunion vollzog sich spürbar jener Akt der Einigung all meiner schon bereiteten Kräfte mit der göttlichen Person, und zwar als Dauerzustand. Es war mir, als würden sich zwei zu einem zusammenschließen, oder als würden zwei Abgründe zu einer Ebene überbrückt und ausgeglichen werden. – Den Zustand in sich selbst kann man aber überhaupt nicht beschreiben.

1989 |        Es ist dies nun die Vollendung und Erfüllung des langjährigen Versprechens Jesu, das er hiermit wahr gemacht hat. Es ist wie die Ankunft an einem erreichten Ziel nach einem steilen und harten Aufstieg auf einen Berg, den man mit großem Leiden zustreben musste. Nun ist gleichsam die große und weite Hochebene erreicht, nun hat der notwendige Ausgleich sich vollzogen, die volle Dienstbarkeit gegenüber Jesu und seinen Absichten ist hergestellt. Statt zweien ist nun eines in mir geworden und dieses eine ist von jetzt an mein „gewöhnliches“ sein. – Jesus ist wahrhaft getreu: Was ich früher in Gnadenstunden vorerlebte545, das ist nun mein Besitz, nein, mein eigenes Leben geworden. Hier hört das mystische „Erleben und Leben“ auf, hier fängt die neue Wirklichkeit, der tatsächliche Bestand in Gott an.

1990 |        Wiederholt wurde mir dabei der Geisteszustand Mariens vorgeführt, in dem sie sich infolge der hohen Dienstbarkeit alle ihre Kräfte für die Menschwerdung des Wortes befand: diese einfache und erhabene, wie auf gleicher Höhe zu Gott hinaufführende546 Ebene, die „Gottfähigkeit“ ihres menschlichen Seins. Von diesem Ideal ausgehend und abzweigend leuchtete mir dann wieder meine geistige Aufgabe auf, nämlich jener547 Grad der geistigen Dienstbarkeit dem Erlöser gegenüber, die zu einem Leben notwendig ist, in dem er sein inneres Erlöserleben mittels meiner geistigen Kräfte will wiederholen können. Zu der hierfür nötigen mystischen Umwandlung in ihn genügen aber die Geisteskräfte allein nicht; die Seele braucht viel mehr zu einem Leben solcher Dienstbarkeit auch eine entsprechende Anspannung und Bereitung der physischen Kräfte, damit auch diese den Anforderungen und dem Höhenflug jenes höheren Lebens standhalten und folgen können. So erlebte und erlitt ich in den vorausgehenden inneren Leiden gleichzeitig auch ein gewisses „Strecken“ und Mitspannen all meiner physischen Kräfte, eine Einspannung meines ganzen Seins in das höhere Geistesleben;548 es war mir dabei, als leide jede einzelne Zelle und jeder Nerv zusammen mit den seelischen Leiden mit.549 Es war eine allgemeine Bereitung meinerseits für den besonderen Dienst der göttlichen Person.

1991 |        Der wirkliche Zustand in Jesus ist aber nun unaussprechlich einfach und scheint ganz das Gewöhnliche und Selbstverständliche zu sein. Von Jesus „erlebe“ ich überhaupt nichts, sondern ich bin selbst das geworden, was ich früher als Ziel erlebte, und um das sich so sehr gelitten habe.

 

26.12.1942

1992 |        Es ist fast dauernd eine Bewegung und gnadenvolle Erklärung in mir, in der mir das Ziel und Zweck aller inneren Wege und Leiden in ihrer Einordnung in das göttliche Planen und Wirken in mir zum Bewusstsein kommen, zum „Bewusstsein“ aber nicht mehr in dem eigentlichen mystischen Sinn, sondern mehr als Feststellen und Innewerden eines höheren Lebenszustandes. – So wurde ich mir gestern Abend erst vollends klar über die Bedeutung des in der Heiligen Nacht erreichten Zustandes. Ich wurde inne des Wesens jener vollen Einigung als eines Mittels zum Erleben der göttlichen Erlöserperson. Ich fand und erlebte mich selbst so fügsam und gefügig, dass ich dem letzten Zweck aller bisherigen Gnaden nun zugeführt und überantwortet werden kann. Nun bin ich selbst das, was der göttlichen Person Christi dienen kann, damit er sein inneres Leben wiederholen könne (in mystischer Weise). Nun soll ich in die wirkliche Dienstbarkeit Jesu eingestellt und dafür verwendet werden, soll dermaßen für Göttliches erlebnisfähig sein, dass ich dem inneren Leben Jesu folgen bzw., dafür gebraucht werden kann.

1993 |        Wie oft am Tag verzichtete ich in dieser Zeit auf jeden eigenen Gebrauch und Selbstgenuss und Selbstbesitz, angeregt durch jene oben angedeuteten, gnadenvollen Bewegungen! Diese inneren, gnadenvollen Regungen erhöhten und erweiterten sich aber immer mehr und wuchsen zum vollen Sich–Überantworten an jene göttliche „Bewegung“, worin die zweite göttliche Person immerwährend vom Vater hervorgeht. Der führenden Gnade folgend überantwortete ich mich der göttlichen „Bewegung“ des Hervorgehens des ewigen Wortes vom Vater, und so werde ich zurückgeführt bis auf den göttlichen Ursprung des Wortes und damit der Erlösung. Jesus immerwährendes Hervorgehen vom Vater ist ja grundlegend und wesentlich für das göttliche Sein Christi auch in seiner Menschwerdung und in den Akten der Erlösung. Und diesem göttlichen Wesensprozess diene ich. Ich gebe mich dafür her und werde dazu genommen, um dies erleben zu können, weil Jesus eben dieses Sein550 verborgenstes Geheimnis zum Heil der Kirche offenbaren will und weil er seine göttliche Erlöserliebe mehr anerkannt wissen will. Freilich ist dies „unglaublich“, aber nach meinem inneren, unleugbaren Erfahren ist es tatsächlich so. – Heute weiß ich um mich, dass ich als Mittel genommen und zubereitet werde zu göttlichem Erleben, das nun erst ganz in mir ermöglicht ist.

1994 |        Im Übrigen bin ich heute wieder sehr in Leiden, und zwar Zielen diese hin auf möglichst hohe Gefügigkeit und Fügsamkeit meines Seins für jene göttlichen Akte, denen ich überantwortet werde, denen ich dienstbar sein muss und die ich in mir tragen werde. – Es gibt freilich hierfür kein Wort mehr, aber wenn ich einmal die volle Vorbereitungszeit überschritten habe, wird es klar werden und wird sich die Tatsächlichkeit dieser unermesslichen Gnaden Gottes erweisen.

1995 |        Unterdessen drängt es mich immer weiter; denn „dort“ werde ich mich ganz für mich verloren haben, werde dafür das seine erfasst haben, und damit werde ich eingehen in seine Ruhe bei allem Leiden, und diese Ruhe wird ein ewiger Bestand für mich sein, wie Jesus mir versprochen: In dem Maße, als ich ihn hier erlebe und erleide, werde ich ihn ewig genießen. – Es ist mir noch unklar, ob mein jetziger Zustand schon das letzte Tor zum endlichen, wirksamen Erleben in ihm ist oder ob es noch Zwischenstufen gibt. Gegenwärtig bin ich jedenfalls daran, fügsam gemacht zu werden, um das ständige Hervorgehen des göttlichen Wortes erleben zu können. Wenn dann die Fülle der Vorbereitungen abgeschlossen ist, werden die verschiedenen Stufen, die ich durchschritten und geübt habe, voll in Wirksamkeit und Aktion treten und so schließt sich dann der Ring der Vorbereitung auf die eigentliche Aufgabe.

 

30.12.1942

1996 |        Von Tag zu Tag steigert sich in mir ein Zustand der Sublimität, der mich, in gewissem Sinne, ganz dem Einfluss meiner eigenen Materie enthebt. Ich lebe „über“ mir selbst ein höheres geistiges Leben, und die mich tragende Materie dient anscheinend nur mehr dazu, diesem meinem höheren Leben noch das Aussehen eines gewöhnlichen Menschen Lebens zu lassen. Die unaussprechliche Einheit des Geistes und der Materie äußert sich zwar wie in einem ganz gewöhnlichen Leben, in Wirklichkeit aber ist das Geistesleben ihn mir in dem Maße vorherrschend geworden, dass der Geist in mir in gewissem Sinne die Materie zu tragen hat und alles Niedere unter die Herrschaft des Geistes gestellt ist. Ich befinde mich nun in jener wunderbaren Entwicklung der vollkommenen Einheit im menschlichen Sein, wodurch die volle wesentliche551 Ordnung des Paradieseszustandes hergestellt wird, jedoch mit dem besonderen Unterschied und der Abzweigung, dass dieses, mein nun geordnetes Inneres immer mehr dem Lebensdienst der göttlichen Person Christi übergeben und überantwortet wird. Zwischenhinein flackern immer noch sehr schwere, innere Leiden auf, die ein höchstes und letztes Absterben für mich selbst herbeiführen. Mittels dieser Leiden kann ich auch das Wachsen des Geistes in mir beobachten. – Das größere Leiden ist aber jetzt für mich nicht dieses der Reinigung, sondern vielmehr das verzehrende, passive Verlangen, jenen Vollkommenheitszustand des Geistes vollends zu erlangen, den ich fortwährend als Ziel in mir erfahre. Es gibt für mich keine Ruhe, bis ich nicht vollends eingegangen bin in die mir das Ziel gesteckte Harmonie mit Christus und seinen göttlichen Vollkommenheiten, wozu meine eigene, entsprechende Vervollkommnung und Vollendung Voraussetzung ist.

1997 |        Bei diesem geistigen Erhebungsprozess tritt in letzter Zeit immer mehr die Form und Anregung einer freiwilligen Liebeshingabe an Jesus in mir hervor. Zusammen mit dem Licht der führenden Gnade lässt Jesus in erhöhtem Maße auch die Kraft einer freiwilligen Hingabe aus Liebe zu ihm in mich überströmen. Die Liebe soll vor allem und in allem das Führende sein, um ganz und gern ihm nach seinen Absichten zur Verfügung zu stehen. – Zu diesem Zwecke schaute ich seit einigen Tagen auch eine spezielle Aufopferung an ihn aus Liebe, ein vollkommenes freies Liebesopfer, weil eben die Liebe und die Absicht der Liebe allein die letzte Vollkommenheit des Opfers selbst vor Gott ausmacht. Und Jesus will seinen Gnaden, die mich nun so viele Jahre, ja mein ganzes Leben hindurch zu dem höchsten Ziel seiner besonderen Dienstbarkeit geführt hat, das Gepräge und Siegel eines vollkommen freien Liebesopfers aufdrücken. – In den letzten Tagen spürte ich ständig den Antrieb zu diesem Liebesopfer, aber es fehlte mir noch die letzte Klarheit, und das letzte Motiv, auf das dieses Liebesopfer hingeordnet sein sollte; doch lag noch in etwa dunkel in mir.552

1998 |        Heute Morgen nun erreichte jener angedeutete Zustand der Sublimität und des Freiseins von mir wohl die höchste von mir jetzt fassbare Spitze. Aber diese „Spitze“, und diese Erhabenheit drang auch herunter in mein niederes Sein und hatte die Kraft, mich ganz zu beherrschen von oben bis unten und von unten bis oben. Nun erschien eine volle Einheit möglich. Die Vergeistigung meines Seins hatte anscheinend die vorher in mir noch bestehenden Hindernisse ganz überbrückt und überwunden. – (Es handelt sich – wie mir gezeigt wurde – im Wesentlichen um eine Vergeistigung, wie sie die Seele gewöhnlich erst durch ihre wirkliche Trennung vom Leibe im Tode erfährt.)

1999 |        Nach der heiligen Kommunion kam ich dann heute gleichsam in einer Art eigener Auflösung in mir selbst. Ich erlebte553 mich augenblicklich wie in einem Ozean des Geistes und Vergeistigtseins in mir selbst – dem Zustand selbst nach schien ich einem menschlichen Sein wie enthoben –554, wobei aber Christus der Geist war. Im Bilde gesagt: Das Tröpflein löste sich in Meere auf und es war nur mehr EIN Wasser; das eigene Fünklein des Geistes ging in Flammen auf und es blieb mir nur mehr EIN Feuer, genährt von der Glut der ewigen Liebe Gottes. So war ich nun ganz aufgenommen in die göttliche Triebkraft des Erlöses in seinem Erlöserleben, in die göttliche Triebkraft seiner Liebe, um teilzuhaben an dieser göttlichen Liebe und Triebkraft, die mir in ihm nun immer offen und zur Verfügung steht. – Die Liebe beherrscht in Gott alles; das habe ich heute erlebt. Gottes Sein ist liebe, und auch die Erschaffung der Welt und der Menschheit war nur Liebe, die sich den Geschöpfen mitteilen wollte. Es war Mitteilung der Liebe, gleichsam eine Mitteilung Gottes selbst,555 weil er in sich Liebe ist und in dieser Liebe sich der Schöpfung schenken und mitteilen wollte. – Gottes Liebe ist aber nicht schwach oder schmachtend oder irgendwie ähnlich dem Leiden menschlicher Liebe; Gottes Liebe ist erhaben und voll Geist und Kraft; Sie wirkt und erhebt und übersteigt das Leiden einer irdischen Liebe. Gottes göttlichste Triebkraft ist die Liebe, die über all seine göttlichen Vollkommenheiten herrscht und das tiefste Wesen und wesentlichste Vollkommenheit ist. Ich habe dies heute in Gott erfahren: Gottes göttlichste Triebkraft ist die Liebe, die über all seine göttlichen Vollkommenheiten herrscht.556 Die Liebe ist die Triebkraft bei allen Akten und Handlungen Gottes. – Ich habe heute diese göttliche Triebkraft der Liebe im Erlöser erlebt, jene selbstlose Liebe, die sich im Dienst der gefallenen Menschheit verzehrt hat. Diese Liebe des Erlösers war höchst freiwillig, göttlich freiwillig; sie folgte eben dem göttlich wesenhaften Impuls und Antrieb des göttlichen Wesens; Gottes Wesen aber ist die Liebe selbst.

2000 |        Aufgenommen in diese göttliche Liebe Christi ward mir jenes besagte Liebesopfer an ihn557 zu einem eigenen Bedürfnis. Ich überantwortete mich daher ebenfalls dem göttlichen Impuls seiner Liebe, die in ihm die Triebkraft war. – (In Worten lässt sich freilich diese Hingabe nicht gut wiedergeben; denn man spricht dabei nur „Worte der Liebe“, die aber in Wirklichkeit keine „Worte“ sind; die wahre Liebe „bedarf558 und spricht“ eigentlich nicht, sie handelt und gibt sich hin559.) Ich übergab mich vollends diesem göttlichen Impuls der Liebe Christi, in die ich nun mit allen meinen Kräften aufgenommen wurde. Dabei wurde ich derart aus mir selbst emporgehoben, dass ich mich wie von der Materie befreit fühlte und in Gottes Liebe aufgegangen war. Wie ein Schwimmender sich vom Wasser umgeben sieht und vom Wasser getragen wird, so war und lebte ich in der Liebe, und ich war selbst diese Liebe. Ich spürte auch eine Umwandlung in die Liebe, sodass ich nun kraft dieser Liebe mein inneres Leben lebe und von ihr getragen bin. Die Spitze und die Tiefe meines Seins sind nun gleichgeschaltet worden von der Liebe Christi, in die ich heute aufgenommen wurde.

2001 |        Zugleich mit der großen Gnade von heute Morgen wurde ich auch ganz tief eingeführt in das Geheimnis des göttlichen, wesentlichen Impulses der Liebe, die sich in der Erlösung durch Christus so wunderbar gezeigt hat. – Wenn Gottes Gerechtigkeit die gefallene Menschheit nicht ewig zugrunde gehen ließ, so verdanken wir das nur seiner wesentlichen freien Liebe, die eben in der Erlösung sich betätigt hat. Christus folgte in den Werken und Taten der Erlösung als Mensch dem göttlichen Liebesantrieb, der ihm als Gott wesentlich eigen war und blieb.

2002 |        Im Zusammenhang damit wurde ich wieder hingewiesen auf frühere Stufen, Gnaden und Vorkommnisse meines Innenlebens, wo Jesus immer auch von mir eine freiwillige Hingabe verlangte. Mochte das innere Drängen der Gnade noch so klar und bestimmt sein, mochte die Erkenntnis der Übernatürlichkeit eine Anregung zu höherer Hingabe noch so einleuchtend sein, Jesus ließ doch immer dem freien Willen die Entscheidung. Ist man auch grundsätzlich für gewöhnlich schon sofort bereit, jeder neuen Anregung der Gnaden zu folgen, so kommt der freie Willensentschluss doch immer von Neuem zur Geltung und Betätigung, sooft die konkrete Ausführung der Anregungen die ganze Schwere des von der Gnade geforderten Opfers spüren und erleben lässt. Dann muss der Wille sich neu und wirklich entscheiden: Ob man sich zu allen Folgerungen und Konsequenzen der vollen Hingabe an Gott und seine Absichten entschließen560 kann und will; ob auch tatsächlich Mut und Wille für alle Leiden und Opfer vorhanden ist, wenn die Gnade Gottes Taten der Hingabe verlangt und die äußeren und inneren Folgen der grundsätzlich schon gemachten Hingabe spüren lässt; ob der Mut und die Kraft der erstmaligen Hingabe auch das Tragende und Entscheidende bleiben, wenn man in dem dadurch geforderten Opferleben abseits und abgesondert von der Masse der Menschen und vom Durchschnitt der Menschen gehen muss? – Meist verdeckt wohl der Heiland zunächst die letzten und vollen Konsequenzen und die Tragweite der Hingabe einer solchen Seele an ihn und seine Wünsche. Er begnügt sich zunächst mit der Bejahung von vorläufigen Folgerungen und Zeilen, in denen aber die Seele vielleicht alle Forderungen des Heilandes schon enthalten glaubt. In Wirklichkeit schließt die volle Hingabe und das letzte Ziel dieser Hingabe zwar noch höhere und weitergehende Folgen für die Seele ihn sich, aber der Herr hält ihr diese zunächst noch verborgen, damit sie sich nicht gegenüber solchen letzten Forderungen von vornhinein ohnmächtig fühle. – So hat mir Jesus zunächst in einem weit vorausschauenden Ausblick als letztes Ziel all meine inneren Gnaden – schon vor vielen Jahren – gezeigt: „ihn so in mir zur vollen Herrschaft und zum Leben gelangen lassen, dass er mein Leben wird“. Die besonderen Anforderungen dieses letzten Zieles erfasste ich näherhin mit der Forderung seiner besonderen Gnaden (1922): „ihm das Opfer meines Lebens bieten, dass er darüber ganz verfügen und es für sich gebrauchen könne.561“ In dieser göttlichen Forderung lag der erste, wesentliche Schritt zu dem Ziel, dessen ganze Tragweite und Begleitfolgen sich in vielen Zwischenstufen und Einzelforderungen aufteilen. Mit dem Innewerden und Erfassen jenes höchsten Zieles hatte ich wohl auch schon den ganzen Weg grundsätzlich bejaht, der zu diesem Ziele führen sollte; aber nicht immer stand die letzte Folgerung der Gnade in meiner Seele. Es kamen immer wieder Zeiten eigener und neuer Entscheidungen, wo ich wieder neu vor die Wahl gestellt wurde, ob ich auch auf alle einzelnen und weiteren Forderungen der Gnade und auf alle weiteren Wege zum Ziel voll eingehen wolle. – (Wenn ich auch noch so oft das Ziel meines Innenlebens vorauserlebt habe und mich darnach entscheiden konnte: Aber auf diese Tragweite meines inneren Weges konnte meine Seele eigentlich nie Ausblicken, weil dies außer dem Bereich menschlichen Durchschauens göttlicher Absichten geht; ebenso der Akt der Hingabe an Jesus: Ihm Ganzopfer zu sein für die Erneuerung des Priestertums und das sich daran schließende Gelübde eines Schlachtopfers an ihn; dem als Ziel zeigte mir er Herr stets immer eine in sich zusammengefasste Aktion einer Priesterreform, die sich über die ganze Kirche verbreiten wird und somit im Allgemeinen eine Erneuerung der Kirche in sich schließt; 1924.)562 – Es wehrte sich zu Zeiten der Vernunft mit allen ihr zu Gebote stehenden Gründen gegen das tiefere, grundsätzliche Wollen der Seele; sie sträubte sich mit ihrer natürlichen Konsequenz gegen das ihr unbegreifliche Wirken der Gnade und gegen das ihr geheimnisvolle Dunkel der inneren Führung, wenn auch Jesus zuweilen das Licht seiner Gnade noch so klar und unbezweifelbar hatte aufstrahlen lassen. In solchen Zeiten seelischer Entscheidungen habe ich mir immer wieder ein Mittel zurechtgelegt (oder mich daran gehalten), das mir über diese Krisen meines geistlichen Lebens hinweghalf: Ich versetzte mich nämlich im Geiste in meine Sterbensstunde und fragte mich in allem Ernste: Was würdest du auf dem Sterbebett wünschen, getan zu haben? – Unwillkürlich stieg dann der Wunsch in mir auf: Ich wünsche, auf meinem Sterbebett einmal das Bewusstsein zu haben: Viel für Gott gelitten zu haben, mein Leben zu einem Vollopfer vor Gott gemacht zu haben, um kraft dieser vollkommenen Hingabe an ihn hoffen zu können, von ihm im Augenblick des Todes in Gnaden und Barmherzigkeit aufgenommen zu werden; ich wünsche mich für die Interessen Christi verzehrt zu haben. – Mit dieser tiefsten auf das eigene, ewige Heil meiner Seele schauenden Entscheidung meines Inneren war im gleichen Augenblick auch die Entscheidung für die jeweilige spezielle Lage oder Frage getroffen. Mein tiefstes Sein verlangte konsequent eine vollkommene Hingabe an Jesus und eine volle Bereitschaft, mich für ihn zu verzehren; so ging es wieder mutiger vorwärts durch das Dunkel und die einzelnen Schwierigkeiten hindurch, im Hinblick auf meinen kommenden, letzten Wunsch auf dem Sterbebett. – Diese Methode habe ich als bestes Mittel gefunden, um über die am Kreuzweg der Seele sich aufstauenden Widerstände und Schwierigkeiten von außen und innen am raschesten Hinweg zu kommen. Hierin entscheidet sich der tiefste Glaube an Gott und spricht das letzte Wort der Liebe.

2003 |        So schienen zeitweise alle außergewöhnlichen Gnaden nicht zu genügen und mussten das gewöhnliche Glaubensleben und die einfachsten Grundsätze im religiösen Leben den Ausschlag geben. Es ist eben eine große Täuschung, wenn man annimmt, man würde im mystischen Gnadenleben von der Gnade getragen oder man komme in Liebesgefühlen und ekstaseähnlichen Zuständen ohne Weiteres über alles Schwere hinweg. Die einzelnen Leiden und Opfer behalten vielmehr ihre Schwere trotz aller begleitenden Gnaden; diese schaffen vielmehr563 in der Seele die entsprechende und notwendige Disposition, um auch heroische Selbstüberwindungen und Opfer für den Heiland bringen zu können, aber die Opfer und Anforderungen, die ein besonderes mystisches Innenleben von einer Seele verlangt, sind auch ungleich mehr und größer als im gewöhnlichen Leben und nicht selten muss auch bei mystischer Gnadenführung die ganze gewöhnliche Glaubens– und Tugendkraft die Engscheidung geben. Ja, tatsächlich muss im mystischen Innenleben ein größerer Glaube geübt, verwirklicht, und in die Tat umgesetzt werden, als im gewöhnlichen Christenleben. Es muss auch das Vertrauen in viel höherem Maße sich betätigen und bewähren inmitten all der auftretenden Dunkelheiten, der scheinbaren Gottesverlassenheit und den mannigfaltigen Widersprüchen564, die sich oft aus der inneren Führung, wenigstens scheinbar, ergeben, da die Seele oft oder auch die meiste Zeit hindurch vor scheinbar verschlossenen Toren steht und doch zum Glauben gedrängt wird, dass dies verschlossene Tor das richtige ist. Jesus führt die Seele durch schwere Proben eines unwandelbaren Vertrauens hindurch, wobei nur noch der Ausblick auf das letzte, sichere Ziel die höchste565 Anspannung aller Kräfte wachhalten kann. Gott wirkt nicht immer Wunder im Leben einer solchen Seele, sondern diese muss auch harte Probe eine wahre Hingabe an Gott bestehen können. Und erst recht lässt Jesus immer wieder dies erfahren: Dass die wahre Liebe nicht jene ist, die sich in Gnadenstunden in gehobener Stimmung und in süßen Beteuerungen ihm gegenüber ergießt: Solche Augenblicke und Zeiten werden vielmehr dazugegeben und dienen dazu, dass die Seele in der Liebe zu ihm unverrückbar fest und treu werde. Die wahre Bewährungsprobe der echten Liebe kommt aber dann im täglichen Leben, in der Bereitschaft, Christi wegen tatsächlich auch alles hinzugeben, mit ihm allein genug zu haben und trotz allen Zerbrechens äußerer und oft auch innerer Stützen sich ihm ganz zu überlassen. Die höchste Liebe besteht in Wahrheit darin, für Gott in allem ein Opfer zu sein, auch abseits vom lieb gewonnenen Weg der Menschen in ihrem gewöhnlichen Lauf. Das mystische Gnadenleben besteht also nicht nur im hohen Erleben Gottes und seiner Liebe oder gar nur in süßen Gefühlen, sondern es besteht vor allem in einer konsequenten und restlosen Hingabe an Gott, wozu freilich die fühlbaren Gnaden eine mächtige Hilfe Sein können und sollen. Gott verlangt auch tatsächlich von mystisch geführten Seelen ungleich größere Opfer als von Durchschnitts-Christen oder auch von wahrhaft frommen Personen, weil das mystische, innere Leben sofort in eine höhere Art geistiger Aktivität und Passivität einmündet und eingespannt wird. Soll das mystische Gnadenleben wirklich seinen letzten gottgewollten Zweck erreichen und die entsprechende Fruchtbarkeit hervorbringen, so ist grundlegend und erste Vorbedingung dazu: Dass man das gewöhnliche Glaubensleben zur konsequenten Auswirkung und Ausführung bringt und dass man es steigernd immer mehr in sich Wirklichkeit und Tatsache werden lässt. Für gewöhnlich fußt ja auch schon die niedrigste Stufe der mystischen Gnadenordnung auf einem sehr treuen geübten Christenleben; in jedem Falle aber muss das mystische Innenleben mit einem praktischen Christen– und Tugendleben gepaart und verbunden sein, wenn es nicht in Selbsttäuschung enden soll. Besonders in der erworbenen Beschauung ist ja ein ganz treues Glaubensleben einschließlich mit einem hohen Tugendstreben die Grundbedingung und Voraussetzung dazu, und die erste Grundlage zu Beschauung.566 Nach meiner Erfahrung tritt wohl in den Anfangsjahren das mystischen Lebens scheinbar so sehr in den Vordergrund, dass die praktische Betätigung des religiösen Lebens wie von selbst und ohne Schwierigkeiten mitfließt; auch lassen sich die Folgerungen und Anforderungen des anfänglichen mystischen Gnadenlebens gut mit dem gewöhnlichen Leben verbinden. Später aber wird die mystische Gnadenordnung ununterbrochen fortlaufend und wie ein bleibender, gewöhnlicher Zustand – [ENDE M1] – und muss sich auch in einem praktischen Tugendleben auswirken, das den mystischen Gnaden entspricht und durch diese ermöglicht wird. Das ist dann nicht immer so leicht; im Gegenteil können die Anforderungen der Gnaden im praktischen Leben so schwer, und die äußeren und inneren Nöten und Leiden so viel und groß werden, dass man sie vielleicht nicht mehr alle einzeln und ausdrücklich bejahen kann, sondern zeitweise nur mehr an den allgemeinen Entschluss restloser Hingabe sich anklammern kann. Ich will alles leiden, will alles leiden, ob es nun von dieser oder jener Seite an mich herankommt, ich will alles leiden (so wenigstens habe ich es zeitweise erlebt). Auseinandersetzungen mit den einzelnen Schwierigkeiten, Ungerechtigkeiten und Prüfungen usw. könnten die Seele geradezu mutlos machen und wie erdrücken. Gott fordert eben tatsächlich seine besondere Gnade mit einer entsprechenden Frucht wieder zurück in einem praktischen geübten Tugend– und Opferleben. Er will seine Gnade wirklich fruchtbar gemacht sehen, sei es unmittelbar zu seiner größeren Verherrlichung, zum Heil der Kirche567 oder zur Verwirklichung seiner besonderen Absichten der Liebe, sei es zur eigenen Heiligung der Seele und damit wiederum zu seiner größeren Ehre. Immer aber muss beides unmittelbar ineinandergreifen: besondere Gnadenführung und entsprechendes Tugendleben. Die Gnade muss im gelebten Glauben fruchtbar werden.

2004 |        In diesem Zusammenhang wurde mir als geistige Grundlage für die Ausführung des zu gründenden Priesterinstitutes gestern ein kurzes, vielsagendes Wort angegeben: Theorie und Praxis müssen im Priesterwerk ineinandergreifen. Der Glaube muss dort wirklich geübt und geliebt werden und muss sich bis ins einzelne in der Praxis und im Leben auswirken. – Dabei hatte ich die innere Erkenntnis: Heute liegt bei allzu vielen zwischen Theorie und Praxis ein klaffender unüberbrückbar scheinender Abgrund. Dieser klaffende Riss muss sich zusammenschließen durch die praktische Übung und Vertiefung des Glaubens. Was jemand lehrt und lehren kann, das muss er auch üben und ausführen können. Gott fordert vom einzelnen Menschen eine folgerichtige Übung des Glaubens, um sich dadurch wirklich als „Gott“ mit seinen göttlichen Vollkommenheiten im Menschenleben erweisen zu können. Gott will in allem ernst genommen werden.

2005 |        Im Priesterwerk wird mir daher als vornehmste Lehre und Übung gezeigt das Zusammen– und Ineinandergreifen von Gnade und Glaube und Praxis, und zwar im vollen und bis ins einzelne folgerichtigen Erfassen der tiefsten Quelle des Glaubens. Dadurch will sich Gott auch für die heutige Menschheit als „Gott“ erweisen. (Es wurde mir noch Verschiedenes klargemacht über diese geistige Grundlage des Priesterwerkes, aber es ist mir jetzt noch nicht geläufig zum Schreiben.)

2006 |                

2007 |        

 

 

 

Das Jahr 1943

 

Grundlage M2

 

 

 

 

 

Januar

01.01.1943

2008 |        Das Jahr 1942 endete für mich gestern mit unaussprechlichen inneren Leiden. Es war ein völliges, eigenes Zerbrechen in mir. Die ganze, scheinbare Nutzlosigkeit aller Opfer und Leiden für das zu gründende Priesterwerk stürmte wieder auf mich ein. Mein inneres Gnadenleben war wie bedeckt und verdunkelt von dem Übermaß der Leiden und es schien alles wie eine aussichtslose Torheit. Da blieb im tiefsten Grunde568 nur der feste Entschluss in mir bestehen: „Ich will alles, alles leiden, damit ich wenigstens von meiner Seite alles getan und gelitten habe“.

2009 |        Heute Morgen aber war alles ganz anders. Ich war wie ein sorgloses Kind, ganz im Frieden des Herzens Jesu mich bewegend. Ich selbst bin gleichsam die Ruhe, die Einheit, bin in einem wunderseligen Frieden in mir selbst eingebettet.

2010 |        Bei der heiligen Kommunion wurde ich vom Geiste, der mich leitet, zurückgeführt bis zu meiner ersten Aufopferung im Jahre 1922, wo von mir gefordert war, dem lieben Heiland das Opfer meines Lebens zu bieten, weil er selbst dieses wie sein Eigenes beanspruchen wolle. Nun mache er – so erkannte ich – jene Anforderung und jenes Angebot vollends wahr. Zugleich war ich dieser Anforderung ganz überantwortet und befand mich schon (im Voraus) im Eingehen in diesen wirklichen Opferzustand. Diese Inanspruchnahme meines ganzen Seins – so wurde mir erklärt – sei eine Bestätigung der vielen Jahre hindurch andauernden, besonderen, göttlichen Führung, bei der es sich nicht um leere Gefühle handelt, sondern alles auf das eine große Ziel tatsächlich hingeordnet und hinbezogen war.

2011 |        O, ich bin so bereit! Wie könnte ich meine Bereitschaft569 Jesus gegenüber ausdrücken?! – Welchen Ekel und Widerwillen fühle ich gegen mich selbst, nachdem ich in so hoher Weise das göttliche Sein erlebt habe, dem ich nun vielleicht schon ganz bald zu Diensten sein werde, in seinem Erlöserleben aufgehend. Es ist ein verzehrendes Verlangen in mir, mich ganz für Jesu Leben aufzubrauchen.

2012 |        Ich bin aber auch in wundersame Weise in ihn aufgenommen: Aus zweien ist sozusagen nur eines geworden. So bin ich ganz jener höchsten Anforderung Jesu hingegeben und es braucht nur mehr einen Akt seines Willens zu einem vollkommenen, tätigen Aufgehen und Eingehen in sein Erlöserleben. Ich bin so wunderbar geistig verfeinert – aber es gibt ja kein Wort, um meinen seelischen Zustand zu beschreiben.

2013 |        Ich habe mich heute wieder neu und ganz dem Heiland geopfert im Sinne meiner ersten Hingabe: „So wahr du Jesus heißt, ich bin bereit für dich; und in Anbetracht deiner göttlichen Treue, die du mir meiner Inanspruchnahme beweist, erwarte ich mit vollem Vertrauen auch die Erfüllung aller übrigen Versprechen, die du mir gegeben hast“.

 

05.01.1943570

2014 |        In welchen wunderbaren inneren Zustand bin ich heute! Die Vergeistigung meines ganzen571 Seins erhöht sich noch fortwährend. – Vor einigen Tagen konnte ich mit großer Ruhe gleichsam „auf mich selbst herniederschauen“ und etwaige körperliche Schmerzen (Zahnschmerzen) berührten die Spitze meines Seins gar nicht; ich konnte gleichsam darauf herabsehen, wie man sonst einer anderen Person zusieht. Heute nun ist dieser Zustand auch wieder überschritten und ich stehe jetzt wie „senkrecht“, unmittelbar in mir und in unaussprechliche Unumschränktheit des Geistes dringt die oberste Geistesspitze in den Mittelpunkt meines Wesens. Alles dies aber ohne Bemühung: Wie das Wasser im Strombett seinen Lauf geht, so etwa bewegt mich Gottes Sein in sich hinein.

2015 |        Heute Morgen konnte ich begreifen, wie die Gottheit des ewigen Wortes seine heiligste Menschheit mit sich empor nahm und ganz vergeistigte und vergöttlichte – und jetzt erfahre ich selbst einen ähnlichen Zustand: Gott als Geist trägt das menschliche Leben und macht es zu572 einem ganz vergeistigten und vergöttlichten Leben. – Die göttliche Geistigkeit des Wortes war Urgrund und Quellgrund im menschlichen Leben Christi.

 

06.01.1943

2016 |        War schon gestern meine innere Umwandlung in ein „Leben des Geistes“ auffallend erhöht, so habe ich heute darüber hinaus noch eine prinzipielle Vertiefung des inneren Seins erhalten. Mein eigenes menschliches Sein scheint sich jetzt ganz zu überschreiten und es beginnt ein neues Leben für mich, dessen Grundquellen die des Geistes (Gottes) sind.

2017 |        Jetzt kann ich von Neuem in hohem Maße den weiten inneren573 Weg überschauen, den ich hinter mir habe. – Die Überwindung des (moralisch) gefallenen Menschen führte mich zurück zu jener wesentlichen paradiesischen Freiheit und Erhabenheit des Geistes, worin die Niederungen des Materiellen beherrscht und geleitet werden und statt des durch die Sünde aufgerissenen Zwiespaltes die einheitliche Harmonie der leibseelischen Kräfte wiederhergestellt ist. Diese volle menschliche Harmonie zwischen der Geist-Seele und den physischen Kräften brachte eine wundervolle Erhebung und Leichtigkeit des Menschseins mit sich, insofern alle leib-seelischen Kräfte auf den höheren, von Gott geschaffenen, übernatürlichen „Geist“ der Seele hingeleitet und dort befestigt werden. Dadurch hört gänzlich jener brennende Zwiespalt auf, der sonst den Menschen in einer ständigen Spannung hält, und eine immerwährende Kampfstellung von ihm fordert, damit er das Gleichgewicht, oder vielmehr das Übergewicht des Geistes, bzw. des höheren, übernatürlichen Menschen in sich erringe und schaffe. Die erreichte volle Ausgeglichenheit löst aber jene vorher notwendige Kampfstellung und statt derer gibt die neue, einheitliche Harmonie aller Anlagen und Kräfte ungeahnte, weitere Möglichkeiten des freien Aufstieges zu Gott. Damit beginnt eigentlich erst die volle Freiheit der Seele hin zu Gott, weil sie nun von den Klammern des Niederen und von dem nach unten ziehenden Gewicht und Druck der Materie befreit ist und sich ihrer nur insoweit bedient und sie gebraucht, als es zu einem menschlichen Leben notwendig ist, ohne irdischen Genuss zu suchen. Gott hinwiederum kann eine so befreite und losgelöste Seele erst ganz für seine hohen, göttlichen Absichten bilden und umformen; denn die Seele ist nun in hoher Weise befähigt, hineingezogen zu werden in den Urgrund Gottes und Gott im Wesen seines Seins, im „Geiste“ zu erfahren und zu genießen. Nachdem die Seele vom tiefsten Kampfe in sich selber befreit ist, die Hemmungen und Hindernisse der Materie überwunden sind und somit gleichsam574 die Scheidewand zwischen Gott und der Seele gefallen ist, tut sich die Pforte Gottes für die Seele selber auf und der Strom göttlichen Lebens ergießt sich unaufhaltsam in sie. Es braucht nun sozusagen keine Bemühung mehr, um das untere, niederziehende Leben im Zaume zu halten. Es ist vielmehr eine volle Neuordnung im Menschen selbst geschaffen.

2018 |        Ich kann sagen: In Wahrheit, ich lebe ein neues Leben, aber welches? Menschliche Worte können diese Wirklichkeit nicht ausdrücken und ein volles Mitverstehen durch andere ist erst möglich von Seele zu Seele im anderen Leben des Geistes, im Jenseits, wenn die Seelen mit dem Besitz Gottes selbst eingeführt werden in das Geheimnis der Aufstiegsmöglichkeiten575 einer Seele in Gott und sein tiefstes, geistiges Wesen (durch Gottes besondere Gnade schon hienieden). Nur eine außergewöhnlich vergeistigte Seele kann ein Ahnen bekommen vom Leben Gottes selbst. Und in dieses Leben Gottes selbst gehe ich jetzt tiefer und intensiver ein.

2019 |        Heute (06.01.1943), nach der heiligen Kommunion (in St. Peter) wurde ich durch eine besondere Gnade „aufgenommen in den göttlichen Lebensstrom“ (mit diesem Ausdruck wurde mir die wunderbare, außerordentliche Gnade erklärt). – Es teilen sich also die einzelnen Abschnitte meines Innenlebens immer wieder auf. Vorher war mir das Leben und Erleben Jesu als anscheinend nächststehendes Ziel gezeigt worden; jetzt zeigt sich, dass dies zwar das nächste große oder letzte Ziel ist, dass dem aber noch Zwischenstufen vorausgehen. Bisher schon lief das teilweise Erleben Jesu bzw. der Erlöserperson gleichsam im Voraus mit meiner inneren Vorbereitung mit, in dem Maße, als der Grad meiner erreichten geistigen Einheit mit Christus es möglich machte. Das wesentliche, übernatürliche organisch wachsende Innenleben führte mich zunächst in den Paradieseszustand ein und jetzt in das Wesen Gottes selbst als in den Urgrund der göttlichen Person des Wortes. (Von dort aus wird mein Inneres erst einmünden in den wirklichen – wenn auch mystischen – Zustand der göttlichen Erlöserperson). Mein inneres Leben wird also jetzt übergeschaltet in das göttliche Leben selbst, natürlich nicht so, als ob ich damit „Gott“ würde, aber es wurde mir heute eine ganz besondere Zuteilung der Teilhabe an der göttlichen Natur gegeben. Indem mich dieser göttliche Lebensstrom immer mehr für ein vergöttlichtes Leben befähigt, wird infolge dieser besonderen Gnade das göttliche Sein wie zu meinem Lebensprinzip, zu meinem bleibenden und wie gewöhnlichen Lebenszustand werden.

2020 |        Dabei wurde mir auch folgende grundlegende Frage und Tatsache erklärt: Um das Geheimnis des gottmenschlichen Lebens Christi näher erfassen zu können, muss man zuerst in den göttlichen Lebensstand Gottes bzw. des Wortes selbst einzudringen vermögen. Darauf ist deshalb auch mein jetziger, unmittelbarer Vorbereitungsweg für das Erleben der göttlichen Erlöserperson hingerichtet. Ich werde in ganz hoher Weise in das göttliche Leben selbst hineingenommen und werde davon aufgenommen; denn das göttliche Lebensprinzip war die Grundlage im Leben des Erlösers und ich werde für dieses, sein Leben voll aufnahmefähig und erlebnisfähig gemacht und werde ganz dieser Aufgabe zugeteilt. Darum werde ich – dem Inneren nach – langsam immer mehr meinem eigenen, persönlichen Leben und Dasein enthoben und in das göttliche Leben Christi übergeschaltet. Nach meinem jetzigen Voraussehen wird dabei mein äußeres Leben gewöhnlich bleiben und nur soweit sich verändern als es von dem inneren Leben Christi in Mitleidenschaft gezogen werden wird, das mich dann innerlich ganz in Anspruch und Beschlag nehmen wird.

2021 |        Mein ganzes Inneres drängt jetzt wie unwillkürlich, spontan, grundsätzlich immer tiefer hinein576 in „Gottes Wesen“ selbst; das göttliche Sein in mir ist mir zu meinem eigenen pulsierenden Lebensstrom geworden. Die Ausschaltung jedes noch entgegenstehenden, eigenen Hindernisses und Widerspruches oder Gegensatzes vollzieht sich daher jetzt ohne die Bemühung bewusster, persönlicher Willensakte meinerseits; denn das göttliche Leben in mir stößt nun wie von selbst und wie naturgemäß jeden eigenen Einfluss meinerseits ab. Daraus ersehe ich, in welch hohem Maße ich nun vom göttlichen Lebensimpuls577 beherrscht und getragen werde.

2022 |        Die höchste Höhe des Eingehens in das göttliche Leben und Sein wird für mich jene Stufe der Befähigung und Vergöttlichung meiner Seele sein, die erfordert und notwendig ist, damit ich578 das göttliche Sein Christi in seiner menschlichen Natur wie als mein eigenes mystisches erleben kann. Diese höchste Stufe ist für mich jetzt im Grunde noch ein Geheimnis, doch sehe ich sie mitsamt ihren Auswirkungen für mich schon jetzt als Ziel voraus. Dann werde ich ganz dem göttlichen Lebenshabitus des Erlösers überantwortet werden, und zwar so, dass dieses göttliche Leben und dieser Habitus Jesu für mich wie mein eigenes Lebensprinzip sein wird.

2023 |        Trotz dieses so außergewöhnlichen Gnadenlebens ist doch alles so wundersam einfach in mir. Ich selbst bin gleichsam die Erhabenheit, Leichtigkeit und Unumschränktheit eines Geistes, dem das niedere menschliche Leben ganz eingeordnet ist, ohne jenen hohen Vorzügen irgendwie zu stören oder zu vermindern. Meine einzige „Unruhe“ oder Sehnsucht ist die, dass ich noch nicht ganz jenes letzte Ziel, d. h. den mir bestimmten Vollzustand der Vergöttlichung meines Seins erreicht habe, auf den alles in mir mit geheimnisvoller Gewalt hindrängt und in dem ich dann befestigt werde.

 

08.01.1943

2024 |        Heute Morgen erfuhr ich innerlich wieder als Ziel jenen für mich bestimmten (und im Vorhergehenden beschriebenen) Lebenszustand, der mir als wirkliche Lebensgrundlage dienen wird und der sich jetzt noch weiter in mir ausbaut. Es bildet sich in mir die vorher beschriebene Vergeistigung, und zugleich die göttliche Inanspruchnahme und Beschlagnahme meines Seins als mein wirkliches Leben aus. Ich bin ganz den gnadenvollen inneren Bewegungen hingegeben, die mich darauf vorbereiten. – „Ich kann dann dieses vergöttlichte Leben, getragen vom göttlichen 'Ich' der Person Christi, leben als wie mit meinem 'Ich', dem mein bisheriges persönliches Leben ganz unterstellt wird“. So geheimnisvoll tief führt mich Christus in sein eigenes, göttliches Lebensprinzip ein. – Dies wird für mich auch der Ersatz sein für die Abgabe und Hingabe meiner eigenen persönlichen Lebensbewegungen, die dann gereinigt, erhöht und vergöttlicht, durch eine ganz besondere Gnade fähig sein werden, dem göttlichen Leben Christi dienstbar zu sein, und denen dann seine göttliche Person vorstehen wird, als wäre es ganz meine eigene Person. – Der liebe Heiland wird damit ein unerklärliches psychologisches Wunder wirken in mir, indem er gleichsam die Stelle meiner bisherigen Person, und deren Funktionen vertritt.

 

Abends:

2025 |        Nun bin ich wieder in ganz großen Leiden, die von äußeren Schwierigkeiten ihren Ausgang nahmen und sich auf das innere Leben übertragen haben. Nach außen bin ich ein vollkommen579 existenzloser Mensch, ganz auf die Barmherzigkeit anderer angewiesen. Durch diese, meine580 äußere hilflose Lage werde ich gleichsam aus diesem Leben hinausgedrängt, aber ich spüre und verstehe, dass Jesus diese von außen kommenden Leiden zulässt, um mich vollkommen von irdischen Stützen und Hemmungen zu befreien und ein Leben des Geistes in ihm für mich vorzubereiten.

 

09.01.1943

2026 |        Die inneren Leiden sind unaussprechlich. Ich habe im eigenen Innern jede Existenzmöglichkeit verloren und bin wie jemand, der jede eigene Herrschaft und Befehligung seiner selbst und damit die entsprechende Freiheit entbehren muss und so wie ohne eigenen Halt in sich selbst zusammenstürzt. So bin ich581 ganz haltlos, grundlos, kraftlos meiner eigenen Schwäche überlassen. Dabei bleibt aber jene frühere erworbene Geistigkeit bestehen und ich bin in mir selbst unsagbar leicht und erhaben und wie „schwebend“ in mir selbst; doch gerade deshalb scheint es, als hätte ich eine Selbst-Stütze nötig und als fehle meinem Sein ein festes Rückgrat. Es ist mir eben gleichsam die Betätigung meiner eigenen Person oder die personhafte Tätigkeit der Seele entzogen und abhandengekommen, wodurch doch das ganze Gebäude des geistigen Bestandes der Seele erst gestützt und vollendet wird. Aber durch diese mit schmerzlichen, geistigen Leiden verbundene, große Umänderung meines Inneren soll ich lernen und allmählich dazu geführt und befähigt werden, mich vollends dem rein-geistigen Einfluss der göttlichen Person Christi zu überlassen.

 

09.01.1943

2027 |        Die Bestandsfähigkeit in Akten meiner eigenen Person löst sich in mir immer mehr auf, es mehrt sich die Befreiung und Freistellung gegenüber dem eigen-persönlichen Einfluss, aber dafür wächst auch entsprechend der Einfluss einer anderen geistigen Macht und Beherrschung, der meine Seelenkräfte nun überantwortet werden. Es bildet sich ein anderer Selbststand in mir aus, dem nun meine eigenen seelischen Kräfte langsam übergeben werden. Es entwickelt sich in mir merkwürdigerweise eine rein geistige Zuständlichkeit meines ganzen inneren Seins, ein rein-geistiger tiefster Quellgrund meines Seins, aus dem mein Gesamtleben hervorströmt: Es wird in mir eine geistige, neue Lebensgrundlage und gleichsam ein neues Lebensprinzip ausgebildet.

 

10.01.1943

2028 |        Mein ganzes inneres Sein hebt sich heraus und hebt sich ab von meinem früheren, gewöhnlichen Sein. – Im gewöhnlichen Seelenleben dringt das „Ich“ mittels seiner ihm zur Verfügung stehenden Kräfte nach oben, zum Höheren, jetzt aber führt das Höchste, Geistige in mir eine Alleinherrschaft; das Niedere, Materielle scheint geradezu aufgehoben zu sein, obwohl es in Wirklichkeit noch da ist; es ist aber so vollkommen dem höchsten, geistigen Sein eingeordnet, dass es nicht mehr so fühlbar ist. Das Geistige ist nun alles in mir und übt die volle Herrschaft aus. Darum ist mir so wunderbar, als habe mein Sein nun (um mich irgendwie auszudrücken) keine „Füße“, d. h., keinen fühlbaren Untergrund, und ich scheine wie „schwebend“ in mir zu sein. Mein ganzes Sein quillt aus einer rein-geistigen Grundlage, von der alles in mir getragen wird. – Ich muss mich aber erst an diese rein-geistige Grundlage gewöhnen und leide noch darunter, denn ich kann dabei nur bestehen im vollen Verzichten auf mein früheres, gewohntes Sein, das mir jetzt entrückt und weggenommen ist; dabei ist mir jetzt noch in etwa zumute wie jemanden, dem man den Boden unter den Füßen wegnehmen würde und der dann frei schwebend stehen könnte und müsste.

2029 |        Mein ganzes Leben und Sein entströmt und entquillt jetzt einer anderen geistigen Lebensquelle, an deren Lebenskräfte ich mich erst gewöhnen muss. In diesem geistigen Leben ist nur „ein Akt“; alle geistigen Funktionen sind in einem Akt, in einer einzigen Lebensfunktion enthalten. Aus dieser geistigen Lebensquelle strömt darum nur eine „Einheitlichkeit“ und Einfachheit, die meinem ganzen Sein genügen muss und mich auch im vollen Erfassen dieser in sich zusammengeschlossenen und zusammengefassten Lebenseinheit ganz und gar genügt. Und diese Einheit ist zugleich „mein Leben selbst“. – Doch befinde ich mich erst in der Entwicklung und Entfaltung dieser erwähnten, neuen Lebensgrundlage; sie582 wird sich noch viel umfassender und intensiver ausbilden, bis dieses neue Sein als mein tätiges Ich, als wirklicher Habitus und eigentlicher Selbststand, sich voll auswirken wird. Willentlich bin ich aber heute schon ganz auf diese geistige Umänderung hingerichtet und behaupte mich schon darin; ich vermag es heute in viel höherem Maße, weil durch die gestrigen schweren Leiden meine frühere Lebensart noch weiter zurückgetreten ist. –

2030 |        Vermittels dieser meiner Lebenseinheitlichkeit mit Christus hatte ich heute Morgen ein inneres Erleben über die Art des menschlichen Lebensgenusses und der Lebensauffassung im Erlöser. Es wurde mir Christus nahegebracht und innegemacht als der „Vollmensch in jeder Hinsicht“. – Jesus war nicht ein einseitiger Geistesmensch, und sein Leben hatte nichts von einer Einseitigkeit des Geistes, wie man vielleicht annehmen möchte bei dem göttlichen, rein-geistigen Träger dieses Lebens, bei der göttlichen Person Christi. Jesus genoss vielmehr auch die Freuden des „Mensch-seins“, jenen Genuss, den das Menschsein mit sich bringt. Er war in allem ein wahrer und voller Mensch vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung an. Damit verherrlichte er den Schöpfer, heiligte er den Namen seines himmlischen Vaters und brachte er ihm durch diesen heiligen Genuss der eigenen Menschheit eine immerwährende Huldigung und Danksagung dar. Gott will auch, dass der Mensch sein menschliches Leben wahrhaft schätze, es als große Gabe Gottes anerkenne und ihm dafür danksage. Die menschliche Lebensfunktion, die an sich harmonische Verbindung von Seele und Leib ist ja ein beständiges Natur-Wunder Gottes. Christus genoss diese Gabe des himmlischen Vaters, dieses Menschsein als sein Sohn in Menschengestalt, und zwar als wirklicher, leibhaftiger Mensch und nicht etwa nur als einseitiger Geist-Mensch. Er ist in allem unser Bruder geworden, in allem uns gleich, die Sünde ausgenommen. Darum ist es Tatsache, dass er in jeder Beziehung seine menschlichen Kräfte in Anspruch nahm, gebrauchte, benützte und auslebte.

2031 |        Jesus lebte sein Menschsein vor allem in dem tiefsten Sinne, den das menschliche Leben, das eine Gabe des himmlischen Vaters ist, als höchsten Zweck der Erschaffung in sich trägt, als Verherrlichung des Vaters. Der Mensch sollte ja eine ständige Verherrlichung der göttlichen Allmacht und Güte und der Selbstmitteilung der göttlichen Liebe sein. In Christus allein gelangte das Menschsein in dieser wahrsten Auffassung zur höchsten gottgewollten Höhe und wurde somit zur höchsten Verherrlichung des Vaters. Und dieser selbst bezeugte: „Dieser ist mein viel geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe“. – In Christus wurden auch alle Gaben und Fähigkeiten und Gnaden des menschlichen Lebens voll ausgenützt, weil sie unmittelbar der göttlichen Person des Wortes und deren höchsten Vollkommenheit dienstbar gemacht waren. In diesem Sinne wurden in der Menschheit Jesu auch die ganze Menschheit und das Menschentum wieder geheiligt und geadelt, weil die Gesamt-Menschheit geheimnisvoll verbunden war mit der Menschheit Jesu und zugleich mit dieser und in ihr dem himmlischen Vater dargebracht wurde. In Christus wurden alle menschlichen Kräfte wieder der Gott-Dienstbarkeit fähig gemacht und so die Gesamt-Menschheit mit zu Gott emporgenommen und geheiligt. Einer ist unser Bruder im höchsten, göttlichen Sinne, unser wahrer Bruder: Christus, in dem wir alle wieder „für Gott“ geworden sind.

2032 |        Will man das menschliche Leben Christi verstehen und tiefer in sein Geheimnis eindringen, so muss man Folgendes im Auge behalten: Christus war Erlöser kraft seiner göttlichen Person und alles menschliche Sein strömte aus einer göttlichen Lebensquelle, kraft welcher er Mensch war. Infolge seines göttlich-personalen Seins war sein Menschenleben ganz und gar Gottes. Was er tat und sprach, empfand und lebte, entsprach der Vollkommenheit seines göttlichen Habitus583. In ihm ist das Göttliche im Menschlichen sichtbar und fruchtbar geworden. Die göttliche Heiligkeit machte seine menschlichen Werke ebenso heilig, als hätte die göttliche Natur Christi allein sie vollbracht. In dieser – wenn ich mich kurz ausdrücken darf – konzentrischen Einheit mit dem Göttlichen liegt das Geheimnis des wahren und wirklichen Menschenlebens Christi; die göttliche Person wirkte im Menschen Christus und durch ihn. – Die göttliche Person benützte wiederum ihre heiligste Menschheit als Mittel zur Erlösung und die menschliche Seele Jesu war so vollkommen, dass sie den Anforderungen der göttlichen Person voll genügen und folgen konnte.

2033 |        Als wahrer, voller Mensch hat Christus die Stufen und Zeiten des menschlichen Lebens gleich uns durchschritten. Obwohl durch den Heiligen Geist in Maria empfangen, hatte er doch einen Anfang seines irdischen Lebens gleich dem Unsrigen. Das Kind Jesu in der allerersten menschlichen Entwicklung verherrlichte den himmlischen Vater ob der Wunderbarkeit der leiblichen Mutterschaft Mariens, in der er sich allen Menschen gleichgemacht hat. Da Jesus als göttliche Person das Bewusstsein seines Zustandes und das Wissen um seine Umgebung hatte, genoss er in Maria die wunderbare Fülle jener Mutterschaft im erhabensten Sinne. Obwohl ihm dieser arme Anfang seines menschlichen Lebens eine große Verdemütigung war, so liebte er diese Verdemütigung doch auch im Genuss und Auskosten seines menschlichen Werdens zum Heil der Gesamt-Menschheit. Kraft der ganzen Hingabe seiner göttlichen Person unterwarf er sich zärtlich liebend dem leiblichen Einfluss und dem Wachstum im Mutterschoß.

2034 |        Jesus genoss dann auch die Freuden seiner Kindheit, vor allem die Zärtlichkeit seiner heiligsten Mutter und des heiligen Josephs, mit der innigsten Freude und erwiderte sie vom ganzen Herzen. (Selbstverständlich meine und gebrauche ich das Wort „genoss“ oder „Genuss“ hier und im Folgenden nur in einem ganz hohen und reinen Sinn, wie man z. B. spricht vom Genießen der Freude, Gutes tun können, edle Liebe empfangen und erwidern zu können, sich an der Natur und Schöpfung ergötzen zu können.) er war ganz „ihr“ Kind geworden, über das sie verfügen und das sie erziehen und lieben konnten und durften. Die Gottheit Jesu hat sich ganz dem leiblichen Wachstum des Kindes angepasst, d. h. so, dass man in einem wahren Sinne sagen kann: „Die Gottheit wuchs“ mit dem Kinde. Niemals freilich entschwand ihm das Bewusstsein seiner göttlichen Person, und gerade dieses Bewusstsein erhöhte (neben der Verdemütigung) auch die Freude und den Genuss seines Menschseins; den Jesus lebte sein irdisches Leben kraft seiner Gottheit, die das Tragende, das wirkliche „Leben und Belebende“ in ihm war und darum fühlte er auch alle Freuden viel tiefer, auch die großen Freuden seiner Kindheit, nämlich das Geliebt-sein von seiner heiligste Mutter und dem heiligen Joseph. Infolge seiner Göttlichkeit war Jesus ja in höherem und höchstem584 Sinne liebefähig und empfänglich für alle Liebe und konnte er diese auch ganz innig erwidern. Alles im menschlichen Leben Jesu war in seinem tiefsten Ursprung göttlich; daher war auch jeder seiner kindlichen Regungen und Äußerungen von höchster Vollkommenheit getragen, wie er anderseits wieder der Pflege- und Hilfsbedürftigkeit gleich allen Menschenkindern unterworfen war und sein wollte. In der tiefsten Demut ließ Jesus alles dies über sich ergehen und wurde hilflos trotz der Kraft seiner göttlichen Person.

2035 |        Jesus liebte und genoss auch die Freude seines Wachstums in seiner Jugendzeit. Er freute sich seines aufblühenden Lebens, gleich unserer Jugendzeit. Jesus war kein einseitiger Büßer und Aszet, sondern ein wahrhaft ausgeglichener Mensch. Ich hatte innerlich das Erfahren: Jesus bejahte sein menschliches Leben und Sein; er liebte es und lebte es aus und freute sich seines Menschseins, weil es für ihn das Mittel war, um die Gesamt-Menschheit damit zu erlösen und zu erhöhen.

2036 |        Jesus lebte sein Menschsein voll und intensiv, auch seinen menschlichen Affekten und Gefühlen nach. Auch diese waren getragen von der göttlichen Höhe und der umfassenden Weite seiner Person und waren deren göttlicher Vollkommenheit entsprechend. Auch die Freuden seines Gemütes, wahre menschliche Freuden, entsprangen im Tiefsten seinem göttlichen Wesen und taten sich in menschlicher Weise kund. So hat er in höchster Vollkommenheit alle edlen und hohen Freuden des Menschseins mit seinem menschlichen Gemüt und Empfindungsvermögen voll empfunden und gekostet. Schon die Liebe zu seiner heiligsten Mutter und zum heiligen Joseph bot ihm hohen, heiligen Genuss. Vor allem aber bot ihm die Liebe zu seinem himmlischen Vater – bei seiner immerwährenden, wesenhaften göttlichen Einheit mit dem Vater – den höchsten seelisch-menschlichen Genuss, denn seine heiligste Menschheit hat diese göttliche Freude und Beseligung wirklich auch – soweit möglich – menschlich erlebt und empfunden und sich ihrer erfreut. Es war ja seine heiligste Menschheit, die mittels der göttlichen Person ständig im Vater war und infolge der Einheit seines gott-menschlichen Seins in diesen göttlich-wesentlichen Genuss aufgenommen war. So lebte Jesus in vollkommenem göttlichen Maße sein Gefühls- und Gemütsleben585, überhaupt sein ganzes Menschenleben aus.

2037 |        In diesem göttlichen Vollkommenheitsmaß erfolgte auch sein Umgang mit den Menschen und gerade mit jenen, die er besonders liebte und in deren Gesellschaft er gerne weilte. Aus dieser seiner göttlichen Tiefe entsprang seine Freundesliebe, sein Mitleid mit den bedrängten und leidenden Menschen. Jesus war so liebevoll, so mitleidig, so tief empfindsam und hilfsbereit, so treu und gütig wie Gott selbst. In seinen göttlichen Gesinnungen und Taten sah sich der himmlische Vater selbst, weil das göttliche Wesen im Erlöser immer wirksam und tätig blieb586. Göttlich tief erlebte Jesus sein587 menschliches Leben, und dieses Leben selbst war für ihn vollwertig und machte ihn selbst als Menschen glücklich.

2038 |        Und nicht nur sein inneres Leben erfüllte den göttlichen Zweck, sondern auch588 sein Äußeres, oder vielmehr: Es gab in Christus nur eines, das göttliche Leben, das trotz der unvermischten beiden Naturen in ihm eine volle Einheit bildete. Diese göttliche Einheit lässt sich aber in menschlichen Worten überhaupt nicht ausdrücken. Beim gewöhnlichen Menschenleben denken wir an ein inneres und an ein äußeres Sein, weil der Mensch infolge der Unvollkommenheit seines gefallenen Zustandes sich gleichsam zerteilen muss und das äußere Tun vielfach mit dem inneren guten Wollen nicht gleichen Schritt halten kann. Bei Christus aber, in seiner göttlichen Vollkommenheit und seiner wesentlichen sittlichen Höhe, war beides nur wie eines: Sein göttliches Sein war auch entsprechendes göttlich menschliches Leben. Das göttliche Sein Christi wirkte sich unmittelbar aus als entsprechendes göttlich-menschliches Gefühlsleben und als entsprechende göttlich gute Tat. In Gott ist nur eine gute Tat möglich, ob sie nun in rein-göttlicher oder zugleich in göttlich-menschlicher Natur vollbracht wird. Es gibt in Gott keinen Zwiespalt noch ein Umgehen der göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten. – Es ist dies ein großes und wunderbares, unaussprechliches Geheimnis in Christus, wenn man es innerlich erfahren kann.

2039 |        Entsprechend tief wie seine Freuden empfand der Erlöser aber auch seine Leiden, weil er freiwillig sich ganz dem menschlichen Erleben seiner Menschheit hingab und auch seine Feinfühligkeit, Empfänglichkeit und Empfindsamkeit gegenüber Widerspruch oder irgendwelchen Eindrücken von außen aufs Vollkommenste ausgebildet war. – Das göttliche Wesen in Jesus war ebenso gerecht wie gütig und darum traf das Zurückweisen seiner göttlichen Liebe durch die Menschen den Gerechtigkeitssinn seiner göttlichen Person; er empfand daher alle Verletzungen seiner Liebe mit der ganzen, ins menschliche übertragenen Schärfe seines göttlichen Gerechtigkeitssinnes. Dem stand aber dann seine göttliche Barmherzigkeit gegenüber, durch die seine göttliche Gerechtigkeit wieder überwunden wurde und die für uns Menschen ein noch unbegreifbares589 Geheimnis ist. – Ich habe schon in den Jahren 1923-24 mittels einer besonderen Gnade die göttlichen Vollkommenheiten Christi durch eine besondere Anteilnahme an seinem göttlichen Wesen erlebt. Schon damals schien mir: Die göttliche Barmherzigkeit, die seiner göttlichen Liebe entspringt, ist tatsächlich die für einen Menschen unbegreiflichste und unerklärlichste unter allen göttlichen Vollkommenheiten. Ich schaute das Wesen der göttlichen Barmherzigkeit, indem ich zuerst seine wirklich göttliche und verletzte Gerechtigkeit erkannte und dann seine darauf erwidernde göttliche Barmherzigkeit. Ich erkannte auch die Lösung dieses unbegreiflichen Geheimnisses in der Anerkennung der Ohnmacht des Menschen in seinem gefallenen Zustand von Seiten Gottes; wenn Gott nicht so göttliche barmherzig wäre, würde kein Mensch gerettet werden; denn Gott muss immer dem Menschen mit seiner Gnade zuvorkommen und ist ihm auch immer zuvorgekommen.

2040 |        Es erhebt sich aber die Frage: Wie ist590 es möglich, dass Jesus die Freude und den Genuss des Menschseins in seinem reinen Zustande empfand und doch sein menschliches Leben zu einem beständigen Opfer- und Sühneleben für die Menschheit machte, wie dies der Zweck seiner Menschwerdung war? Man möchte ja annehmen, dass der göttliche Genuss, den Jesus591 auch menschlich empfand, den Opferzustand des Erlösers dermaßen hätte abschwächen müssen, dass entweder das Höhere und Göttliche das menschliche Niedere nicht ganz aufkommen ließ oder dass dieser göttliche Genuss592 das menschliche Gefühlsleben gar nicht erreichte. (In Wirklichkeit aber waren – wie vorher beschrieben – alle Seelenkräfte Jesu vom göttlichen Sein beansprucht und war das menschliche Sein Jesu kein einseitiges Geistesleben). – Auf diese unwillkürliche Frage wurde mir zur Antwort erklärt und gezeigt: Der göttliche Vollkommenheitshabitus Jesu war so sehr und so vollkommen in seiner Menschheit wirksam, dass die menschlichen Seiten seines Lebens den göttlichen Vollkommenheiten allseitig angeglichen und ganz dafür tragfähig waren. Dank dieser593 besonderen Vollkommenheit der Seele Jesu konnte beides zugleich in ihm wirksam sein, die hohe Freude am menschlichen Leben und das eigentliche Erlöser-sein durch die Opfer seines Menschenlebens zum Heil der Gesamt-Menschheit. Beides zugleich ausgeglichen in sich vereinigen zu können und die beiden Auswirkungen eines normalen Menschenlebens – nämlich die freudigen und die leidvollen – gleichzeitig in sich wirksam sein zu lassen, dies lag in der Vollkommenheit der Seele Jesu. Der gewöhnliche Mensch ist abwechselnd für Freude und Schmerz zugänglich und dem Wechsel der Stimmungen unterworfen. Entweder gibt er sich dem Genuss der menschlichen Freuden hin und vergisst dabei die Leiden und Härten seines Lebens, oder er beschäftigt sich vielleicht nur allzu sehr mit seinen Leiden und dann kann er sich seines Lebens nicht freuen. Selbst bei einem höheren Seelenleben treten infolge der menschlichen Schwäche oder auch594 infolge unrichtiger Lebensauffassung und Lebenseinstellung leicht diese Einseitigkeiten und Mängel auf. Die Seele Jesu aber konnte den vom Schöpfer gegebenen Lebensgenuss vollständig bejahen und ausleben und sich mit595 seiner menschlichen Umgebung freuen und doch in anderer Hinsicht dabei596 seiner Erlöserstellung gerecht werden und leiden und traurig sein; denn der göttliche Habitus war in jeder Beziehung das Tragende und Beherrschende in ihm und bestimmte die Tiefe und Vollkommenheit seiner menschlichen Gefühle und Affekte. Das Leiden Jesu und sein Sich-hinopfern am Kreuze und sein Sterben waren keine Lebensflucht, sondern eher höchste Bejahung seines menschlichen Lebens, da er bewusst und mit all seinen Kräften den ganzen unendlichen Wert seines Lebens hinopferte, zum Liebesopfer machte und sich dem Kreuzestod hingab. Das Leben fliehen heißt: Die Lebenskräfte infolge einseitiger oder unrichtiger Lebensauffassung und Lebenseinstellung nicht gebrauchen, sie brachliegen lassen, sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus Furcht vor den Konsequenzen des eigenen Tuns. Das Leben Jesu aber war das Leben eines vollen Menschen mit all den vielseitigen Folgerungen und Konsequenzen, die mit seinem597 Erlösersein als Gott-Mensch gegeben waren. Jesus gebrauchte, verwendete und erschöpfte die Kräfte und Fähigkeiten seines menschlichen Seins in dem Maße, wie die wesentlichen Vollkommenheiten seiner göttlichen Person sie anforderten, und dies bis zum Tode am Kreuz. Dort war die letzte Krönung und Vollendung dieses Vollopfers seiner Menschheit, das kraft und mittels der wesentlichen Vollkommenheiten seiner göttlichen Person und mit der vollkommenen Inanspruchnahme der menschlichen Kräfte durch diese Person zeitlebens dargebracht wurde. – Alle menschlichen Worte können aber nicht in die Tiefe dieses Geheimnisses vordringen, wie Jesus sein vollkommen ausgeprägtes Seelen- und Gemütsleben auslebte in unmittelbarer Einheit mit den göttlichen Kräften, denen die Seele Jesu als Werkzeug diente. Gott selbst, d. h., die göttliche Person des Wortes lebte und prägte sich im Erlöserleben als Vollmensch aus. –

 

16.01.1943

2041 |        Die Ereignisse der letzten Tage schließen in sich die schwersten Leiden, seitdem ich in Rom bin. – Heute erlebte ich aber in einer kurzen geistigen Ruhepause das Ziel und die Frucht dieser Leiden voraus: Sie dienen der Vorbereitung auf ein höheres Erleben des „Wesens Gottes“ selbst, worauf ich hingeführt werde.

 

26.01.1943598

2042 |        Nur Gott allein weiß, was ich in den letzten zwei Wochen gelitten habe! Ich kann diese Leiden als die vielleicht größten und intensivsten meines ganzen Lebens bezeichnen. Unvergleichlich größer als die Leiden, die verursacht wurden durch die äußere Existenzlosigkeit, durch den Kampf gegen die Absichten Jesu und durch die Lieblosigkeit, die ich erfahren musste, unvergleichlich größer, sage ich, sind doch noch die seelisch-geistigen Leiden, in die ich gleichzeitig versetzt wurde. Es war wie ein Austilgen des eigenen Existierens für mich, d. h. mein selbsteigenes Leben599. – Heute bin ich wieder ruhig und ausgeglichen und es bereitet sich ein ganz neuer Abschnitt in meinem Innenleben vor; ich werde eingeführt in einen neuen Selbststand, in eine neue Lebensgrundlage, nämlich in die des göttlichen Wortes in seinem Erlöserleben als Gottmensch. Damit trete ich in ein ganz neues Stadium des Erlebens Christi ein, wie mir schon vor den letzten Leiden angekündigt und erklärt worden war. –

2043 |        Der heutige Tag war ein ständiges Verzichten auf mich selbst und ein Aufnehmen eines rein geistigen Lebensprinzips, dem ich überantwortet werde. So gehe ich in einen ganz neuen Zustand ein und dieser Zustand ist so sehr „ich selbst“, dass ich ihn nicht beschreiben kann.

 

27.01.1943

2044 |        Ich stehe wie zwischen zwei Welten: Mein früher Eigenes wird ständig abgestreift, wird mir weggenommen und ich bin wie nicht existierend und doch ist jetzt etwas viel Größeres mein „Selbst“ und mein „Eigen“, obwohl ich alles abgegeben habe, was für gewöhnlich das Leben erst möglich macht. Zuzeiten ist mir, als sei mein bisheriges Sein und Selbst, gleichsam mein geistiges Haus in Flammen; diese schlagen über mir zusammen und all das Meinige wird verbrannt, aber dieses Feuer, das mich verzehrt, wird mein neues Leben und Sein. Dabei wird mir ein neuer, rein geistiger Lebensquell erfassbar, dem ich überantwortet werde. Wenn auch dieses neue Leben mich gleichsam „fliesend“ mitnimmt, so vollzieht sich diese geistige Umstellung doch in dem Maße meines eigenen „Mitwollens“. – Wie mir unter großen Leiden in den letzten Wochen die äußere Existenz genommen wurde und ich nichts, keinen Stein mehr als irdischen Stützpunkt habe und nur der göttlichen Vorsehung anheimgestellt bin, so ähnlich wird meinem inneren früheren Lebensstand der eigentliche Stützpunkt, das bisherige „Ich“ genommen und an dessen Stelle baut sich eine neue geistige Lebensgrundlage auf, und zwar eine, die nicht erst „wird“ (wie dies der Fall ist mit dem menschlichen „Ich“, das sich mit dem erwachenden menschlichen Leben entwickelt), sondern ein übernommenes „Ich“, für das meine Seelenkräfte bisher unter großen Leiden bereitet wurden. Dieses „neue Ich“ lockt gleichsam mein ganzes Sein in seinen Bann, zieht all meine Kraft600 an sich und schafft sich damit eine neue geheimnisvolle Existenzmöglichkeit. Meine jetzige geistige Lebensumstellung besteht gerade in diesem geistigen „Aufgenommen-werden“ und Einbezogen-werden in dieses neue Ich, im Zuständlich-werden all meiner Seelenkräfte in diesem Ich.

2045 |        Obwohl diese geistige Umwälzung sich in großer Ruhe vollzieht, birgt sie doch auch für die menschliche Natur Leiden in sich, die sich mit keinem Worte beschreiben lassen. Es ist ein hartes Sterben der früheren geistigen Existenzbedingungen. Die Konsequenzen aus dem neuen göttlichen Lebensprinzip, dem ich übergeben werde, haben für mein ganzes menschliches Leben eine umwälzende Bedeutung; denn meine menschlichen Anlagen und Kräfte müssen nun einem ganz anderen Sein dienstbar werden, dessen Eigenart und Wesen in einem völligen Gegensatz stehen zum gewöhnlichen Menschenleben. – Die geistigen Leiden dieser601 Umstellung durchdringen daher auch meine ganzen physischen Kräfte; auch diese müssen gleichsam „leicht“ und elastisch werden, wie jener rein geistige Lebensquell, aus dem das künftige geistige Sein entströmt. So wird ein volles Harmonieren mit dem Neuen, und ein vollständiges Einverständnis sich dem ganz zu überantworten, ermöglicht. Die natürlichen, physischen Kräfte spüren aber die Konsequenzen und Anforderungen, die durch das neue geistige Sein an sie gestellt werden und es erhebt sich daher ein unwillkürlicher, an sich berechtigter Widerspruch und ein Widerstreben der Natur und ihrer Tragfähigkeit (oder vielmehr Trag-Schwäche) dagegen. Es muss nun aller selbsteigenen, früher gewohnten Ballast abgetan und abgeschafft werden, damit die602 eigenen Kräfte der Leichtigkeit und Erhabenheit des neuen, höheren Seins folgen und ihm eingeordnet werden können. Diese unaussprechliche „Leichtigkeit“ und Erhabenheit meines ganzen, neuen Mensch-seins gleicht – für den gewöhnlichen, menschlichen Begriff – einem Wandeln auf Meereswogen ohne Halt und ohne Grund. Es hat den Anschein, als sinke man jeden Augenblick ein oder als stürze man in sich selbst zusammen. Meine frühere, gewöhnliche Lebensgrundlage ist in sich gelöst; die gewohnte Befestigung der Person als der Kraftspenderin und Beherrscherin in sich selbst ist einer anderen Person mit einer ganz anderen Eigenart und Anlage überantwortet, nämlich der göttlichen Person, der ich nun ganz übergeben bin und der alles in mir dienstbar gemacht wird. Dementsprechend verändert sich mein menschliches Sein. All meine Geisteskräfte richten und ordnen sich in dieses, mein neues „Selbst“, in dieses „Ich“ hinein und werden und sind dort wie zu „Einem“ zusammengefasst. Damit hört die bisherige Vielheit und Verschiedenheit der Seelenbewegungen auf.

2046 |        Abends: Ich bin nun gleichsam abgekehrt von der Eigenart meines früheren seelischen Seins. Es ist nur „Eines“ in mir, entsprechend der Eigenart des neuen Seins, dem ich übergeben bin, und alle Seelenkräfte „ruhen“ in einer einzigen Bewegung.

 

Februar

01.02.1943

2047 |        Nur Gott allein weiß um die Leiden, von denen mein Inneres erfüllt ist und in603 denen mein noch vorhandenes Selbsteigenes verzehrt wird. Von all meinen bisherigen inneren Leiden und Erlebnissen ist dieses jetzige Stadium wohl das intensivste und schmerzlichste, weil es sich in und durch die größtmögliche Unmittelbarkeit dem Wesen604 Gottes gegenüber in mir vollzieht. Gerade diese intensive Unmittelbarkeit dem Wesen Gottes gegenüber verursacht ja die Tiefe und Schmerzhaftigkeit meines jetzigen Zustandes. Darin erfahre ich auch den ganzen Gegensatz zwischen der Eigenart des geschaffenen Menschen und jener des ungeschaffenen Gottes, freilich auch ihre Ähnlichkeit und Beziehung zueinander.

2048 |        Aus diesem inneren Erfahren heraus weiß ich, wie weit ein Mensch in sich seinen eigenen selbstigen (– ich will der Kürze halber dieses Wort gebrauchen für die Eigenart des Selbstbesitzes und Selbststandes einer „Person“ –) Weg geht und in welcher großen Freiheit der Mensch von Gott geschaffen wurde. Durch das natürliche Geheimnis seiner sich-selbst-bewussten, sich-selbst-besitzenden und selbstmächtigen Person ist das Wesen des Menschen so sehr auf einer absoluten selbstigen Anlage aufgebaut, dass er für gewöhnlich auch für Gott gleichsam ein nicht einzudringendes, nicht zu verletzendes Gebiet605 ist, d. h., dass Gott selbst diesen von ihm geschaffenen Selbststand respektiert. Gott hat im „Ich“, dem persönlichen Träger und Mittelpunkt des menschlichen Seins, das Gesetz eines wirklich selbstigen Wesens geschaffen, das wahrhaft frei ist und geradezu unantastbar für jeden Außenstehenden, aber doch in einem höchsten und letzten Sinn vom Schöpfer selbst getragen und als Geschöpf wesentlich von ihm abhängig. Jeder Mensch bewegt sich als Geschöpf in der unermesslichen, ungeschaffenen, göttlichen Tragkraft des Schöpfers und ohne Gott könnte kein Mensch bestehen, noch sein eigenes selbstiges Leben verwirklichen. Das geschöpfliche Selbst-sein des Menschen ist ermöglicht durch das ungeschaffene Selbst-sein Gottes und ist in geschöpflicher Weise nachgebildet dem göttlichen „Selbst-sein aus sich selbst“.

2049 |        In den letzten Leidenszeiten bin ich durch das Erleben des Wesens Gottes eingedrungen in das tiefe Geheimnis des Seins und Bestandes Gottes aus sich selbst. Dies Geheimnis ist in Worten nicht erfassbar zu machen, denn das Wort sagt zu wenig, aber im Erleben des Wesens Gottes und im Erfahren dieser göttlich-wesentlichen Vollkommenheit dringt man ein in eine unaussprechliche Tiefe und in die weittragenden Folgen dieses Geheimnisses im Hinblick606 auf Gott und auf die Geschöpfe. – Der Mensch ist so geschaffen, dass sein Sein auf einer Grundlage ruht, die ihn trägt und die sein Sein möglich macht; außerdem hat er seine menschlichen, leib-geistigen Anlagen, mit deren Entwicklung ein wahres menschliches Dasein möglich wird. Die Entwicklung seiner menschlich-geistigen Fähigkeiten eröffnet ihm erst eine wirkliche Daseinsmöglichkeit, denn diese sind für den Menschen das Mittel, um seine geschöpflichen Möglichkeiten erfüllen und verwirklichen zu können. Das Sein des Menschen ist also auch von den Anlagen seines Menschseins abhängig gemacht, ohne die er überhaupt kein wahrer, wirklicher607 und normaler Mensch sein könnte. Auch die höhere oder mindere Güte und Vollendung seines608 Mensch-Seins ist abhängig von dem Maße und der Fülle der ihm zur Verfügung stehenden Anlagen, sowie von deren Entwicklung und Entfaltung609, ohne die kein normales Menschenleben zustande käme. So ist also der Mensch von bestimmten Gesetzen in sich selbst610 abhängig. Auch das seelisch-religiöse Sein des Menschen erfährt eine Weiterentwicklung und Erhöhung. Sein seelisches Leben ist ebenfalls bedingt von äußeren Einflüssen, von Erziehung und Bemühung. Dies sind gleichsam Stützen, auf denen das innere Sein des Menschen ruht und die ihn tragen und zum Handeln befähigen. Diese Anlage, seine Fähigkeiten zu entwickeln und zu entfalten, ist dem Menschen so sehr eigen, dass er ihrer für gewöhnlich gar nicht bewusst wird, so wenig wie manch vegetativer Vorgang611. Es ist dies eben für ihn eine natürliche Lebensgrundlage und Voraussetzung für seine Existenzmöglichkeit und auf diesem Grundprinzip ruht das geschöpfliche Mensch-sein. Durch die Anlagen, die weitervererbt und im Einzelnen voll ausgenützt werden, kann sich zwar612 die Qualität der Menschen erhöhen, doch all diese Anlagen und Möglichkeiten beruhen letztlich auf der Ur-Schöpfung und den darin zusammengefassten und inbegriffenen Entwicklungsmöglichkeiten des Leibes und der Seele nach den Absichten des Schöpfers.

2050 |        Das Sein, und der Bestand eines Menschen wird also durch bestimmte Bedingungen und Voraussetzungen ermöglicht, die ihn tragen, denen er unmittelbar und naturgemäß überantwortet ist und die zu seinem Leben selbst gehören. Dieses Leben aber ist von einem „Selbst“ oder „Ich“ geführt, dem diese Anlagen menschlicher Lebensmöglichkeiten angehören und dem sie ständig zugeführt werden. Diese Zu- und Hinführung der eigenen Anlagen zum selbstigen personhaften Gebrauch bildet ein613 wirkliches Lebenselement für den Menschen. Das Ausnützen, Verwerten und Gebrauchen der Fähigkeiten untersteht der höchsten menschlich-geistigen Anlage, dem Person-sein, d. h., dem Verantworter und gleichsam dem Richter über das ganze Mensch-sein, dem Gebieter über die geschöpflichen Anlagen, der gleichsam auf der Spitze seiner Menschheit und seines Menschentums steht und alles überschaut und reguliert. Dieser höchsten Anlage im Menschen, dem Person-sein, dem Regulierer seiner Lebensmöglichkeiten, liegt ein Gesetz zugrunde, nämlich das Gesetz seines „Seins“. Im tiefsten Grunde ist es das „Sein“ selbst, das den Menschen befähigt und regiert, ohne dass er es für gewöhnlich merkt. Selten kommt ein Mensch auf jene Höhe seines Seins, dass das tiefste Sein in ihm selbst – das eben Person-sein ist – die ganze Verantwortlichkeit über das ihm unterstehende Leben voll erfährt, dass, mit anderen Worten, das Person-sein im Menschen alles eigene Sein614 voll überschauen und sein „Sich“ ganz nach dem hohen und höchsten Gesetz des Mensch-Seins regulieren kann. Die Geschöpflichkeit des Menschenlebens bringt mit sich bestimmte Grundlinien, die für alle Menschen Geltung haben, doch die Verschiedenheit der Person grenzt jeden in sich selber ab und schafft ein vielerlei auf einer615 gleichen Grundlage. Das äußere Sein und Tun, d. h., das, was wir am Menschen sehen616 und wodurch wir ihn von anderen unterscheiden, wird aber bedingt und hervorgebracht durch ein entsprechendes, vorhergehendes Inneres. Allem äußeren Tun liegt beim Menschen eine innere Vorbereitung zugrunde, wodurch das Äußere und dessen Wahrhaftigkeit ermöglicht und bestimmt wird. Das äußere Gehaben und Tun und Können des Menschen unterliegt einem inneren Gesetz, das in der persönlichen Eigenheit des Menschen selbst begründet ist. Alles äußere Tun braucht beim Menschen eine vorhergehende innere Vorbereitung, und wäre es auch nur eine augenblickliche. Diese innere Vorbereitung für das äußere Tun und für die äußere Betätigung der geistigen Fähigkeiten und Möglichkeiten wird hergestellt und hervorgerufen durch bestimmte geistige Bewegungen im Menschen selbst, die für ihn eine geistige Existenzbedingung sind. Wo diese normalen Daseinsbehelfe in der Seele fehlen, ist das Menschenleben anormal und kein wirkliches, volles Menschenleben. Die Fähigkeiten des Verstandes und Gedächtnisses planen das äußere Tun und Leben und machen es vermittels der Kraft und Energie der Ausführung wirklich und vollwertig. Deshalb ist im tiefsten Selbst den Menschen eine ständige Bewegung, gleichsam ein Auf und Ab, ein Hin und Her, und diese Bewegungen seines Geistes charakterisieren das innere Produzieren und Hervorbringen und geben dem Äußeren das Gepräge und die personale Eigenheit und Bestimmtheit, die einen Menschen vom anderen unterscheidet und gleichsam allein stellt als ein in sich abgeschlossenes Ganzes mit einer bestimmten Eigenheit und Einheit. – Das Mensch-sein in seiner ganzen und vollen Auswirkung unterliegt also neben den allgemeinen geschöpflichen Gesetzen auch jenen im Menschen selbst sich produzierenden Bewegungen, Richtungen und Bedingungen, worauf das personale Leben und Sein des Einzelnen beruht. Jeder Mensch richtet sich sein Leben, neben den gewöhnlichen Voraussetzungen, auch nach besonderen ihm eigentümlichen und in ihn und von ihm selbst geschaffenen Richtungen zurecht, wodurch er auch für sich selbst verantwortlich wird. Diese Verantwortlichkeit obliegt der höchsten und obersten Kraft seines Seins, der Person, die ihn trägt und in der all seine Fähigkeiten und Kräfte zusammengefasst werden und zusammenströmen. Dieses Zusammenströmen wie zum Mittelpunkt des inneren Seins – und dann wieder davon ausströmen – ergibt, als in sich zusammengefasste Entschluss-Möglichkeit, ein seelisches Gebilde, das der höchsten Kraft seines Seins, der Person, entweder ausführbar oder abweisbar erscheint. So formen sich seelische Gebilde auf Gebilde617, sei es religiöser, sei es menschlich-natürlicher Art, und sie schaffen und bilden jene Innenproduktion, die dann das äußere sichtbare Leben trägt und zeitigt. So ist im Menschen eine gewisse „Zweiheit“ des inneren Hervorbringens und des Ausführens. Gewiss wird das Wenigste von dem geistig Hervorgebrachten und Geplanten auch wirklich ausgeführt, aber jenes Geistesprodukt bleibt doch als hervorgebracht bestehen, charakterisiert das Innenleben und ist und bleibt, ebenso wie das Äußere, ein wahres und wirkliches Produkt der inneren Kräfte und Anlagen des Menschen. Das, was so im Innern des Menschen verborgen bleibt, hebt jene „Zweiheit“ in seinem Sein nicht auf, sondern betätigt sie vielmehr, weil sein inneres Leben und Sein an Wert und Verantwortlichkeit über dem Äußeren steht. Baut ein Mensch sein inneres Sein in Gott ein, so wird es in Gott fruchtbar, und mag es auch nach außen unfruchtbar scheinen. Vor Gott ist das innere Sein und Hervorbringen das Maßgebendste618 im Leben des Menschen, und nach dem Innern bewertet Gott das Menschenleben. –

 

03.02.1943

2051 |        Jetzt, in diesem bisher größten Leiden meines Lebens kann ich in Wahrheit sagen: „Wie schmelzendes Wachs ist meine Seele, d. h., mein Inneres geworden.“ – Mein tägliches und zum Teil auch nächtliches Leiden gleicht einem Feuer, in dem sich jener geistige Schmelzungsprozess vollzieht. Mein Inneres wird zu jener geheimnisvollen Einheit mit dem Erlöser-Menschen geformt, die es mir möglich machen wird, sein tiefstes, verborgenes Erlöserleben und -Leiden als das „seine“ und zugleich als das „meine“ zu erleben. Ich verschmelze daher ständig inniger mit dem Wesen der göttlichen Person des Gott-Menschen; ich gehe immer tiefer und intensiver ein in seine göttliche Seinsgrundlage. Diese seine ungeschaffene göttliche Seinsgrundlage blieb auch in der Menschheit Jesu im Wesentlichen unverändert bestehen und machte so das Leben Jesu zu einem wahrhaft göttlichen Leben. Die Grundlage und das Geheimnis der göttlichen Person war das Tragende und Beherrschende in Christus in allen Äußerungen seines wahrhaft menschlichen Daseins. Dieses Geheimnis ist unerschöpflich auch für die Auserwählten, wenn sie es unverhüllt die ganze Ewigkeit hindurch schauen und preisen werden; Gott, bzw. die zweite göttliche Person ist wirklich „Mensch“ geworden, war und blieb aber in seiner Menschheit wahrer Gott.

2052 |        Wahrer Gott in seiner ungeschaffenen Seinsgrundlage „eines“ Seins, d. h. eines Seins, das sich selbst entströmt, und zwar im vollen Bewusstsein seines selbstigen Hervorgehens aus sich selbst. (Dieses „Hervorgehen“ ist kein „Werden“, den Gott IST, sondern es will ausdrücken die göttlich-wesentlichen Bewegungen, das, was Gott in sich selbst entströmt.) In Gott sind Sein und Tun, Ausführungsmöglichkeit und wirkliche Ausführung, Bewusstwerden der Tatmöglichkeit und die Tat selbst nur „eines“, während im Menschen dies ein zweifacher „Akt“ wird. Gottes Absichten strömen „fertig“ aus ihm hervor. Auch im Menschen Christus blieb jene göttliche Anlage bestehen; sein menschlicher Verstand verarbeitete den göttlichen Akt nicht, sondern war619 Träger der göttlichen Akte als wahrer menschlicher Verstand, mittels dessen die göttlichen Akte zur menschlichen Tat wurden, ohne dass in ihm selbst etwas produziert worden wäre.

2053 |        In unaussprechlicher Weise wird nun mein ganzes Sein bzw. mein Inneres in jene göttliche Seinsgrundlage einbezogen, nämlich in das tiefste, göttliche Geheimnis, wie das göttlich-wesentliche Sein in der Menschheit Christi, bzw. in der Erlösung wirksam wurde. Die Erlösungsakte waren ja in sich wahrhaft göttliche Akte, die durch Jesu Menschheit menschlich ausgeführt, gelebt und gelitten wurden. Das göttlich-wesenhafte Hervorgehen des „Wortes“ vom Vater, das göttlich-wesenhafte Sein des Sohnes war Grundlage für die Erlösung. Christus trug sich selbst in sich; in ihm war das göttliche Sein als Selbst-sein, als ein „Akt“ im ewigen Hervorgehen vom Vater und doch wieder in einer „Zweiheit“, in der er sich als Erlöser und Mensch vom Vater abhängig gemacht hat. Christus machte sich als Erlöser freiwillig zu einer „Zweiheit“, indem er, ständig im Vater bleibend, sich dem Willen des Vaters überantwortete und dadurch eine wahre göttliche und menschliche Unterwerfung übte, aber trotzdem die göttliche Seinsgrundlage nicht verließ, weil der Akt seiner menschlichen Unterwürfigkeit von göttlicher Art und Höhe war. –

 

11.02.1943

2054 |        Wie mein äußeres Leben in den letzten Tagen eine große Veränderung erfahren hat, so ähnlich, aber noch viel tiefer und durchgreifender gestaltet sich fortgesetzt eine innere Umwandlung in mir; in dieser Hinsicht scheint man an kein Ende zu kommen. Fortwährend vollzieht sich diese intensive geistige Umgestaltung in ständigen geheimnisvollen Leiden, die sich aber nicht mehr erklären lassen, weil sie Gottes Sein selbst in mir entzündet, um damit mein eigenes, persönliches Sein gleichsam zu verbrennen und aufzuzehren. – Zugleich mit der geistigen Umgestaltung wird auch mein physisches Sein und Leben für das geistige höhere Werden in mir fähig gemacht und so wird die ganze Einheit eines menschlichen Lebens in die neue Aufgabe einbezogen und dafür befähigt. Ich spüre auch, wie meine physischen Kräfte jenem geistigen, neuen Leben eingeordnet und eingegliedert werden. Es bildet sich in tiefen geheimnisvollen Leiden eine einheitliche „Erhabenheit und Leichtigkeit“ meines ganzen Seins aus: Das physische Sein muss dem neuen geistigen folgen und sich ihm620 einfügen können. Es muss ja auch das621 physische Leben das göttliche Wesen der Person Christi ertragen, ihm dienstbar sein und dienen können. – So schafft Christus in mir ein Wunder geistiger Umgestaltung zur Einfügung in sein göttliches Sein und Lebenselement: Ich werde einbezogen und umgestellt auf seine göttliche Seins- und Lebensgrundlage, die in seiner Menschwerdung im Wesentlichen unverändert bestehen blieb.

2055 |        Heute, während der (zweiten) heiligen Messe löste sich mein innerer Leidenszustand in vollen Frieden auf. In einer gnadenvollen Bewegung des Geistes ward ich angeregt, mich neuerdings ganz den Absichten Gottes bzw. Christi zu opfern und zur Verfügung zu stellen, um „sein Innenleben, das heißt, die hypostatische Vereinigung (der ich als Werkzeug diene) wie als die meine anzunehmen, und sie zugleich als mein persönliches Erlebnis und als mein dauerndes und insofern 'gewöhnliches' Sein zu übernehmen“. Jesus will dadurch – so war mir gleichzeitig klar – dieses Geheimnis als das tiefste und weittragendste in der Erlösung besonders den Priestern offenbaren, damit diese die Früchte der Erlösung zunächst mit größerem Eifer und Erfolg in sich selbst verwirklichen und sie dann mit größerer Fruchtbarkeit den Seelen verkünden, erklären und zuwenden können. – Die Priester selbst werden dadurch in höherem Maße Gott nahegebracht, weil sie tiefer in das Verständnis des Geheimnisses der Erlösung eingeführt werden, das durch die Priester in der Welt, bzw. in der Kirche fortgesetzt wird. Zugleich wurde aber von mir die volle innere Bereitschaft gefordert, mich zur Offenbarung des Erlösungsgeheimnisses speziell an die Priester für diese göttlichen Erlebnisse gebrauchen zu lassen in jener geistigen Form, wie es in mir vorbereitet ist.

2056 |        Die soeben geschriebenen Worte sind aber wiederum kraftlos und leer im Vergleich zur Kraft und Wirksamkeit jener göttlichen Bewegung, in der mir die Absichten Gottes neuerdings erklärt und jene lebendige und kraftvolle Hingabe an Jesus für seine Absichten von mir gefordert wurde. Kein Wort kann die kraftvolle Überzeugung zum Ausdruck bringen, mit der mir meine besondere Mission und Aufgabe bestätigt wurde622 und mit der ich jene göttliche Offenbarung speziell an die Priester aufnehmen und bejahen musste. Jene Aufforderung und Bestätigung, die ich in menschlichen Worten wiederzugeben versuchen muss, vollzog sich eben nicht in einer wort-ähnlichen Anregung, sondern in einer rein geistigen Bewegung, in der mir die Absichten Gottes für die Priester und meine besondere Aufgabe klar wurden. Ebenso war meinerseits nicht eine wort-ähnliche Hingabe möglich, sondern im Augenblick des Erfassens der göttlichen Absichten war auch schon in einem rein geistigen, gleichsam „aktlosen“ Vorgang meine volle Bereitschaft für die Absichten Gottes vollzogen.

2057 |        In solchem rein geistigem Erfahren und Erleben Gottes verliert jedes Wort (in dessen gewöhnlichem Begriff genommen) gleichsam seine Wirkung und an seine623 Stelle tritt eine ungleich wirksamere wesentliche Bewegung, in der sich alles wirklich und in einem Augenblick vollzieht. – In dieser Weise wurden mir auch die erwähnten Absichten Gottes bezüglich der Priester enthüllt. In einer geistigen624 blitzartigen Bewegung war „ich der Mensch, den Gottes Liebe das Geheimnis des Gott-Menschen und der Erlösung erleben und erleiden lässt in jener Form, die durch jahrelange Vorbereitung in mir ermöglicht ist“. Mittels dieser Offenbarungen625 gelangen dann die Priester „in die Nähe Gottes“, erfahren Gottes und Christi Liebe fruchtbarer und wirksamer, zunächst für sich selbst, und diese größere Fruchtbarkeit der Erlösungsgnaden im Priester wirkt sich dann auf die Seelen und die ganze Kirche aus. Dem christlichen Volke wird somit die Tiefe des Erlösungsgeheimnisses mittelbar geoffenbart, da es eine direkte Offenbarung der darin verborgenen theologischen Tiefe nicht erfassen könnte. – Im gleichen Augenblick war ich selber eingeführt in die unabsehbare und unermessliche Wirksamkeit jener vertieften Erkenntnis der durch Christus erworbenen Erlösungsgnaden, speziell in den Priestern und durch diese für die Gesamtkirche. Gleichzeitig war ich aber auch selbst626 gleichsam getroffen von den Folgen und Konsequenzen, die sich daraus für mich ergeben, und ich war dafür beschlagnahmt und beansprucht. DEM bin ich nun überantwortet, und zwar mit der ganzen göttlichen Folgerichtigkeit, mit der mein menschliches Sein der göttlichen Person des Erlösers627 dienstbar sein muss und ist. Das göttliche Wesen der Person des Erlösers beschlagnahmte und beanspruchte mich, um dieses Sein Geheimnis, seinen Absichten entsprechend wiederholen zu können, nicht wesentlich, aber in einer nachgebildeten Weise, und im Augenblick war ich in628 jene meiner Aufgabe entsprechende geistige Stellung aufgenommen, und zwar mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben für mich, für die Priester und für die ganze Kirche.

2058 |        Alles dies vollzog sich wie in einem Akt und in einer Bewegung; mein Sein war in einem Augenblick über und durchströmt von jener göttlichen Bewegung. Aus diesem Vorgang kann ich entnehmen und erfassen, in welchem Maße mein ganzes Sein schon dem göttlichen wesenhaften Sein Christi angeglichen und eingeordnet sein muss und wie sehr die in mir nachgebildete göttliche Seinsgrundlage sich schon jener des göttlichen Wesens im Erlöser nähert. Ich war nämlich jetzt imstande, alle Konsequenzen jener göttlichen Bewegung sofort in mich aufzunehmen und zu ertragen, während früher eine ähnliche, augenblicklich erlebte629 Unmittelbarkeit des göttlichen Wesens mir gegenüber zermalmend auf mich wirkte und mich gleichsam zu erdrücken schien. Jetzt ist mein menschliches Sein entsprechend „erhaben und leicht“ gemacht, um den göttlichen Bewegungen folgen und dienen zu können630.

 

Abends:

2059 |        Ich bin in einer unerklärlichen Unmittelbarkeit dem göttlichen „Ich“ des Erlösers überantwortet. Ich selbst bin gleichsam dieses „Ich“, das zur Übermacht in mir geworden ist.

 

12.02.1943

2060 |        Ich bin heute ganz dem überantwortet, was gestern von mir gefordert wurde, aber es reiht sich nun wieder eine Vorbereitung auf jene geistige Grundlage ein, auf der Jesus das innere Erlösungsgeheimnis in mir offenbaren bzw. geheimnisvoll wiederholen will. Ich werde noch intensiver einbezogen in die wesentlichen göttlichen Seinsgrundlagen, und da sind besonders zwei göttliche Geheimnisse, deren Nacherleben zwei Grundbedingungen sind für das Erleben-können des Erlösungsgeheimnisses: Die Einheit und Einfachheit des göttlichen Wesens, und die göttlich-wesentlichen Bewegungen der göttlichen Personen oder die göttliche dreifaltige Lebensgemeinschaft, wobei für mich besonders die göttlichen Bewegungen zwischen Vater und Sohn von Bedeutung sind. Auf diesen beiden Grundbedingungen für das Erlebenkönnen seines Erlösungsgeheimnisses baut Jesus in mir auf und dies verursacht heute in mir besondere Leiden.

2061 |        Schon seit langer Zeit ist mir die gewöhnliche Gebetsart – nicht nur die des mündlichen, sondern auch jene des innerlichen „Gebetes“ – unmöglich geworden. Meine speziellen, und die von anderen Seelen übernommenen Anliegen empfehle ich Gott ganz kurz, wie sie eben sind. Zum Heiland beten, ist mir infolge der Unmittelbarkeit der Vereinigung mit ihm wie unmöglich geworden; alles, was ich von ihm erbitten möchte, ist ja mit ihm in mir, und er weiß es. Somit ist der „Verkehr“ mit Gott und hauptsächlich mit Jesus nicht mehr vorhanden. Ich bete wohl zum Vater das „Vaterunser“ und bitte den Heiligen Geist um Licht und Kraft, aber auch dies ist eigentlich nur eine „Form“, die vielleicht nur auf früheren, lieb gewonnenen Gewohnheiten beruht und die mir selbst nun631 kraftlos scheint. Die Andacht zur lieben Mutter Jesu ist ja keine gebetsähnliche Andacht mehr, sondern in allen Anliegen der Seele und Leibes bin ich gleichsam bei „ihr“, alles erwarte ich von ihr und durch sie.632 „Mein Gebet“ ist jetzt eigentlich „Leben“ in Gott bzw. Mich-bewegen in den drei göttlichen Personen, und in diesem Sinne erbitte und erwarte ich alles von Gott. In mir ist alles, was ich für mich und für andere erbitten möchte und in Gott hoffe ich, alles zu erlangen. Der frühere Gebetsverkehr, auch der tiefinnerlichste, der aber doch633 immer noch „Verkehr mit Gott“ war, ist nun in das Gott-Leben übergegangen. – Dieser Zustand währt in ständig fortschreitender Erhöhung schon seit Jahren und in letzter Zeit ist „Gott-Leben“ und „beten“ nur eines geworden, sodass ich sagen kann: Ich „bete“ nicht, ich lebe Gott, und damit alles, was ich von Gott erbitten möchte. Es ist auch634 merkwürdig, dass alle meine635 persönlichen Anliegen zurücktreten und wie überhaupt nicht mehr vorhanden sind. Ich „lebe Gott“ und alle meine Bedürfnisse sind in ihm; und wenn ich auch passiv irgendeinen Mangel erleide, so ist der eigene Wille doch so sehr zurückgedrängt und verschwindend geworden, dass ich alle meine Anliegen passiv mit mir selber in636 Gott vortrage. Für gewöhnlich habe ich persönlich überhaupt kein Anliegen, sondern es besteht in Gott für mich eine solche Sicherheit, dass ich in allem in ihm mich gesichert fühle und erlebe und somit das Bitten um dies oder jenes mir nicht notwendig scheint. Es ist dies eigentlich ein passiver Zustand in mir geworden.637 – Jesus selbst hat mich dieses Gebet des Gott-lebens gelehrt und hat mich darin eingeführt: das Sein in ihm und das Gebet des Gott-lebens selbst, damit das Zurückstellen der selbstigen Bedürfnisse und Anliegen und doch wieder das Erwarten alles Notwendigen von ihm kraft dieser vollkommenen Hingabe an ihn. Jetzt, da ich so tief in das göttliche Leben selbst einbezogen und eingegangen638 bin, hat sich diese „Gebetsform“ noch mehr vereinfacht. Die selbstigen, persönlichen Bewegungen der Seele zu Gott haben vollständig aufgehört, ebenso jene weit höhere Bewegung der Seele in Gott; im jetzigen Stadium ist die „Gebetsform“ Gott selbst, und in der Vollendung der gegenwärtigen Geistesanlage639 herrscht das „Ich“ in göttlicher Form. Es gibt aber kein Wort, um diese tiefe640 Intensität Gottes in mir auszudrücken, oder vielleicht doch so: In mir ist nichts von Gott vorhanden, sondern ich selbst bin in Gott aufgegangen. In diesem Aufstieg hat sich mein persönliches Gebet wie ausgeschaltet und ist zu einer unmittelbaren Bewegung in Gott selbst geworden. So ist mein „inneres Leben“ zu einem völlig „aktlosen“ Sein in Gott geworden. Das persönliche Wollen wird vom Gott-Leben selbst mitgenommen. Lasse ich mich widerspruchslos vom göttlichen Sein mitnehmen, so fehlt überhaupt jeder geistige Akt in mir: Das „Leben“641 selbst ist alles.

2062 |        Dieser Zustand der eigenen Aktlosigkeit bringt noch eine große, scheinbare Leere in mir, weil für gewöhnlich das Innenleben, auch in höheren geistigen Stadien, immer noch von Akten, wenn auch in geistiger Form, getragen und geleitet wird. In meinem Falle mündet und gipfelt nun die Einfachheit des höheren Geisteslebens in jener höchsten Einfachheit des Geistes, nämlich im aktlosen und wortlosen geistigen Sein in Gott selbst.642 All die früheren vielerlei643 Betätigungen und Bemühungen, um zu Gott gelangen, in ihm bleiben und alle Bedingungen hierfür erfüllen zu können, sind nun abgelöst durch die Ruhe des schon in sich errungenen Zieles. Man lebt dieses Ziel und darum fallen naturgemäß jene früheren Akte und Bemühungen aus. Was der eigenen Einsicht und Kraft der Seele nicht mehr erreichbar wäre, hat Gottes vorsorgende644 Führung durch passive Leiden und Läuterungen erreicht, sodass die Seele auf jenem höchsten geistigen Stadium sozusagen überhaupt nichts anderes mehr zu tun hat, als sich den passiven Leiden zu überlassen, die durch Gottes besonderer Führung die Seele sicher an das ihr von Gott gesetzte Ziel bringen. Mittels jener von Gott selbst verursachten Leiden wird das eigene „Tun“ und auch das selbstige „Tun-wollen“ in der Seele immer mehr ausgeschaltet und geradezu ausgerottet, sodass jede selbstige geistige Bewegung wie lahmgelegt wird. So wird tatsächlich eine erworbene geistige Bewegungslosigkeit in der Seele hergestellt, die es ihr dann möglich macht, Gottes Sein und Wesen selbst zu erfahren und zu erfassen. Das selbstige Tun der Seele ist dem göttlichen Sein und Leben selbst gewichen. So groß hat Gott die Menschenseele geschaffen, dass sie schließlich dem Schöpfer selbst Platz machen kann! – Gott selbst weckt in der Seele die von ihm geschaffenen Anlagen und Möglichkeiten, wodurch die Seele fähig wird, Gottes Wesen zu erfahren und zu erleben. Mit ihrem eigenen Tun und Wollen vermöchte es die Seele niemals. Sie muss vielmehr erst zum Schweigen gebracht werden, damit Gott selbst jene tiefsten geistigen Anlagen wecken kann, die sie befähigen, in höchster Weise in ihn einzugehen, ja sich in ihm wohl und ruhig zu fühlen. Gottes Wesen ist höchste Geistigkeit und die entsprechende höchstmögliche Vergeistigung der Seele bedeutet in erster Linie vollständige Abkehr vom Geschaffenen und dann das Aufgeben des selbstischen Gebrauches der Seelenkräfte für sich selber. Dadurch wird die Seele dermaßen vereinfacht, dass sie irgendwie der göttlichen wesentlichen Einfachheit angeglichen werden kann. In Gott ist nur eines: Das Sein, aus dem als der einzigen Grundlage jedes Tun entspringt. Die Existenz Gottes ist die einzige Bedingung für all sein Tun, ohne dass Gott irgendwelche weitere Akte für seine Taten setzen müsste. Allein sein göttlicher Wille – der eins ist mit seinem Wesen und Sein – beherrscht und bestimmt seine göttlichen Taten. Seine gewollten Werke entströmen fertig, zum Ausführen bereit seinem göttlichen Wesen; es braucht nur wiederum einen Akt seines göttlichen Willens und die seinem göttlichen Sein entsprungene Idee ist ausgeführt. Aber nicht bloß seine äußeren Taten und Werke sind nur von seinem göttlichen Sein und Willen bedingt, auch Gottes innergöttliches Sein besteht in Wirklichkeit ohne Bedingung, im Gegensatz zum menschlichen und geschöpflichen Sein, das erst durch gewisse Bedingungen voll möglich wird. In Gott besteht nur eine Bedingung: sein Wille. Er besitzt und beherrscht sich in seinen innergöttlichen Anlagen, in jener göttlichen Kraft und wesentlichen göttlichen Energie, die zu einem eigenen Selbsterkennen in göttlicher Weise befähigt, gleichsam ein „Sich-gegenübertreten“ bewirkt und in dieser seiner645 göttlichen Kraft die zweite göttliche Person hervorbringt: das göttliche Wort, dem Vater als dem Erzeuger wesensgleich, eine selbstständige Person und doch in einer Wesenheit nur Eines in ihm. Gottvater hat auch für die ewige646 Hervorbringung oder Zeugung des göttlichen Wortes nur eine Bedingung: sein eigenes Sein, und dies von Ewigkeit her. Gottes Sein allein bedingt ebenso all seine göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten. All die Nebensächlichkeiten, die unser menschliches Sein erst möglich machen, sind in Gott überflüssig und undenkbar. Gott lebt sich selbst mit einem Akt, mit seiner göttlichen Existenz. Und diese Existenz Gottes hat in sich keine Grundlage außer jener, seines Seins und der ewigen Wirklichkeit seines Daseins, während der Mensch erst zu einer wirklichen und vollen menschlichen Existenz heranwachsen muss, wozu ihm seine Existenzmöglichkeiten behilflich sind. Der Mensch schafft mit seinen geistigen Fähigkeiten beständig Geistesbewegungen, die sein inneres Dasein erfüllen und sein Leben nach außen erst möglich machen; so wird das innere Leben des Menschen großenteils nach außen bildhaft sichtbar. Gott tritt in ewig göttlichen Bewegungen, im eigenen Erkennen, sich selbst gegenüber und erzeugt das göttliche wesensgleiche Abbild seines göttlichen Wesens. Und die wesentliche Liebe des Vaters umfasst den Sohn in göttlicher liebender Kraft, und so begegnen sich in der dritten göttlichen Person Gott-Vater und Gott-Sohn im göttlich-wesentlichen Liebesstrom des Heiligen Geistes. Und vom Vater und durch das göttliche Wort und im Heiligen Geist, der aus beiden hervorgeht, wird jeden Augenblick von Ewigkeit hervorgebracht, was im Vater von Ewigkeit geplant und gewollt ist. –

2063 |        Das göttliche Geheimnis zwischen Vater und Sohn, dieses göttliche Hervorgehen des Wortes vom Vater, bestand aber wie von Ewigkeit so auch immerwährend weiter nach der Menschwerdung des Wortes. In Christus wurde das göttliche Leben des Wortes in ein zeitliches, nach außen gleichsam vergängliches Leben eingespannt. Doch dieses zeitliche Dasein des göttlichen Wortes war und ist das bedeutungsvollste für uns seit Ewigkeit und für alle Ewigkeit. Darin hat sich das ganze Geheimnis, das Gott in sich selbst ist, enthüllt und geoffenbart; denn jeden Augenblick von der Menschwerdung des Wortes an hat des Vaters unendliche Liebe das göttliche Wort als den „Erlöser“ des ganzen Menschengeschlechtes gezeugt.647 Was der Vater in göttlich-unendlicher Vaterliebe zum Heil der gefallenen Menschheit plante, ist im Sohne, im göttlichen Wort, menschlich gelebt und gelitten, zur vollen Wirklichkeit geworden. Der ewige Vater hat das „Wort“, seinen Sohn, in unsere Menschengestalt gekleidet und in diese Welt gesandt; sein göttliches Wesen trat im Sohne offen zutage. Der Vater und sein liebender Wille war es, der uns in seinem Sohne den Erlöser gegeben hat. Auf dieser göttlichen Grundlage beruht und fußt das ganze Erlösungsgeheimnis. – Das göttliche Wort hat in gleicher göttlich-wesentlicher und unendlicher Liebe sich dem Willen des Vaters unterworfen und ward Mensch mit göttlicher Seinsgrundlage, um in göttlicher Tragkraft alle Schuld des gesamten Menschengeschlechtes auf sich zu nehmen. –

2064 |        Ich bin so tief in dieses göttliche Liebesgeheimnis einbezogen, dass ich innerlich weiß – was aber in Worten nie ausdrückbar ist –, wer Christus in sich war und wie er war in seinem tiefsten Wesen als Erlöser. Meine Seele ist nun in solchem Maße von den Hemmungen der Materie befreit, in einem solch vergeistigten Zustand in Gottes Wesen aufgenommen und eingegangen, und ist zu einer so wesenhaften Vereinigung mit Christus, dem Erlöser, gelangt, dass ich ihn wirklich „kenne“, seiner mir bewusst bin, ja, ihn als mein Leben erlebe. Christus hat sich mir gleichsam zu eigen gegeben als mein „Ich“, sodass ich seine göttliche Person als wie die meine erleben kann und insofern an die Stelle seiner Person getreten bin. Auf dieser inneren Tatsache, die freilich im Grunde immer ein Geheimnis bleiben wird, beruht und gründet sich meine geistige Erlebnismöglichkeit des Erlösers.

2065 |        Mein ganzes eigenes Inneres ist zu einer Einheit zusammengeschmolzen und ist dadurch gleichsam fähig gemacht für die eine göttliche Bewegung, um so dem Wesen Gottes dienstbar sein zu können. In ganz großen Leiden bin ich eingefügt und wie zusammengepresst worden in eine Enge des natürlich-geistigen Seins, die aber zur vollen Freiheit und Bewegungsmöglichkeit in Gott geführt hat und in der alles für göttliche Erlebnisfähigkeit und göttliches Erleben Nötige enthalten ist. Jedes eigene Erzeugen selbstiger geistiger Produkte ist648 mir genommen, damit ich ungehindert und ohne zu stören der göttlich-wesentlichen Bewegung des Hervorgehens des Wortes vom Vater hingegeben sein könne. Für mich aber bin ich wie leer und existenzlos in einer Weise und in einem Maße, wie es kein Menschenwort erklären kann; etwa so, wie es einem Menschen zumute sein müsste, der ohne Füße geht oder dessen Körper keinen Halt unter sich hat; denn mein ganzes Sein ist nun im Geiste begründet.

 

Abends:

2066 |        Eigentlich hält mich nun nichts mehr zurück, um noch vollendeter und bis zu dem für die Absichten Gottes geforderten Höchstmaß in Jesus aufgenommen zu werden – wie mir scheint. Es ist auch keine Furcht davor mehr in mir vorhanden, vielmehr ein inneres Drängen: Mag kommen, was will, wenn ich in Jesus bin, ist in jeder Beziehung vollste Sicherheit für mein ganzes Leben und Sein gegeben. – Ich will meiner Hinopferung getreu sein bis zum Tode, so wie Jesus dem Willen des Vaters gehorsam war bis zu seinem Tode am Kreuze. In jener göttlich-vollkommenen, wesentlichen Liebe vom Vater gezeugt, war er gehorsam und liebend eins649 mit ihm.

 

13.02.1943

2067 |        Ich habe gestern beschrieben, wie ich vom mündlichen und innerlichen Gebet aus stufenweise hingeführt wurde bis zum Gebet des „Lebens Gottes“ oder des „Gott-Lebens“. – Diese letzte Gebetsweise übersteigt aber, nach meinem Erfahren, weit das Gebet der mystischen Gnadenstufen, auch das Gebet der Ekstase und Beschauung. Auf diesen Stufen wird die Seele vom Geiste Gottes erfasst, mitgenommen und gleichsam in Gott hineingezogen, sodass sie im wahrsten Sinne von Gott geleitet und getragen wird; sie tut alles vom Geiste Gottes geführt, weil sie infolge entsprechender Vorbereitung durch Abtötung und Aszese für diesen Geistesflug befähigt ist. – Über diese mystischen Gebetsgnaden hinaus gibt es aber – wie ich es erfahren habe – noch höhere Steigerungen, wenn nämlich die Seele auf der geistigen Stufe jener Vereinigung mit Gott angelangt ist, wo sie schon in ihm bleiben kann. Während sie auf den früheren Gebetsstufen noch „hinaufgestiegen“ ist zu Gott, beginnt nun eine bleibende Gebetsart in Gott. Man kann sagen: Die mystischen Gebetsstufen sind dann erschöpft, die Seele ist am Berg „Gottes angelangt“, die Vereinigung mit ihm ist eine dauernde, habituelle geworden und man ist, so möchte es scheinen, auf diesem Gebetsaufstieg zu Gott an einem Ziel und Ruhepunkt angekommen. – Im mystischen Gebet findet die Seele Gott gleichsam jedes Mal „neu“ an Süßigkeit und Anziehungskraft. Bei wachsender Vereinigung bleibt aber allmählich jene erreichte Gebetsstufe als habitueller Zustand bestehen, sodass die Seele gleichsam einen bestimmten Dauerzustand im Gebetserfahren erlebt. Jedenfalls strebt die göttliche Führung in der Seele jenen bleibenden Gebetszustand an und mittels der Reinigungs- oder Vereinigungsleiden wird auch ein solcher dauernder Gebetszustand erreicht, der wesentlich ist, auch wenn die früher begleitenden Tröstungen vielleicht ausbleiben. Gottes Gnade arbeitet ja in jedem Falle im Seelenleben auf die Erwerbung eines Habitus im jeweiligen Tugendgrade hin, der auch von einem entsprechenden Gebetsleben begleitet ist. – Tatsache ist, dass im höheren mystischen Gnadenleben die Seele wieder mehr und mehr zu einem scheinbar „gewöhnlichen“ Seelenzustand zurückkehrt, wenn nämlich eine ganz hohe Spitze der Vereinigung mit Gott erreicht ist und besteht. Es möchte dies vielleicht ein Stillstand oder Rückschritt scheinen, aber dem ist nicht so; bei Gott gibt es kein Stillstehen und noch viel weniger einen Rückschritt für die Seele, wenn diese sich nur treu von seiner Gnade führen lässt. Es beginnt vielmehr650 hier eine neue und höchste Gebetsweise, oder Gebetsgnade: das wesentliche Gebet. Das Leben der Seele in Gott ist zu einem beständigen Gebet geworden. Wenn es auch nicht mehr in den gewöhnlichen Gebetsformen geübt wird, Gott bewertet das „Leben“ die Tat und das Streben einer solchen Seele, die schon in so hoher Weise in Gott aufgegangen ist, als immerwährendes Gebet; denn eine solche Seele hat nur noch mehr ein Streben und Begehren: Dieses „Leben in Gott“ möglichst immer noch mehr zu vervollkommnen.

2068 |        Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass ein allzu großes Bemühen um bestimmte Gebetsformen das „Leben in Gott“ eher stört, als fördert. Das „Sein in Gott“ ist das höchste und wirksamste Gebet, mag es auch ohne Worte und Affekte sein. In dieser Geisteslage ist das „Bleiben“ in Gott das ihm Wohlgefälligste. Damit ist aber nicht gesagt, dass das Gebet dann völlig überflüssig oder nicht gut wäre, aber es setzt eine noch höhere „Gebetsweise“ ein, bei der die Seele in höchst einfacher Form mit aller Vertrautheit und Kindlichkeit Gott ihre Anliegen und Bedürfnisse übergibt, und bei allem in Frieden und Vertrauen bleibt. Von diesem „Gebet“ kann man auch die höchste Wirksamkeit erwarten, weil dabei alle Bedingungen für die Erhörung des Gebetes am vollkommensten gegeben sind.

2069 |        Mir hat Jesus Schweigen geboten, wenn ich immer wieder zum mündlichen oder innerlichen Gebet zurückgreifen wollte. – Er bot sich mir an, „ihn“ zu leben, anstatt nach einer zurechtgelegten Weise zu beten. Dieses „Gebet“ erschloss sich mir nach und nach als unerschöpflich. „Jesus bleibend erleben wollen!“ Dies wurde mir von Jesus als die höchste Gebetsweise gelehrt. Vielleicht hängt diese Forderung Jesu mit meiner besonderen geistigen Aufgabe zusammen, aber jedenfalls bildete sie für mich den Anfang eines wesentlichen Gebetes bzw. des Erlebens Jesu. Damit fing Jesus an, sich mir mit seinem Innern zu erschließen, mich in sein göttliches Sein aufzunehmen und es mir mitzuteilen; sein Leben in mir wuchs zu einem habituellen Dauerzustand. Ja, man kann wirklich Jesus in einer solchen hohen und höchsten Weise „in sich selbst“ aufnehmen, ihn sich selbst gleichsam aneignen, ihn besitzen und leben, sein Leben zum eigenen Leben, und so sich selbst zum Gegenstand seiner göttlichen Interessen machen651. Ich habe erfahren: Wenn man sich der göttlichen Führung entsprechend bemüht, das Leben Jesu nachzuleben und es sich anzueignen, so lässt Jesus wirklich sein Leben in das eigene hineinwachsen, vorausgesetzt, dass die entgegenstehenden Hindernisse und Hemmungen mit seiner Gnade beseitigt werden. – Mich hat Jesus von dieser „Gebetsart“ hingeführt und hinübergeleitet in das Erleben des Geheimnisses seines wesentlichen Gebetes in seiner Menschheit.

2070 |        Dieses Geheimnisses bin ich heute in besonderer Weise innegeworden. „Beten“ muss eigentlich nur der Mensch, das Geschöpf, weil es in jeder Weise von Gott, seinem Schöpfer, abhängig ist. Gott „betet“ nicht, weil er alle Güter in Fülle in sich besitzt, und in jeder Weise vollkommen unabhängig ist. Gott ist sich selbst alles. –

 

15.02.1943

2071 |        Heute änderte sich mein innerer Zustand (vorübergehend) in völliger Leidlosigkeit. – Am Abend hatte ich ein wunderbares Erkennen über das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit bzw. der einzelnen drei göttlichen Personen in der Einheit eines göttlichen Wesens. Ich konnte und musste beim gnadenvollen Eindringen und Einfühlen652 in dieses Geheimnis bestätigen: Ja, es ist so. – Ich begriff die Möglichkeit dieser göttlichen, dreifaltigen und doch einheitlichen Lebensgemeinschaft. Es war dies mein bisher tiefstes Erfahren der Heiligen Dreifaltigkeit, wobei ich sie in der Wirklichkeit ihres dreifachen, einheitlichen Wesens erkannte. –

 

17.02.1943

2072 |        Heute Abend bin ich in eine noch nicht erlebte Intimität mit Gottes Wesen aufgenommen, die mir für die Dauer noch unerträglich ist. Es bleibt aber doch ein Nachgeschmack dieses Zustandes oder vielmehr ein Vorgeschmack des kommenden Dauerzustandes in mir bestehen, der mich jene Unmittelbarkeit Gottes in mir als mein Ziel erfassen und bewahren lässt. –

2073 |        Gott besitzt sich selbst in einer Art, die dem menschlichen Wesen und Verstande an sich auch nicht ahnungsweise nahegebracht werden kann; nur mit besonderer Gnade könnte ein menschlicher Verstand einen schwachen, wirklichen Begriff davon bekommen. Um in einer derart653 unmittelbaren Nähe mit dem göttlichen Wesen gelangen zu können, muss die menschliche Seele erst entsprechend vergeistigt, d. h. durch Gottes Gnade von den Hemmungen der Materie entkleidet werden. Der vom Fleisch umkleidete und von ihm geführte menschliche Verstand kann nie in jener Fülle in das Geheimnis Gottes bzw. der Heiligen Dreifaltigkeit eindringen, aber die vergeistigte, von Christus durchlebte Seele vermag mit ihrem vergeistigten Verstand und durch eine besondere Gnade dieses Geheimnis zu erfahren, wenn [es] auch nicht zu durchdringen noch zu beschreiben [ist]; denn für solche göttliche Erkenntnisse fehlen menschliche Ausdrücke. Gott „lässt sich darum schauen“, und im Schauen erkennen. Aber „Gott schauen und erfahren“ kann nur die sich selbst entäußerte und in Christus aufgenommene Seele, in [jener] die entsprechende Inspirationsfähigkeit für Gottes Geheimnisse gegeben ist, wie sie dem gewöhnlichen menschlichen Verstande fehlt. In solchem Maße kann man in Wahrheit Gott nur „in Gott“ erkennen, d. h., die Seele muss hierzu auf einem gewissen Grade ihrer Vergöttlichung angelangt sein und muss dann mit besonderer Gnade in das Geheimnis Gottes eingeführt werden.

2074 |        „Wenige auserwählte Seelen im Himmel sind zu jener Intimität mit Gottes Wesen gelangt, wie du sie in diesem Leben erfährst“. Dieses Erkennen wurde mir in einem entsprechenden inneren Erfahren bestätigt. Dazu auch Folgendes: Der Grad der Vereinigung mit Gott im Himmel, und das Genießen seines göttlichen Wesens bereiten sich in diesem Leben vor; je mehr eine Seele in diesem Leben von sich selbst, d. h. von ihrem sinnlich sündhaften Sein entkleidet wird, desto mehr wird sie für die Ewigkeit befähigt, Gottes Sein und Wesen zu erfassen und zu genießen.

 

27.02.1943

2075 |        Der geheimnisvolle, innere Leidenszustand dauert an. Mein ganzes menschliches Sein wird darin gleichsam zu „einem“ zusammengepresst; darum jene unaussprechliche und schmerzliche geistige Leere und „Untätigkeit“ in mir. Alle Seelenkräfte werden bereitet zur vollen Angleichung an die „Einheit“ und [zum] Ungeteiltsein des göttlichen Seinszustandes.

2076 |        In diesem geistigen Leiden werde ich die in Worten nicht wiederzugebende Tragweite und Bedeutung inne, die dieses „Eins-sein“ im Wesen Gottes hat. Ich habe aber in diesen Leiden auch tiefste, in Worten nicht auszusprechende psychologische Erfahrungen gesammelt über die „Zweiheit“ des menschlichen Seins und dem gegenüber über das „Wesen der Einheit, Ungeteiltheit und Einfachheit Gottes“.

2077 |        Gelehrte Theologen, die mit spekulativen Ausführungen dieses Geheimnis Gottes zu erklären suchen, können damit doch nicht näher in das wirkliche Wesen dieser „Einheit“ des göttlichen Seinszustandes eindringen und können auch das Wesen dieser „Einheit Gottes in sich“ im Grunde nicht beschreiben. Ein tieferes Eindringen in dieses göttliche Seinsgeheimnis ist wohl nur ausgehend von einem tieferen Erfassen des Wesens und Geheimnisses der Menschenseele möglich, also ausgehend vom Erleben der Seele selbst.

2078 |        Die Seele ist als solche einfach und nicht teilbar, aber ihre Fähigkeiten haben geteilte Tätigkeiten, aus denen aber dank verschiedener Behelfe doch wieder ein in sich zusammengeschlossenes Tun und Sein ermöglicht wird. Die letzte und endgültige Tat der Seele ist jeweils gleichsam aus vielen Teil-Taten zusammengesetzt; diese bilden schließlich die letzte und höchste von der Seele inspirierte Tat, die dem Träger der einzelnen Seele, der Person zugeschrieben wird und zusteht. – In seinem paradiesischen Zustand hatte aber der Mensch eine solche Ebenbildlichkeit mit Gott, dass die „Einheit“ seiner Seele ihn der entsprechenden Vollkommenheit des Wesens Gottes mehr als heute ähnlich machte. Die Fähigkeiten und Kräfte der Paradiesesseele waren nämlich in sich harmonisch geordnet und vollkommen dem höchsten Träger der Seele, der Person dienstbar; diese aber war nur auf Gott hingerichtet. So war der Mensch in einer harmonischen Einheit, wesentlich auf Gott hingeschaffen. Darum gab es in der ersten Seele keine Zersplitterung des Wollens und Nicht-Könnens, keinen Widerspruch des niederen gegen das höhere Wollen „der Person“. Wohl trug die Seele des Menschen von Anfang an in ihrem Wesen654 ein vielerlei an Bewegungen, Vorstellungen, Kräften und Möglichkeiten des Wollens und Entscheidens – denn dies ist Bedingung für das geistige Bestehen der Seele und ein normales Menschenleben – aber es herrschte in allem und über allem doch jene höchste einheitliche Zielrichtung, welche die Person selbst mit Gott verband.

2079 |        Die verschiedenen Fähigkeiten der Seele bergen in sich viele, und wie unvermerkt arbeitende und inspirierende oder anregende Kräfte, die ununterbrochene Bewegungen und Tätigkeiten hervorrufen; durch diese Kräfte „lebt“ die Seele erst im wahren Sinne des Wortes. Gewiss „lebt“ auch schon das Kind im ersten Anfang oder das Kleinkind, obwohl jene des Seelenlebens tragenden Kräfte noch nicht funktionieren. Aber auch bei ihm ist doch schon das Geisteslicht gegeben, wenn auch noch ganz verborgen und in „Dunkel“ gehüllt und einmal – mit dem „Erwachen der Vernunft“ – wird es „aufblitzen“ und zugleich mit ihm werden auch die mit diesen Geisteslicht gegebenen Fähigkeiten und Kräften655 sich regen, die dessen Funktionen erst ermöglichen. So besitzt die Seele zwar in sich schon oder vielmehr656 volle Daseinswirklichkeit, aber die verschiedenen ihr eingeordneten oder vielmehr untergeordneten Fähigkeiten und Kräfte werden erst mit dem körperlichen sich entwickelnden Leben wie von selbst geweckt und in Tätigkeit gesetzt, zum Dienste der höchsten Wirklichkeit, der sie angehören: der Person. Die Seele des Menschen, obwohl in sich einfach und ganz einer absoluten Wirklichkeit, nämlich der Person, unterstehend und zuständig, lebt also ihr Dasein, ihre Existenz doch aus einem Vielerlei von Möglichkeiten heraus, die ein normales Seelen- und Innenleben bedingen. Dies ist gleichsam die erste Kehrseite des menschlichen Daseins. – Nach dem gewöhnlichen Begriff sind wir geneigt, das körperliche Funktionieren der verschiedenen Kräfte des Menschen dem „leiblichen Leben des Menschen“ selbst zuzuschreiben; in Wahrheit aber liegt der tatsächliche Bestand eines Menschen in erster Linie in seiner „Person“ als der tatsächlichen Wirklichkeit seines Vorhandenseins oder der existierenden Daseins-Wirklichkeit mit den ihr zugeteilten Fähigkeiten und Kräften, die für das „Leben“ des Menschen die erste Möglichkeit und Voraussetzung bieten. Die Seele, als das Hauptelement im menschlichen Leben, trägt und beseelt den Leib, und in diesem Sinne ist die Seele selbst das Leben des Menschen. All die verschiedenen Fähigkeiten, die von der absoluten (geschaffenen) Wirklichkeit der Person getragen werden, sind nach Gottes Absichten den Naturgesetzen einer bestimmten elterlichen Abstammung unterworfen und weithin davon abhängig gemacht.

2080 |        Der erste Mensch im Paradiesesleben bewegte sich als Person657 vermittels seiner Wirklichkeit ungehemmt in und mit den ihm zur Verfügung stehenden Geisteskräften, die auch sein Leben erst voll ermöglichten, aber er trug in sich nicht die Kehrseite einer absoluten Trennung von innen und außen. Die auch in ihm vorhandene „Zweiheit“, die dem Menschen als bedingten Wesen und Geschöpf eigen ist, strömte in ihm durch die volle Harmonie und die innere Freiheit von Hemmungen zu einer höchsten Ordnung in „einem“ Ziel und Endpunkt zusammen, und in diesem Sinne bildete die naturgegebene „Zweiheit“ zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit bei ihm nicht einen Gegensatz. Die menschliche „Zweiheit“ wurde vielmehr im sündenlosen, und deshalb in sich hemmungsfreien Zustand durch die übernatürliche, gottgeschaffene Regulierung der einzelnen Fähigkeiten letztlich und praktisch zu einer „Einheit“, die in voller und restloser Hingabe auf Gott und seine Einfachheit hinging und darin glücklich war. – Ich habe diese wunderbare Erscheinung und Tatsache einer menschlichen „Zweiheit“ mit dem Endergebnis einer „letztlichen Einheit“ des Handelns auch in Maria erkannt und ich habe diese Tatsache auch in meinem inneren Leiden bestätigt gefunden; die mir immer wieder das „Geheimnis der Seele“ im sündenlosen und dann im gefallenen Zustande vorführen. – Nicht als ob die geschöpfliche „Zweiheit“ der Seele jemals aufgehoben würde, aber jene vollkommene, reine, in sich hemmungsfreie Bewegungsmöglichkeit und Bewegungsleichtigkeit aller Fähigkeiten der Seele schafft schließlich – (hier nicht so sehr zeitlich gemeint als vielmehr in dem logischen Nacheinander, das sich aber augenblicklich und ohne weitere Mühe und wie naturgemäß vollzieht) – als Endergebnis jene letztmögliche Einheit und Einfachheit des Seelenlebens, in der die „Zweiheit“ doch zu einer gewissen „Einheit“ wird. Dieser Geisteszustand begreift in sich die höchste Vollkommenheit des Gesamt-Seelenlebens. Vor Gott ist dieses Endergebnis des von ihm geschaffenen Menschenwesens das seiner würdigste und ihn am meisten Ehrende, weil alle Seelenkräfte jeden Augenblick in voller Unterwerfung als „reine Huldigung“ ihm zuströmen und weil die Seele damit befähigt wird, Gottes Wesen einmal in der Ewigkeit in ungeteilter Einheit genießen zu können. Je mehr nämlich eine Seele sich hienieden in der Gesamtstruktur ihres Seins und ihrer Kräfte für Gott befähigt und sich ihm angleicht, desto mehr befähigt sie sich auch für ein entsprechendes Genießen Gottes658 in der Ewigkeit, im Licht der Herrlichkeit und in einem desto intimeren Sinne geht sie, losgelöst von der Materie, wieder in Gott ein.

2081 |        Durch den Sündenfall im Paradies wurde jene glückliche Zwei-Einheit in der Seele des Menschen zerstört und es kam in ihr zu einer unheilvollen Spaltung. Zwar hat die Seele an sich im Wesentlichen nichts von ihren Fähigkeiten verloren, aber die Kraft ihrer Fähigkeiten hat eine weite Zersplitterung erfahren, unter der wir alle leiden. – Nur Maria hat diese Schwächung der Einheitlichkeit ihres Gesamt-Seelenlebens nicht empfunden. – Unsere Seele kann nun nicht mehr, was und wie sie will; sie ist einem niederen Gesetz in sich selbst, dem Gesetz der Materie unterworfen, zu dem sie sich durch die Sünde freiwillig659 herabgelassen hat. Dieses Niedere, mit der Materie von Gott geschaffene Gesetz im Menschen, gleichsam eine „zweite Möglichkeit und Anlage“, nämlich die, etwas „Gottwidriges“ tun zu können, wurde durch den entsprechenden Willensentscheid der ersten Menschen gelöst und in Aktion gesetzt. Und diese Möglichkeit erstreckte sich nun auf die Gesamt-Struktur der Seele; weil die Seele in sich einfach ist und als tatsächliches Lebensprinzip auch den Leib belebt, wurde der ganze Mensch davon in Mitleidenschaft gezogen. An sich ist nicht der Leib oder die Materie der Schuldige an der ersten Sünde, sondern vielmehr die Kräfte der Seele, der Geist, die Begierde, in deren Kraft sich die Seele jenem Begehren und Genießen zuwandte. Insofern aber die Seele selbst das Leben im Menschen ist, verfiel der ganze Mensch einem „Selbst-Begehren“ und sich-selbst-Folgen unter Missachtung und Abweisung des göttlichen Gesetzes der absoluten Abhängigkeit von Gott und der Hinordnung aller Kräfte auf Gott. Diesem sich-selbst-Begehren und -Genießen, das durch die Vielheit der Kräfte und Fähigkeiten mannigfache Formen und Auswirkungen im Menschenleben gezeitigt hat, entsprang der unheilvolle Riss im Menschen selbst. Es entstand in der Seele eine Spaltung zwischen Wollen und Nicht-Wollen und Nicht-Können, sodass heute jeder Mensch von Natur aus das Gottwidrige in gewissem Sinne leichter und sogar lieber vollbringt als das Gottgefällige. Das „Böses-wollen“ wurde sogar zu einem Gesetz im Menschen, dem er durch die Bande der Erbsünde überantwortet ist. Seitdem ist die „Zweiheit“ im Menschen das geheimnisvolle Kampffeld geworden, auf dem sich die Richtung der Seele für oder gegen Gott, hin zu Gott oder von ihm weg entscheidet und bestimmt.

2082 |        Ich habe in den vergangenen und noch gegenwärtigen inneren Leiden merkwürdige Erfahrungen gemacht über diese geistige Spaltung und Zersplitterung der Kräfte der Seele. Ich erlebte gleichsam eine Zergliederung und Aufteilung der Kräfte und Fähigkeiten der Seele bis zu deren Zusammen- und Hinströmen zur höchsten Kraft der Person. – Der Mensch, der seinen bösen Möglichkeiten und Anlagen folgt, kann die böse Tat – weil sie seiner Anlage entspricht – vielleicht einen Augenblick oder für660 kürzere Zeit sich bewilligen, aber es bleibt schließlich doch ein gewisser fortgesetzter Widerspruch dagegen in der Seele bestehen. Gewöhnlich kommt aber dem Menschen die ganze Tiefe seiner bösen Tat, oder deren Anlage gar nicht recht zum Bewusstsein, weil er meint oder sich einredet, es müsse gerade so sein, und weil ihm die Übersicht über sein Menschsein weithin verdunkelt ist oder weil er sich nicht dieser Übersicht und Verantwortung vor Gott unterzieht. Darin zeigt sich aber schon eine Kluft oder eine klaffend weite Spaltung und Zersplitterung in der Seele selbst, insofern der Mensch in sich selbst „Wege“ unternimmt und Möglichkeiten verwirklicht, die von seiner Person, von seiner realen Wirklichkeit eigentlich gar nicht in ihrer ganzen Tragweite und Bedeutung im Hinblick auf das letzte Ziel überschaut werden, noch überschaut werden können. – Gewiss ist der Wille des Entscheidende in der Seele, aber zwischen gutem Willen und dem bösen Wollen bleibt noch so viel Unausgeglichenes, das den Menschen in einer ständigen Spannung hält. Die Sünde mit ihren so mannigfachen Auswirkungen auf das Begehren der Seele – und durch die Kräfte der Seele auch auf den Leib – hat den Menschen in sich selbst gleichsam aufgeteilt und zerrissen.

2083 |        Will darum die Seele Herr werden über die Sünde und sie in ihrer tiefsten Wurzel überwinden, so ist die erste Notwendigkeit für sie, dass sie eine letzte und höchste Zielstrebigkeit auf Gott hin und Gott gegenüber herstelle. Die Seele muss sich in sich selbst „konzentrieren“, muss lernen, sich selbst in Gewalt und Herrschaft zu bekommen, muss jene unheilvollen, auseinander-strebenden Weiten zusammenfassen und in sich binden. Es muss eine Einheit im Wollen und Handeln ermöglicht und erreicht werden. Und dieser Geistesprozess muss sich ständig erhöhen und muss sich immer mehr im Leben des Menschen selbst auch nach außen verwirklichen. Die „Zweiheit“ im Menschen muss in den konkreten und realen Folgerungen und Forderungen Gott gegenüber eingespannt und harmonisch darin betätigt werden. Es muss eine einheitliche Linie des geistigen Produzierens, der Kraft des Ausführenkönnens und des wirklichen Ausführens in der Seele herbeigeführt werden. Durch eine konsequente und absolute Zielstrebigkeit auf Gott hin werden die Bewegungen der Seele vereinfacht und mehr konzentriert. Mag dann auch ein gewisser Widerspruch der niedergehaltenen bösen Anlagen bestehen bleiben; das höhere gute Wollen beginnt doch dessen ungeachtet, zu triumphieren und zielbewusst darüber zu stehen. Die Seele gewinnt größere Einsicht und Übersicht über sich selbst und damit wächst die Kraft des Sich-selbst-Beherrschens. Das geistige Kampffeld verkleinert und verengt sich, weil schon manches in der Seele überwunden ist, was früher einen Kampfplatz brauchte. Die Seele überbrückt gleichsam sich selbst und rückt in sich zusammen. Auf diesem Wege nähert sie sich mehr und mehr der Einfachheit und Ungeteiltheit661 Gottes, weil all ihre Kräfte sich wie in662 einer Linie im guten Wollen auf Gott hinordnen und hinrichten. – In Wirklichkeit „erweitert“ sich aber die Seele in solchen Selbstüberwindungen und sie gewinnt in sich Raum und Energie, während im Gegenteil das Leben in der Sünde sie in Wahrheit „eng“ und energielos und sklavisch macht. Der Sünder ist der Sklave seiner eigenen663 bösen Triebkräfte und Leidenschaften. Diese verdunkeln ständig seine klare Übersicht über die eigenen Taten und über das Böse in ihnen.

2084 |        Auch bei fortgeschrittenen Seelen bleibt die gute Ausführung oft weit hinter dem guten und besseren Wollen zurück. Selbst wenn eine Seele schon die rechte Einsicht über sich selbst und ihre Absichten im Lichte Gottes errungen hat, fehlt ihr zunächst doch noch die geistige Bewegungsmöglichkeit und -leichtigkeit, um das innere gute Wollen auch ebenso gut und konsequent ausführen zu können; vielfach bleibt es nur bei guten Vorsätzen. Es muss auch im höheren Geistesleben in der Seele erst jene geistige Kraft der Folgerichtigkeit und Konsequenz gewonnen werden, welche die Seele über ihre eigenen Hemmungen hinaushebt. Die eigene Rücksicht und Opferscheu, die Menschenfurcht und die Furcht vor Seitenwegen abseits der Masse der Menschen muss überwunden werden können. Das Gute, das die Seele in sich als möglich und notwendig erkennt, muss auch zur Tat nach außen werden. – Daran scheitern viele fortgeschrittene Seelen, dass die Konsequenzen eines tief religiösen Lebens schließlich nach außen sich nicht oder nur mangelhaft betätigen und sichtbar werden, und dass sie nicht das ganze Leben beherrschen.

2085 |        In diesem Sinne und Zusammenhang habe ich in einem geistigen Erkennen das Leben der Heiligen geschaut, besonders jener Erneuerer und Reformer des religiösen Lebens, die in664 ihrer Mitwelt unverwischbare Spuren und Wirkungen hinterlassen haben. Bei ihnen ist die innerlich erworbene Tugend auch nach außen Wirklichkeit geworden. Die Kraft ihres Geistes ist auch665 in ihrem täglichen, äußeren Leben durchgebrochen und hat sich dort zur vollen Wirklichkeit durchgesetzt. – So sollte sich bei jeder Seele die Tugend auch in entsprechenden Taten nach außen zeigen können in dem gleichen Maße, wie sie in ihrem Innern fortschreitet. Die durchdringende Geisteskraft des Innern muss sich auch äußern und hierin liegt das Geheimnis der Heiligen. Das innerlich erworbene Ideal muss immer mehr nach außen Wirklichkeit werden, und das ganze Leben des Einzelnen umstellen im restlosen Aufgeben alles eigenen inneren und äußeren Widerspruches. Dies ist der nächste Weg einer diesbezüglichen Verähnlichung mit Gott, dessen Sein in allem volle Wirklichkeit und Konsequenz ist, in all seinen göttlichen Vollkommenheiten. – Es ist aber ein harter und steiler Weg, bis das äußere Tun bzw. die Tat des Menschen sich ganz dem innerlich guten und durch Gottes besondere666 Gnade vollkommenen Wollen anzupassen vermag und ebenso äußerlich vollkommen geleistet wird, wie es dem inneren besten Wollen entspricht. –

 

März

01.03.1943

2086 |        Heute stehe ich auf einer bisher noch nie erlebten Höhe meines Seins. Schon während der ganzen Nacht war ich in diesem Zustand, der nun eine Wirklichkeit, meine Wirklichkeit geworden ist. – Es sind dies – nebenbei bemerkt – ganz merkwürdige Zustände bei Nacht. So, wie zeitweise die667 inneren Leiden auch wähnend der Nacht weiter dauern, sodass man zugleich schlafen und leiden kann, und zwar die Leiden dabei bewusst wie im wachen Zustand erfährt, so dauern zuweilen auch die höheren Zustände des Erlebens Gottes selbst während des „Schlafes“ an. Es ist dann so668 wundersam, in den Armen Gottes, vielmehr in Gottes Wesen zu schlafen und den schon erreichten Zustand in ihm zu genießen, ja selbst in einem geistigen Vorauserleben die nächste Stufe erfahren zu können und dabei auf mich selbst, auf dieses Häuflein Elend herabsehen zu können. – So ähnlich könnte es sein, wenn die Seele sich der Anschauung Gottes erfreut und dabei teilnehmend auf ihren Lebens- und Leidensgefährten, auf den Leib herabschaut, der im Grabe ruht. In meinem Fall wurde aber auch der Leib wundersam erquickt und er fühlte sich „wohl“ in der Seele. –

2087 |        „Ich“ bin nun das, was ich bin, d. h., ich habe nun jene Fülle geistiger Spannkraft in mir selbst erreicht, die mich zum restlosen Besitzer meines Seins macht. Die Quelle ist nun ganz mein und ich bin die Quelle und trinke und lebe aus mir. – Es ist mir nun wie669 ein eigenes Bedürfnis, mich ganz dem Herzen Jesu zu opfern, nochmals auf mein früheres670 Sein zu verzichten und dieses neue Sein als mein eigenes, nun wirklich eigenes zu gebrauchen, mich „im Vater“ anstelle Jesu seinen göttlichen Absichten dienstbar zu machen und das daraus folgende Leben als „mein Leben“ leben zu wollen. – Ich weiß zwar nicht, wo ich die nächste Woche wohnen werde, und bin ausschließlich in den Händen der Vorsehung Gottes, aber trotzdem habe ich in mir den Mut, mich restlos und ohne Bedingung, einzig auf das Vertrauen auf Gott mich stützend, Jesus durch meine neue Aufopferung zum Vollbringer, zum Betätiger meines Lebens zu machen, sein Leben in mir sich betätigen und vollbringen zu671 lassen. – Es gibt zwar672 kein Wort, um diese Aufopferung auszusprechen, ich tue es aus dem innerlich erreichten Zustand heraus, als Konsequenz seines Lebens in mir, indem er mich entsprechend und folgerichtig weiterführt.

2088 |        Nach menschlichem Ermessen ganz unerreichbar scheinend ist das geistige Ziel, das Gottes Führung in mir erreichen will; es liegt eigentlich ganz abseits von den gewöhnlichen menschlichen Geisteswegen, auch den scheinbar höchsten. Die göttliche Führung hebt mich nämlich immer mehr in das Erfahren des göttlichen Wesens selbst hinein. Und gerade in diesem Geheimnis und in dieser Tatsache, liegt der einheitliche Schwerpunkt und die Ausgangsquelle für meine besondere seelische Berufung: Christus als Gott und Mensch und Erlöser zu erleben. – Ich werde unglaublich tief eingeführt in das Geheimnis „der Seele“ im Allgemeinen und in das Geheimnis „meiner Seele“ im Besonderen, wie sie in spezieller Weise für ihren besonderen letzten und höchsten673 Zweck dienstbar gemacht wird. In stufenweiser Folge und Steigerung wird meine Seele „gottfähig“ gemacht in fortgesetzten, geheimnisvollen, geistigen Leiden. Dieses von der göttlichen Führung gewirkte Feuer der inneren und äußeren Leiden ist der eigentliche Weg zum Ziel. Im Grunde ist es bis herauf zu diesen höchsten Stufen immer noch der gleiche einheitliche und geradlinige mystische Gnadenweg, auf den ich schon vor mehr als 20 Jahren geführt wurde. Nur sind die inneren Leiden, die damals schon diesen besonderen Weg begleiteten, noch viel mehr verfeinert, vergeistigt und damit verschärft; sie haben nicht mehr die Eigenart des leib-seelischen, sondern sind wie ganz vergeistigt (wenn auch der Leib dadurch sehr in Mitleidenschaft gezogen wird); denn sie vergeistigen sich entsprechend dem inneren seelischen Erhebungsprozess. – Der so einheitliche Weg vereinfacht sich aber ständig und immer mehr: das früher immer wieder eingeschaltete Vorauserleben des nächsten oder auch eines weiteren Zieles der inneren Führung, das Erfahren Gottes, die fühlbare mystische Vereinigung mit Gott bzw. Jesus in ihren verschiedenen Arten, in meinem Fall immer wieder die besondere Art „ihn leben zu können, in ihn aufgenommen und umgewandelt zu werden“, alles dies geht in Wirklichkeit und Zuständlichkeit über. Im Grunde stehe ich jetzt der vollen Erfüllung der schon anfangs angedeuteten und all die Jahre hindurch konsequent weiter verfolgten mystischer Idee der besonderen Führung Gottes in mir ganz nahe. –

2089 |        Diese innere Umwandlung meines Seins vollzieht sich intensiv bis zu der für meine Aufgabe notwendigen Angleichung meiner Seele an Gott. Meine Seele wird der Seele Christi nachgebildet, mit dem Unterschiede, dass die Seele Christi im ersten Augenblick ihres Bestandes entsprechend „gottfähig“ war, um ganz der göttlichen Person des Wortes dienstbar sein zu können, während meine Seele den tiefen und schmerzlichen Läuterungsweg der gefallenen, sündigen Seele durchwandern muss, um wie auf einem natürlichen (d. h. übernatürlich organischen) Weg eine ähnliche Anpassung an das göttliche Wesen Christi zu erreichen. Die Eigenart des göttlichen Wesens Christi setzt dabei der Seele ihr Ziel; die langsam und entsprechend sich vertiefende Vereinigung mit Christus zieht sie ständig immer mehr in ihn hinein. Soll jenes gesteckte Ziel wirklich erreicht werden, so muss alles Dagegenstehende und nicht in der göttlichen Eigenart Harmonierende in mir überwunden und ausgetilgt werden. – Selbstverständlich besteht meine Seele weiter und wird nicht in Gott umgewandelt; sie kann sich ja nie auflösen noch ihrem Wesen nach verändern; aber sie wird ihrer Aufgabe entsprechend umgewandelt674, vergeistigt und vergöttlicht nach dem Vorbild jenes Zustandes, der in der Seele Jesu675 schon im ersten Augenblick bei der Menschwerdung vorhanden war.

2090 |        Die absolute Einfachheit und Einheit des göttlichen Wesens Christi676 setzt auch eine entsprechende Einheit und Einfachheit der Seele Christi voraus; denn das göttliche Wesen wurde ja in diese Seele eingespannt und die Seele musste die göttliche Wesensart in sich tragen und damit leben können. Schon die göttliche Wesensart der absoluten Einfachheit, der Einheit zwischen Möglichkeit und Verwirklichung, des Bestehens aus sich selbst bedeutet für die gewöhnliche Menschenseele ein unaussprechliches Geheimnis und einen (ohne besondere Gnade) nie auszugleichenden Gegensatz. Gott besteht aus sich selbst, ohne Bedingung, in einem, ständigen; reinsten Akt – die gewöhnliche Menschenseele muss fortwährend mit vielfältigen Bewegungen das ihr als Existenzbedingung Notwendige produzieren. Das göttliche Sein selbst genügt Gott für sein Dasein, weil damit schon alle Seinsmöglichkeiten677, alles Wissen, Wollen, Können, Empfinden usw. auch wirklich gegeben ist und Wirklichkeit ist. Die Seele aber hat mit ihrer Erschaffung die Naturanlage eines ständig erst produzierenden Wesens, eine Naturanlage, die sie auf normalem, gewöhnlichem678 Wege niemals entbehren oder ablegen kann, weil dadurch ein normales Bestehen und Dasein einer Seele überhaupt erst ermöglicht wird. Beim „Erwachen“ der Seele vermitteln ihr die leiblichen Behelfe der Sinne sowie die Fantasie, das Gedächtnis, der Verstand usw. die Daseinsmöglichkeit und die ihr notwendige Lebenstätigkeit. Es ist die Eigenart der Seele „so zu sein“ in diesem Leben, auf diesem Wege, d. h. durch ständiges Produzieren und Erzeugen des Lebensnotwendigen zu leben und sich zu betätigen. – Mit dem Tode werden diese Betätigungen abgelöst, weil dann diese der Seele an sich eigenen Mittel für dieses Produzieren fehlen. Die Seele tritt dann zurück in einen Wirklichkeitszustand des Erfahrens ihrer in der Zeit hervorgebrachten Lebensprodukte und sie setzt auf diesem Wege „ihr Leben“ fort.

2091 |        Wie kann nun aber ein ständiger Erzeuger, ein Werdender, (wie es die Seele ist) mit dem Unerzeugten oder schon-“Gezeugten“ zusammen bestehen?679 Gott kann sich nie ändern und so hat sich auch das göttliche Wort in der Seele Christi im Wesentlichen nicht verändert. Die Seele Christi trug aber in sich jene Bedingungen und Eigenschaften, die trotz der großen Verschiedenheit der göttlichen und der seelisch-menschlichen Natur in Christus ein normales, d. h. ein wahres Menschenleben in ihm ermöglichte. Die Seele Christi war in sich so einfach und in all ihren Fähigkeiten so in sich zusammengeschlossen, dass sie die göttliche Einheit und „Bewegungslosigkeit“ ertragen, ja als wie ihr eigenes Wesen ertragen und leben konnte. Sie konnte der „einen göttlichen Bewegung“ oder dem einen göttlichen reinen Akt folgen, weil all ihre seelischen Fähigkeiten, die jene eines normalen, allerdings höchst vollkommenen Menschen waren, schon im Grunde auf die göttliche Person hingerichtet waren. Schon dieser Umstand ist, wenn man ihn innerlich erfahren darf, ein an sich unbegreifliches psychologisches Geheimnis in seiner ganzen Wirklichkeit. – In Christus verbanden sich zwei in sich ganz verschiedene Naturanlagen mit den an sich völlig entgegengesetzten Gesetzen; diese beiden so680 verschiedenen Naturanlagen hatten aber doch ein gleiches Urgesetz in derselben letzten Grundidee, insofern nämlich die menschliche Seele nach dem Ebenbild Gottes geschaffen war und im Grunde auch die Bedingungen und die Möglichkeit zu einer ständig sich steigernden Angleichung und Annäherung an Gottes Wesen in sich trug. Trotz der Verschiedenheit ihrer Naturen sind Gott und Mensch unter dieser Rücksicht nicht artfremd, sondern artverwandt und aufeinander wie auf etwas Ergänzendes hinbezogen, nicht als ob Gott eine Ergänzung brauchte oder möglich hätte, aber insofern im Wesen Gottes dem Menschen gegenüber ständig etwas sich-Hinneigendes war und insofern Gott die Menschen für sich, d. h., zur Teilnahme an seiner göttlichen Natur erschaffen hatte. Diese tiefste, in göttlicher Liebe begründete Beziehung Gottes zu den Menschen bot die eigentliche, letzte psychologische Möglichkeit für die hypostatische Vereinigung. Im Grunde trägt jede Menschenseele einen Gottesfunken in sich, der gleichsam die Brücke ist zur Vereinigung mit seiner göttlichen Natur. Und jede Seele hat in sich die geschaffene, tiefe, geistige Anlage und Aspiration, um681 an der göttlichen Natur teilhaben und damit in Gott aufgenommen werden zu können. In der Seele Christi war diese Anlage und Aspiration wie naturgemäß aufs Höchste entwickelt. Diese Aspiration und dieses Streben nach Gott hat seinen Grund im letzten Ziel jeder Menschenseele, nämlich Gott in Ewigkeit schauen und erfahren zu können, und diese Aspiration erhält der Mensch nicht erst im Augenblick des Todes von Gott inspiriert, sondern er soll sie schon im Leben wecken und immer mehr vervollkommnen.

2092 |        In der seligen Ewigkeit hat die Seele nur mehr den einen Habitus: Sich der Anschauung Gottes zu erfreuen und in Gott zu ruhen, wirklich zu „ruhen“, weil jene früheren Bedingungen zu ihrem Bestehen-Können nun abgelöst sind durch die endliche Erfüllung ihres letzten Zieles. Die Seele kehrt nun in gereinigtem Zustande zu jener Einfachheit zurück, in der sie sich des „einen“ errungenen Besitzes erfreut; sie hat nun „einen“ Bestand in sich, der es ihr ermöglicht, Gottes Einfachheit, die sein ureigenstes Wesen ist, ertragen zu können. Ich möchte sagen (um das innerlich Erkannte einigermaßen in Worte zu kleiden): Es vollzieht sich in der Reinigung der Seele – entweder in diesem Leben oder im andern – eine „Gleichschaltung“ aller seelischen Fähigkeiten, nicht im Sinne einer Auflösung derselben, sondern insofern sie sich ganz auf einen Punkt, auf Gott konzentrieren, und zwar in einem bleibenden Habitus. Die Seele geht dann682 derart in der Anschauung Gottes auf, dass ihr ganzes Sein wie in einer Linie, in einem immerwährenden Zustand auf Gott hingerichtet ist. – Wenn aber die Seele in der Ewigkeit zuständlich für die Anschauung Gottes befähigt sein soll, so muss diese notwendig schon hienieden in der Seele grundgelegt sein, denn in der Ewigkeit bekommt die Seele im Grunde und wesentlich nichts mehr an Fähigkeiten hinzu, wenn sie auch entsprechend gereinigt und dadurch – auf der Grundlage des hienieden in der Vereinigung mit Gott Erreichten – für die Anschauung und das Genießen Gottes fähiger gemacht wird. Darum muss auch jene Einfachheit, mittels derer sie ganz und gar auf Gott konzentriert werden kann, wesentlich schon in ihr vorhanden sein und folglich muss sie auch in einem bestimmten Grade, als wesentliche Vorstufe und Vorbereitung auf das Leben der Glorie, schon in diesem Leben dunkel zu erreichen sein. Und so ist es bezüglich aller Stufen und Grade des Lebens der Seligen im Himmel. – Für gewöhnlich erlebt die Seele freilich ihren geistigen Fortschritt in diesem Leben683 auf diesem Gebiet hienieden684 nicht und erfährt sie ihn erst ganz in der Ewigkeit.

2093 |        Es gibt im Wesentlichen keine Vollkommenheit Gottes, die der menschlichen Seele nicht irgendwie ahnend nahegebracht, oder nicht von ihr in geschaffener Weise irgendwie nachgeahmt und in der Ewigkeit dann in schauender Form erfahren werden könnte. Die Seele ist eben ein geschaffenes Abbild685 des ungeschaffenen Schöpfers. Dass aber die Seele Christi das Abbild der Vollkommenheiten Gottes in höchster Steigerung und Vollendung in sich trug und dass für sie der Weg zu Gott und Gottes Wesen gleichsam wie auf einer Linie, eben und wie natürlich verlief, das erklärt sich von selbst aus der hypostatischen Vereinigung. Trotzdem bleibt aber auch auf dieser Grundlage und unter dieser Rücksicht die Menschwerdung des göttlichen Wortes ein ständiges psychologisches Wunder. – In den inneren Leiden, die in mir eine steigernde Verähnlichung meiner Seele mit der Seele Jesu herbeiführen, erfährt man in so schmerzhafter Weise die Gegensätze des Wesens Gottes gegen die geschaffene Menschenseele. In diesen Leiden wird z. B. die gewohnte Betätigung der Seele, ihr Selbstregime und ihre Naturanlage, zu ihrer Selbsterhaltung ständig zu produzieren und sich selbst zu führen, gewissermaßen eingeschränkt; zuzeiten wurde das „Leben Gottes“ in meiner Seele so stark in mich „übergeschaltet“, dass ich so viel wie nichts mehr „zu tun“ hatte. Ich konnte das Leben Gottes erfassen, es mir aneignen und so zu dem meinigen machen. Zuerst waren dies noch fühlbare Erlebnisse auf fühlbar mystischer Grundlage; langsam aber trat das Fühlbare zurück und es blieb eine reale Wirklichkeit bestehen, der dann meine eigenen seelischen Widerstände und mein Anders-sein gegenübergestellt und entgegengesetzt wurden. Das „bewegungslose“ Sein Gottes musste mir genügen und darin wurde ich langsam geübt. Unwillkürlich traten dagegen gewisse Reaktionen meiner seelischen Fähigkeiten auf, ein an sich berechtigter Widerstreit meiner Naturanlagen schon gegen das ganz Andere und Ungewohnte und dieser Widerstreit äußerte sich in sehr schmerzhaften inneren Leiden. Je mehr die Seele sich dabei gegen diese „Knechtung“ ihrer Kräfte und die Unterdrückung ihrer gewohnten Betätigung wehrte, desto mehr, so kann man wohl686 sagen, presst Gott die Seele an sich, desto mehr bringt er sie, und das Widerstrebende in ihr, in einer noch intensiveren Form in die Nähe der entsprechend entgegengesetzten oder verschiedenen göttlichen Eigenart, sodass die Seele nach und nach gleichsam in die Form Gottes687 eingepresst wird. Aber nicht nur das; es wird vielmehr damit auch eine wie zur Natur gewordene (übernatürliche) Befähigung erzielt, „dieses“ Leben so zu leben, wie wenn es Naturanlage der Seele wäre.

2094 |        Die Bewegungslosigkeit und das aktlose, seiende Sein Gottes, das Leben des realen absoluten Seins, und darum das Nichterzeugen in der Seele, dies ist eigentlich die tiefste Grundlage des göttlichen Seins in der Seele Christi. In der Nachbildung meiner Seele nach der so vollkommen, dem göttlichen Wesen angepassten Seele Christi ging diesem letzten Ziel die „Verkürzung“ der Akte voraus, wobei die eigentliche Selbsttätigkeit immer mehr ausgeschaltet und aufgehoben wurde, bis sie schließlich geradezu entbehrlich688 wird, weil die Seele nun schon „ihre Akte“ vom „Sein“ Gottes bezieht und ihr dieses „Sein“ schon genügt. Aber auch dieses „Genügen“ wird ständig gleichsam in die Höhe geschraubt, weil Gottes Wesen immer mehr in Selbstmitteilung in die Seele strömt, bis das höchste, seinen göttlichen Absichten entsprechendes Maß erreicht ist. – Gleichsam eine Gipfelung der Bewegungslosigkeit Gottes, wie sie nachgebildet meine Seele erfährt, ist nun dies, dass sie, in sich „grundlos“, aus sich selbst besteht. Auch das Meer ist ruhig (um einen Vergleich des Gegensatzes des Wassers zum göttlichen Wesen zu gebrauchen), aber es ist das Wasser, was das Meer in sich ausmacht, und dieses Wasser ruht wieder auf einem Grund, der das Wasser trägt. – Die Selbst-Grundlosigkeit des göttlichen Wesens ist ein Geheimnis, das in noch viel höherem Maße, wie das Vorhergehende die Urkräfte der Seele, die in ihr angelegte Geistigkeit, herausfordert. Gottes Wesen ist Geist und bedarf nicht einer tragenden Stütze; dieser unendlich vollkommene Geist besteht „aus sich selbst“, aus eigenem Sein. Ein körperloses Sein ist der Seele auch in einem sehr vergeistigten Zustand unerträglich, nicht weil es in sich körperlos, d. h. „stützelos“ ist, sondern weil in diesem Fall das „Sein“ als Zustand, als Realität erfordert ist, ein Sein nämlich, das alles „aus sich selbst besitzt“ und dessen Existenzkraft in sich selbst beschlossen ist, d. h. das alles hat und ständig sich selbst benützte. Und dieses ständige und augenblickliche Sich-selbst-benützen muss für die Seele wie zu einem Naturgesetz werden, wenn ihr das Leben Gottes in dieser besagten Form erträglich sein soll. Damit grenzt sich ihr Gesamtleben „in sich selbst ab“. Die Leiden aber, die diesen hohen689 Zustand in der Seele ermöglichen, bedeuten ein ständiges, schmerzliches Sterben des gewohnten Nehmens aus der690 erzeugten, und im gewissen Sinne noch der Materie verhafteten Grundlage. Das Leben auf jener neuen Grundlage aber streckt sich aus sich selbst heraus. Da erfährt man, was es heißt: Gott ist aus sich selbst! In die volle Realität dieser Wahrheit kann aber in gewissem Sinne kein Mensch eindringen.

2095 |        In Wirklichkeit kann man aber nie nur eine wesentliche Vollkommenheit Gottes ausschließlich und allein erleben – denn Gottes Wesen691 ist nicht teilbar – sondern es vollzieht sich dabei immer zugleich auch ein allgemeines Aufnehmen des göttlichen Lebens oder eine gewisse Abrundung der in besonderer Weise erlebten göttlichen Eigenschaft. Es können jedoch bestimmte göttliche Eigenschaften und Vollkommenheiten, je nach der besonderen Berufung, bis zu einer besonders hohen Spitze in der Seele nachgebildet und nachgeformt werden. In meinem Falle sind es jene göttlich wesentlichen Vollkommenheiten, die für mich die Grundlage und Voraussetzung bieten zum Erleben der göttlichen Erlöserperson. Zur Tragfähigkeit für die zweite göttliche Person braucht meine Seele jene göttliche Ausstattung, die sich als Dauerzustand bewähren muss, weil sich jenes kommende Erleben als „Selbst-Erlebnis“ wie auf eigener Selbst-Grundlage ausbilden und offenbaren wird. – In Wirklichkeit gebraucht mich die göttliche Erlöserperson692 Christi zu ihrer Dienstbarkeit, der mein Ich überantwortet ist.

2096 |        Dieser Zustand prägt sich jetzt schon in einem sehr hohen Maße in mir aus, wenn er auch in Worten nie ganz zu erklären ist. Die Existenz „für mich“ ist verloren, während die neue, geistige Existenz ein ganz anderes „für mich“ bedeutet. Dieses neue „für mich“ liegt mir ungleich näher, ja, es ist eines, weil darin Existenz und Sein eines ist. – In Gott ist nur „Eines“, ist Sein und Existenz, ein und dasselbe. Aus dieser Tatsächlichkeit ergießt sich die Fülle Gottes, weil die Unteilbarkeit seines göttlichen Wesens nun die angeglichene Seele erfassen kann. Damit scheine ich die für meine Aufgabe erforderte Spitze Gottes, zu erreichen. Ich erlebe auf dieser „Spitze Gottes“ eine Fülle des „Lebens“, die mich ständig trinken und gesättigt sein lassen693 „aus mir selbst“. –

2097 |        Ich habe heute Nacht gut geschlafen, war aber ständig „wach“ und erlebte diese Fülle Gottes. Ich schaue mit großem Entzücken und gesättigt von „mir“ selbst herab auf die Niederungen meines menschlichen Seins, gleichsam wie jemand, der vom Berge in die ihm zu Füßen liegenden Täler schaut, glücklich, dort oben weilen zu können und gesättigt zu sein von der Höhe. – Doch diese Höhe und Spitze ist nur der Vorhof Gottes. Von dort geht es in die eigene Tiefe hinein. Meine Aufgabe ist es nun, in die Tiefe der heiligsten Dreifaltigkeit einzugehen, dem „Worte“ zu dienen, das ständig vom „Vater“ gezeugt wird als „Erlöser“. –

 

03.03.1943

2098 |        Ich bin nun auf einer Höhe des in mir erreichten geistigen Zieles angelangt, die es mir ermöglicht, dieses Ziel in mir selbst, ohne Hemmung, zu leben. Es fehlen aber694 wiederum die menschlichen Worte und Ausdrücke, um dieses Ziel zu erklären. – Die geschaffene „Zweiheit“ der Seele ist in mir in einem wahren Sinne geschlossen, überbrückt und wie zu errungener „Einheit“ und Einfachheit geworden, aber nicht aus meinem eigenen freien Erringen, sondern kraft des Wesens der göttlichen „Einheit“ oder des einen, reinen Aktes, in das ich so tief einbezogen und dem ich so weit angeglichen wurde. Kraft der entsprechenden Lebenseinheit mit Gott bzw. mit der göttlichen Person Christi bestehe ich in „einem Akt“, das ist aus695 dem Sein selbst, das Leben und Dasein selber ist und worin alle Daseinsmöglichkeit enthalten ist. Dieses „eine Sein“ hat sich aber auch in seiner696 Tiefe so durchgesetzt und durchgebildet, dass es „aus sich selbst“ als absoluter Selbststand bestehen kann. Ich bin in solchem Maße dem „Leben“ der göttlichen Person des Wortes überantwortet, dass sein Leben zum meinigen geworden ist; kraft der inneren Leiden ist meine Seele für sein göttliches Wesen wie umgeschmolzen worden, sodass ich nun „sein Wesen und Sein“ als das Meinige ertragen kann. Ich kann nun in Wahrheit sagen: „Das“ bin ich und es ist mein Lebenselement und meine Seinsgrundlage geworden. Wohl laufen außerhalb dieses „neuen“ Lebens noch schwache, frühere Fäden und Betätigungen „meines alten Seins“ mit, aber diese haben keine Bedeutung und beengen und behindern im Wesentlichen das Höhere, Wirkliche gar nicht. Diese noch gleichsam von fern sich zeigenden, schwachen eigenen Betätigungen sind mir selbst lästig, weil die ganz überflüssig sind, und ich weiß, sie werden dann vollständig abgelöst, sobald das Leben Christi in mir vollkommen funktionsfähig ist, weil dann entsprechend andere, wesentliche Bewegungen an deren Stelle treten werden. (So wurde mir [es] innerlich erklärt!)

2099 |        Mein inneres Ziel697 ist wohl objektiv, in sich, ein rein gottgeschenktes, aber subjektiv, was mich anlangt, ist es auch an mein eigenes Mitwollen und Mitgehen gebunden, sodass ich ihm mit aller Kraft und Energie zustreben muss. Das Eindringen in die göttlichen Geheimnisse soll ja – wie mir Jesus erklärte – nicht ein visionäres oder ein Schauen698 sein, also nicht nur ein „geliehenes oder geschenktes Gut“, sondern soll ein „erworbenes Gut“ sein, das wirklich herausgewachsen ist aus vielen besonderen Gnaden und vielem eigenen Mühen699 und Leiden. Deshalb musste im Mitwirken mit der Gnade die eigene Überwindung des Selbstisch-bindenden mit aller Kraft und in immerwährender Kampfstellung geübt und betätigt werden. So ist mein inneres Leben nicht einseitig auf ständigen Wundern der göttlichen Gnade aufgebaut noch darauf eingestellt, sondern es beruht zugleich auf tiefster und folgerichtiger Selbstbetätigung und unmittelbarer Selbstarbeit, sodass ich in einem wahren Sinne sagen kann: Ich habe mir das „Leben“ Jesu erworben, wenn es mir auch als letztes Ziel und Aufgabe nur durch besondere Gnade geschenkt und gegeben wurde.

2100 |        Neben der besonderen Zielführung soll nach Gottes Absichten durch den beschriebenen Weg auch allgemein bewiesen und gezeigt oder in Erinnerung gerufen werden: Die Früchte einer vollen Ausnutzung der Kräfte und Fähigkeiten der Menschenseele, die Weckung ihrer Vergeistigungsmöglichkeiten, ihre von Gott geschaffene Zielstrebigkeit zu Gott hin, ihre höchste Möglichkeit, gleichsam in Gott aufgehen zu können, ihre letzte Bestimmung, Gottes Wesen erfahren, erfassen und erleben zu können. Eine höchstmögliche sittlich-religiöse Vervollkommnung führt die Seele in die Nähe des Wesens Gottes, dessen göttlich-wesentliche Vollkommenheiten bei der Erschaffung der Seele als Urvorbild dienten. – Der höchste und letzte Zweck meiner besonderen Gnadenführung bzw. meines Innenlebens ist aber der: Dass Gott die Menschheit dadurch tiefer einführe700 in seine Geheimnisse, besonders in das der Erlösung, und dass damit aus seiner Liebe neue Gnaden eröffnet werden. Gottes Liebe offenbart sich ja in besonderer Weise im tiefsten Geheimnis dieser Liebe: im Geheimnis der Erlösung. –

2101 |        Mein jetzt erreichtes Ziel führt mich wie naturgemäß durch Jesu Leben weiter in einer neuen Auswirkung der göttlichen Wesenheit Christi: Er ist nämlich „einer von den Dreien“ des dreipersönlichen Gottes. – Dem Wesen nach ist er dem Vater und dem Heiligen Geiste vollkommen gleich, aber als Person ist er ein anderer als Vater und Heiliger Geist. Er ist „Derjenige“, der immerwährend vom Vater gezeugt wird und in göttlich-gewollter Liebes- und Lebensgemeinschaft mit dem Vater den Heiligen Geist hervorbringt. – Gottes Wesen ist in sich ständige „Bewegungslosigkeit“ („Bewegung“ hier im gewöhnlichen, menschlichen Sinne genommen), ist Sein, ohne „Tätigkeit und Selbst-Produzieren“ (wie es in der menschlichen Seele z. B. herrscht). Gottes701 Dasein beruht auf keinerlei Bedingungen und Voraussetzungen. Gottes Sein und Wille selbst ist ihm Existenz, mittels deren er auch alles Geschaffene ins Dasein setzt und erhält. Und doch kann man sich menschlich so ausdrücken: Gottes Sein hat eine notwendige Bedingung, nämlich die: seine innergöttliche Herrlichkeit erströmen zu können. Seit Ewigkeiten war und ist es Gottes notwendige Bedingung, dass sein Wesen sich in drei Personen erströme, um seine innergöttliche Herrlichkeit gleichsam in sich selbst zum Ausdruck zu bringen. Es gehört zu Gottes Wesen, sich mitzuteilen, zu verströmen und sich zu verschenken, sich ständig in seinem tiefsten Wesen und Sein zu eröffnen. Und der einzige Beweggrund hierfür ist sein Wesen selbst, seine wesenhafte göttliche Liebe. – Wo wirkliche Liebe ist, muss sie sich betätigen, mitteilen und muss sie wieder fruchtbar und dienstbar werden. Und Liebe dieser Art, Liebe ohne Maß und Grenzen ist Gottes Wesen selbst. In diesem Sinne kann daher Gottes Wesen niemals „ruhig“ sein, und sind in ihm ständig göttlich-wesentliche Bewegungen, die, weitergeleitet, neue Fruchtbarkeit der wesenhaften702 Liebe erzeugen und hervorbringen. Dieser Urgrund der Liebe ist das Wesen des ewigen Vaters; sein Wesen ist es, ständig neue Liebe zu zeugen, Liebe, die ihm wesensgleich ist, die aber doch wieder eine neue Art von Betätigung finden soll. Und ewig zeugt der Vater diese Liebe als den Urquell aller Wesen, zeugt die Liebe der zweiten göttlichen Person, die Liebe des Erlösers. – Das Sein des Wortes „hebt sich personhaft ab“ vom Vater, obwohl wesenhaft eins im Vater als ein göttliches Wesen. Der Sohn als solcher ist ein anderer als der Vater und Erzeuger, weil der Vater als Urquell der Liebe diese Liebe wirklich und ständig zur „Tat“ werden lassen will. Der Sohn führt aus, was im Vater seit Ewigkeiten verborgen war. Somit ist der Sohn als vom Vater Gezeugter der Gesandte der Liebe des Vaters, das Wort, das „tut“, was im Vater sich ständig bewegt und was ihn bewegt.

2102 |        So hat also Gottes Wesen in sich doch „Bedingungen“, die ihn zu dem machen, was er ist, Bedingungen, die seine göttliche Liebe fruchtbar und dienstbar machen, Bedingungen aber, die ihm wesentlich sind und seinem Sein entsprechen, und diese höchste Bedingung ist seiner Liebe Eigenart, die ihn zum Dreipersönlichen macht, und das von Ewigkeit her. Gottes Wesen bewegt sich in wesenhafter Weise im immerwährenden Erströmen seines Seins vom Vater zum Sohn und in der göttlichen Bewegung Beider703 im Heiligen Geiste. In dieser doppelten Form und Vorgang704 ist die wesentliche göttliche Liebe in sich in drei Personen fruchtbar. Es sind drei Teilhaber an einem Ganzen, von welchen jeder ein Ganzer ist. Diese göttliche Liebe wird fruchtbar auch nach außen über die ganze Schöpfung hin. Im Worte als dem Sohne und Gezeugten des Vaters wird die göttliche Liebe durch die „Tat“, die Ausführung fruchtbar, im Heiligen Geist durch die Belebung, die Kraft und Liebe des Vaters. Und doch sind all diese göttlichen Wesensfrüchte der Liebe nicht geteilt in sich, sondern es ist dem Wesen nach die eine göttliche Liebe, die sich durch die Fruchtbarkeit der innergöttlichen Bewegungen in der Verschiedenheit der drei göttlichen Personen äußert und die innergöttliche Herrlichkeit gleichsam ausdrucksvoll und sichtbar macht. –

2103 |        In der Zeit, und zwar „als die Fülle dieser Zeit gekommen war“, sandte Gott seinen eingebornen Sohn. Die Zeitbedingungen bewogen von Ewigkeit die Liebe des Vaters, das „Wort“ als Erlöser der Welt zu zeugen, und ebenso war es die Liebe des Vaters, die das Wort von Ewigkeit als Urvorbild der Menschheit zeugte. Nachdem der Glanz des Abbildes dieses göttlichen Ideals im Menschen durch die Sünde verloren gegangen war, sandte er das Wort, den göttlichen Ausdruck seiner Liebe und Barmherzigkeit, auf dass in ihm die Menschheit wieder zurückgeführt werde; „in ihm, dem Sohne“: Denn in ihm war alles, war die gesamte Menschheit, so, wie die ganze Schöpfung und die göttliche Herrlichkeit im Vater war.

2104 |        Seit gestern werde ich einer neuen Vertiefung meines Innenlebens inne. Es bereitet sich in mir eine höchste Inanspruchnahme meines ganzen Seins vor, eine bis jetzt noch nie erlebte Inanspruchnahme durch die göttliche Person Christi. Es vollzieht sich ein Überantworten meiner selbst in seine göttliche Gewalt und Autorität, ein Hinbewegen und Unterstellen all meiner Kräfte unter seine Herrschaft. Mein Sein (soweit es bis jetzt noch nach außen vorhanden war, dieses Außen aber rein geistig gemeint [ist]) verliert sich in der Fühlungsnahme mit ihm und im Sinn und Zweck dieser besonderen Vereinigung mit ihm. Ich bewege mich hinein in die volle Konsequenz dieser Art der Vereinigung mit ihm. In ihm, als er, bin ich für immer innerer Teilhaber des Erlösungsgeheimnisses.705 Meine Kräfte dienen seiner göttlichen Person, dienen jener göttlichen Bewegung, mittels derer das göttliche Wort, als Erlöser sein göttliches Leben als Menschensohn lebt, wesenhaft Gott aber umkleidet von der irdischen Gestalt und Tragkraft der menschlichen Natur. – Ich besitze mich in einer wunderbaren geistigen Elastizität und Fähigkeit der Einordnung und Unterstellung706 unter die höchste göttliche Kraft, die mich leitet.

 

05.03.1943

2105 |        Heute, am Herz-Jesu-Freitag, wurde mir die Gnade einer speziellen Vollendung zuteil, nämlich ein bestimmter Abschluss einer Periode meines Innenlebens: Das Eingehen in die göttliche Seinsgrundlage, die ich nun ertragen kann, soweit sie für meine spezielle Berufung notwendig ist und mir deshalb durch eine besondere Gnade mitgeteilt wurde. – Die Art dieser Gnade selbst lässt sich an Worten nicht erklären, obwohl deren Auswirkung in meinen Inneren von umwandelnder707 Bedeutung ist.

2106 |        Gestern waren die inneren Leiden schwer. Alles stürmte nochmals auf mich ein: All die erlittenen Ungerechtigkeiten und Lieblosigkeiten der letzten Wochen, meine äußere Existenzlosigkeit und dabei doch der von mir geforderte ganze persönliche Einsatz für die Absichten des Herrn, obwohl ich eigentlich nichts als mein Eigen habe, wohin ich mein Haupt hinlegen708 kann. Die menschliche Natur empfindet dies hart, besonders in Anbetracht der heutigen Zeitumstände und meines Innenlebens, wodurch eine gewöhnliche Lebenslage und Lebensbedingung für mich nicht möglich ist. – Dennoch wurde ich auch im Heranstürmen all dieser tatsächlichen und wirklichen Leiden immer wieder gleichsam aufgenommen in Christi sein, wozu ich die geistige Möglichkeit in mir vorbereitet erlebte und worin ich vollen Ersatz fand. Trotz alles Entbehrens einer äußeren Selbstständigkeit, die mir durch die innere Berufung genommen ist – (und der letzten schweren Ereignisse)709 –, war am Abend ein heiliger Friede und volle Ruhe mein Anteil.

2107 |        Heute Morgen hatte ich den Antrieb nach S. Lorenzo zu gehen. Dort kam ich in „die Vollendung der göttlichen Seinsgrundlage“ als meiner nunmehrigen eigenen geistig-sittlichen Lebensgrundlage und in eine „Sammlung meines Seins wie als Naturanlage“. – Ich wurde auch anderer Geheimnisse inne. Besonders verstand ich das Geheimnis, wie Gottes Führung gerade durch diese oder jene Leiden diesen meinen jetzigen Seinszustand in Gott erreichen konnte und wollte. Die gewaltsame Wegnahme aller irdischen Güter und eines selbstständigen äußeren Lebensstandes brachte mir wohl große Leiden, aber nur aufgrund dieser vollkommenen, inneren Entblößung von allem Äußeren konnte ich die göttlichen Güter, die Jesus mir indessen710 mitteilte, geistig voll und wirklich in mich aufnehmen. Ja, wie viele Dinge trägt der Mensch an sich und in sich, die er in Gott entbehren könnte, und welches Maß von äußerer und innerer Selbstentäußerung ist für eine Seele notwendig, wenn sie in jener Tiefe und Fülle in Jesus aufgenommen werden soll, wie ich sie jetzt als wirklichen Zustand und Habitus lebe! – All die vorausgehenden äußeren und inneren Losschälungen und Selbstentäußerungen haben mich zum „Kern und Wesen Gottes selbst“ geführt. –

2108 |        Ja, ich bin heute wirklich in den Kern und Mittelpunkt des Wesens Gottes eingeführt worden, und dies als mein bleibender Zustand. Und von diesem „Zentrum Gottes“ aus werde ich befähigt für Christi Sein und Leben. – Ich „war“ ganz in der Heiligen Dreifaltigkeit und „lebte“ im Heiligen Geiste die göttliche Einheit in Vater und Sohn. (Zum Erstenmale kam ich heute in fühlbare Begegnung mit dem Heiligen Geiste). Er ist die göttlich-wesentliche Liebeseinheit oder Liebesstrom zwischen Vater und Sohn, das innergöttliche, wesentliche Band in den beiden göttlichen Personen. Und im Heiligen Geiste wurde ich besonders aufgenommen in das göttliche Sein der zweiten göttlichen Person, des Sohnes und Erlösers, der immerwährend vom Vater gezeugt wird. Ich bin nun diesem Geheimnis ganz nahe gekommen, bin im Zentrum selbst angelangt dadurch, dass ich in das Wesen des göttlichen Wortes selbst aufgenommen bin – „indem ich in die göttliche Person des Erlösers einging“ –, aber in jener besagten Entblößung von allen inneren und äußeren Gütern und nur – vermittels seiner göttlichen Seinsgrundlage – von seinen göttlichen Gütern umkleidet. In dieser eigenen Selbstentäußerung, zu der ich durch die göttliche Führung in den letzten Jahren zuständlich gebracht wurde, erlebte ich mich in Jesus, in seiner Stelle, nun erst fähig, ganz in seiner göttlichen Entblößung bei seiner Menschwerdung versetzt zu werden und sie mir als die Meine, als meinen dauernden Zustand, zu eigen zu machen. Ich bin nun zutiefst – in einer, in Worten nicht zu erklärenden Weise – in die göttliche Selbstentäußerung Christi eingedrungen oder vielmehr in seinen Zustand. Es sind dies aber rein geistige, in Worten nicht wieder zugebende Begriffstiefen, Zustände und Wirklichkeiten in der Menschwerdung Christi. Ich war gleichsam „im Stall“, in Jesus, bei seiner Geburt und erlebte mich in jenem Grad der Selbstentäußerung Christi, wie es für meine besondere geistige Berufung notwendig ist. Dies kann aber immer nur vergleichsweise oder bildlich in Worten angedeutet werden, denn in den vollen wirklichen Zustand der Selbstentäußerung Christi als Gott kann man überhaupt nicht eingehen. – Jene selbstige Entäußerung meiner selbst711 und das gleichzeitige Eingehen in seine göttliche Person bot und bietet für mich die grundlegende Möglichkeit, um Jesu göttliche Selbstentäußerung als Mensch in einem dauernden Zustand leben zu können, sodass dieser geistige Habitus nun mein eigen ist und ich vermittels712 desselben die jetzige, große Freiheit im Wesen Gottes erlangen konnte. Der durch Gottes Gnadenführung erreichte Grad der Selbstbefreiung, bietet mir die entsprechende Freiheit und Möglichkeit, um derart an Gottes bzw. Christi Wesen teilzuhaben, dass sein Leben in einem wahren Sinne zum Meinigen werden kann. Durch die Erwerbung des göttlich-sittlichen Habitus des Wesens Gottes wurde ich in die Möglichkeit versetzt, das Wiesen Christi, des Erlösers zu erfassen, für den die göttliche Seinsgrundlage sowie die göttlich-wesentlichen sittlichen713 Anlagen als Grundlagen seines menschlichen Daseins dienten. Weil sich das menschliche Leben Christi auf dieser Linie und Grundlage gründete und bewegte, musste ich mir diese göttliche Seinsgrundlage erwerben, doch erst die vollkommene Befreiung von mir selbst bot mir den Weg und die Möglichkeit dazu. Und nun schaute und erkannte ich mich in diese für meine Aufgabe notwendige geistige Situation versetzt.

2109 |        Der göttlich-sittliche Vollkommenheitszustand in Christus hatte nicht zur Folge, dass ihn, beispielsweise, etwa die Armut und die Umstände seiner Geburt nicht berührt hätten, oder keine wirklichen Leiden für ihn gewesen wären, weil er – wie man zunächst einwenden könnte – als Gott alle geistigen Güter selbst zu eigen hätte, und in einer unaussprechlichen Loslösung714 und Entäußerung von den irdischen Gütern war. Freilich ist das Reich Gottes und Christi nicht ein Reich – und Sein715 – von dieser Welt und deshalb hätte ihm an sich die Armut seiner Geburt nichts anhaben und ihn nicht berühren können, weil das göttliche Sein weit erhaben über die irdischen Güter und Annehmlichkeiten ist. Gottes Wesen genügt sich selbst als göttlicher Genuss so vollkommen, dass an sich auch für Jesus als Mensch – der immer Gott blieb – die Armut nichts Drückendes gewesen wäre. Aber er hat sich freiwillig als Erlöser den Gesetzen der menschlichen Natur unterworfen und hat als wahrer Mensch alle Leiden und Entbehrungen eines wahren opfervollen Menschseins auf sich genommen. Christus gebrauchte die irdischen Güter und hatte es als wahrer Mensch nötig, sie zu gebrauchen, aber doch so, dass sein Sein, trotzdem er wahrer Mensch war, immer ein göttliches blieb. – Ich war nun in diesem freiwilligen Selbstentäußerungszustand Jesu als in meinem Zustand, sodass ich aus eigenem Erfahren bekennen kann: So ist Jesus in seinem Wesen als Gott und Mensch, in seiner göttlichen Seinsgrundlage auch als wahrer Mensch. Dieses jetzige Selbsterfahren Christi war aber noch kein in sich wesentliches Erfahren, wie es – mit ihm – wohl mein letzter, endgültiger Zustand mit sich bringen wird. Es war vor allem für mich ein tieferes Aufnehmen des geistigen Begriffes von Jesus, ein näheres Einfühlen und eine engere Fühlungsnahme mit seiner göttlichen Person, der ich überantwortet war, und es war im Besonderen auch eine Belehrung für mich, dass das Spürbar-sein irdischer Entbehrungen und das Leiden darunter keine Mängel oder Fehler sind, sondern berechtigte Folgen der empfindsamen menschlichen Natur. Die Natur verlangt ihre Rechte, wenn ein Menschenleben normal sein soll. Das Leiden unter fehlenden Lebensnotwendigkeiten ist keine Schwäche, wenn das Innere in der entsprechenden geistigen Ruhe und Ergebung bleibt, d. h., wenn der innere Tugendhabitus nicht dadurch716 erschüttert wird. Und diese wunderbare Tatsache war in der Seele Christi dauernd vorhanden. Er war Mensch auf göttlich vollkommener Seinsgrundlage, obwohl er zugleich gerade infolge der hypostatischen Vereinigung die höchste menschliche Empfindsamkeit besaß. Die göttliche717 Richtung und Vollkommenheit seines Innern erhöhte seine äußere Empfindsamkeit. Dies ist das Wunderbarste am göttlich-unveränderlichen Wesen Christi, dass es sich in sich selbst in gleichbleibender göttlicher Vollkommenheit besitzt, aber zugleich das äußere menschliche Leben empfindet mit dem vollen Bewusstsein seines göttlichen Rechtes und Anspruches auf solche äußere Lebensbedingungen, wie sie die Göttlichkeit in sich bietet und an sich auch äußerlich zu fordern berechtigt ist. In diesem göttlichen718 Schwerpunkt liegt die Tiefe der Leiden des Menschen Christus und dieser an sich719 berechtigte Anspruch und Bedarf auf entsprechende Lebensbedingungen war in Christus göttlich-wesentlich. Er wollte aber in allem „Mensch“ sein, auch im vollen Empfinden und Erleben des ganzen Maßes der Selbstentäußerung und des Selbstentzuges dieser göttlich-berechtigten Ansprüche seines göttlichen Wesens.

2110 |        Die heute erhaltene Gnade hat umwandelnde720 Bedeutung für mein ganzes Sein. Sie bedeutet ein ganz hohes Sich-Einfühlen-Können in das Wesen der göttlichen Erlöserperson infolge der Eigenart der göttlich-wesentlichen Seinsgrundlage, zu der ich nun erhoben und von der mein ganzes menschliches Sein ergriffen wurde. Ich bin in mir selbst so „Eines“, auf einer Linie, und mein menschliches Leben „ruht“ in dem „Einem“ in mir. Und dieses „Eine“ ist leicht, erhaben, ganz Geistigkeit, worin mein menschliches Leben eingebettet ist. – Jetzt kann ich annähernd begreifen, dass es nach den ersten Absichten des Schöpfers für die Menschheit möglich gewesen wäre, dass der Mensch ohne Tod und Sterben mit Leib und Seele hätte Gott schauen und genießen können. Dies brachte die unaussprechliche Erhabenheit und Geistigkeit des erstgeschaffenen und sündenlosen Menschen mit sich. Die Geistigkeit der Seele ist die erste Voraussetzung und Möglichkeit, um das Wesen Gottes erfahren zu können. Die Seele ist in sich selbst in ihrer ersten und vornehmsten Anlage der „Fühler“ und das „schauernde Licht“ für Gott. Dementsprechend war auch der Leib vergeistigt, sodass er den Anlagen der Seele zu Gott in keiner Weise hinderlich war, unter dem „Gott schauen“ ist ja nicht so sehr ein Schauen mit den Augen des Leibes zu verstehen als vielmehr das Erfahren Gottes und seines Wesens mit den Kräften der Seele. Dazu ist die geistige Seele mit ihren Kräften – vorausgesetzt die von Gott geschaffene Übernatur – ihrem Wesen nach befähigt. Im ersten Zustand wären Seele und Leib ohne Tod in diesen glückseligen Zustand gelangt, aber immer wäre „die Seele selbst“ der Hauptfaktor in der Anschauung Gottes gewesen; denn Gott ist Geist und auch die Seele ist Geist und nur auf diesem wesentlichen Wege können sich beide begegnen. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Augen des Leibes nicht fähig waren für ein etwaiges bildliches „Anschauen“ Gottes oder dass Gott sich ihnen nicht in einer erklärenden bildlichen Gestalt hätte zeigen können; doch dies würde nicht das Wesen des Gottesschauens bedeuten und brächte auch nicht die letzte und höchste Glückseligkeit für die Seele. Die höchste Seligkeit und der tiefste Genuss ist ja nach meinem Erfahren dies: Gottes Wesen in sich selbst verkosten und genießen zu können. Dieser wesentliche Genuss Gottes ist aber der Seele allein vorbehalten. Wenn nach der Auferstehung am Jüngsten Tage auch der Leib „teilnimmt“ an der Beseligung der Seele, so kann dieses Glück vielleicht auch nur ein unmittelbares Überströmen der gottgenießenden Seele auf den Leib sein, der dann entsprechend vergeistigt werden wird, dass er an der Seligkeit der Seele in der ewigen Glorie teilhaben wird. –

 

(M1 S. 54b / M2, S. 54)

2111 |        Zusammen mit meinen inneren Erfahrungen habe ich heute auch gewisse geistige Richtlinien für das gottgewollte Priesterwerk erkannt. Zu diesen721 grundlegenden Wesenszügen gehört: Das ganze Menschenleben auf Gott konzentrieren und hinrichten; – die Vollkommenheiten des Wesens Gottes in Anspruch nehmen und gebrauchen; Gott und seine Gnade anfordern und zuversichtlich erwarten; ja dieses Anstreben und Anfordern Gottes zum Mittelpunkt des ganzen Lebens machen. Wenn Gott zum Zentralpunkt des Priesterlebens gemacht wird, dann wird sich die Fülle Gottes in ein solches Priesterleben ergießen.

2112 |        Das religiöse Leben vereinfachen, d. h. es ganz christozentrisch auf die Erlösung als auf das für uns Wesentliche einstellen; in Christus das hohe Ziel des Priesters verwirklichen; die Gnaden der Erlösung entsprechend den göttlichen Liebesabsichten in vollem Maße aus dem Herzen des Erlösers herausholen, anfordern und gebrauchen. Zum Mittelpunkt des ganzen Christenlebens emporsteigen, der Christus selbst ist. In das Wesentliche des Christentums eindringen, nämlich in diese ewigen Wahrheiten:

1. Der Mensch im ersten Zustand und die reine Paradiesesseele, – der Mensch im gefallenen Zustand und die gefallene Seele, die wieder zur wesentlichen ersten Reinheit hinstreben und zurückkehren soll.

2. Die zweite Person in der heiligsten Dreifaltigkeit als Erlöser.

3. Der Erlöser und der Inbegriff der Erlösungsgnaden, die in ihrem ganzen Ausmaß angefordert und gebraucht werden sollen;

4. Die Seele in ihrer Umgestaltung kraft der Erlösungsgnaden Christi.

5. Die Fülle Christi in seinen Erlösungsgnaden; wirklich aus sich eine „erlöste Seele“ machen.

6. Auf diesem Wege die Seele wirklich zu einem „zweiten Christus“ machen und darin den Kernpunkt des Christentums sehen.

7. Das ganze religiöse Leben vereinfachen, gleichsam den Weg zum Ziel verkürzen, alles auf das Wesentliche einstellen und sich dort befestigen.

8. Sich ganz für ein Leben in Gott in diesem Leben und im Himmel befestigen und so die Absichten, die Gott bei Erschaffung des Menschen hatte, voll verwirklichen.

2113 |        Gott hat den Menschen für sich erschaffen und er selbst will die Beseligung der Seele sein. Was uns aber durch die Sünde verloren ging, ist uns in Christus ersetzbar und möglich geworden.

2114 |        Der Priester muss zuerst sich selbst zu einer erlösten Seele erziehen und heranbilden und in sich das Ideal verwirklichen; er soll ein Vorbild eines christozentrischen Lebens werden und dieses dann auf das Volk übertragen zu suchen. Und Christus gibt und eröffnet sich dann selbst722 dem Priester und [er] wird sein Leben werden.

(Ende 54b)

2115 |        Gedanken über die Zeitnotwendigkeit des Priesterwerkes (M1 S. 54a / M2 S. 55)

1. Die heutige Gottlosigkeit und Glaubensschwäche.

2. Die Materialisierung des heutigen Zeitgeistes.

3. Das schrankenlose Sich-selbst-genießen-wollen.

4. Die Überhebung des eigenen Ich über das göttliche Gesetz der vollen Abhängigkeit von Gott.

5. Die Auswirkungen und Verheerungen dieses Zeitgeistes in der Kirche.

6. Die Verflachung des priesterlichen Geistes.

7. Der Priester als Träger des Geistes einer absoluten Abhängigkeit von Gott und eines vertieften Glaubens.

8. Vertiefung des Gottesglaubens durch Zurückführung bis auf die tiefste Quelle des Menschentums: der Mensch als Eigentum Gottes.

9. Im vertieften Glaubensgeist die Erlösungsgnaden in ihrem vollen Ausmaß sich aneignen und ausnützen.

10. Die Früchte werden dann sein:

a)   Selbsterneuerung durch die tiefste Glaubensquelle: Christus der Erlöser!

b) Das Reich Christi im einzelnen Priester aufgerichtet.

c)   Das „Licht wird dann auf den Leuchter gestellt“: der Priester das Licht der Welt.

d) Das neue723 vertiefte Priestertum bleibt nicht verborgen: „Die Stadt auf dem Berge“.

e)  Als „Salz der Erde“ wird das Priestertum die Fäulnis der heutigen Zeit überwinden.

2116 |        So wächst das Priesterwerk aus den heutigen Zeitverhältnissen heraus und ist in seiner Entfaltung und Auswirkung ein Heilmittel gegen die übel der heutigen Zeit.

 

07.03.1943

2117 |        (In S. Giovanni): Herr, ich will leiden; alles andere mach du!

 

21.03.1943

2118 |        Weil unser Leben so voll Leiden und Verdemütigungen ist, habe ich die Hoffnung, dass Jesus seine Versprechungen wahr machen wird; – wenn ich angesehen und ohne Kreuz wäre, müsste ich vielmehr fürchten, nicht auf dem rechten Wege zu sein und ein Opfer des bösen Feindes zu werden724. Aber meine Leiden und Verdemütigungen sind meine einzige Hoffnung und werden den Sieg bringen725. –

 

23.03.1943

2119 |        Abends, in der Kapelle war ich in einen726 erhöhten Zustand des „Lebens“ Jesu versetzt und dabei ließ mich Jesus innewerden: „Dieses Leben wird mein Werk zum Siege führen“. –

 

25.03.1943

Maria Verkündigung

2120 |        Wie lang, wie lang ist der Weg, der mich endlich an das von Jesus mir gestellte Ziel führt! Und doch schreite ich innerlich ständig und immer weiter: Es ist ein andauerndes, geistig-organisches Wachsen in mir, wenn es auch in Worten nicht mehr im Einzelnen auszudrücken ist.

2121 |        In den letzten Wochen (seit dem Herz-Jesu-Freitag am 5.3.) vertiefte sich die in mir nachgebildete göttliche Seinsgrundlage. Wie immer in diesen geistigen Entwicklungen, wurde zuerst der höchste Teil oder die höchste Anlage der Seele für diese nachgebildete göttliche Seinsgrundlage in Anspruch genommen und soweit in mir herrschend gemacht, dass nach und nach mein ganzes Sein in diese hineingezogen wurde. Diese allgemeine Einbeziehung war wieder von entsprechenden, ständigen Leiden begleitet. – Ich war in mir selbst wie in „Flaum“ gebettet, so weich und grundlos, wie in mich selbst versinkend. All das Massive, für gewöhnlich das menschliche Sein Tragende, war wie aufgelöst in mir in einer eigenen und selbstigen Grundlosigkeit, die wie ein Nicht-Existieren oder Nicht-sein schien im Vergleich mit dem früheren, gewohnten und gewöhnlichen Sich-selbst-behaupten und dem daraus sich ergebenden „Selbst-Regieren“. Es war scheinbar oder wirklich „kein Stoff“ und keine Fähigkeit mehr da, um die früher gewohnte Aktion jenes Selbst-Erzeugens und Selbst-Regierens ausführen zu können. Ja, es ist nicht einmal mehr die Anregung und Möglichkeit dazu vorhanden, weil alle entsprechenden seelischen Kräfte und Fähigkeiten wie totgemacht oder vielmehr schon in die nachgebildete, göttliche Seinsgrundlage in das göttliche Leben, übergeschaltet sind. Die fortschreitende Vereinigung mit Gott in einer wesentlichen Form vollbringt dieses Aufsaugen und Überschalten meines Seins in das göttliche Sein und dessen entsprechende geistige Bedingungen. Ich kann sagen: Ich werde mir selbst weggenommen und gleichzeitig in einen göttlichen Dienst gestellt, in dem Jesus der Befestiger und das Haupt ist, und doch scheint diese Funktion mir selbst übertragen zu sein, denn sie ist auch meinem „Ich“ überantwortet oder vielmehr Jesus macht sich wie zu meinem Ich und wird zu meiner selbstigen eigenen Grundlage. Seine göttlichen Eigenheiten werden zur Grundlage meines Seins, worauf sich mein Leben aufbaut; denn dies ist die Grundbedingung für das Erleben-Können seines inneren Lebens, wie es meiner seelischen Berufung entspricht. – In diesem geistig-organischen Wachstum des Lebens Jesu in mir erfahre und erlebe ich immer wieder viele Geheimnisse der Wesenhaftigkeit und des Wesens Gottes in sich, das in Christus dem Menschen unverändert weiter bestanden und dem Leben und Dasein Christi als Mensch zur Lebensgrundlage gedient727 hat. Ich erfahre zu tiefst die geheimnisvolle Wahrheit: Will man das innere Leben Christi erforschen und ergründen, so muss man zuvor in das Wesen Gottes und des göttlichen Seins einzudringen suchen.

2122 |        Mein inneres Leben entwickelt sich jetzt in einer, wenn auch im Vergleich zu Gott ganz schwachen Nachbildung des göttlichen Wesens Christi selbst, in das ich immer mehr eingeführt werde und eingehe. Niemals wäre es ja einem Menschen möglich, das volle Ausmaß seines göttlichen Lebens und Seins in sich aufzunehmen als selbstige Grundlage und eigene Lebensbedingung; denn dieses göttliche Sein und Leben ist nur „einmalig“ und ohne Wiederholung, aber trotzdem ist es die vornehmste Anlage der Seele728, das göttliche Wesen in einem wahren Sinne und in immer höher sich entwickelten Möglichkeiten und Steigerungen sich zu eigen zu machen. – Das Grundgeheimnis Christi in sich ist aber sein göttliches Wesen, die bleibende göttliche Seinsgrundlage, auf der sein menschliches Leben aufgebaut war und die auch für sein menschliches Leben das Entscheidende und Beherrschende war: Gottsein war Christi Leben und Sein auch in seiner Menschheit. – Da gab es keine Teilung oder Abschwächung oder Abstufung seines göttlichen Habitus. Ein Vergleich: Die Sonne bleibt immer Sonne ihrem Wesen nach, auch wenn sie für uns von Wolken verhüllt ist; wohl erfährt ihre Wirkung bzw729. Wirkkraft eine Verminderung durch die Verdunklung infolge der Wolken, insofern sie ihre Strahlen nicht so durchdringen lassen und darum nicht in gleicher Weise erwärmen und das Wachstum in der Natur fördern kann; sie erfährt dabei nicht eine Verminderung ihres Daseins, aber doch eine Verminderung der Auswirkung ihres Daseinszweckes. In Christus erfuhr aber die Sonne seiner wesenhaften Göttlichkeit, die zugleich sein menschliches Sein730 bestimmte und ausmachte, ebenso wenig irgendeine731 Verdunklung oder Abschwächung dem Wesen nach. Die göttliche Seinsgrundlage formte zugleich sein menschliches Sein. Hier liegt das tiefste Geheimnis des Gott-Menschen Christus verborgen. Die göttliche Seinsgrundlage war gleichsam die „Achse“ seines menschlichen Lebens, die wirkliche Grundlage seines menschlichen Lebens.

2123 |        Wenn Jesus sich auch in solch unleugbarer intimer Weise mir sich in seinem tiefsten göttlichen Wesen zum Erfahren und Erforschen gibt, so kann doch nie ein menschliches Wort dies wiedergeben! Dieses Erfahren Jesu steigert sich nun ständig als Selbsterleben wie mein eigener Zustand. Die wunderbare Intimität und Vereinheitlichung meines eigenen Seins erhöht sich wie in einem organischen Wachsen. Nach meinem menschlichen Erfahren und Begreifen komme ich mir selbst unmittelbar „nahe“, sodass mein Dasein gleichsam auf das „Sein“ selbst zurückgeschraubt wird und die Unterscheidung zwischen Sein und Dasein aufzuhören scheint. Das „Sein“ ist zugleich mein Dasein und meine Existenz. In diesem unmittelbaren Vereinheitlichungsprozess scheint man in der Fülle der wie „leer“ stehenden Kräfte zu ersticken, weil nun das Dasein allein aus dem Sein selbst bestehen muss. Und dieses Sein ist wie grundlos in sich und ist aus dem reinen Akt des Seins und Bestandes selbst wirksam. Da erfährt man den ungeheuren Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Sein: Gottes Sein ist wirklicher, voller Bestand aus sich selbst; des Menschen Bestand, Dasein732 und Existenzmöglichkeit wird aber aus seinem Sein erzeugt. Der Mensch trägt sich und lebt kraft seiner Fähigkeiten und Kräfte – wenn ihm auch dieser selbstige Tragvorgang nicht immer733 zum Bewusstsein kommt, weil er eben zu den Lebenselementen seines tiefsten Selbst gehört, das der Mensch eigentlich nie ganz ergründen kann. Gottes Wesen aber ist selbst zugleich Sein und Dasein in höchster Fülle. Und diese göttlich-wesentliche Seinsfülle formte und bildete im Erlöser zugleich das wesentliche menschliche Dasein und das organische Leben. In Christus war Sein zugleich Dasein und sein göttliches Sein erfuhr in seiner Menschheit keine Verminderung oder Abschwächung. – Das ganze Ausmaß dieses Wunders in der Menschwerdung Christi mit seiner bleibenden göttlichen Seinsgrundlage kann man aber erst ermessen, wenn man734 in eigenem Erfahren die Anforderungen und Beanspruchungen erlebt, die auf der Ebene der göttlichen Seinsgrundlage an die menschlichen Kräfte gestellt werden.

2124 |        Was wir Menschen „Leben“ nennen, ist eine Inanspruchnahme aller menschlichen Kräfte zu einer zusammengeschlossenen und harmonischen Funktion; alles im Menschen dient dieser735 Funktion, die wir das „Leben“ nennen. Und das „Leben“ fordert zu dieser seiner Funktion alle Triebkräfte, Betätigungen und Behelfe an, wodurch ein menschliches Dasein erst ermöglicht wird. Die Ausnützung der im Menschen grundgelegten Werte hängt aber letztlich von der höchsten Kraft im Menschen ab, vom Beansprucher und Anforderer der selbstigen Kräfte, vom Gebraucher und Verbraucher des Daseins, von der Person. Im Menschen ist die Person selbst der Gebraucher und Beansprucher, das Tragende und Anfordernde. Und zwischen der Person und den ihr zur Verfügung stehenden Kräften besteht eine Wechselwirkung. Je nach der Werthaftigkeit und Höhenlage. Der Geistesmacht und Selbstbehauptungskraft der Person und ihrer Anlage werden die Kräfte des menschlichen Seins zum Dienste der Person und ihres Daseins herangezogen. Wie die „Seele“ im Grunde das Entscheidende, und insofern selbst das „Leben“ im Menschen ist, so wird das Dasein und die Existenzmöglichkeit des Menschen von der höchsten Kraft und Wirklichkeit der geistigen Seele, von der Person selbst dirigiert und angefordert. Das seelische und leibliche Sein des Menschen machen das eine Leben des Menschen aus und die eine Person fordert die physischen und psychischen Kräfte an, bildet und gebraucht sie nach ihren Bedürfnissen und wird ihrerseits von ihnen angeregt. Obwohl das menschliche Leben von zwei verschiedenen Teilen und Kräftearten getragen wird, ist doch alles einheitlich; denn das seelisch-geistige Leben greift derart in das leibliche ein und wird seinerseits von diesem gestützt und getragen, dass das leibliche Leben für die Seele in diesem Leben zu einer notwendigen Ergänzung für sein736 tatsächliches Dasein wird. Und das leibliche Funktionieren der körperlichen Eigenart beeinflusst wiederum die Funktion der Geisteskräfte und wird von diesen beeinflusst. In einem normalen Menschenleben herrscht auch volle Harmonie zwischen den Anforderungen der Person und den dieser Person zur Verfügung stehenden, ergänzenden Kräften, sodass der Mensch für sich selbst in dieser Hinsicht keinen Mangel spürt, weil ja die Art des Zusammen- und Ineinandergreifens von Höherem und Niederem das Dasein für die betreffende Person ausmacht. – Anderseits bestimmt und formt die Person die menschlichen Kräfte derart zu einer einmaligen, von jeder anderen Person unterscheidenden Einheit, dass ein Mensch nie mit den Kräften eines anderen existieren könnte; denn seine persönliche Eigenheit ist auf seinen737 selbstigen Anlagen aufgebaut und in sie eingebaut und alle Kräfte sind der Person angepasst. Darum wäre beispielsweise eine Übertragung der Kräfte auf einen anderen Menschen zu einer wirklichen Funktion nie ausführbar – wenn auch denkbar –, denn damit müsste dieser Mensch im gleichen Augenblick ein „anderer Mensch“, das heißt, zugleich eine andere Person mit einer ihr entsprechenden Tragkraft des menschlichen Seins werden. Eine Person lässt sich aber nie übertragen oder in eine andere Form einbauen; denn die Person selbst formt ihr eigenes, ihr zugehöriges Dasein und bereitet es zu. Mittels seiner Person ist der Mensch so sehr ein abgeschlossenes Ganzes, das er keiner wesentlichen Umänderung oder Ergänzung fähig ist. Gewiss kann sich die Spannkraft und Werthaftigkeit seiner Person erhöhen und vermindern, aber dies geschieht immer auf der Grundlage und im Rahmen der ihr eigenen selbstigen Anlagen. Mag darum auch ein Lebensband zwei Menschen noch so eng umschließen, in die höchste Anlage und Kraft des Person-Seins kann ein anderer niemals eindringen und in dieser Hinsicht bleibt ein Mensch dem anderen immer ein Geheimnis.

2125 |        Ausgehend von diesem natürlichen Geheimnis der menschlichen Person kann man nun schließen auf das Geheimnis der göttlichen Person im Menschen Christus. – Die zweite göttliche Person als wirkliche Person und selbstige Grundtragkraft belebte mit ihrer göttlichen Eigenart das menschliche Leben Christi und forderte als wirkliches, göttliches Sein in entsprechender Weise die menschlichen Kräfte an. Diese Inanspruchnahme durch die göttliche Person bewegte sich auf der gleichen Basis des wirklich Göttlichen, und [sie] gebrauchte die menschlichen Kräften zu einem tatsächlichen menschlichen Leben; denn es war im Grunde die gleiche Funktion notwendig wie in unserem gewöhnlichen menschlichen Leben. Die menschlichen Kräfte Christi mussten also den Ansprüchen und der Inanspruchnahme durch die göttliche Person folgen können, sonst wäre Christi Menschsein nur ein scheinbares oder doch kein wirkliches, von der Person geformtes Menschenleben gewesen, d. h., es wäre im einseitig Göttlichen stehen geblieben, wodurch die menschlichen Leiden als wirkliche Leiden infrage gestellt worden wären, und sein Leib wäre nur ein Scheinleib geblieben, dem die wirkliche, menschliche Funktion gefehlt hätte. Christus stellt als wahrer Mensch der göttlichen Person die entsprechenden zu einer menschlichen Existenz gehörigen physischen Kräfte und Betätigungen zur Verfügung; sonst wäre er kein voller ganzer Mensch gewesen, weil ihm das Tiefste im Menschen, die selbsteigene Funktion, gefehlt hätte. „Mensch sein“ heißt und bedeutet in erster Linie, der Person die zu ihrem Dasein nötigen Kräfte bieten. Das ganze menschliche „Leben“ dient im eigentlichen Sinne der Person, indem es ihr die Möglichkeit zu diesem irdischen Dasein oder die Existenzmöglichkeit auf eigener Grundlage gibt. – Der wesentliche Unterschied in Christus im Vergleich zu einer menschlichen Person besteht nun darin, dass in ihm die göttliche Person, der Träger seines menschlichen Lebens, sich auf göttlicher Seinsgrundlage bewegte und auf dieser Ebene und Grundlage die menschlichen Kräfte in Anspruch nahm. Ferner besaß seine göttliche Person schon im ersten Augenblick der Menschwerdung – wobei sie als göttliche Tragkraft im Wesentlichen unverändert blieb – das volle Bewusstsein ihrer Funktion und alle ihr zugehörige Geistesfähigkeit. Diese göttlich-geistige Funktionskraft war aber von der Seele Christi aufgenommen und von ihr getragen und damit war sie – durch die Seele – auf das ganze menschliche Leben Christi übertragen. Dieses wurde somit in seiner Gesamtheit zu einem in Wahrheit auch göttlichen Leben geformt.

2126 |        Wenn man diese Tatsache bedenkt, kann man sich ein schwaches Bild machen von dem hohen Maß der Anforderungen, die durch die göttliche Person an die menschlichen Kräfte in Christus gestellt wurden. Wenn eine sehr hohe und intelligente Person mit einer ganz minderwertigen psychisch-physischen Existenzgrundlage leben und sich damit behelfen müsste, so wäre dies ein ständiger Riss in der Einheit dieses Menschenlebens, oder es wäre vielmehr überhaupt keine rechte Einheit gegeben, oder die niedrigere und geringere Existenzmöglichkeit müsste von der Kraft und Inanspruchnahme der ganz andersgearteten und angelegten Person gleichsam erdrückt werden. In Christus ist nun aber dies das große Wunder und Geheimnis, dass die zweite göttliche Person ihre göttliche Seinsgrundlage auf der ganzen Linie als wesentliche Anlage und Vollkommenheit beibehalten hat (und beibehalten musste) und dass auch das menschliche Sein auf dieser gleichen Höhe und Linie der göttlichen Person dienstbar sein konnte und damit auf dieser göttlichen Grundlage ein wahres und „normales“ Menschenleben möglich war. Aus eigenem Erfahren kann ich eine vielleicht entfernt ähnliche Umstellung in meinem geistig-menschlichen Leben feststellen, denn ich erlebe eine ständige Umänderung, um entsprechend meiner geistigen Berufung, befähigt zu werden zu einer besonderen Dienstbarkeit gegenüber der göttlichen Person Christi. Diese tatsächliche Umstellung ist aber nur durch eine ganz besondere Gnade möglich und bewegt sich im Rahmen eines in sich außergewöhnlichen, inneren Zustandes, der aber für mich zu einem „gewöhnlichen“, selbsteigenen Leben im Sinne der besonderen Absichten Gottes führt. Es kann aber auch kein Mensch in das Geheimnis der eine solche Umstellung begleitenden und mitbewirkenden inneren Leiden eindringen, durch die mein inneres Erleben der göttlichen Person zu einem Dauerzustande wird. Nur in unsagbaren inneren Leiden wird dieser Zustand wie zu einem gewöhnlichen, eigenen Leben geformt und dazu werden all meine selbstigen Kräfte in entsprechend hoher Weise angefordert und beansprucht. So vollzieht sich tatsächlich eine gewisse ständig sich steigernde Überschaltung der göttlichen Person auf mein menschliches Leben, oder vielmehr die göttliche Person Christi schafft sich mittels und erhält738 meiner menschlichen Existenzkräfte eine mystisch nachgebildete und darum geheimnisvolle, aber doch wirkliche und in einem wahren Sinne neue Existenz- oder Lebensmöglichkeit739 mit meiner entsprechend umgebildeten menschlichen Grundlage.

2127 |        In diesem Hineinwachsen in den besonderen Dienst der göttlichen Person Christi habe ich heute einen deutlichen Fortschritt erlebt. Nach der heiligen Kommunion (in St. Maria Maggiore) war ich in den Zustand des heutigen Festes (Mariae Verkündigung) versetzt und ich erlebte: Am heutigen Tag hat die zweite göttliche Person einen Leib angenommen. Einen Leib mit jener ebenmäßigen, vollkommenen Dienstbarkeit gegenüber den Anforderungen der göttlichen Person, wobei alle menschlichen Kräfte sich auf einer göttlichen Höhe der sittlichen Vollkommenheit bewegen und betätigen konnten. Im gleichen Augenblick war ich selbst in eine ähnliche, nachgebildete Dienstbarkeit versetzt, sodass ich aus eigenem Erleben um den Grad und die Fülle jener menschlichen Dienstbarkeit wusste, weil ich mich ihr in allmählichen Wachsen nachgebildet erlebte. Ich war in das Wunder der Menschwerdung Jesu eingeführt: Die göttliche Person formte in der Kraft des Heiligen Geistes diesen, ihr zugehörigen Menschenleib als irdische Existenzmöglichkeit; die göttliche Person zog die entsprechenden menschlichen Kräfte an sich und lebte sie ein nach dem Maße ihrer göttlichen Vollkommenheit und ihrer göttlichen Seinsgrundlage als ihre selbstige Lebensgrundlage seiner Menschheit.740 Gewiss stand die Menschheit Christi als solche tiefer als die Gottheit, aber sie wurde doch zu dem einen gott-menschlichen Leben Jesu gleichsam so emporgehoben und vergöttlicht, dass Jesu göttliches und menschliches Sein wie auf einer Höhe741 zusammenwirkten und ihre Kraftanspannung vereinten und einander zu dem einen gottmenschlichen Leben ergänzten. So lebte Jesus sein ganzes menschliches Dasein auf gleicher Höhe im Vater. Seine heiligste Menschheit war fähig für ein göttliches Leben im Dienste der zweiten göttlichen Person im Vater, also in der Heiligen Dreifaltigkeit. – Ich habe dieses göttliche Geheimnis voraussehend so wunderbar in mir erlebt: Jesus war mit und durch sein gottmenschliches Sein, mit seinem wahren wirklichen Menschenleben, als Gott im Vater. Durch dieses gottmenschliche Leben drang er zum Vater vor – um mich menschlich auszudrücken. In Wirklichkeit war ja die göttlich-wesentliche Einheit im Vater immer vorhanden, sodass man insofern von einem eigentlichen „Vordringen“ nicht sprechen kann, aber wenn man das menschliche Leben Christi nach den gewöhnlichen menschlichen Begriffen nimmt (und einen Augenblick vom Göttlichen darin abstrahiert), kann man sagen: Seine Menschheit drang vermittels seiner göttlichen Person zum Vater und bewegte sich in gleicher sittlicher Vollkommenheit und Einheit mit dem Vater.

2128 |        Nach meiner inneren Führung bzw. durch das göttliche Leben in mir gelange ich nun zum Erleben der göttlichen Person selbst. Der Anfang dieses neuen geistigen Stadiums wurde mir als eine „geistige Empfängnis des göttlichen Wortes“ angedeutet. Es ist mir aber noch völlig verborgen, wie und in welchem Ausmaß sich diese entwickeln und vollziehen wird. – Ich befinde mich heute auch in einer noch nie erlebten Freiheit und Gelöstheit von der Art meines früheren Seins und ich bewege mich in voller Harmonie mit dem niederen physischen Leben und dessen Kräften auf der Basis einer ebenmäßigen Geistigkeit des Gesamt-Seins.742

 

26.03.1943

2129 |        Das gestrige Fest Mariae Verkündigung brachte mir eine ganz wunderbare, weittragende Gnade: die Inanspruchnahme meiner Kräfte durch Jesus bzw. durch seine göttliche Person, und damit eine höhere Zentralisierung und Einbeziehung meines Gesamt-Seins in seine göttliche Person. Die die organisch sich entfaltende Vereinigung mit dem göttlichen Wesen Christi scheint nun zu jenem Abschluss gelangt zu sein, der eine volle Überantwortung meines Seins an den besonderen Dienst der göttlichen Person möglich macht. Die jahrelange Vorbereitung für diese Dienstbarkeit743 gegenüber der göttlichen Person des Erlösers geht nun in den Dienst selber über. – Gestern, nach der heiligen Kommunion war ich augenblicklich in das bewusste Erfasst-werden meiner Kräfte durch Christus versetzt, was eine wunderbare Einigung hervorbrachte: Durch meine eigenen seelisch-leiblichen Kräfte lebte ich Jesus. Kraft dieses geheimnisvollen Erfassungsprozesses bildete sich eine Einheit des Lebens, worin die göttliche Person zum Träger meines Lebens wird. Doch scheint mir dieser geistige Prozess in allmählicher Steigerung ein dauernder Habitus zu werden; dessen Ausmaß ist mir zwar noch verborgen, aber gemäß dem Ziele meiner besonderen (inneren) Berufung wird sich diese Steigerung nach der nun schon grundgelegten Vorbereitung so weit entwickeln, dass ich mich als in die Stelle seiner göttlichen Person versetzt erleben werde, nicht wesentlich, aber doch in einer solchen Weise, das Jesu Innenleben mir als das meine zum Bewusstsein kommen kann. Dieser Vorgang scheint sich nach meinem jetzigen Innewerden durch ein gewisses Aufgeben meiner Person-Kräfte und deren Übergeben an seine göttliche Person zu vollziehen.

2130 |        Tatsächlich ist die eigene Tätigkeit meiner Person schon seit längerer Zeit weithin wie aufgelassen und aufgegeben, aber seit gestern scheint sich dies zu einer Ablösung auszuprägen. Mein Gesamtsein ist nun zu einem Sein als solches zusammengefasst, das schon Wirklichkeit ist ohne irgendwelchen triebmäßigen Akt. Die Verbindung meines Seins mit Jesus kann ich nun nicht mehr bloß „Harmonie“ nennen, weil mit „Harmonie“ allenfalls auch ein Ineinandergreifen verschiedener Aktmöglichkeiten gemeint sein kann. Die jetzige Art der „Harmonie“ hat sich aber zum Sein selbst erhoben, als höchster Zustand. – Es ist mir, als herrsche dieses Sein in all meinen Gliedern, es durchdringt meine ganze Menschheit und macht sich diese als Einheit zu eigen. Dieser Einheitsmöglichkeit744 gingen aber viele entsprechende Leiden voraus: Geistige Leiden, und solche auf physischem Gebiet, oder vielmehr geistige Leiden, die in der leiblichen Materie vorbereitend wirkten, sodass ich sagen musste: Ich leide geistig, aber auch am ganzen Körper, unaussprechlich. Diese Umformung der physischen Kräfte war die Einleitung und Ermöglichung des Erfasstwerdens meines Gesamtlebens durch Christus. Freilich wird dieser Zustand in gewissem Sinne immer ein Geheimnis bleiben, da auch mir selbst die letzte Tiefe des Bewusstwerdens meines eigenen Zustandes fehlt. Alles baut sich ganz auf dem Geheimnis der Gnade auf, einer ganz außergewöhnlichen745 Gnade, deren Tiefe und Ausmaß nicht zu erforschen sind. Aus den späteren Früchten und dem Resultat dieser Einheit mit Christus wird man vielleicht in etwa auch auf den Zustand selbst schließen können. –

2131 |        Diese Einigung meiner Kräfte mit der göttlichen Person Christi wird sich steigernd so entwickeln, dass ich – in einer nachgebildeten Weise – gleichsam in den Bewusstseinskern der Person Christi eintreten werde. – Kraft dieses Erfassens des Bewusstseins Christi wird mir dann mein von Gottes Gnade bereitetes Gesamt-Sein als meine eigene Realität erscheinen, weil ja die Person der Träger des Gesamtlebens ist. So gleichsam auf der Spitze des Selbst-Bewusstseins Christi gestellt, werde ich von dort aus eindringen in den wirklichen gottmenschlichen Lebensbereich Christi, kraft dessen ich im Sohne dann den Vater in der Einheit eines göttlichen Wesens erfahren kann746.

2132 |        So wurde mir gestern Morgen dieser höchste Einigungsvorgang mit der göttlichen Person zum Verständnis gebracht. Mittels des göttlichen Seins dringe ich im Bewusstwerden der eigenen nachgebildeten Realität in das göttliche Wesen des Vaters ein, weil von dort, in der Zeugung des Sohnes vom Vater, die Erlösung, bzw. die göttliche Erlöserperson ihren immerwährenden Ausgang nimmt. Die Erlösung, bzw. das ganze Menschenleben Christi war und blieb ein ständiger göttlicher Akt im ganzen Ausmaße der Auswirkung auf die heiligste Menschheit Christi. Das Erlöserleben Christi war wahrhaftig göttliches Sein, in der immerwährenden Zeugung des Wortes vom Vater das ganze Menschenleben Jesu seinshaft erfassend und aufgenommen, eingefasst und getragen von menschlichen Fähigkeiten und Kräften. In der gleichen Vollkommenheit der immerwährenden Zeugung beherrschte die göttliche Person seinshaft das menschliche Leben Jesu in der wesenhaften Dienstbarkeit seiner physischen Kräfte gegenüber der göttlichen Person. Ausgehend von dieser Tatsache kann man sich in etwa ein Bild machen von der Anbetungswürdigkeit des heiligen Leibes Christi. –

 

31.03.1943

2133 |        „Herr, die Nöten und Leiden meines Herzens haben sich gemehrt, ja sie sind für mich zu einer fast unerträglichen Last angewachsen!“ – Unter dem Druck ganz unaussprechlicher innerer und äußerer Leiden ist mir, wie dem Propheten Elias zumute, der im Übermaß seiner Bedrängnis und Leiden in die Wüste floh, sich unter einem Ginsterstrauch legte und wünschte, sterben zu können. – „Sterben wäre für mich wie eine Erlösung“, hat auch St. Paulus gewünscht: „Im Übermaß seiner Leiden wünschte ich zu sterben“. – Aber es wäre auch unausdenkbar furchtbar, hier, in der Fremde, allein zu sterben, und doch ist auch die Not meines Daseins bis zur scheinbaren Unerträglichkeit gestiegen und gesteigert. Der äußere Kampf gegen die Absichten Jesu, die inneren Leiden in ihrer geheimnisvollen, unsagbaren Schwere und doch zugleich die unzerstörbare innere Sicherheit, die der äußeren „Unmöglichkeit“ entgegensteht, das ergibt einen Schmerz, der ähnlich ist einem Zerreißen des ganzen Inneren.

 

April

02.04.1943

2134 |        Mein ganzes menschliches Sein ist heute von den mannigfachen inneren Leiden so angegriffen, dass ich wirklich meinte, vor Schwäche zu vergehen. Aber nein, nicht nachgeben! Auf! Der Weg ist noch weit und der Sieg für Jesus muss errungen werden und sollte es auch um den Preis meines Lebens sein; aber jetzt ist noch nicht die Zeit zum Sterben, sondern zum Leiden und Kämpfen, später ist dann die Zeit zum Sterben und Ruhen, wenn nämlich Jesus und seine Absichten anerkannt sind. Ich will mir trotz meiner Ohnmacht und Schwäche nichts an Leiden und Opfern entgehen oder verloren gehen lassen. Trotz des Widerstrebens der Natur will ich „blind“ den Absichten Jesu geopfert sein, denn, wollte ich all meine Leiden sehen und überschauen, so wäre dies erdrückend für mich. Nur dem Ziele sich zuwenden! Weil aber das Ziel so unmöglich und unerreichbar scheint, darum nur den Augenblick hingegeben sein! Dies macht das Leiden erträglicher.

 

04.04.1943

2135 |        Die ganz747 großen Leiden der vergangenen Woche sind nun abgeflaut und es machen sich schon die erlittenen Früchte bemerkbar. Wie wunderbar! – Es ist in mir wie nach einer bösen stürmischen Gewitternacht: Am Morgen zerteilen sich die Wolken, die Unheil über die geängstigte Erde ergossen haben und es kommt allmählich die Sonne herauf. Die ganze Natur scheint wie verjüngt und erfrischt und neu befruchtet durch jene bösen Gewalten, die so viel Angst und scheinbare Vernichtung mit sich getragen hatten.

2136 |        In einem Augenblick sind auch meine scheinbar erschöpften Kräfte wiederhergestellt und wie eine geheimnisvolle Quelle neuer Kraft erhebt sich in mir in einer merklichen Erhöhung das göttliche Leben Christi. –

2137 |        Gestern Morgen schon war in mir eine neue, einheitliche Geschlossenheit meines Seins. Das göttliche Leben hatte sich in noch höherer, wunderbarer Weise gleichsam in mein menschliches, physisches Sein eingesaugt und eingeschmiegt. Diese neue Einheit ist nun geschlossen und wie zu Einem zusammengeschmolzen, und zwar beherrscht und getragen vom höchsten Sein und dies scheint alles in mir zu sein. Es ist eine Umwälzung in mir vorgegangen: Das Geistige, das Sein ist nun ganz zum Tragenden und Beherrschenden in mir geworden; während bisher und für gewöhnlich das Niedere und Physische in gewissem Sinne das Geistige trug, wird es jetzt selbst vom Leben und Sein getragen. Was in sich immer schon das Wichtigste und die Hauptsache war, ist nun zur wirklich herrschenden und sich voll behauptenden Hauptsache geworden. Das leibliche Sein ist wie aufgelöst im höheren748 geistigen Sein und ist – bewusstseinsmäßig, aber nicht wirklich – wie abgelöst, während das Geistige und die Geistigkeit nun das alles Bestimmende, nein, noch mehr, das Seiende geworden ist. – Diese Tatsache ist ein ständig sich weiter entwickelndes Geheimnis und Wunder in mir. Das „Massive“, Körperliche wird wie abgelöst durch eine gleichmäßige dem höchsten Sein angepasste und ihm eigene Erhabenheit. Man scheint dabei – so möchte ich, und kann ich sagen – seinen „Leib zu verlieren“. Ich werde wie körperlos und zu einer Geistigkeit. In Wirklichkeit besteht freilich mein physisches Sein weiter, aber es wird dermaßen dem göttlichen Leben in mir angepasst, dass nur jenes allein noch zu gelten und in mir zu herrschen scheint. – Dementsprechend ändern sich auch die körperlichen Bedürfnisse wie Essen und Schlafen. Es wird alles auf ein Mindestmaß zurückgeschraubt, ohne dass dadurch die physischen Kräfte betroffen werden; im Gegenteil: Es wächst damit die Kraft des Geistes, und diese lässt auch die physischen Kräften in höherer Weise zur Entfaltung kommen. Die dem Menschen eigene Genusshaftigkeit ist im eigentlichen Sinne ausgetilgt. Der mit dem Notwendigen verbundene „Genuss“ wird nur als notwendige Lebensbedingung gebraucht und es kommt nun zu einer solchen „Erhabenheit“ des niederen leiblichen Lebens in mir, dass auch dieses völlig unter die Herrschaft und Autorität des Geistigen gestellt wird, und das Geistige das Eine und Alleinige ist. Das Geistige durchströmt nun nicht bloß, sondern überströmt das Körperliche.

2138 |        Schon seit längerer Zeit erlebte ich eine diesbezügliche Vorbereitung auf den jetzigen Einheitszustand. So ließ viele Schlaflosigkeit infolge andauernder seelischer Leiden und der sie bedingenden Geisteszustände das gewöhnliche Bedürfnis an Schlaf zurücktreten, aber damit wuchs das geistige Leben, das umso mehr hervortritt, je mehr das menschlich-physische Genussleben zurückgedrängt und unterjocht wird. Das Genießen und Empfinden des Genusses des Schlafes wurde übergeführt zur bloßen Erfüllung der Notwendigkeit des menschlichen Schlafbedürfnisses. Zwar leiden die körperlichen Empfindungen sehr unter dieser Umstellung, aber die führende Gnade benützt eine scheinbare Erschöpfung und allenfallsige Schwäche, um der Kraft des Geistes anstelle der körperlichen Kraft empor zu helfen und damit einen Ausgleich herbeizuführen. – Ebenso ist es mit dem Essen. Auch diesbezüglich werden die Kräfte so749 reguliert, dass jene des Geistigen vorherrschend gemacht werden. Anfang Januar hatte ich eine geistige Anregung, die ich mir sofort notierte, deren Bedeutung aber jetzt erst so recht zur Klarheit kommt: „… Im Vertrauen auf seine göttliche Kraft die irdischen Bedürfnisse zurückstellen und in der Kraft des Geistes das wahre Leben haben wollen, sich auf 'ihn' einstellen und auch die physische Kraft aus der Kraft des Geistes erwarten! Eine nach der gewöhnlichen, irdischen Auffassung gesuchte, physische Kraftzufuhr würde für mich bzw. für meine Geisteskräfte hinderlich sein“. – Solange die Seele noch auf die Genüsse des Leibes Anspruch erhebt und sich von diesen leiten, und im gewissen Sinn beherrschen lässt, kann sie sich nicht vollends weiten750 und dem göttlichen Leben erschließen. Selbstverständlich ist damit nicht gesagt, dass man nicht essen oder schlafen soll. Dies würde nur zu einer krankhaften Einseitigkeit des Geisteslebens führen. Der Genuss dieser Lebensbedürfnisse soll aber so zurückgedrängt und geordnet werden, dass diese unter die volle Herrschaft des Geistes zu stehen kommen. So, als könnte man sagen: Ich schlafe, als schliefe ich nicht, ich esse, als äße ich nicht, ich ruhe, als ruhte ich nicht. –

2139 |        Gestern Morgen schon erlebte ich eine weitere Auswirkung des göttlichen Lebens bzw. des Lebens Jesus in mir: Es bildet sich in mir die Möglichkeit des Eingehens in das Bewusstsein der göttlichen Erlöserperson aus. – Ich erkannte den Unterschied zwischen dem Bewusstsein oder Bewusstwerden des Menschen und dem Sich-seiner-selbst-bewusst-sein Gottes. – Der Mensch wird sich seiner bewusst durch eine Gegenüberstellung seines Seins, die durch seine Geistesfähigkeiten hervorgebracht wird; des Menschen Bewusstsein ist ein Geistesreflex, der als Selbsterkennen den Menschen gleichsam sich selbst zurückgibt. Wenn diese Geistesakte sich auch ständig und unwillkürlich vollziehen, so sind sie doch für den Menschen ständig notwendig zu seiner Selbsterhaltung und rufen ständig den Selbsterhaltungstrieb wach. Würden diese eigenen Bewusstseinsreflexe aussetzen, so würde der Mensch einer gewissen Selbsterschlaffung und Verdumpfung anheimfallen, die alle Lebensenergien lahmlegen würde. Das Selbstbewusstsein stützt die Selbsterhaltung des Menschen und fordert die Bedingungen und Kräfte zur Selbsterhaltung an.

2140 |        Der Mensch also wird sich seiner selbst751 bewusst durch entsprechende Geistesreflexe, die eine selbstige Gegenüberstellung mit sich bringen. Gott aber ist sich seiner bewusst, weil in Gott Sein und Dasein und Wissen usw. eines ist. Das Bewusstsein Gottes beruht in seinem eigenen Sein, in einem ständigen Selbstdurchschauen und Wissen um sich. Ohne Akte und ohne „Reflexe“, die dem menschlichen Selbsterkennen ähnlich wären, „lebt“ Gottes Wesen sich selbst und dieses Leben und Sein Gottes ist ihm jeden Augenblick eine göttliche Fülle des Sich-selbst-Bewussten und des Erkannten als sein Eigenstes. Gott „durchschaut“ sich wesentlich, ohne einem dem menschlichen „Selbsterkennen“ entsprechenden Akt. Gottes Bewusstsein ist wesentliche Selbstdurchleuchtung. – Ich erkenne dieses göttliche Selbstbewusstsein und diese seine göttlich-wesentliche Selbstdurchleuchtung als seine „höchste“ wesentliche Eigenheit und Anlage, weil in diesem Selbstbewusstsein all seine göttlichen Vollkommenheiten ihm jeden Augenblick in wesentlicher Form durch sich selbst bewusst sind. „Durch Sich selbst“, das heißt, das göttliche Wesen trägt in Sich, oder ist vielmehr selbst Erkenntnis und Bewusstsein, während dem Menschen eigene Hilfsmittel und Fähigkeiten zum Selbstbewusstsein dienstbar sein müssen.

2141 |        Gestern früh wusste ich nun um diese kommende Erhöhung oder Auswirkung des göttlichen Lebens Christi in mir, wusste um das kommende Vordringen in das göttliche Bewusstsein des Erlösers. Schon in den vergangenen Wochen war mir diese Auswirkung des göttlichen Seins in mir vorbereitend erklärt worden. Die Zusammengeschlossenheit eines einheitlichen physischen und psychischen Seins unter der Tragkraft der göttlichen Person Christi vollendet mich – in einer nachgebildeten Weise – zum Sein als reiner Akt. Eine weitere Durchlebung als solches Sein, oder vielmehr schon das Bestehen-können in dieser nachgebildeten göttlichen Realität ermöglicht in mir das Eingehen in das göttliche Bewusstsein als selbsteigenes Durchschauen. Ich werde mir dieses meines „Seins bewusst“, und zwar in aktloser, selbstiger Bewegung, sobald ich jenes göttliche Bewusstsein als wie mein eigenes persönliches752 Fundament erfahren kann. Die göttliche Seinsgrundlage wird mir zum eigenen persönlichen753 Fundament und zum eigenen Selbstbewusstsein. – Das Selbstbewusstsein der zweiten göttlichen Person war als eigenes Bewusstsein ständig wesentlich im Vater mit754 ihm eins. Darum führt mich das Eingehen in das göttliche Bewusstsein Christi notwendig in das göttliche Bewusstsein des Vaters ein, und somit meine und scheine ich vollends aufgenommen zu werden in das Geheimnis des Erlösers, oder vielmehr, ich werde ihm nun vollends dienstbar gemacht zum Nacherleben des göttlichen Erlösungsgeheimnisses. – In Worten lässt sich dieses göttliche755 Selbstbewusstsein wiederum nicht erklären, weil es seinshafte Vollkommenheit Gottes ist; nur im Eingehen und Erfahren der Realität des „Seins“ kann man dessen innewerden.

2142 |        In der vergangenen Nacht war ich – mit einer kurzen Schlafpause756 – in einem gesteigerten seinshaften Leben. Dabei war und ist jede eigene geistige Bewegung in mir wie unmöglich gemacht. Mein ganzes menschliches Sein war zusammengeschlossen zu einer vollen Einheit der Geistigkeit und diese Geistigkeit schien keinen Schlaf zu bedürfen – (es wurde mir dieser Zustand als „übernatürlicher Wachzustand“ erklärt)757. Die körperlichen Bedürfnisse scheinen zu Zeiten wie aufgehoben zu sein, weil das Geistige das voll und ganz Überragende, Bestimmende und Beherrschende wird. – Eine merkwürdige Tatsache in meinem Innern ist auch das Abschließen und Abgrenzen gegenüber jedem äußeren Einfluss oder irgendeiner Beeinflussung, die eine Bewegung in mir hervorrufen würde. Ich werde unbedingt „selbstig“ und wie auf einer eigenen, unbeeinflussbaren Grundlage abgegrenzt und eingeschlossen. Dabei ist gleichsam eine „Sucht“ in mir, diese selbstige göttliche Grundlage sich erhöhen zu lassen, und darum ist zugleich eine ständige und unwillkürliche Abwehr in mir, um jede Möglichkeit einer Bewegung fernzuhalten, die etwas „Fremdes“, der göttlichen Seinsgrundlage nicht Entsprechendes wäre. Diese wird so „meine Eigenart“, mein eigenes persönliches758 Fundament. Gottes Sein ist aber absolut selbstig, sich selbst eigen, seiner Wesenheit nach außen unbeeinflussbar.

 

12.04.1941

2143 |        Mein ganzes Sein ist nun bewusstseinsmäßig auf jene durch die göttliche Führung und Gnade bewirkte Seinsgrundlage gestellt, und zwar als mein wirkliches, selbstiges, persönliches Eigentum und meine persönliche Eigenart.

2144 |        Ich bin seinshaft und seiend in einer bis jetzt noch nie erfahrenen Weise auf jenes wirkliche, selbstige Fundament erhoben, wobei aber alles auf dem „Ich“, das ich selbst bin, beruht. Jede andere Möglichkeit scheint überhaupt ausgetilgt zu sein und das „Ich“ als reingeistiges Lebensprinzip ist das völlig Herrschende in mir. Alles Niedere und Menschliche ist ihm unterstellt. Ja ganz in dasselbe aufgenommen. Es ist wirklich nur „Eines“ in mir, nämlich das „Ich“, das ich selbst bin in wunderbarer Einheit, worin all die verschiedenen Möglichkeiten des Daseins zusammengeschlossen sind.

2145 |        Was mir früher immer wieder als Vorbild und Vorauserleben dieses Zustandes in Jesus gezeigt wurde, das ist nun gänzlich verschwunden und herrscht nur mehr dieser Zustand selbst als mein eigenes Lebensprinzip. Dieser einheitliche Seinszustand ist selbst „Licht“, gerade wie wenn in einem Raume immer hellstes Licht wäre und sonst nichts. So „licht“ und hell ist dieses Licht, dass man sonst nichts in diesem Raume entdecken kann, weil eben alles Licht ist. Doch dieses Licht hat noch keine Auswirkung und harrt noch auf eine eigene Selbstdurchstrahlung, harrt noch auf die volle und bewusste Betätigung der eigenen Leuchtkraft. Aber das Licht selbst ist Sein, vollkommen einheitliches Sein. Und das Licht weiß schon um seinen Zustand759 als „eigenes Licht“, ist „selbst“, und zwar bewusst Licht. Der Licht-Raum ist unbegrenzt; wie ein Meer ganz aus Wasser, so besteht mein Sein ganz aus Licht. Dieses Licht dringt von seiner höchsten Spitze bis in seine eigenen Tiefen und ist eine volle zusammengeschlossene Einheit, eine Seins-Einheit. Ich selbst bin gleichsam ein wundervolles Erlebnis meines eigenen Zustandes, weil alles in mir „Ich“ ist. –

2146 |        Ich bin nun selbst das, worin ich mich selbst erfasst habe, was mein Sein ist und worin es besteht. Dieses „Ich“, das ich auf der durch besondere Gnade aufgebauten Seinsgrundlage selbst bin, ist mein „Eigenes“, mein selbstiges Sein geworden. Diese meine selbsteigene Seinsgrundlage ist mir als die „meine“ bewusst geworden in zeitweise höherem oder geringerem Selbstdurchdringen. Ich behaupte mich als mein eigenes, persönliches Bewusstsein. Von diesem erfassten Selbstbewusstsein aus, das aber in gewissem Sinne noch „leer“ ist, werde ich eingeführt werden in das Bewusstsein des Erlösers als in das mir eigene Bewusstsein. Der Weg zu diesem höchsten geistigen Schritt und Ziel760 ist mir noch vollständig verborgen; obwohl ich mit Sicherheit weiß, wohin die göttliche Führung bzw. das Leben Jesu mich führt, kann ich doch noch verwundert fragen: Wie wird das geschehen? Ich weiß zwar jetzt im Voraus, welches dann meine Mentalität und mein innerer Zustand sein wird, aber der Weg dahin ist mir noch verborgen. Jesus hat aber bis jetzt schon viele andere, unbegreifliche761 Wunder seiner Gnade vermittels seines Lebens in mir fertiggebracht. Und er macht alles mithilfe jener geheimnisvollen „Wunderkraft“, die das von ihm gewirkte Leiden ist.

2147 |        Zwischenhinein werde ich immer wieder des Zustandes Christi in seiner Menschheit inne. – In Christus war das Maßgebende und Entscheidende und in einem wahren Sinne „alles“ die „Person“ des Wortes. Die zweite göttliche Person als wirkliche Realität lebte die heiligste Menschheit Christi als ihr Lebenselement. Das sind kurze, aber in Wahrheit unergründliche und unerschöpfliche Worte.

2148 |        Die „Person“ war in Jesu Menschheit gewissermaßen alles. Die Menschheit war mit dieser göttlichen Person in solcher Einheit verbunden, und so intim war die Einigung zwischen Göttlichen und Menschlichen in Christus, als bestehe überhaupt nur Eines, nämlich die „Person“. Die göttliche Person war das „Leben“ und das völlig Bestimmende, Maßgebende, Beherrschende762, Tragende und Durchdringende in ihm. Das Göttliche als Realität war in ihm „alles“, beherrscht von der Person als Sein, in das die ganze Menschheit Jesu seinshaft eingeordnet war. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Menschheit Christi ihre Wirkung und Eigenart als solche verloren hätte. Im Gegenteil, ohne sie wäre das gottmenschliche Leben nicht möglich gewesen und sie behielt die ihr entsprechenden Stellung und Aufgabe bis zum letzten Augenblick am Kreuze, erhielt aber auch durch die göttliche Person erst ihre volle Wirkung und Würde und Stellung. Durch die göttliche Person wurde Jesu Menschheit so „in die göttliche Höhe“ der höchsten Tragkraft und Vollkommenheit ihrer Person mit emporgenommen, dass es „schien“, als sei in der konkreten Wirklichkeit nur Eines, nämlich die eine göttliche Person, die beiden (unvermischten) Naturen als eine Einheit lebend mit der unveränderlichen göttlich-wesentlichen Vollkommenheit. Die menschliche Natur Jesu war der göttlichen Natur der Person des Wortes so seinshaft eingeordnet, dass man tatsächlich in einem wahren Sinne sagen kann: „Alles“ in Christus war die göttliche „Person“. Es vollzog sich ja in Christus eine ähnliche Einigung zwischen Gottheit und Menschheit, wie sie beim Menschen zwischen Leib und Seele besteht. Es war in Christus eine seinshafte Verbindung der beiden unvermischten Naturen zur Lebensmöglichkeit eines wahren Menschen, und zwar unter der Herrschaft der göttlichen Person, die ihm zugleich die persönliche Eigenart und das von anderen Unterscheidende gab. Die „Person“ oder das Person-sein als „selbstiger Lebensantrieb“ (dieses Wort wurde mir innerlich dafür gegeben) ist so intim und einheitlich als Realität und Wirklichkeit mit dem Menschsein verbunden, dass es auch den Philosophen schwerfallen muss, ihr letztes Wesen herauszuschälen oder mit Worten zu umschreiben. Die Einheit der Person funktioniert ja als das wirtlich Beherrschende und Entscheidende im ganzen menschlichen Dasein und Leben und bildet letztlich die eigentliche Lebensfunktion. In diesem Sinne ist die Person als „selbstiger Lebensantrieb“ sozusagen „alles“ im Menschen, ohne dass dies dem Menschen für gewöhnlich763 zum Bewusstsein kommt. – Dieser „selbstige Lebensantrieb“ beherrschte so sehr auch seinen Leib, dass dieser mit zur Selbst-Möglichkeit und zum eigenen „normalen“ Menschenleben beitrug, worin keine Zerteilung oder Trennung oder Absonderung möglich ist. Was die Person tut als selbstiger Lebensantrieb, das tut der ganze Mensch, auch wenn es in der ungeordneten, gefallenen Menschennatur dabei zu einem Widerspruch kommt. Der oberste Befehl der Person ist „selbstig“ und wird dem ganzen Menschen spürbar und geltend gemacht. So beweist gerade ein sich auflösender Widerspruch des Ungeordneten im Menschen die höchste und oberste Herrscherkraft und Befehlsgewalt der „Person“. –

2149 |        In Christus nun herrschte göttliche Harmonie als Seinszustand zwischen göttlicher Person und menschlicher Natur. Die menschliche Natur reagierte und folgte wie in einer Linie oder auf einer764 gleichen Ebene und Höhe der sittlichen Vollkommenheit mit der göttlichen Natur der Person des Wortes. So war eine psychologische Einheit und Bindung möglich und bestand eine einheitliche Lebensfunktion mit göttlich-selbstigem Lebensantrieb. Dieser göttliche Lebensantrieb als „Leben“ selbst war in Christus das Sein mit dem seiner Göttlichkeit zustehenden Lebensbedingungen auch in seiner Menschheit bzw. in seiner menschlichen Natur. Weil aber die göttliche Person Christi als der tragende Grund seiner menschlichen Natur eine unerreichbare und unüberbietbare Befehlsgewalt und Herrscherkraft besaß und eine überwältigende Wirksamkeit ausübte, darum herrschte765 und entschied in Christus nur die „Person“. Alles dem menschlichen Leben Jesu Dienende und Notwendige war in die Wirksamkeit und den Wirkbereich der göttlichen Natur der Person Christi aufgenommen und damit war für die Menschheit Jesu eine Lebensmöglichkeit auf göttlicher Ebene und Höhe hergestellt. Die göttliche Person des Wortes „bildete“ und gestaltete sich auch schon im Mutterleib Mariens die ihr entsprechende und zugehörige menschliche Natur. Da aber nach den Naturgesetzen schon im Augenblick der Empfängnis das ganze menschliche Leben als Daseinsmöglichkeit geboten ist, so geschah, kraft der Einwirkung des Heiligen Geistes, im Augenblick der Menschwerdung Christi bzw. im Augenblick der Empfängnis der Person des Wortes in Maria gleichsam eine physiologische766 Auswirkung und Ausweiterung des göttlichen Lebens der Person des Wortes auf eine menschliche Naturgrundlage. Das göttliche Sein der zweiten göttlichen Person „übertrug“ sich auf eine menschliche Grundlage und Anlage, wobei aber das Göttlich-Wesentliche seine selbstige Seinsgrundlage beibehielt und als göttlich-selbstiger Lebensantrieb in der menschlichen Natur wirksam blieb. In Maria war zugleich infolge ihrer Unberührtheit von den Folgen der Erbsünde und als Frucht ihrer Heiligkeit die menschliche Möglichkeit und Anlage gegeben, um in der Form ihrer weiblichen Fruchtbarkeit dem Worte jene erhabene Menschheit bieten zu können, die sowohl den Gesetzen einer natürlichen, menschlichen Vererbung und Anlage wie auch den Forderungen der übernatürlichen Gnadenordnung und der göttlich-wesentlichen Vollkommenheit des Wortes entsprach und angepasst war. Mariens leibliche Fruchtbarkeit bot dem Heiligen Geiste die Möglichkeit, göttliches Leben und Sein auf eine menschliche Anlage zu übertragen, und zwar wie auf767 gleicher Ebene göttlicher sittlicher Vollkommenheit – ein Wunder in der Übernatur und doch zugleich in Ebenmäßigkeit mit den Anlagen und Forderungen sowohl der göttlichen wie der menschlichen Natur. In Maria war das vorbereitet, was die Menschwerdung des Wortes auf einer menschlichen Grundlage und zugleich auf göttlich-sittlicher Höhe und Ebene möglich machte. Die göttliche Person „nahm“ die768 menschliche Anlage in Maria und die entsprechenden Lebensmöglichkeiten eines menschlichen Daseins an sich und bildete und gestaltete diese menschliche Natur auf göttlicher Seinsgrundlage und auf einer Ebene göttlicher Vollkommenheit. So war im Augenblick der Menschwerdung das menschliche Leben Jesu in gewissem Sinne schon „vollendet“, insofern nämlich die göttliche Person in ihrer wesentlichen Unveränderlichkeit ein bewusstes Menschenleben beherrscht und belebte. In Christi Menschwerdung „war“ in einem Augenblick, kraft der göttlichen Person, alles bewusst, was im gewöhnlichen Menschen erst „wird“ und bewusst wird. – Gewiss bildete sich auch der Leib Jesu in Maria nach den Naturgesetzen, doch in einem wahren Sinne kann man sagen: Jesu Menschheit war in einem Augenblick „fertig“; denn die göttliche Person war das ganz und gar Beherrschende und bei dem Vollbewusstsein ihres göttlichen Seins war ein der gewöhnlichen Entwicklung des Menschenlebens entsprechendes „Werden“ des Bewusstseins nicht notwendig. Wohl ist auch im gewöhnlichen Menschenleben schon mit der Empfängnis die Möglichkeit einer Vollentwicklung für ein menschliches Dasein gegeben, aber aufgrund einer allmählichen Entfaltung der menschlichen Person, ihres Bewusstseins und ihrer Fähigkeiten, während in Christus die göttliche Person von Ewigkeit her und in göttlicher Vollkommenheit bestanden hat und besteht. Gott „ist“ und der Mensch „wird“. Gottes Wesen ist unveränderlich, der Mensch jedoch ein Werdender, aber mit geschaffener „selbstiger“ Anlage und mit all den Entfaltungsmöglichkeiten und der Würde einer Person, des Nachbildes der göttlichen Person.

2150 |        Dieses Innewerden des Geheimnisses der Menschwerdung Christi hatte ich schon am 25. März, am Feste Maria Verkündigung. Der tiefere Begriff über dieses Geheimnis selbst hat sich in mir in vielen Erfahrungen über das Wesen der göttlichen Person und über die Einheit des Lebens in der Menschheit Christi allmählich wie als Selbsterleben ausgebildet. Wie im „Selbsterleben“ dieses Geheimnisses am 25. März, so war ich auch heute wiederum in dem Geheimnis: Die göttliche Person des Wortes „nahm“ die leibliche Fruchtbarkeit Mariens und zog deren Kräfte an sich zu einer eigenen menschlichen Lebensmöglichkeit auf der göttlichen Seinsgrundlage seiner Person. – Jenes Begreifen dieses Geheimnisses, das mir auch die Möglichkeit es auszusprechen gab, wurde mir erst jetzt durch eine entsprechende Lebenseinheit mit der göttlichen Person des Wortes gegeben769. – So liegen in meiner Lebenseinheit mit dem göttlichen Leben Christi viele göttliche Geheimnisse verborgen, die man nur mit besonderer Gnade in „Worte“ kleiden kann. Es sind seinshafte Erlebnisse Christi.

 

24.04.1943

2151 |        In der Karwoche (Karfreitag) erlebte ich eine Vertiefung des schon früher Erfahrenen, nämlich der mit dem Geheimnis der Erlösung zusammenhängenden Wahrheiten: die erste Menschheit, gleichsam auf göttliche Ebene gehoben – der Sündenfall und seine Folgen – die Menschheit Jesu auf göttlicher Ebene – in Christus als dem Haupte seinshaft die ganze Menschheit. Die Funktion der Menschheit und der Seele Jesu gegenüber der Gottheit – Die Menschheit Jesu „trägt“ das göttliche Leben. –

 

Mai

01.05.1943

2152 |        Die letzten zwei770 Wochen waren für mich eigentlich eine Ruhezeit. Das bedeutete aber in meinem Innenleben keinen Stillstand, sondern es war eine Zeit fortschreitender Vertiefung des früher schon erreichten Vereinigungszustandes mit der göttlichen Person des Wortes. – Es fehlen wiederum die meinem inneren Erleben entsprechenden Worte und Ausdrücke und so muss ich immer wieder die gleichen Worte gebrauchen und ich muss von meinem Zustand „in Christus“ oder von der „Vereinigung mit der göttlichen Person des Wortes“ reden, während in Wirklichkeit der mit diesem Ausdrücken zunächst bezeichnete Zustand längst überholt und überschritten ist; denn mein Innenleben selbst ist in den „Zustand Christi“ übergegangen, dem ich lebens- und leidensfähig diene. – Das bis jetzt erreichte geistige Ziel erlebte ich noch tiefer und voller in den letzten zwei Wochen, doch waren die für gewöhnlich meine geistige Entwicklung begleitenden Leiden fast gar nicht vorhanden. Ich konnte das in Christus bisher erreichte Ziel in einem fast leidlosen Zustand „auskosten“.

2153 |        Auch auf dem jetzt erreichten Gebiete gibt es aber wieder viele Stufen und höhere Möglichkeiten, bis endlich die mir zugedachte Spitze des „Ich-Bewusstseins Christi“ erreicht sein wird, wo dann die göttliche Person des Erlösers sich wie als meine eigene Person betätigen und funktionieren wird. Die Vertiefung des „Wachstums Christi“ in mir steigert sich fortwährend, bis jene von ihm gewollte „göttliche Spitze“ ausgebildet sein wird, die mich befähigen wird, die Tiefe seines Erlöserlebens nach seinen Absichten zu wiederholen bzw. nachzuerleben. In welchem Umfang aber sich dies vollziehen wird, ist mir eigentlich noch ein Geheimnis.

2154 |        Der „Weg“ zu diesem geheimnisvollen Ziele ist begleitet von fast andauernden „Erklärungen“ über „Weg und Ziel“, so z. B. über die göttliche Person als „wirkliche Person“ und entsprechende Tragkraft eines wirklichen Menschenlebens; über die göttliche Eigenart dieser Person ihrer wesentlichen, göttlich unveränderlichen Vollkommenheit; über die Art der göttlichen Funktion dieser Person in der ganzen Auswirkung ihrer göttlichen Wesenheit, gewiss mit freiwilliger Einschränkung seiner göttlichen Herrlichkeit und Herrschermacht, aber in dem, was Gott in sich selbst wesentlich ist: „Seiend als reiner Akt“; – wie die göttliche Person eine menschliche Natur dafür771 in Anspruch nahm; – wie die menschliche Natur in Christus der göttlichen Natur gegenüber voll entsprechend reagierte; – über die Art der Einigung der göttlichen Natur mit der menschlichen zu einer einheitlichen Lebensgemeinschaft nach menschlicher Art, wobei die Grundlage und der Wertmaßstab des772 göttlichen Seins geblieben sind. – Das sind fast ständige Erlebnisse als persönliches Erfahren und Miterleben des gottmenschlichen Erlöserlebens auf Erden.

2155 |        Als Ausgangspunkt für diese Erlebnisse wird mir immer wieder „der Mensch“ im Allgemeinen in seiner Wesenheit und Anlage erklärt: Die „Person“ als selbstiger Lebensantrieb, die alle ihr zu Gebote stehenden Lebens- und Funktionsmöglichkeiten nach „ihrer“ Eigenart ausbildet773 und sich nach diesem Naturgesetz eine individuelle „Abrundung“ einer selbstständigen Daseinsfunktion schafft, wobei alle „Möglichkeiten“ und Mittel zum vollen und letzten Bestand einer menschlichen Existenz und Daseinskraft herangezogen werden.

2156 |        Die Eigenart einer menschlichen Person ist zutiefst und naturhaft beeinflusst, und sozusagen geboten durch die Lebenskräfte der betreffenden menschlichen Natur. Die menschlichen Lebens- und Nervenkräfte bauen fortwährend mit am Bestande und der Eigenart ihrer höchsten und bestimmenden Trägerin, der Person selbst. Es herrscht eine so tiefe und innige Wechselwirkung zwischen Geistes- und Leibeskräften im Menschen, dass der eine Teil dem anderen hienieden erst Lebens- und Daseinsmöglichkeit vermittelt. Rein physische Einwirkungen können das höhere, geistige Leben beeinflussen bzw. die Person des Menschen in ihrer höchsten Betätigung selbst treffen; ebenso können höhere Einflüsse, die unmittelbar von den geistigen Kräften der Person ausgehen, das physische Leben sehr in Mitleidenschaft ziehen. In einem normalen Menschenleben vollzieht sich so eine ständige Wechselwirkung oder vielmehr, es herrscht eine schon grundgelegte, harmonische und gegenseitige „Zustimmung“ in dieser Wechselbeziehung zwischen psychischen und physischen Lebenskräften. Diese Wechselbeziehung zwischen den beiden verschiedenen Kraftspendern und Kräftearten im Menschen – die sich fortwährend, auch ohne aktuell bewusste Zustimmung vollzieht – hat als Produkt in unserem Bewusstseinserleben die „Gemütsbewegungen“ oder die Reaktionen des Gemütslebens. Das „Gemüt“ ist geistiger und zugleich leiblicher, physischer Natur. Die geistigen Kräfte und Anlagen allein waren als solche eines „Gefühls“, wie wir Menschen es erfahren, nicht fähig. Der Geist und die Seele könnten als solche wohl, wenn Gott es wollte, auch für sich bestehen und entsprechende geistige „Gefühle“ oder Erregungen hervorrufen, aber tatsächlich hat Gott den Menschen mit zwei verschiedenen Daseinselementen geschaffen, deren beiderseitigen Zusammenwirken allein hienieden das wunderbar harmonische Einheitsdasein des menschlichen Lebens ermöglicht. Die Möglichkeit dieses seelischen Erlebens in Form menschlicher Gefühle und Gemütsbewegungen – als Ergebnis des psycho-physischen Reaktionsvermögens – gehört mit zum Wunderbarsten im Menschen und gestaltet das Menschenleben als solches erst zu einem wirklichen „Genuss“. Dadurch wird im Menschen erst vollends die Freude des Daseins geweckt und werden die Lebensenergien erst zur vollen Entfaltung gebracht, die zu einem normalen Menschenleben notwendig sind. – Schon im noch „unvernünftigen“ Kinde bauen gewisse Gefühls- oder Gemütserregungen mit an der Entfaltung der persönlichen Eigenart und beeinflussen damit das künftige Menschenleben. Zwar werden diese Gemütsbewegungen noch nicht voll im selbstigen Bewusstseinskern als selbsteigene Bewegungen aufgenommen, aber eine gewisse mitlaufende Reaktion auf das gleichsam noch schlummernde Bewusstsein beeinflusst doch schon in einem gewissen Sinne die Entwicklung dieser Person und dieses Menschenlebens; die Grundrichtungen der kindlich-jungendlichen Gemütserregungen und Affekte haften oft dem ganzen Leben an und werden oft mitbestimmend für die Grundlinien des Gesamt-Gemütslebens, weil sich nach dem Naturgesetz – neben der Vererbung und der späteren Erziehung –, schon durch jene ersten Gemütserregungen, gewisse physische Reaktionen und Grundzüge in dem betreffenden Menschen ausgebildet haben.

2157 |        Die Grundmöglichkeit und Hauptgrundlage des Gemütslebens ist aber gegeben durch die Kraft und Eigenart der Person, deren geistige Erregungen sich vermittels der physischen Reaktionen als menschliche Gefühle der Freude, des Schmerzes usw. auslösen und kundgeben. Das Gemütsleben, wie wir es erfahren, ist also insofern etwas „rein Menschliches“, weil es unter den Geschöpfen allein dem Menschen zukommt. Die Engel sind gewiss geistiger Erregungen fähig, wie z. B. der Freude über die Anschauung Gottes und der Befriedigung, den Menschen zu helfen, aber diese Freuden, die höherer Natur sind als die Unsrigen, tragen in sich die Eigenart des rein Geistigen und rufen keine körperlichen Reaktionen hervor. Das menschliche Gemütsleben aber entsteht durch das Zusammenwirken von Geistigen und Leiblichen und äußert sich in einer Reaktion, deren Reflexe und Ausstrahlungen wiederum auf die beiden Kräfteteile im Menschen zurückwirken und zurückgeworfen werden und somit mehr oder minder tief gehende und andauernde Erlebnisse im Menschen festlegen und einprägen.

2158 |        Das Gemütsleben wird demnach aus sich aneinanderreihenden und ineinandergreifenden Eindrücken und Erlebnissen gebildet und zusammengesetzt, was wiederum eigentlich nur dem Menschen zukommt. Das Gemütsleben hat nämlich als Grundlage eine774 fortwährende Bindung an Vergangenes und Zukünftiges und die entsprechende Fähigkeit, Vergangenes mit der Gegenwart zu verknüpfen und sich demgemäß für die Zukunft einzustellen, nämlich in Furcht oder Hoffnung oder Angst oder Freude; es schließt die Fähigkeit in sich775 eine zeitliche Verbindung und Aufeinanderfolge verschiedener Bedingungen und Möglichkeiten herzustellen und dabei allenfalls in einem gewissen Selbstschutz auch einen Ausgleich, eine Auswahl, Ablenkung, Abschwächung oder auch eine Steigerung zu suchen. Das Gemütsleben des Menschen ist also an eine zeitliche – wenn auch sehr rasch sich vollziehende – Aufeinanderfolge gebunden und darauf angewiesen, weil es eben auch an das sich entwickelnde Körperliche und Materielle geknüpft ist. – Bei einem rein geistigen Wesen aber ist infolge der Geistigkeit der Antrieb – z. B. zur Freude – und deren Auslösung gleichzeitig und augenblicklich. Die Wirkung erfolgt unmittelbar und auf direktem Wege, ohne dass zwischen hinein die Möglichkeit einer Ablenkung oder Abschwächung bestünde. Wenn man also bei einem rein geistigen Wesen von einer (geistigen) „Gefühlsmöglichkeit“ spricht, so ist deren Auslösung776 doch immer eine augenblickliche, ohne das Nacheinander, das Umständliche und die verschiedenen Möglichkeiten, die bei den menschlichen Affekten zwischen der ersten Anregung und der endlichen Auslösung liegen. Die „Freuden“ des Engels777 sind daher – infolge seiner rein geistigen Aufnahme und Reaktionsfähigkeit – immer augenblicklich, ohne Abschwächung andauernde, durch den Gegenstand der Freude unmittelbar sich auslösende. Auch bei den verworfenen Engeln sind infolge ihrer rein geistigen Natur die Leiden ebenso778 unmittelbar und augenblicklich; auch ihre geistigen Affekte und Erregungen sind ein unmittelbarer Vorgang und es fehlt die Ablenkung oder Abschwächung, die sie nur779 mehr oder minder sich auslösen oder hervortreten ließe. Ähnlich ist es bei den Leiden der Seelen im Fegefeuer. Auch bei ihnen fehlt jene „Rückwirkung“, die einen gewissen Ausgleich durch verschiedene, sich selbst schützende Triebe und Kräfte herbeiführen könnte. Der Geist als solcher ist dann gleichsam in sich selbst „entblößt“ und einer unmittelbaren Einwirkung und Selbstwirkung ausgesetzt. So vollzieht sich dann in ihm immer eine unmittelbare und augenblickliche Wirkung ohne jeden „Selbstschutz“ und ohne jede Ablenkungs- oder Abschwächungsmöglichkeit, während im normalen Menschenleben hienieden die Befähigung zu einem gewissen selbstigen Ausgleich aufsteigender Gefühlsreaktionen gegeben ist. Das menschliche Gemütsleben ist eben eine Weiterführung und Reaktion auf eine Einwirkung, die in einem geistigen Wesen – infolge der Einfachheit und Einheit des Geistes – sich in einem Augenblick und unausweichlich vollzieht780.

2159 |        Gottes Wesen ist infolge seiner allerhöchsten Geistigkeit in sich selbst wesenhafte Selbstbeglückung, denn alle Güter sind in ihm selbst vorhanden und gegeben. In Gottes Wesen ist vollkommenste und höchste Unmittelbarkeit und darum vollkommenster Selbstgenuss, der keiner weiteren Reaktion zum wirklichen Selbstgenuss bedarf781. Darum kann man bei Gott auch nicht von „Gefühlen“ – auch nicht in einem erhabensten Sinne – sprechen. „Gefühl“ und „Gemüt“ bedeutet nämlich eine Kraftaufwendung wie bei uns Menschen, ein „Leiden und Erleiden seiner selbst“ und somit in gewissem Sinne eine „Schwäche“, die mit Gottes Wesen nicht vereinbar ist. – Die782 Liebe Gottes zu den Menschen ist daher keine Liebe des Gefühls oder des „Mitleidens“ (im menschlichen Sinne), sondern sie ist immerwährende Tat und Wirklichkeit, nämlich ständige Selbstmitteilung durch seine Gaben und Gnaden. Gottes Liebe ist immerwährend783 seiende und wirksame Liebe seinen Geschöpfen gegenüber, und ist – dem Ausströmen dieser seiner wesenhaften Liebe nach – etwas rein Geistiges, Augenblickliches und doch Immerwährendes; sie ist ein seinshaftes Gedenken und Selbstmitteilen an die Geschöpfe, ein seinshafter Vereinigungs- und Mitteilungswille, der seine Güte und Gnade in das Geschöpf einströmen784 lässt. – Gottes Liebe ist seine ureigenste und höchst vollkommenste Eigenschaft, sich unumschränkt und uneingeschränkt zu verschenken und sein göttliches Leben an die Geschöpfe mitzuteilen. Die Liebe Gottes wurde zum menschlich empfundenen Gefühl, ja geradezu zum menschlichen Leiden nach unserem Begriffe, erst dadurch, dass diese wesenhafte Liebe Gottes als rein geistiger Akt bei der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person in menschliches Sein und Fleisch gelegt wurde. Gott-Vater hat diese seine wesenhafte Liebe, die zweite göttliche Person, Mensch werden lassen, und zwar als schon seit Ewigkeiten bestehende785 und von Ewigkeit gezeugte göttliche Person, als etwas in Sich höchst Vollendetes und Vollkommenstes – wie es eben die „Person“ und zumal die göttliche Person ist. –

2160 |        In der Kapelle hatte ich heute ein wunderbares geistiges Erfahren und Erleben der Vorzüge Mariens als der – im Hinblick auf die Erlöserverdienste Christi – „vorerlösten“ Seele, die, im Gegensatz zu allen anderen Menschen, rein geblieben ist von der Erbsünde. Der Seele Mariens wurde mir auch gegenübergestellt die Seele „Evas“ mit ihren Vorzügen im reinen Zustand, d. h. im Augenblick ihrer Erschaffung und vor der Sünde.

2161 |        Ich konnte selbst begreifen und musste bestätigen: Die Seele Mariens, geheiligt und bekleidet mit den Verdiensten Christi im Zustand ihrer „Vorerlösung“, ist herrlicher als die Seele Evas, selbst in deren Erschaffungszustand. Zugleich konnte ich den unermesslichen Reichtum und die Wirksamkeit der Erlöserverdienste begreifen, kraft derer die Seele Mariens in jener Heiligkeit und Würde geschaffen wurde, ohne hierin dem allgemeinen Gesetz der gefallenen Menschheit zu unterliegen. Ferner wurde ich inne, wie Maria diesen Schatz der Gnade noch in so reichem Maße durch ihr eigenes Mitwirken vermehrt und gekrönt hat. – Eva war im ersten oder Erschaffungszustand herrlicher ausgestattet als Maria786, insofern Maria doch in manchen psychologischen, nicht moralischen Auswirkungen den Folgen der Erbsünde unterlag. Dessen ungeachtet hat Maria ihre geistige Werthöhe über jene, die Eva im paradiesischen Zustand hatte, erhoben und gemehrt, sodass man sagen kann: Die Erlösung hat den Menschen (nämlich in Maria) kraft der Menschwerdung und Verdienste Christi herrlicher begnadet, als er787 es im ersten Paradieseszustand war. – Ich erfasste auch, dass der seligsten Jungfrau Maria im wahren Sinne die Erlöserverdienste – im Hinblick und in der Kraft des kommenden Erlösers – „vorher“ schon in so reichem Maße zugewendet wurden und dass also in diesem Sinne Gott-Vater Maria nicht als eine „Ausnahme“ der Menschheit so herrlich geschaffen und ausgestattet hat. Auch Maria erstrahlte vielmehr bekleidet mit den Erlöserverdiensten, in deren mitgeteilter Fülle sie – infolge ihrer höchsten Auserwählung zur Mutter des Erlösers – von niemand übertroffen werden kann.

2162 |        So hatte ich ein wundervolles Erfassen der Herrlichkeiten der Erlösung in Maria, die ihr schon vor der Menschwerdung des Erlösers zuteilwurden. Im geistigen Erfahren und Begreifen konnte ich ferner den Unterschied zwischen Eva und Maria, die Wege der Gnade Gottes in beiden und die Bedeutung für die gesamte Menschheit in beiderlei Auswirkungen, bestätigen.

2163 |        In besonderer Weise konnte ich erleben, wie Maria von Ewigkeit vor der göttlichen Allwissenheit des Vaters stand und wie er im Paradies nach der Sünde der ersten Menschen in seiner unendlichen Liebe und Barmherzigkeit Maria dem Menschengeschlechte als eine „neue Mutter“ und zweite Eva, d. h. Mutter des Menschengeschlechtes zu geben sich würdigte. Ich schaute Maria – ich kann mich nicht anders ausdrücken, obwohl es ein geistiges Durchleben dieses Geheimnisses war – unmittelbar nach der ersten Sünde Evas788 im Paradies gegenübergestellt, während der Vater voll göttlichem Entzücken die Herrlichkeiten Mariens mir erkennen ließ.789 Diese sollte kraft der Verdienste seines Sohnes, den er der Welt als Erlöser schenken wollte, die erste Eva an Herrlichkeit übertreffen und überstrahlen, weil Maria voll und ganz in allem mit der Gnade mitwirkte, während Eva darin versagte.

 

07.05.1943

2164 |        Schon in den letzten Tagen fiel mir auf, wofür ich keinen Grund noch zur Erklärung finden konnte: Dass nämlich die heilige Messe mich gleichsam „leer“ ließ, wenn ich auch, wie gewöhnlich, mehreren beiwohnte. Es war gleichsam eine geistige Schranke vor mir, die mich zu hindern schien die heilige Messe wie früher zuteilwerden zu lassen. – Der Grund lag aber in weiteren Veränderungen und Fortschritten meines inneren Habitus. Ich bin nun so sehr in Gott und die Person Christi aufgenommen, dass alles Bemühen, um zu Gott zu kommen, überflüssig ist. Das Gebet, das eine Erhebung zu Gott ist, scheint entbehrlich geworden zu sein, weil ich – durch eine neue Auswirkung des göttlichen Lebens Jesu in mir – unmittelbar in Gott bin, ähnlich wie jeder Weg und jede Bemühung sich erübrigt für den, der am Ziele angekommen ist. Mit dieser Gnade der Erhöhung des Lebens Jesu als mein eigenes Leben in mir bin ich zu tiefst in den Mittelpunkt Christi, in seiner Menschheit vorgedrungen, und zwar mit weiteren Folgerungen für mein Dasein. Ich bin nun auf der „Spitze“ meines Seins mir selbst als „selbstige Spitze“ und ich brauche keine andere Übung oder Betätigung als eben die: Das zu sein, was ich bin, diese790 „Spitze“ selbst zu sein, d. h. die791 Fülle des Lebens Jesu selbst in mir wirksam sein zu lassen. Ich bin nun zur Person geworden auf jener geistigen Grundlage, die durch so viele besonderen Gnaden in mir vorbereitet ist. Ich bin allem Irdischen gleichsam entrückt, aber dafür kommt mein Inneres, d. h. die Höhe der selbstigen Grundlage des Seins an Stelle Christi immer mehr zur Geltung und Wirksamkeit. Das „Leben“ in mir ergriff mich als selbstiges Leben und mit dieser selbstigen Lebensmitteilung sind verschiedene Lebensstützen früherer Art weggefallen. Ich bin nun wie ganz auf mich als selbstigen Lebensantrieb gestellt und kann „aus mir selbst“ sein.

2165 |        Damit sind die formellen Übungen und Behelfe entbehrlich geworden; damit fällt auch jener geistige Behelf weg, der mir bisher die Möglichkeit gab, mich dem Wesen der heiligen Messe zu nähern und diese als meine persönliche Andachtsübung zu gebrauchen. Selbstverständlich ist damit nicht gesagt, dass ich nun weniger der heiligen Messe beiwohnen soll, aber ich soll diese nicht als ein formelles Mittel ansehen, um das innere Leben Jesu in mir zu erhöhen, sondern ich soll dieses Leben Jesu selbst in mir leben. „Das Leben selbst will gelebt sein“ aus seiner eigenen, selbstigen Quelle. – Indem ich auf alles verzichte und mich nur mit der Spitze oder höchsten Höhe des Lebens selbst begnüge und diese als meinen eigentlichen Lebensantrieb sich auswirken lasse, sind all meine Kräfte in den Dienst dieses selbstigen Lebensantriebes getreten, auf der Grundlage der langen, bisherigen Vorbereitung, und zwar so, dass nur noch jene höchste Spitze als „Selbst“ und als „Ich“ allein da zu sein scheint und selbst „alles“ ist. So bin ich als „selbstige Spitze“ zu jener Einfachheit des Seins emporgestiegen, die alle Stützen und Behelfe entbehrlich macht und wo mir das Sein selbst als geistig-religiöses Dasein genügt.

 

14.05.1943792

2166 |        Heute Morgen hatte ich in Jesus wunderbare Erlebnisse seiner wesentlichen, göttlichen Unveränderlichkeit auch in seiner Menschwerdung und in seiner Menschheit: Gottes Wesen, der Namenlose, der Unbegrenzte und Unbegrenzbare, der, in dem alles ist – in einem begrenzten, endlichen Menschenleib! Ich war in unsagbarer Weise in ihm und aufgenommen in sein Geheimnis. Es ist wirklich wahr: Es gibt keinen Namen für jenes Wesen Gottes, wie ich es in jener Fülle des Seins erfahren konnte; denn Gottes Name ist sein Wesen selbst, das eben unaussprechlich ist, und nur der kann sich einen annähenden Begriff davon machen, der jenes göttliche Wesen in sich erlebt.

2167 |        Gottes Sein und Wesen erhielt erst in der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person eine Umschreibung oder einen Namen, der den Menschen irgendwie nahegebracht werden kann, jenen Namen, den Gott-Vater selbst dem göttlichen Worte gab: Jesus, der Erlöser seiner Geschöpfe. Das namenlose göttliche Sein des Wortes war, obwohl wesentlich unveränderlich, eingefügt in eine menschliche Natur, in eine begrenzte Menschheit mit einer endlichen Anlage, war von dieser getragen und bedient, aber jene menschliche Natur besaß – und musste wegen der göttlichen Unveränderlichkeit und Würde besitzen – eine entsprechende Erhabenheit, Vollkommenheit und Anpassung in ihren Funktionen, dass sie die göttliche Natur und Vollkommenheit des Wortes in solcher Einheit ertragen konnte.

2168 |        Dieses Innewerden des göttlichen Wesens im Erlöser war das tiefste göttliche793 Geheimnis, das ich bisher erfahren habe. So dringe ich in Christus immer mehr in den Kern und das Wesenselement seines Seins vor, das in seiner Menschheit unverändert bestehen blieb und das infolgedessen die menschliche Natur, das notwendige Werkzeug zum Bestand eines gottmenschlichen Lebens mit empor nahm in jene göttliche Höhe und Ebene.

 

15.05.1943

2169 |        In den letzten Tagen war ich in einem beständigen Innewerden göttlicher Geheimnisse und zugleich in entsprechenden inneren Leiden, durch die meine menschliche Natur für das Nachleben794 seiner göttlicher Geheimnisse voll fähig und dienstbar gemacht werden soll. Heute hatte ich dann die Anregung nach St. Peter zu gehen, und dort wurde ich noch tiefer eingeführt in das Geheimnis der Einbeziehung meiner menschlichen Natur in die mir bestimmte göttliche Dienstbarkeit auf der dazu notwendigen göttlichen Höhe und Ebene der Vollkommenheit.

2170 |        „Ich“ bin nun in jenen Zustand versetzt, der jetzt meine Realität ist. Der Glaube an Gott ist mir795 zum wirklichen Zustand in Gott geworden. Ich bin nun das, was ich innerlich erlitten und erlebt habe; dies ist mein Wesen. So bin ich in unsagbaren Frieden und in unaussprechlicher Einheit meiner selbst. „Ich ruhe“ in mir selbst, weil ich mir selbst „alles“ bin.

2171 |        Ich erlebe das Geheimnis jener Worte des heiligsten Johannes: „Niemand hat Gott je gesehen; nur der Sohn hat uns von ihm Kunde gebracht.“ –

2172 |        In Christus lebe ich die Teilnahme der menschlichen Natur an dem göttlichen Sein und Wesen, das uns im Sohne geoffenbart und gleichsam zugänglich gemacht wurde. – In Gottes Wesen gab ich, dazu angeregt, eine neue Bereitschaftserklärung zu dem besonderen, immerwährenden Dienst an der göttlichen Natur des Wortes, worin meine – menschlich unbegreifliche – Berufung besteht.

 

16.05.1943

2173 |        Höchstes Aufgenommensein in die göttliche Natur, in der Form und in dem Maße, wie mir dieses Geheimnis erfassbar wurde. – „Die göttliche Natur des Wortes hat die menschliche Natur in Christus vergöttlicht“, das erlebte ich nach der heiligen Kommunion, aber, infolge einer unaussprechlichen geistigen Elastizität meines Menschseins, als eigenes Erleben und wie als meinen eigenen Zustand auf jener göttlichen Ebene.

 

25.05.1943

2174 |        „Es kommt etwas Schweres“, ein voller Einsatz meines Lebens zu dem angekündigten Dienst an der göttlichen Person des Erlösers; so wurde mir zu wissen getan. Zum Trost weiß ich aber auch, dass dann meine äußeren Verhältnisse mir jenes angekündigte „Erleben Christi, des Erlösers“, möglich sein werden lassen.

2175 |        Ich spüre im Voraus die ganze Konsequenz dieses Einsatzes. Nicht gefühlsmäßig, aber seinshaft bin ich davon ergriffen. „Ich selbst“ bin nun ganz Aspiration und Verlangen für dieses Leben Jesu, aber ich „spüre“ nichts von Jesus, sondern es ist dies gleichsam das tiefste Erfassen und Ausleben des mir nun zu eigen gewordenen Seins. Ich bin ganz Bereitschaft für „mich selbst“, d. h. für dieses zu eigen gewordene sein. –

 

26.05.1943

2176 |        Seit heute Morgen nach der heiligen Kommunion bin ich ganz verändert. Mein Selbst ist so volle Wirklichkeit, dass es mich und mein ganzes Sein völlig überflutet; auch das Physische ist in eine allgemeine allmähliche Umwandlung meines menschlichen Lebens miteinbezogen. Ich bin ganz „anders“, aber wie? Dafür gibt es keinen Ausdruck. „Ich“ bin erfüllt von jener selbstigen Fülle, die mein ganzes Sein796 ergriffen hat. Ich „überflute“ mich gleichsam selbst, ähnlich wie das Feuer alles Brennbare selbst zum Feuer macht. Aber dabei, welch unaussprechliche Einfachheit!

2177 |        In einem gewissen Sinne „sterbe ich meinen Tod nicht mehr“797 (wurde mir ferner zu wissen gegeben), denn meinen Tod bin ich innerlich798 durch die jahrelange Vorbereitung auf meine Aufgabe schon gestorben infolge des allmählichen Absterbens alles Eigenen und meiner früheren, persönlichen Grundlage. Nun bin ich zum neuen Leben in Jesus gerufen; ich werde nun das Leben des Erlösers leben und werde sterben „seinen Tod“. – Für meinen bisher gewohnten persönlichen Gebrauch bin ich wie aufgelöst und es vollzieht sich in mir eine immer mehr sich steigernde799 Ablösung von meiner früheren Art des Daseins. Das schafft natürlich auch ständige, in Worten nicht zu erklärende Leiden. Es sind so viele Einzelheiten im Menschen, deren Aufgeben diese Steigerung der Aufnahmemöglichkeit in Gottes Wesen voraussetzt! So leide ich auch heute sehr800, trotz der schon erworbenen großen Fülle des göttlichen Seins, dem ich auch heute801 schon in etwa dienstbar gemacht bin. Das Ergriffenwerden von der göttlichen Fülle ist eben – trotz und bei allem göttlichen Genuss, welches es bietet – ein schmerzliches Leiden, denn es ist zugleich ein immer restloseres Aufgeben des eigenen, bisher gewohnten und natürlichen Lebens. (Aber alles, was ich Schreibe, sind tote Worte gegenüber der tatsächlichen Wirklichkeit und Konsequenz für mich, mit welcher sich alles dies vollzieht.)

2178 |        Eine innere Glut des Verlangens nach Vollendung ist das Hilfsmittel zur Vollendung, insofern das Verlangen nach dem vollen Maß der in mir sich vorbereitenden Fülle göttlichen Lebens, mich verzehrt. – Es ist auch keine Furcht mehr in mir vor dieser Zukunft in Gott bzw. in Jesus; ich bin „in mir selbst“ gesichert. Ich lebe auch die Sicherheit der mir gegebenen göttlichen Verheißung und das Ziel seines802 Versprechens: Ich werde nie mehr Gott verlieren, denn ich bin ja schon in ihn aufgenommen. Er selbst, sein Leben, das ich lebe, ist mir Bürgschaft dafür.

 

28.05.1943803

2179 |        Es braucht nicht eine ganz neue Gesellschaft werden, sondern Jesus wünscht, dass ein schon bestehender Orden diese von Gott gewollte Priesterreform („Reform“ hier immer im Sinne einer Erneuerung und Glaubensvertiefung genommen) an sich ziehen und sich der Kirche zu diesem Zwecke zur Verfügung stelle.

2180 |        Bedingung ist:

1. dass jener Orden die Reform nach der von Gott gewollten und angegebenen Weise übernehme;

2. dass er geeignete Mitglieder zur Verfügung stelle, die unter der Leitung von H. Pater Baumann in diese Reform eingeführt werden.

3. Die Einführung in diese Reform muss von den einzelnen Mitgliedern des Priesterwerkes, ähnlich wie in einem Noviziat, als verpflichtend anerkannt werden.

4.  Es muss eine bestimmte Zeit, etwa ein Jahr, zugemessen werden, in der die Mitglieder durch Studium und praktische Übung der Reform befähigt werden, sich nach Ablauf dieser Prüfungszeit der allgemeinen Priesterreform widmen zu können.

5.  Die Einführung in dem gottgewollten Geist geschieht in einer einheitlichen, geschlossenen Form nach festgelegten Normen, nicht willkürlich, und muss von einzelnen in dieser Weise angenommen und zu eigen gemacht werden.

6.  Der Geist der Reform darf den Geist des betreffenden Ordens nicht stören oder berühren, sodass die Gefahr einer Spaltung bestünde, sondern im Gegenteil werden die einzelnen Mitglieder auch in ihrem Ordensideal befestigt, weil die Reform zugleich eine Erneuerung des Ordensgeistes sein soll. Die Reform selbst steht über allen Orden, weil sie nur eine Geistesreform von innen heraus sein soll, der die Ordensreform wie von selbst folgt.

7. Es müssen Häuser bereitgestellt werden, in denen anderen Priestern von Säkular- und Regularklerus die Möglichkeit geboten wird, sich in Kursen von festgesetzter Dauer in diesem Geist einführen zu lassen.

8.  Der tatsächlichen Reformtätigkeit sollen nur jene Mitglieder zugeteilt werden, die ihre Probezeit in der festgelegten Form gemacht und vom Leiter aus dafür befähigt anerkannt werden; so soll die Einheitlichkeit der Reform ermöglicht und sichergestellt werden.

9. Der betreffende Orden müsste zur Ehre Gottes und im Dienste des hohen Zweckes diese Bedingungen annehmen, damit das ganze Werk auf gottgewollte Weise übernommen und erfolgreich durchgeführt werde.

10. Der Leiter untersteht nur dem betreffenden Ordensgeneral, damit die geistige Bewegungsmöglichkeit gesichert sei. Die oberste Leitung liegt beim Ordensgeneral, von dem auch die einzelnen Mitglieder für das Werk ausgewählt und dem Werk zugeführt werden; das Werk wird aber als päpstliches Werk der kirchlich-disziplinären Ordnung unterstellt und danach geregelt werden.

 

Juni

01.06.1943804

2181 |        Ich „weiß“ um die zweite Möglichkeit für das Priesterwerk, nämlich als selbstständiges Werk unter einem Bischof oder Kirchenfürsten.

2182 |        Hauptbedingung ist eine verpflichtende Einführung einer Anzahl (Gesellschaft) von Priestern in den von Gott gewollten und gezeigten Erneuerungsplan, und zwar mit dem Zweck, dass diese Priester ausgebildet und befähigt werden, um sich dann mit der allgemeinen Erneuerung des Priestertums in diesem Geiste zu befassen. Es darf daher nicht bloß eine ins Belieben des Einzelnen gestellte Aufnahme des Erneuerungsgeistes sein, und der Leiter muss auch eine bestimmte Autorität ausüben können.

2183 |        Der Anschluss an einen bestehenden Orden ist möglich und erwünscht, aber doch nicht unbedingt notwendig. Die Hauptsache und die erste Frage ist nicht die Frage der konkreten Ausführung im Einzelnen, sondern die Klarstellung und Sicherstellung des grundsätzlichen, allgemeinen Planes Gottes, d. h. des Erneuerungsgeistes in einer geordneten, geschlossenen Form. Deshalb müssen zuerst die Anlage und der Geist des Gesamtwerkes ausgearbeitet werden, bevor eine weitere Entscheidung über die Ausführung im Einzelnen möglich ist. Das Werk selbst darf jedenfalls in seinem von Gott bestimmten Geist und Zweck nicht geändert werden, weil sonst sein gottgewolltes Endziel gefährdet wäre. Der betreffende Orden müsste im Falle eines Anschlusses in der Lage sein, jenen höchsten Zweck des Werkes sicherzustellen.

2184 |        Gott gibt jetzt – so sehe ich es – noch kein entscheidendes Licht über die Ausführung im Einzelnen, weil er diesbezüglich die Entscheidung weitgehend den Menschen überlässt, wobei er aber die Hauptgrundlage und den letzten Zweck wahren will. Es muss also zuerst die Wichtigkeit des Werkes selbst klargestellt und dieses als Wille Gottes anerkannt werden. Entsprechend der Bedeutung und Aufgabe des Werkes ergibt sich dann erst die Frage der besten Möglichkeit der Ausführung im Einzelnen. (Nach meinem Voraussehen wird das Werk schließlich selbstständig werden.)

 

06.06.1943

2185 |        Die frühere Vorbereitung geht in meinem jetzigen geistigen Stadium in eine immer mehr sich erhöhende und steigernde Wirklichkeit in Jesus über. Die begleitenden Leiden sind groß und geheimnisvoll und in Worten nicht zu erklären. Die Kräfte meiner Person und ihre selbstigen Eigenschaften805 werden allmählich abgelöst durch das Übernehmen der göttlichen Eigenheiten der Person Christi. Mit diesem Erfahren bin ich806 auf die Spitze meiner geistigen Berufung angelangt. Dabei erlebe ich schon jetzt ein Übergewicht der wesentlichen Eigenheiten der göttlichen Person in einem wirklichen Erfahren und Erfassen der göttlichen Realität.

2186 |        Wenn ich schon früher verschiedene wesentliche Vollkommenheiten und Eigenschaften des göttlichen Wesens in Christus erklären konnte, weil ich mich schon in so hohem Grade in ihn aufgenommen glaubte, so geschah jenes Erfahren Gottes bzw. Christus in seiner Menschheit807 doch immer noch mittels der Kräfte meiner Person, die ihre gewöhnlichen Funktionen ausübte. Jetzt aber gelange ich zu jenem Stadium, in dem die Kräfte meiner Person ganz, aber allmählich von den Kräften der göttlichen Person übernommen werden und diese nun meine frühere Stellung einzunehmen beginnt. Damit tritt mein Inneres, ja mein Gesamt-Leben in eine allgemeine psychologische Umwandlung ein, weil es sich in die göttlichen Person-Kräfte einzufügen und einzuleben beginnt. Es vollzieht sich eine tatsächliche Zusammenfassung meines Gesamtseins durch die Auswirkungen der göttlichen Person, die sich zur Trägerin meines Menschenlebens zu machen und als solche zu betätigen beginnt. So stehe ich jetzt am Tore des Eingehens in den wesentlichen Habitus des göttlichen Seins, der in der Menschheit Christi unverändert weiter bestanden hat.

2187 |        Ganz besonders tief erfasse ich das Geheimnis der „Person“, wenn dies auch wieder in Worten nicht ganz auszusprechen ist. – „Die Person trägt das ihr unterstehendes Element“ nach ihrer selbstigen Eigenheit und formt danach das Gesamtleben zu einer absoluten Einheit. – Das ganze Menschenleben von seinem ersten Augenblick an bietet die Möglichkeit für den Bestand der Person mit ihrer Eigenheit. Im Augenblick des Entstehens eines neuen Menschen „erwecken sich“ Daseinskräfte, durch die das Bestehenkönnen eines selbstigen, in sich abgeschlossenen und sich selbst bestimmenden Wesens mit der tatsächlichen Eigenheit einer sozusagen abgerundeten Individualität und der damit gegebenen, absoluten Verschiedenheit von jeder anderen derartigen Möglichkeit ermöglicht wird. Schon im ersten Augenblick des Menschenlebens „erhebt sich“ durch Gottes Schöpferakt eine höchste, wenn auch noch unbewusste Kraft als höchstes Ziel des Ganzen, dem alle Möglichkeiten zu diesem Ziel (im unbewussten Zustand) zugeordnet, angepasst und eingelebt werden. Das „Ziel“ dirigiert schon die ganzen Daseinskräfte gemäß der letzten Ordnung dieses808 Zieles selbst, das sich dabei als selbstiger Lebensantrieb auswirkt und im Laufe der Entwicklung des Menschenlebens immer mehr auszuwirken beginnt bis zur Vollreife der Person. Diesem Person-Ziel passt sich das Gesamtleben an als eine einmalige, absolute, nicht wiederholbare und nicht nachahmbare Wirklichkeit; denn jede Person als selbstiges Ziel mit all den ihr untergeordneten Möglichkeiten besteht nur einmal. Die Eigenheit der Person umfasst das gesamte Menschenleben, weil der Schöpfer diese Gesamtheit von Kräften, ermöglicht auf der Grundlage der Naturgesetze der Vererbung, nur einmal, eben diesen einen, bestimmten selbstigen Ziel zugeordnet hat.

2188 |        Die Möglichkeiten der Vererbung richten sich nach den gottgegebenen Naturgesetzen; das Person-Ziel aber tritt in Kraft gemäß dem höchsten und frei bestimmenden Ruf des Schöpfers zu einer Lebens- und Existenzmöglichkeit. Dabei schafft Gott für gewöhnlich neues Menschenleben nach dem Maß, der entsprechenden Naturgesetzen809 vorhandenen Kräfte, und er bildet auch die geistige Werthaftigkeit und Mentalität einer neuen Person entsprechend diesen natürlichen Gegebenheiten. Aber hier schaltet sich auch schon das Walten des Gottes der Gnade ein, der einer „Person“ als der höchsten Kraft und dem Ziele im Menschen auch ein Mehr oder Weniger an Entwicklungsmöglichkeiten zuteilen kann, als ihr nach den gewöhnlichen und vorliegenden Gegebenheiten der Naturkräfte zukommen würde. – Die „Person“ als höchste Kraft und Eigenheit im Menschen bekommt ihre Entfaltungsmöglichkeit im Augenblick ihrer Erschaffung zugewiesen. Nach dem Augenblick ihres Entstehens kommt ihr an sich nichts mehr an neuen, wesentlichen Entwicklungsmöglichkeiten oder Veränderungen zu, aber die Entfaltung und Entwicklung der schon zugewiesenen Kräfte und Möglichkeiten einer Person ist doch vielen weiteren Beeinflussungen und damit verschiedenen sekundären Veränderungsmöglichkeiten ausgesetzt, die auch tatsächliche immerwährende Veränderungen bis zum Ende des Menschenlebens herbeiführen können. So ist der Mensch ein ständig „Werdender“, der sich sein geistig-sittliches Dasein selbst zurecht richtet. Diese lebenslangen Veränderungen vollziehen sich aber alle im Rahmen der Gegebenheiten der in sich als einmaliger Individualität unveränderlicher Person.

2189 |        In dieses höchste Person-Ziel, in dem des Menschen Daseins begründet ist, kann aber der Mensch niemals ganz eindringen und in diesem Sinne kann er sich niemals ganz selbst finden. In diesem Selbsträtsel des Menschen in seinem höchsten Sein liegt der Stempel seiner göttlichen Herkunft. Der Mensch kann vieles erforschen, am wenigsten aber sich selbst im letzten Geheimnis seiner individuellen Person. In diesem Geheimnis trägt der Mensch das Abbild Gottes in sich. Das eigene Sein im Letzten ist dem Menschen das größte Rätsel, weil durch die „Person“ ständig gottebenbildliche Kräfte, wenn auch auf dem Wege über die Naturkräfte, in ihm wirksam sind. Gott trägt jedes Menschenleben in einem wahren Sinne in sich, denn außer ihm könnte kein Mensch bestehen. In ihm ist das Leben des Alls und darum sind alle Menschen durch ihre göttliche Herkunft ihm verantwortlich gemacht.

2190 |        Der Mensch ist verpflichtet, diese göttliche Herkunft in sich anzuerkennen. Die Herkunft des Menschen ist vor allem eine geistige, von Gott selbst eingehaucht; sie bildet und vervollständigt sich mittels der physischen Kräfte zu einem wirklichen810 Daseins- und Existenzzustand. Das Geistige im Menschen, das die Hauptsache ist, erhält seine Vervollständigung und Ergänzung durch die physischen Grundlagen und Naturanlagen, in die diese Geistigkeit eingebaut ist. Von dieser gottgeschaffenen Grundlage bleibt der Mensch sein ganzes Leben lang abhängig, denn sie ist ihm Existenz-Stütze und Vermittlung zum Dasein. Insofern bleibt die Person des Menschen als etwas an sich rein Geistiges doch auf die Vermittlungskräfte der physischen Natur angewiesen und von ihnen abhängig; denn diese bieten ihr die notwendige Ergänzung zum Gesamtleben, aber gemäß der Eigenart der Person als des selbstigen Zieles im Menschen.

2191 |        Diesem Ziele werden schon vom Anfang des Lebens an alle physischen Kräfte zu einem Ganzen eingeordnet. Die körperliche Natur als Werkzeug der Person erfährt und erleidet an sich die Eigenart der Person, deren Befehle und Direktion. Dieses Werkzeug „dient“ der Person zur Auslösung und Auswirkung ihrer Eigenart. Die physischen Kräfte helfen mit zur Erhebung der Werthöhe der Person, erleiden aber auch deren Niedergang mit. Im normalen Menschenleben gibt es in dieser Hinsicht keine Spaltung, wohl aber eine Spannung, d. h. ein angespanntes Bemühen, den Forderungen der Person zu folgen. Die feinen Bemühungen und Kräfte, die der Befehl und Druck der Person verursacht und auslöst, durchdringen das Gesamtleben und auch den ganzen Körper wie in einem beständigen Kreislauf. So dient die physische Natur im Menschen seiner Geist-Natur in einheitlicher Einordnung. Dieses augenblickliche Eingeordnetsein der physischen und psychischen Natur im Menschen zu einem Leben ist eigentlich eines der größten (natürlichen) Wunder im Menschen.

2192 |        Auf einer ganz ähnlichen Grundlage beruhte nun das Menschenleben Christi. In ihm formte die göttliche Person mit ihrer wesentlichen Unveränderlichkeit die Eigenart seiner menschlichen Natur gemäß der Vollkommenheitsgrundlage der göttlichen Person. Schon dadurch kann man sich die heiligste Menschheit Christi als das vollkommenste höchst harmonische Menschenleben erklären, weil es darin nie zu einer Spannung, d. h. zur Notwendigkeit einer Bemühung kommen konnte, um den Anforderungen der göttlichen Person genügen zu können; dies wäre ja eine Unvollkommenheit in der heiligsten Menschheit Christi gewesen, unvereinbar mit der Heiligkeit und Würde und Vollkommenheit der sie leitenden und beherrschenden göttlichen Person. – Von der heiligsten Menschheit Christi kann man sagen: Sie stand in ihrer Betätigung wie auf einer Ebene und Linie der Vollkommenheit gegenüber der göttlichen Person, zwar nicht an Werthöhe des Seins, weil nichts der göttlichen Natur an Wert gleichkommen kann, aber an Anpassungsmöglichkeit an die sittliche Höhe und Linie der göttlichen Person. Die Kräfte dieser göttlichen Person durchlebten – als solche einer wahren Person – das ganze psychophysische Leben Jesu und forderten dessen Kräfte an zum Dienste und zu einer menschlichen Existenz der göttlichen Person auf dieser menschlichen Lebensgrundlage811. Die gesamte menschliche Lebensgrundlage wurde auf die Vollkommenheitsebene der göttlichen Natur der Person Christi hingeordnet, eingestellt und emporgehoben, denn sonst wäre es in Christus nie zu einem wirklichen, „normalen“ Menschenleben gekommen – das aber tatsächlich vorhanden war. Die allgemeinen Gesetze des Menschenlebens mit seiner psychophysischen Grundlage müssen auch in Christus anerkannt werden.

2193 |        Da die Person Christi in der Eigenart ihrer göttlichen Natur812 die in Maria vorhandenen Lebensmöglichkeiten in der Kraft des Heiligen Geistes in Besitz nahm, bildete sich das göttliche Wunder der Menschheit Christi schon im Mutterleibe Mariens wie auf einer entsprechenden, gegebenen Naturanlage aus. In Maria waren infolge ihrer Befreiung von der Erbsünde schon entsprechend zu Gott erhobene und angepasste Kräfte der menschlichen Natur vorhanden. Das Vererbungsgesetz gilt auch hier wie im gewöhnlichen Menschenleben. Mariens Dasein und Leben bewegte sich auf jener Geisteshöhe, in die Gott die Menschheit zuerst erschaffen hatte, auf jener Grundlage, auf der das erste übernatürliche und doch für die ersten Menschen wie natürlich scheinende Kindschaftsverhältnis zu Gott möglich war. Die ersten Menschen bewegten sich nach ihrer Erschaffung wie auf einer „göttlichen Ebene“, wobei sie Gott in sich fanden und Gott mit ihnen wie813 auf einer ihnen natürlichen Ebene verkehrte. Darin lag wohl das größte psychologische Geheimnis des Zustandes vor der Sünde: in ihrer Einheit mit Gott wie auf einer natürlichen Ebene kraft des Zustandes ihres übernatürlichen Seins in Gott. Dieser Zustand der ersten Menschen, der auch in Maria im Wesentlichen bestanden hat, war der fruchtbare Boden für die heiligste Menschheit Jesu und ihre Erhebung auf die Vollkommenheitsebene der göttlichen Natur der814 Person des Wortes. – Entsprechend der göttlichen Wesensgrundlage formte diese göttliche Person ihre heiligste Menschheit und durchlebte sie ähnlich, wie unsere Menschheit kraft unserer menschlichen Person lebt.

2194 |        Die göttliche Person Christi, wesentlich und notwendig auf ihrer göttlichen Höhe und Ebene815 bleibend, beanspruchte alle menschlichen Kräfte, und die menschliche Natur in Christus bot und gab Ihr die Möglichkeit eines menschlichen Daseins auf unserer menschlichen Grundlage; sie trug das göttliche Leben in sich. Die Kraft der göttlichen Person durchdrang Christi ganzes816 menschliches Dasein bis in alle Zentren und Zellen seines menschlichen Körpers und damit wurden auch diese physischen Lebensstützen zum direkten Dienste der göttlichen Person in die göttliche Ebene hineingehoben und stützten gleichsam die Daseinsmöglichkeit Christi als Mensch zu einem wahren, menschlichen Dasein. Ebenso trugen die physischen und psychischen Kräfte Jesu die Leiden seiner göttlichen Person; denn die Person war der wirklich Leidende in Christus, dem die leiblichen und seelischen Kräfte die Leidensmöglichkeit auf göttlicher Ebene ermöglichten.

2195 |        Ausgangspunkt in Christus war immer die wesentliche göttliche Natur seiner Person, die das Gesamtleben zu sich empor nahm und es auf dieser göttlichen Höhe und Ebene zur Auswirkung brachte. So wurde die menschliche Natur in Christus zur Trägerin göttlicher Vollkommenheiten, weil sie göttliche Vollkommenheiten sich in ihr auswirken ließ und ihnen die entsprechenden Kräfte bot zu der Tatsache der Ausübung göttlicher Vollkommenheiten in der menschlichen Natur in Christus. Diese menschliche Natur „erlitt“ in sich selbst die göttlichen Vollkommenheiten und bot ihre Kräfte zum Sichtbarwerden dieser Vollkommenheiten. Diese erfuhren in der heiligsten Menschheit Christi nicht die mindeste Abschwächung, sondern bewegten sich auf gleicher wesentlicher Höhe wie vor der Menschwerdung Christi. Sie wurden vielmehr nun gleichsam greifbar als sichtbare Tatsache. Die göttliche, wesentliche Liebe z. B. als immerwährende Selbstmitteilung Gottes an die Geschöpfe, die in Worten eigentlich nicht zu erklären war, wurde in der heiligsten Erlöser-Menschheit zur sichtbaren Selbsthingabe und Selbstaufopferung bis zur Selbsterschöpfung. Der Namenlose gab sich einen Namen in seiner Menschwerdung: Erlöser, Befreier seiner Geschöpfe, und er wurde dies wirklich. Gottes Liebe hat sich darin geoffenbart, dass der Vater seinen Sohn hingab817 bis zur Selbsterschöpfung. Lieben heißt Hingeben und den geliebten teilnehmen lassen; und diese Selbstmitteilung Gottes, die818 Liebe ist, wurde im Erlöser zur sichtbaren Tatsache. Und für diese Unerschöpflichkeit und Grundlosigkeit der göttlichen Liebe wurde die menschliche Natur das Werkzeug; sie erlitt an und in sich die göttliche Liebe, und zwar die unendliche Liebe. Aus dieser Tatsache kann man sich in etwa ein Bild machen von der göttlichen Tragfähigkeit der menschlichen Natur in Christus, von den Anforderungen, welche die göttliche, unendliche Liebe an sie stellte, von der grenzenlosen Elastizität ihrer Kräfte, von der Höhe ihrer Anpassungs- und Einfügungsmöglichkeit in die göttlichen Vollkommenheiten des ewigen Wortes. Soweit die göttliche Person liebte, soweit liebte und litt die heiligste Menschheit. – Die physischen und psychischen Kräfte Christi erlitten auch unmittelbar die ständige Sendung des Erlösers vom Vater; die immerwährende Zeugung des göttlichen Wortes als des Erlösers vom Vater wurde unmittelbar von der menschlichen Natur Christi aufgenommen, und zwar an der ganzen göttlichen Vollkommenheit des Vaters in der Einheit der göttlichen Wesenhaftigkeit. –

 

08.06.1943

2196 |        Die „Übernahme“ meines Seins durch die Direktion der göttlichen Person (gemäß meiner geistigen Berufung) erhöht sich fortwährend, wenn dies auch in Worten kaum mehr819 zu erklären ist. Mein Gesamt-Sein wird immer mehr unter die Botmäßigkeit einer mich schon erfassten Aktion gestellt, die meine frühere selbstige Existenz ständig verringert.

2197 |        Meine frühere, eigene Selbstleitung als bewusster Zustand ist schon sozusagen aufgehoben; da mir aber bis jetzt noch die letzte Auswirkung, oder vielmehr die letzte bewusstseinsmäßige Einwirkung der Autorität der mich übernehmenden göttlichen Person fehlt, fühle ich mich jetzt so wie in einen Nicht-Zustand versetzt. Aber gerade in diesem „Nicht-Zustand“ wird mein selbstiges, für meinen Gebrauch schon größtenteils ausgeschaltetes Sein in immer noch höherer Weise den Anforderungen und Bedingungen der Eigenart der göttlichen Person eingeordnet. Ich kann sagen: Je mehr ich als sein „nichts“ bin, desto mehr werde „ich“; das heißt: Je mehr ich nichts um mich weiß, desto mehr weiß ich um „mich“, nämlich gerade durch den Zustand, der uns Menschen wie ein Nichts-Sein820 scheint. Des Menschen Sein besteht nämlich aus dem „Erzeugen“ und „Werden“, Gottes Sein ist ohne „Bewegung“ (in unserem Sinne) und ist „Untätigkeit“ (so wie uns sein „reiner Akt“ und seine ganz andere Wirklichkeit erscheint). Gott ist die Wirklichkeit, wir sind der Schein; ich erlebe diese geheimnisvolle Tatsache. Je mehr ich darum nichts um mich weiß, desto mehr weiß ich um „mich“, d. h. um die Eigenart der mich übernehmenden göttlichen Person.

2198 |        Gottes Sein liegt im wahren Licht, im Wesenslicht, aber dieses Wesenslicht ist für uns „dunkel“, weil es ohne „Bewegung“ und ganz göttliche Wirklichkeit ist. Das menschliche Sein liegt für uns „im Lichte“, aber es ist gleichsam ein gemachtes, künstliches Licht, das der Mensch in sich und um sich erzeugt, während das Sein Gottes im Wesenslicht für uns „im Dunkel“ liegt. Darum müssen wir unser „künstliches“ Licht verlassen, um in dieses „Dunkel“ Gottes, wie es für uns scheint, in sein Wesen eindringen zu können.

2199 |        Man sagt, dass ein Mensch, der sein Augenlicht verloren hat, und blind geworden ist, als Ersatz für das frühere Sehen umso mehr Gefühl und Geistigkeit bekommt und mit umso größerer geistiger821 Schärfe sich selbst erfasst. Etwas Ähnliches vollzieht sich jetzt in mir. Das Licht für mich selbst ist wie ausgelöscht; ich kann mich selbst nicht mehr mit dem geistigen Blick umfassen, weil das Empfinden für das selbstige Dasein wirklich schon aufgehoben ist. Es wirken zwar noch gewisse Reaktionen wie im Unterbewusstsein helfend weiter, aber das „Bewusstsein“ nach früherer Art, das „Zuführen“ zu einem höchsten Ziele, nämlich zu meiner Person, ist nicht mehr vorhanden. Eigentlich bin ich im Tiefsten schon jetzt von geheimnisvollen höheren Kräften dirigiert, die – infolge ihrer ganz anderen, von der menschlichen Anlage verschiedenen822 – eine andere Art der Autorität ausüben.

2200 |        Was wir Menschen „Bewusstsein“ nennen, nämlich jener Akt des Sich-selbst-bewusst-werdens, das ist bei der göttlichen Person schon in höherer Art in ihrem Sein selbst enthalten. Dort braucht es keinen „Akt“, kein „Umschauen“, wie es die menschliche Person nötig hat, um sich auf sich und in sich selbst zu konzentrieren. Dort ist vielmehr diese „Konzentration“ wesentlich und im höchsten Maße immer gegeben. Gottes Bewusstsein ist immerwährende Selbstdurchleuchtung, die Gott jeden Augenblick in unveränderlicher Weise um sich selbst wissen lässt. Seine wesenhafte Seinsgrundlage bietet ihm unveränderlich vollkommenstes Wissen um sich selbst. Dieses sein Wissen um sich selbst gleicht einem Spiegel, der ihm jeden Augenblick sein Wesen in seiner ganzen Vollkommenheit zeigt, und dieser Spiegel ist Gottes Wesen selbst. Infolge seines göttlichen Wesens durchdringt sich Gott jederzeit in unaussprechlicher Erhabenheit.

2201 |        In diese göttliche Erhabenheit als wesentliche unveränderliche Eigenschaft Gottes war in Christus auch seine menschliche Natur einbezogen. Die Kräfte seines menschlichen Seins konnten der göttlichen Erhabenheit folgen, sodass Christus als Gottmensch jeden Augenblick in höchst vollkommenem Wissen um sich selber stand. Die Einigung zwischen den beiden Naturen war so innig, dass jene Kräfte in der Seele Christi, die im gewöhnlichen Menschenleben das Selbstbewusstsein ermöglichen, schon im Augenblick seiner Menschwerdung in diese göttliche Selbstdurchleuchtung und Selbstspiegelung einbezogen wurden. So schaute sich die Seele Christi in Gott und wusste sie um sich und lebte sie sich als „Gott“, d. h., wie Gott es tut. Und dieses Selbstbewusstsein der Seele Christi „als Gott“ war vollständig „aktlos“ (in unserem Sinne); es war die Wesenheit im Sein Gottes, woran die menschlichen Kräfte Christi unmittelbar und augenblicklich beteiligt waren, sodass das Gesamtleben Jesu von diesem göttlichen Bewusstsein getragen wurde.

2202 |        Für die göttliche Person des Wortes hatte dieses „Bewusstsein“ seines göttlichen Seins göttliche Konsequenzen vor seiner Menschwerdung, wie z. B. die Forderung auf die ihm geschuldete göttliche Verehrung, aber im Augenblick der Menschwerdung verzichtete Christus auf die göttliche Huldigung und war Gott in Menschengestalt mit menschlichen Lebensbedingungen, alleinig sein göttliches Wesen beibehaltend. Die Erlöserperson beschränkte sich auf das göttliche Sein, verzichtete aber mit der Menschwerdung auf die ihm gemäß seinem göttlichen Bewusstsein zukommende Herrlichkeit und Würde. Aber er konnte nicht verzichten auf die Anerkennung seines göttlichen Seins, für das er den Glauben und dementsprechend die Anbetung forderte. (Hier liegen noch viele Geheimnisse verborgen, z. B. inwieweit die zweite göttliche Person sich selbst entäußerte, Knechtsgestalt annahm und im Äußeren wie ein Mensch befunden wurde.) Was ich jetzt von Christus erlebe, ist sein gewöhnlicher Zustand, die allgemeine Grundlage seines Daseins als Gottmensch. – Später – so wird mir zu wissen getan – wird sein823 Zustand als „Erlöser“ folgen.

2203 |        In meinem jetzigen Zustand kann ich sagen: Je mehr ich nicht bin, desto mehr erfasse ich „mich“ selbst, denn das Sich-selbst-Erfassen ist schon enthalten und gegeben mit dem vollen Eingehen in die Erlöserperson. Mein Zustand und Sein ist nun mein Bewusstsein und Wissen um mich, wobei das fühlbare Wissen um mich ausgeschaltet ist. Bewusstsein ist mir jetzt Zustand, Selbst-Sein als Seinszustand.

 

09.06.1943

2204 |        Zwar klingt es verwegen dies auszusprechen, aber es ist Tatsache: Ich bin innerlich veranlasst, mich zu begnügen mit dem gegebenen Habitus des Zustandes824 in Gott und deshalb alle religiösen Betätigungen und Übungen, die bestimmt sind, eine Seele zu Gott zu führen, und auch das geistige Hindringen zu Gott aufzugeben. Ich soll nur jenen mir verliehenen Habitus des Zustandes in Gott „leben“, wie und soweit ich mittels der göttlichen Führung eindringen kann. So wird mein Menschsein zu einem Selbstsein erhoben, dessen religiöses Leben im Sein selbst besteht.

2205 |        Ich spüre auch: Je mehr ich mich auf diese selbsteigene Quelle stütze, desto reichlicher lebe ich „mich“ selbst, womit das Erheben zu Gott als religiöse Übung überflüssig, ja geradezu eine Störung wird. Durch die geheimnisvolle Einigung mit der göttlichen Person des Wortes bin ich so in das Zentrum des religiösen Zieles eingedrungen, dass ich mir nun gleichsam selbst zum Ziele bin, das mir die letzte Vollendung geben wird. Ich brauche dieses „Ziel“ nur zu leben. (In diesem Geheimnis war ich heute Morgen in S. Agnese eingeführt.)

2206 |        Jede religiöse Übung führt ihrem Wesen nach zu Gott. Gottes Sein ist höchste Wirklichkeit, ihm genügt825 das Sein. Darum „betet“ Gott nicht eigentlich und verehrt er sich nicht selbst; denn sein Wesen allein ist ihm die höchste Huldigung. Gottes Sohn machte sich nach seiner Menschwerdung freiwillig zum „Bittenden und Betenden“ auf jener göttlichen Ebene seines wesentlichen göttlichen Seins. Er trat in seiner Menschwerdung in einen göttlichen Habitus des Gebetes ein, indem sein menschliches Dasein infolge seiner göttlichen Person zu einer beständigen Huldigung vor dem Vater wurde. Ausgehend von diesem wesentlichen Gebetszustand erhob sich der Gottmensch dann auch in Gebetsworten als Mittler und Fürbitter zum Vater.

2207 |        Das ganze Dasein des Erlösers bewegte sich habituell im göttlichen Wesen des Vaters, aber er unterwarf sich dem Vater und wurde zum „Bittenden“ für die gesamte Menschheit. Schon dieser Akt der völligen, freiwilligen Unterwerfung unter die Autorität des Vaters war die denkbar größte Huldigung für den Vater. So strömte dem Vater wirklich göttliche Huldigung zu mittels der Menschheit Jesu, in welche die gesamte Menschheit einbezogen war. Christus betete und „tat“ und „lebte“ sich selbst826 anstelle und zu zugunsten der gesamten Menschheit, die ständig in ihm zum Vater mit emporgenommen war.

 

10.06.1943

2208 |        Heute bin ich sehr in einem leidenden Zustand. Es vollziehen sich geheimnisvolle geistige Veränderungen in mir. Jede religiöse Übung ist mir wie unmöglich gemacht. Mein ganzes Sein ist in einem derartigen „Ruhezustand“, dass es mir sozusagen nicht möglich ist, mich zu einem Gebet abzulenken oder zu zerteilen. Es ist wie eine allgemeine geistige „Lähmung“, die mich beherrscht und der ich mich nicht entziehen kann. Im Grunde ist die Art meines früheren Lebens schon nicht mehr vorhanden und ich beginne ein neues Leben auf ganz anderer Grundlage zu leben, jenes nämlich, das langsam und seit Langem in mir vorbereitet wurde und das mich immer mehr in Beschlag nimmt. Ich habe übergenug am Sein und Leben selbst, sodass es mir überflüssig ist, noch etwas dazu zu erbitten.

2209 |        Trotz all der scheinbaren „Bewegungslosigkeit“ aber weist mir dieses Leben selbst die kommende Richtung an. In gelegentlichem blitzartigem Aufleuchten erkenne ich die neue Richtung dieses „Lebens“, nämlich das Eingehen in eine wesenhafte Einheit mit dem Vater. Eine weitere Steigerung meines Seins wird mir eine neue Erhebung bringen, die mich in das „Wesen des Vaters“ und zugleich in die Abhängigkeit Jesu vom Vater einführt. – In diesem Zustand leuchtet auch eine andere, neue Gebetsweise auf, nämlich das beständige Geben des Eigenen und das Empfangen des seinen. Ich gelange also zum Nachleben827 jener wesentlichen Vermittlung des göttlichen Lebens, das ständig vom Vater zum Sohne strömt und in menschlich gelebter Form wieder dem Vater zurückgegeben wird als immerwährende Anbetung und Huldigung durch die göttliche Erlöserperson in ihrer heiligsten Menschheit.

2210 |        Die Leiden, welche dieses geistige Vorauserleben begleiten, sind wie ein Schwergewicht, das mich an das jenseitige Ufer göttlicher Anteilnahme zieht und führt. Es erfüllt mich ein unsagbarer Ekel gegenüber meiner früheren gewöhnlichen Lebensart; dazu quält mich ein gewisser Widerspruch gegen Hindernisse für das Gelangen an jenes göttliche Ufer, die vielleicht unbewusst noch in mir bestehen und die mich festhalten wie Ketten und schmerzlich durchdringen wie Dornen.828 Im Grunde kennt aber diese unsagbare Qual nur ein Verlangen und Bestreben: Ganz sterben für mich und dann dort teilhaben an jener Art der Teilnahme am göttlichen Leben und Erleben, die ich durch den Charakter der jetzigen Leiden wie mit einem geistigen Instinkt oder intuitiv erfasse und erfahre. –

 

12.06.1943

2211 |        Ich leide viel seit einigen Tagen, aber die größten Leiden sind mir lieber als alle hohen Gnaden.

2212 |        Ich bin wie gebunden durch geistige Kräfte, denen ich mich nicht entziehen kann. Ich bin wie gekreuzigt; ob ich mich auf diese oder jene Seite wenden möchte, immer und überall scheint der geistige Schmerz noch größer zu sein, als er vordem war. – Und doch bin ich dabei veranlasst, immer wieder zu sagen: „Lass mich, o Herr, immer in dieser Stellung, denn sie bereitet mir im Grunde doch mehr Befriedigung als die größten Gnaden. Es kommt mir zu, verdemütigt829, vernichtet und gekreuzigt zu sein. Lass mich so bleiben!“ –

 

14.06.1943

2213 |        Ich befinde mich in einer unaussprechlichen Einheit und Ebene mit „mir selbst“ und in dieser Einheit wird mein ganzes menschliches Dasein wie aufgelöst. Es durchdringt mich eine Geistigkeit, in der ich zu vergehen, und zu ersticken meine.

2214 |        Eine geheimnisvolle Zusammenfassung all meiner physischen und psychischen830 Kräfte wirkt sich aus in dieser Seins-Einheit. Alle gleichsam unter der höchsten Kraft in mir liegenden Fähigkeiten drängen in einer geheimnisvollen psychologischen Umänderung hin zur höchsten Höhe in mir und lösen sich dort, in der höchsten Funktionskraft, zu einer Einheit auf. Diese geistigen Veränderungen bilden ein fast erdrückendes Leiden für mich. Ich bin wie zermalmt von dieser, der menschlichen Art ganz entgegengesetzten, unerklärlichen Seinseinheit in mir selbst.

 

16.06.1943

2215 |        Öfters schon hatte ich das innere Erkennen: Man müsse das religiöse Leben und Streben unabhängiger von den äußeren Bindungen und Verhältnissen gestalten, es davon zu trennen wissen und rein zur Hauptsache des persönlichen Lebens machen. Gewisse äußere Verhältnisse, wie z. B. Organisationen, Vereine und dergleichen, sind wohl Hilfsmittel für das religiöse Leben, bleiben aber doch Nebensachen, die nur zu oft wie als Hauptsachen hingestellt werden. Diese an sich wertvollen, aber nicht unumgänglichen notwendigen Hilfsmitteln sollen nur831 an zweiter Stelle stehen, weil sie nur Hilfe sind für das Erste und Wichtigste, dass nämlich das persönliche Glaubensleben im Einzelnen zur Wirksamkeit und Entfaltung komme. Ähnliches gilt gegenüber den Einflüssen des Staates. Jeder einzelne832 Mensch soll das Fundament eines religiösen Charakters so sehr in sich selbst tragen, dass dieser auch unbeeinflusst und unabhängig von öffentlichen und staatlichen Ereignissen bestehen bleibt und das Leben aus dem Glauben wirklich im guten Sinne zu seiner „Privatsache“ machen kann. Die tatsächliche politische Lage weist ja auch auf diesen Weg unbedingt selbsteigener Religiosität als Notwendigkeit hin.

2216 |        Die göttliche Offenbarung und Wahrheit, besonders jene über die Bedeutung des Sündenfalles und über die Tatsache der Begnadung833 durch die Erlösung sollte jedem Menschen zum eigenen, tiefsten Begreifen werden, worauf sich dann sein religiöses Leben aufbaut und auswirkt. Die Abhängigkeit von äußeren Einflüssen und Hemmungen hat aber vielfach zu einem Nicht-Durchdringen des religiösen Zieles geführt und so ist die Religion mit ihren Forderungen im täglichen Leben vielfach beim Einzelnen und auch großenteils bei der Gesamtheit gleichsam gescheitert gegenüber den materialistischen Strömungen verschiedenster Art. Tiefe, eigene religiöse Betätigung des Menschen soll aber zu einem „Eigenwerk“ des einzelnen Menschen ausgebaut werden in möglichster Trennung und Unabhängigkeit von gesellschaftlichen und staatlichen Formen und Bedingungen. Umso mehr soll die eigene Kraft des Glaubens und der Zusammenschluss aller Katholiken in diesem Geist und Streben sich entfalten.

2217 |        Damit sind auch für die Aufgabe des Priesters in der kommenden Zeit der Weg und das Ziel gewiesen. Die Priester als Führer des katholischen Volkes müssen selbst in diesem Sinne befestigt sein und das Volk zusammenschließen auf der Grundlage eines vertieften Glaubenslebens, in eigener Selbstbetätigung zur vollen Erlösung des Einzelnen und zur „Selbsterlösung“ im Sinne der Ausnutzung834 und Zuwendung der Erlösungsgnaden in persönlich gelebtem Christentum.

2218 |        Auf dieser Grundlage soll auch das Familienleben, auf- und ausgebaut werden. Die Heiligkeit der Ehe, die eine Übertragung von Rechten Gottes auf den Menschen ist, soll wieder mehr ins Bewusstsein der Christen kommen und die werdenden Eheleute sollen in diesen Geist eingeführt werden. Nächst dem Priestertum muss die Familie die Trägerin eines erneuerten christlichen Geistes werden. Priester und Familie sollen auf einer gemeinsamen Grundlage zusammenarbeiten für ein vertieftes Glaubensleben835, dessen Ausgangspunkt und Quelle die Erlösungsgnaden sind, die Christus in seiner Kirche in vertiefter Weise zur Erinnerung und Anerkennung bringen will.

 

17.06.1943

2219 |        Die geistigen Leiden dauern in der gleichen Richtung an, doch das allmähliche Erfahren ihrer Früchte bietet mir Erleichterung. Eine neue „Erhebung“ in mir gewinnt die Oberhand und es ist in mir, oder vielmehr ich selbst bin nun eine viel höhere Art geistiger Zusammenfassung und Einheit geworden. Das ist mein „Ich“ und ich bin das als eigenes, selbstiges Dasein in einer rein seinshaften Daseinskraft, die ich wiederum selbst bin, gleichsam ohne „Zutat“ des Eigenen. Ich bin und bestehe als seinshaftes Selbstsein und Dasein in ureigenster Kraft. Dieses Sein als Dasein „tut nichts“ (in menschlichem Sinne) und „hat nichts zu tun“ als nur zu „sein“, und darum scheint es dem gewöhnlichen menschlichen Empfinden wie „leblos“. Es „existiert“ nur, aber in diesem „Existieren“ ist alles enthalten. – In dieses rein existierende Sein wurden all meine Kräfte unter ganz unerklärlichen geistigen Leiden eingedrängt und eingeordnet. Mein hervorgebrachtes und hervorbringendes Dasein wurde in diesen Zustand umgewandelt, der dem gewöhnlichen menschlichen Empfinden wie ein „Nichtzustand“ scheint.

2220 |        „Die physischen Kräfte bieten der Person ihre Daseinsmöglichkeit nach der ihr eigenen Art“. Bei der jetzigen psychologischen Umwälzung in mir ändert sich darum auch die Art der Betätigung meiner eine menschliche Existenz ermöglichenden Behelfskräfte, die nun der göttlichen Person angepasst und in ihren Dienst gestellt werden. Die göttliche Person des Wortes, der ich eine geheimnisvoll nachgebildete menschliche Daseinsmöglichkeit biete, wirkt und schafft selbst diese Umwandlung in mir, indem sie meine Kräfte so in Anspruch nimmt, wie es ihrer göttlichen Art und Anlage entspricht. Die unaussprechliche „Ebene“ und Harmonie mit der höchsten Kraft in mir, die ich selbst bin und in die meine physisch-psychischen Existenzkräfte einbezogen und eingeführt werden, wirkt auf meine frühere und bisherige Daseinsart wie ein geistiges Ersticken von Kräften, die scheinbar „untätig“ werden. In Wirklichkeit handelt es sich aber nicht um „Untätigkeit“, sondern um wesentliche Tätigkeit im Dienste einer ganz anders gearteten Personkraft, die nun meine menschlichen Daseinsmöglichkeiten, in einer ihr entsprechenden, höchst vergeistigten Weise anfordert.

2221 |        Zugleich „dämmert“ schon ein neuer, bewusster Zustand meines Seins als meines wirklich Eigenen auf: „Ich selbst bin das“. – Ich bin und erlebe mich losgelöst von den früheren Banden eines sich gleichsam selbst hervorbringenden Daseins. Es ist, wie wenn ein Kind im Wissen seiner erwachsenden Kraft „aufsteht“ und die ersten Schritte macht, oder wie wenn ein Vöglein mit dem Instinkt, dass es nun fliegen kann, das Nest verlässt und sich in die Luft hebt zu den ersten Flugversuchen. So ähnlich – wenn auch als ein im Grunde unerklärliches Geheimnis – erlebe ich nun mein „eigenes“ Sein. Ich habe gleichsam die Windeln, die ich in meinem bisherigen Sein nötig hatte, zurückgelassen und bin in mir selbst „aufgestanden“ zu einer anderen Lebensart. Dieses „Aufstehen“ zu und in jener neuen Art des Daseins ist eine ständige geistige Bewegung in mir. Vielleicht werden noch mehrere Stufen dieses Aufstehens meines neuen Selbst und seiner neuen Art folgen.

 

18.06.1943

2222 |        Wie immer nach großen Leiden, so zeigen sich auch jetzt wieder weitere geistige Entwicklungen in mir, jedoch in unaussprechlicher Ruhe, wie wenn nichts wäre, und doch wieder zu einer Wirklichkeit und Tatsächlichkeit, die836 ich selbst bin als Erleider dieses höheren geistigen Werdens. Es „wird“, aber ich selbst bin jener, der „wird“ und zum Teil schon ganz anders geworden ist.

2223 |        In den vergangenen Tagen entstanden in mir wunderbare geistige Bewegungen, aber ich selbst bin dabei jene Bewegung, die mich mir selbst vorführt und mir die Art meines neuen Seins seinshaft bewusst macht: „In jener Vollkommenheit, (die ich erfahre), ging das göttliche Wort immerwährend vom Vater hervor.“ – „Ich“ bin jener „in Bereitung“, der immerwährend vom Vater gezeugt wird, in jener Form, in der ich mich selbst lebe837. Dazu meinerseits immerwährende Bereitschaftserklärung, „jener“ sein zu wollen, in dessen Eigenschaft ich mich selbst erlebe.838 Nie mehr von meinem früheren Leben Gebrauch machen und für immer dieses neue Sein als mein Sein leben wollen! Dabei welch großer Ekel und Widerspruch gegen meine frühere Lebensart! Mein früherer Zustand, soweit noch Spuren von ihm vorhanden sind, ist mir zur beständigen Qual und es ist in mir ein leidvolles „Mich-immer-vollständiger-herausziehen839“ aus früheren Banden, die mich beengten und deren Spuren ich noch in mir trage; es ist ein ständiges Abstreifen und Verabscheuen unbewusster Bindungen, ein Gehen in die „Wüste“ (wie es scheint), die mir aber die wahre Wirklichkeit ist.

2224 |        So bewegt es sich in mir, aber über all dem leidvollen „Unteren“ in mir bin ich die Fülle selbst und bin ich „der, welcher aus dem Vater hervorgeht“. Es greift also die höchste Höhe meiner geistigen Berufung, und der leidvolle Weg zu dieser Höhe, ineinander.

 

19.06.1943

2225 |        Eigentlich trete ich jetzt in das endliche Stadium meiner besonderen840 Berufung ein. In ständigen Bewegungen erfasse ich mich immer mehr als den, der ständig vom Vater hervorgeht. So besonders heute nach der heiligen Kommunion: „Ich bin der“ – immerwährend vom Vater gezeugt – in jener wesentlichen Vollkommenheit vom Vater gezeugt. – In gleichbleibender göttlicher Höhe und Ebene belebte das göttliche Wesen des Wortes die menschliche Natur. – Augenblicklich und immerwährend war und ist die menschliche Natur auf jenem göttlichen Niveau oder Ebene von der göttlichen Person durchlebt. – Ich bin jene menschliche Natur und ich dringe zum Zentrum jenes göttlichen Erzeugers, zu meinem Zentrum vor.

2226 |        Durch eigenes Erfahren bin ich nun in jenem göttlichen Geheimnis: Die menschliche Natur Christi, die Trägerin des göttlichen Lebens in jener Ebene göttlicher Wesenhaftigkeit mit dem Vater! Es gibt kein Wort und keine Erklärung für dieses Geheimnis vollkommenster Einheit und harmonischer Ebene ohne irgendwelche Spannung und Dissonanz zwischen Göttlichem und Menschlichem der heiligste Menschheit Christi. Obwohl die Menschheit Jesu an Werthöhe unter der göttlichen Natur stand, so konnte sie doch infolge der vollkommenen Ebenmäßigkeit ihrer Aufnahmefähigkeit für das göttliche Wesen des Wortes sagen: „Ich bin Gott“, denn ich „lebe“ das göttliche Wort und biete ihm das menschliche Leben auf gleicher Ebene mit dem Göttlichen im Vater, das augenblicklich mit der göttlichen Zeugung als göttliches und zugleich menschliches Leben in Jesus Christus gelebt wird.

2227 |        Die menschliche Natur wurde zum Träger des Göttlichen auf der Grundlage des psychologischen Geheimnisses „der Person“. Allgemein bieten ja die Kräfte der Natur im Menschen die wirkliche Daseinsmöglichkeit für die Person. Auch für das Leben Jesu bot die menschliche Natur jene Möglichkeit; sie bot dem göttlichen Worte all ihre Kräfte entsprechend der Inanspruchnahme und auf der Ebene der göttlichen Natur und sie nahm gleichzeitig jene göttliche „Zeugung“ des ewigen Vaters in sich auf, und zwar bis in die feinsten Zentren und Zellen.

2228 |        Ich bin in wunderbarer Weise aufgenommen in dieses Geheimnis, nein ich bin jenes Geheimnis geworden. Um einen Vergleich zu versuchen: Mein Sein ist zu einer „Kugel“ geworden. Eine Kugel ist von jeder Seite gleich, überall gleich rund und es gibt keinen Unterschied. In ähnlicher Ebenmäßigkeit harmonierte die menschliche mit der göttlichen Natur in Christus! Nirgends war ein Mehr und nirgendwo ein Weniger an Göttlichkeit, weder am Haupte noch am Fuße Christi. Wohl nimmt das Haupt am menschlichen Körper eine höhere Stellung ein, aber die niedereren physischen Kräfte dienten in gleicher vollendeter Harmonie und Ebenmäßigkeit der Inanspruchnahme durch die göttliche Person. Die ganze menschliche Natur in Christus war „tragfähig gegenüber der göttlichen Natur des Wortes“, und war wirklich „tragend die göttliche Natur des Wortes“ und in diesem Sinne war sie „ganz Gott“841 geworden. So lebte sie ausübend die göttlich-wesentlichen sittlichen Vollkommenheiten, die in und mit der „Zeugung des Wortes“ gegeben sind. Der Vater zeugte nämlich in der Zeit das göttliche Wort in eine menschliche Natur (nämlich in die menschliche Natur Christi) und diese menschliche Natur lebte das Wort in jener Vollkommenheit und wesenhaften Einheit mit dem Vater, wie er Es vor der Zeit und seit Ewigkeiten gezeugt hat als die rein geistig-göttliche842 Person vor der Menschwerdung. Der Mensch Christus konnte also843 mit vollem Recht sagen: „Ich tue immer den Willen des Vaters“ – in jener göttlichen Vollkommenheit seines Hervorgehens oder seiner Zeugung vom Vater. Und diesem844 wesentlichen göttlichen Willen diente und845 lebte die menschliche Natur Christi in göttlich-vollkommener Weise, weil dieser göttliche Wille von der menschlichen Natur zugleich mit der Zeugung des göttlichen Wortes aufgenommen und in gleicher Vollkommenheitshöhe mittels der menschlichen Kräfte Christi846 vollführt wurde. „Dazu bin ich vom Vater gesandt worden – als Erlöser und Mensch, um die Werke des Vaters zu tun“847 und zu vollbringen, Werke in unmittelbarer göttlicher Vollkommenheit, aber vollbracht durch das Werkzeug der menschlichen Natur, die dem Erlöser in einer seiner göttlichen Art entsprechenden Form diente, um diesen göttlichen Willen unmittelbar und zugleich mit der göttlichen Zeugung des Wortes menschlich zu leben und zur gottmenschlichen Tat werden zu lassen. – Ich bin nun daran, gemäß meiner unbegreiflichen Berufung dieses vom Vater gezeugte göttliche Wort mittels meiner menschlichen Natur in menschlicher Form zu erleben. Ich bin das und werde es immer mehr. Es gibt aber kein menschliches Wort, um diese Tatsächlichkeit zu erklären. Mein Sein selbst ist mir unleugbare Bestätigung. – Ich fühle mich, in einem schwachen Bilde gesagt, wie eine fliegende, geistige, sich selber848 tragende Kugel; diese ist voll geistiger Einheit und hat infolge ihrer Leichtigkeit und Geistigkeit die Erde verlassen und geht in die Höhe, gefüllt wie ein Ball, aber mit Geistigkeit gefüllt und diese Geistigkeit bin ich selbst infolge meines sublimen vergeistigten Wesens. Ich selbst bin ein Geheimnis geworden.

2229 |        In diesem „Erleben“ als mein eigenes Leben ist mein Sein ganz Verlangen, dies immer mehr noch zu erhöhen, zu vollenden und ganz aufzugehen in diesem göttlichen Sein. Mein Leiden ist dies: Vollends die göttliche Person des Erlösers als mein eigenes Leben aufzunehmen; denn weil ich noch um viele Erhöhungsmöglichkeiten weiß, bin ich selbst in ein verzehrendes Leiden des Verlangens nach jenem Ziele getaucht. So leide ich ein auf und nieder von geistigen Bewegungen! Ein Widerstreben gegen meine frühere Lebensart und ein verzehrendes „Hin“ zu den göttlichen Geheimnissen, die durch mich selbst zu erfahren ich vorbereitet bin, und dann wieder ein bewusstes Erfassen meiner selbst im schon erreichten (aber noch nicht ganz849 vollendeten) Zustand, indem ich selbst diese Existenz bin.

 

21.06.1943

2230 |        In dem850 Zustand, in dem ich mich jetzt erlebe, erfahre ich noch eine weitere Erhöhung, gleichsam eine konsequente Auswirkung „meiner selbst“. Es steigert sich in mir eine feinere, geistige Elastizität, der gegenüber mein bisheriger Zustand mir nun wie „starr“ vorkommt. Zugleich erlebe ich voraus eine solche Beweglichkeit und Einfühlungsfähigkeit851 meiner Kräfte in die Realität der göttlichen Person, dass ich mir gestehen muss: Noch bin ich nicht fähig, diese höchste852 Geistigkeit und Elastizität dauernd zu ertragen.

 

23.06.1943

Abends!

2231 |        Ich schaue voraus: „Es kommen neue, große853 Leiden“. Ich bin aber in so854 großem Frieden und Einheit mit mir selbst, dass ich unwillkürlich meine und mich frage, von welcher Seite diese Leiden kommen müssten, dass ich sie wirklich als „Leiden“ empfinden könne. – Ich bin nun voraus in einem wieder noch mehr „erhöhten Zustand“ versetzt, und befinde mich – im Vorauserleben – in einer noch höheren „Ebene“ mit „mir selbst“, die eine noch angespanntere Kräfteerhebung in mir fordert. Dabei kommt mir von der höchsten Kraft in mir, die mich trägt, ständig die Anregung und Frage, ob ich bereit sei, in solchem Grade und Maße mich erheben und gebrauchen zu lassen, um zu jener Einheit und Harmonie zu gelangen, in der ich mich jetzt im Voraus erfahre. – Meine Bejahung ist vollkommene Hingabe in diese ständige göttliche Forderung, der ich jeden Augenblick gleichsam innerlich855 gegenübergestellt bin. Mein ganzes Sein ist Antwort im Sinne unbegrenzten „zur Verfügung-stehens“ gegenüber jenen Geisteskräften, die mich leiten.

 

25.06.1943

2232 |        Jene Geistesebene856, in die ich erhoben bin, scheint mich zu erdrücken und aufzulösen. Mein ganzes Dasein wird gleichsam auf die höchste Ebene und bis an die höchste Grenze und Ebene meines Seins gedrängt und gehoben, wo sich dann alle Daseinsmöglichkeiten in wirkliches „fertiges“ Sein „auflösen“, das mein tatsächliches Sein bildet. Dieser Doppelvorgang ist wie zu einem857 zusammengeschraubt und bildet ein ganz unerklärliches und unaussprechliches Leiden. Ich bin auf einer Geistesebene und einer entsprechenden Vergeistigung, in der man nicht zu „atmen“ braucht (um es irgendwie in einem Bilde auszudrücken); alles ist da Geistigkeit, in die auch die physischen Kräfte derart eingeordnet werden; dass alles „Niedere“ in mir vom Geistigen wie aufgehoben scheint. Und diese vergeistigten Kräfte sind auf gleicher Ebene mit „mir selbst“, d. h. mit dem Person-sein gestellt. Auf dieser Höhe und Ebene ist eine Harmonie ermöglicht858, die ich als notwendig erfahre, um in der Dienstbarkeit gegenüber der mich beanspruchenden Person zu bleiben. Die Bereitung aber zu dieser Selbstdienstbarkeit ist wie ein Leiden eines noch mehr verschärften Sterbensprozesses meiner früheren Naturanlagen. Diese Natur „protestiert“ nun zwar nicht mehr gegen jenes höhere Eingreifen in mir – denn sie ist schon aus dem eigenen Bewusstseinsbereich ausgeschieden – aber die Einführung ihrer Anlagen in diesen erhöhten angespannten Persondienst verursacht doch eine unsagbar feine Reaktion und damit ein zunächst geistiges Leiden, das mich auch physisch durchdringt bis in die feinsten Zellen meines menschlichen Daseins. Ich kann darum nicht sagen, ob ich mehr geistig oder mehr physisch leide, denn beides greift in unerklärlicher Weise ineinander.

 

26.06.1943

2233 |        Heute leide ich unaussprechlich, und zwar sowohl seelisch wie auch859 physisch in einem unerklärbaren Einheitsleiden. Ich bin wie zerrieben und zermalmt in mir selbst, und zwar von „mir selbst“. Diese Leiden werden nämlich bewirkt durch die Geistesebene, in der ich mich lebe. Es scheint noch manches unbewusste Selbstig-Frühere ausgelöscht werden zu müssen, damit alles in mir immer vollkommener jener Höhe angepasst werde, die keinen Untergrund zu haben, und ganz „Oberfläche“ zu sein scheint. Ähnlich wie das Öl wegen seiner Leichtigkeit auf dem Wasser schwimmt, so drängt auch infolge dieser geheimnisvollen vergeistigten Leiden mein ganzes Dasein immer mehr in die Höhe zur vollen Anpassung an die Personkraft, die mich lebt. –

2234 |        So ist in mir alles „oben“ an der Oberfläche und auf der Linie, die ich selbst bin. Es ist etwas Wunderbares um diese absolut „Eine“, dem alles eingeordnet ist, was an Verschiedenheiten im physisch-psychischen Dasein, in den höchsten wie in den niederen Stufen der Existenzmöglichkeiten, vorhanden ist. In dieser Einheit gibt es sozusagen keinen Zwischenraum mehr, keine Abstufung, es gibt nur die eine selbstige Ebene der Person und nichts außer dieser Ebene.

2235 |        Zeitweise ist mir, als ob aus diesem Eigenen, Unerzeugten eine stets fliehende Quelle unsagbarer Reinheit in unüberbietbarer Vollkommenheit mich erfasse, wobei ich wie gezwungen bin, sie aufzunehmen und wie in einem Zuge auszuleben. Es ist ein geistiges Überströmen und Durchleben meines ganzen Seins nach dem Maße und der Vollkommenheit des augenblicklich Gebotenen; es ist wie ein Überfließen des Eigenen, an dem die ganze menschliche Natur teilhat auf der Linie und nach dem Maße des Überströmens, worin alles niedere Sein eingeordnet wird. Ich muss aber sagen: Es ist ein furchtbar schmerzhaftes Erhoben-Werden auf diese Linie des Überströmens, von der alles in mir erfasst wird.

2236 |        In diesem geheimnisvollen Vorgang vollzieht sich zugleich eine gewisse Vollendung des Abschlusses meiner früheren, gewöhnlichen Lebensart. Das erzeugte Lebenslicht und Wissen um mich selbst weicht immer mehr einer anderen, tatsächlichen, schon fertigen und tätigen Daseinskraft, von der als von meiner nunmehrigen wirklichen Daseinskraft alles beherrscht wird. Gleichzeitig bin ich in einer nicht zu erklärenden „Einsamkeit“ mit mir selbst. Wo ich bin, da ist kein Mensch und nichts Geschaffenes, d. h., da gibt es keine Gesellschaft von Menschen und es kann niemand an mich heran. Ich muss mir selbst genügen und es kann kein Bedürfnis mehr aufkommen, jemand Ähnlichen, eine Zweiheit, um mich zu haben. Ich bin weit weg von allem und von allen860, wie in einer Wüste, die mir aber alles bietet, weil ich mir selbst alles bin und über allem stehe. Ich bin mir selbst ein unwiederholbares Geheimnis, und zwar als Zustand.

 

27.06.1943

2237 |        Heute bin ich zeitweise in großer Ausgeglichenheit, dann wieder in Leiden, um einen Abschluss des oben Beschriebenen zu erringen.

2238 |        Ich bin weit weg von allem Geschöpflichen, und zwar wie in einem ständigen und dauernden Existenzzustand, der mir unbedingt genügen muss. – Das große geistige Leiden liegt darin, dass mir, dem geschaffenen Wesen, das an sich ganz andere Lebensbedingungen und Eigenschaften hat, dieser rein geistige, sich ständig erhöhende Zustand genügen muss, und dass ich ihn physisch und psychologisch aushalten und ihm standhalten muss. – Zeitweilig fühle ich darum wieder große geistige „Beengungen“, weil alles in mir wie auf einer „Nadelspitze“ zusammengedrängt scheint. Die Vereinfachung und Verfeinerung meines Gesamt-Lebensprozesses erhöht sich ja fortwährend mit dem erhöhten Besitzergreifen durch die göttliche Person des Wortes, das sich in mir vollzieht. – Dabei ist es mir eine Erleichterung, nur dem jeweiligen Augenblick hingegeben zu sein und diesem ganz zu leben. –

 

Juli

08.07.1943

2239 |        Die Tiefe und Schwere meiner Leiden sind mit keinem menschlichen Wort zu erklären. – Es vollzieht sich in mir eine durchgreifende physiologische und psychologische Umstellung, die mein ganzes Menschsein durchdringt. Wie ein mich verzehrender und vernichtender geistiger Glutstrom durchzieht mich dieser geistige Schmerz, der mich wie in einen ständigen Todeskampf versetzt. Es ist, wie wenn das ganze Nervensystem gleichsam unterminiert würde. – Zwischenhinein bin ich dann wieder in eine wunderbare Sublimität erhoben, die mich einem rein geistigen Wesen ähnlich macht. So sehr werden meine physischen Kräfte einfühlig861 und eingeordnet gemacht in jene geheimnisvolle Person-Tragkraft, dass sie ganz darin aufgenommen scheinen, und zwar entsprechend ihrer kommenden Gebrauchsweise durch jene Person. Die göttlichen Kräfte dieser Person arbeiten gleichsam im Dunkel ununterbrochen und fordern meine Menschheit zu ihren Dienste an. Diese Erfassung meines Menschseins durch Christus bedeutet aber ein beständiges Sterben und Vernichtetwerden meiner bisherigen Daseinsart. Das Bewusstsein für mich, d. h. nach dem Gebrauche eines gewöhnlichen Menschen, ist mir schon so viel wie ausgelöscht und ich fühle mich dabei862 wie jemand, der keinen Kopf hat und doch existieren muss; denn das Bewusstsein in Christus nach der neuen Art meines Menschseins ist noch nicht aufgegangen. So liege ich geistig, wie auf dem Sterbebett; ich bin zwischen zwei Welten oder in einem Geistestunnel, wo die diesseitige Welt schon entschwunden ist und die andere, jenseitige noch nicht durchgebrochen ist.

2240 |        Dieses schmerzhafte Leiden meines jetzigen Daseins zeigt mir aber die Richtung an, in der das Ziel dieser geheimnisvollen Umwandlung liegt: Ganz eingehen in das Bewusstsein Christi.

 

10.07.1943

2241 |        Seit gestern bin ich ganz verändert. Die großen Leiden sind in eine wundersame Ruhe übergegangen. Ich bin ganz frei von irgendeiner863 Spannung physischer oder psychischer Art, bin ganz wie ein Geist (in Wirklichkeit bin ich natürlich das nicht, sondern die physische Natur ist der Geist-Natur so eingeordnet, als existiere überhaupt nur diese). Die großen, geheimnisvollen Leiden haben diese wunderbare Umwandlung in mir hervorgebracht.

2242 |        Heute, in St. Peter, war ich in einem Vorauserleben über das Geheimnis in Christus: Wie entstanden – durch ein Zusammenwirken von Göttlichem und Menschlichem – die „Gemütsbewegungen“ in der Seele Christi? – Obwohl mir jener göttlich-physische Vorgang ganz klar war und ich jenes Geheimnis mittels meiner eigenen Kräfte in ähnlicher Form „erlitt“, kann ich trotzdem noch nicht darüber schreiben; es wird mir vielmehr dies Geheimnis in noch höherer Weise zum eigenen Erlebnis werden.

2243 |        Ich bin in eine ständige864 Bereitschaft versetzt865, „mich vollends und für immer aufzugeben und in das Bewusstsein Christi einzugehen“. Freilich ist dies ein geistiger Vorgang, der in Worten nicht voll wiederzugeben ist. Doch mein Gesamt-Menschsein scheint und ist mir derart umgestellt, dass ich diese psychologische Folgerung erfahren kann.

 

14.07.1943

2244 |        Ich bin in eine unbeschreibliche Art des Mensch-Seins erhoben – und doch ist dies nur eine Vorbereitung auf den endlichen Zustand „in Christus“. Heute „weiß“ ich um die Tragweite dieser Vorbereitung, die dem endgültigen „Eingehen in die göttliche Person des Erlösers“ vorausgeht.

2245 |        Ich überschaue in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Hauptabschnitte in meinem bisherigen Leben. So wie alle Leiden und Prüfungen und Läuterungen vor dem Verlassen meiner Heimat (1937) und dann der weitere Kreuzweg mit der scheinbaren Erfolglosigkeit der Absichten Jesu mir die Möglichkeit und die Gelegenheit bieten sollte, in das Innere Christi einzugehen, so bietet mir der nunmehr erreichte solide Tugendhabitus die Befähigung und die Kraft, um die kommenden Leiden des Erlösers ertragen zu können.

2246 |        Schon lange (11 Jahre) zuvor hatte ich die äußere Umänderung in meinem Leben (nämlich den Weggang aus meiner Heimat) vorausgesehen, und zwar mit all den Opfern (soweit ich diese damals begreifen konnte) und durch die ständige Erhöhung des Vereinigungszustandes in Jesus wurde ich befähigt und erhielt ich die Gewähr, um diese meine schwere Lage wirklich und tatsächlich tragen zu können. – Es ist auch alles Vorausgezeigte buchstäblich in Erfüllung gegangen, soweit ich es mit meinem menschlichen Verstande im Voraus hatte erfassen können. Gewiss erfüllte sich manches in Bedingungen, Umständen und Verhältnissen, die ich Jahre voraus für unmöglich hielt oder die meiner menschlichen Einsicht unbegreiflich und darum unklar866 und nicht recht zu deuten schienen. Wir Menschen können eben nur die jeweiligen Verhältnisse, von denen wir umgeben sind, als Grundlage und Voraussetzung für die Erfüllung der Pläne und Wege und Absichten Gottes nehmen und erfassen, während Gott mit der Zukunft und den darin gegebenen Umständen und Tatsächlichkeiten rechnet, die uns verborgen sind. Darum ist es leicht möglich und fast notwendig, manche Jahre voraus anders zu deuten, weil wir Menschen infolge unseres beschränkten Verstandes nur mit den Verhältnissen der Gegenwart rechnen können, auch wenn die Seele durch Gottes besondere867 Gnade „schauend“ um Jahre vorausgeführt wird. Das in Gott Geschaute vollzieht und bewahrheitet sich eben in anderen Verhältnissen und unter anderen Umständen, die der menschliche Verstand nicht zu durchdringen vermag.

2247 |        Zudem verbirgt gewöhnlich auch Jesus manches von seinen Absichten und Plänen, während die Seele meint, sie habe mit dem Geschauten (das für sie vielleicht schon eine erdrückende Fülle ist) vielleicht den ganzen Umfang der göttlichen Pläne mit allen Begleitumständen der Ausführung schon erfasst. Gott lässt eben bei all seinen Absichten zur Ausführung seiner Pläne den mit freiem Willen begabten Menschen als Werkzeugen einen weiten Spielraum in unwesentlichen Bedingungen. In diesem Sinne scheint hinsichtlich der Begleitumstände, aber nicht bezüglich der Sache und der Offenbarung selbst, manches anders gekommen zu sein, als ich es im Voraus verstehen und deuten konnte.

2248 |        Alle Gnaden und Offenbarungen vor dem Jahre 1937 boten mir zum Teil die Unterlage für die letztvergangenen sechs Jahre, d. h., seitdem ich auf Antrieb des Heilandes von der Heimat fortgegangen bin. Waren die Leiden dieser sechs Jahre auch so schwer, dass kein Menschenverstand vorher sie hätte ermessen und überschauen können, so war ich doch durch den damals schon erreichten868 und errungenen Vereinigungszustand mit Gott in die seelische Verfassung und Disposition gebracht, dass ich diese Leiden ohne zu unterliegen tragen konnte. Mit der Vereinigung mit Christus war mir zugleich auch die sittliche Kraft gegeben, um durchhalten zu können, um im Vertrauen trotz allem nicht zu wanken und um mich mittels der Leiden von Jesus auf weit Höheres vorbereiten zu lassen, was noch der endlichen Erfüllung harrt.

2249 |        Heute nun „wusste“ ich immer wieder: Es „steht mir jene Erfüllung seiner Absichten nahe bevor“, und es sei mir durch die bisherige Vorbereitungszeit jener Habitus gegeben, der notwendig ist, um die kommende Last seines inneren, gott-menschlichen Lebens (soweit es mich Jesus erleben lassen will) ertragen zu können. – Darum ist mir auch innerlich, als „könne ich nicht mehr weiter“ oder als stehe ich vor einer Schranke, die Jesus selbst öffnen muss und durch die hindurch869 ich vollends in das Geheimnis des gottmenschlichen Erlöserlebens eingeführt werde.

2250 |        Ich fühle mich so, als sei das „Herz“ alles in mir, d. h. alles in mir hat nur eine Funktion, nämlich nur „da zu sein“ und dieses „Dasein“ ist das „Sein“. Daher die unerklärliche, wunderbare Stille meines Daseins, weil in diesem Dasein nichts zu „arbeiten“ braucht; (arbeiten aber macht Geräusch).870 Das Sein allein ist aber höchste unaussprechliche Stille, und Ruhe, und scheinbare „Untätigkeit“, weil das „Sein“ allein genügt und alles in sich schließt.

 

16.07.1943

2251 |        Heute habe ich durch eine ganz besondere Gnade durch die Vermittlung Mariens eine bis jetzt nie erlebte allgemeine Vervollkommnung meines Gesamt-Innenlebens erhalten. – Ich bat heute – am Feste U.L. Frau vom Berg Karmel – vor der heilige Kommunion Maria, sie möge mir die Gnade der seelischen Vollendung bringen. Ich will alles „von ihr“; wie Jesus sich würdigte, alles irdische Menschsein von ihr anzunehmen, so erwarte ich eine erneuerte Menschheit bzw. eine erneuerte Seele von ihr. Ich bat sie nicht nur, dass sie mich mit ihrem Schutzmantel bedecke, sondern dass sie mir ihr Inneres, ihre Fülle des Lebens aus Gott ganz zu eigen gebe. – Dies war freilich nicht ein Beten mit Worten, sondern vielmehr eine Form des Teilnehmenwollens an ihrer geistigen Gnadenfülle, eine Bereitschaftshingabe, um die Teilnahme an ihr zu empfangen.

2252 |        Nach der heiligen Kommunion war ich dann in einem Augenblick in einen wunderbaren Ausgleich meines Innenlebens erhoben, in eine gleichsam „lückenlose Fülle“ meines geistigen Gesamtseins. Freilich ist diese Steigerung in Worten nicht klarzumachen. Nun ist jede Bemühung meinerseits um mich diesem mir höchstmöglich scheinenden Geisteszustand zu erhalten (der mir so viele Jahre hindurch als Ziel und Aufgabe gestellt war), zu einem vollkommen „mühelosen“ Selbstbesitz geworden. Bisher war immer noch ein gewisses „Wollen“ und eine gewisse Bereitschaft für diesen Zustand seelischer Einheit notwendig, obwohl ich ihn als scheinbar schon vollendetes Ziel erlebt habe. Seit heute Morgen aber ist dieses in Worten nicht auszusprechende Geheimnis zu meinem mühelosen Eigentum geworden. Es wurde mir damit eine geheimnisvolle Gnade der Befestigung zuteil.

2253 |        Es ist aber jedes Wort vergeblich, um mich selbst zu erklären, denn ich selbst bin nun das, was mir, ausgehend vom Zustand und Habitus und in vieler871 Selbstbemühung langsam sich872 steigernd, nun als ganz außergewöhnliche Gnadenstufe gewährt wurde. Ich weiß nun den Unterschied zwischen „Zustand“ (Habitus) und „selbst dies sein“[sic!] – was noch eine gar nicht auszusprechende Erhöhung jenes vorherigen Habitus bedeutet. „Zustand“ ist niedriger als „selbst das sein“[sic!], wobei man dies ist als ureigenster Selbstbesitz. – Ich bin selbst die Fülle, ohne den Wunsch nach einer Erhöhung zu empfinden, die nun scheinbar für mich unmöglich ist. Ich habe an mir selbst genug und dieses Selbst-Sein ist mir vollkommenstes Genügen und Befriedigtsein. Gewiss bin ich dies nicht als letzter Selbstzweck, sondern alles dient meiner letzten Berufung, nämlich der Möglichkeit des Erlebens des Erlöserseins Christi873. – In diesem Sinne bin ich selbst noch nicht vollendet, sondern es wird mir „in Christus“ jene göttliche Lebensfülle zuteil, der ich dienstbar gemacht werde in einer solchen menschlichen Dienstbarkeit, dass ich die göttliche Erlöserperson erleben kann. –

 

18.07.1943

2254 |        Jetzt erst erlebe ich mich im vollen Umfang jener, mir am 16.07. auf die Fürbitte Mariens gewährte Gnade. Ich erlebe mich „vollendet“ in jener Einordnung und Einfassung der physisch-psychischen Kräfte wie in einem Selbstmaß der Einheit mit der göttlichen Person. –

2255 |        Die letztvergangenen874 Leiden und Steigerungen führten mich ständig und immer intensiver ein in ein gleichsam ausgeglichenes Kräfteverhältnis gegenüber der göttlichen Person Christi. Wohl ist dieses Geheimnis in Worten nie ganz zu erklären und kann es nur durch Selbsterfahren aufgenommen und voll erfasst werden, aber das Studium der psychologischen Gegebenheiten einer „Person“ und der sie stützenden Kräfte der menschlichen Naturanlage müsste es einigermaßen verständlich und erklärlich machen.

2256 |        Mit der Naturanlage eines geschaffenen Wesens ist auch eine entsprechende, an sich unbewusste Bemühung gegeben. Diese vollzieht sich im Menschen entsprechend den Eigenheiten und augenblicklichen Bedürfnissen seiner Person. Die Person „lässt sich gleichsam immerwährend herab“ zu einer ständigen Wechselbeziehung und „Anteilnahme“ mit den physischen Anlagen, die der Person als individuelle875 Grundlage zum Dasein dienen. Es herrscht eine wunder- und geheimnisvolle Wechselbeziehung zwischen den höchsten und niederen Kräften, die der Person zur Verfügung stehen und ihren Bestand ermöglichen. Der Mensch erfährt diese gegenseitige Ergänzung und Wechselbeziehung wie unbewusst als seine Naturanlage oder als Ergebnis seines physischen Trieblebens oder als Auswirkung seines selbstigen Antriebes, sich das zu verschaffen, was die Eigenheit und Eigenart seiner individuellen Personkraft erfordert. Tatsächlich beruht dieser Antrieb auf einer ständigen, wenn auch unwillkürlichen Bemühung, die hervorgerufen wird durch die fast niemals ausgeglichene Spannung zwischen den geistigen und physischen Kräften im Menschen. Infolge dieser Spannung kommt der Mensch eigentlich nie ganz in sich zur Ruhe und vollen Ausgeglichenheit, weil die gefallene Menschheit mit ihren selbstigen Bedürfnissen und Fähigkeiten einem ununterbrochenen Angefordert-werden und Dienen gegenüber dem eigenen „Selbst“ unterworfen ist.

2257 |        Die Folge dieser ständigen Anforderungen durch den selbstigen Antrieb der Person ist die Möglichkeit der Erhöhung – oder im Weigerungsfalle der Herabminderung – des Wertes und der Leistungen einer menschlichen Person. Diese Steigerung oder Herabminderung der Wertstufe kann durch die Person selbst oder auch durch die ihr zur Verfügung stehenden und sie im Allgemeinen stützenden Kräfte verursacht werden. Immer aber steht die „Person“ im Mittelpunkt dieser Vorgänge und Tatsachen. Die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Kräften und Anlagen vollziehen sich im Rahmen der Gesetze, die für das höchste, individuelle Kraftzentrum der Person gelten, wobei der freie Wille den Ausschlag und die Entscheidung gibt. Freilich tritt in den meisten Fällen die Kraftentwicklung des freien Willens nicht derart in den vollen Bewusstseinsbereich der Person, dass der Wille eine absolute, völlig unbehinderte und freie Entscheidung ausübe, aber das individuelle physisch-psychische Triebleben verläuft doch immer entsprechend der allgemeinen Richtung des Willens. Dabei wirkt schon das Verhalten der niederen Kräfte und Betätigungen des Gesamt-Mensch-Seins mit, die den Willen schon beeinflussen und in eine bestimmte Richtung „führen“, bevor es zu einer ausdrücklichen Entscheidung kommt. In vielen oder in den meisten Fällen „wird der Wille nicht mehr gefragt“, sondern der Gesamtantrieb wirkt sich aus im Sinne der im Menschen schon bestehenden Richtung und der auf diese Weise sich gleichsam selbst regierenden Anlagen. Im Allgemeinen „scheut sich“ die gefallene menschliche Natur geradezu vor einer sich876 beeinflussenden und bestimmenden Willensentscheidung; denn mit dem auf klarer Erkenntnis beruhenden und im vollen Umfang sich selbst bewussten Willen wirkt immer auch das Gewissen des Menschen mit, das Gnadengeschenk des Schöpfers, das auf das höhere, übernatürlich Gute angelegt ist. Auf diesem Wege müsste es daher in fast allen Fällen zu einer gottgewollten Entscheidung kommen. Tatsächlich ist aber jetzt der Wille wie von vornhinein behindert und verdunkelt durch vererbte Anlagen, durch Erziehungsmängel und auch durch die allgemeine Verflachung auf religiösem Gebiet, die dem Menschen seines wahren und wirklichen Daseinszweckes selten recht bewusst werden, und die ihm vom Schöpfer gegebenen gnadenreichen und geheimnisvollen seelischen Anlagen recht zum eigenen Heil erfassen lässt. Vielfach, wenn nicht für gewöhnlich, tritt des Menschen Bewusstsein bezüglich des Zweckes seines Daseins und der damit gegebenen Folgerungen gar nicht recht in Tätigkeit; daher die vielen Mängel in der sittlichen Führung und die vielen Abirrungen vom letzten Sinn und Selbst des Menschen. Vielfach oder gewöhnlich folgen die Menschen einem mit der Naturanlage gegebenen und durch die gewöhnliche Handlungsweise immer mehr sich ausprägenden Trieb oder gleichsam „Instinkt“, der sie sozusagen ihr ganzes Leben hindurch begleitet, ohne ihnen so recht zum Bewusstsein zu kommen. So sind es vielfach die niederen Anlagen, die den Menschen führen, wobei diese „niederen Anlagen“ nicht rein physischer Natur zu sein brauchen, sondern mit ihrer tiefsten Wurzel in der Geist-Natur liegen und erst in einem weiteren Sinne Anlagen der physischen Natur genannt werden können.

2258 |        Die allertiefste Wurzel führt immer bis zur Person selbst. Diese bildet schon in den ersten Anfängen die physische Natur entsprechend ihrer eigenen Personanlage und passt sich die Leib-Natur weitgehend an. Dadurch ist die Leib-Natur schon in den Dienst ihrer so angelegten Person gestellt und ermöglicht ihr als Haupt- und Grundlage den Bestand. Die Person als das Höchste im Menschen ist in sich selbst verwurzelt und verlebt ihr irdisches Dasein mit allen ihr möglichen Wechselbeziehungen. Gewiss ist dieser Bereich im Menschen beeinflussbar durch die Gnade Gottes und wirkt sich ein allenfallsiger Gesinnungswechsel der Person entsprechend im Gesamtleben des Menschen aus. Aber ein solcher Wechsel unter dem Einfluss der Gnade Gottes kann nur durch die Autorität der Person-Kraft vollzogen werden, wenn auch das Eingangstor für die Gnade die dienenden Kräfte des Gemütes, der Vernunft oder des Verstandes bilden.

2259 |        Aber nicht allein geistige Vorgänge im Inneren des Menschen bzw. in den Geist-Kräften der Person geben die Möglichkeit einer Änderung der Werthöhe der Person; auch physische Einflüsse, die von außen oder von der Umgebung kommen, können Auf- und Abstiege der Person beeinflussen und herbeiführen. Rein physische Ereignisse wie Krankheiten, ja selbst Stöße und Berührungen rufen eine Anteilnahme und Stellungnahme der höchsten Person-Kraft hervor, die sofort mit ihrer eigenen Reaktion auf diese äußeren Einflüsse und Einwirkungen antwortet. – Durch diese Reaktionen werden übrigens für die anderen Menschen die Eigenart und der Wert einer Person erst erkennbar und sichtbar. Da wir in das Geistige, Unsichtbare nicht unmittelbar eindringen können, sind wir auf jene „Äußerungen“ und Reaktionen des Innern bei bestimmten Anlässen und Gelegenheiten angewiesen und können nur durch Beobachtung dieser Reaktionen uns in eine andere Person einfühlen und deren Werthöhe einigermaßen beurteilen.

2260 |        Es gibt nichts im menschlichen Leben, kein Ereignis, das sich nicht irgendwie in der Person widerspiegeln und ihre Stellungnahme hervorrufen würde. Die Person nimmt alle Eindrücke auf und unter ihrer Herrschaft erfolgt dann die Gesamtwirkung als ihre Antwort. Sie bewahrt auch diese Eigenerlebnisse gleichsam als selbsteigenen Vorrat auf, und diese früheren Erlebnisse wirken wieder mit bei der Stellungnahme zu weiteren inneren oder äußeren Einflüssen. So umkreisen gleichsam jene Ereignisse und Erlebnisse ständig den Mittelpunkt des Menschen, den Person-Kern, und vermittels der – oft nur unbewussten oder gleichsam instinktiven – Tätigkeit des Verstandes, der Vernunft, des Willens bildet sich ein Zentrum von Möglichkeiten an Hinneigung oder Ablehnung und Widerstreben gegenüber den ständig an den Menschen herantretenden Ereignissen, die in Zu- oder Abneigung von der Person-Kraft beurteilt werden. Auf diese Weise bildet sich das Gemütsleben des Einzelnen. Die Person geht auf alles von außen nach innen Eindringende ein, ja man kann sagen: Sie bekleidet sich gleichsam damit und lebt damit und so bringen auch diese äußeren Vorgänge eine Erhöhung oder Verminderung der Werthöhe der Person mit sich und ist der Mensch ständigen Veränderungen ausgesetzt. Auch die ganz geheimen Selbsterlebnisse anlässlich früherer Ereignisse treten wieder zur Außenwelt zurück, und zwar in einer Form und Stellungnahme, der die Person ihre Eigenart aufgedrückt hat.

2261 |        Alle Eindrücke von außen, die mittels der physischen und psychischen Aufnahmefähigkeit des Menschen zum Person-Zentrum vordringen, werden letztlich beurteilt und gewertet von den Kräften der Person durch ein gewisses geistiges „Befühlen“ und Betasten, dass ihr als unwillkürliche Anlage gegeben ist. Die Person mit ihren Kräften „fühlt“ und empfindet jene Eindrücke und Einwirkungen als sympathisch oder antipathisch, als Freude oder Schmerz und diese „Befühlung“ nimmt sie jedem Geschehnis oder Gegenstand gegenüber vor, der an sich herangebracht wird. Die daraus sich ergebende, darauf folgende und antwortende Rückwirkung, Reaktion oder Stellungnahme der Person zu solchen äußeren Einflüssen nennen wir das Gefühls- oder das Gemütsleben.

2262 |        Die Person bildet sich aus diesem vielerlei von außen einströmenden Eindrücken und Erlebnissen gleichsam ein Gewebe und diese im Innern gefühlsmäßig verarbeiteten Erregungen kehren in irgendeiner Form wieder zur Außenwelt zurück, machen sich als Äußerungen des Gemütslebens der Umgebung bemerkbar und lassen den Charakter der betreffenden Person erkennen und beurteilen. Im Grunde erweckt jeder Mensch Sympathie oder Antipathie vor allem durch sein inneres, nach außen sich offenbarendes Gemüts- oder Gefühlsleben, wobei er seine inneren Seelenvorgänge durchblicken lässt. Durch die Äußerungen des Gemütslebens wird der „Charakter“ des Menschen sichtbar, offenbart sich sein Inneres, das den Menschen liebenswert oder abstoßend macht. Dies ist das Geheimnis des verborgenen Gemütslebens, das aber nie ganz verborgen bleibt.

2263 |        Die früher von außen877 aufgenommenen, von der Person „befühlten“ und beurteilten Geschehnissen stapeln sich gleichsam im Inneren des Menschen als sogenannte „Erlebnisse“ auf, bilden eine weitere Fortsetzung des entsprechenden Gemütslebens und geben dem Menschen gewöhnlich eine bestimmte Richtung. Die Person als oberste Kraft im Menschen reserviert sich gleichsam diese sich anhäufenden878 Gemütserregungen und richtet vielfach nach dessen Erfahrungen ihr ganzes Leben ein. In einem gewissen Rückblick und Vorausblick trifft sie gemäß den gemachten Erfahrungen auch entsprechende Entscheidungen, wie sie sich aus den schon verarbeiteten Erlebnissen ergeben. Dieser Vorausblick und Rückblick unter dem Einfluss und Urteil der Person prägt sich im Gesamtleben eines Menschen aus und ist das Ergebnis der selbsteigenen Empfänglichkeit und selbsteigenen879 Beurteilung, mit einem Worte: Das selbstige Erlebnis einer selbstständigen Person und ihres selbstigen Lebensantriebes, unter dessen Einfluss sich das ganze Menschenleben abspielt. – Auch die Verschiedenheit der Personen zeigt sich in jener tief verborgenen Erlebniskraft und Erregungsfähigkeit. Die Veränderlichkeit der Empfänglichkeit und Beeinflussbarkeit bringt auch eine Veränderung des Gemütslebens mit sich, wie ja auch die Person selbst in ständigen inneren Veränderungen unterworfen ist. Das Gemütsleben, das sich – neben der physischen Beschaffenheit des Menschen – auf den äußeren Einflüssen aufbaut, kann auch die Eigenart der Person in Mitleidenschaft ziehen, ihr eine größere oder geringere Werthöhe verleihen und damit die Gesamtrichtung eines Menschen verändern, obwohl sich solche Veränderungen letztlich immer um den Pol der Person selbst drehen.

2264 |        Bei gewöhnlichen Menschen liegt also dem Gemütsleben neben physischen und äußeren Einflüssen die Eigenart der menschlichen880 Person und ihre Veränderlichkeit zugrunde. – Ganz anders war es bei Christus, dem Gott-Menschen, der ja die göttliche Person mit ihrer göttlich-wesentlichen Unveränderlichkeit als tragende und beherrschende Kraft zur Grundlage hatte. Und auf dieser göttlichen Unveränderlichkeit baute sich881 auch das menschliche Gemütsleben Christi auf. Die Eigenart der göttlichen Person diente in allen Ereignissen und Erlebnissen des Menschen Christus als „Befühlskraft“ und alles wurde entsprechend der Werthöhe der göttlichen Person beurteilt (sonst hätte ja die zweite göttliche Person ihre göttliche Wesenhaftigkeit und Unveränderlichkeit verleugnen müssen, was unmöglich ist, da Christus dann im gleichen Augenblick nicht mehr wahrer Gott gewesen wäre). – Entsprechend mit der göttlichen Person standen aber auch die Kräfte der Seele Jesu auf gleicher, angemessener882 Höhe der Aufnahmefähigkeit gegenüber den äußeren Ereignissen und Eindrücken in seinem menschlichen Leben. Die Menschheit Christi war ja in allem eine vollkommenst ausgebildete Menschheit, deren „Haupt“ die göttliche Person war. Diese bedurfte, als Ergänzung der Kräfte und Tätigkeiten der Seele,883 Jesu, um überhaupt ein wirkliches menschliches Gefühl hervorbringen und in einem wahren Sinne leidensfähig sein zu können. Dazu war aber unverrückbare psychologische Grundlage und Voraussetzung jene vollkommene harmonische Einfühlungsfähigkeit der menschlichen Kräfte Jesu in seine göttliche Person. –884

2265 |        Das Gemütsleben Christi, der ein wahrer Mensch war, bildete sich – auf der Werthöhe unter der selbstigen Urteilskraft der göttlichen Person – in einem ähnlichen Vorgange wie bei unserem Gemütsleben. Ähnlich wie es beim Menschen der Fall ist, „befühlte“ auch die göttliche Person die äußeren Geschehnisse seines Lebens und unter dem Urteil der Person „erhob“ sich jene entsprechende Reaktion, die wir Gefühl oder in der Gesamtheit des Gemütslebens nennen. Den Grad- und Wertmesser des Gemütslebens Jesu bildete aber die göttliche Person mit der ihr eigenen göttlichen Werthöhe. Beim gewöhnlichen Menschen wird aus verschiedenen Fehlerquellen vielfach nur eine Abschwächung oder Umdeutung der von außen einstürmenden Ereignisse oder Eindrücke die Person selbst treffen, weil nämlich Mängel in der Aufnahmefähigkeit, Ablenkung oder auch uneingestandene Selbsttäuschung es verhindern werden, dass die Ereignisse ihre volle, objektive Wirkung auf die Person ausüben. So können sich die Wirkungen eines Ereignisses auf die Person mannigfach verschieben und kann das Gemütsleben eines Menschen auf vielen Selbsttäuschungen beruhen, wenn es getragen wird vom Urteil einer sozusagen minderwertigen Person. Es können leicht Fälschungen in der Aufnahme der einströmenden Eindrücke sich einschleichen, weil nämlich nur allzu oft die physisch-psychischen Voraussetzungen und Aufnahmebedingungen des Menschen durch irgendwelche Leidenschaften getrübt oder geblendet werden und weil der Mensch in seiner Selbstsucht im Allgemeinen darauf885 bedacht ist, sich selbst886 auf jeden Fall und unter irgendeinem Vorwand zu rechtfertigen und damit vielfach zu täuschen. Aus diesem Grunde887 entspricht das menschliche Gemütsleben oftmals nicht der objektiven Wahrheit und Wirklichkeit der bestehenden Tatsachen und Ereignisse. – In Christus aber bestimmte die göttliche wesentliche Vollkommenheitshöhe der Person das Gesamt-Gemütsleben und war dieses von der absoluten Wahrheit und Wahrhaftigkeit getragen.

2266 |        Was aber das Gemütsleben Christi besonders von dem Gemütsleben des gewöhnlichen Menschen unterschied, das ist die Unmittelbarkeit der Aufnahme aller äußeren Eindrücke, Ereignisse und Verhältnisse in seinem gottmenschlichen Leben. Bei uns Menschen machen die von außen kommenden Eindrücke, durch die eine Gemütsbewegung hervorgerufen wird, sozusagen einen „weiten Weg“; zwar kann dieser „weite Weg“ zeitlich in einem Augenblick zurückgelegt werden, aber es gibt auf diesem Wege von außen bis zum Person-Zentrum doch genug Fehlermöglichkeiten und Täuschungsklippen, die das eindringende Objekt zu durchlaufen hat: Möglichkeiten der Abschwächung oder der Übertreibung, eigene Unwahrhaftigkeit im Interesse der Eigenliebe, Trübung des Urteils der Person unter dem Einfluss von Leidenschaften usw. Ferner ist das Gemüt als etwas Geistig-Leibliches auch von der physischen Körperkonstitution, und deren verschiedenen Einflüssen und Veränderungen abhängig und bedingt. – In Christus war gewiss das Gefühlsleben auch an sein physisches Leben gebunden, aber bei der Vollkommenheit seiner physisch–psychischen Reaktionsfähigkeit konnte auch unter888 dieser Hinsicht sein Gemütsleben nur und ganz jener objektiven Wahrheit und Wirklichkeit entsprechen, wie es dem göttlichen Träger seines menschlichen Lebens, der Person des Wortes, zukam, von der das Objekt aufgenommen wurde. Infolge der höchsten Einfachheit der Seele Christi erfolgte überdies unmittelbar die Reaktion der göttlichen Person, und zwar ohne Abschwächung, Ablenkung oder Zerstreuung.

2267 |        Der göttliche Seinszustand der Erlöserperson gab das hauptsächlich Unterscheidende seines Gemütslebens und darauf beruht auch das Charakteristische im göttlichen Geheimnis der inneren Leiden Christi. Im Menschen ist Sein und Dasein zweierlei und darum erfordert auch bei ihm auch das Gemütsleben ein inneres Produzieren. Die göttliche Person aber „produzierte“ nichts, weil alle Seinsfähigkeit mit dem Sein selbst gegeben war. Die physisch-psychische Aufnahmefähigkeit in Christus traf in unmittelbarer Weise und augenblicklich die göttliche Person selbst und diese Unmittelbarkeit war auch die Ursache der für einen gewöhnlichen Menschen unvorstellbaren und nicht erreichbaren Intensität und Tiefe des Gemütslebens Christi. Die göttliche Person selbst erfasste mit göttlicher Unterscheidungs- und Durchdringungskraft alle Objekte und Geschehnisse in ihrer vollen und wahren Wirklichkeit und diesem göttlichen Maße des Erfassens entsprach auch die Reaktion und Rückwirkung auf die niederen physischen Kräfte, die das eigentliche Gefühlsleben hervorzubringen vermögen. So wirkten auch hier im Innenleben Jesu unmittelbar Göttliches und Menschliches zusammen, und zwar Menschliches, das auf einer sittlichen Vollkommenheitsebene mit der das ganze Menschsein tragenden göttlichen Person stand. – Ausgehend von dieser Tatsache kann man sich in etwa ein Bild machen von der Erhabenheit und Tiefe des Gemütslebens Christi, das vom Wesen Gottes selbst als dem Beurteiler seiner menschlichen Geschehnisse und Eindrücke geleitet war. Im Augenblick des von außen kommenden Einflusses reagierte die göttliche Person mit der ihr eigenen göttlichen Vollkommenheit, und diese war auch das Maß und der Gradmesser für die Rückwirkung auf jene physischen Kräfte Jesu, die zum Gemütsleben mitwirkten und die ohne Abschwächung von jener Rückwirkung betroffen wurden; so brachte es die wunderbare Lebenseinheit, die harmonische Einheit der göttlichen und menschlichen Kräfte mit sich, die immer in der Person des Erlösers vorhanden war und herrschte.

2268 |        Auch das Aufgenommensein in die göttliche Person brachte für sich allein schon in der Auswirkung auf die heiligste Menschheit Christi in ähnlicher Weise dauernde „Gemütsbewegungen“ hervor; denn seine heiligste Menschheit war ja die „Erleberin“ des göttlichen Habitus und stand immer und ganz unter dem Einfluss der göttlichen Natur des Wortes. Diese wirkte dauernd auf die heiligste Menschheit, die ihr – in der Einheit der Person – so innig verbunden war, wie es eben nur sein konnte und sein musste bei der Ergänzung, die notwendig war, um ein wahres gottmenschliches Leben zu ermöglichen und hervorzubringen. Die Vollkommenheitshöhe der menschlichen Natur Christi gewährleistete dabei deren Erlebensfähigkeit gegenüber der göttlichen Natur Christi, deren Auswirkungen sie ständig ausgesetzt war. Die göttliche Natur wirkte sich auf das gesamte Mensch-Sein Christi aus und seine menschliche Natur hinwieder als wahre menschliche Natur; gleich der unseren empfand jene göttlichen Einflüsse und Auswirkungen mit der ihrer Vollkommenheit eigenen Reaktionsfähigkeit voll höchster Feinheit und Tiefe.

 

23.07.1943

2269 |        Heute bin ich in großem Frieden und doch – ich muss sagen – in furchtbar schmerzlichen, geistigen889 Leiden. – Nach jener Gnade vom 16.07., (nämlich der Einfühlungsfähigkeit meiner physisch-psychischen Kräfte in jene Art der Einheit und Harmonie mit der göttlichen Natur des Wortes), schien eine solche Einigung vollzogen zu sein, dass keine Erhöhung mehr möglich wäre. – Aber wie der Goldschmied das Gold unter großer Hitze auflöst, um dann dem Gegenstand die beliebige Form zu geben, so erlebte ich in den letzten Tagen gleichsam eine neue Auflösung und Verschmelzung meines ganzen Seins mit der Eigenheit und mit dem Wesen der göttlichen Person. Diese selbst war gleichsam das Feuer, das diesen Verschmelzungsprozess bewirkte, und all meine physischen und psychischen Kräfte in diesen Prozess hineinzog, und zwar mit einer Unmittelbarkeit, für die es keinen Ausdruck gibt. „Ich“ selbst war „der Schmelzende“ geworden, das Gold, das in der Hitze wie zu einer Flüssigkeit geworden ist und nun den Prozess des Flüssig-seins erleidet unter der Einwirkung des Feuers der göttlichen Unmittelbarkeit. – Göttliche Unmittelbarkeit durchströmte mich wie ein immerwährender Blitzstrahl und dieser durchdrang mein ganzes menschliches Wesen. Dieser göttliche Blitzstrahl der Unmittelbarkeit mit ihm versetzte mich in einer Pein, die einer furchtbaren Todesnot ähnlich ist und vor der es kein Entrinnen gibt. Aber dieser durch den gottgewirkten Schmerz in mir verursachte Tod gab mir ein anderes Leben des Geistes. In diesem Leben des Geistes bin ich ganz verändert und wie bereitgestellt, um unmittelbar „das Leben des Erlösers als mein eigenes zu übernehmen“.

2270 |        Das göttliche Leben wird mich derart ergreifen, dass890 es zu meinem Leben wird, in dem die göttliche Person des Erlösers sich wie als meine Person auszuwirken beginnt, nicht wirklich, sondern geheimnisvoll übertragen, mystisch sich wiederholend. – Ich bin diesem Übergang so nahe, dass ich es mit keinem Worte erklären kann. Ich weiß nun auch die kommende Auswirkung seines Lebens in mir, aber es lässt sich nicht beschreiben, weil „ich“ selbst dies zu unmittelbar bin und dies mein Leben ausmacht. „Ich bin so – und werde das Sein“.

 

25.07.1943

2271 |        Heute bin ich wieder in einem solchen Zustand des Leidens, dass es scheint, mein Herz müsse mir stillstehen im Übermaß des geistigen Schmerzes. Ganze Nächte schon dauert dieses geistige „Martyrium“ – dies Wort kann ich ruhig dafür gebrauchen. Dabei sind die Leiden dargestellt, dass ich dunkel schon ihre Folgerungen und Früchte voraus erlebe, und gerade der Gegensatz zwischen dem in etwa vorauserfahrenen Ziel und dem davon trennenden Abgrund der scheinbaren Unmöglichkeit versetzt mich in ein Leiden und Martyrium, das einer Todesnot ähnlich ist. – Manchmal ringt sich dieses Ziel zu größerer Klarheit durch: „Ich verliere meine Individualität“. Dabei erlebe ich mich schon als losgelöst von dem eigenen Persönlichen und eingegangen in eine Persönlichkeit ganz anderer Art, die von meinem Menschsein aufgenommen wird. Um aber diese ganz andersgeartete Persönlichkeit ertragen zu können, müssen meine physisch-psychischen Daseinskräfte ihr angepasst, der eigenen Individualität entkleidet und „neutral“ gemacht werden und dies geschieht mittels dieser Leiden, durch die mein Menschsein in eine sozusagen neutrale, der begrenzten Individualität entbehrenden Menschheit umgewandelt und dadurch bis ins Letzte der Eigenheit der göttlichen Person angepasst wird.

 

26.07.1943

2272 |        Ich bin nun ganz klar in jene geheimnisvolle Geistesrichtung versetzt: „Ich verliere meine Individualität“ und ich gehe ein in „die Universalität des Wesens der göttlichen Person Christi“. – Ich kann jetzt ganz gut die Verschiedenheit zwischen der Individualität der menschlichen Person und der Universalität des Wesens Gottes, bzw. der göttlichen Person, unterscheiden. Die Individualität der menschlichen Person grenzt diese in ihrem Zuständigkeitsbereich ab und schafft einen entsprechenden begrenzten Umfang des eigenen891 Befehlens und Selbstbeherrschens. In diesem eigenen Raum des Befehlens gibt sie eine absolute und habituelle Uneinnehmbarkeit gegenüber jeder anderen derartigen Abgrenzung. In diesem eigenen Raum baut sie sich gleichsam ihr Dasein; alle ihre dienenden Kräfte nehmen zuständlich teil an dieser selbstigen Heimeligkeit und Zusammengehörigkeit, und es müssen schon ganz892 große Erschütterungen und Schwierigkeiten des Lebens herankommen, um eine solche Zerrüttung in diesem eigenen Sein hervorzubringen, dass die menschliche Person gleichsam eine Zerstörung ihres Daseinsbereiches herbeiführen möchte. Das wird aber der Person nie gelingen, da sie nach dem Plan des Schöpfers unzerstörbar mit der unsterblichen Seele vereint ist, und so gehört es zu den größten Leiden dieses Lebens, wenn ein Mensch in die furchtbare Situation gebracht wird, dass er sich von seinem eigenen persönlichen Bestehen entfernen bzw. diesen Bestand auflösen möchte. (Es bildet auch eine der größten Qualen eines Verdammten in der Hölle gerade jener verzweiflungsvoller Wille zur Selbstvernichtung, um sich selbst und seinen eigenen Qualen zu entgehen, während doch dies die furchtbare Strafe der Verdammten ist, dass die Seele auf ewig an ihren Bestand gebunden ist.)

2273 |        Im Gegensatz zur Individualität der menschlichen Person steht die Universalität einer göttlichen Person. Das Wesen Gottes an sich überbrückt alle menschliche und geschaffene Raumbegrenzung, lässt sich in keinen Bereich893 abschließen, übersteigt alle irdischen und geistigen Grenzen, steht über allen. Die göttliche Person „baut sich kein Haus“, um darin wohnen zu können, wie es die menschliche Person tut und tun muss. Die göttliche Person „herrscht“ und umspannt in ihrer eigenen Ungeschaffenheit die gesamte geschaffene894 Daseinswelt. Für sie gibt es keine Abgrenzung, weder in ihrem eigenen Bereich noch außerhalb desselben. Auch in ihrem eigenen Bereich „beherrscht“ sie sich in einer grenzenlosen Art, nämlich in einer wesentlichen Selbsterfassung und Selbstdurchdringung, während die menschliche Person auch in sich selbst immer auf eigene Schwierigkeiten stößt. Das Wesen einer göttlichen Person ist wie ein Strom, der sich ergießt und nirgends eine Hemmung finden kann. – In gleicher Weise beherrschte die zweite göttliche Person auch ihren menschlichen Leib. Auch in diesem an sich räumlich und zeitlich abgegrenzten Bereich war für die göttliche Person, selbst ihrem göttlichen Wesen nach, keine Grenze möglich. Das göttliche Wesen konnte sich nicht abschließen lassen auch nicht in einem begrenzten Menschenleib, obwohl die göttliche Person anscheinend und auch wirklich die Werke eines begrenzten Menschen hervorbrachte. So schien sie nach außen durch den Leib und die menschliche Natur im Allgemeinen begrenzt – und sie hielt sich auch im Wirken im Allgemeinen an die Grenzen und Gesetze der menschlichen Natur – aber sie konnte nie in ihrem eigenen Wesen begrenzt werden; auch in ihrem menschlich begrenzten Funktionsbereiche bewahrte sie ihre ganze ewig-göttlich wesentliche Unbegrenztheit in sich selbst.

2274 |        Diese Universalität der göttlichen Person hatte aber entsprechende Auswirkungen und Folgerungen für, die heiligste Menschheit Christi und bildete deren physisch-psychische Existenzkräfte zu einer gewissen895 Art der Unbegrenztheit aus. Gewiss blieben die Kräfte der menschlichen Natur Christi in sich menschlich begrenzt, aber infolge der göttlichen Anlage und Universalität der göttlichen Person bildete sich schon896 im Augenblick der Menschwerdung des Wortes eine wunderbare Abrundung all ihrer Kräfte, eine gewisse entsprechende Dehnbarkeit, Elastizität und habituelle Anpassung gegenüber der wesentlichen göttlichen897 Universalität in ihr aus, sodass sie den Auswirkungen der göttlichen Natur (Person)898 gegenüber in keine Unmöglichkeit oder Hemmung kam. Und die „Dehnbarkeit“ der heiligsten Menschheit Christi „wuchs“ mit ihrer Einfügungskraft in die göttliche Person. So bildete sich eine ganz wunderbare Elastizität der heiligsten Menschheit aus, die es ihr möglich machte, die „Universalität“ der göttlichen Person, und zwar als ihre Person zu ertragen.

2275 |        Das Geheimnis der „Universalität“ Gottes wirkte sich auch in der heiligsten Menschheit Christi insofern aus, als ebendiese Menschheit durch die hypostatische Union mit dem Worte899 – anstelle der gewöhnlichen menschlichen Individualität in einer gewissen „Neutralität“ – den Charakter eines ganz andersgearteten, vollständig verschiedenen Daseinszweckes und Daseinsbereiches aufnahm. Der Daseinszweck der heiligsten Menschheit war eben, der göttlichen Person des Wortes eine irdische Daseinsmöglichkeit zu bieten, den Erlöser zum Heil der gesamten Menschheit zu ermöglichen. Um diesem Zwecke dienen zu können, wurden die Kräfte der heiligsten Menschheit Christi in die höchste Universalität eingeführt und erhielten sie dort einen entsprechenden Daseinsbereich; dadurch waren sie befähigt, sich der göttlichen Person des Wortes zur vollkommenen Dienstbarkeit zu überlassen oder vielmehr diesen Dienst an der göttlichen Person im Bereich ihres besonderen Zweckes zu übernehmen. Somit erhielt die heiligste Menschheit Jesu jene bestimmte und besondere Eigenheit der Erlösermenschheit, ähnlich wie eine gewöhnliche Menschheit ihrem900 individuellen Beruf, beispielsweise dem Mutterberufe, dient und angepasst ist. Die an sich „endliche“ und für eine in sich abgeschlossenen Daseinsbereich angelegte Menschheit Christi wurde ständig in den unmittelbaren Dienst eines unendlichen Zweckes eingeordnet und eingefasst und insofern und infolgedessen nahm sie in einem wahren Sinne an der göttlichen Unendlichkeit teil. Wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte die Menschheit Jesu unter dem Druck des unendlichen Wesens der göttlichen Person erliegen und erdrückt werden müssen. – Die Menschheit Jesu war daher im Allgemeinen schon im Augenblick ihres Entstehens den durch die hypostatische Union an sie gestellten Forderungen preisgegeben und hingegeben und nahm die Eigenheiten der göttlichen Universalität insoweit in sich auf, dass sie der göttlichen Wesenheit der Person des Wortes, daran in gewissem Sinne teilnehmend, dienstbar sein konnte. Infolge dieser Teilnahme an der göttlichen Wesenheit hob sich die Menschheit Jesu gleichsam aus diesem gewöhnlichen901 Leben heraus und sie wurde eingeführt in eine göttliche Atmosphäre; dies aber nicht so, dass sie damit die menschliche Lebensart verlassen hätte, sondern insofern als ihr wirkliches und tatsächliches Menschenleben in die göttliche Universalität hineingezogen wurde und dieser als wirkliche Menschheit so zur Verfügung stand, dass [das] Göttliche und Menschliche in ihr zur Auswirkung kam.

2276 |        Es scheint zwar unglaublich, aber es entspricht meinem eigenen Erleben: Infolge der großen Leiden der vergangenen Woche bin ich wie aus mir selbst, d. h. aus der früheren Art des Lebens, herausgehoben worden; ich habe die Heimeligkeit und Abgrenzung meiner früheren Individualität sozusagen ganz verloren und bin in einen neutralen Seinszustand erhoben, in dem ich durch andauernde Übung immer mehr und tiefer eingeführt werde. Ich habe mich, um menschliche Worte zu gebrauchen, „von mir selbst entfernt“ und dafür gehe ich ein in eine unbegrenzte, führende Kraft. Dies bedeutet aber das Aufgeben des Höchsten im Menschen; man kann sagen, das Aufgeben eines Naturgesetzes und einer Naturnotwendigkeit – was mir aber ersetzt wird durch unbegrenzte Fülle des Seins. –

 

27.07.1943

2277 |        Ich leide sehr unter geistiger „Raumlosigkeit“; es gibt in mir keine Begrenzung, die mir ein wenig eine (bisher gewohnte) „Ruhemöglichkeit“ gewähren könnte. Ich bin mir selbst „zu weit, zu groß“ wie ein uferloses Meer, ohne „Halt“ und ohne Untergrund. Diese endlose Weite steht anstelle der bisherigen „Stütze“ meines Daseins, und daran muss ich mich erst gewöhnen; die Raumlosigkeit muss zur selbstigen Tragkraft werden dadurch, dass meine seelischen Kräfte ihr angepasst werden und ich sie als „meine selbstige Eigenheit“ ertragen kann.

 

30.07.1943

2278 |        Infolge dieser unaussprechlichen geistigen Raumlosigkeit, in die mein ganzes Menschsein hineingezogen wird, entferne ich mich von dem „Ufer meines früheren Seins“ – so ähnlich muss es sein, wenn ein Schiff den sicheren Hafen verlässt und sich dem Meere übergibt. – Ich verlasse die bisherige oder besser gesagt, den bis jetzt noch wie im Unterbewusstsein wirksamen Rest der Selbststütze nach früherer Art; ich entferne mich nun auch von diesem Rest und bin sozusagen vollständig dem Geist-Strom einer in sich endlosen Kraft überantwortet. Ich habe das eigene Ufer verlassen und bewege mich auf dem Meere einer in sich uferlosen Geisteskraft. Damit treten auch für mein Mensch-sein jene Folgerungen ein, die dieses Verlassen des Eigenen mit sich bringt: Mein Menschsein ist dieser universalen Geisteskraft überantwortet und diese ist zu meiner Lebensstütze geworden. Ja, ich kann feststellen: Diese universale Geisteskraft kann meinem Menschsein als Lebensstütze dienen, weil meine Lebensmöglichkeiten schon in sie eingelebt sind; wir sind zu einem geworden. – Ich lebe „als diese endlose902 Geisteskraft, die mich trägt“, ich bin zu ihrem sein geworden; aber dieses Sein ist ganz verschieden vom gewöhnlichen Menschsein.

2279 |        Nun erfasse ich, wie viele Stufen notwendig waren, um diesen Schritt ins endlose Meer machen zu können, wie viele Vorbedingungen des Selbst-Verlassens vorausgingen. Jetzt bin ich aber wie jemand, der ohne festes Rückgrat „stehen“ kann, (was einem Menschen unmöglich ist), oder mit einem anderen Bilde gesagt, ich bin wie ein Körper ohne Knochen, aber doch fest gefügt; doch im Grunde ist mein Zustand unaussprechlich. Dieses nach menschlichen Begriffen „stützenloses Sein“ genügt sich selbst und ist sich selbst „Stütze“, d. h., es genügt, so zu sein. Das Sein selbst ist als alleinige Selbststütze genug. Es ist wunderbar, erfahren und feststellen zu können, in welch weittragender und vollkommener Weise ein Menschsein mit seinen menschlichen Fähigkeiten dieser göttlichen, unendlichen Tragkraft eingeordnet werden kann, wie vollkommen und harmonisch eine Menschheit in diese göttliche Kraft aufgenommen werden kann, ja, sich mit ihr zu einem Leben zu verbinden vermag. Jetzt erst kann ich das Geheimnis der wahren Wirklichkeit der hypostatischen Union erfassen, in welcher die Menschheit von göttlichen Kräften durchlebt war und wirklich der göttlichen Person dienstbar sein konnte, wobei aus beiden Elementen, aus Göttlichen und Menschlichen, ein wahres menschliches Leben und der Herrschaft und Tragkraft der göttlichen Person und infolge dessen auch zugleich ein wahrhaft göttliches Leben in Christus möglich war und tatsächlich gelebt wurde.

 

31.07.1943

2280 |        Nun bin ich wirklich „entfernt“ von meiner früheren Lebensart und bin einem anderen Sein überantwortet, das nun mein Selbstsein ist. Ich bin von einer endlosen Geistigkeit durchlebt, die ich selbst bin. Wenn ich mich aber in dieser neuen Situation als mein Sein „so“ erfasse, dann erfasse ich im gleichen Augenblick auch die entsprechenden Konsequenzen als selbstige Auswirkungen: Ich bin diesen Konsequenzen ausgesetzt als meinen kommenden Lebensbedingungen. Mein Gesamt-Menschsein wird eingefasst unter dem Einfluss dieser neuen Lebensbedingungen; es „strömt hin“ zu diesem Zentrum, zu meinem Zentrum, dem ich ganz ausgeliefert werde. Ich werde dieser mich tragenden Kraft ausgeliefert, bin von ihr beansprucht, erlebe mich in dieser Anspruchnahme903. Anders kann ich die jetzige Stufe nicht beschreiben, als mit den Worten: Ich erlebe mich in dieser göttlichen Anspruchnahme eines Gesamt-Menschseins. Es ist dieses jetzige „Werden“ eine Zwischenstufe, die als Ziel und nächste Auswirkung hat: die letzte „Beschlagnahme“ durch die göttliche Person des Erlösers, wodurch ich vollends, in einer nachgebildeten, mystischen Form, in das „Bewusstsein Christi“ eintrete.

2281 |        Ich leide noch unter den neuen, so ganz anderen geistigen „Lebensbedingungen“. Ich meine: So ähnlich muss es auch St. Petrus zumute gewesen sein, als der Herr auf dem Meere ihm zurief: „Komm!“, und als dann Petrus auf den Wellen ging und glaubte, darin versinken zu müssen. So zittern auch mir gleichsam die „Füße“, weil ich meine, ich müsse in der für einen Menschen zunächst unerträglich scheinenden Geistigkeit versinken.

2282 |        Heute Morgen in der Kirche „Al Gesu“ war ich durch besonderen göttlichen Einfluss wieder neu in eine entsprechende Bereitschaft versetzt, mich ganz und für immer den Auswirkungen der göttlichen Person des Erlösers zu überlassen.

 

August

02.08.1943

2283 |        Gestern und heute ganz außerordentliche, schwere Leiden. –

04.08.1943

2284 |        Im Erfassen der Früchte der letzten Leiden klärt sich mein Innenleben etwas auf. Zwischen hinein aber904 leide ich sehr unter jener „Trennung“ von meiner früheren Seinsart. Diese Trennung wird immer intensiver wirksam dadurch, dass immer mehr eine psychophysische Zusammenfassung und Einbeziehung meiner Kräfte in das Zentrum meines neuen „Seinszustandes“ erfolgt. Dieser neue „Seinszustand“ fordert all meine Daseinskräfte nach seiner Art an und dadurch bildet sich immer mehr jene Trennung und Entfernung aus gegenüber dem früheren, gewöhnlichen, zweiartigen Zustand des Menschen (Sein und Dasein), und ich selbst bin in diesen Zustand und dessen Konsequenz versetzt. Von dieser tiefen, in Worten nicht auszusprechenden Konsequenz, ist mein Gesamt-Menschsein betroffen, ja ich muss sagen: Jeder Nerv empfindet diese allgemeine Änderung mit und wirkt mit an der Bestandsmöglichkeit dieser meiner neuen Lebensform.

2285 |        Jetzt sehe ich das905 alles neu bestätigt, was ich früher erfahren habe und auch schreiben konnte über das psychologische Geheimnis des Menschen. Das gesamte Menschsein, alle physischen und psychischen Kräfte wirken, als tatsächliche Personstütze, mit an der Bestandsmöglichkeit „der Person“. Somit steht das Gesamt-Menschsein jeden Augenblick unter der Einflussnahme der Person selbst, während die Person ihrerseits jeden Augenblick ihre Bestandsmöglichkeit von den ihr zu Diensten stehenden physischen und psychischen Kräften anfordert. – Ich bin nun ganz unter die tatsächliche Wirkkraft meiner selbst gestellt, ja, ich erlebe mich – um ein menschliches Wort zu gebrauchen und es durch einen Vergleich mit der Lebensmöglichkeit einer menschlichen Person auszudrücken – „als den906 Erzeuger meiner selbst, d. h. meines Bestandes“. Die Person-Art fordert durch sich selbst in ihrer Art die ihr zu Diensten stehende Bestandsmöglichkeit an. Hier liegt der Unterschied zwischen göttlicher und menschlicher Person und hier liegt der Schwerpunkt im Geheimnis der hypostatischen Union. Die menschliche Person „wird“ gleichsam immer „neu“ und zeugt sich selbst ihren Bestand aufgrund ihrer immerwährenden selbstigen Veränderungsmöglichkeiten, aber auch ständig nach der Art und Grundlage ihrer Selbsteigenheit, die sie trotz ihrer gewissen Veränderlichkeit für immer beibehält. Die göttliche Person aber fordert in ihrer göttlich-unveränderlichen Art ihre Menschheit an, die Ihr, als dem „Gottmenschen“, eine so wie in jeden Menschen vorhandene Bestandsmöglichkeit bieten sollte – weil eben die zweite göttliche Person „Mensch“ werden wollte. – Die göttliche Person behielt ihre göttliche Eigenheit bei und auf dieser ihrer göttlich-wesentlichen Höhe forderte sie ihre Menschheit als ihre „menschliche Bestandsmöglichkeit“ an. Ihre menschlichen Kräfte standen auf gleicher Höhe der Funktionsvollkommenheit (– nicht nach ihrem Sein und Wert an sich selbst –) mit der Wesenheit der göttlichen Person, weil nur auf der Grundlage und nach Maßgabe der „Person“ ein menschliches Leben möglich ist. Anderseits blieb die Grundlage für das Mensch-sein in Christus die gleiche wie im gewöhnlichen Menschen – nämlich die eines „geschaffenen Menschen“ – aber infolge der göttlichen Wesenheit der Person änderte sich in gewisser Hinsicht die dieses Mensch-sein. Die im Person-Dienst stehenden Bestandskräfte im Menschen Christus wurden nämlich von der göttlichen Personkraft, also von der göttlichen Höhe aus und entsprechend der göttlichen Vollkommenheitsebene angefordert und beansprucht, aber doch in der gleichen ihnen natürlichen Betätigungsform wie im gewöhnlichen Menschen. Die Funktionen und Auswirkungen der menschlichen Kräfte blieben im Wesentlichen die gleichen wie im gewöhnlichen Menschen, um nämlich ein wahres Mensch-sein zu ermöglichen, aber nicht in dem Sinne, dass sie – wie beim gewöhnlichen Menschen – auch ein Person-sein ermöglicht hätten. Die Person in Christus war ja eine ungeschaffene, ewige, göttliche Person, die von Ewigkeit und auf ewig unveränderlicher Grundlage besteht. Die gesamte Menschheit Christi war auf diese göttliche Person-Art eingestellt und dieses Mensch-sein entsprach darum ganz dem Wesen der „Person“ selbst. Die Tragfähigkeit der physisch-psychischen Kräfte Jesu reagierte nur entsprechend der Eigenheit und Vollkommenheit der Person selbst. Die menschlichen Kräfte Christi standen unmittelbar im Dienste der göttlichen Person als Vermittler seiner menschlichen Daseinsmöglichkeit907, ja, man kann sagen „Erzeuger des menschlichen Daseins Christi“ vermittels ihrer natürlichen Funktionen, die aber auf gleicher Vollkommenheitshöhe mit der göttlichen Person sich betätigten. Auf dem Gebiete der Vollkommenheit Gottes gibt es ja kein Mittelding, keinen Zwischenraum, keine Verminderung oder Zwischenmöglichkeit. Die Wirkung der göttlichen Personkraft in Christus war eine unmittelbare und augenblickliche auf der Höhe ihres göttlichen Seinszustandes. Diesem göttlichen Seinszustand der Person Christi entsprechend reagierten unmittelbar seine physisch-psychischen Funktionsbereiche ohne irgendwelche Abschwächungsmöglichkeit gegenüber der göttlichen Vollkommenheit der Person. Die göttlich-wesentliche Eigenheit des Wortes übte – auf der göttlichen Vollkommenheitsebene – eine direkte, unmittelbare Inanspruchnahme der menschlichen Natur Christi aus. Die physisch-psychischen Kräfte Christi nahmen unmittelbar das Wesen des göttlichen Seins der Person als des reinen Aktes in sich auf, und zwar mit allen sich daraus908 für eine menschliche Natur ergebenden Folgerungen; mit der Person selbst war alles da, um ein Menschenleben vollkommen zu machen. Die menschliche Natur musste diese göttliche Wesenheit „tragen“ und musste zugleich deren Auswirkungen und Reflexe einer menschlichen Anlage gegenüber auf sich wirken und sich dazu gebrauchen lassen; daraus bildete sich dann durch die Reaktionen oder Rückwirkungen, wie sie eben den Eigenheiten einer geschaffenen, menschlichen Natur entsprachen, ein wirkliches und tatsächliches Menschenleben und im Besonderen ein wahres Gemütsleben in Christus aus.

2286 |        Die heiligste Menschheit Christi trug in wirklicher Betätigung ihrer Kräfte und Anlagen die Auswirkungen der göttlichen Person und wurde somit zum Ermöglicher des gottmenschlichen Erlöserlebens (während im gewöhnlichen Menschen die physio-psychischen Kräfte auch die Person selbst stützen und ihren Bestand ermöglichen). – Die Reaktion der menschlichen Kräfte und Anlagen als deren normale menschliche Funktion traf wiederum die göttliche Person (als deren909 Träger) und so wurde die göttliche Person selbst zum Erleber und Erleider des menschlichen Lebens und einer geschaffenen Menschheit. In diesem Sinne boten die physisch-psychischen Kräfte Jesu der göttlichen Person des Wortes die menschliche Daseinsmöglichkeit als wahrer Mensch, und auf diese Weise bildete sich auch das Gemütsleben Jesu. Weil aber Christus die vornehmste, vollkommenste, feinfühligste (eben für die besondere Aufgabe geschaffene) Menschheit trug, kann man sich910 auch in etwa die entsprechende Vollkommenheit und Tiefe der Rückwirkung seiner physio-psychischen Kräfte auf die göttliche Person selbst ermessen oder ahnen. So war Christus der Träger der vornehmsten und in jeder Beziehung vollkommensten Menschheit.

2287 |        Obgleich aber die menschliche Natur Christi von der göttlichen, wesentlich-unveränderlichen Person des göttlichen Wortes getragen war, so war sie doch gleich unserer menschlichen Natur ständigen Veränderungen und dem Wachstum ihrer Kräfte ausgesetzt. Es war in Christus nicht so, dass seine heiligste Menschheit immer auf dem ersten freilich schon der göttlichen Person entsprechend911 angepassten Zustand stehen geblieben wäre, den sie im Augenblick der Menschwerdung, also ihrer Erschaffung hatte, dass sie also keine Entwicklung oder kein Wachstum erfahren hätte oder sich der göttlichen Natur in einem ständig gleichbleibenden Zustand und Grade betätigt hätte. Im Gegenteil sind die Anlagen und Kräfte der menschlichen Natur Christi gegenüber den Anforderungen der göttlichen Natur der Person des Wortes ständig gewachsen von der Menschwerdung bis zum Kreuze; so war auch Jesus heiligste Menschheit gleich der unseren ständigen Veränderungen unterworfen und steigerten sich und seine Leiden wuchsen immer mehr an Ausdehnung und Tiefe bis zu ihrem Höhepunkt am Kreuze.

2288 |        Ich erfasste diese Tatsache im Zusammenhang mit einem tieferen Erleben der Gemütsbewegungen Christi. Die göttliche Person erfasste zwar im Augenblick der Menschwerdung in Maria die gesamte Lebensmöglichkeit des menschlichen Daseins, aber sie hielt sich trotz ihrer göttlichen Unendlichkeit doch in ihren Auswirkungen immer an die Grenzen und Gesetze der menschlichen Natur. – Obwohl ich dieses Geheimnis tief erfasste, kann ich mich in Worten noch nicht vollends erklären.

 

05.08.1943

2289 |        Immer mehr weicht nun „mein Mensch-sein“ vom Wege meines persönlichen Menschseins ab, wenn es auch im gewöhnlichen Bereich mit der Entfernung von meinem eigenen Persönlichen in eine gewisse „Neutralität“ eingegangen ist. Ich weiß aber: Dieser Neutralitätszustand ist nur ein Übergang und ist die Brücke, die mich in das Persönliche Christi überführt.

2290 |        Diese Neutralität ist ein großes Leiden, ja, ist mein jetziges Leiden. Jener selbstige Ruhepunkt, der im Wesen meiner Person lag (und im Grunde immer liegt), ist überschritten, ist ausgeschaltet, bietet mir keinen selbstigen Halt mehr. Die Vorbedingungen und Voraussetzungen für diesen meinen persönlichen Selbstdienst sind gleichsam gelöst und ich bin der Grundlage meines Selbststandes enthoben. Jene Fähigkeiten, die mir den Selbststand nach früherer Art, Grundlage und Eigenheiten912 boten, sind übergeführt auf eine andere Art des Persondienstes, worauf mein Gesamt-Menschsein hingeordnet wird.

2291 |        Ich kann nun den unüberbrückbar scheinenden Unterschied zwischen meinem früheren und meinem jetzigen Leben erfassen und verstehe, wo der wesentliche Unterschied liegt. Er liegt in der Eigenheit des Persondienstes. Ich bin über das gewöhnliche Menschsein hinausgehoben und auch über die Art der gewöhnlichen Lebensbedingungen bezüglich des Schlafes, des Essens usw.913 Die Vergeistigung meines Menschseins ist derart und die physische Natur ist so in das Geistige hineingehoben, dass sie z. B. überhaupt nicht zu dem gewöhnlichen „Genuss“ des Schlafens kommen kann. Ebenso ist es mit dem Essen. Hinwiederum wird der Mangel an der entsprechenden, gewöhnlichen Ruhemöglichkeit zu einem mehr geistigen als physischen Leiden. Das Innenleben, das Geistige tritt ganz in den Vordergrund, eben entsprechend der Art und Anlage der Person, der auch die niederen Kräfte voll dienstbar gemacht werden. Man kann sagen: Die physischen Kräfte werden wie in eine Geisteskraft umgewandelt, zwar nicht wirklich, aber infolge ihrer neuen Dienstbarkeit gegenüber einer anders angelegten Person, die sich als Selbst-sein vollständig in der Geisteskraft bewegt. –

2292 |        Ich werde ständig in mir selbst erfasst, beschlagnahmt und hineingezogen vom eigenen Zentrum, das anstelle meines früheren getreten ist, und so werde ich allmählich zum Erleben dieses neuen Zentrums als meines Selbst hinübergeführt. – Ich bin ganz hineingehoben in das kommende Leben als Auswirkung der göttlichen Person des Wortes. Ich „weiß“ um die Auswirkung dieser nunmehrigen selbstigen Kraft in mir, aber es ist dies in Worten nicht auszusprechen. Die göttliche Person des Wortes nimmt mich für diese Auswirkung auf der Grundlage meiner Dienstbarkeit an seiner Person.

2293 |        Ich bin immerwährend dieser Dienstbarkeit überantwortet. Zwar noch nicht wirklich, aber in Einübung für das kommende Leben und ich bin ständig „dem“ gegenübergestellt mit der Forderung jener Bereitschaft, ganz und für immer der göttlichen Person des Erlösers zur Verfügung und zu Diensten zu stehen, um jene Auswirkungen seines gottmenschlichen Erlöserlebens als mein914 eigenes Erleben und Erleiden in mir zu erfahren.

 

06.08.1943

2294 |        Morgens: Es ist nur eines in mir: Die Spitze, die ich selbst bin.

2295 |        Nachmittags: unaussprechliche Leiden.

 

08.08.1943

2296 |        Wie kann ich noch leben unter einer solchen Last von915 Leiden, die auf mir liegt?

 

12.08.1943

2297 |        Es ist wie eine unaussprechliche, schmerzhafte physio-psychologische916 Umwälzung in mir, aber diese Umwälzung bin ich gleichsam selbst, direkt davon betroffen bis in den tiefsten unerklärlichen Konsequenzen meiner selbst. – –

2298 |        Nachmittags: Ich erfahre nun in etwa die erlittenen Früchte jener geheimnisvollen inneren Leiden, die eine weitere Voraussetzung für meinen kommenden Zustand in Christus zeitigten917: Ich verliere meinen eigenen „Personkreis“ (das Wort wurde mir innerlich dafür gegeben) mit all den meiner Person unterstehenden Anlagen und Bedingungen, und ich werde dadurch918 vorbereitet, um in den „Personkreis“ des Erlösers als des Gottmenschen eingehen zu können.

2299 |        Ich erfasse die psychologische Unterlage oder Voraussetzung für einen individuellen selbstigen „Personkreis“, nämlich jene Einfassung und Abgrenzung einer menschlichen Person von jeder anderen, ähnlichen Personkraft, das was der Person als das absolut selbstige, eigenständige919 Gepräge gibt. – Der Personkern als Unterlage für eine mögliche, selbstige Person ist gegeben mit dem im Augenblick der Erschaffung einer neuen Seele gebotenen physischen und psychischen Möglichkeiten; es ist aber eine gleichsam noch schlummernde Individualität. Im Menschen wird die Individualität voll gebildet durch die wachsende und erwachende seelische920 Kräfteentwicklung, die ihrerseits wieder ein entsprechendes Wachsen der physischen Anlagen voraussetzt. Die „Individualität“ setzt ein bewusstes Zuführen der äußeren und inneren Eindrücke zum Personkern voraus, was erst auf einer gewissen Entwicklungsstufe der physisch-psychischen Kräfte möglich ist. Ein gewisses Wachsen und Reifen des Verstandes, des Gedächtnisses usw. ist die Bedingung und Voraussetzung für das Bewusstwerden des eigenen Selbst. Das „Bewusstwerden seiner Selbst“ ist als solches ein rein psychologischer Vorgang, dem aber jene erste physische Reife vorausgeht, die den Akt des wirklichen Sich-Bewusstwerdens einer Person im Allgemeinen, nämlich ein gewisses „Sich-Gegenüberstellen“ möglich macht. In normalen Menschen sind daher entsprechend entwickelte psychische – und hierfür auch physische – Anlagen die Grundbedingung für das Bewusstwerden einer in sich abgeschlossenen Individualität. Der zunächst noch schlummernde Bewusstseinskern strebt naturgemäß mit dem immer weiter sich entwickelnden und wachsenden Kreisen, die er um sich aufbaut, auch jenes Bewusstwerden der Anlagen an, die ihm eine gewisse selbstige Gegenüberstellung möglich machen. Damit bekommt dann die menschliche Person das abschließende selbsteigene Gepräge, das man als Individualität bezeichnet und wodurch eine Person mit den ihr eigenen Kräften sich sozusagen in sich selbst zusammenfasst.

2300 |        Als Abschluss und Folge jener Zusammenfassung als selbsteigene Personkraft beginnt sich dann, im schon bewussten Zustande, ein individueller „Person-Kreis“ auszubilden, nämlich jene wichtige Entwicklung im Menschen, wodurch die selbstige Person gleichsam auf eigene Verantwortung sich ihr Leben selbst zu formen beginnt. Es vollzieht sich allmählich eine „Umschreibung“ und Zusammenordnung der im Menschen vorhandenen Anlagen sowie ihr Aufbau und Einbau in einen „Kreis“ als Selbst-sein, wofür die Person selbst und allein verantwortlich wird. Dieser selbstige „Kreis“, der alle eigenen Anlagen umschließt, trägt in sich auch die Eigenheit921 der Person selbst und ist abgeschlossen und abgegrenzt gegenüber jeder ähnlichen Zusammenfassung von menschlichen Kräften und Anlagen. Diesen Person-Kreis trägt ein Mensch unverlierbar sein ganzes Leben; darin sind eingeschlossen die physisch-psychischen Lebens- und Daseinsbedingungen des Menschen, die fortgesetzt dem selbstigen Lebensantrieb zugeführt werden; darin entwickeln sich ständig jene Akte, die wir als Selbst-Erkennen erfahren, jene Reflexe des ständigen Selbst-Bewusstwerdens, denen der Mensch (im normalen Zustand) immerwährend ausgesetzt ist. – Für diesen Person-Kreis, der sich aufbaut auf den physischen und psychischen Grundlagen und der gebildet wird durch den Impuls der Seele, ist ständig der Träger dieser Seele verantwortlich gemacht. Und diesen Person-Kreis als ihr endliches Lebensresultat verliert die Seele die ganze Ewigkeit hindurch nicht mehr; denn in diesen Kreis hat die Seele ihre Lebensfruchtbarkeit in irgendeiner Form eingebaut. Dieser Person-Kreis als selbsteigenes Lebensprodukt wird daher der Seele zur guten oder schlechten Frucht ihres Daseins und bleibt ihr unverlierbares und unverleugbares Eigentum, dem sie sich nicht mehr entziehen kann.

2301 |        Auch schon in diesem Leben ist dieser Personkreis als selbstige Eigenart eines Menschen die absolut eigene922 Richtung seines Lebens. Dieser Person-Kreis ist sowohl auf eigene wie auf äußere Einflüsse aufgebaut, verläuft aber immer als eigenes Lebensprodukt im eigenen Rahmen der Person selbst, nach dem Ausmaß jener selbst verarbeiteten Einflüsse.

 

17.08.1943

2302 |        Nach den schweren Leiden der letzten Tage war ich gestern in einem ausgeglichenen, ruhigen Zustand. Ich bin dem Ziele selbst so nahe und bin mir selbst – d. h. meiner früheren Art des Seins – so sehr enthoben. Die neue Art lässt sich aber in Worten nicht erklären; sie ist mein Zustand, mein Selbst. Ich bin eine wunderbare Unabhängigkeit, eine harmonische Einheit. – Ich weiß um den kommenden letzten Schritt, der mich vollends einführen wird in das „Bewusstsein Christi“.

2303 |        Während des Alarmes in der Nacht – ich wollte den Vater bitten für alle, die in Todesgefahr sind – war ich in Christus, in seine Stellung zum Vater als Fürbittender, eingeführt. Ich war in ihm, als „er“, als der Vermittler der Menschheit vor dem Vater. Ich war infolge der intensiven Teilnahme an Christus vom Vater aufgenommen „als Christus selbst“; ich stand zum Vater wie „ich und du“, d. h. in einem unmittelbaren Verhältnis, das ermöglicht ist durch Jesus, an dessen Sein und Leben ich in so hohem Maße teilnehmend geworden bin. – Nur in Jesus, in der Vereinigung des Lebens mit seinem gottmenschlichen Erlöserleben, kann die Seele zum Vater eingehen; Christus ist der einzige Weg zum Vater. Christus ist durch das Werk seiner Erlösung unsere Fruchtbarkeit und unser Wachstum; in ihm „werden“ wir für den Vater. Christus in uns ist die höchste Verherrlichung für den Vater; die höchste Frucht der Erlösung ist Christi Leben in uns, als letztes Resultat der Erlösung dem Vater dargebracht.

2304 |        Ich bin mir jenes höchsten Zieles für mich als einer Frucht der Menschwerdung und Erlösung Christi923 bewusst. Dieses Ziel in mir oder vielmehr ich selbst bin eine Frucht der Zuwendung seiner ganz außergewöhnlichen Fülle der Erlösungsgnaden Christi, die nun Jesu Leben selbst in mir als Frucht gezeitigt haben. – In Jesus habe ich gleichsam „Macht“ über den Vater; seinetwegen hört er auf mich. Es scheint zwar vermessen, es auszusprechen, aber so sah ich mich: Niemand noch ist bis jetzt dem Vater so „nahe“ gekommen wie ich, weil Jesu Leben in mir durch eine persönliche Teilnahme an seiner göttlichen Erlöserperson bis zur Fülle in mir gewachsen ist; dieses Geheimnis des Lebens Jesu, bzw. des Erlöserlebens Jesu vor dem Vater ist noch nie so „erlebnisfähig und ein erfahrungsmäßiges Erleben für eine Seele geworden, wie es sich durch eine besondere Gnade in mir vollzieht“.924 – Nur in Christus gelangen wir zum Vater; in Christus aber gehen wir nur auf dem Wege der Überwindung des Erbsündlichen in uns ein, und zwar kraft einer möglichst vollkommenen Zuwendung der uns zu diesem Zwecke von ihm verdienten Erlösungsgnaden. In Christus werden wir entsündigt, und zur Teilnahme an ihm befähigt. Darum sandte der Vater den Erlöser und darum ist uns Christus „Erlöser“ geworden, dass wir wieder zum Vater kommen können. Christus ist uns der Weg und das Mittel zum Vater.

2305 |        Wie einfach ist doch im Grunde dieser Weg, auf dem ich zu einer solch hohen Stufe des Lebens Christi in mir gekommen bin! In diesem Sinne ist mein ganzes Leben nur die Fortführung eines gewöhnlichen Christenlebens, aber bis zur höchsten Steigerung, und erfahrungsmäßig925 gelebt. – Und die Richtung und das Wesen dieses Lebens ist der Wille des Vaters für alle, weswegen er den Sohn als Erlöser gesandt hat. Und Christus will diese höchste Absicht des Vaters in der Kirche neu beleben; er gibt sich selbst in einer neuen Art als Frucht der Erlösung und er ist bereit, jenen Seelen „sich zu geben“ und jene an sich teilnehmen zu lassen, die an diese Tiefe und Fülle der uns von ihm erworbenen Gnaden glauben wollen. – Ich wusste und schaute die Priester seinem Herzen am nächsten, um daraus die Fülle seines Lebens zu empfangen. – Mein ganzes Innenleben sah ich darauf abzielen und ausgehen, dass diese Absichten Gottes bzw. Christi dadurch glaubhaft gemacht werden.

2306 |        Ich bin an der Schwelle des vollen Eingehens in Christus. Das Erleben seines Erlöserlebens in Kraft seiner göttlichen Person und vermittels meiner menschlichen Kräfte ist der Beweis für diese neuen Gnaden.

2307 |        Ich erlebte mich auch im Voraus in meinem kommenden Endzustand926 „in Jesus“, d. h., ich erlebte im Voraus das Geheimnis des Bewusstwerdens927 einer Person, das in mir vorbereitet ist und das mich im mystischen Nacherleben einführt in das göttliche Bewusstsein des Erlösers. – Ich konnte gut begreifen, wie in Christus das Bewusstwerden seiner Person als Gott-Mensch mittels seiner psychischen Kräfte sich vollzogen hat. Wie im gewöhnlichen Menschen, so waren auch in Christus die physisch-psychischen Funktionen die Hilfsmittel, um ein tatsächliches Bewusstwerden hervorzubringen, natürlich nicht das wesentliche, göttliche Bewusstsein, weil dies von Ewigkeit unveränderlich besteht, sondern jenes als Gott-Mensch. Daran waren alle928 seine menschlichen Kräfte beteiligt, denn Jesus lebte als Mensch sein göttliches Leben mittels der menschlichen Kräfte, vermöge deren er als Gott „Mensch“ war; andernfalls wäre ja in Christus die Vereinigung der göttlichen Natur mit der menschlichen Natur bei einem „Nebeneinander“ geblieben und nicht zu einem „Miteinander“ geworden.

2308 |        So ging in Christus auch alles göttlich-wesentliche Wissen „durch“ den menschlichen Verstand. Ich habe auch dieses Geheimnis sehr klar erfasst, kann aber noch nicht darüber schreiben. Verschiedenes, was ich in letzter Zeit über das Bewusstwerden929 des Selbst und über das Geheimnis einer Person erfahren habe, bot mir die Unterlage und Bestätigung für jenes psychologische Geheimnis in Christus. Als wesentlicher Unterschied zwischen den menschlichen Funktionen im Gottmenschen und jenen in einem gewöhnlichen Menschen wurde mir dabei immer wieder der göttliche Seinszustand des „Actus purus“ als die wesentliche Unterscheidung und göttliche Eigenheit erklärt.

 

18.08.1943

2309 |        Heute Nacht, während des Alarmes wurde ich eingeführt in das Geheimnis des gottmenschlichen Personkreises des Erlösers.

2310 |        Obgleich in Gott drei Personen sind, so ist in ihm, in der einen göttlichen Wesenheit und göttlich-wesentlichen Unteilbarkeit doch nur eine göttliche „Universalität“ im Sinne der Unbegrenztheit und Unbegrenzbarkeit oder Unendlichkeit. Die Dreipersönlichkeit des einen Gottes grenzt aber die Personen durch ihre göttlichen Beziehungen voneinander ab, wobei in jeder der drei göttlichen Personen die göttlich-wesentliche „Universalität“ oder Unbegrenztheit bestehen bleibt, und jede göttliche Person die gleichen göttlich-wesentlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten in sich selbst besitzt, ohne in dieser ihrer göttlichen Wesenheit und Vollkommenheit irgendwie auf die anderen Personen angewiesen oder hierin von ihnen abhängig zu sein.

2311 |        Der Personenunterschied der zweiten göttlichen Person ist der des „Wortes“ oder „Sohnes“, der zum Erlöser werden sollte und wurde. Der Erlösung ging aber seit Ewigkeit voraus, dass das „Wort“, die zweite göttliche Person, Urvorbild für die ganze Menschheit war und ist. „Alles war in ihm und durch ihn und in ihm hat die gesamte Schöpfung und Menschheit ihren Bestand“. So wollte es der Vater von Ewigkeit, weil er in göttlich-wesentlicher Freigebigkeit sich in der zweiten göttlichen Person gleichsam verströmen und die gesamte Menschheit durch das Wort an sich teilnehmen lassen wollte. Seit Ewigkeit war alles, was vom Vater geschaffen wurde, im Sohn und durch den Sohn. Das „Wort“, in dem und durch das alles wurde, „trug“ also von Ewigkeit die gesamte Menschheit in sich. – Gleichzeitig wurde ich wieder hingewiesen und hingeführt auf diesbezügliche, schon früher erfasste Geheimnisse, und ich wurde darauf hingewiesen, wie hierin – im Geheimnis des ewigen Wortes als des Urvorbildes und Hauptes der Schöpfung und der gesamten Menschheit – die letzte Wurzel der Erlösung liegt. Nicht, dass es notwendig so hätte sein müssen, sondern es war die Liebe Gottes, die sich an die Menschheit verschenken wollte.

2312 |        In der Zeit, als die Menschheit in den Folgen ihres Sündenfalles schmachtete, trat die zweite göttliche Person als „Haupt und Vorbild der gesamten Menschheit“ in den Erlöserzustand ein dadurch, dass Christus sich für seine gefallenen Brüder vor dem Vater verantwortlich machte. Er trat ein in den Wirklichkeitszustand als Verantworter vor der göttlichen Gerechtigkeit. Mit der Annahme der menschlichen Natur durch die zweite göttliche Person war – als Geheimnis unendlicher Liebe in dem oben erwähnten Sinn – die Mitannahme der gesamten Menschheit wie natürlich verbunden (infolge der Zugehörigkeit der Menschen zu ihrem Haupt und Urbild und infolge des Zweckes der Menschwerdung als Erlöser). Wie die göttliche Person vordem als reiner Geist und Urvorbild die gesamte Menschheit in sich trug, so war es die gleiche göttliche Person, die jetzt als Gott-Mensch die gesamte gefallene Menschheit in sich trug und barg. (Ich habe dieses Geheimnis in einer wunderbaren Tiefe und unaussprechlichen Tatsächlichkeit erfasst, und zwar gleichsam als göttliche Konsequenz der unendlichen Liebe Gottes). Gottes Liebe hat die Menschheit erschaffen und Gottes Liebe hat sie nach ihrem Falle erbarmend wieder geheilt dadurch, dass sie sich stellvertretend für sie verzehrte.

2313 |        Die zweite göttliche Person trat durch ihre Menschwerdung aus dem rein geistigen Person-Kreis, der dem göttlichen Wesen eigen ist, insofern heraus, als sie zugleich die einer menschlichen Natur eigenen Auswirkungen hinzu übernahm; als wahrer Mensch musste ja Christus alle jene Bedingungen erfüllen, die einem wahren Mensch-sein entsprechen. _ Das will aber nicht heißen, dass Christus als Erlöser einen rein menschlichen Personkreis überantwortet war; als wahrer Gott behielt er vielmehr immer das Göttliche als seine unbedingte, geistige Umgebung bei und seine göttliche Anschauungsweise blieb immer930 wesentlich unverändert bestehen, aber, um auch wahrer Mensch zu sein, wollte und musste er zugleich das menschlich-empfindende in sich aufnehmen, das sich vom göttlich-rein-geistigen unterscheidet.

2314 |        Die menschliche Natur forderte in Christus ebenso ihre Rechte wie in unserer gewöhnlichen menschlichen931 Natur. So wurde in932 Christus das nach dem allgemeinen Naturgesetz für das Menschsein Erforderliche mit in das Göttlich-Wesentliche zu einem harmonischen Leben hineingezogen und verbunden. In diesem Sinne wurde in Christus das menschlich Erforderliche in den Bereich der göttlichen Person hineingezogen und hineingehoben, bzw. in den göttlich-menschlichen Person-Kreis des menschgewordenen Wortes eingefügt und eingefasst. Das Menschliche wurde als psychologische Folge in den göttlichen Bereich der Person selbst hineingezogen und wurde von dieser selbst als ihr eigenes Lebensbedürfnis und als Notwendigkeit empfunden, um überhaupt als wahrer Mensch existieren zu können. Die menschlichen Lebensbedürfnisse wurden zugleich Forderungen der göttlichen Person selbst, von Ihr als notwendige Daseinsbedingungen für ein menschliches Leben empfunden, wie ja auch wir die unbedingt notwendigen Daseinsbedingungen für unsere menschliche Natur erfahren und kennen. – Das ist aber nicht so gemeint, als hätte die göttliche Natur des Wortes sich in den menschlichen Anforderungen verloren oder sich933 geradezu vermenscht; die göttliche Natur der Person Christi bewahrte vielmehr trotz aller menschlichen Anforderungen ihre göttliche Eigenart, und alle menschlichen Bedürfnisse und Regungen wurden von der göttlichen Person selbst beherrscht und reguliert. Weil Christus wahrer Mensch war, traten auch die Empfindungen einer menschlichen Natur in ihre naturgesetzliche Betätigung, und da er als vollkommenster Mensch alle anderen Menschen an Vollkommenheit überragte, herrschte auch schon aus diesem Grunde in ihm vollkommenste Harmonie in allen seinen menschlichen Bedürfnissen und Regungen, die zudem ganz unter der Herrschaft der göttlichen Person standen. ––

2315 |        Zur näheren Erklärung des „Personkreises“ im Allgemeinen wurde ich wieder hingewiesen auf die verschiedenen Elemente, aus denen dieser sich bildet und aufbaut. An erster Stelle steht die persönliche Individualität mit bestimmten, ihr eigenen und größtenteils auf Vererbung zurückgehenden Grundlagen – was man den Personkern nennen kann. Diese erstgegebenen Grundlagen entfalten sich nach außen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Kräften und durch den Gebrauch der Willensfreiheit, bauen sich aus und zeigen sich in entsprechenden Folgerungen und Eigenheiten wie z. B. in der Vorliebe für eine bestimmte Beschäftigung oder Leistung, für einen bestimmten Beruf, in einer bevorzugten Richtung der Gedankenwelt, im Interesse für bestimmte Fragen und Probleme, in bestimmten Lieblingsmeinungen – kurz, in persönlichen Eigenheiten des Denkens, Empfindens und Handelns, wodurch die Menschen – wie wir täglich beobachten können – sich voneinander unterscheiden. So geht die erstgegebene Grundlage der Individualität in eine nach außen betätigte und erworbene Individualität über, und die Person baut sich damit gleichsam eine eigene Atmosphäre und Umgebung, einen Kreis, in dem und um den ihre Betätigung sich bewegt und dreht. – Das Tun des Menschen trägt also das Gepräge der tiefsten individuellen Anlagen an sich, aber dieses Tun, sowie die äußeren Verhältnisse und Erfahrungen wirken auch ihrerseits wieder auf die Person zurück, und erst aus den Grundlagen zusammen mit den freien Betätigungen dieser Anlagen und den gemachten Erlebnissen baut sich ein normales und voll entwickeltes Menschenleben und ein vollwertiger Personkreis aus. – Die von der individuellen Anlage beeinflussten Betätigungen, Gewohnheiten, Beschäftigungen, Studien usw. üben ihrerseits wiederum eine Rückwirkung auf die Person aus und tragen bei zur weiteren Prägung oder Verstärkung ihrer Eigenart und wirken mit am Ausbau und Aufbau des individuellen Personkreises. Die erstgegebenen Grundlagen entfalten, entwickeln und offenbaren sich nach außen, aber sie werden auch beeinflusst und weitergeformt durch die von außen kommenden Eindrücke, Beobachtungen, Verhältnisse und Erlebnisse. Diese verbinden sich mit den Grundlagen wie zu einer organischen Einheit und bilden so gleichsam einen richtunggebenden Ring des Personkreises. – So besitzt jeder Mensch seine persönliche Eigenheit, seine besondere Denk- und Handlungsart, die ihm das besondere, unterscheidende Gepräge gibt, und die zurückzuführen ist sowohl auf die nach den Naturgesetzen ererbten Anlagen wie auf die erworbenen Anlagen und Gewöhnungen. Damit baut sich der Mensch seinen Personkreis auf, wie er auch durch die Betätigung seiner Geistesanlagen seinen geistigen Gesichtskreis oder Horizont bildet und erweitert.

2316 |        Mit diesem ausgebauten Personkreis lebt der Mensch sein Leben, ihn unterscheidend von jedem anderen Menschen, der zwar ähnliche, aber anders ausgebaute und erworbene Anlagen hat. – Die Eigenart des Personkreises als selbstige Denk- und Handlungsweise wendet sich aber wieder zurück zur Person selbst, bringt dieser gleichsam ihre Früchte, seien es gute oder böse, zurück, strömt auf jeden Fall zum Zentrum der Person selbst zurück und „weckt“ dort Gegenüberstellungen zwischen Sollen und Sein und löst Zufriedenheit und Befriedigung oder auch934 aber Widerspruch und Missbilligung der Person selbst aus, der letztlich das ganze menschliche Tun, als dessen Lebensprodukt935, untersteht. Das ganze Tun und Gehabe des Menschen wird von jener tiefsten Eigenheit der individuellen Person selbst aufgenommen und beurteilt; es trifft schließlich als letztes und eigenstes Zentrum die Person selbst, die als Richter und Regulierer dieses Gesamtlebens als Antwort ein bestimmtes „Urteil“ über jene rückgeführten Ergebnisse abgibt.

2317 |        Dieses Urteil „trifft“ dann jene feine Anlage der Menschenseele, die wir Empfindungsmöglichkeit oder Gefühlsvermögen nennen, d. h. jene „feinen Töne“, Reflexe und Erregungsmöglichkeiten in der Seele bzw. in den Anlagen des Menschen, die bei den geheimnisvollen Wechselbeziehungen zwischen geistigen und leiblichen Kräften im Menschen gleichsam eine Vermittlungsstelle einnehmen zwischen dem Höchsten und Tiefsten im Menschen, zwischen dem Leib und der Seele, zwischen der Person und den ihr zuführenden und dienenden Kräften. So trägt jeder Mensch in sich eine „Welt im Kleinen“, bestehend aus den verschiedenen Eigenheiten und Eindrücken, die von außen kommen und die beständig der Person selbst zugeführt werden, von dieser „befühlt“ und beurteilt und dann wieder, beifällig oder missfällig, auf das Gefühlsvermögen zurückgeworfen und ausgestrahlt werden. Das Gefühlsvermögen selbst setzt sich zusammen aus psychisch-physischen Kräften, wie die Seele ja im Allgemeinen nichts tun kann ohne irgendwelche Rückwirkung auf das Leibliche, sodass dauernde Wechselbeziehungen zwischen dem Geistigen und Leiblichen im Menschen bestehen. Diese Beziehungen, als allgemeines Naturgesetz von Gott geschaffen, meinen wir eigentlich936 zunächst, wenn wir vom „Leben“ und von der Wirklichkeit des menschlichen Lebens sprechen.

2318 |        In Christus, dem Erlöser, erfasse ich den früher erwähnten gottmenschlichen Personkreis in einer dem unseren ähnlichen, aber auch infolge des göttlichen Wesens Christi von unseren verschiedenen Art. – Die menschliche Person muss erst „werden“, um überhaupt eine tatsächliche, wirksame Person sein zu können. Die göttliche Person des Wortes aber besteht von Ewigkeit in göttlich-wesentlicher Unveränderlichkeit. Sie trug ferner (wie oben gesagt) urvorbildlich die ganze geschaffene und noch zu schaffende Menschheit in sich. Als die zweite göttliche Person die menschliche Natur annahm, überantwortete sie sich zugleich ganz dem Zwecke der Menschwerdung selbst und gab sich den für sie als das Urvorbild und Haupt daraus folgenden Konsequenzen hin; sie nahm infolge ihrer unendlichen Liebe und entsprechend ihrem göttlichen Charakter als „Wort“ des Vaters, und damit als Urvorbild und Haupt der Schöpfung mit ihrer eigenen menschlichen Natur auch die gesamte zu erlösende Menschheit auf sich und trug diese, sie erleidend in sich.937 Aus göttlich-unendlicher Liebe trat die zweite göttliche Person in den Wirklichkeitszustand als „Erlöser“, entsprechend der Besonderheit ihres göttlichen Wesens als „Wort“, in unendlicher Liebe gesandt vom Vater, dem sie seit Ewigkeiten als Urvorbild der Schöpfung gedient hat. Die Folge war, dass die zweite göttliche Person in göttlich-unendlicher Liebe zu ihren angenommenen Brüdern im gefallenen Zustand alle Konsequenzen ihrer Menschwerdung zum Zwecke der Erlösung auf sich wirken ließ. –

 

21.08.1943

2319 |        Ich werde innerlich ständig veranlasst, mich in jener für mich „geforderten Weise“ (die man in Worten nicht aussprechen kann), aufzugeben und zu lassen, um in das – schon in mir vorbereitete – „Bewusstsein des Erlösers“ einzugehen.

2320 |        Ich weiß um die Folgerungen dieses Wechsels in mir: Ich verliere mich für immer ganz und gelange damit in den Besitz Christi, den ich nimmer verlieren werde, der auch mit meinem Tode nicht unterbrochen wird und der ohne Unterbrechung die ganze Ewigkeit bestehen bleibt, weil er mein mit besonderer Gnade erworbenes Gut ist, erworbene wesentliche Vereinigung mit Gott bzw. mit der göttlichen Person des Erlösers.

 

24.08.1943

2321 |        Wie eine Riesenlast liegt das von Jesus gewünschte Priesterwerk auf mir. Dieses ist zu „meiner Last“ geworden und diese Last scheint mich zu erdrücken. – Ich spüre all den Widerstand jener, von denen der Herr so viel erwartete; in mir lastet938 gleichsam der Widerspruch der S.J., aber es ist der Widerspruch des Nicht-kennen-wollens der großen Absichten des Herzens Jesu. „Weil man die Konsequenzen fürchtet, entzieht man sich der Kenntnisnahme des gesamten Werkes“; diese Tatsache legt sich wie eine Dornenkrone um mein Herz und die Leiden dieser Dornenkrone durchdringen mich. – Jetzt kann ich einigermaßen mehr den Schmerz des Herzens Jesu verstehen, der darin lag: dass man nicht an ihn glaubte und nicht glauben wollte, weil der Glaube an ihn Folgerungen, Konsequenzen nach sich gezogen hätte, nämlich das Eingestehen des eigenen rechthaberischen und selbstherrlichen Widerspruches und der Versteifung des eigenen Willens. Stattdessen dachte und sagte man: „Was geht das mich an? – Was kümmert uns dieser? – Ist dieser nicht des Zimmermanns Sohn? – Was redet dieser für Dinge? – Er hält sich für den Sohn Gottes!“ –

2322 |        Es kamen heute Stunden, wo ich meinte: „Es geht nicht mehr; diese Last erdrückt mich!“ Und ich klagte kindlich dem liebenden Heiland: „du siehst, Herr, wenn deine Priester es nicht wollen, warum soll ich es wollen? Es ist ihre Gnade, die sie selbst nicht annehmen wollen; es sind deine bevorzugten Söhne, die deine Gnade939 so zurückweisen.“ – Ich spüre und erleide in mir den Widerspruch gegen die unermesslichen Liebesabsichten Christi: Weil „er“ geben wollte, nimmt man das Geschenk nicht an; man zieht vor und will nur das, was man sich selbst zurecht denkt und zurechtmacht, und man meint940, damit sei es genug oder müsse es genug sein; die tiefste Ursache aber – O, ich spüre tief und schmerzend die Leiden der Dornenkrone des Herzens Jesu! – Die tiefste Ursache des Widerstandes ist der (uneingestandene) Hochmut. Es ist ähnlich wie einstens, als es „der Sohn des Zimmermanns“ war, von dem man nicht glauben konnte, dass „dieser, der Sohn Gottes“, der verheißene Messias sei; und heute – ja, Herr, ich möchte beinah sagen: Es ist „deine Schuld“, warum führst du eine schwache Seele solche Wege?! –

2323 |        Nachmittags wurde ich über dieses große Leiden hinweg und auf diesem Wege weitergeführt zu einer tieferen Erklärung über das Geheimnis des gottmenschlichen Bewusstseins des Erlösers. Ich wurde gleichsam innerlich gefragt: Warum erleidest du all diese Leiden schon sechs Jahre hindurch? – Und es wurde mir durch die innere Führung die Antwort gegeben: „Weil du an die besonderen Gnaden und Liebesbeweise Jesu geglaubt hast. – „Der Glaube an die Absichten Jesu hat dich in dieses Leiden versetzt. Und ich konnte gleichzeitig in diesem Sinne und Lichte mein ganzes Leben überschauen: Schon von meiner Kindheit an, und in meiner Jugendzeit, die besondere Führung, „der ich mich mit bereitem Herzen hingab“ – bis dann Jesus mir aufgrund der erreichten seelischen Reife im Jahre 1921 seine besonderen Absichten klarer mitzuteilen begann. „Weil ich an Jesus glaubte“, bereitete er mich als Werkzeug für seine Absichten, „Weil ich es so wollte“ (gewiss mit besonderer Gnade wollte), deshalb führte mich Jesus jene Wege der notwendigen Reinigung. Ich erlitt die Folgerungen meiner Hingabe und auf diesem Wege führte er mich tiefer ein in seine Absichten bezüglich der „Erneuerung des Priestertums“. Weil dies auf gewöhnlichem Wege nicht möglich war, hob er – aufgrund meiner Opferbereitschaft – meine Seele gleichsam aus dem gewöhnlichen Leben heraus und ich erlitt an mir selbst die Folgen meiner Opferbereitschaft. Immer mehr wurde ich in deren Folgen, nämlich in das Erleiden der besonderen Absichten Gottes mit meiner Seele versetzt – bis Jesus in mir, bzw. bis die Vereinigung mit ihm in mir so stark und tragfähig war, dass ich „seiner Absichten wegen“ meine Heimat und dann mein Vaterland verließ, um mich ganz für seine Absichten zu opfern, wirklich „für ihn zu leiden“. – So musste ich den ganzen Aufstieg und Höhenweg meiner Seele überschauen, auf dem ich dazu geführt wurde, tatsächlich die Konsequenzen meiner Hingabe an ihn leidend941 zu erfahren. Ich schaute mich wirklich in den Zustand des Opfers für meinen Glauben an ihn versetzt. Mein Glaube an Christus und an all das, was er mir so oft geheimnisvoll mitgeteilt hat und schauen ließ zum Besten seiner Priester und seiner Kirche, brachte mich in den Zustand der Leiden, in denen ich mich bis zum Erdrücktwerden befinde.

2324 |        Und der Unterschied zwischen den Anfängen (bzw. der Kindheit und Jugendzeit) und den letzten sechs Jahren? – Ich wurde in den letzten Jahren in die Tatsächlichkeit der Auswirkungen942 jenes Glaubens an ihn versetzt; die Tatsächlichkeit meines Hingabewillens an Gott bzw. Jesus, dessen besondere Absichten ich zu vernehmen glaubte, hat diesen wirklichen Wechsel meines äußeren Lebens verursacht. Es traten die Auswirkungen meiner Hingabe in Kraft und ich erlitt sie in den mannigfachen und unsagbaren Opfern meines jetzigen und meines vergangenen Lebens. Mein Glaube an Jesus brachte diese Änderung meines Lebens und ließ mich die Konsequenzen dieser Hingabe erfahren und erleiden. –

2325 |        Ausgehend von dieser geistigen Rückschau auf mein Leben wurde ich hinübergeführt in das Erlöserleben Jesu und wurde hingewiesen auf das Wort des Propheten: „er ward geopfert, weil er selbst es wollte“. – An Hand und aufgrund dieses Wortes ging ich ein das Geheimnis der zweiten göttlichen Person im Augenblick ihrer Menschwerdung und ich erfasste, wie die menschlichen Erlebnisse ihres wirklichen Mensch-Seins in ihr943 göttliches Bewusstsein aufgenommen wurde; eben durch die Tatsache, in die das ewige „Wort“, das Gott blieb, nun versetzt war. Christus war in die Konsequenzen seiner Hingabe aus unendlicher Liebe, in die Tatsache seiner Menschwerdung und seines Menschseins versetzt und erlitt an sich selbst diese Wirklichkeit und Tatsache. Die göttliche Person selbst erlitt an sich die Konsequenz des Verlassens ihrer Herrlichkeit beim Vater und auf diese Weise trat die Wirklichkeit ihres Mensch-Seins in das göttliche Bewusstsein. Ihres Gott-Seins sich bewusst erfährt oder erleidet sich die zweite göttliche Person jetzt im Schoße Mariens und ist in diesem Wechsel, in den Zustand dieser Tatsache versetzt. Diese Änderung wurde dem göttlichen Bewusstsein der944 sie erleidenden göttlichen Person zugeführt durch die Tatsache der Änderung selbst. In das göttlich-wesentliche Bewusstsein der göttlichen Person Christi945 trat nun das Erleiden und946 Erleben eines Menschen, trat nun die Wirklichkeit, „Mensch zu sein“ unter den gleichen verdemütigenden Umständen wie in einem gewöhnlichen Menschenleben.

2326 |        Unser menschliches Bewusstsein bildet sich erst mit unserem Wachstum und947 einer gewissen geistigen Entwicklung und wir sind auf natürliche Weise zum Mensch-sein gekommen. In Christus aber überstrahlte das Bewusstsein, Gott zu sein, auch sein Mensch-sein und dieses tatsächliche Mensch-sein trat in den Bereich seines Gott-bewusstseins. Beides verband sich zu einer Einheit, zu einem Leben, dessen Auswirkungen die göttliche Person selbst trafen und welche die göttliche Person selbst an sich erlitt. Das menschliche Bewusstsein bildet sich erst mit jener ersten Reife, in der die physisch-psychischen Fähigkeiten äußerer Eindrücke in den eigenen Bereich der Person selbst als deren948 Erleben zuführen können, und damit ein Sich-Selbst-Erfahren und eine gewisse Sich-Gegenüberstellung des eigenen Seins ermöglichen. Bei Christus aber wurde dem wesentlichen Gott-bewusstsein die neue Tatsache, „Mensch zu sein“ gegenübergestellt. Was wir Menschen Erleben nennen, das trat in ähnlicher Weise an die göttliche Person selbst heran, aber in einer viel stärkeren, unmittelbaren Weise durch den göttlichen Seinszustand. – Das menschliche Bewusstwerden949 setzt voraus ein Erlebenkönnen, ein Aufnehmen-Können von außen her, gleichsam eine Zufuhr von außen, welche erst das eigentliche Selbst-Bewusstwerden reizt und weckt und jene höchsten Kräfte der Seele bzw. der Person in sich zusammenfasst wie zu einem Aufblitzen des „Ich“, dem die Eindrücke zugeführt werden; das „Ich“ wirft die Eindrücke als eigenen Reflex dann auf das Gefühlsvermögen950, wo sie als wirkliche Erlebnisse empfunden und festgehalten werden. In Christus aber erfasste die göttliche Person mit ihrem göttlichen Sein unmittelbar jene veränderte Umgebung, in die sie als Mensch versetzt war.

 

26.08.1943

2327 |        Welche wunderbare Veränderung meines Inneren im Gegensatz zum gestrigen Zustand! Gestern befand ich mich in so unaussprechlichen Leiden, die hingerichtet waren auf meinen geistigen Endzustand – und heute bin ich und erlebe ich mich selbst im Voraus in jenem Endzustand. Aber mit Worten ist mein Sein in Jesus nicht zu erklären.

 

27.08.1943

2328 |        Heute Vormittag befinde ich mich in einer weiteren Folge meines Zustandes in Jesus: Es steht mir bevor die Umänderung meines Innenlebens durch das Aufnehmen und Nacherleben des Erlöserlebens Jesu wie als meines eigenen Lebens; dies ist der nächste Schritt, der mich, vom jetzt erreichten Vorbereitungszustand in Jesus ausgehend, durch ihn ganz951 in ihn hineinführt. – Zugleich weiß ich auch: Alles, was ich bis jetzt über das Geheimnis der hypostatischen Vereinigung erkannt und in Jesus erfahren habe, wird zu meinem persönlichen Erlebnis in ihm werden.

 

28.08.1943

2329 |        Heute war ich innerlich zu einer neuen Erklärung der Bereitschaft gegenüber Jesus und dem himmlischen Vater angetrieben. – Ja, ich bin für alles bereit, aber ich erbete und erwarte nichts, weil ich kein Recht habe, irgendwelche besondere Gnade einer Auserwählung zu erwarten; meine Hingabe und Bereitschaft ist jedoch, soweit es meinem Willen und meine Einsicht betrifft, restlos und ohne Vorbehalt; alles Unvollkommene wirst du mir, O Jesus, durch deine göttliche Vollkommenheit ersetzen. Ich will dem Vater gegenüber „Jesus“ sein; er genügt mir; ihn vor dem Vater zu leben ist mir genug.

2330 |        Ich weiß, wie sich dies in mir vollziehen wird, aber ich will es trotzdem nicht wissen, denn ich habe kein Recht, meine Zukunft zu wissen. Ich will jeden Augenblick „seinem Leben“, das mir in ihm geboten wird, treu sein. – Es ist so viel „Vorbereitendes“ in mir, aber dies Geheimnisvolle lässt sich nicht aussprechen. –

2331 |        Abends in der Kapelle! In ganz außergewöhnlicher Weise in Gott erhoben wusste ich: „All die großen, unermesslichen Gnaden (die ich dabei schaute) will Christus seinen Priestern 'neu' geben“. – Und ich konnte nur staunen und war vom Staunen hingerissen, im Wissen der Tatsache: „So Großes, Welt- und Kirche Umspannendes, für diese wenigen Jahre meines Leidens!“ – Und der Beweis und das Zeichen952 dafür, dass der Herr diese Gnaden wirklich geben will, ist die Offenbarung des Geheimnisses der hypostatischen Vereinigung953 und seines inneren Erlöserlebens, das ich erleiden werde. – Ich wurde gleichsam innerlich gefragt, ob ich bereit sei, diesen Beweis zu erleiden? Ob ich bereit sei, das Werkzeug zu sein, um den Priestern diese Gnaden stellvertretend vor Gottes Gerechtigkeit zu verdienen und so die Kirche in der Kraft geistig erneuerter Priester gleichsam zu verjüngern? – Ich war überwältigt vom Übermaß der unendlichen Liebe, die Gott über die Priester auszugießen bereit ist, und ich war angetrieben, mit den Worten des Propheten zu antworten: „Herr, sende mich – ich will alles erleiden!“ –

2332 |        Ich wusste aber auch um die Schwere der kommenden Leiden; doch unvergleichlich größer sind die Gnaden, die Jesus den Priestern geben „will“. Im Vergleich mit jenen unermesslichen Gnaden sind meine, wenn auch noch so schweren Leiden, doch wieder „klein“. Meine Leiden werden vorübergehen, aber die Gnaden für die Priester werden weiter fließen.

 

29.08.1943

2333 |        „Wer nicht gelitten hat, was weiß der!“

 

30.08.1943

2334 |        „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat!“ (Der Herr wird seine göttliche Allmacht auch in seinem Werke zeigen.)954

2335 |        Mein Leiden ist „sterben“ – und dann wieder „leben“; aber dieses neue „Leben“ ist leicht und erhaben und sublim955 wie der „Hauch eines Kindes“; der Geist, die Seele ist alles, und darin ist das leibliche Leben harmonisch eingefügt.

2336 |        Zeitweise befinde ich mich dann wieder wie in einem956 Grabe: Alle die Verdemütigungen wegen des Priesterwerkes, die ich ertragen muss, liegen auf mir;957 man wirft Erde auf den Toten und deckt in mit Erde zu, und „verhindert“ so ein allenfallsiges Heraussteigen aus seinem Grabe. – In ähnlicher Weise befinde und fühle ich mich mitsamt dem gottgewünschten Priesterwerke wie im Grabe; man wirft Erde und Steine auf diesen „Toten“, um ihn ja nicht wieder zum „Leben“ kommen zu lassen. –

2337 |        Ich fühle mich aber trotz dieses ungeheuren Druckes, der auf mir lastet, ganz ruhig in diesem „Grabe“ und ich will, soweit es auf mich ankommt, immer in diesem Grabe der Verdemütigungen bleiben. Ich habe kein Bedürfnis, daraus herauszusteigen. Ich will für mich nichts anderes als Verdemütigungen. Ich habe nie irgendwelche Ehre gesucht. – Ich suche nicht meine Ehre, sondern die Ehre des Vaters, der im Himmel ist. –

 

31.08.1943

2338 |        Mittags in der Kapelle: Ich bin zur Probe in den „Zustand Christi“ hineingehoben: „So dient meine Menschheit der göttlichen Person“. – Meine menschliche Natur958 muss tragfähig für die göttlichen Funktionen sein, da auch in Christus – wie im gewöhnlichen Menschen – die Person, d. h. in diesem Falle die göttliche Person, die physischen Kräfte als Stützen zu einem wirklichen Mensch-sein gebrauchte. So kam die „bewegungslose“ göttliche Person Christi sozusagen „in Bewegung“, indem sie mittels der physischen Kräfte und Natur eine wirkliche Funktion in ihrer Menschheit ausübte, nämlich die Funktion der „Person“.

2339 |        Abends: Ich bin innerlich sehr verdemütigt und vernichtet. – Aber lasst mich verborgen und „nichts“ sein – und ich bin glücklich! Es ist wie eine Leidenschaft in mir, verdemütigt und verborgen sein zu wollen.

 

September

01.09.1943

2340 |        Das war heute ein schwerer Tag. Man kann im Laufe eines Tages wirklich Unaussprechliches leiden. – Aber ich bin zufrieden dabei.

 

04.09.1943

2341 |        Mittags in der Kapelle: Während ich das „Veni sanctae Spiritus“ betete, „bot“ sich mir der Heilige Geist im Vater und im Sohne an, – denn wo der Vater und der Sohn in einer Seele besonders tätig sei, da sei auch die besonders Wirkkraft des Heiligen Geistes fruchtbar. (Und im gleichen Augenblick wurde ich hingewiesen auf das, was mir früher959 einst über die Eigenheit des Wirkens der Heiligsten Dreifaltigkeit erklärt worden war: Es gibt keine Gnade in der Seele, bei der nicht alle drei göttlichen Personen mitwirken.) – In meinem Falle lebe und wirke der Heilige Geist durch das göttliche Leben des Sohnes vor und für den Vater in mir. –

2342 |        Ich war in innigster Berührung mit dem Heiligen Geist, in besonderer Weise seine göttliche Wirkkraft in mich aufnehmend, durch die eine höhere960 Vollendung des Lebens Jesu zur Ehre und Verherrlichung des Vaters in mir hervorgebracht werde.

 

15.09.1943

Fest der sieben Schmerzen Mariens

2343 |        Die letzte Zeit war angefüllt mit mannigfachen Leiden, sowohl von außen wie von innen. Auch die äußeren schweren Zeitumstände benützt Gott für seine Absichten mit meinem Seelenleben, und zwar um mein Gesamtleben vollständig von äußeren Anhängigkeiten und Beeinflussungen abzulenken961 und abzuschneiden.

2344 |        Es ist ja eine merkwürdige Tatsache, dass die göttliche Führung immer wieder sich der drückend schweren äußeren Umstände bedient, um meine Seele für seine Absichten zu bereiten und ihr Fortschreiten zu fördern. Gerade diese Leiden sollen auch mithelfen zu einer freilich sehr schmerzhaften „Zerstörung“ jedes eigenen, persönlichen Daseinszweckes für mich, damit auf diesem Wege das „neue Leben in Christus“ immer mehr zu meinem höchsten und einzigen Zwecke gestaltet werde. Es ist allerdings in Worten nicht zu erklären, wie Jesus dies in mir vollbringt, aber jene von außen kommenden Leiden wirken in solch besonderer, geheimnisvoller Weise auf mich ein, dass es scheint, die schweren Zeitumstände wären gerade so zugeschnitten, um eine besondere Aufgabe in meiner Seele zu erfüllen. Jedenfalls werden sie für mich in einer besonderen Weise wirksam gemacht und die brennenden Spitzen dieser Leiden führen mich meinem Ziele in Christus näher. – So bedeutungsvoll aber gerade die letzten schweren Monate für meine geistige Höhenentwicklung waren, so lässt sich doch ihre tiefste Wirkkraft und Aufgabe speziell für meine Seele nicht in Worten ausdrücken, sondern bleibt eine rein persönliche und nicht mitteilbare Erfahrung. Ich spüre aber: Gerade dadurch komme ich dem Ziele näher und das ist und bleibt für Gott und für mich die Hauptsache.

2345 |        Schon die letzten Tage ließ mich eine höhere Vollendung vorausahnen, weil ich – nach meinem menschlichen Begreifen – das schon irgendwie in mir trug, worin diese neue Erhöhung besteht. Heute Mittag nun wurde ich – nach verschiedenen vorausgegangenen Proben – in den Zustand versetzt: Er, der ist, der ist in der Menschwerdung geworden. – So war Christus bzw. die zweite göttliche Person in seiner heiligsten Menschheit innewohnend. In ihm ist alles und doch ist er so entblößt von seiner göttlichen Herrlichkeit! Der ist, der Seiende, ist in seiner Menschheit geworden und blieb doch der „Seiende“ auch im „Werden“ und belebte und beherrschte diese seine werdende Menschheit auf der Grundlage und nach der Eigenheit962 und Eigenart des „Seienden“. – Es ist dies mein bisher höchstes Erleben Gottes, das ich mittels meiner Seelenkräfte erfahren habe. – Es fehlt aber jeder menschliche Ausdruck dafür; denn es ist zu einfach und doch zu unermesslich, zu inhaltsvoll und doch nicht erklärbar, zu wirklich und doch zu wenig fassbar und erlebbar, weil zu geistig.

2346 |        Ich erkenne und erlebe mich als das Werkzeug; das diesen „Seienden“, den, der ist, ertragen können muss. Meine physisch-psychischen Kräfte können in etwa das göttliche Wunder der heiligsten Menschheit erfahren. Es ist aber wahr: Das Wunder der heiligsten Menschheit Christi kann nur in und mit dem Wesen und Geheimnis Gottes selbst erforscht, erfahren und erklärt werden, vom Menschsein ausgehend kann niemand, auch nur ahnend in das Geheimnis des Gottmenschen eindringen. Gottes Wesen war gewissermaßen Alles in Christus und diesem göttlichen Wesen war seine heiligste Menschheit harmonisch als wahre Menschheit eingeordnet. – So wie ich mich in der Menschheit Jesu erfahren habe, schien Jesu Leben ein ständiger göttlicher Akt gewesen zu sein, dem aber die heiligste Menschheit ständig dienend bereitgestellt war. So waren zwei gleichsam eines, aber nach dem Maße und auf der Grundlage des Einen, des Gott-Seins in der Menschheit.

2347 |        Was ich früher im Einzelnen über die heiligste Menschheit, bzw. über die Art der Dienstbarkeit der menschlichen Kräfte Christi gegenüber der göttlichen Natur durch Gottes besondere Gnade erfahren habe, das erlebe ich jetzt harmonisch geordnet zu einem Ganzen, zu einer menschlichen Lebens- und Daseinsfunktion, zu einem Mensch-sein mit der Eigenart der963 belebenden Kraft der göttlichen Person. Was ich früher an einzelnen Zügen dieser Eigenart des gottmenschlichen Lebens erfahren durfte, das erlebe ich jetzt sogleich harmonisch zu einem Ganzen, als „Leben“ geordnet. –

2348 |        Ähnlich erleben wir auch unser gewöhnliches Mensch-sein. Wir empfinden sozusagen keine Teilung oder Abgrenzung der einzelnen Funktionen von Seele und Leib; alles ist so harmonisch geordnet, als könnte es gar nicht anders sein, während doch auch unser menschliches Leben aus vielen Möglichkeiten, Einzelheiten usw. besteht und geradezu einer Maschine vergleichbar ist, die aus vielen Teilen zu einer Funktion zusammengesetzt wird. So ließ mich Christus auch im964 vornhinein das Mensch-sein gleichsam in einer Aufgelöstheit erfahren, um mich dann die menschlichen Funktionen gegenüber denen965 seiner göttlichen Person ans Selbsterlebnis verstehen und erfahren zu lassen.

2349 |        Die besondere Eigenheit der Individualität einer Person bedeutet im Grunde: nur für sich, für die Eigenheit seiner Person selbst da sein, an sich selbst zu seinem Bestande genug haben, ohne zugleich eine andere Person in sich aufnehmen zu können. Es ist die Abgrenzung gegenüber jeder anderen Person, die Eigenständigkeit und das volle Genug-Haben an sich selbst zu seinem Bestande, was wir Individualität nennen. – Diese „Individualität“ ist an sich etwas Königliches, Beherrschendes, was den Menschen nach dem göttlichen Vorbild seines Schöpfers über alle anderen Geschöpfe erhebt. Diese Abgrenzung und dieses Genughaben an sich selbst als Selbstand verleiht dem Menschen den höchsten Adel und wirkliche „Freiheit“. Vor diesem Adel und dieser selbstigen Freiheit verschwindet sozusagen jedes andere ähnliche Wesen, mag es einem auch noch so nahe stehen. Darin liegt die erhabene, persönliche Freiheit. – In Gott nun ist die966 göttliche Freiheit, die, vom Menschen aus gesehen, die „Freiheit“ unserer menschlichen Person als Individualität in göttlicher Weise übersteigt. In Gott herrscht diese Selbstständigkeit in einer unüberbietbaren Weise, eben als göttliche Freiheit. Vor dieser seiner göttlichen Freiheit verschwindet gleichsam die geschaffene Menschheit und es bleibt auch unter dieser Rücksicht ein unüberbrückbarer Zwischenraum und Abstand zwischen Göttlichem und Menschlichem, weil Gott in sich selbst überreich genug hat. (Es liegt ein unaussprechliches Geheimnis in diesem Erfahren: Gott steht über allem)967. Wie sich die menschliche Person mit ihrem „An-sich-selbst-genug-haben“ gleichsam mit einem undurchdringlichen Wall umbaut und ihren Eigenheiten darin einlagert, eine Grenze um sich zieht gegenüber anderen, ähnlichen Umgrenzungen, mit andern Worten: einen Person-Kreis zieht, der selbst für Nächststehende im Grunde unerforschbar bleibt, so habe ich heute in ähnlicher Weise das Wesen der göttlichen Individualität der Person des Erlösers in seiner heiligsten Menschheit erlebt.

2350 |        Das Erleben der göttlichen Person erhebt mich gleichsam über alle geschaffene Welt, trägt in sich ein göttliches „Genug-Haben“ an mir selbst, bietet mir alles zum Bestand, verlangt aber zugleich ein völliges Aufgeben meiner früheren personalen Begrenzung und ein Übernehmen einer ungeschaffenen Unbegrenztheit968, in der man sich in unaussprechlicher Freiheit geniest. – Diese göttliche Unbegrenzbarkeit blieb im Menschen Christus bestehen und die menschlichen Kräfte Christi wurden teilnehmend an dieser göttlichen Vollkommenheit.

 

18.09.1943

2351 |        Welches Geheimnis ist der Mensch! Wahrlich ein Wunder der göttlichen Allmacht, nachgebildet dem Bilde des Schöpfers selbst! Jetzt, nachdem ich durch das Geheimnis des Erlebens der göttlichen Person des Erlösers in eine unaussprechliche Nähe Gottes selbst gekommen bin, werde ich auch in einer noch viel höheren Weise das Geheimnis inne: Gott und der Mensch; – der Mensch als geschaffenes Abbild Gottes; – der Mensch für Gott selbst fähig gemacht.

2352 |        In der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person hat die Nähe Gottes zum Menschen ihren höchsten Erweis und ihre Krone erhalten. Es war dies kein unbedachter oder unvorbereiteter Akt des göttlichen Wortes; seit Ewigkeiten schon wollte vielmehr Gottes Liebe sich einen Weg bereiten zu Geschöpfen, die er ins Dasein zu rufen gedachte, und als die Zeit dazu gekommen war, schuf er sie deshalb969 nach seinem Ebenbilde, um auf diesem Wege sich „in der Nähe seines Geschöpfes“ ergehen zu können und um diese an sich, an seinem göttlichen Wesen teilnehmen lassen zu können.

2353 |        Das Geheimnis „des Menschen“ ward mir in letzter Zeit zum unmittelbaren Erlebnis und es wurde mir erklärt sowohl in der Aufgelöstheit seiner einzelnen Funktionen, seiner wunderbaren Fähigkeiten und Möglichkeiten wie auch in deren Zusammenordnung zu einem Leben und Dasein in der wundervollen Einheit eines Bestandes – was ein Geheimnis und gleichsam ein Rätsel ist –, das in sich von keinem Menschen ganz erforscht und durchdrungen werden kann. Durch das Geheimnis „der Person“ steht der Mensch hoch erhoben vor Gott, ist er – in geschaffener Art und Weise – dem göttlichen Geheimnis des Dreipersönlichen nachgeformt und ist er im Wesen einer „Person“ ähnlich geordnet und gebildet und getragen.

2354 |        In der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person kam die wunderbare Möglichkeit der Vereinigung zwischen Gott und Mensch zur Verwirklichung und Bestätigung; denn was die göttliche Person brauchte, um Mensch sein zu können, das war mit der Art, wie Gott970 den Menschen geschaffen hatte, bereits ermöglicht und gegeben. Die Menschheit war seit ihrem Urbeginn971 Gott, ihrem Schöpfer, dienstbar gemacht, verlor aber durch den Sündenfall das klare Bewusstsein ihrer Bevorzugung und des Urbildes ihres Wesens. Im Sündenzustand verlor sich der Mensch in sich selbst und fand nun nicht mehr seinen ursprünglichen Weg zu Gott. – Bis Gott ein „neues Geschöpf“, gleichsam die Morgenröte einer neuen Menschheit, schuf, worin das Geheimnis der Nähe Gottes zum Menschen zum zweiten Mal in unversehrtester Reinheit aufleuchtete: MARIA, die sünde- und makellose, die einzige Brücke Gottes zum Menschen. In Maria waren von Gott die Möglichkeit und der Anschluss zu einer neuen Verbindung zwischen ihm und der gefallenen Menschheit gegeben. Mariens reine Menschheit wurde die Brücke zu einem neuen Menschentum, und zwar dadurch, dass Gottes Liebe erbarmend jene Wunder der ersten Erschaffung in ihr gleichsam wiederholte und der Menschheit sozusagen zum zweiten Mal den Weg hin zu Gott zeigen wollte. Aus Maria ging die Krone der gesamten Menschheit, Christus selbst hervor, als Gott ein Mensch nach Art unseres Menschseins.

2355 |        Im Menschen – im Leibe und in der Seele – war ursprünglich schon das gegeben, wessen sich Gottes Sohn bedienen musste, um Einer aus uns zu werden – und er hat den Schoß der Jungfrau nicht gescheut, um Einer aus uns zu werden. In ihm, im Menschen Christus, war das Tragende Gottes Wesen selbst und in dieser Wahrheit liegen das Geheimnis und die Geschichte des Heiles für die gesamte Menschheit. Aber auch dies ergibt sich daraus: Im ersten Gedanken Gottes stand das Mensch-sein so hoch, dass es dem Menschen möglich sein sollte, sogar Gott tragen zu können.

2356 |        Seit den letzten Tagen, wo ich in so unaussprechlicher Weise gewürdigt werde, das Wesen der göttlichen Person erfahren zu können, fließt in mir wie ein wunderbares Licht jenes Wissen um die Nähe Gottes zu seinen Geschöpfen. Ich kann Gottes Wesen ertragen, das ungeschaffene Licht, das zugleich Leben ist und um sich als Existenz weiß! Da ist das Sein Alles und im Sein selbst ist vollkommener Bestand, ohne Zutat und ohne „Betätigung!“ – Meine physisch-psychischen Kräfte „lösen sich“ aus ihrer früheren Starrheit und Schwerfälligkeit; sie sind sozusagen weich und leicht und nicht mehr spürbar, weil die Dienstbarkeit gleichsam fließend geworden ist, d. h., es ist mir zu einem Bedürfnis und Zustand geworden, so zu sein.

2357 |        Ich erlebe damit eine wunderbare Ablösung von meinem früheren Leben, ein Herausgehoben-werden aus einem früheren Geleise und ein Versetzt-werden in eine Weichheit und Fülle, für die es keinen Ausdruck gibt. Um irgendeinen Vergleich zu gebrauchen: Ich bin in mir gebettet wie in einem weichen Kissen von Geistigkeit und Erhabenheit. – Ich erlebe mich in wundervollen Vorzügen, die weit über das erhabenste Menschsein selbst mit höchster, erfahrener Vereinigung mit Gott hinausgehen. Jetzt wird jenes Geheimnis einer jahrelangen Bereitung meines Menschseins für den Dienst der göttlichen Person wirklich fruchtbar und wird für mich zur wirklichen Grundlage, auf der mein Menschsein sich bewegt, und diese neue Art ist nun mein Menschsein. Nun erfahre ich den großen Unterschied gegenüber dem Früheren und nun begreife ich den Weg und die Form der Umbildung, die mich zum Erleben der göttlichen Person des Erlösers empor trägt. Meine Menschheit ist ja das Mittel zum Innewerden des Geheimnisses des göttlichen Wesens Christi. Meine Seelenfähigkeiten sind nun infolge entsprechender, langer Leiden so „verfeinert“, dass sie in etwa die göttliche Natur Christi befühlen und erfahren und verkosten können. Es besteht nun auch keine Trennung mehr zwischen meinem Menschsein und dem Genuss des göttlichen Wesens bei der jetzigen Form, wie sich mir die göttliche Person mitteilt, während beim mystischen Vereinigungsleben mit Gott, auch auf den höchsten Stufen immer noch eine Trennung bleibt; jetzt972 sind jene göttlichen Vorzüge wie zu meinem Leben und gleichsam zu meiner Natur geworden. Es ist jetzt sozusagen ein Wall um mich aufgerichtet, der mich von allem trennt, was meinem Bestand und mein tiefstes Sein irgendwie stören könnte; denn ich habe nun alles aus mir und behaupte mich allein mittels meines Bestandes, in dem alles für mich gegeben ist.

2358 |        In dieser Tatsache erfahre und erkenne ich nun auch die Frucht und die Wirksamkeit der letzten Leiden, die vor allem in einer unsagbaren Trennung und Absonderung von allem Geschaffenen, von allem Trost und Hilfemöglichkeiten bestanden. Jetzt kommen der Seele alle Leiden bis auf einzelne wieder zum Bewusstsein, und zwar in ihrer wundervollen Frucht, nämlich in einer in Worten nicht zu erklärenden Leichtigkeit, mit der man alles entbehren kann, was vorher geradezu unentbehrlich schien. (Vorher schien es mir, mit der Entbehrung dieser oder jener in sich berechtigten, und für gewöhnlich notwendigen Lebensforderungen vergehen oder sterben zu müssen.) Jedes Leiden erlebe ich nun als unaussprechlich beruhigende Befreiung von alten973 an sich berechtigten Forderungen, für die mir nun höchster Anteil an Gott wurde. Das schmerzlichste und brennendste Leiden bringt das Intimste und Höchste in diesem Anteil in Gott hervor, denn nur durch volles Abstreifen des eigenen Persönlichen kann ich zum Genuss und zur Erhebung in das Zentrum Gottes, zur Person selbst, vordringen.

2359 |        Das tiefste Geheimnis meines jetzigen Zustandes ist wohl dies, dass ich all dieses intime Erleben Christi als „meines“, als mein Sein erlebe. Gerade dieser Umstand führt mich in das „Bewusstsein Christi“ ein. Im Erfahren seiner göttlichen Person und seiner Eigenheit lösen sich meine früheren persönlichen Lebensforderungen ab und damit gelange ich zu jener Erhebung meines Menschseins, die mich der göttlichen Person zu einem unmittelbaren Dienste verfügbar sein lässt. – Ich „weiß“ in dieser Beziehung noch viele Möglichkeiten und Erhöhungen, die ich noch passieren muss, um zu der als mein Ziel erfassten Unmittelbarkeit mit Gott zu gelangen, die mir als meine endliche Berufung gezeigt wird. –

2360 |        Niemals kann eine Seele den Adel ihres Mensch-Seins höher erfassen, als wenn sie mit ihrem Schöpfer in Berührung kommt, d. h., die in ihr schlummernden tiefsten und zugleich höchsten Anlagen weckt, ausübt und entfaltet, die der Schöpfer in sie hineingelegt hat, der den Menschen „für sich“ geschaffen hat. Mag ein Menschenleben, bzw.974 ein Menschsein auch von noch so hohen Idealen, ja von höchster Fruchtbarkeit für die Menschheit selbst getragen sein, mag ein solcher Mensch auch für die ganze Menschheit zum großen Segen werden und mag dieses Bewusstsein auch für ihn selbst noch so beglückend sein: Es kann dies alles doch nur ein leises Ahnen sein von jenem wunderbar Beglückendsten, was es gibt: wenn nämlich der Seele das Bewusstsein der Einheit des Geschöpfes mit seinem Schöpfer aufleuchtet. Darin liegt ja das ewig gottgewollte höchste Ziel jeder einzelnen Menschenseele, und ihre höchste Adelung durch des Schöpfers Liebe, der so hohe Anlagen und Möglichkeiten in sie hineingelegt hat.

 

23.09.1943975

2361 |        Beständige, geheimnisvolle Leiden – während im Grunde der vorher erreichte Zustand in Christus bestehen bleibt. – Diese Leiden sollen eine weitere Erhöhung des göttlichen Lebens Christi in mir hervorbringen; daneben wurde mir auch als besonderer Grund dafür erklärt: Es bilden sich damit in mir jene physischen Energien aus, mittels deren es mir möglich sein wird, das Wesen der göttlichen Person, und besonders die inneren Leiden des Erlösers zu ertragen; denn jenes werdende Erleben des Erlösers wird sich in meinem Fall zu einem wirklichen „Leben“, also mit einer entsprechenden Energieaufwendung in mir ausbauen; es wird nicht nur ein ekstatischer Zustand sein, d. h. eine nur zeitweise Beanspruchung der Kräfte meines Menschseins, wie es eben in einem ekstasemäßigen Erleben Christi sich vollzieht.

2362 |        Die göttliche Person formt mein Menschsein zu dem von ihr beabsichtigten Zweck, und dieser Bestand in Christus soll durch meine physisch-psychischen Trag- und Widerstandsfähigkeiten ermöglicht werden. Immerhin wird mein Zustand eine mystische Wiederholung des Geheimnisses des Erlösers sein, da Christus sich in Wirklichkeit in seinem Erlöserleben nie wiederholen wird.

 

24.09.1943976

2363 |        Es ist eine beständige Erhöhung und ein Hineinwachsen in den Bereich des göttlichen Wesens der Person, und damit eine immer weiter sich entwickelnde Inanspruchnahme meines ganzen Menschseins.

2364 |        Gerade heute in St. Peter erfuhr ich eine weitere Erhöhung. In Worten lässt sich aber die Art des inneren Zustandes nicht ausdrücken. Es ist ein stufenweises Verlieren des Eigenen-Persönlichen und es bildet sich eine geistige „Neutralität“ in mir aus. Dadurch wird das Meinige, Frühere immer mehr ausgeschaltet; das „Leben“ wird meinem persönlichen Zwecke entzogen, es ist nicht mehr für mich, sondern wird einer Allgemeinheit zugewendet, d. h. allein für die Gesamtheit der Kirche dienstbar und fruchtbar gemacht.

 

25.09.1943977

2365 |        Heute bin ich derart im Leiden, dass ich nur sagen kann: Es ist fast zum Sterben. – Ich leide darunter, dass ich nun schon mehr als sechs Jahre so in der Welt herum bin, ohne Halt und ohne Beruf, nur um dieses Werkes willen, – ohne Heimat, ohne Existenz, ganz auf die göttliche Vorsehung angewiesen – ich leide auch unter dem Krieg, der jetzt schon vier Jahre dauert. Es braucht ein Wunder, dass ich unter dem Druck solcher außergewöhnlicher Leiden noch leben kann. – Ich bin aber so müde, dass ich mich sozusagen hinlegen und sterben möchte – aber in der Fremde. –

 

Oktober

04.10.1943978

2366 |        1. Zum Verständnis muss ich wohl einen kurzen Überblick über meine innere Gnadenführung vorausschicken. – Schon von frühster Kindheit an kam mir der liebende Heiland mit besonderen Gnaden entgegen, die mich zu einem Leben inniger Frömmigkeit anleiteten. Mit meinen Jugendjahren wuchsen auch diese außergewöhnlichen, göttlichen Antriebe in meiner Seele, die mich zu immer vollkommenere Hingabe und Vereinigung mit Jesus führten. – Vom Jahre 1921 an würdigte sich der Herr, sich meiner Seele in einer außergewöhnlichen Weise zu offenbaren und mir seine besonderen Absichten mitzuteilen. Wie er es wollte, opferte ich mich (im Jahre 1922) mit Erlaubnis eines Jesuitenpaters anlässlich heiliger Exerzitien ganz auf, indem ich ihm das „Opfer meines Lebens“ brachte, um ihn gleichsam zum Vollbringer meines Lebens zu machen. Im Jahre 1924 legte ich zugleich mit dem Gelübde ewiger Jungfräulichkeit auch jenes ab, „ihm Schlachtopfer zu sein“ für die besonderen Absichten, die er mit mir vorhabe, die mir aber zum Teil noch verborgen waren. „ihm Opfer zu sein“: Dies wurde die tägliche immer drängendere Forderung des Herzens Jesu an meine arme Seele, die er in großen inneren und äußeren Leiden für seine Absichten erzog.

2367 |        Als letztes Ziel seiner besonderen Gnaden ließ er mich von den Jahren 1924/25 an immer klarer schauen: „Das Werk eine Erneuerung des Priestertums, dass eine allgemeine Erneuerung der Kirche zu folgen haben soll“. In unzähligen Gnadenstunden ließ er mich schauen: Einerseits die heutigen Zeitübel des Unglaubens, des Materialismus usw. und demgegenüber anderseits sein liebeerfülltes Herz, dass seiner Kirche neue, den Nöten und Bedürfnissen der Zeit entsprechenden Gnaden geben wolle, die in erster Linie den Priestern zukommen sollten und durch die er ein neues, vertieftes Glaubensleben und damit jene „Erneuerung der Kirche“ herbeiführen wolle. Die Priester als die Bevorzugten seines Herzens sollten in besonderer Weise teilhaben an ihm, und durch ihn und durch sein Leben in den Priestern soll neues, tieferes Glaubensleben in den Seelen entfacht werden. Jesus selbst wolle in den Priestern das Heilmittel gegen die heutigen Zeitübel werden. In jenem Werk sollten die Priester alle in einem Geiste und Sterben vereint und dem heutigen Geist des Unglaubens entgegengestellt werden.

2368 |        2. Zur Erreichung dieses seines Zieles zeigte der Herr von Anfang an zwei miteinander verbundene und ineinandergreifende Mittel:

A eine tiefere Kenntnis der innersten Geheimnisse des Erlöserherzens

B Daraus erwachsend eine Gesellschaft von Priestern, die in einem vertieften Glauben an die im Erlöserleben Christi eingeschlossenen Verdienste und Gnaden diese voll zu verwerten und sich anzueignen suchen, und dadurch zu einer stufenweisen Befreiung von den moralischen Folgen der Erbsünde gelangen und damit „Christus anziehen“, wie der heilige Paulus sagt.

2369 |        Als Beweis für die Wahrheit der versprochenen Gnaden der Lebensverbundenheit mit Christus hat der Herr von Anfang an und immer wieder das Erleben des inneren Erlösungsgeheimnisses, gleichsam der Psychologie des Gottmenschen und Erlösers, angegeben, zu dem er mich in lebenslanger Vorbereitung und Läuterung geführt hat. – Schon seit Jahren offenbart sich mir darum der Heiland im Geheimnis der hypostatischen Vereinigung in einem besonderen Erleben und Erfahren seines inneren Erlösungsgeheimnisses und der inneren Leiden seines Herzens. Dies erlebte und erfahrene Geheimnis der hypostatischen Union, das mir fortlaufend geoffenbart und erklärt wird, bildet nach dem Willen des Herrn den Grundbeweis für seine Wünsche an die Priester. Aus diesem Miterleben seines gottmenschlichen Geheimnisses bildet sich in mir nach den Absichten des göttlichen Herzens ein Miterleben und Miterleiden seiner inneren Erlöserleiden aus. – Diese Offenbarungen sind aber in erster Linie für die Priester bestimmt, denen der Herr auf diese Weise tiefer sein Herz zeigen und offenbaren will. Die mir gegebenen Gnaden des Einsseins mit Christus und des Erlebens seines Herzens sind zugleich das Vorbild und der Beweis für die Gnaden, die der Heiland den Priestern anbietet, die bereit sind, daran zu glauben, dass diese Gnaden einer Vollerlösung wirklich in seinem Erlöserleben eingeschlossen sind, und die sie darum anstreben und für sich verwerten. Der Priester soll ja in einer intimen Weise teilhaben am Leben seines göttlichen Meisters und die diesbezüglichen Offenbarungen sollen ihm tiefer in das Herz des göttlichen Hohepriesters einführen, das sein ewiges und höchstes Vorbild und seine Gnadenquelle ist.

2370 |        Es wäre unmöglich in einem kurzen Umriss jenen vom Heiland versprochen und angegebenen Beweis für die göttliche Herkunft des Priesterwerkes näher zu erklären; das ist im Einzelnen in den schriftlichen Aufzeichnungen dargelegt, die sich auch bei P. Merk befinden, der mir – ebenso wie all meine früheren Seelenführer – immer wieder versicherte: Das könne kein Mensch erfinden und an der Richtigkeit und göttlichen Herkunft könne keinen Zweifel sein. – Ebendort ist auch bis ins Einzelne die von Christus geforderte Glaubensvertiefung für das zu gründende Priesterwerk angegeben, die der Herr vermittelst dieses Werkes den Priestern allgemein übermitteln will. – Natürlich werden nicht die Offenbarungen als solches zur Grundlage genommen, sondern der darin enthaltene theologisch-dogmatische Glaubensgehalt soll herausgeholt, kirchlich geprüft und dann zur Grundlage der vom Heiland gewollten Glaubenserneuerung und Glaubensvertiefung gemacht werden. Die Frucht wird sein eine tiefere Kenntnis der innersten Geheimnisse der göttlichen Liebe und des unermesslichen Reichtums der uns erworbenen Erlösungsverdienste, sodass die Früchte der Erlösung voll und wirklich anerkannt und angestrebt werden.

2371 |        Im Priesterwerk sollen zunächst berufene Priester in das Innere des Erlösersherzens eingeführt werden und damit zugleich eine Bestätigung haben für die Art der Glaubensvertiefung, die Jesus von seinen Priestern wünscht und aufgrund deren er ihnen jene neuen Gnaden verspricht. Welcher Art sind diese neuen Gnaden? Es sind Gnaden einer fortschreitenden und aufsteigenden Entsündigung, einer sittlichen Erhebung des „alten Menschen“ in einen neuen, erlösten Menschen, der Kraft dieser sittlichen Erhebung einer inneren Umwandlung in Christus nahekommt, Gnaden also, die schon in den Erlöserverdiensten Christi eingeschlossen sind, aber die bisher noch nicht allgemein verwertet und eröffnet wurden. – Die Mitglieder sollen damit das Leben Christi in sich aufnehmen und in allem Christi Stelle einnehmen wollen, sollen in einem vertieften Glauben an ihr Priestersein Jesu Erlöserleben und Erlösersorge um die Seele in sich fortsetzen, Christi Interessen und Anliegen ganz und ausschließlich zu den ihren machen, sodass wirklich wahr werde: Der Priester ein zweiter Christus!

2372 |        Diese neuen Gnaden der Vereinigung mit Christus und der neuen Fruchtbarkeit des priesterlichen Wirkens werden – nach dem Versprechen und Willen des Heilands – den Priestern zufließen durch das beständige Mitopfern mit der heiligen Messe. Durch ihre tägliche Mitopferung will der Heiland jene geheimnisvolle Verbindung mit seinen Priestern herstellen, die nach und nach ihr ganzes Priesterleben durchdringen und sie in ihn umgestalten wird. Alle Priester, die sich mit Christus auf dem Altar opfern und diese Gesinnung in ihr Priesterleben und Tagewerk hineinzutragen sich bemühen, werden das Leben Jesu in sich verwirklicht sehen. „Ich will damit“ – so verspricht der Heiland – „allen Priestern einen Strom neuen Lebens eröffnen, der ich selbst bin, und sie werden neues, geistiges Leben in den Seelen wecken; ich nehme sie durch ihre Mitopferung in mich auf und gebe mich Ihnen zurück. Dieser Strom meines Lebens wird meine ganze Kirche überfluten.“ – Es handelt sich dabei nicht um Außergewöhnliches, sondern es braucht nur einen folgerichtigen Glauben. Im Priesterinstitut soll dieser Glaube vorbildlich geübt und vorgelebt werden.

2373 |        3. Äußerlich ist das von Gott gewollte Priesterwerk ein Zusammenschluss, eine Gesellschaft von Priestern, die jene durchgreifende Glaubensvertiefung im Einzelnen bei sich durchführen und den Seelen, bzw. dem Volke vorleben und vermitteln wollen. Diese Gesellschaft soll sich zur besonderen Aufgabe machen, alle Priester der Kirche in den gottgewollten Erneuerungsgeist einzuführen und in einer allgemeinen Priestererneuerung zusammenzuschließen und damit auch Priester und Volk in einem neuen Glaubensleben zu größerer Einheit zusammenzuschließen. – Zugleich mit dem Priesterwerk ließ mich Jesus seit Jahren im Geist jenen Priester schauen, den er sich für die Absichten seiner Liebe vorbereite, und den er selbst erziehe und bilde zur Ausführung bzw. zur Gründung dieses Werkes. Im Jahre 1936 führte mich der Herr mit ihm persönlich zusammen, nachdem ich ihn mehr als zehn Jahre lang im Herzen Jesu gekannt hatte (P. Ferdinand Baumann S.J.). Er soll unter dem Protektorat eines Kirchenfürsten die Gründung und Leitung jener Gesellschaft von Priestern in dem von Jesus gewollten Geist der Erneuerung übernehmen, weil er vom Herrn dafür vorbereitet ist.

2374 |       Grundlinien, die theologisch ausgearbeitet werden müssten:

1. Letzter besonderer Zweck der Gründung ist Priesterseelsorge im Geiste jener gottgewollten Glaubensvertiefung. Alle Priester sollen in diesem Geiste zu einer Einheit zusammengeschlossen werden.

2. Geistige Grundlage des Institutes: Jene vom Heiland geoffenbarte Glaubensvertiefung, die sich die einzelnen Mitglieder zur Aufgabe und Pflicht machen und wofür der Heiland jene „neuen Gnaden“ verspricht – die aber dogmatisch-theologisch schon im allgemeinen überlieferten Glaubensgut begründet und enthalten sind. – Es handelt sich um eine Vertiefung gegenüber der heutigen religiösen Verflachung, um ein tieferes Herausholen und Verwerten der uns vom Erlöser erworbenen Verdienste und der Reichtümer, die in seiner heiligen Menschwerdung und in seinem Erlöserleben enthalten sind. – Der Heiland gibt diese Gnaden als neue Gnaden, insofern sie bisher nicht so allgemein gewertet und ausgewertet wurden. Er gibt sie jetzt, weil die heutigen Zeitverhältnisse und Nöte es erfordern. Die Priester aber, als die Gott am nächsten Stehenden, sollen als Erste diesen versprochenen Anteil am Erlöser und seinen Gnaden in sich erfahren.

3. Zur Beleuchtung und Erklärung der schon im allgemeinen Glaubensgut angeschlossenen Reichtümer führte mich der Heiland in jener theologischen Vertiefung des Glaubens ein, wie [es] in den Aufzeichnungen angeführt ist.

4. Als Beweis des gottgewollten Werkes lässt mich Jesus das innere Erlösungsgeheimnis erleben, das Geheimnis der hypostatischen Union Christi, und seine inneren Erlöserleiden.

5. Das Werk selbst soll jetzt nur in seiner geistigen Grundlage und Grundform vorgelegt werden: Eine Gesellschaft von Priestern zum Zwecke und mit der Aufgabe jener angegebenen Glaubensvertiefung, unter der Leitung von H. P. F. B. – Alles andere wird der göttliche Gründer durch seine Vorsehung fügen und sich ergeben lassen.

6. Das Werk wird eine „Entwicklung erleiden“ wie alle derartigen Institute. Es wird einen Anfang, eine Entwicklung und einen letzten Ausbau haben. – Es wäre nur zum Schaden des Werkes, wollte man jetzt sich auf eine bestimmte äußere Form festlegen; das würde nur Widerspruch und Verwirrung hervorrufen.

 

November

07.11.1943979

2375 |        Ich will immer verdemütigt und verborgen sein, auch in meinen größten Leiden niemand als nur Gott allein bekannt. – Die Verdemütigung und meine Nichtigkeit ist mein Kreuz, an das ich genagelt sein will, auf dass Jesus in seinem Werke zum Siege kommen kann.

 

21.11.1943980

2376 |        Welche Freude genieße ich in meiner Verdemütigung! Niemals könnte Ehre und Ansehen eine solche Befriedigung und Freude in einer Seele hervorbringen, wie mein verborgenes und verdemütigtes Leben mich erfreut. O, ich will immer noch mehr nach Selbstvernichtung und Demut streben und ich erwähle die Demut zu meinem einzigen persönlichen Ziel.

 

Dezember

02.12.1943981

2377 |        Wie ist der „Gehorsam“ des Gottmenschen psychologisch zu erklären? – – Dieses Geheimnis wurde mir heute zu einem tief gehenden eigenen Erlebnis, wobei mir früher empfangene Erklärungen über die Psychologie des Gottmenschen erneut vorgeführt und zur Erklärung auf dieses Geheimnis982 angewandt wurden.

2378 |        Ich erlebte zunächst wieder das Geheimnis der drei göttlichen Personen in ihren göttlich-wesentlichen Beziehungen zueinander. Es war ein wesentliches „göttliches Liebesverhältnis“, worin jeder göttlichen Person die gleichen göttlich-wesentlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten ohne irgendwelche Abschwächung eigen waren. Obwohl der Vater – menschlich-bildlich genommen – als Erstgenannter, von dem die beiden anderen Personen ausgehen, eine Erst- und Vorzugsstellung und „Ranghöhe“ im Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit einzunehmen scheint, so gibt es doch im göttlich-wesentlichen Bereich der Dreifaltigkeit nicht irgendwelche Abstufung, noch kann man darin von einer Unterwerfung oder Huldigung oder vom Gehorsam einer göttlichen Person gegenüber einer anderen sprechen, denn dies wäre eine Verminderung oder Abschwächung der göttlich-wesentlichen Würde der betreffenden göttlichen Person und zugleich ein Widerspruch geben die absolute Wahrheit des „einen Gottes“. Die göttlichen Beziehungen der drei göttlichen983 Personen der heiligsten Dreifaltigkeit waren also wesentliche Liebesbeziehungen und nicht Unterwerfung oder Gehorsam oder Huldigung einer göttlichen Person gegenüber einer anderen. Darum kann man im Geheimnis und im Bereiche Gottes selbst nicht von „Gehorsam“ sprechen. Streng genommen kann man dies auch nicht sagen hinsichtlich der zweiten göttlichen Person nach ihrer Menschwerdung, d. h., man kann dies von ihr nicht im gleichen Sinne wie von einer menschlichen Person sagen, denn jene göttlich-wesentlichen Liebesbeziehungen blieben und bleiben von Ewigkeit zu Ewigkeit in göttlich-wesentlicher Unveränderlichkeit bestehen. – Und doch war das Verhältnis des Gottmenschen gegenüber dem himmlischen Vater ein wahres und wirkliches Verhältnis und Leben des Gehorsams und der Unterwerfung, während zugleich die göttlich-wesentlichen Liebesbeziehungen zu den beiden anderen göttlichen Personen auch nach der Menschwerdung bestehen blieben.

2379 |        Ganz klar erfasste ich diesbezüglich die zwei Tatsachen im Leben des Erlösers:

1. die absolute Wahrheit und Wirklichkeit des ewig-unveränderlichen Bestehenbleibens der göttlich-wesentlichen Beziehungen in und nach der Menschwerdung wie vor derselben. – Sonst hätte es nämlich eine Zeit gegeben, in der das göttlich-wesentliche Verhältnis der drei göttlichen Personen zueinander und damit das göttliche Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit selbst unterbrochen gewesen wäre.

2. Die Tatsache der Menschwerdung und des Erlöserlebens, die ein wahrer und wirklicher Akt der Unterwerfung und des Gehorsams gegenüber dem Vater war. – Andernfalls käme nämlich die durch die hl. Schrift verbürgte Wahrheit der Erlösung in Gefahr, wonach Gott-Sohn uns durch seinen Gehorsam und seine Unterwerfung Gott-Vater gegenüber erlöst hat.

2380 |        Die Möglichkeit und Wirklichkeit dieser doppelten Tatsache wurde mir im folgenden Vergleich und Beispiel begreiflich gemacht: Zwei sich liebende Personen verbringen ihr Leben in vollkommener984 Harmonie; die wahre, gegenseitige Liebe gibt jeder der beiden Personen gleiche Stellung und gleiches Recht gegeneinander, sodass auch nicht der Gedanke an eine Überlegenheit der einen Person gegenüber der anderen aufkommen kann. – Nun wird aber durch bestimmte Umstände – z. B. durch Krankheit des einen Teils – eine der beiden liebenden Personen in die Lage versetzt, in voller Freiheit der Liebe ihre Stellung der äußeren Gleichheit aufzugeben und sie mit der Stellung der Dienstbarkeit gegenüber der geliebten Person zu vertauschen. Die tiefe, im Wesen der Liebe bestehende Harmonie bleibt aber bestehen auch während der eine Teil die Dienstbarkeit und Unterwerfung ausübt, ja sie zeigt sich noch mehr und größer durch diesen Unterwerfungsakt in freier Liebe gegenüber der anderen Person, der gerade dadurch die Tatkraft der Liebe bewiesen wird. Das tatsächliche Liebesverhältnis der beiden Personen ändert sich im Grunde nicht; es tritt vielmehr nur noch deutlicher hervor und die dienende Person erwirbt sich mit ihrer dienstbereiten und dienenden Liebe ein Verdienst und eine noch größere Liebe von Seiten des Partners. Dabei ist985 sie aber doch dieser gegenüber eine wirkliche Unterwerfung und einen tatsächlichen Gehorsam986 in der Freiheit der Liebe, die nun in wirklichen Taten voll entfaltet und fruchtbar und selbst zu Taten der Liebe geworden ist.

2381 |        Die Tatsache des wirklichen und zugleich freien Gehorsams des göttlichen Erlösers gegenüber dem himmlischen Vater beruht nun auf einem ähnlichen, aber göttlich-wesentlichen Liebesverhältnis: Infolge der Menschwerdung trat die zweite göttliche Person gegenüber dem Vater in einen wirklichen Unterwerfungszustand. Zwar konnte dabei im Wesen des göttlichen Wortes und seines Verhältnisses zum Vater keine Unterbrechung oder Änderung eintreten, aber die Auswirkung dieses göttlich-wesentlichen Verhältnisses oder dieser innergöttlichen Beziehungen zwischen Vater und Sohn erlitten durch die Tatsache der Menschwerdung einer Veränderung. Der Vater „zeugte“ nun das Wort „als Erlöser“ und sandte es in die Welt. Die Liebe des Vaters zeugte das Wort, wie vordem geistig, jetzt in eine menschliche Natur, sandte es „als Erlöser“ in die menschliche Natur, damit ihm durch jene menschliche Natur der gebührende Ersatz geleistet werde für das, was ihm durch die menschliche Natur von Seiten der gefallenen Menschheit entzogen wurde. – Ich konnte dieses Geheimnis tiefer bestätigt erfahren anhand früher mir gegebener Erklärungen über das Geheimnis des Hervorgehens des „Wortes“ vom Vater. Jenes Wissen wird mir wie zum persönlichen Wissen; wenn es auch nicht immer in der gleichen Erfassungsmöglichkeit der einzelnen Geheimnisse des Gottmenschen bereit ist, so ist es doch sozusagen immer „in Reserve“. Es ist, wie wenn man auf den elektrischen Lichtschalter drückt, und es ist licht.

2382 |        Schon der Akt der Menschwerdung des göttlichen Wortes war in sich eine göttliche Huldigung an Gott, ein vollkommenster Akt der Unterwerfung aus Liebe in göttlich vollwertiger Weise. Infolge der Menschwerdung trat in den Auswirkungen der göttlichen Beziehungen zwischen Vater und Sohn insofern eine große Änderung ein, als der göttlich-wesentliche Lebens- und Leibsaustausch nun dem Vater vom Sohne mittels und kraft der menschlichen Natur des Sohnes zurückströmte. Hatte der Vater vor dessen Menschwerdung sein eigenes Wesen gleichsam als rein geistige Rückgabe seiner selbst im Sohne empfangen (– denn es gibt nur einen Gott –), so empfing er jetzt eine gott-menschliche Rückgabe seiner selbst. Sein als Wort gezeugtes göttliches Wesen teilte sich ihm nun als gott-menschliches Lebensprodukt mit, und ein menschlich gelebtes göttliches Leben strömte nun dem Vater jeden Augenblick zu als immerwährende göttliche Huldigung, als ununterbrochener Unterwerfungsakt seines viel geliebten Sohnes. Wie das Leben immer lebt, weil es eben Leben ist, so auch die Unterwerfung des Wortes aus Liebe als menschlich gelebtes Leben.

2383 |        Das menschliche Leben Jesu bewegte sich (wie früher beschrieben) in vollkommener Harmonie des göttlichen und Menschlichen. Ähnlich wie wir bei unserem Menschenleben und der Vereinigung von Seele und Leib wir für gewöhnlich keine Schwierigkeit empfinden, um „Mensch sein“ zu können, so war Christus harmonisch Gott-Mensch. Die menschliche Natur Christi war aber trotz der allgemeinen Grundlage der harmonischen Vereinigung mit der Gottheit und trotz der göttlich-sittlichen987 Vollkommenheitsebene dennoch gleich unserer menschlichen Natur leidensfähig der Seele und dem Leibe nach; sie machte den Entbehrungen gegenüber ihre Rechte geltend, war schmerzempfindsam und trug in sich den Widerspruch gegen das Leiden, wenn dieser auch durch die sittliche Vollkommenheit vollkommen beherrscht und überwunden wurde und zu keiner Unvollkommenheit verleiten konnte. Der Wille des Vaters war das einzig Maßgebende im Leben des Gottmenschen und Erlösers, sowohl in den rein innergöttlichen Beziehungen wie in seinen äußeren Lebenslagen. Der unendlich liebende Wille des Vaters sandte das Wort als Erlöser, und das Wort unterwarf sich – in der Freiheit, die der Liebe eigen ist – diesem liebenden und geliebten Willen, wodurch die Menschheit gerettet werden sollte. So war Jesu äußeres menschliches988 Leben ein ständiger Gehorsamsakt, von vollkommenster Liebe beseelt.

2384 |        Das menschliche Leben Jesu bewegte sich auf einer ähnlichen, ja im Grunde gleichen physisch-psychischen Grundlage wie unser menschliches Dasein. Der Unterschied liegt im Grunde nur in seiner göttlichen und unserer menschlichen Person. Die göttliche Person nahm aber (wie früher ausgeführt) die in der menschlichen Natur zur Verfügung stehenden Lebensmöglichkeiten als wahrhaft menschliche Lebensmöglichkeiten und als wirkliches Menschenleben in sich auf; anderseits stützten die in der menschlichen Natur gegebenen Lebensfähigkeiten das Bestehen-können der göttlichen Person in einem wirklichen Menschenleben. – Die Tatsache der Menschwerdung versetzte die zweite göttliche Person in eine ganz veränderte Lage, die auch entsprechende Auswirkungen und Rückwirkungen auf die Person selbst mit sich brachte. Sie befand sich nun in einem Zustand der Entblößung und Verdemütigung im Hinblick auf die ihr gebührende frühere Stellung. Dazu trat das Schmerz-Empfinden und jene mit dem Menschsein gegebene Mittelstellung zwischen Geistigen und Leiblichem989. Aus den in seiner Person als dem Träger zweier ganz verschiedener Naturen vereinigten Gegensätzen zwischen dem an sich Zustehenden und mit Recht Begehrten und doch nicht Vorhandenen entwickelte sich in Christus das wie in jedem Menschen immer tätige Gemüts- und Gefühlsleben. Die göttliche Person „erfuhr“ mit dem ihr nun eigenen Gemütsempfinden auf menschlichem Wege und in menschlicher Weise ihre nunmehrige Lage. Christus erlitt an sich und in sich durch entsprechendes Gemütsempfinden das Versetztsein in ein menschliches Leben und Dasein. Die menschliche Natur Christi990 stand wohl auf gleicher sittlicher Vollkommenheitsebene mit der göttlichen Person, war aber in gleicher Weise wie unsere menschliche Natur in allem leidensempfindlich und beeindruckbar durch die Mängel des menschlichen Lebens, ja sie war im höchsten Grade feinfühlig, vornehm und empfindsam, weil sie eben für eine göttliche Person, und zwar zum Zweck der Erlösung bestimmt und geschaffen war.

2385 |        Dieses Sich-Erleben der göttlichen Erlöserperson in ihrer Menschheit mit all den Verdemütigungen, die das Menschsein in Anbetracht ihrer göttlichen Natur mit sich brachte, musste in der Seele Christi991 ständige, entsprechende Akte auslösen und hervorbringen, die gleichbedeutend waren mit einer ständigen Unterwerfung und einem immerwährenden Gehorsam gegenüber dem Vater. Die menschliche Natur Jesu992 „erlitt“ in Sicht den Willen des Vaters, die göttliche Person war die Trägerin dieser das Menschsein erleidenden Natur. Weil aber Jesus den Vater liebte, tat er immer in der Freiheit der Liebe den Willen des Vaters, der ihn gesandt hat.

2386 |        Diese ständige, wunderbare, göttliche Unterwerfung unter den Willen des Vaters war ein wirklicher tatsächlicher Gehorsam; denn er beruhte auf der gleichen Grundlage, wie auch beim gewöhnlichen Menschen, nämlich auf der Grundlage eines möglichen Widerspruches der eigenen menschlichen Natur. Die „Wege“ der inneren Aktionen und Reaktionen der Person in Christus waren gleich jenen, unserer menschlichen Person, deren Befehle einen mehr oder minder tiefen Widerspruch in den ihr zur Verfügung stehenden Ausführungskräften (seien sie physischer oder geistiger Natur) begegnen. Christus hat also diesen seinen Gehorsam an seine Seele und an seinem Leibe als seelische und körperliche Leiden erlitten. Deshalb kann man, trotz seines sittlich-wesentlichen Vollkommenheitszustandes auch bei ihm von einem wirklich geübten Gehorsam gegenüber seinem himmlischen Vater sprechen; denn dieser, sein Gehorsam bewegte sich nicht einseitig auf einer rein geistigen Höhe, sondern war ein wirklich physisch-psychisches Erleiden des Willens des Vaters und trug darum die Eigenschaften eines wirklichen Gehorsams an sich. Die seelischen und körperlichen Leiden Jesu lösten in seiner menschlichen Natur (deren Anlage nach, aber doch in voller Einordnung in die göttlich-sittliche Vollkommenheitsebene seiner Person) den gleichen Widerspruch aus wie beim gewöhnlichen Menschen. Das Erleben dieses selbst erlittenen Widerspruchs brachte entsprechende Reaktionen hervor, die augenblicklich und immerwährend der göttlichen Person zuströmten als das Erleiden und das Produkt seines Menschseins. Die göttliche Person selbst sah sich als Erleberin und Erleiderin dieses menschlichen Lebens.993

2387 |        Während des Erdenlebens Jesu blieben aber auch, wie gesagt, die göttlich-wesentlichen Beziehungen im göttlichen Kreislauf der heiligsten Dreifaltigkeit bestehen. Damit wurde auch sein Gesamtleben jeden Augenblick in das wundersame Dreieinigkeitsleben einbezogen. Rein geistig ging das „Wort“ aus dem Vater hervor und als gottmenschlich gelebtes Leben strömte es dem Vater wieder zu. So brachte das göttliche Leben des Vaters unermessliche, göttliche Frucht im menschlichen Lebensbereiche der göttlichen Person des Erlösers, des menschgewordenen Wortes. Darin entwickelten und entfalteten sich alle jene göttlich-wesentlichen, sittlichen Vollkommenheiten in wirklich gelebten und erlittenen gottmenschlichen Tugenden und Vollkommenheiten. Diese waren tatsächlich auch mit menschlichen Kräften errungene Furcht und in diesen gottmenschlichen Leistungen und Kraftanstrengungen im Leben des Erlösers liegt auch die unermessliche Genugtuung für die Menschheit. Alle göttlich-sittlichen Vollkommenheiten wurden im Erlöser zu menschlich-sittlichen Übungen, die immerwährend dem Vater zuströmten. Darum kann man auch von einem Verdienst des Gehorsams des Erlösers sprechen; denn der Gehorsam Jesu war wirklich die Frucht, die persönliche Frucht seiner menschlichen Kraftaufwendung, und wer die ihm aufgetragene Tat vollbringt, dem gebührten auch das Verdienst und der Lohn. Da aber Christus dem Herrn als Gott sein göttliches Leben als Genuss für alle Ewigkeit genügt, so sind wir, alle Erlösten, ihm zu jenem Lohn und Lobpreis geworden, der ihm vom Vater als Frucht seines Erlöserlebens zugesichert wurde. Jede für die selige Ewigkeit gewonnene Seele ist für den Erlöser ein Lobpreis ohne Ende, weil die Spuren und Wirkungen seiner gottmenschlichen Bemühungen in ihr für alle Ewigkeit ihn ehren.

2388 |        So war der Gehorsam Jesu ein wirklicher, vollwertiger, gottmenschlicher Gehorsam; denn die Akte dieses Gehorsams wurden in einer leidensfähigen und des Widerspruchs fähigen menschlichen Natur geübt und erprobt, wurden Akte einer wirklichen Unterwerfung vor dem Vater994 und werden in Folge dieser Unterwerfung zur tatsächlichen Ausführung des Willens des himmlischen Vaters. Die Bemühungen und Anstrengungen Jesu zu diesen Gehorsamsakten gingen jeden psycho-physischen Weg, den eine menschlich geübte und ausgefüllte Leistung zurücklegen muss, um – entsprechend der psychologischen Anlage einer Person – als menschliches Lebensprodukt anerkannt werden zu können. Was sich „die Person“ zur Aufgabe stellt, das wird mit den der Person zur Verfügung stehenden psycho-physischen Fähigkeiten ausgeführt und strömt als Produkt dieser an sich selbst erlittenen Ausführung wieder der Person zu. Auf diesem Weg wurden die göttlich-sittlichen Vollkommenheiten Jesu zu menschlichen Tugenden und Vollkommenheiten des Erlösers, gleichsam selbst erworben und selbst erlitten auf der Grundlage eines wahren Menschentums. So war Christus auch auf dem sittlichen Gebiete wahrer Mensch, jedoch auf der Grundlage seiner göttlichen Person und deren sittlicher995 Vollkommenheitshöhe. Und dieses Erlöserleben Christi brachte göttlich-menschliche Früchte, die unser unendlicher Ersatz vor dem ewigen Vater geworden sind.

2389 |        Hätte Jesus keine leidensfähige und widerspruchsfähige menschliche Natur gehabt, dann wäre bei ihm ein wirklicher Gehorsam nicht möglich gewesen; aber Jesus hatte in sich – trotz seiner sittlichen Vollkommenheit – die gleiche menschliche Abneigung gegen Unterwerfung, Leiden und Tod wie wir, weil diese Reaktionen eben der menschlichen Natur im gefallenen Zustand anhaften und eigen sind. Christus ist wahrer Mensch gewesen, in allem gleich uns, die Sünde ausgenommen; er kannte und erfuhr alle menschlichen Widerspruchsmöglichkeiten, und dementsprechend haben sich im Innenleben Jesu auch jene Gemüts- und Gefühlsbewegungen entwickelt und abgespielt, durch die er Sieger wurde über die gefallene Natur. Er hat den Widerspruch gegen die Leiden in seiner menschlichen Natur genauso wie wir, ja noch viel stärker und höher gespürt; denn er stieg von der Höhe seiner Gottheit herab in unsere arme Menschlichkeit, und so war der Widerspruch in ihm infolge der beiden verschiedenen, in seiner Person vereinigten Naturen noch viel größer als bei uns. Und sein Innenleben, bzw. seine Gemütsbewegungen sind zum Mittelpunkt der göttlichen und menschlichen Auswirkungen in seiner Person geworden.996

Anmerkungen und Ergänzungen zu Obigem

2390 |       Schon die Erschaffung der Menschen war eine freie Liebestat des himmlischen Vaters. Gott „musste nicht“ die Menschen erschaffen, denn er genügte sich selbst vollständig. Wenn er sie doch geschaffen hat, so geschah es nur997 aus Liebe, um sie nämlich einmal an seiner göttlichen Glückseligkeit teilnehmen zu lassen. – Ebenso war die Erlösung eine ganz freie Liebestat der Heiligsten Dreifaltigkeit. Gott hätte die Menschen auch in ihrem gefallenen Zustande lassen können. Nichts anderes bestimmte Gott zur Erlösung als die Liebe, und zwar die göttliche Freiheit der Liebe, göttliche, unumschränkte Freiheit, mit der auch die denkbar höchste Freiheit eines Menschen, soweit wir sie begreifen können, nicht zu vergleichen ist.

2391 |        Die Freiheit eines Menschen hat bei aller Bereitwilligkeit andern gegenüber immer noch Gründe, um sie zu betätigen und auszuüben; sie hat immer Grenzen und nicht erfüllte Möglichkeiten. Die Freiheit der Liebe im Werke der Erlösung aber war Gottes wesentliche unendliche Liebe, deren er sich in unumschränkter, göttlicher Weise bedienen konnte. Es war die göttlich, wesentliche Freiheit der unendlichen Liebe Gottes; ihre tiefste Quelle liegt in der Allmacht der göttlichen Liebe, in ihrer göttlich-wesentlichen, unendlichen Unbeschränktheit und Bewegungsmöglichkeit. Im Bereich der göttlichen Liebe der Heiligen Dreifaltigkeit gibt es nicht die starren Grenzen und Gebote, die unser menschliches Begreifen braucht und sich vorstellt. Die göttliche Liebe kennt kein Wägen und Fragen, ob Ja oder Nein; die göttliche Liebe handelt und vollzieht. – Auch im Leben des Erlösers herrschte und blieb bei all seinen Leiden die göttliche Freiheit der Liebe, zumal das Geheimnis der hl. Dreifaltigkeit998 „auch während der Erdenzeit des Erlösers unverändert weiter bestand.“

2392 |        Der Mensch kann sich keinen Begriff von der göttlichen Bewegungsmöglichkeit und Unumschränktheit der unendlichen Liebe machen, die seiner göttlichen Allmacht zusteht. Es ist aber wunderbar und unaussprechlich, diese göttliche Bewegungsmöglichkeit der unendlichen Liebe zu erleben. – Ich erfasste den unendlichen „Raum“ der göttlichen Liebe: „Die Liebeseinigung999 der drei göttlichen Personen“, um die Erlösung auszuführen. (Dieser Ausdruck für die Ursache der Erlösung wurde mir innerlich gegeben.) – In diesem göttlichen, unendlichen Liebesraum kommen sich die drei göttlichen Personen nicht „so nahe“, dass eine Beengung oder der leiseste Zwang ausgelöst werden könnte. Es herrscht dort nur die göttlich-wesentliche Freiheit der Liebe, – um ein annäherndes menschliches Wort für das unaussprechlich Erfasste zu gebrauchen.

2393 |        Der Erlösungsplan selbst entsprang also einer „Liebesvereinbarung der drei göttlichen Personen“. Die Menschwerdung der zweiten göttlichen Person geschah nur aus göttlicher Liebesfreiheit. Im Wirken Gottes gibt es keinen Zwang, auch nicht aus erhabensten, göttlichen Gründen. (Ich habe diese göttliche1000 Liebesfreiheit der Erlöserperson in der unendlichen Unumschränktheit und „Raumlosigkeit“ der Liebe der heiligsten Dreifaltigkeit gut erfassen können. Es ist dies das Wunderbarste, dieser „unendliche Bereich der göttlichen Liebe“). – Der Vater „sendet“ das göttliche Wort, den Sohn, mit dem Auftrag der Erlösung; der Sohn übernimmt diese Sendung als Auftrag, ja wie ein Gebot des Vaters, das er zu erfüllen hatte, aber er übernahm diese Sendung und führte den ihm damit gegebenen Auftrag durch aus freiwilliger Liebe, aus göttlicher freier Liebe. Diese göttliche1001 freiwillige Liebe gab dem Erlöser die Möglichkeit und das Recht des Verdienstes, wodurch er uns die Erlösung erworben hat.1002

2394 |        So wie es uns gleichsam selbstverständlich ist, „Mensch zu sein“ und dies an sich noch kein Leiden für uns bedeutet, so brachte auch für Christus die Tatsache, Gott-Mensch zu sein an sich keine Leiden. Die vollkommene Ausstattung der Seele Jesu machte vielmehr eine wie natürliche Harmonie mit der göttlichen Natur möglich. Jesus empfand aber dann die Auswirkungen des gottmenschlichen Daseins auf seine menschliche Natur. Diese Auswirkungen gehören jedoch schon in den Bereich des Erlöserlebens selbst, wofür das „Gott-Mensch-sein“ die Grundlage bildete. – Als Person blieb Jesus das, was er war: Er blieb Gott auch in seiner Menschheit und die Einigung der beiden Naturen in ihm war so vollkommen und seine menschliche Natur war so vollkommen von der göttlichen Person durchlebt, als ob er weiterhin Gott auf rein geistiger Grundlage gewesen wäre. Jesus trug aber die Menschennatur des gefallenen Zustandes, leidensfähig dem Leibe und der Seele nach. Diese menschliche Natur bleibt auch bei höchster sittlicher Vollkommenheit der Person leidensfähig und widerspruchsfähig gegenüber seelischen und körperlichen Empfindungen. So bestehen also im Erlöser die beiden Tatsachen zusammen: Die vollkommene Harmonie als Gott-Mensch und dabei trotz höchster sittlicher Vollkommenheit die Empfindungsfähigkeit der menschlichen Natur, der Seele und dem Leib nach.

2395 |        Während ich das Geheimnis des Erlösergehorsams erlebte, wurde ich auch auf Folgendes hingewiesen: Der Gelehrte, der Theologe, der diese Geheimnisse zu erforschen sucht, kann für gewöhnlich nur mit dem menschlichen Verstand, und zwar vom Menschen ausgehend die göttlichen Geheimnisse erforschen, indem er von den menschlichen Grundlagen und Gegebenheiten aus in jene Geheimnisse einzudringen sucht. – Mich führt Jesus gerade einen entgegengesetzten Weg: Ich werde zuerst in die göttlichen Geheimnisse eingeführt und dann gleichsam wie mit göttlichen Begriffen und Erfahrungen hinübergeleitet in die Menschheit Jesu, z. B. in seinem Erlösungsgeheimnis. – Schon früher war mir diesbezüglich gesagt worden: Will man den Erlöser erforschen, so muss man zuerst in den Bereich des Göttlichen einzudringen suchen (weil Jesus als Erlöser wesenhaft Gott blieb) und dann von der göttlichen Wesensgrundlage aus auf den Menschen in Christus übergehen. Gerade vom „Wesen Gottes selbst“ aber kann sich der Mensch ohne besondere Gnade der Einführung und eines wenn auch nur beschränkten und annähernden „Begriffes“ keine genügende Vorstellung machen, um betreffende göttliche Geheimnisse vollrichtig verstehen und erfassen zu können.1003

2396 |        Ich wurde daher auch hinsichtlich der besonderen Gnade des Erlebens der hypostatischen Union und der Psychologie Christi systematisch und fortlaufend in die Wesensgrundlage der göttlichen Natur der zweiten göttlichen Person bzw. des Wesens Gottes in sich eingeführt und dann auf das Geheimnis der physischen Natur Christi übergeleitet, weil das Göttliche, das wesenhaft Göttliche, immer das Tragende, Beherrschende im Leben des Erlösers blieb, und weil die physische Natur der Vollkommenheit der göttlichen Person selbst dienstbar war.1004

 

15.12.19431005

2397 |        Meine einzige Stütze und Sicherheit ist die Demut.

2398 |        Ich will die Demut für mein ganzes Leben als Stab und Stütze erwählen. Soweit es mich betrifft, will ich nicht das Priesterwerk, will ich keinen Fortschritt im inneren Erleben Christi, ich will nur Fortschritt in der Demut und Selbstvernichtung und Selbstverdemütigung. Ich will die Demut als meine besondere Geistes-Charakteristik erwählen und als meinen Weg, auf dem Gott sich selbst verherrlichen kann.

 

31.12.19431006

2399 |        Seit Mitte September bin ich nun auf dem Wege einer neuen, ständigen Erhöhung des Erlebens Jesu. Ständige Leiden wechseln dabei mit dem vorübergehenden Vorauserleben der kommenden Stufe des Erfahrens des Erlösers. Diese kommende Stufe ist aber so sehr meinem eigenen Sein und Zustand gleichsam „einverleibt“ und wie zu meiner eigenen Existenz geworden, dass es kein menschliches Wort dafür gibt. Der Weg wird mir hauptsächlich erklärt durch die ständigen, feinen Leiden einer zunehmenden Selbstentäußerung und zugleich durch das Aufnehmen jenes Ersatzes dafür, den das innere Leben Jesu bietet. Es fehlt aber in diesem geistigen Erhebungsstadium bereits vollständig jene „Erleuchtung des Weges“ in Christus, die es ermöglicht, darüber zu reden und sich auszudrücken; einzig das „Gehen“ dieses Weges, d. h., die passive Selbstentblößung, und die darauffolgende Erhebung verwebt sich mit meinen persönlichen inneren Leben und bildet sich als dessen Hauptkraft und wie eine neue Existenz aus. Diese „Erhebung“ ist ein sich steigendes „Anziehen“ eines Habitus des Geistes, der mir in den letzten Jahren, und besonders in der letzten Zeit erfahrungsmäßig als „Zustand des menschgewordenen Wortes“ erklärt wurde.

2400 |        Es ist mir, als ziehe sich in diesen letzten vier Monaten alles, was ich früher einzeln über den Habitus des Gott-Menschen erlebte, nun in mir selbst zusammen und bilde sich dieser Habitus zu einem Nacherleben meinerseits mit den entsprechenden Folgerungen für mein Menschsein in mir vollends aus. Es scheint mir dies wie ein Abschluss vieler früherer Anfänge zum endlichen Ziel. Es bildet sich „eine geistige Spitze“ als „mein Ich“ und entsprechend dieser Eigenart dieses geistigen Aufbaues beginnt mein Gesamt-Menschsein sich auszurichten, auszubilden und auszuwirken, wobei ich der Folgerungen schon durch entsprechende Energieaufwendung innewerde. So erfahre ich eine wirkliche geistige Umänderung nach dem Maße des schon ausgebildeten neuen Geisteszustandes. – Die Hauptbewegung meines Innenlebens ist aber dabei immer noch ein gewisses, immerwährendes „Verzichten auf mich“, d. h. eine ständige innere Bewegung, die sich aber mit keinem Worte vollständig erklären lässt. –

 

Das Priester-Erneuerungs-Werk1007

2401 |        [Dieses Werk] ist

1. „ein vertieftes theologisches Lehrwerk“. (Dieses Wort wurde mir innerlich als Erklärung für das zu gründende Werk gegeben).

2. Ein Zusammenschluss einer Anzahl von Priestern, die dazu geeignet sind und die unter Leitung von H. Pater Baumann in jene von Jesus gewollte theologische Glaubensvertiefung eingeführt werden, und zwar so, dass diese vertiefte Theologie sogleich in die Praxis umgesetzt wird. Theorie und Praxis müssen zusammengezogen und verbunden werden und damit soll jene „Kluft“ beseitigt werden, die sich vielfach zwischen theologischer Lehre und praktischer Betätigung gebildet hat und die zur heutigen tatsächlichen Glaubensverflachung beitrug.

2402 |        Das Werk ist also im Grunde und kurz gesagt: Vereinigung von Theorie und Praxis, und zwar in einer vertieften theologischen Form. Die erwähnte theologisch-praktische Vertiefung findet sich in meinen Aufzeichnungen fortlaufend erklärt und als allgemeines kirchliches Glaubensgut begründet.

2403 |        Die Mitglieder dieser Priestergesellschaft werden eine bestimmte Zeit lang in dieser Glaubensvertiefung theologisch gebildet und praktisch geübt, ähnlich wie in einem Noviziat, bis sie die Befähigung haben, andere Priester in denselben Geist einzuführen. Der besondere Hauptzweck des Werkes ist nämlich der: alle Priester in der Praxis der theologischen Glaubensvertiefung zusammenzuschließen und damit allgemein ein neues, vertieftes Glaubensleben zu schaffen.

2404 |        Die vertiefte Theologie führt den einzelnen Priester ein in die Fülle und den Reichtum der Erlösungsgnaden, die uns Christus verdient hat und die er nun als „neue Gnaden“ einer subjektiven Ausschöpfung seiner Erlösergnaden jedem einzelnen Priester zum Gebrauche anbietet. Die Priester werden eingeführt in die tiefsten Quellen des Glaubens; diese werden voll herausgeholt, zum Fließen gebracht, wirksam gemacht und dem Einzelnen zugewendet. Durch diese Gnaden einer subjektiven Ausschöpfung der Erlösungsfrüchte sollen und werden die in der Erlösung gelegenen Absichten der unendlichen Liebe Gottes zur vollen Verwirklichung gebracht werden.

2405 |        Der tiefste Zweck und die wesentliche Absicht Gottes beim Erlösungswerk waren im tiefsten Grunde immer eine „Vollerlösung“, und es lag daher in Gottes Erlösungsplan immer schon die Möglichkeit auch einer subjektiven Vollerlösung für den Einzelnen eingeschlossen. Aber diese Gnaden konnten bis jetzt die einzelnen Seelen nur als spezielle Gnaden aus den Schätzen der Erlösung herausholen, oder vielmehr wurden sie diesen durch besondere Gnaden zugewendet und geschenkt. Christus will nun die Fülle der uns verdienten Erlösungsgnaden allgemein eröffnen – und zwar vorerst den Priestern – und dies auf dem Wege einer praktischen Betätigung eines vertieften Glaubens in dem angegebenen Sinne. Christus wünscht, dass alle Priester sich dieser „neuen Gnaden“ teilhaftig machen, weil diese der heutigen Not und den Bedürfnissen der Kirche entsprechen. Er will auf diesem Wege seine Erlösungsgnaden gleichsam „neu ausgießen“ und diese werden wirksam sein „wie eine neue Erlösung“. (Dieser Ausdruck wurde mir dafür gegeben).

2406 |        Das Bestreben, diese Gnaden zu erlangen und sich zuzuwenden, wird im einzelnen Priester einen neuen Eifer wecken. So will die unendliche Liebe Gottes bzw. des Erlösers den allgemeinen Plan und Zweck der Erlösung tatsächlich verwirklichen, und zwar entsprechend den Bedürfnissen der Kirche. „Bis zum Ende der Zeiten wird Christus seiner Kirche alle Erlösungsgnaden mit ihren verschiedensten Formen in voller Fülle zugeteilt haben“. Von dem, was er der Menschheit durch seine Menschwerdung an Gnaden und Früchten erworben und der Gemeinschaft der Kirche übergeben und in ihr hinterlegt hat, wird nichts ungenützt oder unfruchtbar bleiben; die einzelnen Seelen erfahren die Fruchtbarkeit der Erlösung durch die Gemeinschaft mit der Kirche. Christus teilt sich seiner Kirche „ganz“ mit, d. h. mit all dem göttlichen Reichtum und den Verdiensten seiner Menschwerdung und seines Erlöserlebens. Ich wurde diesbezüglich hingewiesen auf die Worte Jesu: „Wer an mich glaubt, der wird die Werke tun, die ich getan habe, ja noch größere als diese“. –

2407 |        Die Gnaden einer subjektiven Vollerlösung für den Einzelnen sind also in der Erlöserliebe schon enthalten; es sind schon „gegebene“ und verdiente Gnaden, die nach Gottes Absichten „jetzt“ fruchtbarer und fließend zugeteilt werden, und zwar an erster Stelle den Priestern, die infolge ihrer Auserwählung und Würde sich als Erstzuerlösende (als sich-zuerst-zu-Erlösende) betrachten sollen. Durch das Priesterwerk werden dann – nach langer Zeit – diese Gnaden weiterströmen und in das gewöhnliche christliche Leben und Streben des Volkes übergehen. Bis dahin aber wird die allgemeine Zeitlage sich geändert haben. „Dieser gnadenvollen Zeit der vollen Ausschöpfung der Erlösungsfrüchte durch die Gesamtkirche geht voraus die Säuberung der Geister von den modernen Irrlehren“.

2408 |        Für die Ausführung des Werkes wurden mir von Anfang an zwei Möglichkeiten gezeigt: a) entweder angeschlossen an einen schon bestehenden Orden oder b) als selbstständiges Werk, das sich diese Erneuerung als Grundlage und Ausgangspunkt nimmt. – Das besondere Ziel ist in beiden Fällen das gleiche: Priesterseelsorge im Geiste jener theoretisch-praktischen Ausübung einer vertieften Theologie.

2409 |        Welche von beiden Möglichkeiten wirklich zur Ausführung kommen wird, ist mir bis jetzt unbekannt. „Es wird mir darüber noch kein Licht gegeben (so wurde mir innerlich zu wissen getan), weil die Entscheidung hierüber den zuständigen Persönlichkeiten überlassen wird“. – Zuerst, und vor allem muss das Werk selbst klargestellt und ausgearbeitet werden; dann kommt erst die Frage der Ausführung zur Entscheidung. Nach Gottes Willen muss das Werk in seinen geistigen Grundlagen geprüft und sein Eigenzweck gesichert werden. Ebenso muss dem Gründer und Leiter H. Pater Baumann die notwendige Bewegungsmöglichkeit zuerkannt werden; andernfalls könnte die Gefahr bestehen, (z. B.) dass das Werk selbst in einem Orden „eingezwängt“ werde und damit der ganze Plan Gottes gefährdet würde.

2410 |        Zur ersten Möglichkeit: Wenn das „Werk“ (in diesem Fall gemeint als neue Betätigung und neue Aufgabe) an einen schon bestehenden Orden angeschlossen wird, dann muss gemäß den Absichten Gottes der Eigenzweck des Werkes selbst gesichert werden, d. h., der betreffende Orden muss die Gewähr geben, dass der Zweck des Werkes und die notwendige Einführung der Mitglieder gewahrt bleiben. Es muss eine geschlossene, für die betreffenden Mitglieder verpflichtende Einführung in die theoretisch-praktische Glaubensvertiefung, ähnlich wie in einem Noviziat, zugesichert und die besondere Tätigkeit des Werkes gewahrt bleibt. Dabei darf aber der Geist des betreffenden Ordens selbst nicht berührt werden, denn die Einheit im Orden darf nicht gestört werden. Tatsächlich werden die Mitglieder des Werkes auch in ihrem Ordensideal befestigt werden, weil es sich ja um eine über alle Orden stehende Geisteserneuerung von innen heraushandelt, der die Erneuerung des Ordensgeistes wie von selber folgt.

2411 |        Praktisch müsste also jener Orden zur Ehre Gottes und im Dienste des hohen Zweckes das ganze Werk der Glaubensvertiefung nach der gottgewollten und angegebenen Weise übernehmen. Es müssten geeignete Mitglieder zur Verfügung gestellt werden, die unter Leitung von H. Pater Baumann in diesen Geist eingeführt werden und die dann nach Ablauf einer bestimmten verpflichtenden Prüfungszeit sich besonders der Priesterseelsorge widmen, falls sie vom Leiter dafür befähigt anerkannt werden. Der Leiter bzw. Gründer untersteht nur dem betreffenden Ordensgeneral, damit die Einheitlichkeit und geistige Bewegungsmöglichkeit gesichert sei. Die oberste Leitung liegt beim Ordensgeneral, von dem im ~Einverständnis mit dem Leiter die einzelnen Mitglieder für das Werk ausgewählt und zugeführt werden. Das Werk selbst wird als päpstliches Werk der kirchlichen Ordensdisziplin unterstellt und danach geregelt werden.

2412 |        Zur zweiten Möglichkeit: Wenn das Werk als selbstständig in Form eines neuen Priesterinstitutes sich bilden muss, dann wird die genannte theoretisch-praktische Glaubensvertiefung von Anfang an als geistige Grundlage desselben – unter einem Bischof oder einen Kirchenfürsten – genommen werden. Diese neue Gesellschaft muss sich aber dann erst – (das ist der Unterschied gegenüber der ersten Möglichkeit) – erst entwickeln „als vertieftes theologisches Lehrwerk“, muss sich als solches durch praktische Übung emporarbeiten und bewähren, um seinem Zwecke dienen zu können. Freilich ist in diesem zweiten Falle die Einführung in den tiefsten Geist des Priesterinstitutes leichter möglich, weil dieser als prinzipielle, verpflichtende Grundlage gegeben und nicht durch die Rücksichten auf andere Ordenssatzungen gebunden ist.

2413 |        In beiden Fällen wird das Werk jedoch nicht den Namen „vertieftes theologisches Lehrwerk“ führen, wird sich aber als das auswirken und das im Grunde sein, was dieser Ausdruck besagt. Es wird sich nennen das „Werk“ oder das Institut Jesu des Hohenpriesters und wird sich im Sinne des Hohenpriesters Jesu betätigen. Doch dies sind sekundären Fragen, die aber manchmal an erster Stelle gerückt werden und dann Schwierigkeiten verursachen können.

2414 |                

2415 |        

 

 

 

 

 

Das Jahr 1944

 

Auf der Grundlage von M1

 

 

 

 

Januar

19.01.1944

2416 |        Ich nähere mich jenem glückseligen Zustand, in dem Leiden zugleich „Freuden“ bedeuten, und zwar die Leiden, die mit meiner geistigen Aufgabe und meinen Verhältnissen gegeben sind. – Ich bin von jedem Einfluss der Menschen derart gleichsam „abgetrennt“, als wäre ich ganz allein auf der Welt. Statt der äußeren Einflüsse, denen jeder Mensch irgendwie unterworfen ist und zu denen er Stellung nehmen muss, bildet sich in mir, oder besser ausgedrückt, bilde ich mich wie zu einer „uneinnehmbaren Geistesfestung“ aus. Es bildet sich in mir ein neuer Kreis unaussprechlicher Unbeeinflussbarkeit eines selbstständigen Selbstseins und eines gewissen Selbstbeherrschens, das mit meinem jetzigen Sein und Leben schon verbunden ist. Das jetzige Sein und Leben enthält alles zum Dasein Notwendige und ist zugleich das auch mein physisches Leben regelnde Prinzip. Diese Lebensgrundlage erhöht sich aber beständig und bildet sich immer vollkommener aus mit den aus der Vereinigung mit der göttlichen Person sich ergebenden Konsequenzen für mein Menschsein. Jesus schafft dazu immer neue, passive Läuterungsleiden, die sich vertiefen, weil bei der schon erreichten Sublimität der Seele die gewöhnlichen Leiden diese nicht mehr wirksam bewegen und treffen würden. Damit erhöht sich zugleich auch die schon erworbene Leidensfähigkeit.

2417 |        Es ist eine wundersame Geistesharmonie in mir, von der das gesamte Menschsein „nach Art des Geistes“ geordnet und getragen wird. Alles in mir ist jetzt so einheitlich und ohne jeden Widerstreit geordnet als wäre überhaupt nur das Geistige vorhanden. Auch das physische Leben ist so dem Geistigen eingeordnet, das nur das Geistige herrscht und ins Bewusstsein tritt. Diese unaussprechliche Vergeistigung des gesamten Menschseins lässt meine Seele eine solche Loslösung von den menschlich eigenen Interessen erfahren, dass sie nur mehr den Interessen dessen lebt, was nun ihr ureigenster „Lebensimpuls“ ist und wovon sie im tiefsten Grunde geführt und getragen wird: das Leben Gottes.

2418 |        Ich möchte die Wirkungen dieses Lebens Gottes in mir einigermaßen dem Verständnis1008 nahebringen durch den einfachen Vergleich mit einem Luftballon. Dieser geht kraft der Luft, mit der er gefüllt ist, immer in die Höhe, und nicht einmal die äußere Hülle beschwert ihn oder hält ihn nieder, denn die Luft im Innern ist das Wesentliche und nimmt die äußere Hülle mit in die Höhe. So ähnlich ist es mit meinem jetzigen Menschsein geworden. Die jetzige Vergeistigung ist Loslösung von den früheren, mit dem gewöhnlichen Menschsein gegebenen Interessen, [und] führt mich ein in eine zwar geheimnisvolle, aber doch erlebte Tatsache einer gewissen Leidensunfähigkeit als meines nun gewöhnlichen Zustandes1009, d. h. so lange nicht durch die besondere göttliche Führung ein passives Leiden angeregt und hervorgerufen wird (Ich meine dabei nur den Geistesbezirk, denn der Leib wird immer schmerzempfindlich bleiben, es sei denn, dass Gottes besonderes Eingreifen anderes bewirkt). Meine Seele ist durch das Wesen des Lebens Gottes in ihr derart in die Höhe gehoben und gleichsam von sich selbst entfernt und abgelöst, dass die geistige Leidensfähigkeit aufgehoben scheint und alles Leiden gleichsam an der Seele „abprallt“, weil sie durch den göttlichen Lebensimpuls, der sie erfüllt, wie unempfindlich wurde.

2419 |        Ausgehend von diesem tatsächlichen Selbsterfahren1010 werde ich hingeführt auf eine Tatsache im Menschen Christus, die mir aufgrund dieser geistigen Selbsterlebnisse durch die göttliche Führung erklärt und bestätigt wird: Die göttliche Person hat einen besonderen „Willensakt“ gesetzt, um ihr Menschsein in der Form des Erlöserlebens erleiden zu können. An sich wäre nämlich beim Gottmenschen infolge der höchsten, göttlichen Vergeistigung und Erhabenheit seines Gesamt-Menschseins ein „Leiden“ in unserem menschlichen Sinne nicht möglich gewesen. Der gewöhnliche, wesentliche Zustand des Gott-Mensch-Seins hätte infolge der Auswirkungen seiner wesenhaften Göttlichkeit auf seine Seele überhaupt kein Leiden nach unserem Begriff in ihr aufkommen lassen. Das Göttlich-Geistige in Christus hatte seine menschliche Natur so sehr und vollkommen in jene Geistesatmosphäre mitgenommen, dass an sich das menschliche Leidensgefühl von der menschlichen, leidensfähigen Natur hinweggenommen und trotz der Menschwerdung nur das göttlich-geistige Lebensprinzip herrschend und geltend geblieben wäre. Infolge der göttlich-wesentlichen Erhabenheit seines Gesamt-Menschseins wäre an sich auch ein nach unserer gewöhnlichen menschlichen Art erfahrenes Gefühls- und Gemütsleben im Gottmenschen unmöglich gewesen. – Aus meinem eigenen diesbezüglichen Erfahren in den letzten Jahren und in der letzten Zeit kann ich bestätigen und feststellen: Durch fortgesetzte passive Reinigungen wird die Seele derart vergeistigt, dass sie schließlich nicht mehr den nach früherer Art erlebten Gemütsempfindungen unterworfen ist. Die Seele als das Wesentliche des Lebens hat vielmehr „genug“ mit der durch die göttliche Vereinigung gebotenen Erhabenheit und Ruhe in sich selbst und die „Gemütsempfindungen“, jene Brücke und Mittelstellung zwischen den geistigen und physischen Kräften im menschlichen Dasein, „schnellen“ gleichsam in die Höhe. Da die früheren persönlichen Interessen und Anhänglichkeiten des gewöhnlichen Menschenlebens abgelöst sind, findet es die Seele sozusagen nicht mehr der Mühe wert, darauf hinabzusehen. Die mittels entsprechender passiver Leiden errungene Erhabenheit der Seele ist vielmehr so groß und intensiv, dass ihr an sich ein Gemütsleben nach der früheren Art für gewöhnlich weder nötig noch möglich ist. Das „Leben“ selbst, d. h. das Wesentliche und Tiefste in meinem Leben ist wie zu einem Geistesprinzip und Geistesakt geworden.

2420 |        Das gewöhnliche menschliche Gemütsleben ist größtenteils ein physisches Empfinden, das eigentlich weit unter geistiger Betätigung steht, wenn es auch vom Menschen weithin als geistige Betätigung empfunden wird und ebenso einen seelischen Ausgangspunkt, wie auch eine physische Ursache haben kann. Wohl kann auch in dem Zustand der Vergeistigung, in dem ich mich jetzt bewege oder besser gesagt, bewegt werde, ein Nachklingen nach Art früher erlebter Gemütsempfindungen auftreten, aber dieses Empfinden ist dann so passiv, dass es gar nicht mehr als persönliches, eigenes Erfahren wird. Meine Seele ist jetzt zu tiefst zum Urquell ihres Lebens und Daseins selbst zurückgekehrt und erlebt sich als volle Beherrscherin des ihr unterstellten leiblichen Elementes; sie ist, mit anderen Worten, zu ihrer ursprünglichen Vergeistigung zurückgekehrt. Sie erlebt sich in Gott infolge der vollen Rückgabe der einst verlorenen Geistigkeit, und diese Geistigkeit schließt jede Störung aus, auch jene, die in der Betätigung des gewöhnlichen Gemütsempfindens läge. Oder ist vielmehr nun auch das „Gemütsleben“ so vergeistigt, dass es zu einem unmittelbaren geistigen Erleben geworden ist und nicht mehr als physisch-psychische Betätigung erklärbar ist, sodass man von einem geistigen „Gemüts- und1011 Affektleben“ sprechen müsste? – Jedenfalls scheint es mir so: Es genügt mir nun, im „Geiste“ zu bleiben und nicht mehr zu einem nach früherer Art empfundenen Gefühlsleben hinabzusteigen. – Das Geheimnis dieser tatsächlichen Umänderung liegt in der geistigen Unmittelbarkeit des Aufnehmens und Reagierens, in die meine Seele nun versetzt ist, sodass viele und lange Wege des Schlussfolgerns und der physischen Eindrücke und der gleichsam mühsamen Weiterleitung nicht mehr nötig sind.

2421 |        Die angeführte Tatsache einer gewissen Unempfindlichkeit der vergeistigten Seele bezieht sich sowohl auf den inneren Bereich der Seele selbst wie auch auf Ereignisse, die von außen an sie herantreten. Christus hätte nun seine Menschwerdung nicht als jenen verdemütigenden Akt erfahren und erfassen können, wie es tatsächlich der Fall war, wenn er sich nicht ausdrücklich und freiwillig für dieses Erfahren und Erleben und Erleiden hingegeben hätte. Gewiss hätte auch in jenem Fall die Menschwerdung des Wortes überreichlich genügt, um die Menschheit zu erlösen; denn es hätte dazu schon die Würde der göttlichen Person genügt, die, mit einer menschlichen Natur sich verbindend, der göttlichen Gerechtigkeit sich als Ersatz für die sündige Menschheit anbot. Aber bei dem Zustand und dem Habitus der ständig wirksamen göttlich-wesentlichen Erhabenheit wäre Christus in jenem Falle doch mehr ein „Geistesmensch“ geblieben, dem die psychisch-physischen Folgerungen seines Menschseins nicht eigentlich ins Bewusstsein getreten wären. Er hätte auch in jenem Falle nicht die Armut, Not, Kälte, die Verfolgungen seiner Feinde und nicht einmal seine Verurteilung zum Kreuzestod als wahres menschlich empfundenes Leiden spüren können, da die göttliche Erhabenheit ihm als überfließender Ersatz genügt hätte.

2422 |        Es ist dem Wesen Gottes unverlierbar eigen, „Gott“ zu sein, und zwar mit allen göttlichen Konsequenzen. Weil aber göttlich-wesentliche Eigenschaft, [sic!1012] blieb darum jene Erhabenheit oder Sublimität der zweiten göttlichen Person auch dann nach der Menschwerdung ihr eigen und die göttliche Erlöserperson musste tatsächlich und wirklich „den Willen haben“, Mensch zu sein mit allen Konsequenzen, wie es das Erlöserleben mit sich brachte. Das ewige Wort musste – um ein menschlich irgendwie erklärendes Wort zu gebrauchen – einen „Akt“ setzen, um sich gleichsam gewissen Konsequenzen des „Gott-Seins“ entziehen und Mensch sein zu können, entsprechend den Auswirkungen einer menschlichen Natur und deren Anforderungen an ein menschliches Leben.

2423 |        Was ich früher schon öfter in ihm erkannt hatte, das hat mir Jesus dieser Tage mehrmals wiederholt und betont: Er hat einen Akt gesetzt, um das Mensch-sein mit allen Folgerungen zu erleiden. Der Akt der Menschwerdung für sich allein schloss für Jesus noch nicht die psychologische Fähigkeit ein, das Menschenleben mit all seinen Schwächen und Konsequenzen voll erlebnismäßig und erlebniskräftig auf sich zu nehmen. Die göttliche Erhabenheit wäre an sich – ohne jenen besonderen Willen – so wirksam gewesen, dass Jesus sich ständig gleichsam „oberhalb“ oder „außerhalb“ eines wahren Menschentums befunden hätte. Die göttliche Person „passte“ sich aber bewusst und gewollt dem Menschen an, um es voll – mit allen psychologischen Folgen, die ja eine Grundbedingung wahren Mensch-seins bedeuten – auszukosten und auf sich wirken zu lassen. – Es war ähnlich, wie es bei einem Menschen wäre, der schon vom ersten Augenblick seines Daseins an das Bewusstsein hätte (das sich aber mit der wachsenden Entwicklung seines Menschseins weiter steigern und entwickeln würde), und damit das Leben im Einzelnen erleben würde. Im Erlöser aber wirkte ständig und vom ersten Augenblick an das göttliche Bewusstsein und er nahm die Funktion eines menschlichen Bewusstseins oder das Bewusstwerden seiner menschlichen Lage gegenüber seinem göttlichen Wesen von Anfang an in das göttliche Bewusstsein auf.

2424 |        Jesus „wollte“ das ganze Menschenleben menschlich und bewusst erleiden, und zwar alle Leiden vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung an, auch die scheinbar kleinsten Leiden des Kind-seins. In Auswirkung dieses seines Wollens waren auch die „kleinen Leiden“ für Jesus ein großer objektiver Widerspruch gegen die Würde seiner göttlichen Person. Aber er gab sich gewollt und freiwillig als göttliche Person allen Leiden eines Mensch-seins hin, „geopfert, weil er selbst es wollte“. – Es ist dies ein weiterer Gesichtspunkt des tiefen Geheimnisses, das in den Worten der Hl. Schrift enthalten ist, auf die ich vor einiger Zeit hingewiesen wurde: „er stieg herab“ – in unsere arme Menschlichkeit. – Dabei schaute ich zugleich mit dem „Herabsteigen“ des ewigen Wortes das „tiefe Bejahen“ des Erleben-Wollens und Erlebens unserer Menschlichkeit durch das bewusste psychologische Erfahren seines Mensch-seins als Erlöser. – Wenn übrigens schon der hl. Paulus im Philipperbrief sagt: „Was mir einst als Gewinn galt, … das halte ich geradezu für Kehricht“, wenn also seine Seele hoch und vergeistigt über dem irdischen Begehren und Leiden stand, in welch hohem, göttlichem Maße stand dann Jesu Seele „über“ den Leiden seines Mensch-seins, die an sich, d. h., ohne besonderen Willen seinerseits gar nicht als wirklich menschliche Leiden nach unserem Begriff von ihm empfunden worden wären. Ohne diesen seinen Willen wäre aber dem Heiland als Gott das menschliche Leben nicht so „nahe“ gekommen, dass man es als wirklich gelebtes Menschenleben, leidensfähig dem Leibe und der Seele nach, hätte bezeichnen können.

2425 |        Zur Bestätigung dieses in Christus erfahrenen Geheimnisses wurde ich, wie gesagt, hingewiesen auf eigene Erfahrungen, und zwar auf jenen Seelenzustand, für den ich keinen anderen Ausdruck finde, als: „Erworbene Leidensunfähigkeit des Geistes.“ – Es ist dies im Grunde ein erreichter Vollkommenheitszustand einer schon tatkräftigen Hingabe an Gott. Psychologisch ist dieser Zustand zu erklären als Überfülle an Geduld, Leidensbereitschaft und Kreuzesliebe, als höchst vollkommenes Aufgegebenhaben des eigenen Willens und damit Eingegangensein und Aufgenommensein in den Willen Gottes. Dieser Zustand setzt voraus eine Fülle von Übungen und praktischen Betätigungen des Aufgebens persönlicher Interessen, des Abstreifens des Eigen-Persönlichen und stattdessen des Aufnehmens göttlichen Lebens. Mittels dieser tatsächlichen und praktischen Geistestugendübungen erhebt sich die Seele sozusagen über sich selbst und empfindet viele wirkliche Leiden nicht mehr. Sie wird gegen vieles, was von außen oder auch von innen an sie herankommt, wie unempfindlich.

2426 |        Infolge seiner göttlich-sittlichen Vollkommenheit hatte Christus nicht jene Schwere und Schwierigkeit des menschlichen Lebens zu tragen, die bei uns im Grunde aus der sittlichen Unvollkommenheit kommt oder1013 damit verbunden ist. In ihm war infolge seines göttlichen Wesens alles schon sittlich vollkommen und es wäre eine Herabsetzung seiner göttlichen Würde und Heiligkeit, wenn man, sein menschliches Widerstreben gegen Leiden unserem aus sittlicher Unvollkommenheit und Schwäche kommenden Widerstreben gleichsetzen wollte. Jesus hat vielmehr schon vor und in seiner Menschwerdung alles vollkommen und überfließend bejaht, was sein Leben an Leiden mit sich bringen konnte. Wir dagegen können uns mittels der göttlichen Gnade, praktisch nur langsam für alle Forderungen und Folgerungen eines sittlich-vollkommenen Lebens entschließen und befähigen. Bei Christus war daher in diesem Punkte der Widerspruch seiner menschlichen Natur gegen das Leiden ein anderer als bei uns und hatte nichts von einer sittlichen Schwäche an sich, wie dies unsere Natur erfährt. Wir leiden unter den Forderungen einer sittlichen Vollkommenheit, weil deren Ausführung unserer menschlichen Natur insofern widerspricht, als es uns schwerfällt, „das Gute zu vollbringen“; wir müssen erst um die Vervollkommnung unserer Werke ringen und dies löst einen beständigen Kampf in uns aus. Christus war dieses sittlichen Widerspruches durch die Vollkommenheit seiner göttlichen Natur und Person überhoben; was aber in ihm den Widerspruch gegen die Konsequenzen seines Menschseins auslöste, das war der tatsächliche, objektive Gegensatz zwischen seinem Menschsein und der Würde seiner göttlichen Person. Bei aller vollkommenen Einigung und Harmonie der göttlichen und menschlichen Natur in ihm blieb doch der objektive, unermessliche Abstand beider1014 bestehen. Beide Naturen in Christus behielten auch ihre Eigenart bei, ohne Vermischung oder Auflösung einer Natur in die andere. Darum blieben auch die entsprechenden Folgen und Auswirkungen jeder Natur bestehen. Die vollkommene Einigung und Harmonie dieser beiden Naturen bildete aber die Grundlage, worauf sich das Erlöserleben des Gottmenschen erst aufbaute. Obwohl die göttliche Person Christi1015 als wesentliches Lebensprinzip ihre menschliche Natur vollkommen beherrschte, verlor dabei doch die menschliche Natur nicht ihre eigene Auswirkungsmöglichkeit; – sonst hätte gleichsam eine Vergewaltigung der menschlichen Natur durch die göttliche Person stattgefunden. Die Grundlage und Voraussetzung für die vollkommene harmonische Einigung beider Naturen in Christus bildete aber die besondere Vollkommenheit der menschlichen Natur Christi.

2427 |        (Zum größeren Verständnis dieser Vollkommenheit wurde ich wieder hingeführt auf den Zustand des paradiesischen Menschen, auf das Geheimnis des ersten, so wunderbar begnadeten Menschenpaares, das Gott sich geschaffen hatte, um sich selbst, gleichsam sein göttliches Wesen, in einem wahren Sinne mitzuteilen. Der Mensch sollte wie eine Brücke Göttlich-Ungeschaffenes und Geschaffenes – Beschränktes vereinen. Jene reine, gottfähige Menschenseele sollte dann wiederum die Brücke und Verbindung werden zwischen Gott und der gefallenen Menschheit. – Die ersten Menschen mit ihrer übernatürlich geschenkten Gnadenordnung standen wie in einem „natürlichen“ Verhältnis zu Gott. Das Leben Gottes in ihnen (das wir Gnade und Gotteskindschaft nennen) verband sie wie mit einer „natürlichen“ Weise mit ihrem Schöpfer, den sie als ihr „Gegenüber“ erfuhren. In dieser gottgeschenkten Gnadenordnung führte gleichsam „eine Ebene“ zu Gott. Die Fähigkeiten der ersten Seele waren so dem Geiste Gottes angeglichen, dass ein wie natürlich scheinendes Verstehen durchaus möglich war. Die Grundlage und Voraussetzung für dieses „gegenseitige Verstehen“ war ein entsprechender Grad der Vergeistigung, in dem die ersten Menschen sich bewegten. Die Seele beherrschte nach der Art des Geistes vollkommen den Leib, sodass auch dieser hineingesogen war in das Leben des Geistes …)

2428 |        Im Zusammenhang damit wurden mir auch früheren Erklärungen über die Unsündlichkeit wiederholt und vertieft. – Wesentlich unsündlich ist nur Gott allein. Die Seele kann aber durch fortschreitende tatsächliche Überwindung des anhaftenden persönlich Sündhaften zu jener glücklichen Stufe einer vollen Überwindung der sündhaften Anlagen gelangen, in der auch die Wurzel und der Ansatz zur Sünde so ausgetilgt ist, dass auch der tiefste Keim des Ungeordneten, Erbsündlichen überwunden und dadurch die Seele bereitet ist zu hoher Vereinigung mit Gott.

2429 |        „Unsündlich“ besagt ein Doppeltes: Zunächst, dass keine Sündenmöglichkeit mehr vorhanden ist. Dies erfordert aber als Gegengewicht zugleich immer auch eine schon vorhandene Überfülle von Tugend, die eben eine Sünde nicht mehr zulässt. Es muss also die Anlage zur Sünde überwunden und an deren Stelle schon eine vollkommene Fülle von Tugend getreten sein, die eine Unvollkommenheit nicht mehr aufkommen lässt. Auf diese Weise wird ein Zustand in der Seele geschaffen, den man „habituelle Unsündlichkeit“ nennt, wobei das Sündenfähige in der Seele überwunden und damit die Seele zu einer habituellen Befestigung im Guten gelangt ist. – Der Zustand der „Unsündlichkeit“ teilt sich in verschiedene Stufen: des Willens, der Anlage zur Sünde selbst, der Überwindung des Ungeordneten in der Seele und schließlich als höchste Stufe das Eingehen in eine volle Harmonie zwischen Seele und Materie. Damit tritt jene Einfachheit des Geistes ein, die eine stufenweise Zurückeroberung der paradiesischen Einfachheit der Seele bedeutet und ist. Die höchste Steigerung dieses Zustandes bildet jene volle Reinigung und Reinheit der Seele, die man als persönliche Unsündlichkeit bezeichnen kann.

2430 |        Die Seele Christi hatte den höchsten Stand persönlicher Unsündlichkeit, dies jedoch nicht als erst1016 erworbenes Gut, wohl aber als geschaffenes Gut. Jesus hatte eine, der paradiesischen Seele ähnliche Seele, die an sich sündenfähig gewesen wäre (– dies würde mir als psychologisches Geheimnis der Anlage der Seele Jesu erklärt –). Infolge ihrer höchsten Bestimmung hatte aber diese Seele Jesu die Überschwänglichkeit des schon Überwundenen, nicht in dem Sinne, als ob Christus tatsächlich Böses in sich hätte überwinden müssen, sondern im Sinne des Besitzes jener Fülle höchster sittlicher Tugendanlage, durch die eine Sünde oder Unvollkommenheit in ihm nicht möglich war. Es war nämlich in der Seele Christi eine Fülle von Vollkommenheitsmöglichkeit und Heiligkeitsfähigkeit in Anbetracht ihrer Verbindung mit der wesentlichen Vollkommenheit der göttlichen Person des Wortes – und dies bedeutete das Gegenteil von Sünde und Sündenmöglichkeit. – Ferner nahm die Seele Jesu infolge der Einigung mit der göttlichen Person des Wortes auch teil an der wesentlichen göttlichen Unsündlichkeit.

 

20.01.1944

2431 |        Heute Abend kam ich in einen schmerzhaften Zustand passiver Trennung von allem. – Daraufhin, „ganz allein“, bin ich in einen ganz neuen Geisteszustand eingetreten: Es ist eine bisher nie erlebte Passivität des Geistes. Das tiefste Sein, das mich lebt, genügt mir vollkommen. Ich kann nichts „beten“, weil in diesem Zustand schon alles überreichlich enthalten ist. Ich bin wie in einer Ekstase des Geistes, bin erfüllt von einer wunderbaren Fülle der Ruhe und des Gesättigtseins.

2432 |        Die zwei vergangenen Nächte verbrachte ich gleichsam außerhalb des Leibes (ich habe gut geschlafen, während mein Geist wach blieb und das Bewusstsein des Wachseins beibehielt). Ich war gleichsam außer mir, sozusagen „oberhalb“ meines Leibes, und ich genoss in seligem Erleben jene wunderbare Erhabenheit des Geistes, kraft deren ich gleichsam meinem Leibe entrückt war. Ich konnte voll seliger Freiheit auf meinen Leib herabsehen, von dem ich nicht mehr beschwert war. Mein Geist, so erhaben über den Leib, hatte das Bewusstsein seines Bestandes und der Fülle des Friedens. Es ist Wahrheit, aber im Grunde unaussprechlich. Nimmt vielleicht deshalb Jesus die Nächte für dieses wunderbare Erleben, weil ich bei Tage zu viel irdischen Beschäftigungen hingegeben bin, während er nachts mich mir wegnimmt? –

 

21.01.1944

2433 |        Innerlich bin ich seit gestern kraft jener gnadenvollen Erhebung in einer wunderbar erhabenen Geistesverfassung, die mit keinem Worte erklärbar ist.

2434 |        Heute Morgen wurde mir geistig wiederum die durchaus mystische Grundlage meines Innenlebens betont: zunächst der Weg bis zur Gnade der geistlichen Vermählung und von dort ab das Erleben der göttlichen Erlöserperson als wesentlicher Vereinigungsweg. Dieses zweite Stadium wird – ebenso wie das Erste damals in der geistlichen Vermählung – zu einem gewissen Abschluss kommen, durch das Erreichen einer bestimmten sittlichen Vollkommenheitsstufe und mittels dieser eines speziellen entsprechenden Vereinigungszustandes mit der göttlichen Person des Wortes.

2435 |        Grundbedingung und Voraussetzung für meine geistige Aufgabe des Erlebens des Innenlebens Jesu ist ein bestimmter, von der göttlichen Führung vorausgesehener und geforderter sittlicher Vollkommenheitszustand. Mit diesem Vollkommenheitshabitus werde ich dann Jesus erleben und erleiden. Dieser Vollkommenheitshabitus muss aber vorher erreicht und abgeschlossen sein; er ist gleichsam ein geistiges Kapital, mittels dessen es mir möglich sein wird, dem inneren Leben Jesu in der, von Gott beabsichtigten Weise dienstbar zu Sein. Das Erleben der göttlichen Erlöserperson wird dann gleichsam ein Zehren von einem schon vorhandenen Kapital und eine „Zurücktretung“ in die Ausübung eines schon errungenen sittlichen Zieles sein. – Jesus selbst trat in sein Menschenleben ein mit einer „vollkommenheitsfähigen Seele“, und all seine menschlichen Werke trugen das Siegel dieser Vollkommenheit an sich, bewegten sich auf der sittlichen Ebene göttlicher Vollkommenheit. –

2436 |        (Eine gewisse Schwierigkeit beim Erklären meiner inneren Erlebnisse besteht darin, dass ich nicht immer unterscheiden kann zwischen dem Zustand des Vorauserlebens eines zu erreichenden Zieles und dem endgültig erreichten Zustand selbst. Gewöhnlich wird mir nämlich das zu erreichende nächste oder auch fernere Ziel immer wieder im Vorauserleben jenes Idealzustandes vorgeführt).

 

Über das Geheimnis der hypostatischen Union.
I. Das Bewusstsein im Allgemeinen

2437 |        Das Wesen des Bewusstseins einer Person liegt im Bereich der Kräfte der Person selbst; diese ist zugleich die Trägerin des Bewusstseins ihrer selbst und des ganzen Umfanges ihrer Existenz.

2438 |        Die Seele Christi hatte für sich kein Bewusstsein, denn sie war nicht von einer menschlichen Person getragen, sondern das Personale und Tragende in ihr war die göttliche Person. Diese nahm im Augenblick der Menschwerdung die „Bewusstwerdenskräfte“ der Seele Jesu in sich auf, d. h. jene schon in der Seele vorhandenen Kräfte, die das Bewusstwerden einer Person ermöglichen und ein normales Bewusstseinsleben hervorzubringen vermögen. Durch dieses Aufnehmen der Bewusstwerdenskräfte der Seele entstand in der göttlichen Person des Wortes selbst das göttliche Bewusstwerden seines Menschseins oder anders gesagt, das Menschsein trat in das göttliche Bewusstsein der Person selbst.

2439 |        Die Kräfte des Bewusstwerdens einer Person sind beim Menschen einer Entwicklung, einem Wachstum unterworfen. Je nach ihrer Befähigung bilden sich im Menschen die für das selbstige Bewusstwerden notwendigen Reflexe aus; es sind gleichsam Wiederholungen von Erlebnissen, die sich aus dem sogenannten Unterbewusstsein erheben und bildhaft auf die sich entwickelnden Bewusstseinskräfte zurückstrahlen und zurückgeworfen werden. Diese Bewusstseinsentwicklung eines Kindes kann durch entsprechende, von außen kommende Reize beschleunigt und befördert werden. Im tiefsten Wesen aber liegt das Bewusstwerden in einer durch die Vererbung gegebenen Kraft, durch die sich das Bewusstsein einer Person mit seinen entsprechenden Eigenheiten ausbildet.

2440 |        Das Bewusstsein selbst ist ein Erkennen des Umfanges des Bestandes einer Person als selbsteigene Realität. Diese Realität kann dem Menschen in einer mehr oder minder klaren Weise ins sogenannte Bewusstsein treten. Zumal durch den Anfang dieses Bewusstseins tritt einer Person der Bestand ihrer Existenz als Wirklichkeit vor sich selbst oder vor die Augen des Geistes. Dazu kommen dann allmählich immer neue Einzelheiten oder bildhaft erfasste Selbsterklärungen über die Art dieses Existierens, – was schon einen Fortschritt im Bewusstwerden des eigenen Lebens bedeutet. Jene bildhaften Erklärungen, die sich im Unterbewusstsein anhäufen, sind schon eigene, vergangene Erlebnisse, die der Person selbst mittels der nun schon mehr entwickelten Kräfte vorgeführt werden. So bildet und wirkt sich, zusammen mit dem entsprechenden Wachstum des Menschen, die bewusste Selbstexistenz immer weiter aus und beginnt nach und nach das ganze Gebiet des Menschseins zu umfassen. – Dieses psychologische Bewusstwerden erfährt aber der Mensch für gewöhnlich nicht unmittelbar, sondern in einer mittelbaren Weise entsprechend den Anforderungen seines Lebens. Somit ist der Akt des Bewusstwerdens selbst beim Menschen nicht ein bewusster Akt, sondern für gewöhnlich ein unbewusster Vorgang, der nur durch das herankommende „Leben der Umwelt“ zum eigenen Erlebnis wird, insofern der Mensch diese Umwelt auf sich selbst anzuwenden vermag. – Noch mittelbarer ist das Bewusstwerden der geistigen Existenz des Menschen, weil das Bewusstsein im gewöhnlichen Zustand von außen nach innen geht. Das Bewusstsein einer Person als geistiger1017 Existenz setzt darum schon einen Vorrat von außen aufgenommener, bewusster Eindrücke voraus, die dann ihrerseits selbst in der schon vorhandenen geistigen Intelligenz der Seele einen Abdruck zu bilden vermögen. Dazu müssen aber das Denkvermögen und ein gewisses eigenes Urteil über jene von außen aufgenommenen bewussten Eindrücke schon entwickelt sein. Die Intelligenzkräfte wenden dann jene aufgenommenen bildhaften Eindrücke auf sich selbst und auf das schon entwickelte Selbstbewusstsein an, ziehen daraus entsprechende Schlüsse und bilden diese zu einem selbsteigenen Urteil über das Aufgenommene aus.

2441 |        Auf diese Weise erfasst sich der Mensch in sich selbst und schafft er sich das eigene, tiefe Selbsterkennen unter der Leitung und Herrschaft seiner Person. Das Selbsterkennen führt den Menschen beständig sich selber vor; er wird sich dadurch wie zum eigenen Gegenüber und bildet sich eine Meinung über sich selbst; erst dieser Vorgang mündet ein ins letzte, volle Selbstbewusstsein. Der Mensch unterstellt diese seine von ihm gebildete1018 Meinung über sich selbst einer Kontrolle, die als anerkennend oder abweisend von der höchsten Kraft im Menschen, von der Person selbst, ausgeübt wird.

2442 |     Durch diesen letzten Akt bildet und formuliert der schon entwickelte Mensch sich einen gewissen, geistig ihn umgebenden Selbstschutz oder mit anderen Worten, jene (geordnete) Selbstliebe, die zur vollen Entwicklung der sich ständig reflektierenden Bewusstseinsakte notwendig ist. Es ist dies ein Selbstschutz nicht so sehr gegen außen als vielmehr in und vor sich selber, denn auf einer gewissen (geordneten) Selbstliebe baut sich erst die letzte und höchste Ausbildung der Person auf, die sich etwa so in Worten ausdrücken lässt: Ich bin und ich stütze mich auf mich selbst. So führt das Selbsterkennen zum Selbstschutz und zur geistigen Selbsthilfe.

2443 |        Dieser geistige Selbstschutz, der sich aus den aufsteigenden Bewusstseinsgebilden gleichsam immer wieder erneuert, regt den Menschen erst zur letzten Ausprägung seiner Individualität an. Jene Selbsthilfe wird nämlich wie zu einem ununterbrochenen Akt in der Seele selbst, gleichsam zu einer in sich selbst bauenden Mauer, womit die Seele sich abgrenzt gegen alle Einflüsse, die sie irgendwie bedrängen könnten. Damit bildet sich der Mensch in sich selber einen festen gesicherten Bestand, wird geistig1019 fest in sich begründet und lebt von dieser eigenen Sicherheit, die er ständig sich selbst schafft.

2444 |        Diese Selbstsicherheit seines Bestandes und seiner geistigen Funktionen bringt der Mensch in Verbindung mit den von außen einströmenden Eindrücken. Er tritt in Beziehung zur Umwelt, verarbeitet in sich neue Eindrücke und bringt sie in Beziehung zu sich selbst. So entsteht ein ständiger Wechsel zwischen dem Aufnehmen der Eindrücke, deren beständigen Vergleichen und Beziehen auf sich und dem darauf folgenden und sich auslösenden Urteil der Person selbst. So steht die Person als Herrin, ordnend und regulierend, über den ihr unterstellten Funktionen. Sie bewertet und verwertet diese und offenbart dabei zugleich ihren eigenen Wert. Der „Wert der Person“ tritt nämlich in ihren eigenen Funktionen hervor, und zwar zuerst in der Seele selbst, dann aber auch in den auf die Umwelt sich auswirkenden Betätigungen und Ergebnissen.

2445 |        Für gewöhnlich tritt der Person diese ihre ständige Tätigkeit nicht unmittelbar ins Bewusstsein, sondern erst die mittelbaren Beziehungen zur Umwelt und zu sich selbst lassen ihr die selbstigen Taten und deren Wert vor sie selbst hintreten; so steht sie dann „unmittelbar“ vor den eigenen Produkten ihrer Tätigkeit oder ihres Lebens und Daseins, die ihr auf diese Weise, d. h. als von außen oder auch von innen wiederum an sie herantretenden Taten, ins Bewusstsein zurücktreten1020.

2446 |        Die einer jeden Person eigene Anschauungsweise und Urteilsweise, die sich wiederum ihren zu vollbringenden und vollbrachten Werken sowie ihrer Umwelt als Person-Wert aufdrückt oder aufprägt, bildet das, was ich ihren Person-Kreis oder Person-Rahmen nennen möchte, d. h. die Summe der inneren Taten oder Funktionen bzw. alles dessen, was die Person in ihrem eigenen Bereich als geistige Umwelt in sich behält.1021

2447 |        Der Person-Wert, der sich in der Selbstbildung ihrer Produkte und damit im Aufbau jenes geistigen Personkreises offenbart, gibt einem Menschenleben das Entscheidende. Auf diesen Person-Wert oder den persönlichen Eigenschaften und Werten des Beurteilens und Tuns baut sich die Betätigung aller der Person unterstehenden Funktionen auf.

2448 |        Für gewöhnlich kann der Mensch kaum mehr von seinem Person-Rahmen heraus, den er sich selbst geformt hat und der ihm wie zu seiner persönlichen Eigenheit und zu einem Kennzeichen seiner geistigen Individualität geworden ist. Ebenso wenig kann eine Person in den Person-Rahmen einer anderen Person eindringen, weil dieser zu ihrer individuellen Eigenheit geworden ist. Die Individualität unterscheidet und trennt den einzelnen Menschen von jedem ähnlich angelegten Person-Rahmen der alle Eigenheiten einer Person einschließt. An sich bildet jede Person ihre individuelle Eigenart aus, sei es als erblich veranlagtes Gut, sei es als selbst gebildetes unerworbenes Gut.

2449 |        Jeder Mensch ist als Individuum ein in sich unwiederholbares Ganzes, das einer Ergänzung oder Abänderung weder bedarf noch sie geschehen lassen kann. Der Rahmen der Individualität bildet nämlich für die eigene Person selbst ein unüberbrückbares Ganzes, das grundgelegt ist schon mit der Eigenheit der Person selbst und das sich, der Person selbst unbewusst, weiter ausgebildet hat durch die selbsteigenen, der Eigenart der Person entsprechenden, aber doch freien Taten und Funktionen. In diesem Sinne ist der Mensch nicht Herr seiner Person, sondern er untersteht einem Gesetz, das der Schöpfer der Menschheit selbst in ihm grundgelegt hat und worauf sich das Mensch-sein als selbst verantwortliches Erzeugnis gründet und stützt.

 

II. Das Bewusstsein des Gottmenschen

2450 |        Im Augenblick der Menschwerdung nahm die göttliche Person des Wortes die schon in der Seele vorbereiteten „Bewusstwerdenskräfte“ in sich auf und mittels dieser in der Seele gegebenen Fähigkeiten „erfuhr sich die göttliche Person als Mensch“. – Diese Bewusstwerdenskräfte, denen einer gewöhnlichen Seele ähnlich, waren für den allerhöchsten Zweck entsprechend verfeinert und vergeistigt, um dem göttlichen Träger dieser Kräfte angemessen dienstbar sein zu können. Da aber die Seele Jesu als reine Paradiesesseele deren fein angelegte Geistigkeit besaß, so hatte sie kraft der Einwirkung der göttlichen Person sogleich ihr „Daseinsbewusstsein“ erlangt (was beim gewöhnlichen Menschen erst mit dem Erwachen der Personkräfte und deren Funktionen möglich ist) und sie konnte sich im Augenblick ihrer Verbindung mit der göttlichen Person als Erleberin göttlicher Funktionen erfassen. – Und die göttliche Person sah sich in das Menschsein versetzt und erlebte sich als Mensch, und zwar im ersten Anfang des Menschseins im Schoße Mariens. Dieses Erlebnis bedeutete [–] vermöge der seelischen Bewusstwerdenskräfte [–] eine Umänderung der göttlichen Funktionen1022 der Person selbst,1023 bedeutete den Anfang der Hingabe an die Auswirkungen einer für sie geschaffenen und vorbereiteten Menschenseele. Jesus gab sich diesen Auswirkungen seiner menschlichen Seele hin durch einen Akt seines göttlichen Willens, durch den er sich1024 als Erlöser der Menschheit bestimmte und zu dessen Ausführung er sich einer Menschenseele bediente. Wie den Auswirkungen der Seele, so überließ er sich auch den Anforderungen eines menschlichen Leibes und so wurde er einer aus uns, nur die Sünde ausgenommen.

2451 |        Mit dem Akt, durch den der Erlöser sich in seiner Menschwerdung den Anforderungen seiner Seele hingab, unterstellte er sich auch den Gesetzen und Eigenheiten des Wachstums und der Entwicklung seiner Seele und seines Leibes. – Die erste Funktion der göttlichen Person des Gottmenschen war das göttliche Bewusstsein seines Bestehens als Mensch mit den für seine Person vorbereiteten Kräften und Fähigkeiten, denen er sich ganz und freiwillig überließ. Christus als Gott bestand als Mensch mittels menschlicher Kräfte! Die Fähigkeiten der Seele Christi bildeten den Menschen und [sie] lebten die göttliche Person als ihre Person. Das Wachstum der hl. Menschheit ließ diese ihre Kräfte in immer größerer Intensität und Auswirkung der göttlichen Person einwohnen; dies zwar nicht in dem Sinne, als wären die menschlichen Kräfte in der Menschwerdung weniger dienstbar als später der göttlichen Person des Wortes zur Verfügung gestanden, aber insofern als entsprechend dem Wachstum und der Entwicklung der hl. Menschheit die Seele Jesu in immer größerem Umfang das Ihrige „mitgab“ zum Leben Jesu und seinem Erlöserleben entsprechend der immer stärker sich auswirkenden Erlöseraufgabe dienstbar war.

2452 |        Die Seele Jesu wurde in erster Linie als Leidenswerkzeug für die göttliche Person beansprucht und auch dies entsprechend der wachsenden Entwicklung der hl. Menschheit. Mit dem, mittels der Seelenkräfte sofort vorhandenen göttlichen1025 Bewusstsein des Menschseins war die Seele auch schon das Werkzeug der Leiden für die göttliche Person. Jesus litt, und erlitt sein Menschsein mittels der Seele. Mit dem Bewusstwerden durch die entsprechenden Fähigkeiten der Seele nahm die göttliche Person zugleich1026 auch die seelische Empfindungsmöglichkeit in sich auf. – Gottes Wesen bedarf keines Empfindungsvermögens, denn Gott IST, und damit ist sein Sein vollendet. Um aber Mensch zu sein, muss man das fühlen und sich in diese Eigenheit versetzt erleben. Zu diesem Zweck hat die Seele ein selbstiges Reflexvermögen, das sie im Dienste der Person selbst ausübt und mittels dessen sich die Person von dienenden Kräften umgeben „fühlt“. Auch die göttliche Person des Gottmenschen „fühlte“ sich – im Gegensatz zur reingeistigen göttlichen Person – mittels jener sie umgebenden menschlichen Kräfte als Mensch mit allen entsprechenden Bedürfnissen. Das „Empfinden oder Gefühl“ ist an sich etwas Geistiges, aber als etwas der physischen menschlichen Natur Notwendiges wird es zum psycho-physischen Naturantrieb. Und Christus gab sich diesem psycho-physischen Naturantrieb hin; seine wahre funktionierende göttliche Person nahm mit dem Bewusstwerden als Mensch auch jenen Naturantrieb in sich auf. Somit wurden die menschlichen Lebensbedürfnisse zugleich Bedürfnisse seiner göttlichen Person. Sein volles Bewusstsein schon im Mutterschoße Mariens ließ auch jene Bedürfnisse schon der göttlichen Person bewusst werden. Diese menschlichen Lebensbedürfnisse bedeuteten für die göttliche Person eine Verdemütigung, eine Abhängigkeit von Verhältnissen, an die sich das ewige Wort infolge der Menschwerdung freiwillig und aus Liebe gebunden hat.

2453 |        Mit dem Empfindungsvermögen der menschlichen Seele sind auch die Lebensbedingungen verbunden. Die menschlichen Lebensbedingungen waren nun zu Daseinsbedingungen für die göttliche Person selbst geworden. Infolgedessen „fühlte“ diese nun Hunger und Durst, Hitze und Kälte und es war der göttlichen Person nun eigen, in allem von seiner Mutter abhängig zu werden. – Gewiss hat Jesus durch einen besonderen Akt seines Willens sich ein für alle Mal den menschlichen Lebensbedürfnissen überantwortet, aber als wahrer Mensch war er ebenso den augenblicklichen Bedürfnissen hingegeben und er fühlte sich immerwährend durch ein an sich der göttlichen Natur seiner Person widersprechendes Gesetz gebunden, dessen Auswirkung an sich gegen die Würde seiner göttlichen Person war. Mit der Menschwerdung hatte die göttliche Person ihre Würde nicht abgelegt; das Bewusstsein, „Gott“ zu sein, blieb wesentlich auch nach seiner Menschwerdung vorhanden. So bestanden in Jesus gleichsam zwei Lebensgesetze, das göttliche und das menschliche, deren beide ihre Rechte aufrecht hielten. So war in ihm der immer wirksam bleibende Widerstreit zweier Gegensätze: Als Gott blieb es dem Wesen Jesu eigen, Gott zu sein, als Mensch war es ihm eigen, von den menschlichen Lebensbedingungen abhängig zu sein. Christus verband aber diese Gegensätze von voller Harmonie, indem seine göttliche Person die Auswirkungen dieses Widerstreites aus Liebe auf sich nahm. Da sein Leben ein wahres Menschenleben war, hatten jene Gegensätze immerwährend ihre Rückwirkung auf die göttliche Person als die Trägerin dieses Menschenlebens und diese wurde zur Trägerin jenes Widerstreites.

2454 |        Der „Akt“ des Bewusstwerdens des Menschseins vonseiten der göttlichen Person des Wortes war entsprechend der Art der Person selbst. Diese behielt ja in der Menschwerdung ihre göttlich-persönlichen Eigenheiten bei, und ihr Grundprinzip war das göttliche Wesen des „actus purus“. Entsprechend dieser göttlichen Wesenheit gestaltete sich auch der Akt des Bewusstwerdens des Menschseins, und auch das gesamte Seelenleben und Menschsein Jesu wirkte sich entsprechend dieser wesentlichen göttlichen Vollkommenheit aus, denn das Wesen des „actus purus“ übte seine Art und Eigenheit auf die Kräfte der Seele Christi aus.

2455 |        Es bestand eine Artverschiedenheit der beiden Naturen in Christus. Jede der beiden Naturen sollte ihre eigene Wirksamkeit beibehalten und doch bildete der Akt der Menschwerdung eine volle Harmonie der beiden verschiedenen Naturen aus. – Die Möglichkeit dieser Harmonie lag begründet in der besonderen Vollkommenheit der Seele Christi. Diese hatte jene verfeinerten Anlagen, durch die es ihr möglich war, das Wesen der göttlichen Person und ihrer unveränderlichen Vollkommenheiten voll in sich aufzunehmen und der göttlichen Person entsprechend dienstbar zu sein. Sie trug in sich alle vollendeten Vollkommenheitsmöglichkeiten gegenüber den aufzunehmenden wesentlichen Vollkommenheiten der göttlichen Person.

2456 |        Die vollendete Einfachheit der Veranlagung der Seele Jesu war das Grundlegende ihrer Verfassung und Vorbereitung für die Unmittelbarkeit des göttlichen Wesens des „actus purus“. – Die Seele Jesu hatte im höchsten Maße jene Einfachheit und jene Art der Vergeistigung, wie sie die erstgeschaffene Seele im Paradies hatte, der infolge jenes gottgeschenkten Gnadengutes der Einfachheit und Vergeistigung gleichsam ein „ebener Weg“ hin zum Schöpfer-Gott, eine gewisse Unmittelbarkeit ihm gegenüber und ein intimer paradiesischer Verkehr mit ihm möglich war. – Gewiss ist die Seele immer „geistig“ und all ihre Fähigkeiten sind geistig und geistfähig. Aber es liegt doch ein großer Unterschied zwischen Geist und Geistigkeit und die einzelnen Fähigkeiten einer Seele können mehr oder weniger dem göttlichen Geiste angepasst oder „gott-fähig“ sein.

 

III. Die Gottfähigkeit der Seele im Allgemeinen

2457 |        Die „Gottfähigkeit“ einer Seele bedeutet im Grunde ihre letzte und höchste Verkehrsmöglichkeit mit ihm. – Es gibt eine geschaffene und eine erworbene Gottfähigkeit der Seele.

2458 |        Die geschaffene Gottfähigkeit ist zunächst beschränkt auf das Leben und Dasein der Engel, die infolge ihrer Reingeistigkeit das Wesen Gottes unmittelbar erfassen können, zu dessen Dienst sie bestimmt sind. – Auch die Seelen der ersten Menschen hatten vom Schöpfer eine grundlegende, geschaffene Gottfähigkeit bekommen; denn so wollte es der Schöpfer: Sich Wesen schaffen, die seiner fähig waren, fähig ihn zu erfahren, und denen er nach dem Plan seiner unendlichen Liebe sich mitteilen könne.

2459 |        Auch die Seele Mariens war von ihrem ersten Augenblick an „gottfähig“. Maria trug ja vom ersten Anfang an jene allerhöchste Auserwählung in sich, die sie mit dem ewigen Wort Gottes so verbinden sollte, dass sie ihm ihr eigenes Leben als das Seine mitteilen konnte. Dies zu können oder diese Lebensmitteilung Mariens an das göttliche Wort war im tiefsten psychologischen Sinne das große Geheimnis ihres Zustandes der geschaffenen Gottfähigkeit. Maria war durchlebt vom Geiste Gottes und sie allein hatte den Vorzug, Gottes Leben – so wie wir wissen – in sich tragen zu können. Zudem war ihre Seele und ihre Menschheit ein makelloser Spiegel Gottes, in dem Gott-Sohn selbst sich in seiner Menschheit gebildet hat. – Die Anlage ihrer Seele entsprach von Anfang an dieser ihrer höchsten Bestimmung, wonach sie fähig sein sollte, Mutter-Gottes zu werden. Aber Maria erhöhte auch noch ständig durch persönliches Bemühen und Vollkommenheitsstreben diese in ihrer Seele schon vorhandene Anlage, die bei ihrer Erschaffung schon in ihr ein Zustand war. So vereinigte Maria in sich die geschaffene und die erworbene Gottfähigkeit.

2460 |        Die gefallene, und mit den Folgen der Erbsünde belastete Menschenseele hat im tiefsten Grunde auch jene gottgeschaffene Gottfähigkeit behalten. Auch die Seele des Heiden und des Ungetauften und selbst die des größten Sünders hat noch als gottgeschenkte Möglichkeit und Anlage jene grundsätzliche Gottfähigkeit. Es ist die unendliche Liebe Gottes, die alle Menschen als Gottes-Kinder gedacht und mit dieser Bestimmung erschaffen hat. Jeder Mensch trägt darum in sich, ob er es selbst will oder nicht, die Möglichkeit, kraft der Anlage, mit der Gottes Schöpferliebe ihm zuvorkam, „Gott sich zum Freunde zu machen“ bzw. seine eigene Seele für Gottes Freundschaft empor zu bilden.

2461 |        Darüber hinaus setzt die erworbene Gottfähigkeit im jetzigen Zustande für den Menschen zunächst die Überwindung der Sünde selbst, dann der Anlage und Wurzel zur Sünde und schließlich noch die Überwindung der erbsündlichen Unordnung, d. h. den Ausgleich jenes Zwiespaltes, den die Sünde selbst in der Seele verursacht hat und unter dem wir alle leiden, voraus. Erst die Überwindung dieses Zwiespaltes – was das ideale Ziel ist – macht die volle Harmonie in der Seele möglich und macht das ungeordnete, auseinanderstrebende Begehren der Seele zu einem einzigen Begehren, einzig auf Gott gerichtet, in dem allein es ihr letztes Ziel und ihre Befriedigung sucht und findet.

2462 |        Dieses hohe Ziel der Überwindung des mit dem Sündenfall gegebenen inneren Zwiespaltes bedingt aber eine tiefe psychologische Umstellung der Gesamtanlagen der Seele, die von den Folgen der Erbsünde getroffen sind. Selbstverständlich ist ein solcher völliger Umbruch in den Anlagen der Seele nur mit Gottes besonderer Gnade möglich, aber dieser völlige Umbruch führt dann die Seele wieder wie naturgegeben zu Gott und zu hoher und sich immer steigender Gottfähigkeit. Die Überwindung der tiefsten Folgen der Erbsünde mündet wieder ein in eine volle Harmonie mit Gottes Wesen und führt gleichsam wieder auf eine „Ebene zu Gott hinüber“, ob diese nun schon hienieden erlebnismäßig erfahren wird, oder ob diese höchste Frucht des Bemühens der Seele erst für die Ewigkeit als Gotteserlebnis vorbehalten bleibt. Im Grunde aber ist dies ein Ziel, das Gottes Vaterliebe seinen Kindern als größte Gnade in Aussicht stellt, ein Ziel, das selbst durch den Sündenfall im Paradies im Wesentlichen nichts an Größe verloren hat. Es liegt nur am Einzelnen, auf diese Absichten und Wege der unendlichen Liebe Gottes einzugehen und das Leben in diesem Sinne auszurichten.

2463 |        Die erwähnte „Ebene zu Gott hinüber“ schließt verschiedene weitere Stufen in sich, die wiederum – ob nun erfahrungsmäßig oder im Glauben verborgen – die Seele immer mehr ihr Ziel ganz in Gott finden lassen, wobei erst in der Ewigkeit die volle Auswirkung der hier schon erlangten Gottesnähe verkostet werden wird. Und gerade diese letzte Bereitung einer Seele für Gott schließt in sich jene feine Vergeistigung, die – vielleicht schon hier oder erst recht drüben – Gottes Wesen selbst in einer mehr oder weniger tiefen Wirklichkeit erfahren lässt.

2464 |        Unter den verschiedenen in unserer Seele schlummernden Möglichkeiten und Anlagen ist die tiefste und vornehmste jene: „Gottes Wesen zu erfahren“, sich dieses höchste Wesen in möglichst hohem Sinn und Maß anzueignen, sich mit ihm zu vereinigen. Diese Vereinigung kann sich aber nur vollziehen mittels einer gewissen Angleichung und sozusagen „Gleichschaltung“ der Seele zu Gott. – Mit Gottes Gnade und Liebe verbunden sein, das steht tiefer und bedeutet weniger als dies: Gottes Wesen in sich, seine Substanz selbst erfahren zu können bzw. diese Fähigkeit der Seele sich zu erwerben. Dazu gehört vorerst dies: Die Art Gottes (nicht die wesentliche) in der Seele herzustellen und nachzubilden.

2465 |        Die Seele trägt in sich geschaffene, geistige „Gefühlsmöglichkeiten“ oder Kräfte, die – unter entsprechenden Voraussetzungen – Gott zu erfassen und zu erfahren vermögen. Beim groben, sinnhaften Menschen, auch wenn er im Stande der Freundschaft Gottes lebt, sind diese höchsten Kräfte der Seele nicht „freigelegt“ und darum ist er auch nicht vorbereitet für ein etwaiges Erfahren Gottes und tatsächlich ist er dazu nicht fähig. Es sollte aber schon in diesem Leben das Hauptziel der Seele sein, diese hohen Fähigkeiten für das Erfahren Gottes zu bereiten, denn damit bereitet sich zugleich auch der Grad des Schauens Gottes in der Ewigkeit vor. Gewiss schauen alle Seelen im Himmel Gott, aber dieses Schauen richtet sich nach der Vorbereitung, die sich die Seele dafür hienieden angedeihen ließ, und nach dem Maße, in dem sie hier auf Erden wirklich „gottfähig“ geworden ist. Und was der Mensch von sich selbst aus nicht kann, das vermag Gottes Eingreifen in der Seele zu schaffen. Durch passive Läuterungen bringt er in der Seele einen Zustand hervor, in dem die tiefsten, verborgensten Kräfte geweckt, geläutert, veredelt, zum letzten Zweck geformt und dementsprechend vergeistigt werden.

2466 |        Diese „Vergeistigung“ der höheren Seelenkräfte besagt vor allem – wie ich es aus eigener, langer Erfahrung bestätigen muss – eine gewisse „Abhebung“ von der Materie des Leibes, von der die Seele getragen wird. Diese „Abhebung“ gibt der Seele wieder ihre einst von Gott geschaffene „Leichtigkeit“, die im Paradies verloren ging durch die erste Inanspruchnahme der Seele für die Sünde, wodurch „die Seele unter das Gesetz der Materie gefallen ist“. – Wenn die Seele durch die Übungen der Aszese und Buße und durch die von Gott herbeigeführten passiven Reinigungen und Leiden verschiedener Art gleichsam „freigelegt“ ist von den Hemmungen der Materie, so erfährt sie in all ihren Fähigkeiten eine Veredelung und Vergeistigung: Sie wird sich unmittelbar ihres Bestandes in sich selbst bewusst, während sie vorher sich ihrer nur mittelbar, nämlich als das Belebende des Leibes, bewusst war. Diese Vergeistigung macht die Seele ferner „gefühlig“ (in einer geistigen, nicht in einer sinnlichen, materiellen Art); sie wird sich ihrer tieferen, in ihr bis dahin schlummernden Kräfte bewusst; sie erhebt sich kraft ihrer geistigen Gefühlstätigkeit über das Element der Materie, das ihr die irdische Daseinsmöglichkeit bietet.

2467 |        Aber die Wirkung dieser Vergeistigung beschränkt sich nicht auf die Seele allein. – Und auch hier wie im Folgenden muss ich wohl oder übel wieder die eigene Erfahrung beschreiben oder andeuten. – Weil die Seele das Leben des Leibes bleibt, so ist die besagte psychologische Umstellung ihres Wesens nicht ohne Folgen und Wirkungen auch auf das physische Leben. Dieses wird vielmehr von der Seele ständig sozusagen „mitgenommen“ zu den Übungen ihres eigenen Lebens und so wird auch das leibliche Element in immer höheren Weise dienstbar dem Gesetze, von dem es belebt und getragen wird. In diesem Sinne kann man auch von einer gewissen „Vergeistigung des Leibes“ sprechen, insofern die physischen Kräfte immer unmittelbar in den Dienst der Seele gestellt und von dieser ständig „mitgenommen“ werden.

2468 |        Die Unmittelbarkeit des Dienstes zweier verschiedener Kräftemöglichkeiten und Kräftegruppen im Menschen, der geistigen und der körperlichen, formt sich nach und nach wie zu einer einzigen, indem die eine gleichsam in die andere eingefasst wird. Dadurch wird jene letzte und höchste Harmonie im Menschen möglich, die im Grunde ein „Leben des Geistes“ ist. Die Materie wird durch viele und lange Übung umgeformt, wird hineingehoben in ihr wahres Leben, wird tatsächlich zu einem Leben nach der Art des Bestandes der Seele geformt und trägt nach und nach den Stempel des Geistes an sich; dieses „Leben im Geiste der Seele“ wird geformt mittels des selbstigen psycho-physischen Lebensantriebes im Menschen, d. h. mittels der Person selbst.

2469 |        So ergibt sich nach und nach jene wunderbare Einheit wieder, die Gottes Absicht war bei der Erschaffung des Menschen, jene volle Harmonie zwischen zwei verschiedenen Kräftegruppen, des Geistes und der Materie. Diese Harmonie beider bildet die Seele vollständig um, d. h., das Leben dieses Menschen beginnt in sich selbst wert zu haben durch die Freilegung seiner vornehmsten und höchsten Seelenfähigkeiten.

2470 |        Die geistige „Gefühligkeit“ der Seele zu Gott und Gott gegenüber hat als tiefsten Zweck, das Wesen Gottes auskosten zu können bzw. seinem Wesen immer mehr angepasst zu werden; und diese Anpassung an Gott setzt voraus, dass man Gott nach der Art seines Wesens erleben kann. Da aber die Seele im tiefsten Grunde „für Gott geschaffen ist“, wird auch ihr Endzweck damit erfüllt, dass sie „für Gottes Wesen aufnahmefähig“ wird.

2471 |        Diese Aufnahmefähigkeit für Gott bedeutet also für die Seele ihre volle Entfaltung hinsichtlich ihres vom Schöpfer ihr gesteckten Zieles. Gewiss kann auch die höchst entfaltete Seele niemals Gottes Wesen nach dem Maße seines göttlichen Seins und seiner Substanz in sich aufnehmen oder erfassen und erfahren – denn Gott ist der Ungeschaffene, der Seiende und kann niemals vom Geschaffenen, Endlichen völlig durchdrungen und erfasst werden – aber vermöge ihrer Anlage der Geistigkeit, kann die Seele in etwa das Wesen Gottes in sich aufnehmen, kann sie dem Wesen Gottes gleichsam entgegenkommen dadurch, dass ihre Geistesfähigkeiten für Gottes Wesen „gefühlig“ und ihm in einer ganz intimen Form dienstbar gemacht werden. – Auf hohen Vereinigungsstufen erfährt dann die Seele gleichsam das Zentrum oder die Substanz Gottes; sie wird dadurch ihrer nun schon erworbenen Fähigkeiten inne, kraft derer sie „sein Wesen in sich erfasst“, und sie fühlt ihre eigenen Kräfte gleichsam der Substanz Gottes einfließen.

2472 |        Von diesen Vereinigungsstufen aus erlebt die Seele – scheinbar gleichsam wieder abwärtssteigend – noch eine merkliche Vereinfachung. Was ihr früher „hoch und allerhöchst“ war oder schien, das wird für sie nun wie natürlich, wie naturgegeben und selbstverständlich. Die Seele tritt zurück zu jenem Stadium, das zu einem „Dienste Gottes“ oder Dienst in Gott wird: Das Leben, Sein und Dasein der Seele selbst beginnt die Form dieses Dienstes in Gott anzunehmen. Es scheint dies zunächst ein „Rückgang“ zu sein, aber es ist doch ein immerwährender Fortschritt. Die Seele bleibt zwar in den schon erreichten, wesentlichen Vereinigungsstufen, aber es erfolgt eine Befestigung darin in dem Sinne, dass die Seele im Grunde diese wesentliche Vereinigung bewahrt, wenn sie dieselbe auch nicht mehr erlebnismäßig ausübt. Diese Art des Einlebens1027 in Gott und des Angepasst-seins an Gott wird der Seele zur ständigen Übung, zum täglichen Leben, ohne dass sie sich dessen, wie früher erfahrungsgemäß bewusst zu werden braucht. In Wirklichkeit besteht kein wesentlicher Unterschied, ob Gott von der Seele erfahren wird oder nicht; die Vereinigung liegt im Wesen der Seele selbst und wirkt sich vor allem in ihren Taten und in ihrem Leben aus.

 

IV. Die besondere Gottfähigkeit der Seele Jesu

2473 |        Eine Seele mit der höchsten geschaffenen Form der Gottfähigkeit war die Seele Jesu. Das, was sonst die „erworbene Gottfähigkeit“ geben und bedeuten kann, das hatte die Seele Jesu in einer noch überschwänglicheren Fülle an geschaffenen Vorzügen in sich bereitet.

2474 |        Diese Bereitung und Ausstattung der Seele Jesu war ein Werk der Liebe des Vaters und des Heiligen Geistes. In Christus sollte sich Gottes unendliche Liebe sichtbar offenbaren, menschlich lebensfähig, gelebt, ja leidend bekräftigt werden und diesem allerhöchsten Zweck entsprechend war die Seele Jesu ausgestattet. – Ihre höchste Einfachheit bildete ihr „eine Ebene zu Gott“, einen geschaffenen Weg, den Gott benützte, um sein unendliches Wesen gleichsam zu übertragen. Und dieser Akt der Übertragung geschah in Wirklichkeit in der Menschwerdung des göttlichen Wortes selbst.

2475 |        Das Wesen Gottes und das der göttlichen Person änderten sich in der Menschwerdung nicht. Er blieb, der er war und ist, aber die Seele Jesu hatte die Fähigkeit, das „Sein Gottes“ aufzunehmen, ohne dass dessen wesentliche Vollkommenheit eine Abschwächung erlitten hätte. Der Einfachheit der Seele Jesu war das Sein Gottes gegenübergestellt, aber „die Linie“ nahm den Punkt „auf“, d. h., die Seele war fähig, dem Wesen des „Seienden“ dienstbar zu sein und das psycho-physische Dasein entsprechend der Art des Seienden zu formen. In dieser Tatsache liegt das große Geheimnis der Unmittelbarkeit der Seele Jesu gegenüber dem Wesen Gottes: Ihre Fähigkeiten waren der Person des ewigen Wortes in jener Art der Unmittelbarkeit dienstbar, wie sie dem Wesen des Seinszustandes der göttlichen Person entspricht.

2476 |        Die Seele Jesu, so überreich an Vorzügen ausgestattet, war aber insofern „etwas Werdendes“ – wie jede andere Menschenseele – als sie sich ganz der körperlichen Entwicklung Jesu anpasste. Man kann in Wahrheit sagen: Die Seele Jesu wuchs mit dem Leibe. Und entsprechend vollzog und steigerte sich auch in gewissem Sinne ihre Dienstbarkeit gegenüber der göttlichen Person; denn die Seele Jesu war trotz der hohen, in ihr schlummernden Vorzüge einer „Entwicklung“ fähig. Es gehörte zur unendlichen Liebe des Erlösers, dass Jesus sich dem werdenden Menschenleben in jeder Weise anpasste1028, wie er sich durch den Akt des Bewusstwerdens als Mensch in seiner Menschwerdung, ganz dem Gesetz der Menschheit überantwortet hatte. So erlebte sich die göttliche Person in allen Stadien des Menschseins, angefangen vom Kindsein mit seinen Freuden und mit seinen Leiden.

2477 |        Es bleibt ein vom Schöpfer gegebenes Gesetz: Alles Geschaffene „wird“, ist einer Entwicklung fähig und einer Entwicklung unterworfen, während Gott allein „ist“. Und mit dem Sein Gottes sind mit und nach seinem Willen auch seine „Werke“ gegeben, jene nach außen sowohl wie jene im innergöttlichen Wesen Gottes. Gott ist ja „reiner Akt“, wirkliche Tat, ohne dass er sich vorbereiten müsste, seine Taten auszuführen. Er ist zugleich Akt des Wollens und Tat. – Mit dieser wesentlichen göttlichen1029 Vollkommenheit des „actus purus“ lebte die göttliche Person des Wortes auch ihre menschliche Natur ein. Hier liegt das tiefste, für menschlichen Sinn unausdrückbare1030 Geheimnis in der Seele Jesu verborgen, das Geheimnis dieser Verbindung und das Zusammenwirken von Göttlichem und Menschlichem. Der Bewusstseinsakt der göttlichen Person war ein ständig unmittelbarer Akt, weil Jesus als wahre Person sich im immerwährenden Bewusstwerdensakt bewegte (wie dies auch bei einer menschlichen Person der Fall ist). In dieser Bewegung war er vom Anfang seiner Menschwerdung an „der, der nun Mensch war“, als Person ganz den Bedürfnissen seiner Seele hingegeben und überantwortet.

2478 |        Die Seele Jesu nahm die wesenhaft unmittelbaren göttlichen „Bewegungen“ zwar in sich auf, aber doch als geschaffenes und damit beschränktes Wesen, das niemals der wesentlichen göttlichen Unmittelbarkeit des göttlichen „actus purus“ fähig sein konnte, d. h., niemals fähig, jenen Akt in gleicher göttlicher Art psychologisch weiterzuleiten (andernfalls hätte entweder die Seele Jesu selbst Gott sein müssen oder die göttliche Unmittelbarkeit hätte die menschliche Natur geradezu erdrückt). – Gewiss war die Seele des Gottmenschen als sein wirkliches Lebenswerkzeug höchster geistiger Unmittelbarkeit fähig, aber doch niemals wahrhaft göttlicher Unmittelbarkeit, d. h., nicht jener, um die göttlichen Eindrücke auch in göttlicher Weise und Unmittelbarkeit zu verarbeiten. Ihre Höchstleistung war, dass sie Gottes Wesen und Vollkommenheiten unmittelbar in sich aufnehmen konnte.

2479 |        Durch das Aufnehmen des Bewusstwerdens als Mensch sah sich die göttliche Person in eine – von der Art des göttlichen Seins so verschiedene – Art des an sich beschränkten Seins gestellt, was augenblicklich eine entsprechende Rückwirkung auf die göttliche Person selbst auslösen musste, nämlich die, dass sich die göttliche Person „als Mensch fühlte“. Sie war Mensch geworden und damit einem anderen Gesetz überantwortet als jenem, das in seiner göttlichen Natur lag.

2480 |        Dieses Sich-bewusstwerden der göttlichen Person „als Mensch“ hatte aber nicht in dem Sinne etwas Widerspruchsvolles für Christus an sich, als ob eine volle Harmonie zwischen dem Göttlichen und Menschlichen für die göttliche Person selbst etwas Widerstrebendes gewesen wäre. Jesus hatte sich vielmehr freiwillig und aus Liebe dem „Menschsein“ überantwortet und dies mit voller Harmonie infolge seiner göttlich-sittlichen Vollkommenheitshöhe (eine Disharmonie des sittlichen Widerstrebens wäre eine sittliche Schwäche und ein unerträglicher Mangel im Gott-Menschentum Christi gewesen). Der Gegensatz, dem sich die göttliche Person „als Mensch“ gegenübergestellt sah, war vielmehr die objektive Wirklichkeit und Tatsache des unendlichen Abstandes zwischen Göttlichem und Geschaffenem. – Diese objektive Tatsache hätte für sich allein schon eine Verdemütigung für die göttliche Person sein müssen, selbst wenn es nur beim Akt der Menschwerdung geblieben wäre. Aber die göttliche Person hat sich mit dem Akt der Menschwerdung selbst auch in allem den Gesetzen des Menschseins und der menschlichen Natur untergeordnet und unterworfen. Und sie erfuhr diese göttliche Unterordnung nach dem Gesetze des Menschseins.

2481 |        Obwohl die Seele Jesu von Anfang das volle Bewusstsein einer schon fertigen Person in sich trug, waren ihre Fähigkeiten damit nicht vollendet, sondern sie entfalteten sich entsprechend dem Wachstum ihres Leibes. Die göttliche Person erlebte nun ihre Seele, in die sie gleichsam eingehüllt war, als etwas „Werdendes“, d. h., sie nahm all jene Reflexe in sich auf, welche die „werdende“ Seele ihr schon menschlich erlebnismäßig zuführen konnte und zuführte. Dieses Zuführen mittels der erwachenden Seelenkräfte an die göttliche Person bedeutete ununterbrochene Auswirkungen auf diese Person selbst als die immerwährende bewusste Erleberin eines menschlichen Daseins. Die Wirklichkeit eines menschlichen Daseins trat in voller psychologischer Weise vor das Bewusstsein der Person selbst und machte diese zur Erleberin des Menschseins. Zugleich trat aber auch bei der göttlichen Person das Geheimnis einer „Person“ und ihrer, die menschlichen, ihr zu Gebot stehende Tätigkeit und Kraft und volle Auswirkung,[sic!] und sie antwortete auf die an sie herankommenden Erlebnisse mit einer entsprechenden eigenen Reaktion, die wiederum von der Seele aufgenommen und in ihrer Art – als Gemütsempfindung, Leid oder Freude – gefühlt und empfunden wurde. Diese ständige psychologische Wechselbeziehung bildete das Grundgeheimnis des Menschseins Christi; daran war das ganze Leben Jesu gebunden und in diesem Sinne ist er „uns gleich geworden“ und erfuhr er, ähnlich wie wir, die Armseligkeiten und Mängel eines menschlichen Lebens.

2482 |        Damit war aber das göttliche Wesen des „Actus purus“ im eigentlichen Sinne dem Gesetz einer, wenn auch höchst vergeistigten Seele überantwortet.

2483 |        Ihre höchste Vergeistigung verlieh der Seele Jesu wohl höchstmögliche Unmittelbarkeit in all ihren Funktionen, aber es blieben doch wahre menschliche, den unseren ähnliche Funktionen, denn die Seele Jesu hatte nicht die göttliche Unmittelbarkeit. – Wohl fühlte sich Jesus nicht beschränkt durch die Enge des menschlichen Verstandes, denn ihm stand jederzeit das göttliche Wissen zur Verfügung, aber er hat sich für gewöhnlich auch den Grenzen seines menschlichen Verstandes untergeordnet und ließ sich z. B. als Kind in allem von seiner hl. Mutter unterweisen. Sein menschlicher Verstand entwickelte sich in ähnlicher Weise wie der eines gewöhnlichen Kindes, wenn auch bei seiner höchst veranlagten Seele eine gewisse Frühreife der Intelligenz vorauszusetzen ist. – Mit dieser Entwicklung war aber die Erlebnismöglichkeit der göttlichen Person als Mensch in keiner Weise eingeschränkt, denn in der Entwicklungszeit des Kindesalters vollzog sich das psychologische Erleben Jesu durch die Substanz seiner Seele selbst, solange bis die Fähigkeiten der Seele vollends entfaltet und ausgebildet waren.

 

25.01.1944

Persönliche Erfahrungen über die Vergeistigung der Seele

2484 |        Nach meinen eigenen Erfahrungen bewegt sich auf den höheren Stufen des Seelenlebens, bzw., der mystischen Gnadenwege, der Verkehr mit Gott in einer unmittelbaren Weise durch das Wesen der Seele selbst, durch die Substanz der Seele. Ich bin dessen besonders in den letzten Jahren innegeworden.

2485 |        Schon das mystische, erfahrungsgemäße Erfassen Gottes (das mystische Erfahren) ist ein unmittelbarer Vorgang in der Seele selbst. Während man sonst, auch in den innigsten (nicht mystischen) Verkehr mit Jesus, die Fähigkeiten der Seele doch irgendwie tätig fühlt, hat es bei einer mystischen Erhebung den Anschein, als „stehen alle Seelenfähigkeiten still“ und als sei in diesem Augenblick der Verstand und das Denkvermögen gleichsam ausgeschaltet. Es sind aber diesbezüglich viele Stufen und große Unterschiede zu verzeichnen. Der Grad der Tiefe, in der die Seele zu Gott, bzw. zu Jesus mitgenommen wird, bestimmt auch die jeweilige Ausschaltung oder Mittätigkeit der Seelenfähigkeiten in den mystischen Gnadenzeiten. So ist zu unterscheiden zwischen ekstaseartigem Mitgenommenwerden und zwischen erlebter Vereinigung mit dem Heiland oder gewöhnlicher Beschauung – die, nach meinem Erfahren, immer auch das Erleben der Vereinigung mit Gott in sich schließt. Bei den tiefer liegenden mystischen Gnaden spürt man noch ein „Geführtwerden mittels der erlebten Seelenfähigkeiten“; der Verstand ist mittels einer erfahrenen Vereinigung angeregt, Gottes Wesen bzw. ihn in seinen Vollkommenheiten auszukosten und bei den Geheimnissen Jesu sich in ihm zu ergehen. Es sind dann aber immer rein geistige Bewegungen, ohne Fantasiebetätigung, denn man erfährt in dieser Zeit einer mystischen Erhebung ein Aussetzen gewisser Weiterleitung an die Fantasie notwendiger Bedingungen und Voraussetzungen. Jenes Erfahren Gottes ist etwas „Gegebenes“ und es hört jede „Bemühung“ auf. – Gewiss kann ein passives Hinstreben zu Jesus vorausgehen, nämlich – nach meinem Erleben – eine peinliche innere Verdemütigung mit intensivem Willen, sich in Gott zu vervollkommnen. Dieser vorausgehende Akt ist zugleich aktiv und passiv, während in der Zeit der mystischen Vereinigung selbst die Seele sich passiv verhält oder dazu veranlasst wird.

2486 |        Mit der fortschreitenden Vergeistigung der Seele erfährt auch das mystische Erfassen Gottes eine „Vergeistigung“. Man kann den Unterschied selbst feststellen und beobachten. Der „Weg bis zu Gott“ scheint kürzer zu werden, weil die Seele ihm in vielem ähnlicher wird und dementsprechend auch die erlebte Vereinigung mit ihm sich gestaltet. Jedenfalls ist die passiv sich entwickelte Vergeistigung das Art-Maß, nach dem Jesus sich der Seele mitteilt.

2487 |        In den letzten Zeiten habe ich hierin merkwürdige Erfahrungen gemacht. Mein ganzes geistiges Leben und Sein scheint sich nun „außerhalb“ der Seelenfähigkeiten (des Verstandes, des Denkvermögens usw.) zu gestalten; es geht durch das Zentrum meines Seins selbst, durch das tiefste Wesen der Seele, durch ihre Substanz selbst. Mein Bemühen, etwas zu wissen oder zu denken scheint mir nun sozusagen „durch das Herz“, durch das Zentrum meines Lebens, zu gehen und nicht mehr wie früher „durch den Kopf“. – Diese Tatsache scheint mit der Vorbereitung auf meine geistige Aufgabe zusammenzuhängen. Im Grunde ist es die Auswirkung einer in mir hergestellten passiven Unmittelbarkeit des Geistes, der all meine Seelenfunktionen überantwortet sind. Damit ist ein merkwürdiges Geheimnis in mir zur Tatsache geworden: Was ich bin und weiß, das bin und weiß ich durch das Herz und nicht durch den Kopf. Ebenso nehme ich das von außen Eindringende durch das „Zentrum meines Lebens“ auf. Darin scheint sich alles abzuwickeln in einer Einfachheit und Unmittelbarkeit, für die es keinen Ausdruck gibt. Jede Frage erfährt auf diese Weise ihre Antwort, und alles wird auf diese unmittelbare Weise verarbeitet und zugleich für das äußere Tun vorbereitet. – In gleicher Weise gestalten sich die Leiden; es scheint in allem nur das Herz, d. h. der Hauptsitz aller Funktionsmöglichkeiten betroffen zu werden.

2488 |        Gerade in letzter Zeit erlebte ich in dieser Beziehung eine auffallende Veränderung. – Am 20. Januar kam ich in einen weiteren geistigen Erhebungszustand und es ward mir eine bestimmte Gnade sittlicher Befestigung [zuteil], eine Befestigungsgnade in einem erreichten sittlichen Vollkommenheitszustand, der für meine geistige Aufgabe maßgebend und von großer Bedeutung ist, wie ich es aus den Auswirkungen dieser Gnade erfahre. – Damit hat sich mein Gesamtleben durch eine erhöhte Unmittelbarkeit des Geistes verändert. Es scheint nun überhaupt nur ein lebenswichtiger Geistespunkt oder Zentrum zu sein, durch das und in dem sich mein Gesamt-Menschsein konzentriert.

2489 |        Jetzt erkenne ich auch den diesbezüglichen Wert, der diesem Zustand als Vorbereitung vorausgehende Leiden, der durch die göttliche Führung bewirkten Übung in diesem zu erreichenden und nun erreichten Zustand. – Eine Folge dieser erreichten Unmittelbarkeit des Geistes ist auch die neue Art der passiven Leiden, wie sie mir jetzt spürbar sind: In ebensolcher Unmittelbarkeit, wie sie einsetzen, durchdringen sie gleichsam das Zentrum meines Seins. Dabei erfährt man diese passiven Leiden und leidensähnlichen Erlebnisse in ihrer wahren Wirklichkeit, ohne Verminderung und ohne Möglichkeit der Ablenkung oder des Ausweichens, das bei einem „längeren Geistesweg“ sehr leicht möglich, wenn nicht das Gewöhnliche ist.

2490 |        Zugleich bin ich in eine in Worten nicht zu erklärende „Erhabenheit“ versetzt, mit der diese Leiden als wirkliche Tatsache und als etwas Vorhandenes getragen werden. Es wehrt sich nichts mehr in mir gegen die aufsteigenden passiven Leiden, außer in dem Sinne, dass diese Leiden vorhanden sind und der Natur widerstreben. Dabei bleibt in mir aber eine schon vorhandene Gelassenheit des Geistes bestehen, welche die frühere erreichte Gelassenheit weit überschreitet.

2491 |        So ist die erwähnte, letztgegebene Gnade eine allgemeine Vervollkommnung meines Gesamtzustandes und es wurde mir innerlich Folgendes zur Erklärung1031 dieses jetzt erreichten Zustandes gezeigt: Im Grunde handelt es [sich] bei diesem jetzt erreichten Vollkommenheitszustand um einen Habitus übervoll geübter Hingabe an Gott, um eine schon vorhandene Leidensbereitschaft und Leidenskraft in jeder Form, in der das sittliche Widerstreben gegen das Leiden – als sittliche Schwäche – schon überwunden ist. Es bleibt nur das der gefallenen Natur immer anhaftende Widerstreben gegen das Leiden und es bleibt das Leiden selbst.

2492 |        Wie mir aber vielfach durch eigene Erlebnisse auf geistigem, mystischem Gebiete Geheimnisse des Erlöserlebens bzw. der hypostatischen Union begreiflich gemacht werden, so wurde ich auch im Anschluss an die letzten seelischen Erlebnisse und Erfahrungen hingewiesen auf die Tatsache: In Jesus konzentrierte sich das Seelenleben vornehmlich auf die Substanz der Seele selbst. Auch die Fähigkeiten des Bewusstwerdens der Person liegen im Zentrum der Seele selbst und nicht in den Fähigkeiten. In Jesus erfuhren die Fähigkeiten der Seele eine wachstumsähnliche Entwicklung, während jedoch die Substanz der Seele bewusst die göttliche Person trug, d. h., die Seele kam durch die göttliche Person zum Bewusstsein; denn die Seele ohne Person hat überhaupt kein Bewusstsein von sich selbst. Immer ist es die Person, die, mittels der seelischen Bewusstseinskräfte, das Bewusstsein gibt. Um einen Vergleich zu gebrauchen: Es ist immer das Licht selbst, das leuchtet, und nicht der Docht, der brennt und das Licht gibt. – Da also die göttliche Person als die Bewusstseinsgebende die Seele belebte und da somit die Seele in ihrer wesentlichen Substanz Trägerin der göttlichen Person war, so war dadurch die Seele in das göttliche Leben hineingezogen und nahm daran Anteil, ja sie, d. h., ihr Dasein war es, das der göttlichen Person die Möglichkeit verschaffte, wie auf menschliche Art, nämlich mit seelischen Kräften, zu existieren.

 

27.01.1944

Von der Seele im Allgemeinen

2493 |        Die Seele ist eine geistige Substanz, eine Einheit, hat aber verschiedene Fähigkeiten, die ihren wirklichen Bestand ermöglichen. Man kann in der Seele einen Kern unterscheiden, gleichsam das Zentrum der Seele selbst, und deren verschiedene Fähigkeiten, von denen dieses Zentrum umgeben ist und gleichsam bedient wird. Die Substanz vereinigt aber in sich alle jene Fähigkeiten, die von ihr gleichsam ausstrahlen und ihr selbst erst die Existenzmöglichkeit bieten. All diese Fähigkeiten oder Hilfsmittel der Seele strömen während ihrer Betätigungen immerwährend zu ihrem Zentrum zurück. Auch die Betätigungen bleiben ebenso mit ihrem Zentrum in Verbindung; – andernfalls würde ja die Seele selbst ihre Einfachheit und ihre Einfachheits-Substanz verlieren. In sich ist die Seele ein Ganzes, das sich ständig auf ihr Zentrum konzentriert, und zwar nicht mittelbar, sondern unmittelbar, entsprechend ihrer Anlage selbst, mit der sie vom Schöpfer geschaffen wurde.

2494 |        Die verschiedenen Anlagen zur Betätigung ihrer Fähigkeiten ziehen sich gleichsam im Kreise um das Zentrum der Seele selbst und holen sich von dort ihren Befehlsantrieb; es ist dies ein unmittelbarer Vorgang, weil alle Anlagen zur Betätigung gleichsam dem Zentrum selbst eingeschlossen sind. – Ebenso dringen alle von außen einströmenden Ereignisse unmittelbar in das Zentrum der Seele ein, aber dies vermittels ihrer in Tätigkeit gesetzten Fähigkeiten; im Zentrum selbst wird dann erst die weitere Befehlsverteilung reguliert und geordnet und zu einem entsprechenden Reagieren und Zurückströmen in die Seelenkräfte gleichsam vorbereitet.

2495 |        Die Fähigkeiten im Einzelnen werden von der physischen Natur getragen und sind in erster Linie Hilfsmittel der physischen Natur selbst. Mittels dieser Hilfsmittel bleibt das Zentrum der Seele mit der gesamten physischen Natur in Verbindung und mittels dieser Verbindungsstellen ermöglicht sich ein einheitliches Leben, wobei die Seele das Leben des Leibes ist.

2496 |        Unter den Seelenfähigkeiten unterscheidet man solche, die das Leben des Leibes ermöglichen und erhalten, und solche, die das geistige oder Intelligenz-Leben hervorbringen. Die Ersteren sind den Letzteren eingeordnet, und zwar in einer ständigen Harmonie zwischen den einen und den anderen. Es möchte zunächst scheinen, dass die Lebenskräfte den Vorzug hätten, weil man zuerst leben muss, um geistig tätig sein und denken zu können. In Wahrheit hat aber das Geistige den Vorzug in der Seele infolge ihrer, von Gott gegebenen Bestimmung. Die geistigen Intelligenzkräfte ordnen sich auch der physischen Natur ein, durch die sie auch die Möglichkeit zur Ausübung ihrer Anlagen erhalten.

2497 |        Die Anlagen zur Betätigung der Fähigkeiten der Seele sind in sich unbeweglich und sind das Tragende und Gebende für die Fähigkeiten selbst; sie unterstehen dem Gesetze der Substanz der Seele selbst und sind nur eine Weiterleitungsmöglichkeit für das Zentrum und die Fähigkeiten. – Um es wieder in einem Vergleich zu sagen: Es ist wie bei einer elektrischen Einrichtung. In der Zentrale wird das Licht erzeugt; die Anlagen und Leitungen führen das Licht weiter – bis in den Lichtschalter und die verschiedenen Leuchtkörper, wo das Licht dann tatsächlich leuchtet und seine Leuchtfähigkeit offenbart; hergestellt aber wird das Licht in der Zentrale selbst. – Oder ein Beispiel: Die Fähigkeit zu malen oder zu musizieren setzt eine Anlage voraus, die wiederum im Zentrum der Seele selbst ihren Sitz hat.

2498 |        Man kann sagen: Die Substanz der Seele trägt sich selbst, die Fähigkeiten aber sind weithin von der physischen Natur abhängig gemacht. Infolge der doppelten Wirkung, welche die Betätigung der Seele durch ihre Kräfte hervorbringt, ist ein zweierlei zu unterscheiden: die Betätigung der einen einfachen Seele in rein geistiger Hinsicht und jene in physischer Hinsicht, d. h. für das leibliche Leben. Beide Tätigkeiten gehen kraft des vom Schöpfer selbst geordneten psycho-physischen Naturgeheimnisses für gewöhnlich ineinander über. Gedanklich aber sind beide Betätigungen auseinanderzuhalten, weil auch die Wirksamkeit jeder dieser Betätigung im Grunde – infolge der Ewigkeitsbestimmung der Seele selbst – von der anderen getrennt bleibt. Die Seele ermöglicht und erwirbt sich einerseits ihr irdisches Dasein und bereitet sich anderseits auch die Beschaffenheit ihres übernatürlichen Daseins.

2499 |        Uns fühlbar erlebt sind gleichsam nur die Ausläufer der Seele, das heißt ihr „Leben“ in den Intelligenzkräften und ihr „Beleben“ des Leibes. Dabei kommt uns nur das „mittelbare“, das schon durch die Substanz der Seele hervorgebrachte Leben der Seele zum Bewusstsein, während das unmittelbare, wirkliche und eigentliche Leben der Seele unserem Bewusstsein und Empfinden für gewöhnlich verborgen bleibt. So bleibt die Haupttätigkeit der Seele uns „unbewusst“, da wir das „Leben der Seele“ nur mittelbar erleben und erfassen. Die Hauptverarbeitung dessen, was durch die Seelenfähigkeiten uns dann erlebnismäßig bewusst wird, vollzieht sich „geräuschlos“ und uns unbemerkt; nur die Wirkung jener tiefsten, uns verborgenen Betätigung der Seele tritt ständig vor die Augen unseres Geistes, nämlich als Bewusstwerden der Wirkungen jener ständigen Tätigkeiten der Substanz der Seele selbst. Hierin liegt wohl das tiefste „Wunder der Natur“ verborgen, das der Schöpfer in die Seele hineingelegt hat. Wir fühlen nichts davon, aber wir leben es und wir wissen doch nicht, wie wir es leben: Nämlich durch ununterbrochene Tätigkeiten, die wir selbst, d. h. unsere Seele in uns sind, obwohl uns dies nie unmittelbar ins Bewusstsein gelangt.

2500 |        So führt der Mensch – und jedes lebensfähige Wesen – sein Dasein im tiefsten Grunde „sich selbst unbewusst“; er spürt nur die Folgen seines „Lebens“, erfasst aber nicht das „Leben“ selbst; er kann in etwa in jene Folgen und Auswirkungen des Lebens seiner Seele eindringen und sie zu erforschen suchen – und schon dies wird ihm nie ganz gelingen; noch viel weniger aber kann er in das Geheimnis „des Lebens“ selbst eindringen. Es ist ein Geheimnis des Schöpfers allein.

2501 |        Die immerwährende Tätigkeit der Substanz der Seele tritt uns also erst ins Bewusstsein durch die Folgen und Wirkungen dieser ihrer Tätigkeit, und zwar sowohl jene, die das physische, leibliche Leben gewähren, wie jene, die das geistige Leben ermöglichen. Diese beiden in sich getrennten Wirkungen greifen aber ineinander über: Die Auswirkung auf das physische Leben ist eine notwendige Vorbedingung für das geistige Leben und dieses wiederum wirkt sich als neue und hohe Antriebskraft und Anregungskraft auf die physische Natur aus. So besteht eine ständige Wechselbeziehung, die aber letztlich in der Substanz der Seele selbst ihren Sitz hat, von wo aus die Seele ihre alles „Leben“ umfassende Tätigkeit ausübt.

2502 |        Das „Leben“ selbst ist die erste Folge und Wirkung jener ständigen Tätigkeit der Substanz der Seele. Die Seele bringt sich in Tätigkeit – durch ihre Tätigkeit selbst; sich selbst belebend und in Tätigkeit setzend – durch naturangelegte Tätigkeit, das heißt selbst-leben1032.

2503 |        Im Einzelnen zieht dieses Selbst-Leben zunächst all die verschiedenen und mannigfachen kleinen Kräfte und Funktionsmöglichkeiten heran, die nach dem Willen und der Bestimmung des Schöpfers zum Lebensprozess Beziehung haben und deren Mittätigkeit zum Lebensaffekt notwendig ist. Die an diese verschiedenen einzelnen Kräfte und Möglichkeiten ergehende Anregung zur Mitbetätigung mit dem vorhandenen Lebensantrieb bildet die erste Lebensfunktion, wodurch jene einzelnen Möglichkeiten in Betrieb gesetzt werden, um ihren Beitrag zum Lebensvorgang zu leisten. Der Lebensantrieb richtet sich von vornherein und notwendig auf das wesentliche dem betreffenden Leben innewohnende Ziel (das im Nebensächlichen, Unwesentlichen mehr oder weniger vollkommen erreicht werden kann).

2504 |        Lebensziel und Lebensantrieb greifen unmittelbar ineinander und fordern die vorhandenen, auf das Ziel hingeordneten Möglichkeiten an. Diese Möglichkeiten können mehr oder weniger reich und vortrefflich sein – und das wird sich in der letzten Auswirkung des ganzen Lebensvorganges, nämlich im gelebten und betätigten, fertigen Leben irgendwie äußern – aber es muss wenigstens das an Möglichkeiten vorhanden sein, was durch das wesentliche Lebensziel gefordert ist. Es ist dies auf alle Fälle eine unübersehbare Summe von einzelnen Betätigungen und Kräften, die aber alle ein gemeinsames Ziel und eine letzte Auswirkung haben, auf die sie durch die belebende Seele hingeleitet werden: Das wirklich gelebte und betätigte, „fertige“ Leben.

2505 |        Erst diese letzte Auswirkung all jener verborgenen und wunderbaren Lebensvorgänge oder dieses schon gelebte „Leben“ tritt der Seele als erlebensfähiger Akt vor Augen: Der Mensch weiß, „dass er lebt“. Aber auch dieses „Wissen“ oder vielmehr dieses Bewusstwerden des Existierens als Mensch braucht einen schon langen (Jahre dauernden) Weg schon gelebten Lebens. Und erst dieses schon gelebte Leben ist das, wodurch der Lebende sich selbst zu umfassen, und zu erfassen beginnt als das Resultat vieler verborgener Lebenstätigkeiten. – Dieses „Sich-selbst-umfassen“ nennen wir das Bewusstwerden, das Selbstbewusstsein, das Wissen um die eigene Existenz, die als bewusste Kraft sich im Ich-Bewusstsein zusammenfasst.

2506 |        Diese Zusammenfassung eines schon gelebten Lebens ist eigentlich schon immer eine Zielforderung all der vorhergehenden Akte und einzelnen Lebenstätigkeiten gewesen, denn erst mit dieser Zusammenfassung beginnt eine selbstige Umstellung dieses „Lebens“, die es einer entscheidenden Kraft ermöglichen wird, sich gleichsam auf die oberste Spitze aller Lebensfunktionen zu stellen, diesem Leben „vorzustehen“ und ihm gleichsam als selbstiger Lebensantrieb zu dienen. Ich meine jene Kraft, die wir die „Personkraft“ nennen. Zu diesem Zweck erheben sich Kräfte einer umfassenden Funktionsmöglichkeit, Erfassungs- und Umfassungskräfte und es ist gleich ein „Emporklimmen“ derselben auf die Höhe dieses „Lebens“, um von dieser Warte aus alles zu regieren und zu dirigieren.

2507 |        Diese Regentschaft wird sich vereinfachen mit dem vollen Erstarken und Überhandnehmen der Kraft, welche diese Regentschaft ausüben soll. Es gibt diesbezüglich darum eine zeitliche Mittelperiode im eigentlichen Bewusstseinserwachen: Der Mensch ist zum selbstigen Leben erwacht und lebt es schon als erfahrenen Akt, aber im Grunde ist jene Kraft noch nicht das Überragende in der Seele geworden, das einen bewussten Antrieb auf alle Lebensmöglichkeiten ausüben könnte. Erst diese Ausübung als bewussten Akt nennt man das volle Erwachen der „Person“ und erst damit ist das volle Ich-Bewusstsein ermöglicht. – Damit stellt sich das ganze Menschenleben mit all seinen Folgerungen unter die Funktion des Ichbewusstseins und übt diese nun fertige Person einen selbstständigen Lebensantrieb auf die ihr unterstellten Kräfte und Lebensmöglichkeiten aus. Damit wird sie zugleich verantwortlich für die Art ihrer Ausübung ihres selbstigen Lebensantriebes.

2508 |        Für das Zentrum oder die Substanz der Seele bedeutet dies aber eine weitgehende Umstellung ihrer bisherigen Funktionsart. – Sie hat, wie es ihre erste Aufgabe war, „ihr Leben“ emporgebildet und nun beherrscht dieses Leben sie selbst und die Funktionskräfte der Substanz der Seele selbst gestalten sich nun nach der Art jenes Person-Seins. In dieser Zeit wird die Seele selbst „erlebensfähig“, d. h., sie empfängt und erfährt die von der Person ausgehenden billigenden oder missbilligenden Rückwirkungen auf ihre eigenen Funktionen und das kann allenfalls eine Änderung ihrer bisherigen Lebensart hervorbringen. Es beginnt, mit andern Worten, mit dem Erwachen eines bewussten Person-Seins die Zeit selbstiger Lebensfunktionen, die geregelt werden entsprechend der Art der „Person“, des Maßgebenden und Entscheidenden im Menschen. Das ganze Menschsein richtet sich nun aus nach der Art der Person. – Damit wird nicht geleugnet der große Einfluss, den erbliche Veranlagung, äußere Umstände und besondere Absichten des Schöpfers im Menschenleben haben. Im Falle besonderer Absichten legt der Schöpfer der Menschenseele wohl schon in die Veranlagung der Seele besondere Möglichkeiten des Geistes und eine mehr oder minder große Fülle von Gnade hinein, entsprechend den Absichten, die er mit der betreffenden Seele hat.

2509 |        Mit dem Erwachen der Ich-Person beginnt nun auch die Zeit der Verantwortlichkeit für die Person selbst und dies nicht so sehr für die Folgen ihrer äußeren Werke als vielmehr in ihrem inneren Bereiche: Wie sie nämlich im Bereiche des Geistes, in dem sie steht, ihre selbstständige und entscheidende Stellung zur Auswirkung kommen lässt.

2510 |        (Man kann dieses Maßgebende und Wesentliche im menschlichen Seelenleben das „Höchste“ oder vielleicht richtiger das „Tiefste“ im Menschen nennen. Im Grunde ist das „Person-werden“ eine Vertiefung, d. h. eine Grundlegung für das Menschentum des betreffenden Selbst. Gewiss stellt sich die Personkraft auf die Spitze aller grundgelegten Anlagen, aber doch so, dass ihr Wirken eine ständige Vertiefung oder ein Herausholen angelegter Möglichkeiten ist; in diesem Sinne bedeutet das „Person-sein“ das Tiefste im Mensch-sein selbst. „Erhöhung“ könnte man vielleicht den Ausbau, die Folge und Früchte des Mensch-seins besser nennen.)

 

28.01.1944

Über die „Einfachheit des Geistes“

2511 |        Die Seele ist einfach in ihrem Gebilde, aber ihre Betätigungen sind vielfach, und vielfach sind auch die Wirkungen dieser Betätigungen. Da ist zunächst die rein physische Betätigungsart, um das leibliche Leben zu erhalten. Aber auch diese physische Betätigung der Seele führt schließlich zu einer Art geistiger Betätigung, insofern nach entsprechender Entwicklung der Geist und dessen Kräfte an die Spitze der physischen Betätigungen gestellt werden und diese von den Geisteskräften auf das Ziel eines wahren und würdigen Menschenlebens hin dirigiert werden. So hat die Seele in vielfacher Art die Fähigkeit, ein „Geistesleben“ zu ermöglichen und aufzubauen.

2512 |        Beide Hauptbetätigungen der Seele, sowohl die physische wie die eigentlich geistige, sind in der Substanz der Seele grundgelegt und haben dort ihren Sitz, kommen aber zum Ausdruck in der Anlage oder Befähigung zur Betätigung. Diese Betätigung wird mithilfe der physischen Natur vollzogen. Die Vielfalt der seelischen Anlagen ermöglicht auch eine entsprechende Vielfaltigkeit der hervorgebrachten Betätigungen. Das Hervorbringen dieser Betätigungen ist in sich ein ständiges Verarbeiten der mit der Hilfe der physischen Natur von außen aufgenommenen Eindrücke, die dann in der Seele als neue Betätigungsmöglichkeiten gleichsam Frucht bringen für das äußere Leben, in das der Mensch hineingestellt ist. – Der Mensch braucht diese Wechselbeziehung zwischen sich und der Umwelt. Wie das leibliche Leben der Speise bedarf, um sich zu erhalten, so wird das geistige Dasein des Menschen ermöglicht und erhalten durch jene Wechselbeziehungen zwischen den von der Umwelt kommenden Anregungen des Geistes und den Verarbeitungen und Früchten dieser Anregung, die das wirkliche Geistesleben hervorbringen.

2513 |        Die Seele bildet sich damit eine innere Umwelt oder einen inneren Kreis von Möglichkeiten, aus denen sie sich welche durch Bezugssetzung auf sich selbst auswählt, die sie auf sich wirken lässt und von denen sie geistig gleichsam „lebt“.1033 Sie unterhält in sich gleichsam „Lieblingsthemen“, denen sie sich hingibt, für die sie ihre Kraft aufwendet, und die dann verarbeitet in die Außenwelt treten. Nach außen zeigt sich das vornehmlich in der Vielfalt von Berufen, die gewöhnlich eine Folge von Lieblingsthemen der Seele sind.

2514 |        Neben diesen Verarbeitungen und Bezugssetzungen auf sich selbst ergibt sich aber notwendig in jeder Seele noch eine andere Art von Geistesarbeit, die ihren Widerspruch oder ihre Zustimmung auslösen kann, wobei vielfach Vererbung, Erziehung und Gewohnheit oder Erwerbung mitsprechen. Das Leben stellt nämlich an den Menschen Forderungen und legt ihm Beziehungen auf, denen er sich infolge seiner Gebundenheit an die Umwelt nicht entziehen kann und die naturgemäß im Innern der Seele Missfallen oder Gefallen, Abneigung oder Zuneigung auslösen. Die Art der Stellungnahme zu diesen sittlichen Lebensforderungen kann in der Seele selbst Reflexe auslösen, die ihr zum Impuls ihrer tiefsten Betätigungen werden und sie vollends in Anspruch nehmen können.

2515 |        Es besteht nun unter den Menschen eine große Verschiedenheit in dieser seelischen Inanspruchnahme und Stellungnahme gegenüber diesen Lebensforderungen. Jeder Mensch trägt aber ein Komplex von solchen Beziehungen in sich, mit denen er unausweichlich verbunden ist. Und die einzelne Seele kann in einer mehr oder minder einfachen Weise Herr werden über die Vielheit der Impulse, denen sie innerlich überantwortet ist, von denen vielfach ihre äußere Lebenshaltung abhängt und die sie zu lösen hat, wenn sie ihr Leben fruchtbringend für sich selbst gestalten will. – Der Mensch trägt in sich gleichsam zwei auseinanderstrebende Weiten, zwei Pole, die er aber einander näher und zur Einheit führen soll, um in seiner inneren und äußeren Lebensführung zu einer einheitlichen, einfachen Linie, zu einem einheitlichen Schluss zu kommen. Es ist ein Widerstreit zwischen den Impulsen von Gut und Böse, Pflicht und Genuss, vom Edlen und Gemeinen, von Selbstsucht und Selbstlosigkeit, Leidenschaft und Selbstzucht usw. Vielfach sind diese inneren1034 „Weiten“ angeborene Leidenschaften und Schwächen des Charakters, die der Mensch zu seinem eigenen Heile überwinden soll. – Wie nun der Mensch in diesem Komplex von Möglichkeiten und Impulsen wählt und überwindet, in welcher Weise er diese Vielheit zu einer Einheit bringt, zu einem einheitlichen Schluss kommt, das hängt davon ab, wie er sich persönlich dazu stellt. Diese seine persönliche Stellungnahme und dieser Kampf um die Einheit und den Ausgleich in sich selber werden ihm erleichtert, wenn er sich selbst auf ein bestimmtes Ziel hinordnet, und danach seine Stellungnahme einrichtet.

2516 |        Solche klare Richtlinien erleichtern die vom Menschen geforderte Selbstbindung, durch die er die Vielheit von widersprechenden Impulsen überwindet, eine einheitliche Linie herstellt und sich selbst in der Überwindung der vorhandenen Widersprüche erprobt. Aber nicht alle Menschen bringen es tatsächlich fertig, ihrem Gesamtleben eine einheitliche Zielhaltung zu geben und sich die eigenen Kräfte auf ein Ziel zusammenzufassen. Bei manchen fehlt die Selbstanwendung eigener Energien, andern scheint der Widerspruch in ihrem Inneren zu einer unlösbaren Aufgabe geworden zu sein. So gibt es Menschen, die sich nie zu einer bestimmten Zielhaltung aufraffen können und die darum auch nie die Früchte jener Selbstüberwindung erlangen, die in einer errungenen Zielhaltung liegen.

2517 |        Eine wesentliche Hilfe für diese Zielhaltung besteht in der Überwindung der eigenen Widersprüche aus religiösen Motiven, d. h. dadurch, dass der Mensch in einer sittlich-vollkommenen Lebensführung sich auf Gott konzentriert. Eine vollständige Konzentration auf Gott gibt ihm die Gewähr des Überwindens seiner selbst, des Ausgleichs, der Vereinfachung und der Schließung der beiden Abgründe oder Tiefen in sich selbst.

2518 |        Eine habituelle Überwindung der Widerstände und Überbrückung der Gegensätze im eigenen Inneren führt die Seele über zur seligen Einfachheit des „schon Überwundenen“ (oder des Überwunden-habens) und diese Einfachheit lässt die Seele die Ruhe in sich selber finden. Dieser Zusammenschluss von zwei oder vielmehr von vielerlei auseinanderstrebenden Möglichkeiten mündet in eine Kampflosigkeit und eine gewisse Leidenschaftslosigkeit, die eine gewisse Vollendung des sittlichen Zieles bedeutet. Was im Inneren des Menschen am meisten Widerspruch erregt, das sind die Forderungen der Selbstzucht in irgendeiner bestimmten Richtung. Ist diese Richtung und Linie zum geforderten Ausgleich gekommen, so erlangt damit die Seele eine gewisse Einheit ihrer geistig-sittlichen Betätigungen als Ergebnis und Frucht von vielen Überwindungen, wodurch das frühere Vielerlei von Forderungen abgelöst und vereinfacht wird.

2519 |        Man kann sagen: Mit einem solchen Ausgleich zieht sich die Seele gleichsam in ihr Zentrum zurück, viele Kräfte werden abgelöst und es vollzieht sich eine allgemeine Vereinfachung des ganzen Komplexes der seelischen Betätigungen. Es scheint der Seele, als habe sie – im Vergleich zu früher – „nichts mehr zu tun“. Freilich ist damit nicht eine allgemeine „Leidlosigkeit“ gegeben, weil die gefallene Menschennatur auch dann noch vielfachen Leiden unterworfen ist. Es gibt aber auch auf dem Gebiete der „Leiden“ einen gewissen Zustand der Unempfindlichkeit, der sich durch die geschilderte Vereinfachung des geistig-sittlichen Seelenlebens im tiefsten Wesen der Seele begründet hat.

 

Über das logische und das sittliche Widerstreben gegen Leiden

2520 |        Es gibt einen doppelten Widerspruch der Menschenseele gegen das Leiden – wobei ich unter „Leiden“ auch alle Arten von leidensähnlichen Beschwerden, seien sie geistiger oder physischer Natur, verstehe: Das „logische“ oder in unserer Natur begründete, und das „sittliche“ oder das auch mit sittlicher Unvollkommenheit und Schwäche verbundene Widerstreben gegen das „Leiden“.

2521 |        Dem „logischen“ Widerstreben – der Ausdruck wurde mir innerlich gegeben – sind alle Menschen seit dem Sündenfall anheimgegeben, denn alle tragen wir nun eine leidensfähige und leidensscheue Natur mit dem logischen Widerspruch gegen alle Einflüsse, die sie beschweren oder, mit andern Worten, ihren Tendenzen entgegen sind. Mag dieses Widerstreben auf einer gewissen Stufe der Vollkommenheit auch nicht mehr im Willen liegen, es liegt doch zu tiefst in unserer Natur. Selbst wenn wir schon mit Freuden das Kreuz umfassen, so seufzen wir doch darunter, wenn es schwer auf unsern Schultern liegt. Das ist eine logische Folge des Schmerzes, den das Kreuz verursacht. Es ist dies eine natürliche Lebensempfindung, der man ohne besonderes Eingreifen der Gnade Gottes sich nicht entziehen kann. Auch die vollkommen ausgeglichene Seele mit errungener sittlicher Vollkommenheit leidet unter dem Leiden; sie empfindet die Wirklichkeit des Schmerzes und das Vorhandensein des Leidens, ob in dieser oder in jener Form.

2522 |        Das sittliche Widerstreben in leidensähnlichen Vorkommnissen des Lebens liegt aber außerdem in der Unausgeglichenheit der gefallenen menschlichen Natur. Die sinnliche Natur verlangt von vornherein Bequemlichkeit, Ruhe, Genuss, Annehmlichkeit und Freuden. Das Leiden widerspricht diesem Begehren der Sinne, und darum gerät der Mensch dabei in Unruhe und Widerspruch gegen seine Umgebung und gegen sich selbst – was bis zur Verzweiflung gehen kann. Darin liegt ein gewisser sittlicher Mangel der Seele: Es fehlt ihr jene Gelassenheit des Geistes, die in allen Vorkommnissen des Lebens die Ruhe bewahrt, sich zu beherrschen weiß, und nicht Gott oder die Umgebung zum Gegenstand von Vorwürfen macht. Dieses sittliche Widerstreben in Leiden ist ein Mangel an vorhandener Überwindungskraft gegen eine sittliche Unausgeglichenheit im eigenen Inneren. Wohl sind gewisse Ansprüche und Forderungen, gewisse Widersprüche und Abneigungen in unserer gefallenen Natur veranlagt und es braucht viel Leiden und Anstrengung, um über diese Ausbrüche Herr zu werden, auch wenn sie sich nur im eigenen Inneren, andern unbemerkt vollziehen. Es braucht viel Geduld, schon geübte Geduld, schon erworbene und vorhandene Kreuzesliebe, einen großen Vorrat an Überwindungskraft als Gegengewicht gegen unsere angeborene Leidensscheu, damit sich der volle Ausgleich bilde und wie ein Naturzustand werde, sich wortlos und gleichsam aktlos in alle Vorkommnisse des Lebens schicken zu können. Auf der Höhe dieser Übung aber ist das „sittliche Widerstreben“ überwunden oder vielmehr, es ist zum bloß Logischen geworden, dem sich die Seele ohne besondere Gnade Gottes nicht entziehen kann.

2523 |        Die erworbene Einfachheit des Seelenlebens und die Überwindung des sittlichen Widerstrebens gegen Leiden und leidensähnliche Vorkommnisse sind wie zwei Pfeiler, auf die sich ein sittlicher Vollkommenheitszustand stützt. Beide miteinander verbunden bringen jene Einfachheit des Geistes hervor, die den Menschen innerlich sich wie auf einer einzigen und geraden Linie bewegen und in eigene Stille und „Geräuschlosigkeit“ einmünden lässt. Die widerspruchsfähige Natur ist damit vollständig unter die Herrschaft des Geistes gestellt, eines von Gott geführten Geistes.

 

Über die religiös-sittliche Einfachheit des Geistes im Besonderen

2524 |        Die religiöse Einfachheit des Geistes ist gleichsam eine Verringerung des Vielerleis der diesbezüglichen seelischen Funktionen. Was früher viel Bewegung, Bemühung, Überwindung von Widerstreben in der Seele notwendig machte, das wird jetzt wie mit einem Akt abgetan. Das Vielerlei von Bewegungen in der Seele ist abgelöst und es herrscht eine gewisse Ausgeglichenheit in allen Regungen des Geistes, ein Auflassen verschiedener vorher notwendiger Funktionen in der Seele, ein Zurücktreten des Gesamt-Seelenlebens auf die Substanz der Seele selbst. – Früher brauchte die Seele stattdessen vielerlei Begründung, Erklärung, Betätigung, die sie sich zum Fortschritt im Guten vorführen musste; die Fantasie musste immer wieder das einmal gefasste Ideal vor Augen führen, der Wille musste gespannt bleiben und gleichsam ständig auf der Wache stehen, die Regungen des Gemütes mussten überwacht werden und eine ständige Selbstkontrolle musste alle Gebiete des Wissens durchforschen. Es gab so vielerlei zu verbessern und es galt, alle Gefahren gleichsam schon vor den Pforten der Seele aufzufangen.

2525 |        (Diesbezüglich kann ich mich noch gut erinnern an diese „Vielarbeit“ in meiner Seele in meinen Jugendjahren. Als ich etwa 15-18 Jahre alt war, wusste ich nicht, welchen Vorsatz unter vielen ich bei der hl. Beicht fassen, welche Tugend vor allen anderen üben solle; denn ich sah so viele Unvollkommenheiten in mir und wusste nicht, wo anfangen mit der Besserung. Jesus hat mich aber gar wundersam darüber belehrt. Nachdem ich vor der Beichte einen bestimmten Vorsatz gefasst hatte, regte er mich durch eine besondere Gnade an, ihm nun meinen Vorsatz zu übergeben, meinen guten Willen, dies oder jenes zu meiden, in sein Herz zu legen und ihm alles zu überlassen, auch die Besserung dieses Fehlers die Übung jener Tugend. Jesus nahm gleichsam meinen Vorsatz in Empfang und es war dies bei jeder hl. Beicht wie eine abgemachte Sache. – Nach der hl. Kommunion trug ich ihm dann so viele Bitten vor, die meine Vervollkommnung betrafen: In allem wollte ich Fortschritte machen, alle Tugenden zugleich mir aneignen und ich wusste nicht, welcher ich den Vorzug geben solle, und welche bei meiner Armseligkeit und Unvollkommenheit mir am nötigsten wäre. Jesus aber leitete mich in gar lieben und herablassenden Belehrungen zur Einfachheit an: Er zeigte mir alle Tugenden als sehr gut und notwendig, erklärte mir ihren Wert und ließ mich in seliger Vereinigung seine Freude über meinen guten Willen erkennen; er fasste auch alle meine Bitten um meine geistige Vervollkommnung wie in einem geistigen Blumenkranz zusammen, forderte aber nur eines, worin alles enthalten sei: die Liebe. „Wenn du Mich liebst, dann tust du alles, was mir wohlgefällig ist. In der wahren Liebe ist alles enthalten, denn die Liebe ist die Fülle alles Guten und alle Tugenden sind in der Liebe zusammengefasst“. So belehrte mich Jesus; diesen Weg der Einfachheit führte er mich und schließlich hatte ich überhaupt nur noch eine Bitte an ihn: Ich bat um Liebe und wusste sonst nichts mehr zu bitten; denn alle Vollkommenheiten sind in der Liebe enthalten.)

2526 |        In dem oben erwähnten1035 Seelenleben der Einfachheit des Geistes lebt man schon erworbene und gelebte Tugenden, geübte Hingabe, überwundene Natur, geliebtes Kreuz, und man lebt Jesus, weil man sich mit seiner besonderen Führung bemüht hat, sich selbst möglichst vollständig1036 aufzugeben und weil er darum die Seele, ja den ganzen Menschen für sich nimmt und so für den eigenen Gebrauch nichts mehr vorhanden ist und auch nichts mehr gewollt ist.

2527 |        So ist die Seele, ja das ganze Menschenleben von Gott genommen und es ist nichts mehr zu geben, weil Jesus selbst überhaupt alles nimmt oder vielmehr genommen hat. Die Seele ist damit auf eine Stufe der geübten und gelebten Hingabe gelangt. Nun sind auch die Folgen jener Schwierigkeiten nicht mehr vorhanden, welche vordem die Übung des Guten in den Seelenkräften auslöste. Die Seele übt nun ohne Schwierigkeit eine Hingabe der Tat und des Hingegeben-habens alles Eigenen und Jesus mit seinem Leben nimmt stattdessen den eigenen Platz in der Seele ein.

2528 |        So vollzieht sich die religiös-psychologische Vereinfachung der Seele. Die Tätigkeiten der Seele schrauben sich gleichsam alle auf eine Linie, ja auf einen Punkt zusammen, nämlich auf das Sein einer geübten und gelebten Hingabe an Gott und damit ein Aufgenommen-sein in sein Leben. Psychologisch bedeutet dieser Zustand eine Verminderung der Zahl, von Betätigungen und religiösen Funktionen der Seele, ja es scheint, verglichen mit dem Vorhergehenden, ein Zustand des „Nichts-tuns“ [zu sein]; denn man braucht nichts mehr von dem Vielerlei tun, was früher notwendig und gefordert war, sondern das „Leben“ ist nun alles. Es ist in Wahrheit eine „Hingabe“ des ganzen Menschentums für Gott.

 

31.01.19441037

2529 |        Ausgehend von den vorhergehenden philosophisch-psychologischen Erklärungen über die Grundlagen der gewöhnlichen Menschenseele, wie sie mir innerlich erklärt wurden, werde ich nun übergeführt auf die psychologische Eigenart der Seele Christi, und zwar im Hinblick auf ihre Vereinigung mit der göttlichen Natur der Person des Wortes. – Dabei wird immer wieder Bezug genommen auf eigene Erfahrungen in den höheren Stadien des Seelenlebens, auf die ich wieder hingewiesen werde, und so muss ich auch hier zunächst zurückgreifen auf jene Erfahrungen in früheren Jahren und muss einiges hier einschalten über die Eigenheit meiner besonderen Gnadenführung.

2530 |        Schon vom Jahre 1920 an wurde mir von der inneren Führung ein besonderes Ziel gesetzt, nämlich eine durchgreifende Säuberung meines ganzen Verstandes und Intelligenzlebens, eine gewisse Ausschaltung aller selbstigen Betätigungen, die sich nicht im Rahmen des zum Leben Notwendigen bewegten; das sollte erreicht werden durch eine besondere und höhere Art aktiver Reinigung durch mein Mitarbeiten mit der führenden Gnade, also zusammen mit der passiven Reinigung. Ich wurde innerlich veranlasst, ja geradezu „verpflichtet“, dies als meinen besonderen, inneren Weg und als Forderung Jesu an mich zu betrachten, weil diese mit den Absichten zusammenhängen, die er mit mir habe. – Vom Jahre 1923 ab gab mir Jesus mehr Klarheit über die Art dieser seiner Absichten und zeigte er mir näher das „Wie und Warum“ jener Ausschaltung der Selbstbeschäftigungen und Selbstbetätigungen. So konnte ich damals schon in etwa den Zweck seiner besonderen Forderungen und seiner gnadenvollen Absichten mit meiner Seele erfassen.

2531 |        Der Weg zu diesem gesteckten Ziel umfasste verschiedene Stufen, die aber ineinandergriffen. Als erste Stufe wollte der Heiland das energische Aufgeben und Ausschalten aller willkürlichen Selbstbeschäftigungen, nicht bloß aller selbstgefälligen Gedanken, sondern überhaupt aller Lieblingsgedanken und Selbstbeschäftigungen, die der eigenen Natur und dem eigenen Gefühl schmeicheln. Es war dies eine Übung, die Jesus mit mir sehr streng nahm. Wenn ich mich seinen diesbezüglichen Forderungen nachlässig hingab, entzog er mir zeitweise seine besondere, fühlbare Gegenwart und seine Vereinigungsgnaden. So waren es tägliche Übungen einer strengen Art von Aszese, die Jesus unnachsichtlich und ernst von mir verlangte, nicht minder streng, als wenn es sich dabei um sündhafte Regungen gehandelt hätte. Selbstverständlich sind solche Selbstbeschäftigungen nicht sündhaft, aber mit dem fortschreitenden Seelenleben wird vieles zu einer von der Gnade geforderten „Pflicht“, was der gewöhnliche Mensch als erlaubten und selbstverständlichen Genuss hinnimmt. Und je höher der Aufstieg der Seele geht, desto höher und intensiver werden die Forderungen der Gnade Gottes an die Seele.

2532 |        Mittels der fortgesetzten inneren Führung der Gnade durch begleitende innere Erklärungen und passive Reinigungsleiden brachte ich es zu einem gewissen Fortschritt auf dem besagten Gebiete. Die unteren Regungen der Seele wurden mehr und mehr unter die Herrschaft des Geistes gestellt und es wurde dies in den mystischen Gnadenwegen allmählich wie eine Selbstverständlichkeit. Dabei handelte es sich vor allem um eine intensive Reinigung des Fantasielebens und um eine strenge Selbstkontrolle all der Geistesbewegungen. Hatte sich diese Selbstkontrolle zunächst auf die willkürlichen Selbstbeschäftigungen erstreckt, so wurden nun auch alle unwillkürlichen Geistesreflexe in diese Übung der Kontrolle und Ausschaltung einbezogen. Das bedeutete eine merkliche Erhöhung der Forderungen der Gnade und eine weitere Stufe auf dem Wege zum gezeigten hohen Ziel. – Die unwillkürlichen Geistesreflexe sind mit der Natur der Seele gegeben. Diese ist ständig tätig und setzt eigentlich keinen Augenblick ihre Selbstbetätigungen aus, denn sie erhält sich damit ihr eigenes Dasein.

2533 |        Jesus verlangt aber von mir – als mein aktives Bemühen zusammen mit den entsprechenden passiven Läuterungen – das vollständige Auflassen jener unwillkürlichen Reflexe in der Seele. Dies wäre wohl im normalen Leben ein Widerspruch mit der tiefsten Veranlagung der Seele, aber im höheren mystischen Geistesleben kann es durch Gottes besondere Gnade zu einer hohen Befreiung von den eigenen Hemmungen der Fantasie, des Gefühlslebens und der Selbstbeeinflussung führen1038. Die Seele gelangt auf diesem Weg der Übung zu einer außergewöhnlichen Freiheit, die es ihr ermöglicht, ungehindert dem Geiste Gottes folgen zu können; denn die Fantasietätigkeit und die (gefühlsmäßige) Selbstbeeinflussung beeinträchtigen und behindern das Leben Gottes in der Seele. Es handelt sich also bei der besagten Übung um eine höhere Art der Reinigung des Geistes, die gewiss der menschlichen Naturanlage zu widersprechen scheint, die aber auf dem mystischen Gebiete und bei besonderen Absichten Gottes nicht so sehr befremdend ist; sie bringt nämlich eine hohe und höchste Art der Selbstbefreiung und schafft damit in einer vollkommeneren Weise Platz für die göttliche Natur.

2534 |        Jesus forderte vollständiges Auflassen jeder persönlichen Selbstbeschäftigung und damit eine gewisse „geistige Leere“ in mir, weil er diese Leere dann mit sich selbst anfüllen wolle und mir durch eine besondere Art der Vereinigung mit mir gleichsam selbst als Ersatz dienen werde. Jene Übung sollte also eine besondere Bereitung meines Geisteslebens für seine Aufnahme sein. – Schon in den Jahren nach 1921 stellte mir der Heiland immer wieder als besonderes Ziel meines Innenlebens das „Erleben seines Innenlebens“, bzw., „seines inneren Erlöserlebens“ in Aussicht und auf dieses Ziel war die beschriebene Übung ständig durch die besondere göttliche Führung hingerichtet. Es sollte in mir, vor allem durch passive Reinigungen, ein Zustand vorbereitet werden, der es mir ermögliche, Christus als den Erlöser erleben zu können. Meine Seele sollte psychologisch irgendwie das Geheimnis der Seele Christi erfassen und erleben können; darum jene hohe und durchdringende Art der Selbstbefreiung und des Aufgebens jeder persönlichen, nicht lebensnotwendigen Geistesbetätigung. Auf diese Weise sollte in mir ein Zustand höchstmöglicher Passivität geschaffen, und wie zu meinem Geisteshabitus durchgebildet werden.

2535 |        Als letztes Ziel in diesem Geisteshabitus wird mir in Aussicht gestellt eine „Gnade der Befestigung“ als vollständig passives Erfahren und Erfassen können des Erlösergeheimnisses. Diese versprochene Gnade wird mir erklärt als „befestigter Zustand“, um – aufgrund der jahrelangen aktiven und passiven Vorbereitung – das Innen- und Erlöserleben Jesu, ohne eigene persönliche Einmischung erleben zu können. Durch diese Gnade soll die psychologische Möglichkeit hierzu sichergestellt werden, wozu Voraussetzung ist, das Ausschalten aller persönlichen Zutaten und selbst der Zutunsmöglichkeiten. Die seinshafte Grundlage aber für jene in den Absichten des Heilandes liegende Art des Erlebens ist gegeben durch einen entsprechenden wesentlichen Vereinigungsgrad mit Gott bzw. Christus.

2536 |        Schon von Anfang meiner besonderen inneren Führung an, und ich muss sagen, dass ich eine besondere göttliche Führung eigentlich schon hatte, seit ich zum Gebrauch der Vernunft kam, waren immer zwei Geistesziele miteinander verbunden: Als erstes Ziel war gesteckt eine möglichst hohe Vereinigung mit Gott und dies als entsprechende und notwendige Grundlage und Voraussetzung für das zweite und eigentliche, besondere Ziel: das Geheimnis des Erlösers zu erleben. Dementsprechend war die gesamte göttliche Führung in mir tätig und richtete sich mein ganzes Innenleben im Grunde immer schon auf dieses letzte Ziel hin. Darum waren schon seit dem Jahre 1922 die mystischen Vereinigungswege begleitet von besonderen Erkenntnissen über das Innenleben Jesu, die sich mit wachsender Gottvereinigung immer mehr steigerten und vertieften. Beim Zustand der „geistlichen Vermählung“ konnte ich schon von intimen Erlebnissen des Geheimnisses des Gott-Menschen verrichten, ja die ganze Art meines Vereinigungsweges mit Gott führte mich über das Geheimnis des Gott-Menschen. Christus war Der, der sich in hohem mystischen Vereinigungserleben mir enthüllte, und auf dieses Geheimnis in ihm richtete sich die erlebte Vereinigung mit ihm aus. – Nach der Gnade der geistlichen Vermählung (8. Dezember 1934) war die innere Führung noch intensiver auf das „Erleben des Erlösers“ hingerichtet, zumal durch die folgende weitere Auswirkung des schon erreichten Vereinigungszustandes, der wiederum hingeordnet war auf eine immer intensivere Art des „Erleben-Könnens des Erlösers“. Die psychologische Voraussetzung hierfür sollte in mir ausgebildet werden, zusammen mit und vermittels eines entsprechenden, sich ständig erhöhenden Vereinigungszustandes. In den letzten Jahren war dann in mir eine ununterbrochene spezielle Führung in mir wirksam, die mich intensiv auf dieses letzte Ziel hinführte und vorbereitete.

 

Februar

02.02.1944

2537 |        Heute Nachmittag in der Kapelle der Birgittinnen wurde ich von dem jetzt schon erreichten Zustand aus im Vorauserleben übergeführt in ein „anderes Bewusstsein“ und wurde ich meinem Sein noch mehr enthoben. Es lässt sich dies aber in Worten nicht erklären. – Dabei bin ich seit 29. Januar in einem neuen passiven Erhebungsleiden, das jenen kommenden Zustand entsprechend vorbereiten soll und das abwechselnd mit erfahrungsmäßigen Erfassen des kommenden neuen Zustandes.

 

03.02.1944

2538 |        Ich befinde mich in einer merkwürdigen Veränderung. Eigentlich schon seit Wochen bin ich dem äußeren Leben so enthoben, dass dieses nicht mehr in der normalen Art auf mich einwirkt. Bei der hl. Messe z. B. „bin ich nur mit den Augen des Leibes dabei“. Ich sehe wohl die verschiedenen Teile der hl. Messe, aber ich bin dabei jedes persönlichen Eindruckes passiv enthoben und entrückt. Und diese Art der „Entrückung“ beginnt nun sich mehr und mehr auf mein ganzes Leben auszudehnen. Es ist mir, als könne mein Geist – mir selbst, d. h. der gewöhnlichen Art des Seins enthoben – die gewöhnliche, materielle Art des Lebens nicht mehr erfassen. Um einen Vergleich zu versuchen: Es ist so ähnlich, wie wenn jemand „schwache Augen“ hat, die es ihm nicht ermöglichen, die Umgebung recht zu erfassen, zu unterscheiden und seinem Bewusstsein zuzuführen. So bin ich gleichsam von mir selbst und von der Einwirkung meiner Umgebung abgelöst, ist mein Geist wie „mir – d. h. dem bisher gewohnten – abwesend“. Es gibt aber kein voll erklärendes Wort für diese innere Umstellung. – Es beginnt damit eine neue Art der Zusammenfassung all meiner Kräfte gleichsam „außerhalb“ des gewöhnlichen Lebens und ich verliere „das Bewusstsein für mich und für dieses gewöhnliche Leben“. Es scheint, wie wenn ich in einen dauernden „Ekstasezustand“ komme, der dann mein „gewöhnliches Leben“ sein wird. Dort winkt mir dann – auch inmitten aller kommenden Leiden des Erlebens des Erlösers – gewissermaßen eine dauernde Ruhe.

2539 |        Ich leide heute sehr unter eigenartigen Leiden, die mich passiv für das in Aussicht stehende neue Leben vorbereiten, nämlich für das „Leben wie in einem anderen Bewusstsein“. Zugleich bin ich fortwährend veranlasst, auf die frühere Art meines Lebens zu verzichten und mich für ein anderes Leben „in Christus“ bereiten zu lassen. Zeitweise ist mir, als sei ich nur durch einen Schleier von der unmittelbaren Anschauung des Gottmenschen-Erlösers, bzw. Gottes, getrennt. – Darum ist eine Qual des Verlangens in mir: Alles zu verlassen und „dort“ zu sein, wohin ich passiv hingeführt werde!

 

04.02.1944

2540 |        Heute Morgen wurde die oben beschriebene Geistesentwicklung wie „eine Art Zustand“ – aber wie soll ich mich darüber erklären? – Ich bin mir selbst enthoben.

 

05.02.1944

2541 |        Heute bin ich wieder sehr in Leiden, die auf eine Erhöhung des gestern angefangenen Zustandes hinzielen. Zugleich erfahre ich auch fortgesetzte Erklärungen über eine kommende Erhebung als bleibenden1039 Zustand, sowie über die Seele Christi, wie sie vorbereitet war, um das Wesen des „actus purus“ tragen zu können. „Die göttliche Person brachte alles mit“ und darum wurde in der Seele Jesu nichts erzeugt, während die gewöhnliche Seele eine ständige „Erzeugerin“ ist, die sich selbst ihr Dasein ermöglicht durch ihre Tätigkeiten, in denen sie „ruht“ und von denen sie lebt. Es bereitet sich in mir ein umfangreiches Wissen als Selbsterlebnis vor, und zwar über die gewöhnliche Menschenseele, gegenübergestellt der Seele Jesu, ferner über die göttliche Person und ihre wesentlichen Vollkommenheiten, dazu psychologische Erklärungen über meine eigene geistige Umstellung, die Voraussetzung ist, um das Geheimnis des Erlösers in der von ihm geplante Weise erleben zu können. – Ich kann aber noch nicht darüber schreiben.

2542 |        Ich erlebe passiv eine allgemeine psychologische Umänderung meines Seins und dazu ein unaussprechlich quälendes passives Verlangen, in dem kommenden Zustand vollendet zu werden.

 

06.02.19441040

2543 |        Als ich am Morgen des Neujahrtages (1944) erwachte, wurde ich in eine bis dahin nicht erreichten Tiefe eingeführt, in das Geheimnis der hypostatischen Union und ich „wusste in Jesus“: Ich werde weitere Erklärungen über dieses Geheimnis schreiben können und ich solle diese dem H. P. Gar. Lagr. OP übergeben. Ich wusste auch ungefähr, wie ich das würde zu schreiben haben und habe mir darüber gleich einige kurze Punkte aufgezeichnet. – Danach aber kam ich wieder in tiefe, passive Leiden, bis ich dann nach 3 Wochen endlich anfangen konnte, darüber zu schreiben. –

2544 |        Heute Mittag in der Kapelle empfahl ich nun den H. P. Gar. Lagr. OP besonders dem Heiland. Da ließ er mich wissen: „er soll mir die Ehre bereiten und für meine Absichten eintreten (bei der betreffenden Stelle, denn gerade diese Angelegenheit hatte ich am 10.01 dem lieben Heiland empfohlen.) er soll dies mit Überzeugung tun, soweit er diese habe, und soll darauf hinzuwirken suchen, dass man dort von H. P. Merk SJ eine Erklärung verlange. – Er (= H.P. Gar. Lagr.) möge sich bemühen, dass meine Absichten anerkannt werden. Man möge meine Absichten (das zu gründende Priesterwerk) ernst nehmen, weil davon das Heil meiner Kirche abhängt. Ich selbst werde sein Lohn sein!“

 

07.02.1944

2545 |        Ich bin wie in einer Ekstase des Geistes, indem alles Eigene passiv weggenommen ist und dem Erleben Gottes zugewendet wird. Die Seele verliert gleichsam das Bewusstsein ihrer Selbstexistenz und sie „dient passiv“ dem Erleben des in allerhöchstem Sinne von Gott Gebotenen. So bin ich zwar noch da, weiß aber nicht, wie ich bin; durch mein physisches Dasein existiere ich, aber der bisherige Zweck und eine nähere Umschreibung meines Daseins durch ein entsprechendes „Bewusstwerden“ ist mir wie weggenommen. – Diese Zustände können sich aber dergestalt steigern, dass die so emporgehobene Seele vermittels ihrer von Gottes Wesen aufgenommenen Kräfte meint und erfährt, was etwa so in Worten auszudrücken wäre: Ich selbst bin in Gott, oder: Ich bin wie Gott, ich bin vergöttlicht, ich bin „du“ geworden. – In diesen hohen Geisteserlebnissen wirken sich jene feinsten, in der Seele grundgelegten Fähigkeiten aus, die „Gottes Wesen zu erfassen und zu erleben vermögen“, oder mit anderen Worten, es zeigt sich allerhöchste Dienstbarkeits-Möglichkeit der Seele für Gott.

2546 |        Zugleich mit dieser ständig sich steigernden passiven Bereitung für Gott, bzw. für das Erleben des Gott-Menschen erfahre ich die Bereitung für den entsprechenden Dauerzustand: „Immer – als in einem Habitus – in diesem Erleben Christi bleiben, so als wäre dies mein eigenes Leben“. Diese Bewegung oder diese Art der passiven Vorbereitung und dazu anderseits meine persönliche Bereitschaftserklärung dazu, das sind wie Wellen, die ständig über mich ergehen; habe ich mich hingegeben, so verlangt die nächste mich erfassende Geisteswelle eine noch intensivere Hingabe: „Was habe ich noch an mir, das du nicht schon genommen hättest?“ So bin ich wie eine ausgepresste Zitrone ohne Saft; oder ich bin wie ein Gebundener, der sich nicht bewegen kann, ohne Freiheit als jene des Geistes! – Darin zeigt sich das Geheimnis des Verhaltens Gottes gegenüber der Seele: Er nimmt nicht ohne ihre Bereitschaft und Zusage. Die Willensfreiheit bewahrt auch in diesen hohen Stadien des geistlichen Lebens ihre freie Zusagemöglichkeit. Das passive Verlangen ist dabei gleichsam das Wasser, worin die Seele wie am Ertrinken ist, aber die unaufhörlich einander folgenden Wellen sind die ausdrücklichen Bereitschaftserklärungen: Ja, für immer, ja, für immer! – Dann kommt dazu die sich immer wiederholende Versicherung des göttlichen Geistes, des Lebens meines Lebens: „Für immer wirst du dann auch Anteil haben an MIR, an MIR!“ – – In diesem „an MIR“ ist es, als stiege zugleich der ganze Himmel auf, und dieser Himmel ist Gottes Sein selbst; es ist die Fülle Gottes und seiner Mitteilungsbereitschaft. – Nur eine gleichsam von der Enge der Materie befreite Seele kann diese Geistesglut ertragen, in der Gottes Wesen sich der Seele eröffnet und diese göttliche Glut in sich ergießen lässt, wobei aber doch das gewöhnliche, äußerlich normale Leben erhalten bleibt. In den Jahren, oder vielmehr jahrzehntelangen Erhebungsleiden ist eben die Seele bewegungsmöglich und gleichsam „dehnbar“ geworden für das Wesen Gottes; dieses Angefülltwerden und Angefülltsein von ihm ist wie zu ihrem Lebenselement geworden.

 

08.02.1944

Abends:

2547 |        Wiederholtes Wissen: „Es kommen große Leiden“ – aber es scheint: Wie kann wohl in dieser Fülle des Gesättigtseins ein Leiden mich berühren?

 

09.02.1944

2548 |        Es ist wie an einem klaren Sonnentage: Es zeigt sich ein Wölkchen, das immer größer wird und schließlich den ganzen Himmel bedeckt. Und verschwunden ist der klare Sonnentag. – So bin ich heute in ganz außerordentlich schweren Leiden, die zu beschreiben es keine Worte gibt. Es sind Todesschmerzen; es ist ein Verscheiden und Aufgelöstwerden im tiefsten Sinne des Wortes, und ich selbst bin gleichsam dieses Leiden und diese Auflösung. Die Seele windet sich im Schmerz. Es ist wie der Tod selbst, unter dessen eisernen Klammern sie zu vergehen meint. Ich finde nur Ruhe im Leiden.

 

10.02.1944

2549 |        Das Leiden selbst ist Ruhe. Auch am Kreuze kann man ruhen und ich ruhe heute gut am Kreuze, nein, nimmer will ich diese süße Ruhestätte verlassen.

2550 |        Herr, für dich leiden und verachtet werden und verborgen leiden: Welche Befriedigung und welche Gnade! Lass mich am Kreuz, das ich nun schon gewohnt bin! Im Kreuz ist Ruhe und Ablösung von allem Wollen und allen persönlichen Interessen, und das sind die größten Wohltaten, die Gott einem Menschen gewähren kann. – Der eigene Wille und die persönlichen Interessen sind dem Menschen meist nur zur Unruhe und zum Verderben.

2551 |        Tiefer als selbst im geistigen Genießen Gottes ist mein Friede am Kreuz und in der Verdemütigung, weil ich damit dort bin und in dem bin, was mir zukommt.

 

11.02.19441041

2552 |        Es gibt nicht nur eine „Glückseligkeit“, es gibt auch eine „Leidensseligkeit“. Das Kreuz ist Wonne des Paradieses, ja mein Himmel auf Erden. „Herr, lass mich immer verborgen bleiben und immer am Kreuz der Verkennung hangen, nur dir allein bekannt und nur im Kreuze vereint!“

 

22.02.1944

2553 |        In der Kirche der Madonna von Pompeji erhielt ich heute nachfolgende Weisung vom Heiland „über den Weg zur Ausführung seiner Absichten bezüglich des zu gründenden Priesterwerkes“. Diese die S.J. Betreffenden Weisungen soll ich als den Willen Jesu an die S.J. weitergeben:

1. Der Heiland will das Werk: „Es ist das Werk meines Herzens, wodurch ich meine Liebesabsichten für das Priestertum und für die Kirche zur Ausführung bringen will“.

2. „Das Werk selbst geht hervor aus dem innersten meines Herzens: Meine göttliche Liebe drängt mich, dass ich mich selbst mit den Schätzen der Menschwerdung und Erlösung als neues Heilmittel gegenüber dem Unglauben dieser Zeit über das Priestertum gießen“.

3. „Den letzten und endgültigen Weg der Ausführung behalte ich mir als mein Geheimnis vor; nachdem mein Wille anerkannt ist, wird meine göttliche Vorsehung alles fügen. Ich will aber, dass durch Prüfung des Werkes mein Wille anerkannt werde und diese Anerkennung meines Willens wird der S.J. den Weg weisen zur Beseitigung der bestehenden Schwierigkeiten“.

4. „Die S.J. braucht insofern nicht die Entscheidung des Obern aufheben, als es ihr immer noch in gleicher Weise freisteht, das Werk für die S.J. anzunehmen oder nicht; es liegt aber nicht in ihrer Gewalt die Entscheidung über das Werk selbst, dass mein Kleinod ist“.

5. „Ich erwarte deshalb von den betreffenden Persönlichkeiten, dass man es nach Prüfung als höchst eigene, persönliche Angelegenheit betrachte, die bestehenden Schwierigkeiten zu entfernen zu suchen; ich werde dafür die S.J. belohnen, denn es ist mein Werk. – Ich suche mir Helfer zur Ausführung meiner Absichten; man dient mir damit. Man kann die Herkunft des Werkes prüfen; es wird sich als göttliches Werk erweisen“.

6. „Ich gehe in der Ausführung meiner Absichten den ordnungsgemäßen Weg über die Oberen“.

 

25.02.1944

2554 |        Die Grundlage im Leben des Gott-Menschen Christus ist Gottes wesentliche und unveränderliche Vollkommenheit – und diese getragen und menschlich gelebt von einer Seele mit höchster Entfaltungsfähigkeit. Die Seele Christi war das „Gefäß“, in das sich die göttliche Person des Wortes gleichsam „legte“, um von ihr getragen zu werden. Dazu musste aber diese Seele eine entsprechende Befähigung besitzen. Diese Befähigung bestand jedoch nicht darin, dass die Seele Jesu eine absolut andere gewesen wäre als unsere gewöhnliche Menschenseele, sondern die wahre, menschliche Seele Christi kam infolge der eigenartigen Inanspruchnahme durch die göttliche Kraft der Person des Erlösers zu einer höchsten Steigerung der in ihr auch in einem besonderen Maße grundgelegten und vorhandenen Anlagen bzw. ihres allgemeinen seelischen Wesens selbst. – Damit ist nicht gesagt, dass alle Seelen jene höchste Entfaltungsfähigkeit besäßen, wie sie für die Seele Jesu entsprechend dem Wesen der göttlichen Person notwendig war, aber es handelte sich auch bei der Seele Jesu darum, im Allgemeinen jene Anlagen und Grundlinien zu entfalten, die, wenn auch in verschiedenem Maße und Grade, in jeder Seele vom Schöpfer grundgelegt sind, in der Seele Christi aber aufs Höchste befähigt und vollendet waren.

2555 |        Zum tieferen Verständnis des Geheimnisses der Seele Christi werde ich immer wieder hingeführt auf den Zustand der Menschenseele im Paradies, wovon sich aber der Mensch im gefallenen Zustand für gewöhnlich (d. h. ohne besondere Gnade) keinen annähernden Begriff machen kann. Wir können uns zwar von der gefallenen Seele die Sünde wegdenken, ebenso die Versuchungen, und allenfalls auch noch jenen ständigen Zwiespalt im Menschen zwischen Gut und Böse, zwischen Wollen und Nicht-Können, usw. – jedoch über die Schließung dieser Kluft und des Abgrundes in uns, über die volle Harmonie der reinen Paradiesesseele zwischen Seele und Leib, über jene letzte Wohltat für den Menschen selbst, die vom Schöpfer den Menschen nach Überwindung der tiefsten Klüfte und Abgründe unserer gefallenen Natur geboten wird, darüber kann sich der Mensch für gewöhnlich keine Vorstellung machen, es sei denn aus eigener Erfahrung nach Überwindung der eigenen Disharmonie oder durch Gottes besondere Gnade. Und doch ist jenes Überwinden der eigenen Unordnung erst der Anfang des Aufstieges zu jener lichten Höhe eines Zustandes oder Habitus des „Schon-überwunden-habens“, dessen köstliche Früchte erst allmählich und ständig sich steigernd reifen und sich zeigen. Die Seele gelangt dann zur ausschließlich „wesentlichen Betätigungsart“, wobei das Höhere im Menschen voll gebietend über dem Niederen steht und aus Geist und Materie, aus Geist-Leben und Leib-Leben eine volle Harmonie und ein geordnetes Einverständnis sich gebildet hat. – Wollen wir aber die Seele Jesu erforschen, so bleibt uns als gangbarster Weg doch nur der über die Betrachtung jener vollkommenen Reinheit und Harmonie der Paradiesseele.

 

Über das Erwachen und Bildung des Seelenlebens im Allgemeinen

2556 |        Es gibt in der Seele zwei Arten von Betätigungsmöglichkeiten: die wesentliche und die unwesentliche Betätigungsart. – Die Wesentliche ist der Seele notwendig zu ihrer Existenz und zu ihrem geistigen Bestande und Leben, zu ihrer entsprechenden Entwicklung und ihrem Ziele in sich selbst. Der Mensch ist nämlich ein ständig, „werdendes Wesen“, d. h. seine Seele ermöglicht sich ihr Dasein durch ständige Selbsttätigkeiten, durch ununterbrochene Selbstarbeit. Nicht nur, dass die Seele das leibliche Leben ermöglicht durch fortgesetzte „Lebens-Tätigkeiten“ (auch wenn diese nicht unmittelbar ins Bewusstsein treten); über das leibliche Leben hinaus ermöglicht sie sich auch ihre eigene geistige Existenz und ihr tatsächliches geistiges Fortschreiten.

2557 |        Das durch sie schon hergestellte und bestehende leibliche Leben bietet ihr dazu die nötigen Hilfskräfte oder die physischen „Betriebszellen“, die der Seele immerwährend dienstbar sind (das Wort „Betriebszellen“ wurde mir innerlich gegeben als Ausdruck für jene Sammelpunkte – seien es Gehirn- oder Nervenzentren usw. –, durch die das tatsächliche Leben mit seinen Rückwirkungen für die Seele selbst „wahrnehmbar“ gemacht werden).

2558 |        Diese physischen „Betriebszellen“ sind die Empfindungsmöglichkeiten, die bereits eine Rückwirkung des tatsächlichen „Lebens“ der Seele zu bewirken vermögen; sie sind im werdenden Menschen einem ständigen Wachstum oder vielmehr einer Steigerung ihrer Betätigungsart unterworfen. Die Aufgaben dieser physischen Betriebszellen sind entweder solch rein geistiger Natur, soweit sie geistiges Seelenleben hervorzurufen vermögen, oder rein physischer Wahrnehmungsfähigkeiten, mittels deren physische Eindrücke dann ins Geistige übertragen werden, oder sie haben eine Mittel- und Verbindungsstelle zwischen Geistigem und Leiblichem im Menschen, insofern sie das Gemüts- oder Gefühlsleben verursachen. – Die höchste Art dieser physischen Betriebszellen und die vornehmste Art der Rückwirkung des wirklich gelebten Lebens der Seele sind die dem Intelligenzleben dienenden physischen Kräfte. Freilich können in Ausnahmefällen (bei sogenannten „Geisteskranken“) diese Betriebszellen fehlen oder nur mangelhaft entwickelt sein, obwohl das leibliche Leben seine Funktionen ausübt, und dann bleiben jene geistigen Anlagen, denen sie dienen sollten und die mit jeder Seele gegeben sind, wie in einem Erstarrungszustand, der nicht zur Auslösung gelangt. Die Seele selbst hat alle notwendigen Anlagen, auch wenn diese nicht immer in entsprechender Form und Ausdehnung von ihren Fähigkeiten weitergeleitet und übertragen werden in das physische Leben, von wo dann auch keine entsprechende Rückwirkung wahrgenommen werden kann.

2559 |        Die höchste Leistung des schon wirklich gelebten Lebens ist das „geistige Empfinden“ als schon „bestehende, bewusst gewordene Realität“. Diese bewusste Realität beginnt nun, sich selbst weiter zu bauen, und sie tut dies mittels der sich entwickelnden Hilfskräfte oder der physischen „Betriebszellen“. Darum ist die Erhebung der dem Intelligenzleben dienenden Hilfskräfte oder Betriebszellen die vornehmste diesbezügliche Betätigung des Lebens der Seele. Diese Erhebung ist aber größtenteils, ja hauptsächlich von der selbstig geübten Mitarbeit des Menschen abhängig.

2560 |        Das Bewusstwerden eines geistigen Empfindens als selbstige Realität schließt für einen normalen Menschen auch schon eine Reaktion oder Antwort in sich, wie er sich nämlich zu diesem Bewusstseinsinhalt stelle, mit andern Worten: Der Akt dieses Bewusstwerdens fordert unmittelbar einen Gegenakt, eine Reaktion als Antwort auf jenen bewussten geistigen Sachbestand. Und diese Reaktion gibt der Mensch allmählich mehr und mehr durch „eigenständige Bemühung“ um die entsprechende Antwort. Diese Bemühung fordert wieder die Selbstarbeit der Seele heraus unter Heranziehung aller schon vorhandenen Kräfte, deren es zu jener Reaktion oder Antwort bedarf. – Mittels dieser ununterbrochenen Betätigungen des Bewusstwerdens und der Bestandsaufnahme oder der Feststellung der jeweiligen Bewusstseinsinhalte und der Festlegung der darauf zu gebenden Antwort, bildet sich der Mensch in sich, in seiner Seele, einen geistigen Umkreis mit Reaktions- und Antwortmöglichkeiten in den verschiedensten Formen, denen der schon entwickelte Wille vorzustehen beginnt.

2561 |        Auf diese Weise bildet sich in der Seele das, was wir das eigentliche „Seelenleben“ nennen, eine gewisse Abhebung vom Leben der Materie, eine Art „Geist-sein“ des Menschen. Damit baut sich der Mensch gleichsam in sich selbst ein, wird er sich sozusagen selbst zur „Umgebung“ und die Seele wird zum Mittelpunkt und zum bewusstwerdenden Zentrum ihrer eigenen Betätigungen und Existenz. Dabei holt die Seele fortwährend ihre eigenen Kräfte aus sich heraus, um sich selbst geistig zu erhalten und geistig leben zu können. So ist die Seele immerfort – und zwar in einer gewissen „bewussten Form“ – von ihren eigenen Betätigungen abhängig gemacht, die sie ständig anfordert, um bewusst und entsprechend auf den jeweiligen inneren Sach- oder Tatbestand zu antworten; denn dies ist notwendig, wenn der Mensch überhaupt sein Mensch-sein normal und würdig weiterleben soll. – Vielleicht liegt das tiefste natürliche Geheimnis des Mensch-seins in dieser immerwährenden1042 Selbstanforderung, durch die der Mensch sich und seine Kräfte aus seinen eigenen Tiefen herausholt und so gleichsam ständig sich selbst verwertet und sich zu seinem eigenen Bestande hergibt und hinzugibt. Um geistig bestehen zu können, ist aber der Mensch geradezu gezwungen, sich auf diese Weise selbst zu verwerten, und diese Selbstverwertung wird dem Menschen wie zum Naturzustand, ohne dass er dies besonders empfindet oder darauf achtet.

2562 |        So lebt der Mensch in sich, d. h. in seiner Seele einen ständigen Kreislauf des Gebens und wieder Empfangens: Er bietet sich selbst1043 und seine Kräfte für sein Dasein an und gibt sie ihm hin, und er erhält das Gebotene und Gegebene wieder als Frucht zurück. Die angeforderte eigene Krafthingabe und das Selbstangebot kehrt zu ihm zurück als Rückwirkung einer schon verwerteten Kraft, gleichsam als Frucht des „Lebens“. Und all diese vielen, ja ständig sich folgenden Früchte des eigenen Lebens behält sich die Seele als ihren beständigen, inneren Umkreis oder als das, was wir in einem allgemeinen und weiten Sinne das „Gemütsleben“ nennen.

2563 |        Das „Gemütsleben“ im Allgemeinen kann einen rein geistigen Ursprung haben oder es kann auch vorwiegend das physische Leben einbeziehen. – Im ersten Fall entspringt es als geistiges oder höheres Gemütsleben den Intelligenzkräften, aber zugleich auch einem tiefsten, eigenen Antrieb, der wiederum einer wesentlichen seelischen Anlage und der Vererbung entspricht. – Überhaupt erhält das Gemütsleben immer sein besonderes Gepräge, in erste Linie durch die Eigenart der betreffenden Seele selbst, bzw. durch die besonderen Rückwirkungen, welche diese Eigenart in sich selbst oder in den äußeren Lebensresultaten hervorzubringen vermag. Nicht so sehr die von außen einströmenden Eindrücke und Erlebnisse sind für das Gemütsleben entscheidend, sondern weit mehr das, was als persönliche Anlage gleichsam aus der Seele quillt und zugleich die Art und Weise, wie dies aus ihr hervorkommt. Nach dieser persönlichen Anlage richtet die betreffende Seele ihr Gesamtleben ein und prägt sie dem1044 ganzen Umfang ihres Lebens den Stempel ihrer besonderen Eigenheit auf. So ist die bestimmende Eigenart eines Lebens immer in der Art der betreffenden Seele selbst zu suchen. Jeder Mensch trägt sich zuerst und zutiefst in sich selbst, verarbeitet entsprechend seiner Eigenart innerlich sein eigenes Leben und lässt es danach von innen nach außen wirken.

2564 |        Das tiefer liegende, mehr sinnenhafte Gemütsleben ist gleich die Einfassungsmöglichkeit für die von außen, vom Materiellen kommenden Eindrücke und Erlebnisse, die dann gleichsam emporgetragen, verwandelt und schließlich als geistige Erlebnisse der Person selbst zugeführt werden. Alle leiblichen Erlebnisse zum Beispiel werden auf diese Weise vermöge der Geistigkeit unserer Seele in eine geistige Erfahrungsmöglichkeit eingefasst und verwandelt und der Seele in dieser Form zum Erleben zugeführt. In diesem Sinne lebt in der Seele kraft ihrer Empfindungsfähigkeit eine ständig tätige Umwandlungskraft.

2565 |        Eine Folge davon ist die Mittel- oder Verbindungsstelle, die das Gemütsleben oder die Empfindungsfähigkeit in der Seele des Menschen einnimmt und die sich im „Erleben“ dieser Empfindungen oder im eigentlichen „Gefühl“ äußert und auslöst als Freude oder Trauer, Sympathie oder Antipathie, Furcht oder Hoffnung usw. Das Menschenleben ist fast jeden Augenblick von diesen „Empfindungen“ oder „Stimmungen“, vom Gemüts- oder Gefühlsleben irgendwie durchsetzt und getragen. So begleitet – um nicht zu sagen „beherrscht“ – das Gemütsleben, in das Seelenleben selbst eingefasst, das ganze menschliche Dasein.

2566 |        Die letzte Bewertung und Beurteilung auch dieses Teiles des Seelenlebens steht der menschlichen Person selbst zu; denn auch das Gemütsleben ist derart in der Eigenart der Person selbst verwurzelt und verankert, dass es zum Gemütsleben dieser einmaligen Person wird, weil es der Eigenart der Empfindungsfähigkeit dieser Person zugehört. Diese Empfindungsfähigkeit wird im Zentrum der Person selbst reguliert und bestimmt, denn der Person kommt es zu, die Art und den Grad der entsprechenden seelischen Bewegung als ihre eigene persönliche Reaktion und Antwort hervorzurufen. Darum ist im Grunde die Person der Wert- und Gradmesser auch des gesamten Gemütslebens.

2567 |        So bewegt sich also die Seele des Menschen in ununterbrochenen wesentlichen Betätigungen verschiedenster Art, die notwendig sind, um ein normales Seelen- und Menschenleben hervorzubringen und zu erhalten. Der Mensch ermöglicht sein eigenes Seelenleben durch fortgesetzte, eigene Antriebsmöglichkeiten und Impulse, die ihm für gewöhnlich nicht ausdrücklich ins Bewusstsein kommen. – Dazu gehört auch das weite Gebiet der geistigen Ausbildung für einen bestimmten Beruf, der das äußere Fortkommen des Menschen gestattet und fördert.

2568 |        Neben diesen wesentlichen, und dem geistigen Bestehen der Seele dienenden und notwendigen Betätigungsarten trägt aber die Seele noch andere, unwesentliche Betätigungsmöglichkeiten in sich, die nicht so sehr für das Leben selbst notwendig sind, als vielmehr dazu dienen, das Leben schöner, angenehmer, leichter oder auch schwerer zu machen. Gewiss ist diese Art der seelischen Betätigungsmöglichkeiten insofern auch schon in der erstgenannten wesentlichen Art mit einbegriffen, weil es nun in der Natur der Seele liegt, sich das Leben möglichst freudig, angenehm und leicht zu gestalten, aber dennoch gehören diese unwesentlichen Betätigungsarten nicht notwendig zum normalen Fortbestand der Seele selbst.

2569 |        Der Mensch trägt nämlich fortgesetzt in sich einen unübersehbar weiten Umkreis von Gedanken, Gefühlen, Fantasiebetätigungen, Wünschen, die für gewöhnlich nicht notwendig wären und nicht erzeugend tätig sind, sondern nur als leere oder unfruchtbare Betätigungen dem eigenen Genussleben – wenn auch in einem erlaubten und selbst geistigen Sinne – diene. So wie der Leib des Menschen sich das an Nahrung sucht, was ihm am meisten „schmeckt“ und ihm sozusagen schmeichelt, und damit das in ihm angelegte Genussleben nährt, so ähnlich will auch die Seele – selbst in ihren eigenen Betätigungen – sich nähren von einer Umgebung, die ihr schmeichelt und gefällt und Vergnügen macht. – Das geordnete Genussleben als Erleben von Freuden, erlaubten Vergnügungen und ebenso der geregelte Genuss der physischen Natur ist vom Schöpfer in die Seele hineingelegt und ist somit ein natürliches Resultat der normalen Betätigung einer gesunden Seele. Die Paradiesesseele hatte aber nur die vom Schöpfer geschaffene wesentliche Betätigungsart und diese genügte ihr vollkommen, um sich das Leben inhaltsreich und damit in einem höheren Sinne genussreich und schön zu machen. Die unwesentlichen Betätigungen hingegen sind eine Folge der gefallenen Menschennatur und sie macht sich der Mensch, obwohl größtenteils überflüssig, selbst hinzu. Gewiss sind sie eine Folge des Falles in die Erbsünde, aber diese Folgen haben sich in dem Sinne ausgedehnt, dass sich der Mensch fast ständig Selbstbeschäftigungen als unwesentlichen Betätigungen der Seele hingibt. Daher kommt es, dass die Menschen vielfach, wenn nicht meistenteils nur Leidenschaften in sich nähren, zweifelhaften Lieblingsideen huldigen, Luftschlösser bauen, Seifenblasen nachjagen, unnützen Fantasien nachhängen usw., wodurch die Seelenkräfte wohl in Anspruch genommen, aber nicht veredelt und vervollkommnet werden. Ganz abgesehen davon, dass solche unwesentliche Betätigungen der Seele meist mehr zum Schaden als zum geistigen und religiösen Fortschritt beitragen.

2570 |        Wie vorher beschrieben, wurde ich schon in den genannten früheren Jahren meines Innenlebens durch die führende Gnade angehalten, alle unwesentlichen Betätigungen der Seele auszuscheiden, um dadurch der Gnade Gottes bzw. dem Leben Jesu in mir vollen Raum zu schaffen. –

2571 |        (In den Aufzeichnungen von 1942 habe ich auch die wesentliche Art der Betätigung der reinen, harmonischen (Paradiesesseele) Seele näher erklären können.) – Gewiss widerspricht dieses harte Beschneiden der früher gewohnten, aber unwesentlichen Betätigungen, dem selbstigen Genussleben, aber es bedeutet zugleich auch einen wunderbaren Aufstieg aus den Niederungen des selbstischen geistigen (wenn auch nicht sündhaften) Genusslebens zu der hohen Ebene vollkommener Selbstbeherrschung und zu dem vollkommenen und hohen „Genuss“ (ganz anderer Art) eines reinen Menschentums wofür Gott uns eigentlich geschaffen hat. Die rein wesentlichen Betätigungen der Seele bewirken diesen vollen „Genuss“ und Frieden eines reinen, endlichen Menschentums. – Der Aufstieg dazu, der von der Ausschaltung eitler und selbstgefälliger Gedanken an aufwärtsführt bis zur Höhe der nur und ausschließlich wesentlichen Betätigungen der Seele, ist aber ebenso sehr dem Leben Gottes in der Seele förderlich und besagt gleichsam den Gipfel von Selbstbeherrschung und Freiheit in sich selbst. Es verhält sich damit ähnlich wie wenn auf einem anderen, verwandten Gebiet, wenn nämlich die Seele von der Übung der täglichen guten Meinung angefangen aufwärtsstrebt bis zum höchsten habituellen Grade der reinsten Absicht in all ihren einzelnen Handlungen. Wohl kommt die Seele in keinem Falle eigentlich an ein Ende, aber je mehr sie sich des eigenen – wenn auch des an sich erlaubten – Genusslebens entkleidet und je mehr sie ihre Werke und Handlungen nur für Gott und Gottes Wesen zu verrichten sucht, desto mehr wird sie in jedem Fall befähigt zu höchster Vereinigung mit Christus Jesus.

 

27.02.1944

2572 |        Heute hatte ich sehr klare und tiefe Bekenntnisse über die in folgenden kurzen Punkten angedeuteten Geheimnisse. Wie mir scheint, werde ich erst darüber schreiben können, wenn ich den Endzustand (und die versprochene Gnade der psychologischen Befestigung darin) voll erreicht haben werde.

2573 |        Zunächst hatte ich ein ganz außergewöhnlich tiefes Erfahren des Geheimnisses der Heiligsten Dreifaltigkeit, besonders des Geheimnisses: Das „Wort“ als Person lebte eine menschliche Seele ein „als Person“:

2574 |        Gottvater bringt im eigenen Selbsterkennen als göttlichen Ausdruck „das Wort“ hervor, und das Wort ist Person. – Und die „Person“ wird (von Ewigkeit) zum wirklichen „Gegenüber“ zu seinem Erzeuger. – Der Erzeuger und der Erzeugte sind von „einem“ Geiste durchlebt, vom Heiligsten Geiste als einem wirklichen „Gegenüber“ und „Person“ – Eine Dreifachheit in und von einem Wesen!

2575 |        Der Mensch „untersteht“ infolge seines gefallenen Zustandes einem Gesetz der Unordnung.

a) Über die gefallene Menschenseele

b) über die Paradiesesseele

c) über die „aszetische“ Seele

2576 |        Wie bezüglich des Geheimnisses der Heiligsten Dreifaltigkeit nur gewisse Richtlinien und sozusagen nur „Worte“ genommen werden können, um dieses Geheimnis einigermaßen nahezubringen, während die ganze Tiefe des erfassten und erlebten Schauens niemals wiedergegeben werden kann, so ist es auch bezüglich des Geheimnisses der Menschwerdung und des Erlösers. Es können immer nur „Linien“ angegeben werden, die dann durch Studium des psychologischen Geheimnisses zusammengefügt werden müssen.

 

März

12.03.1944

2577 |        „Herr, immer und in allem gekreuzigt sein!“ – Wenn ich nicht am Kreuze bin, so habe ich keine Hoffnung. Das Leiden ist für mich Ruhe des Geistes, ist Leben in den Armen Christi, ist meine einzige Zuversicht.

 

13.03.1944

2578 |        Wie der Dünger (wenn ich den Vergleich wagen darf) notwendig ist für die Fruchtbarkeit der Erde, so das Kreuz und die Leiden für die Werke Gottes. Im Leiden ist Ablösung von der eigenen Gebundenheit, Befreiung von der Selbstsucht, auch in deren scheinbar erhabenen Formen, und das Kreuz allein weist das wahre Ziel, nämlich hin zu Gott. Jesus selbst ist gleichsam im Leiden verborgen und er selbst bewirkt damit alles in der Seele gemäß seinen göttlichen Absichten. – Ohne Leiden scheint darum Stillstand zu sein, auf dem Weg zur Vereinigung mit Christus. Je schwerer es aber „bergan“ geht, desto mehr und sicherer geht es „bergauf“.

 

14.03.19441045

2579 |        Am Marienaltar in St. Peter war ich heute in passiver Weise in große Beruhigung darüber versetzt, dass ich mich jetzt – in dem Hause, in das ich am 4. März gezogen bin – ohne Sorge oder Unruhe ganz dem Erleben Jesus hingeben kann. – Das Aufgeben meines persönlichen Lebens in der Art, in die ich dabei gleichzeitig innerlich versetzt war, bringt die Möglichkeit auch des Priesterwerkes. In dem Maße, als ich fähig werde, meiner Aufgabe entsprechend in Christus einzugehen, werden auch die bestehenden Schwierigkeiten gegen das Werk entfernt werden. Es gibt aber wiederum kein Wort, um diese rein geistige Erfahrung voll auszudrücken.

 

15.03.1944

2580 |        In der Kirche des hl. Eustachius, vor der ergreifenden Kapelle des gekreuzigten Heilandes, wurde ich heute ganz tief eingeführt in das Geheimnis: „Dieser Gekreuzigte ist Gott, ist Mensch geworden, gezeugt vom Vater als Erlöser!“ Das Herabsteigen des göttlichen Wortes in diese leidende und sterbende Menschheit, einbezogen in das weitere Geheimnis des Menschseins der göttlichen Person nach der Art unseres Menschseins, dies wurde mir zur wahren und erschütternd erlebten Wirklichkeit. –

2581 |        Es wurde mir im Geiste gesagt: „Noch niemals ist dieses Geheimnis der Menschwerdung Gottes in gebührender Weise anerkannt worden“. Gewiss kann dieses Geheimnis in alle Ewigkeit nie gebührend von den Menschen anerkannt werden, weil es ein Geheimnis der unendlichen Liebe Gottes ist, in das der Mensch niemals ganz eindringen kann; aber ich wusste: Christus will im Geheimnis seiner Menschwerdung und Erlösung in einer vertieften Form1046 anerkannt werden, die der kommenden Zeit vorbehalten ist.

2582 |        Es wurde mir wie vom Vater gesagt – und es war erschütternd: „Ich sandte IHN. – ER kam in die Welt. – Aber die Welt anerkennt ihn nicht. – Man weißt IHN ab. Man glaubt nicht an IHN.“ – dabei war ich in die ergreifende Wirklichkeit des Erlösers versetzt: Es ist etwas furchtbar Ernstes um die Gottheit des Erlösers, um die Tatsache, dass „Gott seinen eingeborenen Sohn nicht geschont, sondern ihn hingegeben hat für die Sünden der Welt“, um die Wahrheit und Tatsache also: DER, der da starb, ist wahrer Gott und lebte als Mensch!

2583 |        Mir schien diese Offenbarung vom „Vater“ zu kommen, der seinen Sohn in die Welt gesandt hat und der in seinen göttlichen, unendlichen Liebesbeweisen vom heutigen Geiste des Unglaubens, wie vielleicht noch niemals „abgewiesen“ wird. Der Unglaube der heutigen Zeit ist vor allem ein Abweisen des Erlösers. Ich schaute, wie dieses Abweisen Gottes bzw. des Erlösers zur Kluft, zur erschreckenden Kluft zwischen Gott und der Menschheit geworden ist, aufgerissen durch den Unglauben, und zwar auch bei vielen sich „gläubig“ haltenden Seelen. Es fehlt auch bei den „Gläubigen“ vielfach der lebendige Glaube an die unbedingte Abhängigkeit des Menschen von Gott und es fehlt besonders der Glaube an die Schrecklichkeit der Sünde und damit der lebendige Glaube an die Notwendigkeit und an die große Wohltat des Erlösers. Die tiefe, gottgeschuldete Anerkennung des Erlösers und seiner Gottheit ist verflacht und vielfach verschwunden. Die Absicht, in der Gottvater den Sohn als Erlöser gesandt hat, wird nicht mehr in gottgewollter Weise, d. h. nicht mehr in lebendigem Glauben anerkannt. Praktisch glaubt man nicht mehr oder doch wenig an den Erlöser und seine Gottheit. Der Glaube aber ehrt Gott am meisten, weil dadurch der Mensch als Geschöpf sich seinem Schöpfer unterwirft. Der Glaube ist eine beständige Huldigung an Gott. – Der Unglaube ist es aber hauptsächlich, der das Strafgericht auf die Menschheit herabgezogen hat, das sich jetzt an ihr vollzieht. Und ich erkannte und schaute den Krieg als ein fruchtbares Strafgericht der göttlichen Gerechtigkeit über den heutigen Unglauben.

2584 |        Als Heilmittel gegen den heutigen Unglauben schaute ich meine besondere Sendung – dass nämlich Christus als Gott im Geheimnis der Erlösung wieder mehr anerkannt werde: „Ich habe dich erwählt, dass dieses göttliche Geheimnis mehr (in einer vertieften Form) anerkannt werde“. – Christus offenbart sich deshalb tiefer im Geheimnis seiner Gottheit und Menschheit als Erlöser, um den Glauben an den Gott-Menschen neu zu beleben.

2585 |        Schon im Januar dieses Jahres hatte ich in der Kapelle der Ursulinen eine ähnliche Offenbarung vom Vater: „Möchte doch eine Seele gebührend die Unermesslichkeit meiner göttlichen Liebe anerkennen, mit der ich meinen Sohn in die Welt gesandt habe als Erlöser! Welche Verherrlichung wäre das für MICH!“ – Diese Worte des Vaters hatten eine solche Wirkung auf mich, dass ich glaubte, ich müsste mich auf den Boden werfen, um in Dankbarkeit für das göttliche Geschenk des Erlösers immer vor dem Vater auf den Knien zu liegen. – Ja, Gott in seiner absoluten Wirklichkeit seiner Existenz zu erfahren, das ist etwas Erschütterndes. –

2586 |        Freilich, ganz kann die Unermesslichkeit und Unendlichkeit der Wirkungen der Erlösungsakte Christi den Menschen nicht erklärt, sondern nur im Himmel geschaut und hienieden in etwa in den Früchten erlebt werden. Es muss aber der Glaube an die Unermesslichkeit und die göttlich-unendlichen Wirkungen der Erlösung neu geweckt und belebt werden. Es muss wieder tiefer bedacht und anerkannt werden, dass durch die menschliche Natur Christi erlittenes „Herabsteigen der göttlichen Person des Wortes“ und ihre Selbstentäußerung bis zur Wesenheit und Wirklichkeit der Menschheit und des Fleisches! – – (Dies, während ich in wunderbarer Weise, die Früchten der Erlösung schaute).1047

 

25.03.1944

2587 |        In der Kirche „Nostra Signore del S. Cuore“ schaute ich wiederum die subjektive Vollerlösung im Gesamterlösungsplan. So lag es im Plan der unendlichen Liebe Gottes bzw. des Erlösers: Die Erlösungsgnaden sind so reichlich, dass jede einzelne Seele zu einem Zustand der „Vollerlösung“ gelangen könne. Damit durchschaute ich einen ganz einfachen, wie selbstverständlich scheinenden Geistesweg, ein Streben der Seele, die mittels der Taufe in Christus eingegliedert ist, und der deshalb dieser Geistesweg wie etwas Selbstverständliches eigen sein sollte.

 

26.03.1944

2588 |        „Dass Gott eine solch elende Kreatur, wie ich bin, auf seiner Erde, bzw. vor seinen Augen duldet!“ Ich bin nicht wert, das Leben zu haben und zu vegetieren. Mir scheint, noch niemals ist ein elenderes Geschöpf von Gottes Sonne beschienen worden. Ich möchte vergehen im Einsehen meiner erschreckenden Armut, Nichtigkeit und Sündhaftigkeit; „vergehen und vernichtet werden“ ist das wohlverdiente Los, das mir zukommt und widerfahren sollte. O, ich möchte mich verzehren und vernichten! – Ich bin wie zermalmt vor Gottes heiligstem Angesicht, und wenn er mich augenblicklich in ein Nichts zurücksinken lässt, so hat er das gerechteste Urteil über mich gesprochen. Es ist das größte Wunder seiner Barmherzigkeit, dass er mich so lange ertragen hat.

2589 |        Ich leide unter meiner Nichtigkeit, aber zugleich liebe ich sie. Es ist eine Qual, in den Abgrund einer solch erschreckenden Armseligkeit geworfen zu sein, aber zugleich finde ich die größte Ruhe darin; ich bin bereit, die ganze Ewigkeit darin zu verbringen.

2590 |        Ich bin beschienen von der göttlichen Sonne der Heiligkeit Gottes, die alle Stäubchen in der Seele aufdeckt und beleuchtet – zu meinem Entsetzen und zugleich zu meiner tiefsten Befriedigung.

 

April

03.04.1944

2591 |        Jetzt wird das Wissen um meine Vergangenheit gleichsam abgeschnitten und ich bin passiv nur der augenblicklichen Gegenwart hingegeben. Seit dem 1.4. „löst sich“ ein „neuer Zustand“ von meiner früheren oder bisherigen Lebensart ab. Der neue Zustand ist ein augenblickliches Sein, wobei ein Vorwärts- oder Rückwärtsschauen mir wie unmöglich ist. Es ist ein passives Gegenwartssein; es ist ein beständiges „ich bin“, ohne selbstständige Bewegungsmöglichkeit außer der für den Augenblick; es ist eine unaussprechliche Passivität, die einem impulsiven Antrieb untersteht. Mein einziges „Können“ ist, diesem immerwährenden Augenblicksdasein hingegeben zu sein. Die geistigen Leiden, die diese Passivität begleiten, sind aber unerklärlich.

2592 |        Im Leiden ist Jesus ständig in mir tätig und er selbst ist es auch, der diese meine Leiden hervorruft. – Und doch, welchen Frieden genieße ich in diesem peinvollen Leiden! Ich bin wie ein Kind, das in den Armen der Mutter ruht, weil es sich dort am sichersten und geborgensten fühlt. So gut ruhe ich am Kreuze; es ist meine einzige Sicherheit und Zuversicht.

2593 |        Ich will darum nichts wissen, und nichts wollen als diese augenblickliche peinvolle Süßigkeit auskosten, so wie die Biene, die sich mit Begierde auf die Blume stürzt, um aus dem Blütenstaub den kostbaren Honig zu bereiten, der anderen zur Heilung und zum Genuss dienen wird. – Was brauche ich zu wissen, wie lange mein Weg noch sein wird bis zu meiner geistigen Vollendung? Erst dann sind wir „vollendet“, wenn der Herr die Seele zum unverhüllten Schauen ruft. – Bis dahin will ich vom Kreuze geführt und getragen sein, indem ich dem Augenblick des Kreuzes leben will. – Und was brauche ich zu wissen, wann und wie der Herr sein Werk der Liebe erreicht? Er kann es, vermögen seiner göttlichen Allmacht wie aus dem Nichts der Unmöglichkeit errichten, und er kann es auch auf dem Weg eines langsamen Martyriums seiner Kinder erreichen.

2594 |        Ich will nur dem Augenblicke leben und hingegeben sein und will mich „ablösen“ lassen durch jene geheimnisvolle und doch so starke göttliche Führung, durch die Vergangenheit und Zukunft für mich aufhören und mein Dasein einem beständigen „jetzt“ übergeben und überantwortet wird.

 

09.04.19441048

 In der Kirche „Santa Maria dell Anima“

2595 |        „Gott ist nicht religiös“. Er ist vielmehr Wirklichkeit in all seinen göttlichen Vollkommenheiten. Der Mensch hingegen ist „religiös“ in seinem Streben, sich göttliche sittliche Vollkommenheiten anzueignen. Das „Hinstreben“ zu Gott ist religiöses Leben. In Gott ist jedoch die Vollkommenheit und deshalb bedarf er in sich keiner Hinbewegung noch Erhöhung.

2596 |        Auch in hohen Vereinigungsstadien mit Gott „hört“ vielfach das „religiöse Leben“, in der früher gewohnten Form „auf“: Die Seele wird nämlich dann infolge der schon erlangten Gottvereinigung hauptsächlich von Gott selbst geführt und sie wird von ihm weitergeführt zu fortschreitender und konsequenter Erhöhung. Die persönliche Einsicht der Seele vermag auf diesen Stufen den weiteren Fortschritt nicht mehr zu erfassen und es fehlt ihr daher das aktive „Wissen“ des Weges, um sich aktiv weiter in Gott vervollkommnen zu können; darum setzt dann in noch höherer Weise das passive Vereinigungsleben ein.

2597 |        Jede durch Übung schon geläufig gewordene Tugend wird zum „Zustand“ in dieser Tugend oder zum diesbezüglichen „Vollkommenheitszustand“. In Gott ist dementsprechend der göttlich-wesentliche Vollkommenheitszustand der Wirklichkeit des Seins jeder Vollkommenheit. –

2598 |        Diese Erkenntnisse wurden mir innerlich erklärt in ihrer Anwendung und in Bezug auf mein Innenleben, nämlich auf meine Befähigung für jenen Vollkommenheitsgrad und -zustand, der notwendig ist, um das Wesen der göttlichen Person Christi ertragen zu können – soweit dies meine geistige Aufgabe verlangt und in sich schließt. Diese mir gegebene Anwendung ist aber ein rein geistiger Begriff, der in Worten nicht auszusprechen ist. – Andeutungsweise gesagt, handelt es sich für mich darum, einen Vollkommenheitszustand zu erreichen, der gleichsam eine Ebene und Ruhe in Gott ist, gelebtes Leben in Gott als Tat1049 und Ausübung der erreichten sittlichen Vollkommenheit, womit die „religiöse Übung“ ihren Zweck verloren hat.

 

09.04.1944

Osterfest

2599 |        „Leidensfeste“! – Ich befinde mich im passiven Erringen eines höheren Zustandes, nämlich einer „Ablösung von meinem eigenen bisher gewohnten Leben“. – So geht es von einem geistigen Tunnel in einen anderen, bis sich der neu errungene Zustand in Christus als bleibendes „Licht“ bewähren kann. Das jetzt kommende „Neue“ ist aber nicht ausdrückbar, oder höchstens so anzudeuten: Ein Zustand, ähnlich einer dauernden geistigen Ekstase, der mein „gewöhnliches“ Leben sein wird.

2600 |        Ich bin einem beständigen „Jetzt-Zustand“ eingeordnet, insofern mir die Möglichkeit des Erinnerns oder Vorwärtsschauens genommen ist. So ist mir die Vergangenheit wie abgebrochen und die Zukunft verhüllt. Dies bedeutet eine unerklärbare Heraushebung aus einem allgemeinen Gesetz des menschlichen Lebens, eine Art Loslösung von der eigenständigen geistigen Aktivität, die der „normale“ Mensch als Grundlage in sich trägt. Tiefste Ursache und Grundlage dieser nun ständig in mir erlebten Tatsache ist wohl die eigenartige und hohe Stufe der Vergeistigung meiner Seele, und eine sich immer mehr steigernde „Erhabenheit“ meines Gesamt-Menschseins.

2601 |        Was die begleitenden Leiden oft bis zu einem fast erdrückenden Maße steigert, ist der Umstand, dass auch die physischen Lebenskräfte einer immerwährenden Einordnung und Anpassung an diese Geisteserhebung unterstehen. Es ist dabei ein bestimmtes Ziel vorgesehen.

 

10.04.1944

2602 |        Am Abend des hl. Osterfestes ebbte das Leiden ab, und an dessen Stelle trat eine allgemeine Ruhe und ein passives Leben des Lichtes. – Es hat sich eine durchgreifende Freilegung und Ablösung meines Seins von der früheren Lebensart durchgebildet, doch wie wäre dies in Worten zu erklären? Es ist eine „erhöhte Art neuen Lebens“, das wiederum einem neuen Ziel zustrebt; es ist eine gewisse neue Zusammenfassung befreiter Geisteskräfte, die, nun losgelöst von dem Gesetze, dem sie bisher unterstanden, jetzt eines neuen Gebrauches und einer neuen Inanspruchnahme harren. Merkwürdig ist dabei, dass auch das Physische dem Geistigen in allem folgen können muss, dass also eine beiderseitige Zusammenordnung der beiden Elemente gefordert ist und ermöglicht werden muss, damit diese neu gebildete Einheit völlig einem neuen Gesetz dienstbar werden kann.

2603 |        Gegenüber dem gewöhnlichen Mensch-sein wirkt sich diese Vorbereitung des kommenden neuen Zustandes aus wie eine Art geistiger Lähmungszustand meines Gesamt-Lebens: Ich stehe so hoch über dem gewöhnlichen Leben, dass es scheint, als wären meine Geisteskräfte „lahmgelegt“ und könnten die gewöhnliche Umgebung, die Vergangenheit und die Zukunft nicht mehr „erfassen“ oder nicht mehr dem eigenen Bewusstsein zuführen; alles Gewöhnliche ist wie außerhalb des gewohnten persönlichen Bewusstwerdens gestellt. – Auch hierbei gehen Leiden und Erhöhung Hand in Hand und gehen ineinander über. Als passive Leiden empfinde ich den jetzigen Zustand, insofern das gewohnte bewusste Leben entzogen wird, dem der Mensch naturgesetzlich untersteht; dies bedeutet aber für mich ein „Sterben“, eine schmerzhafte Zerstörung und einen unerträglich scheinenden Mangel. Als zu erringender und teilweise schon erreichter Zustand aber bedeutet das jetzige Stadium eine wunderbare Freiheit, ja eine gewisse geistige „Unermesslichkeit“ in einem Leben des Lichtes. Der vorherige „Mangel“ geht über in eine neue Art der „Sättigung“ in einer Überfülle des Geistes.

2604 |        Neben dieser Erhebung erfasse ich auch immer wieder den letzten Zweck dieses in Vorbereitung befindlichen Zustandes: Ein geistig-mystisches Nacherleben des Zustandes des Gott-Menschen Christus, in dessen inneres „Leben“ ich eingehen werde. Ich erfasse darum zugleich mit der eigenen Erhebung das göttliche Wesen Christi in seiner Eigenart als Person in einem menschlichen Dasein, das Göttliche und Menschliche harmonisch zusammengeordnet. – Dabei ist die beständige Forderung der führenden Gnade an mich: bewusste, willentliche Bereitstellung meinerseits zu diesem letzten Zweck, nämlich das Geheimnis des Gott-Menschen erleben zu können.

 

12.04.1944

2605 |        Die besagte wunderbare Befreiung und Ablösung von meinem früheren Lebensgesetz „harrt nun seiner neuen Bestimmung und seines Zweckes“. Das „Wie“ ist aber –, oder der nächste Schritt ist mir noch dunkel. – Tätig ist in mir eine wiederholte Forderung der göttlichen Führung, die mich zugleich zum Geforderten befähigt: Bereit zu sein, auch alle „äußere Tätigkeit“ um meines geistigen Berufes willen aufzugeben und mich ganz jenem Leben des Geistes hinzugeben, das mich ganz in Anspruch und Beschlag nehmen wird (aus diesem Geistesleben heraus und nach dem neuen Lebensgesetz wird dann auch die entsprechende äußere Tätigkeit wieder kommen).

 

13.04.1944

2606 |        Wenn jemand sein Leben als dauerndes Dasein auf der Spitze eines hohen Berges einrichten will, so muss er entweder alles zum Leben Notwendige mit hinauf nehmen, oder er muss sich mit dem begnügen, was er dort oben auf der Bergspitze findet, und muss sich also dementsprechend so umstellen, dass er unter den ganz anderen, dort oben herrschenden Verhältnissen sein Leben fortsetzen kann. – Ähnlich ist es auf dem Wege zum „Berge Gottes“ nur besteht ein Unterschied darin, dass in diesem Falle die Seele nichts auf diesen Berg mit hinaufnehmen kann, sondern alles „unten lassen“ muss; es gibt keine „Gepäcksbeförderung“ hin zu Gott, im Gegenteil, es herrscht bei diesem geistigen Aufstieg strengste Kontrolle und es muss alles, alles, bis auf das „nackte Leben“ zurückgelassen werden. Und je höher der stufenweise Aufstieg geht, desto strenger wird diese „Gepäcksabnahme“. Die Seele, die intensiv zum Berg Gottes, zur hohen Vereinigung mit Gott streben und gelangen will, muss alles abgeben, nein, es wird ihr alles abgenommen, und sie muss sich der Eigenart Gottes anpassen; das ist ihr aber nur in höchstmöglicher und höchster Selbstentäußerung und Selbstentblößung möglich. Die Seele muss sich umstellen lassen, um in Gott bleiben und dauernd in ihm Wohnung nehmen zu können, ähnlich wie der Wanderer, der sein Leben auf einer hohen Bergspitze weiter leben wollte, der aber dann' als Tausch für das vielfaltige Verlassen und Aufgeben und als Ersatz für die gebrachten Opfer oben auf der Bergspitze einen wunderbaren Ausblick und eine selige Freiheit, die herrliche Sonne und den nahen Himmel genießen würde.

2607 |        Das wunderbare Geheimnis auf den hohen Vereinigungsstadien mit Gott ist also dies: „Sich in Gott einrichten“, sich dem Wesen Gottes anpassen, möglichst auf die erreichbare „Ebene mit Gott“ gelangen, und zwar als dauernder Zustand – In meinem Innenleben scheint sich diese Stufe jetzt voll auszubilden: Die Seele richtet sich auf der Bergspitze ein; sie gelangt zu einer, in Worten nicht zu beschreibenden „Ebene zu Gott und in Gott“. Um diese beschreiben zu können, müsste man mit einem Blick voll überschauen und beurteilen können sowohl alles, was man abgegeben und unten gelassen hat, wie auch die ganze Länge des Weges vom Ausgangspunkte bis zum Ziele und damit auch die Höhe der erreichten Spitze.

2608 |        Heute wurde mir wiederholt als Grundlage und Ausgangspunkt für das letzte Ziel meines ganzen inneren Weges angegeben und erklärt: die „Paradiesesseele“. – Das klingt wohl vermessen, aber um der Wahrheit willen und angesichts der Klarheit des Zieles und Zweckes meines ganzen inneren Weges muss ich getreu sein und Gott die Ehre geben. Es ist aber – um Missverständnissen vorzubeugen – daran festzuhalten, dass es sich bei der „Rückgewinnung der Paradiesesseele“ immer nur um die sittliche Vollkommenheit des Paradieseszustandes handelt, nicht aber um dessen außergewöhnliche, psychologische Auswirkungen. Der konkrete Paradieseszustand mit seinen psychologischen Auswirkungen ist für immer für die Menschen verloren und ist nie mehr zurückzuerobern (nicht einmal die liebe Muttergottes hatte ihn). Möglich und gottgewollt ist aber – als Frucht der Erlösung durch Christus – die Rückeroberung der sittlichen Vollkommenheit und Harmonie des Paradieseszustandes, die sich natürlich auch im Tugendleben nach außen irgendwie zeigen wird. Diese Rückeroberung vollzieht sich aber immer auf der Grundlage und auf dem Wege des Glaubens, also auf einem aszetischen Weg. Der wiedererworbene Paradieseszustand „lebt aus dem Glauben“ und kann nur durch eine besondere Gnade „erlebt“ und psychologisch erfahren werden. – Auch in meinem Falle wäre an sich und ist tatsächlich der Paradieseszustand ein Leben aus dem Glauben. Nur durch eine besondere, im Hinblick auf meine geistige Aufgabe gewährte Gnade kann und wird er auch in den psychologischen Auswirkungen erfahrungsmäßig erlebt werden. Die psychologische Grundlage für das Erleben der Erlöserseele und Erlösermenschheit bildet nämlich die zurückgewonnene Paradiesesseele mit deren erlebter und erfahrener „Ebene zu Gott“, denn nur von dieser in etwa erklärbaren „Ebene zu Gott“ aus kann das Geheimnis der Seele Christi erfasst und annähernd psychologisch erklärt werden. – Ich weiß, dass nur auf diesem Weg (nämlich über das Wesen der reinen Paradiesesseele) sich das Geheimnis des Gottmenschen in seinen Wesenszügen psychologisch erklären lässt, und über dieses Geheimnis (der in meinem Fall erlebten Paradiesesseele) geht darum auch der Weg meiner geistigen Berufung. (Das ist aber nicht so, als erlebe ich mich beispielsweise „im Paradieseszustand“, sondern die zurückgewonnenen Folgen, als die sittlichen und dementsprechend psychologischen Auswirkungen werden als Hilfskräfte und Möglichkeiten für das Erleben der Erlöserseele angewendet – ausgenützt.)1050

2609 |        Heute bin ich wunderbar tief in diese Art der Paradiesesseele, sie erlebend und lebend, erhoben. Meine befreite Seele „rafft“ gleichsam sich selbst zusammen und bereitet sich für das kommende Neue, nämlich für die (psychologisch erlebte) „Ebene hin zu Gott“. Diese „Ebene der Seele zu Gott“ wird mir (als mystisch erlebte Gnade) wie zum Naturzustand, weil, wie gesagt, nur damit die Befähigung gegeben ist, das Wesen des Gott-Menschen erleben zu können. „Es vollzieht sich damit in mir ein natürlicher psychologischer Aufstieg“ (selbstverständlich in der übernatürlichen Ordnung); so erklärt es mir die göttliche Führung, die immerwährend in mir tätig ist. „Von dieser erlebten Ebene zu Gott aus wird mir dann, mittels der erreichten wesentlichen Gottvereinigung, das Geheimnis des Gottmenschen aufleuchten“. Und welche wunderbare Befreiung von den früheren eigenen Hemmungen erlebe ich jetzt! Es ist das Leben auf einer Bergspitze, in einem Zustand, wo der Seele das „nackte Leben“ voll genügt. Das „Sein“ enthält und gibt alles zum Dasein Notwendige! Die Seele ist der Spitze Gottes angepasst, infolge der vorausgegangenen geheimnisvollen Selbstreinigung und Selbstbefreiung.

2610 |        Zur psychologischen Erklärung dieses wunderbaren Zustandes wird mir eröffnet das „Geheimnis der stets sich immer mehr steigernden Teilnahme an der göttlichen Natur mittels der erlebten Vereinigung mit Christus“. Die höchste Auswirkung der ständig sich steigernden Vereinigung mit Gott ist eine gewisse Teilnahme an der göttlichen Natur oder Anteilnahme an Gott, die in meinem Falle durch eine besondere Gnade erfahrungsmäßig erlebt wird und, als mystisches Gnadengeheimnis, zum Grundgeheimnis meiner geistigen Aufgabe wird. – Mittels der Vereinigung mit Gott durch die heilig machende Gnade leben wir in Gott und haben wir Teil an seinem göttlichen Wesen – wie der hl. Petrus in seinem zweiten Briefe sagt (1 Kap 4.5). Dies wurde mir näher durch folgenden Hinweis erklärt: Zur gegenseitigen Liebe zweier Menschen braucht es eine gewisse Gleichstellung, eine bestimmte Harmonie in irgendeiner Form. Die Liebe und Einheit, welche durch die Liebe hergestellt wird, lässt die geliebte Person am eigenen Wesen und an den eigenen Gütern und Reichtümern, vor allem an denen des Geistes und des Herzens, teilnehmen, lässt die geliebte Person diese sich aneignen, und dies geschieht durch die geistige Vereinigung der Liebe. Je tiefer die Einheit der Liebe sich vollzieht, desto tiefer wird auch die Teilnahme an den (geistigen) Gütern des Geliebten; es vollzieht sich ein gewisses Übergehen des Geistes der einen geliebten Person auf die andere. – So ist die Teilnahme an der göttlichen Natur streng genommen nicht dasselbe wie die Gottvereinigung, sondern ist eine Folge und Auswirkung dieser Vereinigung. Die Vereinigung ist das Mittel und ist fassbarer, fühlbarer, greifbarer; die Teilnahme an der göttlichen Natur aber steht höher und ist geistiger und wertvoller.

2611 |        „Durch Christus, durch seine Menschwerdung und durch die Erlösung sind wir der göttlichen Natur teilhaft geworden“: Schon öfter habe ich tiefe Erklärungen geschaut über diese Teilnahme, angefangen von deren erster und „untersten“ Stufe, die aber schon eine ganz große Bedeutung hat für die Seele und ihr Verhältnis zu Gott. – Die getaufte Seele hat durch ihre Eingliederung in Christus, und damit durch ihre besondere Verbindung mit der Heiligsten Dreifaltigkeit teil an der göttlichen Natur und hat damit ein Anrecht auf Gott und den Himmel. Die Seele ohne schwere Sünde (was wir die heilig machende Gnade nennen) ist „teilhaftig der göttlichen Natur“, und sie nimmt, durch Christi Erlösung, am göttlichen Leben teil.

2612 |        Schon diese niederste Auswirkung der Teilnahme an der göttlichen Natur hat unaussprechliche Bedeutung und Folgen für die Seele selbst und hinsichtlich der Beziehung Gottes zur Seele; denn diese ist nun ständig „Gottes teilhaftig“ und lebt – durch Christus – im göttlichen Kreislauf der Heiligsten Dreifaltigkeit. In dieser Form ist die Erlösung wirksam in der einzelnen Seele und es ist dies eine nie ganz zu ergründende Wirkung der unendlichen Liebe Gottes. Wiederholt schon konnte meine Seele dieses Geheimnis schauen und immer wieder versetzt dieses Schauen [mich] in unaussprechliches Staunen über solche Liebe Gottes zu den Menschen. Die Seele im gefallenen Zustand ist vor Gott größte Dissonanz gegenüber seinem Schöpfungsplan, aber durch Christus wieder erhoben, wird die Seele zum Gegenstand des entzückendsten Wohlgefallen Gottes. „Welche liebe Gottes!“ Es ist unaussprechlich und das Herz könnte einem stillstehen vor Bewunderung ob solcher Liebe Gottes. – (Gerade während ich dies schrieb, wurde mir innerlich zu wissen getan: „In dir wird Gottes Liebe in besonderer Weise zur höchsten Auswirkung kommen; nämlich in Betreff des Geheimnisses der Teilnahme an der göttlichen Natur“).

2613 |        Aufsteigend erhöht sich dann mit immer größerer Reinigung, Reinheit und dementsprechender Gottesvereinigung der Seele auch ihre Teilnahme an der göttlichen Natur, auch wenn diese für gewöhnlich nicht experimentell erlebt wird, sondern der Fortschritt in diesem Leben nur auf der Grundlage und „im Dunkel“ des Glaubens in der Seele weiterwirkt. Vonseiten Gottes und Christi aber bedeutet dies ein immer tieferes „Einnehmen“ der Seele in Gottes Leben, ein immer intensiveres Teilnehmen an IHM; vonseiten der Seele bedeutet es eine immer mehr sich steigernde Zuteilung Gottes an sie. Wenn auch dieser Zustand der Teilnahme an der göttlichen Natur hienieden der Seele für gewöhnlich nicht bewusst und nicht von ihr erfahren wird, so wird sie doch im Himmel diese göttlichen Früchte gewahr werden, und zwar wird auch in der Ewigkeit der beseligende Genuss Gottes bemessen werden nach dem Maße der Teilnahme an der göttlichen Natur schon hienieden in einem Leben der theologischen Tugenden und der Gaben des hl. Geistes. – Gott ist ein unendliches Wesen und nach seiner Unendlichkeit bemisst sich auch die Möglichkeit unserer Teilnahme an ihn, d. h., wir kämen in Gott an kein Ende, auch wenn wir noch solange und unbegrenzt im besagten Sinne fortschreiten würden. Darum steht es weder der Seele selbst noch einem allenfallsigen menschlichen Urteil zu, eine Grenze für die Möglichkeit des Wirkens Gottes in einer Seele festzulegen. Hier waltet die göttliche Freiheit, und nur ein demütiger Glaube eröffnet fortgesetzt neue Erhöhungsmöglichkeiten der Teilnahme an der göttlichen Natur. Dabei ist es vor Gott im Wesentlichen das Gleiche, ob diese Teilnahme an ihm hienieden erfahrungsmäßig erlebt wird oder nicht.

2614 |        Besonders am letzten Karfreitag (7.04.1944) wurde ich ganz tief eingeführt in dieses Geheimnis, indem mir mein Innenleben, beziehungsweise das mir bevorstehende Erleben der Erlöserperson, in seinem tiefsten Wesen erklärt wurde als „eine erfahrungsmäßige Teilnahme an der göttlichen Natur auf mystischer Grundlage und Voraussetzung“. Dies wurde mir begreiflich gemacht, ausgehend von den einfachsten Lehren des Glaubens: Ich schaute nämlich eine beständig fortschreitende Möglichkeit der Erhöhung jener Teilnahme an Gott von den Anfängen bis zu jenem Grade, der für meine Aufgabe erforderlich ist. – Der liebe Heiland hat mir dies wohl deshalb in einer so einfachen und doch tiefen und begründeten Form gezeigt, weil zeitweise doch immer wieder eine gewisse Angst und Abwehr vor „zu hohen Gnaden“ in mir besteht. An Hand und gleichsam auf der Leiter einer so einfachen Erklärung fand ich mich aber Jesus gegenüber wie in Selbstverständlichkeit zu weiteren Gnadenerhöhungen bereit.

2615 |        Im tiefen und lebendigen Glauben an Gottes unendliche Liebe zu den Menschen löst sich die Verwunderung über die größten Gnaden in die Anerkennung eines wie selbstverständlichen Wirkens Gottes und seiner unbegreiflichen und allmächtigen Liebe in der Seele auf. Die Einfachheit der Seele, bzw. die Einfachheit, und zugleich Grenzenlosigkeit unseres Glaubens und Vertrauens auf Gottes Wirken in der Seele muss in konsequenter Weise all unseren kleinlichen Widerständen hinwegnehmen. Jesus kann dann am meisten in uns wirken, wenn wir ihn göttlich groß sein lassen in seiner Liebe zu uns.

 

17.04.1944

2616 |        Die Art und Tiefe meiner inneren Leiden wird im Grunde immer ein Geheimnis bleiben; es sei denn, dass jemand Ähnliches durchgelitten hätte. Meine Seele ist so sehr ins Geistige erhoben und so sehr einen geistigen Weg geführt, dass zum Verständnis dieser Leiden nur das Verstehen des Zieles und Zweckes derselben einigermaßen verhelfen kann. Die jetzt sehr intensiv sich in mir vollziehenden Leiden der psychologischen Umstellung für meine gottgewollte Aufgabe sind aber noch unvergleichlich schmerzhafter und tiefer als selbst die vorausgehenden, die mehr die moralische Anpassung an die Person Christi zum Ziele und Ergebnis hatten.

 

18.04.1944

2617 |        Leiden, ja, und immer wieder „mich ans Kreuz flüchten!“ Menschlich gesehen ist mein Lebensweg unbegreiflich, für mich selbst und ebenso auch für andere. Doch am Kreuz kann man nicht irregehen und das Kreuz ist meine Sicherheit. Mein Geistesweg ist so „ungewöhnlich“, dass er mir nur als Leidensweg zur Sicherheit werden kann. Darum will ich mich selbst an das Kreuz werfen, mich daran halten und anklammern, ja mich gleichsam vom Kreuze zerdrücken und zermalmen lassen.

2618 |        Ich möchte diese, meine (geistig) gekreuzigte Lage vergleichen mit dem Weizenkorn, das den Zweck hat, zu Brot zu werden. Welchen langen Prozess und welche durchgreifende Veränderung muss das Korn an sich erfahren und „erleiden“, bis es als Brot genossen werden kann! Das Korn muss zermahlen werden, das so gewonnene Mehl wird dann zu einem Teig verarbeitet und dieser schließlich in der Hitze gebacken; die eigentlichen Bestandteile und Nährwerte des Kornes oder Mehles müssen sich infolge des beigemengten Wassers gleichsam erst „auflösen“, um dann unter der Einwirkung der Hitze für den Menschen genießbar und bekömmlich zu werden. – In einem ähnlichen Auflösungszustand und Umwandlungsprozess1051 befinde ich mich geistig. Ja, ich kann sagen: Auf der Höhe der Wirksamkeit dieser inneren Leiden kann mein innerer Zustand verglichen werden mit dem Auflösungszustand, in dem das „Korn“ sich in der unkenntlichen Teigmasse ohne feste Form und Gestalt befindet. Dieser schmerzhafte Zerstörungsprozess in meiner Seele steigert sich bis zu einer gewissen geistigen „Apathie“, die ich nach meinen bisherigen Erfahrungen als die höchste Steigerung dieser Leiden bezeichnen muss. Da möchte man die Seele wirklich mit einer Teigmasse vergleichen, mit der man machen und formen kann, wie man will.

2619 |        Doch gerade in diesen schwersten Leiden wird eine gewisse „persönliche Interessenslosigkeit“ erzeugt, durch die eine höchste Fügsamkeit meiner Geisteskräfte gegenüber Gott ermöglicht wird. Die Seele wird auf diese Weise erneut in einer noch höheren Art „gottfähig“ gemacht und für göttliches Miterleben geformt. So geht die göttliche Führung in meiner Seele bei der Verfolgung ihres besonderen, übernatürlichen Zieles einen „natürlichen“ (d. h., der Natur der Seele1052 angepassten) Weg eines langsamen Umschmelzens und Brauchbarmachens für das göttliche Leben. Und dieser Umwandlungsprozess muss von der Seele „empfunden und erlitten“ werden, wenn es zu einer tatsächlichen und dauernden Veränderung in der Seele kommen soll. – Es wäre eine große Täuschung, zu glauben, dass eine Seele von heute auf morgen in ein höheres geistiges Vereinigungsstadium erhoben werde; Vorbedingung und Voraussetzung hierfür ist vielmehr gewöhnlich eine langsame, zusammen mit der Gnade vollzogene moralisch-psychologische Umänderung in ihr. Gewiss könnte Gott in seiner Allmacht dies auch in einem Augenblick in einer Seele vollbringen, aber für gewöhnlich tut er das nicht, sondern lässt die Seele die langsam wachsende und fortschreitende Erhöhung der Vereinigung mit Christus „erleiden“. Und dieses Erleiden, das eine jeweils höhere Vereinigung mit Christus ermöglichen soll, versetzt die Seele in den angedeuteten schmerzhaften Zustand.

 

24.04.1944

2620 |        Die göttliche Führung erklärt mir den gegenwärtigen Vorgang in meiner Seele als eine „Umbildung und Reduzierung meines gewöhnlichen Bewusstwerdens, sodass es nicht mehr meiner persönlichen Lebenserfahrung, sondern ganz meiner kommenden, gottgegebenen Aufgabe diene“. Das Bewusstwerden meines gewöhnlichen Lebens erfährt insofern eine Veränderung, als es mir nicht mehr „als mein persönliches Leben“ ins Bewusstsein treten wird. In einem geheimnisvollen psychologischen Vorgang entschwinden mir darum in einem gewissen Sinne Vergangenheit und Zukunft, und die eigene persönliche Form meines Bewusstseins wird gleichsam neutralisiert: D.h., es werden mehr und mehr die Auswirkungen der persönlichen Erlebnisse und Beeinflussungen ausgeschaltet (– seien sie nun auf Vererbung, Erziehung, Erfahrung, Lebensschicksale oder Ähnliches zurückzuführen –), die das Charakteristische und Einmalige jeder menschlichen Person mitformen helfen und ihrem ganzen Urteilen und Tun ein besonderes Gepräge geben. Mit dieser Umbildung und Reduzierung (Zurückführung) wird der an sich notwendig mit dem Leben verbundenen und berechtigten persönlichen „Genuss des Lebens“ von mir nicht mehr empfunden. – Die jetzige passive Vorbereitung zu diesem nächsten Ziel besteht vor allem in einer gewissen geistigen „Unbeweglichkeit“, ja Unbeeindruckbarkeit gegenüber allem, was immer an mich herankommt.

2621 |        Damit werde ich nun zur Verwirklichung dessen geführt, was mir schon früher durch die innere Führung über das psychologische Geheimnis des Bewusstwerdensaktes im Allgemeinen sowie im Besonderen über jenen der Person Christi erklärt wurde. – Durch den Bewusstwerdensakt werden die jeweiligen Lebensumstände für die Person selbst erlebnisfähig und werden schon ihr als sympathisch oder als antipathisch empfunden. Das letzte Geheimnis dieses Empfindens liegt im Bewusstwerdensakt selbst, der eine ihm und der Person entsprechende Wirkung auf das Empfindungsvermögen hervorruft.

2622 |        Der Bewusstwerdensakt ist einer der wichtigsten und wesentlichsten Akte der Person, reguliert sich nach der Eigenart der Person, trägt in sich selbst deren Gepräge und ist mit dem tiefsten Wesen der Person1053 selbst gegeben, mit der er darum in einem notwendigen Verhältnis und Zusammenhang steht. Er betätigt sich darum1054 in wesentlicher Einheit mit der Person, und diese hinwiederum empfindet und lebt nach der Art und Eigenart ihres Bewusstwerdensaktes. Diese beiden wesentlichen Kräfte der Seele, die Personkraft und die Bewusstwerdenskraft, bewegen sich in einer gleichen Linie und stehen in einem notwendigen Verhältnis und Entsprechen zueinander, d. h., eine allenfallsige Mehrung oder Minderung der Werthöhe der Person zieht auch eine entsprechende Erhöhung oder Minderung im Bewusstwerdensakt nach sich und dadurch erfährt dann auch das übrige Seelenleben eine entsprechende Veränderung.

2623 |        Die Bewusstwerdenskraft ist gleichsam der feinste „Fühler“ für die Person selbst, nicht im Sinne einer gefühlsmäßigen Kraft, sondern insofern als sie – infolge ihrer wesentlichen Abhängigkeit von der Person – den Akt des Bewusstwerdens schon nach der Eigenart der Person vollzieht. Darin liegt der tiefste Grund, weshalb ganz gleiche Lebenslagen und Umstände von den einzelnen Menschen in ganz verschiedener Weise und Form empfunden und erlebt werden können. Seit ihrer Erschaffung trägt die Seele sowohl die Personkraft wie die Bewusstwerdenskraft (als vermittelnde und zuführende Kraft) gleichsam schlummernd in sich; die verschiedene Art, wie diese beiden Hauptfaktoren des Menschenlebens in den einzelnen Seelen zur Entwicklung kommen, prägt dann die charakteristische Verschiedenheit einer Seele von der anderen aus. – Die Bewusstwerdenskraft führt das gesamte Mensch-sein ständig der Person zu und ist somit deren „Lebenszuführerin“. Damit wird sie zur wichtigsten Lebensfunktion, mittels derer das Mensch-sein selbst an die Person herangebracht wird; so tritt die Bewusstwerdenskraft auf gleiche Werthöhe mit der Person selbst.

2624 |        Schon vor der Zeit der Reife der selbstständigen Person wirkt die gleichzeitig mit der Person sich entwickelnde Bewusstwerdenskraft im Unterbewusstsein auf die Person ein, vorerst als physische Rückwirkung (weil nämlich die höhere geistige Empfindungsfähigkeit eine längere Entwicklungszeit beansprucht). Mit der Reife der Person, d. h. mit der selbstständigen Persontätigkeit, ist auch der andere Hauptfaktor der menschlichen Seele und des menschlichen Lebens, nämlich die Bewusstwerdenskraft, auf die Werthöhe der Person gebracht, von der das Menschenleben dann getragen wird. Dabei kann die geistige Ausbildung in hohem Maße zu einer Verfeinerung des Bewusstwerdensaktes beitragen, der seinerseits wiederum unmittelbar auf die Person selbst einwirkt. Auf diese Weise wird damit das ganze Empfindungsleben des Menschen in die Höhe gehoben und gewinnt der Mensch durch Ausbildung an geistiger Werthöhe.

2625 |        Bei mir wird nun gegenwärtig der Bewusstwerdensakt (und dessen Auswirkungen auf das Empfindungsvermögen) auf eine völlige Umstellung oder Umschaltung vorbereitet. Die „normale“ persönliche Aktivität des Bewusstwerdensaktes wird nicht mehr von mir selbst vollzogen, sondern es tritt auch hierin eine Passivität ein, die sich meinem persönlichen Einfluss entzieht. Die Erlebnisse wirken, wie mir scheint, nur noch auf das Unterbewusstsein ein und werden nicht mehr – wie es im gewöhnlichen Zustande geschieht – von mir persönlich erlebt. Die Aktivität meines „Person-Antriebes“ wird gleichsam beiseitegestellt, und dadurch werden meine Geistes- und besonders meine Bewusstwerdenskräfte ganz für das Erleben der göttlichen Person des Erlösers freigestellt und vorbereitet. – Eine Zwischenstufe in diesem Umschaltungsprozess ist die früher beschriebene „Heraushebung aus der gewöhnlichen Art“ des Lebens.

2626 |        In Christus war die Bewusstwerdenskraft seiner Seele der schon von Anfang an „fertigen Person“ angepasst und sie bewegte sich vom Augenblick der Menschwerdung an auf der „Werthöhe“ der göttlichen Person, nicht als ob sie jemals deren wesentliche Werthöhe hätte erreichen können, sondern insofern sie die notwendige Anpassung zur Dienstleistung und Mitarbeit mit der göttlichen Person besaß. In Anbetracht der göttlichen Werthöhe dieser Person kann man sich einigermaßen einen Begriff bilden von der Freiheit der Bewusstwerdenskraft Jesu, die unmittelbar Gott als Instrument diente. Die Seele Jesu musste ja in ihren Funktionen dem Wesen Gottes angepasst sein, wenn anders das gottmenschliche Leben Christi wirklich ein harmonisches sein sollte, wie es tatsächlich war. Die höchste dieser – unmittelbar der göttlichen Person dienenden – Seelenkräfte Jesu war aber die Bewusstwerdenskraft, die sofort im Augenblick der Menschwerdung Tätigkeit trat und mittels deren die Menschwerdung in das göttliche Bewusstsein Christi trat. Mittels dieses bedeutungsvollen Aktes der Seele Jesu „erlebte sich die göttliche Person als Mensch“.

2627 |        Die Bewusstwerdenskräfte erfuhren aber auch in der Seele Jesu – ebenso wie die übrigen menschlichen Kräfte Jesu ähnlich, wie die Kräfte unserer menschlichen Seele – eine gewisse Entwicklung und „Ausdehnung“ entsprechend den für die menschliche Natur geltenden Gesetzen; entsprechend diesem Wachstum wurde darum auch in Christus das gesamte Menschsein steigend in immer größerer Fülle seiner göttlichen Person zugeführt. Darin liegt ein ganz großes Wunder der ewigen göttlichen Liebe, dass sie sich selbst dem Gesetze des Werdens und Wachsens eines Menschenkindes hingab. Diese unbegreifliche Liebestat des Erlösers hatte zur Folge, dass sein ganzes Menschenleben in all den jeweiligen Entwicklungsstufen – und schon in seinen ersten, so armen Anfängen im Mutterschoße – erlebnisfähig und erlebt an die göttliche Person herantrat. Mit der Annahme der menschlichen Seele hat sich ja Jesus ganz deren Funktionsart überliefert, und die Seele übte im Wesentlichen die gleichen Funktionen gegenüber der göttlichen Person aus, wie unsere Seele gegenüber unserer menschlichen Person. So erlebte die göttliche Person das Mensch-sein nach Art unseres Mensch-seins, aber entsprechend der unveränderlichen, wesentlichen Werthöhe einer göttlichen Person.

2628 |        Von der moralischen Werthöhe ist zu unterscheiden die psychologische Werthöhe oder die psychologische Anpassungsfähigkeit der Seele an Gottes Wesen und Wirken, ihre psychologische „Ebene zu Gott“. Diese psychologische „Ebene zu Gott“ als Funktionseigenart der Seele setzt eine entsprechende moralische Werthöhe voraus und bildet das Grundgeheimnis der Dienstfähigkeit einer Seele gegenüber der göttlichen Person. Schon die von der Würde der göttlichen Person geforderte moralische Werthöhe der Seele Jesu stellte an die physischen und psychischen Kräfte des Gottmenschen Ansprüche, die in Worten niemals zu erklären sind. Noch unbegreiflicher aber für unsere Begriffe und ein noch größeres Wunder als selbst jene moralische Werthöhe war doch die psychologische Werthöhe der Seele Jesu, die dadurch unmittelbar als Lebenswerkzeug für den Dienst der göttlichen Person beansprucht werden konnte und die wirklich verwendet wurde für den Dienst dieser Person, die ihre Eigenart auf die Seele ausübte und wirken ließ. Wenn wir bei den Menschen gewöhnlich vom Physischen auf das Geistige, vom wachsenden Menschenleib auf die geistige Entwicklung schließen, wenn uns also das Physische in etwa zur Erklärung und zum Verständnis des Geistes anderer Menschen verhilft, so war es im Gegenteil in Christus das Geistig-Göttliche, das auch sein physisches Leben und dessen Lebensart beherrschend bildete, wenn auch im Einklang mit den Naturgesetzen.

2629 |        Selbst im Mutterschoß konnte das wesentliche Gott-Sein Christi nicht vermindert werden, aber die göttliche Person hat sich doch in unbegreiflicher Weise „erniedrigt“, indem sie sich erlebnisfähig machte für die seelisch-menschlichen Erlebnisse eines wahren Menschenlebens. Wir können uns die unermessliche Erniedrigung der göttlichen Person einigermaßen nahe bringen, wenn wir bedenken, dass Jesus als Gott sich den menschlich-seelischen Funktionen hingab und diese als göttliche Erlebnisse übernahm. Damit „erlitt“ die göttliche Person tatsächlich ihr Mensch-sein; sie war selbst „Mensch“ und erlebte dies mit der ganzen Fülle und Feinheit der Erlebniskraft ihrer Seele. Wenn auch die Funktionsart der Seele Jesu weit vollkommener an Wille und Feinheit als die unserer gewöhnlichen Seele war, so waren ihre Funktionen doch im Wesentlichen die gleichen wie in unserer Seele. – Christus hat sich den, vom Schöpfer der Menschennatur gegebenen Gesetzen unterstellt und hat sich damit der Auswirkung des jeweiligen Augenblickes und Zustandes seiner Seele überantwortet, denn die Seele kann als geschaffenes Wesen nicht ihren (normalen) Funktionsfähigkeiten vorauseilen. Zwar blieb das göttliche Wissen als unveränderliche göttliche Vollkommenheit in Jesus bestehen, aber es hob die Erlebniskraft seiner Seele für gewöhnlich nicht auf, sondern die Seele führte gleichwohl der göttlichen Person in menschlicher Weise die menschlichen Erlebnisse zu, die von dieser als göttliches Erleben empfunden wurden, entsprechend dem Zweck der Menschwerdung und Erlösung. So kann man die Leiden Christi nicht mit unseren Leiden auf die gleiche Stufe stellen, denn die Art und Tiefe des Empfindens widriger Erlebnisse wird bestimmt durch die Art und Tiefe des Bewusstwerdensaktes; die Leiden Christi aber bewegten sich wohl innerhalb der psychisch-physischen Empfindungsfähigkeit seiner Seele und deren Bewusstwerdenskraft, jedoch auf göttlicher Werthöhe – zum Unterschied von uns, die wir von einer menschlichen Person mit menschlicher Werthöhe getragen sind. Diese geistige Spannung in Christus dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren.

2630 |        Das Grundgeheimnis dieser Höhe der psychologischen Betätigung der Seele Jesu lag in ihrer „natürlichen (wie zur Natur oder zu einem Naturzustand gewordenen) Ebene zu Gott“. – Schon eine hohe moralische Vollkommenheit stellt ganz große Anforderungen an das Gesamt-Menschsein und an die psychologische Betätigung eines Menschen. Müsste z. B. ein grob-sinnlicher Mensch ohne weitere Vorbereitung plötzlich eine hohe sittliche Vollkommenheit in sich aufnehmen und mit ihr leben, so wäre dies bei allem guten Willen für ihn doch eine schier erdrückende Last. Es sind eben in einem solchen Menschen noch nicht die psychologischen Voraussetzungen und Bedingungen vorhanden, um eine hohe sittliche Vollkommenheit in sich tragen und mit ihr leben zu können. Die Seelenkräfte und das psychisch-physische Empfinden müssten erst entsprechend umgebildet und vorbereitet werden, denn – abgesehen von dem immerhin möglichen Fall eines ganz besonderen Eingreifens des Schöpfers – ist die menschliche Natur auf eine ihrem organischen Wachstum angepasste Erhöhung ihrer Werthaftigkeit angelegt. – Weit höher als die moralische Werthöhe steht die auf ihr aufbauende psychologische Werthöhe der vollkommenen Anpassung oder der „Ebene zu Gott“; diese stellt auch noch weit höhere Anforderungen an die geistige Feinheit und Empfindungsfähigkeit der Seele. – Die gewöhnliche Seele „kennt Gott nur im Glauben“, erfährt ihn aber nicht in seinem Wesen. Eine bewusste Annäherung an Gottes Wesen setzt auch eine entsprechende Anpassung voraus, sei es durch Studium, wodurch der Mensch dem Begriff „Gott“ irgendwie näherkommen kann, sei es durch die psychologische Annäherung eines erworbenen Vereinigungszustandes. In jedem Fall ist aber eine vorherige Umbildung und psychologische „Annäherung“ an das Ziel notwendig, um jene moralische und psychologische Höhe – die der Seele Christi ähnlich macht – in sich tragen zu können.

2631 |        Als ähnlich mit der Seele Jesu wurde mir wiederholt die „Paradiesesseele“ gezeigt, besonders in ihrer „natürlichen Ebene zu Gott“. Diese „Ebene zu Gott“ in der Paradiesesseele war aber noch nicht mit ihrer moralischen Vollkommenheit gegeben, sondern verlangte darüber hinaus einen Überschuss an moralischen Energien, eine Überfülle schon geläufiger sittlicher Kräfte und Fertigkeiten, die nicht mehr der „Übung“ bedurften, und die auch eine volle psychologische Ausgeglichenheit und eine entsprechende psychologische Betätigungsvollkommenheit und Werthöhe gaben. Dabei sind auf dem Wege der Annäherung zu Gott immer die vornehmsten Seelenkräfte, die rascher vorankommen und einen gewissen Vorsprung gewinnen, bis es nach geraumer Zeit zu einer vollen Abrundung und Anpassung der Fertigkeiten der Seele im Allgemeinen kommt.

2632 |        Das Leben der Paradiesesseele bewegte sich auf einer „bewussten Ebene zu Gott“, und zwar war dies bei ihr wie ein zur Natur gewordener Zustand. Ihre Fähigkeiten konnten Gott bewusst erfassen und sie bewegten sich dauernd im Wissen und Erfahren Gottes, denn neben ihrer psychischen1055 Höhe war noch ein besonderes und dauerndes (übernatürliches) Verstandeslicht in den ersten Menschen tätig, das ihre Seele in ein bewusstes Wissen um Gott versetzte. Ferner waren die einzelnen Fähigkeiten der Seele so verfeinert und vergeistigt, dass sie diesen Zustand dauernd ertragen und sich darin mühelos bewegen konnten. Die ganze Tiefe dieses Geheimnisses lag nicht so sehr im bewussten Erfassen Gottes, als vielmehr in der Fähigkeit ihres Geistes, sich dauernd in diesem erhabenen Zustand bewegen zu können.

2633 |        Diese psychologische Höhe der Paradiesesseele erlaubt einen Schluss auf die noch weit höhere und vollkommene Tätigkeit der Seele Jesu, die auf die Höhe Gottes versetzt war und die Fähigkeit besaß, mit ihren einzelnen Funktionen sich Gott zu nähern und in den unmittelbaren Dienst der göttlichen Person zu treten. Diese Tatsache kann uns einen leisen Begriff geben von der Feinheit und Erhabenheit ihrer Funktionen, z. B. ihrer Bewusstwerdenskraft, die das menschliche Leben Jesu der göttlichen Person zuführen und sie dieses als göttliches (oder gottmenschliches) Leben empfinden lassen konnte. Auf die Erhabenheit der seelischen Funktionen Jesu können wir ferner daraus schließen, dass anderseits durch sie göttliches Leben an die Seele selbst und damit auch1056 an das physische Leben Jesu übermittelt wurde. Die Bewusstwerdenskraft der Seele war immer der wesentliche Punkt, die geistige Spirale, die in Christus zwischen Göttlichem und Menschlichem stand und eine gewisse Schlüsselstellung einnahm.

2634 |        Der gewöhnliche Mensch empfindet noch nicht bewusst die Mängel seines ersten, werdenden Lebens oder die physischen und psychischen1057 Mängel seiner natürlichen Lebensspender. Das werdende Leben trägt aber die Folgen der bestehenden Mängel, die sich später in physischer und geistiger Hinsicht auswirken werden und dann im „bewussten Leben“ ein wirkliches Fehlen nicht vorhandener höherer Lebensmöglichkeiten bedeuten werden. Hätte aber das Kind schon vom ersten Augenblick seines Daseins an das Bewusstsein, wie würde es unter den Mängeln seiner natürlichen Lebensspender leiden!

2635 |        In Maria nun waren infolge ihrer Unversehrtheit wohl in höchstem Maße jene Lebensmöglichkeiten vorhanden, deren die göttliche Person bedurfte, um sich damit ein möglichst vollkommenes Menschenleben zu schaffen. Und im Schoße Mariens bildete eine „bewusst tätige Person“ sich ein menschliches Dasein und formte es für die Zwecke und Absichten dieser göttlichen Person. Sie zog alle in Maria vorhandenen natürlichen Lebensmöglichkeiten heran, und formte sich damit ein gottmenschliches Leben. Als bewusst tätige Person hätte das göttliche Wort etwaige Mängel nach dem allgemeinen Naturgesetz leidend empfinden müssen, aber bei der besonderen Vorbereitung Mariens für ihren Gottesmutter-Beruf waren in ihr jene physischen Eigenschaften und Vorzüge gegeben, die der göttlichen Person in möglichst vollkommener Weise dienen konnten. Aber wenn auch in dieser Hinsicht das ewige Wort sich in Maria eine ebenbürtige Lebensspenderin gewählt hatte, so bedeutete doch der Akt und die Tatsache der Übernahme eines werdenden Menschenlebens für sich allein schon eine geheimnisvolle, unaussprechliche Verdemütigung für den Sohn Gottes.

2636 |        Mit dem Akt der Menschwerdung wurde aber das Menschsein mit all den gewöhnlichen menschlichen Lebensbedingungen zum ständigen Erlebnis der göttlichen Person des Wortes. Die Seele Jesu führte dieses ohnmächtige, geschaffene Dasein ständig der göttlichen Person zu und es wurde damit zum göttlich bewussten, menschlichen Leben. Dieses Bewusstwerden Christi als Mensch zog immer weitere Kreise, je mehr die verschiedenen leiblichen und seelischen Lebensmöglichkeiten sich entfalteten und sich zu einer gewissen Vollendung zusammenschließen.

 

26.04.1944

2637 |        Der inneren Anregung folgend will ich einige allgemeine Bemerkungen oder Erklärungen niederschreiben.

2638 |        Es gibt für die mystisch geführte Seele im geistlichen Leben keine eigentlichen „Wiederholungen“. – Schon das erste mystische Erlebnis ist für die Seele so überwältigend und so inhaltsreich, dass sie ein Überbieten oder eine Erhöhung desselben nicht für möglich halten kann. Jedes mystische Gotteserlebnis scheint der Seele dann „neu“ wie das erste Mal. Tatsächlich ist auch jedes weitere Erlebnis für die Seele etwas „Neues“, vorher nicht Erlebtes, weil die Seele in Wirklichkeit auf der gleichen Grundlage der früheren Erlebnisse immer „neue Tiefen Gottes“ erfährt. – Ferner ist die Seele in der Zeit des Erlebens Gottes in eine solche „Gegenwartsstellung“ versetzt, dass sie sich dabei gar nicht denken konnte, schon einmal in diese Vereinigung versetzt gewesen zu sein; im Augenblick des mystischen Gotteserfahrens ist vielmehr die Seele ihrem persönlichen Denken oder dem Überschauen und Vergleichen des gegenwärtigen Zustandes enthoben; sie ist dem Leben eines gegenwärtigen Augenblicks hingegeben und kann sich nur dann über ihren Zustand orientieren, wenn sie von der führenden Gnade dazu veranlasst und angeleitet wird oder wenn ihr der Herr zugleich ein noch höheres Ziel der Vereinigung in Aussicht stellt. Immer aber scheint der Seele das jeweilige Erfahren Gottes als das höchstmögliche an Genuss für die Seele selbst. Der Genuss Gottes bleibt für die Seele immer „neu“ und inhaltsreich, obwohl Gott in der Seele niemals „ruht“, sondern vielmehr sie immer wieder auf eine höhere Stufe der mystischen Ordnung hinleitet und sie darauf hinbewegt durch die Sehnsucht nach einem höheren Einssein mit Christus.

2639 |        „Wiederholungen“ findet daher nur der Außenstehende, weil er für das sich immer wiederholende Gegenwartsleben der Seele keinen Sinn hat. Das mystische Leben bleibt für die Seele im Grunde immer ein Gegenwartsleben, weil sie für gewöhnlich ihren eigenen Fortschritt nicht erfassen kann. Der Fortschritt selbst kann der Seele nur in ruhigen Zeiten, durch eine besondere Gnade oder durch die Leichtigkeit des Überwindenkönnens der verschiedenen Schwierigkeiten zum Bewusstsein kommen. Für gewöhnlich aber bleibt der betreffenden Seele ihr eigenes Inneres durch ein verdemütigendes Dunkel bedeckt, begleitet von einer gewissen „Unzufriedenheit“ über den geringen Fortschritt – es sei denn, dass der Heiland sie ihren Fortschritt als Tröstung oder Ermunterung zu mutigem Vorwärtsstreben schauen lässt. Nach meinem eigenen Erfahren wachsen im Grunde immer das eigene Schwächegefühl und die Unzufriedenheit über die eigene Ohnmacht und den geringsten geistigen Fortschritt. Je höher die Seele kommt, desto ärmer fühlt und erlebt sie sich. Im tiefsten Grunde fühlt sie selbst sich niemals „fortgeschritten“, auch wenn sie sich über frühere Schwierigkeiten und Kämpfe längst hinausgehoben sieht.

2640 |        Wenn sich das wiederkehrende mystische Vereinigungserleben als „Wiederholung“ bezeichnen ließe, dann müsste man schließlich auch die Anschauung Gottes im Himmel eine beständige „Wiederholung“ nennen, weil es sich auch im Himmel im Grunde immer wieder um das Gleiche handelt – und trotzdem ist den Seligen im Himmel die Anschauung und das Genießen Gottes immer eine „Neuigkeit“ (andernfalls gebe es sogar in der Ewigkeit des Himmels eine unerträgliche Langeweile, was zu denken unsinnig ist). Bei Gott gibt es eben keine Einseitigkeit und keine „Zeit“ wie bei den Menschen; Gott ist vielmehr immer eine gegenwärtige Neuigkeit oder das Neue der Gegenwart. Auch das geistliche Leben muss – wenn es wirklich dem Fortschritt der Seele dienen soll – ein beständiges Gegenwartsleben mit Gott sein; es muss immer das „Jetzt“ des Augenblicks für sich selbst und für Gott erfassen und ausnützen, und das gibt dann eine immerwährende Frische im religiösen Leben und Fortschreiten.

2641 |        Eine andere Unklarheit könnte jemand aus meinen Aufzeichnungen insofern herauslesen, als ich mich wiederholt wie in einem „Vollendungszustand“ erlebte, der mir für meine geistige Aufgabe vom Heiland in Aussicht gestellt wurde – während dann doch immer wieder neue Stufen der Erhebung zu noch höherer Vereinigung folgten. – Dazu wird mir von der inneren Führung erklärt: Würde eine getaufte Seele sich im Zustand ihrer Taufunschuld bewusst erleben, so müsste auch sie annehmen, es mangle ihr eigentlich [an] nichts mehr, um der Anschauung und des Besitzes Gottes, dessen sie sich fähig sähe, teilhaftig zu werden. Könnte dann eine fortgeschrittene Seele ihre Fähigkeit Gott zu genießen, erfahren, so würde auch diese Seele staunen über ihre geistige „Vollendung“, die ihr infolge der Teilnahme an Gott durch die heiligmachende Gnade zuteilgeworden ist. Und so gilt es bei allen weiterfolgenden Höhewegen zu Gott. Für gewöhnlich bleibt uns wohl die schon erlangte Stufe der Vereinigung mit Gott verborgen; würde er sie uns aber bewusst erleben lassen, so könnten wir nur darüber staunen, wie Großes wir schon in Gott erreicht haben oder vielmehr, welch unermessliche Güter uns durch die Erlösung geschenkt wurden; denn durch die Teilnahme an den Erlösungsfrüchten Christi wird uns ja im Grunde „Gott“ geschenkt. Und diese Schenkung Gottes durch Christus ist in sich schon das Unfassbare und Unendliche für jede Seele, das, was sie in gewissem Sinne vollends fähig macht für den Besitz Gottes.

2642 |        Ähnlich lässt auch im mystischen Leben der Heiland die Seele in einem besonderen Bewusstwerden ihres Zustandes meist das „Wesentliche“ ihres erreichten Zieles erkennen, das vor der schauenden Seele einer in sich abgeschlossenen Wegstrecke ähnlichsieht – falls der Herr nicht gleichzeitig ein weiteres, noch zu erreichendes Ziel in Aussicht stellt. So setzt sich mein ganzes bisheriges Innenleben aus „Stufen“ und immer weiteren Erhöhungen zusammen, die immer wieder auf eine Höhe gestellt wurden, in der alle Stufen der Vergangenheit und der Zukunft als in ihrem Gesamtziel zusammengefasst und eingeschlossen waren. Wiederholt wurde ich im Vorauserleben in dieses Gesamtziel versetzt und schaute ich mich darin „vollendet“. Wir Menschen sind nun aber von Natur aus gewohnt, dass Erfassbare und Greifbare als unser eigen zu betrachten und zu nehmen, uns an das Konkrete zu klammern (auch wenn dieses „Konkrete“ in geistigen Gütern besteht); wir haben immer zu wenig geistige Unterscheidungsgabe und anerkennen zu wenig die geistig geschenkten Güter der Gegenwart; wir können meist die uns schon geschenkten und wirksamen geistigen Güter zu wenig von Gott selbst unterscheiden. Infolge der Verdunkelung des Verstandes ist unsere Seele für gewöhnlich im Dunkel über die Wege der Gnade und sie kann von sich aus nicht ein „Mehr“ an Gnade anstreben, weil ihr dies nur durch übernatürliche Gabe gewährt werden kann. Hat aber die Seele einmal mit besonderer Gnade ihren Zustand erfasst, so ist der jeweilige Genuss für sie so überschwänglich, dass er ihr wie ein überreiches „Genug“ erscheint. – Oft versetzt der Heiland in das Erleben des Idealzustandes, und zwar ohne Abgrenzung der Zwischenstufen, die in Wirklichkeit noch davon trennen. Er tut das, um die Seele bei der Länge und Beschwerlichkeit des Aufstieges zu trösten und um sie zu ermuntern, indem er den Weg „kürzer“ erscheinen lässt oder wenigstens die ganze Länge des Weges noch weise und gütig verbirgt. Ein Außenstehender ist aber von vornherein geneigt, die geschriebenen Worte, die – wie es mit den menschlichen Worten fast immer geht – eine verschiedene Deutung zulassen und die vielfach ihren wahren Sinn nur durch den Bezug auf die betreffende Seele erhalten, nach seiner eigenen Einstellung und Meinung auszudeuten, während die betreffende Seele selbst, von der Gnade geführt, die notwendigen Unterscheidungen macht und voraussetzt, auch wenn diese schon der Kürze und Einfachheit wegen nicht in Worten ausgedrückt oder geschrieben werden. Bei der Armut der menschlichen Worte im Vergleich zur Vielgestaltigkeit und zum Reichtum des seelisch-göttlichen Erlebens muss man ferner oft das gleiche Wort gebrauchen für Erlebnisse, die an Höhe und Bedeutung weit auseinanderliegen. So können beim Leser viele Irrtümer entstehen, die er dann leicht als Täuschungen des Schreibenden zu bezeichnen geneigt ist. Es müsste aber an sich jeder Außenstehende die verschiedene Möglichkeit der Bedeutung und Deutung eines und desselben Wortes1058 oder Ausdrucks bedenken und zugeben; es handelt sich dann darum zu wissen, in welchem Sinne der Ausdruck von der Seele selbst genommen wurde und das wird vielfach nur in mündlicher Aussprache möglich sein.

2643 |        Ferner ist zu bedenken, dass sich die göttliche Führung immer der Eigenart und dem geistigen Bildungsgrad der betreffenden Seele anpasst; ja, Jesus spricht zur Seele „in ihren Worten“ und entsprechend ihrer Auffassungsgabe. Oft sind es auch rein geistig erfasste „Worte“, die dann in menschlich ausdrückbare Worte gekleidet werden müssen. Menschliche Worte können aber nur selten das, vom Herrn geistig zu verstehen Gegebene voll ausdrücken, und die Seele befindet sich oftmals in der Unmöglichkeit, mit einem menschlichen Worte die vielseitige und tiefe Bedeutung des geistig Erfassten wiederzugeben, während sie anderseits sich in der Notwendigkeit sieht, ein „hartes“ Wort dafür zu finden. Es liegt aber in der Eigenart Gottes, seinen Einsprechungen vielfach eine mehrseitige und geheimnisvolle Bedeutung mitzugeben. Gottes „Worte“ sind geistig und „schmiegsam“, ich möchte sagen: wie das Wasser, das aus der Quelle kommt und sich nach vielen Seiten hin verteilen kann, wenn es nicht sofort in ein Flussbett eingefasst wird, d. h., wenn sich die Einsprechung nicht unmittelbar auf eine bestimmte Sache bezieht und auch in diesem Falle können noch verschiedene Umstände und Zeitmomente usw. in der Einsprechung geheimnisvoll verborgen sein. Für die Seele selbst besteht wohl die Pflicht, das für sie klar Erfassbare anzunehmen und das Nächstliegende auszuführen oder geschehen zu lassen, ungeachtet dessen, dass Gott in einem solchen Falle noch tiefere und verborgenere Absichten vorhaben kann. – Nach meiner Erfahrung ist aber sicher: Der Heiland führt die Seele nie einen Weg, der über ihr Verständnis hinausgeht, und bei gutem Willen wendet er der Seele alles zum Guten; wenn auch bestehende Dunkelheiten eine Quelle von Verdemütigungen für die Seele sein können, so macht er diese wiederum zu ihrem geistigen Fortschritt dienstbar.

2644 |        Was den Ausdruck „die Ebene zu Gott“ betrifft, der sich in meinen Aufzeichnungen wiederholt findet, will ich damit auf keinem Fall sagen, es sei eine wirkliche und eigentliche Ebene zu Gott; denn diese kann kein Mensch und nicht einmal die Engel haben. – Dieser Ausdruck soll vielmehr besagen: Die Möglichkeit eines erfahrungsmäßigen Verkehr mit Gott; was der Seele für gewöhnlich nicht gegeben ist und wozu sie nur mittels besonderer entsprechender Vorbereitung geführt werden kann. – Meist erfasse ich diese geistige Verkehrsmöglichkeit wie ein „Ich und du“ der Seele zu Gott oder wie eine zu Gott hinführende Linie oder „Ebene“ und darum bezeichne ich diese Möglichkeit kurz mit dem Ausdruck „Ebene zu Gott“. Trotz der wesentlichen und ewig überragenden Majestät Gottes hört nämlich tatsächlich der Abstand zwischen Gott und der Seele insofern auf, als Gott sich liebend zur Seele herablässt und sie an seiner göttlichen Liebe und am Genuss seines beseligenden Wesens teilnehmen lässt. Es ist also die Herablassung Jesu zur armen Seele, wodurch diese sich wie auf einer „Ebene und Linie“ der Verkehrsmöglichkeit befinden kann. Die begnadete Seele erfährt diese Herablassung Gottes „wie eine Ebene“, die es ihr gestattet, Gott zu erreichen, während für einen Außenstehenden, der Ähnliches nicht erfahren hat, dieser Ausdruck „hart“ klingen und den Anschein erwecken kann, als wolle man sich auf einer eigentlichen Ebene mit Gott bewegt haben oder bewegen. Aber selbst Maria, die Mutter Jesu, wurde erst durch ihre Makellosigkeit und ihre persönliche Heiligkeit in die Nähe Gottes „erhoben“ und auf diese Weise „dem Wesen Gottes näher gebracht“, und das machte es ihr möglich, „Mutter Gottes“ zu werden. Und obwohl sie so zu hoher Würde und Einheit mit Gott erhoben war, darf niemand annehmen, dass sie deshalb auf einer eigentlichen „Ebene mit Gott“ gestanden habe.

2645 |        Mit dem Ausdruck „Ebene zu Gott“ bezeichne ich also jenen innerlich erkannten „bewussten Zustand der Einheit und Verkehrsfähigkeit zwischen Gott und der Seele“; ähnlich wie die Liebe zweier Menschen zueinander diese auf eine gewisse gegenseitige „Ebene“ bringt, so stellt die Güte und Liebe Gottes eine gewisse Ebenmäßigkeit und Verkehrsmöglichkeit mit der geliebten Seele her. Auch unter Menschen braucht es eine gewisse gegenseitige Anpassung und Gleichförmigkeit, um zwei liebende Seelen zu jener „Liebes-Ebene“ zusammenzuführen, falls eine Person an sich die Andere an Wert weit überragt. – Es wird also auch beim Ausdruck „Ebene zu Gott“ versucht, dem innerlich Erfassten einigermaßen einen Ausdruck zu geben, was oft nur in einem Bilde geschehen kann, während der Außenstehende (dem das innerlich Erfasste erst nahegebracht werden muss) versucht ist, den Ausdruck „buchstäblich“ zu nehmen. Dieser Ausdruck ist für mich der Eindruck der „schauenden Seele“, mit dem ich das innerlich Erfasste erklären will.1059 Tatsächlich ist aber auch nicht einmal der niederste Grad mystischer Gnade möglich, wenn nicht durch Gottes herablassende Güte mittels einer „höheren Erhebung der Seele zu Gott“ eine gewisse „Ebene Gottes zur Seele oder der Seele zu Gott“ – also auf der Grundlage einer tatsächlichen Gnadenerhöhung – hergestellt wird. – Wenn ich diesen Ausdruck auf meinem Fall anwende, so verstehe ich darunter jene Anpassungsfähigkeit, die meine geistige Aufgabe verlangt. Wenn ich den Ausdruck „Ebene zu Gott“ auf die Erlöserseele anwende, so bezeichne ich damit jene höchste Fähigkeit der Seele Jesu, die es ihr möglich machte, der göttlichen Person eine „dienstfähige Ebene“ zu bieten; vorausgesetzt bleibt aber dabei immer die Wahrheit und Tatsache, dass auch die Seele Jesu ein geschaffenes endliches Wesen blieb und darum trotz ihrer höchsten Ausstattung tief unter der göttlichen Person stand, was ihre eigentliche Werthöhe in sich selbst betrifft.

2646 |        Ich lebe „mich selbst“ als unaussprechlichen Seinsgenuss, der mich aber abschließt vom Bewusstwerden der früheren Art meines Lebens. Ich bin wie ganz allein, und dieses „Alleinsein“ bildet einen ständigen Strom des Genusses. Ich „genüge mir vollkommen“ im Bewusstwerden der eigentlichen Quelle meines Seins.

2647 |        Ich muss bestätigen: Es ist wahr, was ich früher geschrieben habe über die Umschaltung des Bewusstwerdens der früheren Art meines Lebens, und zwar als Vorbereitung für das Erleben der göttlichen Person Christi. Die Wirklichkeit des heutigen Erlebens übersteigt aber weit die schwachen Worte, mit denen man diese Umstellung erklären kann. – Ich stehe jedoch vor weiteren geistigen Erhöhungen: „Ich selbst werde mir zur Quelle des Erlebens meines Seins und Wesens“.

2648 |        Ich lebe mich „selbst“ so stark, dass dieses neue Leben durch nichts anderes mehr gestört oder beeinträchtigt werden kann, weder durch meine vorhergehende Lebensart, noch durch meine Umgebung. Ich bin mir selbst wie zu einer starken Burg geworden, an der alles außer diesem meinem neuen Leben Stehende abprallt.

2649 |        Wenn ich mich früher im Vorausleben in einem „unmittelbaren Zustand im Heiland“ erlebt habe, so bin ich nun gleichsam selbst dieser „unmittelbare Zustand“ geworden, und dies wird mir erklärt als folgerichtige Auswirkung des allgemeinen Geheimnisses der Gnade. Durch die Gnade lebt nämlich Christus in uns und leben wir von seinem Leben, und ich erfahre dies infolge einer besonderen Gnade und im Zusammenhang und im Anschluss mit meiner besonderen Aufgabe für die hl. Kirche.

 

27.04.1944

2650 |        Die erste Tätigkeit der Bewusstwerdenskraft der Seele Jesu im Augenblick der Menschwerdung bestand darin, dass sie der göttlichen Person des Wortes ihre veränderte Lage, d. h. die nunmehrige „Art ihres Lebens“ zuführte. Diese Tätigkeit der Bewusstwerdenskraft wurde zugleich von der göttlichen Person aufgenommen, und diese Mitbetätigung der göttlichen Person war notwendig zur Bestandsmöglichkeit ihrer nunmehrigen Situation.

2651 |        In und infolge der Menschwerdung hat sich das1060 ewige Wort gleichsam „an eine seelische und menschliche Bestandsmöglichkeit überliefert“, hat sich sozusagen daran gebunden, war auf sie angewiesen und wurde naturgemäß von ihr bedient. Infolge dieses ersten Aktes der Bewusstwerdenskraft war das Menschsein Christi tatsächlich in das göttliche Bewusstsein der Person des Wortes aufgenommen und diese stellte nun alle notwendigen Forderungen an die seelischen Kräfte, die ihr dieses Menschsein ermöglichen sollten. Dies war ein entsprechender Gegenakt der göttlichen Person, eine erste Anregung der Person an die Dienstbarkeit der Seele selbst.

2652 |        Dieses erste „Zusammenleben“ des Göttlichen mit Menschlichem bewirkte als Reaktion in der göttlichen Person eine „Zustands-Erkenntnis“ ihrer jetzigen Lage, und zwar ein Sich-Erfassen und Umfassen mittels menschlicher Kräfte. Infolge seines göttlich-wesentlichen Bewusstseins blieb Jesus zwar „Gott“ ohne Verminderung seiner selbstigen Würde, aber infolge des Umfasstwerdens von menschlichen Kräften empfand er die neue Lage doch gewissermaßen wie einen Widerspruch gegen sein göttliches Wesen und eine gewisse äußere Verminderung1061 seiner „Würde“. Dieses „Empfinden“ in seinem göttlichen Bewusstsein, hervorgerufen mittels menschlicher Kräfte, kann man als den ersten „Schmerz“ bezeichnen, in den der Erlöser sich versetzt „fühlte“ (– freilich „fühlt und empfindet“ Gott nicht auf menschliche Weise; sein Wesen ist vielmehr Tat und Wirklichkeit, die aus seiner göttlich-wesentlichen, ewigen und „dreifaltigen“ Liebestätigkeit entspringt; aber wir Menschen können uns nun einmal nicht anders einen Begriff machen von dieser wesentlichen Liebe Gottes und von den übrigen Vollkommenheiten Gottes, als indem wir ausgehen und ableiten von unserer gefühlsmäßigen Handlungsart. Ebenso können wir nur mit unseren „menschlichen“ Worten von Gott reden –). Um sich als Mensch zu fühlen, braucht es menschliche Aktivität; und der Erlöser hatte sich menschlicher Aktivität übergeben und machte sich diese menschliche Betätigung zu seinem „göttlichen Naturgesetz“.

2653 |        Infolge der immerwährenden wesenhaften Einheit Christi als göttliche Person mit dem Vater wurde schon jener erste Akt seines Menschseins „im Vater und dem Vater dargebracht“. Und diese seine wesentliche und untrennbare Darbringung vollzog Christus vor der göttlichen Gerechtigkeit als göttliches Entschädigungsopfer im Namen der gesamten Menschheit. „In ihm ist ja alles erschaffen, was im Himmel und was auf Erden ist … und alles hat in ihm seinen Bestand“ und mittels der Erlösung hat alles in ihm neue Lebensmöglichkeit erhalten. Christus hat uns „im Vater“ ein neues Leben gebracht, und all dieses neue Leben bewegt sich nunmehr in Gott, im Vater.

2654 |        Diese wesentliche Einheit mit dem Vater, der in der Zeit das Wort als „Erlöser“ zeugte, bedurfte an sich keiner Worte der Hingabe an den Vater, sondern das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war „Sein“ als gegenseitige Verständigung. Mittels der Kräfte seiner menschlichen Natur und Seele „betete“ und sprach der Erlöser aber auch „in menschlichen Worten“ zum Vater. An sich hätte schon jenes seinshafte Verhältnis des Gottmenschen zum Vater genügt, um als vollkommenes Sühnopfer des Sohnes vom Vater angenommen zu werden. – Als gewöhnliches und an sich immerwährendes Verhältnis bestand diese Beziehung zum Vater während des ganzen Erlöserlebens Jesu, ja sie konnte im Grunde infolge der göttlichen Einheit überhaupt nicht zerstört werden, obwohl, menschlich gesprochen, „das Wort“ außerhalb dieses reingeistigen Verhältnisses lebte und sich tatsächlich im Mutterschoße Mariens befand. Da aber Jesus sich in allem seiner menschlichen Natur als dem mitwirkenden Werkzeug seines Erlösungswerkes anpasste, so waren auch die Kräfte seiner Seele „seinshaft“ in dieses, sein göttlich-wesentliches Leben hineingezogen1062 und wurden in diesem „vergöttlichten“ Zustand vor dem Vater gebracht. (Damit ist aber nicht gesagt, dass die Seele Jesu göttlich-seinshaft wurde, dass sie der Gebrauchsart von der göttlichen Person „seinshaft“ genommen wurde)1063. Die Seele Jesu war nun Gottes Eigentum und Werkzeug geworden, kraft dessen nun Jesus sein seinshaftes Leben zugleich menschlich vor und im Vater lebte.

2655 |        Dieses Hineinziehen der Seele Jesu in den göttlich-seinshaften Zustand im Vater gewann immer mehr an Ausdehnung mit der immer wachsenden und sich in ihren Kräften immer mehr entfaltenden und betätigenden Seele. Das Zusammen von Gott und Mensch in Christus wurde zu einem Zustand im Vater. Auch die Seele hat als wirkliches Lebewesen in sich selbst ihre Betätigungstriebe und diese wurden von der göttlichen Person, mit der die Seele vereinigt war, auf höchste und edelste Weise herangezogen und als dienende, menschliche Lebensmöglichkeit verwendet. Und die Seele bot sich ständig all ihre besten Kräfte für den Dienst der göttlichen Person dar.

2656 |        Dieses Darbieten der vornehmsten und edelsten Anlagen einer menschlichen Seele wurde für die göttliche Person selbst zu einem menschlichen Lebensgenuss, zur Möglichkeit, auf menschliche Art Freude zu empfinden. Wir dürfen beim Leben Jesu nicht nur an die Leiden denken; Jesus „genoss“ vielmehr auch sein menschliches Leben in der erhabensten Form. Welche Freude musste er z. B. trotz seiner ständig erlebten Erniedrigung im Mutterschoß Mariens empfinden, in Anbetracht jener liebenden Bereitschaft, mit der sich Maria dem werdenden Leben Jesu zur Verfügung stellte, und überhaupt in solcher Einheit mit ihrer reinsten jungfräulichen Seele! Auch die freudvollen Seiten des menschlichen Lebens wurden der göttlichen Person mittels der Bewusstwerdenskräfte der Seele Jesu zugeführt. Bewusst-werden ist ja der Akt, der uns in die Lage versetzt, jeden Augenblick die Art und die Umstände des Lebens erfahren zu können.

2657 |        Mittels dieser menschlichen Bewusstwerdenskräfte wurde anderseits auch der Seele Jesu das göttliche Leben inne gemacht, und damit vollzog sich zugleich jener wichtige Akt in der Menschheit Christi, mittels dessen auch das physische Leben des Durchlebtwerdens durch die göttliche Wesenheit teilhaftig wurde und auch die physischen Kräfte zum Dienste der göttlichen Person herangezogen wurden. In wunderbarer Einheit teilten sich die beiden verschiedenen Naturen auch ihre freudvollen Auswirkungen als gegenseitigen „Lebensgenuss“ mit, ähnlich wie es im gewöhnlichen Menschenleben insofern geschieht, als der Geist auch die Wohltaten des Leibes genießt und der Leib wiederum Anteil hat an den Freuden des Geistes.

2658 |        War der Bewusstwerdensakt der wichtige Vermittlungsakt zwischen der göttlichen Person und der menschlichen Natur in Christus, so stand der Zweck der Menschwerdung als Haupt- und Mittelpunkt im Bewusstwerdensakt. Das „Warum“ der Menschwerdung des ewigen Wortes stand als bestimmendes und ordnendes Prinzip zwischen den göttlichen und menschlichen Kräften in Christus. Das Gesamt-Menschsein Christi war auf die Erlösung als Zweck hingeordnet1064 und die Seelenkräfte Jesu waren der göttlichen Person dienstbar in Hinordnung auf das Erlösungswerk. In Hinordnung auf diesen Zweck der Menschwerdung hat die Bewusstwerdenskraft das Gesamt-Menschsein Christi der göttlichen Person zuzuführen und für diesen Dienst an der göttlichen Person zusammenzufassen. In diesem Sinne und in dieser Hinordnung wurde das Gesamt-Menschsein Christi schon im Mutterschoße geformt, in diesem Sinne durchlebte die göttliche Person ihr werdendes menschliches Dasein. Diese Hinordnung auf Ziel und Zweck der Menschwerdung auf die Erlösung war ein höchst wichtiger Akt in der Seele Jesu.

2659 |        Und woher strömte der göttlichen Person immerwährend dieses höchste Ziel und Ideal zu? – Wir Menschen sind infolge unserer Anlage zu ständiger Entwicklung und Bemühung darauf angewiesen, uns ein Leben „auf Vorrat“ zu ermöglichen. Wir machen Pläne und Vorsätze, ja wir müssen uns im wahren Sinn des Lebens vorbereiten und müssen mit entsprechenden Vorräten in ein tatkräftiges Leben eintreten; wir müssen uns das Leben durch langes Bemühen gestalten. – Ganz anders war die Bereitung im Erlöserleben Jesu. Gewiss, schon lange vor der Zeit der Menschwerdung, „gedachte“ Gott den Erlöser zu senden und er hat ihn schon den ersten Menschen im Paradies versprochen. Das ganze Alte Testament mit seinen Propheten war eine Vorbereitung und Verheißung des Messias; der Erlöser hatte im Alten Testament seine Vorbilder; Johannes der Täufer war sein Vorläufer; in Maria war ihm eine würdige Mutter vorbereitet, und der hl. Joseph sollte die Ehre haben, dem Erlöser die äußeren Lebensbedürfnisse zu bieten. In diesem Sinne also war der Erlöser in den Absichten Gottes vorbereitet, aber es handelte sich dabei nur um eine äußere Vorbereitung. Gott kann „Pläne“ haben, die er nach einer gewissen Zeitspanne ausführt und für die er die notwendigen Voraussetzungen und Umstände schafft, um deren äußere Verwirklichung zu ermöglichen und herbeizuführen, aber Gott selbst in sich und seinen Werken plant nicht auf Vorrat. Er tut seine Werke im ewigen „Jetzt“. In Gottes Wesen und Wirken ist „ewiger Vorrat“, der niemals abnimmt. Gott gibt und umfasst sich in ewiger Fülle des Seins. – So war auch die Zeugung des Erlösers durch den Vater eine immer gegenwärtige Liebestat. Gott-Vater gab sich im göttlichen Worte als den Erlöser, den er ständig zeugte in ewig1065 unendlich liebendem Selbst-Erkennen. Und das Wort ist fleischgeworden, und wohnte im Fleisch und blieb im Vater. Wie von Ewigkeit, so ging auch in und nach der Menschwerdung das Wort als göttliche Person vom Vater hervor, und zwar in einem ewigen „Jetzt“; der „Zweck“ der Zeugung aber wurde zur Sendung des Sohnes als Erlöser und damit wurde in gewissem Sinne das rein-geistige Dasein des Wortes unterbrochen. Auch diese „Sendung“ war eine immerwährende gegenwärtige Liebestat des Vaters. Es war die Liebe Gottes des Vaters, die den Sohn zum Erlöser machte und es war die Liebe des Sohnes, die ihn vor dem Vater zum Erlöser machte. Auch nach der Menschwerdung des Wortes blieb die zweite göttliche Person ein wirkliches „Gegenüber“ mit dem Vater, nicht etwa ein Nacheinander oder Nebeneinander, wie wir uns eine menschliche „Sendung“ vorzustellen gewohnt sind.

2660 |        Schon der „erste Akt“ (um wieder einen menschlichen Ausdruck zu gebrauchen), nämlich das ewig-göttliche Selbst-Erkennen war und ist eine wesentliche Tat Gottes, die seinem göttlichen Wesen entsprang und an sich keinen anderen Antrieb hatte, als die wesentliche, liebende Vollkommenheit Gottes selbst. Aus der Fülle seines göttlichen Wesens kommt das Selbsterkennen dieser göttlichen Vollkommenheitsfülle und als Ausdruck dieses Erkennens geht aus dieser Fülle das „Wort“ hervor als personales „Gegenüber“ des Vaters, als Person in gleicher Vollkommenheitsfülle wie der Vater. Es gibt keine Abschwächung der Vollkommenheit in diesem Gegenüber des Vaters. Nur „als Mensch“ wurde der Erlöser in seiner Menschheit „dienend“ dem Vater unterstellt und in dieser Dienstbarkeit wurde das Erlöserleben eine Tat der Unterwerfung, aber in sich blieb Christus auch in seiner Menschheit wesentlich Gott in seiner göttlichen Würde vor dem Vater. Nur die Menschwerdung und das Menschsein brachten im Gottmenschen den Zustand der Unterwerfung.

2661 |        Gott-Vater erkannte sich in barmherziger Liebe zur gefallenen Menschheit und in dieser unendlichen, barmherzigen Liebe zeugte er das Wort, das als Erlöser zum sichtbaren Ausdruck der Liebe und Barmherzigkeit des Vaters wurde. Im Erlöser haben wir die wesentliche Liebe Gottes empfangen, sichtbar in Menschengestalt. Was Gott an erbarmender Liebe in Fülle in sich trug, das ist uns im Sohne sichtbar geworden und diese göttlich-wesentliche Liebe wurde „menschlich“ und in menschlichen (und immer zugleich gottmenschlichen) Akten gelebt und empfunden. – Die Zeugung der zweiten göttlichen Person „als Erlöser“ war also ein wesentlicher göttlicher Ausdruck der Liebe und Barmherzigkeit des Vaters zur gefallenen Menschheit. Dieses „Akt-Werden“ oder „zur Tat werden“ der Liebe Gottes war das Grundgeheimnis im göttlichen Erlöserleben. („Gott selbst kommt und erlöst euch“)1066. Und diese unergründliche Wahrheit, dass sich das Wort zum „liebenden, menschlich tätigen Gegenüber“ des Vaters machte, bleibt uns allen1067 als ewig zu schauendes Liebesgeheimnis vorbehalten für den Himmel; denn niemand kann diese göttliche Liebe durchdringen und nur im Schauen kann sie erfasst werden.

2662 |        Die Seele Jesus war es nun, die dieses göttliche Liebesgeheimnis „trug“ und die in jedem Augenblick ihres irdischen Daseins benützt wurde als die „dieses Geheimnis unendlicher Liebe Tragende.“ In ihrer Bewusstwerdenskraft war göttlich Liebendes und menschlich Aufnehmendes und Ausführendes zusammengefasst und so wurde sie zum Hauptfaktor, mittels dessen – in Kraft und Folge der Vereinigung der Seele Jesu mit der göttlichen Person – jene ewige Zeugung des Wortes im Menschen Christus menschlich gelebt und erlebt wurde (soweit dies durch Gottes liebenden und allmächtigen Willen möglich war). Das göttlich Liebende wurde im Menschen Christus übertragen in menschliche Tat, getragen von göttlicher Liebe. Die Zeugung des Sohnes durch den Vater wurde augenblicklich und in jedem Augenblick von der gesamten Menschheit Christi aufgenommen, infolge ihrer Einheit mit der göttlichen Person oder der „hypostatischen Union“ und somit wurde Göttliches wirksam auf Menschliches übertragen. Auf diese Weise wurde das ganze Menschenleben Jesu gleichsam „zu Gott“ emporgehoben, vergöttlicht, und es wurde zu einem sichtbaren, lebendigen Zeugnis der Wirklichkeit der ewigen Zeugung des Wortes durch den Vater. Das göttliche Wort blieb auch nach seiner Menschwerdung in jedem Augenblick das Ergebnis der Zeugung des Vaters und die Menschheit Jesu war jeden Augenblick von dieser göttlichen Zeugung abhängig. Entsprechend der Art dieser göttlichen Zeugung diente die zweite göttliche Person dem ewigen Vater als Erlöser und Entschädiger1068 für die ganze Menschheit.

 

29.04.1944

2663 |        (Über die „seinshafte“ Art der Inanspruchnahme der Seele Jesu durch die göttliche Person, und zwar zunächst in sittlicher Beziehung).

2664 |        Die Seele Jesu wurde in ihrer Betätigungsweise gegenüber der göttlichen Person in deren „seinshaftes Wesen“ hineingezogen. – In diesen inhaltsreichen Worten ist kurz zusammengefasst, was ich über die „Art“ der Betätigungsweise1069 der Seele Jesu erfasse.

2665 |        Die Menschenseele ist in ihrer natürlichen Anlage ein „sich übendes“ und entwickelndes Wesen; sie ist nach dem Plan des Schöpfers in all ihren Akten und Fähigkeiten einem Wachstum, einer Ausweitung ihrer Betätigungskraft, einer Aufstiegsmöglichkeit ihrer eigenen Fähigkeiten anheimgegeben. Durch diese Möglichkeit der eigenen Entfaltung und Vervollkommnung wird ihre Betätigung und Übung angeregt. – Auch die Seele der ersten Menschen hatte diese Entfaltungsmöglichkeit, durch die sie die in ihr angelegten Fähigkeiten steigern und vervollkommnen und ausnützen und damit ihren eigenen1070 freien Willen Gott gegenüber und zur Ehre des Schöpfers betätigen konnte. Auch nach dem Sündenfall blieb diese Anlage zur Entfaltung und Vervollkommnung in der Menschenseele erhalten; ja, wir sind jetzt noch in einem höheren Maße zur „immerwährenden Übung“ verpflichtet, weil uns so viele geistige und übernatürliche Vollkommenheiten durch die Sünde verloren gingen und wir diesen Verlust nach Kräften wieder gutzumachen streben sollen. Damit ist die Pflicht der Übung und Selbstvervollkommnung in jeder Hinsicht für uns jetzt wie zu einem „Naturgesetz“ geworden. Der Mensch muss im jetzigen Zustand jede Fertigkeit mühsam sich erwerben und erlernen, angefangen von der einfachsten, die seinem leiblichen und zeitlichen Fortkommen dient, bis zu den geistig-religiösen Tugenden, die sein ewiges Heil sicherstellen sollen.

2666 |        Um uns eine sittliche Vollkommenheit zu erwerben, bedarf es einer viel intensiveren Übung und Anstrengung als zur Aneignung physischer Fertigkeiten. In dieser Übung kommt der Mensch bis zu seinem Lebensende an kein Ende und trotz fortgesetzter Anstrengung bleibt er auf diesem Gebiete immer ein „aufsteigendes Wesen“; seine Anlagen und Fähigkeiten zu höheren Tugenden und Vollkommenheiten werden nie erschöpft, denn sie sind für ein unendliches Ziel geschaffen und angelegt – ohne dass selbstverständlich die Seele selbst unendlich wäre – und dieses letzte Ziel ist ihr Schöpfer selbst.

2667 |        Sicherlich kann die Seele in ihrem fortgesetzten Üben und Bemühen sich in dieser oder jener Weise zu vervollkommnen, auch im religiösen Leben insofern an ein gewisses „Ziel“ kommen, als es ihr gelingt, durch immer vollkommenere Übung dieser oder jener Tugend eine gewisse Abrundung, Vollendung, Leichtigkeit und Stetigkeit darin zu erwerben. Diese erreichte sittliche1071 Vollkommenheit erhöht den Gesamt-Wert der Seele und lässt sie einen gewissen Vorrat an sittlicher Kraft sich aneignen, der sie die Schwierigkeiten der einzelnen Übungen nicht mehr oder wenigstens nicht mehr so wie in der Anfangszeit ihres Strebens empfinden lässt. Es tritt dann eine gewisse Mühelosigkeit in der Übung ein; das immerwährende geübte Gute oder die Tugend wird zum mühelosen „Zustand“ in der Seele und damit ist zugleich ein großer Vorteil für noch höheren Fortschritt gegeben. Es werden nämlich dadurch verschiedene Seelenkräfte gleichsam „abgelöst“ und werden freigestellt für eine noch höhere und vollkommenere Betätigungsweise.

2668 |        Auch in den äußeren Fertigkeiten und in den weltlichen Berufen, z. B. im Studium einer Wissenschaft oder in der Erlernung eines Handwerks kann der Mensch durch lange Übung ein gewisses äußeres Ziel erreichen, indem er sein Fach beherrscht und sein Handwerk oder seine Kunst, d. h. sein „Ziel“ ausübt; aber auch nach Erreichung dieses bestimmten Zieles kann eine Vervollkommnung darin immer noch1072 gesteigert werden. – Ähnlich verhält es sich im religiös-sittlichen Leben. Die Seele kann den Zustand erreichen, kraft dessen sie sich mühelos in bestimmten sittlichen Vollkommenheiten bewegt, obwohl dabei noch höhere Ziele der Vervollkommnung möglich und bestehend bleiben. Sie hat diesem Abschluss einer bis zur Geläufigkeit geübten Tugend einen gewissen „Ruhezustand“ in dieser Übung erreicht, der zu einem seienden oder ontischen Verhalten, zu einem Seinszustand der Seele geworden ist, zu einem Vollkommenheitszustand, der eben vorhanden ist und der als vorhandenes „Sein und Bestehen“ benützt werden kann als neue Basis für weitere Vervollkommnung.

2669 |        Dieser sittlich-religiöse „Seinszustand“ ist schon ein großer Fortschritt in dem fortgesetzten Übungsleben und Streben der Seele; er bedeutet ein großes Kapital an sittlich-psychologischer Kraft und eine unsagbare Wohltat für die betreffende Seele. Dieser „lebt“ nun damit, und ihr Leben bekommt das Gepräge dieser ihr innewohnenden Kraft und [den] sittlichen Höhen. Diese Kraft durchdringt nun alle ihre Werke, und damit wird das ganze Leben dieses Menschen zu einer geistigen Kraftzufuhr für andere Menschen, mit denen er in Berührung kommt. Sein Leben wird zu einem Seinszustand der Vollkommenheit, getragen von seiner tiefsten, sich in ihm auslösenden sittlichen Kraft; es lebt gleichsam eine „vorhandene Quelle“ in ihm, die immer fließt. Dieser sittliche Seinszustand kann und soll sich immer mehr erhöhen, ausweiten und ausbreiten und soll schließlich das ganze Menschenleben erfassen und umformen und zu einem „Habitus“ der Vollkommenheit gestalten.

2670 |        Von diesem Punkt der mir gebotenen Erklärung aus wurde ich hingeführt zur Höhe der „Seele Christi“, die befähigt war, hineingezogen zu werden in den göttlich-wesentlichen Seinszustand der göttlichen Person des Erlösers. – Was der gewöhnliche Mensch in langer Übung langsam und annähernd sich aneignen kann, das war in der Seele Jesu von Anfang an höchste sittliche Vollkommenheitsfähigkeit. Beim gewöhnlichen Menschen bleibt auch ein allenfalls erreichter sittlich-vollkommener Seinszustand immer irgendwie einseitig und mangelhaft und es kommt selten oder wohl nie zu einer ganz lückenlosen Abrundung und Vollendung seiner Seele. – Eine lückenlose Fülle und Abrundung der sittlichen Vollkommenheit kann man wohl nur bei Maria annehmen, die bestimmt war, ähnliche menschliche Lebensfähigkeiten weiterzugeben. Aber auch die Vollkommenheit in Maria war ein „sich übender“ Aufstieg, der mehr und mehr einem Ziel zustrebte, und auch ihre höchste Vollkommenheit, die sie erreichte, war immer nur eine geschaffene und darum beschränkte Vollkommenheit, die weit unter der ungeschaffenen göttlichen Vollkommenheit steht. – Nur von der Seele Christi kann man eine an sich und von Anfang an „mühelose“ sittliche Betätigung der Vollkommenheit annehmen. In der Seele Christi war schon alles zum höchsten Vollkommenheitszustand hingeordnet, dem jeder Mensch mühsam zustreben muss. In ihr war von Anfang an die Möglichkeit und Fähigkeit des höchsten sittlichen Seinszustandes vorhanden und bestand die Fähigkeit zu einer in jeder Beziehung vollendeten Abrundung und Vollkommenheit, wie sie den Anforderungen der göttlichen Natur entsprach.

2671 |        Über diesen sittlich-vollkommenen Habitus hinaus war in der Seele Christi auch jene geistige Bewegungsmöglichkeit und Beweglichkeit gegeben, die seine Vollkommenheit zur wirklich „Ausübenden“ und „Seienden“ machte, und zwar im ganzen Umfange ihrer Inanspruchnahme durch die göttliche Person.

2672 |        So befand sich Christus in einem „ebenmäßigen Seinszustand in seiner göttlichen und menschlichen Natur“. Die Vollkommenheit der Seele Jesu wurde gebraucht zur Ausübung göttlich-sittlicher Vollkommenheiten und damit wurde die Seele Jesu in einem gewissen Sinne hineingezogen in den Seinszustand der göttlichen Natur. Eine ewig vorhandene, göttlich-sittliche Vollkommenheit wurde zur wirklichen, gottmenschlichen „Tat“, zum menschlichen Akt, der unmittelbar von der sittlichen Kraft eines endlichen Wesens gefordert und von dieser auch „mühelos“ geleistet und entsprechend der Anforderung ausgeführt wurde. Die Seele war durch jene Anforderung veranlasst, sich und ihre seinshafte vollendete Kraft „mitzugeben“ und „mit einzusetzen“. Weil ihre Vollkommenheit schon „Sein und Tatsache“ war, fiel jene für uns notwendige „Übung“ in der Seele Jesu weg, obwohl diese einer göttlich-wesentlichen Anforderung gegenübergestellt und darein versetzt war.

2673 |        Mit dieser „ebenen Bereitschaft“ der Seele Jesu gegenüber der göttlichen Natur fiel aber nicht weg jene „Widerspruchfähigkeit“, die der leidensfähigen menschlichen Natur anhaftet. Auch im gewöhnlichen Seelenleben bleiben selbst bei höchster Vollkommenheit die tieferen Widerspruchsmöglichkeiten der Natur bestehen, auch wenn sie in einem hohen und vollkommenen Grade der Tugend überwunden werden. Dass z. B. jemand bei schimpflichen Beleidigungen in sich darunter leidet, obwohl er dank eines sittlich-vollkommenen Habitus nicht darüber in Unruhe und Widerspruch mit sich gerät, ist eine Folge des natürlichen Empfindens, dem er sich ohne ganz besondere Gnade nicht entziehen kann. Ja, es kann dabei in ihm eine hohe Freude des Geistes über die erlittene Beleidigung bestehen, während die Natur trotzdem die erlittene Ungerechtigkeit in herber Art empfindet. – In der Seele Jesu muss noch dazu ein viel feineres Empfinden als in unserer Seele vorausgesetzt werden, und zwar infolge seines göttlichen Bewusstseins, den dieser mit der Menschennatur gegebene Widerspruch zugeführt wurde.

2674 |        „Sein ist schon bestehende Tatsache“; und in der Seele Jesu wurde die seinshafte, schon bestehende sittliche Vollkommenheit gebraucht und verwertet zum Tatwerden göttlich-sittlicher Vollkommenheiten. Ein bestehendes sittliches Sein, eine bestehende Tatsache sittlicher Vollkommenheit verlangt aber ihrer Natur nach auch eine vollkommene Ausnutzung jeder Kraftmöglichkeit dieses beanspruchten sittlichen Seins. Und die göttliche Anforderung durch die Person bewirkte in der Seele Jesu auch eine seinshafte, bestehende Art der Betätigung und Inanspruchnahme. In diesem Geheimnis liegt eine unaussprechliche Tiefe und geistige Unerschöpflichkeit der Seele Jesu verborgen; denn wie in jeder anderen Menschenseele, so galt auch in der Seele Jesu das allgemein menschliche Naturgesetz einer ständigen Entwicklung und des Wachstums, bei Christus nicht im Sinne einer sich erst entwickelnden sittlichen Vollkommenheit, aber doch im Sinne einer ständig zunehmenden Beanspruchung dieser Vollkommenheit durch die göttliche Person, und zwar entsprechend dem ständigen Wachstum der Seele Jesu, infolge der ständig zunehmenden Ausübung ihres schon von Anfang an bestehenden Vollkommenheitshabitus. Darin bestand in der Seele Jesu eine geistige Unerschöpflichkeit bis zu seinem Tode an Kreuze und dementsprechend „wuchs“ auch die Anforderung und Beanspruchung durch die göttliche Person bis zum „consumatum est“. – Wurden so die sittlichen Kraftmöglichkeiten der Seele Jesu steigernd ausgenützt und ausgelöst, so musste in der leidensfähigen Seele mit den steigernden Anforderungen der göttlichen Person auch das „logische Widerstreben“ wachsen, und daraus ergibt und erklärt1073 sich die allerhöchste Leidensfähigkeit der Seele Jesu.

2675 |        Solange eine Tugend noch in der Übung besteht, hat diese Übung noch einen gewissen freien Spielraum, weil sie vom eigenen freien Willen geführt wird. Ist aber jenes Stadium der „Übung“ überschritten und ist die Tugend zur bestehenden Tatsache, zum Seinszustand und zur gebrauchten und ausgeübten Tugend, zur verwendeten sittlichen Kraftquelle geworden, dann wird sie zur Grundlage und Basis höherer Aufgaben und Ideale. Ist die Seele durch den sittlichen Habitus „zuständlich umgestellt“, so wird das Erworbene auch – zur größeren Ehre des Schöpfers und Erlösers – zu weiteren Konsequenzen und zu höherer Inanspruchnahme gebraucht und ausgenützt. – Ein Vergleich hierfür aus dem gewöhnlichen Leben: Solange ein Student noch den Studien obliegt, kann er sich zeitweise dem Studium entziehen oder es sich erleichtern. Ist er aber Professor geworden, so muss er sein Fach beherrschen, denn dieses Fach ist seine seinsmäßige1074 Ausübung. Darum können zuweilen die Anforderungen an den Professor weit schwerer sein und schwerer werden, weil er aus dem Schatze seiner erworbenen Wissenschaft in konsequenter Weise geben muss, wenn seine Professur sich fruchtbringend gestalten soll. So gibt es verschiedene Arten von Kraftanforderungen. Wo vorher der noch übenden Bemühung nur eine teilweise Kraftanforderung gestellt wurde, da tritt später eine seinsmäßige Beanspruchung des bestehenden Vorrates an sittlicher Kraft in Wirksamkeit.

2676 |        Auch die Seele Jesu „wuchs“ mit den jeweiligen (mit den wachsenden Aufgaben seines Erlöserberufes steigernden) Anforderungen durch die göttliche Person. Ihre Inanspruchnahme entsprach dabei dem Wesen der sie beanspruchenden Person, d. h., es war eine „seinsmäßige Beanspruchung“, und mittels dieser seinshaften Dienstbarkeit wurde sie in die göttliche Natur hineingezogen. Hierin liegt das Geheimnis jener hohen Vereinigungstatsache in Christus, wobei Menschliches für Göttliches (oder göttliche Taten und Werke) verwendet wurde, ohne die menschliche und göttliche Natur zu vermengen oder zu verschmelzen. Es ist das tiefe Geheimnis der Erlösung überhaupt: Dank der göttlichen, unendlichen Liebe wurde Menschliches für Göttliche verwendet, damit Göttliches wieder Eingang finde im Menschlichen und damit infolge dieses göttlichen, der Menschheit erwiesenen Dienstes Menschliches wieder vergöttlicht werde.

 

30.04.1944

2677 |        Zu dem gestern geschriebenen wurden mir noch folgende weitere Erläuterungen sowie Hinweise auf mein Innenleben und Anwendungen auf die Seele Jesu gegeben:

2678 |        Mit der „Übung“ einer Tugend wird von der Seele eine gewisse Kraftentwicklung und Energieaufwendung geleistet. Diese Kraftentwicklungen und Energien werden in der Seele gleichsam aufgespeichert und dienen einer weiteren Erhöhung und Fertigkeit in der „Übung“; es bildet sich damit eine höhere geistige Bewegungsfähigkeit in der Seele, wodurch die Tugend noch vollkommener und geläufiger und unvermittelter geübt werden kann, und es kommt dadurch zu einer noch größeren Freiheit und Leichtigkeit in der Übung selbst.

2679 |        Durch fortgesetzte „Übungen“ bilden sich auf diese Weise geistige Kraft- oder Energiereserven in der Seele, und zwar nicht bloß in psychischer, sondern auch in physischer Art, weil ja bei der Übung der Tugend auch die physischen Kräfte als Hilfsmittel des Geistes angespannt werden. Diese Kraftreserven und Energien „lagern“ sich gleichsam in der Seele auf, geben ihr eine immer größere Fertigkeit und Leichtigkeit in der Übung und führen die Seele allmählich von der „Übung“ zum „Zustand“ und zum vollendeten „Habitus“ der Tugend über. Durch fortgesetzte Kraftentwicklung bildet sich gewissermaßen eine neue Kraft im Menschen, d. h., ein Wachstum an Bewegungsfreiheit im eigenen Inneren, was einem Gewinn an neuer Kraft gleichkommt. Die Seele besitzt dann schon vorhandene Energien und Kraftreserven, um gegenüber den verschiedenen an sie herantretenden Forderungen des sittlich-religiösen Lebens nicht zu versagen. Und eine vielseitige Aufspeicherung von solchen geistig-sittlichen Energien bildet in der Seele allmählich einen vollendeten Habitus in der Tugend, einen gewissen Vollkommenheitszustand, eine gewisse Abrundung eines geistigen Gleichgewichtes.

2680 |        Die Ansammlung dieser geistigen Energie- und Kraftreserven geschieht auf dem Wege eines natürlichen, organischen Wachstums infolge der eigenen Willensbetätigung und Selbstüberwindung. Darin liegt das Geheimnis jeder mehr oder minder vollkommen geübten Tugend: Durch die Willensanforderungen und Willensanspannung werden die in der Seele grundgelegten Anlagen herausgefordert und herausgeholt, geübt und entwickelt. Das geistige Wachstum der Seele beruht auf dieser Willensanspannung, wodurch die in der Seele gegebenen Anlagen verwendet und entfaltet werden. Gott hält sich bei seiner Arbeit am Fortschritt der Seele für gewöhnlich an diesem Gesetz eines langsamen organischen Wachstums durch die eigene Kraftaufwendung und Ansammlung von geistigen Energien, natürlich zusammen mit seiner Gnade. Darum braucht es im Allgemeinen geraume Zeit, bis er die Seele zu einem gewissen geistigen Hochstand geführt hat, und nur selten lässt er eine ganz besondere Gnade wirken, die eine rasche Umwandlung in der Seele hervorruft.

2681 |        Wenn Jesus in den Jahren vor meinem Verlassen der Heimat mich immer wieder das Aufgeben eines gewöhnlichen Lebens und das Eingehen in seine besonderen Absichten als Ziel vorausschauen ließ, so wollte er damit in mir die Bereitschaft des Willens wecken, um tatsächlich seinetwegen und in der Sicherheit seiner göttlichen Führung alles aufgeben zu können, und er wollte zugleich die dazu nötigen Kräfte und Energien der Seele herausfordern, um mich von seiner führenden und reinigenden Gnade so umbilden zu lassen, dass ich die kommenden Opfer auch wirklich zu bringen imstande wäre. Darum erlebte ich in einem gewissen „Vorauseilen“ der Seele viele der kommenden Opfer und erfasste ich in etwa die Tragweite und die Ziele der göttlichen Führung. Durch diese immer neu geweckte Bereitschaft meines Willens wurde in meiner Seele ein geistiger „Vorrat“ angesammelt oder eine geistige Kraftreserve aufgespeichert, für die dann tatsächlich zu bringenden Opfer. Wären diese unvermutet und unvorbereitet an mich herangetreten, so hätte sie die Seele auch bei gutem Willen nicht tragen1075 können. Durch die Überwindung der vorausgehenden Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft aber waren die geistigen Energien in mir geweckt und gebildet, und war ein Ausgleich geschaffen, sodass ich dann wirklich fähig war, das mir vom Herrn schon jahrelang Gezeigte, auszuführen und meine, menschlich gesehen, unglaubliche Lage der Letzten sieben Jahren zu ertragen und damit zugleich mich auf eine noch höhere Beanspruchung meiner Geisteskräfte vorbereiten zu lassen. Gott verlangt nun einmal im geistlichen Leben intensives Mitarbeiten der Seele mit seiner Gnade; er verlangt, dass man sich selbst dazu hergebe und gebrauche; denn er will seine Absichten vollziehen mittels der Kräfte des Menschen zusammen mit seiner Gnade, und die Wege seiner Gnade gehen über die Seele und deren psychisch-physischen Kräften, die zu seinem Dienste angefordert werden.

2682 |        In letzter Zeit wurde ich öfter durch die innere Führung darauf hingewiesen, dass in mir nun die nötigen geistigen Energien vorbereitet und geweckt werden, „um meiner seelischen Aufgabe standhalten und genügen zu können“. Dabei schaute ich voraus, „welches Maß“ von Kräften und Energien für mich dazu erforderlich sein wird. Das Erleben seines Erlösungsgeheimnisses, zu dem er mich heranbildet, – so erklärte mir der Heiland –, stützt sich nämlich auf meine eigene, persönliche, geistige und physische Kraftzugabe und wird auf meine eigenen, geistigen Energien gestellt. Meine eigenen Kräfte werden in einer persönlichen Energieaufwendung gebraucht werden; deshalb bei mir der allmähliche, organisch wachsende innere Aufstieg, weil sich meine innere Vorbereitung im Rahmen meiner eigenen Kraftmöglichkeiten und nicht auf visionärem Wege vollzieht. Ebenso wenig wie dann das wirkliche Erleben des Erlösergeheimnisses. Wenn auch bei Visionen die Kräfte des Menschen entsprechend herangezogen werden, so bleibt das visionäre Schauen doch immer etwas, was sich noch „außerhalb“ des schauenden Menschen bewegt und es ist dabei nicht jene eigene Kraftaufwendung gefordert wie in meinem Fall. Darum erlebe ich öfter voraus: Alle kommenden Leiden und Opfer sind mir schon ermöglicht oder werden noch weiter ermöglicht durch eine gewisse geistige Energie-Vorbereitung und Energie-Ansammlung; denn das Erleben der Erlöserperson wird sich auf meine eigenen Kräfte stützen. Das bedeutet aber für mich jetzt schon eine in Worten nicht auszusprechende geistige Anforderung, da ich dabei zugleich die ganze Tragweite und Größe jener Beanspruchung erfahre, in die mein ganzes Sein unter Anspannung und Ausnutzung all meiner psychischen und physischen Anlagen eingefasst wird. Es vollzieht sich in mir daher ein ständiges Abgeben und Verzichten auf jeden eigenen Genuss, um ganz Platz zu machen, für das höhere Erleben und für die kommende Inanspruchnahme durch die göttliche Person.

2683 |        Auch die Seele Christi trat mit ihrer Erschaffung bei der Menschwerdung der göttlichen Person in ein Stadium der Entfaltung und Entwicklung der in ihr grundgelegten, der göttlichen Person entsprechenden höchsten Anlagen ein, und auch das irdische, gottmenschliche Leben des Erlösers war auf die eigenen Energien seiner physischen und psychischen Existenz gestellt. Auch in der Seele Jesu geschah ein fortwährend zunehmendes Herausholen der in ihr grundgelegten Anlagen und eine allmähliche Entfaltung derselben1076 zu immer höherer Leistungsfähigkeit. Ihre erste funktionierende Kraft war wohl – wie oben beschrieben – die Bewusstwerdenskraft, die dem göttlichen Bewusstsein der Person des Wortes das „Wie“ und die Art ihres neuen Daseins zuführte, und zwar entsprechend dem Maße des Wachstums seines physischen und psychischen Lebens. Sicherlich kam es deshalb bei Jesus zu einer rascheren Entwicklung als bei gewöhnlichen Menschenkindern, weil die bewusste göttliche Person einen ständigen Reiz oder Anregung auf das ihr unterstehende Menschsein ausübte. Mit der selbstständigen Reife seines Menschseins, d. h., mit der Vollreife seiner Seele kam es dann auch zu einer vollen Anforderung der geistigen und leiblichen Kräfte Jesu durch den selbstigen Antrieb seiner göttlichen Person, die nun auch ihrerseits immer mehr ihre Eigenart auf das gesamte Menschsein ausübte. Gewiss war in Jesus schon vom Augenblick der Menschwerdung an ein „bewusster Person-Antrieb“ vorhanden (weil sein ewig göttliches Bewusstsein immer tätig ist), aber dieser Antrieb hielt sich diesbezüglich der Menschheit Jesu im Rahmen des natürlichen Wachstums (nach dem menschlichen Naturgesetz). So bildete sich die göttliche Person Christi einen geistigen Umkreis, der sich immer mehr erweiterte, je mehr ihre menschlichen Kräfte an Fülle und Ausdehnung zunahmen; im gleichen Maße lieferten diese seine Kräfte und Anlagen auch seiner Bewusstwerdenskraft den „Stoff“, den sie der göttlichen Person zuführte, und im gleichen Maße wirkte anderseits auch der selbstige Personantrieb auf seine Menschheit ein. Auf diese Weise bildeten und formten sich Seele und Leib Jesu unter der Einwirkung und nach dem Maße des göttlichen Personantriebes und nahm alles in ihm das Gepräge und die Eigenart eines wahren Gott-Menschentums in sich auf. Wie aber die Einwirkung des göttlichen Personantriebes gleichen Schritt hielt mit dem natürlichen Wachstum der Menschheit Christi, so wurde anderseits auch Seele und Leib im gleichen Rhythmus und Maße ihres Wachstums zur allerhöchsten Dienstbarkeit von der göttlichen Person herangezogen und unter dem göttlichen Einfluss der Person geformt und gebildet. Die hohen, seinshaften sittlichen Anlagen, die von Anfang an aber gleichsam „schlummernd“ und ruhend in der Seele Jesu vorhanden waren (ähnlich wie die Anlagen in unserer Seele), wurden durch den göttlichen Personantrieb mehr und mehr herausgeholt, verwertet und zum unmittelbaren Dienst der göttlichen Person herangezogen1077 und damit in einem wahren Sinn in das göttliche Leben selbst hineingezogen. So erhielt die allerhöchste Vollkommenheitsanlage der Seele Jesu eine allmähliche organisch-natürliche und volle Ausnützung und Verwertung; und es ergab sich die geheimnisvolle Tatsache, dass das gottmenschliche Leben auf eine persönliche Bemühung und Ausnutzung der eigenen psychisch-physischen Kräfte gestellt war. Wie in unserem Leben durch unseren menschlichen Personantrieb, so bildete sich in Christus unter der Einwirkung des göttlichen Personantriebes jene Einheit des Lebens, jener wunderbare Kreislauf und jene wunderbare Wechselbeziehung der geistigen und leiblichen Kräfte und Betätigungen, die dem menschlichen Leben eigen ist; dabei brachte zugleich die göttliche Person ihre göttlichen Vollkommenheiten zu einer menschlichen Ausführung und zu einem menschlichen Ausdruck, denn auch die physischen Kräfte Christi1078 wurden zum unmittelbaren Dienst der Person herangezogen und damit „in sein göttliches Leben hineingehoben“. Die menschliche Natur und die menschlichen Kräfte Christi arbeiteten mit der göttlichen Person mit und trugen das Ihrige dazu bei, um der göttlichen Person die Möglichkeit ihres Bestandes als Mensch zu sichern und um sein Menschenleben zu einem „normalen“, d. h. wahren Menschenleben zu gestalten. Das bedeutete, dass infolge des steigernden, sich der menschlichen Entwicklung und Reife anpassenden Anforderungen durch die göttliche Person die in der Seele Christi vorhandenen seinshaften Anlagen in zunehmendem Maße ausgenutzt und zu einem immer umfassenderen und intensiveren Dienst für die Zwecke der Erlöserperson gebraucht wurden. Infolge der Anpassung der göttlichen Person an die für die Menschennatur geltenden Gesetze einer allmählichen Entwicklung und Reife erfuhr ja auch die Auswirkung seines Erlöserberufes eine gewisse steigernde Intensivierung und Ausdehnung.

2684 |        Eine weitere sehr wichtige Folge dieser Heranziehung der menschlichen Kräfte Christi durch die göttliche Person für das Werk der Erlösung bestand im Folgenden: Die göttliche Person selbst „litt“ unter der Reaktion ihrer menschlichen Natur bei deren Mitbeteiligung an Umständen und Mitbetätigung zu Werken und Taten, die dem Sein und Zustand der göttlichen Person geradezu entgegengesetzt waren. Die an sich nicht leidensfähige göttliche Person wusste um den ungeheuren Gegensatz zwischen ihrer göttlichen Würde und den Verhältnissen ihres menschlichen Daseins; dieses ihr1079 Wissen wurde – nach dem psychologischen Gesetz des von einer Person geleiteten menschlichen Lebens – von der Person zurückgeworfen oder reflektiert auf das Empfindungsvermögen der leidensfähigen Seele und löste dort als Antwort oder Reaktion das menschlich gelittene Empfinden jenes ungeheuren Kontrastes oder Gegensatzes aus; diese Reaktion oder dieses Empfinden als „logisches Widerstreben“ (d. h. die unwillkürliche, natürliche Folge einer entgegensetzten Einwirkung) war aber zugleich ein Akt der Person selbst, die Trägerin dieser menschlichen Natur war und mit deren Kräften „lebte“. So erfuhr die göttliche Person das Empfinden und Regieren einer menschlichen Natur, und dieses Empfinden wurde zum Erleiden des Menschseins durch die göttliche Person. Diese war nicht nur die Trägerin ihres eigenen Menschenlebens, sondern auch die Erleiderin des Kontrastes dieses Menschen- und Erlöserlebens gegenüber ihrem göttlichen Wesen.

2685 |        Es war aber nicht die sittlich-vollkommene Anforderung selbst, die jenen Widerspruch in der menschlichen Natur hervorrief; denn die sittliche Werthöhe und Anpassung ihrer Anlagen bewegte sich auf einer Ebene zur göttlich-sittlichen Vollkommenheit und diese ihre vollkommenen Anlagen waren in der Seele schon von Anfang an seinshaft gegeben. Es handelte sich aber – bei aller sittlich harmonischen Ausübung und Ausführung der göttlichen Vollkommenheit in gottmenschlichen Akten1080 – um das logische Widerstreben gegen die tatsächlichen Gegensätze und Kontraste, die das Erlöserleben in sich schloss. Obwohl z. B. eins mit dem Willen des Vaters und in voller sittlicher Harmonie, empfand Jesu doch – kraft des leidensfähigen Empfindungsvermögens seiner menschlichen Natur – die äußere Herabwürdigung durch seine Menschwerdung als einen Widerspruch mit seiner Würde und als eine Verdemütigung und ein Leiden; trotz seiner höchsten Bereitschaft, sich ganz der Sorge seiner hl. Mutter und des hl. Josef als den Werkzeugen der Vorsehung des himmlischen Vaters zu überlassen, empfand er doch die Armut als einen Gegensatz oder Widerspruch zu seiner göttlichen Fülle; obwohl er in allem nur die Ehre des Vaters suchte, empfand und erlitt er allen Unglauben seiner Feinde und der Menschen überhaupt als etwas für ihn „Entehrendes“. Jesus fühlte Hunger und Durst und Müdigkeit, und zwar nicht als physisches Leiden, sondern als Widerspruch mit seinem göttlichen Reichtum und Wesen, obwohl seine Seele trotzdem in vollkommenster Harmonie mit den aus unendlicher Erlöserliebe hervorgehenden Forderungen der Person stand und jene irdischen Übel mit größter Geduld ertrug. Er litt unter seiner Verurteilung und dem darin liegenden großen Unrecht, obwohl er ganz eins war mit dem Willen und den Zulassungen des Vaters und in unendlicher Liebe freiwillig „sein Leben hingab für die vielen“. Und je mehr die erhabenen Forderungen seines Erlöserberufes und der unendlichen Erlöserliebe sich im inneren und äußeren Leben Jesu – gemäß dem menschlichen Gesetz der Entwicklung – sich auswirkten, desto mehr wuchs der logische Widerspruch der sich mitbetätigenden menschlichen Natur gegen die darin liegenden Gegensätze und er wurde von der göttlichen Person selbst, der Trägerin dieser menschlichen Natur, als Leiden empfunden. Dabei wurde die göttliche Natur Christi nicht bedrängt und wurden die beiden Naturen in Christus1081 nicht vermengt, aber die Erlebnisse und Auswirkungen der beiden Naturen griffen im Bewusstsein der einen göttlichen Person in Christus ineinander – wie mir am 07.10.1942 ausführlich erklärt wurde und niedergeschrieben ist.

2686 |        Zwischen der Seele Jesu und unserer gewöhnlichen Menschenseele besteht vor allem der Unterschied, dass die ewig sich bewusste göttliche Person schon vom Anfang der Menschwerdung an die zu höchster sittlicher Vollkommenheit veranlagte Seele auf eine seinshafte (nicht auf „Übung oder Erwerbung“ angewiesene) Art beanspruchte und zum Ebenmaß mit göttlicher Vollkommenheit formte, jedoch in einer allmählichen, der menschlichen Entwicklung Rechnung tragenden Steigerung in der Ausübung und Betätigung ihrer seinshaften Vollkommenheitsfähigkeiten zu den Zwecken des Erlösungswerks. Die Seele im gefallenen Zustand aber muss sich von der „Übung“ und der Überwindung des sittlich-unvollkommenen Widerstrebens erst allmählich emporringen zur stückweisen Erlangung und Ausübung eines sittlichen Vollkommenheitszustandes. Die menschliche Person braucht eine geraume Entwicklungszeit, um sich an die Spitze ihrer Anlagen stellen und einen bewussten Personantrieb auf die ihr unterstellten Anlagen ausüben1082 zu können; dabei stößt sie dann im Bereich der ihr unterstellten Kräfte selbst auf Widerspruch, den sie erst zum Ausgleich bringen muss, wenn sie sich zur sittlichen Vollkommenheit erheben will. In der Seele Jesu aber war von Anfang an eine harmonische Einordnung aller Kräfte unter den Antrieb der immer bewussten Person gegeben, und zwar als schon bestehende seinshafte Fähigkeit einer Vollkommenheitsebene mit der göttlichen Person.

2687 |        Auch in Maria löste die Ausübung ihrer sittlichen Vollkommenheitsmöglichkeiten kein sittlich unvollkommenes Widerstreben aus, denn sie war ohne Erbsünde und ohne deren moralische Folgen. Trotzdem war aber ihre sittliche Vollkommenheit an ihr eigenes Bemühen und „Üben“ gebunden.

2688 |        (Anmerkung: Es besteht für mich beim Niederschreiben die Schwierigkeit, dass ich immer nur das jeweils von der inneren Führung Angeregte erklären kann, während manches damit Zusammenhängende für mich nur ein geistiger Begriff ist, den auszudrücken mir nicht oder noch nicht möglich ist. So mag vielleicht ein Außenstehender manchmal einen Zusammenhang oder eine allgemeine Übersicht in der Erklärung vermissen. Ich muss aber hinnehmen, was mir vom Herrn geboten wird, und mein menschlicher Verstand kann den Zusammenhang oder die weiteren Wege und Absichten Jesu nicht voraussehen noch erforschen.)

 

30.04.19441083

2689 |        (In S. Maria sopra Minerva:) „Es fällt in mir die eigene Personstütze“. ­ Ich spüre, wie sich „geistige Hindernisse“ in mir entfernen. Dies ist ein wesentlicher Schritt weiter, um die göttliche Person erleben zu können. Meine Person hört darum auf, für sich erlebnisfähig zu sein.

 

Mai

02.05.1944

2690 |        Zur weiteren Erklärung des psycho-physischen Geheimnisses im Gottmenschen wurde mir heute in St. Peter der Satz mitgeteilt: „Die beiden Naturen (in Christus) wirkten ineinander in logischer Wechselbeziehung. Die beiden Naturen, die göttliche und die Menschliche, werden nicht vermischt, aber ihre Tätigkeiten 'wirkten' ineinander, gingen aber nicht ineinander über. – Auf diesem Geheimnis beruht die Tatsache der inneren Erlöserleiden Christi.“

2691 |        Als Beispiel für diese „logische Wechselbeziehung“ der beiden Naturen in Christus wurde mir die Todesangst des Erlösers gezeigt. Der Heiland „wusste“ als Gott um seinen bevorstehenden Tod und dessen Umstände. Es war das Wissen der göttlichen Person; die menschliche Natur aber empfand das Widerstreben gegen das Sterben, das ein Widerspruch gegen das Wesen der göttlichen Person und eine gewisse Herabwürdigung derselben war. Wie hätte aber die menschliche Natur unter der Situation des göttlichen Wesens leiden können, wenn keine Einwirkung vonseiten der göttlichen Person auf die menschliche Natur stattgefunden hätte? – In Wahrheit wirkte aber die „Tatsache“ des Wissens der göttlichen Person derart auf die menschliche Natur ein, dass es zum Blutschweiß kam. Und dies wurde mir als eine Folge der „logischen Wechselwirkung“ erklärt, die zwischen den beiden Naturen bestand.

2692 |        Die Person in ihrem göttlichen Wissen kannte den ganzen ungeheuren Gegensatz und Widerspruch zwischen ihrer göttlichen Würde und dem ihr Bevorstehenden. Mittels der Bewusstwerdenskraft übertrug sich dieses Wissen um den unermesslichen Gegensatz (gemäß den Gesetzen der menschlichen Psychologie) auf das menschliche Empfindungsvermögen Christi, und damit kam es zu einer Einwirkung auf die physische Natur, und zwar bis zu einer solchen Steigerung, dass „sein Schweiß wie Blutstropfen war1084, die zur Erde rannen“ (Luk. 22.44). – So vollzog sich eine „logische“ (aus der hypostatischen Union folgende) Weiterwirkung vonseiten der göttlichen Person auf die Seele und damit auf den Leib Jesu. Anderseits gibt das „Empfinden“ der menschlichen Natur auf die Person selbst zurück, die sich mittels ihrer menschlichen Kräfte in Todesangst befand. Das war eine Folge der logischen Wechselwirkung der beiden Naturen, der sich die göttliche Person in ihrer Menschwerdung überantwortet hatte. – Infolge dieser „logischen Wechselwirkung“ hat die göttliche Person ihr ganzes Mensch-sein empfunden und erlitten (der Ausdruck „logisch“ ist mir früher, bei der Erklärung des „logischen Widerstrebens gegen das Leiden“, als „das einer Einwirkung natürlich folgende Gefühl“ erklärt worden).

2693 |        Hätte das Menschenleben Jesu sich nicht unter der Einwirkung der göttlichen Person vollzogen, so wäre es kein normales, wahres Menschenleben gewesen; ein solches untersteht nämlich einer „bewussten Kraft“, von der es geleitet wird und der jede Auswirkung dieses Menschseins zugeführt und zugehört wird. Was aber jener „bewussten Kraft“ (nämlich der Person) zugeführt wird, muss auch eine Stellungnahme und Rückwirkung oder Reaktion derselben hervorrufen, wenn diese Person wirklich dem betreffenden Menschenleben vorsteht (andernfalls, d. h., ohne eine solche Rückwirkung und Reaktion hätte in Christus eine einseitige Geistigkeit geherrscht und es hätte kein wahres Menschsein und kein wahres menschlich empfundenes Leiden in ihm bestanden).

2694 |        Für das Zustandekommen eines wahren „menschlichen Leidens“ wurden mir zwei Möglichkeiten oder Wege erklärt (wobei ich mit „Leiden“ ein widerspruchartiges Empfinden bezeichne, das Gegenteil zum Wohlbefinden des Geistes und des Leibes): ein rein geistiger Weg und ein physischer Weg (oder eine Verbindung dieser beiden Wege des „Leidens“)

2695 |        Die erste und höchste Art der Leidensmöglichkeit liegt in der Person selbst, der das Leiden entspringen kann. So zum Beispiel kann eine erbliche Veranlagung oder Belastung, die der Person selbst unmittelbar zum Bewusstsein gekommen ist, eine beständige Quelle des Leidens für sie werden, das ihrem eigenen Wesen entspringt und durch die Bewusstwerdenskraft wieder ihr selbst als der persönlichen Ursache dieses „Leidens“ zugeführt wird. – Allerdings will der Mensch dieses Bewusstwerden seiner persönlichen, weniger guten Anlagen nicht leicht wahrhaben und was braucht eine hohe Intelligenz oder eine große Tugend, um sich solch eigene Mängel wirklich einzugestehen. Auf alle Fälle muss eine andere Kraft diese Tatsache wieder der Person selbst zuführen, damit sie von dieser aufgenommen und anerkannt werden kann. Hierher gehören auch gewisse widrige Ereignisse, die der Würde einer Person entgegen sind und widerstreben; so treffen z. B. Verarmung, Beleidigungen, Zurücksetzungen die Würde einer Person, die ein feines Empfinden für die ihr zukommende Würde hat. Die Bewusstwerdenskraft bringt diese ihre Würde und deren Verletzung oder den Angriff dagegen immer wieder in das Bewusstsein der Person. Freilich können sich in solchen Fällen leicht Übertreibungen einschleichen; ein hochmütiger Mensch z. B. empfindet es schon als Angriff auf seine Würde, wenn ihm nur die Wahrheit über sich selbst gesagt wird.

2696 |        Der zweite psychologische Weg, auf dem menschliche (d. h., menschlich empfundene) Leiden entstehen, ist der vom Physischen ausgehende. Körperliche Leiden, physisches Missbefinden werden von der Bewusstseinskraft zur Person gebracht1085, werden mittels der Intelligenz­kräfte von der Person überdacht und erwogen und in wiederholter Wechselwirkung zwischen Intelligenz- und Willenskräften entweder durch einen vorhandenen Energieeinsatz wenigstens teilweise überwunden oder als ein gleichsam die Person selbst beherrschendes Leiden auf die physischen Kräfte zurückgeworfen. Ein physisches Leiden kann nämlich unter den Energieaufwand der Person gestellt, und damit als persönliches „Leiden“ vermindert werden; oder aber bei schwacher Rückwirkung der Person beherrscht das physische Leiden selbst die Person. Bei allen Arten von Leiden spielt die Einwirkung der Intelligenzkräfte mit; bei starker Einwirkung derselben können die Leiden von den Geisteskräften in einem gewissen Sinne festgehalten, beherrscht und reguliert werden; bei minderer Einwirkung derselben kann das ganze Menschsein durch die Leiden beherrscht werden.

2697 |        Ich schaue auch die verschiedenen Ursachen der Leiden im konkreten Leben: zunächst die rein persönlich-geistigen Leiden als ein von der Person ausgehendes und ihr bewusst gewordenes Missbehagen gegen sich selbst – wie oben geschildert. Dann, allgemein seelische Leiden, hervorgerufen durch die vom Personkern entfernteren Seelenkräfte, aber die doch auf die Person selbst als ihr Leiden zurückgeworfen. Zu diesen auf Seelenleiden oder auf die Geisteskräfte zurückgehenden Leiden kommen auch jene, die zwar zunächst äußere Einflüsse zum Ursprung haben, aber doch zugleich das Seelenleben angehen und treffen: Erkrankungen, Kummer, Sorge, Verluste an irdischen Gütern sind zwar von außen verursacht, werden aber als Rückwirkungen auf die Person zu deren persönlichen Leiden. Ebenso gehen, wie gesagt, die rein physisch bedingten Leiden den Weg zur Person. – Alle menschlichen Leiden aber verursachen infolge des Naturgeheimnisses der psycho-physischen Wechselwirkung eine Reaktion im Gesamt-Menschsein, auch wenn diese nicht immer durch die Bewusstwerdenskraft bis in das eigentliche Bewusstsein übertragen wird, sondern sich nur im Unterbewusstsein vollzieht. Jedes Missbehagen ruft irgendwelche „Veränderungen“ hervor, sei es geistiger, sei es leiblicher Art, auch wenn dieser Veränderungen je nach der Art des persönlichen Empfindungsvermögens verschieden sind. Betroffen von der jeweiligen Einwirkung oder Reaktion, übt das Empfindungsvermögen einen Druck aus auf das Gesamt-Menschsein, sodass sich z. B. Kummer und innere Leiden in körperlichen Verstimmungen zeigen und auswirken und anderseits auch körperliche Leiden ein geistiges Gedrücktsein usw. herbeiführen.

2698 |        Bei Menschen mit weniger Geisteskraft bleibt jedes Leiden auch ein inneres, von den Geisteskräften Ausgehendes, mehr an die Sinne und an das sinnliche Gefühl gebunden und kann darum mehr auf das physische Befinden einwirken. Bei höher entwickelter Geisteskraft „steht der ganze Mensch allmählich über den Leiden“, die von den Geisteskräften getragen und beherrscht werden – während sie im anderen Fall mehr auf der sinnhaften Natur lasten und eine ungünstige Auswirkung auf das Gesamt-Menschsein haben.

2699 |        Ich wurde heute wiederum hingewiesen auf das Geheimnis der „Leiden eines Kindes“, das noch nicht zum Bewusstsein gekommen ist. Ein Leiden ohne eine1086 bewusst tätige Person ist kein wahres Leiden; denn es fehlt der notwendige Bewusstwerdensakt, mittels dessen es der Person zugeführt wird und den von der Person geleiteten psycho-physischen Kreislauf antreten kann. Dieser Kreislauf übt gleichzeitig wieder entsprechende Reize auf die Bewusstwerdenskräfte aus und diese werden – infolge der fortgesetzten Tätigkeit der Bewusstwerdenskräfte – als zusammenhängende Erlebnisse im Zentrum des Menschen, in der Person selbst, bewusst und von ihr als wahre Erlebnisse (seien es Leiden oder Freuden) empfunden. Es ist aber kein wahres menschliches Leiden vorhanden, solange es nicht das „Ich-Bewusstsein“ trifft und als dessen „persönliches Erleben“ empfunden werden kann.

2700 |        In Anwendung auf das Geheimnis Christi werde ich noch auf Folgendes hingewiesen: Die göttliche Person trug ihren Menschenleib und alle Erlebnisse ihrer menschlichen Natur als die Ihri­gen. Wie hätte sie aber diese Erlebnisse ihrer Seele und ihres Leibes als die Ihrigen empfinden können, wenn keine Auswirkung vonseiten der göttlichen Person auf die menschliche Natur und vonseiten der menschlichen Natur auf die Person stattgefunden hätte? –

2701 |        Zweifellos waren die Leiden und Erlebnis­se der göttlichen Person Christi infolge der logischen Wechselwirkung der beiden Naturen in ihm sehr verschieden von den unseren. Diesbezüglich wurde ich z. B. hingewiesen auf die hohe Art der Vergeistigung, welche die göttliche Person und deren göttlich-sittliche, Vollkommenheiten auf die menschliche Natur Christi ausübten und dadurch auch deren Erlebnisse vergeistigten. – Wegen der vornehmen und vollkommenen Harmonie zwischen der göttlichen und menschlichen Natur in Christus wurden ferner die Leiden und Erlebnisse Jesu von seiner Geisteskraft getragen und lösten auch deshalb eine andere Reaktion aus als in uns. Zwar empfand Jesus alle leiblichen Erlebnisse in dem ganzen Maß ihres Gegensatzes zu der göttlichen Würde seiner Person, aber das Geistige beherrschte in ihm vollkommen das Leibliche und blieb herrschend über die physischen Leiden und Erlebnisse, die damit zu Erlebnissen des Geistes wurden. – Ferner war in Christus infolge der höchsten Einfachheit seiner Seele und infolge der Beherrschung seines Leibes durch den Geist alle wie auf ein Empfinden hingeordnet. Es herrschte in ihm nicht die vielfache Art der Gefühls- und Gemütstätigkeit wie bei uns, weil die göttliche Person ihre göttlich-wesentliche Eigen­heit des „actus purus“ sich auswirken ließ – soweit die menschliche Natur dies ertragen konnte – und weil dementsprechend auch das Seelenleben Jesu das Gepräge höchster Einfachheit an sich trug.

2702 |        Zum Verständnis und gewissermaßen zur Bestätigung dieser „Einfachheit“ in den menschlichen Erlebnissen und Leiden Jesu werde ich hingewiesen auf den Unterschied zwischen meinen früheren inneren Leiden und denen in letzter Zeit. Wenn früher die inneren Leiden auch die rein geistigen der passiven Läuterungen, sich noch in den Sinnen oder „sinngebunden“ auswirkten, so herrschte bei diesen Läuterungsleiden in letzter Zeit – d. h. schon seit Längerem – eine gewisse Einfachheit des Empfindens. Mögen diese Leiden noch so hart und durchdringend und verzehrend sein, so „ist mir doch nicht schwer dabei“, d. h., es bleibt die Leichtigkeit des Geistes bestehen, mit der diese Leiden ge­tragen werden. Gewiss sind diese Leiden unmittelbar und intensiv in der Seele wirksam; sie verfolgen sozusagen ein direktes Ziel und sind wie ein Stich auf die schmerzende wunde Stelle; jedoch der „Umkreis der wunden Stelle bleibt unberührt“, während früher ein größerer Seelen­komplex von diesen Leiden betroffen wurde. – Eine ähnliche (aber natürliche höhere) Art der „Einfachheit“ wurde mit auch bezüglich der Leiden Christi erklärt; diesen blieben im Zentrum seiner Person. Sie wurden zwar getragen mittels der Kräfte seiner menschlichen Natur, aber diese Kräfte waren ganz der göttlichen Person zugeordnet und im Einklang mit der Eigenart dieser Person. –

2703 |       Anmerkungen:

1.) Zusammenfassend schaute ich so den Sinn der Menschwerdung: Er wurde Mensch und blieb Gott, wobei auch das Menschsein zur Auswirkung kam und doch das Göttliche das Tragende im Gottmenschen blieb.

2.) Mit der seinshaft veranlagten sittlichen Vollkommenheit der Seele Jesu ist nicht gemeint die Art des göttlichen Seinszustandes Christi; denn die Seele Jesu war und blieb ein geschaffenes Wesen und konnte darum niemals den göttlichen Seinszustand als ihr Eigen haben. Eine seinshaft in der Seele bestehende Vollkommenheit will vielmehr besagen „etwas, was in der Seele schon 'ist' und nicht erst 'werden' muss“, was nicht erst durch mühevolles Üben und Probieren sich ausbilden muss, was also schon als bestehende gebrauchsfertige Anlage vorhanden ist.

„Übung“ bedeutet ein beständiges Probieren; „Ausübung aber ist vollkommene Übung“, ist etwas, was man schon kann, und zwar geläufig kann. Bei der Ausübung werden die schon vorhandene Tugend und das vorhandene Gute gebraucht und ohne Schwierigkeit ausgenützt. Die schon bestehende Vollkommenheit wird zur Anwendung und Ausübung gebracht, sooft entgegengesetzte Einwirkungen von außen diese Ausübung verlangen zur Überwindung jener entgegengesetzten Einflüsse.

Jesus empfand (infolge der seinshaft veranlagten Vollkommenheit seiner Seele in sich oder in seiner physischen Natur keinerlei Widerstreben gegen die höchste Vollkommenheit, die von der göttlichen Person gefordert wurde; – das wäre nämlich gegen seine Heiligkeit gewesen. In der Ausübung dieser seiner schon bestehenden Tugend aber wurden die herantretenden Gegensätze als Widerspruch von ihm empfunden, so z. B. in der Ausübung seiner Geduld gegenüber den Anfeindungen der Pharisäer oder gegenüber den Mühsalen seines irdischen Lebens. Er erlebte damit die „logische Konsequenz“, das logische Widerstreben seiner Natur gegen jene von außen kommenden Gegensätze als „Leiden“. –

3.) Nicht selten gibt mir der Heiland Erklärungen in Ausdrücken, die an sich einen mehrfachen Sinn haben, und erst nach einiger Zeit gibt er dann die nähere Erklärung solcher an sich mehrdeutiger Ausdrücke. Ich soll darum – so wird mir soeben beim Schreiben bedeutet – der Erklärung nicht vorgreifen, denn es sei eine „stufenweise Erklärung mit vorhergehender Fundamentierung des Zukünftigen“.

 

04.05.1944

2704 |        (In S. Agostino:) Es kommt in mir ein neuer „Person-Antrieb“ und damit dann ein immerwährendes Erleben Christi.1087

2705 |        Gestern war ich in sehr tiefen geistigen Leiden, die mich in eine wunderbare geistige Zusammenfassung und Einheit brachten. – Diese Geistigkeit steigerte sich heute Morgen in der Kirche S. Augustino. Ich war so „leicht“ und durch und durch geistig-gefühlig! Um es in einem Vergleich anzudeuten: So wie es im leiblichen Leben wäre, wenn das Sehen, Hören, Fühlen nicht nur durch die betreffenden Sinne, sondern durch den ganzen Körper geschähe, so ähnlich empfinde ich die jetzt werdende erhöhte geistige Empfindungsfähigkeit und das „Gespür“ meiner ganzen Seele. – Die letzte Erklärung hierfür liegt darin: Durch die Gnade lebt Christus in der Seele und ich erlebe mittels einer erhöhten Empfindungsfähigkeit Christus in mir in einem ähnlichen Erfahren und Erfassen seines Geheimnisses, wie es bezüglich der äußeren Umgebung durch die Sinne1088 (Augen, Ohren usw.) geschieht.

2706 |        In diesem außergewöhnlichen Zustand, der aber für mich ganz „natürlich“ schien, wurde mir dann folgende Erklärung und Begründung dafür gegeben: Dieser hohe Vergeistigungszustand ist notwendig für mich, denn das mir bevorstehende Erleben des Geheimnisses des Gottmenschen ist eine ganz außergewöhnlich große Gnade und dazu bedarf es einer solchen Verfeinerung meines ganz Menschseins. Es handelt sich dabei ja nicht nur um ein Schauen des göttlichen Geheimnisses in Christus, sondern zugleich mit dem Schauen um ein „Durchfühlen, Durchhören, Durchdringen“, das sich mittels meiner vergeistigten Seelenkräfte vollzieht.

2707 |        Bei diesem „Durchschauen und Durchdringen und Durchfühlen“ sind die Begriffe von Christus so klar und bestimmt, dass ich in ähnlicher Sicherheit sie bestätigen und meine Zustimmung zu ihrem Inhalt und deren Schlussfolgerungen geben muss, wie etwa zu dem Satz, dass zwei mal zwei gleich vier ist.

2708 |        Im Besonderen habe ich aber heute noch näher den Unterschied zwischen der gewöhnlichen Betätigungsart der Seele und der „wesentlichen Betätigungsart“ der Seele Jesu erfasst, wobei ich wieder an frühere diesbezügliche Erklärungen erinnert wurde, wie z. B., dass „Jesus sein gottmenschliches Leben durch die Substanz der Seele lebte“. –

2709 |        Als Hauptpunkte habe ich gleich die folgenden notiert:

1.– Es wird mir eine „stufenweise Hinführung“ gegeben, weil dies Geheimnis nicht auf einmal in Worten auszusprechen ist.

2.– Das „Bewusstwerden“ (und das Bewusstseinsleben überhaupt)1089 war in Jesus nicht ein verstandesmäßiger Akt wie beim gewöhnlichen Menschen, sondern ein wesentlicher Akt.

3.– Die „seinshafte sittliche Vollkommenheit der Seele Jesu“ wurde genommen zur Inanspruchnahme durch die göttliche Person.

4.– Aus diesen Gründen kam es nicht zu einer Vermischung der Kräfte der beiden Naturen in Christus.

5.– Es blieb bei einem göttlichen Leben, obwohl die menschlichen Funktionen – in einer seinshaften Weise – vorhanden und tätig waren.

6.– Der göttliche Seinszustand in Christus nahm die menschliche Natur „nach seiner Art“ in Anspruch.

7.– Die Reaktionen der menschlichen Natur „verkürzen“ sich im Sinne der Einwirkung des „actus purus“.

8.– Damit wurde das gesamte Gottmenschentum auf eine andere Basis gestellt als das gewöhnliche Menschentum. – Bei aller Ähnlichkeit der Betätigungen und Auswirkungen ist das Entscheidende die „Art“ der Funktionen.

9.– Für mich ist Voraussetzung zum Nachleben1090 und Erklären dieses Geheimnisses eine feine geistige Unterscheidungsgabe und eine Erhöhung meines Auffassungsvermögens, erreicht durch langjährige ständige Läuterung. – Es wird sich um ein „Selbsterlebnis“ handeln, nicht um visionäres Schauen.

2710 |        Dazu im Einzelnen Folgendes:

2711 |        Das Bewusstwerden in der gewöhnlichen Menschenseele ist ein „verstandesmäßiger Akt“. – Das Bewusstwerden ist letztlich ein Akt und Urteil der Person, dem aber viele Schlussfolgerungen vorausgehen. Der Bewusstwerdensakt entwickelt sich in den „Ausläufern“ oder Fähigkeiten der Seele und mittels der physischen Kräfte. Er setzt voraus ein mannigfaches Ver­gleichen und Schlussfolgern, ein Gegenüberstellen, ein Austausch und eine Verständigung zwischen den verschiedenen erwachenden Seelen – und Bewusstseinskräften. Das zeigt eine kurze Untersuchung der Psychologie der Akte des Bewusstseins1091.

2712 |        Die erste Stufe des Bewusstwerdens, die dem letzten, vollen Bewusstsein vorausgeht, ist das Erfahren seiner Existenz: „Ich bin“. Dies bedeutet schon ein geistiges „Um-sich-schauen“, ein Sich-selbst-beschauen, und es setzt1092 voraus ein Gegenüberstellen der verschiedenen eigenen Kräfte und ein Beziehen derselben auf die Person, die das Selbst-erfahren dann als Eigenes aufnimmt („ich bin“).

2713 |        Von diesem Erfahren der Tatsache der eigenen Existenz aus kommt es langsam zu einem dauernden Erfahren der Art dieser Existenz: „So bin ich“. – Nachdem die Person „weiß“, dass sie existiert, werden ihre selbstigen Anlagen angeregt zum Mitarbeiten für diese Existenz; sie werden geweckt und in Tätigkeit gesetzt und werden mittels eines Reflexes der Person selbst bewusst, die schließlich im letzten Akt des Bewusstwerdens – ähnlich wie gegenüber der eigenen Fotografie, feststellt: „So bin ich“. –

2714 |        Mit dieser vollzogenen Feststellung des eigenen Seins „tritt“ die Person gleichsam in die Außenwelt, in ihre Umgebung ein und drängt dieser gleichsam ihre individuelle Eigenart auf. Die Bewusstwerdenskraft nimmt die „Art“ der Umgebung in ihre Akte auf und führt sie der Person als deren „Umgebung“ oder als äußere Einflüsse zu. – Die Folge ist ein Reagieren oder eine Stellungnahme der Person gegenüber diesen mittels der Bewusstwerdenskraft aufgenommenen Einflüssen, mit denen die Person entweder „sympathisiert“ oder denen sie sich entgegenstellt. Darin kommt die Eigenart der Person zum Ausdruck. Die Person kann aber weder aus ihrer Eigenart noch aus ihrer Umwelt ganz heraus und muss sich mit beiden Eigenarten irgendwie abfinden und darin zurechtfinden. – Bei dieser Stellungnahme greifen die Intelligenzkräfte vermittelnd ein. Gegenüber „sympathischen“ Einflüssen erklären und beweisen sie immer wieder das Angenehme und Gute derselben und alles dies wird durch die Bewusstwerdenskraft (von nun an immer abgekürzt „B.K.“ – Bewusstwerdensakt = B.A.) immer wieder der Person durch einen entsprechenden Akt zugeführt und damit „bewusst“ gemacht. So kommt es zu einer bewussten inneren Zustimmung und Übereinstimmung gegenüber den gemeldeten Einflüssen zu einem Empfinden der Freude und Befriedigung darüber. – Bei widrigen1093 Einflüssen aber regt sich der Widerspruch, weil durch die B.K. immer wieder der Gegensatz zwischen der Eigenart der Person und jener der äußeren Einflüsse gezeigt und gegenübergestellt wird. Dieser Gegensatz muss mithilfe und Vermittlung der Intelligenzkräfte zu einer Lösung, zu einem Ausgleich oder wenigstens zu einer Abschwächung gebracht werden – wenn nicht ein beständiger Widerspruch mit der Umgebung und eine Unausgeglichenheit in der Person selbst bestehen bleiben soll. Zu diesem Ausgleich wirken verschiedene innere Akte und Tätigkeiten mit, die ständig durch die B.K. der Person zugeführt und bewusst werden: Die eigentliche Intelligenzkraft legt Vernunftgründe vor, weshalb sich z. B. die Person den widrigen Einflüssen der Umgebung fügen müsse. In mehr oder minder großen Umfang wird dazu als Begleit- und Bestätigungsmittel der Intelligenzkräfte auch die Tätigkeit der Fantasie oder des Vorstellungsvermögens geweckt, das durch bildhafte Vorführungen die Gründe des Verstandes erläutert usw. Auch diese Tätigkeiten der Fantasie werden ständig durch die B.K. der Person bewusst. Die Person kann sich von den „Gründen“ der Intelligenzkräfte abwenden und sich mehr den ihrer Eigenart entgegengesetzten oder ihr sympathischen Einflüssen zuwenden. So gehen einer endlichen Entscheidung viele Wechselwirkungen der verschiedenen Seelenkräfte vor­aus und es spielen sich immer neue Gegenüberstellungen im Seelenleben ab. Und gerade in diesen Gegenüberstellungen und Gegensätzen, in die der Mensch mit seinem Leben hineingestellt ist, kommt die Eigenheit der Person zum Durchbruch (die Tätigkeit der B.K. erstreckt sich ja nicht bloß auf die Zeit des vollen Erwachens der Person, sondern geht weiter im ganzen Leben einer vollbewussten Person).

2715 |        Die Person lässt sich also gleichsam in Wechselbeziehungen mit den sie unterstützenden und ihr unterstehenden Kräften ein und diese hinwiederum [sic!] wirken mit ihren Fähigkeiten auch auf die Person ein, um ein geistiges Gleichgewicht und eine gegenseitige Regulierung, Verständigung und Übereinstimmung zu erzielen, bevor es zum letzten entscheidenden Urteil kommt, das die Person mittels des Willens fällt. Dieses letzte Wort und Urteil ist aber vorbereitet und bedingt durch all diese Akte und durch die Diskussion der verschiedenen Seelenkräfte.

2716 |        Die B.K. führt dabei der Person nicht bloß die äußeren Lebensumstände zu, sondern auch den ganzen Komplex des Seelenlebens. Ihre Objekte sind sowohl die Einflüsse von außen wie auch die Ausflüsse oder Auswirkungen, die von der Person selbst ausgehen. So nimmt die B.K. eine Mittel- und Vermittlungsstellung im Seelenleben ein. Sie ist die Erlebniszuführerin und die Erlebnisbefähigung für die Person. Alle durch sie an die Person „gemeldeten“ Einflüsse der Umgebung und alle durch sie weitergegebenen Auswirkungen der Person rufen immer neue Tätigkeiten des Seelenlebens hervor und so ist sie es auch, die einen ständigen Anreiz zur Entfaltung der Betätigungsmöglichkeiten der Seele ausübt. – Die B.K. steht darum auch im Mittelpunkt eines wirklichen oder möglichen Wechsels im Seelenleben der Person. Diese muss sich nämlich nicht bloß nach den Objekten richten, die ihr durch die B.K. gemeldet werden, sondern auch nach der Art, wie diese Objekte ihr durch sie vorgeführt werden. Darum hängt auch die Veränderlichkeit der Werthöhe einer Person eng mit der B.K. zusammen. – So ist also der ganze „Komplex“ des Seelenlebens von beständigen Tätigkeiten der B.K. getragen und man kann sagen: Die B.K. gibt der Person ihre „Lebendigkeit“ (oder geistige Vitalität) und ihre Tätigkeit ist die erste und wichtigste Dienstleistung an die Person, denn ohne diese Tätigkeit würde die Person ihre „Lebendigkeit“ verlieren. Tatsächlich kann man von einem wahren und vollen Menschsein auch nur dann sprechen, wenn die B.K. mit ihrer Tätigkeit funktioniert.

2717 |        Die B.K. ist, mit einem Worte gesagt, „der Spiegel“ der Person, womit diese ihre eigene „Existenz“ überschaut, wobei unter „Existenz“ verstanden und gemeint ist das ganze Leben mit all seinen Umständen und Gegebenheiten, die an diese „Existenz“ herankommen und wodurch diese „Existenz“ gestützt wird.

2718 |        Darum stehen auch die Person und ihre B.K. in einem notwendigen und unzertrennlichen Zusammenhang in diesem psychologischen Geheimnis der Natur. Die B.K. steht auf der Werthöhe der Person und nimmt alle Eindrücke nach der Art und nach der Werthöhe der Person auf; sie „empfindet“ und ist tätig zusammen und im Einklang mit der Person. Anderseits wird auch das durch die B.K. bewusst gewordene Objekt entsprechend der Eigenart der Person von dieser aufgenommen. Dabei muss sich auch die Person diesem Objekt anpassen, weil sie das letzte Wort und Urteil über das Bewusstgewordene zu sprechen hat; die B.K. führt aber an sich die Objekte unverändert so vor, wie sie von ihr aufgenommen werden.

2719 |        Die beiden Tätigkeiten, die der B.K. und jene der Personkraft, müssen also notwendig vor dem letzten, sicheren und entscheidenden Urteil auf eine Linie gebracht werden und müssen sich wie zu einem Akt ergänzen, den letztlich die Person ausführt, und zwar mittels des Willens. Die beiden Tätigkeiten müssen darum harmonisch, ebenmäßig verlaufen und deshalb muss vorher eine gegenseitige Regulierung stattfinden und ein gegenseitiges Einverständnis und Übereinstimmen erzielt werden, bevor die Person als letzte entscheidende Instanz mit ihrem Willen das entscheidende Urteil fällen kann. Dieses Urteil oder dieser letzte Akt des Bewusstwerdens übt dann eine entsprechende Wirkung auf das Gesamt-Menschsein aus.

2720 |        So besteht also das „Bewusstsein“ aus ununterbrochenen Akten des Wissens um sich, um die Umgebung und die Lebensumstände, und dieses Wissen verlangt eine ständige Gegenüberstellung und Stellungnahme der verschiedenen Kräfte der Person gegenüber den bewusst-gewordenen Objekten. Das Bewusstsein vollzieht sich also in verstandesmäßiger Art auf dem Wege eines vergleichenden und schlussfolgernden Abwägens und eines Austauschens der Kräfte. Mit anderen Worten: Es beruht auf eine Vermischung der verschiedenen Seelenkräfte im Menschen.

2721 |        Ganz anders ist die Art des gottmenschlichen Bewusstwerdensaktes und des Bewusstseinslebens in Christus – wie ich schaute. In ihm kam es dabei zu keiner Vermischung der beiderseitigen Kräfte. Jede der beiden Naturen in ihm bewahrte vielmehr ihre Eigenart ohne Vermischung, und doch kam es zu einem wahren, und seinem Wesen nach normalen (wenn auch in der Art von dem unseren verschiedenen) B.A. – wie ist das möglich? Die Lösung des Geheimnisses liegt darin: Das Seelenleben Jesu vollzog sich im Zentrum, in der Substanz der Seele selbst und dabei wurde ihre seinshafte Vollkommenheiten von der göttlichen Person in Anspruch genommen.

2722 |        Die Seele Jesu betätigte sich unmittelbar durch ihre Substanz und nicht wie unsere Seele durch deren „Ausläufer“ oder Betätigungsfähigkeiten, die auch auf die physischen Hilfsmittel angewiesen sind. – In der Substanz der Seele liegen tatsächlich schon alle Hauptfähigkeiten der Betätigung vorbereitet und verborgen, aber sie werden erst mit einer gewissen Entwicklung der physischen Kräfte auch in die physische Natur übergeleitet und durch diese dann wiederum auf das Zentrum oder der Substanz der Seele übertragen. Die geistigen Fähigkeiten sind in der Substanz der Seele schon im Augenblick ihrer Erschaffung vorhanden, aber die für gewöhnlich zu ihrer Betätigung notwendigen physischen Hilfsmitteln bedürfen einer gewissen Entwicklungszeit, einer Überleitungsperiode, in der die Verbindungswege ausgebildet und freigelegt werden. An sich könnte darum der Mensch auch beispielsweise ohne „Verstandestätigkeit“ „wissen“, und tatsächlich kann man schon beim Kleinkind vor dem Erwachen seiner Vernunft ein gewisses „Wahrnehmen“ und „Kennen“ seiner Pfleger usw. feststellen (vgl. das früher Geschriebene!). Es handelt sich dabei um Augenblickserlebnisse, um ein Aufblitzen der Betätigungsfähigkeit der Substanz der Seele, aber es kommt vor dem „Erwachen der Vernunft“ noch nicht zu zusammenhängenden Erlebnissen, weil die dazu notwendige Mitbetätigung der physischen Natur noch nicht „reif“ ist. An sich könnte der Mensch kraft seiner Anlagen und Fähigkeiten seiner Seele aber gleich von Anfang an im Gebrauche seiner Vernunft sein, wenn dieser Gebrauch nicht für gewöhnlich an die Mitbetätigung und das Ausdrucksmittel der physischen Natur gebunden wäre. Die Seelentätigkeit ist in beiden Fällen im Grunde die gleiche (auf dem gewöhnlichen Wege und auf dem unmittelbaren durch die Substanz).

2723 |        Die Seele Jesu war nun schon gleich bei ihrer Erschaffung bzw. bei der Menschwerdung der göttlichen Person ein an sich „fertiges Lebewesen“ in ihrer Betätigungsart gegenüber der göttlichen Person. Die Betätigungsart und der geistige Umfang des Wesens der Seele Jesu blieben im Wesentlichen immer gleich von seinem Kindesleben an bis zum reifen Alter oder bis zu seinem Tode am Kreuz. Da sie sich aber dem physischen Wachstum ihres Kindeslebens anpasste und da sie die von außen kommenden Eindrücke und Erlebnisse mit in ihren Geist hineinnahm, so „wuchs“ dieser Umfang doch in gewissem Sinne, nämlich infolge der allmählichen Entwicklung der menschlichen Natur und infolge der äußeren Einflüsse. Damit nahmen Christi menschliche Erlebnisse an Umfang und Ausdehnung und Fülle zu und die Seele Jesu „wuchs“ (wie die Hl. Schrift bestätigt) mit dem Leibe an Erlebnisfähigkeit. Sie war aber nicht auf das Erwachen ihrer physischen Fähigkeiten der Mitbetätigung angewiesen, obwohl sich Jesus in der Ausübung seiner fertigen Fähigkeiten in allem den Wachstumsgesetzten eines normalen Menschenlebens anpasste. Die Betätigung seiner Seele war an sich nur auf die „Entfaltung“ der Seele selbst angewiesen, da Jesus sein ganzes Menschenleben mittels der Substanz der Seele lebte.

2724 |        Die Seele Jesu trug ferner in sich eine „seinshafte Veranlagung“ und diese wurde durch die göttliche Person in Anspruch genommen. Seine Seele war mit einer so vollkommenen Ausstattung, mit seinshaften Anlagen, geschaffen, dass diese Anlagen keiner Entwicklung oder Vervollkommnung bedurften. Es waren vielmehr „fertige“, mit dem Sein der Seele gegebene Anlagen und Vollkommenheiten, die [es] nur nötig hatten, herausgeholt, gebraucht, angewendet und ausgeübt1094 zu werden. Es handelt sich also in seiner Seele nicht um eine Entwicklung der Vollkommenheiten selbst, sondern um eine steigernde Ausübung und Ausnützung dieser seinshaften (mit dem Sein der Seele schon gegebenen) Vollkommenheiten. Die gewöhnliche „Entwicklung“ der Anlagen stößt auf Schwierigkeiten und Widerstand in sich selbst oder in der Art der Ausführung oder in der Ausdehnung des Umkreises ihrer Betätigungen; in Jesus aber gab es keine „Entwicklung“ weder in den Fähigkeiten selbst noch in der Art und im Umfang ihrer Betätigungsmöglichkeit. Es war vielmehr eine fertige und seinshafte, sittliche und psychologische Vollkommenheitsanlage gegeben, und diese wurde sofort von der göttlichen Person gebraucht, um damit sein gottmenschliches Leben zu formen. Es wäre ein innerer, unerträglicher Widerspruch gegen die Würde seiner göttlichen Person gewesen, wenn er sich von einer werdenden sittlich-psychologischen Vollkommenheit abhängig gemacht hätte. Auch die psychologische Höhe und Feinheit der Seele Jesu war nämlich vom ersten Augenblick an vollkommen gottdienstfähig; denn die göttliche Person war in gleich göttlichem Maße „Gott“ in der Krippe wie am Kreuze und so war Christi Seele im Kinde wie im Sterben in gleich vornehmer Weise und sittlich-psychologischer Höhe und Feinheit ihm dienstfähig. Hierin gab es an sich keine „Entwicklung“ oder Erhöhung, denn die Inanspruchnahme durch die göttliche Person zu einem gottmenschlichen Leben forderte im Wesentlichen immer das gleiche Maß von Dienstfähigkeit und Vollkommenheit.

2725 |        In der Anwendung und Ausübung dieser seinshaft veranlagten sittlich-psychologischen Vorzüge aber bestand eine bis zum Tode Jesu zunehmende Steigerung und Ausdehnung, die gleichen Schritt hielt mit dem normalen Wachstum der menschlichen Natur und mit der sich diesem Wachstum anpassenden Auswirkung der Erlöseraufgabe Christi. Nur in diesem Sinne hat sich die göttliche Person einem „wachsenden“ Menschenleben übergeben und wirkte sich seine seinshafte Vollkommenheitsanlage wachsend aus, je nach der Inanspruchnahme durch die göttliche Person, die sich wiederum nach den Gegebenheiten und Umständen ihres wahren Menschenlebens richtete. Es herrschte also in der Seele Jesu keine „Entwicklung“ wie in unserer Seele, sondern nur eine steigernde Ausübung und Anwendung seiner seinshaften sittlich-psychologischen Vollkommenheitsanlage.

2726 |        Weil also Jesus nicht von einer psychologischen Entwicklung abhängig war und weil die göttliche Person in ihr das Tragende, Bewusste, göttlich Wissende war, so bewegte sich das ganze Seelenleben Jesu „außerhalb“ und ohne die physischen Hilfsmittel, die das gewöhnlich funktionierende menschliche Verstandesleben zur Erzeugung eines1095 menschlichen Wissens braucht. Diese göttlichen Vollkommenheiten und Fähigkeiten kamen aber gleichlaufend mit der gewöhnlichen menschlichen1096 Entwicklung zum Ausdruck und zur Ausübung ihrer wesentlichen Tätigkeit. – Deshalb kam es im Bewusstseinsleben Jesu auch zu keinem verstandesmäßigen Schlussfolgern wie bei uns, und es war bei ihm keine „Rücksprache“ im eigenen Inneren zwischen den einzelnen Geisteskräften nötig. Die göttliche Person war in allem göttlich vollkommen; die psychologisch-sittliche Anlage der Seele bzw. der menschlichen Natur Christi aber war vollkommen in ihrer Art der Angleichung an die göttliche Person und es bedurfte keines besonderen angleichenden Aktes, um die Person1097 und die sie unterstützenden Kräfte in Ausgleich und Harmonie zu bringen, wie dies bei unserer unvollkommenen, disharmonischen Seele notwendig ist. So war in Christus keine verstandesmäßige Kräfteanpassung, die einen Kräfteaustausch zwischen der Person und den psychologischen Fähigkeiten notwendig gemacht hätte, um sich in gegenseitigem Einvernehmen auf eine gleiche Höhe der Übereinstimmung stellen zu können. Es bestanden ja in Christus auch nicht jene geistigen Gegensätze und widersprechenden Tendenzen, die es für uns notwendig machen, durch eigene innere Kraftaufwendung und Anstrengung das Innere zu regulieren und in Einklang zu bringen; in Christus war nichts zu regulieren1098. Darum bestand in ihm auch keine Vermischung der Kräfte der beiden Naturen.

2727 |        Eine Bestätigung für die Möglichkeit einer substanziellen Betätigungsart der Seele können, wie schon angedeutet, die Erfahrungen bei Kleinkindern bieten. Gewisse augenblickliche Erlebnisse des Kindes zeigen, dass in der Substanz seiner Seele sich schon vor dem Erwachen der Vernunft im Wesentlichen alle geistigen Anlagen befinden. Könnten die augenblicklichen Erlebnisse des Kindes (wie z. B. das Wahrnehmen des Wohlwollens seiner Pfleger oder das Empfinden widriger Umstände) außerhalb des physischen Denk- und Empfindungsvermögens einer bewussten Person zugeführt werden, so würde daraus auch wirkliche, zusammenhängende Erlebnisse.

2728 |        Bei der gewöhnlichen Seele wird das physische Denkvermögen ausgebildet, um ein persönliches Wissen und Kennen zu ermöglichen, die Kindesseele aber ist gleichsam noch „unpersönlich“; die Seele Christi jedoch war sofort persönlich bewusst und erlebte bewusst ihre Lage als Mensch. – Ein Kind kann „wissen“, aber noch nicht verstehen, weil das eigentliche Verstehen an die Hilfe der physischen Betätigung gebunden ist. Das langsame Erwachen der Vernunft, das wir beim Kinde beobachten, hat seinen Grund in der notwendigen Überleitung seiner Seelenfähigkeiten auf die physische Natur, mit deren Hilfe dann jene Fähigkeiten zur gewöhnlichen Betätigung und zum Ausdruck kommen. Das Erwachen der Vernunft selbst ist darum auf eine beständige „Tätigkeit“ der Substanz der Seele angewiesen, durch die ein ständiger Reiz ausgeübt wird auf die in Entwicklung befindliche physische Natur. Die Substanz „strebt“ nach dem vom Schöpfer gegebenen allgemeinen Naturgesetz zur vollen Betätigung ihrer Anlagen; aber auch entsprechende Anregung von außen (z. B. durch sorgsame Einwirkung vonseiten des Pflegepersonals) kann die Tätigkeit der Substanz der Seele unterstützen und fördern und damit eine raschere und bessere Überleitung auf die physische Natur oder eine raschere und höhere Art des Bewusstwerdens erreichen. Ein geistig vernachlässigtes Kleinkind wird gewöhnlich auch ein geistig zurückgebliebener Mensch bleiben, wenn nicht eine geistige Selbsthilfe ersetzend eingreift.

 

07.05.1944

2729 |        Die gewöhnliche Betätigungsart unserer Seele ist gleichsam zweigeteilt in jene der Substanz der Seele und die der „Nebenfähigkeiten“ oder „Nebenakte“. Die Betätigung der Substanz der Seele wird für gewöhnlich erst durch die psychophysischen Hilfsmittel voll ermöglicht, was im Grunde in der Substanz der Seele schon vorhanden ist, das zur „normalen“ Betätigung und zum Ausdruck durch die psychophysischen Betätigungskräfte kommt. Dadurch gestaltet sich erst ein wahres Erleben des Menschenlebens und kommen die Wirkungen der uns verborgenen Tätigkeit der Substanz der Seele erst zum Bewusstsein des Menschen. So herrscht aber auch in der Substanz der Seele ein beständiger Kreislauf zwischen ihr und ihren Hilfskräften, eine beständige Bewegung und Veränderung, damit ihre Anlagen auch zur Ausführung kommen. – Hätte nun diese „gewöhnliche“ Art der Betätigung auch in der Seele Jesu bestanden, so wäre auch die unveränderliche Natur seiner göttlichen Person in diesen ständig sich ändernden Kreislauf hineingezogen worden und wäre es zu einer Kräftevermischung der beiden Naturen in ihm gekommen. Das ist aber unmöglich. – Die Lösung dieses Geheimnisses liegt, wie gesagt, darin, dass Jesus sein menschliches Leben durch die Substanz seiner Seele lebte und dass diese seine Seele in „seinshafter“ Weise und Vollkommenheit in den Dienst der göttlichen Person trat. In Christus griffen nur die „logischen Auswirkungen“ (die aus dem Wesen der hypostatischen Union oder der Vereinigung der beiden Naturen in der einen Person notwendig folgten) ineinander, ohne dass die beiden Naturen ineinander übergingen: Die menschliche Natur Christi „trug“ nämlich die unveränderliche göttliche Natur; die göttliche Natur der Person Christi aber beherrschte und durchdrang und „vergöttlichte“ seine wahre menschliche Natur.

2730 |        Darum blieb es in der Seele Jesu auch beim göttlichen Wissen ohne ein verstandesmäßiges (= schlussfolgerndes)1099 Denken und „Schließen“ oder „Verstehen“. Zu diesem menschlichen Verstehen braucht es nämlich ein Überleiten des „Wissens“ auf verstandesmäßigen Weg in die psycho-physischen Hilfsmittel des gewöhnlichen menschlichen Denkens, und ein Rückleiten von diesen – wieder über die Substanz der Seele – an die Person. Das hätte aber in Christus wiederum eine Vermischung der Kräfte der göttlichen Natur seiner Person mit den Kräften seiner menschlichen Natur bedeutet – und war deshalb unmöglich. Tatsächlich wurde das göttliche Wissen Christi infolge der hypostatischen Union auch zu einem „menschlichen Wissen“ in seiner Seele, aber nicht auf dem gewöhnlichen verstandesmäßigen (d. h. auch an die Sinne gebundenen und im Allgemeinen schlussfolgernden) Weg, sondern dadurch, dass jenes göttliche Wissen von der Seele Jesu in substanzieller Betätigung aufgenommen und übernommen wurde ­in Hinordnung auf den Zweck der Erlösung.

2731 |        In Christus war an sich alles vorhanden, was zu einem „normalen“ Seelenleben notwendig ist; es fehlte nur die menschliche „Person“ und diese wurde „ersetzt“ durch die Übernahme seiner menschlichen Seele vonseiten der göttlichen Person. Die Seele Jesu war dieser göttlichen Person (des Wortes) in einer psychologisch „substanziellen“ und moralisch „seinshaften“ Art der Betätigung dienstbar. Damit bot sie der Person des Wortes gewiss die Möglichkeit zu einem menschlichen Leben, aber sie konnte dem göttlichen Sein und Leben der Person selbst nichts bieten, noch hinzufügen. Es fand auch kein Überleiten des göttlichen Lebens durch die physischen Hilfsmittel in die Seele und kein darauffolgendes physisches1100 Zurückleiten dieses Lebens zur Person in Christus statt – wie das in unserem menschlichen Leben geschieht. In den göttlichen Vorzügen der Person Christi war aber in überragendem Maße alles vorhanden, was nötig war, um bei einer ausschließlich „substanziellen“ Betätigungsart seiner Seele doch ein „normales“ und wahrhaft menschliches Seelenleben zu gestalten, und zwar auch ohne die verstandesmäßige, sinnengebundene Überleitung jener göttlich-wesentlichen Vorzüge. Es wäre eine Entwürdigung der unveränderlichen göttlichen Natur gewesen, wenn diese sich der menschlichen Kräfte als wahre Stützen und Hilfsmittel ihres Bestandes in einem menschlichen Leben bedient hätte.

2732 |        Das psychische und physische Leben der Seele Jesu bot also – durch seine Mitbetätigung am gottmenschlichen Leben nach den allgemeinen Gesetzen des psycho-physischen Kreislaufes im Menschenleben – der göttlichen Person die Möglichkeit zum Menschsein, aber es war nicht eine eigentliche „Stütze“ zur Ausübung der göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten. Für die göttliche Person selbst gab es keine „Ergänzung“ und sie nahm (und konnte nur annehmen) von der menschlichen Natur nur die Dienstleistung zu einem normalen Bestande als Mensch. – Das göttliche Leben der Person des Wortes lebte sich aber ganz in seiner wesentlichen (in sich unveränderlichen) Art in der Menschheit Christi aus, wozu ihr die dienstbare menschliche Natur das Werkzeug war. Die göttliche Natur1101 der Person des Wortes blieb unverändert in ihrer Eigenart und übte diese Eigenart gegenüber der menschlichen Natur aus, die ihr die Möglichkeit eines dem unseren ähnlichen psycho­physischen Kreislaufes bot. Die menschliche Natur aber konnte der göttlichen zu deren göttlich-wesentlichem Sein hinzu nichts bieten. Sie konnte dieses göttliche Sein in keiner Weise weder vervollkommnen noch verringern, denn sie war und blieb ein geschaffenes, endliches Wesen.

 

13.05.1944

2733 |        Ich erlebe in mir große psychologische Veränderungen gegenüber dem gewöhnlichen Seelenleben. Die geistige Passivität in mir erhöht sich fortwährend. – Als Grund für diese psychologischen Veränderungen in mir wird mir Folgendes erklärt: Es kommt in mir zu einer sich immer mehr steigernden wesentlichen (substanziellen) Betätigungsart der Seele, und ich verliere das gewöhnliche „verstandesmäßige“ Bewusstwerden und Bewusstseinsleben.

2734 |        Ich spüre und erkenne auch, in welchem Maße mir schon das Eigen-Persönliche weggenommen ist, und zwar infolge der Nachbildung meiner Seele nach der Art der Seele Christi. Mein ganzes Menschsein erfährt die Konsequenzen davon, die aber nur geistige Begriffe bleiben und nicht in Worten auszusprechen sind. Doch ist auch meine physische Natur als die Mittragende an diesen psychologischen Veränderungen beteiligt und wird sie irgendwie hineingezogen.

2735 |        Es gibt in mir zurzeit keinen (erlebten) „Selbstbestand1102“ (weil der bisherige mir genommen und der neue Person-Antrieb noch nicht vollendet ist); daher fühle ich mich geistig1103 wie „schwebend in einer raumlosen Höhe“ oder über einem „bodenlosen Abgrund“, dem ich zubewegt werde und den ich als höchste Spitze und Idealzustand in Christus erreichen werde mit dem letzten und vollen Eingehen in die göttliche Person, wie dies meine besondere Aufgabe erfordert.

2736 |        Wiederholt erlebte ich innerlich die Betätigung des letzthin Geschriebenen, dass nämlich Jesu Sein gottmenschliches Leben „mittels der Substanz seiner Seele lebte“.

 

15.05.1944

2737 |        Seit gestern ist in mir wieder ein „Hindernis zu Christus“ (d. h. ein Hindernis für das letzte Eingehen in Christus) weggeräumt worden.

2738 |        Immer wieder scheint der mir vorausgezeigte „nächste innere Schritt“ die Vorstufe für den hierauf unmittelbar und notwendig folgenden Idealzustand für meine Aufgabe zu sein. Aber beim Erreichen dieser Stufe steigt dann vor meinem Geiste wieder ein „neues Hindernis“ auf, das erst wieder durch neue geistige Umwandlungsleiden entfernt werden muss. – So vollzieht sich in mir eine steigernde „Entfernung“ von meinem1104 gewöhnlichen Person-sein. Es lösen sich ständig „selbstige Verbindungen und Verkettungen“ der Art meines bisherigen Person-Seins und es kommt zu einer „fließenden und raumlosen Freiheit“ in mir. Es erhöht sich in mir eine gewisse geistige Raumlosigkeit und es wird in mir immer mehr aufgehoben jenes eigene Anlehnungsbedürfnis, das eine Eigenart und Grundlage der gewöhnlichen menschlichen Person bildet. Jene begrenzten Stützen genügen für die Enge und Begrenztheit einer menschlichen Person, die nur einen beschränkten Lebensraum zur Betätigung hat, und sie sind ihr ganz natürlich. – In meinem Falle aber und wegen meiner besonderen Aufgabe tritt nun das „Erleben und Bewusstsein meiner Person für mich zurück“ (und wird gleichsam reduziert auf den Zustand eines Kindes vor dem Erwachen des Bewusstseins; meine Person löst sich damit nicht auf, aber sie wird „kaltgestellt“ und ihre Funktionen treten mir nicht mehr ins Bewusstsein. Ein auf der Grundlage und Voraussetzung dieser umstürzenden psychologischen Veränderung erhebt sich aber dann in mir das „bewusste Erleben der göttlichen Person des Erlösers“. Dieses Erleben soll sich aber in mir auf einer natürlichen Grundlage als „Selbsterleben“ vollziehen und dazu werden jetzt in mir die psychologischen Voraussetzungen geschaffen. Diese Grundlagen und Voraussetzungen muss ich mir leidend „mit erwerben“ und darum muss meine Seele jetzt diesen Umwandlungsprozess ihrer bisherigen Funktionsart durchgehen. – Diese geistige Umstellung wird mir näherhin erklärt als „Reduzierung meines verstandesmäßigen Bewusstseinslebens“, um stattdessen ein wesentliches oder substanzielles Bewusstseinsleben aufnehmen zu können, wie es für das Erleben der Erlöserperson erforderlich ist. – Über die wesentliche Betätigungsart der Seele wurden mir heute verschiedene geistige Begriffe gegeben, die ich aber noch nicht alle in Worten wiedergeben oder niederschreiben kann.

2739 |        Die erste substanzielle Betätigung der Seele – schon im Mutterschoß – ist „Dasein und Leben“ (was sachlich wohl zusammenfällt, gedanklich aber nicht ganz dasselbe ist). Die Seele beginnt, ihre Lebensmöglichkeiten zu verwirklichen, die mit der Existenz ihrer Substanz gegebene Betätigungskraft anzuwenden, die ihr vom Schöpfer mitgegebenen Anlagen sich langsam regen zu lassen. Die erste substanzielle Betätigung der Seele ist also „leben“, ja in gewissem Sinne ist die Substanz ihr „Leben“ selbst. Mit ihrer Substanz tritt die Seele selbst in Tätigkeit, zieht sie alle Lebensmöglichkeiten an sich und so gibt ihr die Substanz das eigentliche „Leben“.

2740 |        Das schließt in sich eine zweite, substanzielle Betätigung der Seele schon im Mutterschoß, nämlich ein Unbewusstes, aber tatsächliches erfassen und „Wahrnehmen“ der im Mutterschoß durch die natürlichen Lebensspender gebotenen Möglichkeiten und Werte zum Ausbau ihres „Lebens“. Da es wohl kein eigenes Wort dafür gibt, möchte ich dieses unbewusste Erfassen des für die Seele Zukömmlichen und Wertvollen nennen: „unbewusst-intuitives Wahrnehmen“ durch die Substanz der Seele. Diese „Intuition“ ist an sich rein geistiger Art, schließt aber auch ein unbewusst unmittelbares Erfassen der eigenen physischen Existenz in sich, weil – in einer substanziellen Betätigung der in der Seele schon vorhandenen Anlagen – die physischen Mängel und Vorzüge der natürlichen Lebensspender von der zarten Kinderseele ständig „wahrgenommen“, aufgenommen, zusammengefasst und aufgestapelt werden. Durch diese ihre substanzielle Betätigung nimmt die Seele die Vererbungsanlagen in sich auf und baut damit an ihrer individuellen Existenz. So tritt die Seele von ihrem ersten „Aufflammen“ an in Tätigkeit und „ruht“ niemals mehr. Sie bereitet vielmehr ihr eigenes Leben und den ersten entscheidenden Beitrag dazu liefert – neben den von Gott in sie hineingelegten Anlagen­ – das, was ihr im Mutterschoß von den natürlichen Lebensspendern geboten wird.

2741 |        Wenn auch dieses „intuitive“ Erfassen – und das dementsprechende „Aufnehmen“ – des im Mutterschoß gebotenen Lebensmaterials unbewusst geschieht, so ist es doch ein ständiges An-Sich-Ziehen von Kräften, das nicht weniger wichtig, ja noch wichtiger ist als das spätere, mithilfe der physischen Hilfskräfte bewusste und schlussfolgernde oder „ableitende“ Wahrnehmen. Schon in dieser „Intuition“ offenbart sich aber einerseits die vom Schöpfer gegebene mehr oder minder große „Feinfühligkeit“ der Seele, die in ihrem tiefsten Sein, in der Substanz, ihren Sitz hat, anderseits wirkt sich darin auch die mehr oder minder große Feinheit der Anlagen und Lebenskräfte der natürlichen Lebensspender aus.

2742 |        Zusammen mit diesem „intuitiven“ Erfassen der Verschiedenheit der Lebenswerte des Gebotenen geht in der substanziellen Betätigung der Seele zusammen ein entsprechendes „Aufnehmen“ und „Einwirken“ dieser verschiedenen Werte. Auch dafür gibt es wieder kein eigenes Wort – oder müsste man erst eines erfinden; ich möchte es deshalb ein „empfindungsähnliches, unbewusstes Aufnehmen“ nennen, weil es dem späteren bewussten Empfindungsleben entspricht und zugleich Grundlage der „Leidensfähigkeit“1105 der Seele ist, die mit dem Wachstum des physischen Lebens dann immer mehr zunimmt. Alle Ereignisse im Leben der Mutter treffen mit ihren Auswirkungen das werdende Leben des Kindes, und zwar immer intensiver, mit wachsender Empfänglichkeit, und die Kindesseele „empfindet sie gleichsam mit“ und baut so jene Ereignisse unbewusst mit ein in ihre Lebensanlagen und Lebensgrundlage. So „lebt“ die Substanz der Seele in einer ständigen Wechselbeziehung mit der Mutter und damit auch mit deren persönlicher Lebensart und Umgebung. Nach und nach werden die Hauptanlagen der Seele alle schon in irgendeiner Weise im Mutterschoß tätig; und wenn diese unmittelbare Betätigung auch unbewusst ist, so ist sie in gewissem Sinne doch wichtiger als die spätere, die uns erlebnismäßig – auf dem Wege über die physische Natur und die Sinne – bewusst wird.

2743 |        Dieses „Aufnehmen“ der Lebenswerte geschieht nach dem Maß und nach der Eigenart der Person-Anlage der Seele. Die Seele nimmt das auf, was ihrer Personallage entspricht und stößt alles, was dieser „fremd“ ist, ab. Mit diesem „Aufnehmen“ gibt und empfängt also die Substanz sich selbst in einem gewissen Sinne. Damit wird zugleich eine freie Empfindsamkeit grundgelegt, wie sie gerade dieser individuellen Person zukommt. – So macht sich das Kind immer mehr „los“ von der Mutter und wird mit dem selbstständigen Ausbau des Aufgenommenen immer mehr unabhängig von ihr. Das Endergebnis ist, dass das neue Leben alle Grundlagen eines normalen Lebens in sich trägt, für sich allein lebensfähig wird und dann – nach der Geburt – auf den gegebenen Grundlagen sich das Leben in seiner besonderen Eigenheit weiterbaut. Vielleicht liegt das tiefste natürliche „Geheimnis des Lebens“ gerade in diesen zwei Seiten: Einerseits Abhängigkeit von den Lebensspendern, von denen es nimmt und annimmt; anderseits zugleich persönlich-individuelle Unabhängigkeit in dem Maße und in der Art des Nehmens, womit die Substanz der Seele zugleich (unbewusst) sich selber gibt und in gewissem Sinne sich selber zurückhält. Damit wird zugleich eine gewisse freie Empfindsamkeit grundgelegt und vorbereitet, wie sie gerade betreffenden individuellen Personen zukommen wird.1106

2744 |        Während dann in den ersten Monaten nach der Geburt die vorhergehenden substanziellen Betätigungen der Seele sich immer mehr auswirken, und immer allgemeiner das menschliche Dasein des Kindes durchdringen, beginnt in der Substanz der Seele des Kindes eine weitere Tätigkeit, nämlich die des „Sehens, Hörens, Fühlens“. Durch diese an sich wunderbaren Betätigungen, die schon eine gewisse physische Mitbetätigung verlangen, tritt die Seele, zunächst noch unbewusst, mit der Außenwelt in Berührung und lebt eine bewusstseinsähnliche Wechselbeziehung mit ihr. – Damit erhöhen sich die ersten anfänglichen Betätigungen der Seele, die alle vom Lebensantrieb ihrer Substanz hervorgerufen werden. Die Seele, d. h. ihre Substanz, „lebt sich aus“ und dieses „Sich-Ausleben“ ist ihre vom Schöpfer gegebene Grundtätigkeit.

2745 |        Der Mensch lebt also vor allem mit der Substanz seiner Seele; am Anfang seines Daseins lebt er nur vermittels dieser und noch nicht mit den Fähigkeiten; diese werden ihm aber später zum Mittel, um seine substanziellen Anlagen in steigendem Maße und in „normaler“ Form Ausleben und zur Auswirkung zu bringen; anderseits wird dann die substanzielle Betätigung – die in sich selbst dem Menschen unbewusst bleibt – auch auf die Tätigkeit ihrer Fähigkeiten angewiesen sein und wird durch diese dem Menschen zum Bewusstsein kommen. – Es ist somit mit dem „Seelenleben“ ähnlich wie mit dem „Leben“ eines Baumes. Zunächst lebt der Baum von der Wurzel, aus dem Stamm und Äste hervorwachsen. Dann aber nehmen umgekehrt Blätter und Äste die von außen kommenden Lebensstoffe in sich auf und führen sie ihrerseits der Wurzel zu. – Die Substanz ist zu vergleichen mit der Wurzel, die Fähigkeiten aber mit den Ästen und Blättern. In einer ähnlichen Wechselbeziehung „lebt“ zuerst die Substanz, später führen umgekehrt die Fähigkeiten und Kräfte das „Leben“ der Substanz zu, obwohl es immer nur ein und dasselbe „Leben“ ist. – Wie aber der Mensch beim Baume gewöhnlich nur an das Sichtbare denkt, obwohl es nicht das Wesentliche des Baumes ist, so geschieht es ähnlich bezüglich des Lebens unserer Seele, weil der Mensch immer das Greifbare, das durch die Sinne Erlebbare als die Hauptsache seiner Daseinsfaktoren zu betrachten geneigt ist.

2746 |        Mit dem Erwachen zum verstandesmäßigen Bewusstwerden unseres menschlichen Daseins treten scheinbar die substanziellen Tätigkeiten der Seele zurück, in Wirklichkeit aber gibt es keine verstandesmäßig bewusste Tätigkeit im Menschen, die nicht zuerst von der Substanz als die Zentralanlage aller Betätigungsmöglichkeiten auf die physischen Hilfsmittel hingeleitet worden wäre. Sehen, Hören, Empfinden, Wahrnehmen, Aufnehmen seiner Umgebung, alles dies ist ein Zeichen, dass die Substanz der Seele lebt und tätig ist, denn sonst kämen jene Betätigungen gar nicht zustande. Alle Tätigkeiten und Fertigkeiten des Menschen, von der einfachsten bis zu den höchsten, gehen von der Substanz der Seele aus, sind dort zuerst als Anlagen vorhanden und sind dort zuerst tätig. Durch die Hilfsmittel der physischen Natur werden sie dann voll ausgebeutet und in eine unserem Bewusstsein erfassbare Tätigkeit gesetzt. Im Kreislauf der besagten Wechselwirkung wird dann der eigentlich erste Faktor, die Substanz, durch den Zweiten, von ihr abhängigen, nämlich durch die Fähigkeiten1107, ihrerseits in immer umfangreichere Tätigkeit versetzt.

2747 |        Mit dem Erwachen der1108 Vernunft erlangen die von außen eindringenden Einflüsse als Anreger der Tätigkeit der Substanz größere Bedeutung, aber auch diese äußeren Einflüsse können die Substanz nur insoweit in Tätigkeit bringen, als in ihr eine dem äußeren Einfluss parallele Anlage vorhanden ist. Was in keiner Weise als Anlage in der Substanz gegeben ist, das kann auch ein noch so starker Einfluss von außen nicht wecken oder in Tätigkeit versetzen.

2748 |        Die Tätigkeit der Substanz unserer Seele wird bewusst erfahren nur durch eine „erlebnismäßige“ Gegenüberstellung dieser Tätigkeit gegenüber der Substanz selbst, und zwar mittels der physischen Hilfskräfte, die dazu vorbereitet sind und sich als Reflexe der Substanz betätigen. Dieses Bewusstwerden ihrer Tätigkeiten ist also eine gewisse Abspiegelung der Substanz selbst. Weil aber diese Tätigkeiten nur durch die physischen Hilfsmittel oder durch die dort hervorgerufenen Reflexe zu einer Gegenüberstellung oder Abspiegelung kommen, erleben wir in unserem Bewusstsein die einzelnen Tätigkeiten nicht als substanzielle Tätigkeiten der Seele, obwohl alle in der Substanz ihr eigentliches Zentrum haben; was aber nicht durch einen „Reflex“ in die physischen Hilfsmittel gelangt, das kann nicht zu einer Abspiegelung und damit nicht zum „normalen“ Bewusstwerden kommen.

2749 |        Eine solche, durch den Abdruck oder Reflex auf die physische Natur bewusst gewordene Tätigkeit der Seele1109 setzt aber schon eine Unsumme von Tätigkeiten der Substanz voraus. Uns unbewusst vollzieht sich ja eine ständige Wechselwirkung und Übertragung zwischen der geistigen und der physischen Natur in uns, und diese Wechselwirkung kommt uns meist nur als Tätigkeit – eigentlich besser gesagt: Mitbetätigung – der physischen Natur zum Bewusstsein. So meinen wir z. B.: Der „Kopf“ denkt und wird müde, während wir uns der größeren Leistung des Geistes und der Substanz der Seele dabei nicht unmittelbar bewusst werden.

 

18.05.1944

2750 |        Neben anderen Erklärungen wurde mir heute die Bedeutung der Substanz der Seele in folgenden zwei Vergleichen erklärt:

2751 |        Die Substanz der Seele ist – im Augenblick ihrer Erschaffung durch Gott – wie ein Funke, der sich Nahrung sucht, um zum Feuer und damit zur Wärme zu werden. Es ist dies ein Leben spendendes Feuer mit vielgestaltigen Anlagen und es durchdringt durchwärmend das gesamte Dasein der Seele und wirkt sich, kraft seiner Anlagen, vielgestaltig aus. Alles, was im Leben des Menschen geleistet wird, geht irgendwie zurück auf die Kraft und Lebenswärme dieses „Feuers“ oder dieser „Glut“; denn jede einzelne Tätigkeit und Tat des Menschen ist von der Substanz seiner Seele getragen und das ganze Menschenleben „ruht“ auf dieser beständigen geistigen „Lebenswärme“.

2752 |        Aus dieser Wärme kommt Fruchtbarkeit, insofern durch sie die allmählich sich ausbildenden physischen Hilfsmittel entsprechend der Eigenart jenes „Feuers“ zur Mitbetätigung angeregt und zum Dienste herangezogen werden. Zum „Bewusstwerden“ kann es erst kommen, wenn so viel „Wärme“ bzw. geistige Lebenskraft aufgestapelt ist, dass eine Ebenmäßigkeit und Proportion besteht zwischen der vorhandenen geistigen „Wärme“ und den physischen Kräften, die für den Lebensdienst beansprucht werden sollen. Mit dem Erreichen dieser Ebenmäßigkeit kommt es dann nicht nur zur Übernahme der „Arbeit“ der Substanz durch die physischen Kräfte, sondern auch zur Abspiegelung, und damit zum Bewusstwerden der substanziellen Tätigkeiten in den physischen Hilfsmitteln (die im Grunde immer psycho-physische Hilfsmittel sind). Die physische Natur übernimmt dann „bewusst“ die Tätigkeiten, die vorher als substanzielle Tätigkeiten „unbewusst“ oder nur im „Unterbewusstsein“ blieben. Das Feuer und die Wärme macht nämlich auch Licht und dieses Licht strömt über auf die Fähigkeiten, die damit ständig im Lichte oder erhellt und „bewusst“ sind. Die Substanz der Seele bleibt aber weiterhin die Grundlage und Voraussetzung für die Betätigung der „Fähigkeiten“ und deren Dienst an der Person.

2753 |        Ein anderer Vergleich: Ein Haus besteht im Grunde aus Mauern, deren verschiedene Teile oder Wände die Zimmer bilden. Wenn die Mauern fertig sind, dann erst beginnt die Wohnungseinrichtung. Aber dann denkt man gewöhnlich nicht mehr so sehr an die Mauern, die immer noch das tragende Gerüst bleiben, sondern man denkt fast nur noch an die weiteren Einrichtungen, die das Leben „innerhalb der vier Wände“ bequem und wohnlich machen. Obwohl die Mauern im Grunde das wichtigste bleiben, denkt man beim Worte „Zimmer“ fast ausschließlich nur an die Ausstattung. So ähnlich ergeht es auch mit der Substanz der Seele als dem tragenden Gerüst des Menschenlebens.

2754 |        In der Substanz der Seele hat der Schöpfer auch den Keim des „Personkernes“ oder der Person-Anlage und der Personkraft niedergelegt, woraus sich durch die Tätigkeit der Substanz der Seele allmählich die „Person“ empor bildet, d. h. der „selbstige, in sich unabhängige Lebensantrieb“. Diese vom Schöpfer gegebene Personanlage kann mit mehr oder weniger großen Vorzügen ausgestattet sein. Gott kann auch die werdende Person, d. h. das Kind im Mutterschoße, überwiegend den natürlichen Vererbungsanlagen überlassen, braucht dies aber nicht notwendig tun, denn das Erste und Wichtigste ist die, im Akt des Erschaffens mitgegebene individuelle Personanlage.

2755 |        Die „Substanz“ der Seele ist in sich nichts Ganzes oder Abgeschlossenes, sondern ihre Aufgabe ist es, als Kraftzentrum die verschiedenen Lebensbedingungen und Lebensmöglichkeiten vorzubereiten und sie dem Menschenleben zu bieten. Sobald die Substanz der Seele von Gott geschaffen ist, fängt sie auch an, nach dem in ihr liegenden Naturgesetz zu „leben“, d. h. das für ihr Dasein und ihren Ausbau Notwendige und Zukömmliche zu „suchen“ und auszuwählen und an sich zu ziehen. Es ist eine vom Schöpfer gegebene Kraft oder ein Trieb der Natur, dass sich ein Lebewesen das seiner Eigenheit Zukommende „sucht und auswählt“; so sucht oder nimmt z. B. schon die Pflanze nur die ihr dienenden Stoffe aus dem Boden, und zwar mit Ausschluss der ihrem „Leben“ nicht dienenden oder schädlichen Stoffe. – Im menschlichen „Leben“ ist aber gleich von Anfang an auch eine noch unbewusste „Geisteskraft“ oder ein geistiges Lebensprinzip tätig, das sich immer mehr eine physische Mithilfe für ihr „Leben“ heran­zieht; wenn der physische Lebenskeim und die rein physischen Lebensmöglichkeiten nicht von einem Lebensantrieb des „Geistes“ beseelt wären, so käme kein wirkliches menschliches Leben zustande. In Wahrheit ist aber der noch unbewusste und einfache „Geist“ das Tragende und Zusammenfassende der vielgestaltigen Kräfte und Tätigkeiten des Lebens. Der „Geist“ der Seele ist einfach und ungeteilt, aber die Anlagen und Kräfte dieses Geistes sind vielfach und zeigen sich nach dem Plan des Schöpfers in vielgestaltigen Auswirkungen. All diese verschiedenen Anlagen bilden die „Tragfähigkeit des Lebensantriebes“ oder die Tragkraft des geistigen Lebensprinzips, d. h. die Tragkraft der Seele, ihrer Substanz selbst. Es ist eine Verschiedenheit von Anlagen, die aber alle von einer Zentralkraft ausgehen und wieder zu ihr zurückströmen.

2756 |        Die Substanz als dem Kernpunkt aller ihr zugeordneten Anlagen ist wiederum die Personanlage oder die Person-Möglichkeit zugrunde gelegt, deren Ziel es ist, den selbstigen, in sich unabhängigen Lebens­antrieb oder die „Person“ auszubilden, und sie allmählich auf die Höhe und an die Spitze aller Lebenskräfte zu stellen. Diese Emporbildung der „Person“ wird zunächst bis zur Selbstständigkeit der Person –1110 durch die substanziellen Betätigungen der Seele „unbewusst“ betrieben aber in Übereinstimmung mit den Anlagen der betreffenden (Person)1111 Substanz im Allgemeinen und der darin niedergelegten eigenen und einmaligen Personanlage im Besonderen. Darum wirkt sich diese Betätigung der Substanz der Seele aus nach der Eigenart der sich bildenden und in ihrem „Keime“ schon vorhandenen Person. Diese Eigenart wirkt sich auch schon in Heranziehung der für diese werdende Person bestimmten physischen Lebenselemente aus. Kraft ihrer Naturanlage „fühlt“ die Substanz (gleichsam unbewusst intu­itiv) und nimmt sie wie instinktiv jene und nur jene Werte auf, die ihr dienen können, um die Eigenart der „Person“ in der schon grundgelegten Form ausbilden zu können. Es werden also nicht wahllos alle im Mutterschoß gebotenen Lebenselemente aufgenommen, sondern nur jene, die dem Aufbau der psychischen und physischen Bestandfähigkeit der zu bildenden Person dienen. Weil also die vom Schöpfer gegebene Personanlage entscheidend mitspricht, folgt nicht notwendig, dass aus weniger guten Anlagen der natürlichen Lebensspender immer nur weniger gute Eigenschaften im Kinde oder aus vorzüglichen Anlagen immer gleich vorzügliche Früchte kommen müssten – wie ja auch das Leben bestätigt, dass die Kinder nicht immer ganz die Art der Eltern haben müssen.

2757 |        Es ist etwas Wunderbares, dass die Seele als „Lebensprinzip“ in einem ihr selbst unbewussten naturgesetzlichen Vorgang schon durch die „Kraft“ ihrer Existenz die ihr zukommenden Werte aussucht und sie verwertet. Es sind die substanziellen Grundkräfte der Seele, die unbewusst das Ziel verfolgen, letztlich bewusste Taten und Früchte hervorzubringen; es sind diese Grundantriebskräfte, die, obwohl sie selbst dem Menschen gar nicht zum Bewusstsein kommen, doch die Seele und das menschliche Leben überhaupt zu einem wirklichen, bewussten psycho-physischen Menschenleben führen. Diese im geheimen wirkenden Grundkräfte selbst werden dem Menschen nie erfassbar, weil sie – auch nach dem Bewusstwerden des Menschen – von den Mitbetätigungen der physi­schen Hilfsmittel verdeckt werden, deren sich dann die tiefere Tätigkeit der Substanz zur Ausführung ihrer Anlagen bedient. Vor dem Erwachen der Vernunft „arbeiten“ die substanziellen Kräfte als unbewusste Naturantriebe und Naturkräfte1112, durch deren Hilfe es erst zum Erwachen der Vernunft kommen kann; nach dem Bewusstwerden der Person werden diese substanziellen Tätigkeiten dem Bewusstsein verdeckt durch die für gewöhnlich notwendige Mithilfe der bewusst-gewordenen physischen Fähigkeiten. Es sind aber dennoch jene verborgenen und immerwährenden substanziellen Tätigkeiten, die in dem psycho-physischen Betätigungen ihre Ausführung und ihren Ausdruck finden. Darum wäre es einerseits unnütz, wenn z. B. zwar die substanzielle Anlage zum Sehen oder Hören da wäre, wenn aber die an die physischen Hilfsmittel gebundene Fähigkeit des Bewusstwerdens des Gesehenen und Gehörten fehlen würde. Anderseits bleibt die immerwährende tätige Kräfteübertragung und Kräftevermischung zwischen der substanziellen Tätigkeit und den physischen Hilfsmitteln die Grundlage und Voraussetzung für ein verstandesmäßig bewusstes Sehen und Hören.

2758 |        All die verschiedenen Fähigkeiten der Seele sind aber letztlich in ihrer Betätigung von „einer bleibenden Kraft“ getragen, von der Substanz der Seele, welche die Tragkraft ist für das menschliche Leben und dessen Daseinsbedingungen. Was würde es nützen, wenn jemand zwar – durch die Sinnestätigkeit und entsprechende Geistestätigkeit – zu einem augenblicklichen Sehen und geistigen Erfassen oder „Wissen“ käme, wenn aber in ihm keine dauernde oder bleibende Kraft vorhanden wäre, um das augenblicklich Erfasste bewusstseinsmäßig mit sich zu beraten und verwerten und dauernd als zusammenhängendes Erlebnis behalten zu können? Die augenblickliche Kraft muss auch zu einer dauernden Kraft und fließenden Möglichkeit werden und muss mittels der Intelligenzkräfte zum bewussten Ausdruck gebracht werden. Damit aber die Intelligenzfähigkeiten1113 funktionieren können, müssen sie ständig unterstützt werden und unterbaut sein durch die bleibende und dauernde Kraft der Substanz der Seele.

2759 |        So durchdringt die substanzielle Lebenskraft das gesamte menschliche Leben vom ersten Anfang der Seele bis zum Tode, wo sich die tragende geistige1114 Lebenskraft der Seele vom Physischen loslöst und damit dieses Leben sich gleichsam „zerteilt“ und auflöst. Unser ganzes Leben und Dasein ist ja ständig von geistigen Kräften getragen, durch die wir überhaupt erst zu unserem „Leben“ fähig werden. Die geistige Kraft bietet die „Fähigkeit“, und die Fähigkeit muss wiederum von den entsprechenden Kräften geführt und getragen werden. Zu einem normalen Intelligenzleben braucht es einen bestehenden Vorrat an Kraft und die physisch gebundenen intellektuellen Fähigkeiten müssen in diesen Kraftvorrat hineingestellt, und davon getragen sein, um sich fruchtbar betätigen zu können. Nun besteht aber zwischen den einzelnen Menschen der Unterschied, dass in ihnen ein mehr oder minder großes Maß von natürlichen substanziellen Kräften vorhanden ist und daraus erklärt sich – neben der Verschiedenheit der Intelligenzanlage selbst – auch die Verschiedenheit der intellektuellen Betätigungen, insofern z. B. bei einem Menschen nicht genügende substanzielle Kraft als tragende Anlage für die intellektuelle Betätigung gegeben ist oder nicht ausgebildet und nicht ausgebeutet wurde. Neben der mehr oder minder hohen Art der Anlage selbst kann nämlich die Betätigung der substanziellen Kräfte auch durch entsprechende Anregungen und Einwirkungen von außen geweckt und ausgebildet werden.

2760 |        Im Zusammenhang mit den mir gebotenen Erklärungen über die Art der Betätigung der Substanz der Seele „weiß“ ich nun, in Überleitung auf das Geheimnis Christi, Antwort auf die Frage: Wie lebte Jesus sein gottmenschliches Leben durch die Substanz der Seele? – Es liegen aber noch manche psychologische Erklärungen dazwischen, bis ich dieses Geheimnis auch in Worten ausdrücken kann. Es werden vorher die psychologischen Grundlagen bzw. die Tragkraft einer menschlichen Person in einem gewöhnlichen Menschenleben erklärt, um dann an die Erklärung der besonderen Eigenart der Seele Jesu heranzutreten, die von der göttlichen Person des Wortes beherrscht war.

ENDE M3

Juni

17.06.1944

2761 |        Kurz gesagt, es besteht das Charakteristische beim „Geheimnis“ der substanziellen Betätigungsart der Seele darin, dass jener verstandesmäßige Umsatz oder Kreislauf des Bewusstwerdensaktes1115 und des Bewusstseinslebens fehlt, der für gewöhnlich notwendig ist zum „Erleben“ des eigenen Lebens.

2762 |        Die Seele trägt all ihre wesentlichen Bestandsfähigkeiten in sich und diese können in besonderen Ausnahmefällen – wie z. B. infolge der hohen psychologischen Vollkommenheit der Seele Christi – auch unmittelbar, d. h. ohne die für gewöhnlich notwendige Mitbetätigung der physischen Natur, zur Anwendung kommen. Durch eine gewisse Verfeinerung der Seele werden Akte ermöglicht, die gleichsam intuitiv das Gesamtleben zu durchdringen vermögen und es in einer wesentlichen, substanziellen Art erleben, in gleichem Maße und Umfang wie beim gewöhnlichen verstandesmäßigen Erleben, aber in einer höheren, verfeinerten Form. Es ist ein unmittelbares Erfassen und Erleben des Eigenen, ein intuitives Durchdringen seiner selbst und ein intuitives Erfassen und Durchleben der von außen kommenden Eindrücke, ohne die Mitbetätigung der physischen Natur, die für gewöhnlich zum Erleben notwendig ist. Dabei werden tiefste, verborgene Grundkräfte der Seele angewandt, die für gewöhnlich nur nach langsamer Umbildung und in Überschaltung auf die physische Natur zum Ausdruck kommen. Letztlich beruht dieses (natürliche) Geheimnis auf einer hohen Vergeistigung und Feinheit der einzelnen Funktionen der Seele, auf einer vollen Harmonie und Ausgeglichenheit zwischen Seele und Leib mit entsprechend rascher Reaktionsfähigkeit der physischen Natur, sodass in gewissem Sinne die psychisch-physische Spannung nicht mehr zu bestehen scheint.

2763 |        Auf ähnlicher Grundlage beruht auch ein gewisses unmittelbares oder intuitives Erfassen von Wahrheiten und Sachverhalten, wie es sich bei Menschen von sehr hoher Intelligenz manchmal findet.1116 (Das ganze normal entwickelte Leben „steht“ auf dem Bewusstwerden und ist davon bedingt und mittels des Bewusstwerdens „erleben“ wir das Leben. – Das Leben „leben“ ist die Zeit vor dem Bewusstwerden; das Leben „erleben“ ist das entwickelte Bewusstseinsleben.)1117

 

XX.06.1944

2764 |        Ich befinde mich nun wieder in einer tiefen, geistigen Leidens- und Läuterungsperiode.

 

26.06.1944

2765 |        „O Herr, was wohl manche Männer nicht ertragen könnten, das hast du auf die schwachen Schultern einer Frauenseele gelegt, und es ist mir dabei1118 zuweilen, als müsste ich sterben vor inneren Schmerz. Menschlich gesehen scheint es am besten für mich, wenn ich sterben könnte; hat doch auch dein Apostel gesagt: Überaus schwer hat uns die Bedrängnis betroffen über unsere Kraft, sodass wir unser Leben schon verloren gaben (2. Korr. 1.8). – Heimatlos, allein, ganz allein mit mir und mit einer erdrückenden Last in der Fremde, für jeden wie1119 ein 'Versuchskaninchen'! – So haben sich meine Leiden wie zu einer erdrückenden Last gesteigert und ich bin seelisch gleichsam wie zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben, denen ich erbarmungslos überliefert bin; so, wie das Korn zwischen den Mühlsteinen sich nicht rühren und nicht wehren und nicht verteidigen kann und einfachhin zwischen den Mühlsteinen dem sicheren Zerdrückt- und Zermalmtwerden ausgeliefert ist, so ähnlich bin ich meinen mannigfaltigen Leiden anheimgegeben. – Wohl wenige Frauen mussten einen ähnlichen Leidensweg gehen, und zwar für eine Sache, die zunächst nur 'Männerseelen' betrifft. Oder sollte eine Frauenseele mehr leiden, tragen, leisten und überwinden können als ein Mann? Oder muss sich meine Seele härten, um auch etwas von 'Mannesart' sich aneignen zu können?

2766 |        In dieser geheimnisvollen, undurchdringlichen Nacht des Geistes, in die ich wiederum1120 versenkt bin, scheint mir alles 'sinnlos' zu sein: bis jetzt kein Erfolg, im Gegenteil, immer neue und größere Schwierigkeiten, Gegensätze und Widerstände!“

2767 |        Der Herr scheint auch eine kostbare Flüssigkeit in ein hässliches, schmutziges Gefäß geschüttet zu haben und damit hat gleichsam die Flüssigkeit selbst an Wert und Ansehen verloren und ist abstoßend geworden, sodass niemand sie begehrt und sie nur Anstoß und Gegenstand des Widerspruches wird. Aber leider kann ich nicht 'aus meiner Haut schlüpfen' und muss mich selbst ertragen so, wie ich bin. „Darum musst halt du, O Herr, hämmern und zuschlagen und putzen und feilen, wenn du mit deinen Absichten zu Ansehen bei den Menschen kommen und Verstehen finden willst!“

2768 |        Ich will aber alles leiden, will leiden sozusagen bis zur Besinnungslosigkeit, ja bis zum Tode; wenigstens habe ich dann eines in meinem Leben getan: Ich habe viel gelitten. – Mein Kreuz ist meine Hoffnung, meine einzige Zuversicht. Hätte ich diese Hoffnung nicht mehr, so müsste ich eine ewige Trennung von Gott und ein ewiges Leiden erwarten; denn zu dunkel und zu außergewöhnlich scheint mir mein Leben. Es bleibt mir aber immer die eine Hoffnung: das Kreuz! Und „gekreuzigt werden“, das soll meine tägliche Übung sein! –

 

30.06.1944

2769 |        Mein Dasein ist ein geistiges Martyrium. Ich bin versenkt in eine Flut von seelischen Leiden, ich bin bedrängt von allen Seiten. Es gibt keinen Ruhepunkt und keinen Stützpunkt für mich außer etwa in einem jeweilig errungenen Fortschritt des Geistes, durch den ich dieser inneren Last mehr und mehr gewachsen werde. Aber dann kommen wieder neue Widersprüche und Bedrängnisse; es tun sich neue Tiefen auf, deren Überwindung mir bevorsteht.

2770 |        In mir ist wieder1121 Ekel und Widerspruch gegen meinen Geistesweg: Warum eine Frauenseele für eine Aufgabe, die den Männern zukommt? Was soll das „schwache Geschlecht“ vermögen gegen den „Widerspruch der Kraft“? – O, wie ekelt mich vor dieser Aufgabe! Aber die Frauenseele ist da zum Dienen, zum Opfern, zum Leiden und Schweigen. Zuweilen wird mehr als männliche Kraft von ihr gefordert, wenn dies auch nie anerkannt wird; sie geht unter in ihrem verborgenen Apostolat des Opferns und Leidens.

 

Juli

04.07.1944

2771 |        Ich will „schwach und klein“ sein, O Herr, damit andere stark und vollkommen werden, so wie du sie willst und brauchst. Ich will nur der Schemel sein, auf den dein Werk sich stellt. Und alles will ich in größter Verborgenheit sein und tun, damit du zu Ehre und Ansehen gelangst – durch meine Schwäche und Armut. – Ich will dem Grundsatz treu bleiben, den ich mir durch Gottes Gnade schon im Anfang meiner besonderen Gnadenführung zu eigen machte: Ich konnte nämlich die außerordentlichen1122 Gnadenerweise und die besondere Herablassung des Heilandes zu mir nie begreifen und wurde – infolge meiner Anlage zum Widerspruch gegen alles „Besondere“ –1123 ganz verwirrt dadurch; zudem erlebte ich meine Unfähigkeit, sie entsprechend zu erwidern; deshalb wollte ich – und will ich immer mehr – mich kleinmachen und die „kleinen Tugenden“ und die verborgenen „gewöhnlichen“ Opfer üben1124, zum Beweis, dass ich in allem dem Willen Gottes treu sein will, obwohl mir alles Außergewöhnliche sehr widerstrebt. Weil ich – soweit es auf mich ankommt – aus Furcht, mich zu täuschen oder täuschen zu können, die besonderen Gnaden gleichsam „unbeachtet“ lasse, will ich in umso größerem Eifer und Maße im „gewöhnlichen“ Tugendleben getreu sein und dem Heiland durch mannigfache Opfer meine Liebe und Treue zu beweisen suchen.

2772 |        Meinerseits will ich nichts anderes suchen als Demut und Verborgenheit und dies auch den Nächststehenden gegenüber. Damit andere wachsen, will ich abnehmen. – Ich will mich zu jener göttlichen „Selbstlosigkeit“ heranbilden lassen, die mir in Christus vorbildlich gezeigt wird, die in sich und im Wesen der eigenen Existenz vollkommenes Genügen hat und deren selbstiger Reichtum im Schenken und Geben und selbstlos liebenden Mitteilen zur Ausstrahlung kommt. „Ich genüge mir“ – und dieser „eigene“ Reichtum in Christus und seiner göttlich-wesentlichen Liebe wird und ist anderen zur Kraft.

 

05.07.1944

2773 |        Heute sind es sieben Jahre, seit ich um der Sache Jesu willen meine Heimat verlassen habe. – Was liegt alles in diesen 7 Jahren? Welche Summe von Gnaden, Opfern und Leiden! Welch wunderbare Vorsehung Gottes hat mich geführt! – Ich kann die gleiche Antwort geben wie die Jünger, als sie vom Heiland gefragt wurden: „Als ich euch aussandte ohne Beutel, ohne Tasche, ohne Schuhe, hat euch da etwas gefehlt?“ ­ „Nein.“ Gaben sie (im Abendmahlssaal) zur Antwort (Luk. 22.35). Jesus war getreu, wunderbar und göttlich getreu, trotz aller Verzögerungen seiner Absichten und trotz aller scheinbaren Enttäuschungen. – Wie wunderbar stark ist seine Gnade, die eine schwache Seele zu einem solchen Weg, weitab vom Gewöhnlichen, befähigen kann! Und dabei hat der Heiland in mir alles „nur im Geistigen“ – ohne „Visionen“ oder anderes Auffälliges – mittels einer unaussprechlichen Gnade der Vereinigung mit ihm vollbracht. Welche wunderbare Führung! – Dafür sei ihm ewiger Dank und die Versicherung meiner Treue weiterhin!

 

09.07.1944

2774 |        Meine einzige Befriedigung ist diese: keine Befriedigung und keinen Genuss haben, immer und in allem gekreuzigt sein, verborgen und verdemütigt, unbekannt und misskannt sein und bleiben! Wie glücklich ist die Seele in dieser Art der Losschälung! – Für mich ist diese Selbstverdemütigung aber auch insofern notwendig, als sie der wohlverdiente Widerspruch gegen mich ist. Wenn ich mich je rühmen wollte, so könnte es nur sein über mein Elend und meine Schwäche. Niemals hat je ein Geschöpf gelebt – so lässt es mich die Gnade tief erleben – das so elend, so nichtswürdig und der Vernichtung wert wäre wie ich. O, welche Qual, sich ertragen zu müssen und sich ständig in diesem verabscheuungswürdigen Zustand erkennen und schauen zu müssen: Dieses unaussprechlich verabscheuungswürdige Geschöpf bin ich im Lichte Gottes! – Nächst dem ewigen Verlust der Anschauung Gottes muss es wohl – so glaube ich – die größte Qual der Verdammten sein, dass sie sich ewig in ihrem hässlichen Zustand der Sünde schauen und anerkennen müssen. Für mich soll diese Selbsterkenntnis noch eine heilsame Buße sein; für die Verdammten ist es ein fruchtloses Leiden.

 

10.07.1944

2775 |        Der allheilige1125 Gott hält Gericht in meiner armen Seele. Seine Helligkeit und Gerechtigkeit durchstrahlt mich und deckt in mir jene erschreckenden Widersprüche und Gegensätze zu seinem heiligsten Wesen auf. Die arme, so schrecklich entblößte Seele windet sich dabei gleichsam in ihrer Armut und Schmach und sie schämt sich der schmutzigen Lumpen, die sie anziehen möchte, um die verabscheuungswürdige Blöße zu bedecken. Diese armen Lumpen sind die eigene Verdemütigung, die freiwillige Selbsterniedrigung, womit sich die arme Seele angesichts der Heiligkeit Gottes bedecken möchte. Doch alles, was die Seele selbst an Verdemütigung üben und unternehmen möchte – wie gering und verächtlich ist im Vergleich zur tatsächlichen, in seiner Barmherzigkeit übernommenen Erniedrigung Christi gegenüber der Menschheit! Das sind Taten der Erniedrigung, Werk des allerheiligsten Gottes in einer geschaffenen Menschennatur, aber trotzdem würdig des heiligsten Wesens Gottes. – So erhob der Erlöser die geschaffene Menschheit in sich zur Leistungshöhe seines göttlichen Wesens, indem er sie fähig machte, „göttliche Werke“ zu verrichten.

2776 |        Wie arm und verächtlich sind auch unsere besten menschlichen Taten im Vergleich mit1126 den Werken Gottes bzw. Jesu in seiner Hl. Menschheit! Nur wenn, und weil Gott unsere armen „guten Werke“ und auch unser Dasein um Christi willen in Barmherzigkeit und göttlicher Liebe annimmt, haben wir die Fähigkeit, unser Leben für Gott zu opfern zu können und opfern zu dürfen. Der Mensch in seinem gefallenen Zustand ist in sich die größte Dissonanz in der ganzen Schöpfung (weil in ihm und durch ihn der erste Plan der ewigen göttlichen Liebe verdorben wurde). Gott erträgt den Menschen nur, weil er göttlich-unendlich barmherzig ist. Welcher Gegensatz zwischen Gottes Heiligkeit in seinen Werken und dagegen unseren Werken und unserem armen Dasein1127! Und dabei ist unsere Seele so leicht geneigt zu meinen, welch großartige Taten sie vollbringe, und sie möchte anmaßend werden gegen Gott, während sie in Wahrheit doch nur aus Barmherzigkeit ertragen wird! – Ich käme an kein Ende, wollte ich die Armen-Sünder-Litanei, in der ich mich erkennen muss, genügend zum Ausdruck bringen; doch dieser Gegensatz zwischen dem ungeschaffenen göttlichen Licht und der Heiligkeit Gottes und zwischen dem nur aus Barmherzigkeit ertragenen, geschaffenen und gefallenen1128 menschlichen Wesen lässt sich überhaupt nie ganz in menschlichen Worten ausdrücken. Die inneren Qualen aber, in denen sich meine Seele wälzt, beweisen diesen unüberbrückbaren Gegensatz und Widerspruch! Wenn Gottes Heiligkeit ihr Licht in der Seele aufleuchten lässt, dann fällt diese – in ihrer eigenen Selbsteinschätzung – in ihr wahres Nichts zurück und stürzt sie gleichsam in das Grab ihrer Vernichtung. In der Tat, wenn Gott nicht ständig mit einem barmherzigen Schleier meine Armut bedecken würde, so könnte ich nicht existieren, denn der Schmerz über mein Elend würde mich töten. Gottes wesenhafte Wahrheit und Heiligkeit spricht ständig sein gerechtes Gericht über mich aus: „Stirb und vergehe!“

2777 |        „Herr, hab Erbarmen“ – so möchte ich rufen –, doch nein, nicht Erbarmen, sondern vernichte 'mich'! Löse mich auf zu jenem Nichts, das mir zukommt! Welche Qual, welche Schande bin ich mir, beladen mit dem Großen, das du mir ständig vor Augen und gegenüberstellst, beladen mit diesem Kreuze, mit deinem Werk, das dir zur Verherrlichung sein sollte! Ich bin wie begraben in den Abgründen des Misserfolges deiner Absichten, weil sie an meiner Schwäche und Unheiligkeit zu scheitern scheinen. – Es ist mir, als spotte auch die Hölle über meine Ohnmacht und über deine Misserfolge, die auf mich zurückfallen: Was willst du Elend? – (So scheint die Hölle zu höhnen.) – Welche Torheit! Geh den gewöhnlichen Weg!1129 Die ganze Welt lacht über dich, über deine Einbildungen. Es kann doch nie etwas daraus werden, weil alles nichts ist, weil du nichts bist! – Wie kannst du 'solches'1130 glauben. – Das sind Dinge für Heilige – und was bist du? – Schau dich selbst an!1131 – Es ist, wie wenn unzählige Geister mit geistigen1132 Schwertern auf mich einstürmen und mich durchbohren und vernichten wollen. Es gibt für mich1133 kein Entweichen, weil sie mich bezüglich die Wahrheit1134 sprechen [sic!], und so lasse ich mich willenlos durchbohren und vernichten. – Fast scheint es, als ob Himmel und Hölle sich zusammentun, um mich in meinen Augen zu vernichten und um mir jeden Rest von Selbstvertrauen zu nehmen. Ich gebe hundertmal meine Zustimmung zu jenem Urteil und bestätige, aber trotzdem wird mir die große Last nicht abgenommen; ich muss sie tragen zum Gespött meiner Feinde.

2778 |        Zudem muss ich aber stets in höchstem Maße erkennen, oder vielmehr ist mir gleichsam eingebrannt die Erkenntnis, wie ich sein sollte, damit Christi Absichten in mir fruchtbar werden könnten; ja, ich bin im Höchsten innerlich dazu erhoben und doch wälze ich mich zugleich in der Niedrigkeit meines beständigen Versagens: „So ist das Ziel – und so bist du!“ Das Ziel in mir scheint wie der Himmel über der Erde, unerreichbar für sie.

2779 |        Es ist das Höchste und Letzte, das Leben und Erleben Christi in mir vorbereitet, aber ich bin zugleich wie gebunden an das Leben meiner Nichtigkeit1135, bis der Herr selbst die Fesseln der Ketten löst. Ich kann nichts dazu tun als leiden und mich ständig „vernichten“ lassen.

 

11.07.1944

2780 |        Die geistigen Leiden des göttlichen Gegensatzes gegenüber meiner armen Seele dauern an. – Ich liege wie in einem Abgrund voll Finsternis begraben, aber diese „Finsternis“ ist durchleuchtet vom Lichte Gottes, das mich ständig und unbarmherzig durchdringt. Dieser Abgrund ist meine unaussprechliche Qual, aber zugleich auch mein höchster Trost; denn ich darf darin Gottes Gerechtigkeit anerkennen und bin – im tiefsten Sinne des Wortes – Gottes „Sache“ geworden, die ganz seiner heiligen, gerechten Willkür überliefert ist. – „Herr“, so möchte ich sagen, „wenn du mich auf ewig von dir verstoßest1136, so sprichst du das gerechteste Urteil, aber eine Bitte habe ich dann noch: Lass mich auch dann noch ewig anbeten, anerkennen und verherrlichen deine göttliche Gerechtigkeit, der ich ausgeliefert sein werde. Das wäre mir dann Trost genug für alle Ewigkeit und würde, wie mir scheint, einigermaßen den Himmel ersetzen“. –

2781 |        Es scheint sich jetzt in mir ein unüberbrückbarer Zwiespalt aufgetan zu haben; die frühere Einheit mit Gott – als erlebte Vereinigung mit Christus – ist in gewissem Sinne „zweiteilig“ geworden. Es ist so ähnlich, wie wenn mich bei einem brennenden Feuer das brennende Holz sich lösen würde vom Feuer, von dem es verzehrt wird. Feuer und Holz im brennenden Zustand sind gewissermaßen eins, d. h., das brennende Holz gelangt in den Zustand des Feuers selbst; in meinem Falle aber werden beide Teile, obwohl im brennenden Zustand, als „getrennt“ erlebt; ich erlebe nämlich das Feuer, das Gott ist, in seinen göttlichen Eigenschaften, in seiner Heiligkeit, Gerechtigkeit und göttlich reinigenden Unbarmherzigkeit; ich erlebe es als Licht, das Himmel und Erde in wesentlicher und göttlich „schonungsloser“ Weise durchdringt. Würde Gott nicht aus Barmherzigkeit die Schärfe dieses durchdringenden, reinigenden, gerechten Feuers zurückhalten, so müsste es allein schon durch den Bestand seiner göttlichen Existenz die ganze Schöpfung in Nichts auflösen. Aber Gott erhält alles, was er geschaffen hat, durch seine göttliche Barmherzigkeit; er lässt immer seine Liebe vorwalten [sic!] und teilt sich dem Menschen, seinem Geschöpf, nur so weit mit, als dieses es in seiner Schwäche ertragen kann. Und diese göttliche Zuteilung wächst in dem Maße, als die Seele sich „gottfähig“ macht. Immer aber, wenn Gott die Seele emporhebt, um sie an sich teilnehmen zu lassen, oder sich ihr irgendwie mitzuteilen, ist es in erster Linie sein Werk, ein Werk seiner Liebe und Erbarmung, denn es ist das Werk der Erbarmung Gottes, das er uns durch Christus, bzw. durch die göttliche Erlösung zu sich emporgenommen hat. Sonst läge nämlich die ganze Menschheit begraben in der Hölle. Auch jede einzelne erlöste Seele geht ständig, jede für sich allein mit Gott, diesen Weg des erbarmenden Emporgenommenwerdens zu Gott dank der Erlöserverdienste Christi.

2782 |        Wenn du mich überhaupt anblickest, O Gott, so ist es nur aus Liebe und Barmherzigkeit; denn du musst mir zuerst deine Huld und Herablassung und einen Blick der Liebe schenken, dass ich überhaupt zu dir aufschauen und meinen Blick zu dir erheben kann. Wenn du mir mein geschaffenes Elend zeigst und erkennen lässt, so ist es eine noch viel größere Güte und Barmherzigkeit von deiner Seite. Wenn du mich aber am allerhärtesten strafen wolltest, so würdest du mich in meinem Elend überhaupt keines Blickes würdigen. Weil ich jedoch dein göttliches Gericht in mir spüre und erleide, weiß ich damit, dass du in meiner Seele am Werke bist und dass du in deiner Barmherzigkeit das Werk fortsetzen willst, das du in mir angefangen hast. Mit gleichem Rechte könntest du mich auch in den Abgrund meines Nichts versinken lassen und dich nie mehr meiner erinnern wollen; und wenn du nochmals meiner gedenkst, so ist dies immer nur deine göttliche barmherzige Liebe.

2783 |        Vielleicht liegt eine besondere Charakteristik meines inneren Weges und meiner besonderen Gnadenführung darin, dass ich immer wieder vom hohen Vereinigungsleben mit Christus hinabgedrückt, ja hinabgeschleudert wurde in den Abgrund des Erfahrenen und des Anerkennen-müssens meiner geistigen Armut und Ohnmacht und Niedrigkeit. Immer wieder musste ich in tiefster Finsternis des Geistes erfahren, was „unverdientes Licht von Gott“ ist, und musste erleben und erleiden den Unterschied zwischen dem Zustand der geschenkten Huld und Liebe Jesu und jenem Zustand, in dem diese Huld nicht mehr wirksam schien. Dieses letztere Erfahren steigerte sich immer wieder bis zu einer solchen Stufe der eigenen Erniedrigung, dass es mir schien und wie zu einer festen Überzeugung wurde: Jesus liebendes Angesicht könne mir nie mehr leuchten, ich sei vielmehr wegen meines Elendes gleichsam ausgelöscht aus dem Buche der Kinder Gottes und werde nie mehr seiner (besonderen) Liebe mich erfreuen können. Immer wieder ging dann auch1137 die eigene Losschälung und Entblößung so weit, dass ich mich ganz bereitfand, für immer in diesem Zustand des scheinbaren Ausgeschlossenseins von seiner Liebe zu bleiben und nie mehr die Bitte wagen oder aussprechen zu können, dass der Herr mich noch einmal zu sich1138 empornehmen möge. Ich hatte immer wieder den Mut zur Bereitschaft, für immer in der Finsternis außerhalb des Lichtes Gottes zu verharren, obwohl dies für mich zugleich der größte Schmerz war. Diese Bereitschaft ging immer so weit, dass sie mir schließlich zu einer Freude über seine Gerechtigkeit gegenüber meiner Armut und Unwürdigkeit wurde: Die Seele, eingedenk ihrer Sündhaftigkeit, wagte [sich] nicht mehr um die Brosamen zu bitten, die vom Tische seiner Liebe fallen, denn sie erachtete sich dieser nicht würdig. Ich wollte und erwartete nichts anderes als geduldet zu werden im Abgrund meiner Nichtigkeit1139, und Gott umsonst, d. h. ohne Anspruch auf Lohn dienen zu können, wie es Pflicht des Geschöpfes ist – bis eines Tages unerwartet und unverdient wieder die Sonne der göttlichen Huld mich suchte im Abgrund meiner Vernichtung, mich wieder anlächelte und dann ich wie ein schüchternes Kind dieses göttliche Lächeln zu erwidern wagte und langsam – voll neuer Furcht ob dem gerechten Gericht, das über mich ergangen war – mich gleichsam von seiner Hand emporziehen ließ zu seinem Herzen, und zwar zu noch größerer Nähe, als ich vorher verspürt, und erlebt hatte. Staunend über seine unendliche göttliche Liebe, göttliche Herablassung1140 und Barmherzigkeit konnte ich ihm dann ein neues Loblied seiner Treue darbringen, „weil alles er an mir getan und nur seine Liebe mich nochmals an sein Herz gezogen hat“. Diese seine neu geschenkte Liebe war noch viel tiefer und beglückender als alles vorher in seiner fühlbaren Nähe genossene Glück.

2784 |        Wohl bleibt in den ersten Jahren, wo die Seele noch mehr an geistlichen Trost hängt und auch noch mehr von der fühlbaren Gnade abhängig ist, ein gewisses „Warten“ auf den Heiland und seine Nähe1141 und Gnade bestehen. Bei meiner Veranlagung hätte es mir aber schon bald eine Anmaßung gegenüber dem Heiland geschienen, wenn ich von meiner Seite nochmals seine besondere Liebe verlangen oder sie auf mich hätte herabziehen wollen. Ich wollte ihm vielmehr fortan nur seinetwegen selbst treu sein und dienen, nicht um des Lohnes wegen oder um seiner erlebten Liebe willen. Ich suchte dies zu verwirklichen durch die in meiner Lage möglichen und sich bietenden kleinen Opfer und durch noch größere Selbsterniedrigung. Im Bewusstsein meines Elendes wiederholte ich zuweilen dem Herrn: „Nicht mir, o Jesus, gib deine besondere Liebe1142 und Gnade! Ich fürchte mich, etwas Besonderes für mich von dir zu erwarten, denn wegen meiner Niedrigkeit scheint mir eine besondere Liebe deinerseits zu mir fast nicht möglich. Gib deine besondere Gnade jenen Seelen, die viel treuer sind als ich. Ich will dir trotzdem in allem treu sein und dich lieben, wie dich noch niemand geliebt hat.“

2785 |        Jahrzehntelang bin ich diesen Weg gegangen. Ich habe immer in Gleichmut und Ergebenheit das unverdiente Kommen des Herrn abgewartet oder vielmehr habe ich sein Kommen nicht mehr zu erwarten gewagt und verharrte im Abgrund meines Nichts, in den er mich versenkt hatte. – Es ging mir auch in jenen Läuterungszeiten vielfach der Zusammenhang mit den vorausgehenden Gnadenzeiten fühlbarer Vereinigung insofern verloren, als es meinem Bewusstsein schien, als hätte mich niemals Christi besondere Gnade und Liebe beglückt. Gewiss blieb der wesentliche Zustand der Vereinigung mit ihm weiter bestehen, aber er entzog sich meinem bewussten Erleben. Die ganze unaussprechliche Tiefe und Schwere dieser inneren Leiden liegt aber gerade im Schmerz der Seele, der es scheint, jenes höchste Gut und seine Liebe verloren zu haben, worin sie sich vorher für immer gefestigt fühlte. Versenkt in dem Abgrund der Verdemütigung und der Selbstentblößung, in dem sich die Seele in dieser Prüfungszeit begraben sieht, wagt sie gleichsam nicht mehr, jene große Huld nochmals zu begehren, ja auf dem Höhepunkt dieser Läuterungsleiden verschwindet ihr auch die Erinnerung an die beglückende Liebe Jesu, die sie einst genossen hat. So war es wenigstens bei mir, und ich blieb dann, für immer ergeben, in dem Abgrund, in den ich von Gott geworfen war; ich erwartete eigentlich keine besondere Gnade mehr und war meinerseits ganz bereit, immer im Abgrund dieser Leiden zu verharren, so schmerzlich sie mir auch waren. Vielleicht hat dabei auch meine natürliche Anlage der großen Schüchternheit und der Scheu vor allem Außergewöhnlichen mitgesprochen. Wie dem auch sei, Tatsache ist jedenfalls, dass ich mich immer so verhalten habe und dass ich im Wesentlichen bis heute noch immer in der gleichen Verfassung der Gnaden Jesu gegenüber geblieben bin.

2786 |        Nach meiner Erfahrung bleibt in der Seele immer jene Eigenart der göttlichen Führung bestehen, die sowohl der geistigen Anlage und Disposition der Seele wie auch dem besonderen Ziele entspricht und angepasst ist, auf das die führende Gnade hingeordnet ist. Die Gnade passt sich der natürlichen Anlage der Seele an und diese Anlage wird in ein gewisses, harmonisches Verhältnis zur Gnade gebracht. So bleibt ein individuell-persönliches Verhältnis zu Gott bestehen und hat jede Seele ihre eigene Führung und geht jede ihren persönlichen Weg.

2787 |        Das Ausschlaggebende für den Fortschritt der Seele bleibt im Grunde, ob sie die reine Absicht hat, dass sie nämlich Jesus, den Herrn der Gnade allein sucht und nicht den Trost seiner Gnade ihm selbst vorzieht. Die wesentliche Vereinigung mit Christus wächst in diesem Falle nicht weniger auch in den Zeiten, in denen seine Liebe nicht fühl­bar in der Seele herrscht, ja sie wächst dann noch mehr, wenn die Seele sich nur zu den Füßen des Meisters geduldet weiß und neue Liebe und Vereinigung durch verborgene Opfer zu erringen sucht.

2788 |        Auch nach jahrzehntelangem Gnadenleben habe ich bis heute nicht den Mut gefunden, von der Tiefe des jeweiligen Läuterungszustandes heraus jemals noch eine besondere Gnade vom Heiland zu erwarten. Wenn deshalb meine Seelenführer mich in jenen Zeiten auf das neue Kommen Jesu vertrösteten, so musste ich der Wahrheit wegen stets antworten: „Ich will doch nichts Besonderes vom Heiland. Er genügt mir so, wie er sich mir gibt. Ich kann doch keine besondere Gnade von ihm erwarten“. – Und ich kann heute noch bestätigen, dass dies immer meine wahre Gesinnung war und auch heute noch ist, obwohl ich immer und jederzeit ein quälendes Verlangen nach möglichst hoher Vereinigung mit Christus hatte und vor mir diesem Streben nie genug tun konnte. – Es mag aber diese meine geistige Schüchternheit auch mit dem besonderen Ziele zusammenhängen, das mir Jesus von Anfang an als Zweck all seiner besonderen Gnaden für mich zeigte: Er ließ mich nämlich oftmals schauen, wie einmal mein ganzes, auch das äußere Leben mit diesen besonderen Gnaden zusammenstimmen und davon abhängig sein werde; dies rief aber ein unwillkürliches, großes Widerstreben meiner menschlichen Natur hervor, und zwar trotz meines grundsätzlichen Willens, dem Heiland in allem getreu zu sein.

 

12.07.1944

2789 |        Im Grunde bin ich auch heute noch im gleichen Leiden der Vernichtung vor Gott, doch kann ich es eigentlich nicht mehr „Leiden“ nennen; denn der Gleichmut und die Zufriedenheit über das göttliche Gericht in mir ist schon so überwiegend, dass ich bei aller Verdemütigung mehr von einer freudigen, tröstlichen Stimmung getragen bin. Ich genieße damit das Geheimnis der „Leidensseligkeit“, die vielleicht an1143 tiefsten Genuss des Friedens die „Glückseligkeit“ noch mehr1144 übersteigt. Ich bin sehr glücklich, wenn ich verharren darf im erlebten Abgrund meiner Nichtigkeit. Mein Friede könnte auch nicht größer sein – so scheint mir – wenn ich mich eines hohen Erlebens der Vereinigung mit Christus erfreuen würde. Meine Seele scheint jetzt „leer von jedem Verlangen nach Gott“ in dem Sinne, dass es ihr als die größte Herablassung Christi vorkommt, wenn er mich nochmals in die selige Gemeinschaft und Vereinigung mit sich emporheben will – oder vielleicht muss ich es besser so ausdrücken: Meine Seele ist in ähnlicher Weise „angefüllt“ von Gott wie ein Schwamm, wenn er ins Wasser gelegt wird, aber ohne dass er sich des Wassers „bewusst“ ist. In diesem Zustand der erlebten Vereinigung und Entblößung durch und vor Gott kann ich in gewissem Sinne nicht nach ihm verlangen, bin aber dabei voll großem Frieden über seine Gerechtigkeit. – Ich kann nun gut begreifen, dass sogar die Verdammten in der Hölle in alle Ewigkeit die Gerechtigkeit Gottes verherrlichen müssen: „Gerecht ist Gott und gerecht ist sein Gericht“. Das ist die endgültige Huldigung, die der allheilige Gott sich von den verstoßenen darbringen lässt.

2790 |        Ich bin in diesem „entblößten Zustand“ glücklich und es ist eine Gnade, wenn ich überhaupt von Gott geduldet werde. Wie könnte ich nach irgendeiner Bevorzugung von ihm oder gar nach der erlebten Vereinigung mit seinem göttlichen Wesen hienieden verlangen? Sagt doch der Heiland beim hl. Johannes: „Ohne Mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5) und der hl. Paulus erklärt: „Niemand kann sagen: 'Jesus ist der Herr' außer im Hl. Geiste“ (1 Kor 12,3).

2791 |        Zuweilen bin ich von Neuem versenkt in das Erfassen des Gegensatzes zwischen der Heiligkeit Gottes und meinen vielen bösen Anlagen, denen ich mich aber aus mir selbst nicht entwinden kann. – O Herr, wenn du barmherzig bist zu mir, so befreie mich von meinen bösen Anlagen. Wenn du mir gut sein willst, so reinige mich! Um nichts andere bitte ich dich, als dass du mir alle meine Sünden verzeihest. Das ist die größte Gnade und Barmherzigkeit, die ein so armes Geschöpf wie ich erwarten kann von dir1145.

2792 |        Dann wieder1146 muss ich rufen: „O Herr, geh weg von mir, ich bin ein sündiger1147 Mensch! Deine Gegenwart durchdringt mich und deine Heiligkeit und Reinheit1148 verzehrt mich! Du bist mir viel näher, als ein Mensch dem anderen nahe sein kann, denn du durchdringst mich mit dir selbst.“ So möchte ich aufschreien: „Ihr Berge, fallet über mich und ihr Himmel, bedecket mich, dass ich entfliehen kann vor der Heiligkeit Gottes“; oder anders gesagt: Ich bin wie ertrinkend in einem Strome, dem ich entweichen möchte. – Dulde mich, o Herr, im Abgrund meines nichts; so bin ich zufrieden. Doch nein, so muss ich wieder rufen – bleibe fern von mir; ich bin glücklich im Gericht deiner Barmherzigkeit zermalmt zu werden. Das ist mir Nähe genug, denn zu sehr hat das Bewusstsein meiner Unwürdigkeit mein ganzes Wesen durchdrungen. –––

2793 |        Seit langen Monaten war ich innerlich-psychologisch gleichsam wie „auf Nadeln gestellt“ und ohne jede natürliche Befriedigung, die sonst notwendig mit dem „Leben“ verbunden ist. Ob ich dies oder jenes tat, bei Tag und bei Nacht, immer lag ich wie auf einem geistigen „Nadelbett“, wo die menschliche Natur meint, unmöglich ein solches Leben ertragen zu können. – Und jetzt, merkwürdigerweise, liebe ich dieses Dornenbett. Es ist mir zum lieblichen Ruhebett geworden, das ich nicht mehr verlassen will.

 

14.07.1944

2794 |        Der Heiland hat mir heute ein kostbares, aber merkwürdiges Versprechen gegeben: Er stellt mich als „geistige Mutter“ seiner Kirche bzw. dem Priestertum zur Verfügung! Er gibt mir die Gnade einer geistigen Mutterschaft für die Kirche.

2795 |        All meine Opfer und Leiden, alles erkämpfte und erlittene Gut, alle moralische Vollkommenheit, die außergewöhnliche, meiner geistigen Aufgabe entsprechende Vereinigung mit ihm, alles dies – so lässt er mich wissen – ist ein geistiger Schatz für das Priestertum. All das seelisch Errungene wird irgendwie fruchtbar in den Priestern. Alle Gnaden meines Innenlebens sind gleichsam Eigentum des Priestertums. Die Priester können daraus schöpfen und jeder wird vom Heiland das erlangen, worum er ihn bittet; denn dieser Schatz ist opfernd von mir – in Christus – vorverdient worden. Es ist gleichsam ein offener Schatz, der in ihm und von ihm zu beheben ist.

2796 |        Alle Gnaden, die er mir gegeben hat, gibt und bietet er zugleich den Priestern, selbstverständlich in priesterlicher Form und in Brauchbarkeit für den priesterlichen Beruf; denn jener geistige Schatz enthält vornehmlich solche Gnaden, welche die seelische Vervollkommnung der Priester betreffen, also dem geistigen Fortschritt ihrer Seele dienen.

2797 |        So wie eine Mutter ihre Anlagen auf ihre Nachkommenschaft überträgt, so wird mein inneres Leben und alle inneren1149 Gnaden bzw. die erreichte Vereinigung mit Christus, wie eine Vererbung weiter geleitet, in der Kirche wirksam sein (– es handelt sich, wie mir gezeigt wurde, um eine allmählich fortschreitende, gleichsam stufenweise steigernde Fruchtbarkeit aller Gnaden, die mir von Christus geschenkt wurden –). „All diese Gnaden und noch größere, nämlich den Forderungen des Priester­tums entsprechend, werden weiterfließen in die Priester und von diesen in die Gesamtkirche“. – Mein inneres Leben, wird in Christus fruchtbar werden in der Kirche.

2798 |        Zur Bekräftigung seines Versprechens erklärte der Heiland: „Ich verpfände dir Mein Wort dafür!“

2799 |        Heute in St. Peter war ich erhoben in das Innewerden der Heiligkeit Gottes. Zugleich erfasste ich ihr gegenüber den Unterschied der menschlichen Vollkommenheit bzw. der stufenweisen Erhebung des Menschen zur Heiligkeit, und ich schaute die Anwendung dieser Wahrheiten auf meinem Geistesweg.

2800 |        „Gott ist in seinem Wesen höchst vollkommen und heilig; und ebenso vollkommen sind all seine Werke“. Aber was sagt dieser schwache Ausdruck im Vergleich zu dem tiefen Erfassen, in das ich gleichsam ganz „eingetaucht“ war! Es war eine wunderbare Schau Gottes und seiner göttlich-wesentlichen Einfachheit in der Heiligkeit seines göttlichen Bestandes und in den göttlichen Ausflüssen in all seinen Werken und Taten. Aber leider lässt sich das Wunderbarste am wenigsten in Worten festhalten; gerade das Erleben der wesentlichen Vollkommenheiten Gottes kann am wenigsten in menschlichen Worten ausgedrückt werden. Ein Vergleich mag die Tatsächlichkeit des Erlebens, und dabei doch die Unmöglichkeit des Ausdruckes dafür einigermaßen erklären: Wenn man an einem heißen Sommertag ein kühlendes Bad nimmt, so erfährt man die erfrischende und belebende Wirkung des Wassers, solange man im Bad ist. Wenn man das Wasser verlassen hat, bleibt zwar noch eine gewisse Wirkung bestehen, aber wie könnte man einem anderen Menschen, der nie ein Bad genommen hätte, die Wohltat und die Vorzüge des Wassers erklären? So ähnlich ist es auch mit dem Erleben und Emporgenommenwerden in das Geheimnis des Wesens Gottes und seiner Heiligkeit. Dieses geistige Untertauchen in Gottes heiligstes Wesen und seine göttlichen Eigenschaften war für mich eine überaus große Gnade, aber ich kann das Tiefste davon nicht zum Ausdruck bringen. – Noch mit einem anderen Vergleich erläutert: Wenn man Wasser in die hohle Hand fasst, so fließt das Wasser allmählich wieder ab; es lässt sich nicht festhalten; es bleibt aber nur die nasse Hand als sichtbarer Beweis, dass man Wasser in der Hand hatte.

2801 |        Die Heiligkeit Gottes liegt also im Wesen und in der Vollkommenheit seiner Existenz selbst. Gott selbst1150 ist die höchste Heiligkeit und alles, was ihm, d. h. seinem Wesen entströmt, trägt die Spur und das Gepräge seiner göttlich-vollkommenen Eigenschaften. Sein wesentlicher Bestand ist gleichsam die Summe und Zusammenfassung aller Vollkommenheiten (– um es irgendwie menschlich auszudrücken; den Gott ist zugleich wesenhafte Einheit und Einfachheit und in ihm ist keine Zusammensetzung von Teilen verschiedener Vollkommenheiten wie bei uns Menschen). Gott ist die Heiligkeit und Vollkommenheiten mit allen moralischen Folgerungen, die diese seine allerhöchste Heiligkeit seiner Eigenschaften in der Unsumme seiner Werke und Taten verlangt. Das ist sein wesentlicher Bestand.

2802 |        Der Mensch wird aber erst in mühevollem Aufstieg „heilig“, und die Vollkommenheit seiner äußeren Handlungen bleibt oft weit selbst hinter dem besten Wollen zurück. – Gott hat dem Menschen auch nach dem Sündenfalle vieler seiner geschaffenen guten Anlagen – als Anlagen zur Heiligung – gelassen, zugleich mit der Möglichkeit ihrer Vererbung auf die Nachkommenschaft; aber all diesen moralischen guten Anlagen wurde durch die Erbsünde doch eines, und zwar das Höchste genommen: Obwohl sie in sich noch „gut“ sind, so sind sie doch nicht mehr „in Gott gut“, und aus ihnen fließen darum nur menschliche oder „natürlich“ gute Werke1151. Die dem Menschen verbliebenen guten Anlagen wurden gleichsam entwurzelt und wurden losgerissen vom göttlichen Baum, dem sie entstammten; sie bewegten sich nunmehr außerhalb ihres übernatürlichen Lebensspenders. Um eine wahrhaft und gottgewollte gute und „vollkommene“ Handlung verrichten zu können, braucht der Mensch nun einen besonderen übernatürlichen Beistand Gottes, bzw., muss er erst wieder in den „Kreis Gottes“, in die Teilnahme an seinem Wesen hineingezogen werden. Nur in Kraft dieser Einheit mit Gott kann der Mensch gottgewollt gute Werke verrichten; nur in Gott kann der Mensch seinen sittlichen Wert vervollkommnen, festigen und als dauernden Bestand sichern. Außerhalb Gottes ist jede moralische Vollkommenheit des Menschen mangelhaft und wankelbar.

2803 |        Die übernatürliche Verbindung mit Gott vorausgesetzt, beginnt nun die moralische Vervollkommnung des Menschen damit, dass seine Seele zunächst gute Vorsätze fasst, die der Mensch mit Gottes Gnade auch nach und nach ausführen kann. Tatsächlich bleiben die guten Vorsätze gewöhnlich längere Zeit in der Seele verborgen, bis sie sich als Taten1152 wirksam und sichtbar nach außen zeigen. Die sittliche Vervollkommnung beschränkt sich zunächst auf das „Innenleben“, auf den Bereich zwischen Gott und der Seele allein. Langsam nur treten die inneren guten Angewöhnungen der Seele auch in den Charakter des Menschen zum Vorschein und es kommt zu einem stückweisen Sichtbarwerden des errungenen seelischen Habitus und allmählich dann zu einer „Durchsäuerung des ganzen menschlichen Tuns“ mit den in Gott erworbenen sittlichen Vollkommenheiten der Seele. Nur auf diesem Wege hat die moralische Vollkommenheit des Menschen einen festen Grund und zugleich Aussicht auf immer höhere Vervollkommnung.

2804 |        Bei der in der menschlichen Natur liegenden Schwäche kann aber der Mensch gewöhnlich1153 sein inneres gutes Wollen nicht sofort in gleicher Güte und Vollkommenheit und im ganzen Umfang1154 in die äußere Tat umsetzen und es wäre eine große Ausnahme, wenn – auch bei aufrichtiger und voller Bekehrung – die Werke1155 eines Menschen gleich auf einmal den Stempel innerer Heiligkeit zur Schau tragen würden; es wäre sehr fraglich, ob eine solche rasche Umwandlung von Bestand und Dauer wäre. – Gewiss muss ein religiöses Innenleben sich auch in einem entsprechenden sittlichen Leben nach außen zeigen und muss das Äußere mehr und mehr ein wahres Bild des inneren Strebens geben, aber es dauert gewöhnlich geraume Zeit, bis auch die äußeren Taten ganz nach dem inneren Habitus geformt werden können, bis eine gewisse Abrundung1156 und Übereinstimmung, und ein psychologisches Gleichgewicht zwischen dem inneren guten Wollen und der Vollkommenheit der äußeren Ausführung errungen ist, sodass auch die äußeren Handlungen die Vollkommenheitshöhe und den sittlichen Charakter des inneren guten Wollens an sich tragen. Auch dies ist gewöhnlich nur das Werk einer allmählich fortschreitenden Entwicklung. Gerade bei einem höheren sittlichen Aufstieg zeigt sich meist der innere Vollkommenheitszustand zunächst nur in bestimmten Bezirken der äußeren Handlungen. – Das letzte und höchste und notwendige Ziel eines in Gott fruchtbaren Innenlebens bleibt immer: dass das zunächst in der Seele verborgene gute Wollen und die lang geübte Vollkommenheit des Willens auch in allem äußeren Handeln1157 gleich vollkommene Gestalt annehme. Mag dies auch selten in einer vollkommen ausgeglichenen und abgerundeten Weise gelingen – weil auch bei bestem inneren1158 Wollen doch leicht wieder ein Versagen im äußeren Tun unterlaufen wird – so muss doch das Streben nach vollkommener Übereinstimmung zwischen innerer Heiligkeit und zwischen der Vollkommenheit des äußeren Tuns immer1159 vorhanden sein. Mit zunehmender Vereinigung mit Gott drängt auch seine Gnade immer mehr auf eine volle Durchdringung und Durchsäuerung des ganzen Menschenlebens und auf eine volle Angleichung zwischen inneren und äußeren Verhalten. Auf diese Weise breitet1160 sich Gott bzw. Gottes Heiligkeit immer mehr in der Seele und im ganzen Menschenleben aus.

2805 |        Gottes Wesen ist also in sich schon höchst vollkommen, und ebenso vollkommen ist alles, was seinem göttlichen Wesen entspringt, nämlich all seine Werke. Der Mensch aber muss sich erst in der Seele selbst ein Zentrum bauen mit Gott, ein gutes, gefestigtes, vollkommenes Wollen, das dann immer mehr auch nach außen fruchtbar wird, immer höhere Ziele anstrebt und schließlich eine sittliche Umwandlung, Vervollkommnung, Heiligung des ganzen Menschen in Gott erreicht. Alles vor Gott und gottgewollt Gute wird nur durch ihn in den Seelen fruchtbar und strebt naturgemäß nach einer Durchdringung und Durchsäuerung des Gesamtmenschen. Und alles wahrhaft Gute ist von Gott und ist ein Ausstrahlen seines göttlichen Wesens und seiner göttlichen Vollkommenheiten – was ich hier in vielen Worten mühsam zu erklären suchte, dessen bin ich in wenigen Augenblicken des Erlebens bzw. des Eingetauchtseins in die Heiligkeit Gottes und seiner ebenso heiligen Werke unaussprechlich viel tiefer innegeworden.

2806 |        Ebenso wenig ist in Worten wiederzugeben die Anwendung dieser Erkenntnisse auf meinen Geistesweg, nämlich auf die langsame Umwandlung meiner Seele nach dem Idealzustand in Christus. In einer augenblicklichen Wirkung und mit Beleuchtung meines ganzen inneren Weges bis zu dessen letztem Ziele wurde mir zugleich das innere Streben anderer Seelen bzw. die Wege und das Wirken Gottes und seiner Gnade1161 in anderen Seelen mitbeleuchtet. – Was in mir schon innerlich vorbereitet und gegeben ist, das braucht eine gewisse Zeit und Übung und Entwicklung, bis es auch nach außen voll brauchbar und gebrauchsfähig ist für die Absichten des Herrn.

 

16.07.1944

2807 |        Je mehr mir das Bewusstsein meiner gewöhnlichen Umgebung schwindet, desto mehr nähere ich mich dem geistigen Kreise des Bewusstwerdens jenes neuen Lebens, das in mir vorbereitet ist. Unter dem drängenden Einfluss der Gnade übe ich mich im Grunde schon in dem „neuen Leben“, aber nach außen führe ich noch ganz das gewöhnliche Leben. – So bin ich in einem gewissen Übergang oder in einer Zwischenstufe zwischen dem schon nicht mehr voll bestehenden gewöhnlichen und dem noch nicht in Tätigkeit gesetzten „neuen Leben“, und darin liegt das Schwere dieses jetzigen Zustandes, fast möchte ich sagen, dieses „Doppellebens“. Ich stehe darum ständig wie auf „Nadeln“ oder auf der Schneide1162, weil ich mich weitab vom „normalen“ Leben befinde.

 

19.07.1944

2808 |        Meine physische Natur wird eingeübt, um ständig in „Tätigkeit“ sein zu können, weil das göttliche Leben niemals „ruht“ und auch meine physische Natur diesem Erleben wird folgen können müssen. – Bei Gott gibt es keine Unterbrechung seines Seins und seines Wirkens. Seine göttliche „Unbeweglichkeit“ ist ständiges „Hervorbringen“. Meine Seele wird nun eingeübt um sich die psychologische1163 Spannkraft zu erwerben, die für das psychologische1164 Erleben Christi vorausgesetzt und notwendig ist. All die „Spannungen“, die meine geistige Aufgabe in sich schließt, werden mir nach und nach wie zu meiner „Naturanlage“, die ich ebenso werde ertragen können, wie bisher mein gewöhnliches Menschenleben. Ich bin darum vollständig von jeder geschöpflichen Zweisamkeit oder Gemeinschaftsmöglichkeit getrennt und abgeschnitten und bin wie „ganz allein auf der Welt“; auch wenn ich mit anderen spreche, so „klingt es innerlich doch nicht voll mit“. Jede „Gemeinschaft“ ist mir unmöglich. Mein Gesamtsein wird damit ganz auf mich allein gestellt, sodass ich von meiner Umgebung nichts empfangen kann. Ich kann nichts von anderen aufnehmen und ich kann auch nichts aus mir selbst herausgeben. Ich kann aber auch meinen inneren Zustand noch nicht „umfassen“, d. h., die Art meines Seins ist mir noch nicht voll bewusst; es ist vielmehr wie ein „totes“ Dasein, ähnlich dem eines Kindes vor dem Bewusstseinsleben – bis dann die in mir vorbereitete andere Weise des Lebens und Bewusstseins voll „aktiviert“ wird.

2809 |        Niemand kann sich ein Bild machen von der Tiefe der Leiden, die mit dem1165 Zurückdrängen des „normalen“ Seelenlebens oder Bewusstseinslebens verbunden sind. Es ist eine Zerstörung des „normalen“ Bewusstseinslebens mit dem Zweck der Überführung in ein „übernormales“ Seelenleben, nämlich in das bewusste Erleben der Psychologie Christi. – Jeder Fortschritt auf dem Wege zu diesem Ziel wird hervorgebracht durch die Gewalt und Wirkung entgegengesetzter Leiden. Immer mehr steigert sich das Abgeschlossen-sein von außen; dazu entschwindet mir immer mehr die erlebnismäßige Erinnerung an mich selbst. Ich lebe zwar das gewöhnliche Leben, aber es ist alles wie „tot“, d. h., dass nichts davon in das Bewusstsein dringt. Es ist ein ekstase-ähnlicher Zustand, wo das eigene Leben zurücktritt, um das Wesen des von Gott Gebotenen aufzunehmen, wozu die eigene Existenz nur als Mittel notwendig ist. – So wird meine eigene Existenz umgeformt zu dem Zweck, das Erlöserleben Christi aufnehmen und bewusst erleben zu können, mit anderen Worten: um das Mittel zu sein für das Erleben der Psychologie Christi. – Etwas Ähnliches vollzieht sich übrigens bei allen mystischen Zuständen, insofern vorher jeweils die entsprechende geistige Disposition in den Seelen geschaffen wird.

2810 |        Wenn mir aber dieses angedeutete Wesen der (letzten) Vorbereitung auf meine geistige Aufgabe nicht durch eine besondere Gnade „bewusst“ wird, so kann ich nicht darüber schreiben; denn dies alles gestaltet und vollzieht sich viel tiefer in mir, als dass es das normale Erfassen und Wissen erreichen könnte – dieses kann nämlich für gewöhnlich nicht bis in diese Tiefen der Seele vordringen.

2811 |        Ich habe heute wieder schwer gelitten unter dieser psychologischen Umstellung; es ist einfach unaussprechlich. – Mein inneres Leben ist scheinbare „Untätigkeit“ (im Sinne der gewöhnlichen geistigen „Tätigkeit“ des Menschen), aber dadurch wird die ganz andere, höchste, göttliche „Tätigkeit“ als Gegenstand meines Bewusstseinslebens vorbereitet.

 

20.07.1944

2812 |        Heute Abend bin ich – im Voraus – in den für mich geforderten Idealzustand in Christus erhoben: Ich erlebe und erfasse mich als Zentrum meines Seins, das mich lebt, und ich bin vollständig abgewandt von jeder früheren Geistesgrundlage. Die neu erworbene Geistesgrundlage tritt ins Bewusstsein und Erleben.

 

21.07.1944

2813 |        Das Erleben der „Spitze“ oder des Höchstzustandes der gestrigen Erhebung ist etwas zurückgetreten; es ist aber das Bewusstsein der unmittelbaren Grundlage dafür geblieben, die ständig und unwillkürlich jener erfahrenen Spitze zustrebt. So ist das Erleben in mir wieder „zweigeteilt“, d. h., ich erfasse den Ziel-Idealzustand und dazu – ­oder ihm gegenüber – den gewöhnlichen zu jenem Ziele aufsteigenden Zustand. Auf der Spitze oder im Höchstzustand selbst gibt es dagegen kein Zurückschauen und kein Höherschauen, dort erlebt1166 man sich in der unmittelbaren Eigenheit seiner selbst; man erlebt eben nur die Spitze, nicht die eine oder die andere Seite, von der aus man diese Spitze oder seinen Zustand überschauen und überprüfen könnte. Solange ein solches Überprüfen und Gegenüberstellen noch möglich ist, solange bin ich nicht in dem für mich geforderten Idealzustand vollendet. Wie man auch im gewöhnlichen Leben über seine eigene unmittelbare Existenz keine weitere Auskunft geben kann, außer der, dass man eben da ist und so ist – ohne dass man sagen könnte, warum man so ist. In gleicher Weise wird der (von mir schon im1167 vorauserfahrenen) Idealzustand dann meine existenzielle Eigenheit sein.

2814 |        Diese (kommende) Eigenheit möchte ich mit folgendem Vergleich einigermaßen zu erläutern suchen: Sie baut sich gleichsam auf einer hohen spitzen Säule auf, die allein steht, von allem getrennt und über alles andere erhaben. Die eigenen – und an sich für gewöhnlich notwendigen – Lebens- und Geistesbedürfnisse haben sich so verringert, d. h., der persönliche Genuss der Tatsache des „Lebens“ ist derart verflüchtigt und gleichsam aufgehoben, dass ich auf dieser Säulenspitze ganz angenehm „leben“ kann – (essen, schlafen, ruhen und mein Leben einrichten, aber ohne „persönlichen Genuss“). Solange ich mich auf dieser Säule noch nicht ganz bequem und wohlfühle, solange bin ich nicht fähig dauernd hier, ­d. h. im Zustand des ausschließlichen Erlebens Christi, zu bleiben; solange muss darum das „Abgeben“ überflüssigen Ballastes und hemmender Hindernisse fortgesetzt werden; denn es ist auf dieser Höhe oder Säulenspitze kein Platz für „Gepäck“, sondern nur für die nackte Existenz. Solange mich dieses Stehen oder Verweilen auf solcher einsamer Höhe noch irgendwie schmerzt, solange ist die (für gewöhnlich notwendige) Gewohnheit des „Erlebens und Genießens meines persönlichen Lebens“ noch nicht genügend ausgeschaltet. Ich muss vielmehr ohne Schwierigkeit und dauernd auf dieser Säule ruhen können, ohne irgendeine Bespiegelung meines eigenen Lebens, ohne irgendwie meine eigenpersönliche Existenz zu genießen. Und ich darf dieses ganz andere, für mich völlig „genussloses“ Leben und Erleben als keinen Mangel mehr empfinden; ich muss mich vielmehr wohlfühlen in der gänzlichen Entblößung von meinem persönlichen Erleben.

2815 |        Im Allgemeinen und der Grundlage nach ist mein Dasein nun schon auf dieser „Säule“ eingerichtet, aber – um beim Bild zu bleiben – der Heiland spitzt diese Säule immer mehr zu, sodass sich mein Platz immer mehr verengt. Er nimmt immer noch mehr weg von „mir“.

2816 |        Zu Zeiten schmerzt diese „Spitze“ noch, aber überwiegend fühle ich mich dort schon wohl. – Heute ist geradezu eine Sucht in mir: Wann, o wann endlich, endlich!? (Werde ich ganz nur und für immer „dort“ sein?) – Es sind gleichsam zwei Gewalten in mir: Die eine, die endlich auf der Spitze am Ziele sein und dort „ruhen“ möchte; die andere, nämlich das instinktive Fühlen und Wehren der Natur gegen jene harte Entblößung und Selbstentäußerung, mittels deren ich ganz und für immer „Platz“ finde, dort auf jener Höhe oder Spitze.

2817 |        Die seelischen Veränderungen und geistigen Zustände haben eigentlich schon bei Beginn meines besonderen Innenlebens (um das Jahr 1920) angefangen, haben sich aber ständig gesteigert, bis schließlich die für meine Aufgabe notwendige Höchstspitze erreicht ist. Dabei schien es mir oft; als sei ich schon auf der möglichen Höchstleistung meiner Seele angelangt, obwohl noch viele weitere Höhen verborgen waren. – Heute aber bin ich so sehr in innerer Bedrängnis, dass es mir scheint, es gehe nimmer weiter.

 

24.07.1944

2818 |        „Ich will selbst das Kreuz sein, an dem du gekreuzigt wirst“; wiederholt hat mir das in den Jahren von 1920-1930 der Heiland angekündigt und es mich auch vorauserleben lassen. „ER“, das Kreuz – in so inniger Gemeinschaft mit ihm! Welche Freude, welches Verlangen, welche verzehrende Glut weckten solche Versprechungen Jesu immer in meiner Seele! Ach, wie langsam und zögernd schien Jesus seine Worte wahr zu machen in mir, da ich mich zu Zeiten fühlbar verzehrte im Verlangen nach Leiden und Opfer für ihn! – All das Wenige aber, was ich selbst tun konnte, um mein Leidens- und Opferverlangen zu stillen, war wie ein Tropfen kalten Wassers auf einen heißen Stein.

2819 |        Die liebeshungrige Seele meint, sie müsse selbst das Werk ihrer Heiligung vollbringen; es ist eine glühende Aktivität in ihr, die sich nicht genug tun kann, um des Heilands Liebe zu erwidern und seinen einladenden Worten zu entsprechen. Und der Herr will dieses eigene Streben der Seele zur Aktivität gegenüber seinen Liebesanforderungen. Das gibt der Seele Großmut und geistige Schwungkraft. Es sind dies gleichsam die „ersten Ergüsse der Liebe“ zwischen Jesus und der Seele, wie in einer seligen Verlobungszeit, in der ein Liebender den anderen gleichsam übertreffen will im gegenseitigen Versprechen der Liebe und Treue und im Wahrmachen des Versprochenen. – Später, wenn dann die Seele schon mit ihm den Aufstieg nach Calvaria begonnen hat, Klingen seine Worte an die Seele –“härter“ und tiefer: „Ich selbst will deine Kreuzigung vornehmen“. – Die Hand des Herrn hat unterdessen die Seele schon schmerzhaft berührt in schmerzlichen Entblößungen, weil Jesus die Seele, jede Seele „allein“ mit sich nimmt. Aber bei diesem ersten Aufstieg nach Calvaria, wo es sich um Überwindung der niederen Höhen handelt, ist dies noch der süßeste Trost, dass es „seine Hand“ ist, spürbar und fühlbar erlebt. Viel härter wird es aber, wenn seine (fühlbare) Hand sich zurückzieht; die Seele tritt dann in das tiefere Geheimnis des Kreuzes ein, wobei der Herr sich meist gewisser Umstände und Menschen bedient zur Läuterung und Heiligung der Seele.

2820 |        Es braucht aber lange Zeit und vielleicht viele Jahre, bis die Seele ganz „eingeht“ auf die Art und Weise, wie sich der Herr der Umwelt und der Menschen bedient und sie als seine unmittelbare Werkzeuge benützt, mittels deren er selbst sein Werk in der Seele vollbringt! Wie lange sträubt sich die arme Seele unwillkürlich gegen diese Art der Läuterung! Wie schwer empfindet sie es zunächst, sich von Menschen ihre Fehler sagen zu lassen, Ungerechtigkeiten hinzunehmen, gewisse Rechte sich entziehen zu lassen, die sie sich behaupten und beanspruchen könnte, immerfort der „Kleine“, der Erniedrigte, kurz: „der“ Mensch zu sein, der in allem zu gehorchen, zu schweigen, immer zufrieden zu sein1168, und sich nach den anderen zu richten hat!

2821 |        Wenn aber bei all diesen „Verkürzungen“ des eigenen Rechtes die „Hand der Menschen“ eingreift, so ist es im Grunde doch der Herr selbst, der durch sie sein Werk an der Seele vollbringt, wobei diese in der Hauptsache nur passiv mitgehen kann. Der Übergang von der größeren Aktivität der Seele zu größerer Passivität besteht vor allem darin, dass die Heiligung der Seele nun mehr im harten „Hinnehmen1169“ als im liebevollen „Geben“ geschieht. Und dieses harte „Hinnehmen1170“ fordert der Herr durch Menschen oder durch „zufällige Ereignisse“ und Umstände, in die sich die Seele hineingestellt sieht. Es wird eine herbe Selbstentäußerung an der Seele vorgenommen, aber es scheint nicht mehr die milde Hand des Heilandes daran beteiligt zu sein, sondern es sind „Feindeshände“, denen die Seele überliefert ist. Es scheint nicht mehr wahr zu sein das süße Wort, das einst so verlockend die Seele durchleuchtet hat: „Ich selbst will diese Kreuzigung vornehmen“. Darauf hatte die Seele nur eine Antwort: „Eben weil du es bist, o wie gerne (will ich mich kreuzigen lassen)! Mach schnell, O Herr, eile und zögere nicht länger, denn deine Hand ist süß und in dir an deinem Kreuze ruhe ich so gut!“ – Aber nun zieht der Herr scheinbar seine Hand zurück und lässt die Menschen das tun, was er selbst zu tun versprochen hat. Welche Enttäuschung! Mit Freuden, so scheint es der Seele, würde sie die Entäußerung ihrer Rechte, ihrer Ehre usw. hinnehmen, wenn der Herr unmittelbar selbst das in ihr vornehmen würde, – aber dieses Hinnehmen1171 von Menschen, die vielleicht sittlich und religiös niederer stehen oder denen man in manchem überlegen scheint: Das scheint unerträglich zu sein. Und doch geht der Heiland gerade diesen Weg der Selbstäußerung in den Seelen seiner Auserwählten.

2822 |        Welchen großen, geistigen Fortschritt haben wir gemacht, wenn wir auch in all diesen „mittelbaren Einwirkungen“ nur die Hand Gottes sehen, uns wahrhaft ihr beugen, uns entäußern, reinigen, läutern und damit unmittelbar von ihr leiten lassen. Wie lange währt die Geduld des Herrn, bis wir endlich verstehen, und welche langen Umwege muss er wegen unseres Unverstandes oft in seiner Güte zum Zweck der Heiligung der Seele machen! – Wollten wir rascher auf die Art seiner Führung eingehen, so könnten wir uns vielleicht manches von der Länge des Weges ersparen. Aber so töricht und widerspenstig ist der Mensch, dass er geradezu gezwungen werden muss unter das süße Joch Christi. Es fällt dem Menschen schwer, den Herrn zu erkennen in all seinen liebevollen Führungen und Handlungen zugunsten seiner Seele, in all dem, was nach den Absichten Gottes der Seele „zum Fortschritt und zum Frieden1172“ dienen soll. Welche große Gnade ist es, wenn Jesus der Seele einmal sein unmittelbares göttliches Wirken auch in den äußeren Umständen und Ereignissen erkennen und zu ihrem geistigen Fortschritt wirksam, ja gleichsam greifbar werden lässt! In diesem Falle wirkt aber schon dann ein unmittelbares Licht seiner Gnade, das für gewöhnlich durch einen langen fruchtbaren Opferweg in der Seele vorbereitet ist. Die Mehrzahl der Seelen geht wohl den langen Weg hochherziger Hingabe und Opfer- und Leidensbereitschaft im Dunkel der „mittelbaren“ Entäußerung und Läuterung durch Menschen und Umstände, wobei auch den Mächten der Finsternis eine gewisse Freiheit der Betätigung gegeben sein kann.

2823 |        Mit dem Lichte jener großen Gnade leuchtet dann in der bedrängten Seele wieder das frohe Innewerden, ja das unmittelbare Erfassen der Hand Christi auf, die in allen Ereignissen unmittelbar, wenn auch verborgen, tätig war und in deren beglückende Nähe sich die Seele nun wiederfindet in ihrer freudigen, großherzigen Hingabe. An diesem Punkte angelangt hat wahrlich1173 jedes Opfer, jedes Leiden das Herbe verloren, mögen auch noch so viele mittelbare und verwickelte Umstände es veranlasst und damit die Verwirklichung der vollen Hingabe der Seele an Gott gefordert haben. Nun versteht die Seele dankbar die liebevolle, gleichsam „immer tätige“ und in allem unmittelbar mitwirkende Hand Gottes, die sich nie genug tun kann, um die arme Seele zur unmittelbaren Nähe und Vereinigung mit ihm zu führen und zu bringen.

2824 |        Nach jahrzehntelangen Wanderungen durch dunkle Seelenmächte kann ich nun auch unmittelbar die Hand Jesu verstehen und erfassen, der mir in meiner Jugend, am Anfange unserer bräutlichen Liebe, das so beseligende Versprechen gegeben und es auch wirklich wahr gemacht hat: „Ich selbst werde das Kreuz sein, an dem du gekreuzigt wirst – und Ich selbst werde deine Kreuzigung vornehmen“ – „du wirst meine Kreuzesbraut sein“ (am Fastnachtsmontag 1923 sagte er mir: „Ich will dich zu Meiner Kreuzesbraut machen. Ich will dich Meine Leiden verstehen lehren.)“ –

2825 |        Nun begreife ich, wie wörtlich der Herr schon bis jetzt wahr gemacht hat das Versprechen, das er mir damit gegeben, und das Ziel, das er sich damit, in meiner armen Seele, gesteckt hat: Es ist das eine große Ziel des Eingehens in ihn, in seinen Erlöserzustand; es ist das Erfahren seines Erlösungsgeheimnisses, seines gott-menschlichen Wesens; es ist ein gewisses Aufnehmen seiner Erlöserpersönlichkeit. Die Hinführung und Vorbereitung aber auf dieses Ziel ist die geheimnisvolle „Kreuzigung“ durch ihn und in ihm bisher schon gewesen.

2826 |        Dieses weit gesteckte Ziel konnte nämlich nur er allein in meiner Seele der Verwirklichung entgegenführen; denn es fehlte mir – und wohl jedem Menschen – schon die Einsicht, um eine solche (für das Ziel notwendige) geistig-persönliche Entäußerung verstehen, geschweige denn selbst vornehmen zu können.

2827 |        Weit1174 darüber hinaus geht aber noch der tiefste und eigentliche Sinn jener geheimnisvollen Versprechungen des Herrn, die sich mit der vollen Auswirkung meiner geistigen Aufgabe erst1175 voll bewahrheiten werden: Das Leben Christi, das ich nachleben und erleben werde – soweit er es gewährt und soweit es für die gottgewollte Aufgabe notwendig ist – das wird das Kreuz sein, an dem und durch das er selbst meine Kreuzigung vornehmen wird. Nun ist mir die geheimnisvolle Deutung seiner Absichten klar, ja, ich erfasse mich unmittelbar im Geheimnis Christi mit meiner Seele.1176

 

25.07.19441177

2828 |        Leiden und Verdemütigungen aller Art, welche die Seele ihre eigene Niedrigkeit und ihre Unvollkommenheiten einsehen lassen, sind der beste Schutz gegen Täuschungen in einem außergewöhnlichen Gnaden- und Innenleben. Sie werden auch auf der Spitze aller Übungen eine Quelle reichlichen Friedens und einer beständigen „Leidensseligkeit“.

2829 |        Der geistig-mystische Aufstieg der Seele hat (nach meiner Erfahrung) zwei Seiten oder zwei große Abschnitte: Der Erste ist jener des Umschauens und des (geistigen) Genießens des schon errungenen Aufstieges in Gott; es ist so ähnlich, wie wenn man beim Aufstieg auf einen hohen Berg die wunderbare Fernsicht genießt und sich dem wohltuenden Eindruck der Befreiungen von der Enge der Niederungen des gewöhnlichen Lebens hingibt. – Nach dem Genießen dieser Höhenwege kommt aber die Seele noch in eine höhere Region, die ich als „Vertiefung seiner selbst in Gott“ bezeichnen möchte. Es ist dies ein Überschreiten des „Genusslebens“ (das Wort „Genuss“ im edelsten, geistigen Sinne gemeint) mit Gott. Stattdessen schöpft man aber aus dem unerschöpflichen Reichtum, der auf psychologischem Gebiet darin liegt, dass die Seele die Vereinigung ihres Wesens oder ihrer Substanz mit Gott erlebt. Das mehr „peripherische“ Genießen seiner selbst in Gott vertieft sich, zieht sich auf das tiefste Wesen, auf den Mittelpunkt zurück: Die Seele erlebt sich in substanzieller Weise in Gott, und zwar in einer unbeschreiblichen Einfachheit. Im Bilde gesagt: Nachdem der Wanderer die ersehnte Bergspitze ganz erreicht und die Herrlichkeiten der Aussicht und der Umgebung genossen hat, baut er sich auf jener Höhe eine bleibende Stätte, richtet er den Bestand seines Lebens so ein, dass er dort oben bleiben kann.

2830 |        Ich trete ständig mehr in ein neues psychologisches „Geheimnis in mir selbst“ ein, nämlich in das Geheimnis „meiner Seele“ im substanziellen Bewusstwerden und Erleben ihrer selbst. Dies bedeutet eine „Umschaltung“ vom „verstandesmäßigen“ Bewusstseinsleben zum substanziellen und dies in Hinordnung auf meinen speziellen Geistesweg. Ich erfasse mich immer mehr und mehr in einem substanziellen Bewusstwerden meiner selbst. Mein gesamtes Innenleben bleibt dabei hingeordnet auf das Erleben der Psychologie Christi. Mein Innenleben ist nicht Selbstzweck, sondern dient als Vorbereitung und Hinordnung all meiner psychophysischen Kräfte auf das Erleben des psychologischen Geheimnisses des Gottmenschen.

 

26.07.19441178

2831 |        Jeder natürliche „Lebensgenuss“ ist mir genommen. Ich bin daher geistig – um es in einem Bilde zu sagen – wie jemand, der immer „steht“ und niemals „ruht“; auch wenn ich mich setze, „berührt“ mich gleichsam der Stuhl nicht, d. h., das Sitzen bietet mir nicht den „Genuss“ oder das spürbare Gefühl des „Ruhens“. – Ich leide aber nicht mehr unter dieser „Genusslosigkeit“ meines Lebens, sondern diese ist mir vielmehr schon eine tiefe geistige „Befriedigung“.

2832 |        So „nähere“ ich mich jenem Geisteszustand, von dem mir Jesus erklärt und versprochen hat: „Dein Gesamtleben muss das Gepräge des inneren Habitus annehmen; es darf bezüglich der moralischen Vollkommenheitshöhe keinen Unterschied mehr geben zwischen dem inneren Wollen und dem äußeren Tun und Ausführen, sondern es darf in dir nur noch eines sein: die Verschmelzung des inneren Geistes und Wollens und der äußeren Ausführung zu einer vollkommenen Tat“. Wie weit ich diesem Ziele nahegekommen bin, das kann gewiss nur der Heiland beurteilen, aber ich fühle mich diesem Ziele nahe. Die allmählich erworbene psychologische Kraft muss nach und nach das Gesamtleben durchdringen und wie zu „einem Geiste“ umgestalten, von dem das Gesamtleben in seiner sittlich-praktischen Auswirkung geformt und getragen wird.

2833 |        Damit wird mehr und mehr auf mein Seelenleben angewandt jenes Schauen und Durchleben der Heiligkeit Gottes in seinen Werken sowohl wie in seinem Wesen und in all seinen Eigenschaften (wie ich es am 14.7. erfahren und angedeutet habe): Was „im Geiste“ besteht und existiert, das muss zum „Leben und Tun“ werden und so zu einer allgemeinen Abrundung und Vollendung reifen. – Das liegt in der Absicht Gottes für jede Seele, die er in seinen göttlichen Liebeskreis hineinzieht. In besonderer Weise will er das in mir verwirklichen, weil in mir das zur Ausführung und zum „Leben“ kommen soll, was – als Ziel und Zweck der mir gegebenen besonderen Vereinigung mit ihm – in mir beabsichtigt und vorbereitet ist.

2834 |        In Gott besteht kein Unterschied zwischen der Vollkommenheit seines Seins und jener seines Wirkens; seine göttlichen taten und Werke tragen ganz den Geist und Stempel seines göttlich-vollkommenen Seins. Die Wirkung der Anwendung und geschöpflichen Nachbildung dieser Wahrheit in meiner Seele lässt sich in Worten nicht erklären. Um es wieder in einem Bilde anzudeuten: Es ist so ähnlich, wie wenn der „Blitz“ in einen Gegenstand fährt und ihn durchdringt, jedoch mit dem Unterschied, dass der Blitz den getroffenen Gegenstand zerstört, während der Geist Gottes mich erfasst und gleichsam erneuert und für das befähigt, was die Absicht Gottes bei diesem Erfassen ist. Allgemein gesagt gibt es eine viel höhere Art des Verkehrs mit dem Heiland, als es jene ist, die sich als „Ansprache“ im mystischen Leben vollzieht und die ich früher erfahren habe. Mit jenem1179 Gespräch wie zwischen „Ich“ und „du“ ist auch ein gewisses Innewerden Gottes verbunden. Als eine weit höhere Stufe des Verkehrs mit Gott erfahre ich aber ein „blitzartiges“ Verstehen Gottes (oder dessen, was Gott will), ein rein geistiges Durchleuchtet-Werden von ihm und seinem Licht. Ähnlich wie die Sonne immer leuchtet und belebend und befruchtend tätig ist, und zwar durch die bloße Eigenart ihres Daseins, ohne dass sie „sich bewegt“, so ist der Geist und das Leben Gottes1180 in mir wirksam ohne „Ansprache“. Er macht sich mir verständlich ohne „Ansprache“, indem er eben tätig ist und in mir tut, was er vorhat; und meine verfeinerte und vergeistigte Seele „versteht“ ohne Worte und „antwortet“, ohne selbst sprechen zu müssen. Gott teilt sich mit, und durch diese seine bloße Mitteilung und Gegenwart macht er mir kund und bringt er zugleich hervor das, was er in mir will.

2835 |        Als Vorbereitung auf die Gnade der „geistigen Mutterschaft“ (14.07.1944) hatte ich folgende Erkenntnisse: Der Mensch ist von Gott als Gemeinschaftswesen geschaffen1181; er ist nicht für sich allein da, sondern zur Mitteilung des Guten, was er hat und ist, an seine Mitmenschen. Schon im gewöhnlich-natürlichen Leben gibt es nichts Gutes in einem Menschen, woran nicht andere Mitmenschen irgendwie teilhätten. Auch das verborgenste Gute wird in irgendwelcher Weise zur Hilfe für Mitmenschen. – In einem viel höheren Sinn trifft das zu im „Reiche der Kinder Gottes“, d. h. im übernatürlichen Gnadenleben. Es gibt in der einzelnen Seele keine Gnade und keine Bevorzugung, die nicht irgendwie zum allgemeinen Heil der Gesamtkirche, bzw. zur Hilfe und zum Fortschritt anderer Seelen beitragen und dienen würde. Weil wir alles übernatürliche Gnadenleben durch und in Christus haben und weil Christus das Haupt der Menschheit und der Erlöser aller Menschen ist, deshalb wird das übernatürliche Gnadenleben im gewissen Sinne zum Gemeingut für alle, die in Christus und seiner Gnade leben. Christus hat aber das Recht, die von ihm erworbenen geistigen Güter der Gnade zu verteilen und zuzuwenden, wie es ihm beliebt, andere Seelen daran teilhaben zu lassen, wie es ihm gut scheint und wie es zum Nutzen seiner Kirche ist.

2836 |        Christus kann auch ganz nach seinem Belieben und nach seinen Absichten eine Seele ganz in besonderer stellvertretender Weise dem allgemeinen Wohle seiner Kirche zur Verfügung stellen, indem er diese Seele für ein besonderes geistiges Ziel befähigt, sie vor seinen Augen erhöht und eine besondere geistige Fruchtbarkeit erreichen lässt, und sie dann nach seiner Gerechtigkeit wiederum als einen „geistigen Schatz“ seiner Kirche zur Verfügung stellt. Alles Gute ist ja in ihm und durch ihn erworben worden und ist und bleibt daher im gewissen Sinne sein Eigentum, das er wiederum auch anderen Seelen zuwenden kann. Infolge seiner Einheit mit der Kirche und den Seelen gehört zudem alle Gnade in ihm in einem wahren Sinne auch allen anderen Seelen und wird gleichsam auch deren Eigentum.

2837 |        Auf diese Weise wurde mir durch den Heiland die Gnade der „Geistigen Mutterschaft“ (vom 14.7.) verständlich und annehmbar gemacht. – Weil sie mir vom Geiste Gottes in so einfacher und wie selbstverständlicher Weise erklärt und dargelegt wurde, wagte ich auch meinerseits in dieser Gesinnung der Einfachheit, auf die Annahme dieser Gnade einzugehen. Nur auf diese Weise konnte ich verstehen, dass und wie Christus einer Frauenseele eine so merkwürdige (selbstverständlich verborgene) Stelle in seiner Kirche zuweisen könne.

2838 |        In gleicher Weise und mit gleichem Rechte kann der Heiland eine bestimmte geistige Erneuerung (seiner Kirche) in einer Seele begründen, sie ihr beginnen und vorzeichnen, und er kann diese Seele dann als Opfer und Werkzeug seiner Absichten der Gesamtkirche übergeben und zur Verfügung stellen. – In diesem Sinne zeigte er sich mir als den Herrn aller Gnaden, als das Haupt der Kirche, in dem alle Gnade und Wahrheit ist, in dem alles Gute seinen Ursprung hat, von dem es ausgeht und weiterfließt zum allgemeinen Heil der Seelen. Es steht ganz bei Christus, in seiner göttlichen Allmacht eine Seele zum geistigen Heil der Allgemeinheit als Opfer und Werkzeug zu benützen, wenn und wie er will und es ihm gefällt.

 

26.07.19441182

2839 |        Heute habe ich – nach meiner inneren Erfahrung – einen umwälzenden inneren1183 Fortschritt gemacht, der mich sehr dem Idealzustand näher bringt: Immer mehr erfasse und erlebe ich mich in substanzieller Weise und gehe so immer mehr in das Geheimnis meines geistigen Berufes ein. Es ist so ähnlich, wie wenn man eine Leiter besteigt: je höher man steigt, desto mehr kann man mit einem Blick die Umgebung überschauen.

 

27.07.1944

2840 |        Welche Armut und geistige Erniedrigung in mir! Was ich in mir besitze und aus mir selbst bin und verlange, das ist einzig „Erniedrigung und Bereitschaft zum Leiden“.

 

28.07.1944

2841 |        Heute erlebte ich ein Durchdringen der folgenden Wahrheiten und ihren Bezug auf das Geheimnis der Menschwerdung:

2842 |        „Gott ist ein Geist, auch in der 'Abgrenzung' der drei göttlichen Personen voneinander. Dieser Geist Gottes hat sich als zweite göttliche Person 'formell' seiner Menschheit angepasst (in dem er die Form des Menschen annahm), blieb aber seinem Wesen nach das, was er war, d. h. blieb Gott mit aller göttlich-wesentlichen Eigenart.“

2843 |        Wir Menschen können uns ein rein geistiges Wesen, sei es Gott oder die Engel, nicht anders vorstellen als nach Art unserer an das Materielle gebundene Existenz;1184 wir können ein geistiges Wesen nicht anders erfassen als in der Form einer Eingliederung desselben in eine materielle Gestalt. – Unsere Seele ist wohl Geist, – wie Gott Geist ist –, aber sie ist zugleich so sehr dem Leibe eingegliedert, dass wir ihr eigenes Wesen nicht unmittelbar erfassen können. Obwohl die Seele das wichtigste und auch „das erste Element“ im Menschen ist, das sich dem materiellen Leibe anpasst und eingliedert, müssen wir Menschen doch vom „Materiellen“ ausgehen, um von da auf den Begriff „Seele“ übergehen und schließen zu können. Wir brauchen die Tätigkeit der Sinne, um schließlich zum Erfassen der Geistigkeit der Seele vorzudringen, und doch sind die Sinne nur ein Werkzeug der Betätigung der Seele. Im Grunde ist es in erste Linie die Seele, die (durch die Sinne) tätig ist und die Betätigung der Sinne zu ihren Zwecken heranzieht. Alles, was wir in unserem Dasein „Leben“ nennen, geht auf das Vorhandensein und die Tätigkeit unserer Seele zurück, und die Seele ist es auch, deren Tätigkeit den menschlichen Körper „lebendig“ macht.

2844 |        Wollten (und könnten) wir eine Seele vom Leibe trennen und sie in ihrer Geistigkeit untersuchen, so würden wir finden, dass sie in ihrer Einfachheit und als Geist artfremd ist gegenüber dem materiellen, zusammengesetzten und ausgedehnten Leib. Und doch: Die Vielheit der Fähigkeiten der einfachen Seele und die Möglichkeit der „Aufteilung“ dieser Fähigkeiten und ihrer verschiedenen Betätigungsformen bringt jenes Wunderwerk hervor, das wir als „normales Menschenleben“ kennen. – Die vielfache Betätigungsart der einfachen und unteilbaren Seele gliedert und fügt sich ein in die Bedürfnisse des Leibes, in die Erfordernisse seiner Sinne und in die mannigfaltige Dienstbarkeit des Leibes gegenüber der Seele. Dabei ist nicht bloß an die bekannten „fünf Sinne“ zu denken, sondern an die vielfältigen Empfindungsfähigkeiten des Leibes, die von der Seele – also von einem vorhandenen geistigen Lebensprinzip – „belebt“ werden.

2845 |        Das „Leben“ des Menschen wird also Wirklichkeit durch die Einheit in einer Vielheit, die sich verteilt auf die verschiedenen, entsprechenden Aufnahmezellen, durch die jede der einzelnen, vielfältigen Fähigkeiten der Seele gleichsam eine „Ergänzung“ und ein Ausdrucksmittel erhält. Unsere Seele ist also unter dieser Rücksicht ein „Aufnahmeprinzip“, das zunächst nicht für eine „Allein-Existenz“ angelegt ist, sondern für die Verwertung einer „Dienstbarkeit“, die ihr als Ergänzung dient; dementsprechend vollzieht sich auch ihre Eingliederung in den ihr dienstbaren Körper.

2846 |        Der Mensch kann aber dem geistigen Wesen seiner Seele nur nahekommen durch die Unsumme und Allgemeinheit ihrer Betätigungen im Leibe. Die Seele hat nämlich die Kraft und Eigenheit, ständig Körperliches, Materielles in „Geistiges“ (d. h. für den Geist Bereitetes, Geeignetes und Brauchbares) umzuwandeln und zu einem Ausgangspunkt für die eigentliche geistige Betätigung zu machen. So erfassen und erleben wir das Materielle in einer „geistigen“ (d. h. für den Geist verwertbaren) Form, obwohl dieses Erfassen und Erleben von einer physischen Grundlage ausgeht und mit physischen Behelfsmitteln hervorgebracht wird. – In diesem Sinne vollzieht sich also eine ständige Umwandlung im Menschen und nur durch diese Umwandlung erfahren wir für gewöhnlich unsere Seele. Dabei wird uns der Akt dieser Umwandlung selbst nicht bewusst (– Er vollzieht sich als unbewusster Vorgang), sondern nur das Ergebnis dieser Umwandlung: der Eindruck auf unseren Geist, wodurch wir uns erleben. Darin liegt der Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tiere, das im Übrigen ein ähnliches leibliches Dasein führt wie der Mensch. Im geistig bewussten Menschen gewinnt aber das Geistige die Oberhand im bewussten Erfahren und „Genießen“, während das Tier zwar ein ähnliches materielles Dasein und ähnliche Bedürfnisse hat wie der Mensch, aber nicht von einem Geiste beseelt ist und deshalb nicht zu einem geistig bewussten Erleben kommt, sondern von einem „blinden“ Instinkt geleitet wird.

2847 |        Wenn wir nun in ähnlicher Weise die drei Wesensbestandteile im Gottmenschen (Gottheit, Leib und Seele) analysierend „Aufteilen“, so steht in jeder Hinsicht an erster Stelle das Gott-sein, und entsprechend diesem Gott-sein formte das ewige Wort sich sein menschliches Leben. Die Gottheit „gliederte“ sich mittels der Seele auch in die physische, menschliche Natur ein, bewahrte aber immer in sich die Eigenart ihres Gott-Seins auch in diesem menschlichen Leben.

2848 |        In einem wie blitzartigen Erkennen erfasste ich dieses Geheimnis in Christus: In ihm kam das Göttliche zu einer menschlichen „Formung“ und Gestalt, zu einer Eingliederung in seine Menschheit (d. h., in seine Seele und durch die Seele auch in den beseelten Leib), wobei seine göttlichen Eigenschaften und seine göttliche Eigenart von der Seele aufgenommen und in einer „normalen“ Weise von der seiner Seele dienstbaren physischen Natur „gelebt“, d. h., mit anderen Worten, in die psycho-physische Betätigung aufgenommen wurden. – Im physischen Dasein Christi kam also die Gottheit des Wortes zu einer sichtbaren „Formung und Gestaltgewinnung“, gleichsam zu einer „Formulierung“, und zwar in Anpassung an die Grundlage und die Bedürfnisse und Erfordernisse eines menschlichen Lebensprinzips. Gott passte sich dem „menschlichen Leben“ an und nahm es – in Wahrung der Eigenart1185 seiner Gottheit – so in Anspruch, dass nach außen sich ein „normaler Mensch“ mit allen Wesenselementen eines wahren Menschen zeigte, jedoch mit der wesentlichen Grundlage und unverlierbaren sittlichen Vollkommenheit und Eigenart der Gottheit der zweiten göttlichen Person.

2849 |        Die zweite göttliche Person hat also – um es in zwei vielsagenden Worten zusammenzufassen – die menschliche Natur angenommenen und mit ihr gelebt. Dieses Annehmen und Leben setzte aber voraus und erforderte den normalen „Umsatz“ zwischen dem Geistigen und dem Physischen, der sich im Menschen vollzieht, wobei das eine Element zur Tragkraft, zum Behelf und zur „Ergänzung“ des anderen dient.

2850 |        Bei der göttlichen, unveränderlichen Person Christi selbst kann man nicht von einer eigentlichen „Ergänzung“ sprechen, weil ihr Wesen weder einer Ergänzung bedurfte, noch einer solchen fähig war. Um aber Mensch zu sein, brauchte die zweite göttliche Person doch in einem bestimmten Sinne eine „Ergänzung“ durch die menschliche Natur, insofern nämlich diese notwendig war, damit das göttliche Sein ein wahres menschliches Leben und Dasein leben könnte. Und um diese „Ergänzung“ (für die göttliche Person) zu werden, musste die Seele Jesu, und die ihr dienende physische Natur zum unmittelbaren Werkzeug für die göttliche Person werden. Damit musste sich aber die göttliche Person herablassen zu jener „feinen Durchlebung“, die im gewöhnlichen Leben der menschlichen „Personkraft“ zukommt, weil ja die „Person“ im Ablauf des menschlichen Lebensbetriebes die Aufgabe und Rolle des „selbstigen Lebensantriebes“ und einer gewissen „Abgrenzung“ hat. Auch die göttliche Person musste sich in ihrem menschlichen Leben zu diesem Lebensbetrieb herablassen und musste von diesem aufgenommen und in Anspruch genommen werden können.

2851 |        Wie war aber dies möglich bei einer Artverschiedenheit zwischen Gottheit und Menschheit? Wie konnte zwischen Gottheit und Menschheit ein so inniges Wechselverhältnis hergestellt werden, wie es zum gottmenschlichen1186 „Leben“ vorausgesetzt und erfordert war? – Wie konnte der große Unterschied zwischen Gottheit und Menschheit überbrückt und gleichsam ausgeschaltet werden? – Wie oben schon angedeutet, vollzieht sich ein ähnliches Geheimnis auch im gewöhnlichen Menschenleben, näm­lich im Zusammenwirken der einfachen, geistigen Seele mit der materiellen Masse des Leibes zu einem harmonischen „Leben“. Dies wird erreicht dadurch, dass die verschiedenen Fähigkeiten der einfachen, geistigen Seele „aufgeteilt“ werden auf die verschiedenen Formen der psycho-physischen Lebensbetätigungen. – In ähnlicher Weise kam es im Geheimnis der Menschwerdung – selbstverständlich nicht zu einer Aufteilung des göttlichen Wesens, das eine göttlich-wesentliche Einheit ist – aber es kam zu einer gewissen „Aufteilung“ der göttlich-wesentlichen Eigenschaften und Eigenheiten insofern, als diese in sich unzertrennlichen göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten in entsprechender menschlicher Form und Gestalt1187 zur Darstellung und zum Ausdruck gebracht, in menschlicher Form und Gestalt gekleidet, sichtbar und gleichsam greifbar und fassbar1188 gemacht und gleichsam „aufgeteilt“ und – mit einem Worte gesagt – menschlich „formuliert“ wurden. – Gottes Wesen ist Einfachheit in der Überfülle seiner göttlich-wesentlichen Betätigungsfähigkeiten nach außen und in all seinen göttlich wesentlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten. Diese göttliche Einfachheit in der Vielheit ihrer Vollkommenheiten ließ sich herab zu den vielfachen Betätigungsarten einer Seele und „belebte“ diese als Person. Damit kam das göttlich-einfache Wesen zu einer gewissen menschlichen Ausbreitung, Eingliederung, Darstellung, Formulierung ihrer göttlichen Vollkommenheiten und Betätigungen; diese verbanden sich zu einer Einheit im menschlichen Leben Christi, nicht zu einer Verschmelzung, sondern in einem gegenseitigen Dienstbarkeitsverhältnis zu dem Zwecke, um ein Ganzes zu bilden und darzustellen.

2852 |        Die menschliche Seele trägt in ihrer substanziellen Anlage die Fähigkeit, eine sie dirigierende Kraft (nämlich die Kraft der „Person“) aufzunehmen, und durch die Regentschaft dieser Kraft wird sie erst etwas Ganzes und in sich Abgeschlossenes. In der Seele Jesu übernahm nun die göttliche Person vom Augenblick der Menschwerdung an diese allerhöchste Regentschaft.

2853 |        Außer dieser höchsten Anlage (die leitende Kraft der „Person“ aufzunehmen) trägt die Menschenseele noch viele andere Anlagen in sich, die sie fähig machen, entsprechend der Entwicklung der „Person“ (im gewöhnlichen Menschenleben) ein normales Menschenleben zur Verwirklichung und zum Ausdruck zu bringen. Es sind dies ihre substanziellen Anlagen als Grundlagen ihrer Existenz, die aber für gewöhnlich erst mit der sich entwickelnden Sinnestätigkeit zum entsprechenden Ausdruck und zu ihrer „normalen“ Betätigung kommen.

2854 |        Zu einem normalen Menschenleben braucht es nun vor allem ein sofortiges „Zusammenarbeiten“ zwischen der aufstrebenden und sich erhebenden Person und zwischen den ihr dienstbaren Anlagen der Seele. Es beginnt ein gewisses Schritthalten zwischen den höheren und niederen Anlagen und ihrer Entwicklung, und es vollzieht sich eine gewisse Angleichung und Abrundung von Kräften, die alle als letzte Bestimmung haben: „Dieses Menschenleben zu formen“ und es zum Ausdruck zu bringen. – In Christus wurden alle substanziellen Anlagen der Seele sogleich der Eigenart und Vollkommenheit der göttlichen Person angepasst, und zwar wie als „Naturzustand“. Sowohl die Anlagen, welche die von der Person ausgehenden Einflüsse aufnahmen und weitergaben und verwerteten, wie auch jene Anlagen, die zur Aufnahme und Weitergabe der von außen, – durch die Sinne –, kommenden Eindrücke bestimmt waren, wurden in allem, was das sittliche Gebiet betraf, ganz von der göttlich-wesentlichen Eigenart und Vollkommenheit beherrscht.

2855 |        Der Mensch als veränderliches und gefallenes Wesen ist in seinem persönlichen Urteil über die von innen oder außen kommenden Anregungen und Einflüsse und in seiner Stellungnahme dazu wankend und veränderlich. In Christus aber war alles auf ein göttliches Urteil gestellt und gegründet. Auch als Mensch „wusste er alles, was er wissen wollte“ d. h., was er von seiner göttlichen Allwissenheit auf sein menschliches Wissen übergehen, und sich darauf auswirken lassen wollte. – Beim gewöhnlichen Menschen gehen die von der Person kommenden Anregungen und Einflüsse weiter auf dem Wege verstandesmäßiger Betätigung und werden dabei vielfach beeinflusst, geändert, bestimmt, sei es durch mangelhafte Anlagen, sei es durch vererbte Leidenschaften. So unterliegt die menschliche Person in der Ausübung ihrer Herrschaft über die verschiedenen, ihr unterstehenden Anlagen leicht einer beständigen Veränderung; sie wird mitbeeinflusst von untergeordneten, sekundären Anlagen, vorausgesetzt, dass ihre Herrschaft als solche auf das sittlich Gute eingestellt und nicht schon vom Grund aus verkehrt und verdorben ist. Desgleichen unterliegen die Vorfälle, die von außen durch die Sinne an die Person herangetragen werden, vielfacher Beeinflussungs- und Veränderungsmöglichkeit in dem, was die Stellungnahme dazu und die Verwertung desselben auf sittlichem Gebiete betrifft. – In Christus aber waren alle Anlagen und Fähigkeiten seiner Seele, soweit das sittliche Gebiet irgendwie mitsprach, von seinen göttlich-vollkommenen Eigenschaften „belegt“ und beherrscht; es gab in ihm darum keine sittliche Veränderungsmöglichkeit, sondern es herrschte in ihm die göttlich-wesentliche Vollkommenheit sowohl in dem, was von der Person ausging, wie in dem, was von außen aufgenommen wurde, bzw. in der Art, wie es aufgenommen wurde.

2856 |        Alle substanziellen Anlagen, die als Grundlage zur Existenz einer Seele, bzw. eines Menschenlebens notwendig sind, wurden bei der Menschwerdung sofort von der göttlichen Person erfasst und entsprechend ihrer göttlichen Eigenart und Vollkommenheit „in Beschlag genommen“ und damit – was ihre Auswirkung auf das sittliche Gebiet betrifft – zu einer göttlich-vollkommenen Handlungsweise erhöht. In Christus waren alle psycho-physischen Bedürfnisse eines „Menschenlebens“ in allem, was die sittliche Auswirkung und Rücksicht betraf, von göttlichen Vollkommenheiten getragen, für welche wiederum die Seele das unmittelbare Werkzeug war.

2857 |        Die Eigenart der Annahme der menschlichen Natur durch die göttliche Person wurde mir wie mit einem Satze folgendermaßen erklärt: Das göttliche Wesen der Person Christi hat sich im Menschen Christus in ihren göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten „formuliert“ und eingegliedert und aufgeteilt. Das ewige Wort mit seinen göttlichen Vollkommenheiten hat sich durch menschliche Anlagen zum Ausdruck gebracht und hat seine göttlichen Vollkommenheiten mittels dieser Anlagen vor dem Vater und vor den Menschen gelebt. – Es ist ein unerschöpflich tiefes Wort: „Das Wesen Gottes kam im Gott-Menschen zur menschlichen 'Formulierung' oder zum Ausdruck in menschlich gelebter Weise“. – (Aber wiederum kann man nur „tote“ Worte zur Wiedergabe des Erlebten gebrauchen, während der Geist dieser Erklärungen unerschöpflich ist).

 

29.07.1944

2858 |        Ich habe die Anregung, die folgenden einfachen Erkenntnisse und Zusicherungen Jesu in seiner Güte zu den Seelen niederzuschreiben:

2859 |        Gott macht es bei seiner Arbeit in den Seelen wie ein Baumeister. Dieser entwirft sich zuerst einen Plan, ein Projekt von dem zu errichtenden Bau, sei es ein großes oder ein kleines Haus oder ein Palast. Jeder Bau aber soll seinen besonderen Zweck dienen und die diesem Zwecke entsprechende Inneneinrichtung haben. Der Zweck des Baues bestimmt schon die äußere Form des Hauses, macht sich aber vor allem in der Inneneinrichtung geltend. – Ähnlich macht es der liebende Heiland. Auch er hat bei seinem gesamten Wirken in einer Seele ein bestimmtes Ziel und geht vom Anfang bis zum Ende nach einem bestimmten, auf dieses Ziel hingeordneten Plan vor. Schon die Grundlage und der Ausgangspunkt des ganzen Planes, der in ständigem Fortschreiten zum Ziele hinführen soll, ist bei jeder einzelnen Seele verschieden und richtet sich nach dem Zweck, der in der Seele erreicht werden soll. Auch der geistige Umfang, die Ausdehnung und Festigkeit der „Mauern“ in diesem geistigen Aufbau in der Seele werden nach dem Ziel bemessen, das dieser Seele gesteckt ist, d. h., nach den Aufgaben, die sie zu erfüllen hat. Das Geheimnis liegt – so erkenne ich es im Geiste – in den praktischen Anforderungen, denen die einzelne Seele in ihrem Leben wird standhalten müssen, in den sittlichen Kraftleistungen, die von ihr werden verlangt werden.

2860 |        So gibt es also verschiedene Grade der Vollkommenheit, die den verschiedenen Seelen als Ziel gesteckt sind, entsprechend ihrem Stande und Berufe und entsprechend den Absichten, die Gott mit jeder Seele hat. Und es könnte sein, dass ein bestimmter Grad der Vollkommenheit und Heiligkeit einer Seele in ihrem bestimmten Lebenskreise nicht genügen würde, für eine andere Seele, an die, ihrem Zweck und Ziel gemäß, andere Anforderungen gestellt werden. So würde z. B. die Vollkommenheitsanlage eines Dienstmädchens nicht ausreichen für die geistigen Anforderungen, die an eine Ordensfrau gestellt werden, auch wenn das Dienstmädchen in ihrem Stande vollkommen wäre. Ebenso würde die geistige Fundamentierung eines Ordensbruders nicht ausreichen für die seelischen Anforderungen, die etwa an einem Ordensstifter gestellt werden, auch wenn der Ordensbruder die Aufgaben und Pflichten seines Standes vollkommen erfüllt. Der „Vollkommenheitsrahmen“ für jede Seele schließt eben vor allem den Zweck und die Absicht in sich, die Gott mit jeder Seele hat. So kann tatsächlich eine Seele eine ganz hohe Vollkommenheit und sogar Heiligkeit erreichen, die aber doch für einen anderen Zweck und eine andere von Gott gegebene Aufgabe nicht kraftvoll und umfassend genug wäre; was für eine Seele in einem bestimmten Stande genug ist, das wäre für eine andere Seele in einem anderen Stande zu wenig, auch wenn beide Seelen, jede in ihrem Lebenskreis, ihrem Stande gemäß vollkommen und heilig wären. So kann z. B. eine Familienmutter in ihrem Stande eine abgerundete und vollendete Tugendhaftigkeit erreichen und in der, ihrem Stande entsprechenden Vollkommenheit vor Gott ebenso wohlgefällig sein und ebenso gehört und erhört werden von Gott wie z. B. ein Bischof.

2861 |        Ich schaue innerlich: In seinem Gnadenreiche hört und erhört Gott jeden, den „Kleinen“ und den „Großen“, denn er kommt jeder Seele in dieser Seele entsprechenden Weise entgegen. Er lässt sich zu allem herab, die zu ihm rufen und er hilft ihnen nach der Art ihrer Hilfsbedürftigkeit.

 

30.07.1944

2862 |        Der Heiland macht es mit mir gleichsam wie ein Töpfer, wenn er einen neuen Topf fertigen will. Dieser formt den Topf; die Form scheint ihm richtig zu sein, aber das dazu verwendete Material scheint ihm noch nicht die richtige Festigkeit und zugleich Geschmeidigkeit zu haben. So schlägt er den Topf wieder zusammen und knetet die Tonmasse nochmals um und formt dann neuerdings den Topf. Weil aber die Masse immer noch nicht ganz seinen Wünschen entspricht, schlägt er den Topf neuerdings zusammen und wiederholt das Verfahren, bis die Tonmasse die gewünschten Eigenschaften hat. – So ähnlich erhebt mich der Heiland innerlich1189 immer wieder auf die von ihm geplante „Idealspitze“, aber weil meine Seele dabei noch nicht ganz die dazu erforderliche Gefügigkeit und zugleich Festigkeit besitzt, so „zerschlägt“ er scheinbar wieder jenes „Idealbild“ in mir und fängt wiederum an meine Seele mit mancherlei Leiden und Bedrängnissen zu bearbeiten, um dann neuerdings in der so bearbeiteten und umgewandelten Seele das von ihm gedachte Ideal zu formen. So vollzieht sich ein ständiges Wiederholen und Formen und probieren des Idealzustandes in mir, gefolgt gleichsam von einem neuen „Zerschlagen“ und „Einstürzen“. Ich fühle mich dann wirklich so wie ein zerschlagenes Gefäß, das in Scherben in einer Ecke liegt, erbärmlich und vernichtet; und ich bin mir meiner Niedrigkeit und Zerschlagenheit voll bewusst. – Bis er das elende, zerbrochene Gefäß wieder in seine göttliche Künstlerhand nimmt, die „Masse“ meiner Seele wieder zu begießen und zu bearbeiten, und zu formen beginnt, und gleichsam einen neuen Versuch macht, ob die umgewandelte Masse genügend widerstandsfähig und zugleich geschmeidig und fein geworden ist, um jenes Gefäß daraus zu formen, das seinen Absichten entspricht und das den von ihm gewollten Zwecken dienen kann.

2863 |        Wenn die tote Tonmasse „fühlen“ könnte, so würde sie aber auch das Schmerzhafte dieser Bearbeitung durch die Hand des Töpfers erleben und erleiden – ähnlich wie ich diesen beständig sich wiederholenden Umformungsprozess durch die Hand des Herrn in meiner Seele schmerzlich erlebe und erleide. Aber schließlich – und darauf allein kommt es an – wird dem Heiland sein Werk gelingen, wenn er in meiner Seele die richtige Brauchbarkeit erarbeitet und erreicht hat. –

2864 |        Heute bin ich wieder wie1190 so ein „zerschlagenes Gefäß“, an dem der Heiland „arbeitet“.

 

31.07.1944

2865 |        Ich hatte die Anregung, Folgendes zu bemerken:

Das Erleben des Gottmenschen vollzog sich bisher in mir in vielen Einzelerlebnissen, die aber „wie in einem einheitlichen Rahmen“ zusammengehören. Schon in den ersten Aufzeichnungen des Jahres 1940 ist der Anfang beschrieben; und diese Erlebnisse haben sich dann bis heute immer mehr vertieft und gesteigert. So wie konzentrische Kreise, oder wie die Windungen einer fortlaufenden Spirale alle den gleichen Mittelpunkt haben und wie die Spirale nur aus einer einzigen Metallwelle besteht, so ähnlich vollzieht das Erleben Christi in mir. Deshalb kann man nicht einen Teil davon herausnehmen, um ihn, losgelöst vom Übrigen und vom Ganzen, zu betrachten, sondern alle Einzelerlebnisse bilden ein zusammengehöriges Ganzes, das zudem eng mit der Eigenart meines Innenlebens verwoben ist. Um die Teilerlebnisse zu verstehen, muss man sie daher im Zusammenhang mit dem Vorhergehenden, (was früher geschrieben wurde) und mit dem Ganzen betrachten; so wird das Bild sich immer mehr vervollständigen.

2866 |        Ferner ist dies zu bedenken: Es ist nicht möglich, immer in Worten die feinen Verbindungslinien auszudrücken, die zwischen den einzelnen Erlebnissen bestehen und die ich fein vergeistigt erlebte. – Immer aber blieb die Eigenart meines Innenlebens auf das Ziel des vollen Erlebens der Psychologie Christi hingerichtet, und zugleich war auch das bisherige teilweise1191 Erleben dieser Psychologie in die Besonderheit der Entwicklung meines Innenlebens eingebaut.

2867 |        Heute hatte ich im Sterbezimmer des hl. Ignatius (bei der Kirche AL GESU) ein geistiges, übernatürliches Wissen über den „geraden Weg des hl. Ignatius zu Gott“, über seine geistige Losschälung von den irdischen Gütern und Dingen und vor allem über seine geradezu „radikale und gewaltsame“ Losschälung von sich selbst. Er ging mit Gewalt gegen sich an und überwand das eigene Mitgefühl mit sich selbst, um ganz und in allem „Gott zu gewinnen“. Die Grundlage seines Strebens war ein tiefer, lebendiger Glaube, (dessen Grundgedanke1192 man in etwa so ausdrücken könnte: Wenn Gott der ist, der uns der Glaube und die Wahrheit zeigt, dann darf nur noch das zählen, was zu seiner größeren Ehre ist).

2868 |        Diese konsequente und rasche Lostrennung von allen Hindernissen im Streben nach dem höchsten Gut machten seinen geistigen Weg zu Gott „so gerade und kurz“. Der hl. Ignatius hat in verhältnismäßig kurzer Zeit und auf einer kurzen, geraden Wegstrecke „das“ erreicht, wozu man für gewöhnlich einen viel längeren geistigen Zeitraum braucht. Seine Hingabe an Gott war „total“ und diese vollkommene geistige „Totalität“ hatte zur Folge eine wunderbare gnadenvolle Erwiderung Gottes ihm gegenüber. Die herrliche Großmut des hl. Ignatius gegenüber Gott in allem verhalf ihm dazu, dass auch „Gott sich von ihm in so hoher und außergewöhnlicher Weise finden und erfahren ließ“. –

2869 |        Das charakteristische Geheimnis im Leben des hl. Ignatius ist also dies: Totale, restlose und vorbehaltslose Hingabe und Großmut Gott gegenüber, die von Gott (der sich bekanntlich an Großmut nie übertreffen lässt) in so wunderbarer Weise „erwidert“ wurde.

 

August

02.08.1944

2870 |        Ach Herr – wie schwer!

 

03.08.1944

2871 |        Vorbemerkung: Wenn manches Geschriebene vielleicht anderen als „Wiederholung“ erscheinen mag, so ist es doch für mich tatsächlich keine Wiederholung, sondern „neues Erleben“ und etwas „nie Gehörtes“ über das Wunder der Menschwerdung Christi. Und wenn ich vielleicht immer nur mit demselben Satze ausdrücken kann: „Christus nahm die Menschheit“ an, so weiß und begreife ich doch bei diesem Satze mit immer neuer Tiefe, „wie, und unter welchen Umständen“ Gott die Menschheit annahm. Was wir für gewöhnlich nur aus dem Glauben wissen, das wird für mich zu einer lebendigen und erlebten Tatsache, zu einer Tatsache, die mich durchdringt und die mich das „Wie“ dieses Wunders der göttlichen Herablassung verstehen lässt.

2872 |        Gerade über die Art der heutigen Erkenntnisse oder vielmehr Erlebnisse muss ich erklären: Ich war selbst mit meinem ganzen sein miterlebend in jene Vorgänge im Werden des menschlichen Lebens Christi hineingezogen. Es sind darum für mich keine bloßen Worte (die ich nachstehend niederschreibe), sondern das mit den armen menschlichen Worten Ausgedrückte1193 und Angedeutete war für mich im Erleben „lebendig“. Aber gerade diese „Lebendigkeit“ lässt sich in Worten nicht wiedergeben und ich muss eben die Worte gebrauchen, die mir gegeben werden, um das Erlebte irgendwie zum Ausdruck zu bringen.1194

2873 |        Ganz unvermutet und plötzlich wurde ich heute Abend weitergeführt im Erleben der Psychologie Christi.

2874 |        Die göttliche Person musste sich der gesamten Sinnestätigkeit der menschlichen Natur einfügen und anpassen, wodurch die substanziellen Anlagen der Seele Jesu zum Gebrauch und zur Anwendung kamen.

2875 |        In diesem Satz ist kurz eine weitere Erklärung des letzthin beschriebenen Geheimnisses zusammengefasst: Die göttliche Person formte sich ihre Menschheit entsprechend der Eigenart ihres göttlichen Wesens. Es sind weitere Erklärungen, die betreffen: „Die Übertragung des göttlichen Wesens der Person; dessen menschliche 'Formulierung'; das tiefe Eingehen der göttlichen Person in das ganze 'Menschsein' Christi; das Aufnehmen des menschlichen 'Umsatzes der Kräfte' durch die göttliche Person; das 'Beleben' der sinnesfähigen und gefühlsfähigen1195 menschlichen Natur durch die von der göttlichen Person geleiteten Seele – und alles dies entsprechend der unveränderlichen Eigenart und Vollkommenheitshöhe der göttlichen Person und ihrer göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten.“

2876 |        Unter „Sinnestätigkeit“ oder „Sinnesleben“ ist hier gemeint die allgemeine „Gefühligkeit“ im menschlichen Leib, die zwar in erster Linie durch die Tätigkeit der Seele hervorgebracht wird, die aber ihre notwendige Ergänzung und ihr Ausdrucksmittel hat im Leibe selbst, bzw. in dessen entsprechenden, ungezählten Zellen. Durch dieses „Sinnenleben“ erfährt und erlebt der Mensch zunächst seine Existenz und wird er „Herr“ über diese seine Existenz.1196

2877 |        Im gewöhnlichen Menschenleben bildet und erhebt sich die Sinnestätigkeit langsam, gleichzeitig mit der sich allmählich erhebenden und entwickelnden „Person“. Es handelt sich dabei aber zunächst noch um ein „dunkles Empfinden“, d. h., es ist einerseits schon ein wahres Empfinden, das die Person in ihrer Entwicklung irgendwie „erlebt und wahrnimmt“, aber es ist noch „dunkel“, insofern noch das Bewusstwerden desselben als einer eigen-persönlichen Empfindung fehlt. Man könnte dieses „Empfinden“, das sich vor dem Bewusstwerden der Person im Rahmen der menschlichen Existenz abspielt, darum ein „unpersönliches Erleben“ nennen.

2878 |        Die göttliche Person als ewig-göttliches bewusstes Wesen übernahm sofort mit der Menschwerdung im Mutterschoß Mariens die wesentlichen oder substanziellen Anlagen der Seele, welche die erste Vorbedingung oder Voraussetzung sind für das Empfindungsleben. Weil aber – wie früher schon ausgeführt – zu einem wahren menschlichen Empfindungsleben auch ein physisches Element notwendig ist, muss zum Vorhandensein der geistig-substanziellen „Gefühlsanlage“ der Seele noch das Mitwirken der physischen Natur und ihrer Stoff- und Nervenzellen hinzukommen; diese erfassen die Auswirkung der substanziellen seelischen Anlage des Fühlens, und erst durch dieses Zusammenwirken des Seelischen und Physischen kommt es zu jener feinen Lebenskraft, deren Produkt oder Ergebnis „das gefühlte Objekt“ ist. Die substanzielle Anlage setzt sich selbst in Tätigkeit und zieht die dienstbaren, physischen Hilfskräfte heran.

2879 |        Das „Gefühlsleben“ des Menschen umfasst – wie früher beschrieben – den ganzen Komplex des menschlichen Daseins, ja es bildet einen Hauptbestandteil des Menschenlebens überhaupt, denn durch das Gefühlsleben wird das Gesamtleben des Menschen angeregt und voll in Tätigkeit gesetzt. Durch die Aktivierung ihrer Gefühlsanlage verschafft sich die Seele den „Stoff“ zu ihrer eigenen weiteren Entwicklung und Entfaltung. Alles, auch das Kleinste, was sich im beginnenden Leben vollzieht und durch die Gefühlsanlage gefühlt, und insofern „wahrgenommen“ wird, hat irgendeine Rückwirkung auf die höchste seelische, gleichfalls in Entwicklung befindliche Anlage der „Person“, trägt damit irgendwie zu deren Formung bei und baut sich damit in deren Eigenart ein. Alle „Empfindungen“, seien sie wohltuend oder schmerzlich, üben irgendeine Wirkung auf die Personanlage aus. Obwohl sie nämlich noch nicht „bewusst“ sind, so sind es doch „gelebte“ Empfindungen eines lebenden Wesens. Es ist aber ein Naturgesetz des „Lebens“, das sich im gröberen Tier- und Pflanzenleben zeigt: Nichts „Gelebtes“, d. h. nichts, was sich im Kreis des Lebens vollzieht, „geht verloren“ oder bleibt ohne Wirkung für jene Gesamtheit und Einheit, die wir „Leben“ nennen.

2880 |        Diese noch „dunkle“, aber tatsächliche Einwirkung der Empfindungen auf die Personanlage hat zur Folge, dass nicht nur die Anlage des Empfindens infolge ihrer1197 Betätigung und Übung1198 immer mehr ausgebaut wird, sondern auch, dass infolge der zwischen den einzelnen Kräften bestehenden Wechselbeziehung das ganze beginnende Leben immer mehr angeregt wird. Weil jede Empfindung etwas „Lebendiges“, eine Wirkung des „Lebens“ ist, drängt sie auch1199 – gemäß dem allem „Lebendigen“ innewohnenden Naturgesetz – zu weiterem Empfinden oder Verwerten dieses Empfindens.

2881 |        Die zunächst geistige Anlage der Seele kommt aber zum wirklichen Empfinden nur mittels des sich allmählich erhebenden „Sinnenlebens“, mittels der sich aufbauenden körperlichen Empfindungszellen, die von der Seele, als vom eigentlichen Wesenselement des Lebens oder vom „Lebensprinzip“ durchdrungen und belebt werden. Schon im allerersten Anfang eines Menschenlebens erfasst die geistige „Kraft“ der Seele das ihrem Leben zur Verfügung stehende und als Ergänzung dienende „Mittel zum Leben“ in seinem ganzen Umfang. – Dieser allgemeine Ausdruck „Mittel des Lebens“ wurde mir innerlich gegeben und will zurückhaltend das andeuten, was infolge der menschlichen Fruchtbarkeit im Mutterschoß der Seele geboten wird. – Der Umfang dieses „Mittels“ erstreckt sich nach dem Willen und Gesetz des Schöpfers auf alles das, was für das tatsächliche Leben und Dasein eingesetzt und verwendet werden kann. Die Seele als Lebensprinzip beginnt sofort, das ganze „Mittel“ zu beleben und es nach ihrer eigenen Art und nach ihrem Geist zu formen. Dieses Erfasst- und Durchdrungenwerden durch die Seele wirkt auf das „Mittel“ selbst gleichsam wie ein Treibstoff, dem das Mittel überantwortet ist, und zwar entsprechend dem vom Schöpfer in die Seele gelegtem Naturgesetz. Diesem Naturgesetz folgt die Seele gleichsam „blind“, d. h., sie kann nicht aus dem vom Schöpfer ihr gegebenen Rahmen heraus, durch den ihr [der ihr] zur Aufgabe gestellt ist, „dieses Menschenleben zu formen und zur Verwirklichung zu bringen“.

2882 |        Auch im Gottmenschen Christus bildete die Seele mit ihren Anlagen das natürliche Lebensprinzip, gleichsam das „erste Element“ im menschlichen Dasein Christi, das von der göttlichen Person erfasst und in Anspruch genommen wurde und das unmittelbar in den Dienst dieser göttlichen Person trat. Mittels der Anlagen dieser Seele, die der göttlichen Person in feinster und vollkommenster Weise dienstbar waren, wurde das Menschenleben Christi nach dem Wesen und nach der Eigenart der göttlichen Person geformt. Die göttliche Person selbst übernahm, mit der Menschwerdung die grundsätzliche Formung dieses Menschenlebens, indem sie sich dem ihrer menschlichen Seele eigenen Naturgesetz überließ und überlieferte, und sich gleichsam von diesem Gesetz leiten ließ, aber zugleich doch jene leitende und dirigierende Formung und Beeinflussung auf ihre menschlichen Kräfte und ihr ganzes Menschenleben ausübte, wie es eben der „Personkraft“ zukommt. Die göttliche Person des Wortes übernahm ja im Leben Christi jene Funktionen, die im gewöhnlichen Menschenleben von einer menschlichen Personkraft geleistet werden1200. So herrschte auch in ihm ein unaussprechlich enges und inniges Zusammenwirken zwischen der menschlichen Seele und der göttlichen Person, von der die Seele durchdrungen war.

2883 |        Wenn man in hoher Vergeistigung seiner Seele sich in der Vereinigung mit Gott und in Gott erlebt hat, so kann man sich in etwa ein Bild machen von der feinen Gefühligkeit, mit der eine Seele – nach entsprechender Läuterung und Vorbereitung – das Wesen Gottes zu erfassen, und zu umfassen vermag (selbstverständlich nicht in einer wesentlichen Form, aber doch in einem wahren Erleben-Können Gottes, wofür ja die Seele als für ihren letzten Zweck geschaffen ist). Die Seele kann Gott gleichsam „durchfühlen“ und sie erfährt und erlebt sich dabei in dem, was ihr eigentlicher Endzweck ist. In einem unvergleichlich höheren Maße und in einer noch viel unmittelbareren Nähe durchlebte aber die göttliche Person jenes Wesen (nämlich ihre Seele), durch dessen Anlagen und Dienstbarkeit sie menschlich gefühlig und fühlend und lebensfähig, kurz, wahrhaft „Mensch“ werden wollte.

2884 |        Zu diesem Zwecke musste sich aber die göttliche Person auch an das für die physische Natur geltende Naturgesetz halten, musste heruntersteigen „in das Fleisch“, um von ihm Besitz zu ergreifen, ja in ihm Wohnung zu nehmen und sich vom Fleische bedienen zu lassen. Die göttliche Person überlieferte und überließ sich also in einem wahren Sinne dem menschlichen Naturgesetz und ließ sich herab, sich zu innigster Harmonie – zu einem Leben – mit den menschlichen Lebenskräften zu verbinden und gewissermaßen eine „Ergänzung“ zu finden in der menschlichen Seele.

2885 |        Auf dieser Grundlage gestaltete sich im menschlichen „Mittel des Lebens“ im Mutterschoß Mariens der gleiche Umsatz zwischen den seelischen und körperlichen Kräften, wodurch im gewöhnlichen Menschen der natürliche Lebensprozess hergestellt wird. Die Seele Christi, – getragen und geleitet von der göttlichen Person – wurde zum „Leben“ des Leibes Christi und sie war es, die diesen Lebensprozess in Gang setzte und behauptete. Das göttliche Wesen der Person des Erlösers baute sich im ersten Augenblick der Menschwerdung in diesen menschlichen Lebensprozess ein und formte den Menschen Christus, im Einklang mit den menschlichen Naturgesetzen, aber auch entsprechend seiner göttlich-unveränderlichen Eigenart und Vollkommenheitshöhe. Die göttliche „Personkraft“ als der „bewusste Lebensantrieb“ seiner menschlichen Natur formte selbst die besondere Eigenart des Menschen Christus, indem sie ihre göttlich-wesentlichen Eigenschaften in die ihr dienstbaren menschliche Natur einbaute oder, besser gesagt, „einlebte“. Der Lebensprozess als solcher war in Christus der gleiche, wie in einem gewöhnlichen Menschenleben, aber mit dem (großen) Unterschied, dass die Tatsache des „Gott-Seins“ die besondere Eingenart1201 in diesem Menschsein ausmachte.

2886 |        Die göttliche Person mit ihren unverlierbaren Vollkommenheiten wurde aufgenommen und damit gleichsam umfasst von der menschlichen Seele und ihren mannigfaltigen Gestaltungsanlagen. Die Seele Jesu, das höchste und idealste geschaffene Ebenbild Gottes, nahm das göttliche Wesen der Person des Wortes in sich auf (vergleiche hierüber die früheren Erklärungen über die Frage: Wie konnte Gott ein Mensch werden?). Die Vielheit göttlicher Gestaltungsformen des einfachen göttlichen Wesens – d. h. die Fülle dessen, was das einfache göttliche Wesen in der Fülle seiner göttlichen Vollkommenheiten und Eigenschaften in sich gestalten konnte – übertrug sich auf ein ähnliches, wenn auch geschaffenes und begrenztes Wesen und Ebenbild, das ähnlicher Gestaltungsformen fähig war. Infolge der Gottebenbildlichkeit besteht ja in jeder Seele die Fähigkeit zur Anpassung an den Geist Gottes. Was aber in der gewöhnlichen Menschenseele noch zu starr und steif ist, das wird auf hohen Stufen der Vergeistigung der Seele gleichsam überwunden und es vollzieht sich dann eine solche Fähigkeit der Anschmiegung der Seele an Gott, dass es den Anschein hat, als wäre die Seele erst in ihrem wahren Element, wenn sie sich in Gott erlebt und erfährt. In der Seele Jesu aber waren solch fein angelegte und ausgebaute Anlagen in höchstem Maße vorhanden und diese Anlagen wurden von der göttlichen Person ganz und voll in Anspruch genommen.

2887 |        Die Seele Jesu aber übertrug – nach dem ihr innewohnenden vom Schöpfer gegeben Lebensgesetz – die Vielheit ihrer Gestaltungsmöglichkeiten auf ihr menschliches „Mittel zum Leben“, auf den Leib, der ihr als Ergänzung und Ausdrucksmittel im Dienste für das göttliche Sein zur Verfügung stand, und auf den die wunderbare1202 Harmonie zwischen den göttlichen und seelischen Kräften sich auswirkte und ausstrahlte. Auf dem Weg über die Seele übertrug sich die göttliche1203 Eigenart und Vollkommenheitshöhe auf den ganzen menschlichen Lebensantrieb1204 und nahm dieser somit die „Eigenart Gottes“ an. Die geistigen Grundlinien im Gesamtleben Jesu waren wesentliche göttliche Eigenschaften, nach denen sich das ganze, auch das physische Leben Jesu ausrichtete und aufbaute. Entsprechend dieser auch im menschlichen Leben gewahrten1205 „Eigenart Gottes“ war das menschliche Dasein Jesu vom ersten Augenblick an mit göttlichen Vorzügen ausgestattet, für deren menschliche „Formulierung“ sein physisches Leben die „natürlichen, menschlichen Kräfte“ bot und zur Verfügung stellte.

2888 |        Das göttliche Leben der Person des Wortes prägte sich nun innerhalb des Menschseins Christi aus und es kam „darin“ zu einer Inanspruchnahme der menschlichen Natur durch die göttliche Person, die zu einem menschlichen Leben der menschlichen Natur bedürfte1206. Da das ganze Menschsein Christi sich innerhalb der menschlichen Kräfte und Möglichkeiten und im Rahmen der für den Menschen geltenden Naturgesetze abwickelte, ergab sich für das gottmenschliche Leben Jesu sogar eine gewisse „Abgrenzung“ durch den Rahmen und die Möglichkeiten und die Gesetze der menschlichen Natur.

2889 |       Dieser begrenzende Rahmen war näherhin gebildet durch den Energieaufwand, den die menschlich-physische Natur selbst erzeugen und leisten musste. Darum wurde das menschliche Leben Jesu schon von der Menschwerdung an auf die Erzeugung jener Energie und Tragkraft eingestellt und hingeordnet, die erforderlich war, um unmittelbar der göttlichen Person zu dienen und sie gleichsam „tragen“ und ertragen zu können.

2890 |        Jedes Lebewesen lebt ja gleichsam „von sich“, d. h., von dem, was es innerhalb seines natürlichen Lebensrahmens an Lebenskräften aufbringen und heranziehen kann. Dieses Heranziehen der zum Leben notwendigen Lebenskräfte und Stoffe und Möglichkeiten geschieht entsprechend der Eigenart des betreffenden Lebewesens und mittels der Kraft dieses „Lebens“ selbst, auch wenn sich, die herausziehenden Lebensstoffe außerhalb dieses „Lebens“ befinden. So wählt z. B. auch eine Pflanze nur die ihr dienlichen und ihrer Eigenart entsprechenden Stoffe aus und zieht sie aus der Umgebung an sich. – Wenn wir nun an Christi wahres Menschentum glauben, kommen wir auch bei ihm als wahren Menschen an der Tatsache nicht vorbei, dass auch bei ihm die Lebenskräfte herangezogen, erzeugt und geformt werden1207, entsprechend seiner göttlichen Eigenart.

2891 |        Diese Beschaffung der zum gottmenschlichen Leben und zur Lebensaufgabe des Erlösers notwendigen physischen Kräfte und Energien wickelte sich auch in Christus zunächst innerhalb des „Mittels zum Leben“ ab, das Maria als Mutter dem göttlichen Worte geboten hat. – Dieses „Mittel zum Leben“ enthält alles zum Leben Notwendige von dem Augenblick an, wo es zur Beseelung dieses „Mittels“ und damit zum beseelten Umsatz der psycho-physischen Kräfte kommt. Dabei besteht eine gewisse Proportion und Übereinstimmung zwischen der besonderen Eigenart eines Lebens und der Art des Umsatzes der verschiedenen Kräfte. So kann z. B. ein ganz großer Geist nicht in einem engen Rahmen bestehen; denn entweder würde er ihn sprengen und damit würde das „Leben“ aufgelöst, oder er würde von der Enge des Rahmens gleichsam erdrückt werden. Der Schöpfer weiß aber eine wunderbare Ebenmäßigkeit und Proportion der verschiedenen Lebenskräfte zu ermöglichen und zu verwirklichen und man kann die Regelung dieser unbewussten Vorgänge ruhig seiner Schöpferweisheit und seinem Schöpferwillen überlassen. Noch viel mehr aber ist anzunehmen, dass Christus in dem Rahmen seiner menschlichen Natur auch eine gewisse äußere Proportion zu seiner göttlichen Eigenart fand und ausprägte, dass er also auch äußerlich ein gewisses Idealbild eines Menschen darstellte und verwirklichte, wunderbar herrlich und kraftvoll und anmutig von Gestalt; ein immerwährender, höchster1208 Lobpreis auf den Schöpfer-Gott, sodass man wirklich auf ihn das Wort der Heiligen Schrift vom „Schönsten aller Menschenkinder“ (Psalm 44,3) anwenden kann. „Gott zu sein“, das war ja die besondere Eigenart des Gottmenschen1209 Christus, und die besondere Eigenart seines menschlichen Lebens war die, dass es zugleich ein göttliches, also ein gottmenschliches Leben war, und dieses wunderbare Leben bewegte sich auch in einem entsprechenden physischen Rahmen und in diesem Rahmen vollzog sich auch ein entsprechender Umsatz der verschiedenen Kräfte.

2892 |        Innerhalb dieses ihr zur Verfügung stehenden Rahmens begann die göttlich-einfache und unveränderliche Person, ihre göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten „menschlich zu formulieren“, auszuleben und damit gleichsam auszubreiten und zu offenbaren. Sie suchte sich die nötigen Ausdrucks- und Betätigungsmittel, um auch als Mensch „Gott zu sein“ und sie suchte die Mittel hierzu entsprechend der Eigenart der Funktionen einer die verschiedenen Kräfte dirigierenden Person, wozu sich das göttliche Wort herabließ. Dieses Herablassen und diese Tätigkeit des „Wortes“ bedeutete aber „Einleben“ der menschlichen Natur im höchsten Sinne des Wortes.

2893 |        Die göttliche Person formte und gestaltete sich die Eigenart ihres Mittels (nämlich ihrer menschlichen Natur), um das „menschlich formulieren“ zu können, was sie selber war und blieb, um als ein Mensch mit göttlicher Vollkommenheitshöhe und Eigenart bestehen zu können. Entsprechend dieser Eigenart wurden die menschlichen physischen „Betriebs- und Lebenszellen“ durchlebt durch die von der göttlichen Person durchdrungene Seele Jesu1210. Diese nahm die göttliche Gestaltungsform und Gestaltungskraft in sich auf und lebte sie dem zarten Leibe des Erlösers ein. Diese göttliche Gestaltungsform wurde zur leitenden und gestaltenden Kraft des Umsatzes zwischen den göttlichen und menschlichen Auswirkungen und Kräften in Christus; sie war das „Maß der Kräfteformung“, die in der menschlich-physischen Natur Christi hergestellt werden musste.1211

2894 |        Das göttliche Leben Christi hat sich also im Rahmen der menschlichen Natur abgespielt. Dieser Rahmen war zwar viel weiter als der eines gewöhnlichen Menschen, aber es blieb doch ein wahrer, menschlicher Rahmen. Durch diesen Rahmen wurde das in sich unbegrenzte göttliche Wesen in einem wahren Sinne „begrenzt“.

 

09.08.1944

Fest des hl. Joh. Vianney, Pfarrer von Ars

2895 |        Zu Ehren des Heiligen ging ich heute zur hl. Messe nach S. Luigi dei Francesi. Dort war ich sehr mit dem hl. Pfarrer von Ars verbunden und hatte eine große geistliche Freude: „O, wie schön wird es einmal im Himmel sein, in der Gesellschaft der Heiligen! – Aber vorher müssen wir die Schlachten des Herrn schlagen!“

2896 |        Ich schaute dann im Geiste das erstehende Priesterwerk: eine kleine Gruppe der ersten Mitglieder. Ich schaute sie „wie neu geschaffene Kinder, soeben aus der Hand ihres Schöpfers hervorgegangen“. – Damit wurde mir angedeutet und gezeigt die unbedingte Abhängigkeit von Gott, in welcher diese Erstlinge geführt werden; denn „Gott gibt sich dem Menschen so nahe, als der Mensch sich in die göttliche Nähe begibt“. – Ich konnte auch die Wirkung der Glaubensvertiefung erkennen, in die Christus die Priester eingeführt haben will: Sie werden sein „wie kleine, einfältige Kinder Gott gegenüber“ – „Dann kann ich wirken“.

2897 |        Es kam mir auch die Frage in den Sinn: Warum bestätigt der Heiland das von ihm gewollte Priesterwerk bzw. dessen göttliche Herkunft nicht durch besondere äußere Zeichen, da man mir schon wiederholt vorwarf: Das Innenleben könne kein Beweis sein!

2898 |        Darauf wurde mir die übernatürliche Antwort gegeben: „Gott will die inneren Werte hervorheben; nur diese allein können die Welt erneuern“.

 

11.08.1944

2899 |        Heute – in der Kirche „Al Gesu“, am Altar der schmerzhaften Mutter – habe ich – in einem unbeschreiblichen Erleben – eine bestimmte „neue Grundlage“ als Dauerzustand erreicht: Es ist ein Vollzustand des Verzichtes auf alles „Eigen-Persönliche“, eine völlige Trennung „von mir“ und von allem. Kein Wesen, keine Erinnerung kann mich von außen her beeinflussen oder beeindrucken. Es ist ein „neuer Zustand“ des gleichsam „Unpersönlich-Seins“.

2900 |        In diese „Unpersönlichkeit“ wird das „neue Leben“ eingeschaltet werden, ähnlich wie der elektrische Strom in eine bereitstehende Anlage eingeschaltet wird. – Ich bin bereit! – Herr, lass mich nie mehr zu „mir“ zurückkehren! –

2901 |        Während ich aber dermaßen alles verlassen habe, tut sich mir eine unermessliche, beglückende Geisteswelt auf!

2902 |        Welch weiter Weg war es doch bis hierher! –

2903 |        Ich war heute auch sehr mit dem hl. Ignatius und dem seligen Peter Fabre (dessen Fest heute gefeiert wird) verbunden.

 

13.08.1944

2904 |        Es wurde mir ganz klar zu verstehen gegeben: „Nur die Überwindung der Folgen der Erbsünde und die Beseitigung der moralischen Schwächen, die in den ungeordneten Neigungen und Leidenschaften liegen, gibt dem Menschen die Gewähr wahrhaft klugen und weisen Handelns in allem“. – Die erbsündlichen Anlagen sind die letzte Wurzel der Unklugheiten im menschlichen Handeln. Der Mensch im gefallenen Zustand befindet sich in einer Trübung und Unklarheit über seine Handlungsweise und nur die fortschreitende Reinigung von diesen Folgen der Erbsünde befähigt ihn zum rechten und wahrhaft klugen Handeln. Die wahre Klugheit im konkreten praktischen Leben kann nur aus einer leidenschaftsfreien Seele kommen. Was die Menschen für gewöhnlich „Weisheit und Klugheit“ – im weltlichen Sinn anerzogener Gewohnheiten und Erfahrungen – nennen, das ist im Grunde nur Schein, wenn und weil das Tiefste und Wesentliche der wahren Klugheit fehlt, nämlich der Ursprung aus einem wahrhaft in Gott geordneten Herzen. – Ebenso wie die Klugheit erfordern auch die übrigen Kardinaltugenden zu ihrer Vollendung die Überwindung der erbsündlichen Folgen und der moralischen Schwächen der gefallenen Natur.

2905 |        Eine Grundforderung der wahren und übernatürlichen Klugheit ist auch diese: Der Mensch soll nur das für sich beanspruchen, was er zum Leben notwendig hat. Alles Übrige hindert seinen geistigen Fortschritt. Wie glücklich wäre der Mensch im bloßen Besitze des Notwendigen und in der Abkehr von allem überflüssigen Ballast, der ihn nur beschwert und seinen geistigen Fortschritt hindert!

2906 |        Damit ist zunächst eine bestimmte Forderung der Gnade an mich ausgedrückt, dessen kurzer – weil mit einem Begriff gegebener – geistiger Inhalt aber nicht mit der gleichen Kürze in Worten ausgedrückt werden kann, sondern umschrieben werden muss: Auch im geistlichen Leben bezüglich des „Genießens“ sich auf das Notwendige einstellen und beschränken, also nicht darüber hinaus noch den „Genuss“ des Nützlichen suchen, nicht sich einen „Umkreis“ von geistigem „Genuss“ sichern wollen, worin der Mensch sich gleichsam einbaut und es sich „wohl sein lässt“, indem er sich des Genusses erfreut, der diesen sekundären geistigen Gütern entspringt. (Selbstverständlich ist dabei nicht an sündhaftes oder eitles Genussleben gedacht, sondern es ist nur die natürliche Anlage des gefallenen Menschen gemeint, „sich einzubauen in einem Kreis von geistigen Vorräten und sich daran zu ergötzen“). Stattdessen immer dem Augenblick leben und sich nur mit Dank und Freude gegen Gott, der alles gibt, am augenblicklichen Genuss erfreuen und nur dies Notwendige beanspruchen! [sic!1212] – Christus hat nichts von den Gütern dieser Erde beansprucht, sondern hat nur das Notwendige davon beansprucht, und zwar mit Dank gegen den Vater.

2907 |        Dies auf meinen speziellen Weg und Fortschritt anwendend, will Jesus mich auf den alleinigen „wesentlichen Lebensgenuss“ hinführen, den auch er als wahrer Mensch in seinem Erdenleben genossen hat. – Das sind aber wiederum geistige Begriffe, die sich nicht in Worten aussprechen lassen. Nur das feine, geistige Licht Gottes kann den Sinn einer solchen Forderung an die Seele erklären und nur die Seele selbst versteht ihn unmittelbar. –

2908 |        Wenn man die Augen schließt, entschwindet einem das Sichtbare; man ist gewissermaßen davon getrennt und man fasst sich dafür zusammen im Reiche des Geistes und des Unsichtbaren; es kommt dann zu einer gewissen Trennung und Scheidung vom Aufnehmen der sichtbaren Welt. – eine ähnliche Scheidung vollzieht sich jetzt auch im psychologischen Sinne in mir. – Es kommt in meinem Geistesleben zu einer gewissen Trennung vom „Erleben und Genießen“ meines persönlichen Lebens; das eigenpersönliche Leben wird für mein Bewusstsein und Erleben gleichsam ausgeschaltet oder vielmehr reduziert auf die bloße, nackte Tatsache; ausgeschaltet wird für mein Bewusstsein alles sekundär Tatsächliche, das an sich mit jedem normalen Leben verbunden ist. Jeder Mensch, bzw. jede Person hat nämlich als sekundäre Tatsache einen gewissen Umkreis um das eigentliche wesentliche Sein und Leben; durch diesen „Umkreis“ tritt das eigene Leben und Dasein erst ins Erleben, indem die Person „sich darin selbst sieht“. Dieser bestimmte, für gewöhnlich notwendiger „Umkreis“, den jedes persönliche Leben sich bildet, nämlich das „Bewusstwerden und Erleben und sekundäre Erfahren seines Lebens“ ist mir gleichsam genommen und ausgeschaltet, und damit bin ich eingegangen in einen Zustand der „Unpersönlichkeit“. – Ich muss eben mit konkreten Worten zu erklären suchen, wie ich mich tatsächlich fühle und erlebe. – Dieser in meiner Erfahrung sich als eine Art1213 „Unpersönlichkeit“ auswirkender Zustand ist aber nur ein Zwischenzustand, der als Vorbereitung dient auf eine gewisse, endgültige „erfahrungsmäßige Trennung“ von meinem persönlichen Erleben und damit als notwendige Voraussetzung für das Eingehenkönnen in das Erleben der göttlichen Erlöserperson. Von meinem persönlichen Leben bleibt nur die Tatsache des Lebens; das Erleben meiner Person tritt zurück und wird nur auf das Wesentliche, auf die bloße Tatsache des Daseins beschränkt; an die Stelle des Erlebens meiner Person tritt in meinem Bewusstsein das erfahrungsmäßige Erleben der göttlichen Person.

2909 |        Damit bin ich nun an einem Punkt meines Seelenlebens angelangt, den mir der Heiland schon seit vielen Jahren als Ziel gezeigt und unzählige Male im Geist hatte vorauserleben lassen. Etwas Wunderbares ist somit Tatsache geworden in meinem Innenleben und ich bin nun eingetreten in einen unermesslichen Raum des Geistes, gleichsam in eine unbegrenzte geistige Bewegungsmöglichkeit, denn das Leben des Geistes Christi in seiner Menschheit ist in einem bestimmten Maße schon in mir vorbereitet. – Das Merkwürdige dabei ist, dass ich mit keinem Menschen in unmittelbarer, geistiger Fühlungnahme bin, wie es sich dies im gewöhnlichen Leben vollzieht. Ich bin von allem und von Allen wie durch einen unüberschreitbaren Wall getrennt und ich „kann zu niemand hinüber“. Stattdessen erfasse ich alles für mein Leben Notwendige „in mir selbst“. So vollzieht sich in mir1214 eine gewisse Umschaltung des Verkehrs mit der Außenwelt bzw. mit allen Dingen (und Menschen), die sich außerhalb meines eigenen Lebens bewegen.

2910 |        Im gewöhnlichen Leben muss man – und musste ich bisher „aus sich heraustreten“, um mit den Menschen und Dingen in geistige Berührung kommen zu können. Jetzt aber „finde ich alles in mir“, nicht in gefühlsmäßigem Erfassen, sondern in einer von „innen“, aus dem eigenen, tiefsten Wesen kommenden Reaktion auf das, was von außen her1215 an mich herangetragen wird. – Mit diesen Worten ist irgendwie die innere Tatsache angedeutet. Die eigentliche Erklärung scheint mir aber die zu sein, dass nun, mir selber unbewusst, die „substanzielle Betätigungsart“ meiner Seele nun schon zur dauernden und „gewöhnlichen“ in mir geworden ist, wodurch das (für gewöhnlich notwendige) geistige Räderwerk zur Verarbeitung und Weitergabe der Eindrücke überflüssig wurde und durch einen unmittelbaren, kürzeren und sicheren Weg ersetzt wurde.

2911 |        Der Zustand, den ich „Unpersönlichkeit“ nannte, vollendet nicht nur meine geistige Abschließung und Unabhängigkeit oder Unbeeinflussbarkeit gegenüber aller Umwelt, – seien es Dinge oder Menschen – ­sondern konzentriert auch all meine Kräfte und mein ganzes Sein immer mehr auf den eigentlichen Kern und Mittelpunkt meines Wesens, von wo aus dann das neue, im Grunde schon vorhandene und vorbereitete „Leben“ sich entfalten und voll betätigen wird. – So ist es zu einer vollständigen und allgemeinen Umänderung und Umstellung meines Gesamtlebens gekommen. Und immer noch mehr muss das Geistige die unbedingte Oberhand über das Physische in mir bekommen.

2912 |        In den letzten zwei Tagen war ich nun in dem angedeuteten ruhegesättigten Zustand, aber nun werde ich schon wieder weiter gedrängt auf die nächste Stufe hin, wo dann der nun schon1216 errungene Geisteszustand zu seiner praktischen Auswirkung und Anwendung kommen soll. Die jetzige scheinbar „höchste Höhe“ genügt mir nun nicht mehr; sie muss ihrem eigentlichen Zweck und Ziel zugeführt und tatsächlich fruchtbar gemacht werden.

2913 |        Das allgemeine Gesetz, das der Schöpfer in das physische Leben hineingelegt hat, trifft auch auf das geistige Leben zu: das „Leben“ ist nämlich ein immer neues „Werden“. Und dieses Werden bedeutet für das betroffene Lebewesen selbst eine Umbildung, eine Umformung in das, was werden soll. So ist vom Schöpfer ein Gesetz unaufhörlicher „Entwicklung“ in alles Lebende hineingelegt worden. Das „werdende“ Lebewesen erlebt und erleidet das „Werden“ als einen mühsamen Aufstieg von Stufe zu Stufe, wie es ihm das Lebensgesetz zuweist. – Und wie das Werden eine Einwirkung auf das Körperliche bedeutet, so vollzieht sich ein ähnlicher Prozess auch im Geistesleben. Jeder Aufstieg hat auch hier als Vorbedingung eine Einwirkung auf das Seelenleben selbst, durchgeführt durch die Gnade Gottes und die eigene Mitarbeit.

2914 |        Das ganze Seelenleben von der untersten Stufe an bis zu den höchsten Höhen der Vereinigung mit Gott hat als Vorbedingung und Voraussetzung eine tatsächliche Mitarbeit und eigene Bemühung der Seele, wenn es zu einer wirklichen inneren Umänderung, zu einer dauerhaften sittlichen Umformung, zu einem wahren Aufstieg kommen soll. Die Seele selbst muss den Prozess des Aufstieges in sich erwirken und erleiden. Sie muss in sich selbst „Gewalt anwenden“, d. h., sie darf sich nicht auf fromme Gefühle beschränken, sondern muss das Gute praktisch üben und ausführen. Die frommen Gefühle sind gut, weil sie gute Vorsätze anregen; aber diese Vorsätze müssen schließlich durch eigene innere Kraftanstrengung und Mitarbeit mit der Gnade in die Tat umgesetzt werden. Es ist aber ein großes Übel unserer Zeit, dass nur zu oft die Christen ihr religiöses Leben aus „Andachten und frommen Gefühlen“ beschränken, ohne sich zu bemühen, das zu „werden“, was sie vor Gott sein sollen.1217

2915 |        Ich muss sagen, dass mein ganzes Innenleben vom sechsten Lebensjahre angefangen, auf eigener Mitarbeit mit der Gnade und persönlicher Kraftanspannung beruht. Gewiss hat mich die Gnade einer außergewöhnlichen Führung dazu beeinflusst und befähigt, aber es brauchte auch meinerseits tägliche und energische Bemühung, um die göttliche Beeinflussung wirklich auszuführen und dem im inneren Lichte Erkannten zu folgen. – Niemand kommt zur Höhe, der nicht selbst zur Höhe „geht“ oder mitgeht, und der sich nicht bemüht, sich dem Lichte zu nähern, das ihm von der Höhe her entgegen leuchtet. – Es kommt auch niemand zur Höhe, der nicht auf dem Wege dorthin die eigene Schwere der Natur erfahren würde, der nicht immer wieder Rückfälle erleben und nicht immer wieder auf eine frühere, anscheinend schon überwundene Stufe zurückgeworfen würde. Auch in jedem geistigen Aufstieg gibt es eine 3. und 7. und 9. Kreuzwegstation. Wie hoch auch die errungene Höhe sei, immer noch bestehen die Möglichkeit und die Gefahr eines Rückfalles auf eine tiefer liegende Stufe. In diesem Sinne „fällt“ jeder auch auf den höchsten Stufen, und Gott lässt den Fall zu, damit die Seele mit umso größerer Kraftanstrengung sich wieder erhebe. Ja, die Seele reinigt sich gerade durch das Erleben ihrer eigenen Rückfälle, denen sie wie unausweichlich überantwortet zu sein scheint. Gerade auf den Höhenstufen des (mystischen) Seelenlebens lässt die göttliche Führung die dem geforderten Guten oder der Vollkommenheit entgegenstehenden Schwäche der gefallenen Natur gleichsam als „Widerspruch“ und Leiden aufleben. Durch das vom Lichte Gottes hervorgerufene Einsehen und Eingestehen der eigenen Schwäche und durch die beständige eigene1218 Kraftanspannung und Überwindung vermindert sich das Gewicht der angeborenen sittlichen Schwachheit, werden die Leidenschaften und die bösen Gewohnheiten überwunden und allmählich mit der Wurzel ausgerottet.

2916 |        Was ist überhaupt die passive Läuterung und Reinigung anders als ein „Aufleben“ all der möglich sündhaften oder sittlich mangelhaften Anlagen, in die eine Seele sich versetzt sieht wie in ein lebendiges, verzehrendes Feuer, gegen das sie sich aber wehren muss und dem sie sich aktiv entziehen muss. Es ist ein geheimnisvoller, furchtbarer Kampf, in den die Seele hineingestürzt wird; es ist ein Entbrennen alles möglichen Bösen in der Seele, das sie aber überwinden muss, und zwar, wie es ihr scheint, wie aus eigener Kraft und mit energischer Anstrengung aller eigenen Willenskraft, weil die helfende Gnade verschwunden oder verloren scheint (in ihrem Bewusstsein). Gott selbst ist somit der Seele wie zum Stein des Anstoßes geworden – (insofern er die bösen, vor Gott verabscheuungswürdigen, erbsündlichen Anlagen in ihr aufleben und zum Bewusstsein kommen lässt) – und doch will und muss sich die Seele an ihn klammern, aber sie „findet ihn nicht“. Durch dieses mit Vorbedacht von Gottes Hand entzündete Feuer wird die gesteigerte und höchste Aktivität der Seele geweckt und herausgefordert und es kommt zum Entscheidenden und Wesentlichen im seelischen Leben und Fortschritt, nämlich zum „Tun oder zur Tat“. – Und immer wieder von Neuem wird die Seele in diese oder jene Form eines solchen „geistigen Feuerbades der Läuterung“ geworfen; immer neue Tiefen erbsündlicher Verderbtheit tun sich vor der darüber entsetzten Seele auf und dadurch kommt sie erst zu einer ganz tiefen und wahren Selbsterkenntnis. Ja, es ist eine Tatsache im geistlichen Leben: Die Seele reinigt sich gerade durch das Erleiden ihrer eignen Schwächen und fehlerhaften Anlagen, die sie immer wieder im Lichte Gottes erfahren muss.

2917 |        Bei jeder Seele steht dieser eigene erlittene Widerspruch aber auch im Verhältnis und Zusammenhang zu den besonderen Forderungen der Gnade Gottes an sie und zu dem der Seele gesteckten Ziel. Jener „Widerspruch“ der Natur erhöht sich nach dem Grade des praktischen Tugendlebens, für das die Seele von Gott berufen ist, und befähigt werden soll. Wenn darum gewisse Widersprüche in der Seele schon überwunden sind und sich nicht mehr bemerkbar machen, so „erheben“ sich an deren Stelle1219 neue, vorher nicht gekannte oder nicht1220 erfahrene Widersprüche der Natur gegen neue, erhöhte Forderungen der führenden Gnade. Und wenn die Sünde selbst und die Anhänglichkeit an sie schon ganz überwunden und damit ein gewisses Ebenmaß von sittlicher Vollkommenheit errungen und gegeben ist, so vertieft sich doch der einer erhöhten Forderung der Gnade Jesu1221 entgegenstehende Widerspruch oder das Leiden, die Furcht, das Zurückschrecken der armen Natur.

2918 |        So gibt es im gefallenen Menschen keinen sittlichen Aufstieg, der ohne eigene Bemühung in der Seele zur Verwertung und Anwendung bereitläge. Im Gegenteil, die eigene Bemühung steigert sich mit dem sich erhöhenden Seelenleben und sie wächst entsprechend mit den Anforderungen der Gnade. Ein müheloses Tugendleben gibt es nicht. Auf einer gewissen Höhe verschwinden wohl die „Schwierigkeiten“ der tieferen unteren Stufen – weil sie schon überwunden sind und nicht mehr als Schwierigkeiten empfunden werden, da sie auf jenen unteren Stufen gestellten Forderungen der Vollkommenheit der Seele schon wie zur „Natur“ geworden sind; aber es muss immer wieder mühsam eine neue Höhe erstiegen werden, bis es auch dort zur entsprechenden, ebenmäßigen Gewöhnung und Übung kommt, die dem neuen erhöhten Zustand entspricht. Und je höher der Aufstieg geht, desto steiler kann der Weg werden, schon deshalb, weil auf solchen Höhen die persönliche Einsicht fehlt (nämlich um den Weg, das Ziel, die Hindernisse und vor allem die geheimen Widerstände in der Natur zu verstehen)1222, die im gewöhnlichen Seelenleben und auf den unteren (mystischen) Stufen durch die praktische Übung des Glaubens geboten und ersetzt1223 ward. Auch der Glaube muss und kann in den höheren Regionen nur in passiver Form geübt werden, weil dort die Seele – mit dem gewöhnlichen Lichte der Vernunft und des Glaubens – von sich aus keinen Schritt weiter sehen noch machen kann und weil ihr der eigene Widerspruch ihrer Natur gegen die neuen Forderungen der Gnade völlig „fremd“, d. h., unver­ständlich ist. Deshalb greift auch in dieser Hinsicht eine passive Läuterung ein, die durch ein besonderes Licht der Gnade, das in der Seele hervorbringt, wozu das gewöhnliche Glaubensleben nicht fähig wäre. Darin liegt aber auch eine besondere, nicht ausdrückbare Schmerzlichkeit dieser beson­deren passiven Läuterungen.

 

17.08.1944

2919 |        Seit dem 11. August, d. h. seit jener Gnade, die ich nicht anders ausdrücken oder andeuten kann denn als eine gewisse „Unpersönlichkeit“ oder „Entpersönlichung“, bin ich eingetreten in eine neue „Tiefe“ oder in einen neuen Abschnitt meines Innenlebens. Es sind vielfache Veränderungen in mir – aber wie sie in Worten erklären?

2920 |        Zusammen mit der fortschreitenden „Entpersönlichung“ meines Seins und meines Zustandes (– was, wie gesagt, nur ein Übergangsstadium ist –), werde ich vor allem immer tiefer in die „substanzielle Betätigungsart“ der Seele eingeführt und eingelebt. Aber auch dieser geheimnisvolle Zustand ist ganz auf die Ermöglichung des Erlebens der Erlöserperson hin geordnet, wofür nämlich die „substanzielle“ seelische Betätigungsart eine unentbehrliche Grundlage und Voraussetzung bildet. Ich weiß nun in einer viel tieferen1224 Weise um dieses psychologische Geheimnis der Substanz der Seele im Allgemeinen, und im Besonderen um die Substanz der Seele Christi und ihre Einordnung in das Wesen und in die Eigenart der göttlichen Person des Wortes.

2921 |        Die Substanz jeder einzelnen Seele lebt die Eigenart der Person, und zwar einer bestimmten, einmaligen, ihr zugehörigen Person; sie bringt die Eigenart dieser Person zum Ausdruck und offenbart sie – mittels der ihr dienenden physischen Natur – in einer sichtbaren, wahrnehmbaren Weise; sie ist die erste notwendige Voraussetzung und der notwendige Unterbau dafür, dass die Eigenart einer bestimmten Person, „dieser Person“ zum Ausdruck kommen kann. Zu diesem Zweck „verbindet sich“ die Seelensubstanz mit der physischen Natur, aber immer entsprechend der Eigenart „ihrer Person“.

2922 |        Die Verbindung zwischen der seelischen Substanz und der „Person“ ist so1225 einmalig und so unwiederholbar, dass eine Verbindung einer bestimmten Seelensubstanz mit einer anderen Personkraft nicht lebensfähig wäre, d. h., diese Substanz könnte mit einer anderen als der ihr zugehörigen und sie leitenden Personkraft nicht leben. Ein diesbezüglicher Wechsel oder Tausch wäre daher praktisch unmöglich und undenkbar.

2923 |        Das gesamte „Sinnenleben“ (das ja die Seele als das wahre Lebensprinzip zur Voraussetzung hat) wird eingebaut in die physische Natur, und zwar auch entsprechend der Eigenart der Person. Darum hat jede Person auch ihr besonderes Sinnenleben, d. h. die Art und Stärke, die Tiefe und Feinheit und Lebendigkeit der Empfindungen entspricht immer der Eigenart dieser einmaligen, bestimmten Person; denn die physische Natur ist das Werkzeug der Substanz der Seele und diese (Substanz) „lebt“ die Eigenart der Person. So verbinden sich – nach dem Gesetze des Schöpfers – die drei Elemente Person-Seele-Leib in gegenseitiger Unterstützung zu einer wundervollen Einheit, deren Regelung sich unvermerkt für uns vollzieht.

2924 |        In Anwendung dieser psychologischen Tatsachen werde ich in der Frage innerlich weitergeführt: „Wie bildete die göttliche Person des Wortes die, ihr dienstbare Menschheit?“ Oder anders gesagt ich werde wieder tiefer eingeführt in das Geheimnis: „Die göttliche Person bildete im Mutterschoße Mariens 'ihre Menschheit'„ – Auch die Substanz der Seele Christi „lebte“ die Eigenart der Person, für die sie geschaffen war, nämlich die Eigenart der Person des Wortes; und diese Substanz war vom ersten Augenblick ihres Daseins, von ihrer Erschaffung an die Trägerin dieser „Personart“. – –

2925 |        Jedoch auch dieser jetzige neue Übergangszustand hat seine neuen großen Schwierigkeiten und Leiden, weil er neue, menschlich unbegreifliche Konsequenzen für mich hat. Diese besondere1226 schmerzliche Schwierigkeit liegt gerade in dem großen geheimnisvollen „Dunkel“, in dem undurchdringlichen Geheimnis, in dem ich mich bewegen muss, in dem Eindringen in ein – wenigstens für mich – völlig neues, unbegreifliches Gebiet. Die menschliche Vernunft kann nichts mehr auf diesem Weg begreifen; es gibt keine Beleuchtung des Weges mehr, sondern nur ein „dunkles“ Mitgenommenwerden; es gibt keine eigene, selbstständige Entscheidung für mich, weil ich mich im Grunde nicht mehr „wehren“ kann. Es ist so ähnlich, wie wenn man an der Hand eines Führers in einen finsteren dichten Urwald mitgenommen wird, wo man, in einem völlig unbekannten Gelände, undurchdringliches Gestrüpp und Klüfte und Felsen durchqueren muss. Man möchte dabei verzagt und mutlos werden, weil dieser ungangbare Weg kein Ende zu nehmen scheint und weil das Ziel unmöglich zu erreichen scheint; man kann nur deshalb durchhalten, weil man sich der führenden Hand nicht entziehen kann. So gehe ich auch in diesem Geistesabschnitt einen völlig unbekannten und geheimnisvollen Weg, dessen unaussprechliche Konsequenzen und Anforderungen an meine Hingabe ich aber kenne oder ahne; zudem habe ich dabei anscheinend die eigene Bewegungsfreiheit ver­loren und werde Schritt für Schritt „mitgenommen“; ich habe meine eigene Freiheit verloren und sie einem „Stärkeren“ übergeben, von dem ich hoffe und vertraue, dass er mich nicht irreführt. Es möchte mir aber zuweilen bange werden dabei und das geheimnisvolle Dunkel (in das ich mit dem jetzigen Übergangszustand eingetreten bin) möchte mich geradezu „zaghaft“ machen. – Wenn ich früher mein Seelenleben manchmal bezeichnen musste als ein „beständiges Sterben“, so muss ich es jetzt vergleichen mit einer Wanderung durch ein „Tal des Todes“: Die Seele hat dabei gleichsam die Schwelle des Todes schon überschritten, hat diese Welt schon verlassen und ringt nun, ganz allein, mit dem Tode, dessen Schrecken ihr erst jetzt zum Bewusstsein kommen. –

2926 |        Und dieses geheimnisvolle Leiden ist im Grunde eine Folge oder Auswirkung der dem Menschen völlig ungewohnten „substanzi­ellen seelischen Betätigung“. Man „sieht“ dabei weder den Weg noch die „Hindernisse“; man „spürt“ sie nur als Leiden und Widersprüche in sich selbst. Ich habe deshalb dabei den Eindruck, als werde ich geführt „mit verbundenen Augen“, sodass ich weder mich noch den Weg sehen kann; denn die „Substanz“ lebt einfach und arbeitet unmittelbar, ohne ein verstandesmäßiges Beziehen oder Vergleichen oder Gegenüberstellen oder Beobachten; – und dies bedeutet für den Menschen und seine Seele eine unerhört große und zunächst unerhört schwere Umstellung und Umwälzung seiner Betätigungsart.

2927 |        Wenn man zum Martyrium geht, so kann der freie Wille noch dem Martyrium zustimmen und es innerlich bejahen; in diesem hier angegebenen Fall kann man das nicht mehr, denn es ist sowohl dem Verstand die Einsicht und das Verstehen dieses geheimnisvollen Weges als auch dem Willen die Freiheit genommen.1227

 

18.08.1944

2928 |       In der Menschheit Christi musste die Befähigung bestehen, eine menschliche Art des „natürlichen Genusslebens“ auf der Vollkommenheitshöhe der göttlichen Person ertragen zu können; denn Christus war auch in all seiner menschlichen Gefühlsbetätigung zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch. Alle Eigenheiten, die ein normales Menschenleben zur Grundlage hat, waren im Gottmenschen Christus in höchst vollkommener Weise vorhanden. Damit er in allem wahrer Mensch sein konnte, mussten die Vollkommenheiten der göttlichen Person gleichsam auf seine physische Natur „übertragen“ und von dieser „übernommen“ werden, damit sie von dieser in einem wahren Sinne „gelebt“ und zum Ausdruck gebracht werden1228. Diese „Übertragung“ hat sich gleich vom Anfang seiner Menschwerdung an vollzogen und hat sich „ausgedehnt“ im Einklang mit den menschlichen Lebensgesetzen des Wachstums und der Entwicklung und damit des fortschreitenden Gebrauchs und der Vervollkommnung der natürlichen Fähigkeiten. Die Seele Jesu nahm diese „Übermittlung“ der göttlichen Vollkommenheiten und Eigenschaften an den physischen Leib als deren gottmenschliches Ausdrucksmittel vor, denn sie hat die Anlage und Fähigkeit, eine viel verzweigte Betätigungsmöglichkeit ihrer Substanz einem physischen Lebensbetrieb einordnen zu können; ja es ist ihre Uranlage und ihr Urzweck, dass eine Vielheit von möglichen Ausdrucksmitteln vermöge der grundlegenden Einfachheit der Seele in voller Harmonie und Einheit zusammengefasst und geordnet werden. Wie die Seele in sich selber „einfach“ ist, so kann sie doch, vermöge ihrer vielfachen Anlagen, eine Unsumme von Betätigungen in harmonischer Einheit hervorbringen. Die göttliche Person hat sich mit all ihren göttlichen Vollkommenheiten diesem ihrem physischen Ausdrucks- und menschlichen Betätigungsmitteln übergeben, damit diese in menschliche Vollkommenheiten „gekleidet“, verarbeitet1229 und darin sichtbar zum Ausdruck gebracht wurden. Christus hielt sich bei seiner Menschwerdung in allem an die Lebensgesetze, und an die Ordnung eines normalen Menschenlebens, soweit dies mit seiner göttlichen Eigenart vereinbar war. Er passte sich dieser vom Schöpfer für die Menschheit gegebenen Ordnung an und diese gottgegebene Ordnung wurde – zusammen mit seiner göttlichen Eigenart – das Grundprinzip in seiner Menschheit.

2929 |        Christus gab sich in seiner Menschwerdung mit einem einmaligen vollen Akt seiner Seele und deren Lebensgesetzen hin; d. h., es vollzog sich keine „Aufteilung“ seines göttlichen Wesens in seiner Menschheit, sodass z. B. das Kind Jesus nur die Art einer kindlichen, göttlichen Vollkommenheit in sich getragen hätte, die sich dann immer mehr auf die volle Menschheit übertragen hätte. Es war also keine stufenweise göttliche Menschwerdung, sondern das göttliche Wort wurde im Augenblick seiner Menschwerdung ganz und vollkommen Mensch als „Gott“ mit all seinem göttlich-wesentlichen Sein und seinen Vollkommenheiten. Schon auf dem zarten Kinde, nein, schon im Augenblick als Maria ihr „Fiat“ sprach, ruhte in diesem Geschöpf die ewig-göttliche Gewalt der zweiten göttlichen Person. Es war nichts an göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten im Himmel oder im Vater „zurückgelassen“ worden. Das göttliche Wort „lebte“ nun im Mutterschoße, das göttlich-wesentliche Sein wie zuvor. In Gott ist keine Aufteilung seiner wesentlichen Eigenschaften möglich: „er ist, was er ist“. – In welcher Weise aber göttliche Person sich nun in ihrer Menschheit ausprägen und ausleben und auswirken und übertragen1230 ließ, das war ganz und allein der göttlichen Freiheit dieser Person überlassen und nur von ihr abhängig; es gab kein Gesetz für sie und nicht einmal der Wille des Vaters hätte auf das göttliche Wesen des Sohnes einen Einfluss ausüben können. Jesus war ebenso Gott und ebenso göttlich frei wie der Vater, seinem göttlichen Wesen nach. Alles, was er an Erniedrigung auf sich nahm, lag im Geheimnis der Erlösung, und nur als Erlöser war er dem Vater untergeordnet, nicht als göttliches Wesen.

2930 |        Wie war es nun aber möglich, dass dieses Maß göttlicher Vollkommenheit in einer solch vollendeten Weise von der menschlichen Natur übernommen werden konnte? Musste nicht jenes zarte Wesen im Mutterschoß zerbrechen oder gleichfalls „aufgehen im Geiste“, d. h. unter der Überfülle und Oberherrschaft göttlicher Geistigkeit, sodass ein tatsächliches, wahres Mensch-sein überhaupt nicht zum Ausdruck kommen konnte? – Christus würdigte sich, bis zu diesem Punkte sich dem Gesetze des Fleisches zu fügen und sich gleichsam den jeweiligen augenblicklichen Bedürfnissen seines beginnenden Menschseins einzufügen. Damit ging aber von seinen göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten selbst nichts verloren; er lebte diese vielmehr auch als wahrer Mensch immerwährend in göttlicher Einheit vor und im Vater; sie wurden auch dadurch nicht ausgeschaltet, dass der Heiland sich in ihrer menschlichen Darstellung, Ausübung und Offenbarung den Gesetzen des Menschseins und seiner Entwicklung anpasste und darum nur jene zum menschlichen Ausdruck brachte, deren seine beginnende Menschheit bedurfte: Die göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten waren trotzdem ungeschmälert vorhanden in diesem Menschen, der Gott war. Die göttlich-wesentlichen Beziehungen oder Verhältnisse in ihrem göttlich-vollkommenen Ausdruck der hl. Dreifaltigkeit begegneten sich im Gottmenschen immerwährend wie seit Ewigkeiten mit dem Vater und dem hl. Geiste. Nichts verminderte diese dreifaltig-göttliche Einheit und die Vollkommenheit des gegenseitigen göttlichen Ausdrucks derselben. Auch in diesem Sinne gab es im Erlöser keine Aufteilung.

2931 |        Bei dieser Darstellung seiner göttlichen Eigenschaften in menschlichen Ausdrucksformen passte sich aber Christus den Bedürfnissen und Gesetzen des Wachstums seiner menschlichen Natur an. Auch die Seele Jesu war ein „wachsendes“ Geschöpf; sie trug zwar als Grundlage ihrer Substanz alle lebensnotwendigen Anlagen seiner menschlichen Seele in sich, aber diese Anlagen bildeten sich – so wie im gewöhnlichen Menschenleben – zusammen mit und entsprechend dem Wachsen der physischen Natur aus. Das göttliche Wort nahm diese Substanz der Seele mit all ihren grundlegenden Möglichkeiten und Fähigkeiten in sich auf, die ein normales Menschenleben zum „leben“ bringen können, und er gab sich den jeweiligen, augenblicklichen Bedürfnissen dieser Seele hin; die Seele lebte dann alles der wachsenden physischen Natur ein und so bildete sich jeden Augenblick eine volle Abrundung wahren Gott-Seins und wahren Mensch-Seins in Christus.

2932 |        Jeder Seelensubstanz hat der Schöpfer dies als tiefstes Gesetz und als Daseinszweck mitgegeben: Dass sie „einer Person“, einem sie befehlenden Wesen, die Möglichkeit des Lebens, des Ausdrucks, der Betätigung verschaffe; die Substanz dient also einer Wirklichkeit, die sie im Grunde nicht1231 selbst ist. Das bedeutet aber keineswegs eine „Aufteilung“ des Wesens der Seele selbst, sondern die Personkraft ist die erste Anlage, die der Substanz der Seele zugrunde liegt und die sich mithilfe der Substanz empor bildet, um schließlich dieses Mensch-sein bewusst zu regieren. Es vollzieht sich ein ständiges, harmonisches Ineinandergreifen der verschiedenen Anlagen der Substanz der Seele, die alle nur einem Wesen eigen sind, die aber im Grunde als Zweck und Ziel haben: Jener höchsten Anlage der Substanz zu dienen, die der Substanz selbst vorsteht. Im gewöhnlichen Menschenleben bietet die Substanz der Seele1232 die Möglichkeit, dass dieser Mensch, diese Person, sich menschlich betätigen und leben kann; wie aber dieser Mensch sich betätigt, das hängt ab von der Sonderart dieser Person, der die entsprechende Substanz als dienende Grundlage zur Verfügung steht. Daraus folgt aber nicht, dass die Substanzen der Seelen alle gleich seien, sondern jede Person hat die ihr zugehörige und angemessene Substanz, die allein ihr dienstbar sein kann, weil sie allein ihrer persönlichen Eigenart ganz entspricht. – Auch die Seele Christi hatte jene eigenartige Substanz, die allein der göttlichen Person dienstbar sein konnte und ihr angemessen war.

2933 |        Wenn im gewöhnlichen Menschen eine praktisch untrennbare Einheit besteht zwischen Person und Substanz (– welche Einheit nur in Gedanken analysierend aufgeteilt werden kann –), so besteht dem gegenüber im Gottmenschen der Unterschied, dass seine Seele tatsächlich eine Substanz „ohne Person“ war, also etwas in sich von der Person Getrenntes, was sich aber harmonisch mit einer „Person“ verbinden musste, um die zu Menschenleben notwendige Einheit des Umsatzes all der verschiedenen Kräfte herstellen und darstellen zu können. Das Göttliche musste sich den substanziellen Anlagen einfügen, um diesen gleichsam als die notwendige Ergänzung – nämlich als die eine Einheit in den verschiedenen Anlagen herstellende Personkraft – zu dienen, oder vielmehr um die Wirklichkeit einer „Person“ zu bilden, wie zu einem wahren Menschenleben erfordert ist. – Abgesehen von diesem Unterschied in der Art der Verbindung zwischen „Person“ und Substanz in der Seele Christi bestand aber auch bei ihm die Aufgabe der Substanz darin, sich und ihre Anlagen in die physische Natur einzuleben, den Umsatz der verschiedenen Kräfte zu besorgen und die physische Natur nach der Eigenart der göttlichen Person zu formen. Dies geschah aufgrund des gegebenen Lebensgesetzes, der psycho-physischen Wechselbeziehungen im Menschen, die eine Mitbetätigung der physischen Natur zum tatsächlichen der Eigenart der Person entsprechenden Lebensbestand verlangen. Darum musste gleich bei Beginn des gottmenschlichen Daseins Christi im Augenblick der Menschwerdung in diesem zum „Leben“ notwendigen Verhältnis der Kräfte ein Gleichgewicht hergestellt werden, das harmonisch und dauerhaft war wie ein „Naturzustand“.

2934 |        Es ist merkwürdig und wunderbar, wie völlig unvermutet ich immer geistig inspiriert und erfasst werde vom Erleben des psychologischen Geheimnisses Christi1233. Ohne jede Vorbereitung – nicht einmal die Vorbereitung eines Augenblicks geht voraus – werde ich in dieses Erleben hineinversetzt. Meist ist es zunächst nur „ein Satz“, in dem aber vieles enthalten ist, was sich beim Niederschreiben aufteilt [und] in einzelnen Fragen entfaltet. Alles ist aber so klar und bestimmt, dass es meinerseits dabei die Annahme einer etwa entgegengesetzten Ansicht oder eine Änderung der Ansicht gar nicht möglich wäre. Und doch wird das Erlebte meist mit meinen Erkenntniskräften mir begreiflich gemacht, aber nicht zu einer Möglichkeit darüber zu „denken“ oder mit mir selbst darüber zu „diskutieren“, sondern als einfache Bestätigung durch die Einsicht meiner eigenen Erkenntniskraft.

2935 |        Ich kann sagen: Ich werde vom Durchleben der Psychologie Christi befallen und ich selbst bin mittels meiner eigenen Seelenkräfte in geheimnisvoller Weise an diesem „Leben“ beteiligt.

 

19.08.1944

2936 |        Auf meine innerliche Frage: Wie und in welchem Umfange hat sich das ewige Wort seiner menschlichen Natur mitgeteilt, wurde mir innerlich zu wissen gegeben:

2937 |        Die Mitteilung der göttlichen Person an die menschliche Natur vollzog sich in der Form von beständigen „göttlichen Bewegungen“. Diese Formen der göttlichen Mitteilungen1234 änderten sich jeden Augenblick, entsprechend den äußeren Einflüssen, den Eindrücken und „Erlebnissen“ der menschlichen Natur Christi. Doch dafür gibt es keinen Ausdruck, weil diese Mitteilungen ganz im Gebiet des Göttlichen blieben. Was mir jetzt menschlich zu erfassen geboten wird, das ist nur die allgemeine Grundlage der göttlichen Selbstmitteilungen des Wortes an seine menschliche Natur. In meinem kommenden „Selbsterleben“ des Erlösungsgeheimnisses wird aber in manchen auch dieses Gebiet für und durch meine Erlebnisse geklärt werden, insofern im Augenblick des Erlebens sich auch irgendwelche Mittel oder Worte des Ausdrucks finden werden.

+ + +

2938 |        Die folgende Antwort wurde mir innerlich gegeben bezüglich einer allenfallsigen [sic!] Schwierigkeit gegen meine Erkenntnisse über die Psychologie Christi: „In dieser Auffassung wird Gott zu sehr vermenscht“.

2939 |        Als Antwort darauf wurde mir der Ausspruch Christi in Erinnerung gerufen: „Mich erbarmt des Volkes (oder ich habe Mitleid und Erbarmen mit dem Volke …. sie brachen unterwegs zusammen (Mark.8.2))“. Dieses Wort wurde mir in einem tiefen Erfassen seines psychologischen Ursprungs erklärt als ein tatsächliches, gelebtes und empfundenes „Fühlen und Mitleiden“ des Gemütes des in die Lage eines Menschen hineinversetzten Christus. Dieser bezeichnet sich selbst, seine göttliche Person als das Subjekt des Mitleidens und Fühlens, als den, der mitleidet mit den hungernden Menschen: „Ich habe Mitleid“. – Der Ausdruck „Mitleid“ selbst offenbart und zeigt schon etwas „Durchlebtes und Durchlittenes“ (angesichts jener Situation des Volkes), etwas, das schon das Innere des sprechenden Subjektes durchdrungen und durchlebt hat.

2940 |        So schaute ich gleichsam den psychologischen Weg, den dieser Ausspruch Christi gegangen ist, von der göttlichen Person als dem „Ich“ bis zum tatsächlichen menschlichen Mitleid und Mit­fühlen dieses göttlichen „Ich“, das ein wahrhaft menschlich fühlendes „Ich“ ist, das die Not des Volkes wirklich mitgelitten hat. Auch der Ausdruck „mich erbarmt“ entspringt einem menschlich und körperlich empfundenen Gefühl, woran das „Ich“ Christi zutiefst beteiligt ist, ja als Subjekt den Hauptanteil hat; denn dieses „Erbarmen“ wurde hervorgebracht durch dieses „Ich“ mittels des menschlich fühlenden Werkzeuges seiner menschlichen Natur.

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2941 |        Bezüglich meines Innenlebens im Allgemeinen kann ich in einem wahren Sinne sagen: Ich habe gleichsam jedes „religiöse Leben“ verloren, d. h. die religiösen Gefühle, die den Übungen der Frömmigkeit, zumal am Anfang des geistlichen Lebens entspringen, sind mir entschwunden. Damit habe ich aber keinesfalls die religiöse Betätigung aufgegeben, obwohl diese für mich persönlich nichts1235 an religiösem Erleben einbringt. In diesem Sinne lebe ich nicht mehr ein „religiöses“ Leben (der Gefühle), sondern mein inneres Leben geht auf in einer „Religion der (inneren) Tat Gott gegenüber“. Das zu tun, was eine immer höhere Vervollkommnung meines ganzen Menschseins ausmacht und wozu ich durch die innere Führung befähigt werde: Dies ist an die Stelle der früheren Art meiner „religiösen Übungen“ getreten. (Vielleicht ist das recht „plump“ ausgedrückt, aber es lässt sich eben dieser Zustand schwer in Worten umschreiben).

2942 |        Mit diesem religiösen Zustand bin ich an jenem Punkte angekommen, der mir früher von der göttlichen Führung angedeutet und erklärt worden war mit den Worten: „Gott ist nicht 'religiös'. In ihm ist vielmehr alles Tat und Wirklichkeit im vollkommensten Sinne. Sein Wesen ist Vollkommenheit und Heiligkeit in all seinen Taten. Alles, was Gott tut, ist gut im höchsten, vollkommensten Sinne“.

2943 |        Mittels der religiösen Übungen strebt und bewegt sich der Mensch zu Gott hin. Sie sind für den Menschen ein Weg zu Gott, der aber zusammengehen muss mit einer wachsenden Vervollkommnung der gewöhnlichen Handlungen und Betätigungen des Lebens. Das will sagen: Das religiöse Gefühlsleben muss sich erheben in die höhere Ordnung immer vollkommenerer (innerer und äußerer) Taten und Handlungen. Im höheren Seelenleben wird dies ein „ganz gewöhnlicher“ Zustand; das frühere, mehr gefühlsmäßige religiöse Leben der Übung tritt zurück und stattdessen begnügt sich die Seele mit der ganz einfachen, unmittelbaren Übung der Tat Gott gegenüber, die sich auch im täglichen Leben auswirken. Die Seele „verliert“ sozusagen die gefühlsmäßige „Annäherung“ an Gott, die ihr früher unentbehrlich schien und die nur diese Annäherung selbst zum Ziele hatte. – Auf den höheren Stadien des geistlichen Lebens kommt es diesbezüglich „wie von selbst“ zu einer vollständigen Umschaltung: Es genügt der Seele die Tat, denn sie hat ihr höchstes Ziel gefunden in der rechten Betätigung Gott gegenüber, in der Vollkommenheit ihrer Taten und Handlungen, während die früher vornehmlich seine göttliche Nähe suchte und sich in diesem Wunsch und Sinne für ihn verzehrte.

2944 |        Gottes Nähe suchen und fühlen, und sich diese Nähe von ihm schenken lassen, das ist gut und recht; viel höher steht aber dies: Immer mehr Gottes vollkommene Handlungsweise nachahmen, Gottes Vollkommenheiten menschlich nachbilden und sie in menschlichen Werken zum Ausdruck bringen; sie immer vollkommener sich zu eigen machen, also Gott sich zu sichern durch ein möglichst vollkommenes Handeln und Tugendleben; denn alle Vollkommenheit ist nur in Gott begründet und mit einem vollkommenen Handeln und Tugendleben macht man und gewinnt man sich darum Gott selbst als höchsten Anteil. Kurz gesagt: Man lässt das „religiöse Leben“ der Gefühle und man lebt das Leben Gottes selbst (das uns durch die Gnade mitgeteilt wird).

2945 |        Das Merkwürdige in diesem Stadium des geistlichen Lebens ist, dass man vollständig zufrieden und glücklich ist, Gott allein in dieser Tatsächlichkeit der Betätigung zu besitzen. Das ist die höchste Einfachheit und Genügsamkeit, und jede Seele sollte dieses Ziel des geistlichen Lebens immer vor Augen behalten. Das gesamte religiöse Leben, recht verstanden, geht auf dieses letzte Ziel aus: dass unsere Sitten und Taten und Werke sich immer mehr der Vollkommenheiten Gottes näheren. Gott selbst möchte dieses Ziel in jeder Seele erreicht sehen1236.

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2946 |        Wiederholt hatte ich heute dieses geistige Wissen: Das Christentum wurde von Christus und den Aposteln, die ihm folgten, ganz auf der „Tat“, auf die Vervollkommnung der Sitten gestellt, die aus dem Glauben an Gott, den Erlöser, aus der Lehre Christi entsprang. Erst im Laufe und im Wandel der Zeiten wurde das Christentum in der Praxis gleichsam erniedrigt bis zum Vorherrschen des „Kultes“ gegenüber dem Tun. Die ersten Christen unterschieden sich aber von den Ungläubigen durch ihre Lebensweise.

2947 |        Christus will seine Kirche erneut auf diesen Geist der ersten Periode seiner eigenen Stiftung zurückführen, und zwar mittels der angegebenen Glaubensvertiefung, die eine Forderung der Tat ist. In der von ihm angegebenen Glaubensvertiefung liegt als tiefste Grundlage eine „Religion der Ausübung und der Tat“. –

 

20.08.1944

2948 |        Heute in St. Peter war ich im Voraus von meinem jetzigen Zustand aus in die nächste, anscheinend mir unmittelbar bevorstehende Stufe, nämlich in das neue „Person-Erleben“, und zwar in das „Person-Erleben Christi“ versetzt (ich kann es aber nicht so kurz und klar und doch wieder so inhaltsreich ausdrücken, wie ich es erlebt habe).

2949 |        „Der jetzige Zustand der erlebnismäßigen 'Unpersönlichkeit' zusammen mit der Übung eines substanziellen Seelenlebens führt mich ein in ein neues Person-Erleben.“1237

2950 |        Ich wurde auch von Neuem die Notwendigkeit einer vorausgehenden „Entpersönlichung“ d. h., die Trennung und Befreiung vom Erleben der eigenen Person und damit vom gewöhnlichen Seelenleben überhaupt, um dann eingeführt werden zu können in das Erleben des psychologischen Geheimnisses in Christus, und zwar in einer gewissen „Nachbildung meines Seelenlebens nach der Art des Seelenlebens Christi“. – (Doch diese feinen Bezeichnungen dienen wohl nur meinem eigenen Erkennen zum Verständnis der Notwendigkeit der sich vollziehenden Umbildung und Überführung, lassen sich jedenfalls schwer in Worten ausdrücken). – Ich erfasse dabei zwei Gegensätze: Die Seele Christi in ihrer Eigenart, und ihr gegenüber meine Seele, die in etwa die Eigenart der Seele Christi annehmen soll, soweit es für das Erleben der Erlöserperson notwendig ist. Ich schaue dabei auch die Wege und Akte zu dieser Umbildung, d. h. den jetzt erreichten Zustand – und das, was noch fehlt zum Vollzustand („So bin ich jetzt – und so muss ich werden und sein am Ziel“). –

2951 |        In Fortführung der Erklärungen über die moralische und psychologische Grundlage der Vereinigung mit Christus bin ich mir ferner der Notwendigkeit bewusst geworden, dass auch meine physische Natur an das Seelenleben angeglichen werde, bzw. eine entsprechende physische Leistungsfähigkeit erlange, die das „Erleben der göttlichen Person“ voraussetzt.

2952 |        „Nicht die physische Kraft als solche ist dabei entscheidend, sondern viel mehr eine gewisse physische Fügsamkeit und Einfühlung in das Geistige“. Meine physische Natur muss darum gleichsam „dehnbar“ und geschmeidig gemacht werden, um den Ansprüchen des Geistes genügen zu können. Die Ansprüche meiner physischen Natur müssen auf das Mindestmaß herabgesetzt werden in allem, was „Genuss und Befriedigung“ betrifft; umso mehr muss sie aber den Ansprüchen des Geistes dienstbar gemacht werden, unter dessen völlige Herrschaft sie gestellt wird; das gilt vor allem in Hinsicht auf das, was die besondere Art der Vereinigung mit der göttlichen Person erfordert.

2953 |        Darin erkannte ich auch eine der Hauptursachen meiner so lange dauernden Vorbereitung auf das eigentliche Ziel meiner inneren Führung und meines Innenlebens. Es handelt sich nämlich dabei auch um eine allmähliche Angewöhnung an die kommenden besonderen Forderungen des Geistes. Dies wurde mir durch Hinweise auf Erfahrungen im gewöhnlichen Leben erklärt: Eine geistig sehr1238 hochstehende Seele z. B. könnte nie mit einem sehr vermaterialisierten Leib mit vielen irdischen Bedürfnissen und Ansprüchen zusammen bestehen. Eine physische Natur mit vielen materiellen Ansprüchen behält sich immer1239 gewisse eigene Befriedigungen vor, die zugleich von der Seele bejaht werden und damit den Höhenweg und den Aufstieg der Seele hemmen. Eine geistig intensiv tätige Seele braucht für ihr ungehindertes Arbeiten auch einen „leichten“, nüchternen und gefügigen Leib; denn die Eigenschaften des Leibes wirken sich auch in einem gewissen Sinne auf die Seelentätigkeit aus. So muss eine gewisse Harmonie und Proportion zwischen Seele und Leib geschaffen werden, wenn der eine Teil nicht die Betätigung des andern hemmen soll. – Ich kann diese Tatsache auch aus gewissen Erfahrungen meines Innenlebens bestätigen: Zuweilen, wenn ich in eine hohe Sublimität des Geistes erhoben war oder wenn ich, wie zur Probe meiner Kräfte für meine eigene Einsicht in die Notwendigkeit meines inneren Weges, in ein gewisses Vorauserleben Christi versetzt war, fühlte ich die Schwere der physischen Natur etwa so, wie wenn eine Bleikugel an einem Bindfaden hinge. Es schien mir unmöglich, dass sich die physische Natur zu einer entsprechenden „Leichtigkeit“ um- und emporbilden lasse, um dieses „Hängen“ der Bleikugel in keiner Weise mehr als hemmend zu verspüren. Bei diesen probeweisen Gegenüberstellungen zwischen den Anforderungen des Geistes und der physischen Leistungsfähigkeit wurde mir immer wieder bedeutet: Die Schwere der Bleikugel darf schließlich nicht mehr verspürt werden; die physische Natur muss so „leicht“ werden, wie der Bindfaden selbst; es darf keine fühlbare Differenz mehr zwischen beiden bestehen. – So ähnlich schien zuweilen die Bleikugel meiner eigenen physischen Natur am leichten Bindfaden meiner Seele zu hängen und ich litt unaussprechlich unter der eigenen Schwere. Und diese „Schwere“ musste ständig reduziert, herabgesetzt, vermindert werden, damit es zu einer ebenmäßigen Einfühlung des physischen Elementes in das seelische kommen könnte. Diese Reduzierung wurde herbeigeführt durch die führende Gnade, verlangte aber auch meine eigene Mitarbeit.

2954 |        Der Heiland verkürzte, unterband die Genussfähigkeit der physischen Natur durch mancherlei Leiden, sodass sie zuweilen meinte, sie müsste vergehen und sterben unter dem Druck der Anforderungen der Gnade und des Geistes, von dem sie beherrscht und gleichsam bedrückt wurde1240. Aber allmählich zeigte1241 sich auch auf diesem Gebiete der Erfolg, insofern die Last der Materie gleichsam überhaupt nicht mehr gespürt1242 wird; die physische Natur ist ganz unter das Gesetz des Geistes gestellt und es bleibt nur mehr ein leichter Bindfaden – um es wieder im Bilde zu sagen; denn die Bleikugel ist1243 nicht mehr spürbar. Freilich werden dann auch die Anforderungen des Geistes an den Leib immer1244 noch mehr erhöht, insofern sich mit einer entsprechenden Erhebung der Seele auch die Sublimierung des Leibes steigern muss.

2955 |        Diese geistig-physischen Vorgänge liefen ständig passiv mit meinem ganzen Innenleben mit. Sie bildeten, wie ich jetzt klar erfasse und erfahre, den Untergrund zu einer anderen notwendigen Voraussetzung für meine kommende Aufgabe, nämlich zu einer gewissen substanziellen Seelenbetätigung, bei der das Physische in vollkommener Harmonie mit dem Geistigen stehen muss. Dazu wird die ganze physische Natur gleichsam geistdurchlässig: Die Geistigkeit durchdringt und „durchfühlt“ den Leib, ohne im Physischen ein Hindernis zu finden. In dieser höchsten Harmonie und Gefügigkeit zwischen Geist und Materie scheint aus beiden Elementen nur eines geworden zu sein, obwohl beide ihre volle Tätigkeit aufrechterhalten. Dies ist die Grundlage für das substanzielle Seelenleben. Und dieser Zustand hat in höchster und vollkommenster Weise in Christus bestanden.

2956 |        Da der Leib in diesem Zustand geist-durchlässig ist, kommt es zu einer ganz raschen und unmittelbaren Reaktion zwischen den beiden Substanzen. Es ist ein Zustand des oben beschriebenen „Wanderns mit verbundenen Augen“. Man fühlt und „sieht“ dabei alle geistigen Hindernisse und Leiden, ohne sie auf die gewöhnliche verstandesmäßige Weise bestätigt zu haben. Ebenso gelangt man auf dieser Geistesstufe zu einem wesentlichen, unmittelbaren Erleben aller Güter und Genüsse des Geistes. Die ganze doppelseitige Betätigung von Seele und Leib bleibt wie auf ein Zentrum oder einen Punkt beschränkt und1245 bleibt im Zentrum selbst. Obwohl die Betätigung tatsächlich das Ergebnis des Zusammenwirkens von so vielerlei Kräften ist, erlebt man bei dieser substanziellen Seelenbetätigung doch unmittelbar nur sich selbst als das Zentrum; auch was an Erlebnissen zunächst von außen herankommt, geht gleichsam zum Herzen oder zum Mittelpunkt und bleibt im Herzen; obwohl es zunächst durch die Sinne, also durch den „Kopf“ aufgenommen wird, scheint es bei diesem substanziellen Erleben, als würde es nicht durch den Kopf gehen.

2957 |        So1246 vollzieht und vertieft sich eine vollständige Umstellung des Gesamtlebens in mir. Seitdem diese Art des Seelenlebens als einheitlicher Zustand begann (11. August), hat sich dieser Zustand schon wieder um vieles erhöht, ausgedehnt, vervollkommnet und ich schaue immer weitere Folgen dieser Art des Seelenlebens in mir. Dem Entsprechen aber auch die Erhöhungsleiden, die zur weiteren Vervollkommnung dieses Zustandes führen sollen. – Im Grunde ist es aber ein wunderbarer Seelenzustand, zwar ohne verstandesmäßiges Bewusstwerden dieses Zustandes selbst, aber als ein unmittelbares Leben dieses „unermesslich in sich gesättigten Geisteshabitus“; ein Zustand also, der wohl wert ist und aufwiegt all die unaussprechlichen Leiden und gleichsam „Gewaltmaßnahmen“, die der Heiland in mir in1247 Hinsicht auf dieses Ziel angewandt hat. Er hat damit ein seit Jahren gemachtes Versprechen und ein oft vorausgezeigtes Ziel in mir wahr gemacht, in das er mich unzählige Mal im Voraus hineinversetzt hat und dessen geistiges Wesen und Wirken ich mit seiner Gnade erfassen konnte. Das Ziel aber wirklich zu erreichen, das konnte nur er allein in meiner Seele bewerkstelligen. Die Seele kann viel schauen und erkennen – aber wie soll sie zu dem Geschauten hingelangen? Sie sieht keinen Weg dorthin; dieser bleibt immer ein Geheimnis der göttlichen Gnade und Weisheit und die Seele muss sich wie „blind“ mitnehmen lassen zu diesem vorher erkannten Ziel.

2958 |        Der Herr gibt mir die besondere Gnade, den Vereinigungszustand mit IHM in seiner moralisch-aszetischen und psychologischen Unterlage und Voraussetzung einigermaßen erklären zu können; vieles davon bleibt aber unaussprechlich und wird immer ein Geheimnis bleiben.

2959 |        Auch über die Psychologie Christi werden jetzt nur die ganz allgemeinen Grundlinien gezeigt. Die eigentliche Offenbarung seines Erlösergeheimnisses beginnt erst mit dem wirklichen „Erleben an seiner Stelle“.

 

21.08.1944

2960 |        Heute ist in mir ein wahrer „Todeszustand“. Ich bin in geisti­gen Leiden wie begraben und es scheint: es geht einfach nicht mehr – – –

2961 |        Dabei ist mir, als werde ich ständig (in einer geistigen Art) vom elektrischen Strom einer Elektrisiermaschine durchdrungen. Dieser innere Prozess bewirkt eine noch höhere „Einheitlichkeit“ zwischen den physischen und psychischen Kräften in mir, um den Zustand in mir vollends herzustellen, den ich als den vom Herrn für mich gewollten Idealzustand in meinem Erkennen trage. –

2962 |        Es ist furchtbar und wie eine Folterqual – – – – aber ich bin zufrieden dabei; denn ich will keinerlei Befriedigung für mich und1248 habe in der ganzen1249 Sache nie eine Befriedigung für mich gesucht.

 

22.08.1944

2963 |        Es ist in mir ein geheimnisvoll schmerzliches „Zerbrechen meiner jetzigen Lebensordnung“ und zugleich eine Beschlagnahme meines Gesamtseins durch Gott, verbunden mit einer sich erhebenden „neuen Lebensordnung“. Es ist ein geistiger „Todeszustand“, aus dem ein neues Leben hervorgeht.

2964 |        Gleichzeitig werde ich1250 hingeführt zur sittlichen Übung der höchsten und reinsten Absicht: „Herr, alles nur deinetwegen! Selbst wenn ich nie einen Erfolg sehen würde, wollte ich nur deinetwegen treu sein und nur für dich leiden. Ich will keinen Erfolg, nicht einmal das Priesterwerk als Bestätigung meines Innenlebens. Nur rückhaltlose Hingabe, einzig und allein um dich als den absoluten Herrn meines Lebens anzuerkennen, der mein Leben ach in einem Übermaß geheimnisvoller Leiden zerstören kann. – Dieser Akt rückhaltloser Hingabe löste zwar zunächst einen großen Widerspruch meiner Natur aus, gab mir1251 aber auch volle Ruhe in dieser höchstmöglichen Selbstlosigkeit Gott gegenüber.“

 

23.08.1944

2965 |        Heute Morgen schon war ich in einem Zustand, der dem gestrigen Leiden gerade entgegengesetzt ist: Unaussprechliche Ruhe, wunderbare eigene Harmonie! – Wahrlich, der Herr hat in den letzten Tagen durch das Feuer der Leiden eine große Arbeit in mir vollbracht!

2966 |        In der Kirche „Al Gesu“ war ich dann in höchster Feinfühligkeit in das Durchleben des Geheimnisses der hypostatischen Union versetzt. Dabei bin ich in mir selbst dieser Art der Verbindung der göttlichen Person mit der menschlichen Natur inne; jenes Geheimnis ist mittels meines Menschseins in mir „nachgebildet“. (Die hauptsächlichsten Punkte dieses Erlebens habe ich mir sofort notiert).

2967 |        Besonders wurde ich inne „die Art der Betätigung der physischen Natur und ihre Einfühlung in das Leben des Gottmenschen.“

2968 |        Die physische Natur Christi war „mittätig“ mit der göttlichen Person nach der Menschwerdung. Nach der Annahme der menschlichen Natur konnte sich die göttliche Person des Wortes nicht mehr „allein“ – d. h., ohne diese angenommene Natur – im Kreise der Heiligsten Dreifaltigkeit „bewegen“. Darum war schon im Mutterschoß Mariens eine entsprechende Vergeistigung auch seiner physischen Natur und eine entsprechende Anpassung an das Wesen und die Betätigungsart der göttlichen Person erfordert. Vermöge der hypostatischen Union, bildete ich eine Tätigkeit aus den Vollkommenheiten der göttlichen Person und den Kräften der menschlichen Natur, wobei das göttliche Sein mittels der physischen Natur zum menschlichen „Leben und Ausdruck“ kam. Alles, was der Gottmensch Christus tat, das tat er als Gott mittels seiner physischen Natur. – Zu diesem Zwecke musste diese auch höchste Leistungsfähigkeit haben; sie musste gleichsam die „Eigenart“ der göttlichen Person „annehmen“ und in sich tragen, nicht in ihrem Wesen, aber doch in ihrer Betätigungs-1252 und Ausdrucksform. Diese physische Betätigungsform musste die entsprechende Leichtigkeit, Sublimität und „Spannkraft“ besitzen, um den Ansprüchen der göttlichen Person genügen zu können. So bestand bei allem, was sich von der Menschwerdung an bis zum Tode am Kreuze in Christus vollzog, keine Trennung oder Verschiedenheit der Funktionsart zwischen der göttlichen Person und der physischen Natur. In allem, was zwischen diesen beiden Polen liegt, war die physische Natur – auf dem Wege über die Seele­ das Werkzeug und Ausdrucksmittel für die göttlichen Vollkommenheiten der Person.

2969 |        Zur Erläuterung dieses erhabenen Geheimnisses werde ich hingewiesen auf ähnliche Wirkungen des gewöhnlichen Naturgesetzes. Die Seele als das „Leben“ (oder Lebensprinzip) des Leibes erleidet die Schmerzen als die ihren. Obwohl bei einer rein geistigen Beschäftigung, z. B. beim Studium, in der Hauptsache der Geist in Anspruch genommen wird, ermüdet doch auch der Leib dabei; denn infolge des gottgeschaffenen Naturgesetzes der Lebenseinheit zwischen beiden zieht der Geist auch aus dem Leibe Kräfte zu seinem Bestande. Ja, geistige Beschäftigung beansprucht sogar noch intensiver als körperliche Beschäftigung die physischen Kräfte, weil die Geistesarbeit – wie mir innerlich schon öfter erklärt wurde – einen rascheren Umsatz und Gebrauch aller Lebenskräfte, auch der physischen, verlangt. – Wenn nun auch Christus nicht im gleichen Sinne wie wir gewöhnliche Menschen „Geistesarbeit“ leistete, so war doch in ihm eine „höchst geistige Tätigkeit“, wofür die physische Natur von der göttlichen Person beansprucht wurde. Auch die Ausübung hoher moralischer Vollkommenheit einer Person erfordert höchste Intensität des Geistes und eine entsprechende Leistungsfähigkeit der physischen Natur. Für gewöhnlich kann der Mensch – nach seinem Lebensgesetze – nichts, was er nicht eingeübt und gleichsam „oft probiert“ hat. In Christus gab es auch in seiner Natur kein solches „Probieren und Üben“; bei ihm war vielmehr alles auf die unbedingte „Tat“ und Ausübung gestellt, wozu seine physische Natur das Werkzeug, ja ein kraftspendendes Werkzeug sein musste; denn das gesamte Erlöserleben in seinen verschiedenen Formen kam mittels der physischen Kräfte Christi zustande und alles, was der Erlöser tat, das tat er mit und durch die Inanspruchnahme seiner physischen Kräfte.

2970 |        Wenn man diese Tatsache recht bedenkt, so kann man sich ein Bild machen von der Höhe der Leistungsfähigkeit der physischen Natur Christi. ­Es könnte aber jemand einwenden: Die physische Natur Christi hat alles mit den Kräften der göttlichen Person vollbracht. – Darauf ist zu antworten: Dann hätte im Gottmenschen kein wahres menschliches Leben bestanden, sondern einseitige Geistigkeit. Gewiss hat die physische Natur alles in hypostatischer Einheit mit der göttlichen Person vollbracht, aber unter Beanspruchung der Mitbetätigung ihrer physischen Kräfte. Andernfalls könnte man auch die sittlichen Tugenden Christi keine wahren gottmenschlichen Tugenden nennen (sondern es wären rein göttliche). Es sind aber tatsächlich gottmenschliche Vollkommenheiten und Tugenden, weil sie von der göttlichen Erlöserperson1253 unter Mitbetätigung und wirklicher Kräfteanspannung der physischen Natur vollbracht wurden, weil also auch die physischen Kräfte ihren entsprechenden Teil dazu beigetragen haben.

2971 |        Die höchste Inanspruchnahme der menschlich-physischen Natur durch die göttliche Person, und folglich die höchste Leistung dieser Natur bestanden nun aber darin, dass sich der göttlich-wesentliche Seinszustand der Person in ihrem gottmenschlichen Leben auswirkte, und zwar wiederum mittels und unter Mitbetätigung der physischen Natur. Durch die göttlich-wesentliche Vollkommenheit Christi wurde gleichsam das gesamte Menschsein Christi in die Stellung der unmittelbaren Mitbetätigung mit den seinshaften göttlichen Vollkommenheiten versetzt; andernfalls wäre es infolge der allzu großen Verschiedenheit und Spannung zwischen den beiden Naturen in Christus zu einer Trennung oder Auflösung der hypostatischen Einheit gekommen.

2972 |        Ich wurde in wunderbarer Klarheit in diese Art des Zusammenlebens der beiden Naturen – in einem „Leben“ – erhoben, so ähnlich, wie wenn man etwa mit einem Vergrößerungsglas den Betrieb einer Maschine und das Zusammenarbeiten ihrer verschiedenen Bestandteile beobachten könnte. – Die Grundlage, den Mittelpunkt und das Hauptwunder jener wundervollen Harmonie im Gottmenschen bildete die Ausübung und Auswirkung des göttlichen Seinszustandes und dementsprechend eine „seinshafte“, substanzielle (dem göttlichen Sein ähnliche) Betätigung seiner Seele, wodurch dem göttlichen Sein jene wunderbare „Ergänzung“ zu einem gottmenschlichen Leben geboten wurde. Infolge der hohen Vergeistigung der menschlichen Seele Jesu, und der von ihr belebten physischen Natur, konnte es zu einem unmittelbaren Aufnehmen des menschlichen Lebensstandes in die göttliche Person kommen. Es war in Christus ein ähnlich einheitlicher Lebensbestand wie in unserem gewöhnlichen Leben, jedoch mit einem noch unmittelbareren Verhältnis und Erleben zwischen göttlicher und menschlicher Natur. Es war nämlich im Gottmenschen jenes geistige Räderwerk des Umsatzes zwischen göttlichen und menschlichen Kräften nicht vorhanden, das im gewöhnlichen Leben den Umsatz zwischen den physischen und psychischen Kräften „verstandesmäßig“ d. h. auf dem Wege von Vergleichungen, Gegenüberstellungen, Anforderungen, wenn auch unbewusst, leitet. Trotzdem – oder vielmehr gerade deshalb – herrschte im Gottmenschen ein normales, ja ein noch viel feineres und intensiveres Durchleben zwischen Person und Natur, wie es einem normalen Person-Erleben des Menschen zugrunde liegt.

2973 |        Das gewöhnliche Menschenleben ist ein „erzeugendes Leben“, weil der Mensch durch fortwährende Betätigung sich sein geistiges und körperliches Dasein gleichsam immerfort erhalten und erzeugen muss; es muss z. B. der Geist des Menschen ständig „arbeiten“, um bei normalem Verstand zu bleiben und mittels seines Wissens und des entsprechenden Bewusstwerdens die übrigen Lebensbetätigungen abwickeln zu können. Christus aber brachte als göttliche Person im Besitz der göttlichen wesentlichen Vollkommenheiten1254 alles Wissen mit, das einer Person entsprach, und zwar brachte er es in göttlicher Form mit. Sein göttlicher Seinszustand blieb ja auch in seiner Menschheit bestehen und wurde in seiner Menschheit gestützt und getragen von der substanziellen Art der Betätigung seiner Seele, die eine notwendige Voraussetzung war für diese Lebenseinheit der hypostatischen Union.

2974 |        Durch die substanzielle Seelentätigkeit werden – wie schon mehrmals erklärt – die vornehmsten, wesentlichen Kräfte der Seele gleichsam „abgehoben“ vom gewöhnlichen, verstandesmäßigen Umsatz und werden einer unmittelbaren Einwirkung der Person zugeführt. Bei dieser Betätigungsart ist also ausgeschaltet das Abwägen und Überlegen, das Anwenden und Gegenüberstellen, wie es sich im gewöhnlichen Leben vollzieht. Damit ist aber auch ausgeschlossen die Gefahr und die Möglichkeit des Vergrößerns oder Verringerns, des Abschwächens oder Aufbauschens der Eindrücke und Erlebnisse, ob sie nun von innen, von der Person zur physischen Natur oder von außen, von der Umwelt zur Person gehen. Bei der substanziellen Betätigung der Seele stützen sich die Erlebnisse nur auf die wahre Wirklichkeit, auf die unveränderliche Wahrheit der Eindrücke, sowie auf den Wert der Person selbst, durch die sie ausgelöst werden.

2975 |        Alles, was – von außen oder von innen kommend – auf dem gewöhnlichen Weg des verstandesmäßigen Umsatzes bewusst und erlebt wird, ist auf diesem „langen“ Weg (auch wenn er in einem Augenblick durcheilt wird) vielfacher Möglichkeit der Veränderung und Beeinflussung unterworfen, die wiederum eine entsprechende Wertänderung der persönlichen Stellungnahme zur Folge haben kann. Auch ein sittlich guter Mensch kann das Gute mehr oder weniger gut und vollkommen ausführen. Auch im religiös-sittlich sehr hochstehenden Menschen gibt es beständige Schwankungen zwischen guten und noch besseren Tatmöglichkeiten. Selbst eine vollkommene Seele kann bei einem noch höheren Aufstieg mit der Gnade Gottes, in den gleichen Fällen und Lagen, die Vollkommenheit noch viel besser ausüben und sich auswirken lassen. – Ebenso erleidet bei der gewöhnlichen verstandesmäßigen Betätigung der Seele das „Gemüt“ oder das Gefühlsleben beständige Schwankungen, die eine Trübung oder einen Ansporn auf die übrigen, der Person zur Verfügung stehenden Kräfte ausüben können. Der gewöhnliche (verstandesmäßige) Umsatz der verschiedenen Seelenkräfte bringt also die Möglichkeit einer beständigen Wertveränderung des menschlichen Tuns und damit eine beständige Veränderung des Wertes der Person selbst mit sich. Es ist aber ein Lebensgesetz für den Menschen, beständigen Veränderungen und Schwankungen ausgesetzt und unterworfen zu sein, weil gerade dadurch die Aktivität im Menschen angeregt und dadurch sein Leben selbst erhalten wird. – Ganz anders verhält es sich bei Gott. Bei und in ihm ist wesentliche Heiligkeit und Vollkommenheit ohne Trübung oder1255 Veränderung; es gibt keine höhere oder vollkommenere Tatmöglichkeit als die in ihm vorhandene und herrschende. Zugleich ist in Gott höchste Aktivität alles Guten; nichts bleibt in ihm stillgelegt. Er ist beständige, wesentliche Mitteilung und Auslösung seiner göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten, und zwar „ohne sich darauf besinnen zu müssen“, denn alles ist in und mit ihm gegeben; er ergießt sich auch immerwährend in der Überfülle seiner göttlichen Vollkommenheiten in seiner Schöpfung.

2976 |        Die zweite göttliche Person brachte nun alle göttlichen Vollkommenheiten mit in ihre menschliche Natur. Wie hätte es auch möglich sein können, dass sie unter den göttlichen Gütern gleichsam „ausgewählt“ hätte, oder dass sie sich besinnen und überlegen hätte müssen, wie sie dieselben hätte in menschlichen Taten verwerten können? – Die Seele Jesu nahm die göttlich-wesentlichen Güter in einer menschlich­-seinshaften Weise auf, so wie sie von der göttlichen Person geboten wurden und sie lebte diese göttlichen Güter in menschlich-seinshafter Weise weiter, ohne dass die Seele – ein geschaffenes Wesen – jemals hätte Gott werden können.

2977 |        Ein verstandesmäßiger Umsatz der göttlichen Vollkommenheiten in der Seele Jesu hätte eine vielfache Betätigung dieser Vollkommenheiten verlangt; eine solche vielfache Betätigungsart hätte aber die göttlich-wesentliche Einfachheit gleichsam „gestört“, wäre ihr zu sehr „artfremd“ gewesen und hätte eine zu große Spannung und Verschiedenheit in das gottmenschliche Leben Jesu hineingebracht. Darum musste eine entsprechende Angleichung der Betätigungsweise und Bewegungsfreiheit der menschlichen Natur an die Betätigungsart der göttlichen Person stattfinden und diese Angleichung konnte nur geschehen durch eine „seinshafte“ Übernahme der göttlichen Vollkommenheiten vonseiten der menschlichen Natur, also durch die substanzielle Betätigung der Seele, d. h., die unmittelbare Betätigung des Seins der Seele selbst, nicht mittelbar durch ihre Fähigkeiten. Im substanziellen Seelenleben wohnt eine Fülle von geschaffenen Vollkommenheiten in der größten Einfachheit und kann darum eine göttlich-wesentliche Einfachheit von dieser höchsten geschaffenen Einfachheit eines substanziellen Seelenlebens aufgenommen werden. In diesem Geheimnis liegt die Grundlage jenes Zusammenharmonierens zwischen göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten und menschlichen Weisen der Betätigung1256 und Verwertung, die sich wie auf einer ansteigenden bzw. absteigenden Linie oder Ebene bewegten. In dieser Harmonie konnten sich die göttlichen Vollkommenheiten immerwährend ergießen, ohne dass die Seele „überschwemmt“ worden wäre – so ähnlich, wie wenn ein Schwamm ins Wasser gelegt wird: Er ertrinkt nicht, weil er die Fähigkeit hat, Wasser aufnehmen zu können. Anderseits konnte sich die göttliche Natur des Wortes dem „Erleben der Seele“ übergeben, weil in dieser Seele und ihrer substanziellen Betätigung keine Täuschung und kein menschlicher Irrtum möglich war; auch die mit dem verstandesmäßigen Seelenleben gegebene Veränderlichkeit war ja ausgeschlossen. Zudem war bei Christus ein verstandesmäßiges Seelenleben auch deshalb unnötig, weil in ihm alle Wahrheit und göttliche Wirklichkeit war und deshalb kein Anlass bestand zu verstandesmäßigem Suchen und Betätigen – im Gegensatz zum gewöhnlichen Menschen, der sich ständig auf seine Taten besinnen und auf neue Taten vorbereiten muss.

2978 |        Bei aller Fülle göttlicher Vollkommenheit ist in Gott immer jene göttliche Fülle vorhanden, deren er – menschlich ausgedrückt – jeden Augenblick bedarf. Das will sagen: In Gott gibt es keinen „Vorrat“ des Seins oder des Wissens usw., wie wir Menschen uns Gott nach Art unseres „Sammelns auf Vorrat“ denken oder vorstellen. Gott ist vielmehr jeden Augenblick das Sein und er ist es ständig und jeden Augenblick in göttlicher Fülle. – Ebenso war die göttliche Person Christi in sich diese göttliche Fülle des Wissens usw. Aber er brachte dieses göttliche Wissen zum Ausdruck im Einklang mit den menschlichen Lebensgesetzen und entsprechend den Forderungen und jeweiligen Gegebenheiten und Zwecken seines göttlichen Erlöserlebens. Das göttliche Wissen Christi kam in den Ereignissen seines Erlöserlebens so ähnlich zum menschlichen Ausdruck und zur Anwendung, wie wenn man auf einen elektrischen Lichtschalter drückt und im gleichen Augenblick ist Licht da. Christus selbst war gleichsam die Licht-Zentrale, in der alles enthalten war, und aus der er jeden Augenblick nehmen und gebrauchen konnte, was und wie er es wollte. – Und doch hat Jesus z. B. als Kind sich ganz von seiner Mutter zu allen Lebensgewohnheiten anleiten lassen – wie ich es mit Entzücken innewerden konnte. Maria hat ihn in allem gleichsam für das menschliche Leben „fähig gemacht“, d. h., sie und ihre Worte und Beispiele usw. holten gleichsam die Fülle seines göttlichen Wesens hervor. – Jesus griff mit dem Gebrauch seines Wissens seinem menschlichen Wachstum nicht vor, sondern wartete, bis dieses Wissen durch die verschiedenen Umstände seines Lebens selbst angefordert und herausgefordert wurde.

2979 |        So blieb das göttliche Sein des Wortes auch in der menschlichen Natur bestehen und diese war das Mittel, dass das göttliche Sein in menschlicher Art gelebt und geoffenbart wurde; mit anderen Worten: Die göttliche Fülle des „Seins“ wurde in Christus menschlich gebraucht, verwertet, in Anspruch genommen, in menschliche Tätigkeit gesetzt. – In Gott ist ewige „Ruhe“, d. h. beständige Tat ohne Bewegung (im menschlichen Sinne) und ohne Ermüdung usw. Innerhalb der menschlichen Natur lebte sich diese göttlich-wesentliche Unbeweglichkeit und Unveränderlichkeit in einer göttlichen „Bewegung“ im menschlichen Sinne aus, und dazu musste nicht nur die Seele Jesu, sondern auch die physische Natur als Mittel und Werkzeug dienen; sie musste also in sich eine gewisse „Grundlosigkeit“ und „Unerschöpflichkeit“ bieten können, die ausreichend war für die gottmenschliche Betätigung1257 der Fülle des Wortes. – So war in aller Wahrheit die physische Natur Christi nächst der Seele Jesu das wunderbarste Gefäß, das Gott selbst dienstbar war.

2980 |        Alle Umstände des Erlöserlebens kamen der göttlichen Person in substanzieller, seelischer Weise zum Erleben, und zwar ganz entsprechend der Wahrheit und Wirklichkeit, was Inhalt und Tiefe und Intensität betraf. Jesus ließ sich auch nach menschlicher Sinnestätigkeit vom Sehen, Hören, Fühlen usw. leiten, aber die Vergeistigung seiner menschlichen Natur hatte ein unmittelbares Aufnehmen dieser Sinneseindrücke durch die göttliche Person (mittels der substanziellen Betätigung der Seele) zur Folge. Als Mittelpunkt und Zentrum der Erlebnisse Jesu – sowohl derer, die von außen über die Seele zur Person1258 gingen, wie auch aller Einwirkungen der Person auf die menschliche Natur – bildete sich das wunderbar wahre, der Wirklichkeit gemäße Gemütsleben Jesu aus. Dieses Gemütsleben ist eine Zusammenfassung von göttlichen und menschlichen Erlebnissen in Christus.

2981 |        So habe ich heute Wunderbares im Gottmenschen erlebt und ich war dabei mit meinem eigenen Sein an diesem Geheimnis „beteiligt“. – Ich weiß nun auch in höherer Weise um die Eigenart meiner Vorbereitung für das dauernde Erleben Christi. Es braucht dazu nämlich eine unaussprechliche feinfühlige Bewegungsfähigkeit auch meiner physischen Natur; es braucht eine hohe Loslösung meiner Seele von ihrer angeborenen verstandesmäßigen Betätigung. – Ich konnte erkennen, in welchem Umfang und in welcher Feinheit ich diese (Loslösung) schon erreicht habe, um übergehen zu können zu noch vollkommenerer substanzieller Seelentätigkeit. – Ich weiß auch immer mehr, was ich an Eigenem noch abzugeben habe in beständiger Treue gegen die göttliche Führung, die mich unaufhaltsam diesem hohen Ziele entgegenführt.

2982 |        Das Schauen des letzten Zieles aller bisherigen Vorbereitung ließ mich auch begreifen, welche Leiden geeignet waren, um mich für dieses Ziel zu befähigen, und in welchem umfangreichen Maße der Heiland diesbezüglich in mir tätig war.

2983 |        Ich werde auch von Neuem angeregt, vollkommen auf „mich“ zu verzichten, um einen seiner Menschheit in etwa ähnlichen Zustand in ihm erreichen zu können. – Ich soll ihm das Werkzeug sein, damit sein gottmenschliches Leben „mystisch“ wiederholt werde.

2984 |        Anmerkung: Kurze Zusammenfassung über die substanzielle Betätigung: Substanz der Seele im Allgemeinen ist Voraussetzung für das Funktionieren des Menschenlebens überhaupt, denn darauf „ruht“ das ganze Gebäude des Mensch-Seins in psychischer und physischer Hinsicht.1259 Jede Betätigungsart der Seele richtet sich nach der Eigenart der Person-Anlage des betreffenden Menschen; denn die Person-Anlage ist die höchste und entscheidende unter den vielen Anlagen der Seele und ihr sind die übrigen Anlagen untergeordnet. All diese Anlagen ziehen sich wie konzentrische Kreise um einen Mittelpunkt oder, anders gesehen, sie gehen alle von diesem Mittelpunkt oder von diesem Zentrum aus, und zwar mit dem Gepräge und den Eigenschaften ihres Zentrums. Nicht nur das intellektuelle Leben, sondern auch die physische Betätigungsart des Menschen trägt das Gepräge und die Eigenart des Zentrums oder der Personanlage.

2985 |        Ein vollendetes, vollkommenes substanzielles Seelenleben bildet – nach meinem eigenen Erleben – eine wunderbare gott-menschliche Ebene für das Zusammenleben des wesentlichen göttlichen Seins des ewigen Wortes und der menschlichen Natur in Christus. Das substanzielle Seelenleben ist ein „geschaffenes, menschlich-seinshaftes Leben“ und darum eine passende Brücke zwischen göttlicher Person1260 und menschlicher Natur, wobei die göttliche und die menschlich substanzielle Tätigkeit sich ergänzen können zu einem harmonischen Leben und beide „Elemente“ sich in idealster Weise ausleben können. –

 

29.08.19441261

2986 |        Ich habe heute in „überraschender Einfachheit“ das Priesterwerk geschaut und bin seiner geistigen Ausgestaltung innegeworden (bei der Madonna del Divino Amore in St. Ignazio).

2987 |        Es ist ganz einfach: Das Priesterwerk fängt an mit einem Zusammenschluss von einigen Theologen, vorläufig aus verschiedenen Orden. Diese holen im Verein mit P.B. die tiefsten Schätze aus der Theologie nach dominikanischer Richtung hervor. Zugleich werden praktische Anwendungen zur Betätigung der Glaubenswahrheiten und der theologischen Grundlehre ausgearbeitet. – Die Teilnehmer dieser Gruppe beraten zusammen und suchen Theorie und Praxis miteinander in Einklang zu bringen. Diese Einheit zwischen Theorie und Praxis führt tatsächlich zum tiefsten Herausholen und zur praktischen Anwendung der Glaubensschätze, die uns durch Gottes Wahrheit verbürgt sind. Auf diesem Weg des unbedingten und gelebten Glaubens an Gottes ewig-wesenhafte Wahrheit gelangt der Mensch zu einem unmittelbaren Verhältnis und zu einer gelebten Abhängigkeit Gott gegenüber.

2988 |        Der Mensch erkennt sich dann als ein gefallenes Wesen, das durch Gottes Barmherzigkeit hingeführt wird zu den Quellen des Heils, zu den Erlöserverdiensten Christi. In diesen überreichen Verdiensten schaut er die Quelle der Gnade, die ihn befähigen, sich die überreiche Barmherzigkeit Gottes zuzuwenden. Er findet darin den für ihn notwendigen Ersatz, vorausgesetzt, dass er selbst mittätig ist mit der Gnade des Erlösers, der nur deshalb „Erlöser“ geworden ist, um all seine Brüder durch den von ihm geleisteten Ersatz zurückzuführen zur Möglichkeit der Wiedergewinnung dessen, was dem Menschen durch die Sünde verloren ging. – Der tatsächliche und geliebte Glaube an Gottes Offenbarung und Erlösung gibt dem Menschen die Gewähr einer stufenweisen aufsteigenden und sich immer mehr vervollkommnenden Wiedereroberung der Gotteskindschaft, die der Mensch im Paradies einst als höchste Gabe besessen hatte. In der Kraft der Erlöserverdienste sieht der wahrhaft gläubige Mensch nun das unumgängliche Mittel, um wieder in die Nähe des Vaters zu kommen, in eine „Nähe“, die dem Menschen nur „in Christus“, d. h. durch und nach dem Maße der Vereinigung mit Christus möglich wird. Denn nur durch und in Christus ist der Menschheit alles Heil geworden, das uns tatsächlich in die Nähe Gottes zurückführt und uns alles jene göttlichen Kindschaftsgnaden wieder erwerben lässt, die eine wahre „göttliche Sohnschaft in Christus“ beinhaltet und in sich schließt. Christus ist ja auch das Vorbild dieser „göttlichen Sohnschaft“, das wir in allem nachahmen sollen. Der Glaube aber und die tätige Mitarbeit ist der einzige Weg, um uns jener göttlichen Güter in immer höherer Weise teilhaftig zu machen.

2989 |        Es müssen nun „geistige Brücken“ gebaut werden zwischen Theorie und Praxis, d. h. zwischen der diesbezüglichen theologischen Lehre, die ja im Allgemeinen angenommen wird, und zwischen ihrem Gehalt und ihrer Anwendung für das praktische Leben, die zu wenig beachtet wird – weshalb dann die Glaubenslehren zu wenig Frucht bringen. Gott ist heute ebenso reich und groß wie vor 2000 Jahren, und doch bringt der Glaube an ihn nicht mehr die seinem göttlichen Liebesreichtum entsprechenden Früchte hervor, weil dieser Glaube eben zu wenig lebendig und konsequent ist. Diese, von Gott beabsichtigten Früchte sind „er selbst“, d. h. seine Nähe, unsere höchstmögliche Annäherung an ihn und Vereinigung mit ihm. – Nur mit dieser Vereinigung erfüllt sich auch der eigentliche und höchste Zweck unseres Lebens und Daseins. Gott wird für die Seele zum Mittelpunkt ihres Daseins; er wird ihr zum höchsten und einzigen Ideal für dieses Leben, das damit zu einer wahren Vorbereitung für die Ewigkeit wird; denn die wahre und höchste Aufgabe jedes einzelnen Menschenlebens besteht nur darin, sich hienieden durch höchstmögliche Vereinigung mit Gott den höchstmöglichen Besitz und Genuss Gottes in jenseitigen Leben zu sichern und vorzubereiten für die ganze Ewigkeit.

2990 |        Unter diesem Gesichtspunkt verklärt sich unser Leben hienieden und bekommt es eine wunderbare hohe Stellung im Lichte unseres Daseinszweckes: Gott hat uns letztlich nur dazu geschaffen, dass wir „seiner teilhaftig werden“. Wir sind durch die hl. Taufe in einem wahren Sinn aufgenommen worden in den ewig-göttlichen Liebeskreis der Heiligen Dreifaltigkeit, und damit ist unsere höchste Lebensaufgabe und einziges, letztes Ziel unseres Strebens und unseres Daseinszweckes geworden: dass wir durch und in Christus, und durch unsere eifrige Mitarbeit mit seiner Gnade uns in möglichst hohem Maße diesem göttlichen Lebens- und Liebeskreis nähern. Auch unser ganzes äußeres Leben wird in diesen geistigen Kreis und jenen Daseinszweck hineingezogen, der unser Leben so groß und schön, so erhaben und frei macht. Alle äußeren, zufälligen „Ereignisse“ sind, recht verstanden, nur Mittel, um uns rascher und erdgelöster unserem hohen Ziel entgegenzuführen. Es gibt kein Missgeschick und kein „Unglück“ (im menschlichen Sinne des Wortes), das nicht diesem einem Daseinszweck dienen könnte und sollte, nämlich uns Gott zu sichern und zu unserem ewigen Eigentum zu machen. Die Seele wird veranlasst, alles zu lassen und zu verlassen, und sich nur auf das eigentliche, letzte Ziel ihres Lebens hinzurichten und dafür sich zu bereiten.

2991 |        Unter diesem Gesichtspunkt soll vor allem der Priester sein Leben betrachten; es wird ihm dann wertvoll nur durch den Besitz Christi, dessen Stelle und Eigenheit in der Kirche der Priester einnimmt. Der Priester hat überhaupt kein anderes Ziel für sich selbst und keinen anderen Daseinszweck als den: sich selbst immer mehr mit Gott zu vereinigen und möglichst alle Seelen zu diesem höchsten Urzweck jeder einzelnen Seele befähigen zu helfen und hinzuführen. – Das Priesterwerk enthält im Grunde und in seinem Wesen nichts „Neues“, sondern nur ein kleineres und konsequenteres Festhalten des Zieles: Den Menschen das Ewige und Göttliche, das durch die Strömungen des modernen Zeitgeistes in so großem Ausmaße ihnen verloren gegangen zu sein scheint, wieder näher zu bringen. Christus rückt aber dieses Ziel wieder höher hinauf und spornt zu einem höheren Streben danach an. Er stellt sich selbst wieder deutlicher in den Mittelpunkt des Priesterlebens und aus ihm, als der klarer erkannten göttlichen Quelle fließt zunächst die eigene Heilung des Priesters. Es ist keine Vereinigung mit Christus so hoch und keine Gnade so erhaben, dass der Priester nicht das Vertrauen haben sollte, sie sich anzueignen und den Mut, sie anzustreben. Christus versagt dem Priester nichts, wenn dieser, sein ganzes Leben in ihn hineinstellt und auf ihn hinordnet. Der Priester soll in allem das höchste Ziel auf dem Weg zu Gott und im Leben in Gott anstreben. Er soll zuerst selbst das tun und das werden, was er anderen lehrt. Nur auf diesem Weg macht er sich fähig für den Zweck seiner Berufung. Ohne die tatsächliche, entscheidende Selbstheiligung, und zwar schon vor der Heiligung anderer Seelen ist für gewöhnlich alle Bemühung des Priesters unnütz und eitler Schein. Nur in dem Maße bringt der Priester Frucht in anderen Seelen hervor, als er selbst schon eine göttliche Frucht in einer gewissen Einheit mit Gott geworden ist.

2992 |        Es sollen also festgelegt werden gewisse Grund- und Verbindungslinien zwischen Theorie und Praxis, die in einem unbedingten, konsequenten Glauben wurzeln und die dann das ganze Leben so beherrschen, dass es dabei keinen Unterschied gibt zwischen äußerem Tun und innerem Wollen, sondern nur eine Linie, die zu Gott hinstrebt.

2993 |        In diesem Sinne hat das Priesterwerk in seinem Verhältnis Gott gegenüber nichts gemein mit einer „Privatoffenbarung“, sondern es lebt die Wahrheiten der göttlichen Offenbarung und schöpft die Gnaden des Erlösers in größtmöglicher Fülle aus. Diese Grundlinien und Grundsätze sollen zuerst im eigenen Leben des Priesters zur Anwendung kommen. Nur jene, die sie theoretisch und praktisch vollkommen beherrschen und anzuwenden wissen, werden fähig sein, diese vertieften Linien anderen priesterlichen Mitbrüdern mitzuteilen. Darum muss gleich von Anfang an Theorie und Praxis zusammengehen, und zwar ohne Halbheit und Kompromiss, sondern in eigener, persönlicher, hoher Zielsetzung.

2994 |        Es ist also1262 höchst einfach, wie ich den ersten Anfang oder die Vorbereitung des Priesterwerkes schaue: Ein Kreis Theologen bereitet den Plan der Grundlinien, verbunden mit den praktischen Anwendungen und Übungen vor. Diese Theorie und Praxis wird begründet mit den Worten Christi, den Evangelien, den Briefen der Apostel, den Lehren der Kirchenväter, den Übungen der Urkirche, den alten Überlieferungen. Man wird dabei die Kluft sehen, die sich zwischen Theorie und Praxis im Laufe der Zeiten gebildet hat. Man lehrt auch heute Gottes Vollkommenheiten, preist ihn als allmächtig, weise, getreu, barmherzig und voll Liebe zu den Menschen, aber es bleibt allzu oft bei der nackten und kalten Lehre. Die praktische Anwendung und Übung der Konsequenzen dieser Lehre hält nicht Schritt mit der theoretischen Huldigung, die man Gott durch die Lehre darbringt. In der Praxis handeln die Menschen meist nur so, wie es ihrer Vernunft vorteilhafter scheint, aber nicht so, wie ein lebendiger Glaube an Gottes Eigenschaften fordern würde.

2995 |        Ebenso werden die Gnaden der Erlösung praktisch zu wenig geschätzt. Man „glaubt“ zwar daran und man lehrt sie. Aber man wendet sie nur soweit an, als es sich mit den Forderungen eines „zeitgemäßen Lebens“ vereinbaren lässt. Man meint, nicht anders leben zu können als es die heutige „Zeit“ verlangt; man sieht, unbedingt „modern“ und dem Zeitgeist entsprechend leben zu müssen. Auch bei den Priestern ist vielfach in der Praxis der Grundsatz herrschend geworden: man könne nicht wirken, wenn man nicht „zeitgemäß“ erscheine und handle. So ist es die große Täuschung geworden, dass man meint, man könne die eigene Heilung mit den Forderungen des Zeitgeistes zusammenbringen und vereinen. Und doch gibt es bei Gott diesbezüglich keine „Zeit“, und die Forderungen des Zeitgeistes bilden vor ihm keine Entschuldigung und Enthebung gegenüber dem, was seine göttlichen Forderungen und seine Gebote betrifft. Gott wird beim Gericht einmal seine göttlichen Forderungen an die Seelen an die erste Stelle rücken, während die Menschen heute nur allzu oft an erster Stelle „mit der Zeit gehen“ zu müssen meinen und die Forderungen Gottes praktisch erst an zweiter Stelle setzen und von den Forderungen des Zeitgeistes abhängig machen. Und dieser Forderungen und Gepflogenheiten eines modernen Lebens wegen begnügt man sich mit einer mittelmäßigen Vollkommenheit, ohne dass der Grund der Seele davon berührt würde, d. h., ohne dass es zu einer tatsächlichen Überwindung des gefallenen Zustandes käme; denn dazu müsste man entschieden mit dem Zeitgeist brechen. – Ferner ist die erste Wirklichkeit der „Sünde“ heute ein „seichter“ Begriff geworden. Man beachtet zu wenig den wahren Begriff der Sünde: Dass sie nämlich ein „Widerspruch“ gegen Gott ist, und man entschuldigt die Sünde nur zu leicht damit, dass man heute eben nicht anders leben und handeln könne. Tatsächlich hat sich der Mensch von heute in nur allzu vielen Beziehungen und Hinsichten „frei“ gemacht von den Wahrheiten über Gott und die Sünde; obwohl er daran glaubt, ist es doch praktisch zu einer klaffenden Trennung zwischen Gott1263, Glaube und Tat oder Leben nach dem Glauben gekommen.

2996 |        Wenn die theologische Lehre, und die ihr entsprechenden praktische Anwendung aus der Überlieferung begründet ist, so ist damit auch die „erneuerte Grundlage“ eines christlichen Lebens klargestellt. – In diesem erneuerten Geiste wird sich dann ein Kreis von Priestern, die sich berufen fühlen und bereit erklären, in diesem Sinne ihr Leben gestalten zu wollen, zu einem gemeinsamen Leben zusammenschließen. Sie werden das Zentrum sein, von dem aus alle Priester in den erneuerten Geist eingeführt werden, und dazu werden sie ihren priesterlichen Mitbrüdern durch Wort und Schrift und durch ihr eigenes Beispiel dienen. Durch Konferenzen und Exerzitien in diesem Geiste, sowie durch literarische Arbeiten und Werke werden sie alle Priester zu gewinnen suchen. Es werden entsprechende Kurse veranstaltet, um den einzelnen Priestern die Möglichkeit der Vertiefung zu bieten; ebenso werden Priesterheime errichtet werden, in denen längere Schulungskurse abgehalten werden. – dieser theologisch-praktischen Vertiefung werden dann im gemeinsamen Leben der Mitglieder des Werkes auch noch weitere Mittel und Übungen eingeführt und gebraucht, die dem Ziele der theologisch-praktischen Vertiefung dienen werden.

2997 |        Ich schaue aber, dass die Regular-Priester in verhältnismäßig kurzer Zeit in diesen erneuerten Geist eingehen werden: „Das Priesterwerk wird einen Siegeszug in der gesamten Kirche antreten.“

 

September

07.09.1944

2998 |        Seit heute Morgen bin ich in einem ganz1264 veränderten Zustand. – Für gewöhnlich ist der Mensch veranlasst, in einer der menschlichen Natur eigenen Selbstkontrolle ständig seine eigenen Taten und sein Leben zu „beschauen“, ob es gut oder weniger gut oder schlecht ist und ebenso sich ständig „vorzubereiten“ und hinzuschauen auf das, was er tun will. – Ich bin aber mir selbst „unkontrollierbar“ geworden, d. h., es ist in mir nur unmittelbares Tun und Leben ohne die gewöhnliche Kontrolle oder Vorbereitung; es ist in mir insofern höchste Einfachheit, als nur das jeweilige, augenblickliche Sein und Tun in mein Bewusstsein tritt ohne das Erfahren oder Bewusstwerden eines Übergangs von der Möglichkeit zur Wirklichkeit oder vom „Können“ zum „Tun“ (oder von der Potenz zum Akt). Ich erlebe die Tat und das Leben nur im Augenblick des Tuns und Lebens selbst (ohne die Möglichkeit einer bewussten Selbstkontrolle oder Vorbereitung). –

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2999 |        Zugleich gehen die inneren Erkenntnisse über das Geheimnis Christi weiter und tiefer. – Ich erlebe das rein geistige Wesen Gottes in seinen göttlichen Vollkommenheiten – und ich erlebe, wie alle göttlichen Vollkommenheiten in Christus mittels der menschlichen Natur zu einem menschlichen Ausdruck kamen. Ich erfasse dabei das „rein geistige Wesen“ der zweiten göttlichen Person, und ich erlebe, wie all ihre göttlichen Vollkommenheiten in die menschliche Natur übergeleitet und von dieser „gelebt“ wurden.

3000 |        Das Geheimnis dieser Umschaltung wurde ermöglicht und bewerkstelligt mithilfe des Wunderwerkes der menschlich-physischen Natur. Diese hat nämlich die Fähigkeit, rein geistige Tätigkeiten und Eigenschaften, ja sogar göttliche Eigenheiten mit physischen Kräften zu übernehmen und auszudrücken. Es besteht in der physischen Natur des Menschen jene wunderbare „Ergänzung“ zum geistigen Wesen der Seele, durch die alle rein geistigen Anlagen der Seele ausgedrückt und dem Menschen erfassbar und sichtbar gemacht werden, obwohl jene Anlagen im tiefsten Grunde nur geistige Anlagen sind. Diese an sich rein geistigen Anlagen werden aber durch entsprechende Fähigkeiten der physischen Natur in menschlich-physische Tätigkeiten umgesetzt. So ist der Mensch in der schließlichen Einheit seiner „Zweiteiligkeit“, d. h. in der einen aus zwei verschiedenen Elementen zusammengesetzten Tätigkeit ein großes Wunderwerk des Schöpfers. – Ich werde in einem geistigen „Einfühlen“ eingeführt in das Geheimnis dieser Tätigkeiten der menschlichen Natur, die uns vor allem als Tätigkeiten der physischen1265 Natur sichtbar und bewusst werden, die aber im tiefsten Grund, und in ihrem ersten Antrieb geistige Akte der Seele sind.

3001 |        Dieses Geheimnis wurde mir tiefer erklärt durch das Beispiel oder vielmehr durch die Annahme: Wie wäre es, wenn ein Engel einen menschlichen Leib annähme? – In diesem Falle käme das Leben eines Engels zu einem menschlichen Ergebnis und Ausdruck. Die menschliche Natur bringt nämlich unverfälscht das Grundsein und Ideal der sie tragenden und beherrschenden Grundkraft, nämlich der Person, zum Ausdruck. Im angenommenen Falle würden also die substanziellen Kräfte der menschlichen Seele herangezogen, um das Leben eines (menschgewordenen) Engels darzustellen und zu „leben“. Die physischen Kräfte der menschlichen Natur wären dem Sein des Engels dienstbar, damit das Wesen und die Eigenheit des Engels mittels dieser Kräfte ausgedrückt und ausgelebt würden.

3002 |        In großer Klarheit weiß ich nun um die Tätigkeit der Substanz der Seele, die unverfälscht und rein die Eigenheit ihres Lebensantriebes, ihrer höchsten Autorität, nämlich der sie leitenden Personkraft, zum Ausdruck und Leben und zur menschlichen Betätigung bringt. In einer wunderbaren, in Worten nicht auszusprechenden Analyse sehe ich „getrennt“ die beiden Elemente oder Bestandteile dieser einen menschlichen Tätigkeit; ich erfasse dabei die Eigenart der Tätigkeit eines jeden der beiden Elemente, sehe ferner deren gegenseitige Aus- und Rückwirkung aufeinander, und gewahre schließlich die Einheit all dieser Faktoren in der einen, menschlichen Handlung, die sich äußerlich kundgibt als „Tat“.

3003 |        All diese Erkenntnisse und Vergleiche sollen aber vor allem dienen zur Erklärung des Geheimnisses vom Zusammenwirken der beiden Naturen in Christus oder, mit anderen Worten, zur Klärung1266 der Tatsache: In Christus kam die Eigenart seines göttlichen Wesens durch entsprechende Mitbetätigung seiner menschlichen Natur zum menschlichen Ausdruck und Leben. – Ich erlebe die wunderbare „Veränderung“ (– menschlich gesehen und ausgedrückt, denn die göttlich-wesentliche Unveränderlichkeit bleibt selbstverständlich unangetastet –), nämlich die „Veränderung“ vom rein Geistig-Göttlichen zum Gottmenschlichen, die sich in der Menschwerdung des Wortes als Ergebnis der hypostatischen Vereinigung1267 vollzogen hat. Die göttlichen Vollkommenheiten und Eigenschaften der Person des Wortes wurden nämlich „eingefasst“ in ein menschliches Seelenleben und wurden mittels der physischen Natur menschlich zum Ausdruck gebracht, gelebt, betätigt; diese „Einfassung“ kam vor allem im „Gemütsleben“ oder im eigentlichen Innenleben Christi zum menschlichen Ausdruck und zur Auswirkung.

3004 |        Die göttliche Person in Christus war der eine „Mittelpunkt“, in dem sich trafen: Das göttliche Sein und die Kräfte der menschlichen Natur (die dieses göttliche Sein entgegennahmen) sowie die beiderseitige Reaktion, durch die im Innenleben Jesu der göttlich-vollkommene Wert in einem wahren menschlichen Leben zur Geltung kam. Die beiden Naturen in Christus bewahrten dabei ihre Eigenart, ohne sich zu vermischen. Die göttlichen Vollkommenheiten wurden auf göttlicher Höhe sittlicher Vollkommenheit von der menschlichen Natur Jesu entgegengenommen und von dieser, in göttlicher Werthöhe als gottmenschliches Ergebnis nach außen sichtbar gelebt. Die menschliche Natur stand natürlich an eigener Werthöhe weit unter der göttlichen, aber infolge der wunderbaren und harmonischen Anpassung und „Ebenstellung“ ihrer Funktions- und Betätigungsart gegenüber der göttlichen Person war das Ergebnis ein gottmenschliches, mit menschlichen Kräften zum Ausdruck gebrachtes Leben auf der sittlichen Werthöhe der göttlichen Person – in ähnlicher Weise, wie die Tätigkeit des an sich weit niederer stehenden Leibes sich in harmonischer Einheit mit der Tätigkeit der geistigen Seele verbindet. Dabei blieb die göttlich-wesentliche Seins- und „Betätigungsart“ Gottes, d. h., der göttliche „actus purus“ (den man nicht als „Betätigung“ in unserem menschlichen Sinne bezeichnen kann) bestehen.

3005 |        Um diese Seinsart Gottes bzw. der zweiten göttlichen Person, eingefasst in die menschliche Natur, tiefer erfassen zu können, hatte ich zunächst ein fein-geistiges Erkennen des Wesens einer1268 menschlichen Seele überhaupt, und im Anschluss daran erlebte ich, wie diese Seinsart Gottes oder der „actus purus“ mittels der menschlichen Natur in Christus in einer gottmenschlichen Art gelebt wurde.

 

Vom Wesen der Seele

3006 |        Die Seele hat an sich die Fähigkeit, geistig zu „sehen, zu hören, zu sprechen, zu empfinden, zu lieben und zu hassen, Abneigung oder Zuneigung zu empfinden, sich zu freuen und zu leiden“, und zwar auch ohne bewusste und fühlbare Mitbetätigung der physischen Natur, eben als „geistige Seele allein“. Gewiss gibt es in diesem Leben keine tatsächliche, vollständige Trennung von Geistbetätigung und entsprechender Mitbetätigung und Mithilfe der physischen Natur, denn alle Geistbetätigungen werden im früher beschriebenen Sinne unter Mithilfe der physischen Natur1269 zum Ausdruck gebracht und die psychisch-physische Lebenseinheit bleibt immer bestehen. Im mystischen Leben aber betätigt sich die Seele ­– wie unten ausgeführt wird – mehr oder weniger unmittelbar als Geist Gott gegenüber. Aber auch die gewöhnlichen menschlichen Betätigungen des Sehens, Hörens, Fühlens usw. sind in ihrem ersten und tiefsten Ursprung Betätigungen der geistigen Seele, obwohl uns dies für gewöhnlich gar nicht zum Bewusstsein kommt, weil diese Betätigungen uns vor allem als physische Tätigkeiten nahekommen.

3007 |        In wunderbarer Weise wurde ich eingeführt in dieses Geistgeheimnis der Seele und erlebte, wie jene genann­ten menschlichen Betätigungen im tiefsten Grunde Geistbetätigungen sind und darum – wenn der Herr der Schöpfung und der Gnade es will – auch „im Geiste bleiben“, d. h. ohne die gewöhnliche Anregung und Mithilfe der niederen menschlichen Fähigkeiten geübt und angewandt werden können, wenn sie auch dann doch infolge der leib-seelischen Lebenseinheit irgendwie auch auf das Physische auswirken werden. Diese Geistbetätigungen können – und das geschieht im mystischen Leben – unmittelbar zum Geiste Gottes sich wenden und sich vom Geiste Gottes verstanden wissen oder „erleben“ in doppelseitigen Reaktionen, die sich ganz im Geiste vollziehen. Durch den Hinweis auf diese selbst erlebte Tatsache wurde mir klargemacht, dass der tiefste Ursprung der menschlichen Betätigungen überhaupt der Geist oder die Seele ist, die als Lebensanregerin nach innen und außen tätig ist, und dass die menschlichen, mittels der physischen Natur hervorgebrachten Sinnesbetätigungen in ihrem letzten Ursprung und in ihrer Hauptursache „Geistesanlagen“ sind.

3008 |        Zur näheren Erklärung dessen wurde ich hingewiesen auf die Grundlagen der mystischen Betätigung der Seele gegenüber Gott. – Das Grundgeheimnis im mystischen Gebetsleben ist dies, dass die Seele, von Christus bzw. Gott angeregt, in einem gewissen1270 Sinn über den Leib hinausgehobenen, übersinnlichen Zustand gerät, wobei Gott unmittelbar in den höheren Seelenfähigkeiten wirkt und die Seele Gott „erfassen“ und erleben kann, und zwar in mehr oder weniger ausschließlicher Geistbetätigung, ohne die Vermittlung der Sinne. Das Gotteserfahren im mystischen Gebetsleben ist ein Bewusstwerden und Erleben dieses Zustandes, in dem sich die Seele „über dem Leibe“ und mehr oder weniger als „reiner Geist“ betätigt – wenn auch irgendwie Auswirkung auf die physische Natur immer bestehen bleibt und sich vollzieht, weil der Mensch in diesem Leben nicht aus seinem psycho-physischen Lebensrahmen herauskam. Nach dem aber, was die Seele dabei bewusst erlebt, scheint sie dem Leibe entrückt zu sein und sich nur als „Geist“ zu betätigen, weil Gottes Wesen nur im Geiste und vom Geiste erfahren werden kann. Die Seele wird deshalb in einen, dem Geist Gottes ähnlichen, erhöhten Zustand ver­setzt, in dem sie dem Wesen Gottes „nahekommen“ kann. Die Seele fühlt sich in ihrer Betätigungsart erhoben in ein erlebtes Geist-sein gegenüber Gott. Das sind die ersten Anfänge des mystischen Gebetslebens.

3009 |        Bei diesem Gotterfahren tritt eine „feine geistige Wahrnehmungsgabe“ der Seele in Tätigkeit, das Erfassen und Berühren können eines ähnlichen Geistes, ein Begegnen mit ähnlichen geistigen Kräften, mit denen sich die geistigen Kräfte der Seele zu vereinigen vermögen, eine (mehr oder weniger unmittelbare) Begegnung mit Gott. Es sind dabei Grundkräfte der Seele tätig, die im gewöhnlichen Leben als menschliches Fühlen in menschlich-physischer Form1271 zum Ausdruck kommen. – Mit der sich erhöhenden Loslösung der Seele von der Gebundenheit an die Materie wird sie für eine noch weit höhere Art von Geistbetätigung befähigt: Zu Zeiten in einen höheren Geisteszustand erhoben „schaut“ die Seele Gott. Ja, die Seele kann geistig „sehen“ und dieses geistige Sehen ist viel feiner und sicherer als der Blick des leiblichen Auges auf das angemessene Objekt. Das Auge sieht nur die Oberfläche und kann nicht in die Tiefe der Körperwelt eindringen; es ist sozusagen ein „beschränktes“ Sehen. Die ­Seele aber im Zustand der Geistbetätigung im mystischen Gnadenleben dringt schauend in die Tiefe Gottes und seiner Geheimnisse ein; „mit einem Blick“1272 überschaut sie Gottes Sein, dringt sie in ihn ein und erfährt sie ihn. – In ähnlicher Weise vernimmt das Ohr des Menschen nur, was diesem Organ als Laut in die Nähe kommt; die mit Gott im mystischen Zustand ver­bundene Seele aber „hört“ Gott ohne Worte. Gott spricht im Allgemeinen nicht wie die Menschen hörbar dem menschlichen Ohr; er1273 spricht vielmehr eine „Sprache des Geistes“. Und doch sind diese Geistesworte viel klarer und vernehmlicher als Menschenworte es jemals sein könnten. – Die Seele tritt im mystischen Gnadenleben in einen erhöhten „Zustand des Geistes“ und der Loslösung von der Materie, und es werden im mystischen Verkehr mit Gott von der Seele rein geistige Akte gesetzt, die von Gott erwidert und dann wiederum von der Seele rein geistig beantwortet werden. Diese mystische Unterredung des Geistes mit Gott, bei der die menschliche, physi­sche Natur so gut wie ausgeschaltet bleibt, ist dennoch viel umfassen­der als die gewöhnliche Betätigung der Seele durch die Sinne; es werden dabei ungleich mehr Akte und Kräfte der Seele geweckt und herangezogen als in der gewöhnlichen seelischen Betätigung und die Seele sammelt und gewinnt dabei einen weit tieferen Einblick in die Geheimnisse Gottes, als ihn die anregendsten Predigten oder religiösen Belehrungen ihr zu bieten vermöchten, bei deren Entgegennahme die physische Natur wirklich hörend, sehend und empfindend mitbeteiligt ist. Dieser Weg, und diese Betätigung des Geistes dringt ungleich rascher und tiefer als die gewöhnliche psycho-physische Betätigungsart in den, der Seele gebotenen Gegenstand ein, durchdringt und durchlebt ihn mehr als die gewöhnliche Betätigungsart es je vermöchte.

3010 |        Je höher die Seele im mystischen Gnadenleben steigt, desto geistbereiter, geisthöriger, geistempfänglicher wird sie Gott gegenüber. Damit sie aber das werden kann, muss sie sich immer mehr der Hemmungen der Materie entledigen; denn Gott spricht selten zum menschlichen Ohr und lässt sich selten von den Augen des Leibes schauen, – wenn nicht die Seele zuerst „Gott-hörend“ und „Gott-sehend“ geworden ist.

3011 |        Das mystische Gnadenleben ist also vor allem eine Entfaltung der Geistestätigkeiten im Hinblick auf das übernatürliche Ziel. Es zeigt, nach meinem persönlichen Erfahren, welch vornehme Anlagen in der Seele schlummern, und wie sie langsam immer mehr zur Entfaltung und Betätigung kommen können. – Auf den höheren Stadien vereinfacht sich der mystische Gebetsverkehr mit dem Heiland immer mehr. Die Seele wird nämlich dem Geiste Gottes so nahegebracht, dass ihr dieser Verkehr ganz einfach und nicht mehr außergewöhnlich scheint wie in den Anfangszeiten. Meine eigene Erfahrung beweist, dass die Seele im mystischen Gnadenleben schließlich sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit, Einfachheit und Leichtigkeit „im Geiste“ und in rein geistigen Betätigungen sich bewegen und erleben kann, wie sie es für gewöhnlich in den psycho-physischen Betätigungen tut. – Zugleich werde ich hingewiesen auf die vielfache Art von geistig-mystischen Betätigungen, die ebenso vielen psycho-physischen Betätigungen des gewöhnlichen Seelenlebens entsprechen. Wie die Seele im gewöhnlichen Leben mittels der physischen Natur sieht, hört, spricht, versteht usw., so können diese gleichen Akte auch „im Geiste“, gleichsam „Abgesondert“ von den Bewegungen der physischen Natur und ohne deren gewöhnliche nach außen sichtbare Mitbetätigung sich vollziehen.

3012 |        So entfalten sich im mystischen Gebetsleben die feinsten Anlagen der Seele in einem unmittelbaren Verkehr mit dem Schöpfer und Herrn der Menschenseele und in unmittelbaren Erwiderung Gottes an die Seele. Dieses gegenseitige Verstehen ist viel sicherer und durchdringender als es je zwischen Menschen bestehen kann: Die Seele geht ihrem Schöpfer entgegen und der Schöpfer neigt sich in liebender Vereinigung zu seinem Geschöpfe. – Mit den sich erhöhenden Gnadenstufen erfährt die Seele in einem immer umfangreicheren Maße das Wesen Gottes. Ob sich dabei Gott in diesem oder jenem Geheimnis offenbart, immer bildet Gott bzw. Christus selbst den Mittelpunkt des Erkennens und Innewerdens. Die Vereinigung mit ihm bleibt immer das Erste und Zentrale in den verschiedenen mystischen Erfahrungen. Wenigstens habe ich es so erfahren: Gott lässt sich in der eingegossenen Beschauung zur Seele herab, zieht sie an sich und enthüllt sich ihr in den verschiedenen Formen. Die Erwiderung der Seele auf diese göttliche Herablassung beweist, welch feine Anlagen die Seele besitzt, dass sie sich überhaupt mit Gott treffen kann, und zwar schon in diesem Leben. So tritt im mystischen Vereinigungsleben die vornehmste und tiefste Uranlage der Seele zutage, nämlich die „Verwandtschaft zwischen Gott und der Seele“. In beiden Wesen sind ähnliche Grundeigenschaften – in Gott freilich in wesentlicher Form, im Menschen aber in geschaffener Weise – und infolge dieser ähnlichen Eigenschaften können Gott und Seele sich miteinander „treffen“ und vereinigen, ja die Seele kann Gott in sich „aufnehmen“, wenn er sich ihr mitteilt; sie kann ihn sich zu eigen und zu ihrem „Leben“ machen, kann sich in Gott „einrichten“ und „einbauen“.

3013 |        Aber diese, sich ständig erhöhende Gnade im Geheimnis der Mystik fordert auch eine ständig sich steigernde Umformung des gesamten Menschseins, weil Gott in einem niederen, sinnenbeherrschten Menschen nicht „wohnen“ kann. Die höheren Stufen des „Lebens Gottes in der Seele“ erfordern auch einen immer vollständigeren Umbruch und eine Umwandlung der Seele gemäß der „Art Gottes“. Während sich Gott in den Anfangszeiten gleichsam mit den höheren Fähigkeiten und Bezirken der Seele begnügt hat, steigt er auf den höheren Vereinigungsstufen gleichsam bis in die tieferen Bezirke und Fähigkeiten der Seele herab. Das „Wohnen Gottes“ in der Seele wird verallgemeinert und das bringt für den Menschen Konsequenzen mit sich, zu denen die Seele von Gott gleichsam „verpflichtet“ wird – wenn das Leben Christi in ihr sich wirklich ständig erhöhen soll. Die Steigerung der Forderungen Christi an die Seele hält ständig1274 gleichen Schritt mit der Erhöhung der Vereinigung oder dem Maße der Herablassung Gottes zur Seele. – Jede „fühlbare Vereinigung mit Gott“, die nur beim Fühlen dieser Vereinigung bleibt und nicht eine durchgreifende moralische Reinigung der Seele fordert, ist eine „Täuschung“ im mystischen Gebetsleben. Schon der erste Gnadenruf Jesu an die Seele, „mit ihm auf den Berg zu kommen“, fordert zugleich ein „Verlassen“ der Ebene des sittlich-mittelmäßigen Lebens. Es beginnt damit ein religiös-sittlicher Aufstieg, der für die Seele selbst umso beschwerlicher und mühsamer wird, je höher der Aufstieg zur Spitze geht, d. h., je höhere Absichten der Vereinigung Gott mit der Seele vorhat. –

3014 |        Allmählich sieht Gott das gesamte Menschenleben in den [im] Dienst seiner Absichten bzw. der fortschreitenden Vereinigung mit ihm. Nicht nur die geistigen, sondern auch die physischen Kräfte müssen ihren Beitrag leisten, für das innere Gnadenleben. Christus steigt gleichsam von den höheren Bezirken der Seele immer mehr herab und nimmt schließlich das Gesamtleben für sich in Besitz. – Die „fühlbar erlebte“ Vereinigung mit Gott vermindert sich auf den höheren Stufen, aber dafür wird „Gott selbst für die Seele1275 immer mehr 'offen' und zugänglich infolge der Einheit ihres Lebens mit ihm“. – Wenn das gewöhnliche Glaubensleben nicht mehr das Licht geben kann, um die folgenden Wege zur Vereinigung mit Gott und die dazu nötigen Reinigungen der Seele einzusehen, und zu begreifen, dann wird das Vereinigungsleben selbst zum Licht, das die Seele läutert und reinigt. In diesem Zusammenhang wurde ich hingewiesen auf den reichen Jüngling im Evangelium, der zum Heiland sagte: „Dies alles habe ich getan“ – und der vom Heiland zu seiner besonderen Nachfolge gerufen wurde, nachdem er die gewöhnlichen Forderungen der Gebote erfüllt hatte. Nach der allgemeinen Erfüllung der Gebote gelangt die Seele auf einen verfeinerten Geistesweg, der für die einzelne Seele zu einem besonderen Ruf der Gnade wird, wenn auch der allgemeine Rahmen des Glaubenslebens beibehalten wird. – Es werden der einzelnen Seele erhöhte Anforderungen und Pflichten gezeigt und vor Augen gestellt.1276 Gott selbst wird dann zum reinigenden Feuer in der Seele und verzehrt durch die Vereinigung mit ihr alles Ungehörige und Mangelnde. So wie Feuer das Holz verzehrt und gleichsam es zum Feuer macht, so durchdringt Gott das ganze Menschsein mittels seiner Vereinigung mit der Seele und bringt eine Gesamtumstellung hervor. Dabei erlebt man sich zu Zeiten, als habe man Gott „in sich“, im eigenen Inneren, und man fühlt sich „durchlebt von ihm“.

3015 |        Während in den Anfangsstadien das Erleben der fühlbaren Vereinigung sich gewöhnlich in den Gebetszeiten einstellt, erfährt man in den höheren Stadien auch diesbezüglich eine merkliche Veränderung: Da wird nämlich das Leben und Dasein selbst von Gott durchdrungen, ohne Vorbereitung durch das Gebet, und man wird vom Geiste Gottes durchlebt, ohne besonders dazu erhoben zu werden. – Vielfach betrachten die Menschen ihre Seele fälschlich als etwas von ihnen Getrenntes und Fernes (wenn man etwa sagt: Man muss seine Seele retten und mit Gott vereinigen), und sie beachten zu wenig, dass der Mensch, konkret gesprochen, im Grunde „seine Seele selbst“ ist, dass das unmittelbare, eigene Ich immer mehr auf Gott bezogen werden soll, dass der Mensch selbst das Objekt der Vereinigung mit Gott oder das mit Gott zu vereinigende Wesen ist.

3016 |        Auf den höchsten Vereinigungsstufen wird die Vereinigung Gottes mit der Seele „objektiv“, d. h., der ganze Gegenstand, nämlich das ganze Seelen- und Menschenleben wird von Gott erfasst und nach Gottes Geist geformt und immer mehr für Gott fähig gemacht, während das fühlbare mystische Erleben zurücktritt und schließlich überhaupt nicht mehr empfunden wird. Solange man die Vereinigung fühlbar empfindet, ist sie eine besondere, als Ausnahmezustand empfundene Erhebung einzelner Schichten der Seele, während die „objektive Vereinigung“ von der Seele selbst nicht mehr als etwas Außergewöhnliches empfunden wird. In dieser „objektiven Vereinigung“ – die eine Weiterführung und Vervollkommnung des dauernden Vereinigungszustandes der geistlichen Vermählung ist – wird das Gesamtleben „Gott angepasst“, dadurch vereinigungsfähig mit Gott gemacht und in die Gottvereinigung des Subjektes dieser Vereinigung eingefasst. (– Das Wort „Objektive Vereinigung“ wurde mir gegeben als Ausdruck für diese noch höheren Vereinigungsstadien).

3017 |        Mit der „geistlichen Vermählung“ oder „unwandelbaren Vereinigung“ ist gegeben eine vollkommene Umwandlung des Willens in einer bleibenden Vereinigung der höheren Seelenbezirke mit Gott. Er besiegelt diese Seele, der er sich „vermählt“ hat, mit seiner bleibenden Gegenwart und Vereinigung und er macht sie zu seinem unwandelbaren Eigentum, und zwar infolge der Befähigung, welche die Seele selbst nun erreicht hat, jene Forderungen und Folgerungen nämlich zu erfüllen und ertragen, die dieser Vereinigungsgrad mit sich bringt und verlangt. – Diese geistigen Konsequenzen sind zum Teil allgemeine, die für alle Seelen in diesem Vereinigungsgrade gelten, zum Teil besondere, die den besonderen Aufgaben, Berufungen, Anforderungen an die einzelne Seele entsprechen. (Ich will hierüber nicht unnötig wiederholen, was ich früher schon öfter zum Ausdruck bringen musste.) – Eine gewisse sittliche Höhe ist für alle Seelen unumgängliche Voraussetzung für die geistliche Vermählung, denn diese ist ja ein allgemeiner Abschluss einer gewissen sittlich-religiösen Vollendung, der Abschluss an einem bestimmten, erreichten Ziel. Der Umfang, und das Ausmaß dieser Vollendung richtet sich aber auch nach den besonderen Aufgaben, Berufspflichten, in denen sich die einzelnen Seelen bewegen und bewähren müssen, richtet sich nach den äußeren und inneren Schwierigkeiten, in denen die Seele wird standhalten und ihre Vereinigung umwandelbar wird bewahren müssen. So werden z. B. die sittlich-religiösen Anforderungen an einem Priester andere sein als die an eine gewöhnliche Ordensfrau. Deshalb kann unter den verschiedenen Seelen im Zeitpunkt der „geistlichen Vermählung“ ein beträchtlicher Tugendunterschied bestehen, nicht insofern als die geistliche Vermählung das Erreichen einer unwandelbaren Vereinigung und darum der Abschluss einer allgemeinen Befähigung dazu1277 ist (diese Voraussetzung ist für alle Seelen bei der geistlichen Vermählung die gleiche), aber insofern als die geistliche Vermählung zugleich der „geistige Unterbau“ ist für die weiteren besonderen Aufgaben und Lebensumstände und Absichten Gottes für jede einzelne Seele, die außer jener „unwandelbaren Vereinigung“ noch einen mehr oder weniger hohen Grad von Tugend und Kraft erfordern. So kann und wird im Hinblick auf das besondere Ziel jeder einzelnen Seele tatsächlich auch ein großer1278 Unterschied des Tugendgrades auch in jenen Seelen vorhanden sein, welche die Besiegelung dieser dauernden Vereinigungsstufe und damit eines gewissen1279 allgemeinen Tugendgrades erreicht haben.

 

 Über die objektive Vereinigung und Einheit mit Gott

3018 |        Anmerkung: Ich weiß, dass der Ausdruck „Einheit mit Gott“ insofern einen Widerspruch bedeuten könnte, weil es keine eigentliche „Einheit mit Gott“ geben kann; denn Gott ist „Alleinsein, Alleinexistenz ohne Einheitsmöglichkeit mit einem anderen Wesen“. – Ich meine aber mit diesem Wort die innerlich erfasste „Einheit der Beziehung“ zwischen dem göttlichen Urbild und dem ganz dieses göttliche Urbild hingeordneten geschaffenen Nachbild und Ebenbild – – wie später genauer erklärt wird.1280

3019 |        Der erste Mensch ging – infolge der Gnadengabe einer besonderen Ebenbildlichkeit mit Gott – aus der Hand des Schöpfers in einer „objektiven Einheit mit Gott“ hervor. Das gesamte seelische und physische Menschsein war nämlich auf Gott und den Dienst Gottes hingeordnet und war dazu in einheitlicher Weise fähig, ohne dass die Seele oder der Leib irgendeinen Widerspruch oder Widerwillen dagegen verspürt hät­ten. Diese allgemeine und einheitliche, harmonische Dienstbarkeit des ersten Menschen Gott gegenüber war die „objektive Vereinigung und Einheit“ des ganzen Menschen mit Gott, die ein freies Gnadengeschenk Gottes war und die den intimsten Verkehr mit Gott möglich machte.

3020 |        Infolge dieser einheitlichen Hinordnung auf die „Art Gottes“ als auf das Ur-Vorbild und infolge einer dem Geiste Gottes „ähnliche Vergeistigung“ konnte die erste Menschenseele wie auf einer gleichsam „natürlich“ scheinenden „geistigen Ebene“ und Linie mit Gott verkehren, denn es waren die nötigen Voraussetzungen vorhanden, um dem Wesen des Schöpfer-Gottes begegnen zu können. Diese Ebenmäßigkeit zu Gott hin – die freilich nicht im Wesen des Menschen selbst lag, sondern ein freies Gnadengeschenk Gottes war – bildete das Grundgeheimnis der „objektiven Vereinigung mit Gott“ in den ersten Menschen oder der unmittelbaren Verkehrsfähigkeit mit Gott. Diese wunderbare Verkehrsmöglichkeit mit Gott, die wir in der Fülle des Paradieseszustandes bewundern, war die Folge sowohl der moralischen Höhe des ersten Menschen wie auch der psychologischen Ordnung und Harmonie all seiner Seelenkräfte und der vollkommenen Einordnung der physischen Kräfte in den Geist. Alle, auch die feinsten Fähigkeiten des Menschen waren dem höchsten Ziel der Einheit mit Gott zugeordnet und sie waren durch diesen (selbstverständlich übernatürlichen) Paradieseszustand wie „natürlich“ mit Gott verbunden. Durch ihre besondere Ebenbildlichkeit mit Gott trugen die ersten Menschen sozusagen in sich selber, d. h. in ihrem menschlichen Wesen, worin gleichsam ein Abdruck des Ebenbildes Gottes war. Diese Ebenbildlichkeit mit Gott war ihrem ganzen Sein und Wesen so sehr eigen, dass sie infolge davon ihrem göttlichen Ideal und Schöpfer wie naturgegeben verbunden waren; denn diese volle und einheitliche Hinordnung auf Gott war gleichsam wie ein Naturgesetz in ihr menschliches Dasein hineingelegt und durchdrang ihre feinsten Fähigkeiten. So ließ die harmonische Betätigung all ihrer Fähigkeiten die ersten Menschen „wie naturgemäß“ ihres Schöpfers in ihrem eigenen menschlichen Wesen und in der Schöpfung (Paradieses) innewerden, und zwar ohne irgendwelche Bemühung. Dieser Zustand war die „Fülle der objektiven Einheit und Vereinigung mit Gott“, die wie naturgegebene Hinordnung aller menschlichen Kräfte auf Gott.

3021 |        Trotz dieses glücklichen Zustandes war aber der Wille der ersten Menschen frei, konnte sündigen – und sündigte. Damit zerbrach die wunderbare Harmonie im Menschen und entschwand die „objektive Einheit mit Gott“. Die verschiedenen Kräfte und Fähigkeiten des Leibes und der Seele „strebten nun auseinander“. Das Innewerden Gottes war damit den ersten Menschen entschwunden und sie mussten „Gott suchen“ und sich anstrengen, um in mühsamer Zusammenfassung ihrer verschiedenen Kräfte sich mit Gott in Kontakt setzen zu können. Die lebendige Abbildlichkeit Gottes, infolge deren sie ihr göttliches Urbild in ihrem Wesen selbst erfassen konnten, war zerrissen. Gott wurde den Menschen durch die Sünde zu einem „dunklen Begriff“, dessen Inhalt zwar unauslöschlich für sie existierte, weil Gott nun zugleich „ihr Richter“ geworden war, während vor dem Sündenfall ein göttlich-wesentliches und ein in das tatsächliche Wesen des Menschen hineingelegtes Liebesverhältnis zwischen Gott und Menschen bestanden hatte.

3022 |        Durch den Kreuzestod und die Erlösung Jesu ist die gesamte Menschheit wieder – in Kraft der Erlöserverdienste – in die Möglichkeit einer zu erwerbenden „Objektiven Einheit“ oder in die Verbindungsfähigkeit mit Gott versetzt worden. Die zweite göttliche Person hat sich mit unserer Menschheit „bekleidet“, und kraft dieser Menschwerdung Gottes wurde allen Menschen die Verbindungsmöglichkeit mit Gott wieder verdient, und zwar so, dass nun – im Glauben an Gott – unsere menschlichen Fähigkeiten wieder zu Gott hinstreben und ihn finden können, und dass unser Menschsein wieder in Gott aufgenommen werden kann.

3023 |        Die Gnade der Taufe bringt jeden einzelnen Menschen tatsächlich in eine Lebensverbindung mit Gott – durch den Erlöser, durch den wir neu Gottes Eigentum geworden und auf dessen Blut und Tod wir getauft sind. Die den ersten Menschen geschenkte objektive Einheit mit Gott in ihrer ganzen Fülle ist aber für immer verloren gegangen und jeder Getaufte muss nun neu anfangen und sich bemühen, seine „Verbindung mit Gott“ ständig zu erhöhen, und zwar kraft der Erlöserverdienste, die reichlich bereitstehen und durch die allein wir fähig werden, die Vereinigung mit Gott erhöhen und zu erweitern. – Diese Erhöhung kann aber nur in dem Maße wirklich und wahrhaft fortschreiten, als wir uns bemühen, „das Gesetz der Sünde und der Unordnung in uns zu überwinden“, dem wir durch die Erbsünde und deren Folgen überantwortet wurden. Tatsächlich kommt auch nach der Taufe eine weitere Annäherung an Gott nur zustande durch die fortschreitende Überwindung der erbsündlichen Anlagen. Was wir die „heilig machende Gnade“ nennen, ist im Wesen eine gewisse „Einheit mit Gott“, die sich nur durch wachsende Abkehr von den sündhaften Anlagen und zunehmende Überwindung der­selben immer mehr vermehren kann. Alle Übungen der Frömmigkeit bzw. des religiösen Lebens, wie Gebet, Abtötung, gute Werke, haben als nächstes Ziel uns die Möglichkeit zu verschaffen, unsere bösen, erbsündlichen Anlagen immer mehr ablegen, überwinden und uns von ihnen „abkehren“ zu können und auf diese Weise wieder eine objektive oder „wesentliche“ Hinordnung auf Gott und Vereinigung mit ihm zu erreichen; sie sind nicht das Ziel selbst und nicht Selbstzweck, sondern sind Mittel zu diesem Ziel: unsere Verbundenheit und Einheit mit Gott zu vermehren und unser ganzes Wesen und Sein mit ihm zu vereinigen. Die tatsächliche Vereinigung wächst aber nur in dem Maße, als der eigene Widerspruch überwunden wird, in dem unsere gefallene Natur gegenüber dem allheiligen Wesen Gottes geraten ist.

3024 |        Wenn die Sünde die einzige Ursache war für den Verlust des Paradieses, der wunderbaren Gottebenbildlichkeit und aller Gnaden der Einheit und Verbundenheit mit Gott (– und dies ist uns durch die Hl. Schrift verbürgt –), so kann nur das entgegengesetzte Streben, die ernste Überwindung der Ursachen des Falles und unserer gefallenen Natur uns instand setzen, dass wir in ständigem1281 Bemühen durch die Erlösungsgnaden Christi uns wieder in den Besitz der wesentlichen geistigen Güter bringen, die wir infolge der Erbsünde verloren haben. Und so sicher Christus für uns Mensch geworden und am Kreuz1282 gestorben ist, so sicher liegt für die Menschen im Allgemeinen und für jeden Einzelnen die Gnade bereit, die es ihm ermöglicht, durch Überwindung der Folgen der Erbsünde zur Wiedergewinnung der sittlichen Reinheit des Paradieses­zustandes und der „objektiven Hinordnung und Vereinigung“ mit Gott zu gelangen. Selbstverständlich gibt es in diesem Bemühen und auf diesem Wege viele Stufen und Höhenlagen, je nach der persönlichen Bemühung und nach der Benützung der Mittel und Gnaden durch die einzelne Seele. Christus hat aber als Erlöser „Vollarbeit“ geleistet und vermöge seines gottmenschlichen Lebens und seines Todes haben wir die göttliche Gewähr, dass das „Gesetzt der Sünde“ und ihrer bösen Folgen in uns zerbrochen werden kann und das wir die entgegengesetzten Güter der Vereinigung mit Gott des Besitzes Gottes wieder erreichen können. – Gewiss handelt es sich jetzt für uns um eine Vereinigung im Glauben, aber diese ist, dem Wesen nach, ebenso wahr und sicher und wertvoll, wie es die paradiesische Nähe Gottes war; zwar wird dieser Glaube erst in der Ewigkeit in das Schauen und Genießen Gottes übergehen, an dessen Gütern die ersten Menschen im Paradies schon teilweise sich erfreuen konnten, aber es ist der gleiche Gott, den wir besitzen werden, und der göttliche Wert der Erlösung ist so hoch, dass uns gefallenen Wesen in der Ewigkeit an sich nichts an dem möglichen Genuss dessen entzogen wird, was den ersten Menschen – im Falle der Beharrlichkeit in ihrem ersten Zustande – im Schauen und Genießen Gottes für die Ewigkeit bereitet gewesen wäre. Durch die Erlöserfrüchte1283 werden wir Gottes teilhaftig, und zwar in umso höheren und umfangreicheren Maß, je mehr wir diese Erlöserfrüchte1284 uns zuwenden und aneignen. Unser Besitz Gottes und unsrer Anteilnahme an seiner Herrlichkeit in der Ewigkeit richtet sich nur nach unserer eigenen Mitarbeit mit den Gnaden des Erlösers.

3025 |        Die allgemeine Befähigung für den Besitz Gottes wurde uns durch die Erlösung Christi verdient; der Grad des Besitzes Gottes aber hängt von uns ab. – Ein Kind, das nach der hl. Taufe stirbt, gelangt unmittelbar in den Besitz der Anschauung Gottes, obwohl die Folgen der Erbsünde nach der Seele als Anlagen anhaften. Das Kind fiel persönlich nie diesem ererbten moralischen Schwächen zum Opfer, und nur die persönliche Betätigung im Sinne der erbsündlichen Anlage wird für die einzelne Seele strafbar, oder ihr als Schuld angerechnet, ebenso wie nur die persönliche Mitarbeit mit dem Zweck der Erlösungsgnaden Christi im Sinne der Überwindung der bösen Anlagen zum Verdienst für die Seele wird. Für den Erwachsenen besteht darum die doppelte Möglichkeit: Entweder benützt und vermehrt der Mensch die als allgemeine Frucht der Erlösung jedem Einzelnen gebotene Fähigkeit, sich den Besitz Gottes zu erwerben, und damit vermehrt er auch – als Lohn für seine Mitarbeit mit den Erlöserverdiensten – den Umfang und Grad und die Höhe des Besitzes und des Genusses Gottes für die Ewigkeit; oder aber der Mensch benützt die ihm gebotene Möglichkeit nicht, verliert die Gnade der Taufe – und damit wird ihm das in der Taufe als allgemeines, mögliches Erbe gegebene Anrecht auf den Besitz Gottes „genommen“ und er bleibt von Gott für die ganze Ewigkeit getrennt. Viele Getaufte machen sich zum „Sklaven“ der ihren Seelen anhaftenden Folgen der Erbsünde und verlieren damit die ihnen schon persönlich zugewendeten Erlöserverdienste Christi und den Besitz Gottes, der für sie schon möglich gewesen wäre.

 

Zur Psychologie des Aufstieges der Seele

3026 |        Die Erhebung aus den moralischen Folgen der Erbsünde oder die Überwindung derselben beginnt in den höheren Seelenfähigkeiten, vornehmlich im Willen, weil die Entscheidung des Willens durch den menschlichen Verstand und das Licht der Gnade auch1285 die Übung des Glaubens nahegebracht wird. Durch die Übung des Glaubens kommt es zum Erkennen und Einsehen der sündhaften, eigenen Anlagen und der Notwendigkeit, sie zu überwinden. Sobald der menschliche Verstand unter dem Einfluss der Gnade und der Entscheidung des Willens seine Schwächen anerkennt, steht ihm die allgemeine Gnade der Erlösung zu deren Überwindung zur Verfügung. – Jede Seele hat so viel Gnade, dass sie sich mittels ihres freien Willens zum Besseren, zu Gott hin aufraffen kann. Die allgemeinen Früchte der Erlösung verteilen sich an alle Menschen.1286 Über diese allgemeine Zuteilung hinaus fließen aber noch besondere Gnaden an die einzelnen Seelen und an die einzelnen Völker usw.; diese Gnaden kann Gott von verschiedenen Bedingungen und Umständen abhängig machen und ihre Verteilung bleibt immer ein Geheimnis seiner1287 göttlichen Weisheit. Jeder Mensch aber – selbst wenn er „außerhalb“ der katholischen Kirche lebt, aber der inneren Stimme seines Gewissens folgt – hat so viel Gnade, dass er einer ewigen „leidvollen“ Trennung von Gott entgehen könnte.

3027 |        Die Anerkennung der bösen Anlagen der eigenen, gefallenen Natur durch den Willen – und zwar im Hinblick auf Gott und im Lichte des Glaubens – ist schon ein großer Schritt und Fortschritt auf dem Wege der Überwindung des erbsündlichen Bösen in unserer Seele. Der Verstand lässt dabei den Willen mittels des Lichtes der Gnade die sittlichen Schwächen erkennen – und der Wille sucht dann darüber, Herr zu werden. Je mehr der Verstand (mit dem Lichte der Gnade) dem Willen die Einsicht in seinen wahren Zustand vorführt, desto mehr verdichtet und verallgemeinert sich die Bemühung des Willens. So kommt es zu einem ernsten Zusammenarbeiten in den höheren Seelenfähigkeiten, das sich ständig ausbreitet und erweitert; entsprechend dem Maße der Erkenntnis und Anerkennung der eigenen Sündhaftigkeit.

3028 |        Eine tiefere Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit ist aber immer nur möglich mit dem Lichte der Gnade, das ständig die Schwächen der Seele aufdeckt. Dieses Licht der Gnade fließt in einem gewissen Grad als allgemeine Frucht der Erlösung mit dem allgemein angebotenen Glaubenslicht mit, muss aber durch die Anwendung eigener Mittel und Bemühungen, durch Gebet, Opfer und die verschiedenen Übungen des religiösen Lebens noch „fließender“ gemacht werden als besondere Gnade. Die Tiefe und Wahrheit der eigenen Selbsterkenntnis richtet sich nach der persönlichen Mitbetätigung mit den angebotenen allgemeinen Gnaden der Erlösung und nach der persönlichen Bemühung in der tätigen Übung des Glaubens. Wer sich von seinen erbsündlichen Anlagen und Fehlern befreien will, muss zuerst die geeigneten religiösen Mittel anwenden, um zur wahren und tiefen Selbsterkenntnis zu kommen. Je nach dem Maße der eigenen Mitarbeit mit der allgemeinen Erlösungsgnade fließt diese reichlicher als „besondere Gnade“ des Lichtes und der Einsicht in die Bedürfnisse der Seele, und je nach dem Grade der Selbsterkenntnis wird auch ein entsprechender höherer Grad der Überwindung der bösen Anlagen in der einzelnen Seele möglich.

3029 |        Die Gottebenbildlichkeit der ersten Menschen oder das übernatürliche Ebenbild Gottes in ihnen bestand darin:

3030 |        1. Gott drückte als Schöpfer in liebender Mitteilung sich selbst, d. h. das Abbild seines Wesens seinem Geschöpfe auf. – 2. Die Seele konnte individuell aufgrund ihrer objektiven und existenziellen Einheit sich mit Gott, ihrem Urbild, treffen und begegnen. Es bestand zwischen Gott und dem Menschen eine objektive Einheit der Beziehung, nicht in wesentlicher Form, weil Gottes Wesen und Existenz nie von einem Geschöpf zu erreichen ist, aber deshalb, weil Gott sich zum geschaffenen Abbild seines Wesens, nämlich zum Menschen, herabließ, in dem er diesem seinem Geschöpfe seinen göttlichen Vollkommenheitszustand in einer geschaffenen, nachgebildeten Weise mitteilte: „Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis!“ – In diesem Geheimnis höchster Gottebenbildlichkeit zeigt sich ein doppeltes Wunder der göttlichen, unendlichen Liebe des Schöpfers, der sich 1. auf diese Weise so geheimnisvoll und doch so „wahr“ an seine Geschöpfe verschenkte und mitteilte und damit 2. den Fähigkeiten der Seele eine solche psychologische und moralische Vollkommenheit gab, dass ihre geschaffenen Anlagen in so intimer und individueller Weise ihren Schöpfer „erreichen“ konnten.

3031 |        Die geistige Seele trug in sich die Urzüge Gottes. Die Vollkommenheiten der wesentlichen Seinsart Gottes (– man möchte menschlich sagen: Die wesentlichen „Anlagen“ Gottes, wenn Gott „Anlagen“ hätte und nicht vielmehr Sein, vollendetes Sein wäre –) waren als „geschaffene und nachgebildete Anlagen“ in der Seele vorhanden und diese Anlagen waren – wie es im Wesen einer „Anlage“, einer auf ein bestimmtes, letztes Ziel hin sich entwickelnden und vollendenden Fähigkeit liegt – diese Anlagen waren bestimmt, in immer höherer Entfaltung und Vollendung jene Urzüge Gottes auszubilden und auszuprägen. – Die Summe und zugleich die Einheit der Anlagen und Fähigkeiten, welche das „Existieren“ der Seele ermöglichen, also die Existenz der Seele selbst war ein geschaffenes Abbild des göttlichen Seins und Wesens. Darin liegt1288 die „objektive Einheit“ (der Beziehung) zwischen Gott und Seele, dass alle Anlagen und Fähigkeiten und gleichsam „Bestandteile“ der Existenz der Seele1289 in ihrer Art auf Gott, nämlich auf die Nachbildung seiner göttlichen Art und Vollkommenheiten hingeordnet waren.

3032 |        Diese Ebenbildlichkeit Gottes in den ersten Menschen war „individuell“, war eine Eigenheit jeder einzelnen Existenzmöglichkeit, weil nicht bloß alle einzelnen Fähigkeiten, sondern auch die einmalige und besondere Einheit all dieser Fähigkeiten ein Abbild Gottes und damit auf Gott hinbezogen war. Das Abbild Gottes in den ersten Menschen war nicht ein „universales“ Gnadengeschenk, sondern Gott „wiederholte“ sich gleichsam1290 in jeder einzelnen Seele. Adam und Eva trugen als individuelle Existenzen das Bild Gottes in sich.

3033 |        Alle einzelnen Fähigkeiten und Betätigungsmöglichkeiten der einfachen Seele, die zusammen die Existenz der Seele ermöglichen und bilden, waren in moralischer Hinsicht so vollkommen, dass Gott „abbildlich“ in ihnen wohnen konnte. Alles, was der erste Mensch tat, war in der Zusammensetzung der verschiedenen, dazu notwendigen Einzelakte seiner Fähigkeiten so vollkommen, wie ein ungetrübter Spiegel, in dem Gottes Bild sich spiegelte und leuchtete und zugleich Gott, den Schöpfer und Herrn, selbst erfreute, ebenso wie auch die Paradiesesseele in der vollkommenen Ausübung ihrer Taten sich stets an den höchsten1291 Vollkommenheiten Gottes erfreute, um die sie wusste und deren Abbild sie bewusst in sich trug. Es war in den ersten Menschen ein ständiges Wissen um Gott und seine Heiligkeit und seine Vollkommenheiten, an denen sie sich ständig erfreuen konnten. Es war eine wunderbare Wechselbeziehung zwischen Gott und der Paradiesesseele. – (Ich habe über dieses Geheimnis sehr klare Begriffe, aber sie lassen sich schwer in Worten ausdrücken, weil sie zu geistig sind und zu sehr mit psychologischen und mystischen Erfahrungen verquickt, als dass man sie anderen in Worten begreiflich machen könnte. Besonders das Geheimnis der „objektiven Vereinigung mit Gott“ und das psychologische Geheimnis der „unwandelbaren Vereinigung mit Gott“ (der geistlichen Vermählung) werden dadurch näher erklärt.)

3034 |        Der Urzweck jeder einzelnen Seele und all ihrer einzel­nen Funktionen war der, Gott in sich selbst als in seinem Ebenbilde finden und erfassen zu können. Die Gotteserkenntnis der ersten Menschen war darum „individuell und existenziell“, d. h. mit der Existenz oder mit den Fähigkeiten jeder einzelnen Seele gegeben. – Dieses wunderbare, göttliche Gnadengeschenk, wodurch der Schöpfer jeder einzelnen Seele sein Abbild1292 aufdrückte und einprägte, zeigt so recht die unendliche Liebe Gottes, mit der er sich selbst an seine Geschöpfe verschenkte und hingab; denn mit diesem göttlichen Abbild1293 schenkte sich Gott jeder einzelnen Seele als beständigen Genuss und Besitz, und zwar als individuelle Gabe, denn jede einzelne Seele trug als Individuum mittels ihrer einmaligen persönlichen Existenz dieses Abbild Gottes in sich. Nicht als ob jede Seele durch ihre Existenz „ein Teil von Gott“ oder vergöttlicht gewesen wäre, sondern insofern sowohl die einzelnen Fähigkeiten oder „Bestand­teile“ der einfachen Seele wie auch ihre allgemeine Einheit auf Gott als ihr immer mehr auszuprägendes Urbild hinbezogen und hingeordnet waren.

3035 |        Die Paradiesesseele als geschaffenes, übernatürliches Abbild1294 der göttlichen Vollkommenheiten war in moralischer und psychologischer Hinsicht fähig, Gottes heiligstes Wesen zu erkennen und zu erleben, das mit ihren eigenen Anlagen wie „in einer Richtung“, wenn auch, obwohl in der gleichen Richtung, doch in göttlich-wesentlicher, unerreichbarer Höhe lag. Die Vollkommenheit des Daseins und der sittlichen Höhe der ersten Menschen war fähig, das individuelle Abbild des göttlichen Urbildes aller Vollkommenheit bewusst in sich erleben und ertragen zu können, und zwar als Dauerzustand – d. h. tatsächlich bis zum Sündenfall.

3036 |        Wir Menschen machen gewöhnlich – wie eben angedeutet – den Fehler, dass wir uns tatsächlich zu wenig als individuelle und persönliche Seele erkennen und anerkennen. Wenn wir von „unserer Seele“ reden, meinen wir damit nur zu oft gleichsam etwas „Sekundäres“, als ob es tatsächlich von unserer Person entfernt und getrennt wäre. Infolge der vielen Fähigkeiten und Kräfte, welche den Bestand unserer (dennoch einfachen) Seele stützen und tragen, werden wir uns kaum oder selten bewusst, dass im Grunde „unsere Seele“ zugleich unsere Existenz ausmacht. Wir denken aber zu einseitig an den „Umkreis unserer Betätigungen“ und betrachten diesen als die Hauptsache unseres Seins und Daseins, und wir erkennen uns zu wenig in der realen Einheit unserer Existenz. Dies wirkt sich aber im religiösen Leben zum Nachteil unseres tatsächlichen Fortschrittes aus; denn wir bedenken zu wenig die Bedeutung unseres individuellen Ichs; d. h., wir nehmen und betrachten uns zu wenig als denjenigen, an dem mittels des religiösen Fortschrittes eine sittliche Umwandlung vollzogen werden soll. Wir begnügen uns zu sehr mit dem „Tun“ der religiösen Übung, ohne dass unser tieferes Ich, die Eigenart unserer Person, genügend in dieses Tun einbezogen wird. Wir bedenken zu wenig, dass der wahre und wirkliche sittliche Aufstieg unseres Ich oder unserer Person das eigentliche und letzte Ergebnis unserer religiösen Übungen sein muss.

3037 |        Die Mitteilung des Abbildes Gottes an die erste Menschenseele traf die ganze Existenz der Seele als die personale Zusammenfassung und den Zusammenschluss aller diese Existenz tragenden geistigen und physischen Kräfte und Fähigkeiten. Es war eine wunderbare Ordnung, „so zu sein“ (wie die ersten Menschen waren) und diese Ordnung schien ihnen ganz „natürlich“. – Die Hl. Schrift sagt: „Gott lustwandelte mit ihnen im Paradies.“ Um aber mit jemandem und zumal mit diesen göttlichen Gefährten so vertraut verkehren zu können, ist eine wunderbare existenzielle Einheit (der Beziehungen) und Verkehrsmöglichkeit vorausgesetzt.

3038 |        Um zu seinem Geschöpfe zu kommen, muss Gott sich „herablassen“ und um seinem Gott und Schöpfer nahezukommen, muss die Möglichkeit einer Beziehung im Geschöpfe gegeben sein oder geschaffen werden, die eine Überbrückung des Abstandes herbeiführt und eine bestimmte „einheitliche Linie“ und Verbindung schafft, die nur durch Gott selbst dem Menschen geschenkt werden kann. In diesem Sinne war zwischen Schöpfer und Geschöpf im Paradies eine Einheit des gegenseitigen Nahekommens, der Möglichkeit, sich gegenseitig zu „erreichen“, sich in einer Einheit der Freundschaft oder des Zusammenseins in einer vertrauten „Zweisamkeit“ zu finden.

3039 |        Die volle Existenz einer Seele besteht in der Betätigung aller ihrer1295 Fähigkeiten in einer harmonischen Einheit. Wenn alle einzelnen Fähigkeiten objektiv Gott entsprechend dienstbar sein können, d. h. in ihrer Betätigungsart voll und ganz auf Gott hingerichtet sind, so ermöglicht die volle Harmonie der einheitlichen Betätigung ein „Wohnen Gottes in der Seele“ und diese voll harmonische Betätigung wird zu einem Abbild der die Seele bewohnenden göttlichen Natur des Schöpfers. – Dieses Wohnen Gottes ist aber keine Verschmelzung Gottes und der Seele, sondern eine Vereinigung aufgrund der objektiven Vereinigungsfähigkeit der Seele mit Gott. – Beim gefallenen Menschen soll durch die Abkehr der einzelnen Fähigkeiten der Seele von der sündhaften Gebundenheiten wieder das Wohnen Gottes in der Seele ermöglicht und ursprüngliche Ebenbildlichkeit Gottes wieder hergestellt werden. In diesem Sinne wurde ich hingewiesen auf das Pauluswort: „Wisst ihr nicht, dass ihr Tempel Gottes seid, und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3,16)

3040 |        Aus diesen Tatsachen, die mir innerlich in klar begreiflicher1296 Weise erfassbar werden, versteht man auch die Größe des unersetzbaren Gutes, das den Menschen durch den Sündenfall verloren ging. Statt zu bleiben in der objektiven Gottverbundenheit des Paradieseszustandes, der eine dauernde und immer noch zu mehrende1297 Gnade hätte sein sollen, fiel der Mensch in einen Zustand des „objektiven Widerspruches“ gegen Gott. Während früher alle Fähigkeiten seiner Seele wie naturgemäß auf Gott hingerichtet waren, kehrten sie sich nun von ihm ab und kamen in Widerspruch untereinander und mit Gott – bis auf ein leises Ahnen jener früheren, höheren Ordnung, das Gott auch nach dem Sündenfall noch im Menschen bestehen ließ. Es blieben in der Menschenseele grundgelegt alle guten moralischen Anlagen des Paradieseszustandes, ja, es blieb auch eine gewisse „Linie“ der früheren Ordnung und Harmonie bestehen, aber diese wurde zugleich zum größeren Widerspruch gegen das niedere „Gesetz der Unordnung“, von dem der Mensch nun erfasst wurde. An sich blieben im Menschen alle Möglichkeiten zum Guten und das Sittengesetz blieb als Richtschnur seines Handelns im Herzen des einzelnen Menschen eingeschrieben, sodass der Mensch das Sittengesetz voll und ganz erfüllen würde, wenn er sich an diese noch in ihm bestehende „Linie“ des Guten halten würde. Aber dieses höhere Gesetz und diese Richtschnur zerschellten an der Willensschwäche des Menschen und an der mangelnden Einsicht des Guten, dass er zu verrichten hätte. Der Mensch verfiel in einen Zustand der Verdunkelung seiner Verstandeskräfte und der Erkenntnis über sich selbst; zudem konnte er nicht mehr das tun und ausführen, was er „wollte“1298; denn die einheitliche Kraft seines Willens war zerbrochen, ebenso wie das Licht seines Verstandes über den Unterschied zwischen Gut und Böse verdunkelt war. Der Mensch konnte nicht mehr ausführen, was er „wollte“.1299 So kam der Mensch in einen Kampf zwischen zwei Gewalten, von denen er hin und her geworfen wird; er verfiel einem Gesetz des Zwiespaltes in sich selbst: Das tiefere Gesetz des Guten blieb für ihn ein unauslöschlicher, wenn auch dunkler Begriff. Das Gesetz des Bösen aber gewann die Überhand infolge der Schwächung seines Willens und der Verdunkelung seines Verstandes.

 

17.09.1944

3041 |        Gott ist reiner Geist, aber dieser Geist hat „Eigenschaften“, die sich in einer geschaffenen Nachahmung und Ähnlichkeit auch im Menschen finden. – Der Geist Gottes „sieht und hört“ und weiß alles, aber ohne die Organe, die der Mensch dazu nötig hat. Gott „liebt“ und hasst – d. h., sich selbst kann Gott nur lieben; die Geschöpfe kann er lieben und nach seiner Gerechtigkeit auch hassen. Gott kann als Geist auch Zuneigung und Abneigung „empfinden“ – ohne die Mittel des „Herzens und Gemütes“, die uns Menschen dazu eigen sind.

3042 |        Gottes Liebe ist in gewisser Hinsicht verschieden von unserer menschlichen Liebe und doch ist sie im Wesen der Liebe der Unsrigen ähnlich und gleich; denn die Liebe Gottes und unsere menschliche Liebe bedeutet, sich zu einem anderen Wesen neigen, sich ihm gültig nähern, ihm gut und wohlwollend sein und dieses Wohlwollen durch die Tat beweisen. – Ähnlich ist es mit dem Hasse Gottes. Gott hasst nach dem Maße, wie es seine Gerechtigkeit verlangt. Hassen aber heißt: Sich aus bestimmten Gründen von einem anderen Wesen abwenden, es wegen seiner bösen Taten von sich abweisen usw. – Gott durchdringt als „allsehender“ und alles hörender Geist das1300 Weltall und all seine Geschöpfe, ohne, dass seinem „Sehen und Hören“ Grenzen gesetzt werden könnten1301. – Gott weiß alles, und sein göttli­ches Wissen durchdringt die Geheimnisse seiner Schöpfung; vor ihm gibt es kein Geheimnis, weil alles Bestehen und alle Möglichkeiten seiner Schöpfung schon von Ewigkeit her vor seinem göttlichen Wissen standen und weil auch das Zukünftige nur mit seinem Willen und nach seiner göttlichen Zulassung geschehen kann. Gott ist der Allwissende und der Erstwissende von Ewigkeit her.

3043 |        Ähnlich wie Gott die Eigenschaften des „Sehens, Hörens, Wissens“ hat, und zwar als reiner Geist und in unumschränkter Gebrauchsgewalt, so sind auch die entsprechenden Fähigkeiten des Menschen als geschaffene und beschränkte Abbilder und Nachahmungen jener göttlichen Vollkommenheiten in der Hauptsache „Geistanlagen“, obwohl sie zugleich abhängig sind von den Gesetzen der physischen Natur des Menschen. Zwar möchte es uns scheinen, als wären die Anlagen des Sehens, Hörens, Empfindens usw. nur oder wenigstens in der Hauptsache physische Anlagen, aber es sind beim Menschen – im Gegensatz zum Tiere – doch in erster und entscheidender Linie Geistanlagen, die in der geistigen Seele des Menschen ihren Sitz haben und von dort aus reguliert werden. Die physischen Sinnesorgane sind wohl Eingangs- und Ausgangstore, Aufnahme und Ausdrucksorgane, aber das Bewusstwerden und die Verarbeitung der Sinneseindrücke geschieht durch die geistige Seele, durch die Aktivität des Geistes; andernfalls wäre es kein menschliches, sondern gleichsam ein „totes“, unfruchtbares Sehen und Hören, usw. Zum menschlichen Sehen gehört als erste Voraussetzung die seelisch-geistige Anlage, die mit jeder normalen Seele gegeben ist (– die „sehende Seele“, d. h. die Seele mit der Fähigkeit zu sehen oder die Seele, die sehen kann) und ferner das geistige Bewusstwerden des gesehenen oder gehörten Objektes, – was eine ausschließliche Tätigkeit des Geistes ist. So kommt es also im Menschen zum Sehen und Hören nur infolge der „sehenden und hörenden Seele“.

3044 |        Das Tier hat ganz ähnliche, physische Sinnesanlagen wie der Mensch, aber es wird dabei nicht von einer geistigen Seele, sondern von einem „blinden Instinkt“ geleitet; es „erkennt“ auch seine Umgebung, aber es fehlt die geistige Verarbeitung, und das geistige Bewusstwerden, und nur der Instinkt wirkt weiter und leitet das Tier durch eine „blinde“ Reaktion. Gewiss hat auch das Tier diesbezüglich ganz wundersame1302 Anlagen, insofern es z. B. eine mehrmals gesehene Umgebung oder mehrmals gehörte Stimme wiedererkennen kann, aber es sind immer nur augenblickliche Einwirkungen und Reaktionen des Instinkts, gelegentlich der Wiederholung des schon oft Gesehenen und Gehörten. Es ist im Tiere ein instinktives Sehen und Hören und „Wissen“ ohne die Möglichkeit eines geistigen Bewusstwerdens, Verarbeitens, Reagierens gegenüber dem Inhalt des Gesehenen usw. – Im Menschen dagegen vollziehen sich diese Sinnesvorgänge zugleich geistig: Das Gesehene oder Gehörte wird zu einem geistigen Bild der Seele, das verschiedene Anlagen der Seele anregt und in Tätigkeit versetzt; es wird zu einem persönlichen Wissen, wodurch das geistige Seelenleben bereichert wird; es ist also im Grunde ein „geistiges“ Sehen und Hören, weil das mit den Sinnen gesehene oder gehörte Objekt zu einem geistig erkannten, bewussten Objekt wird. Sehen und Hören und Empfinden sind also im Menschen – im Gegensatz zum Tiere – vornehmlich Geistanlagen, die uns der Schöpfer als Nachahmung seiner göttlichen Eigenschaften als Allsehender und Allwissender geschenkt hat. Ohne diese seelischen Geistanlagen würden uns auch die Sinneswerkzeuge kein lebendiges, wahrhaft menschliches Sehen und Hören vermitteln; so bleibt auch im neugeborenen Kinde das Sehen und Hören so lange eine „tote“ und unfruchtbare Eigenschaft, bis der Geist erwacht und beginnt, die von außen kommenden Eindrücke bewusst aufzunehmen und zu verarbeiten.

3045 |        Der Schöpfer hat den ersten Menschen bzw. den Menschen überhaupt mit diesen, im Grunde1303 geistigen Anlagen des menschlichen Sehens, Hörens und Empfindens seine entsprechenden Eigenschaften in einer geschaffenen, nachgeahmten, beschränkten Weise mitgeteilt. Was Gottes Wesen in einer unumschränkten Weise besitzt, das hat er geheimnisvoll in jede Seele gelegt und somit ist auch in diesem Sinne die Seele ein Abbild1304 Gottes.

3046 |        Viel höher an Wert als diese auf die physische Mitbetätigung angewiesene Geistanlage des Sehens usw. stehen jene Anlagen der Seele, die wir mit den Namen Fantasie und Gedächtnis zusammenfassen, wodurch die von außen gelieferten Beiträge verarbeitet, das Leben im Allgemeinen in Tätigkeit gesetzt, und im Besonderen die eigentlichen Erkenntniskräfte angeregt, und somit eine geistige Betätigung der Seele ausgelöst wird. Die Seele trägt bildhaft alle von außen kommenden Eindrücke in sich; diese werden ihr Eigentum, ihr geistiger Umkreis und eine geistige Lebenskraft, denn der Mensch kann ohne diese vielfachen Anregungen nicht existieren und er würde ohne sie in eine geistige Abstumpfung und Erschlaffung verfallen, in die auch das physische Leben mit hineingezogen würde.

3047 |        Die vornehmsten Anlagen der Seele sind aber die eigentlichen Erkenntniskräfte, die sich nach den Werten der Person richten, und den Willen zur Entscheidung veranlasst. Unter diesen Erkenntniskräften ist zunächst die praktische Vernunft, wodurch der Mensch die von außen kommenden Eindrücke, d. h. seine jeweilige Lage beurteilt und entsprechende Entscheidungen des Willens nahelegt. Alle von außen kommenden Eindrücke, ob sie nun höherer oder niederer, bedeutender oder unbedeutender Natur sind, verlangen zwingend von den Erkenntniskräften ein entscheidendes Urteil, das wiederum den Willen zum entsprechenden Handeln bewegt.

3048 |        Eine hohe Schulung der Erkenntniskräfte beeinflusst und erhöht in besonderer Weise den Wert einer Person, denn je nach der Art der Erkenntnis und Einschätzung der den Menschen umgebenden Verhältnisse und Möglichkeiten entwickeln sich die weiteren Aktionen und Reaktionen der Seele und deren Einwirkungen1305 auf das konkrete Leben. Die Art, und der Wert der Erkenntnis bestimmt in den einzelnen Fällen die Art des menschlichen Handelns. So können beispielsweise 10 verschiedene Menschen in gleichen oder ganz ähnlichen Fällen ganz verschieden handeln, weil die gleiche Angelegenheit von der verschiedenen Erkenntniskraft der Einzelnen verschieden beurteilt wird.

3049 |        Höher und wichtiger noch als diese „äußere Erkenntniskraft“ (der praktischen Vernunft, die eine geistige Anlage ist, aber die von außen kommenden Eindrücke abschätzt und beurteilt) steht die eigentliche Wurzel und tiefste Anlage der Erkenntniskraft, nämlich der eigentliche „einsehende“ Verstand oder die Intelligenz selbst, die mit und entsprechend der Werthöhe jeder einzelnen Person vom Schöpfer selbst mitgeteilt wird. Diese Intelligenz spielt die Hauptrolle im Seelenleben bzw. im religiös-sittlichen Leben und seinen Auswirkungen. Diese höchste, in den Erkenntniskräften verborgene Anlage ist eine „durchdringende“ Kraft, ein Abbild der göttlichen Weisheit. Die Seele weiß nur das, was sie erkennt und „einsieht“ und sie kommt nur in jenem Maße und in jener Fülle zur „Einsicht“ der zu beurteilenden Werte, als ihr diese geistige Natur Anlage des „einsichtigen“ Verstandes zur Verfügung steht.

3050 |        Der Gipfel und die höchste Ausstattung, die der Schöpfer den Menschen gab, ist die Fähigkeit und Kraft der Erkenntnis seinem göttlichen Wesen gegenüber. – Gott hat die Menschen erschaffen in einem göttlichen Antrieb und Drang seiner mitteilenden Liebe, in der er die Menschen beglücken wollte, gleichsam mit seiner göttlichen „Gemeinschaft“. Sein göttlicher Mitteilungswille, seine göttliche Liebe war der Grundantrieb, weshalb er Wesen nach seinem Bilde schaffen und beglücken wollte. Der göttliche Mitteilungsdrang ist eine wesentliche Eigenschaft Gottes, ist der Inbegriff Gottes überhaupt, ist das Wesen seiner göttlichen Liebe, die er selber ist. – Gott wollte sich darum Geschöpfen zu erkennen geben, die seiner Erkenntnis fähig wären, d. h. die er mit dieser gottgeschenkten Erkenntniskraft ausstatten wollte. – Damit aber ein Wesen Gott erkennen kann, braucht es eine hohe, tief eindringende Intelligenz. Es würde nichts helfen, wenn der Wille zwar etwas erkennen wollte, wenn ihm aber der feine „Fühler“ zum Eindringen in das zu erkennende Objekt fehlen würde. Diese höchste, geistfähigste Kraft im Menschen ist die Intelligenz, der einsichtige Verstand, dessen Aktivität besteht, im „Durchdringen“ oder Eindringen in das zu Erkennende.

3051 |        Den ersten Menschen wurde ihre besondere Erkenntniskraft als ihr höchstes Gnadengeschenk vom Schöpfer selbst zugeteilt und in seinen göttlichen Dienst, in den Dienst der Erkenntnis Gottes, gestellt. Die Erkenntnis Gottes in den ersten Menschen war eine unmittelbare, übernatürliche Gabe des Schöpfers und bestand in einer unmittelbaren Erkenntnis und Anerkennung des Schöpfers durch die ersten Menschen. – Diese Anerkennung war die erste Huldigung, die Gott von Geschöpfen dargebracht wurde, die er mit seiner Mitteilung beglückt hatte (außer der hl. Engel)1306. Mit der Erkenntnis Gottes muss ja verbunden sein die Anerkennung seiner göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten.

3052 |        Niemals aber ist eine unmittelbare Gotteserkenntnis, wie sie die ersten Menschen hatten, möglich, wenn nicht Gott selbst sich so zu erkennen gibt. Die Selbstmitteilung Gottes an die ersten Menschen als an seine besonderen Ebenbilder gab diesen aber die Möglichkeit und ließ gleichsam eine gerade Linie offen, auf der sie jeden Augenblick ihren Schöpfer erkennen, ihm nahe und in ihm sein konnten.

3053 |        Dieser höchste Vorzug des paradiesischen Menschen setzte aber auch eine entsprechende Disposition voraus, durch die eine beständige Nähe und Anerkennung Gottes erst ermöglicht wurde. Es gab auch im Paradiese Gesetze, nämlich Gesetze des Geistes, die erfüllt werden mussten, um das Paradiesesleben mit seiner beseligenden Gottesnähe genießen zu können. Die unmittelbare Gotteserkenntnis der ersten Menschen als dauernde Gabe Gottes (bis zum Sündenfall), hatte eine moralische und eine psychologische Voraussetzung: moralisch, nämlich die vollkommene Hinordnung des Gesamtseins und aller seelischen Betätigungen auf Gott; psychologisch, d. h. die Betätigung aller einzelnen seelischen Kräfte in einer vollkommenen und harmonischen Einheit.

3054 |        Das Maß einer solchen Gotteserkenntnis richtet sich nach dem Grade der Erhöhung der Geistigkeit der Seele, wodurch diese dem Geiste Gottes immer näherkommt und ähnlicher wird; denn Gott kann in seinem Wesen und in seinen Eigenschaften nur im Geiste und vom Geiste und nach dem Grade der Geistigkeit des Erkennenden wahrgenommen werden. Wenn Gott z. B. im Alten Bunde sich zuweilen den Patriarchen und Propheten sichtbar zeigte, so war bei diesem „Verkehr mit Gott“ doch vor allem die geistige Erkenntniskraft als erste und vornehmste Kraft tätig. Gott spricht immer nach seiner geistigen Art und muss darum auch vom Geiste des Angesprochenen verstanden werden. In welcher Form sich darum Gott auch zu erkennen geben mag, die Hauptsache ist für den Betreffenden immer die geistige Disposition d. h. eine entsprechende Erhebung des Geistes in jene Höhenlage, in der Gottes Wesen irgendwie erreicht werden kann – auch wenn diese Erhebung nur für einen Augenblick durch die göttliche Ansprache hervorgerufen wird. – Bei den ersten Menschen war es ein geschaffener Vollkommenheitszustand, der sie zu ihrer unmittelbaren Gotteserkenntnis befähigte, und zwar ohne Bemühung, aber doch abhängig vom Gebrauch ihres freien Willens.

3055 |        Mit einer solchen Gotteserkenntnis ist zugleich verbunden ein gewisses Durchdringen des göttlichen Wesens, freilich nur in bestimmten Grenzen, d. h., soweit die Erkenntniskraft der betreffenden Seele reicht und soweit Gott sich eben mitteilen will. – Die vollendete Gotteserkenntnis war auch bei den ersten Menschen erst für die unmittelbare und unverhüllte1307 Anschauung Gottes im Himmel vorbehalten, und im Hinblick auf dieses Ziel sollten sich die Seelen der ersten Menschen immer mehr vervollkommnen und entfalten. Es war also auch ihre Gotteserkenntnis im Paradies immer noch ein Zwischenzustand, der sie kraft ihrer eigenen Mitarbeit zu immer noch Höherem vorbereiten und befähigen sollte.

3056 |        Und welches waren die Voraussetzungen des Geistes, durch welche die ersten Menschen tatsächlich in die geistige Fähigkeit versetzt wurden, mit Gott in einem so intimen Verkehr zu stehen? – Es wirkte sich in ihnen in vollem Maße die vollendete Geist-Tätigkeit der Seele aus (= Tätigkeit der Seele als Geist), die uns Menschen im jetzigen Zustand so fremd erscheint und ist. Wenn vom „Verkehren mit Gott“ oder vom Schauen und Hören Gottes gesprochen wird, so denken wir heute unwillkürlich an ein gewöhnliches Sehen mit den Augen oder Hören mit den Ohren oder Sprechen mit dem Munde. Der Mensch in seinem jetzigen Zustande will nur das für wahr und sicher nehmen, was mit den leiblichen Organen gesehen, gehört, gesprochen wurde. Der jetzige Mensch ist so „vermaterialisiert“, dass er die viel höheren und grundlegenden Anlagen des Geistes, die ihm der Schöpfer gab, kaum mehr beachtet, ja geradezu wegleugnet; er lässt diesbezüglich nur das Materielle, d. h. die physischen Anlagen gelten und vergisst, dass jene gottgeschenkten Vorzüge der Geisttätigkeit wirklich noch in der Seele als Anlagen vorhanden sind. – Bei den ersten Menschen aber stand die Geisttätigkeit im Mittelpunkt ihrer Existenz überhaupt. Ihre Tätigkeit ging darum „von innen – und vom Ebenbild Gottes in ihnen – nach außen“, während wir seit dem Sündenfall so sehr mit dem Materiellen verbunden sind, dass wir gewöhnlich in unserer Seelentätigkeit nur von außen nach innen gehen können. Selbstverständlich haben auch die ersten Menschen – physisch gesehen – gehört, gesprochen usw. – sonst wären sie keine wahren Menschen gewesen, – aber in all ihren äußeren Betätigungen, die uns jetzt die Hauptsache scheinen, ging voraus eine „Tätigkeit“ des Geistes im vornehmsten Sinne. Die Intelligenzkräfte des ersten Menschen waren so erhaben, dass all seine Betätigungen um den Mittelpunkt seines gottebenbildlichen Daseins kreisten, von dort ihren Ausgang nahmen und dann erst durch die Sinne gingen. (– Das ist aber viel leichter gesagt und ausgesprochen, als man eindringen kann in dieses große Geheimnis für uns jetzige Menschen. –) – Der Zustand des „Wohnen Gottes“ in der Paradiesesseele, die durch die besondere Gottebenbildlichkeit der ersten Menschen gegeben war, gibt uns den Maßstab, um einigermaßen den Wert jenes geistigen Mittelpunktes und die hohe Geistigkeit der Funktionen der ersten Menschen zu ermessen. Kraft ihrer sittlichen Vollkommenheit war jeder einzelnen ihrer Handlungen „objektiv“ das höchste Wohlgefallen Gottes als Ziel gesetzt, und das war der Unterbau, auf dem sich die unmittelbare Gotteserkenntnis als Krönung und Gipfelpunkt ihres Seelenlebens erhob.

3057 |        Damit aber die ersten Menschen auf dieser für die unmittelbare Gotteserkenntnis notwendigen Geistesspitze und Geisteshöhe bleiben konnten, musste auch das Gepräge und die Art ihres gesamten Menschseins – als Gesamtergebnis aller einzelnen Tätigkeiten – sich auf dieser Höhe und Spitze bewegen. Auch ihre natürliche Erkenntniskraft – welche die Grundlage war, auf der, sie vervollkommnend, die übernatürliche Erkenntnis aufbaute – war auf die gleiche, erhabene Höhe gestellt, soweit sie eine die sittlichen Werte beurteilende Kraft war; denn auch die ersten Menschen waren wie wir, Doppelwesen mit Leib und Seele und auch sie waren äußeren Einflüssen ausgesetzt. Auch diese äußeren Einflüsse mussten daher in die Harmonie des Geistes eingeordnet und dem höchsten Ziel, der dauernden Gotteserkenntnis, zugeordnet werden.

3058 |        Die Paradiesesseele übte gleichsam eine doppelte Art des Sehens, Hörens und Empfindens aus, nämlich einen reinen Geistesakt zugleich mit dem psycho-physischen Akt. Sie durchschaute gleichzeitig den Wert des Gesehenen und Gehörten und alle äußeren Fähigkeiten und Tätigkeiten der Sinne wurden entsprechend der Geisttätigkeit geleitet und vollzogen. Auch darin offenbart sich das Geheimnis ihres hohen Intellektes; dieser war für eine unmittelbare Gotteserkenntnis befähigt und darum stand auch alles menschlich zu Erfassende (die Erkenntnis aller Objekte) auf der Höhe dieser seiner Erkenntnis und „Schau“ Gottes. – Die Sünde hat all diese intellektuellen1308 Vorzüge getrübt, und nun muss die gefallene Menschheit mühsam sich auch ihr „Wissen“ um die Notwendigkeiten ihres Lebens und des persönlichen Fortkommens aneignen.

3059 |        Im Hinblick auf meine besondere Aufgabe des Erlebens Christi, das in einem gewissen1309 Sinne den Paradieseszustand zur Grundlage hat, befinde ich mich in einer fortschreitenden „Entsinnlichung“ und damit in einer immer höheren Vergeistigung (sodass ich mich fühle, als ob ich keinen Leib hätte). Es wird aber dann eine neue, der erreichten Vergeistigung angepasste und entsprechende Betätigung der Sinne kommen. Dieses „neue“, der vergeistigten Seele angepasste Sinnenleben wird so fein und so gefühlig sein, dass es möglich sein wird, den Gegensatz oder Abstand damit zu erleben, der im Menschsein des Wortes Gottes lag und der von Christus, dem Gott-Menschen erlebt und erlitten wurde.1310

3060 |        Gott nahm also sich selbst zum Vorbild, als er den Menschen erschuf. Er hat die göttlichen Eigenschaften seines rein geistigen Wesens abbildlich und irgendwie nachgebildet auf die menschliche Natur übertragen, in deren Rahmen sie nun in geschaffener, beschränkter Weise psycho-physisch zum Ausdruck kamen. Alle paradiesischen Vollkommenheiten waren nur auf Gott hingerichtet, und das war die erste Huldigung, die der Schöpfer von seinem Geschöpfe, dem Paradiesesmenschen, entgegennahm.

3061 |        In Gott ist aber „in einem Akt“ – d. h. in seinem göttlichen Wesen des „actus purus“ – alles enthalten, und mit diesem einen Akt alles vollbracht, was sich im Geschöpfe aufteilt auf viele Akte, auf das, was wir „Sehen, Hören, Sprechen, Mitteilen, Lieben usw.“ nennen. Der Schöpfer hat zudem für diese einzelnen Tätigkeiten auch getrennte körperliche Organe geschaffen, durch welche die einzelnen diesbezüglichen Anlagen der Seele zum Ausdruck und zur Betätigung kommen. Deshalb können wir auch die im göttlichen „actus purus“ enthaltenen Eigenschaften unserem menschlichen Verstande nur durch „Aufteilung“ nach der Art unserer menschlichen Betätigungen nahe bringen. – In Gott gibt es aber tatsächlich weder das Bewusstwerden der einzelnen Betätigungen wie bei uns, noch die Vorbereitungen, die unseren menschlichen Akten vorhergehen, noch die uns angeborene Betätigung der vollbrachten Akte und Werke durch das Bewusstsein zum Zweck der ständigen Überprüfung unserer Akte und der Erinnerung daran. Gott erkennt sich vielmehr jeden Augenblick im göttlichen „actus purus“ selbst – im Gegensatz zum psychologischen Bewusstwerdensgesetz beim Menschen. In Gott gibt es auch keine Vergangenheit und keine Zukunft; sein Sein ist „ewiges Jetzt“ und ihm sind die Vorgänge vor 1000 Jahren gerade so gegenwärtig wie das jetzige Geschehen.

3062 |        Im mystischen Gebetsleben tun sich die vielfältigen Bewegungen und Akte der Seele zu einer gewissen Einheit und Einfachheit der Verkehrsfähigkeit mit Gott zusammen. Auch die Ansprachen oder Mitteilungen Gottes an die Seele erfolgen in ganz einfacher Art, wie mit einem Akt, oder in einem Worte ausgedrückt. All diese göttlichen Mitteilungen und Worte im mystischen Gebetsverkehr zwischen Gott und der Seele haben aber tiefen und vielseitigen Inhalt, der gewöhnlich nur mit vielen menschlichen Worten ausgedrückt oder umschrieben werden kann. Die Seele durchschaut aber das „göttliche Wort“ in seiner vielgestaltigen Form, wie mit einem „geistigen Blick“.1311 – Die entsprechend gereinigte Seele erhebt sich durch Gottes Gnade wieder zu einer ähnlichen Möglichkeit des Verkehrs mit Gott, wie sie im Paradies bestand, aber jetzt in der mystischen Gnadenordnung.

3063 |        In seiner Weisheit und Schöpferkraft hat Gott im Leibe des Menschen eine „Ergänzung“ geschaffen zu den Geist-Anlagen der Seele, als da sind hören, spreche, Verbindung und Kontakt mit anderen, empfinden, lieben usw. Diese Anlagen werden also geistig-leiblich betätigt oder als Geist-Leib-Betätiungen1312 ausgeübt. Dank des wunderbaren Baues der physischen Organe geschieht das in einer einzigen, aus der harmonischen Tätigkeit von zwei verschiedenen Elementen sich zusammensetzenden Tätigkeit. Auf diese Weise1313 werden die äußeren Ereignisse in den Dienst der Seele gestellt und werden rein geistige Erlebnisse nach außen wahrnehmbar gemacht. Die gottebenbildlichen Geistesanlagen des Menschen werden auf diese Weise immer neu angeregt und werden zum sichtbaren Ausdruck gebracht. So offenbart sich die Geistestätigkeit des Verstandes in menschlicher Weisheit und Wissenschaft, die geistige Betätigung des Willens und der Liebesfähigkeit zeigt sich im menschlichen Gemütsleben als Zuneigung, Mitleid, Abneigung usw. Durch die Doppelseitigkeit der aus Geist und Leib bestehenden menschlichen Natur ist auch die Möglichkeit des geistig-physischen Verkehrens und Verstehens der Menschen untereinander gegeben. – Was also in Gott rein geistige, wesenhafte1314 Eigenschaften und Vollkommenheiten sind, das hat der Schöpfer im Menschen abgebildet mittels der zwei Kräftearten, der geistig-leiblichen, als objektiv wesentliche, menschliche Anlagen, d. h. die notwendig zu einem normalen Menschenleben gehören. Es gibt keine Fähigkeit im Menschen, die nicht als entsprechende göttlich-wesentliche Eigenschaft in Gott wäre und die uns darum nicht Mittel und Hilfe sein könnte, für unser höchstes und letztes Ziel, nämlich zu Gott und zur Vereinigung mit Gott zu kommen.

3064 |        In diesem Leben kann weder der Leib noch die Seele für sich allein bestehen. Die geheimnisvolle und enge Verbindung von Leib und Seele wurde mir noch weiter erläutert durch folgende, mir zunächst seltsam vorkommende Erkenntnisse: Nach dem Tode des Menschen bewahrt die Seele – als Folge ihres Zusammenlebens mit dem Leibe hienieden – eine gewisse „geistige Sinnenhaftigkeit“ oder einen „Sinnenleib“, d. h., die Seele fühlt und lebt geistig in der Ewigkeit (bis zur Auferstehung des Leibes) nach Art eines Menschen; sie bewahrt auch nach dem Tode eine geistige Form des Fühlens, die dem physischen Tastsinn entspricht, in den sie sich im Leben eingelebt hat. – Die Seele ist ein Geist, aber nicht so rein-geistig wie die Engel. Es bleibt der Seele nach dem Tode eine gewisse Art menschlicher Gefühligkeit anhaftend, ohne dass sie selbst noch im Besitz des Leibes wäre. Sie erlebt alles so ähnlich, als hätte sie noch einen Leib, obwohl sie keinen mehr hat. – Diese geistige Sinnenhaftigkeit gibt der Seele die Möglichkeit auch nach der Trennung vom Leibe auf menschliche Weise zu empfinden, während die Engel auf rein geistige Weise, eben als Engel und reine Geister „empfinden“. Auch die menschliche Seele empfindet als Geist, aber entsprechend der menschlichen Eigenart des Fühlens und Empfindens. Die Seele erlebt und erleidet also alles so, als hätte sie noch einen Leib, obwohl sie keinen mehr hat. – Mit dieser geistigen „Sinnenhaftigkeit“ und „Gefühligkeit“ schaut die Seele Gott im Himmel bzw. erleidet sie die Strafen nach dem Tode – bis sie am Jüngsten Tag den vollen Gebrauch ihrer früheren menschlichen Natur wiedererlangt. –

 

Zusammenfassung der Psychologie der ersten Menschen

3065 |        I. – Ihre unmittelbare Verbindung mit Gott war eine geistige, innere, hatte ihren Mittelpunkt im Geiste und war nicht ein körperliches Schauen Gottes. Es würde auch nichts nützen, wenn jemand noch so oft Gott nach außen sichtbar oder bildlich schauen könnte, wenn aber dabei sein Inneres und seine geistige Erkenntniskraft nicht entsprechend disponiert wären; denn Gottes Wesen kann nur vom Geiste erkannt und erfahren werden. Und selbst, wenn sich Gott in Menschengestalt zeigen würde, so bliebe auch ein solches „Gottschauen“ des Menschen nur an der Oberfläche und würde, für sich allein, nicht in die Seele eindringen. Nur wenn zugleich die Seele, und ihre geistige Erkenntniskraft auf eine solche Höhe gestellt ist, dass sie das Wesen Gottes in etwa „erfassen“ und gleichsam „berühren“ kann, nur dann wird kraft dieser „Berührung“ auch „etwas“ vom Wesen Gottes, etwas von Gott Gebotenes in die menschliche Erkenntniskraft und in die Seele hineingetragen und hineingesenkt. Wie das bloße Sehen des Auges nichts fruchten würde, wenn nicht zugleich die Seele selbst mit ihrer natürlich-geistigen Erkenntniskraft in das „Gesehene“ verstehen und verarbeiten und in ihrem Gedächtnis behalten könnte, so mussten auch die Erkenntniskräfte des Menschen im Paradies in Gott eindringen können, wenn ihre Gotteserkenntnis fruchtbar sein sollte – wie sie es wirklich war. Ihre Seele musste zugleich „aufnahmefähig“ sein für Gott.

3066 |        Die paradiesische Gotteserkenntnis war nicht etwa eine Erkenntnis mittels1315 des Glaubens an seine Gegenwart oder mittels irgendeiner Vorstellung von Gott, ähnlich wie unsere verschleierte Gotteserkenntnis durch den Glauben. Die ersten Menschen erkannten wirklich das Wesen Gottes, ihres Schöpfers. – Ihre unmittelbare Gotteserkenntnis war für sie nicht ein „außergewöhnlicher Zustand“, wie z. B. für uns die mystische Gottesschau, sondern sie war gewiss eine übernatürliche, jedoch mit der Erschaffung selbst ihnen geschenkte Gabe, die ihnen infolgedessen ganz „natürlich“ schien.

3067 |        Zusammen mit der höchsten und zuerst sich betätigenden Geisteskraft der Intelligenz, waren bei den ersten Menschen auch alle anderen Geistesanlagen (wie Hören, Verstehen, Fühlen usw.) an ihrem intimen Verkehr mit Gott beteiligt. Die ersten Menschen konnten Gott verstehen und seine Stimme hören – wenn dies auch für gewöhnlich ein geistiges Verstehen und Verkehren mit Gott war – und sie konnten Gott lieben mit einem menschlich fühlenden und liebesfähigen Herzen und Gemüte. Gott konnte – und er tat es auch zuweilen – sich ihnen auch sichtbar zeigen in Menschengestalt und konnte sich mit ihnen im Paradies ergehen.

3068 |        II. – Zu einer solchen Gottesnähe war aber auch eine entsprechende seelische Disposition erforderlich. – Weil diese Gabe der Gotteserkenntnis als Möglichkeit den ersten Menschen zugleich mit ihrer Natur geschenkt worden war, mussten auch ihr ganzer „natürlicher Zustand“, ihre psychophysischen Bewegungen und Akte und vor allem ihr sittliches Verhalten sich ständig auf der Geistes- und Vollkommenheitshöhe bewegen, die für die Möglichkeit einer dauernden Gotteserkenntnis notwendig und gefordert war (und sie erst möglich machte). Ihr ganzes Leben musste also aus einer Quelle des Geistes und aus einer Höhe des Geistes strömen, wo eine unmittelbare Gotteserkenntnis möglich war. Nach der Art dieser ihrer inneren Geistesverfassung, die sie trug und beherrschte, wurden auch die äußeren Eindrücke und die Umgebung von ihnen innerlich aufgenommen, und danach wurden ihr äußeres Leben und ihr gegenseitiger Umgang geformt und durchlebt. Auch ihr äußeres Dasein trug darum den Stempel ihres inneren Geistes und ihrer ständigen Vereinigung und Einheit mit Gott. – Die psychologische Ordnung und Harmonie all ihrer Betätigungen oder die einheitliche Zusammenfassung und Beherrschung all ihrer Seelenkräfte ermöglichte die eine und einheitliche moralische Linie der allgemeinen und dauernden Hinordnung auf Gott in allem. So beherrschte das geistige Innere ihr Gesamtleben und drückte allem den Stempel eines vergeistigten Lebens auf, wobei auch der Leib ganz im Dienste des Geistes stand.

3069 |        Während wir im gefallenen Zustand uns anstrengen und bemühen müssen, von außen nach innen und zu einer geistigen Konzentration unseres Gesamtlebens zu kommen1316, beherrschte diese Konzentration des Geistes mühelos ihr Gesamtleben. Es war nur eine Linie, der all die verschiedenen psycho-physischen Tätigkeiten eingeordnet waren. Daraus ergab sich auch der glückliche „Ruhezustand“ des Paradiesesmenschen.

3070 |        III. – Das Ergebnis oder die Frucht dieses herrlichen Zustandes war eine wunderbare Verherrlichung des Schöpfers durch seine eigene Gabe an die Geschöpfe, insofern Gott sich in seiner Eigenheit und seinen Eigenschaften abgebildet fand in seinen Geschöpfen und insofern durch seine eigene Gabe ein ständiger gegenseitiger „Verkehr“ zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen stattfinden konnte. – (Die den ersten Menschen ebenbildlich zugeteilten Eigenschaften Gottes – die aber in Gott in „einem Akt“ des Durchdringens bestehen – waren für sie an sich natürliche Anlagen, aber sie waren doch auf eine übernatürliche Gnadenordnung hingerichtet). – Aufgrund der beglückenden Harmonie und Geistigkeit im Menschen wurde dem Schöpfer ständig die Frucht und das Ergebnis der Erschaffung als Huldigung zurückerstattet, weil sich alle Bewegungen und Taten der ersten Menschen in unmittelbarer Vereinigung und Einheit mit Gott trafen. Infolgedessen konnte anderseits Gott sich ständig und in immer mehr sich erhöhendem Maße ihnen mitteilen und ihre Aufnahmefähigkeit für Gott noch vermehren – bis sie dann einer noch höheren und höchsten Unmittelbarkeit und unverhüllten Anschauung Gottes fähig gewesen wären, wozu sie selbst tatkräftig beitragen sollten. Nach Gottes Plan wären die ersten Menschen ohne Tod mit Leib und Seele in einen noch viel beglückenderen Besitz Gottes übergegangen. – So wurden die im Menschen in geschaffener Weise abgebildeten und in menschlicher Einfassung gelebten göttlichen Eigenschaften dem Schöpfer zur Verherrlichung – bis durch die Sünde die leibseelische Verbindung zum Werkzeug der Sünde und zum Gegenstand der Strafbarkeit vor Gott wurde.

3071 |        IV. – Weil aber auch die ersten Menschen Doppelwesen aus Geist und Leib und mit einem freien Willen begabt waren, so war auch bei ihnen eine Beeinflussbarkeit1317 von außen oder innen möglich – und sie unterlagen einer solchen Beeinflussung entgegen dem Willen Gottes. Ich hatte die Erkenntnis, dass der Anfang ihrer Sünde darin bestand, dass sie ihren wunderbaren Zustand als Selbstzweck nahmen und sich insofern von Gott entfernten.1318

3072 |        Damit zerbrach aber auch die wunderbare Harmonie zwischen Geist und Leib in ihnen und verkehrte sich in das Gegenteil. Der Geist, der dem Begehren des Leibes nachgegeben hatte, verlor seine volle Herrschaft über den Leib und dieser herrschte in gewissem Sinne über den Geist.

3073 |        Damit war ihnen auch die Gotteserkenntnis entschwunden, welche sie in Gottes seliger Nähe geführt hatte. Als leiser Nachklang und als Ahnen blieb den ersten Menschen ein bestimmtes Wissen um Gott, und der Glaube an Gott und zugleich die Furcht vor seinem göttlichen Gericht. Anstelle der „Ebene zu Gott“ in ihrer Seele ist aber eine „Trennung von Gott“ getreten; Gott, ihr ihnen wie natürlich erscheinendes1319 „Gegenüber“, entschwand ihnen und es leuchtete ihnen nur im Glauben an Gott1320 ein schwacher Ersatz dafür. Jene wunderbare „objektive Einheit mit Gott“ und Kindschaft Gottes war ein ihnen geschenktes Gut gewesen, das sie erst durch eine Erprobung hätten für immer bewahren können. Da aber die ersten Menschen diese Probe nicht bestanden, kam es zur „Trennung zwischen ihnen und Gott“.

3074 |        Die Kenntnis der Vorzüge der „ersten Menschenseele“ ist der Weg, um sich in etwa ein Bild von der Gottfähigkeit und Gott Aufnahmefähigkeit der „zweiten Menschenseele“ zu machen, die Gottes Liebe als Ersatz schuf, nämlich die Seele Jesu. Das Verhältnis der Seele Jesu zu Gott bestand aber im Geheimnis der hypostatischen Vereinigung, d. h. in der Einheit des einen Lebens und des einen Wesens Gottes selbst. Die Seele Jesu „lebte“ Gott. Sie bot vom ersten Anfang ihres Bestehens an der göttlichen Person des Wortes eine menschliche Lebensmöglichkeit und sie war zugleich1321 befähigt, dem göttlichen Wesen der Person des Wortes unmittelbar „dienstbar“ zu sein. – In der Seele Jesu waren daher jene Vorzüge der Paradiesesseele bis1322 aufs Höchste entwickelt und gesteigert, durch welche die ersten Menschen befähigt waren, ihren Schöpfer wie auf einer natürlichen Weise und1323 Ebene zu erfahren. – Durch die hypostatische Vereinigung war die Seele Jesu aber auch unsündlich, während die ersten Menschen trotz ihrer hohen Ausstattung nicht an dieser Gott alleine zukommende Vollkommenheit teilnahmen; denn wesentlich unsündlich ist Gott allein. – Die unmittelbare Dienstbarkeit Gott gegenüber erforderte aber in der Seele Jesu als Voraussetzung eine entsprechende wunderbare Geistigkeit, um den göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten der Person des Wortes eine geziemende Existenzmöglichkeit zu bieten; denn die zweite göttliche Person wurde „Mensch“, blieb aber dem Wesen nach Gott, und die Seele Jesu trug dieses „Gott-sein“ des Wortes.

3075 |        (Im Hinblick auf meine besondere Aufgabe des Erlebens Christi, das in einem gewissen Sinne den Paradieseszustand zur Grundlage hat, befinde ich mich in einer fortschreitenden „Entsinnlichung“ und damit in einer immer höheren Vergeistigung (sodass ich mich fühle, als ob ich keinen Leib hätte). Es wird aber dann eine neue, der erreichten Vergeistigung angepasste und entsprechende Betätigung der Sinne kommen. Dieses „neue“, der vergeistigten Seele angepasste Sinnenleben wird so fein und so gefühlig sein, dass es möglich sein wird, den Gegensatz oder Abstand damit zu erleiden bzw. zu erleben, der im Mensch-sein des Wortes Gottes lag und der von Christus, dem Gott-Menschen erlebt und erlitten wurde.)1324

 

26.09.1944

Zur Psychologie des geistigen Fortschrittes der Seele

3076 |        Es ist ein großer Irrtum, wenn man meint, dass im Seelenleben der sogenannten „frommen und begnadeten1325 Seelen“ der geistige Fortschritt ohne Bemühung zustande komme. Im Wesentlichen bleibt auch im fortgeschrittenen Seelenleben die gleiche Spannung und Schwierigkeit des Aufstieges bestehen, die man schon bei den ersten Schritten vom Bösen zum Guten erfährt. Ob es sich um die ersten Stufen des Meidens der schweren Sünden oder dann um die Überwindung von Nachlässigkeiten und Unvollkommenheiten handelt: Es ist im Grunde immer der gleiche Weg mühsamer Kraftaufwendung, der, zusammen mit der Gnade Gottes, vom Bösen zum Guten und vom Guten zum Besseren und Besten führt. Auch wenn der Wille schon fest und tatkräftig entschlossen ist, das Gute bzw. das Bessere auszuführen, so stößt er doch immer wieder auf starken Widerstand der niederen Fähigkeiten.

3077 |        Der Entscheidung des Willens geht aber immer voraus die Betätigung der Erkenntniskraft, d. h. das Einsehen des Guten bzw. des Besseren, das dann durch die Erkenntniskräfte dem Willen vorgeführt wird. Die geistige Erkenntniskraft ist im Grunde die tiefste und in einem gewissen Sinne wichtigste, von der göttlichen Gnade beeinflusste und geführte Kraft und das Hauptwerkzeug zum Fortschritt der Seele auf dem Wege zum Guten und Besseren. Was man nämlich nicht als böse oder mangelhaft und unvollkommen einsieht, das kann man auch nicht „besser machen“ oder bessern. Diese Kraft ist immer in der gleichen Richtung tätig, angefangen von den untersten Stufen der Überwindung der Todsünde bis zu den höchsten Höhen der sittlichen Vollkommenheit und Vereinigung mit Gott: Immer führt sie nämlich zu einem tieferen Einsehen des Guten oder Besseren und damit zur Erkenntnis der Notwendigkeit, die sündhaften oder fehlerhaften Anlagen der Seele zu überwinden und abzulegen. Wohl hat der Schöpfer jeder Seele auch im gefallenen Zustand ein gewisses „Einsehen“ ihrer bösen Taten gelassen, aber dies ist ein rein „natürliches“, mit dem „bösen Gewissen“ und der Beschämung über die eigene Tat verbundenes Einsehen, das sich auf Vernunftgründe stützt. Zum tatsächlichen religiösen Fortschritt braucht es aber eine Einsicht „aufgrund der treibenden Kraft und des Lichtes der Gnade“, die der Seele gleichsam keine Ruhe lässt, bis sie sich davon überzeugen lässt1326, dass der Weg des Guten und Besseren ihr großen Nutzen, volle Ruhe, tiefen Frieden bringen würde.

3078 |        Das fruchtbare und wirksame Einsehen und Erkennen des Guten oder Besseren erfolgt also mithilfe einer übernatürlichen, das natürliche Erkennen selbst unterstützenden Kraft. Mit diesem übernatürlichen Einsehen wirkt aber tatsächlich immer zugleich eine „tätige Kraft“ mit, welche die Seele im Allgemeinen und besonders die Willenskraft instand setzt und ihr hilft, die eigenen Hemmungen und Gegensätze gegen das erkannte Gute zu überwinden. Mithilfe einer übernatürlichen Kraft muss ja die übernatürliche Erkenntnis auf den Willen übergeleitet und von diesem übernommen werden, wenn es zur tatsächlichen Überwindung des Bösen und zum wirklichen sittlichen Fortschritt kommen soll.

3079 |        Mit der übernatürlichen Gnadenhilfe für die Erkenntniskräfte ist immer auch ein bestimmter geistlicher Trost und Friede verbunden als Vorgeschmack für die Belohnung, welche die Seele erfahren wird, wenn sie sich von der Gnade leiten lässt und ihr folgt. So kann auch eine in der schweren Sünde lebende Seele, zu Zeiten von der Gnade Gottes gesucht, wahren geistlichen Trost empfinden, der ihr helfen soll, mittels der Gnade der Einsicht in ihren gefährlichen Zustand der Trennung von Gott sich ihre traurige Lage einzugestehen, sich aufzuraffen und alle Mittel anzuwenden, um zusammen mit der Kraft der Gnade sich von den Fesseln des Bösen zu befreien. Solche Gnaden haben, wenigstens in bestimmten Augenblicken, alle, auch die verkommenden Sünder als allgemeine Frucht der Erlösung. Wenn es nicht zur Bekehrung und zum geistigen Fortschritt kommt, so ist daran die eigene Unentschlossenheit schuld, weil der Sünder trotz der angebotenen Gnade der Einsicht sich nicht aufraffen will, die notwendigen Mittel anzuwenden und den bösen Gewohnheiten zu entsagen.

3080 |        In der tiefen, übernatürlichen, geistigen Selbsterkenntnis liegt das Grundgeheimnis, und sozusagen die „leitende Kraft“ alles religiös-sittlichen Fortschrittes, von der Bekehrung bis zur höchsten Vollkommenheit. Welch hohen Fortschritte würde eine Seele in kurzer Zeit auf dem Wege des Guten machen, wenn sie sich getreu von dieser unmittelbaren Kraft der Gnade leiten ließe! – Mit der Überwindung der gröberen Sünden und bösen Anlagen verfeinert sich aber diese geistig-übernatürliche Erkenntniskraft oder Selbsterkenntnis immer mehr. Die Gnade Gottes wird nämlich in der Seele, in einer immer feineren, und ins Einzelne gehende Weise tätig, und führt die Seele auch die kleineren, ihr früher verborgenen Fehler und ungeordneten Neigungen vor. Diese können dann von der Seele nicht weniger schmerzlich oder verdemütigend empfunden werden als selbst die früher bemerkten gröberen Verstöße. Jene übernatürliche Selbsterkenntnis stürzt die Seele in große Beschämung und Unzufriedenheit über ihren1327 geringen, lauen und unentschlossenen Fortschritt. Die Seele ist gleichsam entsetzt über ihre neu entdeckten bösen Anlagen und Schwächen und, sich stützend auf die größere Selbsterkenntnis, wendet sie die geeigneten Mittel an, um dem inneren Licht der Erkenntnis und seinen Forderungen zu folgen und dem als gut oder besser erkannten zuzustreben.

3081 |        Diese so wichtige übernatürliche Erkenntniskraft und Selbsterkenntnis wird als wirksame Gnade vor allem durch das Gebet erlangt und durch das Gebet in der Seele vorbereitet. Diese Erkenntnis der eigenen Schwächen und Mängel erweitert und vertieft sich ferner ständig nach dem Maße des Fortschritts und der Anwendung der Mittel, die den inneren Fortschritt fördern. – Dabei kommt es aber zu einem Ringen in der Seele, die einerseits sich um wahre und tiefe Selbsterkenntnis bemüht und darum betet, anderseits aber den Widerspruch der gefallenen Natur erfährt, die sich auflehnt gegen die Forderungen der Gnade und die ihre „Ruhe“ und Bequemlichkeit bewahren möchte. Die Selbsterkenntnis im Lichte und in der Kraft der Gnade wühlt gleichsam die Seele auf und stellt ihr die eigenen bösen Anlagen und Schwächen vor Augen, aber die niedere Natur sucht und weiß sich in allem zu entschuldigen. So kann die Seele gleichsam „verfolgt“ werden von der durch die Gnade bewirkten Selbsterkenntnis, vom Einsehen der eigenen fehlerhaften Anlagen, während anderseits die niedrige1328 Natur alles versucht und unternimmt, um jenes lästige Mahnen der höheren Einsicht und der Gnade zum Schweigen zu bringen. In diesem Widerstreit und Gegensatz braucht es eine feste Entschlossenheit, sich zum Guten zu wenden, den Raum des Bösen in der Seele immer mehr zu verringern, das Bessere immer mehr über das Niedere herrschend zu machen.

3082 |        Die übernatürlichen Erkenntniskräfte haben also die Hauptrolle im Fortschritt der Seele, und zwar vom Beginn des Weges zum Guten bis zu den höchsten Höhen der Vereinigung mit Gott. Sowohl im gewöhnlichen wie im mystischen Gnadenleben ist die von der Gnade geführte Erkenntnis des Guten und des Vollkommeneren das erste Werkzeug und die „treibende Kraft“ des Fortschrittes, wenn auch die Entscheidung dann beim freien Willen liegt. Die feinen „Fühler“ der übernatürlichen Erkenntnis vergeistigen und verfeinern sich fortschreitend1329 immer noch mehr und verbinden sich mit dem guten Willen, der das durch die Erkenntniskräfte ihm vorgestellte Gute bejahen und anstreben muss, der aber auch nur das wollen kann, was die Seele zuerst als gut erkannt hat.

3083 |        Verstand und Wille des Menschen müssen sich also notwendigerweise zuerst zusammenfinden zu einer harmonischen Tätigkeit; sie treten gleichsam in den beherrschenden Mittelpunkt des Seelenlebens, sei es in bereiter und freudiger Annahme des Guten, sei es in immerfort neuen Suchen des noch Besseren und Vollkommeneren. So kommen also Verstand und Wille zuerst – vor den niederen Fähigkeiten – zu einer gewissen „objektiven Hinordnung und1330 Vereinigung“ mit Gott, insofern Gott der Beweggrund, und der Mittelpunkt aller religiösen Übungen und aller Handlungen wird und ist.

3084 |        Die Tätigkeiten der Seelenfähigkeiten sind im Wesentlichen die gleichen, sowohl im gewöhnlichen wie im mystischen Seelenleben. Es gibt ja nur ein oberstes Ziel für jede Seele und für jedes religiöse Streben, nämlich eine objektive Umwandlung des Gesamt-Menschen zu einer möglichst hohen moralischen Vervollkommnung und einer damit gegebenen möglichst hohen Vereinigung mit Gott. Darum hat auch jede Seele im Wesentlichen die gleiche Arbeit zu leisten; denn das Ziel der Vereinigung mit Gott lässt sich nur durch eine allmähliche Umstellung der verschiedenen Seelenfähigkeiten erreichen, sodass schließlich das ganze Seelenleben in „objektiver Einheit“ auf Gott hingerichtet ist.

3085 |        So gibt es also im Grunde nur eine Berufung zu einem wesentlich gleichen Ziel, zu dem alle Seelen berufen sind. Der Unterschied liegt darin: Im mystischen Gnadenleben vollzieht sich der Aufstieg auf einem fühlbar erlebten, „hellen“ Wege, im „gewöhnlichen“ Gnadenleben aber in einem gewissen „Dunkel“; beide Wege verlaufen aber in der gleichen Richtung und streben im Grunde dem gleichen Ziel zu. Jede Seele, auch die auf dem Wege des „passiven Gebetes“ geführte, muss selbst aktiv dem einen, wesentlichen Ziel zustreben; der immer tieferen Erkenntnis Gottes und der immer innigeren Vereinigung mit ihm.

3086 |        Im mystischen Gnadenleben lässt das begleitende „fließende“ und fühlbare Licht die moralischen Schwächen der Seele tiefer und bewusster erfassen und hilft zu deren Überwindung durch passive Reinigungsleiden, die aber zugleich die Aktivität der Seele voraussetzen und anregen. Die Seele strebt also auf diesem Weg erlebnismäßig bewusst hin auf das allgemeine Ziel der Vereinigung mit Gott mittels einer unwandelbaren sittlichen Erhebung. – Auch im gewöhnlichen Seelenleben ist aber im Grunde die wirkende Kraft der Gnade Gottes selbst, welche auf das im Wesentlichen gleiche Ziel hinführt; wenn auch ihr Wirken auf diesem Wege in ein größeres Dunkel gehüllt ist, so sind doch ihre Wirkungen und Auswirkungen im Grunde die gleichen, wie auf dem mystischen Weg, und auch die anzuwendenden Mittel sind, im Wesentlichen, die gleichen. Wenn die Seele diese Mittel anwendet und die angebotene Gnade Gottes treu benützt und sich für das hohe Ziel zu befähigen bemüht, so gelangt sie auch auf dem gewöhnlichen Wege zu einer ähnlichen (wenn auch weniger bewusst erlebten) Vergeistigung wie im mystischen Gnadenleben. Es fehlen aber auch auf dem gewöhnlichen Wege keineswegs die schmerzlichen, geistigen Läuterungen, auch wenn diese nicht so unmittelbar als solche, d. h. als Einwirkungen der führenden Gnade Gottes von der Seele erfasst werden wie auf dem mystischen Wege die passiven Reinigungsleiden. – Im gewöhnlichen Gnadenleben wirkt sich das Leben Gottes in der Seele vielleicht mehr in den Werken des Menschen aus, bzw. treten andere Gaben des hl. Geistes mehr in Erscheinung und in den Vordergrund, während im mystischen Gnadenleben das subjektive Erleben der Vereinigung mit Gott – und die entsprechenden Gaben des hl. Geistes – im Vordergrund stehen, obwohl auch in diesem Falle die innere moralische Vollkommenheit sich zugleich in den Werken offenbaren muss.

3087 |        Auf welchem Wege auch eine Seele geführt wird, d. h., ob sie nun in bewusstem Erleben auf das Ziel hingeführt wird oder mehr in einem gewissen Dunkel des Glaubens: Niemals gibt es eine moralische Erhebung und Annäherung an Gott, die nicht durch „Gewaltakte“ der Selbstüberwindung und durch schmerzliche Lostrennung von den erbsündlichen Anlagen errungen werden müsste. Die letzte Frucht aber und zugleich das untrügliche Kennzeichen der Gottvereinigung wird und muss auf beiden Wegen zu dem einen1331 Ziel immer sein: die Vollkommenheit der Werke des Menschen.

 

Oktober

05.10.1944

3088 |        Ich befinde mich wieder im mystischen Leiden der Verlassenheit, des scheinbaren Verworfen-Seins von Gott und einer scheinbaren ewigen Trennung von ihm, als ob ich nie wieder sein Angesicht schauen könnte wegen meiner tatsächlichen Unwürdigkeit und Hässlichkeit. Das Gericht Gottes lastet auf mir und darum scheint ewige Auflösung und Verwerfung mein Anteil, der gerechteste Anteil für mich. Alle früheren Gnaden sind ausgelöscht, als ob sie niemals bestanden hätten; alle Liebe Gottes ist mir „genommen“ und an deren Stelle ist das Gericht Gottes, des Heiligsten, getreten und diesem Gerichte bin ich unausweichlich überantwortet. – Ich will so, d. h., ich will in diesem Leiden bleiben. Wenn mich Gottes Gerechtigkeit in das Nichts zurückwirft, aus dem ich gekommen bin, so will ich es nicht anders. Aber leiden will ich auch dann bis zum letzten Atemzuge, damit ich wenigstens von meiner Seite alles getan habe, was mir möglich ist, und damit ich das Bewusstsein haben kann: Ich bin im Gerichte Gottes und unter der Wucht seiner gerechten Leiden vernichtet worden.

3089 |        Nach meiner Erfahrung ist es uns nur vom mystischen Gnadenleben aus, und zwar nur von dessen höheren Stufen aus möglich, „dem Wesen des Geistes“ näherzukommen, bzw., in das Wesen der Geistbetätigung eingeführt zu werden. Nur durch persönliches Erleben der fortschreitenden Vergeistigung der Seele und ihrer Betätigungen bekommt man einen näheren Begriff vom „Wesen eines Geistes“.

 

06.10.1944

3090 |        „Ich will das Werk; es hängt daran das Heil meiner Kirche. Ich will meine Erlöserleiden anerkannt haben.“ – in der Kirche S. Maria sopra Minerva.

3091 |        Seelisch fühle ich mich – um es in einem einfachen Vergleich zu sagen – „leer, wie ein leerer Sack, der aber doch stehen muss“ (obwohl ein leerer Sack nicht stehen kann).

 

10.10.1944

3092 |        Heute Morgen in der Kirche „Al Gesu“ (in der Kapelle Maria della Strada) hatte ich ein geistiges Innewerden, wie sehr das Lob das Herz Mariens erfreut.

3093 |        Auch im gewöhnlichen Leben ist der Mensch über das Lob und1333 die Anerkennung seiner Leistung erfreut; jeder Mensch, ob er will oder nicht, ist für Lob und Anerkennung zugänglich. Da aber beim Menschen im gefallenen Zustand das Lob leicht zum Hochmut und zur Selbstüberhebung führen kann, so ist für ihn1334 Ehrung und Huldigung nur zu1335 oft schädlich. Dabei bleibt aber doch bestehen, dass das Lob an sich geeignet ist, gute Wirkungen hervorzubringen. Das Lob spornt nämlich den Eifer des Menschen an und bewegt seinen Willen noch mehr zum Guten und erhebt den Menschen. Mit fortschreitender sittlicher Vervollkommnung des Menschen treten immer mehr und ausschließlich die guten Wirkungen des Lobes hervor: Es bringt eine gehobene Stimmung in der Seele hervor, eine Bewegung der Freude, der Großmut und der Güte1336 gegen andere Menschen. Das Lob und die Anerkennung bringt gleichsam die in der Seele verborgene Güte zum Fließen und bewegt den Menschen zur Mitteilung seiner geistigen Gaben und Güter.

3094 |        Ich schaute nun, wie das Lob und die Huldigung auch in Maria und den Heiligen des Himmels eine ähnliche Bewegung der Güte und des Wohlwollens hervorruft wie bei den gewöhnlichen, guten Menschen, die alles nach Gebühr Gott zuzuschreiben wissen. Das Lob und die Anerkennung ihrer Größe und Vorzüge – was im Grunde zugleich ein Lob auf den Urheber und Geber aller Gnaden und Vorzüge ist – erfüllt auch1337 das Herz Mariens mit Freude und erschließt uns ihr mütterliches Herz; denn diese Freude wird zum Wohlwollen für uns, womit sie uns beschenkt. Das Lob lässt uns noch mehr ihre Güte erfahren, weil es sie veranlasst, eine neue Fülle von Gnaden uns mitzuteilen. Wie der gewöhnliche Mensch durch Lob und Anerkennung mitteilsam, großmütig und gütig wird, so gewinnen wir uns1338 auch die Güte und das Wohlwollen Mariens und eröffnen uns ihre Gnadenschätze, wenn wir ihre Gnadenvorzüge anerkennen und sie darum ehren, loben und preisen und verherrlichen. Wir sollen deshalb Maria nicht immer nur bitten, sondern sie auch preisen um ihrer ganz außerordentlichen Vorzüge und Gaben willen; wir sollen uns mit ihr darüber freuen, ihr huldigen und ihre Macht bei Gott dadurch anerkennen. Wenn wir so Maria – und den Heiligen – gleichsam ihre Lobwürdigkeit und Verehrungswürdigkeit und all ihre Gnadenvorzüge in Erinnerung rufen, so veranlassen wir sie zugleich mit ihrer Güte und ihrem himmlischen Wohlwollen unserer Hilfsbedürftigkeit entgegenzukommen, uns in unseren Anliegen zu erhören und uns zu helfen, – In ähnlicher Weise wurde ich1339 hingewiesen auf das Lob der Heiligen und vor allem auf das „Lob Gottes“. Weil Gott aller Ehre und Anbetung würdig ist, sollen wir ihn auch loben und preisen. Die Anbetung und Verehrung Gottes gewinnt uns seine göttliche Zuneigung1340 und Herablassung und eröffnet uns seine göttlichen Güter. Nicht nur durch Bitten, sondern auch durch Lob und Anbetung können wir uns Gottes Huld und Hilfe erwerben.

3095 |        Heute Mittag (10.10.44) war ich in jenen höchsten und letzten Hingabezustand versetzt, den ich als für meine Aufgabe notwendig erkenne, und auf dem Jesus das Erleben seiner Erlöserperson in mir aufbauen will: In diesem Zustand des „Genommen-Seins für ihn“ sagte er mir: „du kannst nichts Höheres und nicht mir Wohlgefälligeres tun als dich mir 'so' (d. h., in dieser vollen Hingabe und Bereitschaft) zu überlassen. Kein Gebet, und keine religiöse Übung kommt diesem Hingabezustand gleich“ (siehe Anmerkung unten)! „Damit wird in deiner Seele der Zweck voll erfüllt, den ich mit meiner Menschwerdung hatte und den Gott schon mit der Erschaffung deines Wesens hatte“. – Der Zweck der Menschwerdung des Wortes und der Erlösung war1341 nämlich: dass Gott sich seinem Geschöpfe nach dem Sündenfall „neu“ mitteilen könne. Dies war auch die Absicht Gottes schon bei der Erschaffung des Menschen gewesen, dass nämlich seine göttliche, mitteilende Liebe sich an Geschöpfe verschenken könne, die fähig wären, seine Hingabe entgegenzunehmen. – Gott „will“1342 sich mit der Seele des Menschen vereinigen; er will sie dazu ganz zu seinem Besitze machen und sich ihr mitteilen. –

3096 |        Anmerkung: Dies bezieht sich nur auf mein besonderes Innenleben, insofern die „religiöse Übung“ in meinem Falle in die besondere, volle Hingabe und in das Aufgeben1343 alles Eigen-Persönlichen übergegangen ist.

 

11.10.19441344

3097 |        Die Leiden sind so groß. Niemand kann sich einen Begriff machen von der Tiefe und Härte der Leiden, von denen ich jetzt ständig durchwühlt werde. – Ebenso wenig ist es möglich, die Feinheit der Geistigkeit zu erklären, von denen diese Leiden getragen und verursacht sind. Es wächst nämlich ständig die Fülle der Geistigkeit, welche die Grundlage meines ganzen Menschseins wird; und dieser Fülle und Gerechtigkeit gegenüber scheint das äußere, gewöhnliche Leben und Tun ein unerträglicher Widerspruch zu sein. Alles, was ich nach außen tue, wie z. B. sprechen, arbeiten usw., steht gleichsam zur Feinheit und Fülle der inneren Geistigkeit in einem Missklang, so ähnlich wie wenn man beispielsweise mit einem feinen wohlklingenden Silberglöcklein läuten würde und zugleich mit einem alten, zerbrochenen Blechtopf Geräusche machen würde. – Dieser Widerspruch und Kontrast zwischen der inneren Geistigkeit und dem äußeren gewöhnlichen Tun ist aber so schmerzlich, dass ich meine, vor Schmerz vergehen zu müssen.

3098 |        In diesen Schmerzen leide ich die einfache Harmonie eines völlig gleichgeschalteten Wesens mit einem einzigen harmonischen Klang herbei, bis nämlich mein ganzes geistig-physisches Wesen in die sich vorbereitende geistige Aufgabe eingefasst ist.

 

14.10.1944

3099 |        Ständig, ich könnte sagen, täglich, vertieft und erweitert sich in mir das Erfahren göttlicher Geheimnisse, bzw. des göttlichen Seins, wie es im Menschen Christus bestanden hat. – Das göttliche Wesen und die göttliche Eigenart der Person des Wortes nahmen die Kräfte der Seele Jesu an sich. Die Eigenart Gottes, bedient von der Vielfalt der Fähigkeiten der einfachen Seele (– die zugleich das „Leben“ des Leibes ist –) lebte auch die der göttlichen Person dienstbare physische Natur ein. Es ist etwas Wundervolles um diese Lebenseinheit der beiden Naturen – ohne Vermischung – im gottmenschlichen Leben Christi, und es ist etwas Wunderbares um die substanzielle Betätigungsart der Seele Jesu, die mittels ihrer Kräfte die göttlichen Vollkommenheiten zum Ausdruck und Ausleben1345 brachte. – Die göttliche Person des Wortes war zeit ihres Menschenlebens ganz von den Kräften der Seele „getragen“ – nicht in dem Sinne, als ob die Seele die göttliche Person wirklich getragen hätte, sondern insofern als diese Person – als das erste, ausschlaggebende, göttliche „Element“ – in erster Linie die Seele erfasste (die zugleich das Lebensprinzip des Leibes war) und sich den natürlichen Lebensgesetzen dieser menschlichen Seele anpasste, (ohne selbstverständlich irgendwie ihre göttlich-wesentliche Eigenart aufzugeben). Das göttliche Sein der Person des Wortes breitete und lebte sich1346 aus als gottmenschliches Leben mittels der einheitlichen Betätigung der Seele. Unter Mitbetätigung der physischen Kräfte entfaltet die Seele Jesu in sich den Reichtum des göttlichen Lebens, d. h., der göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten in einem entsprechenden Innenleben. – Dieses wunderbare Erfahren und persönliche Innewerden der göttlichen Geheimnisse in Christus lässt sich aber mit keinem Worte auch nur annähernd erklären. Worte bleiben eben Worte und können nicht den tatsächlichen gottmenschlichen Lebenszustand Christi erklären, denn es fehlt ihnen die „Lebendigkeit des Lebens“.–

3100 |        Das Höchste, Erhabenste und Ergreifendste für Christus aber war seine gott-menschliche Liebestätigkeit. Ja, man kann sagen: Das beherrschende Zentrum des gottmenschlichen Innenlebens Christi war seine Liebe, die von Anfang an freiwillig bereit war „zu sterben“. Diese göttlich-menschliche Todesbereitschaft aus Liebe, die ständig und jeden Augenblick das Herz des Erlösers erfüllte, ist das Wunderbarste von allem Wunderbaren in Christus (soweit ich es bisher erlebte).

3101 |        In dieser Todesbereitschaft in Christus war das Tragende seine göttlich-wesentliche Liebe, aufgenommen von den feinen Kräften der Seele, die aber zugleich ständig gleichsam genährt und gestützt wurden durch die Mitbetätigung der physischen Natur (entsprechend den menschlichen Lebensgesetzen). Ähnlich wie im gewöhnlichen Menschenleben vollzog sich auch in Christus jenes geheimnisvolle Gesetz der menschlichen Natur, wonach die menschliche Seele in gewissem Sinne auf die physische Natur angewiesen und von ihr abhängig ist. In Christus aber vollzog sich diese Mithilfe der physischen Lebenskräfte in jener feinsten und vollkommensten Weise, wie es die göttlich-wesentliche Liebe bedurfte und erforderte; nicht, dass die göttliche Liebe im Menschen Christus erzeugt und hervorgebracht worden wäre, sondern es war die göttliche Liebe, welche die menschlichen Kräfte so in Anspruch nahm, dass die göttliche Liebe sich zugleich als gottmenschliche Liebe im Gesamtleben Jesu auswirkte.

3102 |        Der Erlöser, das göttliche Wort kam und stieg herab, „um zu sterben“, noch genauer gesagt: um menschlich leben und mittels dieses menschlichen Lebens „sterben zu können“. – Die göttliche Selbsthinopferung stand im Mittelpunkt des Zweckes und Zieles der Menschwerdung. Diese göttliche Selbsthinopferung sollte ermöglicht werden durch die menschliche Natur, die der göttlichen Person ständig die Mittel zu dieser Selbsthinopferung lieferte; denn Gott ist in sich selbst leidens- und sterbensunfähig.

3103 |        Damit die göttliche Person als wahrer Mensch bestehen konnte, vollzog sich in Christus ein ständiger Verbrauch menschlicher Kräfte. Dieser Kräfteverbrauch entsprach den Anforderungen der göttlichen Person und war darum weit höher als bei einem gewöhnlichen Menschen und steigerte sich auch in Christus immer mehr und schließlich bis zum Tode am Kreuze. In diesem bitteren Sterben lag das Höchstmaß des menschlichen Kräfteverbrauches, weil seine Liebe sich im Tode am Kreuz zugleich in höchstem Maße „als Mensch“ betätigte.

3104 |        Die göttliche Person hat in ständig sich steigerndem1347 Maße die menschlichen Kräfte in Anspruch genommen und gebrauch; denn die göttliche Liebe und alle göttlichen Vollkommenheiten existierten und lebten nun mit menschlichen Kräften und in Anpassung an die Gesetze des menschlichen Wachstums. Es war in Christus keine „Teilung“, als ob etwa Gott, d. h. die göttliche Person für sich allein und nebenan die menschliche Natur bestanden hätte, sondern die menschliche Natur lieferte ständig die „Ergänzung“ (in dem früher beschriebenen Sinne) zum gottmenschlichen Leben und Lieben. Gott war Mensch mit menschlichen Kräften. Und diese, den göttlichen Vollkommenheiten der Person dienenden Kräfte wurden im Menschen Christus ständig „erzeugt und hervorgebracht“ nach dem Maße der Inanspruchnahme der menschlichen Natur durch die göttliche Person, die aber dabei Rücksicht nahm auf die Lebensgesetze der menschlichen Natur. So herrschte in Christus ein wunderbarer Kreislauf von Wechselbeziehungen, insofern die göttlichen Vollkommenheiten sich ständig in der psycho-physischen Natur die ihnen dienenden Kräfte holten.

3105 |        Die Liebe Gottes, des Erlösers, in sich selbst war im Augenblick der Menschwerdung die gleiche wie am Kreuz. Schon die Menschwerdung hatte als Ziel eine totale, vollkommene Selbsthinopferung, und im Hinblick und Hinordnung auf dieses Ziel wurde die menschliche Natur, Seele und Leib, geformt und entsprechend weit und befähigt gemacht. Daher1348 war im Menschen Christus gleich von Anfang seines Lebens an ein „gemeinsames Hinströmen aller menschlichen Kräfte auf dieses göttliche Ziel“, nämlich eine Formung des Gesamtmenschseins für seine göttliche Erlöseraufgabe. Das Ziel der Menschwerdung wurde somit als entsprechender Faktor mit „eingebaut“ in die menschliche Natur Christi1349.

3106 |        Mit dem menschlichen Wachstum steigerte sich die Inanspruchnahme der Kräfte durch die göttliche Person und nahm der Erlöserberuf Christi immer weitere Formen an. Es wuchs ständig die Spannweite und Tragkraft der psycho-physischen Kräfte, und sie wurden in ständig sich erhöhender Weise zum Dienst für die Erlöserperson angefordert. In dieser psychisch-physischen Spann- und Tragkraft liegt eigentlich das Geheimnis der Tiefe der Leidensfähigkeit der menschlichen Natur Christi. Diese Spannkraft wurde – im Einklang mit den psychologischen Lebensgesetzen der Wechselwirkung der Kräfte – von der göttlichen Person und in Kraft des göttlichen Lebensantriebes als Person „verlangt“, herausgefordert, beansprucht und gebraucht. – Wie früher ausgeführt, geschieht ja in jedem Menschenleben die Anforderung und Beanspruchung der Kräfte entsprechend der Eigenart des selbstigen Lebensantriebes, d. h. nach der Eigenart der Person. Die besondere, individuelle Lebensbetätigung des „selbstigen Lebensantriebes der Person“ ist also eingebaut in die Art, wie und in welchem Maße die Lebenskräfte angefordert und beansprucht werden. – Nun war aber in Christus das eigentliche Lebensziel und der Zweck seiner Menschwerdung überhaupt „Die Erlösung“. Und als letzter Abschluss und Vollendung dieses Erlöserlebens standen vor seinem Geiste die freiwillige Hinopferung und Zerstörung dieses Lebens. So baute sich schon im Mutterschoß Mariens dieses Ziel in die Art des „werdenden“ Lebens Christi ein und es erfolgte eine langsame (den menschlichen Lebensgesetzen entsprechende) aber zielstrebige Kräfteformung für dieses Ziel der „Erlösung“ der Menschheit durch seine freiwillige gottmenschliche Hinopferung aus Liebe.

3107 |        Im Gegensatz zum gewöhnlichen Menschenleben hatte das Erlöserleben Christi nicht einen Selbstzweck für die göttliche Person, sondern nur den Zweck selbstloser Hingabe für die Erlösung des gesamten Menschengeschlechtes. – Es liegt sonst in der menschlichen Natur, sich ein Leben für den eigenen Gebrauch und Nutzen zu formen. Der Mensch kann an sich sein Leben an niemand und für niemand „abtreten“; es ist vielmehr seine individuelle Eigenheit und sein unveräußerliches Eigentum. Selbst die Mutter, die neues Leben gibt, erfüllte damit ihren eigenen1350 Lebenszweck, der eben darin besteht, anderen das Leben zu geben, und sie findet darin ihre eigene Genugtuung. Und wenn ein Mensch oder ein Held sein Leben freiwillig für die Mitmenschen opfert, so hat er doch vor dieser Selbsthingabe sein Leben für sich gelebt und „genossen“ (im guten Sinne); zudem bleibt sein Opfer, so edel es sein mag, doch ein menschliches, beschränktes Opfer. – Nur im Erlöser besteht die göttliche Tatsache, dass er einzig und allein, um der gefallenen Menschheit willen, das Menschenleben angenommen hat, und zwar in seiner Liebe es nur angenommen hat1351, zum Zweck der selbstlosen Hinopferung für die Menschen, also zum Zweck der Zerstörung dieses Lebens. Im Menschenleben Christi war also in einem gewissen Sinne das Erste in seinen Gedanken und Absichten dies, was in unserem Leben das Letzte ist, nämlich das Sterben, das Christus freiwillig wählte und in seiner Liebe zum Hauptzweck seines Lebens machte, während wir Menschen den Tod gezwungen auf uns nehmen und den Gedanken daran nach Möglichkeit fliehen. (Ich hatte bei diesem „Eindringen in das Leben des Erlösers“ „den Tod aus Liebe“ zum Gegenstand meiner inneren Erkenntnisse; auf diesen Tod aus Liebe war das Gesamtleben des Erlösers hingerichtet)1352.

3108 |        Entsprechend der Höhe und Vollkommenheit seiner göttlichen Liebe sollte das ganze Leben Jesu ein beständiges bewusstes Aufbrauchen seines Menschseins und seiner menschlichen Kräfte im Dienste dieser Liebe sein. Entsprechend dem göttlichen Vollkommenheitsideal, das eine göttlich-wesentliche Liebe in sich schließt, begann auch der menschliche Lebensumsatz der psychischen und physischen Kräfte im Erlöser. Dieser göttlichen Anforderung entsprechend wurden die psycho-physischen Kräfte ausgebildet und geformt, sodass die ständig der göttlichen Person das bieten konnten, was eine vollkommene Harmonie zwischen1353 der göttlichen und der menschlichen Natur möglich machte. Der Zweck der Menschwerdung wurde gleichsam zum mitbestimmenden Lebensgesetz im Gottmenschen und alle Kraftbetätigungen strömten immerwährend diesem Zwecke zu. – Das ist übrigens eine allgemeine Tatsache. Wenn z. B. jemand ein Gelehrter werden will, so muss er schon frühzeitig seine entsprechenden Anlagen und Fähigkeiten ausbilden und sich auf ein bestimmtes Fach vorbereiten. Das ganze Studium richtet sich auf dieses Fach hin, das ganze Lebensideal ist diesem Fach zugewandt und die Geisteskräfte werden in dieser Richtung angespannt. So wurden auch im Erlöser alle psychischen und physischen Fähigkeiten im Hinblick auf das Ziel geformt und herangezogen, nämlich um der göttlichen Person die entsprechenden menschlichen Kräfte für ihre Erlöseraufgabe zu liefern und bereitzustellen. – Es entwickelte sich darum im werdenden Menschenleben Christi eine ständige „Rundung“ und Angleichung der Kräftelieferung an die göttliche Person, und zwar entsprechend dem Maß ihrer Beanspruchung durch die göttliche1354 Person.

3109 |        Die göttliche Person bediente sich von der Menschwerdung an bis zum Tode am Kreuz in allem ihrer menschlichen Natur und tat nichts als göttliche Person allein (ohne die menschliche Natur). Infolgedessen musste aber in der psycho-physischen Natur jene göttliche Hochspannung, jene Vergeistigung, Leichtigkeit und Beweglichkeit und Erhabenheit ermöglicht und vorhanden sein, die den Anforderungen der göttlichen Person genügen konnte. Es musste darin ferner eine gewisse „Ruhelosigkeit“ (im Sinne des Entbehrenkönnens der Ruhe) ermöglicht werden, die in menschlicher Weise mit dem göttlichen „actus purus“ harmonieren konnte. Diese „Ruhelosigkeit“ bestand aber nicht etwa in einer beständigen Tätigkeit der menschlichen Natur, sondern vielmehr in der ständigen Möglichkeit und Bereitschaft zur Mitbetätigung mit jener Geistbetätigung, die der göttlichen Person in ihrer Unveränderlichkeit immer eigen war. – Wenn der gewöhnliche Mensch seine Tagesarbeit vollendet hat, gibt er sich der Ruhe hin; in ihm sind die beiden Bestandteile, Leib und Seele, so zu einem „Ein-Wesen“ verbunden, dass die Bedürfnisse des einen Teiles gleichsam auch zu Bedürfnissen des anderen Teiles werden; im Gottmenschen aber blieb infolge der hypostatischen Vereinigung die dienstbare menschliche Natur ständig und immerwährend auf der Höhe der Bereitschaft zur Mitbetätigung mit den Forderungen des beherrschenden göttlichen „Elementes“. Das bedeutete aber einen ganz hohen, in menschlichen Worten niemals erklärbaren Verbrauch menschlicher Kräfte und deshalb musste die menschliche Natur Christi für diesen immerwährenden, gleichsam „göttlichen Kräfteverbrauch“ (= Verbrauch durch die Anforderungen der Gottheit) befähigt und geformt1355 werden; sonst hätte nämlich die göttliche Natur die menschliche Natur geradezu erdrückt.

3110 |        Ich kann aus Erfahrung bestätigen, welches Ausmaß von psycho-physischen Kräften es schon bedarf, um längere Zeit eine fühlbare Vereinigung mit Christus ertragen zu können. Nach hohen mystischen Vereinigungszuständen kann geradezu eine allgemeine Erschöpfung und Erschlaffung der physischen Natur eintreten. Durch den Vereinigungszustand werden nämlich mehr und höhere Geisteskräfte herausgefordert und angefordert und die physische Natur muss sich dieser Höhenstellung der Seele bzw. des Geistes anpassen – was auch eine höhere Leistung und Anspruchnahme für die physische Natur bedeutet. – Diese mystischen Erfahrungen können einen leisen Begriff geben von der Höhe und Art der Kräftebeanspruchung, welche die menschliche Natur Christi im Dienste der göttlichen Person zu leisten hatte.

3111 |        Was eine besondere Höchstleistung von der menschlichen Natur Christi verlangte, war z. B. seine göttliche Allwissenheit. – Der gewöhnliche Mensch lebt sein Leben gleichsam „im Dunkel“, d. h., ohne Vorauswissen und Vorausschauen; ja, er erfährt manchmal nicht einmal seine augenblicklichen Leiden und Schwierigkeiten in ihrem wahren Gewicht; die Verschiedenheit der Veranlagung der einzelnen Menschen spielt dabei bekanntlich eine große Rolle. – Ganz anders war es in Christus. Er wusste nicht bloß alle Einzelheiten seines Lebens und seiner Leiden voraus; er erlebte und erlitt auch sein Menschsein nach dem ganzen Gewicht der Wirklichkeit und in der ganzen Bedeutung und Schwere ihrer Auswirkungen auf die göttliche Person, die ihrerseits sofort und unmittelbar die menschlichen Kräfte auf der Höhe der Vollkommenheit und Feinfühligkeit der göttlichen Person zum Erleiden jener Auswirkungen heranzog. Auch durch sein göttliches Vorauswissen wurden ungleich mehr menschliche Kräfte beansprucht als bei unserem „dunklen“ oder wenigstens „halbdunklen“ Erleben und Wissen.

3112 |        In ähnlicher Weise forderten alle göttlichen Vollkommenheiten und Eigenschaften eine besondere Befähigung und Kraftleistung der menschlichen Natur im Dienste der göttlichen Person. Und die Befähigung zu dieser Dienstleistung für die göttliche Person musste in der menschlichen Natur gebildet und hervorgebracht werden. Das Tragende und Kraftspendende in Christus war gewiss das göttliche Wesen, aber damit dieses göttliche Wesen „Mensch sein“ konnte, bedurfte es der Mitbetätigung und Anspannung der menschlichen Kräfte im Dienste der Eigenheit der göttlichen Person und ihres göttlichen Erlöserberufes.

 

20.10.1944

3113 |        Ständig erhöhen sich die Forderungen, „mitzugehen“ in neue Tiefen des göttlichen Seins. „Nur dem Augenblick leben“ ist das göttliche Führerwort.

3114 |        Ich kann auch nicht anders; denn ich werde gleichsam täglich „mit hineingenommen“ in die wundervollen Tiefen des göttlichen Wesens, wo sich mir die in eigenem Miterleben fortwährend neue „Geheimnisse Gottes“ auftun. Dabei ist jeder gegenwärtige Augenblick für sich selbst überreich genug und enthält zugleich alles für die nächste Zukunft Notwendige. Es ist auch kein Bedürfnis vorhanden nach Erinnerung an Vergangenheitserlebnisse. Der gegenwärtige Augenblick bietet vielmehr in seiner Lebensfülle vollen Ersatz für die bisherige Form der Verwertung der Vergangenheit. Nun haben nicht mehr die Taten der Vergangenheit für mich Beziehung zur Gegenwart, sondern die Frucht der vergangenen Taten ist zu neuer Erhebungskraft geworden für tieferes Erlebenkönnen der Gegenwart. So ist in mir ein ständiges „Vorwärtsschreiten“ ohne Rückblick und ohne Vorausschauen. „Das Leben selbst“, das augenblickliche Sein ist alles, ist zugleich Zentrum und Masse1356.

3115 |        Die Eigenart des menschlichen Seins und des Lebens – und dem gegenüber des göttlichen und dann des gottmenschlichen Lebens – wird mir nämlich in diesen Tagen immer wieder erklärt1357 durch den Vergleich mit einer Kugel. – Das menschliche Sein und Leben ist wie eine Kugel, die sich um eine Achse dreht. Die Achse bilden die ständigen „Selbstbeziehungen“ (Beziehungen zur eigenen Person und damit Beziehungen zwischen Sein und Dasein), die der Mensch jeden Augenblick vollzieht und die durch den Mittelpunkt der Kugel gehen. Der eigentliche Mittelpunkt der Kugel (d. h. der menschlichen Lebensbetätigungen) ist die Person, die den Antrieb der Bewegungen der Kugelmasse (= der1358 Summe der Lebensbetätigungen) besorgt. Die Achse dieser Kugel hat zwei Enden oder Pole, die auf einem „Postament“, einer haltsicheren Grundlage ruhen, nämlich auf Seele und Leib. Diese beiden Pole bringen unter dem Antrieb der Person die „Drehungen der Kugel“ (die Lebensbetätigungen) hervor, Drehungen um die Achse und mithilfe der Achse. Der Lebensantrieb stützt sich auf die Lebensregungen und Mitbetätigungen der beiden Pole Leib und Seele. Die Masse der Kugel (= das konkrete Leben) steht – durch die Drehungen um die eigene Achse oder Selbstbeziehungen – in einem mehr oder minder bewussten Zusammenhang mit der Achse und dem Postament. Die Masse dieser „Lebenskugel“ wird gebildet durch die Summe der menschlichen Erlebnisse, die ein Zentrum oder eine eigentliche Betriebszentrale haben, worin das jeweilige Gegenwartskapital, die augenblicklichen Erlebnisse wie in Vorratszellen aufgespeichert werden. Die Masse dieser „Lebenskugel“ (oder die Summe der menschlichen Erlebnisse) bewegt sich zwischen den beiden Polen um die Achse der Person. Dabei vollzieht sich eine ständige „Wiederholung der Bewegungen“, insofern sich die Art der Person ständig von Neuem auslebt und kundtut als Erzeugerin der eigenen Lebenstätigkeit und als Ausstrahlungszentrum auf die Umgebung. Die Selbstbeziehungen, wodurch Leib und Seele in einer bewussten Einheit verbunden werden, sind gleichsam „Funktionsdrähte“ oder die eigentlichen Lebenskräfte der Person, wodurch die Lebensmaschine instand gehalten wird.

3116 |        Dem gegenüber werden mir das göttliche Sein und Leben durch den Vergleich mit einer „Kugel“ erläutert, deren Schwerpunkt im Mittelpunkt ist, um die sie sich dreht. Dieser Mittelpunkt ist alles; er ist Selbstantrieb und ist eins mit der ganzen Masse der Kugel. Die „Drehungen“ (oder Lebensbetätigungen) wiederholen sich nicht und es gibt darin keine „Rückdrehung“, d. h. keine „Erinnerung“ und keine herzustellende Beziehung zwischen vorausgehenden und nachfolgenden „Bewegungen“ der Kugel. Die Masse der Kugel steht zum Mittelpunkt im Verhältnis eines ständigen „Jetzt“. Es gibt also in diesen „Drehungen“ (oder in diesem göttlichen Leben) immer nur „Neues“, worin das Vergangene und das Kommende zugleich enthalten ist. – Die Bewegung der Kugel genügt sich auch vollkommen selbst als immerwährender Selbstgenuss. Es gibt in Gott keine „Seins-Wiederholung“, sondern sein Wesen ist stets neues Sein, das aus dem unergründlichen Selbst-sein quillt. – Es braucht in ihm keine Achse und keinen Antrieb, denn das Wesen seines Lebens liegt im Sein des Mittelpunktes der Kugel. Es braucht darin kein Postament einer Befestigung oder Grundlage; Gottes Sein ist vielmehr stets „schwebendes Sein“, das im Mittelpunkt seines Wesens sich selbst zur Zentrale hat. In ihm sind Zentrale und Masse eine abgeschlossene, fertige Einheit, eine Wesenheit ohne den Behelf einer Zusammensetzung oder Zusammenfügung.

3117 |       Im Leben des Gottmenschen Christus bedeutete – um beim Vergleich zu bleiben – das göttliche Wesen den Mittelpunkt; seine Menschheit stellte gleichsam die Masse der „Kugel“ dar. Diese Masse (= d. h., die konkreten Lebensbetätigungen) dienten dem Mittelpunkt (= Der Person), dessen Art die ganze Masse der Kugel beherrschte. Es brauchte auch in ihm keine Achse als geistige Erzeugerin, wie im gewöhnlichen Menschenleben; denn der Lebensantrieb lag im Mittelpunkt der Kugel, der aus dem eigenen Sein heraus die Art des Umsatzes der gesamten Lebensmasse besorgte. Es bedurfte keiner Selbstbeziehung, um die Funktionen für die augenblicklichen Bedürfnisse anzuregen, sondern es quoll aus dem Mittelpunkt jederzeit das Notwendige für den augenblicklichen Bedarf. Es brauchte keine Vorratskammern, sondern es gab nur Gegenwartsschätze, in denen alle Vergangenheits- und Gegenwartsbeziehungen eingeschlossen waren, die aber im gegebenen Augenblick und in Anpassung an die gewöhnlichen menschlichen Lebensgesetze nicht minder tiefe Erlebnisse und Erregungen hervorbrachten, wie es die Eindrücke und Erlebnisse des gewöhnlichen Menschen tun. Christus konnte mit seinem göttlichen Willen das göttlich-gegenwärtige Wissen und Erleben sich ständig in der Form eines gott-menschlichen Gemütslebens vorführen und er tat es auch und so war Christus tatsächlich „menschlich fühlend“ auch hinsichtlich der menschlichen Vergangenheits- und Zukunftserlebnisse.

3118 |        Die Masse oder Summe seines gottmenschlichen Lebens bewegte und betätigte sich also in einer ähnlichen Form wie unser menschliches Leben. Es bestand aber der Unterschied, dass sein Leben dem Zentrum der Kugel selbst entquollen ist und dass dieses Zentrum die Masse des Gesamtlebens geformt hat mittels der substanziellen Tätigkeit der Seele – während unser Leben gleichsam auf einer Achse mit zwei Polen ruht und ständige Bewegungen der Herstellung von Beziehungen zwischen Sein und Dasein erzeugt.

 

31.10.1944

Über die „Vereinigung mit Gott“

3119 |        Die „objektive Vereinigung“ mit Gott besteht darin, dass die in der menschlichen Existenz zusammengefassten Fähigkeiten der Seele in ihrer Betätigung, sowohl einzeln wie insgesamt, „zuständlich“ auf Gott hingerichtet sind. Es handelt sich also dabei nicht mehr um eine Hinlenkung zu Gott durch einzelne Willensakte, sondern es ist die Grundhaltung des Willens und aller ihm zur Verfügung stehenden Kräfte bereits wie in einem Naturzustand auf Gott hingerichtet.

3120 |        Dieser Zustand war bei der Paradiesesseele gegeben. In ihr bestand die Richtung auf Gott hin gleichsam wie ein Naturgesetz; von Gott gekommen, war der erste Mensch wie naturgemäß auf Gott hingerichtet und hatte nicht nötig sich erst mühsam auf Gott hinzurichten. – Dabei blieb aber die „Freiheit des Willens“ bestehen; denn jener Zustand war nicht ein Zwang, sondern war vielmehr ein Ausfluss und eine Folge der hohen Vollkommenheit des Willens, dessen Eigenheit und Vollkommenheit gerade darin lag, dass er zuständlich auf Gott hingerichtet war. – Gott hatte den ersten Menschen das Wissen um ihn gleichsam in ihre Existenz eingedrückt und eingeprägt. Die ihnen geschenkte hohe Geistigkeit und Intelligenz ließ sie in einer unmittelbaren Weise das höchste Wesen erfassen und erfahren, dem sie infolgedessen wie naturgemäß zustrebten, mit dem Ziel und Verlangen nach immer größerer Verähnlichung.

3121 |        Der Urantrieb für dieses, den Menschen gegebene Ziel war Gottes mitteilende Liebe. Gott schuf gleichsam sich selbst – in einem schwachen, für den Menschen ertragbaren Abbild – in den Menschen hinein. Damit war für den Menschen die Grundrichtung seines Strebens gegeben, nämlich eine immer größere Verähnlichung mit Gott, eine immer größere Vervollkommnung1359 des in ihm angelegten Abbild Gottes und damit eine immer innigere Vereinigung und „Einheit“ mit Gott; denn, da Gott das höchste und unendlich vollkommene Gut1360 ist, gibt es keine Vollkommenheit außer durch die Vereinigung mit ihm. – Der erste Mensch „wusste“ um diese eine, große Grundrichtung seines Lebens; sie war ihm gleichsam in seine Existenz hineingeschrieben und eingedrückt.

3122 |        Der ganze Schöpfungsplan Gottes hinsichtlich des Menschen lag also – und liegt im Grunde immer noch – in der Verähnlichung des Menschen mit seinem1361 Gott. Der einzige Weg aber1362 zu diesem einen Ziel war und ist eine entsprechende moralische Höhe und psychologische Harmonie und Einheit im Menschen. – Das mystische Gnadenleben als erlebtes Erfahren Gottes ist ein schwaches Abbild des Paradieseslebens. Auch dieses mystische Erfahren Gottes hat aber zur1363 Voraussetzung eine entsprechende, stufenweise Reinigung, bis jener Zustand der sittlichen Reinheit und der psychologischen Feinfühligkeit erreicht ist, der es der Seele möglich macht, Gottes Wesen erfahrungsgemäß „erfassen“ zu können. Ohne eine entsprechende moralische und psychologische Höhe der Seele teilt sich Gott ihr für gewöhnlich nicht in mystischer Weise mit; es sei denn, dass er in seltenen Ausnahmefällen eine ganz außerordentliche, bezwingende Gnade gibt. – Das höchste und wichtigste Ziel für jede Seele ist aber die Vervollkommnung der Sitten, die zur Verähnlichung mit Gott führt und eine immer größere Vereinigung mit Gott zur Folge hat. Auch wenn das erfahrungsmäßige Innewerden Gottes nicht vorhanden ist, kann die wesentliche Vereinigung der Seele mit Gott ebenso vollkommen und innig sein wie auf der entsprechenden Stufe der mystischen Vereinigung. Die Hauptsache bleibt immer die zuständliche Hinordnung und Hinrichtung der Seele und all ihrer inneren und äußeren Betätigungen und Fähigkeiten auf Gott durch eine ständig aufsteigende moralische Reinheit. – Praktisch gesehen und gesprochen besteht die Gottvereinigung im Wohlgefallen Gottes in all unseren Handlungen oder vielmehr in der Vollkommenheit der Betätigungen und Fähigkeiten unserer Seele beim Vollzug unserer Handlungen und Werke. Sollen unsere Handlungen vollkommen und ganz gottgefällig sein, so müssen unsere Seelenkräfte schon vorher (vor der einzelnen Handlung) auf Gott hingerichtet und „instand gesetzt“ sein, um eine vollkommene, ganz auf Gott hingeordnete und Gott wohlgefällige Tat zu vollbringen. Der Mensch muss sich in all seinen Handlungen Gott zum Ziele gesetzt haben. Er muss sich seiner Abhängigkeit vom Schöpfer, seines Verhältnisses zu ihm und seines Abstandes gegenüber ihm bewusst sein und muss danach sein Tun und seine Kräfte dauernd zu regulieren suchen. Der erste Schritt zu dieser Gesamthinordnung auf Gott ist der Wille, alles, auch die kleinsten Handlungen, auf Gott zu beziehen. So soll der Mensch das Wesen jener1364 ersten Ordnung wieder in sich herzustellen suchen, in der Gott die Menschen erschaffen hatte. Er soll sich jene Neuordnung zum Ziel setzen, die in allem, auch im Kleinsten, nur das Wohlgefallen Gottes zu finden sucht, das die ersten Menschen in eine so selige Nähe mit Gott brachten; gewiss war dies bei ihnen eine Gabe der Freigebigkeit des Schöpfers, aber sie war verbunden und abhängig gemacht von der moralisch-psychologischen Vollkommenheit ihrer Seele. –

3123 |        An sich wäre in der jetzigen Gnadenordnung ein moralisch-psychologischer Aufstieg vom gefallenen Zustand bis zur mystischen Gotteserkenntnis ein gewisser, für alle Getauften möglicher und im gewissen Sinne „normaler“ Ersatz für die paradiesische Gotteserkenntnis; aber die tatsächliche Zuteilung dieser Gnade einer unmittelbaren Gotteserkenntnis1365 bleibt ein Geheimnis der göttlichen Gnadenwahl, und sie ist nicht das höchste Ziel der Seele hienieden, wenn es auch angestrebt werden darf und soll. (Tatsächlich hatte ich öfter die Erkenntnis, dass an sich weit mehr Seelen auf einem mystischen Weg geführt werden, als man gewöhnlich annimmt. Es handle sich auch um den Glauben an diese Gnaden und im Streben danach.1366) Der unumgängliche Weg für alle Seelen ist aber der Weg des Glaubens. „Gott wächst in der Seele im Glauben“ und er teilt sich ihr aufgrund des Glaubens mit, auch wenn die fühlbaren Erlebnisse Gottes nicht vorhanden sind. Ja, in gewissem Sinne könnte man auch alle mystischen Gnaden als „sekundäre Früchte des Glaubens“ bezeichnen, insofern nämlich dessen erste und wichtigste Frucht besteht in der unbedingten und zuständlichen Hinordnung auf Gott, im Belebtwerden von Gott und in der dazu erforderlichen sittlichen Erhebung und Vervollkommnung. – Freilich setzen auch die dauernden, echten mystischen Gnaden schon ein hohes Glaubensleben und einen hohen Grad sittlicher Überwindung1367 und erworbener Tugenden, also eine gewisse „objektive Annäherung“ an Gott voraus.

3124 |        Was nach dem Gesagten die Grundlage und Vorbedingung aller mystischen Gnaden ist, das soll auch die1368 Hauptsache in der Betätigung des Glaubenslebens im Allgemeinen sein. Das mitgeteilte Leben Gottes in der Seele steht niemals „still“, sondern will immer neue Früchte in der Seele hervorbringen. Die notwendigste und wichtigste Frucht ist immer die Betätigung des Glaubens auf sittlich-religiösem Gebiet. Aus den Früchten und Erfolgen der Gnade Gottes in der Seele und ihrer inneren Umwandlung reifen dann auch die nach außen hervortretenden vollkommenen Taten des einzelnen Menschen. Diese sittliche Annäherung führt die Seele unmittelbar zu Gott, auch wenn diese Annäherung nicht „erlebt“ wird wie im mystischen Gotteserfahren. Diese Annäherung und Verähnlichung mit Gott oder diese wesentliche Vereinigung mit Gott ist und bleibt immer die Hauptsache. Alle großen Taten der Heiligen in der Kirche, alle Märtyrer haben ihre Kraft aus diesem Fundament geholt; diese Vereinigung mit Gott ist das Wesentliche bei allen Seelen, die Gott als Werkzeuge zum Heil seiner Kirche benützt hat. Gott wirkt in den Werken der Menschen, in denen er lebt. Jede moralische Schwäche kann nur durch die Kraft Gottes in der Seele überwunden werden und es tritt dann an die Stelle der Schwäche in langsamer Übung eine Kraftquelle der Tugend, die sich dann auch in den Werken des Menschen zu zeigen beginnt. Gottes Kraft überwindet im Mitstreben der Seele das Schwache und offenbart sich immer vollkommener in der jener Schwäche entgegengesetzten Übung und Betätigung der Tugend. Wir müssen also „Gott leben lassen“ in uns, müssen ihn sich mit uns vereinigen lassen durch die Vervollkommnung unseres Willens und all unserer Seelenkräfte, damit seine Kraft in uns zur Kraft in unserer Schwäche werde und damit seine Kraft sich in uns offenbare.

3125 |        Mehr als im fühlbaren Gotteserfahren muss also Gott in unseren Werken und Handlungen zur Herrschaft kommen. Diese vollkommenen Taten sind zunächst still in uns und allein mit ihm verborgen. Es vollzieht sich zuerst in unseren Seelenfähigkeiten eine stille Umwandlung, eine objektive Verähnlichung mit Gott. Durch mühsame Übung wird die Gewohnheit errungen; die Gewohnheit führt zum Zustand und der Zustand bringt schließlich in dauernder Übung eine tatsächliche, objektive Vereinigung der einzelnen Seelenfähigkeiten mit Gott hervor. Vereinigung mit Gott ist im Grunde nichts1369 anderes als die Bereitung und Befähigung der Seele, dass Gott in ihr und in ihren Fähigkeiten zur vollen Oberherrschaft kommen kann, dass sein Leben sich immer mehr in den einzelnen Schichten der Seele auswirken kann, weil die Seele immer mehr für das göttliche Wirken befähigt wird und sich befähigt.

3126 |        Die „Gottvereinigung“, die den Menschen und Christen von heute vielfach so kompliziert und unerreichbar scheint, ist also in Wahrheit höchst einfach, wenn sie gesucht und erstrebt wird auf diesem1370 Wege des Glaubens und der klaren Erkenntnis über die Wahrheit dieses Weges und über das Wesen der Vereinigung mit Gott. Wenn die Gottvereinigung in ihrem wahren Wesen und Wert mehr gezeigt würde – und wenn sie nicht vielfach als unerreichbar und kompliziert oder gar als mystisches „Privileg“ dargestellt würde, dann hätten weit mehr Seelen den Mut, ihr Streben danach einzurichten. In Wahrheit ist ja nicht1371 die fühlbare oder gefühlte Vereinigung mit Gott das Wesentliche, sondern die Befähigung der Seele für Gott, dass er in ihr zu möglichst vollständiger1372 Herrschaft gelange – ähnlich wie es durch Gottes Gnadengeschenk bei der Erschaffung des Menschen im Paradies war. – Es gilt auch diesbezüglich das göttlich große Wort Jesu: „Die Wahrheit wird euch freimachen“; die Wahrheit über die Hindernisse der Vereinigung mit Gott klärt erst den Weg zu Gott. Die Seele muss sich zuerst im Lichte des Glaubens klar werden über die eigenen Hindernisse gegen ihre1373 Vereinigung mit Gott; sie muss sich die Ursachen ihres Abstandes und ihrer Ferne von Gott eingestehen, muss sich, mit anderen Worten, klar werden über die Wahrheit ihres armen, gefallenen, sündhaften Zustandes.1374 Aber gerade diese Wahrheiten sind das Bitterste für die einzelne Seele und daran scheitern so viele auf dem Wege, der zu Gott führen würde. Man möchte wohl gerne beten, glauben, die Kirche besuchen, Andachten beiwohnen, Almosen geben, – aber an sich selbst herangehen, sich seine Leidenschaften, Unordnungen und bösen Neigungen eingestehen, sie überwinden und aufgeben und sich auf diese Weise wirksam „Gott nähern“, das wollen die Menschen und auch die frommen Menschen am schwersten begreifen. Und doch ist dies der Kernpunkt in unserem Streben nach Vollkommenheit und Gottvereinigung. Alle anderen Übungen sollen helfen zu diesem Ziel. Solange aber die Seele sich scheut, die in ihr vorhandenen Hindernisse sich einzugestehen – weil sie sich in ihren Leidenschaften und Unordnungen wohl und bequem fühlt, solange kann von einem wahren Streben nach Gottvereinigung keine Rede sein. Wenn anderseits der hl. Paulus z. B. sagt: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“, so bedeutet dies, dass er alle Hindernisse gegen das Leben Gottes in ihm abgetan und abgestreift hatte. Christus lebte und wirkte in den Werken des Paulus, und Paulus tat die Werke Christi, weil Christus in ihm lebte.

3127 |        Bei dem Aufstieg zur Höhe der Gottvereinigung kommt man an kein Ende und es führen ungezählte Stufen zu dieser nie endenden Höhe. Wenn man – und mit einem gewissen Rechte – sagt, das Vereinigungsleben mit Gott habe – im mystischen Gnadenleben – mit der „geistlichen Vermählung“ einen gewissen1375 Abschluss gefunden, so möchte ich aus Erfahrung dagegen sagen: Die Vereinigung mit Gott hat auf dieser Höhe der geistigen Vermählung – es ist eine wirkliche1376 „Höhe“ – erst einen großen Anfang erreicht. Von dort aus wird Gott erst vollständig „Herr“ in der betreffenden Seele, weil große Hindernisse, die vorher einer vollkommenen Vereinigung entgegenstanden, nun überwunden sind und damit ein weiterer Weg zu noch vollkommenerer Herrschaft und vollkommenerem Besitz Gottes in der Seele freigelegt ist. Erst von dort aus ist eine überwiegende Herrschaft Gottes in der Seele sichergestellt und ist die Grundlage und Befähigung gegeben für immer höhere moralische Vervollkommnung und psychologische Verfeinerung und damit für eine immer tiefere Vereinigung mit Gott.

 

Über „Gnade und Freiheit“

3128 |        Auf den ersten Blick möchte die geschilderte Gnade der objektiven Vereinigung unvereinbar scheinen mit der Freiheit des menschlichen Willens. Tatsächlich bleibt aber auch bei der höchsten Gottvereinigung das Wesen der persönlichen Freiheit des Menschen gewahrt, wenn auch in manchen Entscheidungen die freie Betätigung des Willens nicht mehr wahrgenommen wird und nicht mehr ins Bewusstsein tritt. Wenn der ganze Mensch – so wie z. B. im Paradies – gleichsam von Gott „mitgenommen“ wird, so kommt die freie Willensentscheidung im Einzelnen nicht immer zum Bewusstsein, obwohl sich die Seele frei und ein für alle Mal für Gott entschieden hat und durch die Tat sich ständig für Gott entscheidet. Es ist dies ein Zustand der überwundenen oder schon überschrittenen Willensbetätigung im Einzelnen, wobei das Entscheidende in der dauernden, vollkommenen Hingabe an Gott liegt. In diesem Zustand der wahren und vollen Gesamthingabe1377 wird die Seele im Allgemeinen nicht mehr um ihre Entscheidung gefragt, denn der Wille ist gleichsam schon vorausgeeilt in das Wohlgefallen Gottes hinein und die Seele hat in sich schon die moralische Kraft, um in allem sich vollkommen der göttlichen Führung zu überlassen und um von vornherein alle Wünsche Gottes zu bejahen und zu erfüllen. – Dennoch fordert Gott auch bei diesem hohen Seelenzustand hin und wieder, in besonderen Fällen, eine ausdrückliche freie Willensentscheidung oder eine ausdrückliche Bestätigung der ständigen, tatsächlichen Entscheidung, und die Seele sieht sich ausdrücklich vor zwei Möglichkeiten gestellt oder es treten zwei Gewalten ihrer freien Entscheidung gegenüber. Solche ausdrücklichen, freien Entscheidungen wiederholen sich bis in die höchsten Stufen des geistlichen Lebens, obwohl der Wille schon längst zuständlich auf Gottes Wohlgefallen hingerichtet ist. Meist gehen solche Herausforderungen der ausdrücklichen Willensentscheidung neuen Abschnitten und Stufen des geistlichen Lebens voraus und sind zugleich Angebote neuer, höherer Gnaden mit deren Folgen und Forderungen, wofür sich die Seele frei entscheiden soll, um ihre Liebe zu Gott durch diese freiwillige Entscheidung betätigen zu können. – Auf solche außergewöhnliche Entscheidungen des freien Willens pflegt dann ein gewisses „Mitgenommen-Werden“ von Gott zu folgen, ohne dass sich die Seele der Gewalt der Gnade und der Liebe Gottes erwehren könnte. Gott nimmt dann die Seele „beim Wort“ und diese erfährt durch seine Gnade die Konsequenzen ihrer freiwilligen Hingabe.

3129 |        Es gibt nach meiner Erfahrung auch „überwältigende Gnaden“, denen sich die Seele nicht entziehen kann, weil sie dabei gleichsam der Gewalt Gottes und seiner Liebe ausgeliefert ist und ihr eigenes Bestimmungsrecht an Gott abgetreten und verloren hat. Gottes Liebe kann die Seele so beeinflussen, dass sie zu einer Gewalt über die Seele wird, der sich1378 diese unumschränkt ausliefert; diese Gewalt der Liebe über die Seele kann so mächtig sein, dass einzig die Liebe zu Gott für die Seele bestimmend ist. Nicht ein Gebot noch ein Verdienst noch ein Fortschritt oder geistlicher Vorteil weckt die Hingabe und die Entscheidung für Christus, sondern einzig ER selbst, dessen göttliche Liebenswürdigkeit, von der Seele gekostet, zur treibenden Gewalt für sie geworden ist. Der Herr benutzt dann seinerseits diese treibende Gewalt der Liebe, um die Seele vollkommen1379 für sich zu gewinnen und um sie zum Werkzeug seiner Absichten zu machen. – Dabei kann man aber niemals behaupten, dass die Freiheit der Hingabe und die Freiheit des Willens in der Seele aufgehoben sei. Die freie, immer tätige Willensentscheidung – die immer Voraussetzung für ein verdienstliches Werk und für den Wert einer vollkommenen Hingabe bleibt – ist vielmehr für die Seele in solchen Fällen zur „Tat“ und zur tatsächlichen und praktischen Anerkennung der absoluten „Rechtsgewalt Gottes“ geworden und Gott übt diese, seine göttliche absoluten Rechtsgewalt aus – was zugleich eine ganz große Gnade für die Seele bedeutet.

3130 |        Es gibt „stürmende und überwältigende Gnaden“ und es gibt „sanfte“ Gnaden, bezwingende und einladende; ja, es gibt so gebieterische Forderungen der Gnade an die Seele, dass eine solche Forderung ein ganzes Menschenleben für Gott seine Absichten beansprucht und gleichsam mit Beschlag belegt. Es gibt außergewöhnliche Berufsgnaden, wo ein Ausdruck1380 des göttlichen Willens, den eine Seele in gnadenvollen Augenblicken erfährt, für sie zu einer so unumstößlichen Sicherheit der Anforderung Gottes wird, dass diese Seele gar nicht mehr anders kann, als sich für das im Lichte Gottes Erkannte zu entscheiden. Würde die gleiche Frage Gottes der Seele in ihrem1381 gewöhnlichen Zustand zur Entscheidung vorgelegt werden, so wäre diese vielleicht erst nach langem Schwanken und Zögern fähig, eine endgültige Entscheidung zugunsten der Gnade zu treffen, während sie im Augenblick einer überwältigenden Gnade von Gott zu einer unüberwindlichen Liebe und zu einer alles überwindenden Großmut befähigt wird. So gibt es stürmische Bekehrungsgnaden, wo ein Strahl göttlichen Lichtes die Seele erleuchtet und ihr zugleich den Entschluss und die Kraft gibt, dem Leben eine völlig geänderte Richtung zu geben. Überwältigende Gnaden können wir auch die Berufung der Apostel nennen, die alles verlassen haben und dem Herrn gefolgt sind – bis zum Martyrium. Ein deutliches Beispiel einer überwältigenden Gnade ist die Bekehrung des hl. Paulus. Auch die eingegossenen Beschauungsgnaden kann man als überwältigende Mittel zur Weckung der Hingabe der Seele bezeichnen, denn diese Gnaden der Beschauung bezwecken immer auch eine höhere Befähigung und Bereitschaft zur Hingabe an Gott, der sich die Seele im Augenblick der Gnade nicht entziehen kann.

3131 |        Solche Gnaden wirken in einem Augenblick mehr, als die gewöhnliche sanfte Gnade in längerer Zeit zu wirken pflegt. Gottes Gnade ist zugleich Licht und Kraft und sie kann für die Seele zu einer umwälzenden Gewalt werden, der nichts in ihr widerstehen kann. Auch in diesem Fall wird die persönliche Freiheit des Menschen keineswegs aufgehoben, sondern mittels eines unmittelbaren Lichtes der Gnade vollzieht sich die Betätigung und Entscheidung des freien Willens rascher, stärker, unwiderstehlicher, gleichsam gewaltsam und alles bezwingend.

3132 |        Auch meine persönliche geistige Berufung muss ich als eine Summe „überwältigender und bestimmender Gnaden“ bezeichnen. Niemals hätte ich ganz die großen Opfer für Christi Absichten bringen können, wenn diese nicht zum Teil auf „überwältigenden oder gewaltsamen Anforderungen Jesu“ beruht hätten. Eine langsame, und auf gewöhnlichen bewusstseinsmäßigen Weg wirkende Gnade wäre in manchen Fällen wohl nicht genügend gewesen, wenn nicht ein gnadenvolles Beleuchten und damit gleichsam ein bestimmendes „Müssen“ die Grundlage meiner ganzen inneren göttlichen Führungen gewesen wäre – wie es auch heute noch der Fall ist. [ENDE M2]

3133 |        Der Herr lässt im Augenblick solcher Gnaden das Ziel seiner besonderen Herablassungen aufstrahlen und dieses Ziel wirkt derart überwältigend und gleichsam „vergewaltigend“ auf die Seele ein, dass ein Widerstand tatsächlich so gut wie ausgeschlossen ist. Gottes Gnade berührt dabei die Seele an ihrer „schwächsten Seite“ – die in Wirklichkeit ihre idealste und beste Seite ist, – nämlich dort und unter jenem Gesichtspunkt, wo sie für seine Gnade am leichtesten zugänglich ist. Durch einen solchen überwältigenden Einfluss der Gnade werden im Wesentlichen die gleichen Bewegungen in der Seele hervorgerufen, die sonst unter dem Einfluss der sanften Gnade tätig sind, und den Fortschritt der Seele auf dem Weg zu Gott fördern. Das Eigentümliche und Unterscheidende der stürmenden Gnade liegt aber darin, dass dabei die Seele unwiderstehlich hineinversetzt ist und das Verstehen der Absichten Gottes und dass ihr zugleich die Gnade zur Verfügung steht zur Einwilligung in die betreffende gebieterische Anforderung Gottes. Gott wählt diese mitreißenden und überwältigenden Gnaden vor allem dann, wenn er von einer Seele ganz große und entscheidende Taten verlangt, die seine besonderen Absichten und seine größere Ehre betreffen. Solche Gnaden wirken auf die Seele ein wie „Zaubermittel“, – wenn dieser Vergleich erlaubt ist. Es brauchen dies aber keine besonderen1382 fühlbaren Gnaden sein. Gottes Gnade kann vielmehr auch „wie in einem geistlichen Unterbewusstsein“ die Seele derart für ein hohes Ideal gewinnen und begeistern, dass sie sich nicht entziehen kann. Sie gleicht einer göttlichen „Befehlsgewalt“.1383

3134 |        Bei diesen Gnaden ist oft mit dem das Ziel der göttlichen Führung beleuchtenden Lichte und der entsprechenden Anregung zugleich auch eine Kraft zur Möglichkeit der Ausführung verbunden und gleichzeitig auch der sichere Erfolg beleuchtet. Darin liegt das Charakteristische dieser überwältigenden Gnade, dass sie in einem Augenblick eine vielfache Wirkung hervor bringen, der die Seele nicht widerstehen kann; vielleicht der psychologisch wirksamste Faktor ist dabei der beleuchtete „sichere Erfolg“ oder wenigstens die sichere Erfolgsmöglichkeit und die im Voraus erkannte Fruchtbarkeit der Gnade und der in ihr liegenden Forderungen. Dieser letzte Umstand vor allem bewirkt eine rasche Bereitschaft der Seele, selbst wenn sie sich menschlich unüberwindbare scheinende Hindernisse der Forderung entgegenzustellen drohen. Weil der Erfolg durch die Gnade als möglich und – im Falle des menschlichen oder eigenen Mitwirkens – als „gesichert“ gezeigt wird, überlässt sich die Seele der göttlichen Führung und Forderung.

3135 |        Nach solchen gebieterischen Anforderungen Gottes und Entscheidungen der Seele kann sich die Seele vielfach auch im Einzelnen den zugehörigen Forderungen Gottes nicht mehr entziehen, weil die Kraft der entscheidenden Gnade in der Seele selbst eine solche Umwandlung vollzogen hat, dass sie ganz auf das erkannte Ziel hingerichtet ist. Sie wird weiterhin in einem gewissen Sinne „getragen“ von der Kraft und vom Licht der Gnade, welche auch eine tatsächliche Ausführung ermöglicht. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Ausführung mühelos unter dem Einfluss der Gnade sich vollziehen lasse; im Gegenteil, Gott wendet die überwältigende Gnade nur in solchen außergewöhnlichen Fällen an, wo die bestehenden oder kommenden Schwierigkeiten und Mühen so groß sind, dass sie nur mittels eines „göttlichen Hingerissenseins“ in Angriff genommen und überwunden werden können. Dieses göttliche „Hingerissen-sein“ ist auch die Kraft und Triebfeder für die Ausdauer gegenüber den göttlichen Anforderungen; die Liebe zu Gott ist dabei durch die Gnade Gottes so tief und nachhaltig wirksam, dass man aus Liebe nichts anders kann als beharrlich bleiben. Mag der Mensch dabei auch sein ganzes Leben, zerstört sehen, seine Seele bleibt im Frieden, wenn sie nur jene Forderungen der überwältigenden Gnade zufriedengestellt und erfüllt sieht.

3136 |        Dennoch muss ich wiederholen, dass auch bei solchen überwältigenden Forderungen der Gnade Gottes die persönliche Freiheit, und die freie Willensentscheidung des Menschen nicht entzogen ist. Das Geheimnis und die Erklärung hierfür liegt im Wesen der Liebe, wodurch Gottes Allmacht es zu erreichen vermag, dass der Mensch frei, aber sicher und ohne Versagen sich im Sinne seiner Gnade und seiner Absichten entscheidet, und zwar unverzüglich und in einem Augenblick, während in gewöhnlichen Umständen die Seele erst nach langer Zeit oder vielleicht niemals zu einem entscheidenden Entschluss (in derselben Angelegenheit) käme. – Gott geht dabei von seinem göttlichen Recht aus, absolut über seine Geschöpfe zu herrschen. Er betrachtet uns ja der Wahrheit gemäß viel mehr als sein unbedingtes Eigentum, als wir dies je zu begreifen vermögen und zuweilen macht er vollen Gebrauch von diesem seinem göttlichen Recht und stellt seine göttlichen Forderungen mit der ganzen Konsequenz seines göttlichen Eigentumsrechtes. Gott braucht uns ja eigentlich niemals zu fragen, ob wir in seine Absichten einwilligen oder nicht; anderseits sollte auch unsere persönliche Willensbetätigung Gott gegenüber eigentlich jederzeit sich auf jener Höhe und Vollkommenheit bewegen, dass wir uns ein für alle Mal und für alle Fälle schon für Gott und Gottes Wohlgefallen entschieden haben und deshalb im Einzelnen nicht mehr zu entscheiden haben, weil wir ganz und bedingungslos in seiner göttlichen Gewalt sein wollen. Unsere freiwillige Hingabe aus Liebe sollte so sehr gleichsam der Geltendmachung der göttlichen Rechtsansprüche vorauseilen, dass Gott uns immer und in allem nur seinen Willen und Wunsch kundzutun braucht, sei es auch nur mittelbar, damit wir seinem Willen und seiner göttlichen Rechtsgewalt voll ergeben seien. Dies wäre die höchste und vollkommenste Betätigung der Freiheit des Willens, worauf Gott übrigens vollstes Recht hätte. Diese vollkommene und freie Willensentscheidung wäre auch das Verdienstvollste für uns und das Wertvollste, was wir vor Gott leisten können; denn es wäre die gänzliche, allgemeine und vollkommene Hingabe an ihn und die volle Anerkennung seiner göttlichen Rechte und seiner Oberherrschaft über seine Geschöpfe.

3137 |        Wenn aber Gott tatsächlich damit einverstanden ist, dass wir im Einzelnen für gewöhnlich unsere selbst gewählten und selbst gewollten Wege gehen und wenn er unserer freien Willensbetätigung einen weiten Spielraum lässt, so rechnet er eben mit unserer Schwäche und will uns gleichsam auf kleinen Stufen zu ihm emporsteigen lassen, ähnlich wie es kleine Kinder machen, die für große Schritte noch nicht fähig sind. Dennoch bleibt bestehen, dass an sich die allgemeine, restlose und bedingungslose Hingabe an Gott und seine unumschränkte Rechtsgewalt weit vollkommener ist.

3138 |        Zuweilen aber macht Gott, einzelnen Menschen gegenüber, von der Fülle seines Rechtes gebrauch und macht seine göttlichen Ansprüche voll geltend. So hat er es z. B. schon im Alten Bunde gegenüber den Propheten getan, denen er unmöglich scheinenden Aufgaben auferlegte. Er selbst bestimmte die Propheten1384 und er selbst gab ihnen seine Befehle, denen sie sich nicht entziehen konnten. – Auch in solchen Fällen nimmt der Herr gewöhnlich und weitgehend Rücksicht auf die in der betreffenden Seele vorhandenen Eigenschaften und bedient sich in göttlicher Weisheit und Anpassung der psychologischen Möglichkeit der betreffenden Seele gegenüber seinen göttlichen Forderungen, oder vielmehr: Er schafft im Allgemeinen schon im Voraus die entsprechenden natürlichen Voraussetzungen für das spätere Wirken seiner Gnade in der betreffenden Seele. So hat z. B. selbst bei der Bekehrung des hl. Paulus durch eine1385 überwältigende Gnade Gott dennoch an eine gewisse Geradheit und Entschiedenheit des natürlichen Wollens angeknüpft, das eine gewisse günstige Grundlage für die Bekehrung bot.

3139 |        Es gibt auch unter diesen „überwältigenden“ Gnaden Gottes verschiedene Grade: Solche, die einen vorübergehend überwältigenden Einfluss auf die Seele ausüben, um dann bald wieder der gewöhnlichen Willensentscheidung Platz zu machen; ferner solche, die einen besonderen, ausdrücklichen Ruf Gottes an die Seele bedeuten, unter deren starken Einfluss sich, die Seele augenblicklich liebend1386 gefangen gibt und ihrem ganzen Streben eine bestimmte, allgemeine Richtung gibt; endlich solche, durch die eine Seele gleichsam einer göttlichen liebenden Beschlagnahme unterliegt, der sie sich nie mehr ganz entziehen kann wegen der überschwänglichen Wirksamkeit und Umwandlung, welche eine solche Gnade in der Seele hervorbringt; der menschliche Wille übergibt dabei aus Liebe seine „Rechte“ ganz der göttlichen Rechtsgewalt und wird nicht bloß im Augenblick der Gnade selbst in die Richtung der göttlichen Forderung hinbewegt1387, sondern erhält auch die allgemeine Geneigtheit und Fähigkeit, auch im Einzelnen sich in dieser Richtung zu entscheiden. – Keine Gnade aber ist von so überwältigender Dauer, dass nicht – früher oder später – ein Schwanken, Widerstand oder eine gewisse Untreue möglich wäre. Meist sind diese überwältigenden Einwirkungen der Liebe Gottes das Werk eines Augenblicks; sie bestimmen wohl eine gewisse Gesamtrichtung der Seele, aber nicht alle folgenden einzelnen Entscheidungen. Neben der überwältigenden Gnade wird vielmehr bezüglich vieler Einzelheiten das gewöhnliche sanfte Werben der Gnade eingeschaltet und das hat zur Folge, dass die grundsätzlich, zwar angenommene und bejahte Forderung Gottes, doch vom menschlichen Wollen in mehr oder minder vollkommener Weise ausgeführt werden kann. So bewirkte z. B. die Erscheinung bei Damaskus für Saulus eine augenblickliche und grundsätzliche Umwandlung seines Inneren, aber die „Bekehrung“ war damit nicht abgeschlossen. Wenn auch nunmehr sein ganzes Leben unter dem Einfluss jener Gnade stand, so musste er selbst doch auf vielen weiteren Wegen und eigener Mitarbeit das begonnene Werk der Gnade in täglicher Treue ausführen und vollenden. – Oder, wenn jemand durch eine überwältigende, bestimmende Gnade den Ordensberuf erhält, so verdankt er es dieser weiterwirkenden Gnade, dass er in seinem Berufe auch aushalten kann. Es wäre aber ein Irrtum, zu glauben, dass eine Seele unter dem Einfluss einer überwältigenden Gnade ständig über alle Hindernisse und über die eigenen Leidenschaften hinwegfliegen könnte. Wenn auch Gott zuweilen durch den Einfluss seiner Gnade die persönliche Bemühung so erleichtern kann, dass sich die Seele wie von der Gnade „getragen“ fühlt, so hängt doch im Allgemeinen die letzte Auswirkung und Fruchtbarkeit der einmal gegebenen überwältigenden Gnaden von der nachfolgenden Bemühung des eigenen Willens, d. h. von seiner Mitarbeit mit der Gnade, ab. Zwar ist alles dieses Bemühen schon im Voraus vom Willen im Augenblick jener Gnade bejaht worden, aber es liegt doch immer eine Spannung zwischen dem „Wollen“ und der tatsächlichen Ausführung. Auch und gerade im Falle solcher bestimmenden Gnaden muss die letzte und höchste persönliche Kraft der Seele eingesetzt werden, weil die auszuführenden Forderungen der Gnade besonders hoch sind. Wenn auch der Wille bei der ersten grundlegenden Entscheidung durch die Gnade Gottes und seine Liebe „bestimmt“ wurden, so hat er doch bei der Ausführung der gottgewollten Absichten umso mehr und umso Schwereres zu leisten, – und in diesem Sinne ist ein Ausgleich geschaffen gegenüber dem Weg der gewöhnlichen, sanften Gnaden. Wenn auch z. B. über einem ganzen Ordensleben wie ein führender Stern eine bezwingende Gnade der Berufung steht, so verlangt doch die tägliche und stündliche Ausführung des Ordensideals die ständig neue Betätigung der eigenen Freiheit und Anspannung aller Kräfte. Die Gnade des Berufes gibt wohl die Befähigung zur Ausführung des Ordensideals, aber das eigentliche Verdienst der Seele liegt in der Ausführung selbst.

 

November

03.11.1944

Weitere Erklärungen über „Freiheit und Gnade“

3140 |        Die menschliche Willensfreiheit ist ein gottgeschenktes Gut, ein geschaffenes Abbild der göttlich-wesentlichen Freiheit. Sie wird jedem Menschen vom Schöpfer als persönliches Eigentum zu eigener Verwertung geschenkt. Auch nach dem Sündenfall ließ Gott dem Menschen diese Freiheit, die ihm eine „neue“ Möglichkeit bieten sollte, sich „frei“ und verdienstlich für Gott und seine Gebote zu entscheiden.

3141 |        Gott selbst achtet die Freiheit des Menschen als ein wesentliches, menschliches Gut und er tastet niemals die Freiheit einer Seele an, es sei denn, dass er sie vervollkommnet, erhöht und überbietet, in dem er das Gesetz seiner Liebe an die Stelle der gewöhnlichen Bedingungen und Gesetze der menschlichen Freiheit treten lässt. Die Liebe hat nämlich die Eigenschaft und die Macht, die gewöhnlichen Gesetze zu übersteigen und an deren Stelle die vollkommene Freiheit und Ordnung der Liebe herrschend zu machen. Schon die wahre und edle irdische Liebe macht den Liebenden in gewisser Hinsicht „unfrei“ und macht ihn einzig abhängig vom erhebenden und veredelnden Gesetz der Liebe, d. h., sie macht den Liebenden unfähig, dem Geliebten das Gute zu versagen, ihm zu schaden usw., und sie macht seinen Willen, ihm Gutes zu tun, gleichsam unwiderstehlich. Noch vielmehr werden in der Betätigung der Gottesliebe mittels der göttlichen Gnade die Eigenschaften und das Verdienst der gewöhnlichen menschlichen Freiheit überhöht durch die Kraft und Wirksamkeit der göttlichen Liebe, von der sich die Seele gleichsam „gefangen nehmen“ lässt. Dieses Gefangen-sein im höheren Bannkreis der göttlichen Liebe macht die Seele „unfrei“ für das der Gottesliebe entgegengesetzte Böse und für das Versagen, macht sie aber ungehinderter, bereiter, hingebender, schwungvoller für das der Gottesliebe entsprechende Gut1388.

3142 |        Gerade hierin wirkt sich aber die persönliche Freiheit des Menschen in der höchsten Weise aus, nämlich in einer freien, vollkommenen Willensentscheidung für Gott und seine göttliche Führung. Die Seele entscheidet sich in diesem Falle für die göttliche Liebe, und zwar frei, wenn auch „erleuchtet und angelockt“ durch die göttlichen Güter dieser Liebe, die ihr der Glaube oder eine besondere Gnade in Aussicht stellt. – Es kann nun sein, dass Gott aufgrund einer solchen freien Entscheidung und Wahl einer Seele seine göttlichen Rechtsansprüche über diese Seele voll geltend macht und das ganze Menschenleben restlos für sich beansprucht und gleichsam in Beschlag nimmt; in diesem Fall kann es der Seele zuweilen scheinen, als lebe sie unter einem gewissen geistigen Zwang, aber es ist in Wahrheit eine göttliche Beanspruchung, die eine große Gnade für die Seele und eine Erhöhung und Vervollkommnung der menschlichen Freiheit bedeutet, auch wenn dies der Seele nicht immer zum Bewusstsein kommt. Es ist eine gnadenvolle1389 Aufhebung des Versagens und gewisser Hemmungen und Unvollkommenheiten der menschlichen Freiheit und es kann einer Seele für ihr ganzes Leben eine gottgefällige Richtung geben.

3143 |        Wenn eine Seele durch die freie Entscheidung ihres Willens sich ein für alle Mal in den Bannkreis und in die Banden der göttlichen Liebe begeben hat, und wenn Gott sie gleichsam beim Wort und in Beschlag genommen hat, so übernimmt die Liebe die Führung dieses Lebens, und auch die einzelnen Entschlüsse kommen nur unter dem Einfluss einer bewussten Liebe zu Gott zustande und damit scheint eine gewisse „Unfreiheit“ im geistlichen Leben einzutreten – nämlich eine gewisse Unfreiheit für das moralisch Böse, was aber in Wahrheit eine Vervollkommnung der menschlichen Freiheit bedeutet. Wenn der Wille durch fortwährende Übung sich das Gute zur Gewohnheit gemacht hat, so wird diese gute Gewohnheit auch zur natürlichen Triebfeder des Handelns und zugleich zu einer geeigneten und fruchtbaren Grundlage für immer höheres Wirken Gottes und seiner Gnade im Reich der Seele. So kommt es z. B. schon im ersten Augenblick einer bösen Regung, einer Versuchung zur Sünde oder zur Unvollkommenheit, zu einer lebhaften, entschiedenen, Abwehr des natürlichen, von der Gnade unterstützten Willens, der gleichsam unter dem Zwang des Guten steht – ähnlich wie Gott nur das Gute wollen kann. In gewissem Sinne scheint sich so mit dem moralischen Aufstieg die Betätigung der Willensfreiheit im Einzelnen zu „verringern“, aber in Wirklichkeit werden immer mehr die der vollen Freiheit entgegenstehenden Hindernisse und Hemmungen überwunden und damit die Freiheit vertieft und vervollkommnet; es herrscht immer mehr das Gute und die Tugend und damit nähert sich der Mensch, immer mehr dem Ideal seiner „Freiheit“, die ein Abbild der göttlichen Freiheit ist, und er erlangt somit mehr und mehr die volle Würde seiner persönlichen Freiheit und seiner Person überhaupt; damit befähigt er sich und seine Seelenfähigkeiten mehr und mehr für das Wohnen – und Wirken Gottes in ihnen und darin besteht das tiefste Wesen der „Vereinigung mit Gott“.

3144 |        Je mehr die Seelenkräfte wieder wie in einem Naturzustand auf das Gute und die Tugend hingerichtet werden, desto mehr vertieft und erweitert sich das Wirken der Gnade Gottes in der Seele. – Auch ganz einfache Seelen ohne geistig-religiöse Vorbildung können bei ehrlichem, durch Gebet unterstütztem Streben zu dem hohen Zustand kommen, dass sie von vornherein jeder bösen Regung entschieden widerstehen, und damit ist die geeignete Grundlage für höheren Fortschritt gegeben. Im Himmel werden solche Seelen eine große Herrlichkeit erhalten, weil sie während der ganzen oder doch einer geraumen Zeit ihres Lebens sich um Gottes wegen nur für das Gute entscheiden wollten. Gott rechnet diese volle Entscheidung des Willens für ihn gar hoch an, auch wenn eine zweite Entscheidung gegen Gott an sich noch möglich ist. Deshalb ist auch das Leben aus dem Glauben so verdienstvoll, weil es eine willentliche, freiwillige Anerkennung Gottes und seiner Gebote und damit eine Verherrlichung Gottes bedeutet.

 

Vom Aufstieg der „Freiheit“

3145 |        Im gewöhnlichen Christenleben und auf den unteren Stufen des geistlichen Lebens kommt es fast einzig auf jene freie Willensentscheidung an, in denen der Mensch sich wie zwischen zwei Gewalten gestellt sieht, weil die bösen Neigungen und Gewohnheiten sich noch ständig bemerkbar machen. Da muss der Wille in vielfacher Weise tätig sein, um die Herrschaft des Guten in der Seele zu erringen und zu bewahren. Je straffer und entschiedener sich dabei der Wille zum Guten wendet, desto mehr gewinnt er allmählich die Oberherrschaft und desto reiner und freier wird seine Entfaltung.

3146 |        Um aber die volle, persönliche Herrschaft über die Akte seines Willens zu erlangen, braucht der Mensch eine vorhergehende klare Erkenntnis des Guten und Bösen überhaupt und vor allem des Guten und Bösen im eigenen Innern. Es muss daher auch in dieser Hinsicht eine gewisse Selbstbefreiung stattfinden, d. h. eine Befreiung von den Selbsttäuschungen und von den Verdunkelungen der Selbsterkenntnis, um sich klar zu werden über das, was in den eigenen Anlagen gut ist in den Augen und im Sinne Gottes, und wie es zum Guten gebraucht und verwendet werden kann und soll. Der Mensch muss also zur Klarheit und zur Herrschaft der Wahrheit im eigenen Urteil kommen. Im jetzigen Zustand ist ja der Mensch allzu sehr geneigt, jenes für „gut“ zu halten, was ihm angenehm ist und Genuss bereitet. So können „natürlich gute“ Menschen, die immer nur das „Gute“ tun wollen und zu tun glauben, in Täuschungen dahin leben, indem sie ihre Anlagen ohne jede Beziehung auf Gott und Gottes Normen genießen. Sie müssen darum erst lernen und darauf achten, im Lichte des Glaubens ihren Handlungen, die „rechte Absicht“ und die Beziehung auf Gott zu geben und ihre natürlich-guten Anlagen mit dem göttlichen Gesetz und der Gnade in Einklang zu bringen und dadurch zu wirklich guten Taten und zu Tugenden vor Gott zu benützen. Die Erkenntnis und das Urteil über „Gut und Böse vor Gott“ müssen sich immer mehr verfeinern, denn davon hängt zu einem großen Teil die Entscheidung des Willens ab.

3147 |        So ist die bewusste Betätigung der Willensfreiheit in den Anfängen des geistlichen Lebens von größter Wichtigkeit, damit nämlich ein im Sinne Gottes als „gut“ erkanntes und überprüftes tugendhaftes Handeln allmählich das Gesamtstreben1390 des Menschen beherrsche. – Dann führt die Tugend gewissermaßen „sich selber weiter“, und kann schließlich wie zu einer Leidenschaft für das „Gute“ werden, insofern der Wille wie instinktiv sich mit aller Kraft wehrt, um auch nicht in die leiseste Regung der mit ihrer Wurzel noch vorhandenen bösen Anlagen einzuwilligen und sie vielmehr schon beim „ersten Empfinden“ derselben abzuweisen. Darin liegt das psychologische Geheimnis der Reinheit des Willens.

3148 |        Die Wichtigkeit und Bedeutung der Willensentscheidungen aber bleibt auf dem ganzen Aufstieg und auch noch auf den höchsten Höhen sittlicher Vollkommenheit. Auch wenn die Seele von den Niederungen des gewöhnlichen sittlichen Kampfes schon zu einer gewissen Ausgeglichenheit und Freiheit des Geistes emporgestiegen ist (weil die bösen Anlagen schon weitgehend überwunden sind), so ist die freie Willensentscheidung doch immer1391 noch maßgebend für den Aufstieg zu höherer Vollkommenheit. Es besteht nur auf den höheren Stufen der Unterschied, dass es für gewöhnlich nicht mehr zu ausdrücklich bewussten Einzelentscheidungen des Willens kommt, weil der „Zustand der erworbenen Tugend“ schon wie naturgemäß zum Guten vorwärtsdrängt, bis schließlich das Gute die unbestrittene Vorherrschaft1392, und das Übergewicht in der Seele gewinnt, und diese damit in hohem Maß vom Leben Gottes beherrscht wird. Das Gute, und die Tugend kann und soll wie zu einer „zweiten Natur“ im Menschen werden, sodass die Seele unter nichts so sehr leidet wie unter etwaigen minder guten Regungen, die sie zuweilen noch in sich erfährt.

3149 |        Doch gerade solche Leiden und die damit gegebene entschiedene Abwehr des Bösen werden die wirksamsten und fruchtbarsten Mittel und Stufen des Fortschrittes und Aufstieges zu sittlicher Vervollkommnung, denn sie reinigen und läutern immer mehr die Erkenntnis- und Willenskräfte. Für gewöhnlich ist die Seele trotz besten Willens und eifriger Bemühung nicht imstande, eine volle und vollkommene Reinigung der höheren Seelenkräfte durchzuführen, wenn nicht zugleich mit dem eigenen Bemühen eine besondere, große Gnade „helfend“ einsetzt. Durch das Wirken dieser Gnade kommt es dann – neben Versuchungen von außen – zu einem „Aufwühlen“ der in der Seele verborgenen, ihr selbst bis dahin vielleicht gar nicht bewussten bösen Anlagen und deren Wurzeln. Die Seele sieht sich da hineingestellt in einen Kampf, durch den all ihre guten Kräfte angefordert und herausgefordert werden, um dieses Chaos der Unordnung und des Bösen zu überwinden, und hier – in diesen aktiven und passiven Reinigungen – hat der Wille wohl die wichtigsten und schwersten Entscheidungen zu betätigen. Durch das Eingreifen der göttlichen Gnade in diesem Läuterungsleiden verkürzt oder beschleunigt1393 sich aber der Weg der Selbstreinigung, weil durch das Wirken der Gnade alle Seelenkräfte angespannt und eingesetzt werden, um die mehr1394 oder weniger verborgenen, in der Seele schlummernden bösen Anlagen bis in ihre tiefste Wurzel und mit ihren Wurzeln auszurotten.

3150 |        Diese Reinigung erstreckt sich aber nicht bloß auf Gebiete, in denen persönliche Sünden vorkamen, sondern auch auf das ganze Gebiet der erbsündlichen Folgen, d. h. des „gefallenen Zustandes“ und der darin liegenden Möglichkeiten zur Sünde. Die Seele kann daher in diesen Läuterungszeiten auch sehr unter Versuchungen und Schwierigkeiten zu leiden haben, die ihr in früheren, gewöhnlichen Zeiten nie in den Sinn kamen, geschweige denn gewollt gewesen wären. Eine ganz reine, keusche Seele z. B., die ihr Leben lang weit entfernt war von jeder entgegengesetzten Sünde, kann in schweren Versuchungen gegen diese Tugend geworfen werden; eine Seele, die immer den Willen zur Demut hatte, kann sehr leiden unter etwaigen Zurücksetzungen; eine an sich selbstlose Seele kann sehr von Ehrgeiz und geistlichen Hochmut geplagt werden; eine Seele, die sich bemüht, anderen Menschen Liebe und Wohlwollen entgegenzubringen, kann sehr von Neid und Eifersucht gequält werden. Es vollzieht sich – in einem Worte gesagt – ein Aufwühlen all der geheimen1395 Keime und Herde der Unordnung, die im gefallenen Zustand liegen und die im Feuer dieses Kampfes dagegen gleichsam ausgebrannt und ausgerottet werden sollen. So müssen auch wirklich und ständig fromme Seelen durch Überwindung des Bösen in all seinen Formen sich im Guten befestigen und das Gute zu einer unüberwindlichen Herrschaft in ihrer Seele kommen lassen. – Gewiss möchten wir Menschen manchmal verwundert fragen: Warum wird die Seele auf einmal in Versuchungen und Kämpfe, in Armseligkeiten und Niedrigkeiten gestürzt, die ihr anscheinend fernlagen, und warum wird dieses Feuer der Kämpfe und Leiden in der Seele entfacht, dass doch, nach den gewöhnlichen Erlebnissen der Seele zu schließen, nichts Brennbares, d. h. keine zu verbrennende Spreu und Unordnung darin zu finden scheint? – Das Ziel der göttlichen Gnade ist aber nicht nur die Reinigung der Seelenkräfte von allem persönlichen Sündhaften, sondern auch die Übung der Seelenkräfte in der Abwehr aller bösen Anlagen und Möglichkeiten und damit die Schaffung eines Reinheitszustandes in der Seele, bei dem es ihr wie zu einer zweiten Natur geworden ist, jede etwa auftauchende böse oder ungeordnete Regung sofort abzuwehren und sich auch von den für gewöhnlich verborgenen Wurzeln der Unordnung freizumachen. Durch den Einsatz aller Seelenkräfte in diesem Kampf werden sie geschult und geläutert und die Seele wird dadurch zu einem höheren Erfassen und Zustand der Reinheit geführt als sie in ruhigen, gewöhnlichen Zeiten erreichen könnte.

3151 |        Die Wirkung dieser Leiden und Kämpfe wird sehr unterstützt und erhöht durch ein göttliches Licht der Erkenntnis über die Hässlichkeit des Bösen1396 und über den großen, schier unüberbrückbaren eigenen Abstand von Gott, während die Seele zugleich erfüllt wird von großem Verlangen nach Gott und darum von dem Verlangen nach möglichst hoher moralischer Reinheit als der Voraussetzung für die Vereinigung mit Gott. Die zusammengefasste Not und Bedrängnis all dieser inneren Leiden wird für die Seele gleichsam zu einer Triebfeder hin zu Gott, dem sie sich als einzigen Helfer und Rettungsanker ganz und blind vertrauend in die Arme wirft.

3152 |        Je umfassender das Kampffeld war, desto weiter und reicher ist dann die dadurch errungene Frucht persönlicher Reinheit und Freiheit. Alle Kräfte, die den Bestand der menschlichen Existenz ausmachen, müssen gereinigt werden, wenn Gott im gesamten Mensch-sein wohnen und wirken soll. Gott kann sich nur mit einer Seele vereinigen, die Gesinnungen in sich trägt, die dem Wesen Gottes und der Art Gottes entsprechen und ähnlich sind. Je mehr die Reinheit in uns wächst, desto mehr können wir des Lebens Gottes teilhaft werden und desto mehr breitet sich gleichsam Gottes Leben in unseren geläuterten Fähigkeiten aus. Unser ganzes Sein und alles, was unser Menschenleben ausmacht, sollte aber vom Geiste Gottes belebt, erfüllt und getragen sein; denn nur in dem Maße wird es wahrhaft vollkommen, als es mit der Quelle alles Guten, mit Gott verbunden und vereinigt ist.

3153 |        Die Gnade des Dauerzustandes einer gewissen Vereinigung mit Gott (= die Gnade der geistlichen Vermählung) ist ein gewisser Abschluss der Reinigung der höheren Seelenkräfte – aber nicht das letzte Ziel dieser Reinigung, und nicht der Abschluss des Vereinigungsaufstieges; das Gute und die Tugend sind dann schon zu einer dauernden Gewohnheit geworden, sodass das Wohnen und Wirken Gottes in der Seele nicht mehr durch das Böse gestört wird. Von dieser hohen Warte des an sich dauernden Wohnen Gottes in der Seele aus beginnt eine immer noch mehr sich steigernde und vertiefende Herrschaft Gottes in der Seele, wodurch die Seele immer tiefer erfasst und nach Gottes Bild und Gleichnis umgestaltet wird. Das Reich der Menschenseele ist ja tatsächlich so weit, dass sozusagen Gott selbst in seinen Läuterungsaktionen in ihr an kein Ende kommt; die Seele soll ja ihm, dem unendlichen und heiligsten Wesen, nachgebildet werden, und Gottes Reinheit und Heiligkeit soll in ihr wohnen können; daher braucht es eine fortgesetzte Umbildung, die uns immer mehr und immer höher des heiligen Gottes teilhaft macht.

3154 |        Durch die vielfachen moralischen Siege und Überwindungen, die in den Läuterungskämpfen und -leiden errungen werden, kommt auch die volle Freiheit, das Abbild der göttlich-wesentlichen Freiheit, erst recht in der Seele zum Durchbruch durch alle Widersprüche, Hemmungen und Hindernisse hindurch. Was die sittliche Freiheit hemmte, das ist in den vorausgehenden Kämpfen und Leiden zerbrochen, und die Seele kann sich nun in höherem Grade und in größerem Umfang beherrschen lassen von der Freiheit der göttlichen Gnade und des göttlichen Lebens. Christus braucht nun die Seele nicht mehr vor die Wahl zu stellen, ob sie sich im Einzelnen für ihn oder für anderes entscheiden will. Die Seele, beherrscht vom Gesetz seiner Liebe, hat sich schon ganz und für immer der alles überwindenden Kraft seiner Liebe ausgeliefert. Auch dies ist im Grunde ein Geheimnis der wirksamen objektiven Vereinigung mit Gott.

3155 |        Wie aus dem Gesagten hervorgeht, schließt das Wort und der Begriff „Freiheit“ eine mehrfache Beziehung und Bedeutung in sich, vor allem aber eine Beziehung zur moralischen und zur psychologischen Ordnung. – Mehr negativ ausgedrückt bedeutet sie – moralisch gesehen – eine Loslösung von irdischen Gebundenheiten und eine Überwindung von Leidenschaften, Unordnungen, Anhänglichkeiten, Hemmungen des Willens; das ist aber, mehr psychologisch gesehen nur möglich durch gründliche Willensschulung und Kampf gegen die Gegensätze und die Unordnung der Strebungen und Regungen im eigenen Innern. – Positiv ausgedrückt besagt die „innere Freiheit“ eine immer geradere und konsequentere Richtung auf das eine Ziel, auf Gott, den Ursprung und das Ende; sie bedeutet die Rückeroberung der dazu notwendigen sittlichen Kraft und damit die volle Herrschaft des Willens und damit der Person über alle Kräfte und Regungen oder – mit einem Worte gesagt – den vollen Selbstbesitz des Menschen in sich selbst. Darin liegt das psychologische Geheimnis der Freiheit, und damit wird auch die eigentliche „Willensfreiheit“ – im Sinne der Selbstbestimmung – vervollkommnet und gestärkt.

3156 |        Vom ideal dieser persönlichen Freiheit in dem angegebenen doppelten Sinne bekommt man wohl den tiefsten Begriff, wenn die Seele nach schweren Läuterungsleiden (auf dem mystischen Gnadenwege) in „neuer, erhöhter Freiheit“ wieder des Genusses Gottes teilhaftig wird. Die Seele weiß und fühlt sich hemmender Banden ledig, die sie in den gewöhnlichen Niederungen des Lebens gefangen hielten; sie erlebt sich in wunderbarer Bewegungsfreiheit und kann sich in Gott gleichsam ergehen wie in einem Lustgarten, der ihr offen steht.

3157 |        Was die Seele hindert, zu Gott zu kommen, das ist ihre moralische Unfreiheit und ihre psychische Unordnung. Die wahre Freiheit besteht in der moralischen Ordnung und in der seelischen Harmonie des persönlichen Selbstbesitzes. Diese Selbstordnung in moralischer und psychologischer Hinsicht macht wahrhaft frei und macht die Seele „zuständlich gottfähig“, d. h. dauernd fähig, dass Gott in ihr wohnen, leben und sich ihr mitteilen kann. Diese „Gottfähigkeit“ aller Bestandteile der menschlichen Existenz und Tätigkeit im Einzelnen wie in der Gesamtheit ist die höchste Stufe der „objektiven Vereinigung“ mit Gott. Es ist aber ein weiter und ein langer Weg, bis alle einzelnen Fähigkeiten und Kräfte (die Kräfte der Erkenntnis, des Strebens, des Temperamentes oder Charakters usw.) und schließlich die Gesamtstruktur der Seele so für Gott befähigt sind, dass ihr Gesamtprodukt immer eine möglichst „vollkommene“ Tat ist. Dann ist aber – dank der aufsteigenden Übung und Bereitung für das Leben Gottes in der Seele – im Wesentlichen wieder das errungen, was dem Menschen im Paradieseszustand geschenkt worden war.

3158 |        In diesem Zusammenhang wurde mir auch die Frage der „Freiheit der Heiligen und der Engel“ im Himmel innerlich erklärt. – Kurz gesagt: Die Heiligen im Himmel haben in höchsterweise die „Freiheit“ als vollkommenen Selbstbesitz; sie sind aber „unfrei“ sich auf anderes hinzuwenden als auf Gott – was aber im Grunde die vollkommenste1397 Freiheit ist.

3159 |        Nichts und niemand – auch nicht ein äußerer Zwang – kann die menschliche Freiheit oder Selbstbestimmung, dieses Abbild der göttlichen Freiheit, aufheben oder beeinträchtigen. Nur der Mensch, bzw. die menschliche Seele selbst kann seine persönliche Freiheit mehr oder weniger aufgeben dadurch, dass er mit seinem freien Willen sich einem anderen Wesen hingibt und überlässt, und sich von diesem Wesen bis zu bestimmten Graden führen, beeinflussen und beherrschen lässt. Jenes andere Wesen nützt dann diese Übergabe der Freiheit aus, und so kann der Mensch – sei es zum Guten, sei es zum Bösen, zum Vorteil oder zum Schaden – seiner eigenen Freiheit und Selbstbestimmung bis zu gewissen Graden verlustig werden. Er kann auf diese Weise die Ausübung seiner Freiheit an einen anderen Menschen verlieren, kann sich aber auch so sehr den eigenen angeborenen Leidenschaften hingeben und sich von diesen so beherrschen lassen, dass er – infolge der dadurch eintretenden Verdunkelung seiner Erkenntnis auf moralischem Gebiet – die Freiheit seiner Wahl und seiner Entscheidungen für das Gute mehr oder weniger verliert.

3160 |        In ähnlicherweise kann die Seele auch durch klar bewusste und restlose Hingabe ihre Freiheit an Gott „verlieren“ und übergeben. Damit entzieht die Seele sich selbst ihre eigene Freiheit auf bestimmten Gebieten und macht sie zum Eigentum Gottes, der sie aufgrund dieser freiwilligen Hingabe als sein „Eigentum“ behandeln kann. In diesem Sinne haben natürlich die Heiligen ihre „Freiheit“ an Gott verloren und übergeben, aber in vollkommener Freiheit des Selbstbesitzes, der für immer und ewig ihr unantastbares, individuelles Gut ist und bleiben wird.

3161 |        In den Leiden des Reinigungsortes oder Fegefeuers kehrt mittels der entsprechenden Leiden die volle persönliche Freiheit wieder, die der Mensch hienieden ungeordnet durch Anhänglichkeiten an Menschen oder Dinge dieser Erde vergeben und verloren hatte; denn die Freiheit ist ein persönliches Gut, das unantastbar für alle – außer für Gott oder um Gottes wegen – bewahrt werden sollte. (– Der Zweck des Fegefeuers überhaupt besteht ja darin, dass die Seele die ursprünglich von Gott für sie gewollte Reinigung und Rechtfertigung leidend erwerbe. Das heißt nicht, dass alle Menschen die gleiche, z. B. die paradiesische Reinheit, erwerben müssten, sondern es handelt sich um die von Gott für die einzelne Seele gewollte „persönliche Rechtfertigung“; die Art und Tiefe dieser persönlichen Rechtfertigung ist und bleibt aber ein Geheimnis Gottes. –)1398

3162 |        Durch die Reinigung (im Fegefeuer) wird eine höhere persönliche Freiheit freigelegt, die der Seele wieder einen höheren Besitz ihrer selbst und damit auch einen höheren (edlen und gottgewollten) Genuss ihrer selbst bietet.1399 (Auch die einzelnen Fähigkeiten der Seele werden dort freigelegt, denn im Himmel „schaut“ die Seele nicht nur Gott, wie man z. B. ein noch getrenntes Gegenüber schaut, sondern sie erlebt Gott mit ihren eigenen gottfähigen und gottgeeinten Kräften.)1400 Durch die ungeordnete Anhänglichkeit an Geschaffenes ist ja die Freiheit und damit der Selbstbesitz und Selbstgenuss weithin verdunkelt und vermindert worden. Durch die Reinigungsleiden wird die Seele wieder befreit von den persönlichen, sündhaften Bindungen, in die sie sich hienieden durch falschen Gebrauch ihrer Selbstbestimmung verstrickt hatte. Befreit von diesen Anhänglichkeiten, Bindungen und Hemmungen erlangt der Mensch wieder die volle Freiheit des Selbstbesitzes, während auf Erden das hohe, gottgeschaffene Gut der Freiheit den Menschen meist nur in schwachen Graden zum Bewusstsein kommt, da sie meist unter dem Einfluss der Leidenschaften und weniger guten Anlagen handeln. Mit dieser widererrungenen Freiheit des Selbstbesitzes geht die Seele dann ein in die Seligkeit des Himmels, wo Gott selbst für sie zur unaussprechlichen Fülle des Genusses wird. Dadurch, dass die Seele Gott in sich aufnimmt und von ihm aufgenommen wird, verliert sie insofern ihre Freiheit, als sie ganz von Gott angezogen wird und sich mit der ganzen Kraft und dem Schwung ihres Selbstbesitzes sich dem Genuss Gottes hingibt und diesen Genuss als ihren ewigen Zustand erfährt. In diesem Sinne ist die Seele im Himmel ihrer Freiheit beraubt, um sich in der wunderbaren „Freiheit des Besitzes Gottes“ zu ergehen. Es bleibt aber ihre persönliche Freiheit als Selbstbesitz ihrer Kräfte, und das hat zur Folge, dass sie Gott genießt nach dem Maße ihrer persönlichen Befähigung hierzu. Die Seligkeit der Heiligen im Himmel besteht ja nicht in einer „Massen-Anschauung“ Gottes – etwa so, als wären alle zusammen in gleichem Maße hingezwungen auf einen bestimmten, gleichen Genuss Gottes hingebannt und gezwungen – sondern Gott ist das persönliche Eigentum jeder einzelnen individuellen Seele.

3163 |        Durch die Unsterblichkeit der Seele wird die gottebenbildliche Freiheit zu einem „ewigen Gut“ des Menschen, dessen er sich durch die ganze Ewigkeit erfreuen kann. Und diese Freiheit ist eine besondere Quelle der Freude für die Seele im Himmel, denn gerade der rechte Gebrauch der Freiheit hat ihr den Himmel eröffnet und zum ewigen Besitz Gottes geführt. Die Freiheit ist es auch, die der Seele die Fähigkeit verschaffte, Gott in seinen verschiedenen Vollkommenheiten in einer persönlichen, individuellen Form zu kosten; denn die Seligkeit der Auserwählten ist ein vollkommen „Freies“ (in dem obigen Sinne) genießen Gottes, und zwar nach dem Maße, in dem sich die Seele die Befähigung hierzu hienieden erworben hat und in dem Gott sich nun der einzelnen Seele genießen lässt. Jeder Akt des Glaubens, z. B. auch bei einem Sünder, ist ein freier und persönlicher Akt und er wird als Frucht – wenn die Seele im Himmel ist – ein persönliches Genießen Gottes zeitigen, dass der durch diesen Akt erworbenen Fähigkeit entspricht.1401

3164 |        In diesem Zustand ist die Seele auch „unsündlich“ denn die vorhergehenden Reinigungen haben die Wurzel der Sünde selbst getroffen und ausgerottet und haben die Seele bis in ihr tiefstes Wesen gereinigt; anstelle der erbsündlichen und persönlichen Unordnung ist nun die Fülle Gottes ihr Eigentum für immer und ewig. – (Wenn diese „wesentliche Reinigung“ sich nicht auf dieser Welt vollzieht, so muss sie – und das ist wohl meist der Fall – durch die Leiden des Fegefeuers erreicht werden. Es kann aber aus dem Schatz der Verdienste Christi ein die Reinigung bezweckender Ersatz der Seele zugewendet werden, und damit die Reinigung abgekürzt werden. Hienieden kann diese Reinigung auch durch vollkommene Liebesakte verkürzt werden, durch welche auch Sündenstrafen nachgelassen werden). Durch die Reinigung ihres ganzen Wesens gelangt die Seele zu jenem Zustand, den man eine „wesentliche Unsündlichkeit“ nennen kann, die aber eine geschaffene und erworbene Unsündlichkeit ist, im Gegensatz zur göttlich-wesentlichen, ungeschaffenen Unsündlichkeit. Die Seele kann ja nicht in den Himmel eingehen, solange noch die Anlage und Neigung zur Sünde in ihr besteht.

3165 |        Auch die Engel erfreuen sich einer glücklichen Freiheit im vollen Selbstbesitz ihres Wesens. Das Dasein der Engel ist kein Zwang, sondern eine glückliche Freiheit vor und in Gott; Selbst die immerwährende Anschauung Gottes und das Gesättigtsein von seinem göttlichen Wesen kann ihre persönliche, individuelle Freiheit nicht aufheben. Diese individuelle Freiheit gibt ihnen – wie den Heiligen – die Fähigkeit, Gott in einem individuellen Maße und als ihr persönliches Eigentum zu genießen. – Nach dem Fall Luzifers und seines Anhanges erhielten die guten Engel zum Lohn noch eine höhere Gabe der Befestigung in Gott und seiner Anschauung und eine noch höhere Freiheit in sich selbst und im Besitze Gottes.

 

05.11.1944

 Ein Gotteserlebnis – Ich kann das unbeschreibliche Erleben nur skizzenhaft andeuten

3166 |        Gott ist wesentliche, unendliche Heiligkeit und sittliche Vollkommenheit. – Als Schöpfer rief er Wesen ins Dasein, die in geschaffener, möglichst hoher moralisch-psychologischer Vollkommenheit seine göttliche Heiligkeit nachbilden und abbilden können und sollen.

3167 |        Gott ist absolut reiner Geist. – Der Mensch aber besteht aus zwei Bestandteilen, die sich ergänzen sollen, um die für ihn von Gott gewollte moralisch-psychologische Vollkommenheit in der Betätigung der eigenen Kräfte leben zu können. Das harmonische Zusammenwirken der beiden Elemente und ihrer verschiedenen Kräfte soll ein einheitliches Gesamtergebnis zeitigen, nämlich die lebendige Tat und Ausführung geschaffener Vollkommenheit und Heiligkeit.

3168 |        Wie weit war in den ersten Menschen das „Wissen“ vorhanden, um diese moralisch-psychologische Vollkommenheit als nächstes Ziel ihrer Gesamtbetätigung? – Gott gab sich selbst ihnen zum Sittengesetz, indem er sich abbildlich ihnen mitteilte und indem sie sich des Abbildes Gottes in ihnen bewusst waren. (Sie hatten ein unmittelbares Bewusstsein und Wissen des göttlichen Abbildes in ihnen und vermittels dieses Abbildes wurden sie ohne Schwierigkeit auch Gottes bewusst.)

3169 |        Die höchste Einheit und Einfachheit Gottes, des reinsten Geistes, und seiner wesentlichen Heiligkeit kann und muss für unser Begreifen in „verschiedene“ Vollkommenheiten aufgeteilt werden. – Der Bestand der menschlichen Seele als die Summe all der verschiedenen Anlagen und Tätigkeiten bildet ein Wesen mit einheitlicher Zielsetzung. Die beiden verschiedenen Bestandteile des Menschen (Leib und Seele) sollen in harmonischem Zusammenwirken eine menschlich-wesentliche Einheit bilden und dadurch die wesentliche Einheit und Harmonie der göttlichen Vollkommenheiten abbilden.

3170 |        Gott ist in all seinen Eigenschaften und Werken immer unendlich-wesentliche sittliche Vollkommenheit. – Im Menschen, als dem Abbild Gottes soll die Gesamtbetätigung seines physischen und geistigen Wesens als höchstes Endergebnis eine geschaffene moralische Vollkommenheit und Gottähnlichkeit durch seine psychisch-physischen Kräfte verwirklichen und ausdrücken (kürzer gesagt: Er soll eine moralisch-psychologische Vollkommenheit zum Ausdruck und zur Verwirklichung bringen.)

3171 |        Den ersten Menschen stand ein zweifaches Leben zur Verfügung: Das natürliche und das „mitgeteilte“ göttliche Leben, durch das Gott sich und seine wesentlichen, sittlichen Vollkommenheiten in einer abbildlichen menschlich-wesentlichen (und darum moralisch-psychologischen) Form und Weise mitteilte. Die Gesamt-Summe der menschlichen Betätigungen hat die Fähigkeit, jene sich mitteilenden göttlichen Vollkommenheiten in geschaffener Form leben und ausdrücken zu können, und zwar mittels der einzelnen seelisch-leiblichen Fähigkeiten.

3172 |        In Gott ist alle Vollkommenheit wesentlich und seinshaft, durch sein göttliches Sein und Wesen selbst. – Im Menschen ist die geschaffene und nachgebildete Vollkommenheit in einem Zustand des „sich Bildens“ und des Wachsens durch die Zusammenfassung und ständige Beanspruchung jener Fähigkeiten und Kräfte, die ihr zur Ausführung dienen. In Gott ist die Harmonie und Zusammenstimmung aller Eigenschaften und Vollkommenheiten gegeben durch sein göttlich-wesentliches Sein; im Menschen wird die Harmonie ermöglicht durch die Gesamtheit seines psychisch-physischen Lebens (durch seine „Gesamt-Psyche“), das befähigt ist, moralisch vollkommene Werke hervorzubringen.

3173 |        Das erste Geheimnis der geschaffenen Gnade war die göttliche, sich mitteilende Schöpferliebe, durch die er sich dem Menschen abbildlich schenkte und eindrückte und damit zugleich sich selbst ihm als Vorbild gab. – Das zweite Geheimnis liegt darin, dass die menschlichen, seelisch-stofflichen Betätigungen als Gesamtergebnis jene moralisch-psychologischen Werke, Taten oder Lebensprodukte hervorbringen können, durch die Gottes Mitteilung fortbestehen und weiterwirken kann. Dazu ist notwendig die Herstellung eines harmonischen Verhältnisses zwischen der Mitteilung des göttlichen Lebens oder der Anteilnahme an Gottes Wesen, das geistig ist, und zwischen dem menschlichen Wesen, das aus Leib und Seele besteht; zwischen den göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten und zwischen der sich bildenden, geschaffenen Vollkommenheit des menschlichen Tuns; andernfalls wäre ein unerträglicher Widerspruch entstanden zwischen der göttlichen Mitteilung und dem menschlichen Werken. Während Gottes Vollkommenheit seinshaft ist, ist im Menschen das Zusammenwirken verschiedener einzelner Bestandteile zu einer vollkommenen Tat notwendig. Darum müssen auch die einzelnen Bestandteile (deren Betätigung für eine vollkommene gottgefällige Tat nötig ist) für die Mitteilung, d. h. für den Empfang des Lebens Gottes fähig sein, damit ein gottgefälliges Endergebnis sich bilden könne; denn keiner der beiden (notwendig sich ergänzenden) Hauptbestandteile, und noch weniger deren einzelne Fähigkeiten könnten für sich allein eine fertige, vollkommene Tat vollbringen. Deshalb teilte Gott von Anfang an den einzelnen menschlichen Anlagen und Kräften die Fähigkeit zu vollkommenen Taten mit. In diesem Sinne ist das Zusammenwirken der gottgewollten psychischen Ordnung und der physischen Harmonie die Grundbedingung für sittlich-vollkommene Werke des Menschen.

3174 |        In der einen, aus zwei verschiedenen Kräftegruppen zusammengesetzten Betätigung war aber der Mensch „frei“. Er gab sich in seiner Mitbetätigung freiwillig, aber zuständlich der mitteilenden Liebe Gottes hin und hatte in dieser Art seines Lebens und Daseins ein gewisses Genießen Gottes, insofern Gott sich ihm als kommendes Endziel bot, zu dem das Leben der ersten Menschen bewusst hinströmte und sich ständig hinbewegte. Gott bot sich den ersten Menschen unmittelbar „als Ziel“ und gab sich ihnen als in Aussicht stehendes Ziel in gewissem Sinne im Voraus zu kosten und erleben. So war Gott, dessen Abbild sie bewusst in sich trugen, zugleich ihr Ausgangspunkt und ihr Endziel.

3175 |        Die Sünde geschah dadurch, dass die Menschen mit ihrer besonders hohen, ihnen als übernatürliche Gabe geschenkten Freiheit sich von ihrem Ziele abwandten, „sich selbst“ zum Ziele setzten und damit ihre hohe Befähigung für das Gute zerbrachen. Gott entzog ihnen nun die bisherige Form der Mitteilung seiner selbst, und mit diesem Entzug zerriss die Einheit der menschlichen Kräftebetätigung und damit die objektive „Einheit und Vereinigung“ mit Gott. Damit verloren sie ihr Ziel und den Zweck ihres Daseins aus dem Bewusstsein. Vorher hatte die Reinheit und Gottfähigkeit ihrer Kräfte ihnen ein unmittelbares und erlebtes Wissen um ihr abbildliches „Einssein“ (der Beziehungen) mit Gott ermöglicht, und zwar nicht ein bloßes „Schauen Gottes“, sondern ein Erfassen mit den eigenen, gottfähigen und gottgeeinten Kräften. – Das „Schauen Gottes“ (das mit der Gotteserkenntnis der ersten Menschen freilich auch verbunden war) ist nämlich eine weniger hohe Stufe des Gotterfahrens; weit höher steht jene Fähigkeit der Gotteserkenntnis bzw. des Gotterlebens, bei dem die Seele Gott nicht in einem Schauen, also in einem Gegenüber und damit doch noch in einem gewissen Abstand, sondern durch die gottverbundenen Kräfte ihn als im eigenen Innern wohnend erfasst, und wobei die Fähigkeiten zugleich in der Lage sind, Taten zu vollbringen, deren Vollkommenheit1402 diesem Gotteserfahren entspricht. – Und gerade dies war der Höhepunkt und Gipfel der Vollkommenheit des Paradieseslebens. –

3176 |        Mit der Sünde zerbrach beides in den ersten Menschen. Sie verloren das unmittelbare Wissen und Erkennen Gottes, und ihre Fähigkeiten und Werke waren nicht mehr „gottfähig“ – weil Gott ihnen die besondere Art seiner Mitteilung nunmehr entzogen hatte.

3177 |        Der Weg der Wiedererhebung aus den Folgen der Erbsünde vollzieht sich in der umgekehrten Richtung. Das verlorene Bewusstsein und Wissen um Gott muss durch den Glauben ersetzt werden; in den tätigen Anlagen aber muss sich kraft der Erlösergnaden als Ersatz für das Verlorene ein geistiges Zentrum im Menschen bilden, das sich mehr und mehr in gottfähigen, guten Taten äußert. Zuerst sind es immer die vornehmsten, höchsten Kräfte der Seele, die sich mittels des Glaubens für gottgefällige Werke befähigen; vor allem die Erkenntniskräfte müssen sich einen klaren Begriff bilden vom Weg und von der allgemeinen Richtung zu Gott. Der Wille übernimmt dann in der tatsächlichen Hinordnung auf Gott die führende Stellung. Weil aber der Wille nicht allein bei der Entscheidung mitspricht und vielmehr lange Zeit in einer gewissen Abhängigkeit von anderen Regungen und Strebungen bleibt, so kann sich der moralische Aufstieg nur in einer ständigen Wechselbeziehung der verschiedenen Seelenkräfte vollziehen; zugleich werden die physischen Kräfte beansprucht und alles dies nach einer von den höheren Seelenkräften gut im Sinne Gottes geplanten Ordnung. Das Endziel ist die objektiv vollkommene, und in jeder Beziehung gottgefällige Handlung, oder Tat. –

3178 |        Es sind „viele Akte und Antriebe der führenden Gnade“, die mich täglich mehr dem bewussten Ziel zuführen. Diese Antriebe der göttlichen Führung sind gleichsam „Handgriffe“ und Eingriffe in mein inneres Leben, um mich auf dem Weg zum Ziel voranzubringen. Es sind Leiden, in denen zugleich das Ziel aufleuchtet; es sind vor allem Gotteserkenntnisse, die mir die Notwendigkeit der schmerzlichen Umwandlung, Bereitung und Verbreitung für mein geistiges Ziel, für sein Leben in mir, verständlich machen. Diese immer tieferen Gotteserkenntnisse, die den ersten Platz in meiner inneren Führung einnehmen, bleiben aber fast ausschließlich mein persönliches Eigentum und Wissen, das meinem geistigen Fortschritt und der Bereitung für das mir von ihm gesetzte Ziel dient, das ich aber nicht in Worten aussprechen und mitteilen kann. – Zugleich mit diesen unaussprechlichen Gotteserkenntnissen tun sich mir immer wieder andere Geheimnisse auf, wie z. B. die Fruchtbarkeit der Aszese, die Wirksamkeit der gottgeschickten Leiden, die Wege des allgemeinen und des besonderen Fortschrittes der Seelen. – Ich muss sagen: Ich trage ein unaussprechliches Kapital von geistigem Wissen von mystischen Erfahrungen und Vereinigungsfrüchten in mir; aber nur einen ganz geringen Teil davon kann man erklären und in Worte fassen; die Hauptsache bleibt persönliches Wissen, ohne dass es irgendwie ausgedrückt werden könnte. – So möchte ich die immerwährenden geistigen Bewegungen und Erfahrungen auf geistig-seelischem Gebiet, welche die führende Gnade bzw. das Leben Gottes in mir hervorbringt, vergleichen mit den Lampen eines Fahrrades, die nur leuchten, wenn das Fahrrad in Betrieb ist, oder mit dem Hineinbohren in ein Bergwerk, wobei verborgen immer neue Massen von Metall durchbrochen werden.

3179 |        Als Hauptziel bricht aber immer wieder durch, und leuchtet auf, das Wissen um eine möglichst hohe „objektive Vereinigung“ mit Gott, was – wie mir innerlich erklärt wird – Grundlage und Voraussetzung für mich ist, um das Erlösergeheimnis erleben zu können. Mein Gesamtleben soll zuständlich als Endergebnis die Fähigkeit hervorbringen, das Erlöserleben in dauernder, entsprechender Gottvereinigung erleben zu können. Diese Fähigkeit zu objektiver Gottvereinigung wird nicht eine allgemeine, wenn auch besonders hohe Gottvereinigung zum Ziel haben, sondern wird der Besonderheit dienen: das Geheimnis der Erlöserperson zu erleben und es zum Ausdruck zu bringen. Der Weg hierzu bewegt sich auf der allgemeinen mystisch-aszetischen Grundlage, wobei die für das Ziel notwendigen Reinigungen durch die führende Gnade im Vordergrund stehen. „Ohne entsprechende Reinigung gibt es keine Vereinigung mit Gott“, und im Grunde gibt es nur einen Weg zur Gottvereinigung: die Überwindung des Erbsündlichen, d. h. des Widerspruches und Gegensatzes zu Gottes Heiligkeit im eigenen Innern und eine möglichst vollkommene Neuordnung und Bereitung für das Leben Gottes in der Seele. –

3180 |        Persönlich werde ich das innere, psychologische Leben Christi als „eigenes Erleben“ erleben müssen. Meine Seele wird darum – auf verfeinerter und erhöhter mystischer Grundlage – für dieses Erleben der göttlichen Erlöserperson dienstbar gemacht. Das mystische Leben wird „aktuell“ eingefasst in die Psychologie des Gottmenschen, und darin liegt das tiefe Geheimnis meiner langjährigen Vorbereitung. Die höchste mystische Betätigungsfähigkeit Gott gegenüber wird in meinem Fall zur besonderen Betätigung im Dienste der göttlichen Erlöserperson, damit dieses göttliche Geheimnis zum erfassbaren Nacherleben und zum Ausdruck komme. Was sich im gewöhnlichen mystischen Leben nur in den höheren Bezirken und „Spitzen“ und in den feineren Fähigkeiten der Seele und nur teilweise und vorübergehend vollzieht, das wird mein Gesamtleben und meine gesamten seelisch-leiblichen, aber entsprechend vergeistigten Fähigkeiten ergreifen und in Anspruch nehmen und in den besonderen Dienst der göttlichen Person des Erlösers stellen. Es handelt sich also in meinem Fall um eine Verallgemeinerung des Geheimnisses der Mystik, insofern mein Gesamt-sein von und für Gott erfasst und für den besonderen Zweck der Offenbarung des inneren Erlösergeheimnisses gebraucht werden wird.

3181 |        Anmerkung: Wenn ich über meine inneren Erfahrungen schreibe, weil ich dazu von der göttlichen Führung angetrieben und befähigt werde – denn, wie ich aus Erfahrung weiß, bin ich ohne besondere Anregung und Befähigung nicht fähig, auch nur einen Satz zu schreiben – so ist dabei keineswegs meine Absicht, Abhandlungen und Erklärungen oder Belehrungen über diese Geistesgebiete vorzulegen. Ich schreibe einfach meine persönlichen Erfahrungen und geistlichen Erlebnisse.1403

 

12.11.1944

3182 |        Ich befinde mich heute in einem wunderbaren Begreifen und Erleben der folgenden Tatsache im Gottmenschen: Christus war als zweite göttliche Person eine „absolute“ Persönlichkeit, d. h. nichts Irdisches oder Menschliches konnte sich in seinem menschlichen Dasein mit dem göttlichen Wesen seiner Person „vermengen“ oder es beeinflussen, nicht einmal das, was er dem Leib nach, gemäß den Vererbungsgesetzen, von seiner leiblichen Mutter MARIA annahm. Die moralischen Vollkommenheiten, und die damit zusammenhängenden physischen Eigenschaften Mariens boten zwar die Unterlage zur Möglichkeit, dass der aus ihr genommene1404 und sich bildende Leib Jesu „fähig“ war, das Wesen der göttlichen Person ertragen zu können, aber das göttliche Wesen ihres Sohnes wurde dadurch in keiner Weise bestimmt oder beeinflusst, sondern beherrschte absolut den Leib auch schon in seinem werdenden Leben in Maria. Ihr Fleisch war für die göttliche Person nur das „Mittel zum Zweck“ eines gottmenschlichen Daseins.

3183 |        Der gewöhnliche Mensch wird auch in der Eigenart seiner Person, und zwar schon vom Anfang seines Lebens an mitbestimmt und beeinflusst durch viele an sich unwesentliche Elemente oder sekundäre Faktoren oder „Mitbestände“ seines Daseins, d. h., durch die verschiedenen Umstände und Gegebenheiten der Vererbung, der Einflüsse der Umwelt, der Erfahrungen usw. was alles sich gleichsam mit dem Kern seines Wesens und seiner Person vermischt und vermengt. Solche Mitbestände sind nach dem Plan des Schöpfers sogar unentbehrlich und notwendig für den tatsächlichen menschlichen Bestand und die menschliche Betätigung, aber es besteht dabei die Gefahr, dass durch ein gewisses Vorwiegen und Überhandnehmen dieser Mitbestände der eigentliche „Selbstbesitz“ der Person gemindert und geschwächt, weil zu sehr beeinflusst, wird. Es braucht eine große Intelligenzhöhe und moralische Festigkeit und Vollkommenheit, um den eigenen vollen Selbstbesitz auch gegenüber diesen notwendigen „Mitbeständen“ zu sichern, – wie das vollkommen in der Person der ersten Menschen vor der Sünde der Fall war. Gewiss hätten die Gesetze der Vererbung und der Notwendigkeit von „Mitbeständen“ für die Menschen auch Geltung gehabt, wenn es nie zur Sünde gekommen wäre, aber der persönliche Selbstbesitz hätte doch eine gewisse unerschütterliche geistig-sittliche Grundlage in sich selbst gehabt. Gott allein aber besteht aus sich selbst und absolut.

3184 |        Auch die Tatsache, dass Jesus dem Leibe nach dem jüdischen Volke entstammte, brachte keinerlei Vermengung noch irgendwelche „Mitbestände“ oder Beeinflussungen des göttlichen Wesens seiner Person mit sich; obwohl Jesus das jüdische Gesetz beobachtete, war er doch in seinem persönlichen Wesen keineswegs „Jude“, sondern beherrschte absolut alle sekundären Elemente seines menschlichen Daseins. Er war und blieb als göttliche Person absolut und rein Gott, unvermischbar mit irgendetwas Nicht-Göttlichem. – Was er, um wahrer Mensch zu sein, notwendig von Maria und vom jüdischen Volk, dem er dem Leibe nach entstammte, annehmen musste, das „diente“ seiner göttlichen Person nur dazu, ihr menschliches Dasein zu ermöglichen, aber nicht dazu, die Person des Gottmenschen irgendwie zu beeinflussen oder zu bilden oder zu vervollkommnen.

3185 |        Im Hinblick auf diese Eigentümlichkeit der „absoluten Unvermischbarkeit“ der Person des Erlösers gegenüber allem, was nicht Gott ist, befinde ich mich nun in einem Reinigungsprozess der Loslösung von meinen persönlichen „Mitbeständen“ (Abstammung, Heimat usw.). Aber die Art und Tiefe dieser Reinigung ist unaussprechlich und bleibt wohl für immer mein ausschließlich persönliches Erfahren und Wissen.1405

 

15.11.1944

3186 |        Meine innere, so mannigfache Vorbereitung, um den Gottmenschen erleben zu können, lässt sich für gewöhnlich nicht im Einzelnen erklären. Zuweilen aber wird mir diese oder jene Seite vorgeführt durch ein bewusstseinsmäßiges Gegenüberstellen bestimmter innerer Tatsachen des Gottmenschen und der darauf hingeordneten Vorbereitung in mir zum kommenden Erleben dieser Tatsachen. Für gewöhnlich also betrifft die Vorbereitung die ganze Summe der moralisch-psychologischen Befähigung, zuweilen aber werden einzelnen Seiten und Richtungen durch die führende Gnade besonders beleuchtet.

3187 |        So wurde mir in den letzten Tagen wiederholt die „Steigerung meiner geistigen Feinfühligkeit und meines Gerechtigkeitssinnes“ erklärt als Vorbereitung und Befähigung, um die gottmenschliche Feinfühligkeit einigermaßen erfassen und erleben zu können. Jesus ließ mich dieses Geheimnis tief durchdringen und stellte mir gleichsam die Frage: „Wer kann Mich, den Gottmenschen, erfassen in meiner göttlichen Feinfühligkeit und in den entsprechenden Tiefen meiner Leiden?“ – und innerlich ward mir die Antwort gegeben: „Nur jene Seele, die ähnliche Leiden ertragen hat und die infolge dieser Leiden zu einer entsprechenden Verfeinerung der Empfindungsfähigkeit und zur Vereinigung mit Mir geführt wurde“. –

3188 |        Ich war in wunderbarer Weise in mir selbst erhoben und einbezogen in das Miterleben der feinen und tiefen Umstände und Eigenheiten der Leiden des Erlösers, die für gewöhnlich gar nicht bewertet und anerkannt werden. – Das ganze Menschenleben Jesu hatte seinen Ausgangspunkt in seiner göttlichen Person, und auch seine Leiden bemaßen sich nach der Höhe seiner göttlichen Feinfühligkeit und vor allem seines göttlichen Gerechtigkeitssinnes. – Doch wie schwer ist die Tiefe dieser klar erkannten und erlebten Tatsache in Christus mit1406 Worten zu erklären!

3189 |        Der Mensch im gefallenen Zustand hat sozusagen die feineren und feinsten Seiten seines menschlichen Wesens verloren. Die feinen Fähigkeiten, die es ihm im Paradies ermöglicht hatten, das Wesen Gottes zu erfassen und zu erkennen, dienten ihm auch, um die inneren und äußeren Begebnisse seines Lebens zu erfassen und zu beurteilen. Das Erkennen der ersten Menschen ging in allem von „innen nach außen“, vom Abbild Gottes in sich zu den übrigen Dingen und Geschehnissen; er beurteilte alles vom Geistigen aus und damit in der rechten Ordnung, und es war in seiner Seele eine entsprechende, uns unerreichbare Höhe geistiger Empfindungsfähigkeit und ausgeprägtesten Gerechtigkeitssinnes vorhanden. – Die Empfindungsfähigkeit der einzelnen Seele hat ihren Sitz und Ausgangspunkt immer in der geistigen Anlage der Seele und wird von dort aus weiter geleitet und so mit der leiblichen Sinnestätigkeit verbunden, dass eine wahre psychologisch-physische1407, d. h. menschliche Empfindung entsteht. Die Geist-Empfindsamkeit ist in jeder einzelnen1408 Seele verschieden und hängt von der besonderen, gottgeschaffenen Person-Anlage und indirekt auch von der Vererbung ab. – Im ersten Menschen war das Geistige ganz das Beherrschende und Tragende1409 und das ganze menschliche Leben floss aus der Quelle des geordneten Geistes. Der Feinheit des Geistes entsprach auch1410 die Feinheit des menschlichen Empfindungslebens; denn es waren dieselben Kräfte, mit denen sie z. B. mit Gott verbunden waren und mit denen sie sich seines Abbildes in ihnen erfreuten, und mit denen sie auch sich an den Tieren und Schönheiten des irdischen Paradieses ergötzten. Da nicht jene „Trennung der Kräfte“ in ihnen bestand, wie in unserem jetzigen Zustand, bedurfte es für sie auch nicht jene vorausgehende „Erhebung und Sammlung“ der Kräfte, wie wir sie zum Gebet nötig haben. Ihre reine Erkenntniskraft leitete ihr Urteil und ihre Empfänglichkeit gegenüber allem, was an sie herankam oder womit sie in Berührung traten; denn der Einfluss der Erkenntniskraft erstreckt und verzweigt sich auf alle Gebiete des Seelenlebens und kommt in der Betätigung aller Anlagen irgendwie zum Ausdruck. Die Empfindsamkeit des Geistes lebt sich auch in die physische Natur ein und wirkt sich darin aus. Äußere, auf dem Wege über die Sinne kommende Eindrücke können zwar die Tiefe und Art der Empfindungsanlage der Seele beeinflussen, aber im Grunde bleibt immer die erste, geistige Anlage das Bestimmende für das ganze menschliche Empfindungsleben, womit der Mensch sich sein Leben einrichtet und zurechtsetzt. Alle Vorkommnisse im Leben eines Menschen üben ihre Wirkung nur aus je nach der Art, wie sie ihn persönlich berühren, d. h., je nachdem wie sein Empfindungsleben darauf antwortet. Es handelt sich dabei um feinste Aktmöglichkeiten der Seele, die für den Menschen selber wohl meist ein Geheimnis bleiben. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei die seelische Anlage des Gerechtigkeitssinnes und des persönlichen Ehrgefühls. Diese beiden Faktoren: Das Gefühl der Würde und Ehre der Person und das Gerechtigkeitsbedürfnis wirken bei allen Vorkommnissen des menschlichen Lebens zusammen; sie sind bestimmt durch die Werthöhe und Art jeder einzelnen Person und durch die lebt und wirkt sich der Wert der Person aus.

3190 |        Auch das gesamte Sinnenleben steht unter dem Einfluss der führenden, geistigen Empfindungskräfte und auch die Erlebnisse des niederen Menschen, also auch die physischen Ereignisse, werden an die Person gemeldet und von dieser empfunden und erfahren je nach der Art und Tiefe ihrer geistigen Empfindungsanlage. Die Person selbst ist die Trägerin auch dieser physischen Vorkommnisse in ihrem Bereich, seien es nun angenehme oder bedrückende. – Alle inneren und äußeren Ereignisse in einem Menschenleben werden zu „Erlebnissen“ durch deren Entgegennahme vonseiten der Person, die damit ihrerseits in die Aufgabe und Notwendigkeit versetzt ist, zu diesen Erlebnissen und Ereignissen Stellung zu nehmen, unterstützt und geführt von ihrer persönlichen Urteilskraft. Von der Art der Stellungnahme der Person zu den Ereignissen ihres Lebens hängt es ab, wie weit die Person über den Ereignissen steht und sie und damit ihr eigenes Leben beherrscht – oder sich davon beherrschen lässt. Ist die Person von hohen sittlichen Werten getragen, so wird sie kraft ihrer sittlichen Werte – seien diese ihr nun durch die Anlage gegeben oder mehr durch Übung erworben – ihre verschiedenen Lebenssituationen zu beherrschen wissen und ihr Gesamtleben unter das Gesetz ihres persönlichen Wertes stellen. In den meisten Fällen ist aber die Person in der Art ihrer Stellungnahme vielen Schwankungen unterworfen und es gibt nur wenige, an Urteilskraft und sittlicher Festigkeit so hochstehende Menschen, dass sie in allem, was auf ihre Person Bezug hat oder an sie herantritt, die persönliche Herrschaft voll bewahren, weil die dem göttlichen Gebot entsprechende erworbene Sittlichkeit in ihrer Person schon aktuell verwurzelt und zur beherrschenden Norm für ihr Gesamtleben geworden ist. Gewiss kann auch ein sittlich niederer stehender Mensch seine Gesamthaltung nach bestimmten, niederen Grundsätzen einrichten, sich dabei den Schein des Rechtes und der Rechtschaffenheit geben und durch seine persönliche, sichere Haltung und sein Auftreten seine Umgebung beherrschen. Für gewöhnlich aber zeigt sich in der persönlichen Stellungnahme der Menschen zu den Ereignissen des Lebens ein ständiges Schwanken zwischen den höheren Gesetzen und dem eigenen höheren Streben einerseits, und anderseits den fremden Einflüssen und den niederen Regungen, von denen die Person vielfach ihr selbst unbewusst, beherrscht wird.

3191 |        In Christus als wahren Menschen bestanden ähnliche Lebensgesetze. Aber wie war es möglich, dass die Feinfühligkeit des göttlichen Geistes überhaupt auf ein menschliches Leben übertragen werden konnte? Um sich eine leise Vorstellung davon zu machen, ist notwendig: 1. Das Wesen der Reingeistigkeit Gottes erfasst zu haben; – 2. Die Geistigkeit der Seele irgendwie erfahren zu haben; – 3. Die Verbindung dieser Geisttätigkeit mit der Eigenart Gottes zu erfahren und zugleich die Überschaltung der göttlich-seelischen Akte auf das physische Leben zu erfassen. – In diesem Erleben begreift man einigermaßen die Tiefe und Art der Ansprüche, welche die göttliche Natur der Person des Wortes an die Seele Jesu stellte.

3192 |        Der höchste, unmittelbare Zweck, für den Gott die Seele geschaffen hat, ist ihre Geist-Tätigkeit in der Einfachheit des Geistes. Sobald die Seele aber in ihren Tätigkeitsbereich des Lebens hineingestellt ist, ergibt und ergießt sich aus dem einfachen Wesen der Seele eine Unsumme von Betätigungsfähigkeiten, die sich im Gesamtleben in ungezählten Tätigkeiten auswirken. Das innerlich wirksame geistige Element ist das beherrschende in diesem „Ausleben der Seele“ und im Endergebnis ihrer Betätigungen. Eine Seele mit idealer Veranlagung wird zum Tätigkeitsprinzip eines idealen Menschenlebens in seinen Beziehungen zu sich selbst und zu seiner Umgebung.

3193 |        Nach dem allgemeinen menschlichen Lebensgesetz geschieht aber dieses „Ausleben“ oder diese Lebensbetätigung der Seele nur mithilfe der physischen Lebenskräfte, in die der seelische Reichtum übergeleitet wird und die in ständiger Lebenseinheit den führenden Kräften des Geistes bleiben.

3194 |        Die Höhe der Forderungen des Geistes wird darum auch zu einer entsprechenden Anforderung an die physischen Lebenskräfte, deren Lebensprinzip ja die Seele ist. Die Empfindungen des Leibes sind im tiefsten Grunde ein Produkt des im Leibe wirkenden Geistes der Seele. – Da der Mensch eine Einheit aus zwei verschiedenen Grundelementen ist, kommen die Produkte seines Lebens nur durch Mitbetätigung und „Zustimmung“ des physischen Faktors zustande, und es herrscht darum ein ständiges Ineinandersehen, und ein wunderbares gegenseitiges Durchdringen der Betätigungen von Stoff und Geist in dem einen Menschenleben – was wohl nie genug bedachtes und beachtetes Wunder der Menschennatur ist. Es gibt kein menschliches Lebensprodukt, das nicht den Weg über die Zustimmung und Mitbetätigung des Fleisches ginge. Auch alle an sich rein geistig-seelischen Tätigkeiten fordern notwendig, wenigstens in zweiter Linie, eine Mitbetätigung des Leibes. Gott hat dieses Grundgesetz in die Menschennatur hineingelegt, dass die beiden Elemente im Menschen sich gegenseitig ergänzen und sich gegenseitig Kraft zuführen. Diese Kraftzufuhr bewegt sich aber auf der Höhe der Anforderungen und der Leistungen, deren jedes der beiden Elemente fähig ist. Die ersten Anforderungen stellt der Geist, der ja das Grundlegende und der Ausgangspunkt im menschlichen Leben ist. Schon die bloße Tatsache des „nackten Lebens“ selbst fordert beiderlei Kräfte an; denn „Leben“ heißt tätig sein, wachsen, sich entfalten und entwickeln, sich ausbreiten, sich und seine Anlagen verwerten. Nach dem inneren Gesetz alles „Lebens“ lebt die Seele die „Art ihrer Bestimmung“ aus, ohne einen bewussten Antrieb unterstellt zu sein. Mit dem „Leben“ selbst bildet sich auch die seiner Bestimmung entsprechende Eigenart dieses Lebens aus. Mit dem Bewusstwerden dieses Lebens im Menschen erfolgt die Anforderung der zur Verfügung stehenden Elemente für den besonderen Zweck dieses Lebens. So bestehen im Menschen das „Leben im Allgemeinen“ und das „spezielle Leben“ mit dem bewussten, besonderen oder individuellen Lebenszweck, der erst das volle, harmonische Zusammenwirken beider Kräftegruppen im Menschen zu dem einen Resultat des Lebens hervorbringt.

3195 |        Schon im gewöhnlichen Leben kann eine große Spannung zwischen den Anforderungen des Geistes als der bestimmenden Lebensart und zwischen der Folgeleistung und Ausführung der dienenden Kräfte bestehen. Die Verschiedenheit der Kräftegruppen bringt es mit sich, dass in dem einen Element gleichsam ein Zustand des Wollens und Nicht-Könnens gegenüber den Forderungen des anderen Elementes eintritt, und zwar nicht bloß im Fleische, sondern auch im geistigen Element; wenn z. B. jemand schwere körperliche Arbeit verrichten sollte, für die nicht die nötige geistige Spannkraft vorhanden ist, so vermag auch der Körper diese Arbeit nicht zu leisten. Es muss immer ein harmonischer Umsatz zwischen geistigen und körperlichen Fähigkeiten und Kräften hergestellt werden, wenn nicht durch einseitige Betätigung das eine der beiden Elemente verkümmern soll. Das konkrete menschliche1411 Leben bietet aber nur in seltenen Fällen eine ausgeglichene Verteilung der geistigen und leiblichen Leistungen und Lasten; darum muss der Wille die Führung und Regelung übernehmen, um eine für beide Teile tragbare und förderliche Kräftebeanspruchung auf einer einheitlichen Linie herbeizuführen.

3196 |        Auch beim Gottmenschen galt nun das Gesetz, dass das Fleisch mittätig und in gewissem Sinne mitbestimmend war für das Gesamtleben. Auch sein göttliches Leben wurde in diesem Sinne „abhängig“ von der Leistungsfähigkeit seiner physischen Natur. Die Überleitung des „göttlichen Lebens“ bzw. des Wirkens der göttlichen Natur bestand in einer Einfassung und Einführung in die Seele und diese nahm dann den Einlebungsprozess in die physische Natur vor. Gott kann nicht unmittelbar das Lebensprinzip des Leibes sein, denn seine Art und Natur ist zu sehr verschieden von jener des Leibes; die Seele dagegen ist so mit der göttlichen Natur verwandt, dass es zu einer einheitlichen Betätigung beider kommen kann – wenn sich die göttliche Natur der Seele anpasst.

3197 |        In der Seele Jesu fällt die höchste Anlage einer gewöhnlichen Menschenseele weg, nämlich die Anlage zu einer menschlichen Person, die in unserer Seele notwendig vorhanden sein muss. Jesus besaß auch nicht jene Anlagen, die in entfernterem Sinne das Bestehen-Können einer menschlichen Person stützen; in der Seele Jesu waren überhaupt keine „Anlagen“, insofern dieses Wort etwas Stützendes oder Grundlegendes ausdrücken will. Stattdessen war aber in der Seele Jesu die Fähigkeit zur unmittelbaren Dienstbarkeit gegenüber der göttlichen Person – und die für diesen besonderen Dienst notwendigen „Anlagen“; denn die göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten „lebten sich menschlich aus“ mittels der Fähigkeiten der Seele Jesu. Diese war gleichsam der „Lebensmotor“, durch den das göttliche Leben in „menschliche Bewegung“ trat. Die göttliche Natur der Person des Wortes teilte sich den Fähigkeiten der Seele mit, gleichsam als „Ersatz“ für die (in der gewöhnlichen Seele vorhandenen) Anlagen zu einer Person.

3198 |        Es gab dabei in der Seele Jesu Fähigkeiten, die der göttlichen Natur „näher standen“, und solche, die ihr „ferner“ standen; es gab solche, die sofort mit der Menschwerdung voll beansprucht wurden, und solche, die erst allmählich, sei es mit dem Wachstum, sei es im späteren Erlöserleben, zur vollen Auswirkung und Kraftentfaltung kommen; es gab solche, die mehr das „Leben im Allgemeinen“ trugen, und solche, die mehr der besonderen Eigenart dieses Lebens dienten. Sachlich dienten aber alle Fähigkeiten der Seele Jesu dem einen Zweck: eine von der göttlichen Person selbst bestimmte und beherrschte Lebensmöglichkeit zu bilden. – Die göttliche Natur – als die Summe der göttlichen Vollkommenheiten und Eigenschaften – vereinigten sich mit der Substanz der Seele und deren „Fähigkeiten“ („Fähigkeiten“ ist hier genommen in dem Sinne von: Möglichkeiten, etwas auszuführen, wozu ein höherer Einfluss veranlasst). Die Seele Jesu war voll von solchen „Befähigungen für die göttliche Person“, denn sie hatte in sich selbst keine „Anlagen“ zum Ausleben, sondern lebte die Eigenart der sie beherrschenden göttlichen Natur aus. Darum blieben alle seelischen Tätigkeiten Jesu „substanzielle Betätigungen“ im Dienste der göttlichen Person und waren keine „persönlichen Tätigkeiten“ wie in unserer Seele. Die göttliche Natur des Erlösers lebte sich im gottmenschlichen Leben aus mittels der substanziellen Inanspruchnahme der für die göttliche Art und den unmittelbaren Dienst befähigten Seele Jesu. (Vergleiche hierüber das früher über die substanzielle Betätigung der Seele Geschriebene! Ich selbst bin allerdings diesem psychologischen Geheimnis jetzt noch viel „näher“ gekommen). – Man kann sagen: Was wir in unserem gewöhnlichen Menschenleben „wesentliche Anlagen“ nennen können, das hat im Gottmenschen die göttliche Personkraft vollbracht; und was bei uns „unwesentliche Fähigkeiten“ sind, das waren in Christus die wichtigsten und wesentlichen Faktoren für das gottmenschliche Ausleben der göttlichen Werte der Person.

3199 |        Ich erkenne den Akt der Menschwerdung als eine Vereinigung der göttlichen Natur des Wortes (d. h., der Fülle der göttlichen Vollkommenheiten und Eigenschaften des Wortes in ihrer Einheit der göttlichen Einfachheit) mit der „Masse“, d. h. mit der Gesamtheit oder Totalität der Seele und der ganzen Summe ihrer Befähigungen dieser göttlichen Natur des Wortes1412 dienstbar zu sein für ein menschliches Leben des ewigen Wortes. Die göttliche Person vereinigte sich mit der „Spitze“, oder besser gesagt, mit dem tiefsten Mittelpunkt der einfachen Seele, um den – bildlich gesagt, wie in konzentrischen Kreisen – alle notwendigen Befähigungen bereitstanden, die schon im ersten Augenblick der Menschwerdung der göttlichen Person zuströmten und sofort die Eigenart dieses Lebens (nämlich ein wirkliches Leben des Leibes Jesu, des Gottmenschen) zu bilden begannen.

3200 |        Das göttliche Bewusstsein des Wortes wurde – wie früher ausgeführt – zu einem gottmenschlichen Bewusstsein mittels der Bewusstwerdenskräfte der Seele, d. h. jener, der Person untergeordneten Fähigkeiten und Kräfte, die für das Bewusstwerden und Bewusstsein dienstbar und notwendig sind. Mit dem gottmenschlichen Bewusstwerden, d. h. mit der Einbeziehung des seelisch-leiblichen Lebens in das göttliche Bewusstsein, wurden sogleich auch die seelischen Fähigkeiten zur „Mitbetätigung1413“ herangezogen, und als „mittätig“ in das göttliche Bewusstsein einbezogen. Im Gegensatz zu unserem Leben, in dem sich die Person langsam entwickelt und erst allmählich zum Bewusstsein kommt, wurden im Leben Jesu – infolge der göttlichen Eigenschaften der „fertigen und immer bewussten Person“ – sofort eine Fülle von seelischen Dienstleistungen oder substanziellen Betätigungen angewandt, wodurch sich die göttliche Person „als Mensch fühlte“. Mit dem gottmenschlichen Bewusstsein wurde aber auch sogleich1414 eine Fülle von göttlichen Eigenschaften „menschlich tätig“, die – mit der Fülle der göttlichen Natur –1415 gleichsam in die Seele „gelegt“ und von ihr „getragen“ wurden. Weil aber die göttliche Natur nicht „teilbar“ ist, wurde schon im Augenblick der Menschwerdung gleichsam die Totalität der Seele und ihrer Befähigungen in Beschlag und Beanspruchung genommen, wenn auch manche einzelnen Fähigkeiten nur in Anpassung an das menschliche Wachstum und die sich steigernde äußere Auswirkung des Erlöserberufes zur vollen Dienstleistung und Kraftentfaltung herangezogen wurden. Die Fülle Gottes erfüllte die Seele und wurde von der Fülle der Fähigkeiten der Seele bedient, damit die göttliche Person mittels seelischer Fähigkeiten „als Mensch“ bestehen konnte. Die „Näheren“ Fähigkeiten der Seele, (d. h. jene, die unmittelbar dem allgemeinen Bestande des menschlichen Lebens der göttlichen Person oder unmittelbar der hypostatischen Vereinigung dienten) waren sofort in Tätigkeit, während die „Entfernteren“ je nach ihrer Bestimmung erst mit dem Wachstum und der äußeren Erlösertätigkeit voll ausgelöst wurden und in den Dienst der göttlichen Natur gestellt wurden. (Es handelte sich aber immer um verschiedene Dienstleistungen und Befähigungen der absolut einfachen Seele). Weil aber die Person des Wortes infolge ihres göttlichen und1416 nunmehr gottmenschlichen Bewusstseins sich von Anfang an auch aller Vorgänge in und um ihre menschliche Natur bewusst und dafür „erlebensfähig“ war, so vermittelten die entsprechenden Fähigkeiten der Seele auch jeden Augenblick die jeweiligen Umstände und die Art ihres Menschseins.

3201 |        Infolge der göttlichen Allwissenheit der Person konnten aber zugleich mit den augenblicklichen Erlebnissen auch die menschlich zukünftigen Ereignisse in das gottmenschliche Bewusstsein einbezogen werden. Dieses gottmenschliche „geistige Zusammenleben“, d. h. die Zusammenfassung von gegenwärtigen und zukünftigen Ereignissen im augenblicklichen Bewusstsein Christi oder diese Zusammenfassung des Gesamtlebens (und möglicher Zusammenfassung)1417 war eine tiefste und wesentliche Eigenart im Innenleben Christi und war eine Folge der göttlichen Eigenschaften, die von den Fähigkeiten der Seele Jesu gleichsam „getragen“ und menschlich „unterbaut“ und zu menschlicher Auswirkung gebracht wurden. Dieses Gesamtleben stellt aber an die Seele Jesu weit höhere Kraftanforderungen als unser gewöhnliches „Augenblicksleben“. – (Jesus gebrauchte aber sein göttliches Wissen oder vielmehr die Auswirkungen seines göttlichen Wissens nur in Unterordnung unter dem Zweck seines gottmenschlichen Lebens, d. h. in Anpassung an seinen Erlöserberuf. Ich habe noch viele Begriffe über dieses geistliche „Gesamtleben“ des gottmenschlichen Innenlebens, kann sie aber nicht oder noch nicht aussprechen).

3202 |        Die göttliche Natur mit ihren göttlichen Eigenschaften – als die Wesensart der Person – „durchglühte“ gleichsam die Fähigkeiten der Seele; die Seele aber hatte in ihrer substanziellen Weise und gemäß den Grundeigenschaften ihrer eigenen Natur darauf „zu antworten“ mit entsprechenden „Reaktionen“; so vollzog sich gleichsam eine gegenseitige Berührung und Ausleben oder Auswirken der beiderseitigen Naturen. Wie früher schon ausgeführt, wurde aber diese Reaktion von der Seele nicht in verstandesmäßige Weise ausgeführt, sondern in substanzieller oder wesentlicher Form – und dies infolge der Unvermischbarkeit der beiden Naturen. Die göttliche Natur als das beherrschende Element lebte sich gegenüber der menschlichen Natur aus; die menschliche Natur bot der Göttlichen wohl ihre menschliche Art „zum Erleben“, aber sie bot der göttlichen Natur nicht die (im gewöhnlichen Menschenleben notwendigen) „Mitbestände“ und dies infolge der Beschränkung ihrer „Anlagen“ auf „Fähigkeiten“ für den unmittelbaren Dienst an der göttlichen Person.

3203 |        In Christus war der Zweck seiner Menschwerdung von Anfang und immerwährend in das gottmenschliche Bewusstsein aufgenommen und – als das leitende Ziel – gleichsam in den Mittelpunkt seines gottmenschlichen Lebens – und seines geistigen „Zusammenlebens von Gegenwärtigem und Zukünftigem“ – gestellt. Im Hinblick auf diesen Zweck begann schon von Anfang das menschliche oder vielmehr gottmenschliche Leben Jesu sich zu bilden, und hierin wirkte sich die göttliche Freiwilligkeit der Menschwerdung aus, die nun auch – wie die übrigen göttlichen Eigenschaften – mittels der seelischen Fähigkeiten in gott-menschlichen Akten zum Vater strömte. Das seiende göttliche Verhältnis zwischen den drei göttlichen Personen blieb ja (wie früher schon gesagt) unverändert bestehen, aber mit dem Unterschied, dass nun auch die Seele Jesu in den Dienst dieses göttlich-wesentlichen Geheimnisses trat; und sie konnte dies dank ihrer höchst vollendeten, feinen Geistigkeit. Mit ihren höchst vergeistigten, d. h. dem Geiste Gottes angeglichenen Tätigkeiten erfuhr oder „erlitt“ die Seele in substanzieller Weise den Zweck der Menschwerdung – bis zu seiner letzten Auswirkung am Kreuze. Das Leben Jesu war stets ein „wissendes“ und bewusstes Leben und der Zweck dieses Lebens und der Menschwerdung überhaupt stand immer im wirksamen und beherrschenden Mittelpunkt. – Die Seele Jesu war in diesem Erlöserleben der „Leidensfaktor“ oder das Mittel um leiden zu können. Die göttliche Person aber war infolge der gottmenschlichen Lebenseinheit „der Leidende“.

3204 |        Ich bin nun wieder viel tiefer in das Geheimnis des Gott-Menschen eingedrungen, und zwar auf Geistesgebieten, die ich früher schon berührt habe, die sich aber immer mehr für mein persönliches Begreifen auftun. Es ist überhaupt merkwürdig: Was ich heute in einer bestimmten Form „weiß“, das kann bald wieder1418 viel tiefer gehen, auch wenn es sich um die gleiche Sache handelt. Aber mit welchen Worten oder wie soll ich diese Vertiefung meines Wissens ausdrücken?

3205 |        Im Zuge der psychologischen Bereitung für meine Aufgabe bin ich inzwischen wieder in Leiden, durch welche die Anlage und Art1419 meiner Empfindungen1420 – mittels der Vereinigung mit Gott – verfeinert, vergeistigt und gesteigert wird. Die betreffenden Erlebnisse, die zu diesem Leiden Anlass geben, bringen mir gleichzeitig auch die Möglichkeit und die Befähigung, die Erlebnisse Christi wie solche meiner eigenen Person erfassen und empfinden zu können. So werden meine Personkräfte immer mehr zu Faktoren des Erlebens der göttlichen Person Christi, insofern sie durch die göttliche Führung auf dieses Geheimnis „eingestimmt“ und dafür erlebnisfähig gemacht werden. Es sind meine Personkräfte, die in den Dienst der göttlichen Person gestellt werden in einem Geheimnis besonderer Vereinigung mit Christus und in einer persönlichen Dienstbarmachung meines ganzen Seins für das göttliche Geheimnis der Erlöserperson. Es werden all meine persönlichen Anlagen dafür ausgenützt, weil es sich nicht um ein bloßes Schauen handelt, sondern vielmehr ein persönliches Erleben mit meinen eigenen gottgeeinten Kräften sein wird und zum Teil schon ist.

 

19.11.19441421

3206 |        Der Gipfelpunkt der Leiden scheint dieser jetzige Zustand: Wo man sein Sein gleichsam auflösen möchte, weil es nicht wert und würdig ist, gelebt zu werden – und dies unter dem Druck des Ungeheuerlichen, das auf diesem Sein lastet, und wegen der Aussichtslosigkeit, dieses Sein durch die persönliche Kraft beherrschen und bewältigen1422 zu können.

 

27.11.1944

3207 |        Gott ist – als göttliches Wesen – die wesenhafte, unbegrenzte Heiligkeit und Vollkommenheit in all seinen göttlichen „Akten“ und Betätigungen. Alles, was nicht er ist oder was „außer ihm“ besteht, kann nur „gut und vollkommen“ sein oder werden durch die „Wirkbeziehung“ mit ihm, d. h., dadurch, dass es in den Wirkbereich Gottes, des Allguten und unbegrenzt Guten, eintritt.

3208 |        Es gibt einen mittelbaren und einen unmittelbaren Wirkbereich Gottes. Der Mittelbare umfasst die ganze (sichtbare) Schöpfung, die durch bestimmte, gottgegebene Grundgesetze dem Wirkbereich des Schöpfers untersteht. Eine wichtige Stellung in dieser sichtbaren Schöpfung nimmt der Mensch ein, der aber zugleich, schon bei seiner Erschaffung, für einen unmittelbaren, übernatürlichen Wirkbereich Gottes bestimmt und darin hineingestellt wurde.

3209 |        Dieser unmittelbare Wirkbereich Gottes umfasste das ganze Wesen des Menschen, das infolge einer besonderen, übernatürlichen geschaffenen Mitteilung des Schöpfers unmittelbar auf Gott bezogen und hingerichtet war. Nichts kann ja mit dem höchsten, unumschränkten, alleinheitlichen Wesen „in Berührung“ kommen, wenn er selbst sich nicht „mitteilt“. Im erstgeschaffenen Zustand betraf diese göttliche Mitteilung das gesamte Wesen des Menschen, dessen ganzes Sein gegenständlich auf Gott und Gottes Wirken bezogen und hingeordnet war. Da der Mensch aber aus vielen „Teilen“ zu einer Einheit zusammengesetzt ist, bedeutete diese Hinbezogenheit auf Gott eine Einbeziehung vieler einzelner1423 Teile und Fähigkeiten, die alle zusammen sich zur einheitlichen und harmonischen Hinordnung auf Gott ergänzen sollten.

3210 |        Für diesen Zweck war im Menschen von grundlegender Bedeutung die „Eigenbestimmungsfähigkeit“, die durch Gottes höchstes Gnadengeschenk mit ihrem ganzen Wesen, aber unter Wahrung der Freiheit, auf Gott hingerichtet war. – Diese Eigen-Bestimmung erstreckte sich auf das ganze Gebiet der verschiedenen Betätigungsmöglichkeiten von Seele und Leib, die dieser Eigenbestimmung unterstanden und durch sie, dank einer gottgeschenkten Gabe, unmittelbar auf Gott hinbezogen und hingeordnet werden konnten. Es war aber Gottes Gabe, die bewirkte, dass die menschliche Eigen-Bestimmung sich „mühelos“, zuständlich, willentlich-bewusst und in einer harmonischen Einheit und Einfachheit bei aller Vielfalt der Anlagen sich ständig auf Gott und Gottes Wirken hinrichten konnte.

3211 |        Trägerin dieser gesamten Betätigungsfähigkeiten und zugleich Trägerin des gesamten Mensch-Seins selbst war die „Person“ als eigenbewusster Selbstantrieb, dem alle Fähigkeiten und Kräfte unterstellt waren. Diese höchste Fähigkeit und Kraft (der Person) besaß in ihrer „Spitze“ eine gottgeschenkte, mit der Erschaffung mitgegebene, übernatürliche „Berührungsfähigkeit mit Gott“ und sie war die willkürliche, bestimmende Leiterin der ihr unterstehenden Kräfte, die ihren Bestand ermöglichten. Infolge des einheitlichen Gesamtwesens des Paradiesesmenschen war eine Folge dieser (durch die Gnade ermöglichten) willkürlichen Hinordnung der Person auf Gott auch eine Folgeleistung aller der Person unterstehenden Fähigkeiten und Kräfte, und das Ergebnis war unmittelbar und ganz auf Gott hinbezogene Tat und Handlung. Die „Person“ als die höchste, befehlende Spitze im Menschen gabt den Ausschlag, indem sie ihre gottgeschaffene Herrschaft ausübte auf die ihr unterstehenden Fähigkeiten, mit deren Hilfe sie erst eine volle Handlung hervorbringen kann. Im ersten Menschen herrschte volle Einheit und Harmonie zwischen der „Spitze“ oder Führung und zwischen dem Gefolge der dienenden Kräfte.

3212 |        Der führenden und sich selbst bestimmenden Personkraft stehen in erster Linie jene Fähigkeiten zur Verfügung, die der Person behilflich sind, das Ziel und den Beweggrund ihres Handelns festzulegen, d. h., die Erkenntniskräfte oder „Lichtspender“ für die Person. Infolge der zuständlichen Hinordnung der Eigenbestimmung auf Gott übten aber auch die Erkenntniskräfte ihren Einfluss und ihre Tätigkeit des „Beleuchtens“ und „Einsehens“ im gleichen Sinne und nur für gute, gottgefällige Taten aus. Der immerwährende Gegenstand ihres Erkennens war das „Wohlgefallen in Gott“ und sie führten diese Erkenntnis ständig der Person selbst – und damit auch den niederen Fähigkeiten des Gesamtmenschen vor. Zugleich mit der Anerkennung dieses Wohlgefallens Gottes durch den Willen folgte dann das „Genießen dieses Wohlgefallens Gottes“, wozu im gleichen Augenblick noch andere, niederer stehende Fähigkeiten und Kräfte herangezogen wurden. In dieser gesetzmäßigen Abwicklung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche im Menschen konnten die niederen Fähigkeiten immerwährend die von der Erkenntnis ihnen vorgeführte Entscheidung der höchsten Spitze „gutheißen“ infolge der Vorzüge1424 und des Genusses, den sie – wie in einem gewissen Vorauserleben – aus der höchsten Entscheidung zogen. So bestand eine volle Ordnung in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen, die alle auf das eine Ziel des Wohlgefallens Gottes hingerichtet waren.

3213 |        Auch Gott gegenüber waren im Menschen jene Fähigkeiten am „nächsten“, die am leichtesten zugänglich waren für seine göttliche Wirksamkeit: Zunächst also die „Person“ selbst, der – als der allgemeinen Zusammenfassung der Kräfte und Fähigkeiten – das Wirken Gottes galt; dann das „Licht“ der Erkenntnis, das den Strebekräften Ziel und Zweck und Weg, den Gemütskräften die Genusswerke und Vorzüge zeigte, und schließlich die zusammenfassende und „vollendende“ Kraft des entscheidenden Willens, durch dessen Entscheidung und Bestimmung es erst zu einem wirklichen Entschluss oder einer inneren Tat kommen kann. Um aber das Erkannte und Beschlossene auszuführen und zu einem vollen „Akt“ zu machen, braucht es – wenn dieser Akt nicht im rein geistigen Bereiche bleiben soll – auch das Mitwirken der niederen Fähigkeiten und der Dienstbarkeit der körperlichen Kräfte, die ja belebt werden durch die höheren und führenden Kräfte der Seele. Der letzte und höchste Entschluss ist immer ein einheitlicher Akt, zu dem die „Zustimmung“ des Gesamtlebens herangezogen wird, weil dieses davon in Mitleidenschaft gezogen wird und die Konsequenzen des Entschlusses zu tragen hat. Auch die feinsten und rein geistigen Entschlüsse treffen in ihrer Auswirkung im Menschen immer das Gesamtleben und damit auch die niederen und körperlichen Kräfte.

3214 |        Der Wirkbereich Gottes im Paradiesesmenschen umschloss das gesamte Menschenleben, weil sowohl die einzelnen Fähigkeiten und Kräfte wie auch ihre einheitliche Zusammenfassung in der persönlichen „Freiheit“ für die Aufnahme der göttlichen Wirkkraft befähigt, darauf hingerichtet, mit einem Worte „gott-fähig“ war. Zudem war der erste Mensch widerspruchslos in sich selbst und leidensunfähig, und zwar wie1425 in einem (durch Gottes Gnade gegebenen) „Naturzustand“.

3215 |        Im gefallenen, aber erlösten Menschen beginnt nun dieser unmittelbare, übernatürliche Wirkbereich Gottes gleichsam „im Kleinen“ oder „teilweise“ mit einem „seinshaften“, kraft der Erlösungsgnade geschenkten Anfang durch die Gnade der hl. Taufe. Infolge der Verdienste des Erlösers schafft sich Gott selbst in der Taufe einen übernatürlichen Wirkbereich in der Seele.

 

29.11.19441426

3216 |        In der Kirche S. Maria sopra Minerva hatte ich folgende Erkenntnis: Der hl. Thomas von Aquin ist am tiefsten von allen Heiligen in den „Gottesbegriff“ eingedrungen. Dieser sein hoher „Gottesbegriff“ war eine besondere Gnade, woraus er seine theologische Lehre geschöpft hat. Er hat die anderen Stufen des mystischen Lebens „Überschlagen“ und wurde rasch zu diesem Gipfelpunkt des geistlichen Lebens hingeführt. – Der „Gottesbegriff“ und die Gotteserkenntnis1427 ist nach meinem Erfahren der Gipfelpunkt der mystischen Gnade.

 

30.11.1944

3217 |        Über das „Priesterwerk“ hatte ich heute dieses vertiefte Wissen: Das Priesterwerk ist ein theologisches Werk, das eingefasst wird in eine Art geistlicher Exerzitien nach ignatianischem Aufbau. Die gesamte Theologie im Geiste des hl. Thomas wird systematisch in geistige Abteilungen geordnet und zusammen mit dem sich daraus ergebenden praktischen Anwendungen vorgelegt. Aus diesen theologisch-praktischen Darlegungen bildet sich eine geistig-religiös-sittliche Schule aufgrund der theologischen Lehre. In entsprechenden Kursen wird die praktische Glaubensvertiefung gelehrt, geübt, nachgeholt.

 

Dezember

07.12.1944

3218 |        Es gibt keinen Dauerzustand mystischer Gnaden ohne eine entsprechende moralische Vollkommenheit der Seele und ohne entsprechende Anforderungen der Gnade Gottes an die betreffende Seele. In der mystischen Gnadenordnung gehen moralische Erhebung, mystische Erlebnisse und neuer Antrieb oder Anleitung zu moralischer Vervollkommnung zusammen. Daher wird auch die sogenannte „Wissenschaft“ niemals zu einer wahren Erklärung des mystischen Gnadenlebens kommen, wenn sie nicht bei ihrer Erklärung von der sittlich-religiösen Grundlage ausgeht.

3219 |        Auch bezüglich der sogenannten „außerordentlichen Begleit-Erscheinungen“ des mystischen Gnadenlebens reicht eine etwaige psychologische Untersuchung allein nicht aus, sondern es kann erst von der Untersuchung der moralisch-religiösen Grundlage aus zur psychologischen Erklärung solcher Zustände geschritten werden. Wenn man diese Erscheinungen ausschließlich vom rein psychologischen Standpunkt aus betrachtet, so bewegt sich die ganze Untersuchung auf einem Fehlweg. Man muss zuerst „die religiöse Ursache“ solcher Begleiterscheinungen, und die moralischen Voraussetzungen in der betreffenden Seele prüfen und sich vor Augen halten, und dann kann man erst zur Untersuchung der „psychologischen Fähigkeiten“ der betreffenden Seele übergehen; denn auch bei den sekundären, psychologischen Begleiterscheinungen des mystischen Gnadenlebens ist die entsprechende sittliche religiöse Grundlage nicht bloß die notwendige Voraussetzung für die Echtheit und Sicherheit, sondern auch der Maßstab für die Höhenstufe der außerordentlichen Erscheinungen und Äußerungen der Mystik – auch wenn diese vielleicht nur im Bereich der Seele selbst bleiben und nicht nach außen bekannt werden. – Gewiss kann Gott eine Seele auch mittels einer außerordentlichen Gnade gleichsam „unvorbereitet“ in ein mystisches Innenleben hineinziehen und dieses mit einer solchen Gnade beginnen lassen, aber jeder besonderer Gnadenruf Gottes beinhaltet immer auch eine besondere moralische Anforderung und bedeutet einen Antrieb und eine Verpflichtung zu sittlicher Vervollkommnung, wenn es zu einer bleibenden mystischen Gnadenbeziehung zwischen Gott und der Seele kommen soll. Der moralische Wert und die moralische Höhe einer Seele ist immer das Entscheidende. – Auch im eigentlichen oder wesentlichen mystischen Gnadenleben hängt jede psychologische Steigerung der mystischen Erlebnisse und Gnaden von einer vorhergehenden, entsprechenden Befähigung für jene psychologischen Äußerungen und Steigerungen ab. Man muss also bei der Prüfung immer auf die religiösen „Ursachen“ der mystischen Erlebnisse eingehen.

3220 |        Nach meinen persönlichen Erfahrungen gibt es – hinsichtlich der vorausgehenden objektiven Vereinigung mit Gott und der besonderen moralisch-psychologischen Befähigung für mystische Vereinigung und mystische Erlebnisse – zwei Arten von Gnaden: Solche, die ein der Seele nur „geschenktes oder geliehenes Gut“ sind, und solche, die auch ein von der Seele in gewissem Sinne „erworbenes Gut“ sind, (d. h., „erworben“ durch Mitarbeit mit den vorausgehenden, vorbereitenden Gnaden1428, sodass ein gewisses, übernatürliches, „organisches“ Wachsen der Seele stattfand, während die geliehenen oder geschenkten Gnaden eine plötzliche Veränderung in der Seele hervorbringen, die jedoch nicht in gleicher Weise durch die Fähigkeiten und Gewohnheiten der Seele assimiliert noch in gleicher Weise in ihnen befestigt ist)1429.

3221 |        Gott kann – wie im erstgenannten Falle von Gnaden – in seiner göttlich freien Gnadenwahl eine Seele auch ohne längere Vorbereitung, und wie in einer raschen und gleichsam gewaltsamen Umwälzung in außergewöhnliche, mystische Geschehnisse hineinziehen. Beweise hierfür sind zahlreiche außerordentliche Bekehrungen und Berufe, in denen zugleich mit der besonderen Gnade auch ein geistiges Ziel einer sittlichen Vervollkommnung und Vereinigung mit Gott aufleuchtet, dem die Seele zustreben soll und wozu ihr die weitere Gnade in Aussicht gestellt wird. – So gibt es auch „mystische Gnadenrufe“, die mit außergewöhnlichen, inneren Erlebnissen anfangen, ohne dass die moralische Voraussetzung und die Vereinigung mit Gott schon vorhanden wäre, die nach der gewöhnlichen, „normalen“ Ordnung der mystischen Gnaden für solche mystische Gnaden erforderlich sind. – Aber auch bei solchen gleichsam „unvorbereiteten“ Gnadenrufen ist das Bezeichnende und Entscheidende darin, dass zugleich mit der besonderen Gnade die moralisch-psychologische Bereitung für die Entgegennahme weiterer Gnaden (d. h., also der Aufbau der wesentlichen, objektiven Vereinigung mit Gott) beginnt. Echte, übernatürliche Gnadenrufe verlangen immer eine entsprechende, moralische Umkehr und Einkehr der Seele, um dem Gnadenrufe zu entsprechen. Auch nach einer solchen, der Seele gleichsam unvorbereitet „geliehenen“ oder geschenkten Gnade richtet sich der weitere Verlauf, und die weitere Ordnung der Gnaden nach der persönlichen, moralisch-religiösen Mitarbeit der betreffenden Seele. Diese Mitarbeit ist die Voraussetzung dafür, dass die außergewöhnlichen Erscheinungen wirklich Übernatürliche, also göttliche Gnaden bleiben, und sie ist zugleich das Kennzeichen für die Übernatürlichkeit des Gnadenrufes (– die geistige Gesundheit der Seele vorausgesetzt).

3222 |        Der Wert der außergewöhnlichen Gnaden bemisst sich für die betreffende Seele selbst immer nur nach dem Grade der Vereinigung mit Gott, der damit verbunden ist, nicht nach dem Grade des Außergewöhnlichen, in dem sich die Seele dabei1430 befindet. Dabei können aber – und werden auch meist- die mit den außergewöhnlichen Geschehnissen verbundenen Leiden und Forderungen der Seele, ähnlich wie die „gewöhnlichen“ passiven Läuterungen, zugleich mit vielen Verdiensten zu einer fortschreitenden, „erworbenen“ Vereinigung mit Gott führen. Diese Leiden bringen also gleichsam erst „nachträglich“ oder auch begleitend einen nach der gewöhnlichen mystischen Gnadenordnung den besonderen Gnadengaben entsprechenden Vereinigungsstand hervor. – Der eigentliche Maßstab für den wahren „Wert“ und die moralische Höhe einer Seele bleibt immer ihre erworbene Vereinigung mit Gott. Es gibt darum keine dauernde Gnadengabe, die nicht gestützt und getragen wäre von einer entsprechenden – vorausgegangenen1431 oder wenigstens nachfolgenden, d. h., entweder schon erworbenen oder wenigstens durch treue Mitarbeit zur erwerbenden Vereinigung mit Gott. Der persönliche Wert dieser „geschenkten“ Gnadengaben für die einzelne Seele ist daher nur zu beurteilen nach dem wesentlichen, mystischen Gnadenleben, auch wenn Gott vielleicht durch diese Gnadengaben nach außen Größeres bewirken will und bewirkt, als an sich der „normalen“ mystischen Gnadenordnung entspricht. Meist hat Gott mit solch plötzlich auftretenden Gnadengaben außerordentliche Absichten, während andere Seelen, die vielleicht eine höhere wesentliche erworbene Vereinigung mit Gott haben, von Gott eine vor der Welt verborgene (aber in sich größere) Aufgabe erhalten haben.

3223 |        Ein Beispiel einer besonderen Art von „geliehenen Gnaden“ (der Ausdruck wurde mir für diesen Fall innerlich gegeben) wurde mir gezeigt in dem Seelenleben einer heute viel genannten Stigmatisierten (Theres Neumann von Konnersreuth). Ich schaute (schon vor Jahren) in ihrer Seele die außerordentlichen Erscheinungen als „geliehene Gnaden“; denn sie hatte noch nicht die an sich für solche Gnadengaben gebührende Vereinigung mit Gott und moralische Reinheit erreicht; sie bekam zugleich mit diesen Gnadengaben eine gewisse allgemeine seelische Disposition, um weiter mit diesen außergewöhnlichen Gnadengaben mitwirken zu können. In ihrem Fall – so wurde mir erklärt – würden die an sich für ihre Seele notwendigen Läuterungen „nachgeholt“ werden und damit werde gleichsam der Grad der Vereinigung ersetzt, der an sich für jene außerordentlichen Erlebnisse erforderlich sind. – Als eine gewisse entferntere Vorbereitung und Voraussetzung für die Gnade der Stigmata bei Th. Neumann erkannte ich ihre vorausgehenden großen physischen Leiden, die sie zu einer gewissen moralisch-psychologischen Befähigung für jene außergewöhnlichen Erscheinungen führten, und wodurch sie sich die Befähigung zu einem gewissem, schauenden „Mitleiden mit Christus“ erwarb.

3224 |        Die Befähigung für die Gnade der Stigmatisation setzt an sich – d. h., nach der „normalen“ Ordnung der mystischen Gnaden – eine so erhabene und hohe wesentliche oder objektive Vereinigung mit Christus als gebührend1432 voraus, dass wohl nur ganz wenige solcher begnadeter, d. h. stigmatisierter Seelen diesen Grad der Vereinigung schon vor ihrer Stigmatisation „erworben“ haben; deshalb sind die Stigmata für sie ein „geliehenes oder geschenktes“, nicht ein miterworbenes Gut. Wohl als Erster hat die entsprechende Befähigung – durch großmütige und treue Mitarbeit mit der Gnade – der hl. Franz von Assisi „erworben“, in dessen Seele ich eine ganz außergewöhnliche, „erworbene“ Gleichförmigkeit und Vereinigung mit dem Heiland sah, durch die er für die Gnade der Stigmata „befähigt“ wurde. (Selbstverständlich bleiben all diese „Befähigungen“ im Grunde selbst immer Gnaden Gottes.) Für die meisten der in dieser Art begnadeten Seelen oder Stigmatisierten besteht der innere Geistesweg darin, dass sie sich die ihnen geschenkten und für sie nun „flüssig gewordenen“ Gnaden „persönlich“ aneignen und durch Mitwirken und persönliches Eingehen auf diese Gnaden erst die dafür geziemende und entsprechende moralisch-psychologische Befähigung und Vereinigung mit Gott voll erwerben, eine Vereinigung also, die mit den geschenkten Gaben Schritt1433 halten kann. Wenn dieses Schritthalten nicht vorhanden ist, besteht beständig die Gefahr der Täuschung auch bei echten Gnadengaben.

3225 |        Ich schaute in verschiedenen stigmatisierten Seelen solche „geliehene“ Gnaden bei einer mehr oder weniger hohen, wesentlichen Vereinigung mit Gott. Der Grad der Vereinigung und Tugend bei Th. Neumann zum Beispiel im Augenblick der Stigmatisation war nicht zu vergleichen mit dem des hl. Franziskus, dessen Stigmata eine Auswirkung und gleichsam Folge seiner Gleichförmigkeit mit dem Gekreuzigten waren. Seine erworbene Vereinigung mit Christus wirkte sich in dieser besonderen Anteilnahme an ihm aus, während in anderen Fällen die Stigmata als „geliehene Gnaden“ sich zunächst auf der Stufe des schauenden Mitleidens mit Christus bewegen, aber auch dazu beitragen, dass – infolge der damit gegebenen Leiden und der eigenen Mitarbeit – die hierfür angebrachte persönliche Stellung zu Christus oder die Vereinigung mit ihm und die entsprechende moralisch-psychologische Befähigung gleichsam „nachgeholt“ oder nachträglich voll erworben werde. Gott kann auch mit solchen plötzlich und gleichsam unvorbereiteten auftretenden Gnadengaben Großes wirken, vorausgesetzt, dass eine gewisse allgemeine moralisch-religiöse Disposition und Bereitschaft in der Seele vorhanden ist, und dass die Seele ständig mittätig ist im Sinne ihrer weiteren religiös-sittlichen Vervollkommnung; so bekommt sie erst in ständigem inneren Wachstum den vollen persönlichen Anteil und die persönliche Frucht der durch Gottes besonderes Wirken ihr zunächst „geschenkten“ und in ihr schon tätigen Gnadengabe.

3226 |        Die Erwerbung der vollen moralisch-psychologischen Befähigung für die Gnade der Stigmatisation z. B. und das Erreichen des ihr entsprechenden Grades der erworbenen Vereinigung würde auf dem gewöhnlichen Wege des mystischen Gnaden- und Seelenlebens eine lange Zeitspanne beanspruchen. Die Gnade der Stigmatisation verlangt nämlich – als Voraussetzung oder wenigsten als Frucht und Folge, wenn sie dauernd sein soll – einen ganz außergewöhnlich hohen Grad der Vereinigung mit Gott und eine ganz große moralisch-psychologische Gleichförmigkeit mit Christus, um in dieser Art an ihm teilnehmen zu können. Die höheren Seelenfähigkeiten wenigstens müssen in unveränderlicher, objektiver Weise mit Christus vereint und dadurch das Gesamt-Menschsein in dieser Richtung geordnet und geführt sein.

3227 |        Im Grunde gibt es aber immer nur einen Weg, der uns in die Nähe und schließlich zur Vereinigung mit Gott führt: die Überwindung unseres gefallenen Zustandes, wodurch wir uns – mittels der damit möglichen und verbundenen Annäherung und Vereinigung mit Gott – seine Gnade dauernd „fließend machen“ können.

 

08.12.1944

(Fortsetzung)

3228 |        Der „Akt der Stigmatisation“ ist ein Zusammenwirken Christi und der betreffenden Seele. Dieser Akt kommt daher niemals zustande ohne eine entsprechende Bereitschaft der Seele für die Leiden, die mit der Gnade der Stigmatisation verbunden sind. Darum ist Voraussetzung auch eine entsprechende, weit über das gewöhnliche Maß hinausgehende Leidensfähigkeit der Seele; und es ist Tatsache, dass nur solche Seelen diese Gnade erhalten, die mehr als das durchschnittliche Maß an Leiden aller Art empfunden und ertragen haben. – Es muss aber eine „dauernde Leidensbereitschaft“ vorhanden sein, die auf einer tief religiös-moralischen Grundlage und auf einer gewissen Gleich-Förmigkeit mit den Gesinnungen Christi beruht, die zugleich Voraussetzung für den Akt der Stigmatisation ist. Neben der Leidensbereitschaft und Leidensfähigkeit ist darum auch eine entsprechende sittliche Grundlage und eine gewisse allgemeine Tugendhaftigkeit in der Seele notwendig, wodurch diese Leidensbereitschaft getragen und gestützt wird und wodurch sich der Gnade Christi ein entsprechender Wirkbereich in der Seele eröffnet.

3229 |        Die Stigmatisation selbst besteht darin, dass wesentliche Leiden Jesu mittels eines göttlichen Aktes auf die Seele übertragen werden und mittels der Seele sich auswirken auf den Leib. (Ich habe diesen Akt der Stigmatisation selbst verschiedene Male geistig erlebt). In erster Linie ist es die Seele, die als aufnehmendes Werkzeug in die Leiden des Erlösers hineingezogen wird; durch die göttliche Wirkkraft und durch die Bereitschaft und Teilnahmefähigkeit der Seele wirkt dann das geistig Aufgenommene weiter und überträgt sich auf den von der Seele belebten Leib. Dabei wird die betreffende Person durch übernatürliche, einströmende Kräfte in einen übersinnlichen Zustand erhoben, dessen sie sich im Einzelnen selbst nicht bewusst wird. – Nach meinem inneren Erkennen verhält es sich beim Akt der Stigmatisation ähnlich wie beim Fotografieren, wobei die Seele mit der Linse zu vergleichen wäre, der Leib mit der fotografischen Platte. Nur handelt es sich bei der Stigmatisation nicht um ein totes Bild (wie bei der Fotografie), sondern um ein lebendiges fortwirkendes Objekt, das sich ständig zu wiederholen pflegt, weil die göttliche Kraft weiterwirkt und zugleich gewisse Veränderungen und Umwandlungen in der betreffenden Seele hervorruft.

3230 |        Die „persönliche Teilnahme“ der stigmatisierten Seele kann verschieden sein und richtet sich nach der persönlichen, geistigen Teilnahmefähigkeit, wobei auch das persönliche Wollen mitspricht. Eine gewisse Leidensbereitschaft und ein persönliches, auf die Anteilnahme an Christi Leiden gerichtetes Wollen ist für gewöhnlich schon Voraussetzung für die Aufnahme des Aktes der Stigmatisation und vor allem dafür, dass die Übertragung des geistig Aufgenommenen auf die physische Natur erfolgen kann. Es muss neben einer gewissen allgemeinen seelischen Disposition des Mitleidens auch eine besondere Feinheit und Feinfühligkeit der Wechselwirkungen zwischen Seele und Leib vorhanden sein, wodurch die Stigmatisation ermöglicht oder wenigstens begünstigt wird. Diese über das gewöhnliche Maß hinausgehende Feinheit und Tiefe der Wechselwirkungen zwischen Seele und Leib und damit die leichtere Übertragfähigkeit der geistigen Erlebnisse auf den Leib wird hervorgerufen durch verschiedene Leiden seelischer und körperlicher Art. Die Leiden bilden ja, ihrer Natur nach, eine intensivere und vollkommenere Wechselwirkung zwischen Seele und Leib aus, und ein ganz gesunder Mensch mit leichtem Sinn hat kaum eine Ahnung davon, welche Anforderungen längere und schwere körperliche Leiden an die geistige Kraft der Seele stellen und wie umgekehrt geistige Leiden auch die physischen Kräfte1434 in Mitleidenschaft ziehen. Es entwickelt sich durch die Leiden eine viel feinere Durchdringung und Durchlebung der beiden Elemente und damit erhöht sich die Intensität der gegenseitigen Wechselbeziehung und die Fähigkeit, bedrückende Einwirkungen auf den anderen Teil der menschlichen Natur zu übertragen oder sich auswirken zu lassen. So wird durch Leiden in den von Gott nach freiem Belieben erwählten Personen eine gewisse seelisch-leibliche Disposition geschaffen, die den übernatürlichen Akt der Stigmatisation, bzw. die Übernahme dieses göttlichen Aktes „möglich macht“.

3231 |        Wie im gewöhnlichen Gnadenleben, so ist auch bei solchen außerordentlichen Gnadengaben immer die Seele das vermittelnde und zuerst tätige Prinzip zwischen Gott und dem Menschen. Für gewöhnlich bereitet Gott eine solche von ihm erwählte Seele auch durch eine entsprechende Verinnerlichung auf die Absichten Jesu vor. Das gesamte Innenleben solcher Seelen geht darum – sei es unbewusst, sei es bewusst – in dieser Geisteslinie, wodurch die geziemenden seelischen Voraussetzungen für den kommenden tatsächlichen Gnadenakt geschaffen werden. Gott zerbricht oder überschreitet für gewöhnlich nicht die Schranken und Gesetze der Natur, sondern er bereitet sein Gnadenwirken vor durch angemessene Veranlagungen, Bedingungen und Bereitungen in der Natur des begnadeten Menschen. –

 

Einiges aus meinem privaten Tagebuch

September

21.09.1944

3232 |        Mir scheint es der Wille Gottes, für die Ungetauften besonders zu beten, dass sich ihnen Gott in unmittelbarer Weise zu erkennen gebe, damit ihre Seelen mittels dieser geistigen Erkenntnis gerettet werden. Durch die Erlösung Christi sind alle Menschen „rettungsfähig“ geworden, weil Christus für alle gestorben ist. Seine Barmherzigkeit will alle Seelen erfassen, und mir scheint, Christus will ein besonderes Apostolat des Gebetes, dass allen1435 Ungetauften, allen1436 außerhalb des lebendigen Leibes der Kirche Stehenden, eine „unmittelbare Gotteserkenntnis“ zuteilwerde.

 

November

07.11.1944

3233 |        Wie glücklich war der hl. Joseph in seiner Verborgenheit! Er ist wirklich der Heilige der Verborgenheit und Demut. Dessen bin ich heute in der Kapelle M. della Strada in der Kirche AL GESU so recht innegeworden. Das Einzige, was ich persönlich noch will, ist dies: Noch größere Verborgenheit und Demut! Der demütige und verborgene hl. Joseph soll in diesen Tugenden mein besonderer Führer und mein Vorbild sein. – Diese Erkenntnis über den hl. Joseph hat gleichsam1437 eine Leidenschaft nach Demut und Verborgenheit in mir erweckt; aber wie leide ich zugleich unter meiner geistigen Aufgabe, infolge derer ich „anderen“ Verschiedenes mitteilen muss, weil davon die Absichten Jesu abhängen? Am liebsten möchte ich, menschlich gesehen, alles abschütteln. Aber der hl. Joseph war bei all seiner Verborgenheit und Demut auch der Hüter und Pflegevater des Jesuskindes.

3234 |        Die Demut ist meine „Braut“; die Verborgenheit soll für immer meine Brautführerin sein. Alle außerordentlichen1438 Gnaden widerstreben mir, aber die Demut zieht mich an.

 

17.11.1944

3235 |        Heute erhielt ich in der Kirche der hl. Magdalena eine besondere Gnade der Selbsterkenntnis: Der innere Schmerz über meine bösen Anlagen ist unaussprechlich: „Wer wird mich befreien vom Leibe dieses Todes – von den Anlagen der Finsternis?“ – Wie hässlich bin ich in den Augen des allerreinsten Gottes, beleuchtet vom Lichte seiner göttlichen Heiligkeit! – Obwohl mich aber ein tiefer Ekel gegen mich selbst erfüllt, so bringt mir dies doch zugleich die tiefste Befriedigung, weil mir damit die Wahrheit gezeigt wird!

 

26.11.1944

3236 |        Kein irdisches Leiden ist mit den geistig-mystischen Leiden zu vergleichen. Ich habe alle möglichen Leiden erfahren: Habe mit sechs Jahren meinen Vater verloren, habe durch meine angeborene Schüchternheit, durch falsche Behandlung, Verkennung usw. schon als Kind Unsägliches gelitten; habe von Kindheit an einem Berufe zugestrebt, dessen Ziel mir verschlossen blieb; habe meinen Bruder im Kriege verloren; war 15 Jahre krank und dabei mehrere Jahre zwischen Leben und Tod und fast ganz arbeitsunfähig. Ich war zeitlebens „zwischen“ den Spannungen unter meinen Geschwistern und habe auch dadurch Schweres gelitten. Ich habe die Heimat verlassen, um in ein Kloster einzutreten, und musste zweimal wieder heimkehren – mit all den Verdemütigungen, die das mit sich bringt. Ich habe dann schließlich auf besonderen Ruf des Heilandes meine Mutter und Familie und Heimat und Vaterland verlassen. – Aber alle solche Leiden sind nur gering im Vergleich zu den inneren, geistigen Leiden der passiven Läuterungen, wie ich sie – ich muss sagen: Schon jahrzehntelang – erfahre. Es handelt sich dabei um geistige Leiden, die Gott selbst entfacht und die deshalb an Schwere und Tiefe alle irdischen Leiden überbieten. – Ich habe auch die furchtbaren Leiden der „Umsessenheit“ (wie sie Dr. List, mein damaliger Seelenführer, nannte) durchgelitten, wobei es mir schien, als habe ich nicht nur einen T. [sic! Teufel!] in mir, sondern als lebe ich in der Gesellschaft der bösen Geister der Hölle; da meint man, vor inneren Schmerz „wütend“ zu werden, „wütend auf Gott und auf die Menschen“. Man ist wie von Furien getrieben und verliert sich in gewissem Sinne aus der Gewalt. Nichts scheint einem sicherer als die Hölle, in die man schon geworfen scheint.

3237 |        Und jetzt, nach so vielen Jahren, muss ich sagen: Diese Leiden steigern sich immer noch, entsprechend der Vereinigung mit Gott, zu der ich geführt werde. Nichts scheint mir in solchen Leiden „unmöglicher“ als dass ich in den Himmel komme. Gott kann mich aber, um mich vor der Hölle zu retten, in das Nichts auflösen, aus dem ich gekommen bin. So ist ein lebendiges Gericht Gottes in mir, dem ich unausweichlich und unbarmherzig ausgeliefert bin.

3238 |        Und doch ist „Leiden“ mein einziger Trost. Wenn mir zu Zeiten etwas „leichter“ ist, so ist mir gleich wieder „leid“ um die früheren Leiden. Nur durch Leiden, durch übergroße Leiden, kann ich Barmherzigkeit von Gott erwarten. Erbarmen kann ich nur erhoffen durch das Kreuz, an das ich geheftet bin, und nur dadurch, dass ich zeit meines Lebens und bis zum letzten Atemzug1439 „gekreuzigt“ bin. – Aber ich bin glücklich dabei und wünsche es mir nicht anders.

 

Dezember

03.12.1944

3239 |        Die letzten Tage waren überaus schwer. Es war ein unaussprechlicher Widerspruch in mir gegen die erlittenen Ungerechtigkeiten vonseiten … [sic!] – Diese geistigen Leiden legten sich auch stark auf das Physische, dass ich meinte, das Herz müsse mir vor Schmerz zerspringen. – Heute bin ich schon ruhiger und indifferenter, bin mir selbst zu Zeiten ganz enthoben. Doch sind die Leiden noch recht drückend.

 

11.12.1944

3240 |        Ich befinde mich in einem andauernden „bewussten Akt des (inneren) Sterbens“. Ich winde mich geistig ständig wie in Todesschmerzen, für die es keinen Ausdruck gibt. In diesen Todesschmerzen ist aber zugleich schon in etwa die Art des „neuen Lebens“ enthalten. Mit dem Tode des Eigenen lebe ich in etwa schon die Art des neuen Lebens. So ist in diesen Leiden zugleich „Sterben und Auferstehung“.

 

14.12.1944

3241 |        Leiden und wieder Leiden, das ist mein Tagewerk; mit eigenen Kräften, d. h., ohne eine besondere geistige Unterstützung könnte ich nicht mehr leben. Aber mit dem1440 Leiden wächst auch die Bereitschaft, und das Verlangen zu leiden, wenn sich auch zwischen hinein ein grausiger Widerspruch einstellt wegen der scheinbaren Nutzlosigkeit all der Leiden. Ich will aber dennoch immer leiden, auch wenn ich keinen Erfolg sehe, und auch wenn es für mich keinen Himmel gäbe, sondern wenn nur die Auflösung meines Seins das Ende meines Leidens und Lebens wäre. Ich will auch verkannt sein, selbst von den Nächststehenden; ich will keine Anerkennung und keinen Trost; ich will vielmehr alles Leiden, rein nur um Gottes wegen und in der verborgensten Weise. –

3242 |        Dann erst kommt man zum wahren Frieden, wenn die Losschälung „immer und unter allen Umständen“ diesen Grad erreicht hat. Die wahre Größe und Kraft einer Tugend zeigt sich erst im Umfang und Ausmaß der Anforderungen und Anwendungen, die an sie gestellt werden. So besteht ein großer Unterschied zwischen Tugend und sittlicher Vollkommenheit.

 

15.12.1944

3243 |        Ich verlange und will nichts anderes als „Jesus den Gekreuzigten“. Er hat am Kreuze die Hölle besiegt. – Es wird auch in diesem Kampfe kein anderes Mittel der Verteidigung und keine andere Waffe des Sieges geben als das Kreuz.

 

20.12.1944

3244 |        In diesen Tagen befinde ich mich in ganz außergewöhnlich schweren Leiden. Es vollzieht sich in schmerzhafter Weise eine psychologische Umstellung in mir, nämlich eine „Zerstörung und Auflösung meines persönlichen Seins als persönliches Erleben“. – Mitten in diesen Leiden werde ich gleichsam immer wieder „gefragt“ ob ich bereit sei für eine vollständige Ausschaltung des eigenen Selbsterlebens, um an dessen Stelle das „Erleben Jesu“ sich in mir1441 bilden zu lassen – und dies als Preis und Bestätigung für das göttlich-gewollte1442 Priesterwerk. – Ja, ich möchte schon bereit sein – und tausendmal, wenn ich tausend Leben an Gott zu verschenken hätte – aber wird Gott auch wirklich dieses, mein armseliges vernichtetes Leben annehmen wollen, das elendeste Leben, wie mir scheint, dass je gelebt wurde? Wird er es annehmen wollen für das Große, das Jesus mit dem Priesterwerk für die Gesamtkirche vorhat?1443 Wird dieses arme Leben mit all seinen Leiden nicht zu gering sein für so „Großes“? – So schwanke ich zwischen bereitem Wollen und zwischen der Furcht vor meiner Armseligkeit, die mir in erschreckender Weise vor Augen gestellt wird. Nicht die Leiden schrecken mich ab, die an diese Gesamthingabe geknüpft sein werden – ich bin im Voraus bereit, alles zu leiden – was mich noch zaudern lässt, sind 1. quälende und beschämende Zweifel, ob der Heiland auch „getreu“ sein und das menschlich „Unmögliche“ wahr machen wird, also zu geringer Glaube an Gottes Allmacht und Treue. – 2. Das größte Hindernis scheint mir die Furcht, „getäuscht zu werden“ und andere, gut meinende Seelen in die Täuschungen mit hineinzuziehen. – 3. Im Anblick meiner Armut scheint es mir unmöglich, dass er wirklich mich als Werkzeug für seine Absichten benützen will in einer so weittragenden Weise. – 4. Ich spüre, wie ich noch mit zähen, unnennbaren Fäden am „eigenen Leben hänge“, weil es für den Menschen wie ein Naturgesetz ist: sich selbst zu erleben und zu bestimmen, die persönlichen Erträge seines Seins zu erleben und sich darin zu bewegen; auch wenn diese vor dem hl. Wesen Gottes abstoßend sind, so hängt der Mensch doch daran, weil sie eben von ihm persönlich bestimmt sind. – Nun soll ich in dieser – tief von mir erfassten, aber für andere nicht in Worten zu erklärenden – vollkommenen Hingabe auf jede persönliche Richtungsgebung verzichten und die Konsequenzen auf mich nehmen, die so tief gehend sind und doch wieder menschlich so „unsicher“ scheinen. Wird nicht das Ende Täuschung, Zusammenbruch, ein Nichts sein, wenn ich mich in ein menschlich so unmöglich und unsicher scheinendes Wagnis einlasse? – Aber anderseits sind die Forderungen der Gnade so klar – so große Beweise hat mir der Heiland schon gegeben – so tief bin ich in das Geheimnis Christi schon eingeführt worden – und es wäre wirklich nicht schade, wenn so ein armes Leben wie das meine für seine göttlichen Absichten1444 und Interessen aufgezehrt und dafür schließlich auch vernichtet würde.

3245 |        Zugleich bin ich aber im Voraus auch in die letzten Konsequenzen und Auswirkungen dieser Hinopferung hineingestellt, die aber für andere unaussprechlich sind. Mein Wille ist wohl bereit, aber der Wille allein genügt nicht, weil mein Gesamtleben die Folgen dieser Bereitschaft des Willens zu tragen haben wird bei der Ausführung dieser Hingabe – im Opfer selbst.

 

21.12.1944

3246 |        Nach der hl. Kommunion (in St. Peter) war ich heute in einem Augenblick in die Fähigkeit versetzt, mich dem Heiland ganz in der von ihm für mich geforderten Weise zu opfern: „Ja, ich bin bereit und will – und wenn ich 1000 Leben zu verschenken hätte, so würde ich sie dir ohne Vorbehalt zur Verfügung stellen. – Ich will ein Gesamt-Opfer sein für dich und deine Absichten, und zwar mit allen Konsequenzen, die ich allein nur weiß und die ich niemanden aussprechen kann: Du an meiner Stelle! Dein Leben, gelebt und erlebt mit meinen Kräften! Vollkommenes Aufgeben des Eigenen und dafür Annehmen des Deinigen! Vollständige Umstellung meines persönlichen Erlebens und Umwandlung in das Erleben deiner!

3247 |        Es gibt zwar kein Wort dafür, aber ich weiß es, wie weit und tief du mich für deinen Gebrauch anforderst, und entsprechend diesem Wissen deiner Absichten und deines Willens bin ich bereit als Ganzopfer für alles, bis zur letzten Selbsthinopferung.

3248 |        Ich bin dazu bereit, einzig deinetwegen und deines hl. Willens wegen, nicht um damit den 'Beweis des Priesterwerkes' zu erhalten, auch nicht um der Gnade des Erlebens deines Erlöserlebens willen; nein, ich gebe mich dir 'um nichts', was mich betrifft, sondern einzig um1445 deinetwillen, weil du mein Gott bist, dem allein ich ganz gehöre, und nur weil ich dich damit als meinen Gott anerkennen und ehren will.

3249 |        Nimm mich, O Herr, so wie du mich haben willst, und bilde mich so, wie du mich gebrauchen kannst. Forme mich um in dich, dass du in mir – nach deinen Absichten – leben kannst. Alles nur, damit du durch meine freiwillige Anerkennung deines göttlichen, unumschränkten Rechtes über mich verherrlicht werdest!“

3250 |        Ich stelle diese1446 heutige Hingabe unter dem besonderen Schutz des hl. Apostels Thomas, nicht bloß weil heute sein Fest ist, sondern weil ich ihm ähnlich bin in meiner Zweifelsucht und Untreue und meinem geringen Glauben an Jesu göttliche Allmacht und Treue. Mit ihm will ich Jesus anerkennen als meinen „Herrn und Gott“. –

3251 |        Als ich dann noch Maria – an ihrem Altare in St. Peter – dankte für die Fähigkeit zu dieser meiner heutigen Aufopferung, da hatte ich die Erkenntnis: Von ihr (d. h., von Maria) bin ich dazu befähigt worden.

3252 |        Ich bin nun in großem Frieden und bin bereit für alles1447, mich vollkommen aufzugeben und vollends einzugehen in „ihn“ mit allen Konsequenzen seines Lebens in mir, um ihn zu erleiden und zu erleben. – In dieser Aufopferung liegt die letzte „Zerstörung meiner persönlich erlebten Existenz“ und das Eingehen in ihn und das Erleben seiner. – Der Herr tut aber nichts ohne die Zustimmung der Seele zu seinem göttlichen Willen. Er will ein freiwilliges Opfer haben.

3253 |        Nur er – nicht ich! – Und nicht wegen der Hölle, noch um des Himmels willen und auch nicht um einer besonderen Gnade wegen, sondern einzig nur seinetwegen! –

 

22.12.1944

3254 |        Im Hinblick auf das geistige Endziel, das vor meinem inneren Wissen steht, drängt sich mir wiederholt die Frage auf: Wie ist es möglich, dass ich von meinem jetzigen Geisteszustand zu jenem klar erfassten, aber ganz unerreichbar scheinenden Endziel hinübergelangen werde? – Es ist mir, als müssten da zwei durch einen Abgrund voreinander1448 getrennte Berge „sich miteinander verbinden“; – Ich schaute aber auch das Bild meines Innenlebens, einen winterlich dürren und wie „leblosen Baumstamm“, der dann zu seiner Zeit eine Krone voll duftender Blüten trägt, kraft der geheimnisvollen Gesetze des organischen Wachsens.

 

25.12.1944

Weihnachtsfest

3255 |        Heute Morgen bin ich in ganz wunderbarer Weise in das Geheimnis des Innenlebens Mariens eingeführt worden, und zwar in Fortführung der früheren Erkenntnisse und Erlebnisse über das Geheimnis1449 Mariens, die zum Verständnis hier nochmals aufgegriffen werden müssten.

3256 |        Mariens Innenleben, bzw. ihr seelischer Fortschritt war ein Vollkommenheitszustand, der beständig wuchs auf dem Wege des Glaubens, wenn ihr auch – zugleich mit ihrer Sündenlosigkeit – eine gewisse unmittelbare Gotteserkenntnis eigen war. Diese ihre unmittelbare Gotteserkenntnis wuchs mit der wachsenden Fülle ihrer „erworbenen“ und immer mehr fortschreitenden Gottvereinigung. – Im Augenblick ihrer Erhebung zur Gottes-Mutter-Würde bei der „Verkündigung“ wurde Maria in der „objektiven Einigung“ mit Gott durch den hl. Geist befestigt. Es war dies eine letzte Besiegelung (durch den hl. Geist) in der objektiven Einigung mit Gott vermittels einer besonderen Befestigungsgnade; diese Gnade bedeutete für Sie eine Erhöhung der schon mit ihrer Unbefleckten Empfängnis gegebenen und in ihrer Art damals schon vollkommenen „unwandelbaren Einheit mit Gott“ (als dauernde Möglichkeit, aber noch nicht „befestigt“ in der dauernden Ausübung dieser Einheit). Durch diese Besiegelung des Gesamtlebens Mariens durch den Heiligen Geist bei der Verkündigung wurde Maria – soweit dies durch die Gnade bei einem Geschöpfe möglich ist – „wesentlich unsündlich“, insofern nämlich in ihr die Gnade und das Leben Gottes derart das Übergewicht hatte, dass bei ihr eine Sünde nunmehr ganz ausgeschlossen war – selbstverständlich nicht in dem Sinne, wie Gott allein „wesentlich unsündlich“ ist. Diese außerordentliche Gnade wurde Maria im Hinblick auf ihre göttliche Mutterschaft und wegen ihrer persönlichen Einbeziehung in das Erlösungswerk zuteil.

3257 |        Mit der Aufnahme des göttlichen Wortes in ihr leibliches Leben wurde Maria „persönlich mitwirkend“ am Erlösungswerk – nicht in dem Sinne, als ob sie die Erlösung selbst bewirkt oder mitbewirkt hätte, sondern insofern sie das notwendige Mittel dazu, nämlich den Leib Jesu, bot. Wir sind ja in erster Linie durch die göttliche Person des Erlösers, als den göttlichen Faktor erlöst worden; aber diesem göttlichen Faktor der Erlösung diente der Leib Jesu als notwendiges Mittel.

3258 |        Infolge der Befestigung und Besiegelung der objektiven, ausgeübten Einheit Mariens mit Gott (– die weiter unten, in der „Ergänzung“ weiter erklärt wird –) konnte das Wort Gottes in jener Fülle sich ihr mitteilen und in ihr leben, wie es eine leibliche Menschwerdung des Wortes im Einklang mit den menschlichen Natur- und Lebensgesetzen als notwendig oder wenigstens geziemend verlangte. Gewiss konnte Maria – trotz der Gottesfülle, von der sie durchlebt war, der göttlichen Person selbst nichts bieten. Aber da sie persönlich das göttliche Wesen der Person des Wortes in sich trug, bekam sie wie „naturgemäß“ einen solchen „Anteil“ an ihm, dass sozusagen ihr Wesen in einem gewissen Sinne in das Wesen ihres göttlichen Sohnes hineingenommen wurde und dass sie bis an ihr Lebensende in objektiver Einigung mit dem göttlichen Wesen ihres Sohnes, mit seinem Denken, Wollen, Liebe1450, Streben, Tun und Leiden verblieb. Diese schon mit ihrer Erschaffung als Anlage gegebene und vorbereitete „Fähigkeit für Gott“, die durch die eigene Übung und Bemühung ständig wuchs, wurde dann im Augenblick der Verkündigung durch den Hl. Geist zu jener Fülle gesteigert, die der Engel Gabriel mit den Worten ausdrückte: Du bist voll der Gnade – die Fülle Gottes ist in dir; der Herr ist mit dir – in objektiver, auch in der Ausübung unwandelbarer Einigung mit ihm. (– In wunderbarer, feiner Unterscheidung habe ich die Bedeutung dieser „Fülle“ der Gnade Gottes in Maria erfasst, so, wie man sonst etwa den Unterschied von zwei und fünf und sieben usw. erkennt. –)

3259 |        Maria hat, zu der bei der Erschaffung ihr schon geschenkten geistigen Fülle, noch viel Höheres und Wertvolleres hinzuerworben: Mit der Unbefleckten Empfängnis war ihr zwar die Befähigung für dieses Erwerben als Gnade geschenkt worden – wie die Möglichkeit oder Befähigung auch den ersten Menschen geschenkt war, – aber damit war noch nicht die letzte Befestigung in der Ausübung gegeben. Der Anfangszustand in Maria war wohl eine seinshafte Dauerbefähigung, aber noch nicht unwandelbarer Dauerzustand in der Ausübung (siehe unten).

3260 |        Deutlich erkannte ich dieses Geheimnis: Es besteht ein großer Unterschied zwischen einem dauerhaften Seinszustand und zwischen der dauerhaften unwandelbaren Ausübung dieses Seinszustandes. – Nach dem Plan und den Absichten Gottes bestand das höchste sittliche Ziel für die ersten Menschen im Paradies in der Erwerbung der unwandelbaren Ausübung des ihnen mit ihrer Erschaffung geschenkten Vollkommenheitszustandes, ja dies war das Ziel und die Absicht Gottes bei der Erschaffung der Menschen überhaupt. – Maria hat tatsächlich die ihr als Anlagen geschenkten Fähigkeiten zu höchster Blüte und Fülle gebracht und sich – durch ihr Mitwirken mit der Gnade – die Unwandelbarkeit auch in der Ausübung dieser Anlagen erworben, und zwar auf dem umgekehrten Wege, wie die ersten Menschen jenen auch ihnen gegebenen Fähigkeiten für sich verloren haben. Auch Maria war ja von Versuchungen und Schwierigkeiten von außen umgeben, aber sie hat durch ihre eigene Mitbemühung mit der Gnade einen weit größeren Umfang von Möglichkeiten der Sünde überwunden, als die ersten Menschen an sich zu überwinden hatten, weil nämlich der Umkreis des Bösen unterdessen sich sehr vermehrt hatte. Deshalb kann man Mariens letzte geistige Erfüllung und Vollendung eine gewisse „erworbene Fülle Gottes in ihr“ nennen, weil das in ihr durch Gottes Freigebigkeit angelegte Grundkapital durch ihre eigene Mitwirkung zu einer unermesslichen Höhe angewachsen ist – wie es ähnlich auch die Aufgabe und das sittliche Ziel der ersten Menschen gewesen wäre. Gewiss hatte Maria in sich keine Versuchung, aber das hatten auch die ersten Menschen nicht, bevor sie sich durch einen ersten Akt ihres freien Willens sich persönlich vom erkannten Willen Gottes abwandten, worauf erst die eigentliche Versuchung folgte. Maria aber hat keinen Augenblick ihren Geistesblick vom erkannten Willen Gottes abgewandt; sie stand darum in ihrer geistigen Vollendung weit über dem paradiesischen Zustand der ersten Menschen; denn die ersten Menschen hatten wohl die Möglichkeit, durch rechten Gebrauch ihrer Anlagen sich schließlich die letzte Befestigung in der Ausübung zu erwerben, aber sie erreichten diese Befestigung nicht – im Gegensatz zu Maria, die tatsächlich die „neue Eva“ wurde, die uns reichlich das ersetzt und wieder verdient hat, was die erste Eva uns verloren hat. Darin erkannte ich auch die Bedeutung der Gottesfülle in Maria für die Erlösung bzw. für die ganze Menschheit (siehe unten).

3261 |        Merkwürdig war mir folgende Erkenntnis über den hl. Joseph: Der hl. Joseph besaß nicht die Gnade der Unbeflecktheit wie Maria, aber er besaß eine mit seiner Erschaffung ihm verliehene Gnade, die mir als „Unversehrtheit des Willens“ bezeichnet wurde, d. h., trotz seines Zustandes der gefallenen Menschennatur wie bei allen Menschen war sein Wille immer bereit, das erkannte Gut und Bessere zu vollbringen, sodass er nie willentlich etwas Böses getan hat. Diese Gnade wurde ihm gegeben im Hinblick auf seine Bestimmung als Nährvater des Erlösers, denn es wäre eine gewisse Entwürdigung der Gottheit des menschgewordenen Wortes gewesen, wenn ein „zum Bösen Geneigter“ zu solcher Nähe mit Gott geführt und darin geduldet worden wäre. Zur Bestätigung dieser Erkenntnis wurde ich hingewiesen auf die sofortige Bereitschaft des hl. Joseph, immer und in jedem Fall und auch unter den schwersten Umständen den Willen Gottes auszuführen, wie er das gezeigt hat als Beschützer der Reinheit Mariens und in seinem sofortigen Gehorsam, als Gott ihm seinen Willen durch die hl. Engel mitteilte.

3262 |        Ich hatte ferner die folgende Erkenntnis: Es besteht auch heute noch die Möglichkeit, kraft der Verdienste des Erlösers die Gnade der „objektiven Befestigung“ (= der Befestigung in der Ausübung des Guten) zu erlangen als Erhöhung und Abschluss jenes seinshaften Dauerzustandes, der im mystischen Leben die „geistliche Vermählung“ genannt wird und der im „gewöhnlichen Gnadenleben“ die entsprechende moralische Grundlage und psychologische Fähigkeit einer seinshaft habituellen, unwandelbaren Vereinigung mit Gott bedeutet. Bei dieser höchsten „objektiven Einigung“ oder Einigung im gesamten Leben und Tun gehen Gnade und eigene Bemühung sozusagen nicht mehr „nebeneinander“, sondern ineinander, und diese objektive Befestigung hatte Maria von der Verkündigung ab1451 im höchsten Grade. Diese „objektive Befestigung“ als höchster Einigungszustand mit Gott war das Ziel des Schöpfers für die Menschen bei der Erschaffung, weil damit die Fülle der Mitteilung und des Lebens Gottes in die Menschenseele einströmen könnte1452.

3263 |        Kein Mensch hatte je vom Augenblick der Erschaffung an eine objektiv befestigte Tugendhaftigkeit oder gar eine „geschaffen-wesentliche Unsündlichkeit“, ähnlich wie Gott die (göttlich-) wesentliche Unsündlichkeit eigen ist. Der Mensch ist schon als Geschöpf gleichsam „wesentlich“ sündlich in seinen Anlagen (ohne eine besondere Gnade Gottes). – Selbst die Engel waren vor der Prüfung, d. h. vor dem Fall der bösen Engel, nicht „befestigt“ und darum nicht unsündlich. Überdies ist mit dem jetzigen gefallenen Zustand des Menschen die Sündhaftigkeit „wesentlich“ verbunden. – Allen Menschen ist aber an sich der Weg des Aufstieges zu der Höhe dieses Zieles als Pflicht und Streben angewiesen worden. Das ist der Weg des Geschöpfes, zum Unterschied vom Schöpfer selbst, in dem alle Fülle der Vollkommenheit und Heiligkeit seit Ewigkeiten bestand und besteht.

3264 |        Der Mensch kann – kraft der Verdienste des Erlösers – in jenen Bezirken seiner gefallenen Seele „unsündlich“ werden, in denen die Anlagen zur Sünde durch fortgesetzte Übung zusammen mit der Gnade Gottes mit ihrer Wurzel ausgerottet werden. Auf diesem Weg kann der Mensch zu einer „teilweisen“ Unsündlichkeit gelangen, die sich dann immer mehr vervollkommnen kann. Durch diese wachsende sittliche Vervollkommnung kann sich schließlich ein Zustand ausbilden, in dem das ganze Wesen des Menschen mehr und mehr gereinigt wird, nämlich eine Geschöpfliche, allmählich sich erhebende und ausbildende „allgemeine Unsündlichkeit“, die wohl das höchste Ziel des religiösen Lebens und Strebens ist und tatsächlich allgemein angestrebt werden soll.

3265 |        Das Streben nach diesem Hochziel braucht also nicht als „außergewöhnlich“ oder gar als ganz besonderes Privileg einiger weniger angesehen oder bezeichnet werden. Je mehr sich aber eine Seele diesem Ziel nähert, desto mehr vertieft und erweitert sich für sie der Begriff und die Aufgabe der „Unsündlichkeit“ und es eröffnet sich ihrem Streben ein immer weiteres schier unbegrenztes und unerschöpfliches Kampffeld.

3266 |        Jedoch nur in dauernder Bezugnahme und Hinordnung des Geschöpfes auf den Schöpfer wird das im Menschen als Anlage und Fähigkeit geschenkte Gute voll fruchtbar und reift zu immer größerer Fülle in Gott heran. Gott selbst aber muss dazu seinem göttlichen Wirkbereich im Geschöpfe gleichsam auftun und „eröffnen“, weil die eigene Bemühung des Geschöpfes allein nie an Gott heranreicht. Die Gnade der Taufe ist die Eröffnung eines unmittelbaren Wirkbereiches Gottes in der Seele, und zwar dadurch, dass der Getaufte „Anteil an Christus“ bekommt. – Auch Maria bildete diesbezüglich keine Ausnahme. Auch sie hatte ihre hohe Anteilnahme an Gott nur durch Christus, d. h. als vorerlöste Seele, im Hinblick auf ihre Gottes-Mutter-Würde und gemäß der für diese Würde vor Gott notwendigen Fülle. – Außerhalb Christus, des Erlösers, gibt es in der jetzigen Ordnung keine Annäherung an Gott. Nur die ersten Menschen hatten eine unmittelbare Annäherung an die Heiligste Dreifaltigkeit, weil ihre Erschaffung ein unmittelbares, gemeinsames Werk der Heiligsten Dreifaltigkeit war und ihre geschaffene, steigerungsfähige Heiligkeit – wie nach dem Sündenfall – nicht [sic!]1453 durch das Werk einer einzelnen göttlichen Person bestimmt war. Jetzt aber kann niemand in erster Linie durch den Vater oder durch den Heiligen Geist selig werden, sondern nur durch Christus, den Erlöser. Die Vereinigung mit Christus und die Einbeziehung in Christus ist das eigentliche Geheimnis der Rettung der Seelen infolge der unmittelbaren Wirkkraft des Erlösers gegenüber der Heiligsten Dreifaltigkeit.

3267 |        Durch die Menschwerdung und den Tod Christi1454 sind tatsächlich alle Menschen in einen allgemeinen, entfernteren Wirkbereich des Erlösers hineinbezogen worden, weil alle Menschen, soweit es auf ihn ankommt, auch wirklich erlöst wurden. In den näheren, unmittelbaren Bereich der Wirkkraft des Erlösers treten alle Getauften ein. – Gott hat mit dem Sündenfall nicht alles Gute im Menschen zerbrechen lassen, sondern es blieb und bleibt in allen Menschen eine klare Erkenntnis und Unterscheidung von „Gut und Böse“ unauslöschlich bestehen. Diese Unterscheidung und seine Folgerungen wird zum entscheidenden Gesetz für alle jene, die außerhalb des unmittelbaren Wirkbereiches des Erlösers stehen. Die allgemeine (entferntere) Erlösung erreicht alle Menschen1455 kraft dieses Gesetzes der Unterscheidung von Gut und Böse mit seinen Forderungen. Es gehört zum Gnadengeheimnis der einzelnen Menschen, dass ihr Wille – auch bei den Ungetauften, mehr oder weniger gut oder böse sein kann.

3268 |        Ich habe heute merkwürdigerweise wiederum die geistige Mahnung zum Gedenken und zu einer Aktion des Gebetes für alle „Außenstehenden“ bekommen, die infolge der Umstände nicht durch die Vermittlung der Kirche von den Gnaden und Früchten der Erlösung erreicht werden. Der Herr will die Tatsache anerkannt haben, dass er auch „unmittelbar“ (d. h. hier: Nicht durch die gewöhnliche Vermittlung der Lehrverkündigung usw.) durch das Geistesgesetz des Gewissens eine Seele retten kann; ja, durch seine „entfernter wirkende Gnade“ kann eine Seele – auch wenn sie außerhalb des unmittelbaren Wirkbereiches Christi in der Kirche steht – sich zu einer „Begierde zum Besseren“ erheben und die treue Mitarbeit mit dieser „fernwirkenden“ Gnade der Erlösung kann gewissermaßen die Gnade der Taufe ersetzen und wie ein Ersatz für die Taufe wirksam sein. Der Herr will, dass man praktisch mehr an diese allgemeine Gnade der Erlösung glaube und dass auch die außerhalb der Kirche Stehenden in das apostolische, mitbefruchtende Gebet und Opfer hineinbezogen werden, damit ihre Seelen befähigt werden, sich zu retten. – Jedem Menschen ist ja unauslöschlich die Fähigkeit eingedrückt, ein höheres Wesen anzuerkennen, und Gott entzieht sich keiner Seele, die diesen Mindestglauben festhält. Von diesem Mindestglauben hängt auch die Auswirkung des Geistesgesetzes des Gewissens ab. Wenn z. B. jemand das Dasein eines höheren Wesens leugnet, so geht damit auch die natürliche Rechtschaffenheit und Lauterkeit seiner Werke verloren. Anderseits kann jeder grundsätzliche Glaube an ein höheres, über das Gute und Böse richtendes Wesen – kraft der allgemeinen Erlösung Christi – zu einer Art „natürlicher Rechtfertigung“ für einen Menschen werden und ihn vor der ewigen Verwerfung bewahren. Christus will, dass wir durch unser Beten und Opfern alle Menschen in diesen entfernteren Bereich der Erlösung hereinziehen, weil er für alle Menschen die Gnade der Erlösung verdient hat.

3269 |        Mitlaufend mit diesem Durchdringen göttlicher Gnadengeheimnisse wird mir auch mein eigener Geistesweg weiter erklärt: Jesus hat mir versprochen und hält für mich bereit die Gnade einer „objektiven Befestigung“(meines Gesamtlebens und Tuns in dem oben erklärten Sinne) als Voraussetzung für meine endgültige moralisch-psychologische Befähigung für das Erleben des Erlösers. – Die „objektive Befestigung in der Gnade“ eröffnet der Seele die Fülle der Wirkkraft Gottes. Mittels dieser objektiven, befestigten, unwandelbaren Einigung (nicht bloß im Habitus, sondern auch in der Ausübung) tritt Gott in einen allgemeinen, übernatürlichen Wirkbereich im Gesamtleben des Menschen ein. – In diesem alles umfassenden Wirkbereich Gottes im „objektiv geeinten“ Menschen gibt es aber verschiedene Stufen und Erhöhungen der Vollkommenheit. Maria hatte die höchste, für uns gefallene Menschen nie zu erreichende und ihrer Gottesmutter-Würde entsprechende „objektive Vollendung“, weil ihr der entsprechende Habitus oder Seinszustand schon mit ihrer Erschaffung oder Unbefleckten Empfängnis geschenkt worden war.

3270 |        Christus will nun aber die ganze Fülle oder die ganze Linie und den vollen Weg und Lauf seiner uns verdienten Erlösergnaden1456 anerkannt haben. Er will, dass man an diese Gnaden glaube und danach strebe und in erster Linie sollen das die Priester tun, auch weil ihnen durch ihre wissenschaftliche theologische Vorbildung die Möglichkeit gegeben ist, diese Gnaden und die ganze Stufenfolge des Aufstieges psychologisch zu verstehen, zu erklären und zu begründen und deshalb auch anzustreben. Es braucht nämlich neben der moralischen Bemühung auch eine gewisse psychologische Konzentration, um den gesamten Aufstieg auf dem im Grunde doch wieder sehr einfachen und klaren Weg zu erfassen.

3271 |        Christus will auf diese Weise das gesamte religiöse Streben und Leben vereinfachen, nämlich durch eine konzentrierte Hinordnung auf dieses eine religiöse Hochziel. Neuerdings hatte ich am Nachmittag die Erkenntnis: Christus will dieses Ziel, zu einer objektiven Einigung mit Gott zu kommen, in den Mittelpunkt des allgemeinen, „gewöhnlichen“ Strebens der Priester gestellt haben, denn dies war Ziel und Absicht bei seiner Erlösung. – Ein höhergestecktes Ziel bringt aber auch wie1457 naturgemäß einen höheren Ertrag des Strebens. Die Erschwerung der Aufgabe1458, die mit diesem höhergesteckten – und zunächst vielleicht unerreichbar scheinenden – Ziel gegeben ist, wird jedoch aufgewogen und überboten durch die Erleichterung, die gegeben ist durch die größere Klarheit und Einfachheit des Weges zu diesem hohen Ziel, – worin ein Teil der vom Herrn versprochenen „neuen Gnaden“ liegen.

 

26.12.1944

Über das Innenleben Mariens

3272 |        Gestern Nachmittag (in St. Peter) war ich angeregt, mein Innenleben bzw. meine seelisch-geistige1459 Entwicklung, ganz Maria zu weihen. – – – –

3273 |        Heute bekam ich weitere Erklärungen zu der Frage: Wie kann man bei Maria von einer „erworbenen Einigung mit Gott“ sprechen, da doch ihre Unbefleckte Empfängnis schon eine Fülle der Einigung mit Gott, und zwar als geschaffenen, geschenkten Seinszustand in sich schloss? – Die Antwort liegt, kurz gesagt, in der „Anwendung des Umfanges der sittlichen Vollkommenheiten in den gegebenen Lebenslagen“. –

3274 |        Maria war frei von jeder Sünde und war voll von Fähigkeiten zur Tugend, aber diese Fähigkeiten musste sie erst gebrauchen und anwenden, um wirklich geübte und fertige Tugenden und sittliche Vollkommenheiten selbst zu bilden. Dazu war notwendig:

1. ihre eigene Bemühung; denn die Freiheit von bösen Anlagen und die Befähigung zum Guten – selbst in der außerordentlichen Fülle von Befähigung, wie sie Maria besaß – ist noch keine wirklich geübte, erprobte Tugend. –

2. Die schon in einem gewissen Maße geübte Tugend musste auch in wachsender Steigerung im ganzen Umfang der Lebensumstände und ihrer Forderungen gebraucht und angewendet und so in praktisch verwirklichte, konkrete Tugend verwandelt werden.

3275 |        Gewiss hatte Maria keinen, inneren Anreiz zur Sünde; weil sie frei war von böser Begierlichkeit, aber sie war, ebenso wie wir, von bösen und weniger guten Menschen umgeben, denn sie lebte ein wirkliches Menschenleben und dies bedeutet eine gewisse, beständige Spannung mit der Umwelt und erfordert überlegende Tugendkraft, um diese Spannungen zu lösen und zu überwinden. Zudem hatte sie einen, dem unseren ähnlichen Menschenleib, der immer dem Zuge des Geistes folgen musste, damit das Gleichgewicht, und die Harmonie, zwischen Seele und Leib erhalten blieb. Die beiderseitigen Anforderungen von Seele und Leib konnten aber auch in ihr nicht erfüllt werden ohne persönliche Kraftanspannungen, Bemühungen und Opfer. Wie viele andere Menschen z. B. auch gute und sehr gute Anlagen haben, die aber doch nie zur Entfaltung kommen und nie zu wirklicher Tat und geübter Tugend werden infolge ihrer persönlichen Opferscheu und infolge des Mangels an eigener, persönlicher Bemühung. – Maria spürte in der Ausübung ihrer Tugendanlagen zwar keinen eigenen, persönlichen Widerspruch gegen die Tugend als solche in ihrer Seele, aber sie war nicht frei vom „logischen“ Widerspruch der physischen Natur, denn sie war leidensfähig wie wir. Sie empfand und erlitt darum den Widerspruch mit ihrer Umgebung, der in jedem Menschenleben unvermeidlich ist; und den auch Jesus erlitten hat. Sie erlitt körperliche Ermüdung, die im gewöhnlichen Menschenleben eine Hemmung für das Geistesstreben sein kann und ist.

3276 |        In solchen mit dem Menschenleben unvermeidlich verbundenen Schwierigkeiten und Widersprüchen, [in solchen Schwierigkeiten, und Widersprüchen,] das seelische Gleichgewicht zu bewahren, und die Tugend in vollem Maße auszuüben, das kostete auch MARIA eine Mühe und Kräfteanspannung, von der sie nicht – wie von der Erbsünde – befreit war. Die ersten Menschen hatten vor der Sünde die Leidensunfähigkeit, und waren darum in sich widerspruchslos in dem, was die Ausübung ihrer sittlichen guten Anlagen betraf; wir im Zustand unserer gefallenen Natur müssen ständig kämpfen, um überhaupt die guten Anlagen in uns zur Ausführung zu bringen; in MARIA bestand kein Widerspruch gegen die Tugend und die gute Anlage als solche in ihrer Seele, aber da sie nicht die Leidensunfähigkeit hatte wie die ersten Menschen vor der Sünde, bestanden doch in ihr gewisse sekundäre Schwierigkeiten, wie ein gewisser Widerspruch ihrer physischen Natur gegen die Forderungen des Geistes, und das verlangte eine ständige Bemühung im Gesamtleben Mariens.

3277 |        Wenn z. B. auch jemand noch so gerne betet, so kostet ihn doch das Beten physische Mühe und macht ihn geistig und physisch müde. Auch Maria hatte deshalb beim Gebet eigene Bemühung zu leisten, damit ihr Gebet trotz der Ermüdung ganz vollkommen blieb. Oder wenn Maria – wie es im Leben unvermeidlich ist – von weniger guten Menschen bedrängt war, so musste sie ihre geistig-physische Kraft aufwenden, um jener Bedrängnis und Schwierigkeit das zur Erhaltung des inneren Gleichgewichtes notwendige Gegengewicht entgegenzusetzen und die Tugend der Geduld und Sanftmut nach dem vollen Umfang der jeweiligen Forderung und der in ihr angelegten Möglichkeit und Fähigkeit wirklich auszuüben. – Ferner besteht in jedem Menschenleben eine ständige Steigerung der sittlichen Anforderungen von den Kindesjahren bis zur Jugendzeit und bis ins späte Alter. So waren auch bei Maria die kindlich geübten Tugenden andere und weniger hoch als jene ihrer Jungmädchenzeit, obwohl die guten Anlagen in Fülle vorhanden und nicht durch böse Anlagen behindert waren. Auch in Maria musste sich eine naturgemäße Erweiterung und Intensivierung der ausgeübten Tugend bilden, weil auch bei ihr der Umfang der ausgeübten Tugend gleichen Schritt halten musste mit den Anforderungen und Schwierigkeiten der Lebensumstände, in denen das Gleichgewicht bewahrt und denen sie sich gewachsen und überlegen zeigen musste. Der geistige Habitus ihrer sittlichen Vollkommenheit bewegte sich aber immer „in Gott“ und so war auch der ganze, wachsende Umfang der Betätigung ihrer geistig-leiblichen Fähigkeiten immer in den übernatürlichen Wirkbereich Gottes hineingestellt; je mehr sie aber an Jahren voranschritt, desto reicher und stärker wurde auch in Maria die persönliche Bemühung im Einsatz ihrer Kräfte und Fähigkeiten, wodurch das in ihr bei ihrer Erschaffung seinshaft angelegte Gute zur konkreten Ausführung gebraucht und als praktische Tugend in ihrem Menschenleben dargestellt wurde. Es wuchs ja auch der äußere Umkreis ihres Lebens, in dem sich ihre sittliche Vollkommenheit als makellos und „ganz vollkommen“ offenbaren und erweisen musste, gemäß dem Gesetz des inneren Wachsens der Gnade, dem auch Maria, ähnlich wie wir, anheimgegeben war. Mit dem Umfang ihrer persönlichen Mitarbeit und Anwendung ihrer guten Anlagen wuchs aber in Maria die Seele auch das „Leben Gottes in ihr“, und durch den Aufwand ihres persönlichen Kräfteeinsatzes wurden ihre Fähigkeiten und die sich bildenden Kraftzentren und Energien auch in den göttlichen Wirkbereich hineingezogen und wurde sie in immer größeren Umfang für Gott befähigt. Nicht die einzelnen Akte in sich wurden „vollkommener“ – denn schon von Kindheit an war jeder ihrer Tugendakte in seiner Art menschlich vollkommen, d. h. entsprach ganz dem Umfang und der Art kindlich-vollkommener1460 Tugend, die von ihr jeweils gefordert war – aber der Umfang der angewandten und verwirklichten Anlagen wurde immer größer, entsprechend den erhöhten Anforderungen, die das Leben mit seinen verschiedenen Lagen und Umständen an sie stellte. Mit den steigernden Ansprüchen des Lebens wurde auch eine immer mehr erweiterte und vertiefte Kräfteentwicklung in den Wirkbereich Gottes hineingestellt, und mit der dadurch wachsenden „erworbenen“ Fülle Gottes in ihr erhöhte sich auch wiederum ihre Hingabefähigkeit für Gott und die persönliche Selbstausnützung ihrer Anlagen, um in allen Lebenslagen die in ihr durch den Schöpfer niedergelegten Tugendkeime zur vollen Entfaltung und Anwendung zu bringen. – Auf diese Weise, durch ständig vermehrten Einsatz ihrer persönlichen Kräfte, „erwarb“ sich Maria wirklich durch eigene Mitarbeit einen ständigen Fortschritt in ihrer objektiven Einigung mit Gott. Und ich schaute geistig dies als das größte und wunderbarste in ihrem Innenleben, dass sie immer vollkommen und treu Schritt hielt in ihrer eigenen Mitarbeit mit den sittlichen Anforderungen der Lebenslagen und Lebensumstände, sodass sich ihre gottgeschenkten Anlagen restlos und ohne Versagen zu wahrer menschlicher Tugendhaftigkeit und Vollkommenheit entfalten konnten.

3278 |        In diesen wachsenden Umfang ihres geistigen Fortschrittes war aber auch ihre wunderbare Gnade der Auserwählung zur Gottesmutter-Würde einbegriffen. Durch diese ihre Berufung wurde sie persönlich in das Erlösungswerk mit hineingezogen nach dem wachsenden Maße und Umfang, in dem die Forderungen der Erlösung an Jesus, ihr leibliches Kind, gestellt wurden. Wenn schon wir durch die Wirkung der Erlösung „in das Reich Gottes versetzt“ wurden (wie der hl. Paulus sagt), wie viel mehr dann Maria, die Mutter des Erlösers selbst, die ihm den Leib, das natürliche Werkzeug der Erlösung spendete! Wie sehr war sie durch diese höchste Einbeziehung in die Pläne Gottes (als Mutter des Erlösers) „in das Reich ihres Sohnes selbst versetzt“!

3279 |        Sie musste darum gleichen Schritt halten können mit den göttlichen Forderungen ihres Kindes. Es durfte kein Widerspruch der Gesinnung oder der Empfindung, und keine geistige Entfremdung vorhanden sein. Es musste vielmehr eine volle geistige Harmonie möglich sein zwischen seinem Leben und zwischen ihren eigenen Leben, das zwar verschiedener Art war, aber in vollem geistigen Gleichklang verlaufen musste mit dem seinen. Um diesen Gleichklang herzustellen, musste Maria vorher auf der Höhe dieser „möglichen, seelischen Harmonie“ mit dem Leben des Erlösers gebracht und erhoben werden. Das konnte aber nur geschehen durch ihren persönlichen Kräfteeinsatz in treuer Mitarbeit mit der Gnade, die sie auf das hohe Ziel ihrer Berufung vorbereitete und voll befähigte, (wenn auch dieses Ziel Maria selbst noch nicht einmal1461 bekannt war). Was Gott gnadenvoll in ihr vorbereitete, das wurde durch Mariens persönliche Bemühung und Mitarbeit auf die entsprechende Höhe des persönlichen Kräfteeinsatzes gestellt und so hat Maria ihren „persönlichen Teil“ zur Gottesmutter-Würde beigetragen.

3280 |        Wenn ein Künstler gewisse gottgeschenkte hohe Anlagen hat, die zu besitzen ihm selbst keine Mühe macht, und die er selbst sich nicht verdienen konnte, so ist es doch seinem eigenen Fleiße und dem Selbsteinsatz seiner Kräfte zu verdanken, wenn diese künstlerischen Anlagen wirklich zur fruchtbaren Entfaltung kommen. Hätte Maria all ihre Tugendhaftigkeit nach dem ganzen Umfang der in ihr angelegten Fülle mühelos gelebt und verwirklicht, dann wäre sie kein wahrer Mensch gewesen1462, oder sie hätte volle Paradiesesgnade mit der Leidensunfähigkeit besitzen müssen – was aber nicht der Fall war. – Gewiss war es Gottes freies Gnadengeschenk, das sie von der Erbsünde bewahrt blieb, aber sie hat mit eigenem Kräfteeinsatz und eigener Mitarbeit, und zwar „unter den erschwerten, gefallenen Lebensumständen das bewahrt und voll entfaltet, was Eva in mühelosen Lebensumständen verloren hat“. Das diesbezügliche Ziel war für beide das gleiche; aber Maria hat ungleich Höheres geleistet unter schwereren Bedingungen. Darum hat sie sich das Vorrecht verdient, die „Erste“ der Frauen zu sein, die Mutter „aller Lebendigen in Gott“ zu werden. Sie hat das neue göttliche Leben vom Himmel herabgezogen, das uns Eva wieder verschlossen hatte (nachdem Gott es der Eva im Paradies angeboten hatte).

3281 |        Bis zur Stunde der „Verkündigung“ war Maria zu jener Fülle des Geistes herangereift, die für die Empfängnis des göttlichen Wortes notwendig und geziemend war. Mit dem Beginn ihrer Gottesmutterschaft musste sie auch fähig sein für die „Lebensharmonie“ mit ihrem göttlichen Kinde. Dazu war aber eine bestimmte, innigste Einigungsfülle mit Gott notwendig, die von einer entsprechenden sittlichen Vollkommenheitsfülle getragen sein musste; denn beides, Gottvereinigung und sittliche Vollkommenheit, lässt sich nicht voneinander trennen, sondern ergänzt und bedingt sich gegenseitig, wie es auch in Maria der Fall war. Mit der göttlichen [ENDE M1] Mutterschaft war darum ein dauernder und ständig sich steigender Einsatz sittlicher Kräfte von ihr verlangt, um die Geistesharmonie mit ihrem göttlichen Sohne in entsprechend vollkommene Tugendleben betätigen und beweisen zu können. Mit der Würde der Gottesmutter wuchs auch ihr persönlicher, sittlicher Lebens- und Kräfteeinsatz, da sie auch jene höchsten Tugenden ausüben und betätigen musste, die ihrer wunderbaren Würde und Aufgabe entsprachen.

3282 |        Es musste aber dabei der Verkündigung schon die Garantie gegeben sein, dass Maria wirklich alles dies leisten konnte, d. h., dass sie für diese göttliche Fülle und die Anforderungen, die ihrer Würde entsprachen, wirklich fähig war. Und dies hat ihr der Engel garantiert mit den Worten: Du bist voll der Gnade! Der Herr ist mit dir! – In diesen Worten lag auch der tiefe Sinn: Das Maß der Gnadenfülle, der Befähigung zum Empfang des göttlichen Wortes ist erreicht und vollendet. Nun kann er selbst Besitz nehmen von dir und kann sich in dir „vollenden“ nach seinen Absichten, d. h., er kann sich selbst zum Gottmenschen machen und sich zu jenem innigen Verhältnis auch der geistigen Lebenseinheit mit dir herbeilassen, die Mutter und Kind verbindet.

3283 |        Ich schaute das Eingehen des göttlichen Wortes in Maria und die höchste Vollendung ihrer Vorbereitung dazu. – Der Akt der Bildung des Gottmenschen durch den Hl. Geist drückte dieser Vollendung Mariens das göttliche Siegel auf und dieses göttliche Siegel ward für sie zur unwandelbaren Befähigung, d. h. zur Fülle und Befestigung der Befähigung für die Gottesmutterwürde. – „Unwandelbar“ wird eine Befähigung erst, wenn sie zur vollen und höchsten Fülle der entsprechenden Umsatzkräfte herangereift ist, von denen diese Befähigung getragen und verwirklicht werden soll, und zwar nach dem ganzen Umfang der Forderungen, die an diese Befähigung und Kräfte herantreten können. Die „seinshafte Möglichkeit“ der Fähigkeiten ist dann gleichsam zur „mühelosen Ausübung“ geworden infolge der Kraftreserven, die nun jederzeit bereit und zur Verfügung sind, um die jeweiligen Anforderungen zu erfüllen. – Was je einmal an Kraftaufwendung und Kräfteverbrauch gefordert werden mag, das ist schon in Fülle wie in einer Zentrale von Kraftreserven vorhanden; es sind gleichsam Kraftquellen vorhanden, die jederzeit ausgebeutet werden können, weil die Fülle der vorhandenen Befähigung und Energien einen, sozusagen „unerschöpflichen“ Selbstverbrauch erlauben.

 

27.12.1944

Weitere Ergänzungen

3284 |        1. Über das mystische Gnadenleben und die objektive Vereinigung.

a) Die mystischen Gnadengaben liegen „auf dem Wege zur objektiven Vereinigung mit Gott“.

b) Die einzelnen Stufen des mystischen Gnadenlebens können – als erlebte Stufen des Aufstieges zur objektiven Vereinigung – in verschiedene Abteilungen eingeteilt werden, aber im Wesentlichen gibt es nur einen Weg zu diesem Ziel.

c) Wenn eifrig nach objektiver Vereinigung mit Gott gestrebt wird, so werden sich die Gnadengaben in der Kirche wieder vermehren.

d) Das Hochziel christlichen Strebens soll eine möglichst hohe „objektive Vereinigung mit Gott“ sein, die man vielleicht auch eine „erworbene geschöpflich-wesentliche Unsündlichkeit“ nennen könnte. – Auch eine ganz hohe objektive Vereinigung mit Gott hebt aber den allgemeinen „gefallenen Zustand“ nicht auf.

e) Das Streben nach „objektiver Vereinigung mit Gott“ liegt im moralischen Bereich der Seele; das Intelligenzleben liegt an sich „außerhalb des unmittelbaren Bereiches der Früchte der objektiven Vereinigung“. – Auch wenn darum jemand einen ganz hohen Zustand der Vereinigung mit Gott erreicht hat, bleibt er doch „irrtumsfähig“, wenn er nicht durch eine besondere Gnade in ein außerordentliches Wissen erhoben wird. Andererseits können auch geistig niederstehende Menschen einen hohen Grad der Vereinigung mit Gott erreichen. Die Hauptsache bleibt immer das geübte Glaubensleben.

Dennoch kann auch die wachsende objektive Vereinigung einen gewissen Einfluss auf das Intelligenzleben ausüben, wenn man auch dafür keine festen Normen aufstellen kann. Die Intelligenzkräfte werden, zwar nicht in der ihnen eigenen Tätigkeit verändert, aber sie werden durch die Vereinigung der Seele mit Gott insofern veredelt, als die sittlichen Tugenden und Vollkommenheiten und die Gaben des Heiligen Geistes durch die Intelligenzkräfte zum Ausdruck kommen. Dadurch, dass ihre Tätigkeit in das ganze religiös-übernatürliche Streben hingezogen und daran beteiligt wird, erhöht sich auch ihr Wert und damit der Wert des Gesamtlebens. – Zudem fallen mit der sich steigernden Überwindung der Sünde und Leidenschaften und Unordnung auch vielen Fehlerquellen des Urteils und der Erkenntnis weg.

In Maria, als ganz auserwähltes Werkzeug Gottes bestand eine volle Einigung und Übereinstimmung ihres Intelligenzlebens mit ihrer moralischen Vollkommenheit. Die Gnade der ihr geschenkten Gotteserkenntnis überstrahlte nämlich ihr ganzes Intelligenzleben und gab ihr die Möglichkeit, alles, auch sich selbst, im Lichte dieser Gotteserkenntnis zu beurteilen. So war in Maria das ganze Intelligenzleben in ihren moralischen Aufstieg eingegliedert und bestand in ihr eine Einigung des Wissens und der moralischen Vollkommenheit. In diesem Sinne hatte sie teil an der ursprünglichen Paradiesesgnade, aber auch diese Gnade erfuhr in ihr eine Entwicklung und einen Aufstieg. Infolge ihrer moralischen Vollkommenheit würdigte sich Gott, in ihren Intelligenzkräften in entsprechender, besonderer Weise wirksam zu sein, aber diese göttliche Wirksamkeit blieb innerhalb der Grenzen eines Geschöpfes und bewegte sich nicht in der Unbeschränktheit der göttlichen Allwissenheit. Maria unterstand, wie alle Menschen, der Notwendigkeit einer Zuteilung göttlichen Wissens, aber die Fähigkeit für diese Zuteilung war in Maria so hoch und weit wie in keinem anderen Geschöpf.

3285 |        2. Ein Beispiel des Wachsens objektiver befestigter Tugend.

Am folgenden Beispiel wurde mir die Art und das Werden einer „objektiv befestigten Tugend“ gezeigt, d. h. einer Tugend, die in objektiver Vereinigung mit Gott vollbracht wird, die also ganz vom Geiste Gottes geleitet wird und wobei keine persönlichen ungeordneten Hindernisse und Widerstände mehr entgegenstehen. Als Beispiel dient die Tugend der Sanftmut und Geduld.

Die Anlage einer natürlichen Sanftmut und Geduld ist in sich gut, aber sie ist noch keine wahre Tugend, solange diese Anlage zur Tugend nur zwischen vier Wände der Einsamkeit bleibt und sich nicht in Widerstände und Schwierigkeiten zu bewähren hat. Eine übernatürliche, ganz auf Gott bezogene Tugend wird die Sanftmut erst, wenn sie durch mancherlei Proben und Widerstände, schließlich auch durch erlittene Ungerechtigkeiten, Verleumdungen und Leiden aller Art als wirkliche Tugend geübt wird. In solchen Lagen und Schwierigkeiten wird es auch für einen Menschen mit der sanftmütigsten und geduldigsten Anlage geraume Zeit brauchen, bis er sich voll im Gleichgewicht der wahren Sanftmut und Geduld in sich behaupten und bewahren kann, der er sich vorher zu erfreuen schien. Auch die „Gesinnung“ der Sanftmut und Geduld ist gut, und ist im sittlich-religiösen Leben und Streben notwendig, aber wenn es zu einem höheren Habitus wirklicher Tugend mit dauernder Bewährungskraft kommen soll, muss gleichsam eine religiöse „Neugruppierung“ der Strebungen und Kräfte des gesamten Menschseins stattfinden. Erst muss der tiefe moralische Widerspruch im Menschen zerbrechen oder gebrochen werden, der jedem Nachkommen Adams eigen ist; erst aus dem „Zusammenbruch“ dieses tiefen, inneren Widerspruches kann sich – wie aus dem Trümmerhaufen der erbsündlichen Anlagen – die wirkliche, ganz auf Gott bezogene und in Gott begründete, religiöse Sanftmut und Geduld aufbauen. Es handelt sich dabei um das unwirkliche, menschliche „Wehren“ gegen Ungerechtigkeiten und gegen alles, was dem persönlichen Gerechtigkeitsgefühl und Gerechtigkeitsbedürfnis entgegen ist; es müssen die Ansprüche des eigenen Ehrgefühls, des persönlichen Widerspruchsgeistes und der Empfindlichkeit zurückgedrängt und Gott, dem einzigen Richter und unumschränkter Herrn und Lenker aller Umstände unterstellt werden; es muss vorherrschend werden, die Anerkennung und das Bewusstsein der eigenen Geschöpflichkeit und Niedrigkeit und Nichtigkeit. Aus dieser wahren Einschätzung, d. h. Geringschätzung seiner selbst, die sich unter vielen und schweren Widersprüchen und erlittenen Ungerechtigkeiten zum dauernden Zustand ausbildet, formt sich dann ein neuer, ganz, und nur auf Gott und Gottes Ehre und Recht bezogener Gerechtigkeitssinn und eine vollkommene, ganz in Gott begründete Geduld und Sanftmut. Die eigenen Interessen, wie Ruhe, Anerkennung, Vorteil und überhaupt alle Bindungen an sich selbst und das eigene Wollen – was dem Menschen zunächst unentbehrlich scheint – muss aufgegeben, d. h. Gott zum Opfer gebracht werden, damit aus diesen Trümmern das neue Gleichgewicht unerschütterlicher, ganz in Gottes Rechten und Eigenschaften begründeter Gelassenheit und starken Gleichmuts erstehen kann.

Diese, von der Wurzel aus umgeformte und auf Gott bezogene Tugend muss zu ihrem Wachstum und zu ihrer Festigung noch manche Proben und Stürme bestehen, und das neue, übernatürliche Gleichgewicht muss durch manche Anfeindungen und Widerstände erprobt und geprüft werden. Auf diese Weise wird diese Tugend allmählich „herrschend“ im ganzen Wesen und Verhalten des Menschen. Der persönliche, natürliche Widerspruchsgeist wird allmählich so weit beherrscht, dass man auch bei erlittenen Verkennungen und Ungerechtigkeiten usw. über die Lage steht und diese vielleicht gar nicht mehr so tief als solche empfindet, soweit sie nämlich die eigene Person betreffen. Hat diese in Gott begründete Sanftmut und Geduld in allem so sehr die Oberhand gewonnen, dass der Stachel des inneren Widerspruches kaum mehr empfunden wird – obwohl ein gewisses menschliches, „logisches“ Widerstreben gegen Ungerechtigkeiten und das Unrecht usw. immer bleiben wird – so kann bei solchen Anlässen zugleich ein tiefer Friede und eine gewisse Freudigkeit sich einstellen und dann ist man auf dem Wege, „objektiv in dieser Tugend befestigt“ zu werden.

Zur letzten und endgültigen Befestigung muss aber diese Tugend noch in das allgemeine Tugendleben hineinbezogen werden; denn das gesamte Menschsein und die sittliche Vollkommenheit mit seinen vielfachen Beziehungen und Verhältnissen bildet im Grunde eine zusammenhängende Einheit, und es bedarf vieler moralischer Kraftreserven – errungen durch fortgesetzten Einsatz der entsprechenden Kräfte –, damit es in den verschiedenen, möglichen Spannungen des Lebens nicht doch wieder zu neuen Schwankungen und infolgedessen zu sittlichen Mängeln komme. In den höheren Streben kann man das Wort „Geduld“ nicht mehr als „Übung der Geduld“ bezeichnen, es tritt dafür ein, „ein Zustand der Starkmut“ im Allgemeinen. – (In ähnlicher Weise werden ja im Körper physische Kraftreserven gewonnen und gleichsam aufgespeichert durch Übung, Anstrengung, Trainierung.)

Wenn der Vergleich erlaubt ist, möchte ich sagen: Ein objektiv befestigtes Tugendleben muss sein wie ein Luftballon, der Kraft der Luft, mit der er innen gefüllt ist, über der Erde schwebend bleibt, die Erde nicht berührt und deshalb auch nirgends anstößt und sich nicht verwunden lässt, aber trotzdem im eigenen Wesen alles zum eigenen Gleichgewicht Notwendige besitzt. – Damit die Seele ein ähnliches, geistiges Gleichgewicht und eine gewisse geistige Leichtigkeit bewahren kann, muss vorher aller bedrückender und ihrem höheren Wesen widersprechender Ballast abgeworfen werden und das geschieht mittels einer tiefgehenden Reinigung von der Wurzel aus und durch ein neu geordnetes Urteilen und Denken über sich selbst und über die Dinge dieser Welt und die Umstände des Lebens, was alles im Lichte des Glaubens, d. h. im Lichte der absoluten Oberherrschaft und Rechte Gottes und im Lichte seiner alles umfassenden Weise und liebenden Vorsehung gesehen werden muss.

Erst die Ausrottung der Wurzel des menschlichen – des menschlich begründeten – Geistes des Widerspruches und der Empfindlichkeit bringt der Seele die wahre Freiheit in sich selbst. Damit beginnt [sich] aber auch der (übernatürliche) Wirkbereich Gottes in der Seele zu erweitern und zu vertiefen, und statt des früheren, menschlichen und erbsündlich begründeten Widerspruches herrscht nun eine höhere Anteilnahme an Gottes Urteil und Eigenschaften und Vollkommenheiten. So kommt es zur wahren, objektiven Einigung der Seele mit Gott. – Gott kann nun ungehindert und in Ausübung seiner göttlichen Freiheit in der Seele herrschen und wirken und kann mittels der in ihm begründeten und verankerten Sanftmut und Geduld und den anderen damit notwendig verbundenen Vollkommenheiten ausstrahlen auch auf andere Menschen.

So kann Gott in und mit „dem gesamten Wesen des betreffenden Menschen“ wirken und ihn voll gebrauchen für seine Absichten der Liebe, ohne Gefahr, dass er durch die Seele Unehre erfahre, und mit der Gewähr, dass dieses Menschenleben ihn zur Ehre gereichen wird. Gott wird dann in diesem Menschen verherrlicht, und zwar im Grunde mittels seiner eigenen göttlichen Gaben und Eigenschaften, die in diesem Menschen voll wirksam werden können. Nichts aber verherrlicht Gott mehr, als wenn eine Seele durch Einbeziehung in das göttliche Leben die Fesseln ihres sündhaften Zustandes sprengt und damit Gottes objektivem Wirken vollen Raum lässt in der Seele.

3286 |        3. Über die Rettung der ohne Schuld außerhalb der Kirche Stehenden.

Darüber ließ mich der Herr wissen: „Ich bin viel barmherziger, als man glaubt, und viel gerechter, als man annimmt.“ – Der Heiland will Gebete und Opfer als Entschädigung seiner Gerechtigkeit, damit er den Schuldlosen, außerhalb der Gemeinschaft der Kirche Stehenden besondere Gnaden seiner Barmherzigkeit geben kann.

„Gott verstößt niemanden, der sich nicht freiwillig von ihm abwendet.“ – Jeder Mensch, auch der Ungetaufte, trägt in sich, in seinem Gewissen, ein Gesetz einer gewissen Abhängigkeit, der er sich zunächst nicht entziehen kann. Die persönliche Stellungnahme zu diesem Gesetz der Abhängigkeit, das Eingehen oder Nichteingehen auf die Forderungen dieses Gesetzes bestimmt auch den Wert oder Unwert des Ungetauften. Je nach der persönlichen Stellungnahme des einzelnen Menschen zu diesem Gesetz kann sich das Bewusstsein dieser Abhängigkeit von einem höheren Wesen erhören und verfeinern und klarer werden, oder es kann sich vermindern und verblassen, ja es kann sich schließlich auch ganz verlieren. Durch aufmerksame Bezugnahme und getreues Handeln nach diesem Gesetz kann auch der Ungetaufte zu einem gewissen Frieden kommen. – Nach ihrem Tode kommen solche in einem ähnlichen Reinigungsprozess (aber von den Gläubigen getrennt) wie jener des Fegefeuers ist – vorausgesetzt, dass sie ihr Leben mit jenem geistigen Abhängigkeitsgesetz in Einklang gebracht und nicht durch böse Taten erstickt und ertötet haben und infolgedessen der Verwerfung anheimfallen. – In dieser Reinigung wird das Abhängigkeitsbewusstsein klarer und bestimmter und bildet sich aus zu einer gewissen Gotteserkenntnis, die solchen Seelen – nach der entsprechenden Reinigung – einen gewissen Frieden gibt, sodass sie ihre Ewigkeit „glücklich“ verbringen können, wenn sie auch nicht befähigt sind, zur unmittelbaren Gottesschau im Himmel zugelassen zu werden.

Wenn die von der Kirche Getrennten durch Treue gegenüber dem Abhängigkeitsgesetz in diesem Leben so weit kommen, dass sie an das höhere Wesen, dessen Abhängigkeit sie sich nicht entziehen können, zu „glauben“ beginnen, so kann dieser Glaube zum Verlangen führen, in jenem Wesen in noch höherer Weise geborgen zu sein, es noch mehr zu kennen, ihm noch treuer zu folgen. Diese „Begierde“ sich ganz und in noch unmittelbarer Weise unter die Abhängigkeit jenes höheren Wesens zu stellen, kann ihnen die Gnade der Taufe ersetzen (als Begierdetaufe) –, sodass sie nach ihrem Tode auch zu einer unmittelbaren Anschauung Gottes, also in den Himmel kommen können. Dieser Weg ist für die Ungetauften möglich, aber – so wurde mir zu wissen getan – es sind nur wenige Auserwählte (unter den Ungetauften), die dieses an sich mögliche Ziel wirklich erreichen.

 

28.12.1944

3287 |        Heute war ich den ganzen Tag über wieder in einem Zustand seelischer Leiden, die ich nur so andeuten kann: Mein Gesamtleben und mein gesamtes Sein wurde ständig, wie von geistigen Pfeilen „durchbohrt“. Dieses geistige „Durchbohren“ ist so schmerzhaft, dass ich vor geistigen Schmerzen seufzen und schreien möchte. Von diesem geistigen Akt des Durchbohrens wird aber auch das physische Leben mitbetroffen, weil die Seele das Prinzip des leiblichen Lebens und Sinnen-Lebens ist, das seinerseits das Gesamtleben erfüllt und durchströmt und der Seele zum Ausdruck dient. Dieses geistige Leiden geht deshalb so tief, weil damit zugleich eine ganz tiefe Reinigung der Sinne verbunden ist, die sich auswirkt wie eine Durchbohrung meines gesamten Seins.

3288 |        Dabei habe ich aber den Eindruck, als ob alles „außerhalb meines Verstandeslebens“ vor sich gehe, d. h. ganz im „wesentlichen oder substanziellen“ Teil meiner Seele und meines Lebens; daher wird der geistige Schmerz von mir unmittelbar erlebt, nicht auf dem gewöhnlichen, verstandesmäßigen oder schlussfolgernden Wege des Bewusstwerdens – und dies vertieft die Wirkung des geistigen Schmerzes.

 

29.12.1944

3289 |        Heute bin ich in einer großen Ruhe, wie in einer neuen Art von Lebenszuteilung. Ich lebe mich gleichsam „außerhalb“ des gewöhnlichen Verstandeslebens. Diese Art des Lebens scheint „stehend“ und fest, weil fester begründet als das die gewöhnliche Art und dazu ganz einfach in des Wortes tiefster Bedeutung, nämlich nur eines.

3290 |        Die göttliche Führung erklärt mir diesen neuen, erhabenen Zustand so: Das gewöhnliche, verstandesmäßige Bewusstwerden und Bewusstsein bringt eine vielfache Betätigung und Veränderung des Selbstseins hervor (nämlich durch die dazu notwendigen, vielfachen Tätigkeiten der Seele und vor allem der Verstandeskräfte); das wesentlich-substanzielle Bewusstsein aber kennt nur eine Art des Erlebens, bzw. bringt nur eines zum Ausdruck: die Wirklichkeit, und zwar die ganze Wirklichkeit auf einmal.

3291 |        Diese Erklärung enthält sehr viel „Licht“ für mich, dient aber wohl nur der Beleuchtung meines Zustandes für mich selbst (nicht die Erklärung für andere) und ist zugleich eine fortschreitende, nähere Bereitmachung, damit ich den Gottmenschen erleben kann.

3292 |        Ich bin tief eingefasst in dieses psychologische Geheimnis eines neuen „Mich-Selbst-Findens“, nämlich mittels einer substanziellen Betätigungsart, und dies im Hinblick auf das diesbezügliche Geheimnis im Gottmenschen. – Es ist darum in mir eine beständige Entäußerung von gewöhnlichen, verstandesmäßigen Reaktionen. So scheine ich geistig wie in einem Tunnel zu sein, wobei ich im Dunkel oder vielmehr gerade durch dieses „Selbstdunkel“ zum neuen „Licht“ kommen muss.

3293 |        Ich bin sehr viel auf meinem Wege vorangeschritten – eigentlich stehe ich nie still, wenn mir auch der Fortschritt gewöhnlich erst nach den überstandenen Leiden zum Bewusstsein kommt – und ich schreite immer tiefer hinein in unaussprechliche Geistesgebiete, die für mich Tatsachen und Wirklichkeit werden vermögen eines neuen, inneren Zustandes, den zu leben ich zugleich veranlasst werde.

3294 |                

3295 |        

 

 

 

 

Das Jahr 1945

Grundlage ist M1

 

 

 

 

 

 

 

Januar

05.01.1945

3296 |        Unwillkürlich kam mir die Frage: Warum lässt mich der Heiland die Gnadengeheimnisse der ersten Menschen so oft und so tief erkennen und schauen? Hat das denn einen Zweck, nachdem doch diese Güter für immer verloren sind? Es wurde mir die Antwort gegeben: Der Heiland will mit diesem meinem geistigen Innewerden den Wert seiner göttlichen Gnade darlegen und tiefer erklären: Er will für unsere Zeit die wunderbare Herablassung Gottes in der Erschaffung des Menschen hervorheben und den Wert betonen, den der Mensch in den Augen Gottes hat. Er will deutlicher die Abhängigkeit des Menschen von Gott ins Licht stellen, die heute in so vielfacher Weise im Bewusstsein des Menschen abgeschwächt und nur allzu oft abhandengekommen ist.

3297 |        In gewissem Sinne hat ja unser Christenleben seine Wurzeln im ersten Menschen. Durch das Erlösungswerk Christi hat es eine neue Beziehung zum Paradieseszustand bekommen. Gott will von Neuem und nachdrücklich auf den Zusammenhang zwischen der Erschaffung im Paradies und dem Zweck der Menschwerdung Christi hinweisen, die ihm Sündenfall begründet ist. – Die Schöpfung, das Erlösungswerk und die Menschwerdung Christi sind das geistige Zentrum des Christen und zeigen zugleich das Ziel und die Absichten, die Gott mit dem Menschen hat. Die Menschheit sollte mehr bedenken, wie groß Gott als Schöpfer über die „Menschen“ gedacht hat, so groß nämlich, dass er seinen Sohn zur Rettung für sie dahingab. – Das will Gott heute wieder tiefer bedacht und erkannt haben – als Heilmittel für unsere Zeit.

3298 |        Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Aufstieg der „erworbenen objektiven Einigung“ mit Gott bei Maria und zwischen dem Fortschritt unsere „zu erwerbenden objektiven Einigung mit Gott“. – In unserem gefallenen Zustand muss sich die Tugend erst gegen den Widerspruch und Widerstand unserer Natur durchsetzen und einen seinshaften Habitus der Tugendhaftigkeit bilden, bevor es zur tatsächlichen Ausübung der Tugend im praktischen Leben kommen kann; d. h., wir sind erst dann imstande eine Tugend im praktischen Leben zu betätigen, wenn wir uns zuvor unter großer Mühe einen seinshaften Vollkommenheitshabitus in dieser Tugend errungen haben. In Maria aber war die seinshafte Anlage zu allen sittlichen Vollkommenheiten schon mit ihrer Erschaffung gegeben, sodass sie sogleich befähigt war, die Tugenden in den jeweiligen gegebenen Lebenslagen in tugendhaften Werken anzuwenden und auszuüben. Wir müssen also erst durch viele Übungen und Überwindungen von persönlichen Widersprüchen das erwerben, was in Maria schon von Anfang an seinshaft vorhanden war; Es wäre also für uns schon eine Höchstleistung, wenn wir am Ende unseres Erdenlebens das erreicht hätten und dorthin gelangt wären, wo Maria „angefangen“ hat. Dann wäre unser Erdenleben wahrhaft1463 fruchtbar und zu Ehre Gottes gewesen!

3299 |        Als mein eigenes, sittliches Ziel wird mir Folgendes erklärt: Es darf in mir keine verstandesmäßige Schwankung (des Überlegens) gegenüber einer geforderten sittlichen Vollkommenheit mehr geben, d. h., keine Selbstbestimmung, die erst noch der Überlegung und der verstandesmäßigen Folgerungen bedurfte, um sich im gegebenen Fall für die Tugend zu entscheiden, sondern die seinshafte Fähigkeit muss augenblicklich gegenüber der jeweiligen Forderung als objektiv vorhandene Betätigungsbereitschaft zum Ausdruck und zur Ausübung kommen, ohne dass noch ein vorhergehender, auf verstandesmäßigem Weg gefasster Willensentschluss notwendig wäre. Mit der seinshaften Fähigkeit muss also auch immer die objektive befestigte Ausübung wirksam sein. (Selbstverständlich haben alle meine Schriften nur den Wert privater Tagebuchaufzeichnungen über meine inneren Erlebnisse – zu deren Niederschrift ich die Anregung und ein entsprechendes Licht habe –, wollen aber nicht theologisch dogmatische Erörterungen sein.)

 

06.01.1945

3300 |        Der höchste Akt und die höchste Art der Gottesverehrung ist das „Selbstopfer vor Gott“, d. h., die Huldigung an Gott durch die sittliche Verähnlichung mit ihm. Das ist der höchste und wesentliche „Gottes-Kult“; denn darin besteht die Absicht Gottes bei der Erschaffung des Menschen, dass er „im Menschen selbst“ verherrlicht werde.

3301 |        Gottes Vollkommenheiten sollten „abbildlich“ und aktuell in geschaffener Weise gelebt werden durch Werkzeuge, die sich Gott zu diesem Zweck schaffen wollte, und schuf. Diese Werkzeuge zur Abbildung Gottes sollte der „Mensch“ sein, durch den ähnliche Eigenschaften und Vollkommenheiten, wie jene Gottes, gelebt und zum Ausdruck gebracht werden sollten. Darum ist der Mensch in1464 seiner geschöpflichen Abbildlichkeit das vornehmste und höchste Lob seines Schöpfers, wenn er das wiedergibt und zum Ausdruck bringt, was Gott mit ihm bei seiner Erschaffung als tiefsten Plan beabsichtigte.

3302 |        Wenn diese Absichten Gottes sich in einem sittlich vollkommenen Bestand eines Menschen erfüllen, so ist dieser Mensch nicht bloß das höchste Lob des Schöpfers, sondern er ist auch voll dienstfähig für Gott; und diese Dienstfähigkeit hebt den Menschen in eine gewisse Nähe zum Wesen Gottes empor und bringt – aufgrund der geschaffenen Geistigkeit der Menschenseele – eine wunderbare Einigung mit Gott hervor. – Das ist das Wunderbarste im Menschen, dass er – nicht seinem Wesen nach, aber in der Art seiner Betätigung – trotz seiner geschöpflichen Verschiedenheit zu Gott gelangen und an ihn heranreichen und seinen Schöpfer erfahren und erfassen kann. Die verschiedenen Anlagen der Seele des Menschen können in ihrer Weise und Eigenart Gottes „innewerden“, wenn die entsprechenden Voraussetzungen hierfür in der Seele vorhanden sind. Die „Einigungsfähigkeit“ des Geschöpfes mit seinem Schöpfer ist zugleich die höchste „Empfindungsart“ der Seele und ist die vornehmste Gnadengabe Gottes an sein Geschöpf. Darum sollte es auch das oberste und intensivste Streben einer jeden Seele sein, in sich die für jene Einigung notwendige Disposition zu schaffen und zu erreichen, weil sich damit der höchste und wesentlichste Zweck erfüllt und verwirklicht, den Gott von einem Menschenleben erwartet.

3303 |        Alles, was Gott außer dem Menschen in der sichtbaren Schöpfung ins Dasein gerufen hat, sollte dazu dienen, den Menschen zu Gott hinzuführen. Alle guten Eigenschaften des Menschen sind gewiss in sich selbst schon ein Lob und eine Ehrung des Schöpfers, aber zugleich und vor allem sollten sie – nach Gottes Absichten – Mittel sein, um den Menschen zur Einigung mit Gott zu befähigen und zu Gott hinzuführen. Diese Einigung des Menschen mit Gott, mittelst geübter und gelebter Akte, sittlicher, gottähnlicher Vollkommenheit, also das Wesen des Menschen selbst in der Nachbildung und im Widerspiegeln der göttlichen Vollkommenheit und Heiligkeit sollte – nach Gottes Plan – der höchste Gottes-Kult1465, die höchste und wesentliche Ehrung Gottes Sein, die der Schöpfer selbst vom Menschen erwartete und verlangte. Alles, was sonst der Mensch an Lob, Verehrung, Opfer, Anbetung Gott darbringen mag, ist demgegenüber eine Gottesverehrung zweiten Ranges.

3304 |        Diese Einigungsfähigkeit mit Gott ist in sich zweifacher Art: Erstens, eine auch psychologisch erlebte und erfahrene Art der fruchtbaren Vereinigung mit Gott und zweitens, eine psychologisch wenig oder nicht erfahrene Art, die nur im wesentlichen Streben nach der Anteilnahme und Nachbildung der Vollkommenheiten Gottes besteht und als werkzeugliches Abbild die Einigung mit Gott herbeiführt. – Beide Arten der Gottvereinigung waren im Paradies in einem Leben verbunden.

3305 |        Als diese erste Gottes-Ehrung, die sich der Schöpfer selbst im Paradiesesmenschen geschaffen hatte, durch deren Schuld verloren ging, trat die göttliche Person des Erlösers selbst als Ersatz ein, indem sie die menschliche Natur, Leib und Seele, annahm und zum gottmenschlichen Werkzeug allerhöchster Gottes-Verehrung gestaltete, um mittels dieses ersetzenden Werkzeuges die menschliche Natur wieder für Gott und jene höchste Verehrung Gottes zu befähigen. Nach dem Vorbild und in der Kraft der Gnade Christi kann und soll der Mensch sich nun wieder bemühen und bereit machen, um sich für Gott und nach Gottesbild umzugestalten, sich mit Gott zu vereinigen und Gott ein geschöpflich-menschliches Abbild seines eigenen göttlichen Wesens als höchste Ehrung und Verehrung darzubringen. Alles, was der Mensch sonst noch – außer dieser höchsten wesentlichen Ehrung – Gott an Lob und Verehrung darbringt, ist nur Befähigung und Hinführung zu jenem höchsten, persönlichen Akt und gleichsam zum Mittelpunkt der Gottes-Ehrung, nämlich zur persönlichen Umgestaltung des sittlichen Wesens des Menschen für Gott und nach Gottes Bild und Verähnlichung. Das Wesen des Menschen selbst soll als vornehmstes Werkzeug zum Gottes-Kult dienen (ich kann es nicht so tief und kurz und kräftig in Worten1466 ausdrücken, wie mich der Heiland diese „persönliche, sittliche Umgestaltung als höchsten Akt der Gottesverehrung“ verstehen ließ).

3306 |        Ich war auch hineinversetzt in mein eigenes, persönliches Ziel: Mich selbst in diesem höchsten Gottes-Kult lebend dadurch, dass das gesamte Werkzeug meines Menschen-Seins auf Gott hingeordnet ist und – vermöge und mittels dieser umgestaltenden, wesentlichen Bezugnahme und Hinordnung auf ihn – von Gott erfasst ist. – Ich schaute, wie Gott-Sohn selbst die Werkzeuglichkeit seiner Menschheit annahm und diese unmittelbar und in vollkommenster und intimster Weise – durch ihre Dienstbarkeit gegenüber seiner göttlichen Person – für jenen höchsten Gottes-Kult befähigte und gebrauchte. Im menschgewordenen Wort ist das gesamte Mensch-sein, die menschliche Natur selbst und die ganze Menschheit wieder für jenen gotteswürdigen Kult befähigt und wieder dafür gewürdigt worden.

3307 |        Von dieser Erkenntnis aus wurde ich dann weiter- und übergeführt zu meiner geistigen Aufgabe: Mein Wesen zu opfern, d. h., mich selbst als Mittel zu einer besonderen Gottes-Verehrung nach den Absichten Jesu zu geben und zu bereiten. Es war eine göttliche Anforderung meines Wesens zum Zweck einer besonderen Gottes-Verehrung, die in meiner seelischen Aufgabe liegt. (Wiederum muss ich viele Worte gebrauchen, um einigermaßen zu erklären, was der Heiland mir in einem göttlichen Gnadenlicht so kurz und doch so klar und vielsagend und umfangreich über die Art seines Wirkens in mir erklärt und wie er mich für dieses Wirken anfordert.) –

 

14.01.19451467

3308 |        Ich sehe voraus: Das Priesterwerk kommt zustande noch zeit meines Lebens — aber „über das Opfer oder um den Preis des Opfers meines Lebens“, d. h. um den Preis der Zerstörung meines eigenen Seins – zur Bestätigung1468 der Absichten Jesu. – Es wird sich auch nach meinem Tod in seinen Früchten vervielfältigen. – der Beweis ist und wird sein: das Erleben der Psychologie Christi. –

3309 |        Die „neuen Gnaden“ für das Priestertum sind vor allem „Glaubensgnaden“. – Ich bin heute wiederum mit großer unumstößlicher Sicherheit dessen innegeworden: Der Heiland will den vollen Reichtum und Ablauf der Erlösungsgnaden für das religiöse Leben verwertet und angewendet sehen1469. Die Gnaden der (subjektiven) Vollerlösung Lagen im Grunde immer schon in den Absichten Gottes; es war der Zweck der Menschwerdung Christi, dass alle Seelen in „ihm“ erneuert werden und dass sie sich selbst die Zuwendung dieser geistigen Erneuerung verschaffen sollten. Der ganze Erlösungsplan wurzelt im Fall der Menschheit in die Sünde und im göttlichen Plan der Wiedererhebung in einen erlösten Zustand, denn sich die einzelnen Seelen möglichst vollkommen aneignen sollen1470. Das Kommen und die Erlösung Christi haben nur geistige Ursachen, weil die Existenz des Menschen vornehmlich im Bestand seine Seele beruht, die in innigster und absoluter Abhängigkeit Gott gegenüber geschaffen wurde. Durch die Erlösung sollte die Möglichkeit dieser „geistigen Beziehung“ zu Gott „neu“ hergestellt werden; die Seele sollte sich „persönlich“ Kraft der Erlösungsgnaden gerechtfertigt machen und so in sich das „Reich des Geistes Gottes“ gegenüber Gott herstellen. Auf diese Weise die gesamte Menschheit in ihrem inneren Wesen und Bestand zu erneuern – das war der Zweck der Erlösung. Und es liegt im Wesen der Erlösungsgnaden, dass die Beziehungen der Seele zu Gott bis zur höchstmöglichen Klarheit und Innigkeit geführt und erhoben werden können und sollen.

 

15.01.19451471

3310 |        Es kommt ein Zustand dauernden, übernatürlichen Wissens.

 

21.01.19451472

3311 |        Der Widerspruch der S. J. gegen das Priesterwerk bedeutet für mich gleichsam Pfeile eines geistigen Schmerzes, die mich leidvoll durchbohren … nur Widerspruch! – Es ist das Geheimnis Gottes, in das kein Mensch eindringen kann.

 

24.01.19451473

3312 |        Ich wurde erneut eingeführt in das Wissen:1474 Es liegt im Zweck und Plan der Erlösung, dass die einzelnen Menschen wieder zu einem persönlichen im Glauben bewussten Kontakt mit Gott kommen,1475 ähnlich wie dies im Paradies der Fall war – wenn auch jener Kontakt der ersten Menschen mit Gott ein „zuständlich-geschaffener“ war1476. Dieser im Glauben1477 bewusste Kontakt schließt in sich das Wissen, dass sich dieses Verhältnis zu Gott immer mehr vertiefen und inniger gestalten kann; und darin liegt gerade das Wesen der versprochenen „neuen Gnaden“. Dieser Kontakt wird hergestellt durch die Mitteilung göttlichen Lebens an die einzelne Seele.

3313 |        Wie wird man aber dies dem einzelnen1478 Menschen begreiflich machen können? Wer an die in der Erlösung schon eingeschlossenen (oder enthaltenen)1479 und nun „neu“ zum Fließen kommenden Gnaden glaubt, dem kommt aufgrund dieses Glaubens das Licht der Gnade weiterhin entgegen und beleuchtet ihm das Ziel und den Weg. – Zudem wird mit der Überwindung der Sünde und der Unordnung im Menschen auch immer mehr1480 die Bahn frei für eine volle Entfaltung und Betätigung des Wirkens des Heiligen Geistes.

 

Februar

04.02.19451481

3314 |        In sehr großen Leiden wurde mir zu wissen getan: „In diesen Leiden ist alles verborgen und gewährleistet, nämlich das Werk und seine Fruchtbarkeit“. –

 

07.02.19451482

3315 |        Das Priesterwerk, die Glaubensvertiefung wird gegründet durch die Lehre des Heiligen Thomas.1483 – Besonders viel Licht und Sicherheit, dass Gottes Allmacht alles zum Ziele führen wird – mithilfe der Menschen, die auf seine Absichten eingehen „sollen“.

 

08.02.19451484

Fortsetzung über die Psychologie Christi

3316 |        Die göttliche Person Christi passte sich auch in Bezug auf ihr göttliches Wissen den menschlichen Lebensfunktionen an. Das seiende göttliche Wissen des Gott-Menschen beinhaltete und bewegte aber andere geistig physische Lebensakte als das gewöhnliche, „sich bildende“ menschliche Wissen. – Schon bei der Menschwerdung vollzog sich eine gewisse, mit dem physischen Wachstum und der menschlichen Entwicklung sich dann ständig steigernde Überschaltung der göttlichen Eigenschaften auf das physische Leben Christi. Das Sinnenleben der menschlichen Natur Christi wurde zum menschlichen Ausdrucksmittel für die göttlichen Eigenschaften.

Darlegung der psychologischen Grundlagen

3317 |        Das menschliche Sinnenleben schließt ein doppeltes in sich: die Betätigung der physischen Sinneswerkzeuge, und dazu die geistige Erlebnisfähigkeit des Gesamtmenschen. Die leibliche Reaktionsfähigkeit der Sinne ist sowohl Ausdrucksmittel für die Seele wie auch Anregung und Einwirkung auf die Seele durch die davon ausgehenden Reflexe. Die Betätigung der beiden Elemente bildet aber eine harmonische Einheit. – In ähnlicher Weise bilden auch das menschliche Intelligenz- und das Empfindungs- und Gemütsleben eine gewisse Einheit im Gesamtleben des Menschen. Das Intelligenzleben und das Sinnen- und Empfindungsleben der Sinne greifen unmittelbar ineinander und bilden auf schlussfolgendem Weg das, was wir „Gemütsleben“ nennen.

3318 |        Im Rahmen der geistig körperlichen Wechselbeziehungen im Menschen beeinflusst und bindet das geistige Intelligenzleben weitgehend auch das physische Leben und übt eine fördernde und bildende1485 Wirkung auf den Umsatz der physischen Lebenskräfte aus; andererseits erfahren die seelischen Anlagen des Intelligenzlebens eine durch die Entwicklung der physischen Kräfte bedingte Entwicklung und Bildung.

3319 |        Wie kommt es zu einem fertigen Intelligenzleben im Menschen? Die Seele als Geist trägt von Anfang an die zu einem Intelligenzleben notwendigen Anlagen in sich, aber die Betätigung dieser geistigen Anlagen kann im Menschen für gewöhnlich nur vermittelst des Leibes, d. h. der Sinne, erfolgen. Die Sinne sind die ersten Hilfsmittel, um die Anlagen der geistigen Seele zu wecken und zur Entfaltung zu bringen. Die Einwirkungen von außen treffen durch die Betätigungen der Sinneswerkzeuge mit ihren Reaktionen die entsprechenden Anlagen in der geistigen Substanz der Seele. Das liegt in der vom Schöpfer gegebenen Eigenart der substanziellen Zusammenordnung von Seele und Leib im Menschen. – Der erste, diesbezügliche Akt eines Kindes ist ein bloßes, unbewusstes Aufnehmen der Eindrücke durch die Sinneswerkzeuge, also ein bloßes, unbewusstes Schauen, Hören, Fühlen. Dieses unwillkürliche Aufnehmen oder bloße Wissen regt aber die ganze physische Natur, das Nervensystem und das Gehirn an und bringt schließlich – in allmählicher Entwicklung – ein bewusstes, vernunftmäßiges, schlussfolgerndes Wissen hervor. Vom bloßen physischen „Sehen“ kommt es mithilfe der physischen Werkzeuge des Gehirns und der Nerven allmählich zum vernunftmäßigen „Denken“. Jene ersten1486 Akte des bloßen Sehens, Hörens usw. treffen die entsprechende Intelligenzanlage in der Substanz der Seele, aber auch jene ersten Akte wären nicht möglich, wenn die Seele nicht schon durch den allgemeinen Akt des Belebens tätig wäre. Die Anlage der Seele weckt und reizt und fordert die Betätigung der physischen Natur, des Gehirns und des Nervensystems, wodurch erst ein verwertbares, menschliches Wissen und Erkennen ermöglicht wird. – Wissen ist also im Menschen1487 eine Anlage der Seele, die aber nur mithilfe der physischen Natur verwirklicht wird, nämlich durch die normale, physische Betätigung der Sinne, durch Sehen, Fühlen, Hören usw. Der Reiz der durch die Sinne weitergeleiteten äußeren Einflüsse vermehrt die Tätigkeit und Aufnahmefähigkeit der sich entfaltenden geistigen Substanz der Seele, die jene Form der Betätigung annimmt, die Ihr jeweils durch die Sinne geboten und angeregt wird. Im gewöhnlichen Menschen kommt es also zum „Wissen“ nur mittels der anregenden und vorbereitenden Werkzeuge der Sinne, die den schlummernden, substanziellen Anlagen der geistigen Seele als Anreiz und Hilfsmittel dienen. Die feinen Zusammenhänge zwischen Substanz der Seele und den Sinnen wirken sich aus in der einheitlichen Zusammenfassung der Betätigung der Sinne und der Reaktion der geistigen Seele.

3320 |        Diese „Zusammenfassung“ oder dieses Zusammenwirken der substanziellen Anlagen und der Sinneswerkzeuge bilden den eigentlichen Lebensvorgang des „Sinnenlebens“. Die Belebung der Sinne durch die substanzielle Tätigkeit der Seele macht die Sinne zu Werkzeugen der Seele und der substanziellen Geistesbetätigung, insofern die Sinne zugleich mit ihrer „Belebung“ als „Aufnehmer“ der wahrzunehmenden Eindrücke und als Anreger der substanziellen Anlage der Seele funktionieren. So bietet das „Leben“ selbst gleichsam den äußeren Umständen und Einflüssen die Möglichkeit, sich in das persönliche, bewusste Leben des Menschen einzuschalten und darin1488 eine bestimmte menschliche Gestaltung zu gewinnen. Der von der Substanz der Seele ausgehende Lebensvorgang bildet sich mit den eigenen seelischen Anlagen und mit der Hilfe und den Anregungsmitteln der Sinnesbetätigungen immer neue Möglichkeiten der Erweiterung und Ausbreitung, wie sie ihrem eigenen Lebensziel und ihrer Bestimmung entsprechen. Es gehört ja zum Wesen uns zur Eigenart des „Lebens“, das es sich selbst zu einem Ziel und Zweck hinführt, vorausgesetzt, dass die dazu notwendigen Mittel geboten sind – wie auch das vernunftlose „Leben“ der Pflanze sich im Sinne des eigenen Zieles und der eigenen, besonderen Bestimmung auslebt und auswirkt.

3321 |        Will man das Wesen des menschlichen Sinnenlebens erfassen, so tut man gut, von der Vorstellung eines Geistes auszugehen, der sich ähnlicher Ausdrucksmittel bedient, wie es unsere Sinne sind, der aber zugleich in der geistigen Seele selbst entsprechende Anlagen besitzt. Tatsächlich verständigen sich die Engel untereinander ohne Sinneswerkzeuge, aber doch in ähnlicher Weise, wie wir Menschen; denn „sich verständigen“ ist im Grunde immer die gleiche Geistesbetätigung, und nach dem Tode wird jede Seele, vom Leibe getrennt, in einen Zustand ähnlicher Geistesbetätigung versetzt.

3322 |        Es ist aber ein Lebensgesetz für den Menschen, dass die Seele ihre Anlagen mittels des Leibes zur Formung und zum Ausdruck bringt und dieses Ausdrücken und Formen wird wiederum zur weiteren Lebensanregung durch die Rückwirkung auf die Substanz der Seele. So findet in der harmonischen Einheit des „Lebens“ ein beständiges „Unterstützen“ zwischen dem Geistigen und dem Physischen statt. So beruht das ganze Intelligenzleben des normalen Menschen auf einem Lebensvorgang, durch den der Mensch sich selbst anregt und bildet und vervollkommnet und schließlich zu einem fertigen, gleichsam „in sich selbst unabhängigen“ Wissen gelangt, d. h., so einem jederzeit zur Verfügung stehenden Vorrat an Wissen oder dessen, was er „schon weiß“. Dieses fertige, schon unabhängige Wissen1489 ist der Gipfelpunkt der menschlichen Intelligenzanlage, setzt aber einen lang dauernden Vorgang des „sich bildenden Wissens“ voraus.

3323 |        Wie jedes Leben – auch das Pflanzen- und Tierleben – hat das menschliche „Leben“ die Uranlage, sich selbst Befehle zum eigenen Fortkommen zu suchen und heranzuziehen und sie seiner Art entsprechend zu verwerten. Sobald das Kind in den ersten Monaten durch die normale, gesunde Sinnesbetätigung zum „bloßen“ (unbewussten) „Wissen“ gelangt, gebraucht es sich selbst lebensbetätigend. Jene einleitende Lebensbetätigung des „bloßen Wissens“ oder Aufnehmens – das nur Sehen, Hören, Fühlen ist – erweitert und vermehrt durch eine gewisse Reaktion die eigene Aufnahmefähigkeit und wird allmählich zu einem mehr oder weniger bewussten Einschalten jener schon verwerteten Eindrücke in den allgemeinen Lebensumsatz. Damit vollzieht sich aber1490 nicht bloß ein bewusstes Erleben des durch die Sinne Vermittelten, sondern – sobald die Sinneseindrücke mit der Personanlage in Berührung treten – es kommt auch die Eigenart, und der Wert des tiefsten Kerns des menschlichen Wesens, des Personkernes, zur Geltung und zum Ausdruck, nämlich in der Art und Weise (in der Tiefe oder Oberflächlichkeit, in der Enge oder Weite, im Umfang oder der Einseitigkeit, in der Flüchtigkeit oder Nachhaltigkeit, in der Abschwächung oder Aufbauschung, in der Wirklichkeitsnähe oder Verzerrung), wie die Eindrücke des Sinnenlebens oder Gefühls von Personkernen aufgenommen werden; wie die äußeren Einflüsse des Gesamtlebens treffen und zum Reagieren bringen, wie die in ihrem Ursprung physischen Erlebnisse vom Geistigen im Menschen erfasst, erlebt1491 und verwertet werden. Dieses „Wie“ ist mitbestimmend für das Gesamtleben des Menschen und prägt sich besonders aus in dem, was wir das „Gemütsleben“ nennen.

3324 |        Obwohl sich die ersten psychologischen1492 Betätigungen im Kinde unbewusst vollziehen und obwohl es nur „augenblickliche Akte“ ohne bewussten Zusammenhang untereinander1493 sind, bahnen sich in diesen Anfängen doch schon die entsprechenden Linien und Spuren des kommenden, bewussten Gefühls- und Gemütsleben an. Wenn auch noch nicht bewusst erlebt, treffen sich jene durch die Sinneswerkzeuge vermittelten Eindrücke doch naturgemäß mit der substanziellen Anlage der Seele, von der die Sinne belebt und zu ihren Akten befähigt sind. Das einheitliche Ziel oder Ergebnis dieses menschlichen Lebensvorganges entsteht gleichsam im Mittelpunkt oder Treffpunkt der beiderseitigen Betätigungen. Dieser so gebildete Mittelpunkt oder Treffpunkt ist dem Kind selbst zwar noch unbewusst, wirkt aber doch richtunggebend für die allgemeine Entwicklung, und für den allgemeinen Lebensprozess weiter, bis das Kind für vollbewusste Erlebnisse, und bewusste Äußerungen fähig wird. Schon diese noch unbewusst gelebten Lebensresultate haben eine ähnliche Wirkung für den allgemeinen Lebensprozess und werden in ähnlicher Weise in das Gesamtleben eingeschaltet und darin verwertet, wie später die bewussten Erlebnisse. Zum Beispiel: Zuerst kann das Kind seine Pflegepersonen nur „sehen und hören“, aber auch von diesem „bloßen, unbewussten Wissen“ wird das ganze Verhalten des Kindes (zu den Pflegepersonen) abhängig und beeinflusst. Dieses „bloße“ Wissen und aufnehmen „bildet sich dann zu einem Erkennen“ aus, worauf das Kind entsprechend reagiert. Durch all diese angedeuteten Reaktionen bildet sich ein Mittelpunkt, ein Reservevorrat an Erlebnissen, der zuerst unbewusst, später bewusst als Gefühlsleben sich auswirkt und auftritt, aber zugleich Erzeugnis des sich schon irgendwie betätigten Intelligenzlebens ist. Wo das Aufnehmen der Umstände und Einflüsse durch die Sinneswerkzeuge fehlt, da kann sich auch kein normales gesundes Gefühls- und Gemütsleben ausbilden, weil dieses von der Intelligenzanlage nur aufgrund der Ergebnisse der Sinnesbetätigungen hervorgebracht werden kann. (Diese besagten „Umstände und Einflüsse“ sind nicht nur die von außen kommenden, sondern können auch im eigenen Sein gegeben werden). Es muss darum auch so viel Intelligenzanlage vorhanden sein, als zu einem normalen Leben notwendig ist, d. h., um die eigenen Lebensumstände überschauen, beurteilen und erleben zu können und um sein Leben innerhalb der Grenze der Lebensumstände bestimmen und führen zu können. Weil das Gefühls- und Gemütsleben auch von der Intelligenzanlage (aufgrund der Sinnesbetätigungen) hervorgebracht wird, hängt die Art des Gefühlslebens auch vom Grad der vorhandenen Intelligenzanlage ab und ist das Intelligenzleben mit seiner Entwicklung und Steigerung auch ein Gradmesser für die Art des Gefühlslebens. Gewiss kann man sagen: Die Sinneswerkzeuge wie Augen und Ohren sind die sehende und hörende Seele, aber man kann auch sagen: Noch wichtiger als diese Werkzeuge ist der Ausdruck des Gesamtlebens des Menschen, das irgendwie im Sinnenleben zusammengefasst wird. Ein Menschenleben kann auch im Falle des Fehlens eines oder mehrere der genannten Sinne „normal“ sein, wenn das Gesamtleben durch ein Sinnenleben zum geordneten Ausdruck kommt. Wo aber diese letzte Tatsache fehlt (d. h., wo das Gesamtleben nicht geordnet durch ein Sinnenleben zum Ausdruck kommen kann), da bleibt der Mensch trotz vorzüglicher physischer Anlagen des Sehens und Hörens usw. „anormal“. Weil das Sinnenleben auch ein unmittelbarer Ausdruck der persönlichen Eigenart der Intelligenz ist, ist es deshalb auch in hoher Weise von der Intelligenzanlage des Menschen abhängig, während die Tätigkeit der einzelnen Sinneswerkzeuge im Besonderen weitgehend vom allgemeinen Sinnenleben geleitet und beherrscht wird.

3325 |        Das sich betätigende Sinnenleben findet seinen für uns erfassbaren Ausdruck im Empfindungsleben. Im Empfindungsleben1494 treffen und schließen sich zusammen die Resultate des geistig-leiblichen Lebens und werden dort zu einem gemeinsamen Ausdruck und Austrag gebracht; denn es gibt kein rein geistiges Empfindungsleben im Menschen. Selbst wenn die Ursachen der Empfindungen rein geistig sein sollten, so kann auch in diesem Fall eine wahre menschliche Empfindung nur mithilfe der physischen Natur zustande kommen. Das Empfindungsleben hat als Grundlage leib-seelische Bewegungen, die fortgesetzt auf die persönliche Eigenart des Intelligenzlebens treffen und auch von dieser in der Art ihrer Eindrücke mitbestimmt werden. Die „Intelligenzhöhe der Person“ wirkt mit ein auf die Art des Empfindungslebens eines Menschen, und die Art des Empfindungs- und Gefühlslebens wird ständig eingefasst und einbezogen in die persönliche Art des Intelligenzlebens. Intelligenz und Empfindungsart lässt sich nicht trennen. Das Empfindungsleben bildet gleichsam die Summe und Zusammenfassung des Seelenlebens, das aber von der Art der Intelligenz getragen und geführt wird.

3326 |        Anmerkung: Im Kleinkind ist schon1495 gleich nach der Geburt (vorher eine Art Schlummerzustand)1496 eine Art „Unterbewusstsein“ tätig, durch welches gewisse Zusammenhänge zwischen den äußeren Eindrücken und den erst im Werden begriffen „Bewusstseinsakten“ hergestellt werden.

 

09.02.19451497

3327 |        Ich bin in einem leidvollen Umstellungsprozess des psycho-physischen Lebensaktes. – Ich kann nun verstehen, welche große Bedeutung die Aktivität des Geistes auch für den physischen Lebensumsatz hat und wie sehr das Seelenleben auch den leiblichen Lebensprozess beeinflusst.

3328 |        Infolge der Verschiedenheit der göttlichen Person von einer1498 menschlichen nahm in Christus auch das leibliche Leben in gewisser Hinsicht andere Funktionsarten an als das gewöhnliche menschliche Leben. In Christus war nämlich nicht vorhanden das Lebensgesetz des „sich bildenden“, vernunftmäßigen Wissens mit dem dazugehörigen psycho-physischen Lebensakt – was im gewöhnlichen Menschen Grundgesetz des Lebens ist.

 

11.02.19451499

3329 |        Ich bleibe bei meinem Vorsatz: Ich will alles nur mit dem Kreuze erreichen. Die Leiden geben Sicherheit und Ruhe; sie sind ein unbezahlbarer Schatz, so sehr, dass der Gott-Mensch sie sogar als Preis gewählt hat für die Erlösung des Menschengeschlechtes gegenüber Gottes Gerechtigkeit.

3330 |        (In der Kirche S. Rocco:) „Mein ganzes Wesen wird von dem ergriffen werden, was in meinem Geiste vorbereitet ist.“1500

3331 |        Heute war die Jahrhundertfeier des Gebetsapostolates in der Kirche „Al Gesu“. Ich war nachmittags dort, während das Allerheiligste ausgesetzt war. Da wurde ich ganz unvermutet und ohne irgendwelche Vorbereitung innerlich auf die Person P. Pius XII hingeführt. Ich wurde in gewisser Hinsicht in seinen Seelenzustand hinein versetzt und dabei wurde mir Folgendes mitgeteilt: „er sucht durch sozial karitative politische Mittel das religiöse Leben in der Kirche zu heben und zu kräftigen; er wird es auf diesem Wege nicht erreichen. Er 'umgeht' damit meine Absichten, die ich habe, nämlich das religiöse Leben und das Glaubensleben in der Kirche auf direktem Wege zu heben und zu fördern. – Diese Tatsache verhindert eine große, unmittelbare Einigung des Papstes mit meinem Herzen; er würde mir größere Ehre erweisen und sich meinem Herzen in unmittelbarer Weise nähern, wenn er mit direkten Mitteln und ohne diplomatisch einseitige Umwege sich ganz der Erhebung des Glaubenslebens in der Kirche widmen und hingeben würde.“

3332 |        Ich erfasste diese Hindernisse zum Herzen Jesu wie einen undurchdringlichen Schleier, der den Heiligen Vater von einer höheren Einigung mit dem Herzen Jesu und von einem besonderen Wohlgefallen Jesu trennt. – „Man kann viel tun, um das Reich Christi zu fördern; man kann aber noch mehr tun und kann noch Vollkommeneres tun, um Christi besonderes Wohlgefallen sich zu sichern.“

3333 |        Dieses innere Erleben – das sich in Worten nur unvollkommen zum Ausdruck bringen lässt – blieb wohl eine Stunde lang in meinem geistigen Begriff eingeprägt und wurde mir wiederholt innerlich bestätigt. (Ich weiß, wie Pius XII in der angedeuteten Hinsicht zum Heiland steht.)

 

12.02.19451501

3334 |        Von den Staaten ist für das Glaubensleben nichts zu erwarten; das Glaubensleben muss unmittelbar durch die Kirche in das Volk getragen werden durch Bemühungen, die sogleich die einzelnen Personen erfassen. In Zukunft wird das religiöse Leben getrennt vom Staatsleben dem Volke in einer vertieften Weise zugeführt werden. – Es wird so ähnlich sein, wie einst die Apostel die Lehre Christi unter die Heiden getragen haben, indem sie sich an die einzelnen wandten, um dadurch wieder die Masse für Gott zu gewinnen.

3335 |        Ich hatte ein klares Voraussehen über diesbezügliche Forderungen an die Kirche, die nicht darauf warten darf, dass sich die staatliche Behörde des religiösen Lebens (z. B. Religionsunterricht) annimmt. – Das religiöse, kirchliche Leben wird unabhängig sein vom Staatsleben und die Kirche wird sich als Geistesmacht offenbaren.

3336 |        Der heutige Tag ruft mir den 12. Februar 1923 in Erinnerung, der auch ein Fastnachtsmontag war. Damals schickte mich der Heiland, wie er mir vorher versprochen hatte, anlässlich unserem Fastnachtstriduum zu Pater Michael Lenz O. P. – Als Pater Lenz – der zur Aushilfe in unsere Pfarrei kam15021503 – am Sonntag, den 11. Februar um 7:00 Uhr zur heiligen Messe an den Altar ging – ich hatte ihn vorher nie gekannt noch gesehen1504 – sagte mir Jesus ganz deutlich und sicher: „Gehe zu diesem Priester und sage ihm alles; er wird dich verstehen.“

3337 |        Ich tat dies, indem ich eine Wiederholungsbeichte bei ihm ablegte1505. Groß war meine Angst, über meine seelischen Unklarheiten zu sprechen, die andererseits auch wieder lichte Klarheiten waren; doch Jesus war getreu und erfüllte, was ich von ihm verlangt hatte: Er müsste es selbst fügen, dass ich zum Sprechen komme. Der Pater fragte mich nämlich, ob ich etwas auf dem Herzen habe, und so fiel es mir nicht mehr so schwer, das Weitere zu sagen, was ich nach Jesu Willen sagen sollte; im Gegenteil, es war mir eine Erleichterung, endlich Sicherheit darüber bekommen zu können, „ob es wohl Jesus sei“, der immer zu mir spreche und beständig seine Forderung stelle: mich mitzuopfern „mit ihm, ein Opfer sein zu wollen mit ihm, wie eine Hostie täglich mit dem Heiland geopfert und in ihn umgewandelt zu werden“. …

3338 |        Es schien1506 mir unbegreiflich, dass der Pater auf alles einging und alles so bestätigte, wie ich es als den Willen Jesu erkannte. Er versprach mir auch, mich1507 am nächsten Morgen „mitzuopfern“ und diesen Opferakt dann täglich zu wiederholen. Ich konnte darüber nicht genug staunen, dass er mir das glauben und bestätigen konnte, dass der Heiland wirklich mit1508 mir spreche. Ich war ganz von der inneren Gegenwart Jesu und von unaussprechlichem Trost erfüllt.

3339 |        Endlich, endlich war ich in der tiefen Befriedigung, mit ihm ein Opfer sein zu können. Ich wusste auch mit Sicherheit voraus: Jesus selbst wird den Opferakt und die Umwandlung in ihm vollziehen. Ich wusste um seine göttliche Treue und wusste damit: Eines Tages werde ich „sein Leben leben“, mich ihm leihen und ihm Werkzeug sein, um seine Absichten in der Kirche zu vollziehen. – Ich wusste auch um die Leiden, die in dieser Hinopferung eingeschlossen waren. In unaussprechlicher Liebesvereinigung sagte mir Jesus am Montagabend die für mich unauslöschlichen Worte: „Ich will dich zu meiner Kreuzesbraut machen.“ Ja, er hat sein Versprechen wahr gemacht. – doch das Verlangen, mit ihm vereinigt zu werden, ließ keine Opferscheu in mir aufkommen. Ich kannte vielmehr nur ein unaufhaltsames Weiterstreben dem Ziele zu: sein Leben zu leben! – nur die Scheu vor etwaigen außergewöhnlichen/außerordentlichen1509 Gnaden hielt mich zuweilen zurück; dafür verdoppelte ich aber dann mein Streben nach dem gewöhnlichen geistigen Fortschritt, nach der Liebesvereinigung mit ihm. Ich kann wohl mit ruhigem Gewissen sagen: Wie ein Geiziger nach Geld und Besitz strebt, in gleicher Weise strebte ich seit meiner Kindheit nach dem Heiland, nach der Vereinigung mit ihm, nach Heiligung. – Aber wie viel würde ich erreicht haben, wenn mein Streben von größerem Opfergeist und Leidensmut1510 getragen gewesen wäre!

 

14.02.19451511

3340 |        Ich will in dieser ganzen Fastenzeit nicht auf den Erfolg (des Werkes), sondern nur auf das Kreuz schauen, um mir eine unüberwindliche Kreuzesliebe anzueignen. – Nicht der Erfolg, sondern nur das Kreuz! –

 

15.02.19451512

3341 |        Worin liegt eigentlich das Geheimnis, dass eine Seele zu jenem Geisteszustand kommt, indem sie das Kreuz, d. h. die Leiden „lieben“, und gleichsam danach verlangen kann? – Es liegt vor allem darin, dass die Seele die Wirksamkeit der Gnaden in Leidenszeiten erfahren hat. Aber eine solche erfahrene Wirksamkeit der Gnade in Leidenszeiten findet sich wohl in jenen hohen Regionen des geistlichen1513 Lebens, in denen schon eine sehr hohe Losschälung der Seele von äußeren Gütern und eigener geistiger Befriedigung grundgelegt und erreicht ist.

3342 |        Ein dauernder Zustand der „Liebe zum Leiden und zu Verdemütigungen“ kann aber wohl nur dann vorhanden sein, wenn die Seele vorher durch Gottes Gnade durch den aktiven Geistesweg dieser Losschälung geführt worden ist. Durch die praktische Übung der Losschälung gelangt die Seele zur Einsicht hinsichtlich der Bedeutung und Wirksamkeit der inneren und äußeren Losschälung für das eigene Seelenleben und für den daraus folgenden Fortschritt in der Einigung mit Christus. Die Seele wird persönlich davon überzeugt und wird es inne, dass man sich Christus nur in dem Maße „nähern kann“, als man sich selbst und seine persönlichen Interessen, seine Ruhe, Anerkennung usw. aufgibt, und diese mit der Gnade Gottes errungene Einsicht lässt die Seele „jene Mittel“ lieben, umfassen und ergreifen, die sie dem Ziele der Vereinigung mit Christus am wirksamsten näher bringen.

3343 |        Dieser Zustand, der sich in den höchsten Spitzen der Seele auswirkt, ist auch ein Zeichen dafür, dass für die Seele selbst „alle irdischen und persönlichen Stützen gefallen sind“. – Nachdem der Weg der aktiven Losschälung durchschritten ist, lassen außergewöhnliche Hemmungen und Schwierigkeiten, bei denen jede äußere Hilfe und Stütze aussichtslos erscheint, sowie die erlebte natürliche Ohnmacht gegenüber den Forderungen der Gnade: Solche Schwierigkeiten lassen die Seele nur noch im Kreuz des Heils erblicken. Sie führen die Seele vollends ein in das Erleben der Fruchtbarkeit der Leiden aller Art. – Der Weg zum Gipfel dieses Zustandes führt wohl nur über das Erleben eines „vollen Fiascos“ und Misserfolges aller persönlichen Bemühungen und Aktivität, über verzweiflungsähnliche Leiden und Zusammenbrüche. Die Seele erfasst in diesen Zuständen als letzte Rettung die „Fruchtbarkeit des Kreuzes“ und macht sich diese geistige Fruchtbarkeit des Kreuzes gleichsam als ihr Lebensprinzip in der schon erlebten Sicherheit zu eigen, dass sie sich mit der gnadenvollen Aktivität des Leidens auf dem sicheren Wege befindet. Sie erlebt die „Süßigkeit des Kreuzes“ und fühlt sich ohne das Kreuz gleichsam außer[halb] ihrem eigenen Element. Es ist eine Tatsache, dass (auf solchen höheren Stufen des geistigen Lebens) mit den Leiden im Grunde ein tiefer Friede, und ein sicherer Halt verbunden ist – was Außenstehenden vielleicht als Torheit oder Unmöglichkeit erscheinen mag.

3344 |        Besonders in außergewöhnlichen Wegen des Seelenlebens kann das Leiden, so bitterschmerzlich es auch von der Seele empfunden wird, wie eine Entlastung und Erleichterung gegenüber den außergewöhnlichen Zuständen und Forderungen der Gnade, denen sich die Seele „Ratlos“ gegenübersieht, wirken. Die Seele erfährt dann das tiefe Geheimnis der Sicherheit des Kreuzes und ist überzeugt, dass sie auch im tiefsten Dunkel geheimnisvoller göttlicher Anforderungen nicht irregehen kann, wenn sie gestützt ist auf das Kreuz; denn sie hat schon die sicher führende Hand des Gekreuzigten erfahren und erlebt.

3345 |        Der tiefste psychologische Grund der „Ruhe im Leiden“ besteht darin, dass die Seele schon jene Bedingungen im eigenen inneren Leben gelöst und zerbrochen hat, die eine eigene Befriedigung im Leben suchen lassen. Auch in Leiden, Verkennungen und Misserfolgen schwerster Art hat die Seele nicht nur das eigene Interesse als Richtschnur noch den eigenen Erfolg als Ziel gesetzt. All diese persönlichen, inneren oder äußeren Bindungen sind gesprengt, und darum treffen auch solche schweren Leiden die Seele nicht mehr so „persönlich“, sondern gleichsam in einem von sich abgelösten Zustand, insofern die Seele alle Früchte ihre Bemühungen und Opfer ganz und einzig in die Hand der Vorsehung Gottes gelegt hat.

3346 |        Gewiss ist die Bitterkeit des Leidens solcher Misserfolge deshalb besonders fühlbar und schmerzlich, weil es auch „göttliche Misserfolge“ sind, d. h., weil Jesus die Seele diese Misserfolge gleichsam an seiner Stelle erleben und wiederholen lässt, aber dieses Leiden ist abgelöst und frei vom Stachel der Abhängigkeit von1514, oder der Anhänglichkeit an persönliche Interessen und Befriedigungen und Wünsche usw.

3347 |        Es wäre aber ein großer Irrtum zu meinen, dass in solchem höheren Seelenleben alle Leiden und Schwierigkeiten gleichsam in Trost und Süßigkeiten eingehüllt wären. Je mehr die Seele auf dem Kreuzweg voranschreitet, desto mehr verhindert sich vielmehr die übernatürlich eingegossene Tröstung und Süßigkeit, aber die Seele „lebt“ von errungenen Früchten, um damit in der jeweiligen Lebenslage auszukommen. Wer weiter in der Losschälung vorgedrungen ist, genießt auch reichliche Früchte der Losschälung und der persönlichen Selbstlosigkeit und geistigen Bedürfnislosigkeit, und diese ist der Gradmesser für die Ruhe und Tröstung im Leiden und ist zugleich deren Quelle und tiefstes Geheimnis. Auf dieser Höhe der persönlichen Bedürfnislosigkeit und Selbstlosigkeit wird die Seele erst zum größeren Opfer für Christi Absichten befähigt. Ihr Leben wird zu einem wahren Eigenopfer1515 und Opfer alles Eigenen für die Interessen und Absichten Christi.

 

18.02.19451516

3348 |        Es gibt keinen wahren sittlich-religiösen Fortschritt1517, mit dem nicht zugleich eine gewisse psychologische Veränderung oder Umgestaltung verbunden wäre; denn der Fall in die Sünde brachte außer den moralischen Auswirkungen auch den Bruch der ursprünglichen psychologischen Harmonie mit sich und darum gehört zur vollen Wiedereroberung des1518 entsprechenden gottgewollten Zustandes auch die Wiedergewinnung einer entsprechenden psychologisch-harmonischen Ordnung.

 

25.02.19451519

3349 |        Die innere Führung fordert gegenwärtig von mir den Verzicht auf die mündliche Aussprache oder das Reden über Dinge des alltäglichen Lebens, oder irdische Angelegenheiten, um dafür die Möglichkeit zu erlangen, die innerlich gegebene geistige Fülle zur Aussprache formen zu können. Es ist wahr, schon seit längerer Zeit tue ich mich sehr „schwer“ im gewöhnlichen Gespräch mit den Menschen; denn es fehlt mir größtenteils das gewöhnliche „verstandesmäßige“ Schlussfolgern, um einem Gespräch folgen oder es logisch weiterführen zu können. Für gewöhnlich „weiß ich nichts“ und muss mühsam einen Gesprächsstoff zusammensuchen, der aber dem, was mich im tiefsten Inneren erfüllt, widerstrebt oder widerspricht. –

3350 |        Die durch die innere Führung bewegte psychologische Entwicklung führt mich immer mehr zur ausschließlich „wesentlichen oder substanziellen“ Betätigungsart der Seele, und damit zur unmittelbaren Ermöglichung des Erlebens Christi. Der Weg dazu ist ein immer tieferes (aber auch seelisch unsagbar schmerzliches) Verzichten auf alles eigenpersönliche Erleben und auf die bisher gewohnte psychologische Betätigungsweise. Ich komme sozusagen zum „Mittelpunkt“, in dem Sein und Erleben und Äußerung unmittelbar in sich zusammengefasst sind.

 

März

01.03.19451520

3351 |        Beim Anblick eines Neugeborenen, außergewöhnlich gut und lieb entwickelten Kindes wurde ich vom Geist Gottes erfasst und eingeführt in das Geheimnis des „werdenden Lebens“.

3352 |        Ich schaute die göttliche Vorsorge für die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes durch das Heiligtum der Ehe. Es war einzig Gottes Liebe, seine allweise Liebe und Absicht,1521 die den Menschen die Fähigkeit übergeben hat,1522 im1523 Verein mit seinem göttlichen Schöpferwillen das Menschengeschlecht weiterzuleiten. Ich schaute dieses „Überlassen“ göttlicher Schöpferkraft an den Menschen, wie es für sich im werdenden Menschen1524 vollzieht. Ich schaute die wunderbare Ordnung und Weisheit im Plan und Werke Gottes1525. – Ich schaute aber auch den entsetzlichen Kontrast der diesbezüglichen Sünde gegen die Ordnung Gottes und schaute den furchtbaren Zorn Gottes gegen den Missbrauch, durch den die von ihm geschaffene Ordnung umgekehrt und seine göttliche Einrichtung frevelhaft, entgegen seinen weisen und liebevollen Plänen und Absichten gebraucht1526 wird. – Es ist schwer oder vielmehr unmöglich, in Worten auszusprechen, was ich über die ursprüngliche göttliche Ordnung als göttliche Wohltat und Liebe1527 zur Fortpflanzung des Menschengeschlechtes und sogleich als Bindung und Vereinigung zweier Menschen schaute. „Gott ist die Liebe“, und in ähnlichem Sinne hat er die ganze Schöpfung bzw. die Menschen auf die Grundlage der Liebe gestellt.1528

3353 |        Es war ein Erfassen der göttlichen Absichten in diesem menschlichen Geheimnis des „werdenden Lebens“ – und demgegenüber zugleich ein Erfassen des Zornes und der Rache Gottes gegen den Missbrauch und die Verkehrung seiner göttlichen Gesetze. Es ist dies ein unaussprechlicher furchtbarer Kontrast, der einen niederschmetternden Eindruck auf mich machte. – Zugleich erkannte ich die Wichtigkeit des von Gott gewollten „Werkes“ auch für eine Erneuerung der Ehe.

 

03.03.19451529

3354 |        In letzter Zeit wurde ich auch innerlich öfter hingewiesen auf eine gewisse reife Milde als die letzte Vollendung (und Spitze in der Ausübung) der Tugenden, wie wir dies vor allem in Maria sehen und bewundern können.

3355 |        Der Gipfelpunkt oder die Spitze der sittlichen Vollkommenheit liegt in der erworbenen „Leichtigkeit“ in der Ausübung der Tugenden. Diese „leichte“ und schon „mühelos“ gewordene Ausübung ist aber nicht möglich ohne einen gewissen sittlich-psychologischen Kraftvorrat; und dafür ist Grundbedingung ein gewisser Reichtum psychologischer Umsatzkräfte, der erworben wird durch beharrliche und zielbewusste Übung und Anstrengung, wodurch die mit der Existenz des Menschen gegebenen Kräfte in das sittliche Vollkommenheitsideal hineingehoben und in dessen Dienst gestellt werden.

3356 |        Erst ein solcher Überschuss oder Vorrat an sittlich-psychologischer Kraft, durch beständige „Übungen“ erworben, lässt in der Seele die vier Kardinal-Tugenden in einer ebenmäßigen, abgeklärten und allgemeinen Harmonie erblühen. (Die vier Kardinaltugenden „Klugheit, Gerechtigkeit, Starkmut und Mäßigung“ sind dabei in ihrem tiefsten Sinne als Grundhaltung der Seele und allgemeine Grundrichtung der Heiligkeit zu verstehen.) Jene Fülle erworbener psychologischer Kraft gibt der Ausübung der einzelnen Tugenden erst die Weisheit und reife Milde (bei aller Kraft und Entschiedenheit), jene Ausgeglichenheit und Abgewogenheit und Abrundung, die der wahren sittlichen Vollendung eigen ist. Diese kraftvolle Milde und Sanftheit in der Ausübung der Tugenden gehört gleichsam als letzter Abschluss zum Idealbild sittlicher Vollendung. Darin wirken sich nämlich allumfassend die vier Kardinaltugenden auf das Gesamtleben aus, und damit ist die Voraussetzung für ein ungehindertes Wirken des Heiligen Geistes in der Seele geschaffen. Das Wirken und die Vollkommenheit Gottes durchdringen – in mehr oder weniger hohem Grad – das Leben und Tun eines solchen Menschen, und Gott kann in und mittels einer solchen Seele seine „Werke“ und Absichten gleichsam nach göttlicher Art vollbringen. Das Gesamtleben eines solchen Menschen wird dann von einer alles umfassenden Liebe verklärt, deren Glanz und Spiegelbild sich zeigt in einer gewissen Gelassenheit, Güte und Milde in allen Lebenslagen. Es wird der Ausübung der einzelnen Tugenden eine gewisse1530 Härte, Schroffheit und Steifheit genommen, weil auch die Tugend der Mäßigung alles durchdringt und eine abgeklärte Milde und Weichheit gibt, ohne etwas an Kraft und Tiefe zu nehmen. – Ich schaue Maria als höchstes Ideal dieser Reifen kraftvoller Milde sittlicher Vollkommenheit.

3357 |        Diese „Milde und Leichtigkeit“ in der sittlichen Vollkommenheit ist, wie gesagt, die Frucht beharrlicher, „mühevoller“ Übung, denn ohne einen sittlich-psychologischen Kraftvorrat gibt es keine „Leichtigkeit“ der Ausübung. Durch die beständige „Kraftanspannung“, wird die Übung allmählich „leicht und fließend“ und wird schließlich zu einem Zustand schon erworbener und erreichter Geläufigkeit im ganzen Umfang des sittlichen Strebens und damit zu einer abgeklärten Reife und Milde aller Handlungen und Äußerungen der Seele.

3358 |        Der „Zustand“ sittlicher Vollkommenheit oder einer bestimmten Tugend liegt immer – neben der sittlichen Umwandlung – auch im Geheimnis entsprechender, dauernder „seelischer Veränderungen“; denn sittliche Erhebung und entsprechende seelisch-psychologische Veränderung gehen zusammen. Es ist ein Zeichen von „seelisch-psychologischer Schwäche“, wenn eine seinshaft vorhandene Tugend nicht dauernd oder jederzeit – gleichsam „schwingend“ — zum Ausdruck und zur Auswirkung kommen kann. –1531

3359 |        Es ist jedoch1532 nicht möglich, dass eine Seele in einer bestimmten Hinsicht oder Tugend eine hohe Vollkommenheit besitze, aber zugleich in anderer Hinsicht noch ganz darniederliege. Gewiss gibt es immer Schwankungen und Ungleichheiten bezüglich einzelner sittlicher Forderungen, weil jeder Mensch von Natur aus seine Licht-, und die Schattenseiten mit sich bringt, die sich auch auf das religiös-sittliche Leben auswirken; aber inmitten dieser Schwankungen gibt es auch einen Mittelpunkt oder Schwerpunkt des Fortschrittes und der Aszese im allgemeinen Seelenleben des Menschen. – Dieser allgemeine Vollkommenheitszustand gründet sich neben der Übung der theologischen Tugenden auf eine dauernde und umfangreiche Ausübung der Kardinaltugenden. Eine hohe Vollendung und Ausgeglichenheit der Kardinaltugenden schafft die Voraussetzung für ein volles, ungehindertes Wirken des Heiligen Geistes in der Seele; und das Wunderwerk des Heiligen Geistes in einer solchen Seele ist gerade jener Glanz und jene reife Milde in der praktischen Ausübung der Kardinaltugenden, denn in einem solchen Menschen und seinen Werken wirkt und zeigt sich dann Gottes Kraft und ein Geist und Sein göttlicher Art. Dazu muss aber zuerst die südliche Unordnung überwunden werden, die allein das Hindernis für das Wirken Gottes in der Seele ist.

3360 |        Zur freien Kraftentfaltung der Seele kann es erst kommen durch die Gelöstheit der Bindungen, in die der Mensch durch das Gesetz der Erbsünde gefallen ist.1533

 

05.03.19451534

3361 |        Ein „Überspitzen“ der Bedeutung des jungfräulichen Standes entspricht nicht dem Plane Gottes. – Gewiss steht die geübte Jungfräulichkeit an übernatürlichem Wert und persönlichem Verdienst über dem Stande der Ehe, aber die Bedeutung des Ehestandes im Rahmen der christlichen Gemeinschaft der Kirche ist größer als die Bedeutung des jungfräulichen Standes.

3362 |        Es muss aber das Eheleben in der Auffassung der Menschen wieder mehr in eine übernatürlich christliche Sphäre gehoben und sein wahrer übernatürlicher Wert wieder mehr gezeigt und betont werden, sonst wird das Sakrament der Ehe von den Menschen nur als natürlicher Zustand betrachtet und sein Wert und seine Aufgabe zu wenig gewürdigt. – Der Ehestand darf nicht von der übernatürlichen christlichen Auffassung getrennt werden, als ob es sich dabei um eine Sache rein persönlicher privater Meinung handle. Auch das Eheleben muss ganz dem christlichen Gewissen unterstellt werden; den Gott selbst ist der Gesetzgeber des Ehelebens und die Eheleute unterstehen seinem göttlichen Gericht. Er fordert Rechenschaft über das, was er durch eine gewisse Übertragung seiner Schöpfergewalt den Eheleuten angeboten und anvertraut hat. Innerhalb des Rahmens und Sinnes der Ehe besteht eine gewisse Freiheit der Ausübung, aber immer muss die übernatürliche Auffassung der gottgewollten Ordnung und des Sakramentes der Ehe, das Gewissen der Menschen leiten und ihr Eheleben ordnen. Im Gebrauch der Rechte, die Gott zugleich mit der Weihe des Ehesakramentes den Menschen gibt, müssen sich diese jedoch immer ihrer Abhängigkeit von Gott und seinen Gesetzen bewusst bleiben. Auch der Gebrauch der Rechte, die Gott den Eheleuten zugestanden hat, steht unter der Kontrolle Gottes. – Die gegenseitigen Rechte der Eheleute werden zugleich zu einer immer engeren Bindung und Vereinigung ihre Seelen, in deren Mittelpunkt Gott selber steht.

3363 |        Nur unter diesen Voraussetzungen wird Gott die Nachkommenschaft segnen; die Kinder werden den Keim dieses Segens in sich tragen und auf ihre weiteren Nachkommen vererben. Die Vererbung selbst ist dieser Segen. Und der Unsegen selbst besteht dem Zerfall der christlichen Auffassung der Ehe, wenn nämlich diese nicht mehr in allem den Forderungen Gottes und des Gewissens unterstellt wird.

 

10.03.19451535

3364 |        Zusammen mit der Erklärung über das Sinnenleben1536 des Menschen habe ich in einem gewissen geistigen Überblick auch das „Sinnenleben des Gott-Menschen“ überschaut: die göttlichen Eigenschaften seiner Person eingefasst und zum Ausdruck gebracht mittels eines seelisch-leiblichen Sinnen- und Intelligenzlebens. Obwohl dies für mein inneres Erfassen ganz klare Begriffe sind, bin ich doch nicht fähig, die Einzelheiten schriftlich festzulegen. Diese Befähigung steht mir aber in Aussicht, sobald ich nämlich die entsprechende geistige psychologische Fähigkeit habe, um auch im Einzelnen in dieses Geheimnis eindringen zu können. Voraussetzung hierfür ist aber für mich eine fortlaufende Erhöhung und Verfeinerung meiner geistigen Begriffsfähigkeit.

3365 |        Ein Gelehrter würde wohl alles viel kürzer zusammenfassen können und ohne die scheinbaren „Wiederholungen“, die aber für mich keine Wiederholungen sind, sondern Zusammenfassungen früherer Erlebnisse und Erfahrungen, die im Rahmen eines ständigen inneren1537 Fortschrittes sich fortwährend vertiefen und dem Endziel zugeführt wird. Es handelt sich bei diesen geistigen Erfahrungen um persönliche, sich ständig erhöhende und vertiefende Begriffe, und es wird mir erklärt: Dies ist notwendig für meine Begriffsart und Begriffsfähigkeit.

 

12.03.19451538

3366 |        Zu Zeiten sehe ich gleichsam „den Himmel offen“, d. h. sehe mich nicht einmal durch einen Schleier mehr vom Eingehen in jenen Ort der Ruhe getrennt, nicht einmal eine Tür führt mich dorthin, sondern nur ein ebener Weg, ohne die Hindernisse eines persönlichen Todes, den ich durch den geistigen Tod der Loslösung meines Lebens von den gewöhnlichen (psychologischen) Lebensgesetzen – in geistiger Weise – schon überschritten habe.

3367 |        Auch der Tod Jesu war in seiner inneren Form ganz verschieden vom gewöhnlichen menschlichen Tod. Was den Tod für die gewöhnlichen Menschen schwer macht, das ist der Übergang von einem „sicheren“ Dasein in ein „unsicheres Leben“, über dessen Art und Eigenart der Mensch keine nähere Aufklärung besitzt. Der Mensch kennt nicht den Weg und nicht das „Wohin“, und dies ist im Grunde das Schwerste am menschlichen Sterben. Christus aber brauchte sich nicht mit seinem Tod eine „neue Existenz“ zu erringen, sondern sein Wesen war seine sicherste Existenz, wovon er auch in seinem Todesleiden nicht getrennt war. Beim Sterben Christi am Kreuz war also nicht die Qual der „Unsicherheit“, die dem gewöhnlichen Menschen-Tod seine besondere Härte gibt.

3368 |        Zu Zeiten bin ich auch hineingestellt wie in einen Jubel des Himmels und der künftigen Kirche über die große Erbarmung Christi mit seiner Kirche in unserer Zeit, nämlich darüber, dass Christus mit seinen äußersten und höchsten Beweisen seiner Erlöserliebe sich seiner Kirche offenbart und damit das Ziel der Erlösung in der Kirche voll verwirklichen will – freilich entsprechend nach dem Maße der persönlichen Mitarbeit der einzelnen Seelen mit den angebotenen Gnaden. Dies ist der Grund, weshalb der ganze Himmel voller Jubel und Dankbarkeit ist. Als eine besondere Eigenart des Erlöserleidens Jesu, lebe ich aber auch dies jetzt schon zuweilen voraus: Jesus wollte alle Menschen auf das Vollkommenste erlösen und mit seinem Vater versöhnen, nämlich so, als ob niemals eine Sünde in der Seele gewesen wäre. – Dies wollte der Erlöser, und dies war der Grund des verzehrenden Verlangens seines Herzens. Das Ziel und Verlangen seines Herzens war eine volle Erlösung für alle Seelen. – Ich erkannte diesbezüglich noch verschiedene Einzelheiten über das Ziel und die Leiden des Erlösers, kann es aber nicht (oder noch nicht) in Worten aussprechen.

 

15.03.19451539

(Einiges zur Kardinaltugend der Klugheit)

3369 |        Es gehört zur christlich-religiösen Klugheit, eine Sache oder eine Frage, die nicht „objektiv“ dringend ist, auch nicht im Augenblick zu einer Entscheidung zu bringen, sondern sie noch „in der Schwebe“ zu lassen und erst den Ablauf der Ereignisse abzuwarten, um die Frage dann im Zusammenhang mit den diesbezüglichen Ereignissen zu behandeln und zu entscheiden. Wenigstens soll man sich nicht gleich darüber äußern, sondern die verschiedenen Möglichkeiten und Wege in der betreffenden Angelegenheit noch offenlassen. Es muss sich im Sinne der christlichen Klugheit eine gewisse Abgewogenheit und Abrundung des Urteils bilden, das allen Eventualitäten oder möglichen Fällen Rechnung trägt und deshalb müssen auch die Zeitumstände und Ereignisse in das Urteil einbezogen und muss manches den Zeitumständen überlassen werden. Immer aber muss man festhalten und vor Augen behalten, dass Gott viele Möglichkeiten und Wege hat, um seine Ziele und Absichten in einer Angelegenheit durchzuführen, und das gegenüber seinen Plänen und Wegen auch ganz sicher scheinende Vermutungen und Annahmen der menschlichen Klugheit trügerisch und täuschend sind.

3370 |        Die christlich-religiöse Klugheit muss auch mit den Gesetzen und Regeln der menschlichen Vernunft gepaart und verbunden sein; denn der Mensch muss sich auch bei der Ausführung der übernatürlichen Ziele und Pläne auf den Boden der allgemeinen menschlichen Lebensgesetze stellen; er muss den Weg aller Menschen gehen und kann nicht unmittelbar „als Geist“ handeln und sich durchsetzen „als bloßer Geist“. Gott allein kann „rein geistig handeln und schaffen“, und kann unmittelbar von Geist zu Geist auch gegenüber den Menschen wirken und handeln (- wie er das vielfach im mystischen Gnadenleben tut -), denn er steht über allem und über allen. Der Mensch hingegen muss sich der allgemeinen Lebensart und den Lebensgesetzen der Menschen anpassen. Die Menschen können eine rein „geistig-übernatürliche Handlungsweise“ nicht vertragen oder gelten lassen (wenigstens nicht allgemein und nicht auf die Dauer), auch wenn sie sich zu höchsten, übernatürlichen Grundsätzen bekennen; sie verlangen immer auch die Stütze und die Begründung durch die gewöhnliche, menschliche Vernunft.

3371 |        Es ist nun wohl eine der höchsten Leistungen der religiösen Klugheit, bei der Verfolgung der geistig-übernatürlichen Ziele sich den entsprechenden Forderungen und Grundsätzen der menschlichen Vernunft so anzupassen, dass eine vernünftig-kluge und doch dem übernatürlichen Ziele entsprechende Tat entstehe. Eine ausschließlich übernatürliche Betrachtungsweise, auch wenn sie als Grundsatz noch so sehr im Recht und berechtigt ist, kann für sich im Leben allein nicht bestehen, sondern ihre Werke würden zerbrechen oder zerfallen. Die übernatürlich-geistige Anschauungsweise in irgendeine Angelegenheit, auch wenn sie in sich selbst noch so sehr berechtigt ist, und auch wenn sie einem Menschen übernatürlich von Gott eingegeben wurde, muss sich im praktischen, konkreten Leben doch den Grundlagen und Forderungen der menschlichen Vernunft anschmiegen und sich nach diesen einrichten. Der Geist und die Übernatur allein ist für die Allgemeinheit der Menschen und des menschlichen Lebens gleichsam „zu starr“ und unverträglich, und so müssten die bestgemeinten und höchsten Werke und Ziele zugrunde gehen, wenn sie nicht auch den Forderungen der gewöhnlichen menschlichen Vernunft Rechnung tragen würden.

3372 |        Gott hat nun einmal das Menschenleben und die Erfordernisse des menschlichen Daseins unter die Regeln und Gesetze der menschlichen Vernunft gestellt. Er allein kann behelfen, „ohne zu begründen“; der Mensch muss hingegen seine Pläne und seine Handlungsweisen den Mitmenschen auch begründen können, und wirklich begründen, wenn sie von diesen auch angenommen und bei ihnen Frucht bringen sollen. Der Mensch kann seinen Mitmenschen gegenüber nicht ausschließlich „im Geiste leben“, d. h., er kann seine Handlungsweise im Allgemeinen nicht bloß durch den Geist und durch Übernatürliches begründen, sondern er muss bei allem auch der gewöhnlichen menschlichen Denkweise Rechnung tragen und sich ihr anpassen. – In dieser Verbindung von übernatürlicher und menschlich-vernünftiger Begründung liegt das Meisterwerk der Kardinaltugend der Klugheit. Die kluge Seele muss Wege finden, und in sich selbst die Geschmeidigkeit aufbringen, um die Gaben Gottes und ihre im Tiefsten ganz in Gott und der Übernatur begründeter Ziele und Pläne dem gewöhnlichen vernunftgemäßen Tun und Denken der Menschen anzupassen, annehmbar zu machen, zu erklären und nahe zu bringen. Der Mensch soll auch das übernatürliche Gute in ein passendes menschliches Gewand hüllen und es dadurch den gewöhnlichen, guten Menschen annehmbar und begehrenswert machen.

3373 |        Die religiöse Klugheit verlangt also eine gewisse „Doppelseitigkeit“ und Anpassungsfähigkeit, um die übernatürlichen Ziele auf die menschlichen Verhältnisse vorteilhaft übertragen zu können. Die Seele muss jene Schmiegsamkeit und Beweglichkeit besitzen, (– ich möchte sagen: Jene „geistigen Umgangsformen“ –), wodurch sie mit ihren geistig übernatürlichen Anschauungen sich den vernünftigen Menschen anpassen und bei ihnen durchsetzen kann. Dabei muss sie zuweilen das in sich aufs Beste begründete, geistig-übernatürliche Ziel sogar für eine Weile zurückstellen, muss vorübergehend darauf verzichten können, um durch eine solche, im Augenblick gebotene Zufriedenstellung ihrer Partner diese schließlich doch für die gottgewollten Pläne und Absichten zu gewinnen. So kennt und übt also die übernatürliche, kluge Seele ein ständiges „Nachgeben“ und Anpassen in der Ausführung, ohne aber von den übernatürlichen Grundsätzen und Zielen selbst abzugeben. Sie erreichen ihre geistig-übernatürlichen Ziele oft gerade durch ein gewisses „Umgehen“, durch ein geduldiges Warten-Können, bis die günstige Zeit zum Handeln kommt und die Ausführung möglich ist.

3374 |        So ist die übernatürliche Klugheit auf die Grundlage der Geduld und der Selbstbeherrschung gestellt. Sie setzt in ihrer Vollendung voraus eine schon erreichte Schmiegsamkeit des Geistes, eine dauernd gewordene Fähigkeit, sich in die Anschauungen der Mitmenschen einzufühlen, ja sogar es ertragen zu können, dass sie selbst – obwohl an sich und vor Gott im Recht – von den Menschen ins Unrecht gesetzt wird, – bis sie schließlich vielleicht gerade durch diese Nachgiebigkeit und Unterwerfung auch in den Augen der Menschen ins rechte Licht rückt. Der übernatürliche kluge Mensch sagt sich gleichsam: „Ich lasse die Gründe des anderen gelten, lassen sie mir darlegen und suche seine Auffassung zu verstehen – und dadurch erwerbe ich mir das Recht, auch meine Anschauungen darlegen und begründen zu können.“ So muss die Seele gleichsam auf zwei Gleisen zu gleicher Zeit sich bewegen können, um die eigene übernatürliche Auffassung in schmiegsamer Anpassung den vernünftigen Menschen zu begründen und beizubringen und um sich die Freiheit des Handelns unter Ausführung für ihre übernatürlichen Pläne und Ziele bei den Menschen sich zu erringen. – Auf diese Weise wird die Klugheit eine liebenswerte und beliebte Tugend, weil sie sich durch ihre Anpassung an die Forderungen der gewöhnlichen Vernunft den Mitmenschen gefällig macht, die ja auch das Recht haben, ihre Ansichten und Meinungen uns gegenüber klarzulegen und zu begründen.

3375 |        Der eigentliche „Kunstgriff“ der Klugheit ist dabei die Anwendung einer gewissen „ruhigen Überlegenheit“. Ohne von den klar erkannten, übernatürlichen Zielen abzugehen, sieht und wagt die kluge Seele mit Ruhe und Überlegenheit zugleich auch das Berichtigte an den Gegengründen anderer.

3376 |        So vollzieht die Klugheit einen beständigen Ausgleich mit den Mitmenschen und gelangt schließlich gerade durch diesen Ausgleich zu ihrem an sich immer unverrückbar festgehaltenen, übernatürlichen Ziele. Vielfach ist die Umgebung oder der Partner nur durch ein vorübergehendes Nachgeben und ein gewisses Eingehen auf seine Gedanken und Meinungen zu gewinnen, d. h. mit anderen Worten: Der Weg zum Anderen und zu seiner Zustimmung führt vielfach nur über ihn und seine Meinungen.

 

16.03.1945

Zur Kardinaltugend der Gerechtigkeit

3377 |        Die Kardinaltugend der christlichen Gerechtigkeit baut weiter auf die Grundlage der Klugheit. Ja, man kann sagen: die „Gerechtigkeit“ oder das Rechttun ist die Tat und Ausführung der Klugheit, insofern nämlich, dass das im Geiste und im Hinblick auf die übernatürlichen Ziele als recht erkannt ist, nun aus dem Inneren heraustritt, auf die menschlichen Verhältnisse angewandt und im Leben verwirklicht wird.

3378 |        Die Gerechtigkeit umfasst die Rechte, in denen jeder Mensch sich bewegt und bewegen muss, und sie gibt das Maß an für den Gebrauch und die Ausnützung dieser Menschenrechte. – „Lass auch deinem Mitmenschen sein (ihm zustehendes und gebührendes) Recht, und du wirst ihn gewinnen!“ (Dies wurde mir innerlich gesagt.)

3379 |        Es ist ein Gott geschaffenes Grundgesetz, dass jeder Mensch sich in einem bestimmten Rahmen oder Kreis von Rechten bewegen kann, die ihm von seinen Mitmenschen nicht genommen und nicht angetastet werden dürfen. Gott selbst gibt allen Menschen ihr Recht, d. h., Gott beurteilt jeden Menschen nach seinen persönlichen Gegebenheiten, Erfordernissen und Möglichkeiten und Verpflichtungen, und deshalb wird Gott auch allen Menschen gerecht.

3380 |        Unter den unantastbaren Rechten der menschlichen Person steht an erster Stelle das Recht der Freiheit seines Gewissens, d. h. der freien Entscheidung des Gewissens. Kein menschliches Gesetz, und kein Vorgesetzter hat das Recht die innere Freiheit des Untertanen oder Untergebenen aufzuheben oder anzugreifen; denn damit würde er gegen das gottgegebene Gesetz der Freiheit verstoßen, in das der Schöpfer selbst von Anfang an die Menschen hineingestellt hat. Gewiss hat der Vorgesetzte das Recht und die Pflicht, den Untergebenen von gesetzwidrigen Wegen und Taten abzuhalten und darüber zurechtzuweisen, aber er hat nie das Recht, die Gewissensfreiheit selbst zu vergewaltigen oder anzugreifen. Die Seele ist das Herrschaftsgebiet des einzelnen Menschen oder der menschlichen Person und es gibt keine wahre Tugend (– nicht einmal die des religiösen Gehorsams –), wenn sie auf Zwang aufgebaut ist.

3381 |        Die innere Freiheit des Menschen erstreckt sich zum Beispiel auf die Berufswahl. Jeder Mensch braucht zu seiner persönlichen, gedeihlichen Entwicklung und Entfaltung einen gewissen Kreis geistiger Freiheit der Entscheidungen, indem er selbst das seiner Seele Zusagende und Zukommende wählen kann. – Auch in der Erziehung eines Menschen schafft einen, dem sich bildenden Charakter auferlegter Zwang nur einen Willensskrupel, der sich nie in dem von Gott für den Menschen gewollten Rahmen gebührender freier Entscheidungen wird bewegen können. Es ist vielmehr Aufgabe und Pflicht des Erziehers bzw. des Vorgesetzten, dem Zögling oder Untergebenen eine Fülle des Guten zu bieten, dass dieser in freier Entscheidung und Wahl sich aneignen und für sich verwerten kann und soll. Jeder Mensch soll lernen, „sich selbst zu entscheiden“, wie ja auch Gott jedem Menschen die eigene Entscheidung überlassen und vorbehalten hat.

3382 |        Der religiöse Gehorsam schließt in sich ein doppeltes Element: die Richtungsgebung und Zurechtweisung sittlich-religiösen Irrwegen gegenüber und falsche Lebensanschauungen als Recht und Pflicht des Vorgesetzten; dies aber auf der Grundlage einer freien Unterwerfung des Untergebenen unter die befehlende Autorität. Eine Seele kann sich freiwillig unter den Willen und die Meinungen eines anderen stellen, aber es muss ihr bei allem Willen zur Unterwerfung und Unterordnung immer noch so viel Recht gewahrt sein, dass es wirklich eine „freiwillige Unterwerfung“ sein kann, die der Untergebene um Gottes willen leistet. Es darf also der „Gehorsam“ nicht zu einem ungerechtfertigten Gewissenszwang und zu einer persönlichen Vergewaltigung des Geistes führen, sondern der Gehorchende muss jederzeit die Möglichkeit und den Mut haben können, seine Beschwerde über einen etwaigen Missbrauch der Befehlsgewalt oder über einen Missbrauch in der Art und Weise der Ausübung derselben gegenüber dem Vorgesetzten auszusprechen; anderenfalls läge nicht das wahre „Gehorsamsverhältnis“, sondern ein gewisser Gewissenszwang vor. – Das Gehorsams- oder Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis muss sich nämlich im Rahmen und „Spielraum der christlichen Liebe“ bewegen (wie ja übrigens alle vier Kardinaltugenden die Liebe zur Voraussetzung und Grundlage haben); andernfalls wird die Seele des einzelnen Untergegebenen in Gewissensschwierigkeiten geworfen, die der Obere vor Gott nicht verantworten kann. Das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen oder das Verhältnis von Befehlsgewalt und Gehorsam kann nur dann für beide Teile wahrhaft fruchtbringend sein, wenn es auf wahrem und tiefem Gerechtigkeitssinn begründet und aufgebaut ist, denn sonst zerfällt das gegenseitige Vertrauen und fehlt die Liebe.

3383 |        Wie Gott die Freiheit jeder einzelnen Seele achtet (und niemals eine Seele zwingt), so ist auch jeder Vorgesetzte verpflichtet, besonders ein bestimmtes geistiges Gebiet der Seele seines Untergebenen niemals anzutasten, nämlich das Gebiet des persönlichen Verhältnisses der Seele zu Gott. Diese letzte Freiheit und Freiwilligkeit der Seele in ihrem Verhältnis zu Gott und die Freiheit Gottes in seinem göttlichen Gnadenwirken gegenüber der Seele bleibt ein unantastbares Gebiet. Der Vorgesetzte ehrt mit dieser Beachtung der persönlichen Gewissensfreiheit Gott selbst, der dem Menschen diese Freiheit und freie Entscheidung seines Gewissens verliehen hat. Anderseits wird niemals das rechte Vertrauensverhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen bestehen können, wenn es nicht getragen und geleitet wird von selbstloser Liebe, durch die jene letzte und tiefste Freiwilligkeit um Gottes wegen beachtet und gewahrt bleibt. – Jeder Mensch, und sei es der verkommenste Sünder, hat unveräußerliche, persönliche Rechte, die gewahrt bleiben müssen, und gerade die liebevolle Ausübung der Forderungen der Gerechtigkeit, kann für den Menschen zum letzten Anlass werden, sich auf den Weg zu Gott hinzuwenden.

3384 |        Die Ausübung der Kardinaltugend der Gerechtigkeit gründet sich also vornehmlich auf das „gute Recht“ des Mitmenschen; die gesamte menschliche Gesellschaft soll sich andererseits nach dem Plan des Schöpfers auf die rechte, gottgewollte Handlung dieser Gerechtigkeit gründen. Um aber so die Tugend der Gerechtigkeit zu üben, muss man sich vertraut machen mit den Rechten des Nächsten, muss man sie beachten und zur Richtschnur seines Handelns nehmen. – Im tiefsten Grunde stützt sich die Kardinaltugend auf die Rechte und Pflichten, die vom göttlichen Gesetzgeber selbst den Menschen gegeben und auferlegt wurden. Wenn Gott dem Menschen das Recht des Gebrauches seiner persönlichen Freiheit gibt, so verpflichtet er den Menschen damit zugleich zur Verantwortung über den Gebrauch dieser freien Entscheidung und verpflichtet zugleich den Mitmenschen die gottgegebene Freiheit des Menschen zu achten. In ähnlicher Weise hat der Vorgesetzte mit dem Recht der Autorität und Befehlsgewalt zugleich die Pflicht, über das Seelenheil des Untergebenen zu wachen, und dieser hat damit die Pflicht, jenes Recht des Vorgesetzten als von Gott übernommen zu betrachten. In irgendeiner Weise hat aber fast jeder Mensch, wenn auch im kleinsten Maße, anderen Menschen und der Umgebung gegenüber in der Wahrung gewisser Rechte und in der Erfüllung entsprechender Pflichten die Stelle Gottes zu vertreten (wie es zum Beispiel in der Familie bei den Eltern oder bei den älteren Geschwistern gegenüber den jüngeren oder in jedem Dienst- und Abhängigkeitsverhältnis der Fall ist).

3385 |        Um aber in diesem weiten Raum von Rechten und Pflichten immer das Richtige, (für das seelische und leibliche Wohl des Nächsten), zu treffen und zu entscheiden, braucht es eine ganz große Abgewogenheit des eigenen Urteils und der persönlichen Ansichten im Sinne und im Lichte der Absichten Gottes. Die vollkommene christliche Gerechtigkeit ist darum eine unter den Menschen seltene Tugend und kann nur beruhen und aufbauen auf den Tugenden der Klugheit und der Liebe. Um aber zu der hierfür notwendigen Nächstenliebe zu gelangen, braucht es wiederum eine ungewöhnliche Losschälung und Befreiung von den Selbsttäuschungen der gefallenen menschlichen Natur, die geneigt ist, die Gewalt und Macht vor dem Rechte gelten und vorwiegen zu lassen. Es braucht eine ungewöhnliche Ausgeglichenheit und Harmonie, um immer das Gottgewollte und Beste für den Mitmenschen zu entscheiden und zu tun. Darum setzt eine dauernd begründete Gerechtigkeit eine große, erworbene Fülle von sittlicher Vollkommenheit voraus und darum ist diese Kardinaltugend gleichsam die höchste Spitze und die schönste Blüte und die feinste Vollendung jeder der verschiedenen, einzelnen Tugenden, denn niemand kann sich als „gerecht“ erweisen, wenn er nicht in all seinen Handlungen „recht“ ist, und den göttlichen Forderungen gerecht wird.

3386 |        In besonderer Weise ist die Gerechtigkeit die Tugend der Herrschenden oder „des Herrschers“, wenn sie auch jeder Mensch wenigstens in dem Sinne auszuüben hat, dass er sich bemühen muss, seinem Mitmenschen gegenüber das zu tun, was „Recht ist“ und in all seinen Äußerungen und Taten gegenüber dem Mitmenschen immer das rechte Maß anzulegen und einzuhalten. Die Gerechtigkeit ist daher eine „königliche Tugend“, ebenso kostbar, wie sie selten ist, und sie kann nur dann in der Seele voll erblühen, wenn diese Gott und den göttlichen Forderungen gerecht geworden ist, d. h., wenn die Seele durch dieses Rechttun und diesen ständigen Dienst vor Gott schon ein volles, abgewogenes Maß von Gerechtigkeit gegenüber Gott sich angeeignet hat.

3387 |        Die Kardinaltugend des Starkmutes ist der dauernde Mut zu allen Tugenden, zur Demut sowohl wie zu Großmut. Starkmut ist darum die Befähigung zu allem Guten und das verbindende Band aller Tugenden. Der starkmütige Mensch ist fähig, die höchsten Höhen eines gottgewollten Zieles zu erstreben und dieses Ziel trotz aller Widerstände und Schwierigkeiten festzuhalten und zugleich ist er fähig und bereit, herabzusteigen in die tiefsten Verdemütigungen und Leiden um dieses Zieles Willen. Darum ist die Starkmut eine charakteristische Tugend der Gründer usw.

3388 |        Gott bleibt wohl seinem Wesen nach immer „in sich“, aber durch seine Wirkkraft offenbart er sich und gießt er sich gleichsam aus in seinen Werken „nach außen“. In ähnlicher Weise wird das äußere Tun des Menschen zum Ausdruck seines Inneren.

 

17.03.19451540

3389 |        Mein Innenleben ist jetzt eigentlich in einem dauernden, passiven Läuterungszustand übergegangen, durch den gleichsam fortwährend „der Schaum alles meiner Seele anhaftenden Unrates der Sündhaftigkeit an die Oberfläche gefördert wird“. – Ähnlich, wie aber früher in den Läuterungszeiten immer wieder das „mystische Erleben Gottes“ eingeschaltet war, so wird mir jetzt zwischen hinein das Ziel gezeigt: ein dauernder Zustand der Vereinigung mit Christus, dem Erlöser. Ich gelange damit in jenen Zustand, der [die] höchste Gottesverehrung ist durch das eigene Gott Verähnlichte, ganze sittliche Wesen und Sein (vergleich das am 6. Januar Geschriebene), und außerdem zu einem Zustand, in dem der Erlöser – infolge seiner besonderen Absichten für die Kirche – sein Leben „nachbildlich“ in mir wiederbelebt. – All unsere Werke und sittlichen Vollkommenheiten sind immer nur Nachbilder der göttlichen Vollkommenheit, weil Christus als alleiniges, wesenhaftes Abbild des Vaters und als unser göttliches Vorbild sein Leben nur einmal menschlich vor dem Vater gelebt hat. Christi Werke allein sind darum vorbildlich; all unsere Werke aber, und seien sie sittlich noch so vollwertig vor Gott, sind immer nur geschaffene Nachtbilder dieses einen göttlichen Vorbildes.

 

18.03.19451541

Passionssonntag

3390 |        Ich will jedes Leiden, jedes Kreuz begrüßen als Zeichen des Sieges für die Absichten Jesu.

In der Kirche St. Agnes:

3391 |        Es ist Pflicht der kirchlichen Behörden, bzw. Der Priester, alles Gute zu verwerten, um den Gläubigen, bzw. den Menschen allen das Wissen um Gott und seine Gebote beizubringen. Die Priester und die kirchlichen Behörden sollen sich nicht als bloße „Verwalter der Kirche“ betrachten, denn sie sind auch verantwortliche Beauftragte. Ich erfasste dabei im Schauen15421543 das Wort des heiligen Paulus: „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündigte!“ (1. Korinther 9,16). —

3392 |        Christus will seine Kirche zum Triumph führen in Kraft seiner überreichen Erlösung. „Und dieser Triumph ist der Sieg über die Sünde.“

3393 |        Über das persönliche Verhältnis der Seele zu Gott und über „große und kleine Tugend“: Die getaufte Seele – die mittels der Taufe infolge der Erlösung Christi in das „Leben mit Gott“ aufgenommen wurde – handelt in der Kraft des Heiligen Geistes. Solange sie im Stande der Einheit mit Gott ist, sind all ihre Werke in die übernatürliche Wirkkraft Gottes hineingestellt und damit durch Gott und für Gott befähigt. Aufgabe und Pflicht der getauften Seele ist es, diese geschenkte und allenfalls mittels des Bussakramentes wieder erworbene Vereinigung mit Gott immer weiter auszubauen und das ganze menschliche Wesen damit zu durchdringen. Das ist der tiefste Sinn und Zweck jener uns durch die Erlösung Christi erworbene und in der Taufe geschenkte Gnade des „Seins in Gott“. Das war der Zweck der Menschwerdung Christi und dazu hat die Liebe des Vaters ihn gesandt: Dass alle Menschen „in seinem Geiste seien“, d. h., dass all ihre Werke den Geist Gottes in sich tragen können und sollen; dass sie also nicht in der Sünde verharren, sondern sich erheben zur Teilnahme an den Werken des Geistes Gottes, verrichtet in der Art Gottes.

3394 |        Die in der Taufe eingegossene Verbindung mit Gott ist aber nicht etwa nur eine „universale“ Gnade, die in allen Menschen sich in gleicher Weise und in gleichem Maße auswirken würde. Sie ist nicht nur eine allgemeine „Wirkung des Geistes der Taufe“, sondern zugleich eine individuelle Gnade, die den persönlichen Aufgaben, Bedürfnissen und Erfordernissen und dem letzten Ziel jeder einzelnen Seele, ihrer persönlichen Verbindung mit Gott, entspricht. Jeder Mensch steht in den Gedanken Gottes als „Individuum“ und „Person“ und ist hineingestellt in eine persönlich-bewusste Abhängigkeit von Gott1544, in eine persönliche Verantwortung vor Gott und berufen zu einem persönlichen Kindschaftsverhältnis gegenüber Gott.

3395 |        Die in der Taufe eingegossene Gnade der Verbindung mit Gott ist darum ihrer Natur nach bestimmt [sich] zu einem persönlichen, durch den Glauben bewussten Verhältnis der Seele zu Gott zu entfalten, zu einem Ich-du-Verhältnis, wobei das Ich mit allem, was seine Existenz ausmacht, in persönlicher Abhängigkeit und Verantwortungsbewusstsein dem göttlichen Du zustrebt, und ihm nachstrebt durch Verähnlichung mit ihm und Angleichung an ihn. Die als Frucht der Erlösung in der Taufe geschenkte Gnade ist darum ihrem Wesen nach richtungsgebend und zielweisend für die menschliche Seele und das menschliche Leben, insofern der Seele mit dieser Gnade auch die Verpflichtung gegeben ist, sich ihrem Gott „persönlich zu nähren“ und in ein persönliches Verhältnis zu Gott zu kommen durch persönliches, größtmögliches Nachahmen und Nachstreben seiner göttlichen Vollkommenheiten – was in erster Linie für die Seele bedeutet und in sich die Überwindung der persönlichen Sündhaftigkeit und der individuellen, sündhaften Anlagen und Unordnung schließt.

3396 |        Die Kraft und Befähigung (und zugleich die Verpflichtung) hierzu ist gegeben mit der Taufgnade, durch welche die Seele in die fruchtbare Wirksamkeit der Erlöserverdienste hineingestellt und hineinversetzt wurde. Durch die Erlösung sind wir ja „befreit“ und frei von der Gebundenheit durch Satan und damit frei für die Wirksamkeit der Erlösergnaden. So weit und in dem Maße, als ich an die Fruchtbarkeit dieser Gnaden der Erlösung glaube, und diesem Glauben entsprechend mich um die Zuwendung der Gnaden bemühe, vor allem durch Beseitigung der in der „Sünde“ liegenden Hindernisse – so weit und in gleichem Maße werden diese Gnaden der Erlösung in meiner Seele wirksam.

3397 |        Die in der Taufgnade liegende individuelle Teilnahme oder Teilhabe an Gott bedeutet also für jede Seele den Anfang eines persönlichen Verhältnisses, eines Kindschaftsverhältnisses gegenüber Gott. Die Seele darf sich der besonderen Eigenart und Wirkkraft der individuellen Taufgnade nicht entziehen; sie muss vielmehr in persönlicher Abhängigkeit und im Bewusstsein der persönlichen Verantwortung vor Gott leben. Aus der gottgeschenkten Taufgnade erwächst ihr die Verpflichtung zur Gestaltung eines persönlichen, immer enger und inniger werdenden Verhältnisses zu Gott. – Sie hat auch deshalb die Verpflichtung und Verantwortung, mit der individuellen Taufgnade mitzuwirken, weil diese Gnade richtungsgebend für die ganze Ewigkeit ist, in der sich das persönliche Verhältnis der Seele zu Gott für immer auswirken wird. (Die Beseitigung des großen Hindernisses gegen die volle Auswirkung der Taufgnade, d. h. die Beseitigung der persönlichen Sünden und Unordnung, muss entweder durch Reinigung in diesem Leben, oder durch peinigende Läuterung im anderen Leben, d. h. im Fegefeuer, erreicht werden.)

3398 |        Die Taufgnade ist darum der Anfang einer besonderen Wirkbeziehung zwischen Gott und der einzelnen, individuellen Seele. Diese Wirkbeziehung wird von der großen Mehrzahl der Menschen nicht „bewusst erlebt“, sondern ist nur durch den Glauben bewusst und besteht zunächst in der Betätigung und Ausübung des Glaubens. In den Akten des Glaubens ist die Wirkkraft der Gnade (als einer persönlichen Wirkbeziehung und Auswirkung des persönlichen Kindschaftsverhältnisses zu Gott) enthalten und tätig. Der Glaube selbst aber ist als eingegossene Gabe mit der Taufgnade der Seele geschenkt und in ihr hinterlegt worden. — Die Seele muss nun diese Glaubensgnade gebrauchen und ausüben, damit sie ihr zur übernatürlichen Lebenskraft werde. Darum ist es Aufgabe der Erzieher, das heranwachsende Kind auf die Taufgnade und die darin enthaltenen Kräfte hinzuweisen, damit das Kind sie mehr und mehr gebrauche. Das Kind muss zum Selbstgebrauch seiner Taufgnade angeleitet werden. – Infolge der durch die Taufe gegebene Gnade der Kindschaft wirkt Gott in jeder einzelnen Seele vom Augenblick der Taufe an und ist darum in jeder getauften Seele eine (ihr noch unbewusste) Wirkbeziehung Gottes tätig. Es ist aber die Hauptaufgabe der Seele, sich persönlich in diese Wirkbeziehung hineinzustellen und sie im Glauben bewusst zu erfassen durch persönliche Mitwirkung und persönliche Antwort auf jenes Wirken der Gnade.

3399 |        Aus1545 der Tatsache und Wahrheit der individuellen Zuteilung und Wirksamkeit der Taufgnaden ergibt sich auch, dass das persönliche Kindschaftsverhältnis der einzelnen Seele zu Gott sich ebenso in individuellen, persönlichen Pflichten und Verantwortungen auswirkt und äußert. Jede Seele soll aus ihrer Taufgnade die darin keimhaft liegende Kraft herausholen und in treuer Mitwirkung1546 gebrauchen, üben, entfalten und zur individuellen sittlichen Vollendung bringen. Die individuelle sittliche Vollendung und Vollkommenheit, zu der die einzelne Seele berufen ist, bemisst sich vor allem nach der Art und dem Maße der individuellen Taufgnade. Keine Seele ist ganz der anderen gleich und keine Seele hat genau die gleichen Pflichten und Aufgaben und Verantwortungen wie die Andere, sondern Gott stellt an jede Seele auch individuelle Forderungen, entsprechend der individuellen Gnade und der daraus erwachsenden persönlichen Verantwortung vor Gott. So sind zum Beispiel einer Seele hohe Ziele und Aufgaben und darum auch eine hohe Gnadenzuteilung zugedacht, aber dies wird für die Seele auch zur besonderen Verantwortung und zur Entscheidung und zum Gericht für die ganze Ewigkeit; eine andere Seele hingegen hat in ganz bescheidenen Verhältnissen eine unscheinbare Lebensaufgabe und darum auch eine an sich geringere Gnadenzuteilung. Wenn aber die zweitgenannte Seele mit ihrem Gnaden treu mitwirkt, d. h., das Maß der ihr zugeteilten Taufgnade voll zu verwerten und auszunützen, und durch diese Ausnützen sich ständig zu vervollkommnen sucht, so kann sie Gott wohlgefälliger sein, eine innigere Vereinigung mit Gott erreichen und Gott näher stehen als die entsprechende1547 Seele, die vielleicht weniger treu mit ihrem an sich größeren Gnadenmaße1548 mitwirkte. So gibt es nach dem Plan Gottes „große Tugenden und kleine Tugenden“, wobei jede, sowohl die große wie die kleine Tugend zu einem in seiner Art vollendeten und vollkommenen persönlichen Verhältnis zu Gott, zu einem vollkommenen Kindschaftsverhältnis führen kann und soll.

3400 |        Die individuelle Zuteilung, und die entsprechende persönliche Ausnutzung der Taufgnade steht in besonderem klaren Zusammenhang mit der jeder einzelnen Seele gegebenen Berufsanlage. So kann eine Ehefrau und Mutter ihrem Stande gemäß große Tugend üben und die ihr zugedachte und ihrem Stand entsprechende sittliche Vollkommenheit erreichen, wenn sie die für ihren Beruf verliehenen Gaben und Gnaden ausnützt, auch wenn sie nicht die Anlagen und Gnaden einer Seele besitzt, der Gott die Berufung zum Ordensstande zugedacht hat. Es ist darum die persönliche Aufgabe jeder einzelnen Seele, die ihrem Stande und ihrer Gnade entsprechende sittliche Vollkommenheit sich in ihrem Leben voll entfalten und zur Auswirkung kommen zu lassen.

 

19.03.19451549

Über das „Wesen der Sünde“

3401 |        Es ist ein Rat der Klugheit die verschiedenen Vorkommnisse und Schwierigkeiten im Umgang mit den Mitmenschen nicht zu sehr als persönliche Beleidigung oder Kränkung zu nehmen, sondern mehr als „Mängel der Mitmenschen“ – die allerdings gegenüber der absoluten Autorität Gottes zu einer persönlichen Beleidigung werden. Auf diese Weise ist man von vornherein sicher, den Frieden bewahren zu können.

3402 |        Auch Gott betrachtet die Fehler der Menschen an sich (wenn nicht ausdrückliche Absicht des Beleidigen-Wollens vorliegt) als „Mängel“ in der Vollendung des geschöpflichen und menschlichen Seins und Wesens. – diese Mängel hindern aber Gott daran, sich zu einem „unmittelbaren Kontakt“ mit den betreffenden Menschen herbeizulassen, weil die Mängel seinem allerheiligsten Wesen widerstreiten und widersprechen. Weil ferner alle Menschen ihrem Wesen nach sich in einer absoluten Abhängigkeit von Gott befinden, deshalb treffen die Mängel im gewissen Sinne Gott selbst infolge seiner souveränen Autorität und seine absoluten Herrscherrechte über alle Wesen. Es liegt in diesen „Mängeln“ (in der sittlichen Betätigung des Menschen) doch eine gewisse (wenigstens objektive) Verletzung seiner absoluten, göttlichen Autorität und in diesem Sinne werden jene Mängel durch ihre Äußerungen doch zugleich Beleidigungen Gottes, weil kein Mensch sich auch nur einen Augenblick der absoluten Oberherrschaft Gottes und der wesentlichen Abhängigkeit von Gott entziehen kann und darf und weil jeder Mensch in all seinen Handlungen der göttlichen Gerichtsbarkeit untersteht. Darum muss sich Gott von den „Mängeln“ im Menschen abwenden und zurückziehen. – Darin liegt das eigentliche Wesen der Sünde.

3403 |        Soweit ein Mensch diese persönliche „Mangelhaftigkeit“ in ihren verschiedenen Formen auszuschalten sucht – wie es der Reinheit des absoluten Herrn und göttlichen Urvorbildes entspricht – soweit wird er ein Gegenstand des besonderen Wohlgefallen Gottes und er wird „kontaktfähig“ für Gott. Da aber das ganze Wesen des Menschen infolge der Sünde im Paradies in eine gewisse Mangelhaftigkeit gefallen ist, braucht es einen durchgreifenden Umbruch im Wesen des Menschen, damit er wieder in engeren Kontakt mit Gott treten und sich ihm „nähern“ kann.

3404 |        Große „Mängel“ im Gesamtwesen des Menschen – d. h.,1550 schwere Verstöße gegen Gottes Autorität, die er in seinen Geboten ausgedrückt hat – trennen in ihrem Wesen nach von Gott, solange diese mangelhaften Seelenhaltungen dem Menschen anhaften. Teilweise Mängel – deren Äußerungen lässliche Sünden sind – lassen zwar noch eine gewisse Kontaktfähigkeit mit Gott1551 bestehen, aber sie schwächen das Wohlgefallen Gottes gegenüber der Seele.

Zur mystischen Gotteserkenntnis der Seele

3405 |        Die Seele des Menschen verlangt in ihrem höchsten Streben und Strebevermögen, sich seinem Wesen anzugleichen, das ihr „ähnlich“ ist und in dem sie ihr Sein geborgen weiß. – Dies ist der Grund des Aufjubelns der Seele im mystischen „Gott-Erreichen“. Die Seele ist nämlich dann jenem Wesen nahegekommen oder vielmehr jenes Wesen hat sie „berührt“. Sie findet sich in jenem Wesen und Sein, das sich ihr offenbart, dem sie zugehört und in dem ihre letzte und höchste Erfüllung und Befriedigung ist. Darum bleibt dann ein dauernder Zug an ein Hinstreben der Seele, sich in jenem erkannten und erfassten Sein zu vollenden und zu dauernder Vereinigung mit jenem höchsten, irgendwie schon einmal erfahrenen Wesen zu kommen.

 

20.03.19451552

Fortsetzung über „große und kleine Tugend“ und über das persönliche Verhältnis zu Gott

3406 |        Auch die „kleine Tugend“, d. h. die individuelle Aufgabe einer Seele in einem kleinen äußeren Lebensrahmen, muss grundsätzlich und wesentlich alle Tugenden und sittlichen Vollkommenheiten aufweisen, die ihrem persönlichen Lebensrahmen, d. h. ihrer äußeren und inneren Lebensaufgabe entsprechen, in die Gott sie hineingestellt hat. Alles, was diese individuelle Lebensaufgabe an sittlich-religiösen Forderungen umfasst, muss sich als „vollkommen getan und geübt“ auswirken. So könnte zum Beispiel ein Kind oder ein junges Mädchen die seinem Stand und alter entsprechenden Tugendforderungen ebenso vollkommen erfüllen und in seinem kleinen Lebensrahmen ebenso heroische „kleine Tugend“ üben, wie etwa eine Ordensperson in ihrem entsprechend größeren Berufs- und Aufgabenkreis die von ihr geforderte „große Tugend“ vollkommen und heroisch üben kann und soll. Im kleinen wie im großen Lebensrahmen müssten sich dann die Auswirkungen der Kardinaltugenden – als letzte Spitze und Vollendung und Zusammenfassung der verschiedenen einzelnen Tugenden – in ähnlicher Weise zeigen, wie sie sich etwa auch in einem vollkommenen Priesterleben offenbaren müssten.

3407 |        So setzt sich die konkrete „sittliche Vollkommenheit“ immer aus allgemeinen und aus individuellen Anforderungen zusammen, und es liegt ein Geheimnis errungener psychologischer Spannkraft darin, dass die gleichen, allgemeinen sittlichen Grundlinien und Grundforderungen in sehr verschiedene, individuelle Lebensrahmen eingefasst und darin zu individuellem Ausdruck und persönlich-einmaliger Anwendung kommen. Es liegt ferner ein wundervolles Geheimnis darin, dass die individuellen Tugendanforderungen und Tugendübungen sich gleichsam mit ihren höchsten Spitzen treffen und zusammenfügen, und eine allgemeine einheitliche sittliche Vollkommenheit zum Ausdruck bringen und darstellen.

3408 |        Es obliegt daher jeder einzelnen Seele, die ihr mit der Taufe geschenkten persönlichen Gnadenansätze aufzugreifen, sie in ihrem äußeren Lebensrahmen einzufassen und darin zu verwerten und auf diese Weise – mittels der weiterwirkenden individuellen Taufgnade und denn hinzukommenden und ständig fließenden „beistehenden Gnaden“ – die geschenkten Gnaden-Anlagen zu einem vollendeten seelisch-geistigen Sein auszubauen und damit jene Entfaltung und Fülle sittlicher Vollkommenheit zu erreichen, die schließlich in der Einheit und Allgemeinheit sittlicher Tugend und Vollendung zusammenströmt.

3409 |        Gewiss braucht dabei im Allgemeinen eine Seele, der Gott große geistige Aufgaben und Ziele gesteckt hat, auch eine verhältnismäßige längere Zeitspanne, bis sie die Wesenszüge des ihr, von Gott vorgeführten Ideales voll1553 in sich ausprägen kann; und die letzte Verfeinerung und Politur des Idealbildes wird dabei wohl das ganze Leben hindurch dauern. Ein Ordensstifter oder ein Reformer z. B. müsste zuerst den Geist des Ordens oder des Reform-Ideales in sich fest grundlegen und ausprägen, damit dieser Geist dann fruchtbar nach außen angewandt werden kann. Der „Geist des Ideals“ muss sich zuerst mit der „Vernunft des Reformers“ verbunden haben und muss von ihm zuerst praktisch geübt und damit als praktisch ausführbar erwiesen sein, bevor er an andere weitergegeben werden kann.

3410 |        Wenn aber die an die einzelnen Seelen gestellten sittlichen Forderungen auf verschiedenen Wegen gehen und verschiedene Formen annehmen, entsprechend dem jeweiligen, persönlichen Lebens- und Gnadenrahmen, so ist doch das entscheidende bei all diesen Verschiedenheiten immer das persönliche Verhältnis der Seele zu Gott, d. h. die Treue und die Art und Weise, wie die einzelne Seele das durch die Taufe in ihr grundgelegte, individuelle persönliche Kindschafts- und Gnadenverhältnis zu Gott ausbaut und sich wirklich in ein persönliches, bewusstes Abhängigkeitsverhältnis zu Gott und zum Erlöser begibt. Wie jede einzelne Seele in den „Gedanken Gottes“ als Individuum und Person steht und wie sie ein wesentliches, persönliches Abhängigkeitsverhältnis gegenüber Gott hat, dem sie sich als Geschöpf niemals entziehen kann, so wirkt auch die Erlösung nicht etwa nur als allgemeiner „Geist der Erlösung“ auf die Allgemeinheit oder die Masse der Menschen, sondern sie wirkt als individuelle Erlösungsgnade. Die allgemeine Erlösungsgnade ist gewiss für alle gleich: nämlich die Befreiung vom Joch und der Vergewaltigung Satans, das Auslöschen der Erbschuld und der Verlassenheit von Gott und seiner Gerechtigkeit und damit die Wiederaufnahme in die Kindschaft Gottes in und durch Christus. Aber zur vollen (subjektiven) Erlösung gehört über dies eine Aufgabe, die wir selbst zu leisten haben, nämlich die Befreiung von den uns persönlich betreffenden Folgen der Erbsünde und von den persönlichen Sünden; und dieser Teil der persönlichen Rechtfertigung muss von jeder einzelnen Seele geleistet werden, wenn nicht die allgemeinen und durch die Taufe schon grundsätzlich zugewendeten Gnaden der Erlösung fruchtlos und umsonst bleiben sollen.

3411 |        Ein nur „im Allgemeinen“ erfasstes Ziel christlicher Vollkommenheit, dem die persönliche Einstellung und Abhängigkeit gegenüber Gott fehlt, wird darum niemals zu einem richtigen sittlichen Aufstieg führen. Gottes unendliche Liebe hat vielmehr diesen Erlösungsplan entworfen und festgelegt: Jede einzelne Seele in einer (durch die individuelle Taufgnade ermöglichten und durch sie geforderten) seelischen Umwandlung [muss] auch die individuellen und persönlichen Unordnungen überwinden und ausrotten, d. h., die Arbeit und Vervollkommnung an sich selbst soll auch den innersten, persönlichen Kern des Menschen treffen, läutern, heiligen und nach dem Willen und Bilde Gottes in Christus gestalten. – Gott betrachtet und behandelt die Menschen nicht als unterschiedslose „Masse“, sondern jede Seele ist für ihn ein Reich, in das er einzuziehen bereit ist mittels der Gnade der Taufe, und jede getaufte Seele trägt alle übernatürlichen Existenzmöglichkeiten und Anlagen in sich, die notwendig sind, um eine Wiederherstellung der gestörten Ordnung und damit ein dauerndes Wohnen Gottes in der Seele herbeizuführen – ähnlich wie es auf dem mystischen Weg die Seele bewusst erlebt. – Eine Seele aber, die sich abseits stellt von den Forderungen ihres persönlichen Gewissens und von der Achtsamkeit und Treue gegenüber der, ihr zufließenden Standesgnaden wird nie zu einem nennenswerten sittlichen Erfolg kommen. Es wird auch nie ein persönlicher Tugendhabitus in ihr zur Ausprägung und zum Ausdruck kommen, der das Zeichen einer persönlichen, sittlichen Umwandlung wäre. Um zur wahren, christlichen, d. h. der Taufgnade entsprechenden Vollkommenheit zu gelangen, muss vielmehr auch das ganze individuelle Streben und Seelenleben auf Gott hingeordnet und in die (im Glauben bewusste) Abhängigkeit von Gott eingefasst werden – wie ja auch jeder Mensch einem eigenen, persönlichen Gericht untersteht und nicht etwa nur einem allgemeinen Massengericht. – Christus ist für jede einzelne Seele zur Ursache, zum Vorbild und zum Ziel ihrer Rettung und Heiligung geworden und darum kann sich keine Seele ohne eigenen Schaden dieser Ursächlichkeit und Verantwortlichkeit entziehen; denn nur in ihm und durch ihn werden wir befähigt für die persönliche Rechtfertigung, die wir zu leisten haben. Jede einzelne Seele ist „auf Christus hin getauft“ und hat Teil an ihm durch sein Blut; aber diese erlösende Abhängigkeit von ihm ist zugleich – durch die gnadenvolle Herablassung des Erlösers an alle Erlösten – zur persönlichen Zielsetzung für die einzelne Seele geworden. Christus hat sich für uns als Bürgschaft eingesetzt durch seinen Tod, damit wir „mit ihm auferstehen“ und sein Bild, das Bild seines Lebens, in uns tragen, durch das er die Gerechtigkeit des Vaters versöhnt hat. Darum ist es Pflicht jedes Getauften, die Wesenszüge dieses durch die Erlösung uns erworbenen Bildes Christi in der Seele zu möglichst großer Vollkommenheit auszuprägen, um mittelst dieser persönlichen Wiederherstellung der „Gleichförmigkeit mit dem Bilde Christi“ (Römer 8,29) vom Vater in Gnaden aufgenommen zu werden, gleichsam als ein sich wiederholendes, persönliches Abbild des ewigen und erlösenden Vorbildes. —

3412 |        Ich schaue als großes Übel des heutigen Zeitcharakters gerade das „Fehlen“ des individuellen, religiösen Gewissens in der Masse der Menschheit. Man begnügt sich zu sehr mit der allgemeinen Erlösung, in der die Masse ihr Heil sichergestellt „weiß“, und man hat den Sinn dafür (und darum das Streben danach) weithin verloren, dass nämlich die persönliche Mitarbeit mit den Erlösungsgnaden und mit den individuellen Taufgnaden ebenso unentbehrlich und wichtig ist. Diese Mitarbeit bedeutet aber: Mit den allgemeinen Erlösungsgnaden muss gleichlaufend sein und muss sich decken das persönliche Bemühen, die individuellen Folgen der Erbsünde zu überwinden und die dazu notwendigen, wirksamen Gnaden aus dem reichen Schatz der Erlösung und der geschenkten Taufgnade herauszuholen. – Ich schaue ferner, dass gerade in den ersten christlichen Zeiten diese persönliche Einstellung und Beziehung zu Gott und zum Erlöser, und diese persönliche Neuordnung und Umformung der Sitten das charakteristische Kennzeichen eines Christen sein musste. Dabei war ich eingeführt in den Geist des Apostels Paulus und seiner Briefe, die – wie auch andere Apostelbriefe – hauptsächlich auf die persönliche Hinordnung und die Einordnung der Sitten in den Geist Christi hinzielen. Die Bedeutung eines wahren Christen, und sein moralischer Wert lag in seiner Zuordnung und Zugehörigkeit zu Christus.

3413 |        Der Heiland will diese Wahrheit wieder tiefer erfasst haben und darum bietet er seiner Kirche die persönliche Ausschöpfung und Inanspruchnahme der Fülle seiner Erlösergnaden an. Auf diese Weise soll es zur klaren und deutlichen Scheidung kommen zwischen dem wahren christlichen Charakter und zwischen dem heutigen mehr oder weniger heidnischen Zeitgeist und Zeitcharakter, in dem die Werte der heutigen Kultur praktisch auch von der Masse der Christen nicht weniger oder sogar höher bewertet werden als der Adel einer auf Christus getauften Seele. – Wenn dem gegenüber Gott mit Nachdruck auf die göttlichen Werte der individuellen wirksamen Erlösungsgnade hingewiesen haben will, so ist seine Absicht dabei die individuelle Bemühung um die Erlösungsgnaden und die persönliche Zuordnung und Gefolgschaft gegenüber Christus neu zu wecken und zu steigern.

 

21.03.19451554

Über die primäre Abhängigkeit des Menschen von Gott als dem Urbild; über die sekundäre Abhängigkeit durch die Erschaffung; über die Abhängigkeit durch die Erlösung.

3414 |        Jeder Mensch, und die ganze Menschheit steht schon in ihrer Idee selbst in einer, ihr wesentlicher Abhängigkeit von Gott, und zwar nicht erst durch die wirkliche Erschaffung durch Gott-Vater. Ebenso wesentlich untersteht die Menschheit, und der einzelne Mensch der zweiten göttlichen Person des Wortes, weil diese das Urvorbild und die göttliche wesenhafte Idee für die Schöpfung im Allgemeinen und für die Menschheit im Besonderen war und ist.

3415 |        Die Heilige Dreifaltigkeit in ihren göttlichen Beziehungen zueinander war die Uridee zur Schaffung der Menschen. Der Vater wollte „Abbilder nach dem göttlichen Vorbild des Wortes“ schaffen, denen also das göttliche Wort Urvorbild sei. Mittelst dieser Abbilder des göttlichen Urvorbildes sollten sich die Werke des Heiligen Geistes offenbaren, das heißt, die Werke und göttlichen Eigenschaften, die Art und der Geist, die das Wesen Gottes „beseelen“. So sind die drei göttlichen Personen selbst die allererste Ursache seit Ewigkeit für die Schaffung der Menschheit in der Zeit.

3416 |        In den innergöttlichen Beziehungen der Heiligen Dreifaltigkeit ist das göttliche Wort, die zweite göttliche Person, durch ihre personale Eigenart der „Mittelpunkt“ der göttlichen Beziehungen der Personen. „Das Wort geht vom Vater aus“, d. h., mittels der göttlichen Selbst-Erkenntnis wird es zum „Gegenüber“ des Vaters in gleichwesentlicher göttlicher1555 Herrlichkeit und der Vater „empfängt dieses Gegenüber“ als eigenen, göttlichen Lobpreis. Das Wort ist also das immerwährende göttliche Selbstschauen und Selbstempfangen des Vaters; es ist sozusagen die „göttliche Selbstidee“, die in ihrer unendlichen Fülle doch als personale Einheit vom Vater gezeugt wird. Zugleich mit der immerwährenden göttlichen Zeugung des Wortes entströmt dem Vater ewiglich „der Geist Gottes“ als die personale Eigenart der Heiligkeit und Vollkommenheit, die das Wesen Gottes kennzeichnet und erfüllt und die dem Worte ebenso eigen ist wie dem Vater; dieser personale „Heilige Geist“ ehrt den Vater ebenso wie den Sohn. – Der Vater ist der Ausgangspunkt der göttlichen Bewegungen, das Wort ist der göttliche Mittelpunkt, der Heilige Geist ist der Geist oder „Beweggrund“; denn Gott hat ewig, göttliche Absichten, nämlich: Sich selbst zu erfahren; und Gott erfährt sich durch seinen Heiligen Geist, der Vater und Sohn beseelt und erfüllt. Gottes Absicht ist also der eigene göttliche Lobpreis, den er durch diese innergöttliche Bewegung von Ewigkeit sich selbst darbringt.

3417 |        Gott genügt sich selbst vollkommen. Er ist sich Anfang und „Ursache“, Mittelpunkt und Beweggrund. Sein Wesen ist eine „Bewegung“ der Selbst-Mitteilung, des Schenkens, Hingebens und des Zurückempfangens und Aufnehmens. Und diese Arten der innergöttlichen „Bewegungen“ sind zugleich die Ursache der eigenen göttlichen Beseligung, weil sie zugleich eine unendliche, ununterbrochene Folge von Beseligung bedeuten, die wir (in unserer armen Sprache) nur mit „Glückseligkeit, Jubel, Freude“ bezeichnen können.

3418 |        Gottes dreifaltiges Wesen ist „Bewegung“ als innergöttliche Tat, als „wesentliche Tat“, als „Seinstat“, die aber (nach menschlichen Begriffen und Ausdrücken) zugleich „Unbeweglichkeit“ ist, weil „das Sein“ immer „ist“ und „besteht“ und „ruht“. – Ein Wesen als Sein ist nicht zerlegbar, ohne dass es zerstört oder angetastet würde. Nun sind aber in Gott die innergöttlichen Bewegungen ein wesentlicher Bestand seines Seins (oder seiner Seinsart). Daher ist Gott als Sein unbeweglich. – so besteht also Gott zugleich als wesentliche „Bewegung“ und als „unbewegliches Sein“. Die innergöttliche Bewegung enthält sein Wesen, und doch ist sein Bestand „Unbeweglichkeit“, weil die Bewegung in und mit seinem göttlichen sein besteht.

3419 |        Man kann jene göttlichen Selbst-Mitteilungen und innergöttlichen Vorgänge mit den Mitteln und Worten unserer armen menschlichen Sprache auch so ausdrücken: Sie sind in höchstem und wesentlichem Sinne das, was wir mit dem Worte „Liebe“ bezeichnen, nämlich: Selbst-Mitteilung, Schenken, Hingeben und Zurückempfangen. Darin liegt die Wesensart der Liebe und nur durch diese Äußerungen eines Wesens kann ein anderes Wesen im tiefsten beglückt und beseligt werden. Gott aber als Ausgangs-, Mittel- und Zielpunkt seiner unendlichen Beseligung ist im höchsten und wesentlichen Sinne das, was die „Liebe“ ist und beinhaltet. – Jene innergöttlichen Arten der Mitteilung sind aber zugleich auch „Licht“, weil sie auch ein Durchdringen ihrer Selbst, d. h. der gegenseitigen göttlichen Wirkbeziehungen und damit eine beständige „Selbstbeschauung“ in sich schließen. Liebe schließt ja in jedem tatsächlichen Wesen auch ein gewisses Erkennen ihn sich – das sie voraussetzt und zugleich fördert –, nämlich ein Durchschauen und Durchdringen des geliebten Wesens, und darum ist die Liebe auch Licht. Die göttliche Liebe aber, oder jene urvorbildliche, innergöttliche Bewegung ist ein wesentliches Durchdringen, für das es keine Hindernisse gibt; darum ist sie höchste, unendliche Klarheit, Reinheit, Schönheit. Gott ist ja auch in seiner Liebe unbegrenzt, unermesslich, unendlich, während die menschliche Liebe, ein schwaches Abbild der göttlichen Liebe, begrenzt und von mannigfachen Bedingungen abhängig ist. (Der heilige Johannes sagt in seinem ersten Brief 4,7: „Die Liebe stammt von Gott. Jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe“). Die Liebe verlangt aber ihrem Wesen nach eine Erwiderung oder Gegenliebe, und zwar in gleicher Klarheit, Reinheit und Selbstlosigkeit, Durchsichtigkeit und persönlicher Durchlässigkeit und Aufgeschlossenheit, die sie selbst dem geliebten Wesen entgegenbringt. Und die drei göttlichen Personen durchdringen sich in göttlicher Klarheit und Reinheit, in ungeschaffenem Ungehindertsein und göttlicher Unwiderstehlichkeit, in göttlichem Entgegenkommen. Wenn wir schon das irdische Licht klar, schön, herrlich, durchdringend nennen, so ist Gott unendlich herrlich, weil alle Wesensbegriffe der „Liebe“ und aller Vollkommenheiten in ihm seinshaft bestehend und vereinigt sind. Die Liebe vereinigt in ihrem Wesen alle (gedanklich trennbaren) Eigenschaften und „Bestandteile“, die den ihr eigenen Genuss und die hohe Beseligung in der Erwiderung dieser Liebe hervorbringen.

3420 |        „Gott wohnt im unzugänglichen Licht“. Dieses Licht ist für uns unfassbare und unaussprechliche göttliche Selbst-Erkenntnis, das wesentliche Durchdringen seiner göttlichen Werte. Kein Geschöpf kann jemals Zutritt haben zu diesem wesentlichen Durchdringen, keines kann je unmittelbar eindringen in dieses innergöttliche Wesen. Es gibt auch keine „wesentliche“ Teilnahme am Wesen Gottes (d. h. unmittelbare Teilnahme von Wesen zu Wesen); denn niemand kann je die Eigenart des göttlichen Wesens sich aneignen, noch kann Gott jemals ein Geschöpf zu dem zulassen, was „sein Geheimnis“ ist, einmalig und unwiederholbar. Es gibt keine unmittelbare Wesensteilnahme gegenüber Gott (auch nicht im Himmel), sondern nur eine Teilnahme durch göttliche Mitteilung einer Verähnlichung mit ihm. Mit anderen Worten: Die Anteilnahme an Gott kann nur erfolgen, wenn Gott etwas von seiner eigenen „Art zu sein“ dem Geschöpf mitteilt, wenn er in diesem eine Disposition und eine „Art zu sein“ schafft, die eine Anteilnahme an seinem Wesen ermöglicht, wenn er durch eine entsprechende Angleichung des Geschöpfes an das göttliche Wesen ein gewisses Überströmen des göttlichen Wesens auf das andere Wesen ermöglicht und anbahnt. Gott ist eine wesentliche Ganzheit in einer „Dreiheit“; aber diese „Dreiheit“ ist nicht teilbar, weil sie, dem Wesen nach, eine Einheit ist. Und es gibt keine (unmittelbare) Vereinigung mit dem Wesen Gottes, weil niemand zum Wesen Gottes gelangen oder ihm so nahe kommen kann, dass eine Vereinigung mit seinem Wesen möglich wäre.

3421 |        Gott besaß sich seit Ewigkeit in seiner göttlichen Fülle und Seligkeit und es gab keinen Grund für die „Idee“, andere Wesen – soweit dies möglich – teilnehmen zu lassen an seinem Sein und an seinem dreifaltigen Leben, keinen Grund – außer dem Urantrieb Gottes selbst, der seine mitteilende Liebe und seine innergöttliche Vorbildlichkeit und Nachahmbarkeit ist. – Der Vater als erste Ursache der innergöttlichen Bewegungen, er, von dem das Wort gleich-wesentlich ausgeht, ewig und immerwährend von ihm gezeugt, er wollte auch andere Wesen – durch Erschaffung – ausgehen lassen, die er aus dem Nichts ins Dasein setzen und in den Mittelpunkt einer sichtbaren Schöpfung stellen würde. Der Mensch sollte als Geschaffener in ähnliche Weise vom Vater – der ersten Ursache – ausgehen, wie das „Wort“ in wesenhafte Weise von ihm ausgeht. – Die mitteilende, unendliche Liebe Gottes gedachte aber nicht bloß natürliche Abbilder des Seienden zu schaffen, sondern diese zugleich zu seinen übernatürlichen Abbildern zu machen und sie zu berufen zur Anteilnahme an seinem dreifaltigen Leben selbst.

3422 |        Damit aber diese zu schaffenden übernatürlichen Abbilder solcher Freigebigkeit göttlicher, mitteilender Liebe fähig wären, musste1556 eine entsprechende übernatürliche Anlage, eine Ähnlichkeit mit seiner eigenen göttlichen Wesensart in ihnen geschaffen werden. Es musste – mit anderen Worten gesagt – in ihnen die Befähigung geschaffen werden, seine liebende Mitteilung, und dadurch die Teilnahme an seinem Wesen

1. aufzunehmen,

2. in eigener Mitbetätigung zu erwidern und

3. sie in dauernder Vereinigung zu bewahren. (Entgegennahme, Erwiderungsfähigkeit und Bewahrung der Einheit sind ja die drei Wesensmerkmale dessen, was wir mit dem Wort „Liebe“ bezeichnen).

3423 |        So, wie die drei göttlichen Personen in ihrem ewigen Liebes- und Lebensaustausch tätig und mitbeteiligt sind, in wesenhafter Weise entgegennehmend und empfangend und so das dreifaltige Leben „bewahrend“ (um menschlich andeutende Worte zu gebrauchen), so wollte Gott diese drei Merkmale und Voraussetzungen für seine liebende, übernatürliche Mitteilung zugleich mit der Erschaffung auch in die (ersten) Menschen hineinlegen. – Die dritte Voraussetzung, (mit der auch die beiden Ersten stehen und fallen), sollte aber zugleich auch von Bedingungen abhängen, die der Mensch selbst zu leisten und zu erfüllen hätte, nämlich davon, dass er das sittliche Gesetz beobachte und damit die notwendige sittliche Ähnlichkeit und gleichsam Verwandtschaft mit der Art und Heiligkeit Gottes bewahre. So hing die Fähigkeit, Gottes übernatürliche, liebende Mitteilung dauernd zu empfangen und zu erwidern vor allem von sittlichen Bedingungen ab, nämlich davon, dass der Mensch das Gesetz und die sittliche Art und den Geist und die Liebe Gottes „lebe“, dass er „Gottes Werke tue“ und die göttlichen Vollkommenheiten und das göttliche dreifaltige Urvorbild in abbildlicher, geschaffener Form in sich verwirkliche.

3424 |        Ich schaue und erfasste das Geheimnis der ersten Ur-Ursache für die Erschaffung des Menschen: Die innergöttliche Betätigung der drei Personen der Heiligen Dreifaltigkeit, die alle drei „beteiligt“ waren: Der Vater, die erste Ursache und der Erzeuger; das Wort, der Gezeugte, der vom Vater ausgeht; der Heilige Geist, der Geist Gottes, der die beiden anderen Personen beseelt und die göttliche Eigenheit ihres Wesens ist, gleichsam der Seins-Gehalt und der Geist in jener immerwährenden Begegnung zwischen Vater und Sohn. Wie der Sohn vom Vater ausgeht als der „Mittelpunkt“, eines Wesens mit dem Vater, so sollte die zu schaffende (übernatürliche) Lebenseinheit des Menschen mit Gott eine geistige Einheit sein, beseelt vom Geiste Gottes (der Geist der Liebe ist) und durch dieses göttliche Wesens- und Lebensgesetz verbunden. Der Mensch sollte die sittliche Art, und die Werke Gottes üben, um in dieser übernatürlichen, geschaffenen Einheit und immer größeren Einigungsfähigkeit bleiben zu können. So war das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit das Vorbild für die zu schaffende Anteilnahme der Menschen an Gottes Wesen, für ihr übernatürliches Sein und Bleiben in Gott.

3425 |        Der Mensch ist also – schon von seiner tatsächlichen Erschaffung – seinem inneren Wesen und seiner „Idee“ nach ganz und gar abhängig von Gott und ganz und gar auf Gott hin geordnet. Die tatsächliche Erschaffung, die Erlösung und die Heiligung sind dann weitere Ursachen und Gründe für die wesentliche Abhängigkeit des Menschen von Gott. Die allererste Ursache dieser Abhängigkeit ist aber schon die Vorbildlichkeit des dreifaltigen Wesens Gottes und seiner mitteilenden Liebe sowie, dementsprechend, die eigene geschaffene Abbildlichkeit.

3426 |        Auch an der wirklichen Erschaffung des Menschen in der Zeit und an der Erlösung waren alle drei göttlichen Personen gemeinsam „beteiligt“. Nach dem Sündenfall ist der Mensch durch die Liebe der Heiligen Dreifaltigkeit übernatürlich „neu“ geschaffen worden. Dies geschah durch den göttlichen Vaterwillen, der in Liebe das „Wort“ hingab zur Erlösung. Dadurch, dass dann Christus den Heiligen Geist herab rief, der vom Vater und vom Worte ausgeht, sind die Menschen zum zweiten Mal zur Rechtfertigung und Heiligung befähigt worden. – die zweite göttliche Person ist durch die Erlösung gleichsam doppelt unser Urvorbild geworden, weil der Mensch durch und in Christus zum zweiten Mal übernatürlich geschaffen wurde und weil wir durch und in ihm wieder die Werke Gottes tun, den Geist Gottes in uns tragen und uns in Gott bewahren können. Und alle sittlich guten Werke, die wir in gottgefälliger Weise verrichten, wirkt in uns und mit uns der Geist Gottes, der Heilige Geist, der uns durch Christus wiedergegeben wurde.

3427 |        Dieser allererste Ursprung oder diese „Uridee“ vom Menschen – die ebenso wahr ist, wie sie zunächst fast unglaublich hoch scheinen möchte – ist zwar schnell in Worten ausgesprochen, aber wie wenig sind es, die in die tiefe Bedeutung dieser Wahrheit eindringen! Nur die Gnade kann tieferes und lebendiges Eindringen in diese Wahrheit geben: Gott ist für uns alles (Uranfang und Urvorbild, Mitte und Ziel), und alles, was er geschaffen hat, schuf er in vorbildlich-abbildliche Beziehung zu seinem eigenen Wesen. – Es gibt keine menschlichen Wirkbeziehungen und Wirkbetätigungen, die nicht er selbst als Abbild des dreifaltigen Vorbildes geschaffen hätte. Der höchste Adel des Menschen liegt deshalb darin, dass er (als natürliches, und vor allem als übernatürliches Abbild) in jene göttlichen Beziehungen einbezogen ist (sei es wirklich, sei es wenigstens der Bestimmung nach), dass er befähigt wurde, ganz in der Sphäre der göttlichen Mitteilung zu sein und zu bleiben. Das war die oberste göttliche Idee und Absicht bei der Erschaffung des Menschen und das soll die leitende Idee und Auffassung des Menschen in seinem Verhältnis und Streben Gott gegenüber sein. – Außerhalb dieses Verhältnisses einer gegenseitigen Wirkbeziehung besteht zwischen Gott und Mensch nur ein unüberbrückbarer Abgrund und gleichsam eine undurchdringliche Nacht.

3428 |        Dieses Verhältnis im vertrauten Umgang mit Gott auch zu erfahren und Gott – aufgrund der mitgeteilten übernatürlichen „Art zu sein“ – auch „berühren“ und erfahrungsmäßig bewusst erreichen zu können: Dazu war der Mensch nur in der Zeit des Paradieseslebens befähigt. – Im jetzigen, gefallenen Zustand bleibt nur der Glaube an die Unendlichkeit seiner Liebe, durch die Gott zu jener Mitteilung bereit ist, die wir erwarten im zukünftigen Leben, wenn wir – auf dem Weg über den Tod – endgültig wiedergeboren werden. Der Tod ist – oder sollte sein – die letzte Strafe der Sünde, durch die wir zur Buße hindurchgehen müssen, um zum Endziel zu gelangen; er ist die letzte Folge der Sünde und die letzte Schlacke, die auch einer vollkommenen Seele anhaftet und von der wir „befreit“ werden müssen, um zur Anschauung und zum ewigen Besitz des dreifaltigen Gottes zu kommen.

3429 |        Für jenes nun unwiederbringlich verlorene Gott-Schauen und Gott-Erfahren, wie es dem Paradiesesleben eigen war, gibt es in der jetzigen Ordnung des Glaubens nur einen Ersatz: nämlich das mystische Gott-Erfahren. Dieses ist im jetzigen Dunkel des Glaubens gleichsam der einzige Schimmer aus dem verlorenen diesbezüglichen Lichte des Paradieses. Aber schon dieser Schimmer des Lichtes ist so groß und so überwältigend, dass er eine Seele trunken macht vor Glück und Seligkeit. Es ist ein gewisses „Auftun“ Gottes und seiner Herrlichkeit, ist solche erlebte Liebe und Herablassung Gottes, dass ihm gegenüber alles in Staub zerfällt, was nicht er ist. Die Seele schaut dabei wiederum – ähnlich wie einst im Paradies – Gottes dreifaltige Liebe und Wirkkraft in den verschiedenen Formen. Durch die Vereinigung mit Christus wird die Seele im mystischen Gotterfahren gleichsam mit hineingenommen in den „Mittelpunkt“ der Heiligen Dreifaltigkeit, weil wir alles „durch ihn“ als unser Vorbild und Haupt erhalten haben und nur durch ihn dem Vater und dem Heiligen Geist verbunden sein können. Christus ist das Zentrum und zugleich1557 die Tür, die sich der schauenden Seele auftut und er zeigt der staunenden und beglückten Seele die Helligkeit des Vaters und des Heiligen Geistes. – Im mystischen Gotterfahren wird die Seele auch in diesem Leben schon tief und lebendig überzeugt von der hohen Bestimmung des Menschen, die sie selbst erlebt. Ja, die Seele erlebt dabei die Sicherheit der Existenz Gottes und die Wahrheit seiner Offenbarungen; sie erlebt und erfährt sich selbst in dem, was sie glaubt.

3430 |        In der jetzigen Ordnung des Lebens aus dem Glauben ist das mystische Gotterfahren der einzige Ersatz, das erstrebenswerteste Gut und das einzige Licht, das uns gleichsam als Rest des im Paradiese verlorenen Gott-Erfahrens als möglich geblieben ist1558. Und ich muss im Namen Jesu hier niederschreiben: Christus will, dass auch diese Gnade (des mystischen Gotterfahrens) mehr anerkannt und über alle anderen Güter dieser Erde gestellt und geschätzt wird; denn das mystische Gott-Erfahren ist das höchste, was die Seele in diesem Leben erreichen kann (selbstverständlich immer die unbedingt die notwendige Gnade vorausgesetzt). Darin besteht der Triumph der göttlichen Liebe, wenn er sich einer Seele ganz1559 vertraut mitteilen kann, und er will auch diese mystischen Gnaden des Gotterfahrens und das (betreffende)1560 entsprechende Streben mehr anerkannt und geschätzt sehen1561. Alles bloße Studium über Gott ist eitle Mühe und nichtssagend im Vergleich mit einer kurzen Weile oder mit einem Augenblick des Eingetaucht-Seins in das Licht seiner Liebe, wo er selbst, der Seele seine göttlichen Güter mitteilt und erklärt.

3431 |        Ich schaue ferner: Es ist immer eine Beleidigung seiner göttlichen Liebe, wenn solche Gnaden und Gaben gering geschätzt und verächtlich behandelt werden. Es liegt darin eine Missachtung seiner göttlichen Freigebigkeit, und eine Verkennung der Missachtung des letzten Zweckes, den Gott bei Erschaffung der Menschen hatte. – Gott hat sich im Alten Bund Menschen (den Propheten) mitgeteilt und hat sie seine Geheimnisse schauen lassen. Im Neuen Bund teilt sich Christus noch viel mehr mit gemäß dem Gesetz der Gnade, in das er die erlösten Seelen hineinversetzt hat. Der tiefste Sinn und das höchste Ziel des Menschen ist aber nur dies: Gott zu erkennen und zu erfahren! Gott ist für den Menschen alles!

3432 |        Um Obiges schreiben zu können, wird die Seele „hoch hinaufgetragen“ und gleichsam zu Füßen der Heiligen Dreifaltigkeit niedergesetzt; und Gott enthüllt1562 sich der Seele, die gleichsam befreit ist vom Irdischen. Was aber dann in menschlichen Ausdruck gebracht werden kann, das sind immer nur schwache Andeutungen des Geschauten und Erlebten. Darum wird ein Anderer kaum begreifen können, welches volle „Leben“ dabei zwischen Gott und Seele waltet, ein unaussprechliches Leben des Begreifens der Geheimnisse Gottes. Der Herr „sagt“ (ohne Worte) der Seele die letzten Gründe seiner unermesslichen Liebe.

 

23.03.19451563

 (Anmerkung zum Vorhergehenden).

3433 |        1. Zum Wesensbestand der Liebe gehören zwei Momente: einerseits das Ausströmen dieser Liebe oder die eigene Mitteilung; anderseits das Erfassen und Verwerten dieser Mitteilung durch das geliebte Wesen und die Rückgabe entsprechender Gegenliebe und Gegenwerte. – so wohnt der Liebe eine gewisse Werbekraft inne, wodurch sie gleichsam die Werte aus dem geliebten Wesen „herausholt“ und sich dann von diesem geliebt weiß. Das ist im höchsten Maße ersichtlich bei der wesenhaften Liebe bei der Heiligen Dreifaltigkeit: Die Beziehungen zwischen Vater und Wort sind „Liebe“ (die als göttliche Person der Heilige Geist ist) oder die immerwährende Entgegennahme und Rückgabe der Liebe zwischen Vater und Sohn im Heiligen Geist.

3434 |        Liebe braucht, ihrer Natur nach, ein anderes Wesen, das den ersten Akt des Ausströmens und Mitteilens aufnimmt und danach zurückgibt und erwidert. Auch Gott kann nur zu jenen Wesen eine eigentliche Liebesbeziehung haben, die seine ausströmende Liebe erwidern. Darum wurde die Liebesbeziehung zwischen Gott und den Menschen durch den Sündenfall „unterbrochen“, da sie von den Menschen nicht mehr erwidert werden konnte. Es fehlte vonseiten des Menschen jene Entgegennahme, Mitbetätigung und Rückgabe, welche die Liebe ihrem Wesen nach verlangt.

3435 |        2. Da aber hat sich die zweite göttliche Person, das „Wort“ Gottes, das Urvorbild und Haupt der Menschheit angeboten als „ersetzende Liebe“ vor dem Vater, um anstelle aller geschaffenen Abbilder des vom Vater Gezeugten und des wesensgleichen Abglanzes des Vaters diesem die gebührende und geschuldete Erwiderung der Liebe zu geben. Und um dieser „ersetzenden Liebe“ des Hauptes willen umgab Gott auch im Alten Bund die Menschheit mit seiner göttlichen Barmherzigkeit. Hätte die Erwiderung der Liebe des Vaters ganz aufgehört, d. h. wäre nicht die ersetzende Liebe des Hauptes der Menschheit und Schöpfung gewesen, so hätte sich Gott für immer von der Menschheit abgewandt und wäre diese im gleichen Augenblick der Vernichtung anheimgefallen. Auch die Gerechtigkeit ist nämlich eine wesentliche Eigenschaft Gottes, und diese seine Gerechtigkeit konnte nicht auf jeden Ersatz der durch die Menschen nicht erwiderten Liebe „verzichten“.

3436 |        Jene ersetzende Liebe, die der Sohn Gottes schon vor seiner Menschwerdung und dann in besonderer Weise in seinem Erlöserleben leistete, war selbstlose Liebe, Liebe, die nur einseitig ist, die nur liebt und sich liebend betätigt, ohne auf Entgegenkommen zu warten. (Als Urvorbild und Haupt der Menschheit, durch Den und für Den und nach dessen Bild alles geschaffen wurde, wäre der Sohn auch Mensch geworden (aber nicht leidensfähig) auch wenn die Menschen nicht in die Sünde gefallen wären.) Nach dem Sündenfall wollte das ewige Wort durch seine ersetzende Liebe vor dem Vater die gefallene Menschheit retten und diese Rettung war seiner Liebe höchster Lohn und Genugtuung. Freilich muss die göttliche Gerechtigkeit auch von der Menschheit die Anerkennung und Erwiderung dieser göttlichen Liebestat verlangen und beanspruchen und deshalb hat der Vater alles „Gericht über die Menschen dem Sohn übergeben“.

3437 |        3. Infolge der Ausübung dieser „ersetzenden Liebe“ vor dem Vater hat Christus eine ganz zentrale Stellung für die Menschheit. Durch ihn, der immer schon ihr Urvorbild und Haupt war, ist die Menschheit ja gerettet worden; dadurch ist sie in besonderer Weise sein „Eigentum“ geworden, das ihm untersteht und in besonderer Weise von ihm abhängig ist, wie ein „wiedererworbenes Gut“. War er immer schon der „Mittelpunkt“ und Mittler, so verdanken wir es seiner „ersetzenden Liebe“, dass der Vater uns seinetwegen seine göttliche Liebe auch nach der Erbsünde bewahrte und so lange bewahrt, bis wir mittels der Gnade der Taufe befähigt werden, uns selbst in Christus wieder in Liebe dem Vater gegenüberzustellen und – in individueller Mitbetätigung mit der geschenkten Gnade der Einheit mit Christus und der Kindschaft Gottes – der Lebensmitteilung Gottes unsere Erwiderung entgegenzubringen. – Unser ganzes christlich-religiöses Leben ist darum christo-zentrisch, weil er sich durch seine ersetzende und erlösende Liebe das Recht zu dieser zentralen Stellung und Macht über die Menschheit erworben hat. – Zudem ist Christus auch jetzt noch der Mittler und der „Ersetzende“ oder der Ersatz für uns und er wird es sein bis zum Ende der Weltzeit der Erlösung.

3438 |        4. (Zur „Vereinigung mit Gott“) – Das Wesen Gottes und des Menschen sind ganz verschieden und doch hat die Seele des Menschen als Bild Gottes bestimmte Grundzüge und Eigenheiten mit Gott gemeinsam. Darum kann die Seele durch entsprechende sittliche Angleichung an die Art und Vollkommenheit Gottes zur „Vereinigung mit Gott“ gelangen und dieses „Teilhaben“ an Gott durch immer größere Heiligung immer mehr steigern. Es handelt sich dabei um eine höhere und innigere Mitteilung Gottes an die Seele, aber niemals – auch nicht auf der höchsten Stufe der Vereinigung mit Gott – kann es sich um eine Zuteilung oder Übertragung seines Wesens an das Wesen der Seele handeln. Ebenso gibt es keine wirkliche Übernahme der Rechte Gottes durch den Menschen, während ein Mensch trotz aller individuellen und sozialen Unterschiede anderen Menschen Zutritt zu seinen persönlichen Rechten gewähren kann.

3439 |        Gewiss wird durch die Taufe die Seele teilnehmend an der göttlichen Natur, und diese Teilnahme steigert sich durch persönliche Mitarbeit mit der Gnade fortwährend (durch Gebrauch der Sakramente und durch persönliche Überwindung der Sünde und Unordnung usw.). Aber auch die höchste Steigerung in dieser Teilnahme an der göttlichen Natur, d. h. an seiner göttlichen Art zu sein und zu handeln, führt nie zur unmittelbaren Teilhabe an Gottes Wesen oder zur personalen Übertragung göttlicher Akte und Rechte. Die Rechte Gottes sind unveräußerlich.

3440 |        5. Warum hätte Gott nach dem Sündenfall der Menschen nicht einfach Barmherzigkeit statt Gerechtigkeit walten lassen können? Auf diese Frage wurde mir innerlich die Antwort gegeben: Dies sind Geheimnisse seines göttlichen Wesens, in die kein Mensch eindringen kann. – Wir Menschen müssen seine göttlichen Eigenschaften „so“ annehmen und verstehen, wie sie uns „nach außen“, d. h. durch die Äußerungen in seinen göttlichen Taten und Werken verständlich werden.

3441 |        Bei seinen mystischen Mitteilungen lässt Gott gewöhnlich nur die „Sache selbst“ schauen, selten oder fast nie die Zeit; denn Gott ist „zeitlos“; er ist Wesen und Tat, Sein und Erkennen zugleich.

3442 |        6. Es ist ein großer psychologischer Unterschied zwischen dem „substanziellen“ mystischen Gott-Erleben und dem verstandesmäßigen mystischen Gotterfahren. Das substanzielle Erleben Gottes bzw. seiner Geheimnisse vollzieht sich unmittelbar durch die substanziellen Grundkräfte des Geistes. Wenn aber nicht zugleich eine Gnade übernatürlicher Erleuchtung des Verstandes mittätig ist, so ist es für mich schwer oder auch unmöglich, das Erlebte auszudrücken; es bleibt dann gleichsam „unveräußerlich“ ohne Ausdrucksmöglichkeit, und ist nur substanzielles Eigen-Erleben. Um einen entsprechenden Ausdruck zu finden, muss auch ein mitfließendes Licht des Verstandes gegeben sein. – Aber gerade in letzter Zeit bleibt es meist beim substanziellen Eigen-Erleben, weil dies das letzte vorbereitende Ziel meines Innenlebens ist. So bleibt doch beim letzten Erleben der Heiligen Dreifaltigkeit das Tiefste und Lebendigste mein persönliches, unveräußerliches Wissen. – „Erleben“ ist etwas anderes als“ Schauen“.

 

24.03.19451564

3443 |        Ich will leiden um des Leidens willen und will Opfer sein nur um des Opfers willen.

 

25.03.19451565

Über frühere Erkenntnisse bezüglich der äußeren Verhältnisse im Zusammenhang mit dem gottgewollten Werk.

3444 |        Schon seit dem Jahre 1932 schaute ich innerlich des Öfteren „gewisse politische Umwälzungen“ voraus, zum ersten Mal anlässlich der Wahlen in Österreich: „Es wird ein Mann aufstehen – so schaute ich –, der großen Einfluss auf einen großen Anhang gewinnen wird“. Er wird fast ganz Europa beherrschen und unter seinen Einfluss stellen, auch Italien.

3445 |        Seit dem Jahre 1934 sah ich einen großen Krieg kommen, der außerordentliche, politische Umwälzungen bringen werde. – Ich sprach auch [mit] meinem damaligen Seelenführer von diesen geistigen Erkenntnissen. Seit dem Jahre 1935 schien mir die Zeit dieser Heimsuchung „näher zu rücken“, und ich stand oft unter dem beängstigten Eindruck der drohenden, furchtbaren Leidenszeit für die ganze Menschheit.

3446 |        Ich sah aber diese schreckliche Heimsuchung im Zusammenhang stehen mit einem gewissen, allgemeinen Abfall von Gott, mit der Glaubensschwäche und dem sittlichen Rückgang und einer um sich greifenden Lauheit. Eine wachsende Glaubenslosigkeit und Abkehr von Menschen aller Klassen und Stände von Gott, den sittlichen Verfall, auch im Eheleben und das Schwinden des Verantwortungsbewusstseins gegenüber Gottes Geboten: All diese Beleidigungen Gottes sah ich als die Ursache des kommenden Strafgerichtes, das ich über der Menschheit schweben sah, wie ein drohendes Gewitter. Ich schaute, wie Gott sich deshalb mit seiner Barmherzigkeit „abwenden werde“ von der Menschheit, die sich von ihm abwandte, und wie er seine Gerechtigkeit herrschen lassen würde. – Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich mit Pater Michael Lenz O.P. (Im Jahre 1935) im Sprechzimmer der Dominikaner über dieses geistige Vorausschauen sprach und ihm meine Befürchtungen wegen des drohenden Strafgerichtes Gottes ausdrückte.

3447 |        Ich schaute das drohende Strafgericht immer etwa folgendermaßen: Es war, als wäre die Menschheit wegen ihrer Sünde wie durch eine undurchdringliche Mauer von Gott getrennt, als lastete auf der ganzen Welt eine große Finsternis drohenden Unheils wie vor einem schweren Gewitter. „Alle Völker werden sich dann wie an einem Ort zusammenziehen, wo jenes Gewitter dann losbrechen wird“. Gott wird die Menschheit dann ihrem eigenen bösen Geist und Einfluss überlassen.

3448 |        Oft ließ mich der Heiland die unermessliche Last der Sünde und Schuld der Welt schauen und zeigte mir sein „betrübtes und beleidigtes und zugleich gerechtes Herz“, und ich war oft ganz zerschlagen und betrübt und geängstigt und fühlte meine Schwäche und Unfähigkeit, etwas dagegen tun zu können.

3449 |        Aber der Heiland zeigte mir dann auch, dem Strafgericht gegenübergestellt, „das Werk seiner Barmherzigkeit“, ein allgemeines Werk seiner Liebe und Barmherzigkeit. Ich will hier nicht das Werk weiter erklären, sondern der Wahrheit gemäß nur das anführen, was ich oft über seinen Zusammenhang mit dem drohenden Strafgericht schaute.

3450 |        Ich schaute ein allgemein organisiertes Werk für die Erneuerung der Kirche, zuerst auf das gesamte Priestertum angewandt; ein Werk, das seinem barmherzigen Herzen entströmt; ein Werk einer allgemeinen Verinnerlichung und Erneuerung der Priester, die er mit besonderen, neuen Gnaden ausstatten, und als der „Sendboten“ seiner Liebe aussenden wolle, um die gottentfernte Welt wieder an sich zu ziehen. – Ich schaute auch den sicheren Erfolg dieses Werkes, in Form einer mir oft gezeigten Organisation gegründet1566. Und diesen Plan nach seinen göttlichen Absichten zu organisierenden und zu gründenden Werkes stellte mir der Heiland oftmals dem drohenden Strafgericht gegenüber, das er mich schauen ließ. Und er ließ mich (schon vor mehr als zehn Jahren) wissen: „Dies ist das Werk meiner Barmherzigkeit. Wenn es angenommen und gegründet und das Pfand meiner Liebe geschätzt wird, werde ich die Zeit jener schweren Heimsuchung und jenes Strafgerichtes abkürzen und werde, um dieses Werkes willen, einen milderen, normaleren Übergang von Krieg zu friedlicheren Zeiten geben.“ (Ich schaute nämlich erschütternde Umwälzungen als Übergang von Krieg zum Frieden.)

3451 |        Oft betonte der Heiland: „Um dieses Werkes willen!“ Und er erklärte mir dies: „Dieses Priesterwerk im Sinne meiner Erneuerungsabsichten wird meinem himmlischen Vater eine unermessliche Genugtuung und Ehre bringen wegen der Priester, in denen sich 'mein Leben wiederholen wird', wie es sich für einen Priester geziemt. Eine große Zahl von Priestern wird den Geist der Erneuerung aufnehmen und ebenso viele Christusleben hervorbringen; und um diese Priester der Kirche willen, wird sich die Strafe meiner Gerechtigkeit mildern und wird sich meine Barmherzigkeit zeigen. Ja, schon im Voraus wird sich meine Barmherzigkeit offenbaren 'im Voraussehen' der Früchte in jenen Priestern, in denen 'Ich' mein Leben erneuern werde“. (Und Jesus ließ mich dann immer wieder die wunderbaren Früchte schauen, die nach seinen Absichten aus dem Werke erblühen werden.) „So große Ehre wird dieses Werk meinem Vater bringen durch 'Mein Leben', das sich (in jenen Priestern) gleichsam von meinem Vater wiederholen wird.“ Wiederholt sagte mir der Heiland dies mit großer Klarheit und betonte immer wieder: „Wenn dieses Werk in würdiger Weise nach meinen Absichten von der Kirche angenommen wird, so werde ich um dieses Werkes willen die Zeit jenes Strafgerichtes abkürzen und einen milderen Übergang schenken.“

 

30.03.1945

Karfreitag

3452 |        Mir genügt das Kreuz allein – auch wenn ich vom Gekreuzigten nichts mehr spüre!

 

April

02.04.19451567

Ostermontag

3453 |        Ich erlebe die unglaublich scheinende Tatsache: dass das Leiden, das Kreuz der einzige Trost und die einzige Zuversicht in meinem Leben bleibt. – So sehr bin ich in die Einsamkeit meines Seins hineingestellt, dass keine Seele darin eindringen, und nie jemand wird voll verstehen können, welche Tiefen der Leiden ich durchwandere. Das einzige Licht dabei ist nur das Leiden, das wahrhaft durchdringende Licht, das aber kein Licht irgendwelchen Trostes ist. Das Leiden ist in der Tat die einzige Stütze, ja, die einzige Regung, die ich in mir erfahre.

3454 |        Zuweilen überkommt mich das Gefühl einer gewissen „Lebens- und Leidens-Müdigkeit“, das heißt, ich fühle mich müde von all dem vielen, was ich unausgesprochen in mir trage und ertrage; ich möchte heimgehen, dorthin, wo mir die ewige Ruhe winkt. – so voll Leid und Schmerz, so „sterbensmüde“ und heimwehkrank nach dem Himmel kann ich die geheimnisvollen Klageworte Jesu begreifen: „Meine Seele ist zu Tode betrübt“.

 

05.04.1945

 Über die Grundlagen des Empfindungslebens

3455 |        „Empfindung“ im Allgemeinen ist jene Reaktion, die ausgelöst wird, wenn ein (der Empfindung fähiges) Wesen mit einem anderen Wesen oder mit irgendeinem Objekt (sei es geistiger oder materieller Natur) sich begegnet oder zusammentrifft. – zu einer wahren „Empfindung“ braucht es also:

1. die entsprechende Anlage oder Fähigkeit und

2. ein entgegentretendes, die Empfindung1568 anregendes Objekt. [sic]

3456 |        Die „Bewegung“, wodurch die Beziehung oder Berührung zwischen der Anlage und dem Objekt hergestellt wird, löst als Ergebnis die „Empfindung“ selbst aus, die zusammen mit dem Inhalt jenes Objektes der Person bewusst wird. Hinsichtlich der Empfindungsanlage selbst kann man ein doppeltes Element unterscheiden: das „Genießen“ (oder Missfallen) des vorliegenden Objektes durch die Selbstbetätigung der Empfindungsanlagen und damit zugleich das Bewusstwerden und Erfahren dieser eigenen Anlagen. Das Endergebnis des Empfindungslebens ist aber ein einfaches: Die Person (oder das genießende und erfahrende Subjekt) „empfindet“ das ihr gegenübertretende und sich bietende Objekt mittels ihrer sich betätigenden Anlagen.

3457 |        Zum konkreten Vorgang des Empfindens gehört aber auch als Voraussetzung ein gewisses „Erkennen“ und Wissen um das betreffende Objekt. Die Person muss in dessen Werte eindringen, sie beurteilen und erst aus dieser Erkenntnis und Anerkennung der Werte des Objektes (das auch ein geistiges sein kann) ergibt sich das entsprechende Genießen und Erfahren desselben durch die Person. So gibt es also kein Empfindungsleben ohne ein entsprechendes Intelligenzleben und der Mensch gelangt zu einem persönlichen Empfindungsleben erst mit jener Entwicklung seines Intelligenzlebens, die ihm gestattet, die inneren und äußeren Einflüsse und Eindrücke so weit zu beurteilen, dass sie eine entsprechende, persönliche Empfindung hervorrufen.

3458 |        Empfindungs- und Intelligenzleben zusammen bilden die Hauptbetätigung des menschlichen Geistes unter der Herrschaft der Person. Dabei bildet sich gleichsam ein ständiger Kreislauf um den Mittelpunkt der Person, von der die ersten Befähigungen und Betätigungen ausgehen, um mit immer neuen Anregungen und Ergebnissen zu ihr (d. h. zu diesem Mittelpunkt) zurückzukehren und von ihr wieder neue Antriebe zu holen. – Es sind dies meist unbewusste Vorgänge im menschlichen Seelenleben, die aber die äußere Betätigung des Menschen erklären. Dem Geist und den substanziellen Anlagen seiner1569 Seele kann der Mensch nur dadurch auf die Spur und „nahe“ kommen, dass er sie in ihren Betätigungen und Akten erfasst und „erlebt“.

3459 |        Zur „Empfindung“ gehört notwendig ein Objekt. Selbst die höchsten Anlagen der Engel z. B. wären nicht imstande, für sich allein eine (geistige) Empfindung hervorzurufen, wenn nicht ein Objekt oder ein anderes Wesen jene Anlagen „berühren“, treffen und dadurch zu einer Reaktion bringen würden. Für die Engel aber ist in erster Linie Gott selbst das Objekt, das nicht bloß eine Wahrnehmung, sondern auch eine geistige Empfindung, d. h. eine Betätigung der Empfindungsfähigkeit und -anlagen in ihnen auslöst.

3460 |        Die Begegnung oder „Berührung“ mit dem entsprechenden Objekt löst die Betätigung der Anlagen aus und durch die Betätigung werden diese, ihrer Bestimmung zugeführt. Es ist so ähnlich wie bei einer elektrisch betriebenen Maschine oder einem Motor: Diese wird mittels des elektrischen Stromes in Bewegung und Betrieb gesetzt und bringt dadurch eine ihrem Aufbau und Zweck entsprechende Leistung und Arbeit hervor. Was aber der antreibende elektrische Strom für die Maschine ist, das bedeutet für das Empfindungsleben der Engel und Menschen ihr eigenes Leben mit seinen Vorkommnissen und Begegnungen. Damit sind den Engeln wie den Menschen vom Schöpfer gewisse „erste Grundlagen und Ziele“ für ihre geistige Empfindungsfähigkeit gegeben.

3461 |        Entsprechend kann man auch die göttliche „Empfindung“ ahnen (d. h., die wunderbare, wesentliche, innergöttliche Bewegung, die im göttlichen dreieinigen Vorbild unserer nachgebildeten, geistigen Empfindungsfähigkeit entspricht), die durch die dreieinig-dreipersönliche Begegnung in Gott von Ewigkeit her ausgelöst wird, d. h., welch unermesslicher Genuss aus dieser dreipersönlichen Begegnung im Wesen Gottes sich ergibt. Auch in Gott braucht es eine „Bewegung“ oder eine Begegnung in seinem göttlichen Wesen, um sich selbst genießen zu können. Es braucht ein Sich-gegenüber-treten und „Berühren“, wodurch seine göttlichen Vorzüge ihm jeden Augenblick gleichsam vorgeführt werden. Das bloße Wesen für sich allein würde nichts nützen, wenn es nicht zugleich durch diese Selbstberührung erfahren und genossen werden könnte.

3462 |        Gott ist tatsächlich von Ewigkeit im unendlichen Selbstgenuss seiner innergöttlichen Begegnungen und Bewegungen. Die Engel und die Menschen aber sind ihm ähnlich und abbildlich, auch durch ihre geschaffene geistige Fähigkeit der Begegnung und der entsprechenden Empfindung gegenüber anderen Wesen und Objekten. Die Empfindungsfähigkeit als geistige Kraft der Seele kann in sich selbst von uns niemals ganz ergründet werden. Wir können nur aus ihren Auswirkungen Schlüsse ziehen auf die Anlage selbst; denn es ist eine substanzielle Anlage und ein Abbild des göttlich-wesentlichen Genusses seiner selbst, d. h. seiner göttlich-dreieinigen Seligkeit.

3463 |        Man kann den Adel und den Wert und die Würde der menschlichen Natur erst dann voll erfassen, wenn man das letzte und höchste Ziel betrachtet, wofür Gott den Menschen geschaffen und bestimmt hat: Nach den Absichten des Schöpfers sollte nämlich das höchste Gut und Wesen, Gott selbst, dem Menschen als begegnendes Wesen und damit das Objekt seines Genusses und Glückes geschenkt werden und durch diese Begegnung sollte der Mensch zugleich seine vornehmsten, Gott geschenkten Anlagen und Vorzüge betätigen und erfahren können. – Dies war tatsächlich der erste und vornehmste Akt des Menschen im Urzustand, d. h. gleich nach der Erschaffung. Die Erkenntnis und Anerkennung Gottes weckte in ihm zugleich die Betätigung der eigenen geistigen Genuss- und Glücksfähigkeit und führte ihn damit erst vollends in seine eigenen höchsten Vorzüge und zugleich in die Vorzüge seiner Umgebung ein, in die der Schöpfer den Menschen hineingestellt hatte.

3464 |        Dieses „Genießen Gottes“ gab der Paradiesesseele die ihr eigentümliche Glückseligkeit, insofern die Seele mittels ihrer eigenen, Gott geschenkten Anlage imstande war, Gott gleichsam in ihr eigenes Wesen hineinzuholen und hineinzuziehen und ihn dadurch zu ihrem eigenen „Genuss“ zu machen. Aus dieser tiefsten Grundlage der Seele (nämlich Gott zu erkennen und zu genießen), floss bei den ersten Menschen auch ihre tiefe Selbsterkenntnis und reine Selbstliebe, die ihnen wiederum einen wunderbaren, ständigen „Genuss“ ermöglichte. Diese ihre individuelle Selbstliebe war ihnen zugleich Antrieb und Werkzeug, um ihren Herrn und Schöpfer gleichsam (erkennend, anerkennend, liebend und genießend) in ihr eigenes Wesen hereinzuziehen.

 

17.04.19451570

Private Aufzeichnung

3465 |        Wie tief bin ich eingeführt in die Armut des Gottmenschen, in seinen Zustand der Losschälung von den irdischen Gütern. Die „Existenz“ und der augenblickliche Gebrauch des Notwendigen genügt ihm zum Leben. – Es gibt aber keinen Ausdruck dafür; nur mein eigenes inneres Erfahren ist Zeugnis dafür.

 

18.04.19451571

 Unser Weg und Geistesideal in der „Gesellschaft Mariens“

3466 |        An erster Stelle steht für uns die persönliche Heiligung der eigenen Seele. Die erworbenen, sittlichen Werte und Vollkommenheiten der einzelnen Seele werden dann in der gemeinschaftlichen Heiligung sich zusammenfinden, darin ihren Ausdruck finden und fruchtbar werden.

3467 |        Die einzelne Seele arbeitet in voller geistiger Freiheit unter der Leitung des Heiligen Geistes an ihrem inneren Fortschritt. Das Ziel ist für alle das gleiche, aber die Wege zum Ziel sind für die einzelnen Seelen verschieden, bedingt durch die verschiedenen, persönlichen Hindernisse und Schwierigkeiten und durch die persönlichen Gnaden. Die Einheit und Gemeinschaft ist gegeben durch das gemeinsame Streben nach dem gleichen sittlichen Ziel, das der Mittelpunkt des gemeinschaftlichen Strebens ist.

3468 |        Das Ziel ist in erster Linie die möglichst vollkommene „Selbstheiligung“ mit allen Folgerungen und Konsequenzen, die dies in sich schließt. Es gilt, den „alten Menschen“, Adam und Eva auszuziehen und in Maria und Christus einzugehen und dann auch das äußere Leben und Tun entsprechend zu gestalten. – Dieses Ziel muss fest umschrieben, vor Augen gestellt und konsequent auf die einzelnen Seelen angewendet werden durch die Oberin, die damit zur Leiterin und Wegweiserin hin zum Ziel wird, nicht in Gewissensfragen, sondern im Hinblick auf das Ordensideal, wie dies auch in anderen Ordensgemeinschaften der Fall ist oder sein soll.

3469 |        Die einzelnen Seelen mit ihrer persönlichen Eigenart finden sich durch das Streben nach dem gleichen Ziel und Ideal zum Gemeinschaftsleben zusammen. Es soll aber nicht so sein – wie es nicht selten in klösterlichen Gemeinschaften der Fall zu sein scheint1572 –, dass die einzelnen Seelen sich mehr oder weniger begnügen mit den Forderungen und äußeren Übungen des Gemeinschaftslebens, die an alle herantreten, ohne dass davon die Tiefe und persönliche Eigenart der einzelnen Seele recht erfasst, ergriffen und umgewandelt würde. Es gilt nicht in erster Linie die „Masse“ in einem äußerlich gemeinsamen Geistesweg zusammenzufassen – wobei die einzelnen Seelen innerlich nur wenig oder teilweise erfasst würden –, sondern die einzelne Seele strebt individuell und persönlich in voller, innerer Freiheit unter der Leitung des Heiligen Geistes nach dem hohen, gemeinschaftlichen Ideal und bereitet und befähigt sich dadurch auch für das Gemeinschaftsleben. Die Heiligung der „einzelnen Seelen“ genügt, um die heilige Gemeinschaft zu bilden, und die Masse der in diese Gemeinschaft Lebenden zu heiligen.

3470 |        Die Oberin muss sich daher auf die Leitung der Einzelseele einstellen, muss den einzelnen Seelen die Freiheit gegenüber dem Wirken der Gnade Gottes geben und offenlassen, muss die einzelne Seele in ihrem persönlichen Streben unabhängig machen; aber gerade diese innere geistige Freiheit und Unabhängigkeit unter der Leitung des Heiligen Geistes schließt die Seelen zu einer wahren religiösen und übernatürlichen Gemeinschaft zusammen, durch das gemeinschaftliche Ideal der ernsten, persönlichen Heiligung. Es muss die Individualität der Seele gebührend beachtet und betont werden und das geistliche Streben darf sich nicht mehr oder weniger auf die gemeinschaftlichen Übungen beschränken. Maria, das Vorbild, war eine einzelne Seele und die einzelne Seele (nach ihrem Geiste in vielen)[sic!] genügt und ist der beste Weg, um ein vollkommenes Band der Einheit und Gemeinschaft herzustellen. Mit dem persönlichen Erfassen des gemeinsamen (Lebens)1573 Ideals und mit der Durchführung der Heiligung der Einzelseele wird auch die Vollkommenheit des Gemeinschaftslebens und des Gemeinschaftszieles in all seinen notwendigen Äußerungen erblühen. Gerade die sittliche Vollkommenheit der Einzelnen adelt und vervollkommnet auch das Gemeinschaftsleben.

3471 |        Wenn man aber, wenigstens praktisch, in erster Linie auf die günstige Anlage, Eignung und Neigung für das äußere Gemeinschaftsleben sieht, so ist damit noch keine Gewähr gegeben für die wahre, unbewusste, innere Heiligung der Glieder dieser Gemeinschaft. Es besteht dann vielmehr die Gefahr, das eine gewisse Buchstabendienerei und Augendienerei geübt und gefördert wird. Jede Seele ist aber verpflichtet, in erster Linie und aufrichtig Gott und dem persönlichen geistigen1574 Fortschritt zu dienen.

3472 |        Warum diese Betonung des Weges: Zuvörderst persönliche Heiligung der Einzelseele und dadurch zur heiligen Gemeinschaft — und dem gegenüber die Warnung vor dem umgekehrten (nicht selten, wie es scheint, eingeschlagenen) Weg: Zuerst und vor allem die Gemeinschaft? — Das ist geboten und gefordert durch einen großen Missstand und Mangel des heutigen Zeitgeistes. Die Menschheit ist heute zu einem großen Teil wie zu einer unpersönlichen „Masse“ geworden und die Einzelnen haben vielfach das rechte Bewusstsein ihrer Verpflichtung und Würde als Persönlichkeit verloren. Auch in religiösen Gemeinschaften begnügt man sich vielfach zu sehr mit der Verrichtung äußerer Übungen und Forderungen und betätigt man zu wenig die persönliche Abhängigkeit von Gott, die geistige Freiheit und Selbstständigkeit und Verantwortlichkeit vor Gott, die Eigenpflicht des Strebens nach der persönlichen Zuwendung der göttlichen Gnaden. – Gott und das persönliche Verhältnis der Seele zu Gott muss wieder an die erste Stelle der Aufmerksamkeit gerückt werden. Die persönliche Freiheit des Geistes Gott gegenüber muss auch im Gemeinschaftsleben gewahrt bleiben.

3473 |        Seien wir auf der Hut von den feinen Täuschungen des bösen Feindes! Die Möglichkeit der Täuschung und der Fehler und Vernachlässigungen der Gnaden bleiben bis zu den höchsten Stufen des geistigen1575 Lebens. Die Seele kommt in diesem Leben niemals zu solcher „Vollendung“, dass sie nicht in Gefahr einer gewissen Untreue und zu geringen Willensfähigkeit gegenüber der Gnade Gottes wäre. Maria allein hat das ihr, von Gott gestellte Höchstziel voll und ganz erreicht. – In der heutigen Zeit aber hat der böse Feind seine teuflischen Ziele besonders durch Überbetonung der „Gemeinschaftsziele und des Nutzens der Allgemeinheit“ erreicht; er hat damit im gewissen Sinne den Bestand der gottgewollten Freiheit des Menschen untergraben und die Ausübung dieser unveräußerlichen Freiheit weithin unmöglich gemacht. Auch in klösterlichen Gemeinschaften sucht er durch eine gewisse Überbetonung des Gemeinschaftslebens auf Kosten der persönlichen Heiligung der Seelen vom wahren geistigen Fortschritt abzuhalten. Er zaubert zum Beispiel in schlauer Weise eine Seele die genaue Beobachtung der äußeren Vorschriften des Gemeinschaftslebens als höchstes oder erschöpfendes Ziel vor und verleitet die Seele zu ungeordneter Bequemlichkeit und Gemütlichkeit unter dem Schein und Vorwand der „schwesterlichen Liebe“. Auch eine zu große Abhängigkeit einer Seele von einer anderen Seele und ein zu menschlich intimes Gemeinschaftsleben – selbst wenn es sich unter dem Deckmantel der Liebe oder Gemeinschaft versteckt – schadet dem geistigen1576 Fortschritt und bringt Gefahren für die einzelnen Seelen. Man spricht und handelt zum Beispiel gegen das eigene Gewissen, nur um den „Frieden und die Harmonie“ im gegenseitigen Verkehr zu bewahren, und man schadet damit der eigenen Seele und jener der Mitschwestern. Ferner ist die Augendienerei und die ungeordnete Menschen-Rücksicht in Ordensgemeinschaften vielleicht eine der größten Gefahren für den geistigen1577 Fortschritt und bringt eine Kette von Unvollkommenheiten mit sich. Nur eine ganz von Gott abhängige und in gewissem Sinne von den Menschen unabhängige Seele wird ferner jenen Mut zur Offenheit, Geradheit und übernatürlichen Klugheit bewahren, der im Streben nach der Selbstbeteiligung oder persönlichen Vollkommenheit notwendig ist. – Gewiss hat das Gemeinschaftsleben Vorteile und es soll eine Hilfe für die Selbstbeteiligung sein, aber eine Überbetonung oder ausschließliche Betonung des Gemeinschaftslebens bringt den Seelen großen Schaden. Jede gottgewollte menschliche Gemeinschaft soll der Vervollkommnung der menschlichen Person als dem Abbild Gottes dienen; die menschliche Person aber ist nicht in erster Linie und nicht ausschließlich für den Dienst der Gemeinschaft da.

3474 |        Gott geht in seinem Wirken in den Seelen andere Wege. Er wird mit seiner Gnade in den einzelnen, individuellen Seelen, nicht in einer unterschiedslosen „Masse“ von Seelen, die in einer äußeren Gemeinschaft vereinigt sind. Wenn Christus sagt: „Wo zwei oder drei versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Matthäus 18,20), setzt er ausdrücklich voraus: „In meinem Namen“. Es ist Gottes Eigenart, die einzelne Seele abzusondern von anderen und von den Geschöpfen und in der Verborgenheit in ihr zu wirken, ohne das Wissen der anderen. Durch die recht verstandene innere Freiheit und Absonderung erlangt die Seele die ihr zukommende, religiöse Selbstständigkeit, und lernt, ihre eigenen Kräfte zu gebrauchen und anzuwenden. Ohne eine gewisse innere Absonderung wird die Seele niemals große Fortschritte in Richtung auf ihr persönliches Geistesziel machen. Die Einfügung1578 in die äußere Gemeinschaft kann das Streben nach der persönlichen Heiligung, das Mitwirken mit der persönlichen Gnade und die persönliche Hingabepflicht gegenüber Gott niemals ersetzen oder davon entheben. – Die „Masse“ der Menschen ohne persönliches Streben nach Heiligung rennt in das ewige Verderben oder in ein langes Fegefeuer; zur sittlichen Vollkommenheit und zum Himmel muss sich jede einzelne Seele emporringen.

3475 |        Das individuelle Streben und die Einzelführung gibt der Seele auch jene Freudigkeit, die der freien Selbstanwendung der persönlichen Kräfte entspringt, während das Einzwängen in das mehr oder weniger äußere Modell der Gesamtheit die besten und tiefsten Anlagen der Seele unbenützt lassen und ertöten kann, weil sich die Seele dann allzu leicht mit dem „gemeinsamen Weg“ der Masse begnügt. Jede Seele besitzt aber in sich alle Fähigkeiten, die nötig sind zu ihrem Ziel der höchstmöglichen Vereinigung mit Gott; sie braucht dazu an sich nicht die Anlagen des Nebenmenschen oder die äußeren Mittel des Gemeinschaftslebens. Dieses kann und soll freilich eine Hilfe sein, insofern es Anregung und gutes Beispiel gibt durch die Verwirklichung des gleichen letzten Zieles in vielen einzelnen Seelen.

3476 |        Die gesamte Leitung des Institutes muss daher1579 darauf ausgehen, die persönlichen Kräfte und Werte aus der einzelnen Seele hervorzuholen und anzuwenden, um sich zunächst „allein“ zum höchsten, persönlichen1580 Ideal formen zu lernen. Die Oberin hat die Pflicht, die einzelnen Seelen in ihrem persönlichen Streben zu unterstützen und zu kontrollieren und damit zum Ziel eines heiligen Gemeinschaftslebens hinzuführen. Das Ideal der Gemeinschaft aber ist dieses: eine Vielheit von einzelnen, persönlich nach dem Höchsten strebenden Seelen, durch die Gemeinsamkeit des gleichen Zieles zu einer Einheit zusammengeschlossen. Jede Seele, soweit möglich, eine „Maria“, das heißt, ein Adam, eine Eva, in der Christus mittels seiner Erlösungsgnade zum Leben und zur Herrschaft kommt durch die Wiedereroberung der verlorenen Gnade in möglichster Fülle, ähnlich wie „in Maria“. – Die Gnadenfülle Mariens war die Befähigung, dass Christus in ihr Mensch werden konnte. Auch für uns gibt es kein anderes Ziel und keinen anderen Weg als den: Maria nachfolgend durch höchstmögliche Reinheit und persönliche Bemühung und das Leben Christi in möglichster Fülle zu erwerben. Das ist unser gemeinschaftliches Ziel. – Wir machen also zum Mittelpunkt unseres Strebens das, was auch der wahre Mittelpunkt der Heilsgeschichte ist und der eigentliche Zweck der Menschwerdung und der Erlösungsabsichten Gottes. Wir wenden das – jede einzelne Seele für sich – auf uns persönlich an und kommen durch dieses persönliche Streben zur heiligen, übernatürlichen Gemeinschaft. Es ist Aufgabe der Oberin, mit großer Klugheit über die diesbezüglichen Anschauungen ihrer Untergebenen zu wachen.

3477 |        Mit ihrem Eintritt ins Institut geht also jede einzelne Seele in eine gewisse „Einsamkeit ihres persönlichen Zieles“ und der persönlichen Arbeit an sich selbst ein, die aber dann ihre Frucht bringt im Beitrag zum heiligen Gemeinschaftsleben, in dem viele einzelne und „einsame“ Seelen in einem gemeinsamen Ideal der Heiligung sich zusammenfinden und zusammengefasst sind. Das persönliche, letzte Ziel der einzelnen Seelen bildet zugleich das Gemeinschaftsideal. – Auf dieser Grundlage erhält das Gemeinschaftsleben auch seine volle übernatürliche und zugleich natürliche Schönheit und bringt es allen die reichsten Früchte.

 

21.04.19451581

 Private Aufzeichnung

3478 |        Mit den wachsenden Leiden wächst auch ständig die Liebe zum Leiden in mir; dies ist ein wahres Wunder der Wirksamkeit der göttlichen Gnade. –

3479 |        Welch weite, lange und tiefe Wege durchgehe ich innerlich! Immer neue psychologische Erfahrungen tun sich mir auf; vorher nicht begangene Wege, die sich aber nicht aussprechen lassen. Wegen des besonderen Zieles wird wohl kaum jemand die Eigenart meiner geistigen Wege ganz verfolgen und verstehen können. – Welche geheimen Tiefen und Möglichkeiten trägt doch die Menschenseele in sich! Und zu welcher Feinheit und Feinfühligkeit kann sich auch die physische menschliche Natur kraft des Lebensprinzips der Seele erheben! Sie scheint wie „ein Atem“, der das Leben des Menschen erhält.

3480 |        Und im Gottmenschen Christus liegt ein großes „Wunder“ auch darin, dass seine menschliche Natur dem Zuge der göttlichen Person folgen konnte. Man nimmt diese Tatsache oft als so selbstverständlich und bedenkt nicht, welch hohe Forderungen an die menschliche Natur Christi durch die Eigenart der göttlichen Person gestellt wurden; es waren aber unaussprechliche Konsequenzen für die Seele und den Leib. – Dies durchschaue und erlebe ich in etwa in meinen geistigen Wegen und Erfahrungen. –

3481 |        Die Liebe, und der Plan des Schöpfers wollte, dass die Menschen in keiner Weise etwas entbehren oder Mangel leiden sollen, auch nicht bezüglich ihrer leiblichen Bedürfnisse. Der Mensch sollte – nach Gottes Schöpferplan – das Leben in allen Formen in geordneter Weise genießen können. – Durch die Unordnung des Menschen aber wurde dieses Ideal zerstört.

3482 |        Im jetzigen gefallenen Zustand sind wir Menschen von Geburt an allen möglichen Entbehrungen und Leiden ausgesetzt und haben uns in gewissem Sinne so sehr daran gewöhnt, dass wir sie wie eine Selbstverständlichkeit empfinden. Die ursprüngliche Feinfühligkeit der menschlichen Seele und des Leibes ist dadurch „abgestumpft“, dass wir das Leben nicht anders kennen als verbunden mit Mängel und Daseinsschwierigkeiten. Die Paradiesesseele mit ihrer Feinfühligkeit muss aber unaussprechlich darunter gelitten und es als ein schmerzliches „Zerbrechen“ ihrer früheren Ordnung empfunden haben, als sie dann den Leiden des gefallenen Zustandes ausgesetzt war.

3483 |        In meinen inneren Erfahrungen werde ich tief eingeführt in das Geheimnis: Wie sich in der Seele Jesus durch die hypostatische Vereinigung die Tatsache auswirkte, dass die göttliche Person mit ihrem feinsten Empfinden für Recht und Würde usw. „versetzt“ war in ein hartes Menschenleben. Schon dieser Umstand oder Gegensatz allein musste für den Gottmenschen eine Fülle von Leiden bedeuten, in die sich ein Mensch ohne besondere Gnade nicht hineindenken kann; um diese Leiden des Gottmenschen ganz zu begreifen, müsste man eingeführt werden in seine feine Empfindsamkeit und müsste man zugleich den unermesslichen Abstand erfassen können, der an sich zwischen dem rein geistigen Wesen Gottes und dem Gott-Mensch-sein besteht und den die göttliche Person durchschritten und in sich vereint hat, indem sie alle Entbehrungen des Menschenlebens auf sich nahm. Und diese dem Menschenleben nunmehr anhaftenden Entbehrungen empfand Jesus in allen Einzelheiten viel tiefer als wir Menschen mit unserem verhältnismäßig so „groben“ und grobsinnlichen Empfinden; denn wir Menschen kennen von Geburt an nichts Besseres als dieses entbehrungsreiche Leben, während die Seele Jesu dem göttlichen „Empfinden“ der Person des Wortes angepasst war.

 

22.04.19451582

Private Aufzeichnungen

3484 |        So sehr bin ich innerlich aus dem gewöhnlichen Leben hinausgedrängt, das es für mich Leiden sind, wie die eines Todgeweihten, der aber in vollem Bewusstsein dahinstirbt. – Und doch ist der Tod meine Rettung, weil es für mich keine Lebensmöglichkeit – nach normalen Begriffen – mehr gibt.

3485 |        Es ist unbegreiflich, dass man solches, und das [man] so vieles ertragen kann. Und doch kann ich sagen: Inmitten dieser unaussprechlichen Leiden „leide ich nicht mehr“. Es vereinigt sich in einem zwei Begriffe oder Tatsachen: Es ist so schwer – und so leicht!

ENDE private Aufzeichnungen!

 

Über Empfindung, Gefühls- und Sinnenleben1583

3486 |        Zur Einführung in das kommende Erleben der Eigenart des Empfindungs- und Sinnenlebens im Gottmenschen erlebte ich von Neuem folgende Erkenntnisse über Empfindungs-, Gefühls- und Sinnenleben im Allgemeinen.

3487 |        Der reine Geist hat kein „Gefühl“, er hat nur „geistige Empfindungen“; er hat auch keine „Affekte“ im menschlichen Sinne, denn zum „Affekt“ gehört die Übertragung der geistigen Empfindungstätigkeit auf die physische Natur, von der sie gleichsam „umkleidet“ und damit in menschlicher Weise geäußert oder „vermenschlicht“ wird. – Das menschliche Gefühlsleben hat – wie früher schon angeführt – seinen ersten und tiefsten Ursprung im geistigen Empfindungsvermögen der Seele, das als (schwaches) Abbild des göttlich-dreieinigen Selbsterlebens geschaffen wurde. „Empfinden“ bedeutet: Seine eigenen Vorzüge bewusst erleben und sie sich selbst zuführen, und in ähnlicher Weise die Vorzüge anderer sich nahebringen, um sie zu überprüfen, Vergleiche anzustellen usw. – Gott „empfindet“ auf rein geistige Art, ebenso die Engel; aber Gott und die Engel „fühlen“ nicht auf menschliche Weise, weil sie keine Gefühlswerkzeuge haben, wie wir Menschen sie mit unserer physischen Natur betätigen.

3488 |        Es gehört zum Wesen und zur Natur des Geistes, dass er sein eigenes Wesen „empfindet“, durchlebt, erfasst und erfährt. Durch das Werkzeug unseres Leibes wird diese geistige Empfindungstätigkeit unserer Seele zum „Gefühlsleben“, ähnlich wie die sehende und hörende Seele mittels der Sinneswerkzeuge der Augen und Ohren zum sehenden und hörenden Menschen wird. Die substanzielle Geistesanlage überträgt ihre Tätigkeit auf das physische Element, und dieses feine Werkzeug gibt dann jene Geistigkeit „affektiv“ als menschliche Gefühlstätigkeit und Gefühlsausdruck wieder. Zu diesem letzten Akt des menschlichen Gefühlsausdruckes wirken aber noch verschiedene andere Anlagen der menschlichen Seele, beziehungsweise verschiedene andere begleitende Lebenstätigkeiten mit, und dadurch kann das endliche Ergebnis, und der Wert des in seinem ersten Ursprung geistigen Empfindens vermindert oder erhöht, vergrößert oder verkleinert werden. Dadurch ist auch die Gefühlstätigkeit des Menschen beständigen Schwankungen unterworfen. Der Mensch kann sich auch in seiner Gefühlstätigkeit auf „falschem Boden“ bewegen, insofern durch den menschlichen Willen noch viele andere Geist- und Lebensbetätigungen in die ständig arbeitende Gefühlstätigkeit einbezogen werden. Das zutiefst bestimmende und entscheidende Element ist aber auch im Gefühlsleben die Eigenart der Person selbst. Das Empfindungsleben als substanzielle Anlage der Seele ist ja eine Haupttätigkeit und Hilfe, die den konkreten Bestand einer normalen Person stützt und zum Menschenleben notwendig sind, die aber auch unter dem Einfluss und der Herrschaft der Personkraft stehen.

3489 |        Die Empfindungstätigkeit als geschaffene, substanzielle Geisttätigkeit unserer Seele ist für uns in sich selbst ebenso unerforschbar und unergründbar, wie die eigentlichen „Lebenstätigkeiten“ in sich selbst — wie auch die Gefühlstätigkeit und die Lebenstätigkeit miteinander verbunden sind und ständig als „Belebung“ unseres Lebens wirksam sind. Es gibt auch „Empfindungen“ (im weiteren Sinne), die uns nie zum Bewusstsein kommen und die nur der eigentlichen „Lebenstätigkeit“ dienen, die aber doch „Empfindungen“ sind und in einem geheimnisvollen Ineinandergreifen, Sich-ergänzen und Abhängig-sein mit den eigentlichen Lebenskräften stehen. So ist zum Beispiel das Kind im Mutterschoß unbewusst von der Lebenszufuhr der Mutter abhängig, und die individuelle Art dieser Lebenszufuhr löst im werdenden Kinde bestimmte entsprechende Reaktionen aus, die unbewusst von ihm empfunden werden und entsprechende „Veränderungen“ in der Lebensart des werdenden Kindes herbeiführen, die sich im Kinde gleichsam ansammeln und aufstapeln und eine bestimmte Eigenart der späteren Tätigkeit dieses Individuums vorbereiten. – Wenn aber ein gewisses Empfindungsleben schon vom ersten Augenblick des Lebens an in Tätigkeit gesetzt wird, insofern es nämlich notwendig mit den Lebensakten sich verbindet, diesen dient und sie fördert, so kommt es doch zu einem vollen, eigentlichen „Gefühlsleben“ erst mit der Selbstständigkeit der Person.

3490 |        Die Empfindung in ihrer tiefsten Wurzel als substanzielle Anlage der geistigen Seele, d. h., die rein geistige Empfindung, ist durchaus wahr und kann nicht täuschen; aber das in menschlicher Weise zum Ausdruck gebrachte geistig-leibliche Gefühl kann sich vermischen und ist tatsächlich vermischt mit vielen Zufälligkeiten und Begleitumständen, die bei der Bildung des menschlichen Empfindungslebens mitsprechen, auch wenn dieses in seiner individuellen Eigenart immer mit der Eigenart der Person verbunden und davon abhängig bleibt.

3491 |        Das menschliche (geistig-leibliche) Empfindungsleben kommt zum Ausdruck mithilfe der Sinne, welche die gesamte physische Natur des Menschen beherrschen. Das „Sinnenleben“ ist das hauptsächlichste Ausdrucksmittel des geistigen Empfindungslebens bzw. der menschlichen Empfindungstätigkeit – wie andererseits ohne Empfindungstätigkeit auch kein Sinnenleben möglich ist. – Das Sinnenleben im Allgemeinen betätigt sich nicht bloß durch Augen und Ohren (oder durch die fünf Hauptsinne), sondern auch durch viele andere, ähnliche Fähigkeiten und Ausdrucksmittel, die im menschlichen Leibe ähnlich wie vervielfachte, gleichsam verhundertfachte „Augen, Ohren usw.“ wirken und tätig sind. Das gesamte Menschenleben betätigt sich ja in Empfindungen, die ständig ineinandergreifen und gleichsam immer neu das Leben „anfachen“. Mittels des bewusstwerdenden Aktes kommt uns diese geistig-leibliche Tätigkeit zum Bewusstsein als „warmes“, für uns selbst erfassbares Lebensdasein. Die Tätigkeit der Sinne führt diesen beständigen Lebensakt dem Bewusstseinsvermögen zu, aber im Grunde sind es die beständigen Tätigkeiten und Akte des Sinnenlebens selbst, die uns das eigene Leben als warmes, pulsierendes „Leben“ erfassen lassen. Das Sinnenleben ist ein notwendiger Bestandteil unseres Lebens selbst; denn sobald ein Teil der Sinne nicht mehr mittätig mitwirkt „zum Leben“, bleibt jenes Gebiet außerhalb unseres Bewusstseins, scheidet aus dem allgemeinen „Lebensprozess“ aus und ist gleichsam „tot“.

3492 |        Auch das Sinnenleben ist also im tiefsten Ursprung eine Geistestätigkeit, aber wirksam als Betätigung des Leibes und als Lebenskraft des Sich-selbst-erfassen und Sich-selbst-anregens. Wie aber das Sinnenleben anregend auf die leiblichen Kräfte wirkt, so wirkt es andererseits auch anregend auf den Geist. Auch in dieser Hinsicht ergänzen sich Leib und Seele wunderbar in der unverfälschten Harmonie menschlicher Lebenstätigkeit.

3493 |        Wunderbar hat Gott den Menschen – nach seinem Vorbild – geschaffen. Was aber das Empfindungsleben des Menschen „unwahr“, veränderlich und minderwertig macht oder machen kann, das sind die sittlichen Schwächen und der gefallene Zustand des Menschen. Und weil alle Menschen mit solchen Schwächen behaftet in dieses Leben und in diese Welt eintreten, bringen die Seelentätigkeiten zugleich mit ihren substanziellen Betätigungen auch diese Schwächen und Mängel zum Ausdruck. So besteht im menschlichen Empfindungsleben eine beständige Vermischung von Wahrem und Falschem, von Gutem und Bösem; denn alle sittlichen Anlagen drücken der Gesamttätigkeit des Menschen ihre individuelle Eigenart auf; es ist die Eigenart des gefallenen Zustandes und der individuellen Schwächen und deren Begleitumstände, wodurch das Gesamtleben des Menschen beeinflusst wird. – Zu den persönlichen Anlagen kommen nämlich gewisse Zufälligkeiten oder Begleitumstände, die sich mit jenen fehlerhaften Anlagen verbinden, von ihnen gleichsam angezogen werden, mit ihnen verwandt sind, sie ergänzen und so dem Menschen besonders gefährlich werden (wie [es] sich zum Beispiel in „Versuchungen“ zeigt), während andere Menschen (ohne diese fehlerhaften Anlagen) von den gleichen Umständen und Zufälligkeiten nicht berührt werden oder sie von vornherein „abstoßen“ (auch die guten, individuellen Anlagen haben ihre Zufälligkeiten und verwandten Umständen, die ihnen „nahestehen“ und sie anziehen). Diese Zufälligkeiten und Begleitumstände kommen gleichsam1584 zu den tieferen individuellen Anlagen hinzu und verbinden sich mit ihnen.

3494 |        Die Seele betätigt sich auch als das „Leben des Leibes“ und alle Anlagen der Seele übertragen sich durch das „Leben“ irgendwie auch auf den Leib; so lebt der Leib entsprechend der Art seines „Lebens“. Von besonderer Bedeutung sind aber dabei die sittlichen Anlagen und Schwächen, welche die Seele an sich trägt und an denen der Leib infolge seiner Lebensverbindung mit der Seele mitbeteiligt und mitwirkend wird. Die Schwächen und Unvollkommenheiten der Seele äußern sich mittels des Leibes, und der Leib „tut“ somit das Böse, das in der Seele erblich vorhanden ist (durch die Erbsünde). Der Leib trägt in gewissem Sinne das gesamte sittliche Elend der Seele auch mit sich herum, weil die Seele ihn nach ihrer Art belebt. In diesem Sinne wird der Leib mitschuldig an den Schwächen der Seele, obwohl an sich die Seele allein die Schuldige ist, denn alle durch die leiblichen Kräfte sich vollziehenden Äußerungen der sittlichen Schwächen sind im tiefsten Grunde „Geistestätigkeiten“ – Begierden oder Unordnungen des Geistes. Die Unordnung des Geistes vervielfältigen sich aber gleichsam hundertfach in Empfindungsleben, trüben es und leiten es in falsche oder verkehrte Richtungen. So wird die geistige Unordnung im geistig-leiblichen Empfindungsleben noch verstärkt und vertieft, und dieses irregeleitete Empfindungsleben wirkt wiederum zurück auf die Person und beeinflusst deren Urteile und Entscheidungen. Auf diese Weise wird unser Gesamtleben verunstaltet durch die „Leidenschaften“, von denen die Seele bewegt und getrieben, und auch der Leib in engste Mitleidenschaft gezogen wird. Die Anlagen der Seele breiten sich dabei gleichsam im Leibe aus und sichern sich dort Herberge und Nahrung. Sittliche Schwächen der Seele, wie zum Beispiel Trägheit im religiösen Leben, Sinnen- und Gaumenlust, Liebe zur Bequemlichkeit, ebenso wie Zorn und Ungeduld usw., kommen mittels des Leibes zur Auswirkung und zum Ausdruck. Zur Heilung und Überwindung der Leidenschaften ist darum nicht bloß die innere, geistige Selbstüberwindung, sondern auch eine gewisse äußere Selbstbeherrschung und Abtötung notwendig.

3495 |        Alle Mängel im Empfindungsleben wirken aber auch wieder auf die Person selbst ein, und dadurch kann diese unter eine gewisse Herrschaft der ihrem Bestande dienenden niederen Kräfte geraten; die höheren, substanziellen Kräfte der Seele können in einem gewissen Sinne der Herrschsucht der niederen Anlagen erliegen und die ihnen zustehende Oberherrschaft verlieren. Damit verliert dann die Person die Richtigkeit und Sicherheit des Urteils über die verschiedenen Ereignisse und äußeren Vorkommnisse, weil die dem Sinnen- und Empfindungsleben entströmenden Affekte leicht das Urteil gegenüber dem Sachverhalt trüben und verfälschen. So kann der Mensch durch das ständige Mitsprechen der in ihm vorherrschenden „Leidenschaften“ in seinem Empfindungs- und damit1585 in seinem Gesamtleben auf ganz falsche Bahnen geraten. – Ein rechtes, geordnetes Gefühlsleben verlangt aber, dass die geistige Empfindung als das erste Werkzeug für die Aufnahme des Sachverhaltes rein bewahrt bleibe von Fälschungen durch die Leidenschaften und das Sinnenleben. Die im Dienste der Seele und der Person stehenden geistig-leiblichen, menschlichen Akte haben ja immer einen „langen und verwickelten Weg“ zu durchlaufen – auch wenn dieser zeitlich sich in einem Augenblick vollzieht – und auf diesem Wege liegen sozusagen viele „Steine“, die alle den Akt beeinflussen – so, dass das Endergebnis ganz anders ausfallen kann, als es ursprünglich (bei der ersten geistigen Empfindung) schien. Aber nicht bloß zum Schlimmeren und Minderwertigen, sondern auch zum Guten kann der ursprüngliche Akt, verändert, beeinflusst und verbessert werden, wenn er nämlich auf seinem Weg den Einfluss guter Anlage antrifft. Es kann aber auch der Einfluss eines minderwertigen Empfindungslebens so übermächtig werden und die Seele so sehr trüben, dass auch schon der erste Akt der geistigen Empfindung nicht mehr richtig vollzogen werden kann, sondern schon im ersten Entstehen verfälscht wird.

 

26.04.19451586

3496 |        Ich erlebte heute wiederum tiefer, wie im Gottmenschen zwei „Seinsheiten“ (Arten des Seins) in einer ganz harmonischen Weise vereint waren und sich ausdrückten: das Gott-sein und das Mensch-sein. In welch wunderbarer Weise und Einfachheit verbindet sich damit das Höchste mit dem Niedrigen, das Göttliche nicht im Geschöpflichen! Man kann diese Tatsache beim Innewerden seines gottmenschlichen Geheimnisses nur bewundern, aber niemals aussprechen.

3497 |        Ich wurde auch eingeführt in die Grundlage der Einfachheit dieser gott-menschlichen Verbindung, in das Geheimnis, wie es möglich war, dass sich die beiden so verschiedenen Naturen in Christus zu solcher Einfachheit verbanden; wie es möglich war, Gott und Mensch zugleich zu sein. – Zur Erklärung dieses Geheimnisses wurde ich hingewiesen auf meinen persönlichen, inneren Geistesweg, in dem sich auch göttlich Hohes mit den menschlichen Kräften in mir verbinden muss, und zwar in solcher Einfachheit wie jemand, der sich anscheinend im gewöhnlichen Leben bewegt und dabei dennoch in hoher und ständiger steigender Vereinigung mit Gott sich ergeht.

3498 |        Es ist schon eine sehr große Höhe und Forderung im geistlichen Leben bzw. im mystischen Gnadenleben, wenn die inneren Gnaden und Erlebnisse nicht mehr als etwas vom gewöhnlichen Leben Abgeschnittenes, Getrenntes, mit jenem im gewissen Sinne Unvereinbares empfunden werden, sondern im Gegenteil, wie zu einer selbstverständlichen, gleichsam „natürlichen“ Sache werden. Nur nach langen Schwankungen wird die Seele zu diesem ruhigen Gleichgewicht und Ebenmaß gegenüber den Gnaden Gottes kommen. Lange Jahre hindurch muss sie sich erst immer wieder zur mystisch erlebten Vereinigung erheben oder vielmehr erheben lassen durch ein gnadenvolles Hinbewegt-Werden zum Erleben der Vereinigung mit Gott. Dabei sind dann auch ständige Akte in der Seele notwendig, um die empfangene Gnade der Vereinigung zu bewahren; dadurch bleibt die Seele in einer gewissen inneren Spannung in sich selbst – was seine psychologischen Gründe hat.

3499 |        Im höheren Vereinigungsleben verlieren sich diese Akte mehr und mehr. Es hat dann den Anschein, als ob die Seele von einem gewissen „Indifferentismus“ geleitet werde, aber in Wahrheit wirkten sich dabei der Fortschritt und das Geheimnis einer schon errungenen psychologischen Anpassung an die Gnade Gottes aus, das Geheimnis einer erworbenen höheren Einfachheit und einer entsprechenden, vervollkommneten und vereinfachten Umsatzkraft der Seele. Diese hat schon mehr gelernt, das Höchste mit dem Gewöhnlichen in Ruhe und Einfachheit zu verbinden, oder mit anderen Worten, „Sie kann nun schon und bringt schon fertig, was ihr früher fast unmöglich schien“. Dadurch, dass die höheren Kräfte der Seele entsprechend ungebildet und für die Vereinigung mit Gott bereitet und angepasst sind, „verkürzt sich“ sozusagen der psychologische Weg zu Gott und vermindert sich oder verschwindet die Kluft, die das gewöhnliche, äußere Leben von dem Leben der Vereinigung trennt.

3500 |        „Vereinigung mit Gott, bzw. mit Christus“ bedeutet im Grunde eine gewisse Angleichung an oder Umbildung in ihn, das heißt, nach seinem Bilde. Diese Bildung kann sich aber nur vollziehen unter der Voraussetzung und auf der Grundlage der „Entbildung“ von der Unordnung des gefallenen Zustandes der Natur und der Angleichung an das Bild der göttlichen Heiligkeit. – Sobald aber durch die Reinigung der höheren Seelenfähigkeiten1587 die Haupthindernisse der Vereinigung überwunden sind, führt gleichsam ein mehr und mehr „ebener Weg“ zur erlebten Vereinigung, weil keine klaffende Kluft und kein besonderes Hindernis mehr zu übersteigen ist. Und je mehr Christus in der Seele Gestalt gewinnt, desto einfacher und wie selbstverständlich vollzieht sich auch die erlebte Vereinigung mit ihm.

3501 |        Möchte man doch das geistliche Leben, bzw. die Vereinigung mit Gott nicht so sehr als etwas Kompliziertes oder als eine übertriebene, außergewöhnliche Forderung hinstellen! In Wahrheit handelt es sich bei jedem Aufstieg vom niederen, gewöhnlichen Glaubensleben bis zur höchsten, erfahrenen Gottesvereinigung immer um eine Hinbildung unseres Wesens nach dem Urbild der Heiligkeit Gottes und damit um eine Verminderung des sittlichen Abstandes von Gott, in den der Mensch durch Sünde gestürzt ist. Die Verminderung dieses sittlichen Abstandes bringt dem Menschen das „Nahen Gottes“.

3502 |        Auch wenn ein Mensch dieses „Nahen Gottes“ nicht in sich erfährt oder erlebt, so wird er doch – und zwar entsprechend dem Grade dieser Nähe Gottes – in seinen Werken und Handlungen und in seinem ganzen Wesen und Sein von Christus und vom Geist Gottes belebt und durchlebt. Das Leben Gottes in einer Seele kann aber niemals untätig und unfruchtbar bleiben, auch wenn es nicht „fühlbar“ erfahren wird; denn Gottes Wesen ist immer tätiges, lebendiges Sein, und eine von ihm belebte Seele ist ein Wesen, in dem Gott „lebensfähig“ geworden ist (die Möglichkeit hat zu „leben“). Nur die Art seines Lebens ist in den einzelnen Seelen verschieden; denn in den einen wird es auch fühlbar erlebt und erfahren, in den anderen zeigt er sich nur in den Werken und Betätigungen, vor allem in den theologischen Tugenden und in der immer tieferen und beständigeren bewussten Abhängigkeit des menschlichen Wesens von Gott infolge der größeren Wirksamkeit des Heiligen Geistes in und mit den Werken des betreffenden Menschen. Das Leben Gottes in einer Seele kann aber niemals untätig bleiben und sein Wachstum und Fortschritt hängt nicht davon ab, ob dieses Leben fühlbar erlebt und erfahren wird oder nicht. Wenn die vorgeschrittene Seele das Gute schon mit einer gewissen Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, in einem schon „seinshaft“ (d. h. aus einer schon objektiven Vereinigung mit Gott heraus) geübten und erworbenen Tugendleben, ausführen kann, dann wird sie — gerade durch diese hohe Einfachheit ihres Geistes und durch diese Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit im Guten – immer noch der seinshaften Güte und wesenhaften Heiligkeit Gottes angeglichen.

3503 |        Möchten wir doch das Vollkommenheitsstreben mehr in seiner wahren Fruchtbarkeit und Gottesnähe betrachten, d. h., als das, was es im tiefsten Grunde und in Wahrheit ist: ein ständiges Zusammenwirken des uns mitgeteilten göttlichen Lebens und unserer persönlichen Bemühungen! Lassen wir Christus die Freude und Genugtuung, in unserer Seele ungehindert zu wirken! Übergeben und überlassen wir uns ganz seiner Verherrlichung, die er vor allem durch die Umbildung der einzelnen Seele in ihn, d. h., nach seinem Urbild sich verschafft! – Auch wenn sich diese innere Umbildung in Christus durch die Fülle seines Lebens in einem Menschen ganz verborgen – und auch der betreffenden Seele selbst unbewusst – vollzieht und abspielt: Welcher Jubel wird es für die Seele einmal sein, wenn sie nach dem Tode sich in solcher Nähe Gottes erfasst und erlebt! Und welche Ehre für Christus vor dem ewigen Vater ist eine solche Seele, in der er – infolge seines Erlöserlebens – in solchem Maße Gestalt gewonnen hat! Und welche Ehre für den Heiligen Geist, weil in einer solchen Seele das Werk seiner göttlichen Heiligkeit so wirksam und herrlich zur Darstellung und zum Ausdruck kommt!

3504 |        Das Wesen und Geheimnis der oft so kompliziert dargestellten „Vereinigung mit Gott“ liegt also darin: Die Seele gelangt in dem Maße zur Vereinigung mit Gott, als sie sich entbildet von ihrem gefallenen sittlichen Zustand und sich umbildet nach Gottes Heiligkeit und dadurch Anteil bekommt an Gottes heiligem Sein und Leben. Ob die Seele erfahrungsgemäß sich dessen bewusst wird oder nicht, die Wirkungen sind in beiden Fällen, im Wesentlichen, die gleichen; ja, es kann sein, dass eine Seele ohne bewusstes Gotterfahren in ihren Verhältnissen tatkräftiger wirkt und die geforderten Tugenden und die Werke des Heiligen Geistes in heroischem Maße lebt als eine mystisch begnadete Seele. Auch wenn eine Seele sich dabei nicht erfahrungsmäßig mit Gott vereint fühlt, so ist sie deswegen doch nicht weniger wirklich und wahrhaftig mit ihm vereinigt. Das Wichtigste ist immer, und die Hauptrolle für die Vereinigung mit Gott spielt immer die wesentliche Tugendhaftigkeit der Seele. Dabei ist Gott selbst immer der hauptsächliche und der eigentliche wirksame Faktor, während die Seele immer nur mitwirkendes Werkzeug ist, das sich von ihm gebrauchen lässt. Und Gott ist in der Seele tätig, wenn und nach dem Maße, als er erreicht hat, dass die Seele für ihn „brauchbar“ ist.

3505 |        Könnte man in einem zusammenfassenden Überblick den ganzen, langen Geistesweg und Aufstieg überschauen: vom sündhaften Zustand – zu dessen vollkommener Überwindung oder der Entsündigung – zum seinshaften Zustand der Ausübung aller Tugenden – zur harmonischen Verbindung aller, auch der scheinbar entgegengesetzten Tugenden und alles Guten in der Seele und damit zur größtmöglichen Teilnahme der Seele an Gottes Heiligkeit – und dazu dann ein diesem Zustand angemessenes Gotterfahren – und alles dies einfach und harmonisch in die täglichen Forderungen des gewöhnlichen Menschenlebens hineingestellt und darin geübt – wie würden wir darüber staunen, dass sich in so einfacher Weise die höchste Vereinigung mit Gott und das höchste Erleben Gottes einen wie zur „Natur gewordenen“ Zustand und einen entsprechenden sittlichen Ausdruck schafft! – Woher kommt diese Einheit und Einfachheit in der Verbindung von Höchstem und Kleinstem und „Alltäglichem“, worin sich jedes Menschenleben bewegt? Dies kommt von der vollkommenen Überwindung der Spannungen zwischen Wollen und Nicht-können, zwischen Sollen und Verpflichtet-sein, aber nicht fähig sein. Der vollkommene Ausgleich aller Spannungen, die sich bewegen in dem geistigen Raum und Abstand von Nicht-können zum Wollen und zum vollkommenen Können lässt die Seele in den Zustand jener Einfachheit einmünden, in dem sie das höchste und die größtmöglichste Vereinigung mit Gott in vollkommener Harmonie und Einfachheit, in vollkommenen heiligen Werken des gewöhnlichen Lebens anwendet und ausübt.

3506 |        Mit dem wachsenden sittlichen Vollkommenheitszustand wächst auch die Spannkraft der Seele. Mit der fortschreitenden Überwindung des Ungeordneten fallen die Hemmungen des sittlichen Strebens wie von selbst weg und die Seele wird gleichsam „elastisch“, leicht beweglich und angepasst gegenüber allen vorkommenden Forderungen; sie wird, bildlich gesagt, „rund“, d. h., ohne Ende ihrer sittlichen Spannkraft, weil der ganze Mensch mit all seinen Kräften auf eine einzige Linie (der sittlichen Vollkommenheit oder des Nachbildes der göttlichen Vollkommenheit) hingerichtet und eingeschaltet ist, und darum alles, wie „an einem Band“ läuft. – Mit anderen Worten: Die Seele wird „seinshaft“ (in ihrem objektiven Sein selbst schon) für das gute befähigt. – Warum und wodurch? Weil sie durch und von der Anteilnahme an der immer tätigen seinshaften Heiligkeit Gottes lebt. Auf diese Weise kommt es zu einer wunderbaren „Ergänzung“ zwischen Gott und Seele in den menschlichen Werken. Selbstverständlich kann die Seele niemals Gott werden oder das seinshafte Wesen Gottes annehmen, aber infolge der erreichten, menschlich-seinshaft (das heißt, Kraft der objektiven Vereinigung mit Gott) ausgeübten Tugend kann die Wirksamkeit des göttlichen Lebens in einer solchen Seele sich jeden Augenblick ungehindert betätigen und „fließen“.

3507 |        Eine solche allerhöchste Einfachheit (wie „an einem laufenden Band“) wurde mir erklärt als Grundhaltung in der Seele Jesu. Infolge der höchsten sittlichen Vollkommenheitsanlage war in der Seele ein naturgegebener Zustand der Einfachheit vorhanden, der es ermöglichte, dass Jesus jederzeit die Werke der Heiligkeit Gottes tun, d. h. die vollkommenen Taten seines göttlichen Wesens mit unverminderter Heiligkeit auf die menschlichen Verhältnisse übertragen und mit diesen verbinden konnte.

3508 |        Die führende Gnade erklärte mir das Erleben dieses Geheimnisses in Christus noch besonders durch den Hinweis auf persönliche Erfahrungen meines Innenlebens mit entsprechender Anwendung auf jenes große Geheimnis des Gottmenschen. –

3509 |        Herr, entweder in dich umgewandelt werden — oder sterben! –

3510 |        Gott will den Glauben an das hohe Ziel der Menschwerdung und Erlösung Christi und an die hohen Absichten seiner Liebe zu den Menschen; Gott teilt seine Gnade mit nach dem Maße unseres Glaubens (wie das der Heiland des Öfteren im Evangelium betont hat, zum Beispiel Matthäus 8,13: „Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast!“). — Wenn eifrig im Glauben nach der vollen Ausnutzung der Erlösergnaden gestrebt wird, so werden auch die Gnaden des mystischen Gotterfahrens in reichem Maße fließen.

 

Mai

04.05.19451588

3511 |        Um solche inneren Erlebnisse (wie jene über die Seelen im Fegefeuer) einigermaßen in Worten andeuten oder sie verstehen zu können, dürfte es wohl notwendig sein, das Verhältnis der Seele zu Gott in den mystischen Läuterungen und im mystischen Leben überhaupt erfahren oder erfasst zu haben.

3512 |        Wie im mystischen Gnadenleben den schmerzlichen Läuterungen gewisse Zeiten des Trostes vorgehen, und zuweilen auch in sie eingeschaltet sind, so können auch die in der Gnade sterbenden Menschen sich zunächst in einem gewissen Trost – im Erfahren ihres Gerettet-Seins – befinden und es dann allmählich und dann immer tiefer in die ihnen noch notwendige, schmerzliche Läuterung eingehen und versinken.

3513 |        Jede Seele, die im Stand der Gnade hinübergeht, ist ja vor Gott etwas Großes und gleichsam ein heiliges, wenn auch noch nicht gereinigtes Kleinod, weil sie die Teilnahme an seine Natur und an seinem Leben in sich trägt und weil sie durch den Glauben Gott eine gewisse Anerkennung, Hochschätzung, Unterwerfung, und damit Ehrung entgegengebracht hat, auch wenn sie dabei in viele Fehler und Leidenschaften verstrickt blieb. – Gott, der die Liebe ist, sieht auf dieses Sein Abbild in der Seele, lässt alles Gute gelten, sieht sozusagen über das Böse eine Zeit lang hinweg und lässt die Seele schon seine unverdiente Liebe fühlen, auch wenn das in der Seele bewahrte Abbild und heilige Kleinod dann noch in vielen und langen und schmerzlichen Läuterungen von den Schlacken der Verunstaltungen befreit und gereinigt werden muss, damit Gott der Seele seine Liebe voll schenken kann. – Auch in guten und selbst in mancher Hinsicht vollkommenen Seelen können ja noch uneingestandene oder nicht bekämpfte und nicht überwundene Leidenschaften bestehen; die Unordnungen im gefallenen Menschen sind weitverzweigter und tief gehender, als [es] vielleicht den meisten Menschen sich bewusst werden [sic!].

3514 |        So erlebte ich auch in diesen Tagen: P. Merk sinkt jetzt tiefer in seine schmerzliche Läuterung hinein. – (Früher schon hatte ich das Wissen: Sein großes Leiden ist jetzt, dass er nichts mehr für das Werk Gottes tun kann.)

 

07.05.19451589

Über die Empfindungstätigkeit als wesentliche Lebensbedingung.

3515 |        Zur Natur des „Lebens“ gehört notwendig eine gewisse „Empfindungstätigkeit“; denn es ist jedem lebenden Wesen eigen, in seinen Lebensbetätigungen zugleich auch das „Wie“ oder die Umstände und die Art und Weise seines Lebens irgendwie zu erfassen. Schon die Pflanze hat eine Art von „Empfindungstätigkeit“, insofern sie nämlich aus der Feuchtigkeit und aus dem Boden nur jene Stoffe auswählt und an sich zieht, die zu ihrem Gedeihen notwendig und nützlich sind. Und die „Empfindung“ ist in den verschiedenen Pflanzen insofern verschieden, als nicht alle Pflanzen die gleichen Stoffe für ihr Fortkommen bedürfen oder bevorzugen. Es handelt sich aber bei den Pflanzen nur um eine unbewusste, stofflich-vitale Empfindungstätigkeit.

3516 |        Eine höhere Art der Empfindung haben die Tiere; in ihnen wirkt sich schon eine Art „geistähnliche Empfindungstätigkeit“ aus. Im Tierleben, das höher ist als jenes der Pflanzen, wirkt schon eine gewisse geistähnliche Antriebskraft; diese schließt auch eine entsprechende, „instinktive“ (dem bewussten geistigen Empfinden ähnliche) Empfindungstätigkeit in sich, wodurch der gesamte „Lebensprozess“ reguliert oder geformt wird. Die verschiedenen Gattungen der Tiere besitzen nämlich in mehr oder weniger hohem Grade etwas, was man „Instinkt“ nennt und was in seinen Auswirkungen dem bewussten, geistigen Empfindungsleben ähnlich, aber in sich dennoch wesentlich davon verschieden ist und worin auch eine entsprechende instinktive Empfindungstätigkeit eingefasst ist. Das Tier kann schon in gewissem Sinne, aufgrund seiner Empfindungsfähigkeit1590, den eigenen Lebensprozess sich gleichsam „vorführen“ und „um sich schauen“, hinsichtlich dieses Lebensprozesses.

3517 |        Empfinden ist jene Lebenstätigkeit, die den erkennenden Kräften (im Menschen dem Verstande) die eigene, erfahrene Lebensart vorführt oder zur Erkenntnis1591 bringt. Empfinden ist also eine Grundlage des „Lebens“; denn um das „Wie“ des lebendigen Seins erfahren zu können, braucht es Kräfte, die dieses „Wie“ im eigenen sein hervorheben; und weil alles lebendige Sein von innen bestimmt und zugleich von äußeren Einflüssen mitbestimmt wird, so ist die Empfindungsfähigkeit eine Doppelte: Jene für das eigene Sein, und jene, welche die äußeren Einflüsse, Umstände und Abhängigkeiten erfasst.

3518 |        Kennen und Empfinden sind verwandt, denn beides ist vorausgesetzt, um im Lebensprozess „unterscheiden“ zu können; das Empfinden aber geht dem Erkennen voraus, denn man kann bezüglich des eigenen Lebensprozesses nicht erkennen, was man nicht empfunden hat.

3519 |        Schon das Tier besitzt eine beträchtliche Anzahl von „Unterscheidungsfähigkeiten“, welche aber alle die mit dem Leben und Dasein verbundene Empfindungstätigkeit zur Grundlage haben. Diese „Unterscheidung“ geschieht aber beim Tier durch den Blinden, d. h. nicht seiner selbst bewussten Instinkt, und es fehlt der führende Verstand der bewussten Person. – Bei Menschen wirkt das geistige Intelligenzleben entscheidend auf das Empfindungsleben ein, jedoch ist diese Einwirkung ihrerseits schon eine Reaktion oder Rückwirkung der Intelligenz auf1592 die ständig sich betätigende Empfindungsanlage. So ist das Empfindungsleben eingefasst in das Intelligenzleben und ist mitbestimmend bei der Unterscheidungstätigkeit der Person. Die unterscheidende und entscheidende Tätigkeit des menschlichen Verstandes setzt immer voraus die Selbstempfindung oder die Empfindung1593 der eigenen individuellen Lebensart, die dem Intelligenzleben jeden Augenblick zugeführt wird und von der – das heißt, von dem empfundenen individuellen, normalen Lebensumsatz – auch das Intelligenzleben abhängig ist. Jedes „Leben“ ist ferner abhängig von gewissen Bedingungen und Bedürfnissen und auch diese Bedingungen werden dem „Leben“ und dem menschlichen Erkennen mittels der „Empfindungen“ (zum Beispiel durch die Empfindung des Hungers, Durstes usw.) zugeführt.

3520 |        So gibt es im menschlichen Leben eine Vielheit von Empfindungen, die man in zwei Gruppen teilen kann: „Erstrebende“ bezüglich dessen, was dem eigenen Leben förderlich ist; und „abweisende“, im Sinne einer Selbsthilfe, gegenüber dem, was für das eigene Leben schädlich oder störend wäre. Beide Arten von Empfindungen gehören notwendig zum „Leben“ und sind wesentliche Mitbetätigungen und Funktionen des „Lebens“ selbst, sind also substanzielle Anlagen der Seele, die ja das Lebensprinzip im Menschen ist.

3521 |        Man kann ferner unterscheiden jede Empfindungstätigkeit, die mehr im geistigen und im Intelligenzleben bleibt; denn auch die Seele in ihrer geistigen Substanz durchlebt sich selbst, und auch die geistige Tätigkeit des Verstandes z. B. ist mit einem entsprechenden Empfinden mit geistiger Freude oder mit Widerwillen verbunden. – Dem gegenüber stehen die (zahlreichen) Empfindungen, die sich voll in geistig-leiblichen Sinnenleben auswirken, wobei die Geistanlagen des Empfindens die beiden Elemente des menschlichen Lebens, den Geist und den Leib, entsprechend der Art und den Bedürfnissen der beiden Elemente durchlebt.

3522 |        Durch das Empfindungsleben wird die individuelle Art des Lebensdaseins oder der allgemeine Lebensprozess in das Intelligenzleben eingebaut, gleichsam mit den Tätigkeiten des Intellektes verbunden und vermengt und von diesem „neu“ reguliert. Die Empfindungstätigkeit hält wohl immer ihre wesentliche und lebensnotwendige Funktion aufrecht, aber durch das Intelligenzleben ändert sich in etwa die Art der Verarbeitung der Empfindungen, die mittels der physisch-vitalen Werkzeuge auf das „Sinnenleben“ übertragen werden und die „Gefühle“ – oder die Ergebnisse der Betätigungen der Sinne – hervorrufen. Durch die Sinnenbetätigung werden die Empfindungen verbunden mit den Tätigkeiten des Intellekts, die ihrerseits wiederum in Verbindung, Abhängigkeit und unter dem Einfluss der sittlichen Schwäche der Seele und des sittlich gefallenen Zustandes stehen, der dem Menschen anhaftet und der sich auswirkt in falschen Anschauungen über sich selbst und den Entstellungen und Fälschungen des Urteils über den wahren Wert der Dinge und der äußeren Vorkommnisse und Einflüsse.

3523 |        Mit der Empfindungstätigkeit ist als Fortsetzung und notwendige Folgerung verbunden das „Strebevermögen“. Dieses richtet sich auf die als notwendig oder nützlich empfundenen Bedürfnisse und Bedingungen des „Lebens“ und der Lebenserhaltung und findet sich – in einem entsprechenden Maße und Grade – auch schon in der Pflanze und im Tier (wenn auch in einem uneigentlichen Sinne). – Im Menschen folgt und ergibt sich sowohl aus dem geistigen wie auch aus dem geistig-leiblichen Empfinden ein entsprechendes Streben, sich selbst und die eigenen, persönlichen Anlagen, (sowohl die guten wie die weniger guten), „auszuleben“, zu genießen, zu erfassen und damit die eigene Befriedigung (der Anlagen) zu finden. Auch die „Leidenschaften“ sind Anlagen der Person und sie vervielfältigen sich gleichsam sowohl in den Akten des Intelligenzlebens wie auch mithilfe der physischen Natur, welche die Anlagen der Person vielfältig in ihrer Weise „mitgenießen“ will und ihnen einen fruchtbaren Nährboden bietet. Vielfach, ja in den meisten Fällen will aber die physische Natur mit Vorzug aus den sittlichen Schwächen und Unordnungen der Seele und des geistigen Bekehrungsvermögens gewinnen und sich daran in ihrer Art sättigen in einem ungeordneten Sinnenleben. – Weil aber auch das Sinnenleben – ähnlich wie das rein geistige Empfindungsleben – eine Vielheit von Möglichkeiten in sich trägt, so vervielfältigt sich die geistige Unordnung auch im Sinnenleben.

3524 |        So ist das Menschenleben in seinem geistig-leiblichen Gesamtumsatz und in der Auswirkung der geistigen Anlagen auf den Leib viel umfangreicher und weitreichender, als der Mensch in seiner Oberflächlichkeit gewöhnlich annimmt und sich bewusst wird. Man kann aber den weiten Umfang und die Tiefe dieses geistig-leiblichen Lebensumsatzes innewerden im Erleben des Geheimnisses der „Rückbildung“ der bösen und weniger guten Anlagen der gefallenen Seele in die rechte, gottgewollte Harmonie und Ordnung. Man kann dabei nämlich Schlüsse ziehen aus der Länge dieses Weges und der Zeit, die er erfordert, aus der Intensität der geforderten Aszese und der persönlichen Bemühungen, aus der Zahl und gleichsam aus der Unerfassbarkeit der persönlichen, minder guten Anlagen – vom geistigen angefangen bis zum Leiblichen und von diesem wieder zurück zu den höheren geistigen Anlagen –, schließlich aus der Vielfalt der Forderungen, die gestellt werden, um das äußere mit dem in der Seele bereits erworben und vorhandenen übernatürlichen Guten in Einklang und Übereinstimmung zu bringen. Ja, die Rückbildung zum sittlichen Guten und Vollkommenen, zur ständig guten Tat braucht einen langen Weg und muss sich auf alle Seelenfähigkeiten erstrecken, bis das habituell gereinigte Strebevermögen und die habituelle „reine“ Empfindung erreicht ist, d. h., jene, die der gottgewollten Ordnung und dem wahren Wert der Dinge und des Eigenen entspricht. Ferner muss auch das gesamte Sinnenleben einer durchgreifenden Reinigung unterworfen werden – wobei die Frucht langer Bemühungen wieder in einem Augenblick gestört oder zunichtegemacht werden kann durch eine Niederlage unter dem Druck der Leidenschaft oder in einem ungehemmten Ausbruch irgendeiner Leidenschaft.

3525 |        Wenn man dies erlebt, scheint einem das Mensch-sein „eng und klein“, weil der Mensch vielfach oder meist unter dem Druck und der Gebundenheit durch die Leidenschaften handelt und sich in der Enge seiner sittlichen Mängel und des augenblicklichen Begehrens bewegt. – durch den (allerdings langwierigen) Prozess des Überwindens der sittlichen Schwächen des gefallenen Zustandes und des niedrigen Begegnungsvermögens erwirbt sich der Mensch eine schier unermessliche Weite des Geistes und eine wunderbare Freiheit des Selbstbesitzes; die Seele erfährt sich dann in der wunderbaren Geräumigkeit und Weite ihrer errungenen Freiheit.

3526 |        (So erlebte ich die einzelnen Betätigungen der Seele gleichsam wie ein aufgeschlagenes Buch, in dem man die Blätter zählen kann; diese Fähigkeit wurde mir erklärt als Folge der errungenen eigenen Freiheit und der psychologischen Bewegungsfähigkeit, als Folge der Überwindung der psychologischen Gebundenheit, die mit den Leidenschaften und sittlichen Schwächen des Menschen verbunden ist und darin liegt. – Immerhin braucht es dazu aber auch noch eine besondere Gnade um in dieser Weise die Geheimnisse der Menschenseele erleben zu können.)

 

10.05.19451594

Christi Himmelfahrt

3527 |        Zwei Gnaden will ich mir vom Heiland an seinem Ehrentag erbitten: ein bußfertiges Herz — und die Fülle der Erlösungsgnaden – durch die Fürbitte seiner heiligen Mutter.

 

12.05.19451595

3528 |        Die inneren Leiden waren in letzter Zeit und besonders heute sehr schwer, oder besser gesagt: Die Art dieser Leiden war ein „Todeszustand“; der Tod stand mir unausweichlich bevor, und ich habe doch einen Augenblick lang Schrecken davor bekommen; nicht so sehr wegen meines ewigen Heils oder Ähnlichem, als vielmehr im Gedanken: In einem fremden Land verlassen sterben zu müssen, ohne meine Heimat wiedersehen zu können, ohne Liebe und ohne Seelen, die mir nahestehen. – Es muss doch für einen Sterbenden ein gewisser Trost sein, umgeben von seinen Angehörigen und in seinem eigenen Heim sterben zu können und in der Heimat begraben zu werden.

3529 |        Infolge dieser geheimnisvollen inneren Leiden werde ich gleichsam hinausgedrängt aus der bisherigen, gewöhnlichen Art des Lebens, sozusagen bis auf die letzte Spitze der Lebensmöglichkeit, bis zum Akt des ausschließlich „substanziellen Lebensprozesses“. – Ich durchwandere dabei Wege des Geistes, die man nie in Worten erklären kann – Wege des geistigen Todes.

 

14.05.19451596

3530 |        Der Heiland ließ mich wissen: „Dieser Tod ist das 'neue Leben' für die Priester; denn alles muss verdient werden. Glaube mir das! – So, wie ich die Erlösung der Menschen verdient habe, so bist du das Opfer (für die neuen Gnaden) und auf dich ist gelegt die neue Gerechtigkeit meiner Auserwählten.“

3531 |        Es ist aber sehr bitter für solche zu leiden , die dafür nur Geringschätzung und Verachtung und Verfolgung haben. Je höher die Intelligenz und Einsicht der Seelen ist, denen Gott seine Gnade anbietet, desto bitterer ist der Schmerz des Herzens Jesu, wenn diese Gnaden ausgeschlagen werden, weil der geistige Widerspruch gegen die Gnade größer ist; desto schwerer ist aber auch das Leiden für jene Seelen, denen der Herr die Sühne für die Zurückweisung der Gnaden auferlegt.

 

18.05.19451597

3532 |        „Andere Seelen haben die Glieder meines Leibes verwundet; die Priester aber haben mein Herz verwundet; sie sind meine1598 Dornenkrone um mein Herz“. Ich wurde dabei hingewiesen auf das Wort des Psalmisten (Psalm 54,13): „Wenn mein Feind mich geschmäht hätte … aber du, mein vertrauter …“

3533 |        Dementsprechend ist auch die Sühne der Seelen für die Nachlässigkeiten der Priester schmerzlicher, schärfer und leidvoller1599; die Sühneleiden für Priester sind gleichsam eine Wiederholung des Leidens, das verursacht wurde durch die Dornen, die das Herz Christi verwundet haben.

3534 |        Jede Erkenntnis bringt auch eine Verantwortlichkeit der betreffenden Seelen für die dem Erkennen entsprechende Verpflichtung mit sich. Es kann in dieser Verantwortlichkeit Entschuldigungen geben – wenn zum Beispiel nicht die Möglichkeit besteht, die aus der Erkenntnis sich ergebenden Konsequenzen wirklich auszuführen – aber bezüglich der geistigen Bereitschaft und Liebe gegenüber dem als gut und gottgewollt Erkannten gibt es keine Entschuldigung. – Und gerade dieses liebende Eingehen-wollen auf die Absichten Gottes bringt die Seele Gott besonders nahe.

3535 |        Es sind keine Übertreibungen oder Einbildungen: Die inneren Leiden in meinem jetzigen, inneren Geistesprozess sind so groß, dass es eine beständige, besondere Gnade braucht, um das leibliche Leben zu erhalten und den gesunden Verstand zu bewahren. Man kann sagen: Auf der Spitze dieser Leiden ist man nur mehr zu einem Viertel ein „normaler Mensch“ und ich kann vielfach die Äußerungen der heiligen Theresia bestätigen: Nur die Gnade Gottes kann eine in solchem Maße leidende Seele vor dem Gedanken des Selbstmordes retten und ihr den klaren Verstand erhalten.

3536 |        Mein Geistesweg führt mich „über das Zerbrechen alles menschlich Berechtigten“ (zu dem „neuen Leben“). Es ist der Tod oder ein Sterben in allen Formen bis hinein in die Grundlage des nackten, geistig-substanziellen Lebens.1600

3537 |        Es gibt in solchen Leiden kein „Zurück“, sondern nur ein beständiges „Vorwärts“, hinein in das geistige Sterben, um leidend von den letzten Wurzeln und Resten der erbsündlichen Unordnung befreit zu werden. Weil aber dieser „Tod“ eine furchtbare Leere des Geistes ist, ein gewisser Nicht- und Nichts-Zustand, deshalb wird das innere Gesamtleben „anormal“; aber es gibt keine Rettung aus dieser Leere des Geistes, weil dieses Leiden zugleich ein unentrinnbares, geheimnisvolles Vorwärtsgedrängt-Werden ist. Von der Flucht in den Tod gelangt die Seele Zuflucht an das Kreuz dieses Todes; es bleibt ihr nichts mehr als die Liebe zu diesem Kreuz des Todes. – Man möge dies nicht für Übertreibung halten. Jede Seele, die ähnliche Wege des Geistes geführt wird, muss dies bestätigen.

3538 |        Man steige vielmehr im Geiste hinab in den Reinigungsort im Jenseits und man wird die Gerechtigkeit Gottes am Werke sehen und verstehen: Es gibt kein irdisches Leiden, das an Tiefe und Schwere mit dem geistigen Leiden der Reinigung der Seele zu vergleichen wäre. Und dieses Leiden wartet auf alle, die sich in diesem Leben nicht selbst mittels des Feuers der Liebe reinigen. Die Menschen werden nach ihrem Tod staunen und erschaudern, ebenso wegen der unendlichen Liebe wie auch wegen der unendlichen Gerechtigkeit Gottes.

 

20.05.19451601

3539 |        Die verschiedenen, innerlich mir gegebenen Erklärungen über das Empfindungsleben, bzw. über die Psychologie der Seele im Allgemeinen, helfen mir auch die eigenen Reinigungswege und Geistesziele besser zu verstehen, die zugleich den Unterbau bilden für das kommende Erleben der Psychologie Christi. Ferner werden durch diese Erklärungen auch meine allgemeinen Begriffe geklärt und erweitert, um damit dann das Geheimnis des Gottmenschen leichter1602 begreifen und beschreiben zu können.

3540 |        Ich erkenne die gegenwärtigen, sehr schmerzlichen Läuterungen als konsequente Fortführung jenes großen, geistigen Reinigungsprozesses, der in langsam aufsteigender Entwicklung von den niederen Stufen des mystischen Gnadenlebens bis zu den höchsten Stufen geht und jetzt in mich hineindrängt bis in die Substanz der Seele selbst. Es handelt sich dabei um Fortsetzungen der „dunklen Nacht“ des Geistes, aber in einer Verfeinerung und Vertiefung, die sich bis auf den substanziellen Lebensantrieb und die geistig-substanziellen Seelenbetätigungen selbst erstreckt. Der gefallene Zustand unserer menschlichen Natur erstreckt sich bis auf das Mark unseres Lebens, das unter den Folgen des Sündenfalles steht, und ebenso tief muss zu einer vollständigen Reinigung das göttliche Feuer der Läuterung in die Seele eindringen und sie umwandeln.

3541 |        Man kann im menschlichen Gesamtsein gedanklich zwei Elemente unterscheiden – wenn sie auch in Wirklichkeit nicht voneinander getrennt werden können: 1. das „nackte“ oder abstrakt gesehene „Leben als solches“, oder anders gesagt: Die Natur und das Wesen des „Lebens“ an sich oder im Allgemeinen, und dazu 2. der konkrete „Inhalt“ dieses Lebens, der immer einem individuellen, bestimmten, persönlichen Zweck dient. Zu dem allgemeinen Wesen oder zur allgemeinen Natur des Lebens kommt also für die tatsächliche, konkrete Verwirklichung und Betätigung des Lebens notwendig hinzu die individuelle Art dieses Lebens, d. h. die Person als die antreibende Geisteskraft mit den ihr zur Verfügung stehenden, geistig substanziellen und psycho-physischen Anlagen und Fähigkeiten und Betätigungen. Die „nackte Möglichkeit“ oder die abstrakte Wesenheit des Lebens wird konkret verwirklicht nach der Art des geistigen, individuellen, persönlichen Lebensantriebes. Der Person stehen zur Verwirklichung und Ausführung ihres „Lebens“ außer der allgemeinen, nackten Natur oder Wesenheit des Lebens als solche auch zur Verfügung die individuellen Fähigkeiten und Tätigkeiten; und beide Elemente, die Natur im Allgemeinen und die konkreten, individuellen Fähigkeiten und Tätigkeiten, ergänzen sich immerwährend in wunderbarer Weise. Ähnlich wie eine elektrische Kraftquelle oder ein Motor den Antrieb für die verschiedensten Maschinen und deren verschiedenartige Leistungen und Betriebsmöglichkeiten bieten und liefern kann, so ähnlich verhält es sich auch im Menschenleben: Die allgemeine oder „nackte“ Wesenheit oder Natur des Lebens, d. h., die abstrakte Grundlage für die Möglichkeit des Lebens bedarf zu seiner Verwirklichung die konkrete, individuelle Eigenart der Person mit ihren mannigfaltigen Anlagen und Fähigkeiten. – (In Wirklichkeit gibt es aber natürlich kein für sich selbst existierendes allgemeines oder „nacktes Leben an sich“, sondern jede Person hat ihr zugehöriges, eigenes, individuelles Leben, das aber in allen Einzelheiten die gleichen wesentlichen Grundlinien und Grundzüge hat. – Ferner ist festzuhalten: Wenn man auch in Gedanken die geistige Substanz der Seele oder ihre allgemeine Wesenheit – und dazu die Vielfalt der konkreten Betätigungen – aufteilen kann, so ist und bleibt die Seele doch eine unteilbare, tatsächliche Einheit).

3542 |        In unserem Menschenleben „vermengt“ sich Natur und Person, das menschliche Sein als solches und die individuelle Art dieses Menschseins. Im Gottmenschen Christus bleiben die beiden Naturen in ihrer so ganz verschiedenen Art unvermengt, harmonisierten aber doch zusammen zu einem gottmenschlichen Leben der einen göttlichen Person. Obwohl die beiden Naturen in Christus in ihren wesentlichen Eigenheiten bestehen bleiben, formten sie zusammen das eine gottmenschliche Leben Christi.

3543 |        In unserem jetzigen, gefallenen Zustand trägt das allgemeine, nackte oder wesentliche Gerippe unseres Lebens die Folgen des sittlichen Falles oder den Zustand des Gefallen-seins der menschlichen Natur. Zu einer durchgreifenden Neugestaltung oder Wiederherstellung des von Gott gewollten sittlichen Zustandes muss also die ganze Seele bis zu ihrer allgemeinen Grundlage der „Natur an sich“ (die aber nicht getrennt existiert) einer sittlichen Neuordnung unterzogen werden. Gewiss ist die menschliche Natur und die Natur der Seele in sich selbst noch die gleiche, wie vor dem Sündenfall, aber die von ihrem konkreten Bestand nicht zu trennenden Anlagen und Betätigungen der „Person“ haben sich in ihren sittlichen Formen und Belangen verändert. Weil aber insofern unser Gesamtsein bis in seine letzten Wurzeln hinein die Folgen des sittlichen Falles trägt und ihnen anheimgegeben ist, deshalb muss sich eine vollkommene sittliche Heilung und Wiederherstellung bis in diese genannten Tiefen erstrecken, nämlich bis zu dem gedachten Verbindungspunkt der bloßen Natur an sich mit denen sie erfüllenden und verwirklichenden konkreten und persönlichen Anlagen.

3544 |        Eine volle und vollkommene Läuterung von den erbsündlichen Anlagen würde eine vollkommene Umwandlung des sittlichen Gesamtzustandes des Menschen ergeben und die Wiedereroberung des sittlich vollkommenen Zustandes der Paradiesesseele in ihren wesentlichen Grundzügen zufolge haben; aber eine solche tiefe Reinigung bringt auch unsagbar tiefe und schwere Konsequenzen für die so vollkommen zu reinigende und umzuwandelnde Seele mit sich.

3545 |        Durch eine volle und vollkommene Reinigung wird die Seele zugleich voll und ganz für das Wirken der Gnade Gottes offen und ganz aufgeschlossen und empfänglich für das Einströmen seiner göttlichen Heiligkeit in all ihren Werken und Handlungen; denn die Reinigung der Seele ist untrennbar vom Einströmen des göttlichen Lichtes und Lebens der Gnade. Eine teilweise Reinigung befähigt auch nur für ein teilweises Zuteilen des göttlichen Lebens und der göttlichen Heiligkeit und diese teilweise Zuteilung kann in mehr oder minder hohen Graden erfolgen, je nach dem Grade der Reinigung, d. h. der Entfernung der Hindernisse für die göttliche Gnadenmitteilung. – Voll und ganz offen für die Wirksamkeit göttlichen Lebens und göttlicher Heiligkeit war die Paradiesesseele in ihrer ersten, gottgeschaffenen Reinheit. Voll und ganz offen für die Zuteilung göttlichen Lebens war die Seele Mariens. In ihr war die Fülle der Gnade Gottes als Voraussetzung für die Fülle Gottes, die sie – mit der Aufnahme der göttlichen Person des Wortes – empfangen hat.

3546 |        Die fortschreitenden Läuterungen gehen nun in mir – wenn es auch unglaublich scheint – bis auf die letzten und tiefsten Wurzeln des persönlichen Bestandes, nämlich bis auf den gedachten Berührungspunkt mit dem „nackten Leben“, mit der bloßen Substanz der Seele und mit der „Natur an sich“ – ich kann bezeugen, dass dieses Eindringen der reinigenden und läuternden Gnade bis in die tiefsten Tiefen der Seele nur eine Erhöhung und Vertiefung der passiven Läuterungen darstellt. Es sind im Wesentlichen die gleichen oder ähnliche Leiden tätig, wie bei der passiven Läuterung überhaupt, aber noch mehr verfeinert und vergeistigt und noch wirksamer erlebt und angewendet und in ihrem reinigenden Zweck verstanden und erklärt.

3547 |        Was man im Allgemeinen die mystische Nacht nennt, ist – in einem mehr oder minder hohen Grade – die fühlbare oder erlebte Ausschaltung eigener religiöser Seelentätigkeit; es bleibt der Seele dabei nur die nackte Glaubensbetätigung, aber diese soll und muss sich auswirken in positiven Akten und bewussten Streben nach dem Wohlgefallen Gottes. Gerade durch das Nicht-Erleben ihrer Tätigkeit hin zu Gott wird die Seele auf „passive Weise“ zu erhöhter Tätigkeit gedrängt. – Darin liegt wohl das tiefste Geheimnis der mystischen Nacht, dass die Seele in dieser „Passivität“ ungleich mehr tut und tun muss als in Zeiten des Trostes. Ihr Tun wird aber dabei gereinigt, weil es – auf passive Weise durch die besondere Einwirkung Gottes – auf das höhere und höchste Wohlgefallen Gottes hingerichtet wird und zugleich sich wie in einem vernichtenden Feuer der Kritik an sich selbst befindet. Es wirken gleichsam zwei Gewalten in der Seele zusammen: Die passiv-aktive Betätigung und zugleich die verzerrende Selbstkritik im verzehrenden Licht und Feuer eines geheimnisvollen Gerichtes des allheiligen Gottes, in das die Seele geworfen wird. So vollzieht die Seele in diesen, durch die Gnade herbeigeführten „passiven“ Zuständen viel hochwertigere, sittliche Akte als außerhalb dieser Reinigungszeiten. Die schmerzliche Mühe, die sie sich dabei geben muss, verwandelt sich in ihr in eine entsprechende allmählich steigernde sittliche Erhebung und in wirklich errungene sittliche Werte. – Diese Läuterungen werden für die Seele zu einem reinigenden und heiligenden Bad, das die Seele – mit verhältnismäßig kurzen Unterbrechungen – beständig aufs Neue erleidet.

3548 |        Zur Zeit erfahre ich zugleich mit den Läuterungen in großer Klarheit auch die Anwendungen, Gegenstände und Ziele der Läuterungen. Wie man bei klarem Wasser bis auf den Grund eines Bächleins schauen und die einzelnen Steine im Flussbett unterscheiden kann, so ähnlich schaue ich dann bis auf den Grund der Seele, bis zur Substanz der Seele und kann die einzelnen Gegenstände der Läuterung unterscheiden. Für den Paradiesesmenschen war die eigene Seele immer gleichsam „durchsichtig“ für das eigene Erkennen und Bewusstsein. Dies ist aber jetzt auch bei höchster sittlicher Vollkommenheit nur durch eine besondere psychologische Gnade möglich.

 

Juni

02.06.1945

3549 |        Auf dem Hochaltar in der Kapelle der „Englischen Fräulein“ ist die allerseligste Jungfrau als Unbefleckte Empfängnis dargestellt. Dort kam ich vom Anschauen des äußeren Bildes in ein Schauen und Erkennen des Inneren oder des Herzens Mariens: Mariens sittliches Sein war wie ein ganz kostbarer Edelstein ohne irgendwelche Beimischung oder Trübung, der in der Sonne des Seins Gottes erstrahlte. – Der Edelstein wird ganz vom Sonnenlicht durchdrungen, durchstrahlt und durchtränkt und er wirft glitzernd das voll aufgenommene Sonnenlicht wieder zurück. So lag auch die Seele Mariens und damit ihr ganzes Wesen ständig im Leuchten der göttlichen Sonne; es war in ihr nicht die leiseste Disharmonie gegenüber den Strahlen, die vom Wesen Gottes zur Seele Mariens und von dieser wieder zu Gott zurückgingen. Sein und Tun waren in Maria ganz reine Strahlen, die sich mit dem Wesen Gottes harmonisch verbanden. – Ich schaute, wie auch der Leib Mariens gleichsam „durchleuchtet“ war durch den Geist ihrer Seele, der ihr ganzes Wesen durchdrang und wie „durchsichtig“ machte.

3550 |        Auch in sittlich vollkommenen Seelen findet sich immer noch eine gewisse „Unterbrechung“ oder „Unterbindung“ der sittlich vollkommenen Betätigung gegenüber Gott, d. h. eine Unterbindung im Aufnehmen des göttlichen Seins und Einflusses und im Erwidern darauf. Es handelt sich bei ihnen immer nur um eine mehr oder weniger „teilweise“ Vereinigung mit Gott, insofern einzelne Fähigkeiten und Betätigungen der Seele wenigstens vorübergehend nicht oder nicht ganz unter dem Einfluss der göttlichen Gnade, sondern unter dem sittlich unvollkommenen persönlich-natürlichen Einfluss handeln. Eine volle Einigung der Seele und all ihrer Betätigungen mit Gott ist erst möglich, wenn das ganze Sein des Menschen schon „objektiv“ mit Gott geeint ist und der Mensch infolge dieser objektiven sittlichen Vereinigung ständig im Sein Gottes lebt und handelt. — Das war in Maria der Fall, und zwar war dieser Zustand in ihr schon mit ihrer Erschaffung gegeben, hat sich aber dauernd immer mehr erhöht in allen Betätigungen und Aufgaben ihres menschlichen Lebens. So stand die jeweilige Fülle ihres Mensch-Seins ständig unter der vollen Inanspruchnahme durch das göttliche Sein, d. h., ihre Seele betätigte sich voll und ganz unter dem Einfluss der göttlichen Gnade; da aber das Menschenleben mit seinen Aufgaben und Anforderungen immer unter dem Gesetz des Wachsens steht, so ist auch jene objektive „Fülle Gottes“ in Maria bis zu ihrem Lebensende stetig gewachsen.

3551 |        Dieses Durchschauen und Durchleben des geistigen Seins, bzw. des Herzens Mariens gehört zu den wunderbarsten Erkenntnissen, die ich je über Maria hatte. – Es war dies auch in Hinsicht auf meine eigene Seele eine gnadenreiche Erkenntnis, weil mir damit1603 zugleich das objektive Ziel meines sittlichen Aufstieges gezeigt und erklärt wurde. Die Anwendung auf mein eigenes Seelenleben, die mir durch die führende Gnade dabei gegeben wurde, lässt sich aber in Worten nicht aussprechen und bleibt darum mein persönliches Wissen.

 

06.06.1945

3552 |        Das größte Geheimnis und Wunder in der Psychologie Christi liegt in der Frage, wie sich das „seiende“ Wissen und Sein (oder der „Actus purus“) mit dem menschlich werdenden Wissen, d. h. dem Erfahrungswissen in Christus verbunden hat, oder: Wie das seiende Wissen und das werdende Erfahren sich in Christus ergänzt haben, wobei das Erfahrungswissen Christi durch die entsprechenden Organe des Leibes Christi ging.

3553 |        Ich habe bestimmte Begriffe über dieses Geheimnis in mich aufgenommen, kann sie aber nicht in Worten aussprechen. – die psychisch-physischen Betätigungen oder die Wechselwirkungen zwischen der Seele Jesu und der göttlichen Person in Christus waren in gewisser Hinsicht verschieden von denen im gewöhnlichen Menschen.

3554 |        Im Zusammenhang damit wurde mir auch meine jetzige psychisch-physische Umstellung, d. h. der neue, raschere psycho-physische Kräfteumsatz erklärt.

3555 |        Ich kann nun aus eigenem Erleben gut begreifen, wie es möglich war, dass manche Heilige öffentlich (zum Beispiel an den Kirchentüren) ihre Sünden bekannten. Ich befinde mich in einem Zustand der eigenen Verdemütigung, in dem es als Selbstverständlichkeit erscheint, sich seine Fehler einzugestehen und sie auch vor anderen zuzugeben und zu bekennen. Ich glaube es, und finde es wie natürlich, dass meine Umwelt die sittlichen Schwächen in meinem Wesen erkennt, und darum finde ich es auch natürlich, diese zuzugeben und darüber zu sprechen; ja, es erscheint mir wie ein Bedürfnis und eine seelische Entlastung, meine Fehler selbst zu offenbaren und zu erzählen. –

3556 |        Ich hatte die merkwürdige Erkenntnis über Maria: Ihre äußere Erscheinung, ihr Angesicht ist mit den Jahren nicht „gealtert“ wie bei den gewöhnlichen Menschen, sondern ihr Aussehen und ihre Gesichtszüge sind immer mehr „gereift“. –

3557 |        Vor dem ausgesetzten Allerheiligsten hatte ich die Mahnung: Den Heiland nicht zu sehr in der Monstranz zu suchen, als vielmehr ihn im eigenen Sein und Leben wachsen und herrschen zu lassen; denn – so erkannte ich – dies ist der letzte Zweck der Gegenwart Christi in der heiligen Hostie: dass er in den Seelen herrschen und leben könne. Seine eucharistische Gegenwart ist auch ein Mittel zu diesem Ziel; denn er ist gekommen, um uns sein Leben mitzuteilen.

 

09.06.1945

3558 |        Das Einzige, was ich in meinem jetzigen, inneren Zustand unaussprechlich seelischer Gebundenheit tun kann, ist dies immer wieder die Bitte vorzubringen: „Herr, leg das Eisen ins Feuer, damit du es schmieden kannst, dass es die rechte Form bekommt; denn nur durch Leiden kannst du mich umformen!“

 

13.06.1945

Zur Seelenführung

3559 |        Der Seelenführer soll sich – neben und mit der Gnade Gottes – die Kunst erwerben, auf die besonderen Bedürfnisse der einzelnen Seelen einzugehen.

3560 |        Man kann unter den Seelen im Allgemeinen zwei für das Innenleben bedeutungsvolle Grundrichtungen unterscheiden: die schüchternen, furchtsamen, ängstlichen usw. – und anderseits die selbstsicheren, beherrschenden, anmaßenden. Jede dieser beiden Grundanlagen des Temperamentes bringt ein begleitendes Gefolge von Fehlern und Schwächen mit sich, die sich auch bei fortgeschrittenen Seelen noch bemerkbar machen, ja sich bis auf die höchsten Stufen des Seelenlebens hinauf hinziehen. Man kann sagen: Das ganze Innere oder Seelenleben vollzieht sich „inmitten“ der persönlichen Temperamentanlage und der Fortschritt der Seele hängt zu einem großen Teil von ihrer Überwindung oder ihrem Ausgleich ab. Es braucht schon einen hohen Grad sittlicher Vollkommenheit, bis die schädlichen Folgen dieser Anlagen zum Verschwinden gebracht werden und ganz selten sind die Seelen, die von vornherein die beiden Grundlagen der Vorsicht und der Sicherheit, der Zurückhaltung und der starken Aktivitäten in ausgeglichener Weise vereinen1604. Gewiss ist die Gnade Gottes (zusammen mit dem „guten Willen“) das Entscheidende, aber die Gnade muss sich gleichsam „durchringen“ durch die Temperamentsanlagen und ihr sittliches Gefolge, bis sie in ungestörter Herrschaft „darüber zu stehen kommt“.

3561 |        Der Seelenführer, d. h. der Priester soll die Schattenseiten und Fehlerquellen der einzelnen Seelen zu kennen suchen und sich bei der Führung danach einrichten. Den schüchternen Seelen soll er entgegenkommen; für die selbstsicheren Seelen ist eine gewisse Nichtbeachtung eine notwendige und heilsame Verdemütigung.

3562 |        Auch bezüglich der inneren (mystischen) Führung neigen die schüchternen Seelen mehr zur Zurückhaltung und zum Misstrauen gegenüber der inneren Führung, während die selbstsicheren Seelen geneigt sind, sich jedem Geiste hinzugeben und sich in Sicherheit zu wiegen oder vielmehr ihrem eigenen Geiste immer Recht zu geben – ob diese nun gut ist oder weniger gut. – Diesen selbstsicheren Seelen gegenüber ist darum eine gewisse Zurückhaltung am Platz; [sic!] denn die Beachtung oder Betonung besonderer Gnaden oder Gaben könnte die Schattenseiten ihrer Anlagen fördern, während eine gewisse Zurückhaltung und scheinbare Gleichgültigkeit für sie zur härtesten, aber heilsamsten Probe und Verdemütigung wird. Durch diese Verdemütigung reinigt sich die Seele, kann sie — bei treuer Mitarbeit mit dem Einfluss der Gnade — zur Klarheit über ihre Fehler kommen und wird sie veranlasst, schlicht und einfach Rechenschaft über ihr Innenleben zu geben. Andernfalls vermischt sich die menschliche Anlage immer mehr mit der führenden Gnade und es wird dann auch für den Priester sehr schwer, zur Klarheit über den Seelenzustand dieser Seele zu kommen. Es ist wohl möglich, dass eine Seele trotz ihrer Neigung zum Stolz mit dem Gefolge der allzu großen Selbstsicherheit, Anmaßung, Rechthaberei, Herrschsucht usw. von Gott hohe und besondere Gnaden erhält, aber sie muss durch eine entsprechende Seelenführung zur Klarheit über ihre Anlagen und Fehler gebracht werden, wenn die Gnaden ihr nicht zu noch größerer Gefahr werden sollen. — Auch die schüchternen Seelen werden durch eine allzu rasche Anerkennung ihrer besonderen Gnadenführung ebenso in Unruhe und Verwirrung versetzt, wie sie ein Nichtanerkennen ihres guten Willens durch den Priester in die Gefahr der völligen Entmutigung bringt.

3563 |        Immer aber muss der Seelenführer damit rechnen, dass auch die besten Vorsätze unter dem Einfluss der Temperamentsanlagen stehen und diesen immer wieder unterliegen können.

 

29.06.1945

Fortsetzung über das Intelligenzleben

3564 |        In Christus war dauernd ein wesentlich unmittelbares, gottmenschliches Bewusstseinsleben,1605 weil er als Gott sein wesentliches Wissen, also auch sein wesentliches Wissen um das Menschsein und um die geschaffene Umwelt nie verlieren konnte. Es war aber auch ein menschlich wesentliches, das heißt, menschlich unmittelbares Wissen, weil die Seele Jesu – ähnlich wie die Paradiesesseele — für ein menschlich unmittelbares Bewusstwerden (ohne den Umweg1606 über die Sinne und die Fantasie) befähigt war. Infolge dieser menschlich-unmittelbaren Bewusstseinsfähigkeit konnte die Seele Jesu dem göttlichen Bewusstsein als die für ein gottmenschliches Bewusstsein notwendige Ergänzung dienen, bzw. konnte in das göttliche Bewusstsein einbezogen werden, sodass göttlich wesentliches und menschlich-unmittelbares Bewusstsein sich zu einem lebendigen Akt (oder Lebensakt) verbinden konnten.

3565 |        Das Bewusstseinsleben des gewöhnlichen Menschen vollzieht sich in beständigen Steigerungen des Erfassens der Umgebung, und zwar aufgrund einer beständigen „Bemühung“ des Intelligenzlebens und des Gesamtmenschen überhaupt. — Gewöhnlich scheint es dem Menschen zwar, als ob sein Intelligenzleben sich „außerhalb des physischen Daseins“ abspiele und nur das Gehirn oder der „Kopf“ daran beteiligt sei, während der übrige Mensch davon unberührt bleibe, aber tatsächlich vollzieht sich unser Akt des „Denkens“ auch mithilfe des gesamten physischen Seins. Unser Denkvorgang schließt tatsächlich in sich einen beständigen1607, individuellen Umsatz zwischen den eigentlichen geistigen1608 Intelligenzkräften und den entsprechenden Kräften der gesamten physischen Natur. Nicht der Kopf allein ist beim Denken beteiligt, sondern der Akt des Denkens beruht auf unserem Bemühen um die Steigerung und Mehrung unseres Wissens und dazu muss unser Gesamtleben die notwendigen Voraussetzungen und „den Stoff“ liefern.

3566 |        Zunächst muss sich unser geistiger Intellekt bei unserem Denken mit unserer (geistig-leiblichen) Empfindungsfähigkeit verbinden. Der konkrete Vorgang unseres „Denkens“ wird ständig von unserer Empfindungsanlage belebt; es gibt keine tatsächliche Trennung zwischen rein geistigem Wissen und persönlichem Empfinden, denn der Mensch „befühlt“ gleichsam ständig, ob sein geistiges Wissen, auch seinem persönlichen, individuellen Empfinden entspricht, und sein „Wissen“ wird beeinflusst von der Art, wie der einzelne Mensch „empfindet“. Infolge der verschiedenen Empfindungsanlagen der einzelnen Menschen sind auch das „Wissen“ und die Ansichten der Menschen auf den gleichen Gebieten und über die gleichen Fragen doch zuweilen recht verschieden (wie zum Beispiel die Verschiedenheit der Meinungen in nationalen und politischen Fragen zeigt). Das „durchfühlte Wissen“ ist gleichsam die Gegenprobe auf den Akt und das Ergebnis des Denkens.

3567 |        Die Mitbetätigung der Empfindungsfähigkeit in unserem Denkvorgang besagt aber auch eine Mitbetätigung unserer physischen Natur (wie dies unsere Empfindungsanlage entspricht), nämlich ein beständiges psycho-physisches „Durchfühlen“ und gleichsam Verkosten des Gegenstandes unserer Wissensbemühung oder unseres Denkens. Um aber menschlich „fühlen“ und empfinden zu können, ist notwendig die Mithilfe all der vielen physischen Kräfte und Zellentätigkeiten, die durch die Betätigung der geistigen Empfindungsanlagen zur Reaktion gebracht werden und durch die ein wirkliches, menschliches Empfinden zustande kommt. Dieses individuelle Reagieren und Fühlen wird ständig gleichsam „hineingehoben“ in die Tätigkeit unseres Intellekts. Wenn also unser Denkvorgang uns gewöhnlich ein rein geistiger Akt zu sein scheint, so ist er im Grunde doch ein Doppelakt (des Geistes und des Leibes), dessen Endergebnis aber doch eine geistige Schlussfolgerung und einen geistigen Schlussakt darstellt. — Ferner ist für uns Menschen zur Mehrung unseres Wissens durch das „Denken“ eine Mitbetätigung der Fantasie notwendig, die uns alle Gründe und Möglichkeiten im Allgemeinen bildhaft beleuchten und beweisen muss. — Außerdem ist die jetzige Art unseres Gedächtnisses für unser Denken unentbehrlich.

3568 |        Beim Paradiesesmenschen war dieser in gewissem Sinne mühsame und komplizierte „Denkakt“ nicht nötig, sondern es genügte die geistige Betätigung seines Intellekts, um sein Wissen zu steigern und zu vermehren. Selbstverständlich hatten auch die ersten Menschen keine menschliche „Allwissenheit“ und auch ihr Wissen unterstand dem Gesetz einer ständigen Veränderung, Steigerung, Vermehrung, Anpassung an die sich verändernden Daseinsbedingungen; schon die Erkenntnis größerer und gewaltigerer Geschöpfe verlangte mehr Wissen und Erkennen von ihnen als das Verstehen kleinerer und wenig bedeutender Geschöpfe. Aber diese Mehrung ihres Wissens und Unterscheidens geschah nicht auf dem mühsamen Weg unseres Denkens, sondern es genügte bei ihnen eine bloße Hinwendung ihres Geistes (– unter dem Einfluss ihres Willens –), um den Gegenstand zu „durchdringen“. – Die ersten Menschen waren ja leidensunfähig; die Akte des Bemühens aber gehören zu den Leidensfähigkeiten des Menschen. Darum waren bei den ersten Menschen mit dem Willen zum Wissen und mit den jeweiligen Veränderungen ihrer Umwelt auch die Steigerung und die Mehrung ihres Wissens gegeben. – Für ihr unmittelbares geistiges Durchdringen war auch nicht notwendig die Betätigung der Fantasie, deren Mitbetätigung bei unserem jetzigen Denken im Allgemeinen unentbehrlich ist. Mit einem Worte: Es waren beim ersten Menschen die nebensächlichen Betätigungen des Intelligenzlebens überflüssig und es genügte, die dem Intellekt wesentliche, rein geistige Betätigung.

3569 |        Das Seelenleben, und damit das Gesamtleben der ersten Menschen zur Erhaltung ihres Daseins bewegte sich also nach dem Willen und infolge der geschenkten Gnade des Schöpfers ganz „geradlinig“ infolge der „wesentlichen“, d. h. unmittelbaren Befähigungen ihres Intellekts. Sein und Dasein verliefen beim ersten Menschen „in einer Linie“, d. h., die vorhandenen Anlagen gingen im Augenblick ihrer Auslösung durch den Willen geradewegs auf das Ziel zu, ohne Umwege oder Kurven machen zu müssen – und dies, obwohl auch hier leben, wie jedes geschöpfliche Dasein ein ständig steigendes Maß von Bedürfnissen in sich schloss. – Wie sich aber die Funktionen ihres Intelligenzlebens gleichsam „geradlinig“ vollzogen ohne die Notwendigkeit der Nebenbetätigungen wie in unserem gefallenen Zustand, so führten sie auch geradewegs zum sittlichen Guten. Wie das Aufleuchten ihres Verstandes infolge der Reinheit ihrer Existenz Gott sehr wohlgefällig war, so war auch ihre bildhafte Fantasie, und alle Bewegungen ihres Empfindungslebens rein; Ihre Fähigkeiten führten in sittlich reiner und vollkommener Weise unter der Herrschaft des Willens die erste Anregung des Intellekts aus, und zwar bewegten sich alle Fähigkeiten in der einen geraden Linie der wesentlichen Betätigung des Intellekts. — Die ersten Menschen erfuhren zum Beispiel auch in sich den „Genuss“ der Fantasie; diese ist ja gleichsam ein Ausläufer des Empfindungslebens, das seinerseits beständig in das Intelligenzleben hinein strahlt; aber infolge der mit ihrer Existenz gegebenen sittlichen Vollkommenheit bewegte sich die Fantasie der ersten Menschen sozusagen auf der „kurzen und geraden Linie“ eines augenblicklichen oder gleichzeitigen Genusses, weit entfernt von den im gefallenen Zustand gewöhnlichen und sittlich mangelhaften Fantastereien.

3570 |        Der wesentliche Akt des Denkens selbst ist ein vom Willen befohlenes „geistiges Durchdringen eines Gegenstandes“, mag dieser nun geistiger oder materieller Natur sein; dieser Gegenstand wird dadurch (gleichsam als ein von uns beherrschendes Element) in unseren Geist aufgenommen. Alles, was außerhalb unserer persönlichen Kenntnis und damit außerhalb dieser, unserer geistigen Beherrschung steht, ist für uns „fremd“ und steht außerhalb unseres Wesens. Durch das geistige Eindringen in den wissenswerten Gegenstand und durch das geistige „unterscheiden“ desselben ist dieser gleichsam unser Eigentum und verbindet sich gewissermaßen1609 mit unserem Wesen; wir beherrschen ihn, entsprechend und gemäß der Art unseres Wesens.

3571 |        Die ersten Menschen gingen nun in ihrem Wissen1610 und Erkennen mühelos von einem Gegenstand zum anderen über, nur ihr Wille und die jeweiligen Verhältnisse ihrer Umgebung waren maßgebend für die Steigerung ihres Wissens. In ihrem Seelenleben „fehlte“ daher (d. h., war nicht notwendig) der für uns unentbehrliche psycho-physische Weg über die Denkanlage und das Gedächtnis. Dieser psycho-physische Weg ist an sich unwesentlich für die Betätigung des geistigen Intellekts, ist aber für uns im gefallenen Zustande zu einer Notwendigkeit und wie zu einer (jetzt für uns wesentlichen) Eigenheit eines normalen Menschseins geworden.

3572 |        Seit dem Sündenfall ist unser Gesamtleben auf ein mühsames Selbstproduzieren angewiesen. Was der Mensch braucht und will, das muss in ihm selbst in einem mühevollen Ringen und Erzeugen erreicht werden. Dieses allgemeine Gesetz des mühsamen Selbsterzeugens hat Gott nun in die ursprüngliche, wesentliche oder unmittelbare Betätigung unseres Intellekts eingebaut. Gleich mit dem Verlassen des Paradieses musste der erste Mensch nun jene sekundären geistig-leiblichen Denkanlagen anwenden, um sein Menschenleben überhaupt fortsetzen und die physischen Lebensmöglichkeiten sich erhalten zu können. — Dieser, unserer Denkanlage steht unser Gesamtleben als Hilfsmittel zur Verfügung. Sie ist also nicht etwa ein für sich bestehender und vom Übrigen getrennter oder abgeschnittener Teil des Geistes der Seele, sondern sie schließt in sich einen normalen Austausch und Übergang zwischen den wesentlichen intellektuellen Kräften und den an sich unwesentlichen, aber jetzt unentbehrlichen Betätigungen unseres Intelligenzlebens. Als Folge und Strafe des Sündenfalles hat der Mensch die unmittelbare oder „geradlinige“ Ausübung seiner geistigen Intelligenzkräfte verloren und es müssen jetzt weitere sekundäre Wege und Betätigungen herangezogen werden, um die nunmehr verlorene erste Fähigkeit (des unmittelbaren Wissens) zu ersetzen und gleichsam auf Umwegen und mit Kurven zum Ziele des Intelligenzlebens zu gelangen.

3573 |        Im gefallenen Zustand verbinden sich die eigentlichen, rein geistigen Intelligenzkräfte mit der psycho-physischen Denkanlage zur Ausübung des Intelligenzlebens und damit zur Leitung des Gesamtlebens – es sei denn, dass Gott selbst unmittelbar auf den Intellekt einwirkt und diesen unmittelbar zur Betätigung anregt, wie dies im mystischen Gnadenleben geschieht. Aber auch auf diesem mystischen Gebiet wird das intellektuelle Erfassen Gottes oder die Mitteilung Gottes vielfach auch mithilfe der niederen Seelenkräfte bewirkt, d. h., die mystischen Gnaden können weitgehend mithilfe der niederen Seelenkräfte verarbeitet werden. Gott bedient sich bei seiner Einwirkung auf die Seele oft bildhaft-visionärer Anregungen, die aber – auch wenn sie echt und übernatürlich sind – nur mithilfe der niederen Seelenfähigkeiten hervorgebracht werden können. Rein intellektuelle Berührungen Gottes gegenüber der Seele spielen sich nun in den höchsten Gebieten der Seele ab und sind darum weniger der Möglichkeit einer Vermischung mit eigenen bildhaften Zutaten ausgesetzt. Es ist aber eine große Wohltat der göttlichen Führung für eine Seele, wenn diese beständig gereinigt, gleichsam von den niederen Fähigkeiten abgelöst und so befähigt wird für einen wesentlichen, d. h. unmittelbaren Verkehr mit Gott, wobei die Seele nur mittels ihrer wesentlichen Geistesanlagen in Berührung mit ihm tritt. Darum treten diese „wesentlichen“ Gnaden auch unvermittelt und unvorbereitet, in einem Augenblick ein; denn der Intellekt braucht in sich keine Zeit, um sich betätigen zu können, sondern seine Tätigkeit ist mit dem Leben selbst gegeben, während der Betätigung der niederen, bildhaften oder sinnengebundenen Fähigkeiten immer eine gewisse Vorbereitung – wenn auch in kürzester Zeitspanne – vorausgeht.

3574 |        Weil unser Intelligenzleben sich nicht mehr, wie im Paradies, „geradlinig“ vollzieht, sondern gewisse Nebenbetätigungen nötig hat, unterliegt es auch der Gefahr, von unseren sittlichen Schwächen beeinflusst zu werden. Schon der erste rein intellektuelle Akt in unserem Denkvermögen wird nicht selten durch den befehlenden Willen verdorben und gottwidrig gemacht und unsere normalen Gedankengänge hinken gleichsam über zahllose sittliche Klippen und Unfälle hinweg zu dem im Wesentlichen sittlich guten Akt. – Jeder Akt unseres Denkens geht bei uns heute (im gefallenen Zustand) über zwei „Umwege“, nämlich:

1. über die Bemühungen unserer Denkanlage und der verschiedenen Nebenbetätigungen der Empfindungen, der Fantasie, des Gedächtnisses – ein Umweg, auf dem manchen Irrungen und Fälschungen des Urteils unterlaufen können; und

2. kann der Akt verschiedenen sittlichen Anlagen und Schwächen begegnen, die sich vor allem in einem mehr oder minder fehlerhaften Empfindungs- und Genussleben auszuwirken1611 pflegen. — Diese beiden Klippen muss jeder unserer Verstandesakte überwinden. Dabei kann bspw. schon eine übertriebene Fantasieanlage mit ihren falschen Voraussetzungen und sittlichen Mengen von vornherein gottgefällige, sittlich vollkommene Tat infrage stellen. Die Fantasie steht nämlich als Mittel der Anlockung oder der Abstoßung und des Widerspruchs gleichsam in der Mitte zwischen dem Denkvermögen und dem Empfindungsvermögen und sie unterliegt vielfach dem sittlich mangelhaften Einfluss eines falsch geführten Gefühlslebens.

3575 |        Besteht nun1612 die Möglichkeit, diese beiden Schattenseiten unseres jetzigen Intelligenzlebens, und damit unseres Seelenlebens überhaupt und1613 vollständig zu überwinden? Kann dies vielleicht erreicht werden mit der Rückeroberung der wesentlichen, paradiesischen Reinheit? – Seit dem Sündenfall unterstehen wir alle dem Gesetz der Erbsünde, wonach unser Leben nur durch mühsame Anstrengung und Ausführung und Verwirklichung gelangen kann. An die Stelle des verloren gegangenen Geschenks eines übernatürlichen Wissens und Intellekts ist bei uns jetzt das mühevolle Suchen nach unserem Lebensweg und nach der Art unseres Lebenswegs getreten. Dieser psychologischen Ordnung – oder vielmehr Unordnung – ist der Mensch für immer verfallen und nur mittels einer besonderen göttlichen Gnade kann der Mensch allenfalls in bestimmten Fällen ein etwaiges „suchendes Denken“ überschreiten und stattdessen ein entsprechendes, unmittelbares Wissen besitzen, also ein eingegossenes, übernatürliches Wissen. – Die zweite Klippe, die auf die sittlichen Schwächen und Anlagen zurückgeht, ist zu beseitigen durch sittlich vollkommenes, objektives Vereinigungsleben mit Gott, wodurch nach und nach und immer mehr die sittlichen Mängel überwunden, und damit gewisse sittliche Bemühungen überflüssig werden, weil die Seele dann so sehr vom göttlichen Leben durchlebt und durchflutet wird, dass sich das Gesamtsein wie auf einer einzigen Linie bewegt, nämlich auf der geraden Linie voll befähigter Ausübung eines sittlich vollkommen und abgerundeten Seinszustandes. Auf diese Weise könnte die Seele zu einer annähernden Geradlinigkeit der Geistesbetätigung auf sittlichem Gebiet gelangen, weil sie sich immer mehr jener sittlichen Ordnung nähern würde, die Gott der Herr den ersten Menschen als geschaffene Gnade geschenkt hatte.

 

24.06.1945

3576 |        Ich erlebe voraus den Jubel der Kirche … wenn sie vollends eingeführt ist in die Tiefe des Geheimnisses der Liebe, dass im „Priesterwerk“ bzw. in der diesem zugrundeliegenden Glaubensvertiefung enthalten ist. – „Viele“ Theologen werden daran arbeiten und sich bemühen, diese „ Neuen Gnaden“ für diese Zeiten zu erklären und zu bestätigen. Die Kirche wird dann auf dem Höhepunkt ihrer göttlichen Berufung stehen; sie wird eingeführt sein und wird die unendliche Fülle der Erlösungsgnaden Christi erleben – und so wurde mir ferner zu wissen getan – „du wirst das Zeichen sein“.

3577 |        Ich bekam auch innerlich die Antwort auf Fragen und Schwierigkeiten des P. Generalvikars SJ. Ich erhielt die innere Weisung, ihm diese Antwort nebst einigen Schriftstücken über die hypostatische Vereinigung zu übermitteln.

 

Juli

05.07.1945

3578 |        Ich habe nur eine Bitte: „Dass ich immer und in allem, meine Fehler und Unvollkommenheiten sehe und anerkenne“.

 

15.07.1945

3579 |        In der Kirche S. Euchastachio, in der Kapelle des heiligen Kreuzes, habe ich das Werk und die Beteiligten dem Schutze „des Kreuzes“ unterstellt; denn nur im Leiden vollzieht sich der wahre Fortschritt der Seelen und gedeihen die Werke Christi.

3580 |        Früher hatte ich die Erkenntnis: Die Frau braucht nur „gut angezogen zu sein“; dabei schaute ich eine vollständige und gut angezogene weibliche Gestalt. – „Jeder Kleiderkult“ d. h. die Anhänglichkeit und Selbstgefälligkeit in Bezug auf die Kleidung ist Unvollkommenheit.

 

20.07.1945

3581 |        Und wenn ich mein ganzes Leben lang nur gelitten und gar alles für Gott geopfert habe, so ist es doch immer noch und immer nur Gottes Barmherzigkeit, wenn ich in diesem Geiste bis an mein Lebensende verharren kann; und es ist nur Gottes Barmherzigkeit, wenn er sich mir an meinem Lebensende zuneigt und mich in Gnaden aufnimmt.

 

22.07.1945

3582 |        Ich bin so tief eingeführt in mein Elend und meine Schuld vor dem Heiland, dass ich immer das Wort auf den Lippen haben möchte: Erbarme dich meiner, erbarme dich meiner! – Nur eine Gnade verlange ich vom Herrn: immer und überall das eigene Schuldbewusstsein vor Gottes Heiligkeit zu erleben. In dieser Wahrheit (des eigenen Elends) liegt mein Friede.

3583 |        Ich möchte beständig zermalmt werden vom Gericht Gottes ob meiner vielen Untreuen. Vor Gottes Heiligkeit sind auch unsere „gerechtesten1614 Werke“ nur Spreu und Armseligkeit, weil sie wegen unserer angeborenen Anlagen zur Sündhaftigkeit (= sündigen zu können) beständig in der Gefahr des Zerfallens sind.

 

25.07.1945

3584 |        Es ist ein für alle Mal mein Entschluss: Ich will in der Gesellschaft der einfachen und einfältigen Seelen, in Gesellschaft von Maria und Josef bleiben.

 

26.07.1945

3585 |        Der tiefste Friede fließt der Seele aus der Liebe meiner Niedrigkeit, aus der Selbstverdemütigung und Selbstvernichtung zu. Ich habe in der Liebe meiner Niedrigkeit einen Schatz gefunden, der so wertvoll ist, dass ich alles hingebe, um ihn mir bewahren zu können. In der Liebe meiner Erniedrigung will ich meine „endliche Ruhestätte“ erbauen, wo ich mich „daheim“ fühle für Zeit und Ewigkeit.

3586 |        Je höher man im geistlichen Leben kommt, desto mehr übt man die einfachsten (und doch wichtigsten und grundlegenden) Tugenden. Die höchste Spitze sittlicher Vollkommenheit ist die Ausübung der einfachsten1615 Werke und Forderungen der Frömmigkeit. Das Höchste liegt in der „Einfachheit der Tat“.

 

29.07.1945

3587 |        Wie vielfache Erfahrungen erlebe ich auf psycho-physischem Gebiet in meiner jetzigen Umstellung von den gewöhnlichen „unwesentlichen“ Betätigungen der Seele auf die ausschließlich wesentlichen oder substanziellen Betätigungen meiner Seele! — Das Gesamtleben ist von dieser anderen Betätigungsart in Mitleidenschaft gezogen und davon abhängig gemacht. Wenn aber die unwesentlichen Betätigungen der Seele gleichsam1616 abgeschnitten und ausgeschaltet werden, dann scheint zunächst „etwas zu fehlen“ in den physischen Funktionen; denn jede Art der geistigen Betätigungen der Seele verändert, d. h. fördert oder vermindert entsprechend die zugehörigen physischen Funktionsarten.

3588 |        In Christus bestand nur die wesentliche oder substanzielle psycho-physische Funktionsart – das bedeutet einen großen Unterschied vom gewöhnlichen psycho-physischen Gesamtleben. Es bestand in ihm ausschließlich „substanzielles“ Seelenleben mittels seines substanziellen Bewusstseinslebens (das sich freilich auch entsprechend auf die physische Natur auswirken musste); dieses substanzielle Seelen- und Bewusstseinsleben war die notwendige Anpassung und Befähigung gegenüber der göttlichen Eigenart des „Actus purus“, wofür sie gleichsam etwas wie eine „natürliche Ebene“ bildete. Diese höchste psycho-physische Einfachheit in der Gesamtheit aller menschlichen Funktionen bildete in Christus die notwendige Vorbedingung1617 gegenüber der göttlich-wesentlichen Einfachheit des „Actus purus“.

3589 |        Bin ich nun schon am Ende dieses1618 Todes, d. h., in der letzten Tiefe dieses mystischen Sterbens (der gewöhnlichen Lebensfunktionsarten) angelangt – oder geht es noch tiefer und höher hinein in dieses mystische Calvaria und Todesleiden?

3590 |        Ich komme mir vor wie ein Wesen, das mit den Augen des Leibes zwar in diesem Leben steht, aber in seinem eigentlichen, tiefsten Wesen und in seinen beständigen, geheimnisvollen Leiden sich in einer ganz anderen Welt, in der Welt des Geistes sich befindet.

3591 |        Es wurde mir aber heute innerlich gesagt: „Es geht wieder aufwärts.“ Ob aber nicht vor diesem „aufwärts“ noch ein tieferes „abwärts“ bevorsteht?

3592 |        Ich bin nun eingeführt in zwei Wesensgrundlagen des Geheimnisses der hypostatischen Vereinigung in Christus:

1. Christus hatte als Gottmensch ein wesentliches Bewusstseinsleben, wozu er die substanzielle Betätigungsart seiner Seele gebrauchte. — Voraussetzung zum Verständnis dieses Geheimnisses ist das Erfassen der Wesenssubstanz und der substanziellen Betätigung der Seele im Allgemeinen und dann im Besonderen das Verstehen der psychologischen Folgerungen und Anwendungen und Gebrauchsweisen dieser substanziellen Betätigung1619 gegenüber der göttlichen Person. — Eine solche substanzielle Bewusstseinsbetätigung bedeutet eine große und durchgreifende Verschiedenheit des menschlichen Gesamtlebens und all seiner physischen Auswirkungen und Folgerungen gegenüber dem verstandesmäßigen Bewusstseinsleben, wie es sich im gewöhnlichen Menschen vollzieht.

2. Christus bewahrte als wesentliche göttliche Eigenschaft und immerwährende „Empfindung“ die Unendlichkeit und Unbegrenztheit seines göttlichen Wesens, aber in der Beschränktheit seiner menschlichen Natur. Dieses Geheimnis, das auf dem substanziellen gottmenschlichen Bewusstseinsleben Christi aufbaut, brachte in ihm mit sich eine von unserer gewöhnlichen Art ganz verschiedene Gebrauchsweise der gesamten menschlichen Lebensfunktionen Christi bzw. seiner menschlichen Natur; diese musste tragbar sein gegenüber den unendlichen Anforderungen der göttlichen Person mit Bezug auf die Heilige Dreifaltigkeit (infolge der wesentlichen göttlichen Einheit); jene Anforderungen und Auswirkungen haben sich im Gottmenschen als der zweiten göttlichen Person vollzogen mithilfe und vermittelst seiner menschlichen Natur. Diese musste daher befähigt sein, um von einem wahren göttlichen Wesen in unmittelbaren Dienst genommen und gebraucht zu werden gleichsam „wie ein göttliches Wesen“, obwohl sie natürlich ein geschaffenes, endliches und beschränktes Wesen blieb.

3593 |        Dieses zweite Grundgeheimnis im Gottmenschen hat das Erste (der ausschließlichen wesentlichen Betätigungen) zur notwendigen Voraussetzung. Und diese beiden Tatsachen hängen zusammen mit dem psychologischen Geheimnis der „Unvermischbarkeit“ der beiden Naturen in Christus, d. h., mit der Tatsache, dass jede Natur die besondere Eigenart ihres Wesens und ihre Auswirkungen beibehielt, dass aber trotzdem beide Naturen zusammen ein lebendiges Wesen bilden.

 

August1620

07.08.1945

3594 |        Es kommt mir vor: Ich muss erst anfangen mich zu bekehren – so viele Mängel und Widersprüche gegen Gottes Heiligkeit sehe ich an mir und muss ich zu meiner Schande an mir sehen.

3595 |        Herr, sei mir barmherzig in meinen Armseligkeiten und Sünden, aber habe kein Mitleid mit mir, wenn es gilt, mich vollkommen zu reinigen; verschone mich zu diesem Zweck mit keinen Leiden! Habe Barmherzigkeit mit mir ob meiner Sünden, sei aber nicht zu barmherzig und zu gütig mit mir, wenn es gilt, diese mit Leiden und Reinigungen auszubrennen.

3596 |        Ich will so sehr auf die göttliche Vorsehung vertrauen, dass ich für mich nicht mehr besonders um Gottes Vorsehung beten will.

 

06.08.1945

3597 |        Ich war sehr niedergedrückt und leider zu menschlich gestimmt über die Pensionspreiserhöhung. Als ich darüber in der Kirche weinte, sagte mir die Stimme Jesu: „Habe ich dir nicht bis jetzt alles gegeben?“

3598 |        Ich befinde mich weiterhin in einem unaussprechlichen Schmerz über meine Sünden und bin versenkt in das Erleben und Erleiden des so schrecklichen und beschämenden Kontrastes gegenüber der Heiligkeit Gottes. Mir scheint, dieser Schmerz könnte mich töten. Nur wer Ähnliches gelitten hat, wird das begreifen können. Ich will sterben als Opfer für meine Sünden, und im Übermaß des Schmerzes darüber. So kann ich dem Heiland ähnlich werden, der auch für unsere Sünden gestorben ist.

3599 |        O, dieser schreckliche Kontrast meiner Seele gegenüber der Heiligkeit Gottes! Das gesamte Wesen des Menschen ist durch den Sündenfall zu einem gewissen Widerspruch gegenüber Gottes heiligstem Wesen geworden.

 

09.08.1945

3600 |        Herr, mach aus uns Sündern vollkommene Gerechte! Wir haben eigentlich in diesem Leben nur eine Arbeit zu leisten: den unheilvollen und unheilbringenden Kontrast unserer Sündhaftigkeit gegenüber Gottes Heiligkeit auszugleichen. Der Tod zur Sühne sollte eigentlich unser ständiges Begehren sein. Und wenn der Mensch das Geheimnis seiner Sündhaftigkeit im Lichte Gottes voll einsehen würde, so würde ihm dies tatsächlich den Tod aus Schmerz über die eigene Sündhaftigkeit bringen; denn das ganze Wesen des Menschen ist im jetzigen Zustand zur Sünde geneigt.

3601 |        Und doch gibt es anderseits kein süßeres Leben als dies: auf solche Weise von Gottes durchdringender Gerechtigkeit in das Erleben dieser Wahrheit und dieses Kontrastes geworfen [zu] werden.

 

September1621

03.09.1945

3602 |        Es wurde mir heute eine „große Verheißung“ gegeben: „Ich werde mit dem ganzen inneren Leben Jesu auch das innere Leben Mariens erleben“. Ich werde die Gnade erlangen, mit dem Leben Jesu auch das Leben Mariens zu erfahren.

3603 |        Es besteht eine unzertrennliche Verbindung zwischen Maria und Jesus; denn in Maria wurde Jesus als „Mensch“ gebildet. Die Psychologie des Gottmenschen – wenn man sie von der rein menschlichen Seite betrachtet – ist die Psychologie Mariens; denn in und durch Maria wurde Jesus die Möglichkeit und „Befähigung zum Menschsein“ gegeben, d. h. dazu, dass ein Mensch, der Mensch Jesus Christus, göttlich-wesentliches Sein ertragen und es in sich auswirken lassen konnte. Maria war die notwendige Vorbereitung für Christus; in ihr war alles vorbereitet, was sich im Gottmenschen erfüllen sollte.

3604 |        Ich gehe darum in geistiger Weise zuerst in Maria ein. Sie ist es, die der Welt das Geheimnis des Innenlebens Christi offenbart. Sie will mich dazu als „ihr“ Werkzeug gebrauchen und will mich zur entsprechenden Befähigung bilden. — Gott will mit dem Innenleben Christi zugleich das Innere Mariens offenbaren. Damit wird die Bedeutung Mariens für die Erlösung, d. h. ihre Mitwirkung, der Kirche offenbar gemacht werden, weil nach dem Plan der göttlichen Barmherzigkeit alles Heil uns durch Maria kam. In ihr hat Gottes Barmherzigkeit „das“ geschaffen, was uns zur Rettung und Heiligung wurde. Keine Seele, die gerettet werden will und gerettet wird, kann darum an Maria vorbei gehen.

3605 |        Mit dem Zeitalter Mariens kommt zugleich das Zeitalter Christi, die Fülle und Höhe des Triumphes Christi in der Kirche und in den einzelnen Seelen.

3606 |        Ich komme jetzt innerlich gleichsam in eine „Geistesära“ eines marianischen Lebens. Seit dem 1. September ist es mir ein Bedürfnis zu sagen: „O Jesus, betrachte mich nicht mehr anders als in den Armen und im Herzen Mariens! In ihr muss ich für dich vollendet werden. Bin ich Ihrem Geistesleben nahe, so ist mir nahe 'dein Leben'.“

3607 |        (Ein Rückblick zeigt mir, wie weit mich das Leben Mariens, das ich mit zwölf Jahren, mit dem Eintritt in die „vollkommene Andacht“ zu Maria begonnen, nun geführt hat und welch reiche Erkenntnisse über das Innenleben bzw. über den geistig-seelischen Reichtum Mariens mein Eigentum geworden sind. Es gibt nur ein Mittel, um Maria entsprechend meiner Aufgabe kennenzulernen: Dass sie nämlich meine Seele bilde nach ihrem Vollbild und dass ich dadurch ihre himmlischen Schätze, d. h. der Schätze ihres Wesens und Lebens innewerde.)

3608 |        Eigentlich kann man Maria nun, auf dem Weg über die Kenntnis der Eva einst gegebenen Gnadenschätze erkennen; denn in Eva war Maria am vollkommensten vorgebildet. Und man kann sich wiederum Maria geistig nur nähern, wenn man „zurückstrebt“ auf unser höchstes Ziel der Angleichung an die sittliche Vollkommenheit des Paradiesesmenschen, und damit irgendwie Anteil erhält an den verlorenen Schätzen des Paradieses.

3609 |        Maria offenbart also ihren Sohn durch und mit „ihrem Leben“, dass sie zu diesem Zweck in meiner Seele bereitet; damit wird zugleich „sie“, d. h. ihr Herz gezeigt.

 

08.09.1945

3610 |        Heute hatte ich die besondere Erkenntnis: Wie angenehm es dem Heiland ist, wenn man sich bei der heiligen Kommunion ganz auf Maria beruft, bzw. sich ihre Vollkommenheiten aneignet, um so „in Maria“ ihm wohlgefällig zu sein. Diese Voraussetzung „bringt ihm die größte Verherrlichung und Freude“, denn dadurch wird er gleichsam immer wieder an Mariens Heiligkeit erinnert und dadurch neu geehrt.

3611 |        Mein Weg geht über den Weg Mariens. Ihr zuständliches Hingeordnetsein auf Gott hat sie zur Würde der Gottesmutterschaft geführt und dies ist auch für mich der Weg zu meinem gottgegebenen Ziel. Die innere Führung leitet mich an: Das ganze Erleben Jesu geht über den Weg Mariens.

 

17.09.1945

3612 |        „Ich will von nun ab bei der Heiligen Familie wohnen und will auf jeden irdischen Familienanschluss verzichten“. — Gott allein weiß, was ich unter meinem beständigen Bedürfnis nach Familienanschluss gelitten habe. Aber nun sei gebrochen mit diesen inneren Kämpfen und den diesbezüglichen Enttäuschungen, denn in der Gemeinschaft mit der Heiligen Familie bekomme ich die „gleichen Rechte“ wie das Jesuskind. Maria ist meine Mutter; sie sorgt für meine inneren und äußeren Bedürfnisse; der heilige Josef ist der Behüter und Besorger meiner materiellen Bedürfnisse. In Jesus genieße ich das gleiche Kinderrecht bei Maria und Josef.

3613 |        Ich bin so glücklich, diesen inneren Kämpfen und äußeren Enttäuschungen für immer enthoben zu sein. Es ist eine abgemachte Sache: Ich gehöre für immer zur Heiligen Familie im kleinen Nazareth. — Nun habe ich endlich den „Familienanschluss“ bekommen, den ich so lange entbehrte!

 

23.09.1945

3614 |        Die zuständliche objektive Vereinigung mit Gott ist die Einbeziehung der gesamten menschlichen Existenz in das Leben Gottes bzw. in die Wirkkraft der sittlichen Vollkommenheiten Gottes. Dies ist das eigentliche Ziel, für das Gott den Menschen geschaffen und geformt hat, und dessen Erreichen er ihm dadurch möglich machte, dass er ihm zugleich mit der Erschaffung, den geschaffenen Gnadenzustand als geschenkte Gabe in das menschliche Sein hineinlegte.

3615 |        Die Vereinigung mit Gott ist erst dann voll und dauernd oder habituell möglich, wenn durch die volle Ausübung der sittlichen Vollkommenheit die ganze Existenz, d. h. alle Kräfte und Betätigungen des Menschen erfasst werden. Jeder andere Grad ist nur eine „teilweise Vereinigung“ und entbehrt jener Fülle, zu der uns Gott mit dem Ziel unserer Erschaffung berufen hat.

3616 |        So schnell diese Worte ausgesprochen sind und so leer sie scheinen, so ist doch das Erleben des Weges und Aufstieges, den sie andeuten, überaus inhaltsvoll und von geradezu unerschöpflichem Wert für die Zielrichtung unseres praktischen Lebens und Strebens. — Es wurde mir eine unaussprechliche Einfühlung in dieses Geheimnis gegeben, das auch die Grundlage und das Ziel meines Geistesweges ist. Viele Unterscheidungen und Abgrenzungen bleiben in diesem Geistesweg und Geistesziel aber mein persönliches, nicht mitteilbares Erleben. — Im Mittelpunkt dieses Einfühlens steht Maria, die in vorbildlicher Weise jenes hohe gottgegebene Ziel in sich bewahrte und verwirklichte.

3617 |        Die volle Vereinigung mit Gott muss eine „innere“ sein, d. h., sie muss aus dem inneren Wesen des Menschen selbst kommen. Zu dieser inneren, habituellen, menschlich-wesenhaften oder existenziellen Vereinigung gelangt man aber erst auf den höheren Stufen des geistlichen Lebens. Vorbedingung ist dazu – neben der gottgeschenkten Gnade – eine lang dauernde Übung der „Vereinigung mit Gott“ auf dem gewöhnlichen verstandesmäßigen Weg menschlicher Bemühung. Der gewöhnliche Christ im Stande der Gnade lebt oder soll leben in einem verstandesmäßigen Bemühen und Streben nach Vereinigung mit Gott, um in einen immer vollkommeneren persönlichen Kontakt mit Gott, in eine immer bewusstere Abhängigkeit von Gott zu kommen. Die Bemühung, der Gegenwart Gottes bewusst zu sein und den erkannten Willen Gottes möglichst treu zu erfüllen, lässt die Seele in einer gewissen, beständigen Nähe Gottes wandeln. – weit wirksamer als diese eigene Bemühung ist aber dabei die mit der Taufe geschenkte „Mitteilung Gottes“, durch die Gott gleichsam „sich der Seele schenkt“ und woraus die Seele die Kraft schöpft zu ihrer persönlichen diesbezüglichen Bemühung. (Die Gnade gibt das Licht des Wissens für die einzelnen Fragen und Fälle; dauerndes Wissen ist dann die „Weisheit“. Die Gnade gibt ferner die Kraft für die einzelnen Handlungen; dauernde Kraft ist dann die „Befähigung“).

3618 |        Die ins Sein der Seele hineingelegte gnadenvolle Mitteilung Gottes wächst in dem Maße und Grade, als der Mensch den Gegensatz gegenüber Gottes Heiligkeit überwindet, in den er infolge der Erbsünde und ihrer moralischen Folgen, gefallen ist. Dieser Gegensatz erstreckt sich in gewissem Sinne auf die ganze Existenz, d. h. auf alle Anlagen und Kräfte des Menschen, obwohl die Seele mittels der Taufe wiederum Gottes besonderes Eigentum geworden ist. Gott nimmt in der Taufe sozusagen den Kern der Seele in Besitz; die Arbeit am „Umkreis dieses Kernes“, d. h. an dessen fortschreitende Vereinigung mit Gott, bleibt der Seele selbst überlassen. Mit der Beschlagnahme des Kernes der Seele durch Gott ist aber die Möglichkeit und Verpflichtung gegeben, dass der Mensch die Übergabe seines Wesens an Gottes Mitteilung immer mehr erweitere und erhöhe. Je weiter und höher sich der gottverbundene Kern der Seele gleichsam ausbreitet, desto mehr und umfassender ist und wird die Seele in all ihren höheren Handlungen von Gott geführt. Und dies ist ja der Hauptzweck, den Gott mit seiner Mitteilung an die Seele hat: Dass er sich in den einzelnen Seelen wieder ein volles, unumschränktes Reich bilde und schaffe – was uns mit dem Sündenfall verloren ging, was uns aber durch die Erlöserverdienste Christi zum Teil wieder ermöglicht wurde. Die ganze Fülle der verloren gegangenen Paradiesesgnaden kann niemals mehr zurückerobert werden, aber es bleibt für den einzelnen Menschen die Pflicht, danach zu streben, dass er die sittliche Vollkommenheit im höchsten für ihn möglichen Grade wieder erwerbe.

3619 |        Je mehr und weiter sich die Mitteilung Gottes vom Kern der Seele gleichsam auf ihren Umkreis ausdehnen kann, in desto größerem Umfang nimmt Gott von der ganzen Existenz der Seele Besitz. Erst diese fortschreitende Besitzergreifung Gottes von ganzem Menschen — ausgehend von der ersten Besitzergreifung durch die Taufe — kann man „habituelle Vereinigung“ nennen. Sie wird durch die verstandesmäßige Bemühung und Übung der Seele immer mehr zu einer objektiven Vereinigung auch im Einzelnen, d. h., in den einzelnen Seelenkräften. Durch die ständige Übung und Bemühung der Kräfte wird gleichsam die nötige Elastizität erworben und einen Kraftvorrat aufgespeichert, wodurch die Überwindung des Gegensatzes, d. h. der Folgen der Erbsünde, ermöglicht wird.

3620 |        Eine beträchtliche sittliche Höhe bedeutet schon der Zustand, bei dem aus dem inneren Wesen des Menschen immer nur sittlich vollkommene Taten fließen, die Rückschlüsse erlauben auf einen schon in der Seele bestehenden habituellen Vollkommenheitszustand. Es ist dann, vergleichsweise gesagt, wie bei einer Quelle, aus der immer nur reines Wasser fließt, wenn der Grund der Quelle rein ist und das Wasser auch in seinem Laufe nicht verunreinigt wird. Dieser Quellgrund in der Seele ist Gott und seine Heiligkeit selbst, die sich dann in den verschiedenen Betätigungen der Seelenkräfte zum Ausdruck bringen kann.

3621 |        In Maria nun war die ganze und volle Existenz ihres Wesens schon vom ersten Augenblick ihres menschlichen Daseins an von den Auswirkungen der Heiligkeit Gottes erfüllt. Sie übte aus ihrem gotterfüllten Wesen heraus ständig die sich bemühende, verstandesmäßige Vereinigung mit Gott, wodurch ihre äußeren Werke sogleich in ihre habituelle, seinshafte Gottvereinigung einbezogen wurden. Hierin liegt der Unterschied zwischen unserem und Mariens Streben. Wir müssen einige, innere Widersprüche und Gegensätze überwinden, um es zum Ausgleich zwischen dem guten Wollen und den seelischen Mängeln zu bringen. Diese Art der Bemühung hatte Maria nicht nötig, weil sie ohne böse Begierlichkeit war. Sie hatte aber doch – wie auch wir – die äußeren Schwierigkeiten und Gegensätze gegen die Heiligkeit zu überwinden, die im Menschenleben unvermeidlich sind beim Umgang mit der Umgebung, Bei der Erfüllung der täglichen Pflichten und bei Versuchungen durch den bösen Feind. In Maria verlief dieser äußere Kampf in vollkommener Überwindung, parallel mit der inneren, seinshaften Einigung ihres gesamten Wesens mit Gott. Ihr ganzes Tun und Leben war ein volles Ausstrahlen der Heiligkeit ihrer Einigung mit Gott, ohne Trübung der Abschwächung durch den Einfluss der äußeren Schwierigkeiten. Auch bei ihr bestand an sich die Möglichkeit einer solchen Trübung (— Maria war nicht wesentlich unsündlich —), aber es ist ihr voller persönlicher Verdienst, dass sie die ihr geschenkte, seinshafte Heiligkeit und sittliche Fülle dauernd in all ihrem Tun und Handeln, trotz entgegengesetzter Möglichkeiten voll verwirklicht und ausgeübt hat. Sie hat die Fülle der Schenkung Gottes an ihre Seele bewahrt und hat sie mittels ihrer verstandesmäßigen Aktivität und Betätigung immer noch vermehrt. In diesem Sinne, d. h., durch ihre Ausnutzung der durch die göttliche Mitteilung in ihr grundgelegten Kräfte war ihre Vereinigung mit Gott eine ständig noch wachsende.

3622 |        Diese Gottvereinigung Mariens war aber auch eine zuständlich bewusste Vereinigung mit Gott, eine immerwährende, zuständliche und bewusste Hinordnung und Hinrichtung ihres Wesens auf Gott. Dies ist nun infolge des Sündenfalles genommen, und nur durch eine besondere Gnade wird uns Gott, oder Art und Grad unserer Gottvereinigung bewusst. Wohl kann sich der Mensch bei gutem und beharrlichem Streben eine ständige bewusste Abhängigkeit von Gott erwerben, sodass sich der Mensch in eine ständige Abhängigkeit von Gott stellt, und er alle seine Handlungen „bewusst“ aus der innerlich erworbenen Vereinigung mit Gott, fließen lässt; es bleibt aber dies eine „sich bemühende Übung“ der Vereinigung, während die bewusste Gottvereinigung in Maria mühelos war, immer noch mehr wachsend ihr ganzes Leben ergriff und damit zugleich zu einer innerlich habituell bewussten und zu einer auch äußerlich geübten Abhängigkeit und Vereinigung mit Gott wurde – was bei uns mit besonderer Gnade und nur in einem geringeren Grad möglich ist.

3623 |        So war Mariens Wesen und Leben ein beständiges „Eingetaucht-sein in Gott“. Ähnlich wie ein Badender das Wasser als seine Umgebung spürt und eine bestimmte Reaktion und ein verändertes Fühlen in seinem ganzen Körper erfährt, sodass sein Körper ganz auf das Wasser „hingerichtet“ ist, so war das „Eingetauchtsein in Gott“ für Maria ein bewusster geistiger Zustand, und so ähnlich kann der Mensch durch besondere Gnade Gottes auch das Durchlebt- und Geleitetwerden von Gott erfahren. Neben der vollen Reinheit ihrer Seele von der Erbsünde war dies die größte Gnade für Maria; denn dadurch wurde für sie das für uns notwendige „Suchen nach Gott“ überflüssig. – Anderseits soll es auch unser Streben sein, unser ganzes Tun und Wesen in eine durch Bemühung bewusste Abhängigkeit und Hinordnung auf Gott zu bringen; dies würde uns der mühelos bewussten Abhängigkeit Mariens von Gott am nächsten bringen, und in diesem Sinne könnten wir Maria ähnlich werden und ist sie uns höchstes, nachahmbares Vorbild und Beispiel für unseren Weg zu Gott. Es gibt keine Vollkommenheit in Maria, der wir uns nicht durch unsere bemühende Aktivität „nähern“ könnten, und so ist und soll Maria unser höchstes Vorbild im Streben nach Heiligkeit sein, gerade durch die Unerschöpflichkeit ihres gottgeschenkten Reichtums in Gott.

3624 |        Unser Streben hin zu Gott soll über Maria gehen; dies sollte uns etwas Selbstverständliches sein. – Warum will man zuweilen Mariens Innenleben als unerreichbar und unerfüllbar aus unserem inneren Leben und Streben ausschalten? Warum will man sich begnügen mit der Verehrung ihrer Heiligkeit, ohne dazu überzugehen, sich ihren seelischen Vorzügen nach Möglichkeit zuzuwenden und sie sich anzueignen? Wie sollte Christus nicht wollen, dass wir uns seine leibliche Mutter zum Vorbild nehmen, die er selbst seiner und der göttlichen Mutterschaft würdig machte? Es gibt keine höhere Einigung als die zwischen Mutter und Kind; und wenn der Sohn Gottes Maria für die Gnade der Einigung mit dem göttlichen Kinde bereitete und ausstattete, so wird auch Maria nach Kräften uns zu einem nachahmenden Leben für eine hohe Vereinigung mit Christus befähigen1622. Wollen wir Christus wohlgefällig sein, so können wir es wohl am besten, wenn wir seine heiligste Mutter nachahmen, um seiner würdig zu werden; denn damit folgen wir nur seiner göttlichen Tat, da er doch Maria zur höchsten Gottvereinigung der göttlichen Mutterschaft erwählte und befähigte. So kann also die Seele – der Tat und dem Beispiel Christi folgend – am besten auf dem Weg über Maria zur höchstmöglichen Vereinigung mit Gott gelangen.

3625 |        Vorbedingung zur Gottvereinigung ist aber immer die entsprechende Reinigung der Seele. Auch die Nacht des Geistes zum Beispiel (in mystischen Gnadenleben) ist nur ein Teil in der notwendigen Reinigung der Seele, die zum Zustand der „geistigen Vermählung“ führt. Diese „Nacht des Geistes“ ist gleichsam eine Bedeckung der Seele durch Gott, ein Schatten Gottes, der sich auf die Seele legt und der als Aktivität Gottes auf die Seele als passives Licht einwirkt, das aber auf diese den Eindruck des Schattens oder der Finsternis macht; denn nie ist Gottes Licht in größerem Maße tätig als dann, wenn es als „Schatten“ auf die Seele fällt.

3626 |        Die Nacht des Geistes steigert sich, je mehr die Seele vom Licht Gottes erfüllt wird und je mehr ihre Vereinigung mit Gott wächst; denn Gott zieht gleichsam eifersüchtig immer mehr die ganze Existenz, d. h. alle Kräfte des Menschen heran und stellt sie unter seinen „göttlichen Schatten“, um die Seele stets mehr und vollkommener mit sich erfüllen und für die objektive, existenzielle Vereinigung befähigen zu können. Diese „Arbeit Gottes an der Seele“ wird erst abgeschlossen, wenn die gesamte Existenz des Menschen in einen „objektiven Dienst“ gegenüber seinem göttlichen Wesen gestellt ist, ähnlich wie es im Paradies war, d. h., wenn die Einigung des Menschen mit Gott in harmonischer Weise vollzogen und vollendet ist.

3627 |        Mein ganzes Innenleben geht in die gleiche Richtung und meine großen inneren Leiden erklären sich dadurch, dass Gott gleichsam immer mehr meine ganze Existenz zu der von ihm gewollten besonderen Vereinigung heranzieht. Mein ganzes Wesen wird darum immer mehr von diesem reinigenden Lichte Gottes erfüllt, dass sich für mich als unaussprechlicher Schmerz auswirkt und dessen letztes Ergebnis und eigentliche Frucht und dessen übergeordneter Zweck die volle Befähigung meiner Existenz für das Erleben des Gottmenschen sein soll.

 

29.09.1945

3628 |        Der Herr formt und bereitet mich für die „wesentliche Ekstase“. Diese wird mir erklärt als ein Zustand, in dem die ganze Existenz meiner Seele zum höheren Erleben des rein Geistigen, Göttlichen herangezogen werden wird. Diese „wesentliche Ekstase“ ist verschieden von der „verstandesmäßigen Ekstase“ (– die Ausdrücke wurden mir innerlich gegeben –), bei der nur der Intellekt mittels der physischen Natur in das Erleben göttlicher Geheimnisse hineingezogen wird. Ich kann den Unterschied zwischen diesen beiden Ekstasen gut erkennen, aber diese Erkenntnis lässt sich nicht mit Worten aussprechen.

3629 |        Bei allen mystischen Zuständen vollzieht sich eine psychologische Veränderung durch die Einwirkung der göttlichen Gnade; denn die Seele selbst mit ihren natürlichen Kräften allein kann niemals göttliche Mitteilungen und Geheimnisse empfinden oder erfahren. – Das gesamte religiöse Leben ist an den Glauben an die göttlichen Geheimnisse gebunden und niemals kann ein Mensch von sich aus sich Gott in seinen Geheimnissen nähern, wenn nicht Gott selbst sich offenbart und zu erkennen gibt. Schon im Alten Bund war es immer Gott selbst, der sich den Propheten „gezeigt bzw. geoffenbart“ hat.

3630 |        Schon der Akt der Erschaffung des Menschen und das ganze Wesen des Menschen im reinen Zustand des Paradieses war eine gewisse Offenbarung des Wesens Gottes, das er in geschaffener Form im Menschen nachgebildet hat. So, wie Gott das gesetzgebende Wesen für das ganze Universum ist, so war der Mensch der Herr der sichtbaren Schöpfung, die er in gewissem Sinne regieren und sich Untertan machen sollte. Auch in seinem eigenen geistigen Bereich ist der Mensch mit seiner Fähigkeit der Selbstbeherrschung eine gewisse Offenbarung Gottes, d. h. der göttlich-wesentlichen Unabhängigkeit und Oberherrlichkeit [sic!]. Was ferner Gott kraft seines Wesens in göttlich-wesentlicher Weisheit und Allmacht vermag, das ist im Kleinen in den wunderbaren Anlagen und Energien des menschlichen Geistes nachgebildet: Die gesamte Kultur, mit der die Erde im Laufe der Zeiten ausgestattet wurde, ist das Werk und Ergebnis der schöpferischen Fähigkeiten und Geisteskraft des Menschen. – In weit höherem Maße aber als alle natürlichen Eigenschaften des Menschen sind seine geistig-religiösen Anlagen eine „Offenbarung Gottes“; denn durch diese Anlagen hat der Schöpfer den Menschen befähigt, Gott zu erkennen, zunächst, indem er sich im Glauben ihm unterwirft, dann auch, indem mittels der Gnade und mittels der eigenen menschlichen Fähigkeiten der Mensch Gott immer mehr als ein höchstes Gut erkennen und erfahren kann. Weil der Schöpfer ursprünglich die ganze Existenz des Menschen zu einem vollen Dienste Gott gegenüber bestimmt und geschaffen hat, darum ist auch das ganze Wesen des Menschen an sich „fähig für den Umgang mit Gott“. Das Abhandenkommen dieser „Volldienstfähigkeit“ des Menschen gegenüber Gott ist eine wesentliche Folge der Erbsünde. Durch diese wurde die einstige psychologische Ordnung und Harmonie „umgestoßen und gestürzt“, aber doch nicht „zerstört“; denn Gott hat in seiner Barmherzigkeit dem Menschen die Bestimmung gelassen, ihn einst im ewigen Leben schauen und genießen zu können.

3631 |        Was Gott dem Menschen durch den Glauben und mit dem gewöhnlichen übernatürlichen Licht erkennen lässt, das kann er die Seele auch (in mystischer Weise) schauen und erfahren lassen, wenn er sie dazu befähigen will und wenn die Seele diese passive Befähigung an sich vollziehen lässt. Zu diesem „schauenden Erkennen“ bedarf es in der jetzigen Ordnung ein bestimmtes Zusammenwirken zwischen Gott und der betreffenden Seele. Vonseiten Gottes ist diese Wegbereitschaft in entfernterer Weise schon seit und mit der Erschaffung des Menschen gegeben, in näherer Weise wiederum seit der Erlösung durch Christus. Ähnlich besteht im Menschen seit seiner Erschaffung eine gewisse Annäherungsfähigkeit an Gott, aber in der jetzigen Ordnung ist diese zunächst schon vor einer gewissen ersten göttlichen Berufung zum Glauben abhängig; denn ganze Völker wurden niemals in näherer Weise der hohen göttlichen Berufung zum Glaubensleben teilhaftig. Aber auch im Falle der näheren, persönlichen Berufung durch Gott hängt das Maß und die Art der Annäherungsfähigkeit an ihn auch vom eigenen Willen des einzelnen Menschen ab, wobei wiederum verschiedene Umstände und Verhältnisse, wie Abkunft, Erziehung usw. von großem Einfluss sein können.

3632 |        Damit aber die Seele über das gewöhnliche Glaubensleben hinaus zu einem persönlichen Schauen und Erfahren der Geheimnisse Gottes gelange, dazu braucht es außer jener allgemeinen Berufung zur Annäherung an Gott noch eine besondere Berufung vonseiten Gottes bzw. eine Eröffnung seines Wesens und seiner göttlichen Geheimnisse durch ihn selbst. — Diese spezielle Berufung der einzelnen Seele durch Gott hängt aber wiederum zusammen mit der persönlichen psychologischen Ordnung in der Seele selbst, jedoch nicht so, als ob die errungene psychologische Harmonie und Ordnung einer Seele eine unbedingte Befähigung für das persönliche außerordentliche Erkennen Gottes darstellen würde; denn vielfacher Art sind die Berufungen vonseiten Gottes und sie sind ein Geheimnis, für die wir keine Normen aufstellen können. Vieles Streben mit entsprechender seelischer Vorbedingung bringt „zahlreiche“ mystische Gnadengaben hervor, aber mystische Gnaden sind und bleiben immer ein freies Gnadengeschenk, auch wenn in einer Seele die entsprechende, sittliche Vollkommenheit, und psychologische Voraussetzung vorhanden ist.

3633 |        Die mit der psychologischen Ordnung in der Seele gegebene „Befähigung“ kann sich in verschiedener Weise – wie zum Beispiel in apostolischer Betätigung oder in kreativen und sozialen Werken – auswirken, und es ist nicht notwendig gegeben, dass Seelen mit allenfallsiger „Befähigung“ für mystische Gnaden diese auch tatsächlich verwirklichen und ausüben können. Gewiss geht das Erstreben des hohen Zieles möglichst vollkommener Gotteserkenntnis – einschließlich des mystischen Schauens und Erfahrens – vom Willen der einzelnen Seele aus, aber es braucht dazu außerdem noch eine besondere göttliche „Eröffnung“, damit solche Gnaden in der Seele sich auswirken. Wenn aber von einer Seele diese Befähigung erstrebt, und damit eine entsprechende Gnadenhöhe erreicht wird, so bleibt eine solche errungene Gnadenhöhe doch niemals „unwirksam“, auch wenn die betreffende Seele nicht zum mystischen Gotterfahren zugelassen wird. Das Ausschlaggebende für die Wirksamkeit Gottes in einer Seele ist immer die erstrebte und erreichte Ordnung und Gnadenhöhe. Auch die echten mystischen Gnaden bezwecken nach Gottes Absichten als letzte Auswirkung immer auch das Heil der Gesamtkirche und der Menschheit durch übernatürliche apostolische oder kreative Tätigkeit; denn Gott gibt keine Gnade ausschließlich „für die Seele allein“, sondern alle Gnaden werden von Gott mit dem Zweck gegeben, dass sie schließlich auch ausstrahlen und den Menschen, d. h. den Seelen und damit der Gesamtkirche dienen. Man soll und darf nicht meinen, die mystischen Gnadengaben seien zu einem rein persönlichen Endzweck gegeben; sie wirken sich vielmehr alle, wenn auch rein geistig und im verborgenen gegeben, zum Heil der Gemeinschaft der Seelen und der Kirche, bzw. der gesamten Menschheit aus; denn Gottes Wirken ist immer fruchtbar und er bleibt in seiner göttlichen Wirkkraft gewöhnlich nicht bei „einer Seele“ stehen, sondern zieht damit, wenn auch im Verborgenen, weitere Kreise. Diese Tatsache ableugnen oder abschwächen, hieße die göttliche Wirkkraft in den Seelen herabmindern und die Lehre von der Gemeinschaft der Heiligen gleichsam umstoßen [sic!] und auszuhöhlen. Alle Getauften sind durch die Erlösung gleichsam eine „apostolische Einheit“ geworden, sodass ein Getaufter infolge dieser „Gemeinschaft in Christus“ durch seinen seelischen Fortschritt geistig immer auch auf andere weiterwirkt. Wie das gute Beispiel nach außen, so wirkt auch die Vereinigung und Einheit mit Christus geistig fruchtbringend auf andere Seelen weiter. Eine erreichte wesentliche Vereinigung mit Gott bleibt niemals „fruchtlos“, und es ist auch die Pflicht der einzelnen Seelen die mit Gottes Gnaden errungene Vereinigung entsprechend anzuwenden, sei es durch verborgenes Beten und Opfern für andere, sei es durch apostolische Tätigkeit und karitative Werke. Im Grunde ist aber die Hauptsache immer die erreichte Gnadenhöhe der Vereinigung mit Gott; diese ist es, die fruchtbar wird, nicht so sehr die mystischen Gnaden des Schauens und Erlebens als solche in ihrer Bedeutung für die Einzelseele. Gewiss bringen mystische Gnaden zunächst Nutzen für die eigene Seele und offenbaren dort ihre erste Fruchtbarkeit, denn sie veranlassen und fördern eine immer noch höhere Vereinigung der Seele mit Gott durch die persönliche Liebeshingabe, die sie in der Seele hervorbringen. Wie aber in Gott immerwährend sozusagen eine zweifache „Tätigkeit“ und Fruchtbarkeit herrscht, nämlich einerseits die innergöttlichen „Bewegungen“ der immerwährenden Zeugung des Wortes und des immerwährenden Hervorgehens des Heiligen Geistes und damit die in göttlich-wesentlicher Einheit gegebene Selbst-Wirkung oder der göttliche Selbst- und Lebens-Genuss, und wie dann anderseits diese innere göttliche Fruchtbarkeit sich in äußeren Schöpfungswerken ergießt, so ähnlich erfasst auch im religiös-mystischen Gnadenleben die einzelne Seele zuerst die göttlichen Liebesfrüchte in sich als ihren persönlichen Gnadenbesitz, und mittels dieses Gnadenbesitzes werden dann ihre inneren und äußeren Taten und Werke fruchtbar, je nach dem Maße und Grade als sie – infolge der Gottvereinigung – von Gott getragen und durchlebt sind.

3634 |        In Anbetracht dieser Tatsachen ist es für das christliche, religiöse Leben wichtig und notwendig, die höchstmögliche Vereinigung mit Gott anzustreben; es ist auch lohnend, mystisches Erkennen Gottes anzustreben, bzw. die für solche Gnaden notwendige sittlich-psychologische Befähigung sich zu erwerben; denn ob nun Gott sich einer Seele in mystischer Weise „eröffnen will“ oder nicht, die letzten Früchte der erlangten Gottvereinigung werden immer die gleichen bleiben und werden sich entsprechend auswirken zum Heil der Gesamtkirche. Je reicher die Kirche an Seelen ist, die auch die „mystische“ Gottvereinigung – auf der Grundlage der wesentlichen Gottvereinigung – anstreben, desto mehr Gnaden werden auch zum Heil der Allgemeinheit und der Gemeinschaft der Kirche fließen; denn schon jenes ernste und hohe Streben bringt notwendig viel Gebet und Opfer und Liebeswerke mit sich, die Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit anderen, bedürftigen Seelen zugutekommen lassen kann und auch zukommen lässt.

3635 |        Es ist nur die Innerlichkeit in der Kirche oder das religiös-sittliche Streben nach Vereinigung mit Gott, was die Kirche auch nach außen wahrhaft groß macht und wodurch die „Werke Gottes“ in der Kirche getan werden, die zugleich der Ausdruck ihrer inneren geistigen Kraft und ihrer Entwicklungsfähigkeit sind. Gewiss haben auch rein soziale und karitative Werke an sich schon einen günstigen Einfluss auf die religiöse Entfaltung der Kirche, und auch rein menschlich-soziale Veranstaltungen können der Kirche viele Seelen neu zuführen, aber niemals kann durch jene äußeren Werke der Liebe und des Apostolats die tiefste, religiöse Grundlage und die göttliche Quelle übernatürlicher Fruchtbarkeit ersetzt werden, die in den mit sozialen und apostolischen Werken betrauten Personen aus ihrer persönlichen, erworbenen Vereinigung mit Gott entspringt. Die aus der Gottverbundenheit kommenden Werke sind immer die fruchtbarsten für die Seelen, auch wenn sie nach außen stiller und bescheidener auftreten. Je höher in der Kirche das zunächst verborgene, innere Streben nach Gott, nach Gottes Wohlgefallen und Besitz steht und je mehr dieses Streben blüht, desto mehr und fruchtbarer wird sich die Kirche auch nach außen entfalten infolge der göttlichen Wirkkraft, die dann in den einzelnen Seelen pulsiert und tätig ist. Die Gesamtkirche ist im Tiefsten nicht bloß eine nach außen sichtbare Gemeinschaft und eine Masse von Menschen, die ihr angehören, sondern sie ist vielmehr eine Summe von Einzelseelen, die ihre Wirkkraft von Gott erhalten, und zwar vermöge und nach dem Grade ihrer Einigung mit Christus dem Herrn. Nur dies macht im Grunde und auf die Dauer die Kirche auch nach außen stark und angesehen und fruchtbar, ebenso wie anderseits ein allenfallsiger äußerer Niedergang letztlich immer auf innere, geistig-religiöse Mängel und mangelhaftes Streben nach Innerlichkeit und Gottvereinigung zurückzuführen ist. Mittelmäßiges und laues religiöses Streben bringt im „äußeren Gewand der Kirche“ den Niedergang der guten Sitten hervor.

3636 |        Ein großer Mangel in der heutigen Zeit – so wird mir innerlich erklärt – ist die vielfache Zurücksetzung und Vernachlässigung des Strebens im Innenleben. Man baut und stützt sich zu viel auf äußere karitative und soziale Werke, die sicher auch sehr notwendig sind, die aber nicht selten zu sehr jener wichtigsten „göttlichen Grundlage“ entbehren und darum nicht recht fruchtbar werden für die einzelnen Seelen. Das äußere Gemeinschaftsleben – gleichsam die materielle Seite der Kirche – wird heute vielfach überbetont und zu einseitig hervorgehoben. Würden die karitativen und apostolischen Werke aus Herzen kommen, die mehr mit Gott erfüllt und vereinigt wären, so würden sie vielleicht nach außen weniger ansehnlich und angesehen, aber tatsächlich doch weit fruchtbarer sein, weil die größere innere Wärme und seelische Fruchtbarkeit der apostolisch-karitativen Seele wiederum mehr „auf die Seele“ der anderen wirkt.

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Das Jahr 1946

 

Grundlage ist M1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Januar

10.01.1946

3639 |        Der Krieg im Allgemeinen offenbart immer einen gewissen moralischen Tiefstand und eine traurige Verwirrung der Geister und steht an sich mit dem Geiste und Gesetz des Christentums und der christlichen Lehre im Widerspruch; das heißt: Würden alle Menschen ganz die christlichen Grundsätze beobachten und bewahren, so würde es niemals zum Krieg kommen; und wenn die Staatsoberhäupter alle ernst machen würden mit den durch das Christentum auferlegten Pflichten, nämlich das Leben und Gut ihrer Untertanen und die Rechte aller zu schützen, so könnte es niemals zum Kriege kommen. – Die Kirche als Vertreterin göttlichen Rechtes und christlicher Moral kann und soll daher niemals Anschauungen unterstützen, die Angriffskriege als erlaubt erklären.

3640 |        Jede Kriegshandlung bringt und bedeutet für den einzelnen Beteiligten einen gewissen Widerspruch mit den gottgegebenen Rechten eines freien Menschen, denn: 1. es wird dabei die gottgegebene und gottgewollte persönliche Freiheit des Menschen erschüttert und untergraben, insofern der Einzelne durch den Krieg zu Handlungen angeleitet und gezwungen wird, die dem göttlichen, d. h. gottgegebenen Recht zuwider sind; – 2. der einzelne Mensch trägt durch die Kriegshandlungen bei zur Störung des gottgewollten Gemeinschaftsfriedens unter den Völkern. Christus, das Haupt und der Erlöser der Menschheit, betrachtet nämlich die Völker als Brüdervölker, und sowohl der Einzelne, wie auch die Masse der Menschen nach seinem Willen das Recht haben, an dieser Christusgemeinschaft teilzunehmen. Diese Gemeinschaft der Völker wird aber durch Kriegshandlungen gefährdet oder beeinträchtigt.

3641 |        Wie kann aber der einzelne Mensch entbunden werden von der Verantwortung für diese Störung des Gemeinschaftsfriedens, der in den von Gott den Menschen gegebenen Rechten begründet ist?

3642 |        Christus als Haupt und Führer der Menschheit ist nicht nur das Bindeglied zwischen den einzelnen Menschen und Völkern; er ist auch der Schützer des Rechtes der einzelnen Staaten. Wenn der einzelne Staat mit den Rechten und Gesetzen Christi und des Christentums überhaupt in Einklang steht, so werden auch die verantwortlichen Häupter dieses Staates die Rechte jedes anderen Staates schützen sowie die eigenen Untertanen vor der Vergewaltigung durch Nachbarstaaten zu bewahren suchen. Der einzelne Staat, der getragen ist und sich leiten lässt von den Rechten und Geboten Gottes und der christlichen Moral, ist verpflichtet, bei Verteidigung seiner Rechte sich an die christlichen Grundsätze zu halten, die nicht auf Kriegshandlungen ausgehen.

3643 |        Wird aber ein Staat gezwungen, sich und seine gottgegebenen Rechte zu verteidigen, so kann er das für diese Verteidigung Notwendige von seinen Untertanen verlangen. Wenn jedoch ein Staatsoberhaupt – in einem nicht dem göttlichen Gesetz und dem Christentum entsprechenden Geiste – die Notwendigkeit oder Verpflichtung eines Angriffskrieges bestimmt, so kann der einzelne Untertan sich dem Gehorsam gegen den Staat nicht entziehen, selbst wenn der Einzelne recht und gottgemäß gesinnte Mensch damit zu Handlungen verpflichtet wird, die ihn nach menschlichem Recht „zum Verbrechen machen“. Der Einzelne wird eben in diesem Falle als Glied der Gemeinschaft zugleich zum Opfer der Gemeinschaft. Der Gemeinschaftsdienst steht als gottgegebenes Gesetz für den einzelnen Menschen unter göttlichem Schutz und ist für den Einzelnen eine persönliche, gottgewollte Pflicht; denn jeder Mensch hat sein persönliches Gewissen und seine persönlichen Beziehungen zu Gott. In diesem Sinne fallen auch bestimmte einzelne Kriegshandlungen unter die Entscheidung des persönlichen Gewissens eines Beteiligten, wenn nämlich die Umstände einen gewissen Spielraum für die Entscheidung seines freien Willens lassen. Im Allgemeinen entbindet aber Gott den einzelnen Menschen nicht vom Gemeinschaftsdienst, selbst wenn dieser mit moralisch an sich nicht zu rechtfertigenden Handlungen verbunden sein kann.

3644 |        Jeder Krieg ist in gewissem Sinne eine Veranschaulichung eines moralischen Tiefstandes und Niederganges von Völkern und der Grad dieses moralischen Niederganges wirkt sich entsprechend dem Kriege aus. Jeder Mensch und jedes Volk und jeder Staat hat bestimmte, von Gott gegebene und beschützte und vor Gott zu verantwortende Rechte. Wenn diese unveräußerlichen Rechte aus dem sittlichen Empfinden und Bewusstsein der Völker und der Staatsoberhäupter schwinden, so zeigt sich als Folge davon der Krieg mit der ihm eigenen Entrechtung der Völker und des Einzelnen. Da aber der Einzelne sich der obersten staatlichen Gesetzgebung nicht entziehen und erwehren kann, so wird er – im Dienste der Gemeinschaft und im Rahmen jener moralischen Entartung, die der Krieg zum Ausdruck bringt – zu Taten gezwungen, die an sich gegen gottgegebene menschliche Rechte verstoßen. Dadurch steht der einzelne Beteiligte im Allgemeinen außerhalb einer Gewissensschuld, behält aber die Pflicht, in den konkreten Einzelfällen, die ihm die Möglichkeit einer gewissen eigenen Entscheidung lassen, sich nach den christlichen moralischen Grundsätzen zu richten.

3645 |        Ein Krieg, der kein Erbarmen mehr mit den einzelnen Menschen kennt, wird zu einer, dem göttlichen Gesetz zuwiderlaufenden Ausartung. Wenn aber die ganze Richtung eines Krieges so gegen jedes gottgegebene menschliche Recht verstößt, so kann der einzelne Mitbeteiligte doch deshalb von der Verantwortlichkeit entbunden sein, weil er als Glied der Gemeinschaft sich gewissen Handlungen nicht entziehen kann, von deren Leistung oder Vollzug die Sicherung, und der Bestand seines persönlichen Lebens abhängt.

3646 |        Der totale Krieg ist wohl eine der traurigsten Erscheinungen unserer Zeit, weil er jedes Recht des Einzelnen vernichtet und alle Beteiligten zu unmoralischen Handlungen verpflichtet. – Als Christen und Katholiken müssen wir uns fragen: Wie ist es möglich, dass die Masse der Menschen eines solchen Krieges fähig wird?

3647 |        Die Tatsache, dass die „Gesetzmäßigkeit“ eines vorher nie da gewesenen totalen Krieges möglich wurde, lässt sich nur erklären als der Ausdruck eines moralischen Niederganges der Völker, bzw. vieler Einzelner, weil doch sonst eine Masse von hochstehenden und denkenden Menschen sich nicht für die Gesetzmäßigkeit eines „totalen Krieges“ hergeben und verwenden lassen würde. Die Befähigung für die Abwegigkeit eines totalen Krieges liegt letztlich in dem tief stehenden moralischen Empfinden sowohl der Staatsoberhäupter wie auch der Masse der einzelnen Beteiligten. Dadurch, dass die Menschheit zum großen Teil jedes göttliche und ebenso das gottgegebene menschliche Recht missachtet, wird sie fähig für die Führung und Hinnahme eines „totalen Krieges“. Die eigentliche Schuld liegt in dem Schwinden und Abgleiten des Sinnes und Empfindens für die göttlichen und die gottgegebenen menschlichen Rechte.

3648 |        Ein solches „göttliches“, d. h. gottgegebenes Recht ist für den Menschen die persönliche Freiheit, die ihm vom Schöpfer gegeben wurde, und ebenso das Recht auf seinen ehrlich erworbenen Besitz und auf alles, was sein Leben möglich, schön und angenehm macht. Jeder Mensch hat das Recht, sein im Einklang mit der christlichen Moral erworbenes Besitztum zu gebrauchen, zu genießen und sicherzustellen; denn jeder Mensch hat mit seiner Existenz von Gott zugleich das Recht zu allem zugesichert bekommen, was diese Existenz beinhaltet und verlangt. – In dieses gottgegebene Recht sind auch die nichtchristlichen Völker einbezogen, weil Gott alle Menschen geschaffen und für ein hohes Ziel bestimmt hat.

3649 |        Wenn das Empfinden für diese gottgegebenen Rechte weithin in den Herzen der Menschen geschwunden oder gelockert ist, so ist damit die nähere Möglichkeit für die Verwirklichung eines „totalen Krieges“ gegeben, weil nur in Anbetracht eines solchen moralischen Niederganges weitere Massen von Menschen, sittlich tief stehende Staatsoberhäupter in der Lage sind, einen totalen Krieg durch ihre Untertanen durchführen zu lassen.

3650 |        Was die technischen Errungenschaften an Kriegsmitteln bieten, wird von den kriegsführenden Parteien gegenseitig im Dienst eines tieferstehenden moralischen Empfindens benützt. Die heutige Technik des totalen Krieges braucht Menschen von großer Kühnheit, voll von waghalsigem Lebenseinsatz und auch von einer gewissen Grausamkeit, Eigenschaften, die dem Einzelnen gleichsam behilflich sind, um das Leben und Eigentum anderer in großem Ausmaß zu vernichten. Gewiss waren die Waffen der Vorzeit nicht weniger schmerzlich für die einzelnen Menschen, aber mit den jetzigen Waffen kann die Masse der Menschen, können ganze Völker der Vernichtung anheimgegeben werden. Die heutigen modernen Waffen verlangen zu ihrer Handhabung auch geistig entwickelte und hochstehende Menschen, aber gerade der intellektuell hochstehende Mensch setzt sich oft leichter über Gemütsempfindungen hinweg, zumal wenn er sich von moralisch unrichtigen und gottlosen Anschauungen und Ideen leiten lässt. So wird dann der ganze Mensch in den Dienst eines totalen Krieges gestellt, weil er in sich selbst dieser Ungeheuerlichkeit fähig ist und dafür erzogen wurde.

3651 |        Es gibt aber keine Organisation, die – wenn auch noch so gut gemeint und klug ausgedacht – die Gefahr eines totalen Krieges beseitigen könnte; denn kein Mensch kann „aus seiner Gemeinschaft heraus“. Jeder Mensch ist in gewissem Sinne den jeweiligen Strömungen seiner Zeit anheimgegeben, ja er wird in gewisser Hinsicht immer geneigt sein, diese zu bejahen, weil jeder Mensch sozusagen „ein Kind seiner Zeit“ ist. Mag jemand auch von ganz hohen moralischen Auffassungen beseelt sein, irgendwie trägt er doch die Spuren seines Zeitalters an sich und wird er dieses immer zu einem großen Teil bejahen müssen und bejahen, denn dieses Sein Zeitalter gibt ihm die Art seiner Existenz und Lebensmöglichkeit, die ihn gleichsam ins Blut geht, mit dem er lebt. So benützen z. B. alle heutigen Menschen die modernen technischen Errungenschaften, auch wenn sie sich verstandesmäßig viele Jahre lang dagegen gewehrt haben; denn diese Errungenschaften befähigen uns für diese Zeit und dienen unserem Leben in dieser Zeit. – Auch aus diesem Grunde wird jede noch so gut gemeinte und ausgedachte Organisation gegen den Krieg fehlschlagen; denn jeder Mensch atmet jene Luft ein, mit der er lebt und leben muss.

3652 |        Es gibt vielmehr nur ein Mittel gegen den Krieg und das ist die Rückkehr der Einzelnen und der Völker zur Beobachtung des göttlichen gottgegebenen Rechtes und zum Schutz des Rechtes der Nebenmenschen. – Wäre die große Masse eines Volkes gewillt, ganz nach christlichen Grundsätzen zu leben, so ließe es sich von keiner noch so hochklingenden, aber moralisch tief stehenden Bewegung vonseiten gewisser Volksführer irreleiten. Jede moderne Organisation, sei sie gut oder weniger gut, trägt notwendig etwas an sich, was den Bedürfnissen der Einzelnen und der Masse entspricht und gerade dadurch gewinnen sie ganze Massen und Völker. Das ist das Geheimnis des Erfolges von Bewegungen und Strömungen, die dem Christentum entgegengesetzt sind.

3653 |        Wenn sich die Geister derart verirren, wie es sich in unseren Zeiten zeigte, so sollten wir daraus vor allem die Tatsache der Fruchtbarkeit menschlicher, ungehemmter Leidenschaften bedenken lernen, durch die nämlich Vernunft und Wille wie zu Sklaven niedrigster moralischer Auffassungen werden. Ob es sich dabei um hoch- oder niedergestellte Menschen handelt: Keine Intelligenz oder Bildung sichert den Menschen vor moralisch niedrigen Handlungen.

3654 |        Gott greift nicht immer „gewaltsam“ in das Leben der Völker und der Einzelnen ein, – wenn er auch immer seine göttliche Herrschaftsgewalt behält – sondern er lässt weithin der Weltgeschichte ihren Lauf. Er lässt die sittlichen Verirrungen der Völker zu, weil diese genug Gnaden hatten zum entgegengesetzten moralischen Hochstand; er lässt die Völker sündigen „zu ihrer eigenen Strafe“. Wenn ein Mensch, der sich auf dem Weg des Bösen befindet, diesen Weg als gut bezeichnet, nachdem er sein besseres Gewissen gleichsam erstickt hat, so ist diese „Ruhe“ seines Gewissens die größte Strafe für ihn, weil er nämlich daran für immer zugrunde geht. So sind auch die Sünden der Völker zum Anlass der Strafe geworden, die diese damit über sich selbst verhängt haben.

3655 |        Gott bekehrt im Allgemeinen nicht „gewaltsam“ ein Volk oder die ganze Welt, sondern diese müssen sich selbst bekehren mithilfe und anhand der Mittel und Gnaden, die Gott in seiner Barmherzigkeit anbietet und darreicht. In diesem Sinne steht Gott „über“ und gleichsam „außer“ dem Weltgeschehen, weil es die Menschen sind, die – zum Missfallen Gottes – die Kriege führen und herbeiführen. Dabei kann aber Gott die Kriege und durch den Krieg noch mehr jeder einzelnen Seele seine Barmherzigkeit schenken, die vom Strome der Zeit mitgerissen und von ihren Schlagworten geblendet werden und nicht imstande sind, sich zu höheren Auffassungen zu erheben. So ist der Krieg zugleich eine Strafe Gottes und eine Zeit der Barmherzigkeit Gottes. Gott kommt es immer darauf an, die einzelnen Seelen zu retten, und dies kann er auch in und durch Zeiten des Krieges.

 

März

27.03.1946

3656 |        „Es kommt eine neue Zeitperiode für mein Leben“, nämlich die wesentliche Betätigungsart der Seele.

3657 |        Die göttliche wesentliche Betätigung „geht niemals aus dem Wesenskreis“, d. h. aus der Wesensart Gottes heraus. Gott erfasst alle Geschöpfe „in sich“; er „geht“ nicht von seinem Wesen „zu einem anderen Wesen“; denn:

1. gibt es kein Wesen über ihm und

2. alle geschaffenen Wesen „gehören ihm an“, sind in ihm enthalten und haben ihren Bestand „in ihm“.

3658 |        Der Mensch hingegen „geht von einem Wesen zum anderen“, geht von sich zu andern und dabei „durchbricht“ er gleichsam sein Wesen, „tritt er aus sich heraus“ und verursacht er „Einschnitte und Eindrücke“ in einem anderen Wesen, d. h. in einem anderen Menschen; er verursacht dort „Reaktionen“, die von seinem eigenen sittlichen Werte ausgehen und im anderen entsprechende Eindrücke hervorrufen und hinterlassen und die wiederum als Eindrücke und Reaktionen zu ihm selbst zurückkehren und von ihm aufgenommen werden. Es sind gleichsam „Aufspaltungen“, die sich aus dem gegenseitigen menschlichen Verkehr und Verhältnis zueinander ergeben und die beständige, sittlich-psychologische Veränderungen im Seelenleben des Menschen hervorrufen.

3659 |        Da aber unserem geschaffenen Wesen und Mensch-sein eine gewisse „Aufteilung“ oder eine Zusammensetzung von Möglichkeiten anhaftet, handelt es sich dabei immer nur um „Teil-Betätigungen und Teil-Veränderungen“. Im Menschen als geschaffenes Wesen herrscht immer das Grundprinzip der „Möglichkeiten“ der veränderlichen und verändernden Beziehungen, die von „Zufälligkeiten“ von Augenblicks-Ereignissen und Augenblicks-Stimmungen abhängen und die auch im anderen ähnliche „Teil-Produkte“ hervorbringen. Wir sind jeden Augenblick von „Produkten und Ergebnissen“ abhängig, die im Rahmen unserer veränderungsfähigen Natur erzeugt werden und die auch das bloße „Teil-Produkte“ bestehen können – was aber in sich ein gewisser Mangel ist.

3660 |        Nur eine vollkommene sittlich-psychologische Harmonie könnte im Menschen zu einer vollen und einheitlichen persönlichen Betätigungsweise führen, sowohl hinsichtlich der eigenen inneren Reaktionen wie auch im Verkehr mit anderen hinsichtlich der Art des persönlichen „Aus-sich-Herausgehens“, insofern nämlich dann das gesamte sittlich-psychologische Wesen dieses Menschen dauernd „gleichgestellt“ reagiert und sich mitbetätigt. Das wäre ein Zustand sittlich-psychologischer Vollkommenheit und Befestigung ohne die Unvollkommenheit bloßer „Teilprodukte und Teilbetätigungen“. – Die Eigenheit der Teilproduktionen haftet aber an sich unserem gefallenen Wesen an; wir können sie nur vermindern durch ständige Übung einer sittlich-psychologischen Konzentration, die unser ganzes Mensch-sein immer mehr zu einer harmonischen Einheit verbindet. Voraussetzung hierfür ist aber eine harmonische Ordnung und Kräfteverteilung, sowohl in den innerpersönlichen wie in den „ausströmenden“ Lebensbetätigungen, d. h. ein harmonischer Ausgleich der Kräfte im gesamten Mensch-sein. Die vom Schöpfer im Paradies gegebene harmonische Fülle und Verteilung der Kräfte ist aber durch die Sünde verloren gegangen und niemals wieder können wir jene volle Harmonie in den gesamten psychologischen Auswirkungen und Ausdehnungen zurückerobern; es wird sich bei uns immer nur um psychologische „Teilerfolge“ handeln. Der Mensch im Paradies aber war gerade in seiner harmonischen Art, reagieren und sich bewegen zu können, ein volles Ebenbild Gottes.

3661 |        Gott ist vollkommenste Einheit; sein Wesen ist ein Ganzes ohne Aufteilungsbetätigung und Aufteilungsfähigkeit. – „Fähigkeiten“ setzen immer eine „Befähigung“ voraus, d. h., eine Vorbereitung im engeren und weiteren Sinne, eine – wenn auch in einem Augenblick vollzogene – „Besinnung“ oder Überlegung, wie es z. B. beim Wissen oder bei dem schon wie in einer Naturanlage aufgespeicherten Wissen, bei der „Weisheit“, sich zeigt. Das Wissen und die „Weisheit“ müssen erst ausgewertet werden; es braucht einen Schritt und eine gewisse (wenn auch nicht messbare) „Zeitspanne“ vom Erkennen zur Ausführung, vom Vorhaben und Wollen zur Tat. Wären alle Geisteskräfte im Menschen in gleicher Weise interessiert und befähigt für die Ausführung einer sittlich guten Tat, so wäre ein harmonisches Verhältnis der Kräfte erworben, das annähernd dem des Paradieseszustandes ähnlich wäre.

3662 |        Diese Möglichkeit einer „wesentlichen Tat im Menschen“ kann als kleine Erläuterung und Hinführung dienen, um ein wenig näher zu kommen dem Geheimnis des göttlich-wesentlichen Tuns, des „actus purus“.

3663 |        Es wird in der Kirche zu einer „vertieften Art der Heilandsverehrung kommen, und zugleich zu einer Vereinfachung des christlichen Vollkommenheitsstrebens, dass konzentrisch hingeführt werden wird zum höchsten Ziel der Heiligung der einzelnen Seele“.

3664 |        Der Mensch „muss nicht“ sündigen. Wohl liegt es in unserer gefallenen verderbten Natur, „Sünder zu sein“ und „Sünder“ bleiben wir alle, weil wir als gefallene Geschöpfe in einem gewissen Widerspruch mit der Heiligkeit Gottes stehen; mittels der Erlösungsgnade ist es uns aber möglich und angeboten, die Sünde im Einzelnen und immer allgemeiner und vollständiger zu überwinden. Der heilige Paulus zielt in seinen Briefen hauptsächlich auf die Überwindung des „alten Menschen“ (Eph. 4,22 und Col. 3,9), um „unseren Herrn Jesus Christus anzuziehen“ (Römer 13,14; vgl. Gal. 3,27) und dies nicht nur in den äußeren Handlungen, sondern auch in der inneren Umkehr und Angleichung der eigenen Person, unseres persönlichen Wesens. Der heilige Paulus bekennt und spricht seine eigene Umkehr mit den Worten aus: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“. (Gal. 2,20)

3665 |        Das Priesterwerk ist eine apostolische Schar von Priestern, die es sich zur Aufgabe setzen, die christliche Lehre in sich selbst zur vollen, ausgeübten Tat werden zu lassen und diese praktische Verwirklichung der theoretischen Lehre beispielgebend zu „erklären“ und als möglich zu erweisen; mit anderen Worten: Sie sollen sowohl theoretisch erklären wie auch praktisch erweisen, dass es möglich ist, die Lehre von unserer überreichen Erlösung durch Christus entsprechend in die Tat umzusetzen.

 

April

16.04.1946

3666 |        Ich bin dem Geheimnis wieder viel näher gekommen: „Das gottmenschliche Bewusstsein ist wesentlich geistgebunden“, während unser gewöhnliches menschliches Bewusstsein vorwiegend materie-gebunden ist.

3667 |        Die göttliche Person Christi als wesenhaft geistiges Wesen bewahrte auch in ihrer Menschheit das vorherrschende Geistesprinzip im Bewusstseinsakt, während der Mensch in seinen Bewusstseinsakten in erster Linie das Materienhafte, Körperliche erlebt. Uns Menschen „steht der Geist fern“, d. h., wir empfinden und erleben ihn (bzw. unsere Seele) zunächst in seiner Zusammensetzung mit dem Leib in unserem Menschsein. Dabei ist das Erste und Vorherrschende das Bewusstwerden unseres körperlichen Lebens, während wir unseres Geistes (bzw. unserer Seele) nur durch die Ausübung unserer geistigen Fähigkeiten, also erst an zweiter Stelle uns bewusst werden. Unser „Lebensodem“ unsere Seele als unser geistiges Lebensprinzip bedient zuerst den Leib und von diesem beseelten, materiellen Leibesleben aus gelangen wir zum Bewusstsein des an sich höheren Teiles unseres Daseins, des „Geisteslebens“. Erst nachdem der Geist-Antrieb in uns schon geraume Zeit als unser unbewusstes „Lebensprinzip“ den physischen, materienhaften Umsatz unserer Kräfte geleitet hat, kommen wir durch die Betätigung unseres Intellekts zum bewusstseinsmäßigen Erfassen und Erfahren unseres Geistes. In den Wechselbeziehungen unseres leiblichen Daseins ist also der Weg des psychologischen Bewusstwerdens unseres Geistes entgegengesetzt jenem, der sich in der Psychologie des Gottmenschen vollzog.

3668 |        Als göttliches Wesen konnte Christus auch als Mensch das wesenhaft Geistige (als göttlich-wesentliche Eigenschaft) nicht ablegen. Diese göttlich-wesenhafte Geistigkeit blieb auch im Gottmenschen das Entscheidende und Bestimmende bei der Hin- und Einordnung seiner menschlichen Natur in das eine gottmenschliche Leben; d. h., das göttlich-wesentliche Geist-Sein Christi blieb das Erste und Beherrschende auch gegenüber seiner menschlichen Natur und deren geistig-leiblichen Funktionen.

3669 |        Dieses wesenhafte Geist-Prinzip machte seine physischen Lebensfunktionen in gewisser Hinsicht verschieden von unseren vorherrschend materiengebundenen Daseinsbedingungen. Wenn sie auch im Grundlegenden und Grundsätzlichen den unsrigen gleich blieben, so waren sie doch von der göttlich-wesenhaften Geistigkeit beherrscht, waren „geistgetragen“ und setzten darum auch in der menschlichen Natur Christi eine entsprechende Befähigung voraus für dieses „Beherrscht- und Getragensein vom wesenhaften Geist“. Die menschliche Natur Christi musste befähigt sein zu voller Anpassung und harmonischer Einfügung gegenüber dem allerhöchsten Geist-Leben der göttlichen Person des Wortes und hinsichtlich der Ausübung aller göttlich-wesentlichen, sittlichen Vollkommenheit. Aus diesem Geist-Komplex, d. h., aus diesem göttlich-wesentlichen Zentral-Punkt heraus ergaben sich die Bedingungen und Voraussetzungen, die für seine menschliche Natur notwendig waren, um die Einheit und Harmonie zwischen göttlicher und menschlicher Natur in dem einen gottmenschlichen Leben Christi zu ermöglichen.

3670 |        Die erste notwendige Voraussetzung hierfür bildete die entsprechende Befähigung der Seele Christi für die sittliche Vollkommenheit des göttlichen Wortes. Die Seele Christi musste fähig sein, die göttlich-wesentliche, sittliche Vollkommenheit wie „auf einer Ebene“ zu ertragen, mit zu betätigen und auszuüben. Was in der göttlichen Natur des Wortes höchste Heiligkeit und sittliche Spitze war, das musste sie Seele Jesu im Erdenleben des Gottmenschen entsprechend „tun“ und ausüben können. Tatsächlich besaß die Seele Jesu auch diese höchste Befähigung und deshalb wurde das Grundprinzip der göttlich-wesentlichen Geistigkeit und Vollkommenheit im Gottmenschen nie, auch nicht einen Augenblick, angetastet oder gestört.

3671 |        Das Leben Jesu blieb auf dieser Höhe des Geist-Beherrschtseins (durch die göttlich-wesenhafte Geistigkeit) trotz all seiner menschlich-natürlichen Lebensbedürfnisse und Lebensbedingungen. Obwohl Jesus wahrer Mensch war, gleich uns, war sein Leben doch vorherrschend „geistbedingt“, während unser gewöhnliches Leben vorwiegend „materiengebunden“ ist, d. h., bedingt durch die vorwiegende Tätigkeit des Leiblichen in uns. – Warum dieser bedeutende Unterschied, obwohl Christus im Grunde doch die gleichen Lebensbedingungen wie unser menschliches Dasein in Anspruch nahm und gebrauchte? In Christus wurde die menschliche Natur „genommen und gebraucht“, um göttliches, sittlich wesentliches Leben auszudrücken. Die göttliche Person war und blieb in sich ein „fertiges Wesen“, das die hauptsächlichen menschlichen Lebensbedingungen als substanzielle menschliche Lebensfähigkeiten annahm, um die göttliche Wesenhaftigkeit in menschlichen Lebensbedingungen auszuleben und auszudrücken.

3672 |        Bei einem Baum, z. B., dienen Wurzel und Stamm und Zweige und Blätter schließlich dazu, Blüten und Früchte hervorzubringen, und zwar Blüten und Früchte, die der besonderen Sorte des Baumes entsprechen. Die allgemeine Grundlage und Daseinsbedingungen des Baumes werden also genommen, um die besonderen Früchte zu zeitigen. Dabei beherrscht das Ziel der besonderen Frucht gleichsam die allgemeinen Elemente des Baumes, denn der Lauf und die Beschaffenheit der im Baum zirkulierenden Säfte wird bestimmt und geändert durch die besondere Beschaffenheit der Fruchtsorte. All die Elemente, Säfte und Kräfte, die der Hervorbringung der besonderen Früchte dienen, bilden gleichsam „substanzielle Anlagen“ des Baumes, um diese besondere Fruchtsorte zeitigen zu können.

3673 |        In ähnlicher Weise dienen unsere allgemeinen Lebensbedingungen dazu, unsere individuellen, persönlichen Eigenschaften und Werte zur Entfaltung und zum sichtbaren Ausdruck und Ausleben zu bringen. Wir sind freilich geneigt, die allgemeinen Grundlagen unseres Daseins als die Hauptsache anzusehen und zu bezeichnen und ihnen, der Bedeutung nach, die erste Stelle anzuweisen und darum das Endergebnis (der persönlichen Entfaltung und Besonderheit) nur an zweiter Stelle zu setzen; in Wahrheit ist aber doch das Endergebnis, nämlich die persönliche Frucht und Werthaftigkeit des Lebens das Wichtigste, dem die allgemeinen Grundbedingungen dienen. Die allgemeinen Grundbedingungen des Lebens sind Mittel und Ausdruck für das entscheidende und bestimmende Ziel der persönlichen Frucht des Lebens.

3674 |        In ähnlicher Weise hat die göttliche Person als wesentliches, beherrschendes „Grundprinzip“, als „Anfang und Ende“, die menschliche Natur Christi erfasst und sie mittels der Seele durchlebt und so das Endergebnis gezeigt, nämlich ein göttlich vollkommenes (gottmenschliches) Leben mittels und kraft der menschlichen Natur.

3675 |        Ich befinde mich in einem unaussprechlichen Erleben, nämlich im Nacherleben – und zwar als „Selbsterleben“ – jener Harmonie von Geist und Materie, wie sie im Gottmenschen als erste Verbindung seines gottmenschlichen Lebens bestanden hat: Vollkommen geistbeherrschte Materie, wobei das Geistige das erste und vorherrschende Lebenselement ist. – Welch großes, unfassbares Geheimnis verschleiert dieses Wort! Es enthält in Wahrheit einen Himmel voll Geheimnisse, die dem gewöhnlichen menschlichen Geiste verborgen sind.

3676 |        Nur Christus selbst kann – neben der besonderen Gnade – eine solche Befähigung zum Erleben dieses Geheimnisses herstellen, und zwar durch eine unsagbar schmerzliche, passive „Aszese“ und Umwandlung, wie sie nur seine frühere Gnade in der Seele anzuwenden vermag, aber dem erdhaft gesinnten Menschen verborgen und unbegreiflich bleibt. Durch eine Reinigung von Geist und Materie wie durch ein göttliches Feuer wird dabei die „Geistesbeherrschtheit“ in der Seele vorwiegend und hervortretend und wie zur Hauptsache gemacht; – denn der (göttliche) Geist kann nur vom Geiste erfasst und erfahren werden.

3677 |        Über diese letzten Vorgänge in meinem Innenleben – die sich dort vor allem in den letzten Wochen abspielten – kann ich keine weitere Erklärung geben; denn hier versagt die menschliche Ausdrucksfähigkeit. Der Weg geht aber immer in der gleichen Richtung: der Weinstock wird beschnitten, um alle Säfte der Frucht zuzuleiten; denn die vollkommene Frucht ist das beherrschende und entscheidende Ziel; die vollkommene Frucht ist alles.

 

Mai

14.05.1946

3678 |        Durch die unbeschreiblichen Leiden der letzten Zeit bin ich wieder tiefer in das Erleben der Hauptgrundlage der Psychologie Christi eingeführt worden, die immer mehr wie zu meinem „Selbsterleben“ werden.

3679 |        Die „Logik“ des menschlichen Lebens als „Leiden“ für den Gottmenschen. Was wir Schmerz nennen, ist im Grunde nichts anderes als die „Logik des Empfindens“ gegenüber Einwirkungen, die dem Zustand der Lust oder des Glücksgefühls oder der Befriedigung unserer Existenz entgegengesetzt sind. Gottes Wesen ist höchste göttliche Befriedigung und Glückseligkeit seiner Existenz. Sein Wesen ist reinste Logik, der Lust und Glückseligkeit, ohne die Möglichkeit einer Trübung dieser Lust und Glückseligkeit und ohne „Leidensfähigkeit“. Sein Dasein ist wesentliche Lust-Existenz.

3680 |        Mit der Menschwerdung nahm aber die zweite göttliche Person auf sich die Logik oder die Folgen des Erlebens der Gesetze der leidensfähigen, gefallenen Menschennatur und damit die Logik des Empfindens der Leidensfähigkeit und des Leidens. Die göttliche Person erlebte die wunderbare Einheit der menschlichen Natur in ihrer Zusammensetzung aus Leib und Seele; sie erlebte aber auch die beiderseitigen Auswirkungen von Leib und Seele und den logischen Widerspruch dieser Auswirkungen gegenüber der göttlich-wesentlichen, unveränderlichen Eigenschaft der Lust-Existenz der göttlichen Natur.

3681 |        Grundvoraussetzung für die gottmenschliche Existenz war die Einigung der göttlichen und der menschlichen Natur durch die eine göttliche Person, und diese Einigung – also das Gott-Mensch-sein selbst – war an sich „schmerzlos“, d. h., ohne Logik eines empfundenen Widerspruchs. Die göttliche Liebe vollzog diese Einigung im Akte der Menschwerdung selbst: Die göttliche Person „stieg herab“ und nahm an die menschliche Natur mit allen Folgen der Bedürfnisse dieser Natur und jeder Abhängigkeit von der Umgebung, in die sie hineingestellt ist. – Ein Schwanken oder ein Mangel in der Befähigung dieser menschlichen Natur gegenüber den Anforderungen der göttlichen Natur wäre sittliche Schwäche oder sittliche Minderwertigkeit gewesen; denn: Etwas „nicht können“, was mit Recht gefordert wird, ist sittliche Schwäche. Die menschliche Natur Christi musste darum alles „können“ und „konnte“ tatsächlich alles, was die göttliche Person von ihr „wollte“, und wozu sie ihr „Mittun“ verlangte.

3682 |        Es waren jedoch im Gottmenschen vorhanden Schwankungen und Veränderungen des „logischen Empfindens“, die aber nicht „sittliche Schwächen“ genannt werden können, sondern notwendig der menschlichen Natur im gefallenen Zustand anhaften. Auch in Gottes Wesen findet sich das, was wir „logisches Empfinden“ gegenüber seiner göttlich wesentlichen Existenz nennen können. Gott ist, z. B., nicht „zufällig“, sondern lebendige Wirklichkeit und Notwendigkeit und Ewigkeit und in ihm ist das „logische Empfinden“ dieses seines göttlichen Wesens hinsichtlich all seiner göttlichen Eigenschaften. Die göttliche Person des Wortes konnte auch in der Menschwerdung das „logische Empfinden“ ihres göttlichen Wesens und ihrer göttlichen Existenz nicht ablegen, denn Gott ist höchst vollkommene Wesens-Existenz aus sich selbst. – (Etwas anders ist es mit der menschlichen, geschaffenen Ausstattung der gottmenschlichen Existenz.) – die göttliche Person konnte darum auch die göttlich logische „Lust-Empfindung“ nicht ablegen; sonst hätte sie aufgehört, Gott, d. h. höchst vollkommenes bewusstes Wesen zu sein. Aber dieser göttlichen Lustempfindung-Logik wurde mit der Menschwerdung gegenübergestellt die Logik des Erlebens des Menschseins.

3683 |        Die göttlichen Eigenschaften haben sich niemals mit der Menschheit „vermischt“, sondern es herrschte zwischen dem beiden Naturen in Christus die „Logik des gegenseitigen Empfindens“. Dieses Grundgesetz der „Logik des gegenseitigen Empfindens“ der beiden Naturen im Gottmenschen bildete die Grundlage seines gottmenschlichen Gemütslebens. In und kraft der menschlichen Natur und mittels des Lebens der Seele erfuhr jede göttliche Eigenschaft und Vollkommenheit in Christus gleichsam eine menschlich-organisch gelebte „Gegenüberstellung“ und eine geistig-leibliche Empfindung, entsprechend der gottgeschaffenen Eigenheit der menschlichen Empfindungsfähigkeit. Weil aber die göttliche Person die Trägerin dieser menschlichen Natur war, so war sie mit ihrer wesentlichen göttlichen Lust-Logik zugleich auch die Empfinderin der Leid-Logik der leidensfähigen und leidgeborenen menschlichen Natur. Die göttliche Lust-Logik überantwortete sich durch den Akt der Menschwerdung den Gesetzen der leidensfähigen menschlichen Natur mit all den Auswirkungen, die der göttlich-wesentlichen Lust-Logik entgegengesetzt sind; denn die göttliche Person hat sich den Gesetzen der menschlichen Natur überantwortet, um als Gott das menschliche Leben auf sich zu nehmen und es in allen Bezirken des menschlichen Daseins zu erfüllen, zu verwirklichen, auszuleben und es zu erfahren. Sie überantwortete sich allen Kraftanspannungen, welche die Erfüllung eines menschlichen Lebens erfordert und welche sie mittels der menschlichen Natur „erzeugte“. „Leben“ heißt ja: Die Lebensgesetze erfüllen, die zur Verwirklichung und zum Bestand dieses Lebens notwendig sind. Jede Art des Lebens hat aber ihre besondere Lebensgesetze und ihre besonderen Lebensbedingungen. Nur Gottes „Leben“ ist bedingungslos, d. h., „aus sich selbst“.

3684 |        Die Gesetze und Bedingungen eines Lebens werden bedingt und bestimmt durch den Zweck und das Ziel dieser Lebensexistenz, wodurch auch die entsprechenden Kräfte zur Ermöglichung und Verwirklichung dieser Existenz angefordert werden. Diese Anforderung der entsprechenden Kräfte und Daseinsbedingungen wird zum Lebensgesetz für das betreffende Wesen. – Beim Erlöser nun war das Ziel und der Zweck des Lebens: die Existenz der göttlichen Person „als Mensch“. Damit jedoch die göttliche Person „als Mensch“, d. h., nach menschlichen Lebensgesetzen und Daseinsbedingungen existieren konnte, war ein besonderes „menschliches Lebensgesetz“ erforderlich, nämlich ein menschliches Lebensgesetz, das zugleich den göttlich-wesentlichen und unveränderlichen Eigenschaften der göttlichen Natur entsprach und Rechnung trug. Infolge der göttlich-wesentlichen Eigenschaften des „actus purus“ bedurfte auch die menschliche Natur Christi einen anderen Umsatz und Kreislauf der psychologischen Kräfte als dies bei gewöhnlichen, menschlichen Personen der Fall ist.

3685 |        Mit dem Akt der Menschwerdung nahm die göttliche Person die „Bedingungen der menschlichen Seele“ auf sich, denn die Seele (– die zugleich das Leben des Leibes bedeutet –) ist die erste Voraussetzung für das Dasein eines menschlichen Lebens. Auch im Gottmenschen war die Seele der physische Lebensantrieb, und die Gottheit hat sich diesen Lebensbedingungen der Seele überantwortet und sich davon „abhängig gemacht“. – Die Existenz des Gottmenschen „hing also ab“ von den Lebensbedingungen der Seele. Anderseits war aber auch die Seele Jesu der göttlichen Existenz überantwortet und musste als menschliches „Lebensprinzip“ dem göttlichen Wesen dienstbar und darum für diesen Dienst angepasst und befähigt sein. Mit anderen Worten: Die Seele Jesu musste so ausgestattet sein, dass sie dem göttlichen Erlöser als menschliches Lebensprinzip und Hauptwerkzeug der Erlösung dienen konnte. Dieses Lebensprinzip, das auch den logischen Auswirkungen des göttlichen Lebensgesetzes gegenüberstehen und dienen sollte, musste auch auf den ihr untergeordneten und dienenden Leib eine Funktionsart ausüben, die es ihr erlaubte, die göttlichen Lebensgesetze und „Lebensbedingungen“ der Person des Gottmenschen zu erfüllen. – Somit war die göttliche Person in einem gewissen Sinne auf den menschlichen Leib angewiesen, der – als notwendige physische Stütze der menschlichen Seele – ihr die leiblichen Lebenskräfte liefern musste, ohne die ein wirkliches Menschenleben nicht zustande kommt. Anderseits musste aber auch der Leib Christi in der Art und Vollkommenheit seiner Betätigung den unabänderlichen göttlichen Forderungen oder „Bedingungen“ genügen können; denn die göttlichen Eigenschaften mussten im gottmenschlichen Leben Jesu mittels der menschlichen Natur auch physisch betätigt werden.

3686 |        Der Leib ist der Diener der Seele und zugleich der Begründer ihres natürlichen Daseins, denn das „Leben“ der Seele wird erhalten durch und ermöglicht durch die Funktionen des Leibes. Die Wechselbeziehungen zwischen Seele und Leib sind gegenseitig sich ergänzende Beziehungen, die Kraft der Person und gemäß der Art der Person vollzogen werden. Diese wechselseitigen sich ergänzenden Beziehungen unter der Oberherrschaft und in der Kraft der Person sind nach Gottes weisem Schöpferplan und nächst dem Leben Gottes das „höchste Kunst-Spiel des Lebens“ (in ihrer Art wunderbarer als das rein geistige Leben der Engel); durch diese wundervollen Wechselbeziehungen werden die Lebensbedingungen einer „Person“ erfüllt und wird ihr Bestand ermöglicht. Die Person bildet den ersten Antrieb und die tiefste Wurzel eines Menschenlebens, denn sie ist dessen Ziel; und doch haben anderseits auch alle äußeren Einflüsse Anteil an der Heranbildung diese Person.

3687 |        Auch in Christus war – nicht die Heranbildung, aber – das „Ausleben“ und die menschliche Betätigung der göttlichen Person angewiesen auf die Ergänzung vonseiten der menschlichen Natur, den diese „Ergänzungen“ waren notwendig, um der göttlichen Person zum vollen Ausmaß ihres gewollten gottmenschlichen Lebenszustandes zu verhelfen. Diese „Ergänzungen“ sollten aber in Christus geformt werden zu einem Leben im Einklang und gemäß den unveränderlichen göttlichen Gesetzen – (also nicht wie bei den „Zufälligkeiten“ unseres gewöhnlichen Menschenlebens) –, und diese göttlich-wesentliche Unveränderlichkeit machte in Christus eine andere, von der unseren in gewisser Hinsicht verschiedenen Funktionsweise der seelisch-leiblichen Akte und Beziehungen notwendig, nämlich das „substanzielle Empfindungsleben“.

3688 |        Aus Maria wurde das heilige Gefäß des Leibes Christi genommen und ihre seelischen, auch auf den Leib sich auswirkenden Voraussetzungen und Vollkommenheiten boten der gottgeschaffenen Seele Jesu nach dem gottgegebenen Gesetz der Vererbung die Feinheit, Biegsamkeit und besondere Vollkommenheit der physischen Kräfte und Anlagen, die eine – gegenüber der unseren veränderte und der göttlichen Wesensart angepasste – besondere Funktionsart der psychophysischen Beziehungen in Christus ermöglichten. Es gibt ja nicht nur eine Vererbung psychischer Eigenschaften, sondern auch eine Übertragung bestimmter physischer Kräfte und Anlagen, die ein mehr oder weniger wertvolles oder minderwertiges Menschenleben mitbestimmen (– wie wir das schon im Tier- und Pflanzenleben beobachten können –). So wirkte und lebte die Art und Vollkommenheit der leiblichen Kräfte Mariens in Jesus als ihrem wahren Sohne weiter. Maria war das Edelreis, aus dem die Rose erblühen sollte und konnte. Sie war das Weizenkorn, in das im Augenblick der Menschwerdung der göttliche Keim der göttlichen Person gelegt wurde; und dieses Weizenkorn hatte die Befähigung, die göttliche Frucht wachsen und reifen zu lassen. Es war das Fleisch und Blut Mariens, das im Gottmenschen Christus göttliche Funktionen mit vollzog.

3689 |        Es waren keine wesentlichen Veränderungen der göttlichen Person in Christus möglich, aber es vollzogen sich doch ständige, unwesentliche Veränderungen; denn Christi Gottmenschentum war nicht ein starres Dasein, sondern im Gegenteil das regste, geistig bewegungsfähigste Leben. Es war ja von den wunderbaren, göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten getragen, die in jenem Leben zum menschlichen Ausdruck gebracht wurden. So herrschte in Christus bei und neben der wesentlichen Unveränderlichkeit doch die ganze Lebensfülle und Mannigfaltigkeit einer göttlichen Natur, die sich der menschlichen Natur wie einer natürlichen Eingangspforte und eines menschlichen Ausdrucksmittels bediente. Gottes wesenhafte Unbeweglichkeit braucht keinen Akt (im menschlichen Sinn) zu veranlassen, sondern vollzieht alles mühelos mit seinem bloßen Willen. Als Mensch aber war Jesus auf das Sinnenleben angewiesen und musste er alle physischen Organe als Werkzeuge und Anlässe zur Ausführung seines göttlichen Willens gebrauchen. Um wahrer Mensch zu sein, war Christus auch auf die äußeren Einflüsse angewiesen. Diese äußeren Einflüsse beeindruckten seine Seele in menschlicher Weise, wie es bei uns der Fall ist und sie bewirkten in ihm ein Seelenleben nach der Art des unseren. Diese Befähigung Christi für die menschliche Aufnahme äußerer Eindrücke machte ihn zu einem wahren, fühlenden Menschen Kraft der Sinneswerkzeuge seines Leibes.

3690 |        Ich erlebte „das menschliche Erfahrungsleben Jesu“. – Die von außen aufgenommenen Eindrücke waren in Jesu keine „toten“ Eindrücke, die etwa seine göttliche Person nicht berührt hätten, sondern sie beeindruckten vielmehr die göttliche Person so stark, dass diese darauf „reagierte“, d. h., sich zu einer Beantwortung dieser Eindrücke herabließ. Ja, als wahrer Mensch ließ sich Christus – unbeschadet seiner göttlichen „Unbeweglichkeit“ – von jenen äußeren Eindrücken „bewegen“ und machte sich sozusagen „abhängig“ von ihnen. Jene von außen kommenden Eindrücke riefen unwesentliche Veränderungen in ihm hervor. Auf diese Weise war Christus auch als Gott von äußeren Umständen und Einflüssen „abhängig“, denn er hat sich unter das Gesetz seines menschlichen Erfahrungslebens gestellt, und dieses, sein menschliches Erfahrungsleben hat ständige, wenn auch unwesentliche „Veränderungen“ seiner göttlichen Person hervorgerufen.

3691 |        Dieses menschliche Erfahrungsleben Christi war ein Zweifaches: ein unmittelbares und ein mittelbares. – Unmittelbar erfuhr er das physische Leben seines Leibes. Mit dem Erfahren seines leiblichen Lebens waren auch die angedeuteten Erlebnisse seiner Seele verbunden, denn wahres „Selbsterleben“ (auch bezüglich des Leibes) wird immer mittels der Seele hervorgebracht und wird zu einem Erlebnis der Seele, die ja Voraussetzung ist für die Funktionen des Leibes. – Mittelbar war jenes Erfahrungsleben in Christus, das durch die Sinnesorgane auf seine göttliche Person einwirkte und vermittels dessen er seine Umgebung, die Menschen und die Ereignisse „erfuhr“.

3692 |        Außerdem traten aber in das „Erfahrungsleben“ Jesu auch göttliche Eigenschaften und Vollkommenheiten, die infolge des gottmenschlichen Bewusstseins und mittels der Kräfte seiner menschlichen Natur seelisch-physisch empfunden und zu „menschlichen Erlebnissen“ wurden. Dieses „menschliche Erleben“ göttlich-wesentlicher Eigenschaften ließ den Gottmenschen Göttliches als menschlichen Genuss erfahren und erleben – was er als Gott in rein geistigem Zustande nicht hatte. So erfreute sich Christus seiner göttlichen Vollkommenheiten auch in der Form eines gott-menschlichen, erhabensten „Genusslebens“. (Man muss immer der Unendlichkeit des göttlichen Wesens Rechnung tragen. Auch als „Mensch“ konnte Jesus das „göttliche Genussleben“ im Wesentlichen nicht ablegen, und so hat er auch als Mensch seine Gottheit in menschlicher Weise genossen und sich ihrer „erfreut“).

3693 |        Um diese unmittelbaren „Selbsterlebnisse“ in göttlicher gelebter und zugleich in menschlicher Weise hervorbringen zu können, diente dem Heiland das menschliche Sinnenleben. Dieses ist ja befähigt, neben den physischen Selbsterlebnissen auch rein geistige Werte in gefühlsmäßiger oder gefühlsähnlicher Form einer Person als „Genuss“ nahezubringen und zu bieten.

3694 |        Wenn Gott im göttlichen Bewusstsein sich seiner göttlichen Werte und Vollkommenheiten bewusst ist und wenn ihm dies zu göttlichem Selbst- und Lust-Bewusstsein wird, so diente anderseits das Sinnenleben der menschlichen Natur dem Gottmenschen als Mittel eines gott-menschlichen Selbsterlebens. Dass ein solches (gottmenschliches Selbsterleben) möglich war, lag begründet in der schier unbegrenzten Vielheit und Mannigfaltigkeit der Anlagen und Betätigungen des menschlichen Empfindungslebens. Diese Vielheit der Anlagen verhalf dazu, dass die göttlichen Vollkommenheiten in menschlicher Weise dem Heiland bewusst und menschlich von ihm erlebt werden konnten.

 

Juni

05.06.1946

3695 |        Der grobsinnliche Mensch lebt ein weitverzweigtes Empfindungsleben infolge der Vielheit seines Begehrens und seiner Ansprüche sowohl in materieller wie in geistiger Hinsicht. Durch den Sündenfall ist die Einfachheit der menschlichen Lebensform verloren gegangen. Die Einfachheit und Schlichtheit des Geistes im Paradiesesmenschen ist der Vielheit von Begehrungen und Ansprüchen und Begierden gewichen und infolge dieser psychologischen Zersplitterung des Geistes ist das Begehren und das Befriedigungsstreben des Menschen fast ins Grenzenlose gestiegen. Vor der Sünde war Gott selbst das in einem zuständlichen Streben gesuchte und immer mehr erreichte Ziel; weil nun der Mensch dieses ihm vom Schöpfer gesetzte Ziel verfehlt hatte, verlor er sich in sich selbst und suchte seine Befriedigung in seinem eigenen Wesen, das sich ihm wie ein gieriger, unersättlicher Abgrund auftat. Vor der Sünde besaß der Mensch die Ruhe des Geistes und auch ein volles Genügen des Leibes im Frieden und im irgendwie schon erreichten Ziele des Geistes in Gott; an die Stelle dieser inneren Ruhe trat nach der Sünde im Wesen des Menschen ein unersättliches Suchen und Hungern, Zusammenraffen und Streben nach den verschiedensten Götzen seines Lebens.

3696 |        Diese Vielheit des Begehrens und Strebens erzeugt im Menschen eine entsprechende Vielheit von Empfindungen und Gefühlen, seien sie nun anziehender oder erfreuender Art oder von abwehrender und abstoßender Wirkung. So lebt der Mensch des gefallenen Zustandes gleichsam in einem Chaos seines eigenen Wesens. Das wird auch dem Menschen mit gutem Wollen nicht erspart, denn es ist nun einmal das harte Los der gefallenen Menschheit, dass jeder Einzelne sein hohes Ziel mühsam suchen und erringen und sich den Weg zu seiner Rechtfertigung und Vollendung bahnen muss, durch viele Wirrnisse und Irrwege hindurch, denen er zuständlich anheimgegeben ist. Dieses beständige Suchen und Streben erlebt der Mensch in Enttäuschung oder Zufriedenheit, in Freude oder Schmerz. Zudem ist der Mensch auch mannigfachen Störungen seiner Gesundheit ausgesetzt, die ihm oft bitterste, innere Spannungen verursachen. Es vergeht fast kein Augenblick, ohne dass der Mensch sich drängenden Lebensforderungen gegenüber sieht, sei es in sich selbst, sei es im Hinblick auf die Umgebung und die Mitmenschen. Diese vielfachen Anforderungen erzeugen ständige Rückwirkungen und Erlebnisse im Menschen, die sein Gesamtwesen durchziehen und denen er dadurch gerecht werden soll, dass er alles, auf ein bestimmtes klar festgelegtes Ziel hinordnet und hinleitet, dem er selbst zustrebt.

3697 |        Jeder Mensch soll sich selbst ein festes, moralisches Ziel stellen, auf das er sein gesamtes Leben und Streben hinrichtet. Auf diese Zielrichtung muss er sich selbst immer wieder hinführen, wenn er auch noch so oft auf Abwege gezogen wird. So soll sich jeder Mensch sein moralisches, ihn persönlich zusagendes Lebensprinzip und Lebensfundament suchen und formen, das seinen persönlichen Anlagen entspricht und indem er eine gewisse Befriedigung des Geistes findet. Diese von ihm selbst gesuchte und gefundene Zielrichtung des Lebens wird vor allem sein Intelligenzleben beherrschen und die Intelligenzkräfte einbeziehen und heranziehen. Diese stehen ja im Mittelpunkt des menschlichen Suchens, Strebens und Findens.

3698 |        Die Heranziehung der Intelligenzkräfte zu Formung des persönlichen Lebenszieles ist eine beständige „Arbeit der Personkraft“ (oder des Personkerns) im Menschen, welche die hervorragendste der Intelligenzkräfte und zugleich die entschiedene Antriebskraft im Menschen ist. Die übrigen Intelligenzkräfte kreisen gleichsam um die Personkraft und stehen in deren Dienst. Sie formen die „Person“ und deren Eigenheiten; sie sind „Hilfsmittel“ der Person und umgeben diese mit Ideen, deren Annahme oder Abweisung in der Entscheidung der Person liegt.

3699 |        Man kann bei den Intelligenzkräften unterscheiden zwischen ausführenden und stützenden Intelligenzkräften, die sich beide ergänzen und dem gleichen letzten Zweck dienen, obwohl es nicht ganz die gleichen Kräfte sind.

 

30.06.1946

3700 |        Es gab in Christus Lebensfunktionen, die verschiedenen waren von denen unseres gewöhnlichen Menschenlebens. Die Innigkeit der Verbindung der göttlichen Person mit der menschlichen Natur, die bei der Menschwerdung das „menschliche Lebensprinzip“ wurde, brachte es mit sich, dass die menschlich physischen Lebensfunktionen in Christus sich so gestalteten, wie es die Wesenseigenart der göttlichen Natur verlangte, dass sie also in mancher Hinsicht anders waren als unsere gewöhnlichen Lebensfunktionen. Zwei Eigenschaften der göttlichen Person waren es vor allem, die eine besondere, von der unseren verschiedene Art der menschlichen Lebensfunktionen in Christus forderten und notwendig machten, nämlich die göttliche Erhabenheit oder Sublimität und die Seinshaftigkeit des göttlichen Wesens als „actus purus“.

3701 |        Das Wesen der göttlichen Person war höchste Erhabenheit und Sublimität. – Unsere menschliche Person trägt infolge ihrer Eigenheit des „Werdens“ und allmählichen Auflebens den Charakter der „Schwere“ an sich, das heißt, einer allmählichen Selbstentfaltung, die bei ihrem mühsamen Aufstreben gewisse Stützen notwendig hat. Unsere menschliche Person ist bei ihrer Entwicklung und Entfaltung zur Selbstständigkeit angewiesen auf viele Stützen, auf die ständigen Gegebenheiten und Zufälligkeiten des jeweiligen Augenblicks, die ihrer Eigenart dienlich, entsprechend und notwendig sind. Sie ist abhängig von den Funktionen der menschlich-physischen Natur, die ihr mittels der Sinneswerkzeuge die entsprechenden und notwendigen Stützen für ihren Bestand bietet. So sind z. B. die Anforderungen an die physischen Lebensfunktionen bei einer geistig hochstehenden und in vollem Ausmaß intellektuell tätigen Person andere und feinere als die bei einer geistig minderwertigen und intellektuell wenig tätigen Person. Schon die Emporbildung bzw. die Ausnutzung hochwertiger Intelligenzanlage entwickelt und bedingt physische Lebensfunktionen, die in gewisser Hinsicht verschieden sind von denen eines intellektuell weniger begabten und tätigen Menschen. Die Seele ist Geist und sie gebraucht zu ihrem psychologischen Ausleben und zur voll entwickelten Geistestätigkeit die Sinneswerkzeuge und vor allem die physischen Funktionen des Gehirns, das darum in seinem Ausbau von den Anlagen des Geistes und von der Ausübung der Geisttätigkeit beeinflusst wird.

3702 |        Die Gehirntätigkeit als physische Ergänzung der Intelligenzanlage und als Zentrum jeder Sinnestätigkeit trägt und offenbart in ihrer individuellen Eigenart das Gepräge der betreffenden „geistigen Personanlage“. Im Gehirn liegt in einem wahren Sinne die notwendige Tragkraft für jede Lebensfunktion, die zu einer persönlichen Wahrnehmung gelangt. Diese persönlichen „Wahrnehmungen“ sind bei den verschiedenen Personen sehr verschieden, und diese Verschiedenheit hat ihre tiefere Grundlage vor allem in der Eigenart und Verschiedenheit der persönlichen Empfindungsanlagen und Empfindungsfähigkeit der einzelnen Menschen. Gehirntätigkeit und persönliche Empfindungstätigkeit sind die beiden tiefsten, sich ständig ergänzenden psycho-physischen Lebensfunktionen, die Geistiges und Leibliches ständig zusammenfassen und der Person selbst als geistige und leibliche Lebensprodukte zum Erleben, d. h., zum Wahrnehmen und zugleich zum Empfinden und Genießen bieten.

3703 |        Was „empfindet“ der Mensch? Er empfindet die Eigenheit seiner Lebensprodukte, seien es freudige oder schmerzliche. Die Stufenleiter der persönlichen Empfindungstätigkeiten wirkt beständig mitbestimmend ein auf die individuellen Eigentümlichkeiten des Gehirns, das als physisches Organ die Bildung und menschliches Ausleben „geistiger“ und „leiblicher“ Empfindungen mitbewirkt. Zur Empfindungstätigkeit ist als erstes Element notwendig eine geistige Kraft in der Seele, nämlich die Empfindungsanlage, die als allgemeine Lebensfunktion bei allen Lebenstätigkeiten mitwirkt.

3704 |        Um den Menschen in seiner Eigenart zu verstehen, müssen wir vor allem und zuerst auf die geistige Gegebenheit seiner Seele schauen, denn er ist in sich, in der Eigenart seines Daseins, in erster Linie etwas Geistiges. Die Seele ist ein Getrage von verschiedenen Fähigkeiten, die in ihrer abgerundeten Betätigung ein Ganzes oder ein Lebewesen darstellen und bewerkstelligen. Die Seelenfunktionen bilden in ihrer vollen Entfaltung ein abgerundetes Ganzes, so wie wir den Menschen sehen, doch sind die einzelnen „Getrage von Fähigkeiten und Anlagen“ in ihrer Gesamtheit verschieden von anderen, ähnlichen Funktionsfähigkeiten. Die Eigenart der geistigen Gegebenheit der einzelnen Seele, verbunden mit der entsprechenden physischen Natur, verlangt in gewisser Hinsicht besondere, individuell verschiedene Funktionsarten, durch welche die geistige Gegebenheit der Fähigkeiten zum Ausleben und zum persönlichen Bewusstwerden gelangt.

3705 |        Die individuelle Eigenart der geistigen Empfindungsanlage verlangt auch eine entsprechende Eigenart der physischen Funktionen im Organ des Gehirns, dass die Fähigkeit besitzt, als leibliches Vermittlungs- und Überleitungsorgan die geistigen Gegebenheiten dem persönlichen Bewusstwerden zuzuführen. Rein geistige Wesen, wie z. B. die Engel, entbehren des physischen Hilfsmittels des Gehirns; ihre Funktionsart ist eine unmittelbare, rein geistige, obwohl das letzte Erleben der geistigen Empfindungen etwas Ähnliches ist wie bei uns Menschen. Bei den Engeln sind die Empfindungen unmittelbare, rein geistige Akte, die verschiedene Funktionen oder Empfindungen wie auf einer einzigen Linie durchlaufen können, die aber ein ähnliches Resultat wie beim Menschen ergeben. Dieses Durchleben verschiedener Funktionsweisen in rein geistigem Sinne vollzieht sich unmittelbar, denn die Gegebenheiten des rein geistigen Lebens sind einfache und ermöglichen eine „rasche“ Aufeinanderfolge der Funktionen und Empfindungsmöglichkeit. Auch der Mensch im Paradiese erfreute sich eines ungleich einfacheren Ablaufes seiner geistig-leiblichen Funktionsweisen, vor allem deshalb, weil in ihm der innere Widerspruch möglicher moralischer Behinderungen und Hemmungen nicht vorhanden war. Auch jetzt kann ein moralisch vollkommenes, abgerundetes Seelenleben die allgemeinen Lebensfunktionen bedeutend vereinfachen, insofern jene moralischen Widersprüche und Hemmungen sich verringert haben, die das geistig-leibliche Zusammenharmonieren beeinträchtigen und damit Spannungen in den Lebensfunktionen verursachen können. Ein Mensch z. B., der über gewisse innere Hindernisse und Widersprüche nicht hinwegkommt, gelangt auch zu keinem festen und sicheren Entschluss über die Art und Haltung seines sittlichen Lebens – ein Entschluss, der jedoch sein ganzes Leben nach innen und außen vereinfachen würde.

3706 |        Daraus ergibt sich – was auch die Erfahrung bestätigt –, dass moralisch hochstehende Menschen in ihrem Empfindungsleben und in ihren Empfindungsfähigkeiten eine größere Einfachheit aufweisen als Menschen mit geringen moralischen Ansprüchen; denn jede Empfindung oder Anforderung – ob diese nun von der Seele an den Leib gestellt wird oder vom Leib an den Geist, ob sie von außen nach innen oder von innen nach außen geht – muss gleichsam eine Zone persönlicher Stellungnahme – des Widerspruchs oder der Zuneigung und Zustimmung – passieren; die inneren Widersprüche aber behindern und hemmen die Vereinfachung der allgemeinen Lebensfunktionen bzw. des Lebensvorganges (jeder Mensch kann und wird ja erfahren, wie innere Kämpfe und Schwierigkeiten die Lebensfunktionen stören und bis zu physischer Schwächung und Krankheit führen können).

3707 |        Das beständige Verzögern oder das Fehlen eines klaren, bleibenden Entschlusses in moralischen oder sonst lebenswichtigen Fragen beengt und hemmt den geistig physischen Verlauf der Lebensfunktionen eines Menschen. Moralische Hemmungen und Widersprüche, auch wenn sie sich nur im Inneren des Menschen abspielen, üben immer eine gewisse Veränderung des physischen Lebensvorganges aus. Ebenso vollzieht sich in Geistesarbeitern und intellektuell Tätigen in gewisser Hinsicht eine andere Art des Kräfteverbrauches oder ein anderer physischer Lebensvorgang. Die besondere Raschheit des Kräfteverbrauches verlangt auch eine entsprechende Kraftentwicklung, wenn das Ebenmaß zwischen Geist und Leib soll weiter bestehen können.

3708 |        Die vornehmste Arbeit des Menschen ist Geistesarbeit und diese verlangt einen anderen und rascheren Kräfteumsatz und darum auch eine andere Kraftentwicklung als die körperliche Beschäftigung. In ähnlicher Weise zieht auch die besondere Feinheit der Empfindungsanlage einer Person entsprechende Kräfte heran, die ein Bewusstwerden in der Form größerer Feinheit ermöglichen.

3709 |        Es gibt aber keine, auch nicht die geringste Tätigkeit des Menschen und im Menschen, die nicht das Gehirn berühren oder durchziehen würde, und das gilt schon beim Kleinkind, das noch kein persönliches Bewusstsein besitzt. Schon in der unbewussten Tätigkeit des Kleinkindes reguliert die Gehirntätigkeit – im Dienste der Seele als des „Lebensprinzips“ – die Verteilung der geistigen Kräfte auf die physische Natur, um so dem „Geiste“ im Kinde „in die Höhe zu helfen“. Ohne entsprechende, proportionierte Verteilung der geistigen Kräfte oder des „Geist-Umsatzes“ auf die physische Natur entstehen im Kinde Mängel, seien sie physischer oder psychischer Natur. Alle angeborenen geistigen oder leiblichen Fehler im Kinde und alle Abnormalitäten haben ihren Grund in ungleichmäßige Geist-Verteilung, die ihren Sitz im Gehirn hat und im Kleinkind, wie auch im werdenden Leben von größter Wichtigkeit ist. Alle angeborene Lahmheit, Blindheit, geistige Minderwertigkeit sind auf Mängel in der ersten Gehirntätigkeit zurückzuführen. Durch das Gehirn vollzieht sich die Regelung der Wechselwirkungen zwischen Seele und Leib, die Proportionierung des Geistes gegenüber den Kräften des Leibes, sodass jede physische Fähigkeit entsprechend als Ausdruck und Auswirkung des Geistes geleitet wird. – Dabei kann die äußere Behandlung, die ein Kind erfährt, seine Empfindungsanlagen in großem Ausmaß beeinflussen und zur Verfeinerung seiner Empfindungsfähigkeit beitragen.

3710 |        Die göttlich wesentliche Unveränderlichkeit der zweiten göttlichen Person übertrug alle göttlich wesentlichen Vollkommenheiten auf ihre menschliche Natur und brachte sie vermittelst der menschlichen Empfindungsfähigkeit zum gottmenschlichen Ausleben. – Man kann auch bei Gott selbst in gewissem Sinne von einem „empfinden“ sprechen, weil Gott sich in göttlich vollkommener Weise – eben in seinen göttlichen Vollkommenheiten – erlebt. „Empfinden“ heißt: sich selbst in der Art seines Wesens erfahren, die Art und Weise seines Daseins verspüren. Gott nun als reiner Geist ist sich seiner unendlichen Vollkommenheit stets unmittelbar und in vollkommenster Weise bewusst und „empfindet“ sich und seine Vollkommenheiten in einer göttlich und ewig sich selbst gegenwärtigen Weise, ohne dass es besondere Fähigkeiten und Hilfsmittel bedürfte, die ihm seine göttlichen Vollkommenheiten vorführen müssten. Es herrscht im Gott ein immerwährender, göttlich gegenwärtiger Empfindungszustand. Jede seiner göttlichen Vollkommenheiten versetzt Gott allezeit in eine unaussprechliche, göttliche empfundene Glückseligkeit; weil aber Gott das „einfachste Wesen“, d. h., die absolute Einfachheit selbst ist, so empfindet er sich in seinen göttlichen Vollkommenheiten „seinshaft und wesenhaft“ in unendlich vollkommener Weise in immerwährender, ewiger Glückseligkeit. In Gott herrscht also das höchste, feinste – mit einem Wort – göttliche Empfinden seiner selbst, ein Zustand, der seinem göttlichen Wesen seinshaft eigen ist, und zwar in höchster Lebendigkeit.

3711 |        Diese höchste, göttliche Lebendigkeit seiner göttlichen Selbst-Empfindung konnte das ewige Wort Gottes auch mit dem Akte seiner Menschwerdung nicht ablegen, weil sie eine göttlich-wesentliche Eigenschaft ist. Die Feinfühligkeit seinem göttlichen Wesen gegenüber hat Christus nun auch als Mensch empfunden vermittelst seiner Seele und deren menschlichere Empfindungsfähigkeit, also in menschlich gefühlter Weise. Die physische Natur diente ihm dabei als Sinneswerkzeug, denn die menschliche Natur ist ein Doppelwesen, bestehend aus Seele und Leib. Die Seele Jesu übernahm die göttlichen Vollkommenheiten, übertrug sie auf die Sinneswerkzeuge des Leibes, und mittels dieser Sinneswerkzeuge empfand Christus sich und seine göttlichen Vollkommenheiten in menschlich gefühlter Weise. So hatte der Leib Christi ganz andere Forderungen zu erfüllen als bei einem gewöhnlichen Menschen, aber dennoch gingen alle gottmenschlichen Funktionen über den Leib und von diesem wieder zurück in das gottmenschliche Bewusstsein. (Beim Gottmenschen kann man von „Funktionen“ reden, während in Gott als reinem Geist der göttliche-wesentliche, seinshafte Bestand ist, ohne „Wege“ oder Umsatz von Kräften.)

3712 |        Die Lebensfunktionen in Christus waren im Wesen die eines wahren Menschen, aber die Art und Weise dieser Funktionen war anders als bei gewöhnlichen Menschen. Wenn wir uns gewöhnliche Menschen einen persönlichen Vorzug usw. zum Selbsterleben vorführen, so können wir jeweils nur „ein Objekt“ erfassen und erfahren und es tritt eine „Reihenfolge“ von Objekten in unser Bewusstsein. So herrscht in unseren geistigen Betätigungen eine beständige „Aufteilung“, ein beständiges „Nacheinander“. Zwar können wir Menschen die Produkte unseres Geistes in eine Reserve, nämlich in das sogenannte „Gedächtnis“ zurückstellen, aber auch von dort müssen wir sie wieder einzeln hervorholen und dem jeweils funktionierenden Verstande vorführen. Es ist also bei uns ein beständiges Nacheinander und immer wieder „zurück zur Person“ notwendig, ein verhältnismäßig langsamer und langwieriger Prozess.

3713 |        Hätte nun in Christus genau die gleiche Funktionsweise bestanden wie bei uns, so hätten seine göttlich-wesentlichen Eigenschaften eine entwürdigende Einbuße erlitten, das heißt, Christus hätte dabei gegenüber der Eigenart der gewöhnlichen physischen Natur etwas von seiner göttlich-wesentlichen Vollkommenheit (der Seinshaftigkeit und Erhabenheit) aufgegeben – was unmöglich ist. Zudem hätte bei einer solchen (der unseren ganz gleichen) Funktionsart die physische Natur der Menschheit Christi unter der Gewalt seines göttlichen Geistes und durch die Anerkennung seiner göttlichen Vollkommenheiten geradezu „erdrückt“ werden müssen. – Anderseits konnte es in Christus auch nicht bei einem bloßen, einseitigen „Geistesleben“, ohne Teilnahme seiner physischen Natur bleiben; denn sonst wäre er kein wahrer „Mensch“ gewesen. Es liegt also ein großes Geheimnis darin, wie die zweite göttliche Person als „seinshaftes Empfindungswesen“ doch zugleich menschlich empfand; denn tatsächlich lebte Christus ein wahres gottmenschliches Leben und es gab keine göttlich-wesentliche Vollkommenheit in ihm, die nicht zugleich auch seinen Leib in einem wahren Sinne als „Träger“ seiner wesentlichen göttlichen Eigenschaften herangezogen hätte. Die Lösung liegt in der besonderen, einzigartigen Vollkommenheit der Seele Jesu, die eine weit höhere Befähigung der „Unmittelbarkeit“ in sich trug als die gewöhnliche Menschenseele und die dementsprechend auch den Leib und dessen Kräfte regulierte und organisierte. Die Seele war auch in Christus das „Leben des Leibes“ und sie erfüllte der göttlichen Person gegenüber die Aufgabe, ihr einen belebten und beseelten Leib zur Verfügung zu stellen, indem sie die menschlich-physischen Funktionen gleichsam einhüllte und durchtränkte. Ferner besaß die Seele Jesu auch die besondere Befähigung, dass durch sie die göttliche Person in menschlicher Gestalt und Funktionen gekleidet werden konnte und dass auf dem Weg über die Menschwerdung Gottes und das „Gott-Mensch sein“ vollzogen wurde; selbstverständlich nicht in dem Sinne, als ob die Seele den Akt der Menschwerdung vollzogen hätte, denn die Menschwerdung war ein göttlicher Akt. Gott selbst, die zweite göttliche Person, „stieg“ zur Menschheit und in die Menschheit „herab“. Aber Gott würdigte sich dabei die Seele so in Anspruch zu nehmen, dass sie göttliche Funktionen innehatte und mitzuversehen hatte, wenngleich die Auswirkungen der Tätigkeit der Seele Jesu zugleich auch menschliche und den unseren ähnliche Produkte oder Ergebnisse waren. Denn Christus lebte mit seinem göttlichen Sein ein menschlich gelebtes, das heißt mittels menschlicher Kräfte hervorgebrachtes göttliches Leben.

3714 |        Wir Menschen finden in unserem Leben keinen Unterschied zwischen der Grundlage der Substanz der Seele und deren Betätigungsart. Jeder Mensch hat seine eigene Seele, aber alle Seelen haben ganz ähnliche Grundlagen, die ein Menschenleben zum Ausdruck und zur Verwirklichung bringen sollen. Die „Befähigungen“ einer jeden Seele haften im Grundprinzip oder der „Substanz“ der Seele. – Die eigentliche Verschiedenheit und Veränderung des Grundprinzips der Seele, die Verschiedenheit in der Verteilung der Kräfte und in der Art des Auslebens der Substanz der Seele ist eine Folge der Persönlichkeit oder der Personkraft einer jeden Seele. Die Substanzen der Seele, d. h. das Getrage der Fähigkeiten zum Leben, Sehen, Hören, zu Beweglichkeit des Geistes und zur Aktivität des Leibes usw., sind in allen Seelen ganz ähnlich. Die eigentliche, entscheidende Veränderung und Verschiedenheit der einzelnen Seelen kommt durch die „persönliche Seele“ oder durch den „Person-Kern“ in die Seele, wodurch der Verlauf der Tätigkeiten der Seele verschieden reguliert wird. Die „persönliche Seele“ formt den ihr zugehörigen Leib zu der von ihr geforderten und für sie nötigen Dienstfähigkeit und Dienstbarkeit. Das gibt den einzelnen Menschen ihr besonderes, individuelles Gepräge als „Personen“. – So wird es z. B. durch die „Fähigkeit zu denken“ das verarbeitet und produziert, was gerade diese bestimmte Person angeht, die einer Seelen-Substanz vorsteht und sie gebraucht und leitet; die besonderen, einmaligen Eigentümlichkeiten, die in dieser Seelensubstanz verarbeitet und produziert werden, reifen aus zu individuellen Gedanken oder zu persönlichen Entschlüssen und Taten.

3715 |        Christus nun als göttliche, seit Ewigkeiten „fertige“ Person übernahm die Substanz einer Seele mit allen besonderen Befähigungen, die seiner göttlichen Person für ein wahres gottmenschliches Leben zustanden und von den göttlich-wesentlichen Eigenschaften seiner Person für ein solches Leben gefordert werden mussten. In Christus wurden darum keine Gedanken „produziert“ wie bei uns; denn infolge seiner göttlichen Weisheit war keine Steigerung oder Erhöhung seines Wissens möglich, wie bei uns. Er war, seinem innersten, göttlichen Wesen nach, keiner Erhöhung oder Steigerung irgendeiner Vollkommenheit fähig. Er durchschaute mit göttlicher Weisheit und göttlichem Wissen alle Ereignisse und Vorkommnisse seines Menschenlebens. Aber all seine gottmenschlichen Erlebnisse trafen in seinem gottmenschlichen Verstande zusammen. Darin erlebte ich ein großes Geheimnis, das ich aber zurzeit nicht in Worten ausdrücken kann.

3716 |        Ein Hauptunterschied zwischen dem Seelenleben Christi und dem unseren ist der, dass es in Christus nicht zu einer Auseinandersetzung oder Widerstreit zwischen seinem göttlichen Willen (bzw. seinen göttlich-sittlichen Vollkommenheiten) und seinem menschlichen Erfahrungsleben kam. Wir Menschen dagegen empfinden bei den verschiedenen Vorkommnissen unseres Lebens beständige Reaktionen und Widersprüche, die ein fortwährendes „Hin und Her“, ein Überlegen und Schwanken, Suchen und Fragen in unserem Inneren hervorrufen. Es braucht eine gewisse „geraume“ Zeit, bis wir uns mit bestimmten Ereignissen abfinden, bis wir einen entsprechenden diesbezüglichen Entschluss fassen, bis wir uns über unsere Haltung ganz klar geworden sind – wenn wir es überhaupt werden. Wir befinden uns fast ständig in einem inneren Zustand des „Verhandelns mit uns selbst“. Es fehlt uns meist an genügender verstandesmäßiger Einsicht und an moralischer Kraft, um den Ereignissen und Erlebnissen des jeweiligen Augenblickes schon von vornherein oder im Voraus in ruhiger Ordnung und sicherer Überlegenheit begegnen zu können. Es fehlt uns meist der Mut oder die Einsicht oder die Fähigkeit, um den Anforderungen unseres Lebens voll und ganz, rasch und sicher gerecht zu werden.

 

November

XX.XX.1946

3717 |        Der Gipfel sittlicher Vollkommenheit und das sicherste Zeichen für das Wirken des göttlichen Geistes scheint mir dies zu sein: Eine Milde und Klugheit und eine Weite des Geistes, die trotz aller widrigen und entgegenstehenden Umstände jene Ruhe des Geistes bewahrt, in der man alle Menschen in Liebe und Nachsicht umschließt. Niemals soll sich die eigene Person beleidigt fühlen, sondern man soll nur den Irrtum des Nächsten und das dem göttlichen Gesetz zuwiderlaufende Unrecht empfinden und bedauern. (Das setzt natürlich einen hohen Grad sittlicher Selbstvervollkommnung voraus.) Solange das persönliche Menschsein im Mittelpunkt der Beziehungen zum nächsten steht, solange gibt es keine vollendete sittliche Vollkommenheit. Es muss vielmehr in den Beziehungen zum Mitmenschen eine Objektivität angestrebt werden, in der die guten Eigenschaften sowohl über die eigene Person herrschen, wie auch das Verhältnis und den Verkehr mit den Mitmenschen bestimmen. Diese sittliche Objektivität soll das ganze Verhältnis zum Mitmenschen „verklären“. Dann wird die Gottesliebe in Wahrheit „zur Dienerin der Menschheit“, d. h. aller Mitmenschen.

3718 |        Alles was wir „Leben“ nennen (auch schon das der Pflanzen und Tiere) ist in etwa „Geist“, der vom Geiste Gottes kommt. Der menschliche Geist ist durch die Sünde nur allzu sehr dem Materienhaften verfallen. Die Erlösung ist aber in sich ein geistiges Werk. Durch ihre Früchte soll der Mensch wieder zur rechten, gottgewollten Vergeistigung kommen, zur vollen Herrschaft des Geistes hienieden und zur Verklärung und Vergeistigung des Lebens drüben.

 

10.11.1946

Von der Übernahme der Funktionen einer anderen Person.

3719 |        Es gibt weder im natürlichen noch im außer- und übernatürlichen Lebensbereich eine Person-Übertragung oder eine Annahme einer anderen Person. – Der Gottmensch Christus blieb Gott, auch als er „menschliche Funktionen“ ausübte. Und so wenig wie Gott der Person nach ein „Mensch“ werden bzw. Sein göttliches Leben als Leben einer menschlichen Person weiterleiten kann, ebenso wenig kann ein Mensch eine göttliche Person annehmen und sie ausüben. Es kann sicher immer nur um „Kräfte und Funktionsarten“ handeln, die in einem Menschen von Gott übernommen werden. – Wenn z. B. ein Mensch, ein Heiliger, Wunder wirkte, so ist es immer Gottes Kraft und Allmacht, die das Wunder vollzieht; der Mensch ist dabei nur der sichtbare Vertreter Gottes. – Ebenso wenig kann selbst der verworfenste Verdammte im eigentlichen Sinne ein Teufel werden, auch wenn er in jeder Weise die Werke des Teufels tut. Auch bei „Besessenheit“ werden die „Kräfte des Menschen“ benützt, durch die der Teufel dann spricht und Handlungen vollzieht, aber nicht so, als ob die menschliche Person jene des Teufels annehme. Der Teufel übernimmt vielmehr gewisse stützende Kräfte der menschlichen Person und übt mittels dieser menschlichen Kräfte jene niedrigen Funktionen aus (d. h. niedrigere als sein geistiges Wesen), die nach außen wie als Tätigkeiten der menschlichen Person zutage treten. – es gibt also keine Personenübertragung; wohl gibt es aber eine stellvertretende „Übernahme“ der Funktionen einer anderen Person, und zwar auf der Grundlage einer gewissen Wert-Gleichschaltung gegenüber den stützenden Kräften der betreffenden Person oder des betreffenden Geistes.

3720 |        Die Person selbst ist eine Spitzen-Kraft, die auch der Herrschaft niedrigerer (an sich dienstbarer) Kräfte überantwortet werden kann, ohne die sie nicht zu bestehen vermag. Im Guten wie im Bösen ist der Mensch in einem gewissen Grade ständig von „niederen Kräften“, die seine vorherrschende allgemeine Anlage oder Richtung sind oder werden können. Nur in Christus war die Oberherrschaft der Person über alle Kräfte seines menschlichen Lebens so groß und stark und überwältigend, dass man in keiner Weise von einem Versagen oder einer „Unterlegenheit“ derselben gegenüber den Forderungen seiner göttlichen Person sprechen kann. Er nahm vielmehr eine solche menschliche Natur an, die schon im ersten Augenblick, beim Akte der Menschwerdung des göttlichen Wortes, die Befähigung besaß, der göttlichen Natur vollkommen dienstbar sein zu können.

3721 |        Obwohl die Anforderungen an die menschliche Natur in den Kinderjahren Jesu, menschlich gesehen und gesprochen, geringer waren als später, so waren doch im Grunde die Anforderungen der göttlichen Natur in Christus an seine menschliche auch in jenen Jahren der Kindheit insofern gleich groß und stark wie im Mannesalter Christi, weil durch das Menschenleben schon von Anfang an gewisse allgemeine Grundkräfte beansprucht werden, durch die das spätere Leben grundgelegt und vorbereitet wird. Auch im gewöhnlichen Menschenleben wird ja schon dem ersten Aufflackern des „Lebens“ dessen Grundprinzip und Grundlage festgelegt und darauf weitergebaut. Solange der Mensch „unpersönlich“ ist, d. h., solange die Person-Spitze nicht zu jenem Überschauen ihrer selbst und ihrer Kräfte gekommen ist, das erst eine persönliche Selbst-Herrschaft ermöglicht, solange bilden und formen sich im Menschen Kräfte und Anlagen, für die er selbst nicht verantwortlich ist. Dies geschieht durch (mehr oder weniger) unbewusstes Aufnehmen dessen, was ihm durch die Umgebung geboten wird. Ein persönliches Übernehmen und Aneignen tritt erst dann ein, wenn der Mensch bewusst mit seinen Kräften und Anlagen zu arbeiten und sie zu verwerten beginnt. Dann kann der Mensch im Guten wie im Bösen zunehmen, sich eine persönliche Richtung, Eigenart und Originalität aneignen, sich zu einem bestimmten Typ ausbilden. Die Grund- und Unterlage für die Ausbildung dieser persönlichen Eigenart ist aber der ganze Komplex der psychischen Kräfte, aus denen sich unter der Leitung der Personkraft die individuelle Eigenart des Menschseins bildet.

3722 |        Wenn dann die allgemeinen Grundkräfte in steigendem und überwiegendem Maße dem Personenziel zugeführt und dienstbar gemacht werden, so kann man von einer Übernahme der vollen Herrschaft durch die persönliche Eigenart des Menschen sprechen. Ein solcher Mensch wird nur mehr im Sinne und im Einklang mit seiner persönlichen Richtung und Ausprägung denken und Urteilen und wird alle äußeren Einflüsse im Sinne seiner charakteristischen Eigenart verwerten. Wenn dabei das sittlich Gute (oder Böse) stark betont ist, und vorherrscht, so wird der betreffende Mensch jeweils nur „Gutes“ tun (oder im entgegengesetzten Falle Böses) und wird so die Werke des Lichtes (oder der Finsternis) verrichten, je nachdem er seine persönliche Eigenart ausgebildet hat. – Wenn wir an das Wirken und die Kräfte eines höheren Geistes glauben, denen ein Mensch überantwortet werden kann (– ob es nun der gute Geist Gottes ist oder der seines Gegenspielers und Widersachers –) so müssen wir auch an die Möglichkeit einer „Angleichung“ des Menschen an Gott (oder an seinen Widersacher) glauben. Unsere sittliche Einstellung und Haltung formt und prägt zunächst in unserem Inneren eine entsprechende, besondere und persönliche „Wirklichkeit“ aus, die nach und nach auch nach außen und in unserem ganzen Wesen zutage treten wird.

3723 |        Obige Erklärungen sollen mich mein besonderes geistiges Ziel verstehen lassen, nämlich die „objektive Übernahme meiner Kräfte durch Christus“, und zwar derart, dass „meine Person“ selbstverständlich zwar bestehen bleibt, dass aber die Kräfte meines ganzen psycho-physischen Seins das Geheimnis der hypostatischen Union in einem mystischen Nacherleben wiedergeben. Zu dieser Möglichkeit und Befähigung wurde und wird mir mein psycho-physisches Wesen immer mehr umgeformt und umgebildet. Durch eine beständig erhöhte Übernahme meiner Kräfte und meines Wesens durch Christus wird jenes Geheimnis wie zu meinem „persönlichen Erlebnis“, das sich mittels der Kräfte meiner Person vollzieht, und zwar infolge einer besonderen Vereinigung mit Christus, die in mir zu einer gleichsam „wachsenden“ Wirklichkeit und Tatsache wird.

 

Dezember

26.12.1946

3724 |        In der vergangenen Nacht hatte ich – nach großen, inneren Leiden – ein inneres Schauen und Erkennen über die gottgewollte geistige Machtstellung der Kirche.

3725 |        Die Kirche, als „rein geistiger Einfluss auf die religiöse und moralische Entwicklung der Menschheit“ genommen, steht heute bedeutend „tiefer“, als in den Zeiten des Kirchenstaates. Dieser Einfluss begann aber schon in den letzten Perioden des Kirchenstaates abzunehmen, während man im Mittelalter allgemeiner auf die religiös-sittliche Hebung bedacht war. Nach den Absichten Christi und gemäß dem Eigenzweck, den er seiner Kirche gegeben hat, sollte aber auch das äußere Bild, d. h. die äußere Verwaltung der Kirche und die kirchliche „Behörde“ überhaupt, vornehmlich und hauptsächlich der „Hebung der Sitten“ in der geistigen Gemeinschaft der Kirche dienen; sie sollte den Einfluss Christi in den einzelnen Seelen fördern und damit bewirken, dass auch das äußere Bild eine möglichst hochstehende sittliche Gemeinschaft darstelle.

3726 |        Diese gottgewollte „geistige Verwaltung“ der Kirche löst sich indes heute in einem großen Ausmaß in einer rein „äußere Verwaltung“ auf, wovon die einzelnen Seelen wenig Nutzen haben, weil man dabei in erster Linie und vielfach nur die äußere Zusammengehörigkeit zu fördern und hochzuhalten sucht. Man stellt heute weithin, wenigstens der praktischen Wertschätzung nach, Kultur und Christentum auf gleiche Stufe, indem man ein rein äußerlich kultiviertes, rechtliches Leben beinahe einer christlichen, von der Gnade geleiteten Tugendhaftigkeit gleichsetzt. Damit verflacht man den Begriff der allgemeinen „Erbschuld“, deren Folgen zu überwinden die Pflicht jedes Christen ist. Christliche, mit der Gnade mitwirkende Tugend und gut gesittete „Kultur“ sind nicht gleichzusetzen, sondern klar voreinander zu scheiden; denn der Geist der Kultur ist im Grunde tatsächlich vielfach der Geist der „Welt“.

3727 |        Heute schwindet auch in der Kirche vielfach das dem Gerichte Gottes unterworfene Schuld- und Sündenbewusstsein. In einem äußerlich geordneten Verwaltungsapparat sieht man weithin zu ausschließlich auf „äußere Ordnung“ in der Kirche, und man meint, damit der sich auf Christus stützenden Tradition zu genügen.

3728 |        Ich schaute, wie die einzelnen Priester in einem erschreckenden hohen Maße sich ablösen von der wahren, durch Christus grundsätzlich gestifteten und von ihm als Verpflichtung gegebenen Tradition, die in erster Linie und hauptsächlich eine moralische Umwandlung der einzelnen Glieder der Kirche vorsieht. Man hält die christliche Lehre zwar hoch, aber man wertet sie nicht tief genug in ihren moralischen Inhalten und Forderungen aus.

3729 |        So herrscht heute eine gewisse allgemeine Verflachung in der Auslegung und Darlegung der von Christus gebrachten und von ihm gewollten Sittenlehre.

3730 |        Man deutet auch das folgende Wort Christi zu ausschließlich im Hinblick auf das äußere Ziel, nämlich das Wort: „Die Pforten der Hölle werden die Kirche nicht überwältigen“. In einer nicht ganz richtigen Auslegung dieses Wortes gibt man sich vielfach einer falschen Ruhe hin, indes aber die Machenschaften und Kunstgriffe der Hölle in ungeheurer Weise in den einzelnen Seelen überwältigend und vernichtend wirken. Weitgehend – so schaute ich – verwechselt man eine innerlich in Christus wachsende und glühende Kirche mit einer äußeren, gut gegliederten und geschützten Organisation. Diese äußere „Ruhe und Wohlgeordnetheit“ ist aber ein falsches Spiel der Hölle. Ich schaute ein böses Ungeheuer mit weit aufgesperrtem Rachen sich gegen das Papsttum stürzen, um es zu verschlingen. Ob der Herr den äußeren Angriff dieses bösen Ungeheuers abwehrt oder ob er es wirklich zu einem äußeren Kampfe kommen lässt, um eine Säuberung und Scheidung der Geister herbeizuführen, das kann ich nicht unterscheiden.

3731 |        Der Herr will aber auf alle Fälle die Lehrverkündigung mit Bezug auf die Sitten vertieft wissen, denn mit der heute weithin üblichen Auslegung und Darlegung dieser Lehre erreicht man im Allgemeinen keine moralische Hebung der einzelnen Seelen. Christus will seine Kirche „zur Quelle“ hinführen, zu einer allgemeinen Vertiefung, um die heutigen Wunden der Kirche zu heilen und den drohenden Abgrund zu überbrücken. Dadurch, dass man die Seelen hochreißt und höher hebt, wird es ihnen möglich, das Morsche und Schadhafte zu „überspringen“ und „unten“ zu lassen.

3732 |        Ich schaute ferner die erschütternde Bedeutung der Wahrheit, dass ein Gott nicht umsonst Mensch geworden ist oder Mensch werden wollte. Die Tatsache der Menschwerdung hat vielmehr sehr ernste Folgerungen für die Menschen selbst und stellt erschütternde Forderungen an die Menschheit. Es bleiben auch heute die gleichen Forderungen bestehen, durch die Christus selbst seine Apostel zu „neuen Menschen“ umgeformt hat. – Ich sah den heutigen Papst sterben gleichsam auf den Trümmern der in einen großen Kampf geratenen „Kultur“, die man vielleicht mit dem Christentum verwechselt. Ob mir dies nur als geistiges, symbolisches Bild vorgeführt wurde oder ob es zu einer erschütternden Wirklichkeit wird, weiß ich nicht.

3733 |        Die Menschwerdung, die ihre Ursache im Sündenfall im Paradiese hatte und durch die Christus den Sündenfall wieder gutmachen wollte, soll eine aktuelle und wirkliche Umwälzung in den einzelnen Seelen zur Folge haben.

3734 |        Heute hat sich in der Kirche ein organisiertes Lehrsystem ausgebildet, dass zu wenig auf die Folgerungen und auf die notwendige Umwandlung der Geister Bezug nimmt und das in der gut organisierten, systematischen Lehrverkündigung allein eine Glanzzeit der Kirche sieht, während die Seelen tatsächlich dabei „leer“ bleiben. Der heutige, hoch kultivierte und verfeinerte Mensch versteht es ja gut, in sich selbst die Konsequenzen der christlichen Lehre durch seine eigene feine Geistesrichtung zu verfälschen und sich den wahren Folgerungen und Forderungen der Glaubenslehre zu entziehen.

3735 |        Ich schaute, wie das persönliche Schuldbewusstsein, und damit der Bußgeist in ganz großem Ausmaß geschwunden ist. Ich wurde hingewiesen auf das Wort: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, d. h., es ist ein Reich des Geistes in den Seelen. Dieses Reich wird nach außen in der Organisation der Kirche sichtbar, aber man darf es nicht mit falscher Ruhe und „Ordnung“ verwechseln. Das Corpus Christi mysticum ist das Wachstum Christi in den Seelen mit seinen vielfachen gottmenschlichen Vollkommenheiten. Der Gottmensch mit seinen Vollkommenheiten, will eine moralische Umwälzung und ein sittliches Wachstum in den Seelen hervorbringen und sich damit ständig in der Kirche mit seinen Vollkommenheiten gleichsam „erneuern“. So sich ständig mit seinen sittlichen Vollkommenheiten in den einzelnen Seelen, als in den Gliedern seines mystischen Leibes möglichst vollkommen „erneuernd“, will Christus sich darstellen in der Kirche – als im Corpus Christi mysticum.

3736 |        Ich schaute auch Folgendes: Christus und Maria hatten keine physischen Fehler und konnten deshalb nicht von innen heraus krank werden. Sie waren den äußeren Einflüssen unterworfen, die das menschliche Leben mit sich bringt, wie z. B. Müdigkeit, Schwäche, Hunger, Durst, Abgeschlagenheit usw. Sie konnten sich – beispielsweise – auch den „Magen verderben“, aber ihr Magen an sich konnte nicht krank werden.

3737 |        In Christus hätten sich physische Fehler nicht mit der Vollkommenheit seiner Seele vertragen. – Maria hatte viele Vorzüge des paradiesischen Menschen. Auch ihr Tod war nicht eine Folge von Krankheit, sondern hatte eine geistige Ursache, nämlich, die Beendigung und Vollendung ihres sterblichen Lebens.

3738 |                

3739 |        

 

 

 

 

 

 

 

Das Jahr 1947

Grundlage M1

 

 

 

 

 

Januar

13.01.1947

3740 |        Im jetzigen Zustand (seit dem Sündenfall) wird durch die „Beschauung“ zunächst nur der Verstand oder Intellekt zu einer „unmittelbaren“ Erkenntnis Gottes erhoben (ich sage „unmittelbare Erkenntnis“, um sie von der mittelbaren Erkenntnis durch den Glauben zu unterscheiden). Die „Beschauung“ kann sich auch entsprechend auf das Sinnen- und Empfindungsleben übertragen, weil ja an sich unsere Erkenntnisse mithilfe der Sinne erfasst und hervorgebracht werden und weil sie sich entsprechend auf das Empfindungsleben auswirken, d. h., soweit das Empfindungsleben dafür befähigt und bereitet ist. Wenn die Beschauung vorüber ist, so werden im Allgemeinen die Erfahrungen des Sinnen- und Empfindungslebens wieder in das gewöhnliche religiöse Leben zurückversetzt, während im Intellekt die Produkte der göttlichen Beschauung im gewissen Sinne erhalten bleiben und weiter wirken.

3741 |        Die ersten Menschen hatten mit der Erschaffung als höchstes Gnadengeschenk eine Gabe der Beschauung erhalten, die ich wesentlich oder „existenziell“ nennen möchte, insofern der ganze Mensch, d. h., sein gesamtes Wesen und seine Existenz mit all ihren Kräften an jener „unmittelbaren“ Gotteserkenntnis beteiligt war. Während die Beschauung im jetzigen Zustand nur „halb wesentlich“ ist, insofern zunächst nur der Intellekt daran beteiligt ist, erschloss die den Menschen geschenkte Gotteserkenntnis der gesamten Existenz des Menschen ein entsprechendes Erkennen und Erleben Gottes, d. h., das Erkennen der Vorzüge Gottes übertrug sich in entsprechender Weise ohne Weiteres als Auskosten und Genießen des vom Intellekt Erfassten auf das Sinnen- und Empfindungsleben, mit seinen mannigfachen Verzweigungen. Das Empfindungsleben bedeutet ja das Erfahren und Erleben und Genießen eines erkannten Vorzuges oder Wertes und es haftet – bewusst oder unbewusst – allem „Leben“ an und ist mit der ganzen menschlichen Existenz verbunden. (Über das Sinnen- und1623 Empfindungsleben im Allgemeinen habe ich schon früher geschrieben.)

3742 |        Die ersten Menschen besaßen also im Paradiesesdasein eine dauernde und „existenzielle“ Gotteserkenntnis, d. h., sie erkannten und erlebten ständig Gott. Ein solches dauerndes Erkennen und Erleben Gottes setzt aber eine entsprechende Reinheit nicht bloß im Willen und Intellekt, sondern auch im Sinnenleben voraus. (Unter „Sinnenleben“ verstehe ich hier und im Folgenden den ganzen Komplex der menschlichen Empfindungsfähigkeiten). Sowohl das Intelligenz- wie das Sinnenleben der ersten Menschen mussten zu jener moralischen vollkommenen Betätigung befähigt sein, die für ein unmittelbares Erkennen und Erleben Gottes notwendig und vorausgesetzt ist. Die dauernde unmittelbare Gotteserkenntnis verlangt nicht nur eine hohe sittliche Reinheit des Willens in sich, sondern auch eine gesicherte Herrschaft des reinen Willens über das Verstandes- und das Sinnenleben. Auch das Sinnenleben kann nur so weit das aus der Beschauung folgende Genießen erfahren, als es unter der gesicherten Herrschaft eines reinen Wollens steht.

3743 |        Im mystischen Gnadenleben kann man deutlich unterscheiden, wie auf den höheren Stufen der „Beschauung“ das intellektuelle Element zurücktritt oder zurückzutreten scheint, während das „Erleben“ oder Empfinden Gottes wächst. Es kommt mehr und mehr zu einem erfüllten Erleben Gottes, nicht so sehr im Sinne einer erfüllten Süßigkeit, sondern als Erfühlen seiner Heiligkeit und das1624 Erfühlen dessen, „was Gott von der Seele will“. Obwohl sich damit das geistige1625 Leben sehr vereinfacht und damit weniger „inhaltsvoll“ zu werden scheint, ist dieser Schritt doch von großer Bedeutung für den eigentlichen moralischen Fortschritt der Seele, denn die vom Verstande in den Zeiten der Beschauung erkannten und übernommenen sittlichen Anforderungen der Gnade bzw. Christi werden nun gleichzeitig vom Sinnenleben – auch mit dem „Wie“ der praktischen Ausführung – „erfüllt“, erfasst und festgehalten. Das Sinnen- und Empfindungsleben übernimmt z. B. von den Kräften des Willens und Intelligenzlebens die Notwendigkeit und die Art einer geforderten Losschälung und es muss „einstimmen“ in die Bereitschaft des Willens.

3744 |        In diesem Sinne muss auch das Empfindungsleben gleichsam sein Ja-Wort geben, wenn es zu einem dauernden moralischen Fortschritt kommen soll. Wenn die Frucht der Beschauung nur im Intellekt haften bleibt, so versagt sie schließlich doch leicht auf moralischem Gebiet. So erklärt sich auch, warum schon zur Beschauung gelangte Seelen oft nur geringen sittlichen Fortschritt machen oder auch ganz versagen. Das Sinnenleben steht eben in gewissem Sinne im entscheidenden Mittelpunkt des sittlichen Fortschritts und es muss die Folgen oder „Entbehrungen“, kurz die Auswirkungen der persönlichen, inneren „Beschneidung“ tragen, die jeder sittliche Fortschritt in sich schließt.

3745 |        Man kann darum die Läuterungen des Sinnenlebens als einen besonderen Teil des mystischen Gnadenlebens ansehen. Es muss ihr schon eine gewisse Reinigung des Intellekts vorangegangen sein, denn die Reinigung des gesamten Sinnen- oder Empfindungslebens stützt sich auf das Intelligenzleben, dessen Kräfte fördernd auf das Empfindungsleben wirken.

3746 |        Die verschiedenen Arten der Empfindungsfähigkeiten selbst sind wesentlich dem Personenkern verbunden und entziehen sich daher meist der persönlichen Erkenntnis. Tatsächlich kann kein Mensch – ohne eine besondere Gnade – sich selbst so ganz richtig beurteilen, denn die menschliche Person steht unter dem starken Einfluss der persönlichen „Selbstrechtfertigungssucht“, d. h., der Mensch will sich selber recht geben, bejaht seine persönlichen Lebensprodukte, und zwar nicht so sehr deren Auswirkungen als vielmehr deren inneres Wesen. So betätigt sich gerade das Empfindungsleben auch als ein beständiges Bejahen der persönlichen Eigenheit, und der Mensch dringt darum kaum einmal bis zu seinem inneren1626 Wesen vor, so ähnlich wie er seinen persönlichen psycho-physischen Lebensprozess nicht „erreichen“ kann. Die Eigenart der individuellen Empfindungsfähigkeit ist unmittelbar mit der Eigenart der Person verbunden und gegeben, und niemand kann sich darüber1627 Rechenschaft geben, warum er so und nicht anders empfindet.

3747 |        Die Empfindungsfähigkeit, eine geistige Anlage der Seele, wirkt sich ihm „allgemeinen Lebensprozess“ menschlich wahrnehmbar als „Sinnenleben“ auf die physische Natur aus und diese hinwiederum erzeugte rückwirkend im menschlichen Geiste die „sinnenhaften Empfindungen“ oder das Ergebnis, wie wir uns selbst erfahren. Das Sinnenleben gehört zwar an sich zu den niederen Seelenfähigkeiten, weil es zugleich der Materie anhaftet, und – ebenso wie das Gemütsleben – seine Anregungen ständig aus dem Materiellen zieht, während der Intellekt als oberste Seelenfähigkeit mehr dem Geiste der Seele zugehört und einer Art „geistiger Selbstregierung“ untersteht. Das Sinnenleben dagegen kann in seinen Hauptbezirken von den höheren Seelenfähigkeiten gar nicht erfasst werden, sondern ist in gewisser Hinsicht ein „unkontrollierbarer Bezirk“. Dieser Eigenbezirk unterliegt aber den Schwächen und Eigenheiten der zugehörigen Person und damit den aus der Erbsünde folgenden Schwächen; er ist seinem Wesen nach „irrtumsfähig“, ohne dass er dafür zur Rechenschaft gezogen werden könnte, weil dies mit seinem Wesen „so“ gegeben ist.

3748 |        Obwohl das Sinnenleben zu den niederen Seelenfähigkeiten gehört, vollzieht sich seine volle Reinigung erst auf den höchsten Stufen des mystischen Gnadenlebens, denn es ist in seinen tieferen Schichten und Auswirkungen persönlich-aktiv gar nicht „erreichbar“ und entzieht sich der persönlichen Selbstkontrolle viel mehr als die Willensregungen und die geistigen Betätigungen und Affekte. Die volle Reinigung des Sinnen- und Empfindungslebens kann daher nur passiv von der Gnade Gottes bewirkt werden, ebenso wie der Personenkern, der die Eigenheiten der Person selbst in sich trägt. Wie dieser, trägt ja auch das Sinnenleben die Eigenart und die Eigenheiten der Person selbst in sich.

3749 |        Eine existenzielle, d. h. auch auf das ganze Empfindungsleben sich voll auswirkende Beschauung ist im jetzigen Menschen nur dann möglich, wenn der gesamte Mensch bis in die Tiefen der Eigenart der Person und des Sinnenlebens vom göttlichen Feuer durchglüht und damit einer passiven, durch Gott bewirkten Reinigung unterzogen worden ist. Die Eigenart der Person und des Empfindungslebens bleibt immer und bliebe auch im Falle einer völligen passiven Reinigung bestehen; aber es wäre dann die ganze Existenz und jede einzelne Anlage befähigt, die von Gott eingegossene Reinheit als moralisches Lebensprodukt hervorzubringen; das Leben Gottes als sittliche Reinheit und Heiligkeit wäre dann gleichsam „strömend“ geworden, in der gesamten Existenz dieses Menschen, die von aller unguten Aktivität der moralischen Folgen der Erbsünde befreit wäre. Damit wäre auch eine dauernde existenzielle Beschauung möglich. Durch eine solche durchgreifende, die gesamte Existenz des Menschen umfassende Läuterung würde ein Mensch in einem ganz vollkommenen Sinne „gerechtfertigt“, während auf allen anderen niederen Graden und Schichten der passiven Reinigung immer nur „Teilergebnisse“ bleiben und es niemals zu einer „vollen Gerechtigkeit“ der menschlichen Existenz kommt. Wenn aber eine solche durchgreifende passive „Rechtfertigung“ vollzogen und „habituell“, d. h. als Zustand erreicht wäre, dann wäre ein solcher Mensch (dem moralischen Werte nach) dem Paradiesesmenschen ähnlich, wenn noch der Zustand einer dauernden existenziellen Gotteserkenntnis hinzukäme. Freilich würden ihm dann immer noch die vielen Beschwernisse durch die „materienhafte“ leidensfähige Natur anhaften und würde immer noch die einstmals von Gott geschenkte Schärfe des Geistes fehlen, die einstige Kraft des Verstandes, die Gabe des geistigen Durchdringens der Geheimnisse der Schöpfung; mit anderen Worten: Ganz ist für uns der Paradieseszustand nicht mehr zu erreichen.

3750 |        Die Reinigung der Existenz bis in die letzten Tiefen des persönlichen Empfindungslebens ist ganz ein Werk der göttlichen Gnade. Aber dieses Werk ist möglich – mittels der Gnade Gottes und vermöge der alles überbietenden Erlöserverdienste – bei einer letzten und höchsten Hingabe und Großmut der Seele Gott gegenüber. Niemand kann im Ernste behaupten oder beweisen, dass ein solcher Geistesweg nicht möglich ist. Gott ist unendlich mitteilsam seinen Geschöpfen gegenüber. Er will sie zur Vereinigung mit sich führen und ihnen hierzu in möglichst hohem Maße Anteil geben an seinen göttlichen sittlichen Vollkommenheiten; denn alles Gute kommt von ihm, dem höchsten, unendlich vollkommenen Gut, und die Gottvereinigung ist nur möglich nach dem Maße unserer sittlichen Vervollkommnung, die immer eine gewisse Aufnahme seines Lebens und seiner Vollkommenheit ist.

3751 |        Der Zustand einer existenziellen Beschauung lässt sich etwa folgendermaßen beschreiben oder andeuten: Gott ist mir gleichsam in die „Glieder gefahren“; ich lebe sein Feuer, ich empfinde unaufhörlich seine Reinheit, in mir „ruht“ seine Gerechtigkeit, in mir herrscht die Ruhe seines Geistes! – Wo ist er? Ich sehe ihn nicht, wie ich ihn einst schaute und wie ich ihm „nahe“ war mit dem Lichte meines Verstandes, mit der Glut meiner Liebe. Wo ist mein Gegenüber? Er ist mir – statt der früheren „Zweisamkeit“ zur Einheit meines Lebens geworden und seine Gerechtigkeit lebt in mir. Was ich früher schaute und erkannte, das ist nun mein Anteil geworden; sein Leben ist strömend mein Leben.

3752 |        Es wurde mir auch die Frage erklärt: Wie entsteht ein vergeistigter Ausdruck des menschlichen Antlitzes gleich jenem, den ich bei Jesus und Maria schaute? – Durch die Übernahme der Oberherrschaft des Geistes über die Materie wird das Materielle des Gesichtes „entlastet“ während sonst (d. h. beim gewöhnlichen Menschen) ein gewisses krampfhaftes Festhalten der äußeren und inneren Eindrücke sich auf dem Antlitz zeigt. Wird die Oberherrschaft des Geistes immer allgemeiner, so befreit sich auch der fleischlich-materielle Ausdruck des Gesichtes von den Eindrücken, und es prägt sich auch im Antlitze die Oberherrschaft oder die Gewalt des Geistes aus, der ein Geist der Ruhe und der Ordnung ist. Diese Ordnung glättet auch den äußeren Ausdruck. – Zudem waren ihn Jesus und Maria auch alle Empfindungen vollkommen der Wahrheit und der Wirklichkeit entsprechend; sie empfanden nicht mehr, aber auch nicht weniger, als es den Tatsachen entsprach, also nicht abgestumpft und auch nicht übertrieben, nicht einseitig und nicht unbeherrscht. – Zu einer ähnlichen Ordnung und Klärung unseres Empfindungslebens sollen auch die oben angedeuteten tieferen Läuterungen des Sinnenlebens führen.

3753 |        Nachtrag: Die besagte, tiefe Reinigung der gesamten Empfindungstätigkeit gehört mehr zur Wiederherstellung der durch die Erbsünde verloren gegangenen psychologischen Ordnung und Harmonie der Seele1628 (soweit dies noch erreichbar ist). Aus der Unordnung der Empfindungstätigkeit entspringen ja die vielen überbotenen Gemütsaffekte und die Übertreibungen der Affekte im Allgemeinen und damit die Hinfälligkeit und Unzuverlässigkeit des menschlichen Urteils, das entweder zu wenig oder auch zu stark von äußeren oder inneren Eindrücken und Tatsachen berührt wird; daraus kommt eine unechte und unrichtige, d. h., den Wirklichkeiten nicht entsprechende Beurteilung der jeweiligen Lebensverhältnisse, was sich dann auch in moralischen Fehlern äußert. – In diese tiefen Bezirke des Empfindungslebens kann unser Verstand und Willen nicht regelnd eingreifen, denn auch diese unsere höheren Fähigkeiten unterliegen den Einflüssen des Empfindungslebens, die aus den Tiefen unseres menschlichen, persönlichen Wesens hervorstoßen1629.

3754 |        Die volle Ordnung unserer Empfindungstätigkeit führt dazu: Jeden Eindruck nach seinem wahren, objektiven Wert zu bemessen, das rechte Ebenmaß in allem zu bewahren, nie „den Kopf zu verlieren“. Damit ist dann jener dauernde Starkmut, jene gleichbleibende, sichere Richtung gegeben, die zu einer vollkommenen, harmonischen seelischen Existenz gefordert ist. Diese rechte Ordnung der Empfindungstätigkeit ist frei von sowohl frei von Härte, wie von seichter „Oberflächlichkeit“; sie ist schmiegsam gegenüber allen Einflüssen, verharrt nicht hartnäckig in der eigenen Meinung, beherrscht und leitet in höchstem Maße die Gefühle und die Regungen der Eigenliebe.

3755 |        Moralischer Aufstieg und psychologische Ordnung und Harmonie gehen ihm Seelenleben zusammen. Zwar bleiben auch bei vollkommenster seelischer Ordnung die Freude und der Schmerz usw. bestehen, aber die allmähliche Zurückeroberung der psychologischen Harmonie prägt in der Seele doch jene ebenmäßige Ausgeglichenheit und Proportion der Empfindungen aus, die in allen Lebenslagen jedem Affekt den ihm zustehenden Grad und Wert gibt; vollkommene heroische Geduld, Güte, Milde, Sanftmut, Liebe, Leidensbereitschaft usw. kann nur dann als dauernder Tugendzustand bestehen, wenn auch die tiefste Wurzel der Empfindungstätigkeit harmonisch der geordneten Selbstbeherrschung und Selbstherrschaft, und damit der sittlichen Vollkommenheit wie zu einem einzigen Akt eingeordnet ist.

3756 |        In Maria kann man dieses Ideal verwirklicht sehen. Welche harmonische Einheit war in ihrer Seele! Sie war frei von jeder erbsündlichen Unordnung und von jeder Begierlichkeit, und unterlag deshalb auch nicht den oben angedeuteten psychologischen Unordnungen, d. h., es gab in ihr keine überbetonten Affekte und keine oberflächliche, unrichtige Beurteilung ihrer „Lebensverhältnisse“; auch ihr psychologischer Organismus war von vollständigem Ebenmaß und Ausgleich, ob es sich um Freude oder Schmerz, um Trauer oder Sorge handelte.

3757 |        Und was wollen wir erst vom Gottmenschen Jesu Christi selbst sagen! In ihm war die Fülle aller Gerechtigkeit, eine wohlgeordnete, harmonische „Verteilung“ aller göttlichen Vollkommenheiten, die vom vollendeten psychologischen Organismus seiner Seele so wunderbar als gottmenschliche Vollkommenheit gelebt wurde.

3758 |        Man bedenkt wohl zu wenig, wie tief die Wurzeln der Folgen des verhängnisvollen Sündenfalles im Empfindungsleben der Menschenseele gehen und sich darin gleichsam eingegraben haben, woraus dann viele einzelne psychologische Unordnungen und eine Unzahl moralische Verfehlungen und Erkrankungen sich ergeben. – Mit jeder Sünde oder sündhafter Unordnung aber, die man überwindet, mit jedem Fehler, den man auszurotten vermag, kehrt der Mensch auch1630 in einem entsprechenden Maße wieder zur ersten psychologischen Ordnung zurück, erobert er sie sich teilweise wieder zurück.

 

27.01.1947

3759 |        1. – Der tiefe Urgrund der Schöpfung und des Menschen liegt in der göttlichen dreieinigen Liebe. Das ewige „Wort“ Gottes war das göttliche Ur-Vorbild für die Erschaffung der Menschen. Kein menschliches Wort vermag darum die Innigkeit des Verhältnisses oder die Intimität Gottes zum Menschen auszudrücken, die von Anfang an bestand. Gott und der Mensch waren sozusagen „Wesen“, die „zusammengehörten“, weil das eine der beiden vom anderen abhing in einer wesensgemäßen Urabhängigkeit. Der Mensch bestand durch Gott, der seine Grundlage, sein Lebens- und Daseinsvermittler war und ist.

3760 |        2. – In gleicher Intimität zu Menschen, ja menschlich gesagt „noch näher“ stand ihm das göttliche, ewige „Wort“. Dieses war zunächst das Urvorbild für das Menschengeschlecht. – In Gott und seinem Wirken gibt es ja keine Ziel- und Zwecklosigkeit, keine Zufälligkeit. Gott hat immer ewig göttliche „Leitmotive“, und jeder Mensch hat in Gottes Schöpferabsichten ewig-göttliche Bestimmungen. Nach Gottes Schöpferplan sollte der Mensch ein moralisches und „teilhabendes Abbild“ des ewigen Wortes und damit einbezogen in den göttlichen Lebens- und Liebeskreislauf der heiligsten Dreifaltigkeit sein.

3761 |        3. – Dazu war der Mensch mit entsprechenden Fähigkeiten1631 ausgestattet. Er besaß die „Geistfähigkeit“, die es ihm ermöglichte, zu Gott zu gelangen, an ihn „heranzureichen“, um immerwährend mittels seines eigenen menschlich-geistigen Wesens Gott „erkennen“ zu können. Um diese Werkzeuglichkeit des menschlichen Geistes sich erklären zu lassen, müsste man einen Seligen des Himmels sprechen lassen können, der schon die Schau Gottes „genießt“ oder man müsste die „Feinheit“ eines Engel-Geistes haben, um diese Gottfähigkeit des (Geistes)1632 Menschen entsprechend ausdrücken zu können.

3762 |        4. – Aus dieser hohen gottgegebenen Bestimmung des Menschen ergab sich aber auch für Gott – (wie soll man es menschlich ausdrücken? Man muss Worte gebrauchen, die, falsch verstanden, eine „Häresie“ wären) – eine gewisse „Verantwortlichkeit“ für dieses Sein Werk, d. h. für den Menschen und dessen Bestimmung. Gott schuf den Menschen in freiwilliger göttlicher Liebe, aber auch nach seinem göttlich-wesentlichen Gesetz der Liebe und er machte sich dadurch vor sich selbst „verantwortlich“ für den Zweck und das Ziel seines Schaffens? Ja. Er machte sich hinsichtlich des höchsten menschlichen Lebenszieles, der Teilhabe an Gott, gleichsam „abhängig“ vom Menschen, insofern die Verwirklichung des göttlichen Zieles tatsächlich von der Freiheit des Menschen abhing. Es war ein „Wagnis“ der göttlich-wesentlichen, erschaffenen1633 Liebe; es war eine mit dem Wesen der göttlichen Liebe gegebene „Verantwortung“.

3763 |        5. – Weil aber das göttliche „Wort“ vor dem ewigen Vater bei Erschaffung der Welt und vor allem des Menschen als „Urvorbild fungierte“, so war das ewige „Wort“ auch in besonderer Weise „getroffen“ von der Wesensverantwortung1634 des göttlichen Urbildes für das menschliche Abbild; denn durch das göttliche Wort sollte dem Schöpfer-Vater alle Ehre und Verherrlichung aus der Schöpfung zuteilwerden, deren Urbild das ewige Wort war. Diese „Verantwortlichkeit“ für die Ehre des Schöpfers und für die Erreichung der Schöpferabsichten (in dem oben angedeuteten Sinne) nahm das ewige Wort im Augenblick der Erschaffung (des Menschen) in göttlich-unendlicher Liebe gleichsam auf sich. – Die Menschwerdung des göttlichen1635 Wortes und seine stellvertretende Genugtuung war darum eine Konsequenz seiner Urvorbildlichkeit. Als göttliches Urbild gleichsam „verantwortlich“ für das geschaffene Abbild brachte das ewige Wort dem Menschengeschlecht auch (seine)1636 die Erlösungsvermittlung, brachte es der Menschheit das „zweite“ göttliche Leben durch den Erlöser. Für das Abbild „verantwortlich“ gab er1637 in der Menschwerdung sich selber hin als Mittler und Wiederhersteller. So stand das ewige Wort als „Brücke“ und als Wesens- und Lebens-Vermittler zwischen dem paradiesischen und dem gefallenen Menschen; und das Motiv der Menschwerdung lag menschlich ausgedrückt, nicht bloß im Willen Gottes bezüglich der Menschen, sondern lag im Wesen der göttlichen drei-einigen Liebe und des ewigen Wortes selbst. Damit wurde das Verhältnis des ewigen Wortes zu den Menschen, wenn möglich, noch inniger und intimer.

3764 |        Erst aus dieser göttlichen Tiefen-Perspektive heraus dringt man tiefer in das Erlösungs-Geheimnis ein, begreift man mehr die Unermesslichkeit der darin liegenden Herablassung Gottes und kann man besser das ganze Ausmaß der geistigen Bedeutung der Erlösung für den Menschen würdigen. Aus diesen Tiefen des Glaubens erst fließt jenes hohe Licht, das uns das unermessliche Geheimnis der Erlösung menschlich näher bringt. Man muss die ganze Linie vom Urzweck bis zum konkreten Endziel im Auge behalten und überschauen, und man darf nicht einen Teil, etwa die Mitte, d. h. die Ausführung der Menschwerdung, herausgreifen und ihn isoliert von der Ur- und End-Bestimmung des Menschen betrachten – wenn er nicht seinen tiefsten Sinn und Zweck verlieren soll. Zum vollen Verständnis der Menschwerdung1638 und ihrer Bedeutung – (soweit das uns möglich ist) – muss man im Auge behalten die göttlich-dreifaltigen Liebesabsichten und zugleich die gottgeschaffene Werkzeuglichkeit im Menschen selbst, der in seiner menschlichen Freiheit für den Schöpfer wirklich ein Ziel und einen Zweck der Erschaffung darstellte und zugleich einen göttlichen Ertrag bringen sollte, aber auch wirklich ein göttliches Risiko oder Wagnis bedeutete. Als göttlicher Ertrag kann vor dem Schöpfer nur das gelten, was ihm irgendwie „ebenbürtig“ sein kann durch Prinzip und Zweck und Ziel. Ein solches Prinzip oder eine solche Grundlage und Voraussetzung besaß der Mensch in seiner ursprünglichen Gottfähigkeit: Der Mensch konnte seine Seligkeit in Gott finden, sein menschliches Wesen reichte hierzu an Gott heran, weil seine geistigen Voraussetzungen Gott in geschaffener Weise „ebenbürtig“ waren. Wie früher schon angeführt, gibt es keine wesentliche, sittliche Vollkommenheit in Gott, die der Mensch nicht in endlicher, geschaffener d. h. verliehener Form und Anlage besessen hätte. Insofern war im Menschen nichts „Gottwidriges“ oder „Fremdartiges“, sondern alles in Menschen, d. h. alle Grundlagen und Voraussetzungen des Menschen (im Paradies) waren dem obersten Zweck des Menschseins in vollkommenster Weise eingeordnet. Der Mensch hatte ständig Gott gegenwärtig; nicht etwa, indem er ihn (nur) mit den leiblichen Augen gesehen hätte, sondern – was weit über das jetzige menschliche Sehen und Schauen hinausgeht – der paradiesische Mensch erkannte durch sein eigenes abbildliches Wesen ständig Gott, erfuhr und „erfühlte“ ihn ständig mit der eigenen geistigen Grundlage auf geistig-leibliche Weise. Sein gesamtes menschliches Leben1639 diente diesem seinem obersten Zweck. Die letzte Verwirklichung und Vollendung des Zweckes aber ist das Ziel, das auch den Zweck zur eigenen Erhabenheit emporhebt. Der Paradiesesmensch fand sein Ziel hienieden schon in einem gottgeschenkten gewissen Abschluss, indem er nur für Gott da war, sich ganz als Gottes Eigentum wusste und erlebte, in Gott sein Glück und das Motiv seiner Erschaffung fand. Er fand sich in Gott als seinem Ziele, fand sich in einer Einheit mit ihm, die er tatsächlich strebend erreicht hatte. Auch in seinem glücklichsten Zustand war der Mensch nicht „Isoliertes“ oder in sich Abgeschlossenes und Abgeschnittenes, sondern er fand seine Vollendung und Vollständigung im Besitze Gottes, den er mit seinem ganzen1640 Wesen besitzen konnte. Eine ähnliche Überfülle des Gottesbesitzes kann jetzt auf Erden nur der Mystiker erfahren; das mystische Gotteserlebnis ist der einzige Strahl, der vom Reiche des Seligen noch in dieses irdische Leben dringt. Nur wer einmal von dem Reichtum und von der Süßigkeit des Wesens Gottes gekostet hat, nur der hat gekostet und erfahren, wie süß Gott ist, und der kann davon erzählen; alle anderen pilgern im Tale der Dunkelheit und „kennen“ Gott nur vom Hörensagen und im Glauben an ihn.

3765 |        Die höchste Bestimmung, die Gott dem Menschen gab, machte Gott den Herrn, bzw. Gottes Liebe, die ihn dazu bewog, „verantwortlich“ für den Menschen und für die Gefahr, dass jene hohe Befähigung (für Gott) tatsächlich einmal den Gegenspieler Gottes zunutze kommen könne. Das ewige „Wort“ und Urbild war gleichsam zur Bürgschaft geworden für das Abbild, und er, der Sohn Gottes, der „ausgeht“ vom Vater, in dem er war und ist, er trat für die Menschheit ein und wurde selbst1641 zum „Menschensohn“. Er blieb, der er war, aber es ist doch „geworden“ nach Grundlagen, nach denen der Mensch besteht. Er hat wirklich die Herrlichkeit des Himmels „verlassen“ und hat sich Veränderungen unterzogen. Er „war“ nach göttlichen Prinzipien und er „wurde“ nach menschlichen Prinzipien, um die Einheit zwischen Gott und Menschheit zu leben und um dadurch die Einigung der Menschheit1642 mit Gott wieder zu verwirklichen.

3766 |        Warum nehmen die Menschen, auch die gläubigen Christen, dieses Mensch-werden des göttlichen Wortes, diese Einigung des göttlichen Wortes mit der Menschheit, so selbstverständlich, so gleichmütig und, fast möchte man sagen, gleichgültig hin? – Weil uns das Bewusstsein der göttlichen Hoheit und Würde – und auch das Bewusstsein unserer menschlichen Würde – zu sehr abhandengekommen ist. Darin liegt aber die größte Würde des Menschen, dass eine Einigung zwischen Gott und dem Menschen möglich ist, dass die Seele des Menschen heranreicht zur Vereinigung mit Gott, weil ihre Geistesgröße das einigende Band ist. – Wir sehen und bewundern, wie der Mensch schafft und plant, wie er herrscht inmitten der gesamten Schöpfung, die seine tägliche Werkstatt geworden ist. Warum bewundern und anerkennen wir nicht noch mehr das, woraus die Werke des Menschen sprießen, nämlich seinen schöpferischen Geist, der sich zu solchen Höhen erheben und in solche Weiten dringen kann, dass er selbst „gott-sichtig“ zu werden vermag? Es ist die wunderbare Fülle des Menschen-Geistes, dass er den Menschen befähigt, nach oben und nach unten zu steigen, wohin er will, sei es in die Höhe des Alls, sei es in die Tiefen der Erde und Meere! Aber es ist die Tragik des Menschengeistes, dass er seinen Weg zu Gott hin verloren hat. Und trotzdem ist er Geist vom Geiste Gottes. Nichts kann daher1643 den Menschen seiner Verantwortlichkeit vor Gott entheben oder entziehen – sei es denn, dass der Mensch aus sich selbst bestehen wollte, aber im gleichen Augenblick bestünde er dann eben nicht mehr.

3767 |        Seit Ewigkeiten war das „Wort“, und das Wort war „Geist“, und das Wort ward „Fleisch“, um als Menschensohn leben zu können. Sowie dem „Worte“ die Urvorbildlichkeit für die Menschheit zu eigen war, so nahm der „Menschensohn“ die abbildliche Verantwortung1644 auf sich. Er vereinigte in sich die reinste Menschheit und den Zustand des gefallenen Menschen. Der Zustand des gefallenen Menschen haftete dem Erlöser an wie sein eigener Leib; damit trug er mit sich die „Schmach“ des Menschen „vor Gott“; diese war mit dem Erlöser gleichsam „wesensverbunden“ und wurde für ihn wie eine Aufgabe, die er zu erledigen hatte. Christus hätte sich wohl in einem Augenblick dieser Schmach entledigen können, indem er die Menschheit in den Abgrund der Verwerfung hätte fallen lassen können, aber er warf diese Last nicht weg; er trug diese ganz ungeheure Last mit all ihren vielfachen Verzweigungen und Auswüchsen, d. h. mit all der Vielheit der Vergehen und Vergehensmöglichkeiten der Menschen. So zahlreich und unzählbar die geistig-leiblichen Fähigkeiten des Menschen sind, ebenso zahllos sind in deren geistig-sittlichen Auswirkungen die Verirrungsmöglichkeiten der Menschen. Und wie im kleinen Umfang des Menschenleibes die mannigfaltigen Fähigkeiten gleichsam „zusammengepresst“ sind, so trug der Erlöser, im kleinen Maße eines Menschen, die ungeheure Last aller Menschen in sich. Auch aus dieser Tatsache – das nämlich moralisch1645 der Menschensohn die Last aller Menschen trug – könnte man schon die Größe der menschlichen Seele und ihre Möglichkeiten ermessen. Die Seele kann sich ja zu einer schier unbegrenzten Höhe und Spannweite erheben, wie das schon die große Verschiedenheit in der Leistungsfähigkeit der Menschen ahnen lässt. Wenn z. B. der eine voll in Anspruch genommen scheint durch die Obliegenheiten eines einfachen Arbeiters, ein anderer aber Völker regiert und sozusagen jedes einzelne Geschehen im Leben seines Volkes in sich trägt, so zeigt sich darin der Unterschied der größeren und geringeren Macht und Spannweite des Geistes der Seele. – Bei der Erschaffung der Seele Christi in der Menschwerdung entschied nun aber (über deren Tragkraft und Ausstattung) der gewaltige Aspekt oder die Riesenschau seiner göttlichen Aufgabe, die er zu erfüllen hatte.

 

29.01.1947

3768 |        Wenn der Glaube in einem Menschen so tief und lebendig wäre, dass er die (im Vorausgehenden beschriebenen) höchsten Liebesabsichten Gottes als die letzte Ursache seines Bestehens so ganz in Erwägung zöge, so würde dieser Mensch jederzeit jubelnd seinem Schöpfer entgegeneilen. Und wenn der Mensch die „Wirklichkeit“ seines Gottes mehr ermessen könnte, so würde er sich nicht so zagend und schwach und fast gleichgültig gegenüber seinem höchsten und letzten Ziel verhalten. Doch „nun ist so vieles vor den Augen des Menschen verborgen“, weil der Sündenfall seine Seele in Dunkelheit gestürzt hat. – Was kann aber den Menschen retten vor seinem Untergang in sich selbst, der darin besteht, dass er sich nicht hin zu seinem Gott aufrafft? – Mehrfache Kundgebungen des sich uns bezeugenden Gottes wollen Menschen immer wieder zur Besinnung und auf den rechten Weg hin zu Gott rufen.

3769 |        Zunächst bezeugt sich Gott mit seinen Rechten und Forderungen jedem Menschen schon durch die Naturgesetze und durch die Stimme des Gewissens. Der Mensch müsste ja aufhören, durch Gottes Schöpferkraft zu existieren, wenn Gott sich ihm nicht immer wieder bezeugen und in diesem Sinne zum Menschen, seinem Geschöpfe, „sprechen“ würde. Und des Menschen Wesen ist nicht so trügerisch, dass er nicht klar die Existenz Gottes erkennen könnte – wie viele Menschen sich so einreden und vormachen möchten, um sich der eigenen Verantwortung vor Gott zu entziehen. Mag auch ein Mensch nach außen dem Götzendienst ergeben sein und Vielgötterei treiben, so kann er vor sich selbst dennoch jenen einen Herrn und Gott nicht ableugnen, der „sein Gesetz“ vorschreibt, das die verpflichtende Norm seines Lebens und Handelns sein soll. Dieses Gesetz ist als „natürliches Sittengesetz“ so unwiderruflich jedem Menschen eingeprägt, dass am Tage des Gerichtes keiner sich mit Unwissenheit wird entschuldigen können, als ob er nämlich den nicht hätte erkennen können, dessen Urgesetz ihn Tag und Nacht gemahnt hat und dessen Wesen ihm gerade durch dieses Gesetz hätte irgendwie „vertraut und heimisch“ werden können und sollen – Gottes Gesetz ist aber zugleich unser Gericht, wenn wir uns über dieses Gesetz hinwegsetzen wollen. Gottes Waage1646 ist ohne fehl, und wer seine Gesetze mit Füßen tritt, der wird auch von ihm als Richter zertreten werden. – Noch viel furchtbarer muss aber Gott verurteilen und strafen, wenn es sich nicht bloß1647 um Einzelfälle, sondern um eine gewisse allgemeine Ablehnung seines Gesetzes handelt, um ein weitverbreitetes Zurückweisen jener allgemeinen Huld und Güte und Liebe, die Gott mit der Erschaffung jeder werdenden Seele schenkt, dass sie nämlich ihn erkennen kann, den einen, wahren Gott.

3770 |        Es gibt auch – ich möchte sagen – eine „Vererbung“ der Vernachlässigung des sittlichen Naturgesetzes, und dieser Vererbung ist die heutige Menschheit in ihrem Zeitgeist anheimgefallen. Und doch bedarf es keiner besonderen Wissenschaft, um zur Erkenntnis Gottes zu gelangen. Möchte nur jedes menschliche Wesen die absolute Ohnmächtigkeit und Abhängigkeit seines Bestandes, das Fehlen jeglichen Haltes in sich selbst, das Mangelhafte und Unzulängliche alles dessen, was der Mensch erstrebt und erreicht, dass eigene Suchen und hungern nach Glück und „Unendlichkeit“, worin der Mensch sich geborgen wissen und dauernd Befriedigung und Ruhe finden möchte, eingestehen und bedenken. Das kann aber der Mensch wieder in sich selber finden, noch kann es die Welt ihm geben, so sehr sie sich auch bemüht, ihre Kinder zu „beglücken“. – Wenn aber der Mensch jenem Zuge nachgeht, der ihn hintreibt zu einem „höchsten Wesen“, das ihn lockt und dass ihm den Frieden verspricht, so wird er erfahren, wie süß das Gesetz des Herrn ist, dessen Wesen Liebe ist und dessen Liebe nur es zu verdanken ist, dass der Mensch überhaupt besteht und dass er geschaffen wurde, um seinen Schöpfer und Gott erkennen zu können, ja dass nur dies der letzte Sinn jedes menschlichen Daseins ist: Dass es ein Wesen mehr gebe, das von Gott beglückt werden könne in der Zeit und für die ganze Ewigkeit und dem es möglich wäre, Gottes Liebe zu empfangen. Möchte jeder Mensch sich diese Wahrheit immer vor Augen halten! Sucht nicht jeder Mensch naturgemäß seine immer größere Vervollkommnung und Vollendung, d. h. bemüht sich nicht jeder in seiner Art, immer mehr auszuschöpfen und herauszuholen, was an Kräften in ihm ist, um sich irgendeinem Ziele zu nähern, das ihm gut und erstrebenswert scheint? Möchten doch die Menschen all diese Bemühungen dahin aufwenden, dass sie ihrem Gott näherkommen! Welche herrlichen Früchte, welch reichen Gehalt und Gewinn würde ihnen das Leben bringen, wenn sie immer nur das einzig wahre Ziel des Menschen im Auge hätten, nämlich das Ziel: sich immer das Wohlgefallen Gottes zu sichern! Wie kurz und klar sind die Wege und das Gesetz Gottes, wie einfach und begründet seine Forderungen! Warum sich ein in sich weit härteres, bitteres und schwereres Gesetz, das der Welt, aufbürden, warum sich Verwicklungen schaffen, wenn das Ziel so klar, das Glück so sicher, der Lohn so verheißend und so „ewig“ ist! Wie töricht sind die Menschen, die nur Endliches suchen und damit die „Unendlichkeit“ verlieren!

3771 |        Eine weitere unwiderlegliche und untrügliche Bürgschaft und Kundgebung Gottes haben wir in der Ur-Überlieferung und in den Mitteilungen Gottes an die Propheten. Aus dem Wesen, der Stellung und Autorität Gottes folgt ja, dass die ganze Menschengeschichte in ihrer Einheit ein gewisses „Gottesgeschehen“ ist, ein gewisses „Sprechen“ Gottes zu den Menschen, sei es durch die Ereignisse, sei es durch die Propheten und gotterleuchteten Personen. Diese bezeugten einstimmig immer wieder die Existenz Gottes, der zu ihnen gesprochen und sie auf ein „Sittengesetz“ hingewiesen habe, das anders ist, als es sich die Kinder dieser Welt zurechtgemacht haben. Bei all seinen „Erscheinungen“ oder „Offenbarungen“ – die sich aus seiner göttlichen Existenz erklären und begründen – hat Gott immer auch Forderungen, Bedingungen, Folgerungen1648 aufleuchten lassen, die sich aus der „Nähe Gottes“ für den Menschen ergeben. So war das „Alte Testament“ eine durch Gott gegebene Schulung der Menschen für Gott. Er gab ihnen Gesetze, deren Befolgung ihnen sein Wohlgefallen und seinen Segen gebracht hätten. Gott „sprach“ auch im Alten Bund niemals ohne zugleich entsprechende Forderungen und Erwartungen und oft auch Strafandrohungen auszusprechen. Wie könnte auch Gott in seiner Herablassung bei seinen Selbstoffenbarungen auf die ihn gebührende Ehre verzichten? Er ist wesentlich Herrscher und Gebieter über alle Geschöpfe. Bei ihm gibt es nichts Belangloses oder „Zufälliges“. Sein Wesen ist Herrschaft und Gebot.

3772 |        Zu der Selbstbezeugung Gottes in jeder einzelnen Menschenseele und in der ganzen Menschheitsgeschichte kommt aber vor allem das erschütternde Zeugnis des Herabsteigens der zweiten göttlichen Person in unsere arme Menschheit, was uns in ergreifender Weise die Liebe Gottes, sowie den Wert und die Bedeutung der Menschenseele in den Augen Gottes offenbart. Dieses Zeugnis kann niemand leugnen, der auch nur hinschaut auf jene „christliche Kultur“, die schon durch ihren Namen an das größte Geschehen und Ereignis in der Menschheitsgeschichte erinnert und die mit jenem Ereignis ihren Anfang nahm. Wie tief muss in der Masse der damaligen Menschheit die Überlieferung, und die Hoffnung auf einen kommenden „Messias“ verwurzelt gewesen sein, wie sehr muss sein Kommen tatsächlich die Menschheit aufgerüttelt haben, dass man schließlich die vorhergehende Zeit als umgestürzt bezeichnet1649 und von jener Zeit, von der Zeit „des Christentums“ an, zu zählen begann. Tatsächlich wurde und wird durch Christus, die persönliche Offenbarung Gottes, jeder Mensch und die Masse der Menschen vor die Entscheidung und vor sein eigenes Gericht gestellt. Er war und ist „das Zeichen“ … gesetzt zum Falle und zur Auferstehung vieler. Wie hätte damals jemand „kalt“ an dem großen Zeitgeschehen, an Christus, vorübergehen können, ohne sich selbst damit zu richten? Und wie hätte jemand, ohne schuldig zu werden, sich dem Gesetze dessen entziehen können, der das in jeder Menschenbrust ruhende Geistes- und Sittengesetz vervollkommnete?

3773 |        Gott hat aber seinen Sohn gesandt, dass er alles Hoffen und Verlangen mit ewigen Gütern erfülle, dass der Gottmensch es uns ermöglichte, alles in diesem Leben mangelnde einmal mit ewiger Freude und Fruchtbarkeit zu vertauschen, dass jeder, gar jeder eine Heimat finden könne beim Erlöser, der nur um der Menschen willen gekommen ist, um den Gefallenen Verzeihung und Versöhnung zu bringen, um den Schwachen und Wankenden das Gesetz des Schöpfers und Vaters „leichter“ zu machen, um den Menschen die Frohe Botschaft seiner Liebe zu bringen. O, dass die Menschen doch in Freudigkeit den Erlöser als eine frohe Botschaft Gottes erkennen1650 würden! Dass unser Weg zu ihm nicht so schleppend, unser Gang zu ihm nicht so erdbeschwert wäre, weil wir so viele „Güter“ mit uns schleppen, deren wir in seiner Nähe nicht bedürfen; denn er gibt alles, was wir brauchen; denen, die sein Reich und seine Gerechtigkeit suchen und sein Gesetz erfüllen. – Ja, es gibt nur ein wahres und letztes Ziel in diesem Leben: Gottes Wohlgefallen und dieses besteht darin, dass wir uns jene immer größere Einigung mit Christus gewinnen, die uns hienieden schon Gottes Nähe verbürgt und gewährt und die uns schon in diesem Leben seine göttliche Herrlichkeit ahnen lässt.

3774 |        Es ist auch eine tröstliche Gewissheit, dass in gewissem Sinne selbst die außerhalb des Schosses der Kirche stehenden Seelen doch irgendwie am allein seligmachenden Gott teilhaben. Es gehört nämlich zu den wunderbaren Früchten der Menschwerdung Christi und seines mühseligen Erdenlebens, dass jeder Mensch – kraft seiner Erschaffung durch die ewige Liebe Gottes und kraft der Wesensverantwortung des ewigen Wortes irgendwie „teilhat“ an den Früchten der Erlösung, weil das Erlöserleiden Christi sozusagen jeden Augenblick für das Wohl der ganzen Menschheit eintritt. O, wenn wir ganz gebührend verstehen und einschätzen würden, die göttlich-unendliche Liebe, die sich durch die Schöpfung in einem wahren Sinne geradezu „verpflichtet“ hat gegenüber den Menschen. Warum sind Gottes Gesetze so kurz und so einfach und klar? Weil sie seiner Liebe entsprechen, weil sein Wesen gesetzgebende Liebe ist; die Liebe aber spricht immer kurzen klar. Wo die Liebe entscheidet, da ist das selbstverständliche Tun, das einfache Handeln ohne viel Fragen. Wo die aus dem Glauben erwachsende Liebe die Entscheidung gibt, da handelt man leichten und beschwingten Fußes, weil man den Vorteil hat, einen freudigen Weg zu gehen. – Wie kurz könnte heute der Weg zu Gott gerade auch für diejenigen werden, so schmerzlich es ist, die alles verloren haben! Wie entschwert wären sie auf dem Weg zu Gott! Wie „weit“ wollte ihnen der Herr gleichsam entgegenkommen und wie einfach und selbstverständlich würde er ihre suchende Seele in seine göttlichen Armen schließen, weil sie alles so rasch und so gänzlich verlassen haben und verlassen mussten, während man auf dem gewöhnlichen Wege nur langsam und zögernd alles dem Herrn zum Opfer bringt. – Es ist auch so, dass niemals „zwei“ oder auch eine ganze Familie „zusammen“ zu Gott gehen, sondern im Grunde geht jeder seinen Weg zu Gott und je mehr er dabei „allein“ ist, desto besser ist es im Allgemeinen, weil die „Zweisamkeit“ den Weg zu Gott nicht immer erleichtert, sondern vielleicht öfter erschwert. – Möchten die Menschen die Zeichen der Zeit verstehen und sich einrichten gemäß jenen Fügungen, die ihnen der Herr jeweils als ihren Weg zum ewigen Glück anweist. Möchten wir einen Glauben haben, der Berge versetzen könnte! In welch einfachen klaren Lichte würden wir dann wirklich erkennen, was uns zum Heil dient.

3775 |        Christus machte das stille Geistesgesetz des Schöpfers und Vaters, das jedes Menschenkind mit seinem Werden empfängt, gleichsam zu einem lauten Rufen und zu einer deutlicheren Verantwortung1651, ja auch zu einem warnenden Schrei des Gerichtes Gottes für jene, die den „Sohn“ jenes Vaters verwerfen, dessen Zeichen und Gesetz sie als Geschöpfe doch in sich tragen. Ob ein Mensch nun einen berühmten Namen trägt oder ob er im Bettelgewand einhergeht: Wer immer den „Sohn“ des Vaters der Schöpfung nicht anerkennt, der kann dem Gerichte und der „Rache“ Gottes nicht entgehen. – So lehrt es auch die Geschichte. Oder wer könnte und wollte z. B. den Zusammenhang verkennen zwischen dem heutigen Weltgeschehen und dem allgemeinen Frevel wider Gottes und Christi Gesetz? Wer sollte die Zeichen unserer Zeit nicht begreifen, dass nämlich der Herr der Schöpfung Gericht hält und Rache übt gegenüber seinen Feinden und Frevlern? Wie viele mag er in den Abgrund der Hölle geschleudert haben, jene zerschmetternd, die sich gegen ihn erhoben haben! Gottes Wege sind „kürzer“ als Menschenwege, seine Gesetze sind klarer als Menschensatzungen.

3776 |        Wir haben ein doppeltes Sittengesetz:

(1.) Das Urgesetz oder das aus der Erschaffung folgende und

(2.) Gesetz, das uns Gottes Sohn gebracht hat.

3777 |        Das Erstere, d. h., das Naturgesetz sollte uns die Wege bereiten zum Zweiten, zum Gesetz der Liebe des Gottmenschen. Es wäre aber ein großer und verhängnisvoller Irrtum, wollte man den Menschen nur an christlich-religiöse Forderungen binden, aber dabei vorbeigehen an den Forderungen des Naturgesetzes. Das hieße, nur Heuchler und oberflächliche, seichte Christen erziehen. Gott will niemals, dass wir Grundsätze aus dem Wege gehen, und es gibt keine andere, dauernde Grundlage für wahres Christentum1652 als die Verpflichtung auf die einfachen Forderungen des Naturgesetzes, die jeder im eigenen Inneren erfährt. Der moralische Zusammenbruch so vieler Christen kommt daher, dass sie schon längst vor dem Gesetz in ihrem eigenen Inneren d. h. gegenüber den moralischen Grundlagen des Naturgesetzes versagt haben, obwohl sie vielleicht nach außen noch als gute Christen galten und es auch nach ihrem eigenen Urteil zu sein glaubten. Darum gibt es keine wirksame Rückkehr zum wahren gelebten Christentum, bevor sich der Mensch nicht auf das in ihn hineingelegte Naturgesetz besinnt, das ihm untrüglich anzeigt, was sein Dasein als Geschöpf und Mensch von ihm verlangt. Es gibt kein wahres, gottgefälliges Christentum, das nicht auf der Beobachtung der gottgegebenen Naturgesetze beruhen und aufbauen müsste. Darum ist selbst das Missionieren und Kommunizieren ohne wirklichen Erfolg, wenn – und weil heute vielfach – der Mensch nicht zugleich wieder ernst macht mit den elementaren Forderungen des Naturgesetzes: mit den einfachen Forderungen des Anstandes und der menschlichen Anständigkeit, der entsprechenden Bedeckung seines Körpers, der rechten Liebe zu Fleisch und Blut, der natürlichen Ehegesetze, der Redlichkeit und Ehrlichkeit untereinander usw. Erst auf der Beobachtung und Einhaltung der allgemeinen Naturgesetze kann sich ein wahres, übernatürliches Gnadenleben und Vollkommenheitsstreben aufbauen und entwickeln. Deshalb kann man auch heute der Masse der gequälten und innerlich zerrissenen Menschen nicht mehr so leicht mit „religiösen“ Belehrungen und Forderungen beikommen, denn solche völlig zerbrochenen Menschen weisen vielfach jede religiöse Annäherung ab. Man muss ihnen vielmehr zuerst wieder ihre tiefsten Verpflichtungen vor ihrem eigenen Wesen und Gewissen zum Bewusstsein bringen, muss sie zurückführen bis zu den tiefsten Quellen ihres Menschseins, in deren persönlicher Vernachlässigung die Ursache ihrer inneren Zerfallenheit, und der Grund des Zerfalls der heutigen Menschheit liegt. Jeder Mensch muss zuerst einkehren in sich selbst, dann kann er erst zu Gott geführt werden, und zwar auf dem Weg über das jeder menschlichen Person mitgegebene Naturgesetz, das den Menschen wie von selbst zu Gott führt. Zuerst muss die Menschheit in sich selbst wieder geordnet werden und dazu muss sie anerkennen und eingestehen, wie weit sie von den Forderungen einer wahren „Menschlichkeit“ abgeirrt ist. Ein neues Christentum aufbauen zu wollen, ohne zuerst die Beobachtung des Naturgesetzes zu bringen, das hieße: ein frisches Reis auf einen verdorrten Baumstrunk einpflanzen zu wollen. Zuerst muss Leben in die Wurzel kommen, damit neue Zweige hervorsprießen1653 können. Es ist ein großer Irrtum, wenn man nur eine äußere „christliche Kultur“, ein nach außen geordnetes scheinendes Christenleben als genügend betrachtet für ein wahres Christentum: Nein, es muss dem äußerlich guten Schein auch ein geistiger Umbruch vorangegangen sein. Wenn man aber die Menschen wieder hinführt zur Befolgung des Urgesetzes, dass sie im eigenen Inneren tragen, so ist das der einfachste Weg, der sie in die „Nähe Gottes“ führt. Ja, wie rasch ließe dann Gott selbst sich finden, wie nahe würde dann Gott-Sohn uns sein, wie reich beladen würde dann sein Herz sich uns zeigen, damit wir dann auch die Gesetze seiner Liebe beobachten, die wir kraft seiner Erlösung empfangen haben.

 

Februar

14.02.19471654

3778 |        Im Priesterwerk wird die gesamte dogmatische und theologische Lehre unmittelbar auf die praktische Übung und Anwendung übertragen. Der O. P. bietet die geistige, theoretische Grundlage, weil sich die Dominikaner wohl am meisten mit der Grundlage der tomastischen [dh. thomistischen, Anm.] Lehre und mit der Dogmatik überhaupt beschäftigen.

3779 |        Die Ausbildung der Mitglieder des Priesterwerkes soll mit einer jesuitischen Aszese und Arbeitsmethode geschehen, das heißt, mit einer ignatianischen Straffheit der Erziehung, die „aufs Ganze geht“. Deshalb ist ein Jesuit dazu bestimmt, der die ignatianische Schulung durchgemacht hat. Die Eigenart der S.J. bietet also die praktische Grundlage des Werkes; denn jene geistige, dogmatisch theologische Grundlage wird durch die praktische Arbeits- und Geistesmethode der S. J. ausgeführt und zum Ziele geführt und die praktische Auswertung der dogmatisch-theologischen Lehre wird gleichsam in eine jesuitische Arbeitsmethode und Aszese eingespannt. – Insofern steht das Werk zwischen O. P. und S. J.

3780 |        Noch wäre hier die Frage zu beantworten: Warum ein bestimmter Jesuit? Weil die Grundbedingung für das geistige Gedeihen des Priesterwerkes eine vorausgegangene persönlich-aszetische Schulung und Übung ist, nämlich die praktische Anwendung der Glaubenslehren auf das persönliche Seelenleben, bzw. auf die geistig moralische Entwicklung und den inneren Fortschritt. Die „Theorie“ der Erziehung und der Erziehungsmittel muss auf der „Praxis der persönlichen Übung“ geholt werden.

3781 |        Daraus ergibt sich: Das Priesterwerk ist ein Spezialwerk, das für die geschlossene Schulung eines gewissen Kreises von Mitgliedern einen bestimmten Rahmen und Raum selbstständiger Betätigung und Freiheit braucht und das deshalb nicht ohne Weiteres in einem schon bestehenden Ort aufgehen kann. Es muss vielmehr eine Möglichkeit persönlicher Verarbeitung geschaffen werden, und darum muss gleichsam ein „neuer Typ“ von Geistesschulung oder eine neue „Arbeitsmethode“ erwachsen, aus der sich eine geistige Erneuerung herausschält. – Gewiss könnte eine solche geistige Erneuerung an sich auch im Rahmen eines schon bestehenden Ordens durchgeführt werden. – Wobei dann zugleich der ganze Orden „erneuert“ würde, – aber es ließe sich wohl der zweite Hauptzweck des Werkes, nämlich das Apostolat an den Priestern (– um eine geistige Erneuerung des Priestertums herbei zu führen –) nur schwer als besondere Tätigkeit in einem geschlossenen Rahmen durchführen. – Der Zweck der Gründung ist ja ein zweifacher:

1. Die eigene persönliche Durchschulung der Mitglieder aufgrund der theologisch-praktischen Glaubensvertiefung, die zu einer fest gegründeten, persönlich angeeigneten und gelebten Vertiefung werden soll, und

2. das Apostolat an den Priestern als besonderes Arbeits- und Betätigungsfeld in der Kirche.

3782 |        Unsere heutige Zeit krankt vor allem an dem Verlust eines tieferen, persönlichen Verhältnisses zu Gott an dem Fehlen einer entsprechenden Einstellung und Bemühung darum. Man bringt die „Lehre“ vor und man begnügt sich damit, die Ergebnisse der Lehre festzustellen, aber man überlässt zugleich der Willkür des Einzelnen die praktischen Konsequenzen und Anwendungen der Lehre auf das wirkliche Leben. So behält man zwar die äußere Form des Glaubens und der Glaubensübermittlung bei, aber man entzieht sich weitgehend den Forderungen und Folgerungen des Glaubens und man verliert dadurch die unmittelbare Einstellung und Beziehung zu Gott hin, die dem Glauben erst seine geistige Wirkung und Lebendigkeit gibt und die das christliche Leben zu einer positiven Hinführung zu Gott gestaltet. Man verliert damit das eigentliche Ziel und den Zweck des Glaubenslebens aus dem Auge, nämlich die Verwirklichung und Lebendigmachung der tiefsten und wichtigsten seelisch-geistigen Anlage des Menschen: die positive, lebendige Anerkennung Gottes, des Schöpfers und Urbildes, dann1655 das gesamte Menschsein. Insofern ist heute das Glaubensleben ganzer Massen von Menschen gleichsam „tot“, obwohl sie sich auf dem Boden der „wahren Lehre“ bewegen. Die Überhastung der heutigen Zeit, dass Überhandnehmen äußerer Drangsale, die Sorge um die Notwendigkeiten des täglichen Lebens tragen dazu bei, dass der heutige Mensch im Allgemeinen ständig1656 wie auf dem äußeren Rande oder Rahmen seines Daseins steht und nur schwer einen dauernden positiven Anschluss an Gott, oder anders gesagt, die gelebte und geübte, persönlich bewusste Abhängigkeit vom göttlichen Wesen findet. So lebt und existiert der Mensch heute sozusagen „für sich selbst“, d. h. so, als ob er allein das eigene1657 Mittel für seinen Bestand wäre, ja die Menschheit im Großen und Ganzen sorgt und wehrt sich heute nur für ihren irdischen Bestand und hat damit das Blickfeld und den Gesichtskreis hin zu Gott verloren. Das sind die Folgen unseres modernen „Neuheidentums“, das eine Zeitkrankheit selbst der Masse der Christen geworden ist. Auf diese Weise verflacht und versandet die Menschheit, entleert sie sich ihrer geistigen Werte, verliert sie das höhere Wollen und Streben, das ihr eigentlicher Daseinszweck ist.

3783 |        Aus sich allein findet die Menschheit nicht zu sich selbst zurück, das heißt, findet sie nicht zurück zu der persönlichen Einkehr und zur Hinkehr zu ihren tiefsten Geistesquellen, die sie hinführen zu ihrem letzten und eigentlichen Ziel. – Im Alten Bunde, das heißt, v. Chr. seufzte die ganze Menschheit nach Erlösung; sie empfand das Übel der eigenen Belastung, die ihr keinen Ausweg hin zu einem bestimmten Ziele bot; sie empfand die „Geistlosigkeit“ ihrer Zeit und suchte nach einer Lösung und Abhilfe und es gab damals wohl kaum ein Volk, das nicht irgendwie in der Erwartung einer Heimsuchung1658 oder der Ankunft eines höheren Wesens übereingestimmt hätte oder identisch gewesen wäre mit dem Judenvolke. Der Unterschied jener Zeit mit der unsrigen liegt diesbezüglich darin, dass heute ganze Massen von Menschen und ganze Völker selbst das Bedürfnis und Verlangen nach der Führung durch ein höheres Wesen verloren zu haben scheinen. Die Menschheit von heute – im Allgemeinen oder im großen Ganzen gesehen – „genügt sich selbst“ und geht im eigenen, irdischen Daseins-Zweck auf. Ja, selbst „Christen“ haben in ihrem privaten Leben vielfach, man könnte sagen massenhaft, ihre geistige Kraft der Einkehr und Hinkehr zu Gott verloren. Dabei ist dieser Zustand der Selbstverflachung nicht einmal immer den einzelnen Menschen als persönliche Schuld zuzuschreiben – so wenig, wie man vor Christus jeden Einzelnen die allgemeine Lasterhaftigkeit der damaligen Menschheit zuschreiben konnte. Die Menschheit als Ganzes genommen, verliert sich vielmehr heute ihm Treiben der angedeuteten Zeitströmungen, und der Einzelne hat es sehr schwer, sich in diesem Strom „als persönliches Eigenwerk“ zu behaupten, denn damit verliert er im gewissen Sinne den Kontakt und die Verbindung mit der Masse, von der er doch ständig abhängig ist. Nach dem natürlichen Verlauf der Dinge, wie sie sich heute darstellen, ist die gesamte Menschheit in Gefahr, ganz von Ihrem Daseinszweck befangen zu werden; und dies ist weit gefährlicher als selbst das alte Heidentum, denn damals war die Menschheit noch mehr „persönlich“, während heute die Vermaßung dem Einzelnen alle Persönlichkeitsrechte nimmt und abschlägt. Die Freiheit des Menschen ist heute für die Menschheit selbst in höchster Gefahr; denn der Persönlichkeitswille wird heute schon im Keime erstickt durch herrschende Geisteshaltungen und Anschauungen, die der einzelne Mensch zugleich mit seinem Leben empfängt und aufnimmt.

3784 |        Persönlichkeitsrechte empfängt der Mensch aber nur von Gott, wahre persönliche Freiheit gibt es nur in Gott, Persönlichkeitswerte kann sich der Mensch nur in Gott sichern, denn jeder erhält mit seinem Entstehen zugleich Persönlichkeitswerte von Gott. – Der geistige Persönlichkeitswert ist für den einzelnen Menschen gleichsam wie „Auftauen“ oder Freimachen seiner besten Kräfte, während die Persönlichkeitsentwertung eine gewisse allgemeine Erstarrung der Geisteskräfte hervorbringt. Und die Persönlichkeitsentwertung ist die große List Satans, wodurch er heute die Masse der Menschheit in seine Gewalt bekommt. Je weniger ein Mensch sich auf sich selbst besinnen kann, desto mehr verliert er den Besitz und die Herrschaft seiner Geisteskräfte und desto mehr begibt er sich der persönlichen Abwehr gegen Mächte, die ihn gefangen nehmen, desto mehr trübt er sich den Blick für die „wahren Güter“ des Lebens, für die tiefsten Werte seines persönlichen Bestandes und seines letzten Zieles; er wird gleichsam blind für die Forderungen seiner eigenen geistigen1659 Natur, die ihm weit Besseres zeigen und vorschreiben würde, – wenn es sich nicht seines Rechtes begeben hätte, auf sich selbst zu achten. So ist die gesamte Menschheit, im großen Ganzen genommen der Irrlehre der Diesseitskultur verfallen und jeder Mensch von heute trägt etwas von dieser Diesseitskultur in sich.

3785 |        Wie kann nun aber der Mensch von heute die wahren, tieferen Werte seines Lebens zurückbekommen? Wie kann es sich der Ketten entledigen, die ihn in Beschlag genommen haben? Persönliche Freiheit empfängt der Mensch nur von und in Gott, und die Masse der Menschen erhält die Freiheit nur in dem Maße wieder als er viele Einzelne sich wirksam zu Gott hinwenden. In diesem Sinne gibt es vor Gott keine „Masse“, sondern nur Einzelne, wobei jeder Einzelne ganz und absolut von Gott abhängig und vor Gott verantwortlich ist. Von Gott empfängt jeder einzelne Mensch persönliche Güter, die ihn zu einem unmittelbaren Besitz Gottes führen können, wenn sie recht von ihm verwendet und verwertet werden. Der Glaube an die Tatsache und Wirklichkeit eines Gottes, von dem der Mensch unmittelbar abhängig und von dem er ebenso verpflichtet ist, gibt dem Einzelnen Güter und Kräfte in die Hand, mit denen er sich Gott als seinen unmittelbaren Besitz erobern kann.

3786 |        Das Auftauen oder Freiwerden der eigen-persönlichen Kräfte vollzieht sich nur im Gnadenleben, und zwar im persönlichen Gnadenleben,1660 dem sich der Mensch erschließt, wenn und sobald er in den unermesslichen Raum des Gottesglaubens tritt. Nun bedeutet aber in unseren Zeiten einen großen Verlust für das christliche Glaubensleben auch die Tatsache, dass man in der Erziehung übermäßig und einseitig den „systematischen“ Glauben anstrebt, der zudem allzu stark an äußere Formen (Übungen, Organisationen, Gemeinschaften) gebunden und darauf festgelegt ist, aber nicht zugleich auch eine persönliche, tiefe Verankerung in Gott vorsieht. Gar zu oft glaubten darum die Menschen und Christen, mit diesen Bindungen an äußeren Übungen und Formen die Forderungen ihres Glaubens voll erfüllt zu haben, und begnügten sich damit. Gewiss, äußere Systeme und Formen der Glaubensübung gehören zum religiösen Grundgesetz der katholischen Religion, aber wenn Gesetze einseitig überbetont werden, dann können sie leicht zu einer billigen Entschuldigung und Enthebung von persönlichen Gewissensverpflichtungen für den Einzelnen missbraucht werden. – Eine weitere Gefahr für das Glaubensleben auch im christlichen Volk ist heute eine gewisse Weitläufigkeit und Lebensferne in der Auslegung des Evangeliums und der allgemeinen christlichen-katholischen Lehren. Durch solche Weitschweifigkeit in der Darlegung der Lehre verliert man den Blick und Sinn für den Mittelpunkt und für das Wesentliche; durch die große Zahl von abgelegenen Fragen und Erklärungen verliert man die Sicht für die Hauptsache und entbehrt man der Klarheit über die wahre und wesentliche Richtung in den Hauptpflichten des Lebens vor Gott. Man ist dabei in Gefahr, sich mit schönen Formen und Methoden der Auslegung zu begnügen; man glaubt vielleicht, mit einem unfruchtbaren Gefallen daran schon genug getan zu haben, oder man trifft dabei eine Auswahl nach Belieben und täuscht damit sein eigenes Gewissen, macht es allzu weit, und so verliert man das tiefste Bewusstsein der persönlichen Verantwortung vor Gott und verliert man die Initiative zum rechten Streben nach einem persönlichen, unmittelbaren Verhältnis zu Gott. Damit kommt aber nur1661 unsere gefallene Natur auf ihre Rechnung, die sich möglichst immer den unerbittlichen Forderungen Gottes entziehen und an der eigen-persönlichen Verantwortung vorbeikommen will. Eine wahre und rechte Erziehung zum persönlichen Glaubensleben wäre kurz und klar und umgreift im Grunde nur wenig Pflichten, die aber in das Innere des Menschen eindringen und zuerst den Geist des Menschen umformen müssen, um ihm jene harte Konsequenz der Abhängigkeit von Gott zu verleihen, wovon das ganze Menschsein durchdringen und getragen sein muss.

3787 |        Den kürzesten Weg zu Gott und zu einem fruchtbringenden Verhältnis zu Gott kann und soll eigentlich der Priester gehen, nämlich dadurch, dass er sich dem Studium der Theologie zu widmen hat. Damit steht er ja an der „Quelle des Lebens“ und ihm erschließt sich in kurzen Zügen das Geheimnis Gottes. Die Quellenschriften sind die geistigen Lehrer, wenn sie gleichzeitig für das persönliche Leben und Verhältnis zu Gott verwertet und ausgenützt werden. Je mehr man sich aber in weitschweifigen und lebensfremden Ausdeutungen der heiligen Schriften und Lehrquellen verliert und diese nur in menschlich schöne Formen zu bringen sucht, desto mehr verlieren die Quellen ihren praktischen, geistigen Wert und ihre tiefste Kraft der Klarheit, weil man Göttliches zu sehr mit Menschlichem vermischt. Die Quellenschriften allein enthalten die Kraft der Kürze, die Absolutheit der göttlichen Gegebenheiten, das Siegel der Wahrhaftigkeit Gottes gegenüber dem Menschen,1662 die Totalität der Wahrheit Gottes gegenüber dem Menschen. Eine richtige Anwendung des theologischen Studiums bzw. des theologischen Wissens könnte und sollte den angehenden Priestern gleichsam in einen neuen Menschen umwandeln. Tatsächlich geht aber im Allgemeinen durch den Drang des Studiums die an sich zu erwartende notwendige Tiefe der persönlichen Anwendung verloren, sodass der Priester praktisch sozusagen fast „leer ausgeht“ bezüglich der Konsequenzen für sein persönliches Leben und Sein Verhältnis zu und mit Gott. Und trotz des mühevollen und langen Studiums muss sich der Priester dann oft, wenn nicht meistens, erst wieder mühsam zurechtfinden mit den ausgedehnten Erklärungen und Lehr-Übungen, wie er sie seinen Gläubigen vorlegt. Darin liegt aber ein nicht mehr gutzumachender Verlust. In Wahrheit soll der Priester auf dem kurzen, klaren Weg, der ihm durch das Studium ermöglicht wird, sich die Lehre, zusammen mit ihren praktischen Folgerungen für sein persönliches Verhältnis zu Gott, aneignen, sich zu eigen machen, seine Persönlichkeitskräfte davon ergreifen und seine Seele davon umwandeln lassen und auf diese Weise soll er selbst für seine Gläubigen ein Beweis der Glaubwürdigkeit des christlichen Lehrens und ein Beispiel für die Früchte wahren Glaubenslebens werden. Das Kostbarste und Entscheidende im religiös-geistigen Seelenleben ist ja die Einordnung der menschlichen Werte in das Göttliche oder die Aufnahme göttlicher Werte in das Menschliche; so lebt der wahrhaft gläubige Mensch sozusagen in einer ständigen geistigen Wechselbeziehung mit Gott. Diese göttlich-menschliche Wechselbeziehung sollte sich aber in erster Linie und in möglichst großer Vollkommenheit und Lebendigkeit der Priester unterstellen.

3788 |        Wie rasch wird es sich bei einer solchen konsequenten Einstellung des theologisch Gebildeten die Einordnung seines persönlichen Seins in die göttlichen Werte vollziehen! Sein ganzes Wesen würde dann sozusagen triefen von Segen, der von ihm ausgeht auf die Seelen. Der Priester ist es ja, der als Erster befruchtet werden soll vom Gnadentau der göttlichen Wahrheiten. Er soll sich die Wahrheiten aber nicht nur theoretisch angeeignet haben, sondern soll sich auch in die praktischen Folgerungen und Konsequenzen hinein gelebt haben, die sich daraus für das christliche Leben ergeben. Und doch, wie oft muss der Priester erst mühsam für sich selbst und sein eigenes Glaubensleben nach dem mageren Körnlein suchen, die er für seine Gläubigen auszustreuen sich bemüht.

 

18.02.1947

Über den menschlichen Intellekt

3789 |        Jedes intellektuelle Wissen ist „Wissen vom Wissen Gottes“, ist ein geschaffenes zeitliches Teilhaben an ihm. Jedes vernunftbegabte Geschöpf, das in die Welt eintritt, wird genährt von der Weisheit Gottes, damit es die Dinge dieser Welt erkennen kann. Nichts vermag der Mensch, wenn er nicht ständig genährt wird durch den Urheber alles Seins, mit dem er durch seine Existenz verbunden ist. Magst du in die Höhe steigen, magst du in die Tiefe dringen, überall bist du von den Spuren Gottes getragen und kannst keine Erkenntnis haben, wenn sie dir nicht zugleich von Gott gegeben wird.

3790 |        Der Mensch ist wesentlich von Gott abhängig durch seinen Bestand. Die Naturgesetze bilden die Brücke zu dieser „Teilhabe an Gott“, die er fest gegründet hat zum Bestand und zur Erhaltung des Menschengeschlechtes. Gott wirkt im Naturgeschehen des menschlichen Lebens dadurch, dass er das „Werden“ verursacht, wenn die dazu (nach den gottgegebenen Naturgesetzen) notwendigen Bedingungen gegeben sind. Dann flammt gleichsam ein Licht auf, das vom Lichte Gottes getragen ist, damit es lebe und leuchte durch Gott. Mag man auch vom bloßen Menschengeschehen sprechen, im Grunde ist es doch Gottes Schöpferkraft, die weiterwirkt, um das Menschengeschlecht zu erhalten. Wohl hängt bei diesem Geheimnis des Werdens vieles von menschlichen Voraussetzungen ab aber es wirken im Grunde doch göttliche Kräfte mit, die im Naturgesetz verborgen sind. Was würde auch der Leib nützen, der vom Menschen stammt, wenn ihm das Lebendigmachende, die Seele, fehlen würde? Wer und wenn es auch ein Ungläubiger oder ein ausschließlich „Naturgesetzlicher“ wäre – wer wollte ein geistloses Kind haben? Jeder erwartet mit dem Werden des Menschenleibes auch dessen Beseelung, damit das Kind einmal mit seinen Erkenntniskräften seine Erzeuger erkennen und sich zu ihnen bekennen könnte. – Woher stammen diese Erkenntniskräfte? Kann selbst die sorgsamste Mutterschaft diese Erkenntniskräfte um einen Zoll oder Grad erhöhen? An dem Werden der Erkenntniskräfte als solcher haben die Eltern nicht den mindesten Anteil, nur durch die Vererbungsmöglichkeit sind sie irgendwie daran beteiligt. Was Licht ist, wird in den Verschiedenheiten der Objekte wieder zum Licht; das ist ein diesbezügliches, gottgegebenes Gesetz der Erschaffung. Der menschliche Intellekt ist Licht vom Lichte Gottes und wird unaufhörlich genährt von der Weisheit Gottes, die ausstrahlt in seinen Geschöpfen.

3791 |        Deshalb kann auch kein Forscher oder Gelehrter das Wesen des menschlichen Intellekts ganz erfassen; denn er stößt dabei auf ein Gebiet, das der menschlichen Analyse nicht zugänglich ist. Der Forscher kann zwar in Gebiete vordringen, auf denen er durch Vergleichen und Gegenüberstellen, durch Versuchen und Untersuchen zu gewissen Ergebnissen zu kommen scheint; er entdeckt dabei Gegebenheiten und Ähnlichkeiten, woraus er Resultate seiner Forschungen zu gewinnen scheint.1663 Aber all seine Ergebnisse und Entdeckungen sind nur „Rahmenarbeiten“; in den Kern und in das eigentliche Wesen des Intellekts einzudringen, wird ihm nie gelingen.

3792 |        Der Intellekt ist eine Fähigkeit, welche imstande ist, die Fülle der menschlichen Eindrücke, Erkenntnisse und Empfindungen zu tragen, und zwar (– vergleichsweise gesagt –) wie auf einem Drahtseil, das beständig „schwankend“ das Wesen des Menschen durchzieht. Der Intellekt des Menschen ist auch gleichsam die Dünn-Struktur der Materie des Menschen, denn er hängt zusammen mit dem Wesen des Geistes und bildet doch das Feinste im Materiellen des Menschen. Die Seele „überträgt“ sich nämlich als Geist gleichsam auf die Materie des menschlichen Körpers, baut dessen Zellen bis in das feinste Gefüge zum Zwecke eines wachsenden und steigernden Empfindens, das sich bis zu jener Höhe der Aktion und Reaktion steigert, die man das „Erwachen des Intellektes“ nennt.

3793 |        Man kann dem Wesen des Intellektes nur nahekommen, wenn man ihm in seiner rein geistigen Tätigkeit auf die Spur zu kommen sucht. Aber wie kann man das? Wir Menschen, als zweifaches, aus Leib und Seele zusammengesetztes Wesen1664 (Gebilde), sind, solange wir leben, an diese unsere „Doppeltätigkeit“ gebunden. Man kann sagen: Hienieden „erhält“ der Leib die Seele oder hält sie aufrecht; denn sobald der Leib durch Krankheit ganz zerfällt, gelangt die Seele in den Zustand des „Alleinseins“, der dem Tode des Leibes folgt. Die Seele hat aber den Leib „belebt“; das war ihr Zweck. Anderseits hat der Leib jene Fülle von Eindrücken und Erlebnissen vermittelt, die das Leben eines Menschen beinhalten. Welches wird nun nach dem Tode des Leibes die Existenz der Seele sein, nachdem sie durch den Leib keine Erlebnisse mehr empfängt, den sie verlassen hat? Wird die Seele dann ganz „stellenlos“ oder arbeitslos sein oder wird sie zurücksinken in die Leere eines Zustandes, aus dem sie genommen ist, in die Lehre des „Nichts“? – Gewiss möchten sich die Ungläubigen zu einem solchen „Resultat“ des menschlichen Lebens bekennen; und wirklich, wenn ein Mensch keinen höheren Zweck in sein Leben eingebaut hat, so wäre dieses Zurücksinken seines Geistes in den Nichtzustand für ihn die glücklichste Lösung, weil damit sein Leben einen straflosen Ausgang nähme. Wie aber, wenn es ein Fortleben der Seele nach dem Tode des Leibes gibt und wenn nach diesem leibgebundenen Leben hienieden sich für die Seele ein reines Leben des Geistes auftut? Welches wird dann der Inhalt dieses geistigen Lebens sein? …

3794 |        Schon das erste Aufflackern des Intellekts hienieden stellt den Menschen vor Entscheidungen, drängt ihn zu entschlüsseln, bringt ihm Forderungen, die für sein Leben zu unabweisbaren Pflichten werden – auch wenn all dies sich im Innersten und Verborgensten eines Menschen vollzieht. Das Erwachen des Intellekts versetzt den Menschen in Spannungen, denen er sich gegenübergestellt sieht, denen er sich nicht entziehen kann, über die er „Herr werden“ muss, soll ihn das Leben mit seinen Forderungen in fruchtbringende Bahnen führen. Und schließlich hat jeder menschliche Intellekt als Zweck und Resultat und Frucht wenigstens das „Leben“ in sich selbst zu ermöglichen, d. h., die Forderungen zu erfüllen, die zum Bestand des menschlichen Daseins unerlässlich sind und die das Leben und Dasein im Gange halten. Ständig treten die Probleme seines konkreten Daseins an den Menschen heran und die Antwort und Stellungnahme dazu wird gegeben in den Tiefen des menschlichen Wesens und Geistes, durch eine Kraft, die fähig ist, all diese Probleme zu tragen und eine Antwort zu geben auf all die anstürmenden Fragen und drängenden Entscheidungen. Mag es auch im Anfang nur ein dumpfes, mehr unbewusstes Antworten in den eigenen Tiefen sein, mehr und mehr regen sich und erwachen jene Befähigungen im Menschen, die sich betätigen in einem geistigen Gegenübertreten und Sich-gegenüber-stellen, in einem Abwägen und Beurteilen, Hervortreten und Verschieben oder Zurücktreten, in einem Behaupten oder Erliegen. Der Mensch kommt in Wechselbeziehungen mit sich selbst, die seinem Wesen anhaften und die ständig Bezug nehmen auf seine persönlichen Eigenheiten. Es tut sich eine Welt in seinem eigenen Wesen und Inneren auf, und es offenbart sich eine Kraft in ihm, die ihn befähigt, gleichsam über sich selbst zu Gericht zu sitzen1665, über sich selbst zu entscheiden, alle Ergebnisse seines Lebens sich vorzuführen, sich anzueignen und als persönliche Verantwortung und Last zu tragen. Wer hätte dieses Wogen in seinem eigenen Wesen nicht empfunden? Was wir Entscheidung nennen, das sind die durch unseren Intellekt überprüften Gegenstände der eigenen Erlebnisse, die ausgetragen und gewertet werden müssen nach Gesetzen, die, unabhängig von uns, sich vor unser Leben stellen. Der Mensch sieht sich Gesetzen gegenüber, die sein Leben gleichsam einrahmen, ja es ist eine Fülle von Gesetzen, die das Leben des Menschen gleichsam umlagern und ihn bedrängen. Und jeder Mensch trägt in sich sozusagen eine geheimnisvolle Waagschale, auf der sich alle Erlebnisse unwillkürlich oder bewusst anhäufen, um abgewogen und beurteilt zu werden. Das feine Empfinden und Unterscheidungsvermögen des Intellekts weist den Menschen an, gute und weniger gute Entscheidungen sich gegenüberzustellen usw. – Dabei will ich hier nicht vom religiösen Gewissen reden, sondern von jenen feinen und zugleich gewaltigen Kräften, von den Kämpfen, Siegen und Niederlagen, die sich im tiefsten geistigen Wesen eines jeden Menschen abspielen.

3795 |        Wer kann das letzte Woher dieser inneren geistigen Vorgänge und diese Geistesstruktur erklären? Wer könnte den letzten Ursprüngen und Quellen seiner eigenen Empfindungen und Entscheidungen nachgehen, wer könnte die Wege seines Geistes und Intellekts prüfen, ohne ständig auf Geheimnisse zu stoßen und ohne zugeben zu müssen, dass nichts uns vollen Aufschluss geben kann über dieses tiefste geistige Geschehen in uns? Kann aber diese Tätigkeit im Inneren des Menschen Zufall sein oder nur ein Erbe seiner Erzeuger? Ist der Mensch nicht vielmehr gerade durch diese Tätigkeit seines Geistes der „Herr“ seines Wesens, der Beherrscher seine Materie, das Licht und die Bewegsamkeit seiner Existenz? Ist nicht der Menschen Geist das Höchste und sozusagen das „Göttlichste“ im leblosen Reich der Materie, ein Reich im Kleinen, das Entscheidende und das Um und Auf des menschlichen Daseins? Vollzieht sich durch den Geist des Menschen nicht im Kleinen etwas Ähnliches, wie es sich in der Schöpfung dadurch dartut, dass „ein Geist“ alles eingerichtet hat und alles ordnet, dass da eine Macht waltet, der alles untertan ist, eine Kraft, welche die Gesetze der Natur aufstellt1666? Vollzieht sich im Menschen, der Krone der Schöpfung, nicht etwas Ähnliches wie im All des Kosmos, der nach bestimmten Bahnen und Gesetzen geleitet wird? Was Gott in unendlicher Weise und Vollkommenheit ist, die göttliche Weisheit, das Licht seines Wesens, das heißt, das Licht, das Gott sich selbst ist: Das hat Gott in ähnlicher, geschaffener Weise in das Reich jeder Menschenseele hineingelegt. Zwar ist es nur ein ganz kleiner Rahmen gegenüber dem Unendlichen, aber auch durch diesen kleinen Rahmen verfügt der Mensch über ein Reich, das ohne Ende besteht, das sich über die ganze Welt erstrecken kann, um deren Geheimnisse zu erforschen, und um unzählige und unaussprechliche Erlebnisse und Erkenntnisse in sich auf- und in sich hineinzunehmen.

 

März

09.03.1947

3796 |        Auch der vollkommenste Mensch wird inmitten der gefallenen Menschheit immer wieder auf Widerstände und Widerspruch stoßen, weil seit dem Sündenfall die Sünde das tatsächliche Gesetz der Welt in seiner Umgebung geworden ist. Wie selbst die göttlichen Vollkommenheiten Christi vielen zum Stein des Anstoßes wurden, so könnte auch ein Mensch, der die Vollkommenheiten des Paradieseszustandes erreicht hätte, seine moralischen Vollkommenheiten nicht ungehindert durch seine Umgebung und darum nicht vollständig zur Entfaltung bringen.

3797 |        So müsste z. B. auch der vollkommenste Mensch sich oft mit „Härte“ wappnen, um nicht von lauernden Menschen (Mitmenschen) gleichsam verschlungen zu werden; er muss selbst auf der Lauer sein, um in seinen irdischen Geschäften durchzukommen, weil er stets in Gefahr ist, von Mitmenschen übervorteilt zu werden; er muss sich mit Spitzfindigkeiten abgeben, um in einem Labyrinth von Verwicklungen, die sein Alltagsleben begleiten, sich durchsetzen und seine natürlichen Lebensbedingungen sicherstellen zu können. Er muss „Seitenwege gehen“, um sich gegenüber seiner Mitwelt in notwendigen Dingen behaupten zu können, ja er muss zuweilen „Energieausbrüche“ gebrauchen, um sich die unerlässliche Geltung zu verschaffen. Sich unter allen Umständen vom Unrecht anderer unterkriegen und unterjochen zu lassen, hieße sein Leben entwerten, die Ordnung Gottes umkehren, seine Gaben missbrauchen. Oder könnten wir uns Christus als einen wehrlosen, energielosen Menschen vorstellen? Nein, er trat seinen Feinden entgegen, machte sie mit der Schärfe seines Wortes zuschanden und behandelte die Menschen mit „menschlich ähnlichen Mitteln“, d. h. begegnete ihren Leidenschaften und sündhaften Torheiten mit Mitteln, die an sich und nach außen weniger „vollkommen“ erschienen und uns zunächst befremdend vorkommen, so z. B., als er mit einer Geisel die Verkäufer aus dem Tempel trieb.

3798 |        Unser gesamtes menschliches Dasein ist auf „menschlichen Mitteln“ aufgebaut, die zur Erhaltung unseres Lebens notwendig sind. Der Einzelne, auch der Vollkommenste, kann aus diesem menschlich-irdischen Rahmen nicht heraustreten – wenn er nicht die durch sein Daseinsrecht und seinen Daseinszweck verlangte und dazu gehörige Position verlieren will. Nun wird aber der Mensch fast ständig mehr oder weniger von seiner Umgebung angekämpft, angefochten, herausgefordert, zur Antwort und Entgegnung gezwungen, und er muss mit entsprechenden Mitteln begegnen, wenn er nicht sein Daseinsrecht und seinen Daseinszweck verlieren oder schädigen will. „Das Leben ist der Feind des Lebenden“ und der Mensch muss sich oft seine Rechte erzwingen, und zwar nicht selten mit Mitteln, die an sich weniger vollkommen sind, und die er lieber nicht gebrauchen würde, die aber notwendig sind, um sich der Gegner gleichsam vom Leibe zu halten oder ihre Schläge zu parieren.

3799 |        Es liegt eine Tragik des Menschenlebens darin, dass selbst der Gute und Bestwollende den „Kampf ums Dasein“ führen muss, und sein Leben wird gerade dadurch so schmerzvoll, dass er, den edelsten Gefühlen seines Herzens entgegen, sich oft weniger edel oder hoher Mittel bedienen muss, um sein Leben zu fristen und zu behaupten, dass er immer wieder Verdrießlichkeiten ausgesetzt ist und sich trotz seines heißen Wunsches und Willens nach dem Frieden mit den Mitmenschen zum Protest und Einspruch entschließen muss. Wegen der Umwege von Verwirklichung und Wirrnissen, in die der Mensch hineingestellt ist und mit denen er zu kämpfen und sich auseinander zusetzen hat, wird es auch fast unmöglich, wirklich gute, fortgeschrittene Seelen, richtig zu beurteilen; denn nicht nur der äußere Friede ist der Anteil der Kinder Gottes, sondern „Kampf und Streit“; und gerade im „Kampf ums Dasein“ reinigt und läutert sich die Seele und regt sie sich empor, immer mehr dem höheren Lichte entgegen, dass in ihr schon die Fülle brennt. – Die Mittel aber, mit denen der Gute und Vollkommenere diesen Kampf des Daseins führt, sind doch sehr verschieden von denen, die der Sünder oder ein nur menschlich eingestellter Erdenbürger gebraucht. Ja, es liegt geradezu ein Unterscheidungszeichen für den Wert eines Menschen darin, mit welchen Mitteln in welcher Art und Weise er seinen Mitmenschen begegnet, von denen er beansprucht oder herausgefordert wird und mit denen er zu rechten hat. – Die Welt, bzw. die Menschheit nach dem Sündenfall kann nur im Kampf in Ordnung gehalten werden. Dieser andauernde Kampf schafft den Ausgleich zwischen den beiden Strömungen, Gut und Böse, von denen der Mensch stets beeinflusst und bedrängt wird. So kann auch der Vollkommenste niemals so zur „Ruhe“ kommen, dass er die Waffen seines Geistes aufgeben könnte, denn seine Feinde bedrängen ihn stets und nur mit dem Tode legt er seine Waffen gegen die Umwelt ab.

3800 |        Woher kommt dieser gegenseitige Kampf der Menschen? Er stammt, neben den Folgen der Erbsünde, aus der Verschiedenheit der Anlagen der Menschen, aus der Vielheit ihrer Bestrebungen, aus dem Unterschied der ihnen gestellten Aufgaben und aus den Hindernissen und Hemmungen, die sie dabei erfahren. Der Einzelne kann nicht heraus aus seinem Rahmen und kann sich dem Kampfe nicht immer entziehen, denn andere drängen ihn vorwärts, und oft muss er umso fester stehen, je mehr er von anderen gedrängt und bedrängt wird. Dabei muss jeder Mensch die ihm eigenen Mittel gebrauchen, die ihm sein eigenes Wesen zuweist, auch wenn diese zugleich den Zwiespalt mit dem Mitmenschen erregen. Der individuelle Mensch stößt oft bei seinen Mitmenschen oder Partnern an, weil diese lieber ihren eigenen Ansichten als fremde Einflüsse folgen. So möchte z. B. der Gütige Mittel der Güte gebrauchen, aber der Starre nebenan will nichts wissen noch hören von „Gefühlsduselei“, wie er die Vorschläge der Güte vielleicht nennt. So ist es eine traurige Tatsache, dass selbst heilige Seelen größtenteils ihre mühsam errungenen Tugenden und Vollkommenheiten nicht anwenden können und nicht selten fast das Gegenteil tun müssen von dem, was sie zutiefst im Herzen ersehen, oder das sie in ihrem Herzen verschließen müssen, was zu tun sie vorziehen würden. Wie viel der Güte und des Wohlwollens hätten sie z. B. zu verschenken, doch sie müssen die Härte üben, weil widerspenstige Menschen diese Güte missbrauchen1667, insofern [jene] daran zugrunde gehen würden. Wie oft muss der Fromme gegen seine besseren Gefühle sich mit niederen Dingen abgeben, um seine Umweltteilnahme zu bezeigen [sic!], um sie vom Schmutz der Sünde zu erheben! Oder wie viel an sich Edleres könnte man vollbringen als gleichgültige Gespräche zu führen, aber man muss es tun, um irdisch Gesinnte doch irgendwie in einem gewissen Gleichgewicht einer mehr oder weniger guten Gesinnung zu erhalten! So muss der Gute seinem Mitmenschen gegenüber meist „niederer stehende Mittel“ anwenden, als die ihm seine eigene Geisteshaltung eigentlich einflößen würde; denn sonst könnte er wenig oder niemand für das Gute gewinnen. Er muss vielmehr – und das kann ein bitteres Leid des Guten und Frommen sein – sich mit seinen Mitmenschen innerlich möglichst auf gleiche Stufe, d. h., auf eine gewisse Vereinbarung stellen und muss mit ihnen gleichsam „Seitenwege gehen“.

 

12.03.1947

3801 |        Würde die Annahme: „Alle Getauften seien zum Erfahren Gottes bzw. zur Mystik und Beschauung berufen“, würde diese Annahme das allgemeine Glaubensleben fördern oder würde sie Unklarheiten und Verwirrungen auf religiösem Gebiete hervorrufen?

3802 |        Um diese Frage näher zu behandeln, muss man sich zuerst klar werden über das Wesen des mystischen Gnadenlebens bzw. der Beschauung, über den Weg dahin und vor allem über die „göttlichen Voraussetzungen“ in der Lehre Christi über den Zweck des Menschen überhaupt.

3803 |        Wollte man im Voraus die „Beschauung“ nur als Ziel weniger Auserwählter hinstellen, das aber für die Allgemeinheit der Gläubigen, ja selbst für die Frommen nicht notwendig und nicht erreichbar wäre, so hieße dies, das Frömmigkeitsstreben in der Kirche schwer schädigen. Wenn die gläubige Seele kein rechtes Ziel hat oder wenn ihr kein hohes, aussichtsreiches Ziel gesteckt wird, so bleibt ihre ganze religiöse Haltung und Bestrebung nur mittelmäßig. Zu einem wahren religiösen Fortschritt und Streben braucht es ein klares religiöses Ziel, ein festes und hohes Ideal, das der Seele eine Grundrichtung und Grundhaltung verleiht, das ihre Kräfte anspannt und ihr sittliches Streben erleichtert, weil damit das ständige, unruhige Suchen nach einem geistigen Ziel erspart bleibt. – Gewiss, man eifert oft die frommen Seelen an, nach „Vereinigung mit Gott“ zu streben und man weist sie auf manche Mittel hin, um diese Gottvereinigung zu erreichen; aber nur selten stellt man klar heraus, was dieses Ziel der „Gottvereinigung“ eigentlich in sich schließt, enthält und voraussetzt, beziehungsweise warum und wie man wirksam danach streben kann und soll.

3804 |        Um sich darüber klar zu sein, muss man den Zweck und Plan im Auge behalten, den Gott mit unserer Erschaffung, mit unserer Berufung zur gnadenvollen Teilnahme an ihm mit unserer Erlösung durch Christus hatte. Es genügt nicht, dass man sich als ein durch die Erlösungsgnaden Christi „gerechtfertigtes Geschöpf“ betrachtet, das nun durch fromme Anmutungen, durch Wandel in der Gegenwart Gottes oder durch gehäufte Stoßgebete und ungezählte Liebesakte sich ohne Weiteres zur Vereinigung mit Gott erheben könne. Sicher ist alles dies gut und notwendig für das geistige1668 Leben, aber dies allein genügt nicht und ist nicht das Wesentliche des Weges und Aufstieges der Seele zur Vereinigung mit Gott. Will man sich durch fromme Anmutungen ständig mit Gott vereinigt halten können, so muss dieses Streben gleichzeitig und fortwährend unterbaut werden durch ein ernstes Bemühen um fortschreitende Reinigung des Herzens von Sünden und Unvollkommenheiten. Wenn diese Reinigung der Seele fehlt, haben alle frommen Anmutungen wenig oder kaum einen Wert, weil dann nämlich das Grundprinzip und das Wesentliche im Streben nach der Gottvereinigung fehlt. Man muss immer den Urplan Gottes bei der Erschaffung und Erlösung im Auge behalten, wodurch der Mensch nach Gottes liebevollen Absichten dazu geschaffen und durch die Erlösung dann1669 wieder dazu befähigt wurde, dass er durch immer größere sittliche Verähnlichung mit seinem göttlichen Urbild, immer mehr teilhabe an ihm. Diese Grundtatsachen und dieses Grundprinzip im geistigen Leben außer Acht lassen, hieße, das Gebäude des geistlichen Lebens ohne Grundmauern und ohne klares Ziel aufbauen zu wollen; das hieße: Nicht bloß den göttlichen Urgedanke bei der Erschaffung des Menschen beiseitesetzen, sondern auch die wunderbare Größe seiner Erlösungsabsichten abschwächen und den Zweck der Menschwerdung verkleinern. Je mehr man aber diese Grundprinzipien bzw. Grundgedanken der Liebe Gottes zu den Menschen und zur erlösten Menschheit abschwächt oder aus dem Auge verliert, desto mehr besteht die Gefahr, dass eine Schein-Frömmigkeit sich ergibt; denn ohne eine wirkliche sittliche Umgestaltung der unter den Folgen der Erbsünde stehenden Seele in der Kraft und nach dem Vorbild des Erlösers ist keine wahre Gottvereinigung möglich, wenn jenes göttliche Urprinzip im geistigen Leben nicht beachtet wird, dann hat der Mensch sozusagen zu wenig Mittel in der Hand, um sich aus dem moralischen Elend zu erheben, das seinen Aufstieg zur Gottvereinigung hindert. Und das religiöse Bemühen so vieler guter, strebender Menschen bleibt gerade deshalb ziellos und darum weniger fruchtbar, weil sie sich des göttlichen Urplanes zu wenig bewusst und darum nicht genügend klar werden über das Wesen und die Voraussetzungen der „Vereinigung mit Gott“.

3805 |        Wenn man das Streben der Vereinigung mit Gott erklären will, sollte man zuerst und vor allem von der Beseitigung der Hindernisse sprechen, die unserer Gottvereinigung im Wege stehen und die als Folgen der Erbsünde uns verliehenen Unvollkommenheiten und sündhaften Anlagen. Die Pflicht, diese zu überwinden, hat jeder Getaufte zu erfüllen, in welchem Stande er sich auch befinden mag. Es gibt solche, die durch Gottes Berufung einen „kürzeren Weg“ einschlagen und in der Befolgung der evangelischen Räte höhere Mittel anwenden, um das Ziel sicherer zu erreichen, aber niemand kann im Ernste behaupten, dass irgendein Stand oder Beruf vom ehrlichen Streben nach einer „persönlichen Entsündigung“ enthoben oder dispensiert sei. Dies verlangt vielmehr1670 Christus von allen Getauften.

3806 |        Es könnte jemand einwenden: Zum Erreichen der ewigen Seligkeit ist nur das Freisein von schwerer Sünde im Augenblick des Todes verlangt. – Gewiss, aber jene, die nur dieses Mindestmaß und Mindestziel anstreben, werden jedenfalls nicht behaupten können, dass sie folgerichtig und erfolgreich nach Besserung streben oder dass sie Christus und seiner Kirche zur Ehre und Zierde gereichen. An solchen Christen fehlt es auch heute nicht, und doch stand es mit dem Triumph Christi in seiner Kirche vielleicht nicht so traurig wie heute. Und alle Seelsorger und Priester, die das religiöse Ziel der Gläubigen auf jenen Nullpunkt herabdrücken, werden gleichsam nur „räudige Schafe“ zur Herde Christi liefern. Ja, mit diesem Herabdrücken des religiösen Zieles verlieren die Gläubigen das wahre Ziel des Christentums überhaupt und gibt man dem bösen Feinde Gelegenheit, in die Herde Christi einzubrechen. – Je mehr wir aber unsere erbsündlichen Anlagen überwinden, desto mehr naht und vereinigt sich unsere Seele mit Gott, weil seine göttliche Heiligkeit nur mit einer reinen Seele zusammenwohnen kann. Eine wirkliche Gottvereinigung erreichen wir nur durch sittliches Vollkommenheitsstreben, nicht aber allein mit vielem beten und anderen „religiösen Übungen“, die nur Mittel, wenn auch notwendige Mittel, zum Ziele sind.

3807 |        Auch die Beobachtung der evangelischen Räte und der Gelübde in den religiösen Orden ist noch nicht Vollkommenheit und Gottvereinigung selbst, sondern ist nur ein Mittel, um rascher und ungehinderter auf dem Wege der Vereinigung mit Gott voranzuschreiten. Eine Überbetonung der Ordensregeln und der evangelischen Räte – etwa als der „alleinigen Norm“ oder der „Hauptsache“ im Ordensleben – könnte sogar, statt zu einer wahren Vereinigung mit Gott, zu einer gewissen Veräußerlichung des Ordenszieles selbst führen, insofern dann das, was nur „Mittel“ ist, zum Ziele selbst gemacht wird. Nicht immer und nicht notwendig sind jene Ordensleute wirklich Muster sittlicher Vollkommenheit und wahrer Gottvereinigung, die sich in einer peinlich genauen Beobachtung der Ordensregeln auszeichnen; die besten Ordensleute werden vor Gott vielmehr immer jene sein, die auch die Ordensregeln und die Beobachtung der evangelischen Räte folgerichtig einbauen in ihr Vollkommenheitsstreben als Mittel zur Vereinigung mit Gott.

3808 |        Gott selbst ist also das Ziel und zugleich der Beweggrund unseres Strebens. Die klare Sicht auf dieses Ziel hin vereinfacht auch unseren Weg zum Ziel und macht ihn „kürzer“ und klarer. Wir sehen nämlich dann, dass die Hindernisse in uns selber liegen, und dass es also vor allem an uns selbst zu arbeiten gilt. Der „alte Mensch“, der sündige Adam und die lüsterne Eva, muss ausgezogen und an seiner Stelle der neue Mensch, Christus, angezogen werden. – In dieser klaren Sicht des Zieles gewinnt auch die Bedeutung unserer Erlösung durch Christus eine größere Klarheit und sinnvollere Bewertung. Die ursprüngliche Heiligkeit des Menschen im Paradiese, der tiefe Fall und der sittliche Zerfall des Menschen, die Menschwerdung Christi und das gesamte Erlösungsgeschehen stehen mit unserer Pflicht moralische Wiedererhebung in innigster Verbindung. Wir sollen – das ist Gottes Absicht und Wille – wieder zu einer ähnlichen Gnadenkindschaft Gott gegenüber zurückkehren, wie sie im Paradiese bestanden hat. Christus ist uns hierzu die Möglichkeit und das „Mittel“ geworden.

3809 |        Christus ist gekommen, nicht nur um Wunder zu wirken, durch die er sich als Gott ausgewiesen hat. Er selbst, sein Kommen, brachte uns „Erlösung“, d. h., die Möglichkeit der Befreiung von unseren sündlichen Gefallenheit. Wir müssen mehr „seine göttliche Person“ als das Mittel unserer Rettung anerkennen, wodurch uns alle wesentlichen göttlichen Güter, die der Mensch vor der Sünde gehabt hatte, grundsätzlich „wiedergeschenkt“ wurden. Christus ist der Mittler und zugleich die „gesetzgebende Norm“, auf die unsere moralische Erhebung gestellt und gezeichnet ist. Er hat uns alle Vollkommenheiten gelehrt und vorgelebt. Er hat nur vollkommene Werke vollbracht, auf dass wir „vollkommen seien, wie der Vater im Himmel vollkommen ist“. Wenn wir in den „Mittelpunkt Christi“, nämlich in sein Kommen als Erlöser, eintreten, so werden die Quellen des Erlösers für uns in Fülle zu fließen beginnen.

3810 |        Christus kam, damit wir Gott, den Vater, erkennen; denn „der Sohn ist wie der Vater“ und Christus „tat die Werke des Vaters“. – Wenn aber Christus, das ewige Wort Gottes, zu uns kam, vom Vater gesandt, dann musste es mit dieser Sendung Christi auch eine besondere, wichtige Bewandtnis haben, dann musste diese Sendung auch eine tiefe Ursache und ein hohes Ziel haben und musste sie einen großen Zweck zu erfüllen haben. Nach dem göttlich-ewigen Liebesplan der Heiligen Dreifaltigkeit gegenüber der Menschheit sind nun aber Ursache, Zweck und Ziel des Kommens Christi, des vom Vater Gesandten, wir selbst, weil der Mensch nach dem Urvorbild des göttlichen Wortes geschaffen ist. Christus kam, weil die Menschen durch die Sünde die Vereinigung mit Gott verloren hatten, und er kam zu dem Zweck, dass wir „wieder Gott begegnen können“. Ja, im Neuen Bund kann der Mensch wieder Gott begegnen, Gott finden und mit Gott vereinigt werden, aber nur „über“ Christus, durch und in Christus. – Das Ziel und der Plan der Liebe Gottes in diesem Erlösungsgeheimnis ist aber unzweideutig klar: „Ohne persönliche Miterlösung“ unsererseits werden wir uns der Erlösungsgnaden Christi nicht in größerer und höherer Fülle teilhaftig machen können. Wer sich aber mit den allgemeinen Früchten der Erlösung begnügen will, der bringt sich in Gefahr, auch dieser allgemeinen Erlösungsgnaden verlustig zu gehen.

3811 |        Unser Weg zur Vereinigung mit Gott geht „über Christus“. In ihm ist die Fülle und das „Alles“ Gottes. Sein Kommen umfasst die Ursache, den Zweck und das Ziel der Erlösung zugleich. Die Ursache für sein Kommen in Menschengestalt war der Sündenfall im Paradies; der Zweck seines Kommens war die Entsündigung der Menschheit; das Ziel seines Kommens war, dass das Hindernis zwischen Gott und der Menschheit weggenommen werde und dass zwischen Gott und den Menschen es wieder so ähnlich sei, d. h., ein ähnliches Verhältnis wieder bestehe, wie es einstens war. Gewiss, die ganze Fülle der Paradiesesgnaden ist für immer verloren. Aber in Christus ist uns gleichsam ein neues Paradies geschenkt worden, und sein Besitz soll uns das verlorene Paradies auf Erden ersetzen.

3812 |        Christus hat sich „die ganze Linie“ als Ziel der Erlösung gesetzt, d. h. auf sein Erlösersein war als Aufgabe gelegt der volle Abstand [von] Gott und der sündigen Menschheit, der zu überwinden war, die ganze Spanne der Kluft zwischen Gott und den Menschen, die zu schließen, und zu überbrücken war. So wie er den Menschen ähnlich wurde und mit der Menschennatur gleichsam die ganze Menschheit annahm, so umspannte er auch die ganze Kluft zwischen Gott und der gefallenen Menschheit. Was in dieser Kluft oder vielmehr in diesem Abgrund lag, das nahm er in sich auf und ward der Ersatz vor dem Vater. Oder könnten wir uns denken, dass das menschgewordene Wort nur einen Teilersatz geleistet hätte, etwa nur für die größeren Sünden? Nein, Christus hat seinem ewigen Vater ein vollgerütteltes Maß an Ersatz geboten. Und wenn auch jene Gnadenausstattung, wie sie im Paradiese bestanden hatte, für uns nicht mehr erreichbar ist, so hat Christus den ganzen Abgrund überbrückt, der zwischen Gott und der Menschheit klaffte, und hat eine volle Reinigung der Menschenseele „möglich gemacht“.

3813 |        Wenn aber – wie es wirklich der Fall ist – dieser Abgrund überbrückt ist, dann müssen auch die für die Menschen notwendigen Gnadenschätze vorhanden sein und bereitliegen. Wenn Christus – wie es aus seinem Wesen und seinen Absichten folgt – auch bezüglich der „Einzel-Erlösung“, soweit es auf ihn ankommt, Vollarbeit geleistet hat, so müssen in ihm unerschöpfliche Gnadenschätze verborgen sein, die wir aus seinem Herzen herausholen können, auf die wir ein Recht haben, weil und insofern Christus für uns bei Gott zum unendlichen Ersatz geworden ist. In ihm haben wir die Bürgschaft für die Möglichkeit unserer Heiligung, unserer Entsündigung, unseres persönlichen vollen Anteils an der Fülle der Erlösungsgnaden.

3814 |        Der gefallene Mensch ist das gewaltigste Chaos in der ganzen Schöpfung Gottes. Durch seinen Fall sind nämlich geistig moralische Grundgesetze umgestürzt worden, die sich Gottes Liebe bei der Erschaffung zum Ziele gesetzt und als Grundbedingung für die Befähigung des Menschen zur Einigung mit Gott aufgestellt hatte. Dieses Chaos betrifft vor allem das geistige Gebiet der Menschenseele, durch die der gesamte menschliche Lebensprozess geleitet wird. Der Bruch zwischen Gott und dem Menschen liegt im Geistigen; es ist ein Bruch mit den moralischen Grundgesetzen. Ohne den Einklang mit den sittlichen Gesetzen Gottes kann es aber auch keine Einigung Gottes mit den Menschen geben.

3815 |        Gott hat in die Menschenseele das „Gesetz des Guten“ hineingelegt und hineingeschrieben. Durch dieses und nur durch die Erfüllung dieses Gesetzes wird eine „vollkommene Einigung“ mit Gott möglich, denn es ist das Gesetz des Wesens Gottes selbst. – Nun geht aber der moralische Bruch im gefallenen Menschen durch seine gesamte Existenz, insofern der Mensch seit dem Sündenfall durch sein Grundprinzip in allem „irregeleitet“ ist, angefangen von seiner ersten und tiefsten oder verborgensten Wahrnehmung bis zu seinen Taten. Nicht als ob seit dem Sündenfalle dem Menschen jedes „Gute“ unmöglich wäre oder das Gesetz des „menschlich Guten“ nicht mehr bestünde, aber dieses noch bestehende mögliche und menschlich und natürlich „Gute“ ist ohne die übernatürliche Verbindung mit Gott wertlos, denn nach der Heilsordnung Gottes macht nur die übernatürliche Verbindung mit Gott die Werke des Menschen wirklich wertvoll und gotteinigend.

3816 |        In und durch Christus wurde die einstige, im Sündenfall Adams zerbrochene „Ordnung des Guten“ wiederhergestellt. Durch ihn ist das volle Gesetz der Ordnung zwischen Gott und der Menschheit sozusagen wieder „rechtskräftig“ geworden, insofern vor Christus an sich kein Mensch sich zu Gott erheben konnte, weil der hierzu notwendige Kontakt mit Gott verloren gegangen war. Infolge der vollkommenen Ausführung und Erfüllung des Gesetzes der sittlichen Vollkommenheit durch Christus hat Gott alle Gesetze seiner Liebe zu den Menschen neu bekräftigt und bestätigt. Somit haben wir ein „neues Gesetz“ von Gott empfangen, das da ist in1671 Christus, unser Herr, der unser neuer Gesetzgeber geworden ist, nicht so sehr durch ein neues Gesetz des Wortes, sondern durch ein Gesetz der Tat, durch das Vollbringen der Gesetze Gottes im Menschen. In Christus hat Gottes Liebe ihre mit der Erschaffung geplanten göttlichen Liebesabsichten, nämlich die übernatürliche Einigung Gottes mit der Menschenseele neu hergestellt.

3817 |        Auch in Christus bestand als Geistesprinzip das „Gesetz des Guten“, das die ganze Existenz des Gottmenschen erfasste. Und dieses moralische Geistesgesetz war in Christus „Gott selbst“ – wie es ähnlich im Paradiese gewesen war. Gott selbst hat sich in ihm wiederum zum Geistesgesetz der Menschheit gemacht und seine göttliche Vollkommenheit ist zugleich die göttliche „Norm“ für eine mögliche Einigung des Menschen mit Gott. In Christus wurde das göttliche Geistesgesetz des „Guten“ vollkommen ausgeführt und gelebt, nach göttlichem Maßstab „getan“ und verwirklicht und damit wurde die Geistesgesetze der Verbindungsmöglichkeit zwischen Gott und der Menschheit neu bekräftigt und verbindlich und verpflichtend gemacht.

3818 |        Christus trug in sich die volle Ordnung des „Paradiesesmenschen“; sein Erlösersein umspannte aber die ganze gewaltige Kluft, die sich im Sündenfall zwischen der Menschheit und Gott aufgetan hatte. Mit seiner Menschwerdung und in seinem ganzen Menschenleben hat er es auf sich genommen, für die Menschen und anstelle der Menschen in vollem Ausmaß alle Gesetze zu erfüllen, die der ewige Vater einstens mit der Schöpfung im Paradies aufgestellt hatte. Mittels seiner wahren Menschheit wurde das Gesetz Gottes vollkommen gelebt und „wiederhergestellt“. Das reine Geistesgesetz wurde sozusagen „lebend“ und menschlich gelebt durch seine Erfüllung aus Ausführung mittels der menschlichen Existenzkräfte, die Christus durch und mit der Menschwerdung in sich aufgenommen hat.

3819 |        In Gott besteht alle sittliche Vollkommenheit, infolge der göttlichen Seinshaftigkeit, „aus sich selbst“, durch das Gesetz des göttlichen Wesens, d. h., mit dem göttlichen Wesen und Bestande ist alle Vollkommenheit, alles „Gute“ schon vorhanden und Gott bedarf wegen der absoluten Einheit und Einfachheit seines Wesens keiner „Ausführungskräfte“. Der Mensch jedoch bedarf wegen der „Zweiheit“ seines Wesens einer Orientierung und Zielsetzung, einer Hinordnung auf den Urheber und Ursprung alles Guten. Auch Christus hatte als wahrer Mensch die Konsequenzen der gottmenschlichen Ausführung des Guten als persönliches Erleiden zu tragen. Er „erlitt“ in sich die Folgerungen, die für einen Menschen im „gefallenen“, d. h. leidensfähigen Zustand des vollkommenen Tuns des Guten mit sich bringt. Die göttliche Natur der zweiten göttlichen Person nahm mit der Menschwerdung die Konsequenzen jenes Erleiden des Guten auf sich, das in Gott selbst wesentliches Geistesprinzip ist. Insofern kann man also in ihm von einer gewissen „Zweiteilung“ reden, nämlich von dem Geistesprinzip der reinen göttlichen Norm und vom Erleiden der Ausführung dieser Norm durch die menschliche Existenz. Diese menschliche Existenz wurde im Gottmenschen zum „Mittel“ für Gott, um das göttliche Gute menschlich zu leben.

3820 |        Dies ist der Neue Bund Gottes mit der Menschheit, dass er selbst kam, um das zu tun und zu vollbringen, was sein göttliches Gesetz war. Dies ist gleichsam die Mittagssonne der Liebe Gottes, wodurch er sich der Menschheit neu verbunden hat. – Wunderbar erhaben war das göttliche Ziel bei Erschaffung des Menschen, weil er sich selbst zum Grundgesetz für die Einigung des Menschen mit Gott gemacht hat. Noch wunderbarer und umfassender jedoch – so kann man sagen – war die „göttliche Rache“ der Liebe nach dem Sündenfall: Dass nämlich Gott selbst kam und das göttliche Gesetz der Vollkommenheit mittels der menschlichen Natur wirklich gelebt und vollbracht hat. In und durch den Gottmenschen wurde der ganze durch die Sünde aufgerissene Abgrund umspannt und überbrückt durch das göttliche Gesetz des Tuns und Vollbringens aller göttlich-sittlichen Vollkommenheiten. Diese seine Erfüllung und Ausführung des Gesetzes, worin der Mensch versagt hatte, ist das neue Band der Liebe Gottes zur Menschheit. Die göttlichen Verdienste der vollkommenen Ausführung der göttlichen Urgesetze durch den Gottmenschen bedeuten für uns Menschen selbst ein wirkliches Hineinversetzt-werden und Anteilnehmen an den göttlich-sittlichen Vollkommenheiten, wodurch uns die Kraft gegeben wird, den „neuen Christus“ in uns aufzunehmen, der in uns neu geschaffen werden soll.

3821 |        Christus hat für uns den Preis gezahlt; somit sind wir sein Eigentum. Er ist uns gleich geworden; somit besteht das „neue Gesetz“ darin, dass wir ihm gleich werden sollen. Wir haben kein anderes Vorbild als ihn, der sich uns gleichgemacht hat und der für die Menschen den göttlichen Preis gezahlt hat durch die Hinopferung seines eigenen gott-menschlichen Wesens. Wir haben auch kein anderes Ziel, als dass wir in uns jenes göttliche Gesetz des Guten und der Vollkommenheit verwirklichen, das uns Christus vorgelebt hat. Und wir haben mit unserem Dasein im Grunde nur eine Sendung: dass wir jene Zielrichtung in uns festlegen und in einer möglichst hohen Ausführung verwirklichen. Durch die tatsächliche Erfüllung des göttlich vollkommenen Gesetzes vonseiten des Erlösers sind wir in die neue Heilsordnung hineinversetzt worden, in die Heilsordnung der Gnade des Erlösers. Damit sind für uns „neue Quellen“ zum Fließen gekommen, nämlich die göttlichen Quellen der Tat des Erlösers; denn er hat unermesslich Großes und Vollkommenes für uns getan. Jede durch ihn gelebte und ausgeführte göttliche Vollkommenheit trägt für uns die Möglichkeit der „Nachahmung“ in sich; und weil Christus das ganze göttliche Gesetz der Vollkommenheit in sich erfüllt hat, so liegen in seinen Verdiensten ebenso reiche Möglichkeiten unserer persönlichen Vervollkommnung bereit. Welchen Sinn und welche Erklärung hätte sonst das Leben Christi gehabt, wenn nicht die Mitteilung seiner göttlichen Liebe das Grundgesetz seines Gott-Menschentums gewesen wäre?

3822 |        Christi Erlöserleben war unendlich reich an gelebten und vollbrachten (inneren und äußeren) Taten göttlicher Vollkommenheiten; wir aber haben Anteil an all seinen gottmenschlich gelebten Vollkommenheiten. Jede einzelne gottmenschlich gelebte Vollkommenheit ist für uns zur Quelle der Möglichkeit des Nachlebens geworden, und zwar Kraft der Mühe, die seine menschliche Natur dabei aufgewandt hat. Weil aber die göttliche Person Christi selbst seine menschliche Natur befähigt und geleitet hat, so wurde uns dadurch göttliche Schätze erworben, die für die Menschheit einen ebenso unerschöpflichen Wert haben, wie die göttlichen Vollkommenheiten selbst. Und so reich ist nun die Menschheit in Christus geworden, dass er selbst sich ihr mit seinen gelebten göttlichen Vollkommenheiten und mit den dadurch erworbenen Verdiensten zur Verfügung stellt. Auf dass die Menschen kommen und davon empfangen können. Die Göttlichkeit des Wesens des Erlösers ist uns Bürgschaft dafür. Darum ist auch der Inbegriff seiner göttlichen Vollkommenheiten die wahre und erhabene Zielrichtung unseres Lebens. In ihm ist uns das wieder zuteilgeworden, was der Schöpfer im Paradiese sich und uns zum Ziel gesetzt hatte: nämlich „Gott selbst“.

3823 |        In Christus haben wir die Vollkommenheiten Gottes „neu empfangen“, die uns zum Lebensgesetz werden sollen; Adam hatte einst diese nachzubildenden göttlichen Vollkommenheiten als Lebensgesetz empfangen. Im Christus wurden sie uns neu geschenkt, auf dass wir damit teilhaben sollten an Gott. Dieses göttliche1672 Gesetz der Vollkommenheit sollte in jedem einzelnen Menschen bestehen und Verwirklichung finden, weil Gott an sich jede Person zum Erben der Erlösung gemacht hat. Jede menschliche Person ist „heilsverpflichtet“ und sollte das Nachleben der göttlichen Personen verwirklichen und in sich verkörpern; sie bildet darum ein nicht unwichtiges Element in der menschlichen Gesellschaft und in der Menschheitsfamilie. An der Verwirklichung jenes gottgegebenen Lebensgesetzes hängt das Wohl und Wehe sowohl der einzelnen Menschen wie der Masse der Menschheit.

3824 |        Jeder Mensch verkörpert in sich irgendwie auch seine Zeit, das heißt, es gibt keinen Menschen, der nicht irgendwie die Spuren seines Zeitalters an sich tragen oder ihn sich ausprägen würde, sei es im Guten, sei es im minder Guten. Alle Werke der Menschen tragen irgendwie das Gepräge ihrer Zeit oder vielmehr: Die einzelnen Menschen in der Masse der Menschheit, geben der jeweiligen Zeit das Gepräge, und formen selbst ihr Zeitalter je nach dem Grade des Vollbringens der göttlich-sittlichen Gesetze. Deren Erfüllung und Verwirklichung formt die religiösen gottgezeichneten Zeiten, die dann auch gottgesegnete Zeiten sind: Das Gegenteil gilt entsprechend von den Zeiten der Flucht oder Abkehr von Gott. – Vielleicht hat es nun aber seit der Menschwerdung Christi niemals eine Zeit gegeben, in der die Abkehr von Gott ein solches Ausmaß angenommen hätte1673 und in der dementsprechend auch der Fluch Gottes und das Gezeichnetsein durch die Abkehr von Gott in der Menschheit so deutlich gewesen wäre, wie in unserer Zeit. Gott wendet sich in dem Maße von der Menschheit ab, als die Menschheit sich den Gesetzen Gottes entzieht. – Diese Abkehr von Gott vollzieht sich aber immer persönlich durch die Einzelnen; und die Vielheit der Einzelnen, die sich abkehren, ergibt die Massenabkehr von Gott, womit ausgedehnte Teile der Menschheit sich von Gott und seinem Gesetz losreißen. Gott hat in die einzelnen Personen sein Gesetz geschrieben, und die Beobachtung des Gesetzes durch die Einzelnen oder die Rückkehr der Einzelnen zum göttlichen Lebensgesetz formt wieder eine neue Masse von gottgläubig lebenden Menschen.

3825 |        Die heutige Zeitlage bedingt und bringt daher als Aufgabe mit sich, die Rückführung der einzelnen Menschen zu Gott. Dies ist aber nicht möglich durch „Massenpredigten“ – und noch weniger durch „Massendeportationen hin zu Gott“ –, sondern gerade die heutige Zeit verlangt auch ein solches Handhaben der Seelsorge, dass jeder einzelne Mensch in sich selbst sich wieder seinem Gott und dem Gesetze Gottes in seinem Herzen zuwende. Es genügt nicht, der heutigen Menschheit die Geduld in der drückenden Last ihrer Leiden zu predigen; das kann fast wie ein Hohn scheinen für seelisch und physisch geschlagene Menschen. Vielmehr würde eine Seelsorge erreichen und zur Besserung der Einzelnen führen, wobei der einzelne Mensch belehrt und dazu gebracht würde, auf das still in ihm mahnende, und doch so tief in seiner Seele eingeschriebene göttliche Geistesgesetz zu achten und sich wieder seinem Tröster und dessen innewohnender Kraft zuzuwenden; daraus würde dann ein neues „Erleben Gottes“ und eine neue Freude an seinem beseligenden Gesetz erwachsen. Jeder Versuch und jede Methode einer „Massenbekehrung“ ist heute wertlos; die einzelnen Menschen sollen vielmehr bestrebt sein und dazu belehrt werden und angehalten werden, dass sie in sich erst wieder die „Spuren des Geistes Gottes“ suchen und wahrnehmen. – Zu diesem Zweck bedarf es aber auch einzelner Menschen, welche die Wege Gottes kennen, braucht es Priester, die in sich selbst einkehren, das Geistesgesetz Gottes sich ganz zu eigen machen und aus dieser persönlichen Erfahrung heraus die Fähigkeit haben, der zerfallenen Menschheit dienen zu können.

 

April

12.04.1947

3826 |        Unsere Einigung mit Gott ist nicht so sehr in unserem Wesen als solchen, als vielmehr im sittlichen Guten begründet. Jede sittlich gute Tat vermehrt unsere Einigung mit Gott, ebenso wie alles ungute Tun uns von Gott entfernt. Das Geheimnis unserer Einigung mit Gott liegt in der Ebenbildlichkeit unseres Geistes mit Gott, besteht „im Geiste“ der Heiligkeit und Vollkommenheit.

3827 |        Bevor der Mensch geschaffen wurde, gab es nur einen „Guten“; in ihm waren die Güter und Werte alles Guten. Diese unendliche und maßlose Güte, die darum auch alles Glück und alle Seligkeit alles „Guten“ besitzt, ist Gott selbst. Die Folge „alles Guten“ in ihm war, dass es ihn vollkommen glücklich und selig machte, wie eben nur das Gute ein Wesen beglücken kann, das des Guten voll ist; denn im Wesen des Guten liegt die Freude. Gottes Sein ist der Seinszustand alles Guten, das durch sein Wesen Gott erfreut.

3828 |        Gott wollte dieses Gute nicht für sich allein behalten, sondern wollte die Werte des Guten, das ihn erfüllte, auch anderen Wesen mitteilen, dass auch diese Träger von Gutem seien, das in Gott war und ist, das seinem Wesen den Namen gibt und vollkommenste Glückseligkeit bedeutet. Diese geschaffenen Wesen waren anders als Gott selbst und sie waren dazu „gemacht“, dass sie Träger des Guten seien. Gott ist seinem Wesen nach vollkommenster Geist; der Mensch ist aber „gemacht“, stofflich dem Leibe nach, in seinem Geiste aber nachgebildet dem Geiste Gottes, der wesenhaft alles „Gute“ ist. Unser Geist hat darum auch die Fähigkeit zum sittlich „Guten“ und gerade durch diesen „Geist des Guten“ ist die Seele als geschaffener Geist ein Abbild des Allguten und darum auch Allseligen.

3829 |        Die Summe des Guten im Menschen ist auch die Summe seiner Glückseligkeit in seinem persönlichen Leben und im Zusammenleben der Menschen. Stellen wir uns z. B. zwei Menschen vor, in denen alles gut ist, was sie tun und die in guter und bester Umgebung leben; welches Glück, und welche innere Seligkeit wird diese beiden Guten beseelen, weil ja das Gute der wahre Gehalt und die tiefste Ursache der Freude und Beseligung ist. – Oder stellen wir uns einen Menschen vor, dessen Geist sich mühelos immer zum Guten hinbewegt, dessen Wesen mühelos gut sein kann und ist; nehmen wir zusammen die Unsumme aller Fähigkeiten der Seele, wodurch eine Unsumme von Gutem – und damit auch eine Unsumme von Beseligung hervorgebracht werden kann. Was für eine Vielfalt an Möglichkeiten der Beseligung und Freude wäre damit gegeben, weil die Geistfähigkeiten der Seele das Gute und damit die Freude hervorzubringen vermögen!

3830 |        Gott, der wesenhafte Geist des Guten, hat uns die Seele als geschaffenen „Geist zum Guten“ – und damit zur Freude – gegeben und er gab sie uns zugleich als unser „Leben“, welches dieses Gute wirken sollte. Unsere Seele ist Geist vom Geiste des Allguten, damit dieser unser Geist ähnliches Gutes wirke, erlebe und erfahre wie der wesenhaft Gut-Seiende, der „Allgute“, in dem alles Gute seiend ist. Was die Materie des Menschen wertvoll macht, das ist der Geist des Guten, die Seele!

3831 |        Auch im Paradies genossen die ersten zwei Menschen das Glück und die Freude des gegenseitigen Guten. Welches Glück, sich des gegenseitigen1674 Guten erfreuen zu können, die Früchte des Geistes mit seiner Unsumme von Betätigungsmöglichkeiten des Guten als Freude genießen zu können! Das war der Mensch im Paradies. Gott hatte das Wesen der Seele abbildlich nach seinem Wesen gebildet mit der Fähigkeit, eine unbegrenzte Möglichkeit von Gutem verwirklichen zu können, das wiederum restlos zu Freude und Beseligung wurde. Ein Abbild des Wesens Gottes, eine Übernahme von Ähnlichkeiten mit Gott ist die Seele mit ihren geschaffenen Geistfähigkeiten; denn Gott hat alle Möglichkeiten zum Guten in sie hineingelegt, und hat sie zu dem Zweck geschaffen, dass sie – als schwaches Abbild seines Wesens – teilnehmen an seinem Guten und damit an seine Freude.

3832 |        Die Seligkeit, die aus dem Guten oder aus den vollkommenen Seinswerten kommt, wird zur wahren Fülle oder zu lebendigen Quelle erst durch die Mitteilung dieser dem Guten entströmenden Seligkeit an andere Wesen, die solcher Mitteilung fähig sind. Auch in diesem Sinne hat Gott sich selbst dem Menschen zum Vorbild gegeben in der Dreipersönlichkeit seines göttlichen Wesens. Wäre Gottvater allein seit Ewigkeiten gewesen, wie wäre dann die Seligkeit seiner unendlichen Fülle des Guten zum Quell der Seligkeiten für andere geworden, deren Wesen ihm nicht ebenbürtig war? – Gottvater sprach aber die unendliche Seligkeit seiner göttlichen Vollkommenheit aus in der zweiten göttlichen Person, deren Wesen dem Vater ebenbürtig ist und die darum die göttliche Seligkeit voll und ganz aufnehmen kann, sodass das göttliche Wesen des Sohnes eine immerwährende göttliche Antwort der Seligkeit auf jene des Vaters war und ist. Und was ist wiederum der Inbegriff der Seligkeit des Vaters und des Sohnes? Es ist das „Wesen der Seligkeit“, nämlich der Geist des Guten und Heiligen, der die göttlichen Personen des Vaters und des Sohnes seit Ewigkeiten erfüllt. Im Geiste bestehen alles Gute und alle dem Guten entströmende Seligkeit. Und weil dieses göttlich Gute göttlich-wesenhaft gut ist, so empfängt sich der ewig-dreipersönliche Gott immerwährend „durch sich selbst“; und Gott selbst bildet die Fülle der Seligkeit seines Wesens, die seiner göttlichen Vollkommenheit seit Ewigkeiten entströmt.

3833 |        Dieses göttliche Urvorbild wollte Gott nachgebildet haben mit der Erschaffung der Menschen. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei …“. Die Zweiheit und die Vielheit ähnlicher Wesen und Geschöpfe sollte die Freude und Seligkeit der Menschen vermehren infolge der Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit des Guten, dass die verschiedenen Menschen auszuführen und auszuleben befähigt sind. Ein Mensch sollte für den anderen zur Quelle von Freude und Seligkeit werden durch das Überströmen des Geistes des Guten – so wie in Gott der Geist des Guten und Vollkommenen herrscht und der ewige Beweggrund der göttlichen Seligkeit zwischen Vater und Sohn ist. Diese zweipersönliche Mitteilung des göttlichen Geistes wird seit Ewigkeiten zur göttlichen Drei-Persönlichkeit und ist die göttliche Drei-Einigkeit des einen unendlichen Wesens. Wäre in allen Menschen das Gute zum Daseinsprinzip geworden, wie glücklich wäre dann die Menschheit, denn nur das Gute bringt wahre Seligkeit hervor! Ein menschliches Wesen würde sich dann sozusagen ans andere verströmen und in ihm neue Freude über den Inhalt und die Werte des Guten verbreiten. – Auch die Menschheit im Ganzen kann nur insoweit glücklich werden, als sie das sittlich Gute zu Freude des Nebenmenschen ausübt. So ist das Gute das einigende und beseligende Band der Menschheit. – Wie wunderbar sind die Pläne, die Gott bei der Erschaffung der Menschen hatte! Wahrlich, Gott selbst hat sich zum Vorbild der Menschheit gemacht.

 

Mai

16.05.1947

3834 |        Das göttliche Wort erwählte sich infolge der Menschwerdung ein wirkliches „Abstandsverhältnis“ gegenüber dem Vater. – In einer wie sonnenklaren Erkenntnis erlebte ich dieses Geheimnis.

3835 |        Das göttliche „Wort“, im rein geistigen Geheimnis des „eigenen göttlichen Selbsterkennens“ ewig vom Vater gezeugt, ist wesentlich und naturhaft „ein Gott“ mit dem Vater (und dem Heiligen Geiste), hat aber eine „andere Persontätigkeit“ als der Vater. Kann man nun von dieser zweiten göttlichen Person sagen, dass sie (infolge der Menschwerdung) ihrem göttlichen Erzeuger gegenüber den Namen „Vater“ in einem ähnlichen Sinne gebrauchte, wie es bei den Menschen gilt? Und wie ergab sich dies?

3836 |        Das Geheimnis der Menschwerdung hatte als Folge eine gewisse „Änderung“ im Geheimnis der Beziehungen der drei göttlichen Personen, insofern als nun das göttliche „ineinander“ von Vater und Wort zugleich zu seinem wahren „gegenüber“ wurde, wobei aber das göttlich-wesentliche Einssein der göttlichen Natur bestehen blieb. Es war, in menschlichen Worten ausgedrückt, gleichsam eine Ablösung, eine Entfernung und Distanz, in die sich mit der Menschwerdung das göttliche Wort dem göttlichen Vater gegenüber begab, sodass das göttliche Wort in der Gestalt eines wahren Menschen eine wirkliche „Sohn-Stellung“ gegenüber dem Vater einnahm oder, mit anderen Worten gesagt, sich seinem Vater gegenüber in die „Menschen-Sohn-Stellung“ begab. Dieses Gegenüber des Menschensohnes bedeutet aber auch eine geistige „Raum-Veränderung“, insofern das göttliche Wort (nicht seiner göttlichen Natur nach, aber der Besonderheit der Person nach) eine „raumverändernde“ Tätigkeit auf sich nahm. Diese geistige „Raumveränderung“ des göttlichen Wortes brachte entsprechende Folgen mit sich. Um es in einem menschlichen Bilde anzudeuten: Wer einen Raum1675 verlässt, den er zusammen mit anderen Personen bewohnt hat, der muss – um das Beisammensein mit den Mitbewohnern im Geiste zu bewahren und sich im Andenken an jenen Raum zu erhalten – immer wieder im Geiste dorthin zurückkehren und sich „zurückfinden“, muss also geistige Wegstrecken zurücklegen, um durch erneute Hinwendung in geistiger Verbindung mit dem Früheren zu bleiben. Ein solches Herausgehen aus dem früheren Verhältnis bedingt also zur Aufrechterhaltung der Gemeinschaft ein beständiges „Zurückgehen“ – wenn sich auch dies nur im Geiste vollzieht. – In einem ähnlichen geistigen „Raumabstand“ befand sich das göttliche Wort nach seiner Menschwerdung dem Vater gegenüber. Selbstverständlich gab es im göttlichen Wort keinen göttlichen Wesensabstand, der ein „Zurückgehen“ zum Vater notwendig gemacht hätte – denn „ich und der Vater sind eins“; aber die Menschwerdung versetzte das göttliche Wort in einen „gottmenschlichen Personabstand“, der dem Erlösertum Christi eigen war. Vermögen des Zweckes der Menschwerdung übernahm nämlich das göttliche Wort eine Menschen-Stellung gegenüber Gott-Vater, und diese Stellung bedeutete einen Abstand und machte ein „sich-hinbewegen zu Gott“ notwendig. Im Erlösertum Jesu lag der Zweck einer Ersatz-Stellung des menschgewordenen Wortes gegenüber dem Vater, also eine in der Tat vollzogene Stellung und eine stellvertretende Ausübung und Leistung dessen, was der gefallenen Menschheit zu leisten zukam. Dass Christus Gott war und blieb, änderte an dieser „Tat-Stellung“ im Menschentum Jesu nichts; denn sein Anteil und seine Aufgabe war es, der göttlichen Gerechtigkeit menschlich das zu ersetzen, was die gefallene Menschheit tatsächlich schuldete. Christus lebte seine gottmenschliche Existenz mittels der menschlichen Natur, und die normalen Funktionen dieser menschlichen Natur boten die entsprechenden Verbindungs- und Beziehungsmöglichkeiten zwischen seiner göttlichen Person und dem himmlischen Vater. So musste also auch der Erlöser die Mittel der menschlichen Natur gebrauchen, um „zum Vater zu gehen“, denn er dem (geistigen) „Raume“ nach verlassen hatte.

3837 |        Dadurch hat das göttliche Wort, immer in der Einheit der gleichen göttlichen Natur, sich in eine Stellung begeben, in der Christus Gott den Herrn, in einem ähnlich angeglichenen Sinne wie wir, „Vater“ nennen konnte; und damit hat er sein ganzes Menschenleben als eine gottmenschliche Anerkennung des Vaters gelebt und hat sein gottmenschliches Dasein als einen ständigen Dienst und eine Verehrung und Huldigung gegenüber dem Vater, seinem Vater, aufgezeigt. Wie aber konnte sich ein so ausgesprochenes Kindschafts-Vater-Verhältnis zwischen dem (menschlichen)1676 menschgewordenen Worte und Gott-Vater entwickeln? Widerspricht dies nicht der einen göttlichen Wesenheit der Heiligen Dreifaltigkeit? Scheint dies nicht eine „Vermenschlichung“ der Heiligen Dreifaltigkeit [zu sein]? Wie konnte der Erlöser, das ewige Wort, den ewigen Gott in einem unserer Stellung angeglichenen Sinne „Vater“ nennen? – Diese ersetzende und stellvertretende Anerkennung des Vaters durch das göttliche, menschgewordene Wort schließt Tiefe, göttliche Liebesgeheimnisse in sich. Um sie zu erkennen und einigermaßen zu erklären, braucht es besonderes übernatürliches-göttliches Licht; denn selbst im gewöhnlichen mystischen Schauen und Erkennen der Heiligen Dreifaltigkeit scheint ein solches „Abstandsverhältnis“ oder eine solche „Scheidung“ zwischen Gott-Vater und dem göttlichen Erlöser kaum mit dem Wesen der Heiligen Dreifaltigkeit vereinbar.

3838 |        Die göttliche Vaterschaft der ersten Person der Heiligen Dreifaltigkeit gegenüber dem göttlichen Worte hat ganz andere Voraussetzungen, als wir sie gewöhnlich unter „Vaterschaft“ verstehen, und man kann sie daher nicht eine eigentliche „Vaterschaft“ in unserem Sinne nennen.

3839 |        „Vater sein“ in unserem Sinne heißt: „Neues Leben“ weitergeben; und diese Vaterschaft ist eine „Neuschöpfung“ des eigenen Lebensproduktes. Im Gott aber war und ist kein Lebensprodukt, dass Gott in sich erzeugt hätte oder das „geworden wäre“, sondern Gott ist aus sich selbst. Er ist sich selbst Existenz, und zwar ohne eigene „Produktion“ und ohne die Produktion eigener oder fremder Zutaten. Gottes Wesen ist „wesentliche Selbst-Verehrung“ dadurch, dass er im eigenen Selbst-Erkennen sich selbst widerspiegelt und sich durch sich selbst verherrlicht. Diese wesentliche Selbst-Verherrlichung im eigenen Erkennen ist wesentliches Selbstsein, ein göttliches Selbst-sein, das ewig und immerwährend in und aus Gott strömt – so wie dem Kind das Leben wird aus dem Sein des Vaters. Dieses Hervorgehen persönlicher Wesenheit oder diese Gott-Bildlichkeit des ewigen Wortes wird zu einem „personalen-Abstand“, d. h., zu einer göttlichen Eigenpersönlichkeit, zum Selbst-Besitz einer eigenen göttlichen Person. Was so sich selbst besitzen, beherrschen und regieren kann und was seinem Wesen nach unabhängig ist (– was wir im Bereich der geschaffenen Abbilder menschlichen Personstand nennen –), das geht seit Ewigkeit aus Gottes Schoß und Wesen hervor und so bringt Gott sich durch sich selbst die unendliche wesentliche, göttliche Ehre! Gott wird sich selbst zu ewiger Selbstverherrlichung in der ewig-göttlichen Sohnschaft, in dem durch Gott Selbst [sic!] gezeugten göttlichen Wort. Gott lebt und verherrlicht sich durch die göttliche Wesenheit in der Zeugung des Wortes oder durch das „Aussprechen“ oder Ausströmen seiner selbst. Als eine „Wiederkehr des Eigenen“ geht die Vaterschaft Gottes gleichsam parallel mit dem Wesen einer Vaterschaft in unserem Sinne.

3840 |        Durch den Zweck ihrer Menschwerdung erfüllte die zweite göttliche Person auch jene Forderungen der Verherrlichung Gottes, welche die Menschheit zu leisten schuldig ist. Der Erlöser erfüllte diese Forderungen und Bedingungen durch „Sich-Selbst“ und durch sein eigenes göttliches Wesen, aber zugleich durch das Werkzeug seiner menschlichen Kräfte, d. h., er erfüllte jene Forderungen als göttliche Person, die sich gleichsam in den Dienst der Aufgaben und Pflichten der menschlichen Natur stellte. Ja, in Christus stellte sich die göttliche Personschaft in den Dienst einer menschlichen Natur und forderte zugleich diese menschliche Natur an bei seiner stellvertretenden Übernahme von Funktionen, die ein Kindschaftsverhältnis – wie er es als Erlöser der Menschen eingenommen hatte – gegenüber seinem göttlichen Erzeuger verlangte. Jedes Kindschaftsverhältnis trägt aber als wesentliche Pflichten in sich: Anerkennung, Unterwerfung und Verherrlichung des Lebensspenders, weil es von diesem das Sein erhält.

3841 |        Wir Menschen haben durch den Sündenfall das göttliche Kindschaftsverhältnis verloren und wir selbst konnten es uns nicht mehr zurückgewinnen. Da übernahm diese Aufgabe an unser statt die zweite göttliche Person selbst, indem sie die göttlichen Vaterrechte Gottes über die Menschheit in vollkommener gottmenschlicher Weise anerkannte, sich dieser göttlichen Vaterschaft als Gottmensch unterwarf und ihr durch sich selbst dienstbar wurde. Christus sprach jene göttliche Vaterschaft durch sein ganzes Wesen als Gottmensch aus und sprach sich zugleich aus über die wesentlichen Vaterrechte Gottes, indem er „das“ wurde, was uns eigen ist und zukommt, und indem er das leistete, was jeder Sohnschaft obliegt. In und durch Christus ward der göttlichen Vaterschaft wesentliche Anerkennung durch die Hingabe seiner selbst an Gott vermittels seiner menschlichen Natur.

3842 |        Vaterschaft fordert immer (als beste Anerkennung des wahren Ursprungs des eigenen Daseins) neue Hingabe und neue Selbsthinführung zum Vater; sie verlangt ein ständiges Sich-zurückbewegen zu seinem Lebensspender und damit eine Gegenüberstellung mit ihm. Zwischen Gott-Vater und dem menschgewordenen Wort bestand eine ähnliche Gegenüberstellung, nämlich eine Gegenüberstellung gegenüber der göttlichen Gerechtigkeit, die wirkliche Forderungen zu erheben hatte, Forderungen, die infolge des Zweckes der Menschwerdung und der Erlösung zu Forderungen an den Erlöser selbst und zu einer Aufgabe für ihn wurden. Diese an Christus, den Erlöser gestellten Forderungen waren göttlich-wesentliche, weil die Sünden der Menschheit – als Beleidigung der göttlichen Majestät – eine „göttliche Sühne“ verlangten und weil die gefallene Menschheit sich selbst nicht retten und erlösen konnte. Der Erlöserzustand Christi gegenüber der göttlichen Gerechtigkeit war darum eine wirkliche „Erniedrigung“, eine Selbsthingabe und Selbstaufopferung, eine Unterwerfung aus göttlichen Beweggründen, die in den Abgründen der göttlich-unendlichen Liebe ihren Ursprung hatten. Eine solche tatsächliche Unterwerfung und Selbstaufopferung hat auch wirklich als Leistung des Erlösers dies hervorgebracht, dass wir wieder das Wort „Vater“ zu Gott sagen dürfen – wozu wir das Recht verloren hatten – und dass wir wieder Kinder Gottes sind im wahren Sinne des Wortes. Die zweite göttliche Person hat sich durch ihre Selbstaufopferung an den Vater ausgesprochen über die göttliche Selbstverherrlichung und hat mit dem Worte „Vater“ uns Kunde gebracht vom Vater. Wenn er aber dieses Wort gesprochen hat, so hat er es für uns gesprochen, damit auch wir es sprechen dürfen. Seit Ewigkeiten und bis zur Menschwerdung war dieses Wort „Vater“ nämlich nie in dem bezeichneten Sinne gebraucht worden – wenn es auch wesentlich berechtigt gewesen wäre –, denn erst die Erlöserstellung Christi brachte eine tatsächliche Sohnstellung in dem angedeuteten Sinne, eine genugtuende Sohnschaft anstelle und zugunsten der Menschheit. Damit hat Christus das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit ausgesprochen, denn in ihm wurde die Liebe des Vaters geoffenbart und der Vater offenbarte sich in ihm. Diese Offenbarung geschah durch die wesentliche Sohnstellung, d. h., durch die Erlöserstellung des menschgewordenen Wortes, durch die uns die göttliche Vaterschaft wiedergeschenkt wurde.

3843 |        Die göttliche Hinwendung des Erlöses zum Vater geschah in menschlichen Akten, die aber dem Wesen der göttlichen Person entsprangen und die sich deshalb an Wert nicht mit unseren rein menschlichen Akten vergleichen lassen. Im Gott herrscht wesentliche „Tat“ d. h. in Gott sind alle Vollkommenheiten wesentlich vorhanden und sein Dasein ist ihm höchste Verherrlichung. Vermögen der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person kam die Menschheit Jesu Kraft der göttlichen Person, von der sie aufgenommen und „belebt“ wurde, sogleich in den Zustand wesentlicher Gottesverherrlichung; sie kam infolge dieser „Belebung“ durch die göttliche Person in eine „göttliche Stellung“, insofern sie (als Werkzeug der göttlichen Person) göttliche Funktionen mit vollzog und ausübte, die vor Gottes Gerechtigkeit einen göttlichen Ersatz bildeten. Das Wesen des Gottmenschen selbst war in Christus ein Akt unendlicher Verherrlichung Gottes, denn er lebte und vollbrachte menschlich alle göttlichen Vollkommenheiten, durch deren innergöttliche Mitteilung sich das Hervorgehen der zweiten göttlichen Person vom Vater vollzog und vollzieht. Es trat also durch die Menschwerdung keine Unterbrechung ein im Geheimnis zwischen Vater und Sohn, sondern es vollzog sich dadurch vielmehr in einem gewissen Sinne eine „Vollendung und unendliche Verwirklichung“, nämlich eine gottmenschliche Verwirklichung und Erfüllung, insofern die göttlichen Vollkommenheiten des Vaters in menschlich gelebten Akten des menschgewordenen Wortes zu einer gottmenschlichen Wirklichkeit kamen. Man darf sich aber diese dem himmlischen Vater geleisteten gottmenschlichen Akte des Erlösers nicht so vorstellen, wie unsere Akte Gott gegenüber sind. Wir Menschen können im allgemeinen nur Verstandes- und Willensakte vollführen und uns erklären. In Christus aber waren die Akte der Verherrlichung Gottes „Wesensakte“, seiende Zustände. Das göttlich-wesentliche Ineinander wurde in ihm „göttliches Gegenüber“ der menschlich vollbrachten göttlichen Vollkommenheiten, und damit zur ersatzkräftigen göttlichen Selbst-Verherrlichung vor dem himmlischen Vater. Es war zugleich auch berechtigt, dass der Erlöser den himmlischen Vater in einem menschlichen Sinne als „Vater“ ansprach, weil er ja die faktische Sohnschaft vor Gott für die gefallene Menschheit übernommen hat, und weil er diese göttliche Sohnschaft tatsächlich ausführte mit menschlichen Akten auf der göttlichen Ebene der göttlich-wesentlichen sittlichen Vollkommenheiten, also in ununterbrochener Einheit mit dem Vater, in der Einheit des einen göttlichen Wesens.

 

22.05.1947

3844 |        Der Mensch ist durch seine geistigen Anlagen und Kräfte jederzeit und unmittelbar Gott und dem göttlichen Urgesetz unterstellt und verantwortlich; seine geistigen Anlagen sind das Werkzeug, wodurch Gott den Menschen und der Mensch Gott besitzen kann und wodurch sich damit die wahre und höchste Bestimmung des Menschen erfüllt. – Es gäbe keine moralische Verantwortlichkeit vor Gott, wenn nicht der Mensch als Träger und Täter aller moralischen Gegebenheiten unmittelbar Gott selbst unterstehen würde bzw. wenn nicht das gesamte „Geist-System der Seele“ von Gott stammen würde und nicht auf ihn hingeordnet und ihm praktisch verantwortlich wäre. Ein Aufheben oder Lösen dieser Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott ist nicht möglich, es sei denn, dass der Schöpfer sich von der gesamten Schöpfung zurückzöge (– aber dann würde die Schöpfung im selben Augenblick ins Nichts sich auflösen –) oder dass er das geistige Urgesetz des Menschen aufheben würde (– aber in diesem Falle würde der Mensch in einen „Vertierungszustand“ geraten –).

3845 |        Bei allen Betätigungen der Geschöpfe – den sichtbaren sowohl wie bei den unsichtbaren, die sich im Leben des Geistes abspielen – ist auch der Schöpfer selbst Wirkursache, denn in Gott ruhen alle Grundlagen des geschöpflichen Seins, der geschöpflichen Betätigung und der die Geschöpfe verpflichtenden Gesetze. Auch der Ungläubige und der Sünder kann sich keinen Augenblick seiner geschöpflichen Abhängigkeit von Gott entziehen, die ihn als Geschöpf vor Gott verantwortlich macht für den Widerspruch gegen Gott und Gottes Gesetz, der in der Sünde liegt.

3846 |        Der Mensch ist aber in einem besonderen, unmittelbaren Sinne „ein Geschöpf Gottes“; denn kraft seiner Bestimmung und seines Zieles nach den Absichten Gottes sind alle seine geistigen Daseinskräfte irgendwie im Schöpfer selbst „vorgebildet“. Infolge der Bestimmung des Menschen zu einer Einigung und zu einem Genießen Gottes zu gelangen gibt es keine menschliche Kraft oder Befähigung, die nicht „parallel“, aber wesenhaft in Gott selbst vorhanden wäre. Manchem mag dies heute als zu hoch klingend erscheinen, aber es gereicht der Menschheit selbst zum größten Schaden, dass man die wahre Würde und Bestimmung des Menschen und das hohe Ideal des Verhältnisses zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer zu wenig bedenkt und zu gering einschätzt.

3847 |        Der Mensch ist kein „Zufallswesen“, und es ist eigentlich noch seine mindeste Bedeutung, dass er von Gott zur Herrschaft über die Schöpfung bestellt wurde. Dass aber Gott selbst den Menschen zu „göttlicher Gemeinschaft“ und zu seinem „Genossen“ berufen hat, darin liegt die größte Bedeutung, Würde und Zielsetzung des Menschen. – Schon die geistige Anlage des Menschen zeigt, dass er kein „Zufalls-Wesen“ ist. Sein Verstand kann Eindringen in die Geheimnisse der Schöpfung, kann die Abgründe der ihn umgebenden Schöpfung erforschen. Ferner ist der Mensch mit intensivster Liebesfähigkeit im gegenseitigen Verkehr ausgestattet. Schon diese intime Fähigkeit, die im Geheimnis des menschlichen Wesens liegen, sind für den Menschen selbst letztlich unergründlich. Kein Mensch kann seine eigenen Wesensbestandteile ganz erforschen und ergründen, – selbst wenn er sein ganzes Leben auf dieses „Selbst-Studium“ verwenden würde – denn diese persönlichen Wesenselemente sind im Grunde abgeleitet vom Geheimnis Gottes in sich selbst. Der Mensch wurzelt mit seinem geistigen Sein in Gott selbst. Er empfängt in jedem Augenblick seines Daseins gleichsam sich selbst unmittelbar von Gott durch die Naturgesetze, die im Grunde unmittelbar von Gott kommende Gesetze zur Erhaltung der Menschheit sind. Wir betrachten diese naturgesetzlichen Bindungen zwar gewöhnlich als „mittelbar von Gott gegeben“, aber diese „Mittelbarkeit“ wurzelt doch in der „Unmittelbarkeit“ Gottes gegenüber der Menschheit.

3848 |        Was heißt und was bedeutet für uns diese „Unmittelbarkeit Gottes zur Menschheit“? – Der ungläubige Mensch „sieht“ nichts davon; er meint, keinen Anhaltspunkt zu haben dafür, dass er sein Leben in Gott verankern und verwurzeln müsse; er möchte darum die Bindungen gegenüber einem allenfalls „möglichen Gott“ lösen, um sich dessen Gesetzen zu entziehen – denen doch, infolge der Unumschränktheit Gottes, alles Geschöpfliche unentrinnbar untersteht. Tatsächlich hat aber Gott gleichsam sich selbst in das Wesen des Menschen hineingeschrieben und eingegraben, und solange die Menschheit auch bestehen mag, wird es nie einem Menschen gelingen, auch nicht in einem lebenslangen Versuch, diese „Unumschränktheit“ Gottes auszumerzen, d. h., die Verantwortlichkeit vor dem unumschränkten Herren und Gesetzgeber restlos auszuscheiden aus dem eigenen Bewusstsein und dem eigenen geistigen und moralischen Leben. Der Mensch kann es sehr weit bringen in diesem traurigen Versuch, aber auch der Ungläubigste kann die Spur des Daseins und Wesens Gottes, womit jedes Menschsein gleichsam „behaftet“ ist, niemals ganz auslöschen; denn je mehr Gottes Dasein und Wesen von einem Menschen in Abrede gestellt und durch sein moralisches Verhalten praktisch geleugnet wird, desto mehr wird es für diesen Menschen zum göttlichen Gericht, das ihn unentrinnbar verfolgt und ihm die Abwegigkeit und Verkehrtheit seines Tuns mit strafender Gewissheit zeigt und vorhält. So trägt der ungläubige und sündige Mensch ständig das Gericht Gottes in sich, das Gericht darüber, wie er mit den von Gott geliehenen und zur Verfügung gestellten Werkzeugen oder Instrumenten seiner menschlichen Kräfte und Fähigkeiten umgeht und sie gebraucht oder missbraucht; so haftet dem Menschen gleichsam eine „Tragfähigkeit“ gegenüber Gott an, wodurch Gott selbst ihm zum Lohn für das Gute oder zur Strafe für das Böse wird, und niemand kann sich diesem göttlichen Gesetz der Liebe zum Guten und seines Hasses gegen das Böse entziehen. – Oder ist es nicht so? Ist der Mensch wirklich „Herr“ über sein ganzes Wesen mit der feinen Geist-Atmosphäre, in der er sich ständig bewegt, mit all den ungenannten und unnennbaren geistigen Lebenselementen oder sozusagen „Lebensatomen“, die ihn zur Verfügung stehen und sein geistiges Dasein ermöglichen. Ist es nicht bei all dem, ein höheres Wesen, das den Menschen besitzt und richtet, etwas „Übermenschliches“, dem der Mensch nicht entrinnen kann? Und sind nicht jene geistigen „Lebensatome“ dem Menschen unmittelbar von Gott geschenkt? Oder kann der Mensch sein eigenes Wesen auch nur in seinen Gedankengängen ergründen und festhalten? Leichter können wir das Sinnenfällige, das Materielle an uns wahrnehmen, aber was dieses Materielle an uns belebt, beseelt und zur Betätigung und Auswirkung bringt, das rührt an das Geheimnis unserer unmittelbaren geistigen Herkunft von Gott und unserer Urbestimmung für die Vereinigung mit Gott und den Genuss Gottes. So vielfältig unsere geistigen Betätigung- und Bewegungsmöglichkeiten sind, so zahlreich sind auch unsere Einigungsfähigkeiten mit Gott infolge jener Urbestimmung unseres gesamten Menschseins. Ebenso zahlreich sind aber auch die Möglichkeiten unserer Abkehr von Gott und darum liegt in jenen geistigen Möglichkeiten auch die Verantwortlichkeit unserer gesamten Existenz vor Gott. Der Mensch ist ein Geist-Wesen, und sein Geist wurde unmittelbar von Gott geformt mit der Grundbestimmung des dreieinigsten Gottesbesitzes. Vermögen dieser Grundbestimmung ist auch jede Fähigkeit unmittelbar Gott überantwortet, sei es zur Belohnung, sei es zur Bestrafung. Dieser Belohnung oder Bestrafung fällt das gesamte Wesen des Menschen anheim, und zwar „durch Gott selbst“, den Besitzer des Menschenwesens. Gott besitzt uns; ihm gehören wir als Eigentum; er trägt unser Menschsein in seinem Geiste; und durch diesen unumschränkten Besitz wird Gott dem Menschen zum Lohn oder zur Strafe, ist er durch sein Wesen selbst unser Lohn oder unsere Strafe.

3849 |        Der Mensch kann aber diese „göttliche Parallele“ zu Menschen niemals ergründen oder erforschen, es sei denn, dass Gott ihn einen Blick tun lasse in seine göttlichen Schöpfungsgesetze, in seinen göttlichen Urplan und in die Geistigkeit Gottes, deren Abbild die Seele des Menschen ist. Jedes bloße Studium liegt im Vergleich damit gleichsam im Dunkeln und ist wie ein „künstliches Licht“ im Vergleich zur Helle und Lebendigkeit der Sonne, die mit dem Lichte zugleich Wärme, Wachstum und Lebendigkeit verleiht. Möchten viele Menschen diesem göttlichen Licht und Erkennen zustreben, denn darin liegt die wahre Weisheit: Gott selbst erkennen zu können! Dieses Erkennen geschieht wiederum durch ihn selbst, durch eine unmittelbare Mitteilung Gottes an den Menschen. Jedes auch noch so intensive Studium über Gott gleicht einem künstlichen Licht, das man mit großer Mühe immer wieder neu anzünden muss, und das ebenso oft wieder erlöscht und mit dem man doch so gut, wie nichts sehen kann. Die unmittelbare Erkenntnis Gottes aber gleicht der Sonne am Firmament, die immer vorhanden ist; wenn sie auch zuweilen durch Wolken verhüllt ist, so ist sie doch da und strahlt ihr Licht aus, sobald die Wolken vorübergezogen sind. Die Unmittelbarkeit der Erkenntnis Gottes hat auch die Eigenschaft und den Vorteil, dass man die Erkenntnis Gottes „ohne persönliche Mühe“ behalten kann, während der bloße Theologe gleichsam in einer ständigen Nachhilfe begriffen ist, um mit Mühe sich seine Kenntnisse zu bewahren.

3850 |        Diese unmittelbare (d. h. mystische) Erkenntnis ist eine persönlich-intensive, die mit den eigenen, persönlichen Kräften, aber ohne persönliche Mühe, aufgenommen wird und die in einem gewissen Sinne dauernd ist. Große Treue vorausgesetzt, gibt es in dieser Gotteserkenntnis ein vielfältiges „Immer mehr“ oder ein ständiges Wachsen und Vertiefen, wobei von der früheren Erkenntnis nichts verloren geht, sondern gleichsam immer neue Steinchen hinzugefügt werden, woraus sich dann ein wunderbarer Bau von Gotteserkenntnis aufbaut. – Diese mystische unmittelbare Gotteserkenntnis ist ein „persönlicher Besitz“, gleichsam ein erworbenes Vermögen, das den Tod überdauert, während der Gelehrte mit seinem Tode ebenso wie seine Schriften auch seine wissenschaftlichen Forschungen über Gott verliert und zurücklassen muss, wenn er sie nicht zu persönlicher Annäherung an Gott benützt hat. – In der mystischen Gotteserkenntnis wirken tiefere Kräfte als im bloßen Studium, weil Gott selbst dabei jene in der Seele ruhenden Fähigkeiten anregt, die eine unmittelbare Gotteserkenntnis aufnehmen können. Gott befähigt und bewegt dabei die Seele gleichsam „von ihrer tiefsten Wurzel her“, von ihrer Gottzugehörigkeit.

3851 |        Die meisten Menschen, auch unter den Gläubigen, werden sich dieser in ihnen wurzelnden Gottzugehörigkeit nie recht bewusst, weil sie nie den lebendigen Glauben daran betätigen. Wäre dieser Glaube stärker und allgemeiner unter den Menschen, wie würden sich dann die göttlichen Quellen öffnen, um die gläubige Seele zu überfluten! Wie soll aber eine Seele Gott „nahekommen“, wenn sie von vornherein nicht an die Möglichkeit glaubt und sich darum auch nicht in die Nähe Gottes wagt? Würde aber der gläubige Christ sich vor sich selbst seine Gottzugehörigkeit eingestehen und durch den Glauben bewusst machen, wahrlich1677, Gott würde sich dann zur Seele herniederneigen, um sich ihr zu erkennen zu geben! – Dabei ist nicht allein die durch die Sakramente angebotene und vermittelte Vereinigung mit Gott entscheidend. Unleugbar suchen ja bspw. unzählige Menschen täglich die sakramentale Vereinigung in der heiligen Kommunion und machen doch keinen Fortschritt in der wahren und wesentlichen Vereinigung mit Gott, die immer eine entsprechende sittliche Angleichung der Seele an Gott zu Bedingung hat. Um diese zu erreichen, muss die Seele zuerst in lebendigem Glauben sich auf ihre hohe Urbestimmung besinnen, sie als ihr wahres und erreichbares Ziel festhalten und intensiv danach streben, ihrem Gott im festen Glauben an die Gottzugehörigkeit der Seele und an den Herrschaftsbesitz Gottes über die Seele wirklich „nahezukommen“. Niemand wird in die Nähe Gottes kommen, der nicht an dieses Ziel glaubt, es darum nicht kennt und auch nicht danach strebt. Würden die Menschen ihre absolute, übernatürliche Herkunft von Gott vor sich selbst zugeben, wie klar und groß wären dann ihre Aufgabe und ihr Ziel! Wie klein würden dann alle Hindernisse erscheinen, die sie von diesem Ziele trennen! – Wahrlich, Gott hat der Seele im Grunde nur ein Ziel gesetzt, und dieses Ziel will er selbst sein! Dafür spricht schon die ganze Anlage des Menschen, und seine Befähigung für dieses Ziel, denn die gesamte Existenz des Menschen ist auf Gott hingeordnet, und der Mensch hat nur die entgegenstehenden moralischen Hindernisse zu entfernen. Gewiss sind auch diese Hindernisse sozusagen „unabsehbar“, aber wo ein klares Ziel in Aussicht steht und eine hohe Möglichkeit gesehen wird, da werden auch die Hindernisse nicht zu sehr abschrecken vom Streben nach diesem Ziel.

3852 |        Die mystische Gotteserkenntnis liegt also auf dem Wege des Glaubens an die absolute Gottzugehörigkeit des Menschen, und zwar nach der Ordnung der Urbestimmung des Menschen. Wer seinen Glauben in diesem Sinne stärkt, der wird bei beharrlichem, konsequentem Streben, herrliche Früchte erfahren. Wer aber diese Möglichkeit im Voraus in Abrede oder infrage stellt, der wird auf dem Wege der Mittelmäßigkeit bleiben, auch wenn er alle sakramentalen Gnadenmittel gebraucht. Man darf nicht das Mittel – auch nicht die sakramentalen Mitteln – als Ziel betrachten und bei diesen Mitteln als Ziel stehen bleiben. Gewiss gibt es „Berge“ (von moralischen Schwächen und Unordnungen) abzutragen und Täler aufzufüllen, aber was tut der Mensch nicht schon um eines irdischen Glückszieles willen! Welche Opferweise zu bringen, um etwas zu erreichen, was er für dieses irdische, vergängliche Leben als notwendig oder nützlich erachtet!

3853 |        Niemand wird wirklich in die Nähe Gottes kommen, der nicht die Hindernisse auf dem Wege zu diesem Ziele der Gottesnähe wegräumt, der also nicht allen unnützen Ballast ablegt und nicht in die Leere seines eigenen Wesens eintritt; den Gott ist „einfach“ und will die Seele allein haben. Niemand wird Gottes Licht schauen, wenn seine Liebe nicht „einfach“ geworden ist in der Anerkennung des alleinigen höchsten Gutes. Und welcher Wust [Anhäufung] von Dingen ist zu entfernen, welche die Menschen heute gern als Lebensnotwendigkeiten hinstellen wollen! Der heutige Materialismus ist ein Haupthindernis für das Erkennen und Erfahren Gottes. Solange die Seele dem Irdischen verhaftet ist, zieht Gott gleichsam einen scharfen Trennungsstrich zwischen sich und der Seele oder er meißelt erst alles weg, was ihn hindert, zu Seele zu gelangen. Und wie soll es der Herr dabei anfangen, dass nicht Unverständige ihn einen „grausamen Gott“ schelten möchten? Weil er es aber gut meint mit den Menschen, muss er ihnen so vieles wegnehmen, was ihnen die Erkenntnis Gottes verdunkelt und was die Menschen selbst nicht hergeben wollen und was sie auch hindert, lebendig an ihre höchste Urbestimmung zu glauben. Größer aber noch und verhängnisvoller als diese in gewissem Sinne von außen kommenden Hindernisse sind die der Leidenschaften und all der Unordnungen, die sich im Menschenherzen selber tummeln. Wie vieles muss da erst sich selber eingestanden und dann ausgetilgt und ausgebrannt werden, bis man zur vollen Hingabe an Gott kommt! Wird nicht oft ein Mensch erst dann aus seinen Leidenschaften aufgeschreckt, wenn er erfahren muss, dass andere die Hindernisse in ihm aus dem Wege räumen wollen, die er selbst liebt und für Tugend halten möchte, und verfällt er nicht dann in Missgunst und Eifersucht gegen solche gut meinenden Helfer? – Und wie steht es mit der Liebe der Menschen zueinander? Geschieht es nicht allzu oft, dass zwei sich nur „lieben“, weil und solange ihre Leidenschaften zusammenklingen, aber nicht ihre Liebe zu Gott? Und niemals können zwei zusammen hin zu Gott gehen, wenn nicht beide erst sich von sich selbst gelöst und durch das Opfer des Eigenen sich wohlgefällig gemacht haben vor Gott.

3854 |        Der Geist des Menschen liegt vielfach im Argen, und der Mensch kann nicht zu Gott kommen, wenn nicht Gottes Licht ihm entgegen strahlt und ihn zuerst erkennen lässt, was an Hindernissen gegen die Nähe Gottes in ihm vorhanden ist. Aber niemand kann sagen, dass Gott dies nicht wollte oder nicht dazu bereit wäre, wenn nur die Seele bereit ist und den Willen hat, alle Hindernisse zu entfernen. Die dem Menschen von Gott zugedachte Urbestimmung bleibt auch heute bestehen, nur ist sie – heute vielleicht mehr als je – verdunkelt durch eine allgemeine irdisch-materialistische Lebensanschauung, und zwar auch weithin bei …1678

 

23.05.1947

Vom theologischen Studium des Priesters

3855 |        Gott ist Geist, und nur von den Gegebenheiten des Geistes aus kann man auf Gott schließen und zur Erkenntnis Gottes vordringen. Die Materie „weiß“ nichts von Gott und verhilft nicht zum Erforschen der Wesenheit Gottes. – Warum stellt die Theologie das Wesen Gottes in den Mittelpunkt? Weil durch eine verstandesmäßige Erkenntnis Gottes auch die Bereitschaft für die göttlichen Forderungen an die Menschen geweckt werden kann und soll. Deshalb kann ein Priester nie genug tun, um auch auf verstandesmäßigem Wege sich dem Wesen Gottes zu nähern, denn damit wird auch eine Hauptgrundlage gewonnen für einen wahren, sittlichen Höhenanstieg. Die verstandesmäßige Gotteserkenntnis, wie sie das theologische Studium, ausgehend vom Glauben, vermittelt, kann und soll zugleich die Liebe zu Gott entfachen, die für den Priester dann alle persönlichen Opfer in seinem Beruf „erträglich und leicht“ macht. Es gibt diesbezüglich für einen Priester keinen besseren Untergrund als ein persönlich verarbeitetes Theologiestudium und eine möglichst tiefe verstandesmäßige Gotteserkenntnis, weil diese auch die daraus sich ergebenden sittlichen Konsequenzen erleichtert. Wo aber eine solche als „persönliches Eigentum erworbene“ Gotteserkenntnis mangelt, da stellt sich auch sehr leicht ein moralisches Versagen ein, denn damit ist gewöhnlich auch die Liebe zu Gott mangelhaft und ist der Priester zu sehr den eigenen Gewalten in ihm anheimgestellt, die nur allzu leicht „nach unten“ ziehen. Gott soll aber für den Priester die „erste Wirkursache“ sein in allen Handlungen und Vorkommnissen seines Lebens. Wenn der Priester aus dieser Quelle schöpft, wird sein Opferleben als Priester selbstverständliche Formen annehmen, weil er ja der „Gesandte Gottes“ und ein Vermittler Christi ist, den er in allem vertritt.

3856 |        Aus der Erkenntnis Gottes auf der Grundlage des Glaubens fließen für den Priester alle notwendigen Hilfen und Mittel für seinen Beruf. Ein mangelnder Glaube des Priesters zieht auch beständig entsprechende moralische Folgen und Mängel nach sich. Deshalb ist ein gründlich und persönlich verwertetes Studium der Theologie im Geiste des Glaubens auch eine wertvolle Bindung des Priesters an Gott. Es muss aber ein persönlich verwertetes Studium sein dadurch, dass der Priester oder Priesterkandidat alle Gegebenheiten Gottes und die verstandesmäßig erkannte Vollkommenheiten Gottes mit ihren Konsequenzen auf sein eigenes Seelenleben anwendet und gleichsam für1679 sich selbst „ausnützt“ und gebraucht. Wenn das Theologiestudium nur als „Pflicht- und Examenstudium“ betrieben wird, so kann alles erworbene Erkennen Gottes wohl im Verstande haften bleiben als eine Wissenschaft, deren der Priester sich notwendigerweise bedienen muss, aber die entsprechende Umformung des eigenen Herzens und Lebens geht dabei leer aus; der Priester lehrt dann, was er selbst nicht übt, und sein Priesterleben und -wirken wird dann gleichsam „unpersönlich“, weil es sozusagen nur aus dem Verstande kommt. Manche meinen, das müsse genügen, weil der Priester doch an erster Stelle „Lehrer“ sein müsse, aber in Wirklichkeit müssen Lehre und Leben und Moral sich decken, damit der Priester auch durch sich selbst das zeige und vorstelle, was er lehrt. Wie könnte er Seelen zu Gott führen, den er auch nur gleichsam vom „Hörensagen“ kennt? Der Priester muss durchlebt sein von Gott; er muss durchdrungen sein vom Geist und Wesen Gottes, den er selber wirklich „ernst nehmen“ muss.

3857 |        Die entscheidende Schwierigkeit für den Priesterkandidaten und Priester in seinem Theologiestudium besteht wohl darin, dass er immer auch die jeweiligen moralischen Folgen der Lehre für sein eigenes Leben und Verhalten sehen und ziehen soll. Die gefallene menschliche Natur möchte ihn verleiten und anleiten, diesen Folgen von Anfang an aus dem Wege zu gehen. Hier müsste nun eine entsprechende geistige1680 Leitung eingreifen, um sozusagen „von außen her“ auf die entsprechenden moralischen Verwertungen hinzuweisen, sie den Studierenden zu erklären, sie ihnen annehmbar zu machen und sie zu ihrer Ausführung anzuspornen. Wenn diese geistlichen Erklärungen fehlen, bleibt meistens ein später unüberbrückbarer Riss in der Seele des Priesters bestehen. Es sollte aber zugleich mit dem Theologiestudium ein frisches Glaubensleben einsetzen und Hand in Hand gehen, wenn der angehende Priester einen wirklichen Aufstieg seiner Persönlichkeit erleben soll, was doch der Zweck dieses Studiums ist. Der werdende Priester sollte aber im theologischen Studium in persönliche, moralische Klippen oder Schwierigkeiten geraten1681, die ihm sozusagen „unerlässlich“ vorkommen und denen er nicht klar ins Auge schauen kann oder will, wodurch er sich früh daran gewöhnt, ihnen auszuweichen. Er sollte aber im Gegenteil belehrt und angeregt werden, sich klar mit den moralischen Konsequenzen der theologischen Lehre auseinanderzusetzen, mit sich selbst darüber ins Reine kommen und1682 mutig die Folgerungen seines Wissens tragen und verwirklichen zu können. Nachdem der Priester doch an der Quelle aller Wissenschaften sitzt, sollte sein Leben auch den Stempel und das Gepräge seines Wissens aufweisen. Nur so wird sein priesterlicher Charakter sich wahrhaft kundtun und er wird tatsächlich geachtet werden.

3858 |        Das Studium der Theologie bedeutet für den Studierenden wirklich auch eine Probe und Prüfung, ob er auch bereit ist, zugleich mit dem Wissen auch bei sich selbst in die Tiefe zu gehen und das Wissen bei sich als persönliche Umformung sich auswirken zu lassen. Eigentlich sollte der werdende Priester mit dem Abschluss seines priesterlichen Pflichtstudiums auf eine moralische Ebene und Höhe gelangt sein, die es ihm gestattet, klar alle möglichen Schwierigkeiten zu überschauen und ihnen sicher zu begegnen mit dem Schatze der in seinem Studium erworbenen und angeeigneten geistigen Kräfte. Ein gut durchlebtes und persönlich verwertetes Theologiestudium sollte für den jungen Priester sozusagen einen Hochstand und eine Hochspannung des Geistes bedeuten, wodurch er alle Niederungen seines Lebens gleichsam „unten gelassen“ und siegreich überschritten hat oder wenigstens sicher überschreiten kann dank der Fülle des Lichtes und der Kraft, die er sich durch die Gottes-Erkenntnis oder Theologie erworben hat. Es sollte klar und tief und persönlich das Eine, Notwendige seines Lebens erkannt haben, dessentwegen er „alles“ verlassen hat, um seinem Meister selbst bis zur Höhe des Kalvarienberges zu folgen. Es sollte ein persönliches Durchdringen gleichsam zu einem geistigen Kraftüberschuss führen, den ihm sein Wissen über Gott ständig vermittelt. – Warum versagen so manche Priester, wenn sie durch ihren Beruf gezwungen werden, sich mit den Niederungen des Lebens zu befassen, denen sie sich dann nicht gewachsen zeigen? Es fehlt ihnen wohl dieser fließende Kraftüberschuss, den eine persönliche erworbene Gotteserkenntnis vermitteln würde.

3859 |        Durch das Studium der Theologie sollte der angehende Priester fest gegründet werden und „feststehen in Gott“, und kein Sturm sollte jemals das Licht seines Herzens auslöschen können, weil er sich darin geübt und gebildet hat, als Erster die Gesetze Gottes vorzuleben.

3860 |        Mit dem Studium der Theologie können sich aber auch irgendwie heidnische Gottesbegriffe in den Geist einschleichen; zwar meint der Student damit leicht ins Reine zu kommen, aber nicht selten ist die Folge ein feines moralisches Abgleiten, das seinen Glauben an Gott vermindert oder seichter macht. Der Student wähnt sich stark genug, solchen heidnischen Ideen zu begegnen, aber er denkt zu wenig daran, dass Glaube und Moral Hand in Hand gehen und dass jede Freiheit, die sich der junge Mensch – sei es auch nur in den geistigen Ideen oder auch auf einem Gebiete der Forschung – gestattet, nachhaltige Wirkungen haben kann. Oft findet eine Vermischung von göttlicher und profaner Wissenschaft statt und bei der Schwäche des menschlichen Geistes und der gefallenen Natur entscheidet sich der Mensch gern für das Leichtere und Bequemere und huldigt damit „Zeitanschauungen“, die er als „bloßes Studium“ hinstellt. Das Studium des Priesters soll auch in dieser Hinsicht klar, einsichtsvoll und umsichtig sein, d. h., die Hauptsache soll wirklich Hauptsache bleiben, weil sich dies entscheidend für den Beruf des Priesters auswirkt. – Selbstverständlich soll dabei der Studierende zu einer wissenschaftlichen Unterscheidung kommen, sodass er die Gegnerschaft gegen die Kirche Christi erkennt und auch ein Kämpfer für die Wahrheit der Kirche Christi sein kann.

 

28.05.1947

1. der persönliche Mensch, eine Verherrlichung Gottes
2. der sittlich vollkommene Mensch, eine Verherrlichung Gottes
3. die Motive der Menschwerdung Christi

3861 |        1. Der Mensch mit seinem „Personzustand“ ist kein bloßes „Zufallswesen“. – Was man als „Person“ bezeichnet, das ist höchstens „Selbst-Dirigieren“, und zwar Dirigieren und Herrschen a) in Bezug auf sich selbst und die eigenen Kräfte, b) in Bezug auf einen gewissen Umkreis oder eine Umgebung von „Zugehörigkeiten“, die dieser Direktion oder Dirigentschaft unterstellt sind.

3862 |        Gott ist sich selbst höchste, persönliche Dirigentschaft, wesentliche Selbstgehörigkeit und wesentlicher Selbstbesitz. Sein Wesen „dirigiert sich“ aus sich selbst, ohne Formen einer Direktion aufzuweisen, d. h., seine Dirigentschaft fließt aus seinem göttlichen Wesen selbst, ohne dass ein Hinwenden zu sich selbst oder ein Rückschauen oder eine Selbstkontrolle notwendig wäre (wie bei der geschaffenen, menschlichen Person), und ohne dass diese Selbstheit Gott ins „Bewusstsein“ kommen müsste. – Darin liegt der große, wesentliche Unterschied, dass Gott sich durch sich selbst besitzt, ohne „Selbst-Kontrolle“, während der Mensch als Geschöpf eine Selbstumschau oder Selbst-überschau betätigen muss, um sich als Person gleichsam auf der Spitze seines Seins halten und bewahren zu können. – Diese Selbstüberschau setzt bei uns eine Bemühung, eine Betätigung, einen Akt voraus – auch wenn diese Akte oder dieser Akt sich mit Augenblicksgeschwindigkeit und gleichsam unmerklich sich im Willen vollziehen. Um sich aber auf dieser Spitze oder beherrschenden Höhe seines Seins zu erhalten, muss der Mensch als Person Fähigkeiten und dazugehörige Kräfte besitzen, die diesen Personakt ermöglichen und stützen; es müssen also bestimmte Voraussetzungen für dieses menschliche Selbstsein vorhanden sein. Gott hingegen hat und braucht keine solchen „Voraussetzungen“ für seinen Selbst-Besitz. Er bedarf solche nicht, weil seine göttliche Wesenheit und Existenz aus sich selbst besteht, ohne die „Voraussetzungen“ und Möglichkeiten, die zum Bestand des Menschen gehören. Der Mensch als Geschöpf setzt sich sozusagen geradezu aus „Möglichkeiten“ zusammen und befindet sich in ständiger Veränderungsmöglichkeiten.

3863 |        Wie Gott keine Werkzeuglichkeit braucht, so bedarf er als unumschränkter Herr auch keiner „Motive“ für sein Dasein und seine Existenz. Sein Wesen hat als „Dasein“ keine Begründung außer sich selbst. Er ist „Allein-Höchst-Wesen“, das für sich selbst keine Motive und keinen „Zweck“ hat, weder seinem innergöttlichen Wesen nach noch seiner Schöpfung nach außen nach. Gott besteht und „ist“ ohne Begründung, ohne Motive. Er untersteht keiner Abhängigkeit und keiner Verantwortlichkeit, auch nicht vor sich selbst, und zwar wegen seiner unendlichen Heiligkeit und Vollkommenheit. Weil er in sich selbst höchst vollkommen ist, kontrolliert er sich, seinem Wesen entsprechend, auch nicht in seinen Werken.

3864 |        Der Mensch sollte – nach der Ur-Idee, die Gott von ihm hatte – seinem Schöpfer in einer ähnlichen Vollkommenheit gleichen; er sollte ähnliche Vollkommenheiten sein eigen nennen können, und zwar vor allem den „Selbst-Besitz“ und das „Selbst-Dirigieren“ als „Person“. Freilich besteht, wie gesagt, der Unterschied, dass dieser Selbst-Besitz beim Menschen einer Selbst-Umschau, einer Selbst-Kontrolle, einer Konzentration auf sich selbst unterworfen ist, damit die Person sich auf der Höhe und Spitze ihres Seins bewahren kann. Diese Selbst-Umschau schließt eine Kraft-Sammlung und verschiedene Hilfen und Mitteln in sich, wodurch sie ermöglicht und vollzogen wird. – Im Paradieseszustand, vor dem Sündenfall, vollzog sich diese „Selbst-Umschau“ in einer vollkommenen Weise, d. h. „mühelos“, ohne die Mühe einer Konzentration. Der Mensch durchschaute sich vielmehr mühelos in seinen psychologischen Bewegungen und erfuhr sich in jenen inneren, psychologischen Geheimnissen. Kraft dieser Mühelosigkeit seines Selbstbesitzes war der Mensch ein vollkommenes Geschöpf und Ebenbild Gottes und gereichte ihm, dem göttlichen Urbild, zur größten Ehre. Dieses vollkommene, geschöpfliche Ebenbild war eine ständige Ehrung und Huldigung, die dem göttlichen Schöpfer und Urbild dargebracht wurde, weil dadurch der Zweck der Erschaffung vollkommen erfüllt und dem Schöpfer ganz nach seiner Ur-Idee gedient wurde.

3865 |        Der Mensch war und ist nicht aus sich und nicht für sich selbst da. Er ist nicht Selbstzweck, sondern hat „Motive“ für sein Dasein und hat von Gott einen Zweck erhalten. Er ist nicht der unumschränkte Herr seines Wesens und er unterstand von Anfang an einer Verantwortlichkeit und einer Kontrolle. Er war nicht in erster Linie von sich selbst abhängig, – das war und ist er erst in zweiter Linie –, weil er sich nicht selbst das Dasein gab, sondern als Geschöpf von einem anderen Wesen „stammte“, das ihm das Dasein gab,1683 ausgestattet mit Fähigkeiten, die nach dem Bilde seines Schöpfers geschaffen waren. Als dessen „Abbildlichkeit“ hatte der Mensch Motive für sein Dasein, und diese Motive waren: Dienst gegenüber seinem Schöpfer und Urbild, und zwar Dienst durch die existenzielle Vollkommenheit seines Wesens als Ebenbild. Nach der Ur-Idee sollte der Mensch einem Zwecke dienen, und dieser Zweck war und ist die Verherrlichung Gottes. – Nicht, als ob Gott einer solchen Verherrlichung bedurft hätte. Gott ist ewig sich selbst durch sein Wesen unendliche Verherrlichung, und kein Geschöpf konnte oder kann je etwas beitragen zu dieser seiner eigenen, wesentlichen Verherrlichung; – Gott „wollte“ aber durch den Bestand des Menschen als eines Ebenbildes verherrlicht werden, weil er damit wirklich ein vollkommenes Werk geschaffen hatte, das seiner göttlichen Schöpfermacht „würdig“ war, d. h., als Ebenbild an Gott „heranreichte“ und an dem Gott sein Wohlgefallen haben konnte, weil dieses Geschöpf „gott-fähig“ war.

3866 |        Die höchste Auszeichnung und der höchste Vorzug des Menschen war seine geschaffene „Gottfähigkeit“, die er durch sein Wesen und seine geistigen Anlagen hatte. Die Art seiner geistigen Fähigkeiten und Existenz führte nämlich den Menschen wie von selbst und „unwillkürlich“ zu Gott hin, insofern sie seine Bestimmung der Hingabe an Gott stützen und verwirklichten, und zwar in einer „existenziellen Form“, als geschaffener Zustand ohne „Bemühung“, in einem zuständlichen „Harmonieren mit Gott“. Und Gott hatte seine höchste Lust an diesem Zustand der sittlichen Harmonie des Menschen mit seiner göttlichen Vollkommenheit und Heiligkeit; denn damit sah er seine göttliche Ur-Idee verwirklicht und sah sich gleichsam in die von ihm beabsichtigte Möglichkeit versetzt, seine göttlichen Vollkommenheiten immer mehr in einer geschaffenen Weise dem Menschen mitzuteilen und – als Ergebnis dieser mitgeteilten und vom Menschen aufgenommenen und verwerteten Mitteilung – sich selbst in ihm als in einem vollkommenen Ebenbild wiederzufinden und so durch sich selbst im Menschen verherrlicht zu werden.

3867 |        2. Die Vollkommenheit des Wesens Gottes ist zugleich das Glück und die Seligkeit Gottes. Und die Vollkommenheit des Wesens wird fruchtbar in seinen Werken, die eine Frucht der Vollkommenheiten Gottes sind. Was nun Gott in seinem dreieinigen Wesen ist, das hat er entsprechend ausgegossen über seine Geschöpfe, nämlich die Liebe. Die ewige, dreieinige Liebe und Beseligung hat durch die Schöpfung gleichsam ein menschliches Wort oder einen menschlichen Ausdruck gefunden in der Liebe Gottes zu seinem geschaffenen Ebenbild im Menschen und in der Erwiderung dieser Liebe durch den Menschen. Liebe aber bedeutet immer: Zusammengehörigkeit, Harmonieren und Ineinandergehen, Zuteilung und Anteilhaben. – Im Gott und seinem Bestande gibt es im Grunde nur einen ewigen, göttlich-vollkommenen „Akt“, der zugleich Ausfluss und Ziel seines Wesens ist, nämlich das ewige, unendliche Lieben seiner göttlichen Dreipersönlichkeit, dass sozusagen das innerste Wesen und unaussprechliche Glück Gottes ist. Dieser immerwährende „Akt“ des gegenseitigen Schenkens und Empfangens seiner selbst – was die ewige, göttliche Liebe ist, ist der Strom seines Wesens und Lebens und Glückes in seiner Drei-Persönlichkeit. – Durch die Schöpfung konnte nun Gott auch andere Wesen an diesem ewig „rauschenden Strom“ teilnehmen lassen, Wesen, die irgendwie für diesen Liebesstromfähig waren und die sogar selbst diesen Liebesstrom in ihm gleichsam auslösen konnten, insofern sie nämlich nach seinem Bilde geschaffen waren und ihm sein geschaffenes Ebenbild und eine Erwiderung seiner Liebe boten. – Diese Liebesfähigkeit des Menschen „ mehrte“ Gottes Verherrlichung, ja vermehrte und vervielfältigte sogar seine göttliche Liebe, weil diese nun Wesen fand und traf, die Gott „gemacht und ins Dasein gerufen“ hatte, in denen sein Bild ihm entgegenleuchtete und die für ihn und die Aufnahme seiner Liebe und seines Lebens fähig und insofern seiner „würdig“ waren. Und die ewige Liebe gefiel sich darin, überzuströmen in diese Wesen.

3868 |        Damit hatte der Mensch aber auch als eigenen Zweck die Aufgabe bekommen, die ihm von Gott in geschaffener Weise geschenkten Vollkommenheiten zu verwirklichen, zu entfalten zu erfüllen und menschlich zu leben und zu vollenden. Diese gottgeschenkten Vollkommenheiten lösten im Menschen Akte aus, die ihn zuständlich zu Gott führten, die aber auch den Menschen sich selbst in seinen Vollkommenheiten „genießen“ ließen. Der Paradiesesmensch erkannte und sah sich als Ebenbild Gottes, und diese Erkenntnis löste nicht bloß Akte der Bewunderung und Liebe zu Gott in ihm aus, sondern auch ähnliche Bewegungen der Liebe gegenüber sich selbst als dem Ebenbild Gottes, wie er sie dem göttlichen, unendlichen Urbild gegenüber empfand und diese Liebe zu seinem eigenen, gottgeschenkten Wesen war auch die höchste Lust und das höchste Genießen des Menschen. Weil ja der Liebe immer ein entsprechendes Genießen und Befriedigtsein (als wesentlicher Ausdruck der Liebe) eigen ist. – Dabei ist die Liebe in ihrer letzten Erfüllung des Selbstbefriedigt-Seins sozusagen „rahmenlos“, d. h. als Befriedigung überschüttet sie sich selbst und ihre Umgebung und hat darin etwas Unumschränktes, Schrankenloses und sozusagen „Allmächtiges“ an sich: Der wahrhaft Liebende fühlt sich schrankenlos glücklich, und die wahre Liebe kennt keinen Rahmen, wenn sie Erwiderungsfähigkeit und Gegenseitigkeit findet.

3869 |        Und Gott hatte in den Menschen als Abbild seiner dreieinigen Liebe eine geschöpfliche Erwiderungsfähigkeit gegenüber seiner göttlichen Liebe hineingelegt. Diese Erwiderungsfähigkeit gegenüber seiner göttlichen Liebe1684 war vor Gott „würdig“, d. h. der Mensch „konnte“ lieben, so wie Gott lieben konnte; und sie lösten im Menschen ähnliche Akte und Gefühle Gott gegenüber aus, wie sie wesentlich und ewig zwischen den drei göttlichen Personen bestehen. So bestand zwischen Gott und den Menschen eine innige „Zusammengehörigkeit“, weil sie von dem einen Strom der göttlichen Liebe gleichsam durchflossen waren; denn der Mensch hatte seine Liebesfähigkeiten und seine Vollkommenheiten von Gott; und die erkannten Vollkommenheiten Gottes waren zugleich die Motive der menschlichen Liebe zu Gott. Weil sie Gott „kannten“, liebten ihn die ersten Menschen mit ihren eigenen Kräften und mit Betätigungen, die durch ihre Gotteserkenntnis in ihnen angeregt wurden. So war das Gesetz der Gottesliebe das Urgesetz, die Urbestimmung, das Grundmotiv und der Daseinszweck des Menschen, entsprechend der Ur-Idee des Schöpfers. Wie Gottesliebe die Ur-Idee und der Ur-Antrieb bei der Schöpfung war, so hat Gott den Menschen auch dazu befähigt, bestimmt und ausgestattet, dass er tatsächlich Gottesliebe erwidern könne. Es liegt im Wesen des Menschen und es ist der höchste Vorzug seines Wesens, dass er – auch heute noch – Gott im Geiste erkennen, schauen, erfühlen, umfangen kann und dass er mit einer wirklichen Sicherheit Gott „besitzen“ kann, ohne sich in einer Täuschung zu wähnen noch in einer Täuschung sich zu befinden. Der Mensch ist in Wahrheit gott-erfassungs-fähig; er kann sich nicht nur im Glauben Gott erkennen und anerkennen; der Mensch kann Gott auch wirklich „besitzen“, kann in der Sicherheit seiner Liebe sein und kann sogar in diesem Leben schon in die Sicherheit des Besitzes Gottes und des Erfahren Gottes kommen, sodass er vor sich selbst bestätigen kann und muss: „Das ist Gott“. Und diese Sicherheit, dieser Besitz Gottes hätte – nach der Ansicht Gottes – für immer der Anteil der Menschen sein sollen. An dieser Urbestimmung des Menschen kann niemand rütteln, es sei denn, er verleugne seine tiefsten und vornehmsten persönlichen Anlagen und erniedrige sich damit in seiner Wertschätzung gleichsam zum unvernünftigen Geschöpf.

3870 |        3.1685 Doch der Mensch hat seinen Zweck und seine höchste Bestimmung nicht erfüllt. Seine Freiheit wurde ihm zum Falle, und er entschied sich zum Gegenteil der Liebe. Weil der Mensch Gott nicht über „alles liebte“, kehrte Gott gleichsam dem Menschen den Rücken [zu], d. h. wandte sich von ihm ab, und mit der Wegnahme der Liebe Gottes zum Menschen wurden alle Anlagen des Menschen „verkehrt“. Der Mensch brachte nun die entgegengesetzten Früchte, als [jene], die gewesen wären1686, die ihm mit Gottes Vollkommenheiten angeboten waren. Das Gesetz Gottes gegenüber der Menschheit blieb aber das gleiche; weil Gott die ewige, unveränderliche Liebe ist, ließ er das Gesetz der Liebe bestehen bleiben und damit auch die grundsätzliche Fähigkeit des Menschen, Gott lieben „zu können“. Diese Grundanlagen und Fähigkeiten des Menschen wurden nicht geändert, weil „ein Anderer“ für die gefallene Menschheit eintrat. Ja, Gottes Liebe übertrug jene „Urbestimmung des Menschen“ gleichsam auf „sich selbst“, auf sein göttliches Wesen, das im göttlichen Worte, in der zweiten göttlichen Person, ewig und immerwährend gezeugt wird, und Gott gab sich selbst das, was die Menschheit ihm versagt hatte. Er gab sich diese Liebe im göttlichen Worte, durch das Gott-Schöpfer sich auch nach dem Sündenfall der Menschen aussprach. Gott hätte nach dem Sündenfall seine ursprüngliche Liebe zu dem Menschen in ewigen Hass gegen sie kehren können, aber seine inner-göttliche Liebe hielt ihn davon ab, weil er in dieser seiner göttlichen Liebe Ersatz fand. Weil er unendlich an Liebe ist, schuf er sich eine „neue Liebe“, und wie er den Menschen durch sich, durch seine göttliche Schöpferkraft und Schöpferliebe gemacht hat, so liebte er nun noch „mehr“ und zeigte diese „neue Liebe“ in seinem „Sohn“, dem göttlichen Wort, dass die Stelle eines „Menschen-Sohns“ übernahm. So „rächte“ Gott gleichsam die Treulosigkeit der Menschen mit noch größerer Liebe für sie, und diese „vermehrte“ Liebe trat ihm leibhaftig gegenüber als Gott-Mensch. Weil Gott „mehr liebte“, zeugte er jetzt „mehr Liebe“ – welche die zweite göttliche Person selbst war – und diese „größere Liebe“ war so gewaltig und wunderbar, dass Gott selbst Mensch wurde und diese Liebe selbst liebte mittelst eines liebefähigen Menschenherzens und mittels einer Menschenseele, die göttliche Liebe fähig war.

3871 |        Und Gott hat diese Liebe selbst gelebt und gelitten. Der gefallene Mensch hatte gleichsam das göttliche Motiv seiner Erschaffung beiseite getan und „weggeworfen“; dann nahm Gott selbst jenes Motiv auf sich und verpflichtete sich dem göttlichen Gesetz, das der Schöpfer für die Menschheit bestimmt und aufgestellt hatte; er tat dies nach dem Maßstab der göttlichen Liebe und im Einklang mit den Gesetzen des Menschseins. Darin bestand jene „größere Liebe“, dass die zweite göttliche Person liebend für die Menschheit geltende Gesetze der Liebe auf sich nahm, und zwar nach dem Maße der Unendlichkeit, der göttlichen Vollkommenheiten, die sie aber im Einklang mit den menschlichen Lebensgesetzen lebte. Wahrlich, das war ein wirkliches „Mehr an Liebe“, und so hat Gott sich gerächt! Einst gab Gott dem Menschen mit seinem Dasein das Gesetz, das er mit und nach seinen menschlichen Fähigkeiten Gott über alles lieben [soll]; nach dem Sündenfall überbot Gott dieses göttliche Liebesgesetz für die Menschen, und der Sohn erfüllte das menschliche Liebesgesetz mit göttlicher Erfüllung.

3872 |        In diesem göttlichen Liebesübermaß liegt aber auch die Überfülle der Erlösung und Erlöserkraft für die Menschheit. Gott-Vater „schuf“ sich im Menschen-Sohn eine neue „Motivierung“ und legte sie auf seinen Sohn und „der Sohn“, das ewige Wort, wurde als Gott in gott-menschlicher Sohn-Stellung zum Gegenstand der göttlichen Gerichtsbarkeit. Die Motive dieser göttlichen Gerichtsbarkeit gingen aber so tief, als die Möglichkeiten der Sünde im Menschen sich erstreckten, und sie waren so zahlreich als es Möglichkeiten menschlicher Betätigung „außer und gegen“ die Liebe und die Ur-Idee Gottes, also Möglichkeiten zur Sünde, gibt. Und diese Tat „des Sohnes“ war so unendlich an Ersatzkraft, als es Vollkommenheiten Gottes gibt; denn all diese unendlichen Vollkommenheiten wurden durch ihn in den Dienst der Sühne und des Ersatzes für die Sündhaftigkeit der Menschheit gestellt. Gottes Hoheit und Gerichtsbarkeit „schaffte“ sich selbst das Gegengewicht in seiner göttlichen Liebe, die im Sohn durch göttliche, mittels einer leidensfähigen und sterbensfähigen Menschennatur vollbrachte Werke zum überreichen Ersatz wurde.

 

29.05.1947

3873 |        Zu dem Hinweis auf die geistigen Tatsachen unserer Zugehörigkeit zu Gott und unserer hohen Bestimmung könnte jemand einwenden: „Aber ich merke und spüre nichts von dieser hohen Bestimmung; es ist alles so gewöhnlich und alltäglich“. – Darauf ist zu antworten:

3874 |        Der eigentliche Wert des menschlichen Wesens und Lebens liegt in der wunderbaren, geistigen Größe seiner Existenz und in deren „Zusammensetzung“. Die feinen Geistbeziehungen, durch die der Mensch ein vernunftbegabtes, selbstverantwortliches Wesen ist, finden ihre letzte Erklärung und Ableitung in Gott, der alles dies im höchsten Maße ist. Wenn der Mensch sich nicht so sehr von der Materie beherrschen ließe und mehr und ganz die Werte seines Geistes zu verstehen suchen würde, wie sehr würde er dann in seinem eigenen Ansehen und in seiner Achtung vor sich selbst steigen! Weil aber der Mensch sich selbst tatsächlich so gering achtet und so vielfach kaum etwas Höheres in sich sucht als das, was er mit der sichtbaren und vernunftlosen Schöpfung gemeinsam hat, deshalb verliert der in seinen eigenen Augen an Wert. Je mehr aber der Mensch sich selbst gering achtet, desto schwerer wird es ihm, lebendig an jenes göttliche Wesen zu glauben, in dem er seinen Ursprung und seine tiefste Erklärung „sehen soll“. Und je mehr der Mensch sich selbst achtet und seinen geistigen Wert zu verstehen und zu entfalten sucht, desto „näher“ kommt er seinem Schöpfer. Anderseits führt gerade die Pflege des Bewusstseins der eigenen, ständigen Abhängigkeit von Gott und der persönlichen Verantwortung vor ihm den Menschen tiefer ein in das Verständnis seiner eigenen geistigen Werte und seiner hohen Bestimmung, und dadurch gewinnt er die rechte und wahre Lebensauffassung.

3875 |        Wie sehr aber hat sich im Allgemeinen der Mensch von heute gleichsam selbst entwertet in seinen eigenen, weithin herrschenden Anschauungen. Der Ursprung dieser „Selbstentwertung“ geht zurück auf die moderne Philosophie, die falsche Bahnen und Irrwege eingeschlagen hat und – „von oben nach unten“ dringend – allmählich jene verheerenden Auffassungen in der großen Masse der Menschheit hervorgerufen hat. Darum wird auch diese Masse der Menschheit kaum wieder in ihrer Allgemeinheit die rechte Auffassung von der eigenen menschlichen Würde zurückgewinnen, wenn diese geistigen Werte nicht wieder zuerst „von oben herab“, d. h. von den Lehrstühlen, der Menschheit verständlich gemacht und der Masse der Menschheit nahe gebracht werden. Man muss wieder dahin „zurückkehren“, dass man die Bestimmung und Würde des Menschen durch die Gedanken und Absichten Gottes zu verstehen und zu erläutern suchte1687; denn tatsächlich findet das Dasein des Menschen seine volle Erklärung und seinen Sinn nur in dem vom Schöpfer gewollten Verhältnis des Menschen zu Gott, und nur auf dieser Basis können die wichtigsten Werte des Menschenlebens recht beurteilt werden, und wird uns das Verständnis unserer tiefsten Geistesfähigkeiten eröffnet. Die hohe Bestimmung des Menschen, dass er seinen Schöpfer erkennen und sein Wesen von ihm ableiten kann, sollte ständiger Gegenstand des menschlichen Studiums und Betrachtens sein.

3876 |        Der Mensch soll sich seinen „persönlichen“ Gottesbegriff und ein persönliches Verhältnis zu Gott formen und soll nicht gleichsam einem „unbekannten“ oder „unpersönlichen“ Gott anhangen. Die erste Voraussetzung aber, um Gott zu finden und zu erkennen, besteht darin, dass der Mensch sich mehr ablöse von seiner Diesseitsbestimmung, in die sich der heutige Mensch im Allgemeinen zu sehr verloren und an die er sich sozusagen verkauft hat; und dies hat ihn von Gott entfernt. Wenn die feinen persönlichen Geistbeziehungen zu Gott abhandengekommen sind, dann schwinden auch die Gottesfurcht und das Bewusstsein der persönlichen Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott. Der Mensch baut sich dann ein Heiligtum „von Diesseitswünschen“, und sein ganzes Streben geht auf in diesem falschen „Ideal“. Das Diesseits aber bringt dem Menschen immer wieder Enttäuschungen, und durch die wiederholt erlebten Enttäuschungen geht die Achtung des Menschen vor sich selbst und seine Bestimmung mehr oder weniger verloren. Nur ein klarer und persönlich zu eigen gemachter Gottesbegriff verleiht dem Menschen die rechte Möglichkeit und Voraussetzung, seine Würde richtig zu wahren und sie vor allem vor sich selbst gebührend zu achten.

3877 |        Gerade die persönlichen Geistbeziehungen zu Gott sind heute den Menschen so vielfach verloren gegangen. Auch gläubige Menschen, die sich für gute Christen halten, begnügen sich im religiösen Leben mit der Masse mitzulaufen, d. h. sie begnügen sich mit einer allgemeinen Anerkennung der Existenz Gottes, ohne sich viel um seine persönlichen Forderungen für sie selbst oder um ihre persönliche Verantwortung vor Gott zu kümmern; sie betätigen sich religiös und tun vielleicht nicht Weniges zur Ehre Gottes, aber sie scheuen sich gleichsam vor einem „persönlichen Gott“, dem gegenüber sie doch auch persönliche Beziehungen pflegen sollten. Gerade die persönlichen Beziehungen zu dem persönlichen Gott zeigen und eröffnen dem Menschen die Verpflichtungen einer persönlich bewussten und gelebten Abhängigkeit von Gott und infolgedessen einer persönlichen Verantwortlichkeit vor ihm. Der moderne Mensch möchte sich aber dieser Verantwortlichkeit entziehen und scheut sich darum, in sein Innerstes einzukehren; denn wer immer eine wirkliche persönliche Beziehung zu Gott pflegt, d. h. eine bewusste Abhängigkeit von ihm und eine ständige Achtsamkeit ihm gegenüber, der erlauscht und erkennt bald feinere, persönliche Pflichten und einen höheren Weg des Guten und Vollkommenen, der aber zugleich auch mancherlei Entsagungen mit sich bringt; denn dieser Weg des persönlichen, kindlichen Wandels mit und vor dem persönlichen Gott ist grundverschieden vom Weg der „Kinder der Welt“. Wenn heute so viele „auch gute Christen“ (– wie sie meinen –) weitgehend den Anschauungen des Zeitgeistes huldigen, z. B. im praktischen Befolgen einer unschamhaften Mode und unchristlicher Sitten, so zeigt dies, dass sie kein rechtes persönliches Verhältnis zu Gott und kein genügendes Verantwortungsbewusstsein vor ihm haben, sondern mit den allgemeinen Anschauungen und Gepflogenheiten des Zeitgeistes mitgehen, um „zeitgemäß“ zu sein oder sich auf der Höhe der Zeit zu halten. Sie bedenken nicht, dass solche allgemeine Anschauungen der Masse der Menschen, auch der „Christen“, und des Zeitgeistes feine Schlingen des Widersachers Gottes Sein können und vielleicht sind, wodurch er – auf einem scheinbar guten Weg und unter einem „gläubigen“ Vorwand – allmählich und fast unmerklich die gute Moral und Sitte untergräbt und zu einem bösen Ziele kommt. Oder wie wäre es sonst möglich, dass gut sein wollende Christen sich z. B. Freiheiten in Mode und Sitten erlauben, die im Grunde unleugbar heidnisch sind? Hier sind Täuschungen des Geistes der Finsternis am Werk, der sich vor allem an jene führenden christlichen Kreisen und Persönlichkeiten heranmacht, die an der Spitze stehen und denen die Masse folgt. – Dabei – man möge sich nicht täuschen – begehen aber die Einzelnen das Unrecht, dass sie beständig den persönlichen Forderungen Gottes und des Gewissens ausweichen, und dieses Abweisen der persönlichen Forderungen Gottes gibt der heutigen Masse der Menschen und dem heutigen Welt- und Zeitbild das unchristliche Gepräge, das aber doch von sogenannten „guten Christen“ mitgeformt und noch dazu vielleicht als „christliche Kultur“ hingestellt wird. Wie müssen Ungläubige oder im Heidentum Geborene über solche Zeit-Christen denken? Oder würde es nicht auch mit deren Bekehrung besser vorangehen, wenn die guten Christen überall mehr sich ihrer persönlichen Verantwortung vor dem persönlichen Gott bewusst würden? Nicht die innere Gnade Gottes allein, sondern auch der Geist und Einfluss der Umgebung trägt zur Bekehrung bei, ja es kann auch durch die Verderbtheit des Zeitgeistes und der Zeitchristen wieder zugrunde gerichtet werden und verloren gehen, was die innere Gnade Gottes wirkte. – Gott gibt in jeder Zeitlage genügend Gnade; und wie ganz anders würde es stehen, wenn die Gnaden im Allgemeinen, und die den Einzelnen angebotenen Gnaden auch persönlich von den Einzelnen benützt würden! Dass das heutige Zeitbild im Allgemeinen eher heidnisch als christlich ist – und als solches von gläubigen Christen weithin mitgeformt wird –, darin ist nicht Gott der Herr schuld, sondern das persönliche Abweisen so vieler Gnaden durch einzelne Menschen, und zwar vor allem auch durch berufene und führende Stellen, die damit auch für viele verantwortlich sind. Es lässt sich wohl nicht leugnen: Jeder moralische Niedergang in der Geschichte der Menschheit hat immer auch seine Vorgeschichte im Versagen berufener und führender Persönlichkeiten, die nach eigener Willkür vorangehen und sich über ihre persönliche Verantwortung vor Gott, gerade auch in übernatürlicher Hinsicht, hinwegsetzen. Meist sind es die Führer der Masse der Menschheit, welche das Abgleiten vom Wege zu Gott vorleben und ihrer Zeit ein unchristliches Gepräge geben.

3878 |        Was den1688 Menschen den vollen, entscheidenden Wert gibt, das ist ein persönliches, bewusstes Verhältnis zu Gott, das auch zu persönlicher Verantwortlichkeit führt und das den Mut gibt, auch unter persönlichen Opfern die wahren wirklichen Wege Gottes einzuschlagen und zu gehen bis ans Ende. Ein persönliches Verhältnis zu Gott steht aber nie bloß auf dem Papier geschrieben, es findet sich nicht in Paragraphen und Statuten allein, sondern in der persönlichen Achtsamkeit und Verantwortlichkeit vor Gott. Daraus ergeben sich die feinsten Forderungen der Moral und der christlichen Sitte und Vollkommenheit, daraus die vornehmsten Gesetze der Liebe, des christlichen Adels und der sozialen Gerechtigkeit, daraus ergeben sich die idealste Ehe und die beste Lösung in allen Lagen und Erfordernissen des Lebens. Wo dieses persönliche Verhältnis der bewussten Abhängigkeit und Verantwortlichkeit vorhanden ist, da wirken die Gnaden und Gaben des Heiligen Geistes, der in allem das Licht gibt, wodurch das Wohlgefallen Gottes uns vermittelt wird. Im Wohlgefallen Gottes äußert sich das wirkliche und lebendige Verhältnis zu Gott, das zugleich zum wunderbaren Segen für die Menschheit wird. Dass Gottes Wohlgefallen auf der Menschheit ruhe, das muss in den vielen Einzelnen errungen und von den Einzelnen herbeigeführt werden. Um sich dieses Wohlgefallen Gottes zu verschaffen, gibt es aber letztlich nur ein Mittel: Dieses persönliche, kindlich liebende Verhältnis zu Gott, wodurch jeder Einzelne im Lichte des Heiligen Geistes immer nach dem Besseren und Vollkommeneren strebe und es tue; denn „der Geist ist es, der lebendig macht“!

 

30.05.1947

3879 |        Ich dringe vor zur „Form Gottes“, d. h. zur Erkenntnis1689 seines Wesens in seiner innergöttlichen „Form“ und unterscheidenden Art, oder vielmehr ich bin in diesen Zustand vorgedrungen. Dieses Vordringen zur „Form Gottes“ setzt aber eine besondere, von Gott bewirkte Loslösung oder geistige Entblößung von der Materie voraus – so ähnlich, wie man manche kleinste und für gewöhnlich verborgene oder unsichtbare Dinge nur durch verfeinertes, besonders bereitetes oder zusammengesetztes Glas sichtbar machen oder herausstellen kann.

3880 |        Das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit steht in einer vollkommensten Ordnung der Liebe. Diese Ordnung der Liebe hat Gott mit der Erschaffung auf die Menschen „übergeleitet“; denn jede bestehende Ordnung hat ihren Ursprung in Gott und hat einst ihren Ausgangspunkt von Gott genommen. Es gibt nichts, weder in der geistigen noch in der körperhaften Welt, was nicht durch das Gesetz der Schöpfung seinen Ursprung in Gott genommen hätte; denn von Gott stammt alles, während er „alles“ aus sich selbst besitzt.

3881 |        Zwischen Gott und seiner Schöpfung besteht darum eine „rahmenlose Einheit“, und diese Einheit ist gegeben mit seinem Schöpfergesetz, wodurch er allen Dingen, den sichtbaren wie den unsichtbaren, seinen „Stempel“ aufgedrückt hat. So wie im Augenblick der Erschaffung alles auf sein Wort hin ins Dasein trat, so besteht auch heute noch alles weiter und durch seine Mitwirkung und Zulassung, die er in den Naturgesetzen verankert hat und die er „jederzeit ändern kann“. Dass aber die Naturgesetze weiter bestehen, das geht auf die „Ordnung aller Dinge“ zurück, die er seiner Schöpfung aufgedrückt hat.

3882 |        Wie sollte der Mensch zum vollen Erfassen und Durchdringen dieser geistigen Ordnung in allen Dingen und Beziehungen jemals vordringen können, wenn er doch selbst von dieser Ordnung, in der Vielfalt von Dingen und Beziehungen abhängig ist? Um das göttliche Grundgesetz der Ordnung in der Schöpfung voll erkennen und erfahren zu können, müsste man Gott selbst sein mit göttlicher Erkenntnis, oder man müsste wenigstens eine von Gott geliehene Erkenntnis hierzu1690 besitzen.

 

Juni

04.06.1947

3883 |        Welche Beweise hat der Mensch für das Dasein Gottes? – Zunächst: Die „eigene Hilflosigkeit“!

3884 |        Auch dem begabtesten und intelligentesten Menschen gelingt es nicht, zu einer Selbstständigkeit zu kommen und emporzusteigen, in der er sein Schicksal ganz in eigenen Händen hätte, und sein Dasein selbst bestimmen könnte. Jeder Mensch unterliegt einer ständigen Abhängigkeit, die ihm immerwährende Hemmung auferlegt. Das Dasein und Geschick des Menschen ist stets solchen Abhängigkeiten unterworfen, die in vieler Hinsicht die Freiheit der persönlichen Entscheidung nehmen oder wenigstens beeinträchtigen. Und wenn der Mensch sich mit einer Daseinsanschauung begnügt, so „entwertet“ er damit vollends sein Leben; denn eine bloße Diesseitsordnung nimmt dem Leben jeden tieferen Sinn und jedes menschenwürdige Ziel und raubt ihm jeden Augenblick auf die volle Wertung des menschlichen Daseins. Wenn der Mensch aber ein höheres Wesen ist als die ihn umgebenen vernunftlosen Wesen, so muss er auch ein höheres Ziel haben als diese, und das Ziel muss ihm Werte eröffnen und in Aussicht stellen, die den vernunftlosen Wesen versagt sind.

3885 |        Jeder weiß um das Schicksal der vernunftlosen Lebewesen, seien es Tiere oder auch Pflanzen. Diese sind einem endgültigen Zerfall anheimgegeben, dem sie sich nicht entziehen können; denn dies ist ihr Daseinsgesetz. – Woraus kann nun der Mensch schließen, dass er nicht dem gleichen Schicksal verfällt, sondern dass er ein weit höheres Ziel hat? Äußerlich gesehen ist der Unterschied zwischen dem Menschen und den unvernünftigen Tieren in vieler Hinsicht tatsächlich gering, insofern die natürlichen Herkunfts- und Daseinsbestimmungen des Menschen ganz ähnlich sind wie bei jenen vernunftlosen Wesen. Die natürlichen Vorgänge seines Werdens und seine allgemeinen Lebensbedingungen lassen den Menschen auf einer ähnlichen Stufe stehend erscheinen wie jene, und auch sein Scheiden aus diesem Leben unterscheidet ihn äußerlich kaum von anderen Lebewesen: Auch der Mensch scheint dem Verfall und Vergehen anheimgegeben. – Wo soll der Mensch die Quelle suchen und ergründen, die ihm eine höhere Daseinsberechtigung und höhere Ziele geben? Wie soll er zu einem „höheren Wesen“ vordringen, von dem er seine Daseinsberechtigung erhalten hat und das ihm damit höhere Ziele erschließt?

3886 |        Die Ordnung aller Lebewesen zeigt, dass jedes Einzelne dieser Wesen einem bestimmten Ziele dient und darauf hingeordnet ist. Kein Lebewesen hat an sich eine „natürliche Ziellosigkeit“. Zunächst haben die vernunftlosen Lebewesen alle das eine Ziel, dass sie das Universum beleben und der vom Schöpfer gewollten Mannigfaltigkeit des Universums dienen; sie erhalten die „Belebtheit“ des Universums und haben damit schon ein „Selbstziel“, das ihren Bestand rechtfertigt. Sie dienen aber auch einer fortschreitenden oder aufsteigenden Ordnung, insofern jedes Lebewesen wieder einem anderen zu dienen bestimmt [ist], das von ihm oder auch von seinem Untergange lebt. Vor allem aber dienen sie einer aufsteigenden Ordnung, in dem sie dem Menschen dienen, – wenigstens zum weitaus größten Teil, d. h., soweit sie dem Menschen erreichbar sind. Damit erhält die vernunftlose Welt ihr Höchstziel, dass sie nämlich einem „vernunftbegabten Wesen“ dient und einem Daseinsgesetz oder einer Ordnung untersteht, die sie auf die vernunftbegabten Wesen, auf den Menschen hinordnet.

3887 |        Diese Hinordnung auf den Menschen erklärt sich aus der Natur und aus dem Ziel des Menschen. Der Mensch allein könnte seiner Natur nach gar nicht bestehen, wenn ihm nicht andere Lebewesen zu seinem Bestand behilflich wären. (Diese Ordnung bestand schon im Paradiese). Er kann zwar als Mensch sich fortpflanzen und vermehren, aber es sind ihm andere Lebewesen als Mittel zu seinem Bestehen notwendig. – Hier schon stößt der Mensch auf seine „Beschränktheit“ und „Abhängigkeit“, die ihm ständig zeigt und klarmacht, dass er kein vollkommen selbstständiges Wesen ist. Aber nicht nur in seiner äußeren Lebenshaltung muss sich der Mensch als „abhängiges Wesen“ sehen und anerkennen. Trotz seiner Vernunftbegabung stößt er nämlich auch seinem Geiste nach ständig auf Schranken, die sein „Entfalten“ hemmen und ihm auch seine diesbezügliche Unvollkommenheit und Abhängigkeit zeigen. Was immer z. B. der Mensch beginnen und ausführen will, meistens ist er dabei auch von der Zustimmung anderer Menschen abhängig, mit deren Willen seine eigene Pläne übereinstimmen müssen. So muss der Mensch sein Tun und Leben immer von einer über ihn gestellten „Ordnung“ abhängig machen und nur durch das Einfügen in diese Ordnung kann er schon in seinem irdischen Leben zurechtkommen. Er muss diese vielfachen Abhängigkeiten und Schranken anerkennen, denen er nicht entrinnen kann und denen er sich fügen muss, auch wenn er seine persönlichen Pläne lieber in andere Weise ausführen möchte. – Wie wenig kann ferner der Mensch oftmals zu seinem persönlichen Glück und Wohlergehen beitragen und von wie vielen Umständen und „anderen Ordnungen“ ist er dabei abhängig und wie vielen Hemmungen unterworfen! – Auch in seinem Inneren unterliegt der Mensch Hemmungen, durch die er vielfach wie „lahmgelegt“ ist. Wie beschränkt ist sein Wille und wie wird seine Tatkraft gehemmt! Der Mensch spürt in sich „niedere Gesetze“, die den höheren fast ständig widerstehen und so steht und schwankt er fast immer zwischen zwei Möglichkeiten und Richtungen, deren Widerstreit sein Leben oft so bitter und schwer macht. Und diesen Widersprüchen in sich selbst kann der Mensch nicht entgehen, denn sie sind in seinem Wesen und Dasein, und zwar „ohne sein Zutun“. Wegen dieser von innen und von außen in behinderten und bedrohenden Hemmungen kann kein Mensch sich selbst vollkommen glücklich machen. Und wie leicht und wie oft kann der Mensch durch die Äußerungen seines Lebens selbst seiner Umgebung zum Falle dienen!

3888 |        Aus all dem ergibt sich zweifellos unklar: Der Mensch kann sich selbst nicht Ziel sein; dazu müsste er in seinem Wesensaufbau „vollkommener“, beständiger, absoluter sein. Der Mensch aber entdeckt in sich immer nur „Bruchstücke“ und Möglichkeiten, aber so wenig Fertigkeiten und fast niemals wirklich „Vollendetes“. – Wollte er sich selbst als etwas Fertiges in sich Abgeschlossenes oder als „sich selbst genügende Wirklichkeit“ betrachten, so würde und müsste ihm seine eigene ständige Erfahrung Lügen strafen. Diese Erfahrung sagt ihm viel mehr: Der Mensch ist nur ein Teilwerk aus einem Ganzen, und auch der bestveranlagte Mensch wird sich nie zu etwas ganz „Fertigem“ emporarbeiten können; er wird nie aus sich und für sich selbst bestehen und eine förmliche „Unbeschränktheit“ sich zu eigen nennen können. Und warum kann er seine Beschränktheit nie ganz überwinden, warum kann er seine „Teil-Stücke“ und seine Möglichkeiten nie zu einem fertigen, in sich abgeschlossenen, absoluten Wesen zusammenschließen? – Der Mensch untersteht durch sein ganzes, beschränktes Wesen einer höheren Ordnung, der er sich nicht entziehen kann, die ihn gleichsam ständig verfolgt, ihm Hemmungen auferlegt, die er nicht umgehen kann, und die ihm beständig Ziele setzt, die er nicht überspringen kann. Der Mensch ist ein „Teilwesen“, das in diesem Leben niemals zum „Abschluss“ kommt, denn sein Ziel liegt in einer höheren Wirklichkeit1691, die ihn über sich selbst hinausweist und hinausführt. Jeder denkende Mensch stößt auf diese höheren Wirklichkeiten1692, wenn er sie auch aus sich selbst nicht ganz ergründen kann.

3889 |        Wollte aber ein Mensch bei sich selbst stehen bleiben und sich als „Abschluss“, als ein Ganzes betrachten, wie sinnlos wäre dann sein Dasein! Warum all das Geschehen und die Tragik, die ihn umgibt, wenn das Leben sich nur nach dieser kurzen Erdenzeit bemisst? Muss nicht etwas „Höheres“ dahinter stehen, damit ein Mensch z. B. sich für eine Idee einsetzt – deren Verwirklichung so rasch mit dem Tode enden kann? – Und ist anderseits der Menschengeist nicht in sich selbst doch zu erhaben, als dass er ganz vergehen sollte? Sind des Menschen Gedanken nicht „unvergänglich“ in ihren Wirkungen, sind seine Pläne nicht zu kühnen Wirklichkeiten vorgedrungen, die sein Leben weithin umgestalten und ihm großen Nutzen bringen könnten? Und steckt nicht in all den Möglichkeiten, die der Mensch in sich trägt, auch eine Art von „Wirklichkeiten“ und Tatsächlichkeit, die ihn auf ein anderes Ziel hinweisen, das sich in ihm erfüllen könnte, wenn er diesen Spuren folgen würde? – Findet der Mensch nicht zuweilen ein Genügen bei einem „Gegenüber“, das die gleichen oder ähnlichen Gesinnungen in sich trägt, ein Genügen, dem dann dieses Leben zu kurz erscheint für das gegenseitige Verweilen? Steht nicht über all der Vergänglichkeit, der ein Mensch nicht entrinnen kann, nicht auch eine angeborene Sehnsucht nach dem Festhalten eines Zieles, das ihn vollends befriedigen könnte? Kein Mensch kann mit sich selbst ganz zufrieden sein, wenn er seine Ziele nicht auf eine lange Sicht ausrichtet, und sie nicht gleichsam „mitnehmen“ möchte in ein anderes Leben, um sie dort zu einer Vollendung zu gestalten. Was nützte schließlich alle Liebe und alle Abgründigkeit des Menschenwesens, alles Suchen seines Geistes, alles Bemühen, die Geschehnisse zu meistern, wenn mit dem Tode alles „aus“ oder ein endgültiger Schlusspunkt gesetzt wäre? Was würde alles Geistige erringen helfen und alle Bemühungen, das Leben auszubeuten und auszugestalten, wenn schließlich keine Frucht des Genießens nach all den Mühen, bleiben würde? Wenn das Menschenleben mit dem Tode ganz abgeschlossen wäre, dann könnte man es eine Torheit nennen, das Leben an viele andere weiterzugeben, die wiederum unter so viel Drangsal und Not den gleichen Weg gehen müssten; dann schiene es besser, das Leben von sich zu geben, um im Nichts die Ruhe zu finden.

3890 |        Ist also der Menschengeist eine „lose“ Möglichkeit gleich anderen Lebewesen oder stammt er vielmehr von einem höheren Geiste? Dem Menschen ist seine Herkunft selbst1693 dunkel, und sein eigenes Sein gibt ihm keinen restlosen Aufschluss über sein Ziel, weil er sein Ziel sich nicht aus sich selbst schaffen kann. Wo kann aber der Mensch seine Herkunft, seinen Anfang und damit sein Ziel ableiten? Des Menschen Anfang kann nur in einem Wesen sein, das ihm auch ein Ziel mitgab, in dem er sein restloses Genügen finden könne. Dieses Ziel muss von einem Wesen stammen, dem Unendlichkeit eigen ist; denn der Mensch, der seiner physischen Natur nach der Endlichkeit und dem Vergehen unterliegt, findet doch im „Endlichen“ niemals ein volles Genügen. – Wenn aber mit dem Anfang und Ursprung des Menschen auch sein Ziel gegeben ist, muss er dann nicht auch in der Zeit seines Erdenlebens einmal irgendwie mit jenem Wesen in Berührung kommen, von dem er seinen Anfang erhielt? Tatsächlich sind im Menschengeiste Werte und Kräfte, die ihn über sich selbst hinweg und hinaus zu Geistestatsachen führen, in denen er zuweilen das Wehen einer Unendlichkeit spürt. Auch der einfachste Mensch kann diese „Unendlichkeit“ innewerden.

3891 |        In der Unendlichkeit Gottes liegt der Ursprung des Menschen; von dort leitet sich seine Herkunft ab. Darum sucht der tiefere Sinn des Menschen nach bleibenden Werten, will sich in einer „Stetigkeit“ verankern und will ein bleibendes Ziel haben. (Aber dieses Ziel muss ihm gesetzt sein, denn wie könnte er sonst ihm nachjagen?) – Der Mensch entdeckt in sich gleichsam eine „Geistverwandtschaft“ mit einer höheren Wirklichkeit, der er sich überlassen und hingeben möchte, weil er seine eigenen Schranken und Beschränktheiten nicht leugnen kann; eine Geistverwandtschaft mit einer höheren Wirklichkeit, die ihm als Ziel dient, mit der er Ähnlichkeiten in sich entdeckt und in der er wegen seiner eigenen Unzulänglichkeit ruhen und Genüge finden möchte. Er findet in sich keine endgültige, volle Befriedigung und sucht darum nach einer Unendlichkeit, die ihn aufnehmen und befriedigen soll. – Der Mensch ist infolge seiner Herkunft nicht einem blinden Schicksal ausgeliefert und er ist infolge seiner Anlage nicht dazu bestimmt, wieder in endloses Nichts zurückzufallen. Der Mensch hängt vielmehr an seiner geistigen Existenz und möchte die geistigen Werte, die er in sich entdeckt, festhalten, sie sich sichern und für immer mit seinem „Leben“ verbinden und verankern und darin sein Genügen und seine Erfüllung finden. Weil er aber zugleich sieht, dass dies ihm allein und aus sich selbst nicht gelingt, wird das Verlangen nach dem Wesen in ihm lebendig und wach, das ihm diese Anlage und dieses Naturstreben gab und das ihm zu diesem Ziele verhelfen könnte.

3892 |        Das sind Geistestatsachen und Vorgänge, die sich in jedem Menschen abspielen und es gibt keinen Menschen, der sich selbst im Ernste als „abgeschlossen“ und „sich selbst genügend“ bezeichnet hätte oder bezeichnen könnte. Auch der ungläubige, der mit dem Verstand und Munde Gott leugnet, tut und lebt so, als wolle er sich eine ewige Existenz bauen und er bedient sich dabei jener Werte des menschlichen Geistes, die immerfort aus der Unendlichkeit Gottes strömen.

 

13.06.1947

 Herz Jesu Fest

3893 |        In der Kirche „al Gesu“ kam ich zu einer wunderbaren Unterscheidung zwischen dem „menschlichen Bewusstseinsakt“ und dem göttlichen, wesentlichen Bewusstsein bzw. dem gottmenschlichen Bewusstsein Christi.

3894 |        Ich bin auch wieder neu orientiert über meinen Geistesweg. – Ich sehe ein, welch weiten Weg ich bereits zurückgelegt habe im Erleben des Geheimnisses der hypostatischen Vereinigung. Die letzten schweren Leiden offenbarten sich mir nun als ein „Zusammenpressen von persönlichen Erlebnissen wie zu einem Akt des Erlebens“, aber wie „außerhalb meiner Person“. Ich bin nun in ein schmerzhaftes Ringen hineingestellt, um diese „Außer-Persönlichkeit“ in eine bleibende, „wesentliche“ Form einzuspannen, die mich dann für ständig einmünden lässt in ein mystisches Miterleben der Persontätigkeit Christi.

3895 |        Im menschlichen Bewusstwerdensakt vollzieht sich – kraft der menschlichen Intelligenz und Empfindungsfähigkeit – die Zusammenfassung der Erlebnisse der menschlichen Existenz als ein „persönliches Erleben“. Dieses fast alle Vorgänge im Bereich der menschlichen Existenz zusammen, soweit sie den menschlichen Fähigkeiten und dem menschlichen Begreifen „erreichbar“ sind. Ein Großteil des Kräfteumsatzes und der Vorgänge in unserer menschlichen Existenz gelangt nämlich nie in den bewussten Bereich und Besitz der „persönlichen Erlebnisse“, weil sie infolge unserer unvollkommenen und mangelhaften Erlebnisfähigkeit im „Unterbewusstsein“ haften bleiben und nie vom Hauptfaktor des bewussten Erlebens, vom höchsten, persönlichen Bewusstwerdensakt erfasst werden. Meist wird der menschlichen Person nur der „Hauptumsatz“ oder die allgemeine Regelung und Summe der Erlebnisse unserer Existenz bewusst, und zwar entsprechend dem Maße und Grade der Intelligenzbefähigung des einzelnen Menschen. Infolge der Verschiedenheit der intellektuellen Anlagen und Befähigungen besteht darum auch ein großer Unterschied zwischen den individuellen Bewusstwerdensakten der verschiedenen Menschen; denn diese Akte geschehen mithilfe des Intelligenzvermögens und werden von dessen größerer oder geringerer Vollkommenheit beeinflusst und geleitet. Immer aber ist der menschliche Bewusstwerdensakt ein sehr unvollkommener Akt im Vergleich mit dem göttlich-wesentlichen Bewusstsein.

3896 |        Das göttlich-wesentliche Bewusstsein umfasst die ganze göttliche Existenz mit allen göttlichen Vollkommenheiten und ist mit der göttlichen Existenz oder Wesenheit selbst gegeben. Im Bilde gesagt: Wie das Feuer zugleich Licht ist und das Licht erzeugt, so ist das göttliche Wesen (oder Feuer) zugleich Bewusstsein (oder Licht); die menschlichen Erlebnisse aber werden erst durch das Licht des Verstandes und durch die Gesamtheit der Empfindungsanlage zum „Personkern“ gebracht und ergeben erst dann das (dem Feuer vergleichbare) „persönliche Erlebnis“. Im Menschen braucht es zum Bewusstwerden einen beständigen „Umsatz“ über das Intelligenzleben und dessen notwendige Hilfskräfte; alle Erlebnisse gehen also sozusagen „über den Kopf“ oder „durch das Gehirn“. Bei sehr hoher oder verfeinerter Ausprägung und Auswertung der Intelligenzanlage und der geistigen Kräfte überhaupt kann ein Mensch auch diese Vorgänge in etwa bei sich selbst verfolgen. – Auch beim Paradiesesmenschen vollzog sich der Bewusstwerdensakt als Umsatz der Kräfte auf dem Wege über das Intelligenzleben; der Unterschied (gegenüber den jetzigen menschlichen Bewusstseinsakten) bestand aber darin, dass infolge des moralischen Gleichgewichts und der Harmonie der Kräfte im ersten Menschen die Erlebnisse auch „rein“, d. h., entsprechend der Wahrheit und Wirklichkeit, ohne Verfälschung und ohne Verzerrung, Übersteigerung oder Abschwächung wiedergegeben und von der Person aufgenommen wurden.

3897 |        Im Gottmenschen Jesu Christus blieb das göttliche Bewusstsein wesentlich unverändert; es wurde aber mit der Menschwerdung auch die Erlebnisse seiner menschlichen Natur in das göttlich-wesentliche Bewusstsein der Person des Wortes aufgenommen und als Erlebnisse dieser göttlichen Person gewertet. – Auch die Seele Jesu besaß – wie alle Menschenseelen – die menschliche Intelligenzanlage, d. h. die Möglichkeiten und Voraussetzungen und Bedingungen für ein menschliches Erwidern und Reagieren auf die Gegenüberstellung gegenüber der Gottheit und gegenüber den gewöhnlichen Eindrücken von außen usw. Diese Anlage wurde aber in Christus nicht durch eine menschliche Person und nicht auf dem gewöhnlichen verstandesmäßigen Weg verwirklicht und betätigt, sondern sie war getragen, durchdrungen und in Besitz genommen von der göttlichen Person und damit wurde die menschlichen Reaktionen und Erlebnisse zu Erlebnissen der göttlichen Person, und zwar auf einem der göttlichen Wesensart entsprechenden „Wege“. – Die menschliche Intelligenzanlage Jesu reagierte auf alle göttlichen (= durch die Gegenüberstellung mit der Gottheit hervorgerufenen) und auf alle menschlichen (= auf dem gewöhnlichen Wege kommenden) Eindrücke und sie sind1694 daher im Mittelpunkt des gottmenschlichen psychologischen Geschehens; in ihr trafen sich die gottmenschlichen Erlebnisse. Die göttliche Natur der Person des Wortes hat keine Intelligenzanlage und braucht keinerlei Umsatz von Kräften, weil mit dem göttlichen Wesen alles gegeben ist. Im Gottmenschen Christus aber wurde die göttliche Existenz und Natur infolge der hypostatischen Vereinigung zum Erleben der menschlichen Intelligenz- und Empfindungsanlage, und die Erwiderung oder Reaktion dieser Anlagen wurde zum Erlebnis der sie besitzenden und diese Reaktionen gleichsam aufsaugenden göttlichen Person. In der menschlichen Natur Christi waren alle Anlagen, Voraussetzungen und Vorbereitungen gegeben, wodurch die göttliche Wesensart in menschlichen Empfindungen, Reaktionen und Erwiderungen aufgenommen werden konnten, und diese Erwiderungen wurden zu einem „menschlichen Erleben“ vonseiten der göttlichen Person. Dabei wirkte sich aber anstelle der gewöhnlichen (verstandesmäßigen) menschlichen Intelligenzbetätigung die göttliche Substanz oder Wesenheit mit ihren wesentlichen Vollkommenheiten aus. Wegen der göttlich-wesentlichen oder substanziellen „Intelligenz“ der Person des Wortes war beim „Bewusstwerden“ der menschlichen Erlebnisse in Christus der Weg über die menschliche Intelligenzbetätigung nicht nötig und nicht möglich. Dieses „Bewusstwerden“, d. h., dieses Erleben der Reaktionen der menschlichen Intelligenz- und Empfindungsanlagen durch die göttliche Person vollzog sich vielmehr unmittelbar kraft der göttlichen Substanz oder Wesenheit. Die göttliche Substanz erfüllte die gesamte menschliche Natur und saugte deren Reaktionen gleichsam ständig auf und deshalb waren auch die gottmenschlichen – d. h., die seine gesamte menschliche Natur betreffenden – Erlebnisse immer substanziell unmittelbare Erlebnisse.

3898 |        Es waren unmittelbare Erlebnisse – und mussten es sein – nicht bloß vonseiten der göttlichen Natur, welche die menschlichen Eindrücke und Reaktionen infolge der hypostatischen Vereinigung in sich aufnahm, sondern auch vonseiten der menschlichen Natur, welche infolge der gleichen Vereinigung göttliche Eindrücke und Erlebnisse hatte. Dieses gottmenschliche Bewusstsein und „Bewusstwerden“ vollzog sich darum als „unmittelbares Erleben“, als Akt einer höchsten vollkommenen Intuitivität, außerhalb von verstandesmäßigen Bewusstwerdensakten.

3899 |        Man möchte meinen, ein solches substanziell-unmittelbares Bewusstwerden hätte durch die Unmittelbarkeit der Eindrücke die menschlichen Anlagen der Seele Jesu erdrücken müssen. Die Seele Jesu hatte aber – im Hinblick auf ihre Bestimmung für die hypostatische Union – eine ganz besondere Vollkommenheit der Anlagen und damit die Fähigkeit einer höchst unmittelbaren und intensiven Beeindruckbarkeit und Reaktion.

 

22.06.1947

3900 |        Die göttliche „Selbstschau“ blieb auch im Gottmenschen das charakteristische Gotteselement. Gott weiß um sich „durch sich selbst“, d. h., er ist sich seiner Existenz nicht auf mittelbarem Wege und nicht durch Hilfsmittel bewusst, wie wir Menschen. Gott schaut ständig sein Wesen durch dieses sein Wesen selbst.[sic!] Wie könnte man dieses unergründliche Geheimnis in menschlichen Worten entsprechend ausdrücken? Gottes Wesen ist durch sich selbst unmittelbar auf ihn hingerichtet und dadurch ist er sich selbst der bewusste Mittelpunkt. Was seine göttliche „Selbstschau“ angeht, gibt es im Gott nichts „Außergöttliches“; in ihm ist alles Mittelpunkt; er kann außer sich – oder außerhalb seiner – nichts „sehen“. Gott schaut sich selbst und alle seine Werke durch sich selbst und „in ihm selbst“, auch wenn diese Werke „außerhalb seines göttlichen Wesens“, das will sagen, „Werke nach außen“ sind. Gott umfasst sich zusammen mit seinen Werken.

3901 |        Der Mensch hingegen muss, um sich selbst zu erkennen und seiner bewusst zu werden, ständig gleichsam „aus seinem Wesen heraustreten“, d. h., er muss sich außer-persönlicher Hilfsmittel bedienen, um „zu sich selbst“ oder zum Selbstbewusstsein und zum Erkennen seines Wesens zu kommen; er braucht außerpersönliche Werkzeuge dazu. In diesem Sinne vollziehen sich alle persönlichen Lebensbetätigungen des Menschen auch „außer-persönlich“, d. h., durch außerpersönliche Hilfsmittel, die ihm erst zum Überschauen seiner Existenz, und damit „zu sich selbst“ führen.

3902 |        Die göttliche „Selbstschau“ ist eine göttlich-wesentliche Vollkommenheit und Eigenschaft. Daher konnte die zweite göttliche Person sie bei ihrer Menschwerdung nicht ablegen. Diese göttliche Selbstschau wirkte sich vielmehr auch auf Christi menschliche Natur insofern aus, als die Kräfte und Anlagen der menschlichen Natur auch hierbei der göttlichen Person dienstbar wurden und die göttliche Selbstschau sich nun (nach der Menschwerdung) unter Mitbeteiligung der menschlichen Natur vollzog. – Wie konnte aber die menschliche Natur gegenüber der göttlichen Person des Wortes „dienstbar“ sein für die göttliche Selbstschau? Gewiss es gab auch in der hypostatischen Vereinigung keine „wesentliche Dienstbarkeit“ der menschlichen Natur gegenüber der göttlichen, d. h., keine solche, die eine Vermengung oder Verschmelzung der Substanzen der göttlichen und der menschlichen Natur mit sich gebracht hätte. Es gab aber eine wahre Mitbeteiligung der Anlagen, Kräfte und Funktionen der menschlichen Natur, und diese Mitbeteiligung war dadurch möglich, dass die menschliche Seele in ihrer Anlage nach Gottes Ebenbild geschaffen ist.

3903 |        Die charakteristische Eigentümlichkeit der göttlichen Selbstschau war das göttliche Selbstgenügen. Gottes Wesen erfreute und erfreut sich ewig an sich selbst. Er genügt sich selbst und das Geheimnis dieses Selbstgenügens liegt in seinen göttlichen Vollkommenheiten. Die göttlich-wesentliche Selbstschau mit ihrem Selbstgenügen teilte sich nun infolge der hypostatischen Vereinigung der menschlichen Natur Jesu insofern mit, als das menschliche Empfindungs- und Sinnenleben mitempfindend und gleichsam „mitbeteiligt“ wurde gegenüber diesem göttlichen Selbstgenügen. Durch die beherrschende Wirksamkeit der göttlichen Person (bzw. der göttlichen Natur derselben) wurde das Empfindungs- und Sinnenleben der menschlichen Natur in das göttliche Selbstgenügen gleichsam „hineingehoben“ und wurde dessen so „teilhaftig“, wie wenn es ihr „naturgemäß“ gewesen wäre. Die menschliche Natur Christi „ruhte“ – wie wenn es ihr „natürlich“ wäre – in Gottes-Empfinden und sie bedurfte hierzu nicht der Hilfsmittel und Hilfsprodukte „von außen“, sondern das gesamte göttlich-geistige Lebenselement teilte sich ihr mit, und zwar entsprechend dem göttlichen „Lebensprinzip“ oder Lebensart, d. h., ganz von innen heraus und vom Geiste kommend. (– Der gewöhnliche Mensch hingegen kann sein Lebensprinzip nicht allein von Geiste aus verwirklichen, sondern braucht äußere Einflüsse und Wirkursachen, um sein Leben praktisch auszuleben oder zu verwirklichen. –). Gewiss nahm auch Christus als Gottmensch menschliche Lebenselemente in sich auf, – denn sonst wäre ein wahres Menschenleben nicht möglich gewesen –, aber diese Lebenselemente wurden „unmittelbar“ aus seinen menschlichen Daseinsbedingungen und Gegebenheiten herausgeholt und wurden auf einem geistig-unmittelbaren Weg verwertet, sodass das Mitbeteiligtsein der menschlichen Natur Christi an der göttlichen Selbstschau nie unterbrochen wurde. Diese menschlichen Lebensbedingungen, d. h. das menschliche Erfahrungsleben, wurden auf einem geistigen Wege verwertet, auch wenn die Sinne dabei beteiligt waren. – Es blieb in Christus jederzeit die wunderbare Einheit der beiden Naturen in der einen Person bewahrt. Aus zwei Naturen aber nach dem herrschenden Prinzip seiner göttlichen Person bestehend, war Christus als Ein-Wesen in sich abgeschlossen und „in sich“ hineingehoben, denn er bedurfte als Gott keiner geistig-menschlichen Hilfsmittel. Die göttliche Person lebte auch als Mensch das göttliche Grundprinzip des vollkommenen Selbstgenügens aus. – Doch für dieses wunderbare Geheimnis fehlt jedes menschliche Wort; diese Erhabenheit der göttlichen Selbstschau und des Selbstgenügens lässt sich nicht mit Worten erklären; sie ist eine erhabene Wirklichkeit, und mein inneres Erfassen und Erleben dieses Geheimnisses zerfließt gleichsam mit dem menschlichen Wort und mit dem Versuch, es zum Ausdruck zu bringen.

 

27.06.1947

3904 |        Das menschliche Sinnenleben war der Hauptfaktor für die Auswirkung der göttlichen Selbstschau des Gottmenschen auf seine menschliche Natur.

3905 |        Der göttliche Selbstgenuss bedarf keiner besonderen Empfindungsanlage; denn Gott durchlebt und genießt sich „durch sich selbst“ in seinen göttlichen Vollkommenheiten als seligster Selbstgenuss, und dieser göttliche Selbstgenuss ist ihm durch sich selbst bewusst. Der Mensch hingegen bedarf eigener Anlagen, um zum Selbstgenuss seines Wesens zu gelangen, und diese Anlagen können mehr oder weniger gut und vollkommen sein. Gewiss ist auch Gott der verschiedensten „Empfindungen“ fähig, wie z. B. seiner göttlichen Gerechtigkeit, der Liebe, der Güte, des Hasses. Aber diese göttlichen Empfindungen sind sozusagen „affektlos“; sie sind in seinem rein geistigen Wesen begründet. Die Empfindungen Gottes liegen in seiner „göttlichen Geist-Materie“, d. h. in der Summe oder in dem Getrage der göttlichen Kräfte, die zugleich Wirkursachen sind. Gott ist Geist und man kann selbstverständlich vom Geiste nicht im gleichen Sinne von „Materie“ reden wie z. B. von der menschlichen körperlichen „Materie“. Aber jede geistige Kraftfülle enthält Wirkbarkeiten und Wirkursachen, die einer Geist-Materie gleichkommen, weil sie Wirklichkeiten und Realitäten sind, die durch ihre Tätigkeiten entsprechende Änderungen und Wirkungen „verursachen“ können. In diesem Sinne ist der Geist auch eine (geistige) „Körperlichkeit“, weil er Wirkkräfte und Wirkstoffe enthält. Der Geist ist an sich nichts „Leeres“, sondern ein Kräfte-Umfang und ein Kräfte-Ausmaß. Und ähnlich wie die menschliche Seele – bei all ihrer Einfachheit – eine Vielfalt von Möglichkeiten und Kräften enthält, die einer bestimmten Tätigkeit zugeführt werden können, so umfasst die „göttliche Materie“ ein unendliches Ausmaß von Wirkursachen und Wirkungen seines göttlichen Wesens.

3906 |        Die „göttliche Materie“ enthält vor allem die Wirkursachen, wodurch sich seine göttlichen Vollkommenheiten ihm selbst als höchster Genuss bieten. Gott besteht sozusagen aus einem unendlichen Ausmaß solcher Geist-Materien, die seine göttlich-unendliche „Glückseligkeit1695“ verursachen, womit sich Gott „selbst erlebt“. Das vermindert nicht die göttlich wesentliche Einfachheit; denn die göttliche Geist-Materie existiert durch die göttliche Existenz des Wesens Gottes als einfache Geist-Wirkursache. Die „göttliche Körperlichkeit“ oder die Vielheit und Summe der Tatsächlichkeiten Gottes ist sozusagen inbegriffen im „Actus purus“. – Stellen wir uns – zum Vergleich und zur Verständlichmachung – den Geist eines Menschen mit einer vorzüglichen intellektuellen Anlage vor! Welche Vielfalt von Wissen und geistigen Betätigungen kann doch schon so ein Menschengeist in sich aufnehmen! Welchen Reichtum an Erlebnissen, an Empfindungs- und Affektbetätigungen ermöglicht und bietet schon ein vorzüglicher menschlicher Intellekt! Und doch fließt diese Betätigungsfülle und Vielfalt aus dem einfachen Geist der Seele. Diese Betätigungen werden aber bewirkt durch die „Materien des Geistes“ oder durch die „Körperlichkeit“ des Geistes, d. h. durch1696 die spürbaren und erlebbaren Kräfte des Geistes, die sich dem eigenen Geiste zu Verfügung stellen. – Es liegt im Wesen eines Individuums, dass es sich selbst „dient“ durch eine Unsumme von Geisthandlungen, verursacht durch die Kräfte der Geist-Materie. So besteht auch in der menschlichen Seele eine Unsumme von Geisthandlungen, die das Menschenleben ermöglichen und instand halten. Und je reichhaltiger eine solche Geist-Materie ist, desto vielfältiger, umfangreicher, tiefgründiger entfaltet sich ein Menschenleben. Man nennt diese Betätigung der Geistmaterie (oder der Geistsubstanz als dem Getrage der Kräfte) das „Leben des Geistes“, weil sie das Wachstum der Seele erhält und jene Auswirkungen auf den Leib betätigt, durch deren Rückwirkungen dann erst das menschliche Bewusstsein erzeugt wird. Diese Betätigungen der Geistmaterie kommen aber dem Menschen zwar nie zum Bewusstsein, sind aber dennoch grundlegend für das Menschenleben und bieten jene Grundlage, aus der erst das menschliche Dasein gleichsam herauswächst. Würde dem Menschen diese grundlegende Arbeit seiner „Geistmaterie“ zum Bewusstsein kommen, so würde er sich fürwahr vorkommen wie inmitten eines „Bienenschwarms“, voll lebendiger Wirklichkeiten. Das ist vielleicht das Wunderbarste in Menschen, dass sein Geist so vieles wirkt – und er selbst doch nicht weiß, „wie“ das geschieht. Er erlebt nur das wenigste davon bewusst, und doch, welche Fülle erlebt er, schon wenn man nur die körperlich-materiellen Auswirkungen der Geistigkeit1697 in Betracht zieht! So kann z. B. ein Mensch ganze Völker regieren und trotz des Umfanges seines Wissens und seiner Aufgaben auch einzelne und oft kleinste Dinge in seinem Geiste bewahren; und dennoch weiß er kaum, „wie“ dies alles vor sich geht. – So herrscht schon im menschlichen Geiste und Dasein eine Vielheit trotz der Einheit und Einfachheit seines Geistes. Dies ist das natürliche Geheimnis der Geistmaterie, des Getrages der Vielfalt von Geistesbetätigungsmöglichkeiten, der grundlegenden „Körperlichkeit“ des Geistes, der Substanz der Menschenseele.

3907 |        Die1698 Geistkörperlichkeit enthält auch die Anlage zum Fühlen und Empfinden, womit der Mensch sein Wesen überprüfen und sein „Wie“ bestimmen kann. Es ist dies eine substanzielle Anlage, die aber erst durch die körperlichen Sinnesanlagen voll zum Ausdruck und zur Verwirklichung kommt. Die Sinnenanlage und die geistig-substanzielle Empfindungsanlage sind aufeinander hingeordnet, und liegen „auf einer Linie“ und sind bestimmt vom „Werte der Person“. Während die substanzielle Empfindungsanlage eine Summe von „geistig-materiellen“ Kräften ist (die in dem oben erklärten Sinne, also etwas rein geistige sind), sind die Anlagen des Sinnenlebens leiblich-materielle Kräfte, welche die Tätigkeiten des Geistes unmittelbar übernehmen und als „Wie“ dem persönlichen Bewusstsein zuführen. So wie die Seele, also der Geist, den gesamten Körper des Menschen durchlebt, so sind auch entsprechend umfangreich die Empfindungsfähigkeiten des Geistes in Verbindung mit dem Sinnenleben.

3908 |        Im menschlichen Sinnenleben wirken geistige Kräfte auf den Leib und wirken leibliche Kräfte sich auf den Geist des Menschen aus. Diese Zusammenarbeit und Harmonie zwischen Geist und Leib-Materie ist in gewisser Hinsicht wohl das Wunderbarste im Menschen, wunderbarer als selbst das rein geistige Dasein der Engel. Gottes Schöpfermacht hat im Menschen ein Wunderwerk geschaffen, das kein Menschenverstand je ganz ergründen kann. Das Grundlegenste ist dabei die Auswirkung der geistigen vielfachen Kräfte der Substanz auf den Leib oder das „Fleisch“, aber nicht weniger wunderbar ist die Reaktion des Fleisches auf jenen „Druck des Geistes“ oder jene Tätigkeit der geistigen, substanziellen Anlage, eine Reaktion, die der Art und dem Maße jenes „Druckes“ entspricht und das das eigentliche „Sinnenleben“ ausmacht. So zieht der Geist (oder die geistige Empfindungsanlage) das Fleisch oder die leibliche Materie gleichsam als „Reaktionskörper“ heran, und so wirken Geist-Körperlichkeit und Leib-Körper zusammen, um „eine“ Reaktion auszulösen, die wir das sinnenhafte Empfinden oder das Fühlen nennen. Jener „Druck des Geistes“, d. h., die erste Reaktion der substanziellen Empfindungsanlage wird vom „Leben“ selbst hervorgebracht, d. h. durch den Akt des „Lebens“ selbst wirkt sich wie automatisch die substanzielle Empfindungsanlage aus, und zwar dem Menschen unbewusst – ähnlich wie dem Menschen auch sein „Leben“ erst zum Bewusstsein kommt durch die Tätigkeiten, welche dieses „Leben“ selbst hervorruft. – Die Gesamtheit dieser Betätigungen des „Sinnenlebens“ mit dem letzten Abschluss im Bewusstwerdensakt ergibt das Erleben oder das Bewusstwerden des „Wie“ einer menschlichen Existenz. Ohne den letzten Abschluss im Bewusstwerdensakt bliebe das „Sinnenleben“ ohne eigentliche Folge und Bedeutung; denn erst durch die Wirkkraft der Person wird das Dasein als etwas Zugehöriges, Individuelles empfunden. – In der menschlichen Natur können auch diesbezüglich viele Mängel vorhanden sein, seien es Mängel der Geistes-Materie, sei es Schwäche der Leibmaterie; das kann dann eine Störung der geistig-leiblichen Harmonie oder wenigstens eine Minderung ihrer Kraft zufolge haben, sodass solche Menschen als geistig oder leiblich minderwertig oder krüppelhaft dahinleben.

3909 |        Wenn nun schon der Mensch, wie die Erfahrung zeigt, eine Unsumme von Befähigungen in seinem Wesen trägt, wenn unser Dasein schon ein Unmaß von Anlagen bewusstseinsmäßig ausleben kann, wie könnte man dann Gottes Wesen ermessen? Man kann aber doch von diesen menschlichen Tatsachen und Gegebenheiten aus wie von einem schwachen Bilde auf Gott schließen. Wenn der Mensch überhaupt sein geistiges, gottentstammtes Wesen und Dasein erforschen und unter diesem Gesichtspunkt auszunützen sich bemühen würde, so wäre dieser Weg für ihn die erste, und wohl beste, wenn nicht einzige Möglichkeit, um in etwa dem Geheimnis Gottes und seiner göttlichen Existenz näherzukommen; denn die Grundanlagen des Menschen gehen auf das göttliche Urbild zurück und es ist in Gott keine wesentliche Vollkommenheit (und „Fähigkeit“ als göttliche Vollkommenheit, also wesentlicher Natur), die nicht im Menschen als irgendwie entsprechende, geschöpfliche Anlage vorhanden wäre. Unter diesem Gesichtspunkt stehen Gott und Mensch gleichsam wie „auf einer Linie“. Die Menschen schätzen aber im Allgemeinen diese ihre wunderbaren Befähigungen zu wenig, oder schreiben sie sich selbst zu, dass es „so ist“, und bedenken nicht, woher sie diese Befähigung haben.

3910 |        Gottes Wesen beinhaltet ein unendliches Maß von Vollkommenheiten, sowohl Vollkommenheiten seiner Heiligkeit, wie Eigenschaften, die seine göttliche Existenz betreffen, wie z. B. die Weisheit, Allmacht, Allgegenwart usw. Gottes Geist-Materie (oder Geist-Masse in dem oben erklärten Sinne) trägt all diese Wunderbarkeiten in vollkommenstem, nicht zu überbietendem Maße in sich. – Die göttlich wesentliche Vollkommenheit des Selbst-Erlebens (als „selbst empfinden“, ähnlich unserer geistigen Empfindungsanlage) führt nun dem Wesen Gottes ständig sich selbst und seine Vollkommenheiten als göttlichen Selbstgenuss vor. Gott weiß ganz und gar um die Vorzüglichkeit seines Wesens, während wir kaum um die tiefsten Eigenschaften unseres Wesens wissen, weil sich unsere Anlagen und Kräfte großenteils [sic!] oder größtenteils im Untergrund unseres Wesens und meist uns unbewusst betätigen. Gott weiß in vollkommenster Weise um alle göttlichen „Vorgänge“ in seinem eigenen Wesen; er durchlebt und „durchfühlt“ (menschlich gesagt) sich selbst – ähnlich wie ein Spiegel, der keine Wand hätte und der zugleich als Sonne zum Durchleuchten dienen würde. Für Gott gibt es auch in ihm selbst keine Geheimnisse. Alle göttlichen Vorzüge seiner Existenz sind immer und unverhüllt in seinem göttlichen Bewusstsein, uns zwar nicht in einer Reihenfolge, sondern ständig und augenblicklich in ganzer Fülle. Dieses Bewusstsein, wodurch sich Gott im Besitz seiner unermesslichen Vollkommenheiten und Vorzüge1699 weiß, löst eine immerwährende Empfindung der Freude und Seligkeit über die ewige Unverlierbarkeit seiner göttlichen Güter aus – was seine wesentliche göttliche Glückseligkeit ausmacht.

3911 |        Gott besitzt und schaut sich in ewig unverlierbarer Glückseligkeit. Er ist sich selbst ewig selbstbeseligende Selbstschau. Die „Fähigkeiten“ (wesentlicher Natur) zu diesem göttlichen Selbstschauen und Selbstgenießen sind die göttliche Geist-Materie, d. h. jenes unendliche Maß an göttlichen Kräften und „Anlagen“ (die wesentliche sind), wodurch ihm sein göttliches Sein jederzeit vorgeführt ist; es ist, mit einem Worte gesagt, die Fülle seiner göttlichen Natur, die sein ewiges nie nachzuahmendes Sein ausmacht. Zugleich mit der göttlichen Selbstschau ist Gott „wirksam“ und „wesenhaft“ auch die göttliche Befähigung, seine göttlichen Vorzüge in beseligender Weise zu erleben. Sein Wesen ist groß genug, um alle seine göttlichen Güter immerwährend und jeden Augenblick in ganzer Fülle, in „einem Akte“, im göttlichen Bewusstsein zu „erfahren“, was ebenso unermessliches Glück bedeutet. – Und diese göttliche Natur nahm in der zweiten göttlichen Person im Geheimnis der Menschwerdung eine menschliche Natur „an“, um ein gottmenschliches Leben zu leben; damit wurde die menschliche Natur zum „göttlichen Faktor“ dafür, dass der Gottmensch seine göttlichen Vollkommenheiten und Vorzüge auf menschliche Art leben und „erleben“ konnte. Zu diesem Zweck und entsprechend dem menschlichen Lebensgesetz beanspruchte die göttliche Geist-Materie das leiblich-materielle Sinnenleben, das der Hauptfaktor zu diesem Erleben wurde. Es bestand darum in Christus eine göttlich-geistige und menschlich-materielle Harmonie, eine göttlich-menschliche Lebensgemeinschaft, kraft derer die menschliche Natur zu einem Genussfaktor für die göttliche Natur wurde und der göttlichen Person das gottmenschliche Dasein voll und ganz bewusst war.

3912 |        Es liegt als göttlich-wesentliche Vollkommenheit auch dies im Wesen Gottes, dass er sich niemals verlieren kann, dass sich das Bewusstsein seiner göttlichen Existenz niemals vermindern kann, dass all seine göttlichen Güter ihm ewig im göttlichen Bewusstsein sind. Gott konnte die Auswirkungen dieses Bewusstseins seiner göttlichen Eigenschaften „beschränken“, aber nicht und niemals das Bewusstsein um seine göttlich-wesentlichen, ihm zustehenden Güter selbst. Eine solche Beschränkung der „Auswirkungen“ und damit in gewissem Sinne der „Beseligung“ durch die göttlichen Güter nahm die zweite göttliche Person freiwillig auf sich in der Menschwerdung. Wohl blieb das göttliche Wort im göttlichen Bewusstsein der Zugehörigkeit dieser Güter zu seiner göttlichen Natur im Bewusstsein, also, dass ihm diese göttlich-wesentlich zustanden. Es verzichtete aber, und blieb im freiwilligen Verzicht auf die Auswirkungen mancher göttlich-wesentlichen Eigenschaften (nicht der sittlichen Vollkommenheiten, die er in keiner Weise aufgeben konnte), z. B. seiner göttlichen Weisheit, indem er sich vor den Menschen wie zu einem Toren erniedrigte; auf die Auswirkungen seiner Allmacht, indem er wie ohnmächtig den Menschen ausgeliefert war, dem Gesetz der Menschen sich beugte und die menschlichen Lebensgesetze auf sich nahm; damit verzichtete er auch auf die Auswirkungen seiner göttlichen Allgegenwart usw. – obwohl diese Eigenschaften infolge seiner göttlichen Natur ihm jederzeit zur Verfügung standen und er sich dessen immer bewusst war.

 

Juli

06.07.1947

3913 |        Die physische Natur Christi war „hineingehoben“ in das „geistige Milieu“ der göttlichen Person Christi. Die Auswirkungen der göttlichen Person und deren Kraftanforderungen gegenüber der physischen Natur waren dauernd. Es war nicht ein „Nebeneinander“, sondern ein „Miteinander“ es war ein ständiges „Wägen“ und „Tragen“ und ein bewusstes Übereinstimmen, so sehr, dass die menschliche Natur Christi gegenüber der göttlichen Person gleichsam „wie in ihr eigenes Wesen“ blickte, das ihr die göttliche Person geworden ist.

3914 |        Die höchsten, voll entfalteten Geistanlagen einer Seele erlauben am ehesten noch einen Schluss auf die Wesens- und Lebensart Gottes und des Gottmenschen, Jesus Christus.[sic!] Gewiss ist die menschliche Seele an den Leib gebunden, aber es besteht nicht bloß die Möglichkeit, dass sie sich mehr oder weniger von der groben Materie des Leibes und von den verschiedenen Begierlichkeiten der sinnlichen Gelüste beherrschen lässt und das haben will, was des Leibes ist; – es besteht vielmehr auch die andere Möglichkeit, ja noch mehr die Aufgabe, dass sich die Seele zu einer immer größeren Herrschaft über die Kräfte des Leiblich-Materiellen erhebe und damit zu einer gewissen, steigernden „Entmaterialisierung“ oder zu einer immer höheren Entfaltung, Vervollkommnung, „Befreiung“ und Verfeinerung ihrer geistigen Anlagen emporringe. Es ist ja, beispielsweise, nicht der Leib allein, der „hören, sehen und fühlen“ kann, sondern es ist in erster Linie die Seele, welche diese geistigen Anlagen besitzt und sie mittelst des Leibes betätigt und auslebt. Die Seele kann aber auch diese ihre geistigen Anlagen entfalten, vervollkommnen, verfeinern und erhöhen zu einer wahren „Geist-Hörigkeit“, Geist-Sichtigkeit, Geist-Fühligkeit, die vor allem gegenüber Gott, dem vollkommensten Geist, betätigt werden. Diese Hörigkeit, Sichtigkeit und Gefühligkeit für den Geist sind wiederum die Grundlage oder der Urgrund für die „geistige Empfindungs- und Erlebensfähigkeit“. – Am Anfang des Menschengeschlechtes, d. h. vor der Sünde, war die menschliche Seele wirklich eine reine, geistige Quelle; der Leib war das Tor für die Seele, aber die Seele war vom Geiste, und zwar vom Geiste Gottes beherrscht.

3915 |        Eine ähnliche geistbeherrschte Seele und Menschheit bietet auch jetzt noch die beste und im Grunde einzige Voraussetzung und Grundlage – neben der Gnade Gottes – für ein annäherndes Innewerden und für eine leise „Erklärung“ der Seele Jesu mit ihren wunderbaren Eigenschaften, deren „Trägerin“ die zweite göttliche Person war.

3916 |        Auch in der „gewöhnlichen“ Menschenseele gibt erst die höhere, geistige Entwicklung zu Gott hin der menschlichen Verbindung von Leib und Seele die wahre Erfüllung ihres Zweckes und die rechte, dem Menschen zukommende „Lebendigkeit“; wenn diese Verbindung ausschließlich oder vorwiegend nur den materiellen Lebenszwecken dient, bleibt es im Grunde eine „tote“, oder für das wahre Lebensziel des Menschen unfruchtbare Verbindung. Selbstverständlich dient die Seele auch dem natürlichen Leben (– weil sie an den Leib und der Leib an sie „gebunden“ ist –), aber sie offenbart sich selbst ihr eigentliches und höchstes Ziel dadurch, dass sie sich ihrer Fähigkeit bewusst wird, zur Erkenntnis (und zwar zu einer ständigen steigernden Erkenntnis) ihres Schöpfers und Gottes zu gelangen und zu diesem Zwecke ihre höchsten geistigen Anlagen zu entfalten. Je mehr die Seele diese geistigen Anlagen zur Entfaltung kommen lässt, desto mehr wird sie damit auch dem Wesen Gottes gleichsam „näherkommen“. Die Menschenseele „leitet sich ja ab“ von Gott, ihrem Schöpfer und Urbild, und ihre Geist-Fähigkeit ist gleichsam der „Quellpunkt“, aus dem ihr die Möglichkeit und die Kraft zufließen, um zur Erkenntnis Gottes zu gelangen. Je mehr sie ihre „Geistfähigkeit“ und ihre Geistigkeit vervollkommnet, d. h., je mehr sie zur „Freiheit“ und Herrschaft gegenüber dem Materiellen kommt, desto mehr ist sie auch fähig, „Gott zu erkennen und zu erfahren“. – Auf diesem langen Weg der Freimachung und Vergeistigung der menschlichen Seele wird aber auch die Materie des Leibes und seiner Kräfte mehr „geistfähig“, d. h., es entwickelt sich damit eine entsprechend wunderbare Harmonie, die das Ganze des menschlichen, uns zu Gott führenden „Erkennens“ und der entsprechenden „Erkenntnisweise“ ergibt; denn auch im höheren und höchsten Stadium des Aufstieges einer Seele gibt es keine Trennung oder Teilung zwischen Seele und Leib. Der Leib geht vielmehr entsprechend „mit“ und teils die Interessen des Geistes. Darum gehen Vervollkommnung des Geistes und Vergeistigung des Leibes im Menschen in einem wahren Sinne Hand in Hand. Durch eine „Höherstellung“ der Seele steigt auch die entsprechende Anteilnahme des Leibes, der auch irgendwie dem Geistesflug der Seele gehorchen und folgen muss. –

3917 |        Wer das leugnen wollte, der würde nur beweisen, dass er die höhere Gefügigkeit und „Vergeistigung“ des Menschenleibes und seine Kräfte nicht kennt, dass er die wunderbaren Früchte einer beharrlichen „Aszese“ nicht ausprobiert und erfahren hat; denn auch der Leib kann – wenn auch in langer und harter Übung der Selbstverleugnung – zu einer höchsten Gefügigkeit und Dienstbarkeit gegenüber den Forderungen des Geistes gebracht werden. Der Leib verkümmert nicht durch die rechte Anwendung der seelischen Aszese, sondern er verfeinert sich, wird geistfähiger und folgt williger den Anregungen und dem Willen des Geistes. So kann auch der Leib schon in diesem Leben mithelfen oder ein Hilfsmittel werden zu höherer Gotteserfahrung; denn die Seele kann im Allgemeinen in diesem Leben nichts tun ohne Mitbetätigung des Mittels und Werkzeuges des Leibes.

3918 |        In Christus nun nahm die höchste Geist-Hörigkeit, Geist-Sichtigkeit und Geist-Fühligkeit seiner Seele das Wesen der göttlichen Person gleichsam als ihr „Objekt“ auf und wurden die göttlichen Vollkommenheiten mittels der Anlage der Seele zu einem menschlichen Ausdruck und Ausleben gebracht. In ihm wurden die Anlagen der Seele ihrem höchsten und ersten Zweck zugeführt und dienstbar gemacht, d. h., sie wurden in den erhabensten „Dienst-Gottes“ gestellt. – Dementsprechend war in ihm eine solche Hochstellung von Geist und Materie (vollkommenster Geistigkeit der Seele und entsprechende Vergeistigung und Gefügigkeit der leiblichen Kräfte), dass beide in voller Harmonie der göttlichen Person zu Diensten waren, d. h. mit anderen Worten: Das Wesen der göttlichen Person lebte sich in einer entsprechenden wunderbaren Harmonie des „Menschenlebens“ aus. Nicht, dass die Forderungen und Bedürfnisse der Leib-Natur unterdrückt worden und Christus ein einseitiger Geist-Mensch gewesen wäre; nein, trotz der höchsten „Geistigkeit“ und Vergeistigung seines ganzen menschlichen Daseins war vielmehr Christus wahrer Mensch, dessen Menschheit freilich zur höchstmöglichen Entfaltung ihrer gottgegebenen Anlagen gelangt war, deren sich die göttliche Person selbst bediente. In Christus herrschten darum höchste Lebendigkeit und Verfeinerung des Geistlebens und des geistig-leiblichen Empfindungslebens. Auch in ihm tat die Seele (und damit die göttliche Person als deren „Trägerin“) nichts ohne das Mittel oder Werkzeug ihres Leibes, und Christus war in allem, im Einzelnen wie im -Gesamten, Gottmensch durch das Mittel seines Leibes.

3919 |        Man sollte darum den Wert und die Fähigkeiten des materiellen Leibes nicht unterschätzen, wenn sich sogar der Gottmensch dessen bediente und seine wunderbaren Fähigkeiten damit ausgeübt und ausgelebt hat. Heidnisch aber ist es, den Leib an die erste und oberste Stelle zu setzen und damit nicht bloß die Seele zu entwerten und zu versklaven, sondern auch den Menschenleib zu entwürdigen und sozusagen dem Tiere gleichzusetzen. Christus hat uns den Wert der gesamten menschlichen Natur und ihre hohe Anlagen gezeigt; er hat die menschliche Natur geheiligt und ihre hohe Brauchbarkeit erwiesen. Auch für das religiöse Leben sollten darum die Fähigkeiten der gesamten menschlichen Natur höher gewertet und mehr verwertet werden, insofern sie auch Mittel zur Gotteserkenntnis werden sollen, da ja der Schöpfer den Menschen zu dem hohen Ziel der Anschauung Gottes bestimmt hat. Möchten doch alle Christen die hohen Kräfte ihrer menschlichen Natur herausholen, freistellen und veredeln, damit dies nicht erst in der Ewigkeit in den Schmerzen eines göttlichen Feuers nachgeholt werden muss! Wenn auch der Leib in der Verwesung nicht mehr leiden kann, so muss doch die Seele die auf das Fleisch zurückgehenden Mängel büßen und sie muss im anderen Leben leiden wegen der niederen und gottfremden Sinnlichkeit des Leibes, den sie nicht unter die Zucht eines gottgeführten Geistes gebracht hat. Im anderen Leben muss dann der Zwiespalt getilgt werden und die Seele muss büßen für die Trägheit und Nachlässigkeit des Leibes, der sie zum Opfer gefallen ist. – Ebenso genießt aber die Seele auch im Himmel gleichsam mit ihrer „gesamten menschlichen Natur“. Schon in der Zeit vor der allgemeinen Auferstehung genießt die Seele auch eine Beglückung, die auf das gut benützte Mittel und Werkzeug des Leibes zurückgeht. Wenn der Leib auch seiner Natur nach bis zur endlichen Auferstehung fern von der Seele ist, so erfährt die Seele doch die Empfindungsfähigkeit der menschlichen Natur, mit der sie ihr menschlich-materielles Dasein gelebt hat. Die Seele bewahrt im Jenseits die ihr zustehende „menschliche Empfindungsfähigkeit“, ob diese ihr nun zum Lohn oder zur Strafe wird. Niemals bleibt der „Geist allein“, sondern der Mensch bzw. die Seele erfährt sich als naturhaft zugehörig zum Leib und zu den entsprechenden Empfindungen. Auch Christus ist in seiner ewigen, göttlichen Glorie Gott mitsamt seiner menschlichen Natur, wenn diese auch in einem verklärten Zustand ist. Er ist nicht mehr jener „reiner Geist, wie er es vor seiner Menschwerdung“ war. – Wie hoch hat Christus die menschliche Natur durch seine Menschwerdung erhoben und welchen herrlichen Zweck hatte Gott bei der Erschaffung der Menschen! Diese Wahrheiten kann auch der Unglaube nicht entwerten, denn der Wert des Menschen ist in Gott begründet, und der Mensch hat darüber nichts zu bestimmen, denn er ist sich nicht selber „Eigentum“, sondern Eigentum Gottes.

3920 |        Der Mensch muss sich seinen „Gottesbegriff“, entsprechend seiner ewigen Bestimmung, persönlich formen und er kann dies auf dem Weg über sein eigenes Wesen. Wie die Ordnung Gottes insofern „über den Menschen“ geht, als der Mensch in dieser Ordnung als Herr der Schöpfung vorgesehen ist, so geht jede rechte menschliche Ordnung hin zu Gott, und zwar auf dem Weg über Gott. Das gilt schon von den äußerlich kundgebbaren Gottesbegriffen, mehr noch aber von dem inneren, geistigen Gottesbegriff, denn Gott gibt sich immer dem Geiste der Seele zu erkennen und wir gehen mit den Kräften des Geistes zu Gott. Wir schließen mit dem Geiste und vom Geiste aus auf Gott, und zwar entsprechend unseren Geist-Fähigkeiten und entsprechend den Tatsachen, die uns Christus im Geheimnis seiner Menschwerdung geoffenbart hat – nämlich in der Zweiheit seiner Naturen (in der Einheit seiner Person), wobei die eine Natur durch die andere „erreichbar“ ist.

 

08.07.1947

3921 |        Was nennt man „Vollkommenheiten Gottes“? – Gott ist der unendlich große Geist, in dem alles ist, was groß, schön und edel ist. Wonach kann man aber diese „guten Eigenschaften“ bestimmen? – Nach den Objekten, auf die Gott diese, seine Eigenschaften anwendet. Und Gott hat seine Eigenschaften so vielmals angewandt, als es „Geschöpfe“ gibt; diese sind gleichsam das „Material“, an denen er seine Eigenschaften anwendet. Und er wendet sie so oft und so lange an, als irgendein Geschöpf besteht.

3922 |        Wie wird bewiesen, dass jedes „Dasein“ außer Gott von ihm ausgeht? – Dadurch, dass jedes Ding „einmal“ geworden ist, wie auch heute jedes Ding einmal wird. So muss auch jedes „Urding“ einmal einen Anfang gehabt haben, der seine „erste Herkunft“ bestimmt. – Aber wie kann man nachweisen, dass diese „erste Herkunft“ von Gott abzuleiten ist? – Die natürliche Vernunft weist nach, dass jedes Dasein irgendeiner Quelle entspringt, dass diese Quellen einen Urgrund haben, und dass auch heute noch jede bestehende Ordnung einen „Ordner“ hat. So muss jede anfangende Natur-Ordnung auch einer Ordnungsquelle entspringen.

3923 |        Aber warum nennt man diese Ur-Ordnungsquelle „Gott“, und was bedeutet überhaupt das Wort „Gott“? – Der Name Gottes besagt sein Wesen: In dem alles ist und durch den alles besteht. Er ist der „Alleinige“, der „Einzige“, zu dem es keine Beziehungen gibt, wenn er sie nicht will und schafft. Wenn Gott zu etwas „Beziehungen“ haben will, so schafft er sie, und so hat Gott sich „Beziehungen“ geschaffen durch seine Schöpfung. – Wie kann man aber beweisen, dass „Gott es ist“, der sich Beziehungen schafft? – Weil auch heute noch jedes Dasein seine Beziehungen hat und weil gar nichts existiert oder besteht, was nicht irgendwie zu einem höheren Wesen Beziehungen hätte oder nicht von ihm abhinge. Jede Natur-Ordnung geht und baut weiter bis ins Höchste und bis ins Kleinste; an dieser Tatsache kann niemand rütteln. Darum geht auch jede Ordnung der Natur letztlich auf einen ersten Begründer zurück. In dieser Natur-Ordnung weist jedes tiefere stehende Ding oder Geschöpf auf ein höheres hin und des herrscht offensichtlich in der ganzen Natur-Ordnung ein stufenmäßiger Aufbau von Ordnungen, von denen jede Einzelne wiederum auf eine höhere Stufe hinweist. So zeigt sich schon in der bloßen Natur-Ordnung ein unermesslicher Reichtum von Werten, die sich da zusammenfinden, zusammenballen und zusammen ordnen. All diese Werte weisen eine Fülle von Vorzügen auf und eine Unsumme von Kräften, von denen sie getragen und auf denen sie aufgebaut sind und die wiederum auf eine höhere Stufe hingeordnet sind. So ist z. B. jede Blume schon ein vorzügliches, und für uns unergründliches Gewächs. Es hat einen natürlichen Pflanzer und man kann sein Entstehen noch angeben, aber die Eigenheit seines Wesens, seiner besonderen Schönheit, seines „einmaligen Wertes“ können wir letztlich nicht ergründen. So finden wir letztlich1700 bei jedem Objekt etwas, worüber wir keinen Aufschluss geben können. Wir können z. B. dem nachgehen, was der Mensch macht, aber der Intelligenz, womit er es ausdenkt und ausführt, können wir nicht weiter nachgehen oder auf die Spur kommen. Und wie auch der größte Forscher selbst bei der einfachsten Pflanze im Grunde vor Rätseln steht, so kann auch der größte Menschengeist nicht ein Samenkorn hervorbringen, wenn nicht eine schon vorhandene Naturordnung es ihm schenkt. Und auch den Spuren dieser Naturordnung kann der Mensch nicht bis ins Letzte nachgehen; er muss immer wieder mit Möglichkeiten oder Hypothesen rechnen und steht dem Naturgeschehen oft rat- und hilflos gegenüber. Die Naturordnung im Ganzen und im Einzelnen steht hoch über ihn und seine Geisteskräfte reichen nicht einmal aus, um die niedersten Ordnungen zu ergründen, nämlich das, was er mit seinen leiblichen Augen sehen kann. Der Mensch kann wohl eine bestehende Naturordnung unterbinden, indem er z. B. den Samen nicht aussät, aber er nimmt sich damit nur seine eigene Existenzmöglichkeit und nimmt der Welt ihre Schönheit.

3924 |        Bei dieser Naturordnung handelt es sich nicht so sehr um das Sichtbare als vielmehr um den verborgenen und doch unleugbaren „Geist“ der Ordnung. In jedem Ding und Geschöpf, ob leblos oder lebend, waltet doch ein „Geist“, ein unsichtbares Sein, das ihm das Gepräge und die Eigenart gibt. Auch im einfachsten Sein und Ding offenbart sich schon eine bestimmte Eigenart, Abkunft und „Lebendigkeit“ oder Ordnung, die sich dieses Ding selbst nicht geben konnte, weil niemand (– und am wenigsten das Ding selbst –) diese Ordnung ergründen kann, auf die es doch gestellt ist. Wenn aber der Mensch, der doch das höchste Wesen in der sichtbaren Ordnung ist, diese Ordnung nicht bestimmen, nicht ergründen und ihr nicht nachgehen kann, so stand sie nicht von ihm und untersteht sie nicht ihm, sondern einer ganz anderen und hohen Weisheit, der jedes Dasein, ob vernunftbegabt oder nicht, zugeordnet ist; auch der Mensch selbst ist vielfach nur ein „Vertreter“ und Gegenstand dieser Ordnung. Wenn nun aber alle sichtbaren und unsichtbaren Dinge unleugbar einer einheitlichen letzten Ordnung zustreben, von der sie stammen und geleitet werden, so muss auch ein höchster Ordner da sein, weil in jedem bestehenden Ding ein bestimmter „Geist“, eine unsichtbare Wirkkraft waltet. Und der Ausgangspunkt dieser unsichtbaren, geheimnisvoll tätigen Kraft muss ein „großer Geist“ sein, weil jedes Ding und Dasein einen ordnenden Geist oder eine geistige Wirkkraft aufweist, durch die das Werden und Entwickeln und Geschehen – also unsichtbare, auf einen ordnenden Geist zurückgehende „Vorgänge“ – bestimmt, geleitet und erhalten wird. Die Unsumme der Dinge aber, ihre Mannigfaltigkeit, Schönheit und Wunderbarkeit weisen auf eine Urkraft, d. h. auf ein Wesen hin, in dem all die unzähligen Kräfte geistiger Ordnung enthalten sind; denn sonst könnten sie ihm nicht entströmen. So ist also „Einer“ der letzte Quellgrund alles Entstehens und alles Bestehenden, weil alle Dinge eine ordnende „Geistigkeit“ des Bestandes aufweisen, die kein geschaffener Verstand ergründen kann. Und weil niemand „Zugang“ zu jenem ordnenden Geist hat, weil niemand seine Taten ergründen oder seine Weisheit nachspüren oder ihn darin nachahmen kann, deshalb ist Gott der „Alleinige“, der Einzige und Höchste in dem alle Vorzüge unwiederholbar enthalten sind. – Wenn wir nun aber die gesamte Schöpfung mit all ihren unergründlichen Geheimnissen und im Hinblick auf ihren Schöpfer, Ordner und Erhalter betrachten, dann ergibt sich: Welche unvorstellbare Fülle und Unsumme von Macht und Schönheit, Kraft und Wunderbarkeit und Herrlichkeit ist in jenem großen, unendlichen Geiste enthalten, dem eine solche Mannigfaltigkeit und Wunderbarkeit entströmt, der allein alles dies erhält, wie auch jedes Ding durch ihn ins Dasein trat und besteht!

3925 |        Es ist also in der ganzen sichtbaren Schöpfung oder im Universum eine „bewegende und belebende Geistigkeit“ tätig und es sind Kräfte im Umsatz, denen kein menschlicher Intellekt nachspüren kann. Die ganze Natur ist von sogenannten „Naturkräften“ belebt, die man wie selbstverständlich voraussetzt und deren Ausgangspunkt man der Natur selbst zuschreiben will, ohne dies irgendwie beweisen oder erklären zu können. Man kann z. B. die Kräfte der Elektrizität zusammenfassen, benützen und einer bestimmten Tätigkeit zuführen und sie den Naturkräften einreihen, aber was das eigentliche Wesen und der Ursprung dieser Kraft ist, bleibt auch den Gelehrten ein Geheimnis. So beruht die gesamte Natur auf einer Ordnung, in deren tiefstes und letztes Geheimnis niemand vollends eindringen kann. Man kann wohl vielen Ursachen und Wirkungen dieser Ordnung nachspüren, aber man kann ihr eigentliches Wesen nicht ableiten. Schon diese Tatsache zeigt die Beschränktheit des Menschengeistes, dem nur ein bestimmter, geistiger Raum zugewiesen ist und der sich immer wieder vor etwas Höherem findet, in das er nicht eindringen kann. So muss er immer wieder sehen, dass „ober ihm“ eine Ordnung und Kraftquelle waltet, der er selbst untergeordnet ist und der gegenüber sein eigenes Dasein sehr „unvollkommen“ ist.

3926 |        Aber gerade diese erkannte Unvollkommenheit seines Daseins lässt den Geist des Menschen auf Höheres schließen, denn des Menschen Leben und Geist strebt naturgemäß etwas Vollkommenes1701, etwas absolut Vollkommenem zu. In sich selbst findet der Mensch dieses absolut Vollkommene nicht; er muss sich stets mit Teilvollkommenheiten und Teilerfolgen zufriedengeben, und doch strebt der ganze Aufbau des menschlichen Daseins und Wesens einer Entfaltung und Entwicklung zu, die ihm zu etwas restlos Vollkommenen führen soll. Woher hat der Mensch diesen Drang? – Das unvernünftige Tier hat ihn nicht; wenn auch einige Tiergattungen eine bestimmte Fähigkeit zu einer gewissen Vervollkommnung durch äußeren Drill haben – wessen sich der Mensch dann bedienen kann –, so kann doch bei ihnen von einem Streben und Drang nach größerer Vollkommenheit keine Rede sein. Im Menschen ist also eine „höhere Zugkraft“, die sein Dasein zu einer immer höheren Entwicklung und Entfaltung zu führen strebt, sei es, dass er immer mehr die bestehenden Naturkräfte auszunützen sucht, sei es, dass er sein eigenes Wesen veredeln und einer größeren, persönlichen Vervollkommnung zuzuführen strebt. Es ist auch ein großer Irrtum zu glauben, dass ein Mensch in moralischer Niedrigkeit sich zufrieden fühle – auch wenn dies jemand nach außen vorgibt und wenn er die Stimme der aufstrebenden Menschennatur zu ersticken sich bemüht, die ihn doch zur höheren Vollendung ruft und drängt. Jeder Widerstand gegen diesen Ruf verursacht aber im Inneren des Menschen einen Zwiespalt und gleichsam eine Kluft, die ihn von der wahren Wirklichkeit seiner Bestimmung trennt. Nie kann ein Mensch innerlich ganz zur Ruhe kommen, wenn er nicht dem besseren Erkennen und höheren Streben folgt, und durch klare, geistige Zustimmung zur moralischen Unordnung gräbt er sich schon in diesem Leben das Grab seines Glückes. – Der Mensch kann also aus einer gewissen, klar gezeichneten Ordnung, aus bestimmten Grundlinien nicht heraus, ohne in Verwirrung, Unordnung und Unruhe zu geraten. Dabei ist das Bemerkenswerte, dass diese „Grundlinien“ bei allen Menschen gleich verlaufen; da gibt es kein Abweichen je nach Nation oder Farbe oder Geschlecht. Auch wenn die Menschen durch Welten und Meere voneinander getrennt sind, trägt doch jeder Stamm und jede Volksklasse im Grunde das gleiche Gesetz des Strebens in sich. Woher kommt diese Gleichheit der Gesetze, welche die ganze Menschheit beherrschen? Wer ist deren Urheber, auf den eine solche Einheit von Anordnungen zurückgeht? Wahrhaftig, ein „Geist“, der solches zustande bringt, muss eine „allseitige Überschau“ sein Eigen nennen. Bei der Verschiedenartigkeit der Menschen brächte es ein irdischer Gesetzgeber niemals fertig, Normen für alle Untertanen aufzustellen, die für alle Menschen gleiche Verpflichtung und Bedeutung haben könnten; die menschlichen Gesetzgeber müssten eine klare Scheidung von Gesetzgebung aufstellen, und müssten für die einzelnen Fälle vielfache Vorsorge treffen. In jener höchsten, allgemein-gültigen Gesetzgebung hingegen herrscht vollkommene Einheitlichkeit, ebenso in der vernunftbegabten wie in der vernunftlosen Daseinswelt. Darum erkennt auch der einzelne Mensch klar die an ihn gestellten Forderungen, und es erfüllt ihn ein „Geist“ des Friedens, wenn es diesen Forderungen zustimmt. Und diese Forderungen gehen in allen einzelnen Menschen den gleichen Weg, sodass die Erfüllung dieser geistigen Forderungen und Vorschriften auch eine wunderbare Einigkeit und gegenseitiges Glück unter den Menschen begründen kann. Jedes Abweichen von diesen geistigen Normen gefährdet darum auch das Glück und Wohlergehen der Menschheit, ob es sich nun um einzelne Menschengruppen oder um ganze Völker handelt. Das „göttliche Geistesgesetz“ macht nicht Halt vor Nationen; es ist vielmehr ein allgemeines Gesetz der Ordnung, das sich aber in erster Linie im inneren, geistigen Gebiet der Menschen abspielt und erst durch die Folgen der inneren Einstellung des Menschen sich nach außen auswirkt – während die menschlichen Gesetzgebungen das Innere nicht erfassen können. Die Wirkungen nach außen zeigen und offenbaren die innere Einstellung des Menschen zu jener allgemeinen Geist-Ordnung, die jedem Menschen die sittlichen Grenzen steckt, innerhalb derer er sich bewegen soll, damit dadurch auch das Verhältnis untereinander schön und geordnet sich gestaltet. Darum hängt von der inneren Einstellung zu jener Geist-Ordnung das Wohl der gesamten Menschheit ab. – Der Inhalt dieser Geistordnung lehrt auch den einzelnen Menschen, von welchen Normen er sich bei all seinen Handlungen leiten lassen soll, an welche Richtlinien er sich in seinem persönlichen Verhalten zu sich selbst halten soll. In diesem persönlichen Verhalten entdeckt der einzelne Mensch in sich immer höhere steigernde Forderungen, die ihn in seinem inneren Wesen ständig verbessern, seinen geistigen Gehalt und Wert erhöhen und ihn zu einer vollen Ordnung und Harmonie in sich selbst führen sollen, die ihm das volle Glück verspricht.

3927 |        Auch in dieser Hinsicht entdeckt der Mensch sich eine gewisse Unersättlichkeit. Er findet in sich selbst kein rechtes Genügen, es sei denn, dass er gleichsam über die Grenzen seines eigenen Seins hinaus will, um Ruhe und volles Genügen in einem höheren, unvergänglichen Wesen zu suchen. Dieses dauernde Glückssuchen ist jedem Menschen angeboren und zeigt ihm die „Unvollkommenheit“ seines Daseins, das in sich den Drang hat, zu etwas Höherem und Dauerndem voranzuschreiten; denn es steht im Menschen und für den Begriff des Menschen fest, dass es für ihn doch einen endgültigen Ruhepunkt geben muss. So offenbart sich im Menschen eine gewisse „Geist-Beherrschtheit“, eine Abhängigkeit von einem überlegenen Wesen, die er nie ganz abschütteln kann. Es ist ein Gott-Ahnen im Menschen, das Suchen nach einem Objekt, an das er sich binden könnte, um in ihm sich eine „Dauerstellung“ zu begründen. Der Mensch kann „dieses Wesen“ eigentlich nicht nennen, er hat keinen rechten Namen dafür, aber es enthält die Fülle alles „Guten“, woraus der Mensch schöpfen möchte. Aus diesem „unbekannten“ Wesen fühlt er seine Geist-Ordnung fließen, und „dieses Wesen“ kann ihm heimisch werden, wenn er sich in die Linie dieser Geist-Ordnung einfügt. Und jedes Menschenleben ist nach dem Glück und „Guten“ ausgerichtet, auch wenn es vermeintlich „Gutes“ und Glückbringendes im minderen Guten sucht und zu finden glaubt.

3928 |        Das ganze Universum ist von einem Geist der Ordnung belebt und beherrscht, der insofern unabhängig ist vom Menschen und „außerhalb“ des Menschen steht, als der Mensch selbst diese Ordnung nicht bestimmen kann. Schon in den sichtbaren und physischen Vorgängen der Natur waltet eine geheimnisvolle, wunderbare Betriebs- und Grundkraft, in der alles seinen Ausgangspunkt und seinen Ablauf findet. Wenn man die unermessliche Fülle und Vielfalt alles Geschehens im Universum bedenkt, und die einheitliche Ordnung in der Vielheit des Daseins und in den ungezählten Bewegungen und Einzelkräften betrachtet, so ergibt sich notwendig der Schluss auf ein höchstes Wesen, in dem und durch das alles besteht. Und welche Unsumme von Gutem, von Macht und Herrlichkeit und Kraft offenbart dieses Wesen! Die Leitung dieses gesamten Geschehens kann man aber nicht einem beschränkten Wesen mit einer einseitigen Tätigkeit etwa nach der Art des menschlichen „Nacheinanders“ zuschreiben; denn ein solches „Nacheinander“ (– d. h., dass immer nur eines nach dem anderen denken, tun und schaffen kann –) würde niemals genügen für einen solchen unermesslichen Umfang und Reichtum von gleichzeitigem und immerwährendem Geschehen. Darum muss in jenem höchsten ordnenden Wesen eine unermessliche Überfülle von Macht sein, wodurch alles auf einmal geschieht und geleitet wird, und zwar im Augenblick seines Wollens; mit anderen Worten: Jenes Wesen muss „die Allmacht“ sein, dass nichts anderes dazu imstande wäre.

3929 |        Und dieser Schluss besteht wirklich zurecht; denn jenes Wesen offenbart sich durch Tatsachen, die in der unserer Vernunft zugänglichen Ordnung sich vollziehen, die durch unsere Vernunft tatsächlich bewiesen werden, sodass unsere Vernunft auf jenes höchste Wesen schließen muss, das allein zu all dem fähig ist.

3930 |        Zu dem herrscht in all diesem unermesslichen Geschehen des gesamten Universums die größte Umsicht und Weisheit, in dem alles bis ins Kleinste vorbedacht und berechnet scheint, und zwar auf unabsehbare Zeit hinaus. Das ist wiederum keinem Menschen noch irgendeinem Wesen möglich, wie wir sie kennen. Darum nennen wir jenes höchste Wesen die unendliche Weisheit, weil ein unendliches Wissen notwendig ist für jene Ordnung des Universums.

3931 |        Ferner liegt dem gesamten Geschehen im Universum deutlich ein letzter ausschlaggebender Plan (des Wohlwollens) zugrunde, der auf das Wohlergehen, das Glück und die Beseligung aller Dinge und Wesen hinzielt, weil alle bestehenden Ordnungen immer auf das Wohl der Geschöpfe – bis zu den Menschen herauf – und auf ihre gegenseitige Freude und Beglückung ausgehen. Nun ist aber jedes Wesen, das wir kennen, viel zu klein und zu beschränkt, um all dieses Wohlwollen in sich zu tragen und zu spenden. Darum ergibt sich der Schluss auf ein höchstes Wesen, in dessen Sein und Bestand alles Wohlwollen, das sich in den ihm unterstehenden Ordnungen und Geschöpfen findet, schon in Fülle vorhanden ist. Und wir nennen jenes höchste Wesen die „unendliche, ewige Liebe“.

3932 |        Außerdem finden wir im ganzen Geschehen des Universums eine menschlich unerklärbare Einheitlichkeit. Alles scheint aus „einer gleichen Quelle“ zu strömen; jeder Ordnung ist die ihm zukommende Fülle zugeteilt, jedes Ding steht an dem rechten Platz, jedem Dasein ist das ihm Passende und Gebührende geboten und – wenn alle das bestehende Geistesgesetz erfüllen – hat auch jedes Geschöpf und jeder Mensch die ihm zustehende Freiheit der Betätigung, und ist für alle genügend Raum vorhanden, um ihre Anlagen und grundgelegten Kräfte zu entfalten und auszuleben. Nun kennen wir wiederum kein Wesen, dass eine solche Fülle und Weite von Reichtum und Freiheit aufweist, dass es so allem Geschöpflichen sein Recht zusprechen könnte. Darum muss es ein höchstes Wesen geben, das groß genug, mächtig, weise, wohlwollend und liebend genug ist, um eine solche Fülle des Guten und der Werte auszuteilen und recht zu verteilen und zu ordnen. Wir nennen dieses Wesen die göttliche „Gerechtigkeit“. – „Gott ist gerecht“ heißt ja: Er spricht jedem Wert sein Recht zu. Und dieses universelle Zusprechen des gebührenden Rechtes vollzieht sich jedem Geschöpf gegenüber, indem allen Geschöpfen in jeder Ordnung das zugesprochen ist, was ihnen zukommt: In der vernunftlosen Ordnung ist Raum und Nahrung usw. für alle; in der vernunftbegabten Ordnung ist alles gegeben, was zur Entfaltung der Anlagen und Kräfte dient; in der moralischen Ordnung ist für jeden das Recht auf die Freiheit der Betätigung vorgesehen usw. – Und diese wunderbare Ordnung lässt sich wiederum mit unserer Vernunft beweisen; deshalb kann auch unsere bloße Vernunft auf einen allerhöchsten und unendlich gerechten Ordner schließen, weil ja jeder Mensch und jedes Geschöpf unfähig wäre für alles dies, was im Universum sich zuträgt. In und durch Gott ist aber alles an dem ihm zustehenden Platz und in der rechten Wertung und Entscheidung.

3933 |        Und weil in Gott alle diese Güter in höchster Fülle und Ordnung vorhanden sind, nennen wir sie die „göttlichen Eigenschaften“; und weil in diesen göttlichen Eigenschaften alle Arten des Guten und Vollkommenen vorhanden sind, sagen wir „die göttlichen Vollkommenheiten“. – Die Einheitlichkeit der Richtung aber, in der sich alle bestehenden Ordnungen vollziehen, die Klarheit der Beziehungen in der Gesetzgebung, welche die gesamte Geschöpflichkeit oder das gesamte Universum aufweist, zeigt uns, dass alles Bestehende nur von einem solchen höchsten Wesen regiert wird, und dieses Wesen ist der Einzige, der Alleinige, durch den alles besteht, der eine Gott, von dem alles abhängt. – Würde man mehrerer solcher Ordnungen entdecken können, so könnte man an eine Mehrheit solcher beherrschender und ordnender Wesen denken, aber jeder Forscher wird und muss die Einheitlichkeit aller bestehenden Ordnungen zugeben; denn alle gesetzgebenden Normen und Bewegungen treffen sich in dem einen Ziel und Folgen nur einem Plan; und deshalb ist der Ausgang aller Bewegungen, die wir erforschen können, und die Ordnung alles Geschehens nur einem herrschenden Wesen zuzuschreiben, dem einen, allmächtigen, all weisen, ewig Liebenden und gerechten Gott, zu dem alles wieder zurückfindet, um in ihm das letzte und höchste Genügen zu finden; denn er hat sich bei all seinen Werken das eine Ziel gestellt: dass er allein Ausgangspunkt, Ursache, Rückkehr und Ziel und unendliche1702 Beglückung und Seligkeit sei.

3934 |        (Nachtrag von früher) Heiligkeit ist die erreichte Ordnung des Guten. Wirklich Heilige sind jene, welche die Kämpfe um die Sittlichkeit oder um die Tugenden schon überschritten haben und in denen das Gute schon zur festen Ordnung ihres Lebens geworden ist.

3935 |        Die menschliche Natur Christi, obwohl höchst vollkommen, war doch ein endliches Wesen und konnte deshalb nicht ohne Weiteres ununterbrochen an den unendlichen Eigenschaften der göttlichen Allwissenheit und Allmacht teilnehmen. In der gottmenschlichen Ausübung dieser Eigenschaften bei den Wundern Jesu bedurfte es daher eines göttlichen Willensaktes, d. h., eines augenblicklichen Wollens der göttlichen Person zur Teilnahme seiner menschlichen Natur an diesen göttlich-unendlichen Eigenschaften. So konnte Christus an sich jederzeit seine göttlichen Eigenschaften auch in Wundern ausüben und nichts, auch nicht die Menschwerdung oder das Menschsein, hinderte ihn daran, aber es war doch jedes Wunder und jeder Akt der Ausübung seines göttlich unumschränkten Wissens und Wollens durch seine menschliche Natur ein besonderes, durch sein göttliches Wollen bewirktes Teilnehmen seiner menschlichen Natur an seiner göttlichen Allmacht und Allwissenheit, denn Jesus tat all seine Werke mithilfe und mit den Kräften oder mit dem Mitwirken seiner menschlichen Natur.

3936 |        Die Seele Jesu hatte das vollkommenste menschliche Wissen, das sich denken lässt und das geeignet war, mit dem „göttlichen Wissen“ harmonisch zusammenzugehen, aber sie hatte nicht dauernd das „göttliche Wissen“, außer dem göttlichen Bewusstsein des Gott-seins. Zur Teilnahme an der göttlichen Allwissenheit vonseiten der menschlichen Natur Jesu bedurfte es eines augenblicklichen Wollens der göttlichen Person, wodurch das menschliche Wissen der Seele Jesu in das göttliche Wissen hineingezogen wurde. Das Wissen um sein Wesen ist eine wesentliche göttliche Eigenschaft, die Christus darum auch als Mensch nicht aufgeben konnte. Das Wissen um sein Gottsein war daher ein dauernder, ununterbrochener Zustand auch in der Seele Jesu von der Menschwerdung bis zu seinem Tode. – Ein ständiges Teilnehmen an der göttlichen Allwissenheit hätte aber in der Seele Jesu die Auswirkungen der Leidensfähigkeit verhindert. Es war also in Christus zweierlei Wissen: das „sich bewegende“, veränderliche Wissen als Mensch, das der Vollkommenheit seiner Seele entsprach – und das „unbewegliche“ oder göttliche Wissen.

3937 |        Auch ein Zustand höchsten, übernatürlichen Wissens, wie er z. B. im mystischen Gotterkennen gegeben ist oder in einer Seele, in der mit sittlicher Vollkommenheit auch ein entsprechend hohes Wissen verbunden ist – wie es in der Paradiesesseele war und in noch gesteigertem Maße in Maria – auch ein solch hoher Zustand bleibt immer ein menschlich beschränktes Wissen, das in eigenen Akten durch die mitwirkenden Seelentätigkeiten „erzeugt“ und ihnen zugeteilt wird; denn auch bei dem „schauenden“ Wissen ist die Seele „mittätig“. Göttliches Wissen aber ist „unerzeugt“ und unumschränkt. Zur Teilnahme der Seele Jesu an diesem Wissen bedurfte es eines Aktes des Willens der göttlichen Person; und auch wenn in der Seele Jesu ein dauernder Zustand des1703 Wissens vorhanden war, so waren es sozusagen „doppelte Akte“, d. h., das menschliche Wissen der Seele Jesu wurde in das göttliche Wissen mit hineingenommen. Es war dann nicht ein seiender, göttlicher Zustand, sondern ein gott-menschlicher.

3938 |        Das Wissen der reinen Paradiesesseele, ebenso wie die Art ihrer Empfindung entsprach ihrem sittlichen Vollkommenheitszustand. Es handelt sich hierin um Feinheiten der Seele, die unserer Seele im gefallenen Zustand abhandengekommen sind. Wie die Seele „fein“ war, so waren auch die Empfindungen des Leibes entsprechend „fein“, denn das Empfinden war ein Akt der den Leib durchdringenden Geistigkeit der Seele, und diese durchdringende Geistigkeit war hingeordnet auf das höchste Ziel der Seele, auf das Erfassen und Erfahren des Wesens Gottes. Die Feinheit der Seele im mystischen Gotterfahren bietet einigermaßen eine Erklärung für die Feinheit und Empfindungsfähigkeit der ersten Seele. Nur im mystischen Gnadenleben leuchten diesbezüglich noch Spuren jenes ersten Zustandes auf; denn im mystischen Zustand des Gotterkennens wird die Seele in ihre höchste Betätigung versetzt und kommen ihre höchsten Anlagen und Fähigkeiten zur Anwendung und zum Durchbruch.

3939 |        Die Bewusstwerdenskräfte der Seele Jesu betätigen sich sowohl der göttlichen Person wie dem menschlichen Erfahrungsleben gegenüber substantiell-intuitiv – oder wesentlich durchdringend, nicht zuerst von der Intelligenz „begutachtet“; denn Christus war in seinem Empfindungsleben und gegenüber den äußeren Einflüssen „unfehlbar“.

3940 |        Die Seele Jesu als geschaffenes Wesen erlebte ebenso die göttlichen Vorzüge der Person, wie die göttliche Person die menschlichen Erlebnisse in sich aufnahm. Um diese aber in menschlicher erlebter Form aufnehmen zu können, waren die seelischen Bewusstseinskräfte tätig; diese führten die menschlichen Erlebnisse in einem menschlich abgewogenen und gebildeten Fühlen und Empfinden der göttlichen Person zum Erleben vor. Gott konnte in seinem göttlichen Wesen – infolge des Wesensunterschiedes – nicht „menschlich fühlend“ sein.

 

XX.XX.1947

Verschiedenes

3941 |        Sowohl die „erworbene“ wie die eingegossene Beschauung verlangt und setzt beim Empfänger voraus eine persönliche erworbene Selbstbereitung dafür. Immer empfindet die Seele die mystische Gotteserkenntnis aber als ein reines und freies Geschenk Gottes, als ein göttliches Entgegenkommen, etwa so, als trete Gott aus einem Dunkel hervor und als gieße er selbst sein göttliches Licht aus über die Seele, auf dass sie ihn damit erkenne. In jedem Fall hat die Seele das Empfinden von etwas Geschenktem und Gegebenem und nicht etwa von etwas Selbsterworbenem. Diese Erfahrung wiederholt sich bei jeder erneuten mystischen Gnade.

3942 |        Die hypostatische Vereinigung „setzt sich zusammen“ aus den Fähigkeiten der beiden Naturen, der göttlichen und der menschlichen Natur, wobei die Fähigkeiten beider zur Geltung kommen. Nicht nur die göttliche Natur betont ihre Rechte und ihr eigenes Seinsprinzip, sondern auch die menschliche Natur behauptet und lebt das ihr zukommenden Geltungsrecht. Gerade in der menschlichen Natur Christi kommen die herrlichen, gottgeschaffenen Prinzipien und Anlagen der menschlichen Natur, vor allem ihre höchste Angleichungsmöglichkeit gegenüber dem göttlichen Prinzip, zur vollen Auswirkung.

3943 |        Wie viel näher könnten und würden die Menschen Gott kommen, wenn man die hohen, gottgeschaffenen Vorzüge der Menschennatur „zu Gott hin“ höher einschätzen, bzw. mehr erkennen wollte! Auch im katholischen Glaubensleben wird dieser Geltung der menschlichen Natur bzw. der prinzipiellen Hinordnung des Menschen zu Gott vielfach zu wenig Raum gegeben. Darauf geht zum großen Teil die Verheidung weiter katholischer Kreise zurück, insofern sich nämlich der Mensch als absolutes Eigentum seiner selbst betrachtet, praktisch seine natürliche Herkunft und Abkunft von Gott verleugnet und sich selbst als den tatsächlichen Inhaber und Herren seines Wesens betrachtet. Schon dieser „moderne Grundsatz“ der praktischen Leugnung der Abkunft des Menschen von Gott bringt eine Verzerrung der christlichen Anschauungen mit sich.

3944 |        Gott teilt seinen Geschöpfen die göttliche Natur niemals als Wesen mit, sondern als „Abglanz“ oder als „Ausstrahlung“; er teilt nicht seine Natur als Wesen mit – denn Gott ist seinem Wesen nach unteilbar –, sondern er teilt einen Abglanz aus der Fülle seines Wesens mit, und ein solcher Abglanz ist die ganze Schöpfung – ähnlich wie die Sonne immer Sonne bleibt und doch sonnenähnliche Kräfte ausstrahlt, sodass die Geschöpfe „teilhaben“ an der Sonne. Dabei ist sie wirklich „Sonne“, indem sie leuchtet und wärmt, behält aber doch ihr substanzielles Wesen für sich. Ebenso sehen wir in der gesamten Schöpfung zwei hauptsächliche Wirkungen oder Ausstrahlungen des Wesens Gottes: die Wirkung des Lichtes und die der Wärme. Jedes Geschöpf braucht zu seinem Dasein Licht und Wärme. Im vernunftbegabten Geschöpf wirkt zudem auch das Licht des Geistes, die Anlage zur Weisheit, die ein gewisses Ausstrahlen der göttlichen Weisheit ist.

 

Oktober

12.10.1947

 Ein Gottesbeweis: Nachbildung der Wesenselemente Gottes in der Schöpfung

3945 |        Das Leben des Gottmenschen ist zu einem „Ausdruck“ geworden, während das rein geistige Dasein Gottes im Sein besteht. Der „Ausdruck“ ist das Anzeichen einer „Bewegung“ oder „Formulierung“, um etwas in seinem Dasein Sichtbares, Greifbares, Konkretes darzustellen. Die Art des Ausdrucks entspricht dem inneren, ideellen Sein, und „Dasein“ heißt: In konkreter Wirklichkeit darstellen oder „vermitteln“, was vorher nur im geistigen oder ideellen Sein lag.

3946 |        Jede Idee seiner Sache geht ihrer Verwirklichung, dem Dasein voraus, und ohne dieses vorausgehende ideelle Sein gibt es keine konkrete Leistung (ähnlich wie ja auch das Samenkorn in seiner Entfaltung zur Pflanze abhängig ist vom „Wesen“ oder inneren Sein des Keimes). – Alles „wird“ in der Schöpfung von einem „Anfang“ aus, und wenn dieser Anfang auch nur die rein geistige Idee des Werdenden ist. Diese rein geistige Idee kann zur „Tat“ oder zum konkreten Dasein sich entwickeln durch irgendein Geschehen, das zum Antritt dieser Entwicklung oder Verwirklichung wird. Dabei muss irgendeine Veränderung eintreten, um eine an sich „tote“ Seinshaftigkeit (der Idee einer Sache oder eines Dinges) zu einer konkreten Entwicklung oder Verwirklichung kommen zu lassen. Für die geschaffene Welt ist ja jedes „Sein“ sozusagen „tot“, wenn es sich nicht zur Entwicklung und Verwirklichung erhebt. So sind die geistigen Ideen gleichsam wie schlummernde Kräfte, die irgendeines Antriebes harren, um gebraucht und verbraucht zu werden. Die Eigenart dieses rein ideellen Seins zeigt sich dann in der konkreten Verwirklichung als einer entwickelten Tatsache.

3947 |        In Gott ist das geistige Sein immer schon Wirklichkeit und Tatsache, weil es göttliche Wirklichkeit hat. Wirklichkeit erst ist vollkommenes Sein; Gott aber und nur Gott ist diese höchste Vollkommenheit eigen, dass sein ideelles Wesen zugleich höchste Wirklichkeit ist, dass in ihm alles seinshafte Wirklichkeit ist. – Wir Menschen können uns aber sehr schwer und unvollkommen eine seinshafte Wirklichkeit vorstellen, denn dazu müssten wir in das tiefste Wesen des „Seins“ eindringen können.

3948 |        Das ideelle „Sein“ ist gleichsam der „Anfang der Wirklichkeit“, insofern nämlich das tatsächliche Existieren oder Dasein die Verwirklichung des ideellen Seins ist. Gewiss hat der Mensch auch ein gewisses, gleichsam durch sich selbst wirkliches Sein in sich, nämlich gewisse unbewusste Seinskräfte, die eine tatsächliche Wirklichkeit entfalten und die ohne das Zutun des Menschen vorhanden sind, also eine „sich entwickelnde Wirklichkeit“, in der vorhandene Seinskräfte naturgemäß ihrer Bestimmung zustreben. Zu diesen „seinshaften Kräften“ im Menschen gehört in erster Linie das „Leben“ selbst. Aber auch diese „seinshaften Kräfte“ im Menschen haben einen „Anfang“, gleichsam einen „Keim“ als Grundlage, auf der jenes seinshafte, d. h. durch das Sein selbst geleitete Leben beruht und aufbaut.

3949 |        Nehmen wir einen voll entwickelten Menschen, in dem alle, ohne das Zutun des Menschen, gegebenen Anlagen vollkommen und ebenmäßig zur Entfaltung gelangt sind. Er konnte trotz der keimhaft gegebenen Anlagen nicht zu dieser normalen, vollen Entwicklung kommen ohne die „Umwelt“, die zu dieser Entwicklung behilflich und notwendig war. Trotz jener Anlagen besteht eben der Mensch aus weiteren „Bestandteilen“, die ihm teils die Umgebung, teils er selbst sich liefert. Auch die vollkommensten Anlagen eines Menschen können sich niemals zu einer selbstständigen Existenz emporringen, wenn nicht sowohl der Mensch selbst wie auch andere oder die Umgebung dazu helfen. Und hat so der Mensch sich zu einer Vollentwicklung durchgerungen, so braucht es eine beständige Mühe, um diese Vollentwicklung zu erhalten und um das Erworbene fruchtbar zu machen.

3950 |        Der Mensch kann sich auch deshalb eine vollkommene und dauernde Wirklichkeit sehr schwer begreiflich machen, weil er auch in seiner Einsicht und in seinem Denken an eine Entwicklung gebunden ist. Er kann zum Wesen des „Seins“ nur vordringen, indem er von den Wirkungen auf die Ursache schließt, also von dem, was „wird“, auf die Ursachen dieses Werdens, und indem er so auf eine „Grundkraft“ als „erste Ursache“ schließt. – In dieser „ersten Ursache“ liegen alle weiteren Ursachen des Werdens verborgen, denen unsere Begriffe schon näherkommen als der ersten Ursache selbst. Die Gesamtheit und die Fülle aller Ursachen und Entwicklungen geht zurück auf den Urgrund oder Urfaktor als auf die erste Ursache. Wir Menschen messen aber dabei jenes unergründliche Sein an dem entwickelten Dasein, das wir sehen und erfahren und unserem Verstande nahebringen können. Eine tatsächliche Vollentwicklung aller Ursachen würde uns darum leichter auf jenen ersten Urgrund schließen lassen.

3951 |        Wenn wir ehrlich und folgerichtig forschen nach der Eigenart des Urgrundes, aus dem alles Sichtbare und für uns Erfahrbare kommt, so stoßen wir ständig auf Ähnlichkeiten und Gleichheiten zwischen den geschaffenen Daseinswerten untereinander. Wir können überall drei Grundelemente feststellen: Licht, Leben und Bewegung. Schon in uns selbst tragen wir ein doppeltes „Licht“, das uns unsere Umgebung erkennen lässt: das des Leibes oder der Augen und das des Verstandes oder Geistes. Im Grunde ist dieses doppelte „Licht“ nur eines. Unser Leib bringt das Sehen des Geistes zum Ausdruck. Das Grundlegende und Höhere aber ist das Licht des Erkennens oder des Verstandes, das Geisteslicht, das uns hoch über andere Geschöpfe stellt. Das „Licht des Leibes“ oder der Sinne hat auch das vernunftlose Tier. Das Geisteslicht des Verstandes erlaubt uns aber auch die Verbindung mit der Übernatur, d. h., mit geistigen Ereignissen und Tatsachen, auf die unser Dasein hingeordnet werden kann. Mittelst des Verstandeslichtes kommen wir auch in geistige Verbindung mit anderen, ähnlichen Wesen, mit denen wir in einen geistigen Austausch treten können. Der Verstand des Menschen ist „geistverbindend“, umfasst alle ähnlichen Geschöpfe und bildet die Grundlage für eine gewisse Einheit mit ihnen.

3952 |        Die Auswirkungen des Geisteslichtes verhelfen auch zu dem einheitlichen Ergebnis oder „Erfolg“, dass der Mensch sich das Leben formen kann, es gestalten, erträglich machen, den Kontakt und die Verbindung mit seiner Umgebung bewahren, sich das Geistesgut seiner Mitmenschen zu eigen machen kann. Wo immer wir hinschauen, stoßen wir auf die gleiche, einheitliche Quelle des Geistes, auf das Licht, durch das sich jedes menschliche Dasein formt. Diese gewaltige, vielgestaltige und doch einheitliche Lichtquelle hat so ungezählte Daseinsformen, wie wir sie in Menschengeschlecht und in der Menschheitsgeschichte feststellen. Alle diese Lichtströme, die sich in den Daseinsformen aller Menschen zeigen, müssen daher einen gemeinsamen Quellpunkt oder Ausgangspunkt haben, indem sie wie in ihrem „Original“ enthalten sind. So ist der menschliche Verstand in Wahrheit wie eine Lichtzuteilung aus einer Lichtzentrale, in deren wesenhaftem Licht alles geschaffene Licht „enthalten“ ist. Die gesamte Schöpfung wäre „tot“, wenn nicht in ihr „Licht aus jenem Licht“ wirksam wäre. Für alles in der Schöpfung wirkende Licht gibt es nur einen „zentralen Speicher des Lichtes“, nämlich den wesenhaften Urgrund alles Lichtes, das Licht, das Sein und Wirklichkeit ist.

3953 |        Aus dem Licht nur kann auch „Leben“ kommen, das heißt, jene zielstrebige Bewegung und Entwicklung, die ein Bestehen und Fortschreiten der gesamten Schöpfung möglich macht. Und Leben ist gleichsam immerwährende Bewegung. Die Vielfalt unserer Lebensbetätigungen ist mitbedingt durch das Licht unserer Erkenntnis. Ohne „Licht“ können wir nichts tun. Erst das Wissen drängt zum wahren, bewussten, menschlichen Leben. Wo kein Erkennen ist, da herrscht tierischer, stumpfer Trieb. Die Geisteskräfte unseres Verstandes werden zur Geist-Lebensvermittlung für das gesamte Daseinswerk. – Übrigens gilt auch schon in der Ordnung der Natur: Das Licht des Tages gibt die Möglichkeit zu wirken, gibt Kraft und Lebensfreude. – So beruht die gesamte Schöpfung auf dem dreifachen Daseinsprinzip: Licht, Leben, Bewegung. Und dieses dreifache Seinsprinzip ist vorgebildet im Schöpfer. Gott ist nicht bloß das Licht und die unerschöpfliche Quelle des Lichtes. Er ist auch das Leben und der Ausgangspunkt alles Lebens. – Im Wesen Gottes kann man gleichsam zwei Arten von Leben unterscheiden: Das innergöttliche, dreipersönliche Leben, das heißt, den göttlichen Lebensaustausch zwischen den drei göttlichen Personen selbst – und das gleichsam ausströmende Leben, das zum göttlichen Schöpferakt wurde. Die gesamte Schöpfung ist darum ein gewisser Widerschein des innergöttlichen Wesens und Lebens, dem auch der göttliche Schöpfungsplan entsprang und entsprach. Weil Gottes Wesen Licht und lebendige „Bewegung“ ist, finden wir dieses dreifache Daseinsprinzip „Licht, Leben, Bewegung“ auch in der Schöpfung irgendwie nachgebildet.

3954 |        Kein Gelehrter kann, falls er bei der Schöpfung selber stehen bleibt, die Gesamtheit des Kosmos in wissenschaftlichem Sinne niemals aus den im Kosmos liegenden Kräften und Prinzipien allein ableiten oder erklären, und alle Wissenschaften haben bisher auch nicht den kleinsten Anhaltspunkt einer solchen Ableitung oder Erklärung finden können. Wenn man unbedingt absehen will, von einem höheren Prinzip als von den im Kosmos feststellbaren, steht man heute noch im gleichen Dunkel vor der Frage nach der Herkunft des Kosmos und seiner Daseinsprinzipien wie vor Tausenden von Jahren. Man kann wohl die verschiedensten Daseinsprinzipien für die großen und für die kleinsten Teile und Elemente des Kosmos finden, ja man beherrscht heute den Kosmos zu Wasser, zu Lande und in der Luft, aber die letzte, grundlegende Herkunft und damit das innerste Wesen all der Kräfte, deren Gebrauch sich die Menschheit heute angeeignet hat, kann der Mensch doch nicht finden, wenn er nicht vordringt zum Anfangsprinzip all dieser Kräfte und alles Seins, wenn also die Wissenschaft sich nicht aufschwingen will zu diesem Urprinzip, aus dem alles Sein, alles Leben und alle Bewegung kommt, das aber ein geistiges Urprinzip ist, das göttliche Leben und Sein selbst. Die gesamte Schöpfung geht von einem Urprinzip aus, das in Gott, dem Schöpfer selbst ist. In der ganzen Schöpfung gibt es kein anderswoher übernommenes Prinzip, keine diesbezügliche Fremdartigkeit und keine Fremdkräfte gegenüber dem Schöpfer, dessen Eigentum alles ist und dessen „Wesensart“ die Gesamtheit des Alls leitet und bestimmt. Deshalb werden alle Forschungen und Bemühungen, die das „Urprinzip“ des Alls zu entdecken [suchen], zu keinem Ziele führen, sondern die Forschenden in Dunkel und Ratlosigkeit lassen, solange sie das göttliche Urprinzip nicht annehmen wollen. –

3955 |        Es gibt einen Beweis für die göttliche Herkunft des Alls, und dieser Beweis ist Gott selbst. Nur wer zu diesem Urgrund vordringt, hat das Urprinzip des Alls entdeckt. Alle Kräfte des Kosmos münden in dieses Urprinzip, von dem sie ausgehen. Diesen ihren „Ausgang“ nennen wir die Schöpfung oder den Schöpfungsakt. – Im Besonderen geht das, was wir „Leben“ nennen, auf den Schöpfer zurück als auf dessen Urprinzip. Kein Gelehrter hat je einen anderen „Ursprung“ des Lebens entdeckt. Die Wissenschaft findet wohl viele „Urstoffe“, die sie aufteilt und ordnet, aber sie findet im Kosmos selbst die Urkraft nicht, durch die den toten Grundstoffen das „Leben“ eingehaucht wurde. Gewiss besitzt der Menschengeist in seinen Fähigkeiten großartige Instrumente, aber er kann das eigene Menschenleben nicht erklären ohne jene „Urkraft“, welche die Urstoffe lenkt, aus denen auch der Mensch zusammengesetzt ist. Und so führt das ganze Weltall zu einem „Lebensprinzip“, dass die Quelle alles Lebens und alles Seins ist.

3956 |        Ein kurzer Beweis dafür: Nimm die Urstoffe und Elemente alle zusammen, nimm die in ihnen enthaltenen Kräfte und Wirkungen, nimm alles Licht, das die Sonne spendet, nimm alles Leben, das sie weckt, nimm alle Lebensfreude, welche die Herzen froh macht und beglückt, nimm alles Gute, das der Wirklichkeit entströmt, nimm alle Verbundenheit des Seins, woraus die irdischen Bewegungen entstehen – und wenn du alles dies zusammennimmst, hast du damit das Urbild gefunden? Du wirst vielmehr finden: Im Überblicken und Erkennen dieser zusammengefassten Strahlen blitzt ein unermessliches Licht auf, von dem alle Helle kommt, an der wir uns freuen; alle Bewegungen des Seins auf Erden strömen letztlich aus von einer unermesslichen Kraft, aus der jede Bewegung strömt; alles Gelingen und aller Triumph, den das lebendige Dasein und das „Leben“ immer darstellt, kommt aus dem höchsten, unermesslichen Triumph und Gelingen, das da ist im göttlichen Rhythmus der heiligsten Dreifaltigkeit. Dort finden wir die drei Grundprinzipien der Schöpfung in göttlicher Art, im göttlichen Ineinander und Zueinander von Licht, Leben und Bewegung. Auch die Auswirkungen der göttlichen „Uridee“, die zugleich vollkommenstes Sein ist, das Ausströmen und Ineinanderströmen der Folgen des göttlichen Lichtes, Lebens und Bewegens geht jubelnd ineinander im göttlichen Verhältnis der drei göttlichen Personen. „In der Zeit“ wollte Gott-Vater die göttliche Uridee in sichtbaren Dingen nachbilden und in geschaffener Weise in lebensfähigen Wesen verwirklichen. Als Geschöpfe haben wir die göttlichen Seinsprinzipien als Möglichkeiten eines geschaffenen Daseins erhalten. Nur wenn wir so von den Wirkungen der Kräfte im Kosmos „zurückschreiten“ bis auf ihre letzte Ursache und Urkraft, können wir die ganze, unendliche Fülle der Urkraft erahnen und in anerkennender und anbetender Huldigung entdecken. Niemals wird der Wissenschaft ein anderes Tor in ihrem Fragen nach dem letzten Grund aufgehen; nur das persönliche Gottesbekenntnis kann alle Fragen lösen. Im dreipersönlichen Gott ist vorhanden und in der gesamten Schöpfung ist zum Ausdruck gebracht das Geheimnis des Wesens, dass auch unser Dasein ermöglicht und erklärt, denn wir leben von der Anteilnahme an der göttlichen Uridee und sind getragen von der göttlichen Grundkraft. – Die Schöpfung ist eine „konkrete Leistung und Darstellung des vorhandenen Seins“ eines Gottes, der dieses Sein gleichsam hinübergeschaltet hat in die Schöpfung, in der wir leben.1704

3957 |        Man kann – der Art der Wirksamkeit nach – nicht bloß eine zweifache, sondern eine dreifache Gnade unterscheiden: Eine „überwältigende“, eine „mitwirkend tätige“, eine „abgewiesene“ Gnade; das gilt in etwa auch für das gewöhnliche religiöse Leben, obwohl man das noch eher das Wirken der Gnade und des freien Willens unterscheiden kann (praktisch müsste jeder einzelne Fall für sich genommen und untersucht werden). – Eine überwältigende Gnade bietet im augenblicklichen Entschluss, auf das Licht und die Forderung der Gnade einzugehen, an sich keine Verdienstmöglichkeit, wohl aber liegt das Verdienst in der Übernahme der Konsequenzen der Gnade bzw. in der Ausführung der in der Gnade enthaltenen und unter ihrem überwältigenden Einfluss bejahten Forderungen. Es gibt aber auch Lagen, wo die Seele fortlaufend unter dem Einfluss einer tatsächlich wirksamen Gnade und doch in voller Freiheit und darum mit vollem Verdienst handelt. In dem einen Fall (der überwältigenden Gnade) tut die Seele das Gute mit dem Eindruck eines bestimmten Müssens, im anderen Fall (der tatsächlich wirksamen, mitwirkend tätigen Gnade) rafft sich die Seele vielfach stets wie aus eigenem, erlebtem Wollen zum Guten auf. Doch wer kann wissen, ob nicht auch in diesem Falle eine unfehlbar wirksame Gnade tätig ist, auch wenn die Seele aus eigener freier Entscheidung zu handeln scheint? Das absolute „Verdienst“ des Menschen kann man eigentlich nie angeben, weil man den Grad der „Freiheit“ nicht unterscheiden kann. Jede (psychologische) Freiheit ist aber an sich eine (moralische) Verpflichtung vor Gott und für den Dienst Gottes.

3958 |        In jeder Gnade liegt eine „Lockung“ vonseiten Gottes, das zugleich einen „Erfolg“ der Gnade in Aussicht stellt. Gewiss kommt es in diesem Augenblick für die Seele zugleich zu einem Überprüfen der „Rentabilität“ oder der verschiedenen Aussichten der Lage, in der sich die Seele damit befindet. Dabei kann es in manchen Fällen zu einer klaren (vielleicht selbstverständlich scheinenden) Entscheidung und Unterscheidung des Wollens oder Nichtwollens kommen. In anderen Fällen kommt es aber gleichsam für die Seele allein zur Entscheidung, indem sie wie von sich aus etwas riskiert oder wagt und auf sich nimmt; sie befindet sich dabei also in der Lage der niederen (aber deutlicher erlebten) Freiheit und hätte darum in diesem Fall an sich auch die größere Verdienstmöglichkeit. Die Erkenntnis aber, dass es gut und vorteilhaft ist, sich dem erkannten Licht und Gut hinzugeben, untersteht auch in diesem Fall einer tief verborgenen Gnadenwahl Gottes, in die kein Mensch eindringen kann. So kann es also auch sein, dass ein Mensch ständig wie aus eigenem Wollen sich zum Guten hinwendet, obwohl er unter dem Einfluss einer besonderen Gnadenwahl handelt, während eine andere Seele zu dem gleichen Ziele hin einer überwältigenden oder erkennbar wirksamen Gnade folgt (immer ist es der Herr, der das Wollen wie das Vollbringen gibt). Der gewöhnliche Weg ist der des guten Wollens aufgrund der Erkenntnis des Guten oder des Besseren, aber diese Erkenntnis und Einsicht ist schon eine Gnade, die nicht alle Menschen so oder nicht in solcher Klarheit haben. Jeder Mensch braucht auch zum guten Wollen eine „wirksame Gnade“ nämlich die, dass ihm das betreffende Gut wirklich „gut“ scheine. – Ein klares Beispiel der deutlichen, niederen Freiheit ist die Sendung des Propheten Jesajas: „Ich hörte die Stimme des Herrn: Wen soll ich senden? – Ich sprach: Ich bin bereit, Herr, sende mich!“

3959 |        So gibt es in den einen Fällen eine klare Abgrenzungsmöglichkeit des Wirkens der Gnaden nach den beiden Ansichten der Thomisten und Molinisten; in anderen Fällen bleibt das Wie der wirksamen Gnade unklar. Die Lösung wäre jeweils im konkreten, einzelnen Fall selbst zu suchen. Die Wahrheit liegt in der Mitte der beiden Ansichten, d. h., die beiden Theorien müssen ineinander genommen werden, um der Wahrheit nahezukommen. Die beiden Theorien dürfen aber nicht überspitzt, nicht ausschließlich genommen und nicht ins Extrem getrieben werden.

3960 |        Für das Streben des einzelnen Menschen soll nicht so sehr das Verdienst oder die Verdienstmöglichkeit das Ausschlaggebende Sein, sondern er soll sich in allen Fällen der Gnade unterstellen und diese als „wirksame Gnade“ wirken lassen. In den häufigsten Fällen kommt es darauf an, dass die Entscheidung und Bestimmung des Willens der Gnade offensteht, und in diesem Sinne sollte man auch die Lehre formen und darlegen. Eine im Hinblick auf die Gnade gleichsam „negative“ Ansicht, wonach nämlich der Wille immer in voller, ausdrücklicher „Freiheit“ handeln müsse, wirkt leicht entmutigend und lähmend auf den Willen ein. Wo die Menschen also immer nur zum Handeln in voll bewusster Freiheit und Verdienstmöglichkeit angelernt werden, da zeigt sich leicht ein in gewissem Sinne laues und „negatives“ Christentum. Die Bereitschaft aber, das Licht der guten Erkenntnis zu empfangen, das in jeder wirksamen Gnade enthalten ist, gibt der Seele eine höhere Schwungkraft und Leichtigkeit. Der Mensch möge sich also der Gnade Gottes wie einem sicheren Schiffe anvertrauen. Wo mehr Gottvertrauen ist, dort ist mehr Gnade. Übergib dich Gott und du wirst eine Fülle von Kraft empfangen zum guten Wollen!

3961 |        Durch den Fall in die Erbsünde ist dem Menschen nicht alle „natürliche Möglichkeit“ und Fertigkeit zum „Guten und Besseren“ verloren gegangen. So kann auch ein Mensch „außerhalb der Gnade“ natürlich gut handeln und seine Sitten sogar verbessern. Er steht dann in einem Zustand eines gewissen allgemeinen Erbgesetzes des „natürlich Guten“, und er kann sich damit ein gewisses „natürliches“ Wohlgefallen Gottes erobern, das ihn auch zu einer natürlichen höheren Gotteserkenntnis führen und ihn auch der unverdienbaren Gnade Gottes näherbringen kann. – In ähnlicher Weise kann auch ein getaufter Christ seine guten natürlichen Anlagen ausnützen und zu einem freiwilligen Gottesdienst bestimmen. Die Mehrzahl der Durchschnittschristen geht wohl diesen Weg. Durch die Taufgnade wird das natürlich Gute veredelt und in den Dienst Christi gestellt. Die Mehrzahl der Christen erlebt vielleicht auch niemals eine „wirksame Gnade“, obwohl diese durch die Taufgnade ständig unmittelbar zu Gebote steht.

 

Dezember

XX.XX.1947

Verschiedenes

3962 |        Mystik ist ein Vordringen zu Gott, „außer dem Leibe“ und doch im Leibe, Kraft jener gottgeschaffenen Geistanlage der Seele, durch die sie nach dem Willen des Schöpfers sich zu ihm hinbewegen kann. Gott will herrschen im Reiche der Seelen, denn das Reich Gottes ist ein Reich des Geistes. Das Wesentliche in uns ist der „Geist“. – Suche in allen moralischen Belangen und Betätigungen das Höchste, und du wirst zum „Geiste“ in dir gelangen! Wenn du aber das Gegenteil, das Materienhafte, suchst, verlierst du dich im Genießen des Materiellen, und im gleichen Maße weicht der Geist Gottes!

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3963 |        Der Grund, weshalb viele Seelen in ihrem geistlichen Leben nicht zu einer ebenmäßigen, harmonischen Tugendreife gelangen, liegt darin, dass sie sich nicht bemühen, „aus sich selbst“ d. h. aus dem tiefsten, persönlich-ungeordneten Streben, Selbstbehaupten oder Egoismus herauszugehen, sich selbst preiszugeben, die ungeordnete, persönliche Grundrichtung aufzugeben – was aber doch das Erfordernis der wahren Demut ist. Erst eine ebenmäßige Demut und der ihr entsprechend allgemeine Tugendgrad macht eine Seele zum tauglichen und geeigneten Werkzeug für Gott und macht sie auch ihrer Umgebung annehmbar und angenehm.

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3964 |       (Als ich bei einem bestimmten Anlass in Sorge über das Los von ungeborenen und ungetauften Kindern war, hatte ich folgende Erkenntnis:)

3965 |        In den ersten drei Monaten lebt das Kind im Mutterschoß noch kein selbstständiges Leben. Es ist ganz auf die Gegebenheiten und ersten Grundlagen angewiesen, die es von seinen Erzeugern empfängt. Es ist zwar vom ersten Augenblick an ein wirkliches, lebendiges Dasein vorhanden, also eine wirkliche Menschenseele, denn die Seele ist das Leben des Leibes, aber dieses seelische Lebensprinzip ist noch ganz „von der Mutter abhängig“. In den ersten Monaten bilden sich erst die Grundorgane des neuen menschlichen Körpers aus, die dann später eigen-organische Lebensfunktionen übernehmen und einen wirklichen Lebensrhythmus vollbringen müssen. Bis dahin wird das gesamte Lebenselement vom Leben der Mutter „mitbesorgt“. Das Leben des Kindes kann darum noch keinen Augenblick selbstständig bestehen. Nach drei Monaten ist die physische Lebensgrundlage so weit ausgebildet, dass die eigen-organischen Lebensfunktionen sich betätigen und das werdende Kind schon die notwendigen Kräfte und auch gewisse Kraftreserven vom Leben der Mutter an sich ziehen kann, sodass dann ein solches Geschöpf schon für ganz kurze Zeit von den gewonnenen Reserven leben und sich selbst versorgen könnte. Dennoch kann man nicht sagen, dass in den ersten Monaten noch kein wirkliches „Leben“ vorhanden sei, denn obwohl das Kind alles zum Leben Notwendige von der Mutter empfängt, so zeigt sich doch das vorhandene Leben gerade darin, dass es empfangend aufnehmen und reagieren kann, oder dass es zugrunde geht, wenn die stoffliche Zufuhr oder die Lebensbedingungen unzureichend sind. Und das sind schon lebenswichtige Akte, denn ein lebloses Ding kann nicht aufnehmen und verwerten, wie das doch schon in den allerersten Monaten geschieht. Es ist auch nicht so, dass die Mutter ganz und gar alles gäbe oder dass das Kind mit dem Leben der Mutter ganz eins wäre, denn mit den ersten Grundelementen ist genügend Anfangsmaterial vorhanden, das mit verbraucht werden kann und dessen Anlagen als eigenes Lebenselement entfaltet werden müssen. Dieses „Leben“ übt aber doch seine Betätigung noch zusammen mit dem Leben der Mutter aus; es ist zunächst ein ständig „bezugnehmendes“ Leben, bis es mit etwa drei Monaten ein ständiges „anforderndes“ Leben wird.

3966 |        Jede Seele kommt nach der Trennung von ihrer leiblichen Hülle nur so weit zum eigenen Bewusstsein, als sie tatsächlich hienieden dazu befähigt wurde. Die Art, und das Ausmaß des Bewusstwerdens der eigenen Individualität und Persönlichkeit ist aber bei allen einzelnen Menschen verschieden. Hinsichtlich der eigenen Selbst-Überschau und Selbsterkenntnis trägt jeder Mensch gewisse Komplexe oder Gebiete von Nichtumschautem oder Nichterkanntem in sich. Das jeweilige Ausmaß und Üben des psychologischen Bewusstwerdens ist dann auch der Gradmesser für das entsprechende Bewusstwerden der Seele außerhalb des Leibes, d. h., nach dem Tode. Auch die Intimität der Anschauung Gottes ist verschieden – nicht bloß je nach dem Grade der sittlichen Reinheit und Gottfähigkeit, sondern auch – je nach der Art und dem Maße der seelischen Auffassungsfähigkeit oder der psychologischen Betätigung und Übung des Glaubenslebens. So kann z. B. die Seele eines getauften Kindes sich nur nach Kinderweise der Anschauung Gottes erfreuen, denn die hienieden erworbene psychologische Umsatzfähigkeit der Seelenkräfte bleibt das bestehende, natürliche Grundelement auch im Weiterleben nach dem Tode. – Die Klarheit und Intimität der Anschauung Gottes steigert sich nach dem Maße des hienieden geübten Glaubens, insofern dieser nicht bloß eine religiöse, sondern auch eine psychische Betätigung ist. Darum kann ein, wenngleich unschuldiges Kind, die Anschauung Gottes nicht nach der Art und Weise einer psychologisch voll entfalteten Seele erfahren. Und ein unmündiges Kind kann Gott nur „seinshaft“ schauen, d. h., aufgrund seiner Daseinsbedingungen und der erlangten Empfindungsfähigkeit, nicht aber aufgrund einer geistigen Umsatzfähigkeit persönlichen Bewusstseins und Erkennens, die es eben noch nicht erworben hat. – In der Art ihrer persönlichen Betätigungsweise gegenüber dem religiösen Ziel wird die Seele nach dem Tode nicht weiter „vollendet“, sondern die psychologische Art und Fähigkeit der Gottanschauung richtet sich nach der Art des psychologischen Umsatzes und der diesbezüglichen Entfaltung der Seelenkräfte und des Bewusstseins. So wird z. B. eine intellektuelle beschränkte oder zurückgebliebene Seele ihre diesbezügliche Beschränktheit in psychologischer Hinsicht im Grunde beibehalten, auch wenn das Wesen der Seele der Anschauung Gottes teilhaft wird. Freilich erhält auch eine solche Seele mit der Befähigung zur Anschauung Gottes eine gewisse Aufhellung und Klarstellung ihres übernatürlichen Zieles, also eine klarere geistige Orientierung.

3967 |        Die religiös-psychologische Betätigung des Menschen steht vielfach nicht auf gleicher Stufe wie die allgemeine Psychologie und Bildung eines Menschen. So ist es z. B. sehr wohl möglich – und leider nur zu oft Tatsache –, dass ein geistig hochstehender, intelligenter und psychologisch stark entwickelter Mensch doch in religiöser Beziehung wenig, oder geradezu keine Bewegungsfähigkeit besitzt. Wenn ein solcher Mensch die in ihm angelegte Intelligenz nicht in ein religiöses Leben einfasst und einbezieht, so verfällt diese seine an sich so wertvolle Geistesanlage oder Intelligenz mit dem Tode dieses Menschen wie eine unnütze Asche, wertlos für das eine übernatürliche Ziel. Wie jede Seele ihre geistigen Anlagen zum Guten oder zum Bösen gebraucht, ungenutzt gelassen und missbraucht hat, das wird zum geistig-unmittelbaren Lohn oder zur verdienten Strafe werden. Der Intellekt ist also gleichsam ein Werkzeug oder Mittel der Betätigung des Menschen für oder gegen Gott und damit zum Nutzen oder Schaden der eigenen Seele. Insofern ist nicht der Intellekt das Entscheidende oder Tragende im Menschenleben, sondern, ähnlich wie die physischen Fähigkeiten ist er gleichsam „Material“ für den Gebrauch der menschlichen Person. Eine intellektuell wenig hochstehende Seele, die sich aber im religiösen Leben vorwärtsbringt, kann sich auf dem religiösen Gebiet einen erweiterten und vertieften seelischen Reichtum erwerben, der sie Gott sehr nahe bringt, und ein völlig ungelernter Mensch kann sich somit hohe Gotteserkenntnis erwerben, weil durch das Einströmen eines religiösen Lichtes in die Seele sich eine geistige Aufhellung des Gebietes vollzieht.

3968 |        Ungeborene Kinder führen an sich nur ein „vegetarisches [sic! vegetatives] Dasein“. Durch den göttlichen Schöpfungsakt stehen sie aber immerdar vor Gott, immerwährend gesichtet, unauslöschlich und unsterblich. Sie sind, als Gottes Werk, eine Verherrlichung Gottes und verschwinden nie mehr. Sie führen ein Dasein ohne die Fähigkeit psychologischer Selbstumschau, d. h. ohne Selbstbewusstsein. Dennoch aber ist ihr Dasein und Leben gleichsam wie ein angezündetes Licht, das sie nie mehr erlischt, und sie werden immerdar ihren Schöpfer nicht weniger preisen wie die Sterne des Himmels, die von seiner Herrlichkeit erzählen. – Das „seinshafte“, unbewusste Dasein, das sie führen, schließt aber doch – wie das im Wesen des zielstrebigen Lebens liegt – eine gewisse Lebensfreude in sich, und diese Lebensfreudigkeit hat zur Folge, dass die Seelen der Ungeborenen auch im Augenblick des Absterbens der leiblichen Hülle ihrer Lebens- und Daseinsfreude beibehalten und dadurch ihren Schöpfer preisen. Je nach ihrer erworbenen oder angelebten Empfindungsfähigkeit gestaltet sich auch das psychologische Selbstempfinden ihres Zustandes als persönliches Erleben. Die Ungetauften tragen dennoch eine höhere Art des Daseins und Lebens in sich, als etwa die unbelebten Geschöpfe oder auch die Pflanzen und Blumen, und so werden sie auch als Werk der göttlichen Schöpferkunst in herrlicher Erscheinung treten, wenn sie auch nicht zu unmittelbarer Gotteserkenntnis gelangen wie die Getauften. Als Krone der Schöpfung steht der Mensch vor Gott auf einer höheren Wertstufe als die vernunftlose Schöpfung, und auch die Ungeborenen leben als unsterbliche und auf der höchsten Stufe stehende Geschöpfe voll Freude fort und verherrlichen durch ihr Dasein ihren Schöpfer in alle Ewigkeit. Auch sie haben ewige Daseinswerte und dienen zur Verherrlichung Gottes.

3969 |        Die Erzeuger der Ungeborenen behalten in der Ewigkeit ihre Zugehörigkeit zu ihren ungeborenen Kindern. Wenn es ohne ihre Schuld geschah, dass diese ungeboren und ungetauft sterben, so wird dies keine Minderung ihrer ewigen Seligkeit sein. Die Erzeuger betrachten sie dann wie zu ihrem Wesen „gehörig“ und freuen sich über deren Existenz. Vor Gott ist nichts wertlos, was ein Mensch in guter Absicht vollbringt, und auch der Dienst an einem Geschöpfe Gottes – wie es jedes Menschenkind ist –, ist nicht wertlos oder ohne Bedeutung für die Ewigkeit. In der Seligkeit des Himmels erleben die Eltern, gemäß der Gerechtigkeit Gottes, die Früchte aller Mühen mit ihren Kindern als Freude und erleben deren Zugehörigkeit zu ihnen. – Anderseits kann die Existenz der Ungeborenen und Ungetauften ihren Erzeugern auch zur Strafe und Läuterung werden.

3970 |        An die Stelle des Intellektlebens, das uns in diesem Leben eigen ist, tritt für die Seele im Himmel der Zustand des „Glorienlichtes“. Dieses ist der endliche Ausgleich zwischen irdischem und himmlischem Wissen, und es wird einer jeder Seele, entsprechend ihrem hienieden erworbenen Verdienst von Gott angepasst. Mit dem Eintritt in die Ewigkeit geht die Seele auch in den Zustand dieses „mühelosen Wissens und Empfindens“ ein, das nun ihre ganze Existenz überstrahlt. So gibt es im Himmel keine „irdische Weisheit“, sondern das gesamte Wissen wird dort „seiend“[sic!] durch das Licht Gottes. Aber auch der Zustand des Glorienlichtes baut sich entsprechend auf dem Zustande des hienieden gebildeten menschlichen Intellekts auf und ist dessen himmlische Vollendung. Ähnlich wie der Leib der Auferstehung einmal gewisse Eigenheiten des einstigen irdischen Daseins behalten wird, so bleibt die Eigentümlichkeit und Individualität der Seele bzw. des Intellekts auch im Zustand des Glorienlichtes bestehen.

3971 |        Das ewige Glorienlicht ist der endliche Verklärungszustand der Seele im Himmel. Es ist das Einfallen des Göttlichen in die gerettete Seele.

3972 |        Alles, was gut ist, trägt in sich auch einen gewissen Glanz des Schönen, des Gehobenen und Erhebenden, des Hellen und Freudvollen. Schon die irdische Schöpfung, z. B. die Welt der Pflanzen und Blumen, atmet gleichsam einen Hauch des Schönen, Festlichen, Lebendigen. Der Glanz und die Unzahl der Sterne erheben das Menschenherz. Musik und Gesang heben uns wie in eine Welt empor, die etwas Festliches und Feierliches an sich hat. Nicht weniger tragen gute Menschen gleichsam ein Ausstrahlen oder Ausfließen von etwas Höheren und Erhebendem an sich. Starke Menschen heben die Schwächeren in gewissem Sinne über das Schwere und Bedrückende dieses Lebens hinweg. So trägt alles Gute und Wertvolle eine gewisse Freudigkeit und geistige Helle in sich und bringt sie mit sich. – Was uns andererseits abstößt, das ist das Tote, das Leere, Kalte, Finstere, das nach unten Ziehende. Die Finsternis und das Tote, das Leblose, Farb- und Formlose trägt in sich etwas wie Spuren der Unterwelt, wovor jedes edle Geschöpf fast wie aus einem unwillkürlichen Empfinden oder höheren Instinkt heraus flieht. Würden die ihr irregegangenen und irregehenden Menschen nur diesen höheren Instinkt beachten und ihm folgen, so würde dies allein schon sie an ein drohendes, ähnliches Los gemahnen und sie gleichsam mit Gewalt in die Höhe reißen.

3973 |        Bei Gott nun und in Gott ist alles Hohe, ist Freudigkeit, Friede, Seligkeit und endliche, allseitige Erfüllung. [sic!] – Nehmen wir alle angedeuteten und denkbaren Ausflüsse des Guten, Edlen, Hohen, alle Geborgenheit bei lieben Menschen und das Ausströmen ihrer Güte in unser Herz, nehmen wir alle Findigkeit und Leichtigkeit des Geistes, alles Wissen, dass unsere Fragen und Rätsel lösen, alles Beruhigende, das Ende aller Mühen und alle Feierlichkeit in der es keine Sorge mehr gibt – so können wir damit eine Fülle des Guten und des Wertempfindens ahnen, worin sich für uns ein unendliches Glück auftut. Aber woher kommen alle Werte und Vorzüge, die wir in diesem Leben immer nur wie schnell vorübergehende Strahlen erfassen und erahnen können? Gewiss fallen zuweilen Glücksstrahlen in unsere Seele, aber bald darauf werden wir wieder in unsere arme Menschlichkeit zurückgeworfen, und unsere Sehnsucht nach nimmer endenden Strahlen wird stärker als zuvor. – Letztlich gibt es nur eine wahre und immerwährende Glücksquelle und diese ist der Inbegriff alles Guten, Edlen, Schönen, nämlich Gott. Der „Allgute“ und Gott ist ein und dasselbe. Alles und jedes Gute trägt auch einen Ausfluss des Guten in sich, und so ist im immerwährenden Guten auch ein immerwährender Ausfluss des Guten. Und alles Gute, das es gibt, kommt letztlich vom Zentrum des Guten, vom ewig und unendlich Vollkommenen, von dem das Gute seinen Namen hat, von Gott.

3974 |        Die Ausflüsse alles Guten in ihm fallen nun aber im Verklärungszustand wie Strahlen aus seinem Wesen auf seine Gerechten, auf die seinen, die an ihn geglaubt haben. Sie sind nun in seiner Nähe und genießen all diese Ausflüsse und Strahlen aus seinem göttlichen Wesen. Diese Strahlen sind so zahlreich wie seine göttlichen Eigenschaften. An all dem Guten, dass Gottes Wesen in sich hat, nehmen seine Gerechten teil, je nach ihrer gegebenen und erworbenen Gottfähigkeit. Unter dem Ausfluss dieser göttlichen Strahlen verschwinden alles Irdisch-Mangelhafte und alle „teilweisen“ Vorzüge, wie wir sie hienieden immer nur besitzen können – so ähnlich wie das Licht des Mondes unwirksam wird, wenn das helle Licht der Sonne erstrahlt. Nun kommt in allem, die Fülle für jede Seele nach ihrer Art. Keine Seele wird nunmehr irgendeinen Mangel erleiden, und wäre es die Letztgerettete, der am meisten die Barmherzigkeit Gottes zuteilwürde. In jeder Seele herrscht nun Fülle – entsprechend ihrer Art. Auch in der Seele des ungeborenen Kindes, das nie dieses Leben geschaut hat; schon das Dasein ist diesem ja ein unerschöpflicher Besitz, denn es ist „Leben“, und das Leben trägt in sich eine unerschöpfliche Fülle. Alle in Gott Vollendeten trinke nun aus der Fülle des Lebens.

3975 |        Die Strahlen der Unendlichkeit Gottes fallen nun ewig auf seine Gerechten und sind ihnen Leuchte in alle Ewigkeit. Licht und Wissen sind dabei gleichsam Grundstrahlen, in denen die Gerechten für alle Ewigkeit gebadet sind; Wissen aber ist Freude und ist Macht. Nun fällt die irdische Art des Wissens weg, denn in jenem Bereich des Geistes bedarf es zum Wissen keiner irdischen Zerteilung und Zerstückelung mehr; dort ist alles „ganz“, und zwar für immer. Und wenn es auch hienieden Größen des Geistes und des Wissens gibt, die bis in den Himmel steigen zu können vermeinten und die alle Geheimnisse des Lebens und des Universums erforschen wollten: Was bedeutet nun noch diese ihre Art des Wissens, wenn die Wirklichkeit gekommen ist? – Alles, was früher war und wertvoll zu sein schien und was man einen „Vorzug“ nannte, das zerfällt nun gleichsam wie Staub angesichts des Unendlichen. Alles wird nun neu gestaltet. Unser altes Sein versinkt gleichsam, und nichts von dem, was wir in die Ewigkeit hinüberretten wollten, hat nun noch Wert gegenüber dem Unendlichen. Es sind neue Güter, die wir da empfangen. Neue Kleider, die Gewänder des Guten werden uns angetan. Unser weniges und armes Gute wird nun von Gott die Fülle des entsprechenden Guten empfangen und wir werden an seinem Guten teilhaben. Das geringste Gute, jede Reinheit und Tugend der Seele wird verklärt werden vom ewig Guten und Vollkommenen, der für uns zur Quelle des Guten geworden ist. Mit seiner Münze haben wir hienieden unsere Schätze vermehrt, und nun werden alle seine Schätze auf uns fallen. Im ewigen Glorienlicht wird all unser mangelhaftes Gute, das wir jetzt besitzen, verschwinden – und wäre es das Licht des schärfsten Verstandes, denn da bedarf es dieser mangelhaften Mittel und Güter nicht mehr. Nun liegt die Welt hinter uns, in der wir um unseres Fortkommens willen fleißig und geschickt und weise sein mussten. All dessen Bedarf es nun nicht mehr. Unser Wissen wird nun „kurz“ und unmittelbar sein; es wird nicht mehr notwendig sein, gleichsam wie auf einer langen Leiter hinaufzuklettern zu allem Wissenswerten, denn nun ist alles in „nächster Nähe“: Gott ist unser intimstes Gegenüber. Wir brauchen nun nicht mehr nach „außen“ zu blicken, denn „in uns wird die Herrlichkeit des Herrn wohnen“. Kein Blick wird uns mehr ermüden, denn nun schauen wir Gott. – Unser Wesen selbst wird die Verklärung tragen und wir selbst werden anderen zur Leuchte sein. Wir werden angetan mit der Herrlichkeit Gottes. Alles bisherige Sinnesempfinden der Seele wird nunmehr ruhen in der Schönheit Gottes, die auf uns fällt. – – – So ist das ewige Glorienlicht das immerwährende „Einfallen Gottes“ in unserer Seele. Alle Ausflüsse Gottes als der Quelle des Guten, die Ausflüsse alles Guten werden in unserer Seele einfallen. Wir sind dann die Objekte für die Herrlichkeit Gottes.

3976 |        Vom Verklärungszustand im Himmel: Nicht das, was wir „schön“ nennen ist eigentlich das Schöne, sondern etwas Tieferes in den Dingen, das unsere geistigen Kräfte anregt. Die Blume z. B. ist deshalb schön, weil durch sie das geistige Empfinden des Schönen in uns angeregt wird. Die Fähigkeit, etwas Gutes, Edles, Erhabenes, Schönes erfassen und erleben zu können, ist eine geistige Gabe, die tief in unserem Empfindungsleben ruht. Nicht der nackte Anblick der Dinge als solcher gefällt oder erfreut uns, sondern es ist in jedem mit einem Werte oder Vorzug ausgestatteten Geschöpfe und in jeder Tugend usw. etwas – gleichsam ein Ausfluss oder ein Ausstrahlen –, das unser geistiges Empfinden anregt. So umgibt uns das Leben mit unzähligen Strahlen, die von irgendwelchen Gütern dieses Lebens ausströmen, seien es Menschen, seien es Pflanzen, Tiere, Landschaften, Klänge und Farben, kurz, die ganze belebte und unbelebte Schöpfung umgibt uns mit Ausflüssen des Guten. All diese Geschöpfe tragen ja in sich Spuren des Guten, die, wie ebenso viele, ungezählte Strahlen auf die Menschen fallen. – Diese Ausflüsse alles Guten und aller Güter dieses Lebens, all diese unzähligen Strahlen, die entsprechende Auswirkungen und Reaktionen unserer Empfindungsfähigkeit auszulösen vermögen, können uns nun ein schwaches Bild von jenem Verklärungszustand im Himmel bieten. Das Ausstrahlen alles Guten und der ganzen himmlischen Umgebung auf unsere Seele und das Auslösen der entsprechenden geistigen Empfindungen, die unsere Seele damit erfüllen, beleben und erheben, beglücken, das bildet den ewigen Verklärungszustand. Er ist die letzte und höchste Ausbeute der obersten Güter des Geistes, die oberste, letzte und höchste Sphäre des Ruhens, die letzte Vollendung des geistigen Genusses, das Letzte und Höchste, was es für den Menschen gibt.

3977 |        Selbst den leblosen Gütern entfließen – wie oben gesagt – gleichsam auch „geistige“ Werte, d. h., solche, die unser geistiges Empfinden anregen. Die Reaktion unserer Empfindungsfähigkeit entspricht dem Werte des in unserer Nähe kommenden Gutes, und das geistige Erleben dieses Wertes erfüllt uns mit Freude und Genuss, sodass alles gleichsam mit einem Schimmer der Freude übergossen wird, mit der Freude darüber, dass es „so“ ist. Dieser „Überguss“ der Freude oder der Erfüllung („dass es 'so' ist“) webt schon über unser irdisches Leben und Dasein einen Schimmer und Glanz, der es „schön“ macht und verschönert. In ähnlicher, nur unvergleichlich höherer Weise ist die ewige Verklärung ein geistiges Übergießen und Bedecken des Genossenen, und des Genießenden mit einer letzten Ruhe und Seligkeit, ähnlich wie die Sonne im Untergehen ihr Licht verschönert auf die Erde wirft, so ist der ewige Verklärungszustand gleichsam ein „göttlicher Überguss“ seines Wesens auf seine Gerechten, weil er nun auf ewig ihr Anteil ist. – Verklärung ist die letzte und höchste Ausbeute aller Werte und Güter des Guten als dauernder Genuss und endliche, immerwährende Schönheit und Ruhe und Seligkeit.

3978 |        Im Verklärungszustand und in der seligen Gottesschau bleiben nur die höheren Fähigkeiten und Funktionen der Seele in Tätigkeit. In der einen und einfachen Seele kann man ja eine geistige und geistig-leibliche Doppelfunktion und dabei wiederum verschiedene „Funktionsherde“ unterscheiden. Im Mittelpunkt von allen Kräften und Funktionen oder auch an ihrer obersten Spitze steht die höchste und entschiedenste Kraft, die Personkraft oder der Personkern. Die Personkraft durchdringt oder „schwimmt“ gleichsam in allen Bereichen der Seele und sie hat zwei Grundfunktionen:

1. Das Leben als dessen leitende Spitze zu leben und zu dirigieren und

2. allen Lebensfunktionen das „Wie“, d. h., die persönliche Färbung oder Eigentümlichkeit zu verleihen und mitzugeben.

3979 |        Die Personkraft ist gleichsam unmittelbar umgeben von den höheren, an sich rein geistigen Fähigkeiten und Funktionsmöglichkeiten, die man die „Geistseele“ nennen kann. Diese ist wiederum umgeben und bedient von Fähigkeiten, die zu ihrer Betätigung die Ergänzung durch körperliche Kräfte nötig haben, und die man daher „Leibseele“ nennen kann. – Das Geistige oder die Geistseele ist das Ursprüngliche und Wurzelhafte, dass Entscheidende und Tragende unserer Seele, die höchste Spitze unseres Seins. Aber auch die Geistseele betätigt sich nicht ohne Mitwirkung der leibseelischen Funktionen. So ist z. B. das menschliche Intellektleben an sich etwas rein Geistiges, und doch geschieht seine Betätigung hienieden nicht ohne Mithilfe physischer Organe. – Anderseits liegt auch die Wurzel der leibseelischen Funktionen im Geistigen der Seele, dessen Kräfte immerfort belebend in das materielle Menschsein hineinstrahlen. Jede unserer seelischen Handlungen, auch wenn sie sich im Materiellen vollzieht und auf das Materielle erstreckt, wird in erster Linie und ursprünglich durch die geistseelischen Funktionen bewirkt. Der Geist in uns hat Funktionen, die alle Bewegungen unserer Seele handhaben. Was immer in uns Wirklichkeit des Erlebens wird, das ist ermöglicht in erster Linie durch die Funktionen der Geistseele, d. h., durch die vielen Reaktionsfähigkeiten, die unsere geistige Seele in sich trägt. In der Geistseele liegen die eigentlichen Grundkräfte der Seele, dort wird alles „Höhere“ beschlossen, dort walten die höheren Prinzipien und sozusagen die Lebensgerichtsbarkeit, welche die Personkraft mittelst der höchsten Seelenfähigkeiten ausübt. Auch die religiösen Beziehungen (zu Gott) haben ihren Sitz in der Geistseele, weil die Personkraft mit deren Fähigkeiten den Antrieb zum Streben nach einem geistigen, über die menschlichen Natur hinausgehenden Gut vollzieht. In der Geistseele formt sich der religiös-sittliche Fortschritt zuerst als „Idee“, die vom Lichte der Gnade Gottes eingegeben wird und um deren Verwirklichung sich der Wille dann bemühen muss, indem er die untergeordneten seelisch-leiblichen Kräfte – nicht ohne Ringen und Kämpfen – jener „Idee“ dienstbar und gleichförmig zu machen sucht.

3980 |        Das ganze Wesen des Menschen ist ständig „bezugnehmend“ eingestellt, d. h. hat ständige und unausweichliche Beziehungen nicht bloß zur gesamten umgebenden Schöpfung, sondern auch zu „sich selbst“, d. h. gegenüber der höchsten und entscheidenden Kraft im eigenen Inneren, der Personkraft, deren Kontrolle seine Akte ständig unterstehen und die selbst wiederum unter dem sittlichen Gesetz ihres Schöpfer steht. – Kein Mensch kann sein Dasein „isoliert“ oder ohne Beziehungen zur übrigen Schöpfung leben, weder physisch noch geistig. Schon die Tier- und Pflanzenwelt hat notwendige „Beziehungen“ zur Umwelt. Bei Menschen sind aber die ihm mit der Pflanzen- und Tierwelt gemeinsam scheinenden Beziehungen „geistgebunden“. Die Beziehungen des Tieres zur Umwelt werden geregelt durch den Instinkt, den natürlichen Daseins- und Selbsterhaltungsdrang. Einen ähnlichen Trieb hat auch der Mensch; aber er geht bei ihm wesentlich tiefer und haftet seiner Seele an, durch die dieser Trieb ständig dem Leibe zugeführt wird; er ist bei Menschen im Tiefsten ein geistiger Akt, dem auch andere Beziehungen zur Umwelt zugewiesen sind, die dem Tiere fehlen. Der Mensch hat einen einmaligen, individuellen, seiner geistigen Seele anhaftenden Daseins- und Selbsterhaltungstrieb. Während die Tier- und Pflanzenseele gleichsam nur „ein Versuch“ zum Daseinsbestande ist, den sie instinktiv zu verwirklichen sucht, wird der Menschen mit dem ersten Lebensakt gleichsam eine „Daseinspflicht“ eingegossen oder auferlegt, die auf vernunftmäßigem Wege zu erfüllen ist. Darum sind auch die notwendigen Lebensbeziehungen der Menschenseele, selbst wenn es sich nur um das leibliche Leben handelt, andere als die der „Tierseele“. Auch diese Bedürfnisse und lebensnotwendigen Akte, wie z. B. das Essen, sind beim Menschen nicht rein materienhaft und nur verallgemeinert, sondern sie sind individuell und geistbezogen und unterstehen einer Kontrolle durch die Personkraft, was dem animalischen und pflanzlichen „Leben“ vollständig fehlt; sie vollziehen sich bei Menschen zugleich mit einem geistigen Akt, der irgendwie formend auf die Seele einwirkt.

3981 |        Wenn ein Mensch sich dieser persönlichen Kontrolle, die ihm in allem eine bestimmte Gebrauchsregelung oder ein bestimmtes Maß vorschreibt, nicht unterwirft, so kommt er dadurch schon in Widerspruch mit sich selbst und zerfällt er mit seinem geistigen Sein, das unabweisbar vor ihm steht. Diese Tatsache allein zeigt schon, dass der Mensch ein höheres Wesen ist. Er trägt „etwas“ in sich, was ihn nie ganz „unabhängig“ sein lässt, sondern ihn ständig einer Kontrolle unterstellt, selbst in der Ausübung der animalischen Lebensnotwendigkeiten, in der Sorge für das materielle Fortkommen. In allem ist der Mensch geistgebunden und geistkontrolliert; er ist höheren, geistigen Beziehungen unterworfen, einer höheren Macht und damit Pflichten unterstellt, denen er nicht ausweichen kann, ohne mit sich selbst, d. h. mit seinem Geistprinzip in Widerspruch zu kommen und mit ihm zu zerfallen.

3982 |        Der nähere Grund hierfür liegt in der geistigen Genuss- oder Empfindungsanlage des Menschen. Auch die Empfindungs- und Genussanlage, die etwas anderes ist und höher steht, als die bloßen Eindrücke, ist beim Menschen im Geistprinzip der Seele verwurzelt und von der Personkraft abhängig. Sie ist darum in jedem Menschen individuell verschieden und ist an sich etwas vom Höchsten, Edelsten und Wunderbarsten im menschlichen Seelenleben. Sie ist im Tiefsten eine geistige Reaktion auf alle Beziehungen unseres menschlichen Daseins, übt ihre Tätigkeit in allen Bereichen und Obliegenheiten unseres Lebens aus und ist einer der Hauptfaktoren unserer Geistseele. Es gibt keinen Augenblick unseres Lebens ohne irgendeine Reaktion unserer Empfindungs- oder Genussanlage. Unser ganzes Dasein steht damit in Bezug, und die höhere Geistkontrolle wirkt ständig ordnend und mahnend darauf ein. So untersteht der Mensch seinem gesamten Dasein einer Geistbezugnahme und „Geistortung“, die höher steht als die sichtbare Ordnung, die auch unser äußeres Dasein ordnet und der kein Mensch in sich selbst entfliehen kann.

3983 |        Dabei übt die Geistseele ihre Funktionen mit Bezugnahme auf die Leibseele aus und regt in dieser die Genussfähigkeit an. Während anderseits alle seelischen Erlebnisse, selbst jene, [die] rein geistigen Ursprungs [sind], auch irgendwie der Leibseele unterstehen, da eben die Struktur unserer in ihrem Wesen einfachen Seele auf ständige „Doppelfunktionen“ angelegt ist. Kraft der Reaktionsfähigkeit unserer Geistseele werden in den leibseelischen Funktionsherden der verschiedenen Sinne die Eindrücke und Erlebnisse aufgenommen und werden – als Eintrag der Leibseele – in die Tiefe der Seele, bzw. auf die Spitze der Geistseele weitergeleitet und nehmen dort die „Färbung“ der Person an. Zu allen Erlebnissen ist ja nicht bloß die Erlebnisfähigkeit vorausgesetzt, sondern auch das „Wie“ oder die (individuelle) Art, in der die Erlebnisse zum Bewusstsein kommen, und dieses „Wie“ hängt in erster Linie von der Personkraft ab. Dieses „Wie“ ist also gleichsam das Echo der Person selbst; und wie ein Echo seine Wellen zieht oder einen bestimmten Kreis von Tönen hervorruft, so wird auch die Reaktion der Personkraft von einem geistigen Stimmengewirr aufgenommen, d. h. von all den Reaktionsmöglichkeiten der Empfindungs- und Genussanlage, die gleichsam den Personkern umkreisen. Und diese geistigen Stimmen werden dann von den niederen Kräften, von den Fähigkeiten der Leibseele aufgenommen, welche die endliche „Gefühlsbetontheit“ hervorbringen, zu der auch entsprechende Zellen des Körperlichen herangezogen werden. So steigen alle leiblichen Erlebnisse zur Höhe der Geistseele empor, um dort die individuelle Art der Reaktion zu empfangen und um dann mithilfe der Leibzellen als wahre menschliche Empfindungen oder Genüsse ausklingen zu können. Aber auch die Erlebnisse des Geistes regen die Funktionen der Leibseele an, um zu einem vollen und wahren menschlichen Erlebnis zu gelangen. Solange wir mit dem Leibe verbunden leben, arbeiten die beiden Funktionsweisen sich ergänzend zusammen. Damit aber ein gewisses Gleichgewicht zwischen den Funktionen der Geistseele und jenen der Leibseele bestehen könne, ist die Erlebnisfähigkeit der einen und die physische Auslösungskraft der anderen entsprechend proportioniert und abgestimmt. Wenn in der Geistseele eines Menschen wenig Gemütspotenz oder geistige Empfindungsanlage vorhanden ist, dann hat auch seine physische Natur wenig gemütsauslösende Zellen eingebaut. Umgekehrt bringt eine starke geistige Erlebnisfähigkeit einer Person auch eine starke Inanspruchnahme physischer Empfindungszellen mit sich, um ein gewisses Gleichgewicht im Erleben herzustellen.

3984 |        So gehört die Genussreaktion der Geistseele nebst ihrer Aufnahmefähigkeit zu ihren wunderbarsten, feinsten und edelsten Anlagen, vergleichbar den wunderbaren Klängen einer vielstimmigen Musik. Was wäre unser Menschenleben ohne diese vielgestaltige Genussreaktion! – Gerade durch diese Anlage ist der Mensch auch ein geistiges Ebenbild Gottes. Gott genießt nämlich sich in seinen göttlichen Vollkommenheiten in unaussprechlicher Seligkeit. Sein Wesen ist ewiger, göttlicher Selbstgenuss als göttlich-wesentliche „Reaktion“ seiner göttlichen Vollkommenheiten. In ähnlicherweise liegt die eigentliche „Lebendigkeit“ unseres Daseins in der Möglichkeit, das Leben als solches kosten, ausleben und erleben zu können – wobei wir gar nicht an außergewöhnliche Erlebnisse allein zu denken brauchen. Die menschliche Genuss- und Empfindungsanlage zieht vielmehr dauernd ihre Produkte sowohl aus den hohen Regionen des Geistes wie aus den Tiefen des Leiblichen. Solche Reaktionen als positive Genüsse sind z. B.: Freude, Jubel, Entzücken, Gehobensein, die andauernde Stimmung der Lebensbejahung und Lebensfreude, der Mut, das Vertrauen usw.

3985 |        So trägt unser ganzes menschliche Dasein eine Unsumme von möglichen Genussreaktionen in sich, die durch die eigene „Selbstbeziehung“ in das Wesen des Menschen eingebaut sind. Der Mensch ist naturhaft geistbezogen und untersteht jeden Augenblick geistigen Reaktionen und immerwährenden Selbsterlebnissen, die ihm als geistiges Genussleben dienen. Er ist auch naturhaft auf seine Umwelt bezogen, die ihm Anregung und Mittel ist, um sich Erlebnis- und Genussmöglichkeiten zu holen. Die ganze Schöpfung enthält und atmet gleichsam Werte und „Gedanken“, die der Schöpfer in ihr verwirklicht hat und auf die der Mensch Bezug nehmen kann; sie regen sein Schönheits- und Genussempfinden an, sind ihm Anlass und Anregung zur Daseinsbejahung und Daseinsfreude und weisen ihn auch hin auf die geheimnisvollen Bewegungen, die sich in der Tiefe seines Seins abspielen. Das Menschendasein ist ein lebendiger Rhythmus von Bewegungen, die mit selbsteigenen Mitteln vollbracht werden, ohne dass dem Menschen selbst das „Wie“ dieser Bewegungen klar zum Bewusstsein käme. Bevor diese Bewegungen uns als Erlebnisse bewusst werden, hat sich schon ein Kreislauf von Reaktionen abgespielt, und alles dies vollzog sich ohne Störung. Was uns zum Bewusstsein kommt, das sind schon die Ergebnisse jenes Kreislaufes geistiger Bewegungen.

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Das Jahr 1948

 

Inhaltlich einmal mit Manuskript verglichen!

 

 

 

 

 

Februar

24.02.1948

 Vom Wege zu Gott

3988 |        Der Mensch ist infolge seiner Geist-Leib-Natur „sinnesbegrifflich“, d. h., er kann sich nicht mit rein geistigen Erkenntnissen oder bloßer Verstandestätigkeit begnügen; mit diesen allein würde des Menschen Geist bzw. Seele gleichsam „in sich selbst erstarren“. Unsere Seele braucht ihrer Natur nach sozusagen ein „Anhängsel“, das ihren Funktionsarten „gleichgeschaltet“ und gegenübergestellt ist und die Funktionsarten der Seele wie zu ihren eigenen macht. Gott und die Engelwelt hingegen – und auch die Geister der Unterwelt – haben dies nicht nötig, denn die Anlage ihrer geistigen Existenz ist auf reine „Eigenbetätigung“ eingestellt und ist sich selbst unmittelbar dienstbar. Gott „ist“ und erkennt sich aus sich selbst, ohne dass er eines Objektes bedürfte. Die Welt der reinen Geister ist geschaffen nach einem „einfachen Geistprinzip“, das die Fähigkeit hat, die unmittelbare, ichbezogene Selbstverarbeitung ertragen zu können. Ihr Wesen bringt es mit sich, dass sie nicht auf eine Materie Bezug nehmen brauchen, sondern unmittelbar auf sich selbst einwirken. Der Mensch hingegen braucht ein „Objekt“, auf das er antwortet und dass ihm gleichsam antwortet.

3989 |        Der Mensch ist sozusagen ein „zweiteiliges“ Wesen, dessen Geist auch auf ein Materienprinzip angewiesen ist, d. h., sich dem Leibe und der Materie zukehrt und dadurch erst zur Wirklichkeit und Einheit seines Daseins kommt. Obwohl nur die Seele als Geist das Lebensprinzip des Menschen ausmacht, hat doch auch der Leib einen ähnlichen Einfluss auf die Existenz und auf die Art der Existenz. Ihr beidseitiger Einfluss erhält dem Menschen das diesseitige Dasein. Vererbte Anlagen verzweigen sich vielfach (auf dem Wege über den Leib auch in der Seele).

3990 |        Jede Art von „Geistigkeit“ geht zurück auf jenes Grundprinzip des Geistes, das aus und durch sich selbst besteht und dem alle Geistigkeit in unzählbaren Formen gleichsam entströmt. Auch die menschliche Seele ist infolge ihrer Abstammung von jenem höchsten Geiste abhängig, dem sie das Dasein verdankt. Auf dem Wege über die eigenen Abbildlichkeiten und Ähnlichkeiten kann der Mensch Schlüsse ziehen auf jenes höchste Abstammungsprinzip und dessen unmittelbares Selbstexistieren.

3991 |        Einen Geist kann man nicht „aufteilen“, nicht ableiten und ihm nicht nahekommen, außer in begrifflichen Formen. So kann auch die Seele, obwohl Geist, ihrem höchsten Abstammungsprinzip nicht nahekommen und es nicht erfassen, weil dessen Wesen selbst – gleichsam wie ein Lebensprinzip – das Dasein der Seele bewirkt.

3992 |        Die Seele entstammt einem höchsten Geist- und Grundprinzip, das durch sich allein sich selbst vollkommen erkennt, vollkommen um sich weiß, während unsere Seele auf erforderliche Hilfsmittel angewiesen ist, um zu sich selbst zu kommen. Unserer Seele fehlt die existenzielle Unmittelbarkeit, die zu einer ähnlichen Selbsterkenntnis notwendig ist, d. h., es fehlt ihr die unmittelbare Selbstüberschau als eigen- und persönlicher Faktor. Infolge seiner Doppelgliederung erkennt sich der Mensch durch das Hilfsmittel seines Daseins, durch den Leib, rückschließend auf die Seele.

3993 |        Daher [stammt/kommt] das Mangelhafte des menschlichen Selbsterkennens. Man kann sagen: Das Bild des Menschen von sich selbst ist vorwiegend sein Selbstbild als Leib; die Seele ist ihm gleichsam Hilfsmittel für das leibliche Leben; er lebt zum großen Teil ein leib-seelisches Dasein und die Materie ist ihm etwas Grundsätzliches und Antreibendes. – Durch den Abfall von jenem Geist-Prinzip, das ihm ursprünglich eigen war, hat eben der Mensch eine Rückgliederung seiner Existenz in das Materielle erfahren.

3994 |        War der Mensch immer in der Sklaverei seiner materienhaften Existenz? Und ist er jetzt wirklich glücklich in dieser Unterordnung und Unruhe, die er niemals ganz loswird? Sucht nicht immer wieder das „Niedere“ zur Herrschaft zu kommen und den Geist zu unterjochen? Wo ist jene Harmonie, die der Mensch eigentlich durch sein ganzes Wesen ersehnt, der er zustrebt, und die er nicht erreichen kann? Woher käme der Zwiespalt in seinem Wesen, wenn ihm kein höheres Ziel gesetzt wäre? Jede Bewegung setzt ein Ziel voraus und ist einem Ziel entsprungen, das sie verursacht hat. So hat auch jede Unruhe ihre Ursachen.

3995 |        Wäre der jetzige Zustand des Menschen die eigentliche und letzte Daseinsidee des Menschen, so müsste und würde er auch darin seine endliche Befriedigung finden. Doch er entbehrt in seinem jetzigen Zustand des Glückes und der Erfüllung seines Lebensdranges; er „kommt mit sich selbst nicht zum Ziel“. – Diese Erfahrung entspringt und entspricht seinem Geistprinzip. Der Geist hat im Menschen die – in bestimmte Grenzen eingespannt – Herrschaftsberechtigung, und diese grundsätzliche Herrschaft trägt auch ein bestimmtes Ziel in sich. Kein Mensch kann diese grundsätzliche Herrschaftsberechtigung des Geistes leugnen, denn sie ist mit seinem Wesen und Leben verbunden. Der Mensch trägt in sich „Ideen des Glückes“, Begriffe von Erfüllungen und Befriedigungen, die in ein Ziel dauernder Erfüllung zusammenfassen und verwirklichen zu sollen er bewusst ist. Das Glücksverlangen des Menschen ist zugleich zielsetzend für ihn durch die Begriffe der Erfüllung und Befriedigung, für die sein Wesen geschaffen und befähigt ist. – Dazu trägt er in sich die Werkzeuge seines Glückes, mit denen er gleichsam sein Wesen ausbaut und zur Erfüllung bringt. Es liegen und klingen gleichsam Saiten in ihm, die er anschlägt und durch die er sich selbst Genuss und Befriedigung ist.

3996 |        Von welchem anderen Geschöpf könnte man dies sagen? Wir bestaunen die Blumen, die Berge, den Sternenhimmel, aber all diese Objekte erleben selbst ihre Pracht und Vorzüge nicht; sie sind im Besitz einer gewissen „Daseinsfreude“, die ihr Leben und Dasein bedeutet, aber sie „sind“ und existieren nur, ohne von ihrer Existenz zu wissen; ihre „Daseinsfreude“ ist doch eine „tote Existenz“; sie füllen nur den Raum aus, in dem sie hineingestellt sind. – Wie anders [ist] der Mensch, der seine eigenpersönliche Bestimmung und die Werkzeuge hierfür in sich trägt! Er ist in einem wahren Sinne sich selbst zum Ziel, hat Lust und Freude an sich, ist sich selbst Werkzeug zur Erfüllung des Selbstzieles seines Lebens.

3997 |        Doch dieses Selbstziel ist für den Menschen nur so weit endgültig, als es abhängt von einem „unendlichen Anhaltspunkt“, in dem die ganze Existenz des Menschen „gewahrt“ ist. Der Mensch ist sich selbst Objekt und Werkzeug einer gewissen endlichen Selbsterfüllung und Zufriedenheit oder Befriedigung, und doch lässt ihn diese seine „Endlichkeit“ eine Unendlichkeit erahnen. Wenn er auch in sich Befriedigung finden kann, in dem er sein Leben entsprechend einrichtet, so ist doch sein Leben „zu kurz“ und schon darum zerfällt der Mensch mit der Endlichkeit seines Glückes. Schon dieser Umstand lässt ihn eine dauernde Bitterkeit kosten, dass er nämlich nicht festhalten kann, was er genießt, dass er zwar befehligen kann, aber nicht zu ermächtigen vermag zu dem, was ihn dauernd erfreuen könnte. Er hat genossen und weiß, was ihn erfreuen kann, aber es liegt nicht in seiner Hand, dies alles festzuhalten. So endet jede seiner Freuden in Schmerz infolge eines möglichen Verlustes. – Der Mensch genießt in seinem Leben Ideen und Werte der Freude, Formen des Glückes, die er in wirklich dauernde verwandeln möchte. Er ist für sein ganzes Leben an Ideen und Formen gebunden, die ihm zum Ziele werden; er ist daran gehalten, sich in Selbstbegriffe und Ziele zu bilden, die für seine Zukunft entscheidend sind. Ein Mensch „ohne Idee“ wäre gleich einem vernunftlosen Wesen, wie es die Pflanze und der schöne Sternenhimmel sind. Der Mensch ist für ein bestimmtes Ziel geschaffen, dessen Formen und Ideen sich ihm in sich selbst auftun, die aber in diesem Leben nur ihren Anfang haben.

3998 |        Auch für sein religiöses Leben braucht aber der Mensch eine bestimmte Form, und diese religiöse Form ist die Bindung an ein höheres Wesen, von dem er sich abhängig fühlt und dem er verpflichtet ist. Darin liegt das Wahrnehmen, dass der Mensch sich doch nicht letzter Selbstzweck ist; dass er nur „individuell“ und zeitweise sich Selbstzweck ist, aber nicht seiner letzten Bestimmung nach. Aber auch dieses letzte Ziel seiner endlichen Bestimmung muss der Mensch durch Vermittlung seiner persönlichen Formen erfassen. Woher könnte der Mensch einen Begriff vom höchsten Wesen nehmen, das höher steht als er, wenn ihm nicht seine persönlich gebildeten Ideen zu Hilfe kämen? Der Mensch trägt aber das Ideenbild Gottes unzerstörbar in sich, denn seit dem Erwachen seiner Vernunft ist er gleichsam der Bildung dieser Idee anheimgegeben. Die Bildung dieser Idee von einem höchsten Wesen vollzieht sich zunächst im Bereich der persönlichen, menschlichen Möglichkeiten. Der Mensch strebt einem Aufstieg zu, der ihm zum Ziele wird, und dieses Ziel zeigt sich ihm verankert in einem höchsten Werte, der ihm unverrückbar entgegenstrahlt. Diesen Wert muss er zustreben; in diese Wertmöglichkeit ist sein ganzes Wesen hineingestellt, daran wird er gemessen und beurteilt. Dieser „mögliche Wert“ seines Wesens verfolgt ihn auch bis in die Situationen weniger guter Taten hinein, und diese Wertmessung wird ihm zur persönlichen Gerichtsbarkeit.

3999 |        Warum Gerichtsbarkeit – wenn kein Richter dahinter stünde? Bei allen anderen Geschöpfen vollzieht sich das Gericht nur in der Möglichkeit ihres Bestandes, insofern sie z. B. zugrunde gehen, wenn die notwendigen Lebensbedingungen fehlen. Vor dem Menschen aber steht ein unverrückbares Ziel, das ihm zur Verantwortung wird. Und er findet die Idee Gottes in der Verantwortlichkeit seines sittlichen Tuns und Strebens. Die Begriffe hoher sittlicher Werte lassen ihn seinen Gott erahnen. Jeder sittliche Begriff schließt Werte und Konsequenzen als endliche Erfüllung in sich, die den Menschen auf eine höchste Existenz als auf die Grundlage hinführen, in der alle sittlichen Ideen ruhen und gleichsam verankert sind. Die letzte und höchste Verankerung aller sittlichen Begriffe führt zu einer allumfassenden Wirklichkeit, in der alles seinen Ausgangspunkt und sein letztes Ziel findet.

4000 |        Die Befähigung zu dieser Erkenntnis trägt jeder Mensch in sich, und sie entwickelt sich in ihm mit dem Erwachen der Vernunft. Es könnte also jeder Mensch seinen Schöpfer erkennen und zur Anerkennung des höchsten Gutes gelangen, dass wir „Gott“ nennen. Nach dieser in uns grundgelegten Norm „könnte“ der Mensch sich auch sein sittliches Ziel und Streben einrichten. Er könnte zur persönlichen Gotteserkenntnis gelangen, denn jenes unverrückbares „Weltbild“ hätte genug Licht und Anziehungskraft für ihn. Gott könnte auf diese Weise sich auch einem Menschen persönlich „offenbaren“, sich ihm zum sittlichen Führer machen und ihn durch das im Menschen allgemein gesetzte Ziel zu hoher sittlicher Vollkommenheit führen; doch wäre dieser letztere Fall ein Ausnahmeweg.

4001 |        Der geschilderte Weg zur Gotteserkenntnis hat für alle Menschen Gültigkeit und ist der infrage kommende Weg für die Masse der (ungetauften) Menschheit. Er kann und soll zur formellen Anerkennung Gottes führen, die in der Verehrung Gottes oder im Kult Gottes ihren Ausdruck findet. – Der Mensch braucht für seine geistigen Begriffe einen Ausdruck und eine bestimmte Ordnung, in die er sich mit diesen Begriffen hineinstellt und hineinversetzt. Diese entsprechende Ordnung gibt seinem Streben nach dem erkannten und bejahten Ziele einen Halt, eine Erleichterung und Hilfe, um an seinen geistigen Begriffen, Ausdrücken und Zielen festzuhalten. – Diese Ordnung oder dieses formelle und ausdrückliche Festhalten der Anerkennung Gottes nennen wir das praktische Glaubensleben, in das unsere Anerkennung Gottes oder unser Festhalten an der göttlichen Existenz münden soll und dessen erste Folgerung die Verehrung Gottes, der Kult der Anbetung usw. ist.

4002 |        An sich könnte der Glaube praktisch genügen, um den Menschen zu hoher sittlicher Vollkommenheit und Vereinigung mit Gott emporzutragen; denn aus dem Glauben an Gott ergeben sich auch die sittlichen Pflichten des Menschen schon in hohem Maße. Doch dieser Weg verlangt eine große sittliche Anspannung und eine radikale moralische Wendung mit allen entsprechenden Konsequenzen für den Menschen selbst. Der Weg des nackten Verstandes und entsprechenden Wollens im Sinne der Folgerungen des Glaubens wäre der kürzeste Weg zu Gott und zu höchster sittlicher Vollkommenheit. Doch die Masse der meisten Menschen geht einen langsamen Umweg; denn sie scheuen den steilen Aufstieg zum Gipfel und halten ihn nicht für möglich. Die meisten Menschen nehmen den langsamen Weg der Andachtsübungen und all der vielen und langen Verzweigungen der Gottesverehrung, die allein sehr langsam und selten zum Ziele führen. Der Mensch als geist-leibliches Wesen, mit den Forderungen des materiellen Leibes, lebt auch sein religiöses Dasein als Doppelsein, bei dem das Gemütsleben zu Mittelpunkt des religiösen Kultes wird.1705 Er hat auch hier, wie in allen anderen Erlebnissen, das eigene Gemüt als Werkzeug und Objekt für die Förderung seiner Erlebnisse eingestellt; er will empfinden, erleben, mit den Sinnen wahrnehmen, eine Rückwirkung erfahren und so in sich eine Bestätigung seines Gottesglaubens erhalten. Gerade im religiösen Leben tritt die „Zweifachheit“ des Menschen deutlich hervor, insofern die Sinne ihr Recht fordern, während der Geist, als das einsehende Subjekt, oft diesen Forderungen widerspricht. Eine radikale Umstellung auf das als höher und besser erkannte Sittliche bringen die wenigsten Menschen fertig, weil auch die Erfüllung der religiösen Forderungen einem langsamen Prozess oder einer Umwälzung unterliegt, an der Seele und Leib beteiligt sind. Es dauert gewöhnlich längere Zeit, bis sich das Materielle im Menschen dem Einsehen des Geistes fügt und bis dann die größere Gefügigkeit des Materiellen sich zu einer wirklichen Umkehr ausgestaltet und ausdehnt. Sehr oft bleiben die guten Vorsätze „nur im Geiste“ bestehen, ohne dass der niedere Teil im Menschen einer tatsächlichen Änderung unterzogen wird.

4003 |        Der Mensch kann auch sehr leicht einer gewissen Veräußerlichung seines religiösen Lebens verfallen durch vielerlei von Andachten, die ihn über einen wirklichen Fortschritt hinwegtäuschen. In Wahrheit sollten auch äußere Andachten reinigend und fördernd auf das sittliche Leben sich auswirken, damit das religiöse Leben nicht zu einem äußeren Lippen- und Gefühlsdienst verfälscht werde. Gewiss will Gott auch nach außen angebetet und verherrlicht werden und er belohnt auch diese Art von Gottesdienst, aber was ihn am meisten ehrt, das ist die Abkehr des Menschen von seinen moralischen Mängeln und eine höhere sittliche Angleichung und Hinkehr zu Gott. Alle äußeren Andachtsübungen sollten den Zweck haben, sich dem göttlichen Urbild sittlich immer mehr zu nähren. Auch die Verehrung der Heiligen sollte dieses Ziel zu verwirklichen helfen. Je mehr rein äußerliche Andachten sich in die Kirche einschleichen, desto mehr wächst die Gefahr einer geistigen Verflachung, und die Forderungen an äußeren Leistungen im religiösen Leben werden überspitzt, wenn die Andachtsübungen nicht zu erhöhten sittlichen Forderungen führen.

4004 |        Das gesamte religiöse Leben sollte einen sittlichen Aufstieg zum Ziele haben, weil nur damit der Zweck des Kultes erfüllt wird. Der Glaube an Gott ist ja für den Menschen nicht Selbstzweck und bedeutet nicht bloße Gottesverehrung allein, sondern sollte eine immerwährende Wertangleichung an den Gegenstand des Glaubens in sich schließen. Nur auf diese Weise löst der Mensch auch sein Streben nach einem unverrückbar vor ihm stehenden Wert und Ziel in einer „selbstzufriedenen Weise“ aus, und [es] kommt immer mehr eine persönliche Annäherung, eine Zuneigung und Vereinigung der beiden „Pole“ zustande. Der Mensch nähert sich damit immer mehr seinem im Glauben erfassten Ruhepunkt. Wenn aber entsprechende sittliche Anwendungen und Folgerungen fehlen, kann zum Beispiel auch noch so eifrige Bibellesung wenig Fortschritt im geistigen Leben hervorbringen. Nicht was wir wissen, gibt den Ausschlag, sondern was wir tun und die Früchte unserer Taten. Darum sollte das eigentliche Ziel des religiösen Lebens mehr betont werden.

 

26.02.1948

4005 |        Die „Gesamterlösung“, oder die vollkommene Erlösung schließt in sich: 1., dass sie alle Menschen umspannt und 2., dass sie vom tiefsten Abgrund ewiger Verwerfung bis zu den Höhen des Paradieses führt, und den ganzen dazwischen liegenden Abstand umspannt.

4006 |        Worin liegt die Erklärung dieses psychologischen Geheimnisses?

4007 |        Das Geheimnis der unermesslichen Fruchtbarkeit und Spannweite der Erlösung hat seine Erklärung im Wesen der Unendlichkeit des göttlichen Geistes. Gott ist Geist von Ewigkeit und sein Wesen als Geist umspannt die ganze sichtbare und unsichtbare Schöpfung, jedes Atom bis in die fernsten Auswirkungen und alles, was wir Leben und Dasein nennen. Gottes Wesen ist Licht und Leben. Der Menschengeist ist ein schwaches geschaffenes Abbild des göttlichen Geistes dadurch, dass er erkennt, sich individuell selbst besitzt und einen ähnlichen Kreis von Herrschaftsfähigkeiten aufweist wie sein Schöpfer.

4008 |        Des Menschen Geist ist Licht des Erkennens, und doch ist er nur ein Fünkchen von jenem unerschaffenen Licht, das gleichsam die Zentrale und Antriebsquelle jedes Wissens ist. Was der Mensch erkennt, ist gewiss zum Teil sein eigenes Produkt, weil auch er zum Schaffen an und inmitten der Schöpfung bestellt ist, aber das Werkzeug, „womit“ er erkennt, ist nicht von ihm und darum nicht sein Eigentum. – Auch im Menschen ist jene geheimnisvolle, beherrschende Bewegung, die wir „Leben“ nennen, und zwar ist es immer „neues“, individuelles Leben, das jeweils neue Lebensmöglichkeiten für sein Dasein schafft und eine „neue Tätigkeit“ entfaltet. Jeder Mensch muss ja „neu anfangen“ und es gibt bei Menschen keine fertige Vererbung wie etwa durch den Samen bei den Pflanzen. Das Leben des Menschen ist immer eine individuelle Existenz, die sich gleichsam mit den eigenen Kräften zur Höhe ringen muss. Die Pflanzen und das Tier unterstehen einer sozusagen „mechanischen“ Vererbung, während das Leben des Menschen auch den individuellen Lebensantrieb entströmt. Der Mensch baut sein Leben auf eigene Verantwortung und untersteht der Selbstkontrolle; sein Dasein ist eingespannt in einem Pflichtenkreis und Pflichtendrang, den er sich nicht entziehen kann. Woher kommt dies? Es ist die dem Menschen angeborene Abhängigkeit von seinem Schöpfer und Urbild, die ihn niemals loslässt. Der Mensch kann aus dem Kreis seines Geistes nicht heraus und kann dessen Grenzen nicht überschreiten, oder er müsste sein Sein auslöschen; doch auch dies wird ihm nie gelingen und niemals wird er sich in den Nicht-Stand versetzen können, denn „er ist da“ und lebt. Warum kann der Mensch, nachdem er einmal zum Leben gekommen ist, nicht mehr aus seinem geistigen Lebenskreis ausscheiden oder sein geistiges Dasein zerschneiden? Warum die oft unerträglich scheinenden Bande des Bestehens und die daran hängende Last der Verantwortung? Mit den Banden des Geistes ist der Mensch an sich selbst gebunden und kann sie nicht zerreißen. – Die anderen Geschöpfe unterstehen dem Gesetz des gänzlichen Vergehens und haben keine Verantwortlichkeit außer jener äußerlichen, die der Mensch insofern ihnen auferlegt, als sie ihnen dienen und zunutze sein müssen. Der Mensch aber zerrt gleichsam sein ganzes Leben lang an und unzerbrechlichen Ketten, deren er sich nicht entledigen in kann. Warum? Gottes Wesen ist ein allumspannender Geist. Alles, was besteht, das besteht „in ihm“, und nichts besteht „außer ihm“. Es gibt keine Existenz, die er nicht stützt, und zwar durch sein göttliches Wesen selbst stützt. O, wenn man dies Geheimnis der Unendlichkeit des göttlichen Wesens begreifen könnte! Es liegt darin jene wesentliche Umspannung jedes Geschehens seit Ewigkeiten. Alles Sichtbare, jeder Ausdruck einer Bewegung geht auf das ewige, göttliche Sein zurück. Ein geschaffenes kleines Nachbild des göttlichen Wesens ist der Mensch durch die Anlage seines Wesens, durch sein Wissen, sein Können, sein Aufbauen und Niederreißen. Wenn ein Mensch ein Stück Land zur Verfügung hat, so richtet er dort alles nach seinem Willen, Können und Vermögen ein; er stellt alles so her, wie es ihm gut scheint und beliebt, und es dient ihm zur Befriedigung, dass er alles so gestaltete, wie er wollte und wie es seinem Geschmack entsprach. Das ganze Land trägt somit den Stempel seiner Fähigkeiten, seiner Ideen und Ziele. Man kann sagen: Das ist „sein Land“, weil es gleichsam seine Züge trägt und etwas von seinem Wesen angenommen hat und ihm zugehört. Durch diese Zugehörigkeit ist aber dieser Mensch dann auch verantwortlich für alle Geschehnisse in seinem Lande und er muss seine ganze Sorge aufwenden für das Gedeihen dieses seines Eigentums, und zwar nicht bloß für das materielle Gedeihen, sondern noch viel mehr für dessen geistiges Gepräge. Dieses sein Eigentum hat ja sein persönliches Gepräge und etwas von seiner Geistigkeit angenommen; denn, die darin ausgeführten und verwirklichten Ideen sind seinem Geiste und Wesen entsprungen und sind sein Reichtum geworden, mehr als der materielle Nutzen, den er aus dem Land gezogen hat. Darum liebt und schätzt ein edler Herr sein Eigentum, weil es ein Ausdruck seines Geistes, seiner Mühewaltung und seiner Machtaufwendung ist. Wenn aber dieses Sein Eigentum das Gepräge seines Geistes trägt, so trifft den Besitzer auch die Verantwortung für dieses geistige Gepräge seines Eigentums, für dessen gedeihen oder nicht gedeihen, für den Aufstieg oder für den Niedergang. Alles Geschehen in diesem Land wird sozusagen vor das „Gericht“ dieser Geistigkeit gezogen, die ihrerseits gleichsam ein Ausfluss der Persönlichkeit des Eigentümers ist. – So könnte (und konnte wirklich) ein Mensch ganze Völker gleichsam mit seinem Geist und Wesen erfüllen und einem, ihrem Beherrscher zugehörige Geistigkeit schaffen, für die jener dann verantwortlich ist. Die Fähigkeit eines einzigen Menschen kann hinreichen, um große Völker oder ganze Erdteile mit der Eigenart seines Geistes zu erfüllen; so groß sind der Einfluss und das Ausströmen eines Geistes, wenn er sich ganz auf eine Leistung verlegt und konzentriert. Das Geheimnis eines Eigentümers und Herrschers (auf geistigem Gebiet) ist seine Konzentration auf eine Idee, die er verwirklichen will. Wenn ein Mensch sich in sich selbst sammelt und sich dann sozusagen ganz ausgießt und einsetzt, so kann er mit den in ihm aufgespeicherten Mitteln und Kräften seines Geistes seine Umwelt erfüllen.

4009 |        Wenden wir dies nun auf die ganze Schöpfung und ihren Herren und Herrscher an! Wenn ein Mensch so Großes vermag – und die Geschichte liefert dafür Beweise –, so erfährt das Weltall noch weit mehr und sicherer die Herrschaft eines großen Geistes, denn alles ist von seiner Geistigkeit erfüllt und trägt gleichsam Züge seines Antlitzes. Freilich muss der Mensch dabei von der bloßen Materie absehen, um zum Wesen des darin wirkenden Geistes vorzudringen. Wessen Kräfte sind es denn, die so Wunderbares in der Natur wirken und die auch den Geist und das Erkennen des Menschen ermöglichen? Steht nicht hinter allem Geschehen eine höchste Wirklichkeit – ähnlich wie bei einem Land, dem ein Herrscher ein besonderes Gepräge gab?

4010 |        Die Größe und Macht Gottes, bzw. seine allumfassende und alles beherrschende Geistigkeit bringt aber, – um menschliche Worte zu gebrauchen –, auch eine gewisse „persönliche Verantwortung“ mit sich; denn jeder Herr ist sozusagen seinem Eigentum gegenüber verpflichtet und „verantwortlich“ gemacht. Wenn zum Beispiel ein Mensch auch nur aus Liebhaberei irgendetwas geschaffen hat, so stellt er doch dieses Werk wieder her und erneuert es, wenn es durch irgendeinen Zwischenfall entstellt worden ist. Und wenn ein Mensch etwas aus Pflicht schaffen musste, so muss er [es] auch ersetzen, wenn dies von ihm geschuldete Werk beschädigt oder zerstört wurde. – Gott, der Herr der Welt, ist nun aber Herr und Gebieter des Geistes; nicht so sehr das Sichtbare, als vielmehr der Mensch als Herr der sichtbaren Schöpfung und als Abbild, durch das Gott hienieden wirken und in gewissem Sinne herrschen will, ist ihm verantwortlich gemacht (die vernunftlose Schöpfung hat nur insofern eine „Verantwortung“, als sie von Gott gänzlich zerstört werden kann). – Könnte doch die Menschheit diese umfassende Geist-Herrschaft Gottes ermessen! Wird nicht mit jedem neuen Menschenkind auch von Neuem wahr: „Siehe, ich genieße meinen Geist aus“? Dass ein Mensch mehr da ist und hören, sehen und denken kann, das ist ein Ausgießen seines Geistes, und mit dem Hauche des Schöpfergeistes erhebt sich auch die göttliche Autorität und Herrschergewalt über diesen neuen Menschen. Mit diesem Ausgießen des Geistes ist ja auch das moralische Gesetz verbunden, in dessen Gebote und Schranken der neu geschaffene Geist hineingestellt wird, der nun nie mehr diesem Gesetz entweichen kann, weil es gleichsam mit der Existenz seines Geistes mit ausgegossen wurde. – Wie für den Einzelnen, so hat sich aber auch für die Masse1706 der Menschheit die unausweichliche Wucht des Sittengesetzes als beherrschendes Geist-Element erhoben und sozusagen auf die ganze Menschheit gelegt; denn sie ist ihrem Schöpfer verantwortlich geworden.

4011 |        Das Gesetz aber, das Gott der Menschheit gegeben hat, ist in Gott selbst begründet und unzertrennlich mit seinem Wesen verbunden: dass sie „sein“ und ihm gehörig seien, eines Geistes, eines Sinnes mit ihm, in harmonische Einheit mit seinem Geiste, sodass er mit ihnen lustwandeln könne; dass sie ein Volk seien und er ihr Gott; dass sie Geist vom Geiste Gottes seien und dass sie sich auf dem Weg der Einheit jederzeit finden könnten. Gottes Gesetz ist ein in seinem Wesen ruhendes Geist-Gesetz, nicht nur Worte oder Willkür. Gottes Gesetz ist zugleich sein Wesens-Gesetz, das Gesetz seiner Heiligkeit. Gott handelt nicht, wie die Menschen, mit dem „Verstand“, sodass eine Verschiedenheit oder Trennung bestehen könnte zwischen Ausdruck und sein; die wunderbare Einheit des göttlichen Wesens kann nur das zum Gesetz für seine Geschöpfe machen, was gleichsam Ausfluss seiner wesentlichen Heiligkeit und der göttlichen Einheit der drei Personen ist. – Als Grundlage des Verhältnisses zwischen Gott und seinen Geschöpfen sollte darum nur das dienen, was die Geschöpfe mit dem Schöpfer einen kann. Und deshalb hat Gott in den Geist des Menschen selbst sein Gesetz hineingeschrieben, das diesen nun unausweichlich verfolgt. Die „Spiritualität“ Gottes selbst, das Gesetz seiner Heiligkeit, ist also auch das Sittengesetz für den Menschen geworden, und das Gesetz dieser göttlichen „Spiritualität“ umfasst und erfasst das gesamte Menschengeschlecht.

4012 |        Nachdem die ersten Menschen das göttliche Gesetz verstoßen, und damit Gott selbst von sich gestoßen hatten, da verminderten sich die Forderungen Gottes an den Menschen nicht; im Gegenteil, es erhob sich in neuer Form die göttlichen Forderungen dessen, was seine Liebe und Herablassung einst zum Gesetz der Liebe und Einheit gegenüber den Menschen gemacht hatte. Gott hatte wahrlich auch nach dem Sündenfall Forderungen an den Menschen zu stellen, denn dieser war und ist das Werk seiner Hände. Wäre der Mensch nur Fleisch oder Materie allein, so wäre seine Verwerfung nicht ein „ewiger“ Verlust, sondern etwa so, wie das Los der Tiere und der Untergang der sichtbaren Schöpfung überhaupt. Einen Geist aber kann man nicht auslöschen, wenn er für eine ewige Bestimmung geschaffen ist. Gott nimmt nichts zurück von dem, was er sich als Ziel seiner Verherrlichung ein für alle Mal gesetzt hat. – Eher nahm er gleichsam selbst die Verantwortung der Menschheit auf sich, als dass er den Geist, den er aus seinem Wesen über die Menschheit ausgegossen hat, für immer hätte verunstaltet sein lassen. Gott wurde sich selbst sozusagen Richter, in dem er – in der zweiten göttlichen Person – das Gericht auf sich selbst legte. Die Geistigkeit und sittliche Geistesart oder Heiligkeit Gottes wurde dabei zum Maßstab des göttlichen Gerichtes, das er selbst im göttlichen Worte über sich ergehen ließ.

4013 |        Dieser göttliche Maßstab umspannte sein Wesen mit all seinen sittlichen Vollkommenheiten und deren Auswirkungen, die nun wie zu einem „neuen Maßstab“ wurden, zum Maßstab für das große Werk der gottmenschlichen Genugtuung und der Erlösung. Dieser göttliche Maßstab kleidete sich nun in Menschengestalt, und die irdischen Lebensverhältnisse „maßen“ sich ständig an diesem göttlichen Maßstab und nicht ein „Atom“ von dessen Forderungen blieb unerfüllt. Ob Christus wohl nur die Höhe oder nur die Mitte oder nur den untersten Teil des Gesetzes der göttlichen Heiligkeit erfüllt hat? Dann wäre sein Wesen nicht unendlich. Oder hat er vielleicht nur einzelnen Stufen und Forderungen der göttlichen „Spiritualität“, der sittlichen Geistigkeit Gottes erfüllt, sodass in dieser Erfüllung Spalten geblieben wären oder unüberbrückbare Stellen und Lücken, die nicht menschlich gelebt worden und darum ungesühnt geblieben wären? – Gottes unendliches, unteilbares Wesen selbst ist uns Bürgschaft dafür, dass Christus der göttlichen Gerechtigkeit die ganze Schuld abgezahlt und all ihre Forderungen erfüllt hat. Er konnte aus seinem göttlichen Wesen nicht heraustreten, konnte sich nicht mit menschlichen Maßstäben begnügen oder sich nur nach menschlicher Willkür seiner Erlöseraufgabe zur Verfügung stellen – damit hätte er aufgehört, Gott zu sein. Weil Christus Gott ist, hat er göttlich gesühnt, nach dem göttlich-persönlichen Umfang seiner göttlich-wesentlichen, richterlichen Heiligkeit. Diese wurde ihm selbst zu Maßstab (der geforderten Genugtuung), weil auch Gott-Sohn in seinem göttlichen Wesen der „Entehrte“ war, Entehrt nämlich durch die Trennung, die zwischen Gott und der von ihm geschaffenen Menschheit entstanden war.

4014 |        Für Christus war eine vollkommene Genugtuung ein Gesetz seiner göttlichen Liebe, für die er sich selbst gleichsam eine „neue“ Erwiderung verschaffte. Christus verschaffte sich „neue Liebe“, durch die Neuschöpfung der göttlichen Liebe, die in der Erlösertat liegt. Darin wurde die Menschheit dem Geiste nach neu geschaffen durch das göttliche Sittengesetz, das der Gottmensch und Erlöser nun „neu erfüllte“. Durch diese Erfüllung des göttlichen Sittengesetzes wurde eine „neue Ebene“ zu Gott hin für die Menschheit möglich gemacht. Der bis dahin unüberschreitbare, trennende Berg wurde abgetragen, das alte Sündengesetz wurde durchbrochen und es wurden neue Wege zu Gott eröffnet. Das war die Bedeutung der vollkommenen Erfüllung des göttlichen Sittengesetzes durch den Erlöser. Dadurch ist er der Weg, unser Weg geworden, auf dem wir schreiten müssen, denn er hat uns das Gesetz „vorgelebt“. Gott selbst hat für uns wieder möglich gemacht, was den ersten Menschen unmöglich schien1707. So hoch die Heiligkeit Gottes ist, so hoch und vollkommen wurde durch den Erlöser auch das Gesetz erfüllt; darum gibt es auch – von Gott aus gesehen – keine Stufe der Heiligkeit, die für den Menschen nach der Erlösung nicht möglich wäre. Da Christus das ganze göttliche Gesetz der Heiligkeit im gottmenschlicher Weise erfüllt hat, sind die Spuren dieses Weges Christi vorhanden — göttliche, unauslöschliche Spuren im Geiste des göttlichen Sittengesetzes, und sie müssen ihre Kraft offenbaren, und ihre geistigen Früchte bringen.

4015 |        Sage darum nicht: Ich kann nur diesen oder jenen Teil der schwerwiegenden Lasten des Gesetzes Gottes tragen und ihn mir abtragen! Christus hat die ganze Last getragen; darum ist grundsätzlich auch die ganze Schwere des Gewichtes abgetragen, und die Früchte seiner gottmenschlichen Mühen sind als göttlicher Schatz aufgespeichert; denn was ein Gott mit unendlichen Vollkommenheiten tut, das hat kein Maß, weder in der Höhe noch in der Tiefe noch in der Länge und Breite; es hat unendlichem Wert und unerschöpfliche Kraft.

4016 |        Wie viel würde die Menschheit gewinnen, wenn sie wieder zu diesem Glauben käme! Doch wie kann sie lebendig und voll an den Erlöser glauben, wenn sie Gott nicht kennt? — Warum bemisst die Menschheit im Allgemeinen das Erlösungsgeheimnis nach dem beschränkten Maß der Menschen? Gott ist ihr gleichsam in die Ferne gerückt, weil sich die Menschheit allzu sehr selbst behaupten will und weil sie alles nach ihrem „Fortschritt“ bemisst, der doch immerwährender Mangel und voll Mängel ist. — Nur Gott selbst kann der wahre Maßstab sein in den Taten seiner Liebe. Die Geistart seiner Liebe hat nun aber durch die Schöpfung sich im Menschen Teilhaber und Miterleber seiner Liebe geschaffen; und sie hat durch die Erlösung, diese Berufung zur Teilnahme und zum Miterleben dieser Liebe „erneuert“ oder neu geschaffen. Dem Wesen nach ist nichts vom ersten Ziel des Schöpfungsaktes verloren gegangen, als Christus selbst, durch das gottmenschlich gelebte göttliche Sittengesetz dessen vollkommene Erfüllung wurde.

 

April

01.04.1948

4017 |        Die Heiligkeit Gottes beruht auf der absoluten Ordnung des göttlichen Wesens selbst. In Gott ist letztlich der „Inhalt“ jeder Ordnung, und das göttliche Wesen selbst ist letzte Grundlage und Ausgangspunkt einer jeden „Ordnung“. — Gott hat die Welt und alle Geschöpfe auf die Grundlage einer bestimmten Ordnung (mit verschiedenen Abstufungen) gestellt. Es gibt eine „physische“ Ordnung im materiellen oder Körperhaften, eine (psychische) Ordnung des Geistes, eine Ordnung des Lebens oder der Lebensbewegungen (wodurch die Materie beherrscht wird). Es gibt die sittliche oder moralische Ordnung. In allen diesen Ordnungen besteht eine Hinordnung auf ein bestimmtes letztes Ziel und auf dieser Ordnung ist alles Existierende, alles Lebende, alles Sichtbare aufgebaut.

4018 |        Was wir „Ordnung“ nennen ist im Grunde die Zielsetzung, auf die sich die einzelnen Wesen hinbewegen oder hinbewegen sollen. Die Ordnung ist die Richtung und „Ausrichtung“ eines Weges, der zu einer gewissen Harmonie und Vollendung führt, nämlich zur Erreichung des gesetzten Zieles. – Jedes Ziel schließt aber auch gewisse Bedingungen in sich, die dessen Erreichen erst ermöglichen. Das Ziel selbst ist dann die Vollendung der Bestrebungen oder der Akte, die in der Richtung des Zieles gehen. Jede Betätigung hat gleichsam etwas von der Form des Zieles an sich, und die Bewegungen eines jeden Wesens unterstützen das Erreichen des Zieles.

4019 |        Das sehen wir deutlich schon in der Pflanzenwelt. Jede Pflanze dient einem bestimmten „Ziel“, nämlich der Verwirklichung und „Auswertung“ ihres eigenen „Wesens“. Die Blume zum Beispiel dient zum „Blühen“ und damit zum Bestauntwerden und erfreuen. Andere Pflanzen dienen zur Nahrung oder irgendwie zum Dienst und zur Lebenserhaltung des Menschen. So strebt die gesamte Entwicklung der Pflanzenwesen ihrem Ziele zu, und es ist gleichsam ihr Naturgesetz, dass sie die Mittel anwenden, durch die sie ihr entsprechendes Ziel erreichen. Jede ganze Entwicklung geht auf dieses Ziel hin, verfolgt damit eine Linie einer bestimmten Ordnung und folgt so einem maßgebenden Naturgesetz.

4020 |        Das Naturgesetz im Allgemeinen ist eine bestimmte Ordnung, die den gesamten Kosmos beherrscht. Diese Ordnung bezieht sich sowohl auf das Sein der Geschöpfe wie auf das „Wie“ dieses Seins, d. h., auf die Zielstrebigkeit. Die seinshafte Art der Ordnung umfasst alle Seinswerte und Grundelemente, die zum Aufbau der Geschöpfe notwendig sind, wie zum Beispiel die Art des Wachstums der Menschen, Tiere und Pflanzen. Die zielstrebige Art der Ordnung bezieht sich auf die Dienstbarkeit oder auf die Ziel- und Zweckhaftigkeit der einzelnen Geschöpfe innerhalb des Kosmos selbst. Diese beiden Arten der Ordnung gehen eng zusammen und ineinander; sie ergänzen einander, und bilden sozusagen ein Ganzes, worauf sich der Bestand des Weltalls stützt. — Nicht immer jedoch haben die einzelnen Geschöpfe alle erforderlichen Mittel, um im Verlaufe ihres Daseins beide Arten der Ordnung vollwertig zu genügen. Die Mittel zu einem tadellosen Verlauf ihres Daseins und zur vollen Nutzbarkeit der einzelnen Geschöpfe hängen nämlich von den Bedingungen und Gegebenheiten ihrer Existenz ab. Daraus ergibt sich oft eine weitgehende Mangelhaftigkeit in den Dingen des Kosmos und auch in ihrer wirksamen Zielstrebigkeit.

 

22.04.1948

4021 |        Nur als (Gott)-Mensch konnte Christus für die Menschheit Verdienste erwerben, denn in ihm, als Gott war ewige Fülle. Als Gott konnte er nicht „dazu erwerben“, weil in ihm schon die Fülle der Liebe herrschte. Schon der Akt der Menschwerdung war reine Tat der göttlichen Gefühle der Liebe. In Gott ist kein „Werden“ und kein Sammeln.

4022 |        Kraft ihrer menschlichen Natur hat aber die göttliche Person Christi eine „Verdienstfähigkeit“ erhalten – wenn auch jede Tat der Menschheit Jesu einen Akt der göttlichen Person selbst war. In Gott ist ewiges Sein, das keiner Erhöhung fähig ist; aber im Augenblick der Menschwerdung erhielt diese göttliche Person gleichsam eine „neue Seinsart“, die Gott menschliche Seinsart, mittels derer auch eine gottmenschliche Dienstfähigkeit begann.

 

29.04.1948

4023 |        Die Darstellung der theologischen Lehre oder Dogmatik ist heute weitgehend „äußerlich“ eingestellt. D.h., man bleibt vielfach zu sehr an der Oberfläche, beim Sichtbaren oder Greifbaren stehen und vernachlässigt die tieferen Grundgesetze des Geistes Christi. Im Besonderen beachtet man zu wenig die „individuelle“ (auf den Einzelnen angewandte) Gnadenlehre, d. h., die Pflichten gegenüber Gott, die sich für die einzelne Seele aus der Erlösungs- und Gnadenlehre ergeben und die ihr den Weg weisen, um die heutigen Strömungen des (unchristlichen) Zeitgeistes zu überwinden. Durch die „individuelle“ Gnadenlehre müssen die Menschen sich wieder mehr bewusst werden, dass sie – jeder persönlich – in eine göttliche Heilsordnung der Liebe hinein versetzt sind und dass sich daraus Forderungen Gottes an die einzelne Seele ergeben, denen sich diese nicht entziehen darf.

4024 |        Das will nicht sagen, dass die heutige Dogmatik vom rechten Geiste abgewichen wäre, aber die göttlichen Grundprinzipien gegenüber der einzelnen Seele sind zu wenig hervorgehoben worden und die Dogmatik wendet sich heute vielfach zu sehr an die „Allgemeinheit“ oder an die Masse. Man begnügt sich zum Beispiel vielfach mit der Anwendung der Gnadenlehre auf die Todsünde, soweit dies zum ewigen Verderben führt oder „greifbare“ Wirkungen hat. So ist auch das Verständnis des Wesens und Begriffes der Sinn der überhaupt weithin geschwächt und hat sich die heutige Kultur von vornherein und fast ausschließlich auf eine nur „äußere gute Ordnung“ oder Korrektheit eingestellt. Das Bewusstsein des großen Unterschiedes zwischen dem äußerlichen „Guten“ oder der äußeren Ordnung und zwischen dem inneren, sittlichen Guten ist weithin geschwunden. Es ist eine „Vermassung1708“ im Tun den Menschen eingetreten, weil die einzelnen Seelen das Bewusstsein ihrer persönlichen Verpflichtung gegenüber Gott in weitem Ausmaß verloren haben.

4025 |        Dies hat aber praktisch dazu geführt, dass nicht bloß eine gewisse „Verheidung“ oder ein Heidnisch-werden der Sitten um sich griff, sondern dass auch der einzelne Mensch oder Christ daran oft wenig oder kaum mehr Anstoß nimmt, weil sich seine eigenen, tatsächlichen Auffassungen vom „Christenleben“ unschwer mit denen geistlosen Anschauungen und heidnischen „Sitten“ vereinbaren lassen. Die heutige Kulturlage hat das christliche Leben weithin „entgeistigt“, verflacht, verwüstet. Vielfach unterschieden sich die Christen in ihren Lebensgrundsätzen wenig oder kaum mehr von den Ungläubigen und Juden. Die Christen haben vielfach ihr individuelles Geistesgesetz verloren, das jedem Einzelnen als einem Glied der Herde Christi obliegt.

4026 |        Um ein „neues“ Christenleben mit göttlicher Fruchtbarkeit zu ermöglichen und herbeizuführen, muss es wieder zu einer klaren Scheidung der Geister kommen, ähnlich wie damals, als die Apostel in die Welt hinauszogen mit dem Auftrag Christi: „Geht … und lehret sie alles halten!“ Man kann dem heutigen, nur äußerlich guten oder geordneten, im Grunde aber weithin heidnischen Kulturleben, dem auch die Masse der Christenheit mehr oder weniger verfallen ist, nicht damit abhelfen oder begegnen, dass man diese äußere Ordnung des Kulturlebens abschaffen, angreifen oder zerstören will – denn damit würde auch dem Christentum als Organisation große Schwierigkeiten bereitet werden. Es müssen vielmehr die einzelnen Christen wieder für eine vertiefte Anwendung der Lehre und des Geistes Christi auf ihr persönliches Leben gewonnen werden. Es muss, mit anderen Worten, eine Vertiefung in der Anwendung der Erlösungs- und Gnadenlehre angebahnt werden, womit sich die einzelnen Seelen wieder in einer klaren und scharfen Scheidung ihres Geistes und ihrer Anschauungen von den modernen Lebensauffassungen durchdringen und erheben. Der Einzelne kann sich heute nicht mehr retten „von außen her“, das heißt, dadurch, dass er sich vom allgemeinen Kulturleben ausschließt, – denn damit würde er gleichsam sein Lebensrecht und seine Daseinsbedingungen verlieren. Er muss vielmehr in der kommenden Zeit durch eine christliche Erziehungsmethode viele Einzelne dazu anleiten und führen, dass sie sich klar und bestimmt als Christen von dem herrschenden Zeitgeist absondern und so eine Geistesgemeinschaft bilden, um als eine Masse von Einzelnen und christlichen Persönlichkeiten „von innen heraus“ auch eine äußere Neuordnung und christliche Lebensgemeinschaft anzubahnen. Andernfalls, d. h., wenn dies nicht gelingt, wird eine weitere Entkräftung des christlichen religiös-sittlichen Einflusses in der Menschheit eintreten und wird sich die Menschheit damit ihren eigenen Untergang bereiten.

4027 |        Gott warnt die Menschheit, dass sie nicht, ähnlich wie einst das Volk Sodoms, ihren eigenen Untergang dadurch veranlasse, dass sie ihre besten Kräfte – die Kräfte ihrer persönlichen Beziehung und Verbindung mit Gott – in sich selbst zerstört. (1)1709 – Und der Herr will das gesamte religiöse Leben auf eine unbedingte Neuordnung gestellt sehen, und diese Neuordnung muss von den Priestern als den Führern und Vorbildern des Volkes ausgehen. Die Behörden sind vor Gott verpflichtet, der Masse der Christen diese Geistesbeihilfe zu bieten. Tatsächlich hat sich aber auch in den befugten Führern des christlichen Volkes, in den Priestern, ein langsames abbröckeln im Bewusstsein der christlichen Verpflichtungen und Verantwortungen sowie eine gewisse Veräußerlichung in der Seelsorge vollzogen, sodass die Geister der einzelnen Christen nicht recht erfasst werden und diese fast wie eine führerlose Masse ohne klar und persönlich verstandenes Geistesgesetz herumirren. – Die Grenzen und Dämme des individuellen Verantwortungsbewusstseins vor Gott sind heute vielfach eingerissen; die Anerkennung der persönlichen Abhängigkeit von Gott und damit der individuelle Einfluss der christlichen Lehre, d. h., ihr Geisteseinfluss auf die einzelnen Menschen ist weithin geschwunden und hat der Auflehnung oder gar dem Hass gegen Gott Platz gemacht. Dies sind aber schlimmere Folgen für das individuelle Christentum, als es selbst das alte Heidentum war, das an sich keinen Hass gegen Gott kannte; – dazu kommt, dass heute auch die Kräfte und Bestrebungen des Geistes, nämlich das, was man den „Fortschritt“ zu nennen pflegt, vielfach in Waffen, Geisteswaffen gegen Gott verkehrt und verwandelt wurden; diese Kräfte des Geistes und Fortschrittes wollen nämlich heute die Idee der persönlichen Abhängigkeit von Gott ausrotten und wollen das Geistesgesetz Gottes und eine bessere und höhere Moral fernhalten und abwehren. In den heutigen philosophischen Grundlagen (der Moderne) ist der persönliche Wille zur Unterordnung gegenüber einem höchsten Wesen fast ganz geschwunden.

4028 |        Dieser heutigen ungläubigen Philosophie und Lebensauffassung muss daher eine neue, straffere und härtere Geisteshaltung, und eine vertiefte und folgerichtige Geisteslehre entgegengesetzt werden, worin die göttlichen Kräfte walten und sprudeln, um „das Tier in den Abgrund zu werfen“. Es muss dem heutigen Zeitgeist eine straffe Lehre gegenübergestellt werden, die den Einzelnen emporreißt, ihn wieder „in sich hinein“ – d. h. in das Bewusstsein seiner persönlichen Verantwortung vor dem Schöpfer und Erlöser – versetzt und ihn damit Gott nahe bringt. Es geht gewiss nicht darum, dass man ein neues Evangelium lehre, sondern darum, dass man den Künder der Frohen Botschaft selbst wirklich anerkenne, ihn, der die Ketten löst, die den Geist der heutigen Menschen vielfach gefangen halten. Es ist ein großer Mangel von heute, dass man sich zu sehr mit dem Verkündigen und Lesen des Evangeliums oder auch mit dem Bewundern der Wunder Christi begnügt, aber dabei den Gottmenschen selbst, seinen Geist und seine persönlichen Forderungen gleichsam beiseitestellt und sich den Banden des Geistes und der Gnade Christi entzieht. Die Gnaden und die Bande Christi sind aber ein immerdar sprudelnder Quell, der zutiefst vom „Geiste Christi“ ausgeht und von ihm ins Evangelium fließt. Wer bei der Bibel allein stehen bleibt (– ohne bis zur lebendigen Person Christi vorzudringen –), der gleicht einem Baum, der am Ufer eines Baches steht und trotzdem am Verdorren ist. Alle Irrlehrer haben zuerst die Bande der Gnade Christi abgeworfen, haben sich das Geistesgesetz und der Geistesverbindung mit Christus erledigt und sich mit der „Lehre des Evangeliums“ begnügt. Es muss aber in erster Linie des Geistesgesetz Christi hochgehalten werden, denn daraus sprießt das Leben der Gnade, die den Bereich und Umkreis der einzelnen Seelen sozusagen bewässert und geistig unterhält. Die Gnade und Geistesverbindung Christi wirkt unmittelbar auf die Seele ein, während das Sich-begnügen mit dem Lesen, Studium und Bewahren des Evangeliums und der Bibel allein gleichsam einen Umweg machen muss, um zu Christus zu gelangen. – Nicht als ob das Lesen der Bibel usw. nicht gut und notwendig wäre, oder als ob es heute zu wenig oder zu viel Bibellesung gäbe, aber es fehlt dabei heute vielfach die Verbindung und Verankerung mit dem Geiste Christi, der Sich-selbst geoffenbart hat.

4029 |        Auch der einzelne gute Priester kann aber diesen heutigen Zeitübeln nicht mehr wirksam genug begegnen, weil sie schon Massenübel geworden sind. Deshalb muss die Grundidee einer notwendigen allgemeinen Erneuerung dadurch herausgestellt werden, dass die bestehenden Übel in klaren Umrissen gezeichnet und wirkliche Heilmittel dagegen gesucht werden. Es muss sich dann eine vertiefte Geisteshaltung von Priestern bilden, deren Geist sich deutlich und bestimmt von den heutigen Zeitübeln abhebt und die in einer Organisation zusammengefasst werden, um systematisch und einheitlich dieses Übel an der Wurzel zu fassen. Dazu müssen sie aber zuerst sich selbst vollends in die entsprechende Geisteshaltung einspannen und müssen sie aus ihrer eigenen Überzeugung heraus Apostel dieser Erneuerung und Vertiefung werden. Die göttliche Lehre muss wieder zum sprudelnden Geistesquell für den Einzelnen werden, woraus neues Leben für Gott geboren wird. Christus will diese Geisteshaltung und dieses Apostolat im Rahmen des Priesterwerkes verwirklicht sehen, um gleichsam neue Kräfte in der Kirche zu wecken, um neue, höhere Ziele zu zeigen und um die einzelne Seele zu einem Reich für Gottes Gnade zu gestalten. Er will dies auf dem Weg „über die Priester selbst“ tun, d. h., indem diese die selbst angewandten Methoden und die persönlich verwirklichten Ideen und Ideale den Seelen zugänglich machen.

4030 |        Dies habe ich von einer merkwürdig hohen Schau aus geschrieben. Ich bin dabei wie in ein Geistesgesetz hineingestellt, das zwischen Gott und der Menschheit steht. Ich erahne die große Kluft des heutigen Abstandes zwischen Gott und Mensch.1710 Ich stehe wie inmitten dieser Kluft und schaue nach oben und unten.

4031 |        „Die Verworfenen sind vor Gott untergegangene Menschen“. Sie bestehen gleichsam nicht mehr für ihn. So wie Christus gesagt hat: „Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet“. – Gott hat ihnen als Richter schon das ewige „Weichet …!“ entgegen geschleudert; sie sind derart von der Gewalt des Bösen in Beschlag genommen, dass Satan sie als eigene Werkzeuge gebrauchen kann; sie haben jeden Widerspruch gegen die Gewalt des Dämonischen verloren. Diese Wahrheiten sollten mehr betont werden.

 

Mai

23.05.1948

4032 |        Seit der Überwindung des Heidentums durch das Christentum ist die Menschheit noch nie so tief in sich selbst (anstatt in Gott) zurückgesunken wie heute. Gewiss ist die Welt „christlich geworden“, aber bei den heutigen Menschen ist das Christentum im Allgemeinen mehr „Im Menschen selbst“ verankert, ohne wesentliche Bezugnahme auf Gott. Der Mensch diktiert sich heute zumeist sein „Christentum“ selbst, anstatt es von Gott zu beziehen. Tatsächlich ist der Mensch um Gottes Willen da, und von Gott ist alles Heil gekommen, die Erschaffung sowohl wie die Menschwerdung und Erlösung. Der Mensch von heute schreibt im Allgemeinen praktisch alles sich selbst zu und tut, als sei Gott um des Menschen wegen da.

4033 |        Der durch die Sünde entstandene „Gegensatz“ zwischen Gott und der Menschheit fand sein göttliches „Gegenstück“ im Gottmenschen, der allen zwischen Gott und den Menschen bestehenden „Gegensatz“ in sich aufnahm und ihn in sich zu einem wirklich erlebten und erlittenen Gegensatz machte. Das ganze, für den Menschen geltende Sittengesetz hat ja auch in Gott und in Gottes Wesen seinen letzten Grund, und zwar bleibt es auch heute in der ganzen, wesentlichen Höhe der Vollkommenheit in Geltung, wie es für den Menschen im Paradies mit der Erschaffung gegeben wurde. Gott hat nicht ein Zehntchen von jenem Ziel der Vollkommenheitshöhe gestrichen, weil er sein göttlich-heiligstes Wesen nicht verleugnen kann, nach dessen Bild und Gleichnis der Mensch gebildet wurde. Es gibt im Grunde nur eine „Norm der Heiligkeit“, und diese Norm ist die göttliche Vollkommenheit des Wesens Gottes selbst. Hatte nicht Gott auch die irdische Schöpfung des Paradieses in höchster Vollkommenheit geschaffen?

4034 |        Die ersten Menschen standen in der Wunderbarkeit ihrer menschlichen Person gleichsam auf einer Ansteigenden „Ebene hin zu Gott“. Ihre sittlichen Möglichkeiten und die dazugehörigen seelischen Gegebenheiten ließen sie Gott erfassen und erleben wie ihren Gefährten und Freund. Ihre geistigen Betätigungen und Beziehungen konnten ständig Gott „erreichen“. Sein Geist erfüllte des Menschen Geist, weil Gott die Menschen mit der Möglichkeit jener „Ebene hin zu ihm“ geschaffen und gebildet hatte. „Gott selbst war nicht bloß das Ziel, sondern auch der Weg“ des Menschen. Der Mensch trug ja die Spur und das Abbild Gottes in sich, und damit hatte der Schöpfer und Urheber der Menschheit ihr „durch sich selbst“ den Weg zu ihm gezeigt und angegeben, und zwar ohne Umwege oder Klippen. Die Idee des Menschengeschlechtes entsprang ja Gott selbst; in ihm lagen der Ursprung und das Ziel der Menschheit. Daraus folgt, dass der Mensch die Möglichkeit haben musste, „Gott zu erreichen“, und dass diese Möglichkeit in der Uridee der Erschaffung des Menschen lag. Diese Möglichkeit war aber gegeben durch die Sphäre oder Ebene, der in Menschen angelegten sittlichen Vollkommenheiten, die ihrerseits eine entsprechende psychologische Anlage oder Ebene im Menschen zur Voraussetzung hatten. Man kann ja nicht von sittlichen Möglichkeiten sprechen, wenn nicht auch entsprechende psychologische Fähigkeiten gegeben sind. Beides geht zusammen wie Angel und Türe. – Diese moralisch psychologischen Fähigkeiten gehen aber in ihren letzten Wurzeln auf das Wesen Gottes selbst zurück, d. h., sie entspringen letztlich der göttlich-wesentlichen Seinsart (– ohne dass selbstverständlich der Mensch eine göttlich-wesentliche Seinsart hätte –), d. h., sie entspringen gleichsam einer Aufteilung der göttlichen Seinsordnung auf die nach Gottes Bild geschaffene Menschenseele.

4035 |        In Gott ist die höchste „Seinsordnung“ oder die „göttliche Seinsart“, die zugleich die Art seiner göttlichen Existenz ist. Jedes geschaffene Wesen aber, ob vernunftbegabt oder nicht, gehört einer bestimmten Seinsgattung an und die Grundzüge aller geschaffenen Seinsgattungen finden in der göttlichen Seinsart ihr vollkommenstes Urbild und ihre letzte Wirkursache, ihre Grundgesetze und ihre letzte Zweckerfüllung. Aus seiner göttlich-wesentlichen „Seinsordnung“ heraus hat der Schöpfer selbst für die vernunftlose Natur eine Ordnung und Gesetze aufgestellt, in deren Rahmen die gesamte Schöpfung sich bewegt. Man kann die Spuren dieser Ordnung bis in die letzten Verästelungen der Dinge verfolgen und bestätigt finden. Selbst die ungläubigen Forscher müssen diese Tatsachen der Ordnung und Gesetzmäßigkeit in der Schöpfung zugeben.

4036 |        Wie kann man aber den Seinsgesetzen des Menschen selbst nachspüren? In welche „Seinsordnung“ kann man ihn einreihen? Welche Kennzeichen seines Ursprungs und seiner Bestimmung trägt das Wesen des Menschen an sich? Jedermann muss zugeben, dass der Mensch sich von jeder anderen der geschaffenen Seinsordnungen oder Seinsgattungen abhebt und deutlich unterscheidet. (Es kommt dabei auf die „Seinsordnung“ oder geistige Konstruktion an, die in allen Dingen das Wesentliche und Entscheidende ist). Wenn auch der materielle Ablauf des Menschenwesens Ähnlichkeiten mit anderen Seinsgattungen aufweist, so ist der Mensch doch seiner Geistkonstruktion nach von allen anderen sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfen und Seinsordnungen verschieden. Man kann ja heute fast alle Kräfte der einzelnen Dinge in ihren Wirkursachen und Ursprüngen ableiten, zergliedern, analysieren, einteilen und bestimmten Seinsgattungen zuordnen, oder in übersichtlichen Schemen zusammenstellen. Niemals aber ist eine solche Einordnung des Menschenwesens gelungen.

4037 |        Woher dieses Abweichen des Menschenwesens von den Seinsordnungen der übrigen Geschöpfe und Dinge? – Der Mensch bleibt für sich selbst so lange ein unerforschtes und unbegründetes Gebiet, als man seine übernatürliche Zuordnung zu seinem höchsten Wesen außer Acht lässt. Der Mensch trägt in seiner Geistkonstruktion Spuren und Anlagen, denen kein Forscher nachgehen kann, der nicht sich selbst als ein allerhöchstes Wesen zugehörig anerkennt, einem Wesen, von dem er selbst das Dasein bekommen hat. Das Wesen des Menschen kann nicht voll erklärt und erforscht werden durch Seinsordnungen, die außerhalb seiner Natur liegen; es muss vielmehr sein eigenes Seins- und Grundprinzip erforscht werden und dazu muss er sich selbst zum Gegenstand der Forschung machen. Wie könnte ein Mensch diesbezüglich Lehrer für andere sein, wenn er selbst über sein Ziel sich nicht klar ist und wenn er die Grundgeheimnisse seines eigenen Wesens nicht kennt und nicht schätzt?

4038 |        Das Wesen des Menschen hat seinen Ursprung und Ausgangspunkt in einem allerhöchsten Wesen, das die allervollkommenste und größtmögliche „Seinsordnung“ aufweist, nämlich das „göttliche Seinsprinzip“. – (Gewiss kann man beim göttlichen Wesen eigentlich nicht von einem „Prinzip“ oder einer „Grundlage“ usw. reden, aber es müssen menschliche Ausdrücke genommen werden, die eine „annähernde Erklärung“ möglich machen. Wir müssen Gott in eine „Form“ kleiden, die uns Menschen eine schwache Erklärung ermöglicht). – Wer vermöchte in das Geheimnis der Seinshaftigkeit Gottes, bzw. der Seinshaftigkeit selbst einzudringen! In Gott ist seit Ewigkeiten die Fülle des Seins oder die Fülle der Seinshaftigkeit ohne Anfang und ohne Abnehmen! – Auch der Mensch besitzt Seinsprinzipien, aber es sind werdende sich entwickelnde Seinsprinzipien, die sich zu einer bestimmten Vollkommenheit emporbilden können. Im Menschen ist alles „werdend“, sich entwickelnd; wir sind immer am Werden, am Erobern, am Wachsen in dem, was wir dann „haben“ und besitzen. Die Seinsordnung des Menschen beruht also auf einem gegebenen Prinzip, das sich wie ein Samenkorn entwickelt, entfaltet und zum Wachstum und zur Frucht drängt. Es bilden sich „Seinswerte“, die das „Leben“ immer mehr verwirklichen und zu einem vollen Dasein entstehen lassen. Dies gilt nicht bloß von den physischen, sondern auch von den psychologischen und moralischen Gegebenheiten des Menschenwesens. Die ganze Vielfalt all dieser menschlichen Möglichkeiten entströmt aber in ihren Anfängen notwendig einer alles in sich schließende, immer „schon bestehende“ Ordnung, der höchsten „Ordnung“, die eine wesenhafte, seinsmäßige Grundlage hat – um mich menschlich auszudrücken.

4039 |        Es gibt sozusagen eine „Form Gottes“, aber sie kann nur vom Geiste aus erfasst werden, denn Geist kann nur vom Geiste erfasst werden und nur „von dort aus“ kann eine Ausdrucksmöglichkeit gefunden werden. – Steige auf den Gipfel eines hohen Berges, und du wirst staunen über die Klarheit der Luft, über die Durchsichtigkeit des Lebensodems, bzw. der Luftteilchen, die den Körper durchströmen und gleichsam neue Lebensfreude wecken; du wirst staunen über die weite Fernsicht, über die königliche Freiheit und Erhabenheit über die Niederungen des Lebens, über die Nähe der Sonne usw. Ein Mensch, der sich immer nur im Tal und in den Niederungen der Erde aufhält, kann dies niemals erfahren und erleben. Man muss auf den Berg steigen, um dessen Vorzüge innezuwerden. – so ist auch die Materie das Hindernis, das uns abhält von der „Zusammenkunft mit dem Geiste“. In Gott ist aber die Fülle, und die Quelle des Geistes, denn er selbst ist Seinshafter und Geist. Und nur in Gott-Geist ist immer eine schon vorhandene Fülle, ist immer schon „Vollendung“ da. – der Mensch kann sich eine wahre und wirkliche „Vollendung“ gar nicht vorstellen, weil er nur Mangelhaftes kennt. Darum jubelt die Seele auf, wenn sie im mystischen Erkennen jene Fülle der Vollendung erfasst, die sich ihr als Gott offenbart, indem sie alles findet, ohne Mangel! Wir Menschen sind von Natur aus an den Mangel gewohnt; darum dieser unsagbare Unterschied, wenn die Seele aus der Not dieser Mängel heraus einmal die Fülle der Vollendung erfährt. So hat es Petrus gemeint, als er auf Tabor den Herrn in Verklärung sah: Was er an Christus sah, das schien ihm die höchste Erlösung von den Mängeln dieses Lebens!

4040 |        Wirst du zu Gott erhoben1711, so wirst du es im Geiste; die niedere Natur bleibt „unten“, und der Geist findet den Geist Gottes; er wird ihn inne und mit diesem Innewerden werden auch die göttlichen Vorzüge von der Seele aufgenommen. Dabei „kehrt die Seele zurück“ zu ihrer Quelle und genießt deren höchste Güter.

4041 |        So wie die Seele zu ihrer „Quelle zurückkehren“ kann, so ist sie einst von ihr ausgegangen! Möchte diese Wahrheit wieder zu einer praktischen Grundlehre des Christentums werden! Von wo die Seele einstens ausging, dorthin muss auch ihr „Rückweg“ ständig gehen. Und ist nicht im Grunde alles Dazwischentretende nur nichtssagendes Gerümpel, das nur wert ist, weggeräumt zu werden, um den Weg freizumachen?

4042 |        Der Mensch findet auf Erden unter allen Geschöpfen nicht „Seinesgleichen“. Er steht darum über allen anderen Geschöpfen. Er hat einen anderen Ausgangspunkt und eine andere Rückkehrlinie. Er hat ein anderes Zentrum seiner Seinswerdung und seiner Seinsbestimmung.

 

Juni

21.06.1948

Im Hinblick auf Lehren über die Abstammung des Menschen.

4043 |        Die grundlegenden und richtungsgebenden Wahrheiten der Bibel dürfen nicht angegriffen werden, denn sonst würde die Bibel aufhören, ein wirklich richtungsgebendes Buch zu sein. – Der Mensch ist wirklich ein „einmaliges“, konkretes Wesen, das mit einem eigenen Schöpferakt geschaffen wurde und das nicht einer Entwicklung aus niedrigeren Daseinsstufen entstammt, sondern einem unbedingt eigenen Plan und Willen Gottes.

4044 |        Man kann dieses Grundgeheimnis der Menschheit nicht angreifen, ohne zugleich die Schöpferrechte Gottes irgendwie anzutasten. Je mehr die Menschheit sich daran macht und abmüht, Gott gleichsam mehr aus dem Schöpfungsplan auszuschalten und die Folgen der Schöpfungswahrheit zu erschüttern, desto mehr wird sich Gott von der Menschheit zurückziehen und sie dem eigenen Schicksal überlassen, dass sie selbst sich wählt. Gott straft vielleicht nichts so sehr als die modernen Versuche, sich von Gott mehr oder weniger unabhängig zu machen und den Menschen allein zum Herrn der Welt zu machen.

4045 |        Man wird niemals beweisen können, dass der Mensch einer tierähnlichen Entwicklung entstammt; denn der Mensch als Ganzes ist etwas „Einmaliges“, etwas mit einem neuen, eigenen Akt Gottes Geschaffenes, und er wurde von Anfang an in übernatürliche Gnadengeheimnisse hinein geschaffen. In den „tierähnlichen“ Zustand der jetzigen gefallenen Natur verfiel der Mensch erst zur Strafe für die Sünde, weil er damit die Wege des Geistes Gottes verlassen hat.

4046 |        Das Schöpfungswerk Gottes trug von Anfang an Entwicklungskeime und Kräfte in sich, die sich dann im Laufe der Zeiten in mannigfacher Weise entfalten konnten; diese mannigfaltigen Entwicklungen gingen aus gemeinsamen Grundwurzeln hervor, wie wir sie in Pflanzen- und Tierreich verfolgen können. Wenn man dort den verschiedenen Entwicklungen nachgeht, entdeckt man gewisse Grundwurzeln, die im Laufe der Zeiten die Entwicklung in einer einheitlichen Richtung geleitet haben. Dabei konnten sich auch Kreuzungen und mannigfache Änderungen infolge veränderter Zeit- und Lebensbedingung ergeben und manche „Wurzelgattungen“ im Pflanzen- und Tierreich starben im Laufe der Zeiten aus.

4047 |        Der Mensch jedoch, die Krone der Schöpfung, stammt von keiner jener Wurzelgattungen ab, sondern verdankt sein Entstehen einem einmaligen, neuen Schöpferakt Gottes. Er trägt, nicht bloß dem Geiste, sondern auch dem Leibe nach, irgendwie das Ebenbild Gottes an sich. Auch die Sinne des Menschen haben ja ihre tiefste Wurzel im Geiste der Seele und sind tragend verbunden mit der höchsten menschlichen Gottesebenbildlichkeit, mit dem höchsten Adel und der Krone der menschlichen Vernunft. Die menschlichen Sinne sind nicht etwas für sich allein (wie die „Sinne“ und der Instinkt der Tiere), sondern sie sind in Menschen ein Ausdruck der Lebendigkeit seines Geistes. Darum behält der Mensch in einer wahren Hinsicht auch in der Ewigkeit die Lebendigkeit der Sinne bei, weil sie ihre Wurzel und ihren tiefsten Ursprung in der geistigen Seele haben. Auch in der Ewigkeit sind ihm die „Sinne“ ein Ausdruck seiner Seele, insofern er auch mittels seiner geistigen Sinne Gottes innewird. Die „Anschauung Gottes“ ist ja nicht nur ein geistiges „Schauen“ (wie mit geistigen Augen), sondern ein Innewerden Gottes mittels des gesamten Sinnenlebens der Seele. Und gerade darin zeigt sich vielleicht am meisten die wunderbare Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen, dass nämlich die Menschenseele Gott in ähnlicher Weise erfassen kann, wie Gott die Seele erfasst, nämlich wie auf „einer Linie des Geistes“ oder wie auf einer „Ebene vom Menschen hin zu Gott“. Im Erkennen Gottes – sei es im mystischen Erfahren Gottes in diesem Leben oder in der jenseitigen Anschauung Gottes – treten alle Faktoren des Sinnenlebens in ähnliche Weise in Tätigkeit, wie sie auch der Leib in diesem Leben auslöst. Die Seele „sieht, hört, empfindet, genießt.“ Es gibt dabei in der Entfaltung der Seele nichts wesentlich Neues oder Anderes als die Entfaltung dessen, was schon in ihr als Wurzel oder Anlage vorhanden ist und was in diesem Leben mittels der Leiborgane ausgelebt wird.

4048 |        Darum ist der Menschenleib das wunderbarste Organ in der gesamten Schöpfung; denn er hat die wunderbare Fähigkeit, gleichsam die Klänge und Schwingungen des Geistes bzw. der geistigen Seele wiederzugeben. Seele und Leib sind ja auch zu einer solchen Einheit verbunden und verwachsen, dass sie zusammen ein Wesen und ein Dasein bilden, dessen grundlegende Züge aber jene des Geistes sind. – Trotz der Ähnlichkeit des „animalischen“ Lebens der Tiere und im Menschen besteht daher dennoch keine gemeinsame Anfangswurzel zwischen Tier und Mensch; denn der Geist des Menschen steht weit über der „Tierseele“. Der ausschlaggebende Unterschied ist die Wesensart des Geistes, der im Menschen die Quelle des Lebens ist und einer ganz anderen, höheren Ordnung dient. Gewiss dienen nach dem Schöpfungswillen Gottes auch die Werte des „animalischen“ Lebens dem Menschen, sind sie ihm zugeordnet und schaffen sie eine Ähnlichkeit mit dem Tier. Vor dem Sündenfall im Paradies jedoch bestand auch diese animalische Ähnlichkeit nicht in der jetzigen Form; wohl haben auch damals die Menschen gegessen usw., doch der Geist und die Genüsse des Geistes waren in allem das Vorherrschende und der Geist vor allem kam auch durch den Leib zum Ausdruck. Erst durch den Sündenfall verfiel der Mensch dann mehr den Gesetzen und dem Genießen der Materie bzw. des Leibes und seitdem kommen jene Gesetze und Bedürfnisse in der heutigen Weise zum vorherrschenden Ausdruck. Die Anlage oder der Keim zur Entwicklung verschiedener Menschenrassen war aber schon gleich mit der Erschaffung des Menschen gegeben. – Es herrschte jedoch im Dasein des Paradiesesmenschen eine wohlgeordnete Einheit des geistigen und physischen Genießens. Erst mit dem Sündenfall kam die Trennung oder Spaltung im menschlichen Genussleben mit all ihren Folgen und Erniedrigungen. Seitdem fällt auch der Leib des Menschen dem Tode und der Verwesung anheim, was ohne die Sünde nicht gekommen wäre. Auch dieses Gesetz des Todes zeigt den Zwiespalt oder die eingetretene Spaltung zwischen Geist und Leib des nunmehrigen Menschen. Nur infolge der göttlichen Rechtfertigung durch den Tod des Erlösers und infolge der göttlichen Macht des Auferstandenen kann der Leib des Menschen wieder erstehen.

4049 |        Je mehr sich die Menschheit vom Glauben an den absoluten Schöpferakt Gottes in der Erschaffung der Menschheit entfernt, desto mehr vermindern sich in ihr die Quellen des Geistes der Menschenseele, und der Mensch sinkt damit ab zu einem bloßen, diesseitigen „Vernunft“- und Instinktwesen, dass sich sein Leben selbst zurechtmacht, aber damit auch das unmittelbare Walten der Vorsehung Gottes von sich weist und verliert. Nicht Gott entfernt sich vom Menschen, sondern die Menschen entfernen sich von Gott und wollen gleichsam die Alleinherrschaft im Kosmos an sich reißen. Je mehr aber die Menschheit nach dieser unsinnigen Alleinherrschaft oder Selbstbestimmung strebt, desto mehr wird ihre „Vernunft“ auf sich selbst gestellt, zu Gewalttätigkeiten im Zusammenleben benutzt und missbraucht, weil sie sich eben nicht mehr von ihrem grundlegenden Prinzip, nämlich vom „Geiste Gottes“ leiten lässt. Alle gegenseitigen Gewalttätigkeiten und Gewaltmaßnahmen im Zusammenleben der Menschen und Völker sind bedingt durch das Abgleiten des „Geistmenschen“ (d. h., des vom Geiste seines Schöpfers geleiteten Menschen) zum bloßen „Vernunftmenschen“; denn die vom Geiste Gottes geleitete Menschheit hätte Mittel und Wege genug, um zu einem gegenseitigen Ausgleich zu kommen, den Frieden zu bewahren und die notwendigen Lebensgüter geordnet untereinander aufzuteilen. Der bloße Vernunftsmensch aber kennt kaum eine Rücksicht auf andere und verfällt tierähnlichen Instinkten.

4050 |        Anderseits erhebt die Anerkennung der Abhängigkeit von Gott den Menschen über die Niederungen des Lebens und gibt ihm die einzig wahre Hoffnung des Lebens; sie lässt ihn den wahren Wert aller Güter erkennen und eröffnet ihm damit auch vollends die Quelle seines Geistes, in denen allein er wahre Befriedigung findet. Die Grundlage aller wahren Befriedigung liegt ja im Geiste des Menschen; denn im Geiste liegt auch der tiefste Sitz des menschlichen Sinnenlebens, und im Geiste des Menschen sind auch vermittelst des Naturgesetzes die rechten Grenzen dieses Sinnenlebens vorgezeichnet. Wenn aber die Dämme dieses persönlich-geistigen Naturgesetzes niedergerissen werden, dann verfällt der Mensch zuerst in einen Zustand der Disharmonie oder des inneren Zwiespaltes, und von da aus verfällt er dann immer mehr dem bloßen diesseitigen „Vernunft“- und Instinktleben. Nur der Glaube an Gott erhält dem Menschen auf die Dauer die Lebendigkeit seiner geistigen Werte und damit ein geistiges Beherrschen und Darüberstehen in seinen Lebensaufgaben. Durch den lebendigen Glauben an Gott wird das gesamte Menschenleben in Einklang gebracht mit dem Gott gegebenen Naturgesetzen, die jeder Mensch in sich trägt.

 

August

15.08.1948

4051 |        Dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde, ist gleichsam eine ganz „logische Folge“ Ihrer Auserwählung und ihres Freiseins von der Erbsünde. Ihre leibliche Aufnahme in den Himmel entspricht ganz den göttlichen Absichten bei der Erschaffung des Menschengeschlechtes und dessen „vorsündliche“ Bestimmung. In Maria verkörpert sich das Ideal des ersten Menschen, indem sie das Ziel, das Gott bei der Erschaffung des Menschen im Auge hatte, ganz verwirklicht, und damit die göttliche Bestimmung voll bewahrt hat. Auch die ersten Menschen waren bestimmt, nach einer gewissen Zeit der Prüfung ohne Tod und ohne Verwesung in eine unmittelbare Anschauung Gottes einzugehen. Die Paradieseszeit war nur eine Vorstufe zum vollen Besitz Gottes und es sollte kein Tod noch ein physisches Übergangsstadium (nämlich die Verwesung) der unmittelbaren Anschauung Gottes vorausgehen.

4052 |        Die Art des Besitzes Gottes war bei dem Menschen im Paradies eine mit den ganzen menschlichen Existenzkräften Erfasste, d. h., infolge seiner Bestimmung erfasste der paradiesische Mensch mit seinem psycho-physischen Wesen Gott; seine Existenz bzw. alle seine psycho-physischen Anlagen waren für ihn das Mittel, um Gott erfahren und erfassen zu können. Auf dieser seelisch leiblichen Möglichkeit bzw. auf dieser menschlich-wesentlichen Fähigkeit baute sich im Paradies die sittliche Möglichkeit des Erfassens Gottes auf. Nach dem Sündenfall ging die Zersplitterung der geistigen und physischen Fähigkeiten des Menschen zusammen mit dem moralischen Bruch zwischen Gott und Mensch.

4053 |        Man kann in der menschlichen Seinsart ein Doppeltes unterscheiden: den existenziellen oder für das Menschsein wesentlichen Bestand und dann den sich darauf gründenden sittlichen oder zielhaften Bestand. – der zielhafte Bestand des Menschen ist ganz in Gott verankert und ruhte im Paradies in der göttlichen Heiligkeit, d. h., in den göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten Gottes. Die Vorbedingung für diese Verankerung bildete aber die psycho-physischen Gegebenheiten, nämlich eine vollkommene Ordnung und Einordnung der Existenzfähigkeiten im Menschen durch eine besondere Gnade Gottes.

4054 |        Jedes geschaffene Lebewesen, auch in der Tier- und Pflanzenwelt, hat eine zweifache Grundlage: die Artgemäße und die Zielhafte. Im Menschen war die zielhafte Grundlage die gottgegebene Abbildlichkeit, insofern der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen war. Diese Gottebenbildlichkeit des Menschen war die Fähigkeit, sich Gott, dem höchsten Wesen einordnen und Gott erkennen und erfahren zu können. Die ganze Existenz des Menschen vor dem Sündenfall bildete ein wesentliches Hineinbezogensein des Menschen auf Gott. Darin lag die psycho-physische Ordnung all seiner Kräfte, die ihn wie auf einer Ebene zu Gott hinführten. Der Mensch von heute kann sich nicht von dieser einstigen wesentlichen Ordnung im Menschen einen1712 Begriff machen – und doch obliegt auch heute noch den Menschen die Pflicht, nach einer gewissen Rückgewinnung dieser Ordnung oder — mit anderen Worten — nach Einigung mit Gott zu streben.

4055 |        Die sittliche Vollkommenheit im Menschen ist nicht möglich ohne eine gewisse „existenzielle“ Ordnung, die sich auf die seelisch-geistigen Kräfte des Menschen wie auch auf seinen Leib erstreckt. Der Körper des Menschen ist ein wunderbares „Spielgerät der Seele“, und diese Tatsache soll nach dem Plan des Schöpfers zu einer Einheit des menschlichen Lobpreises auf den Schöpfer dienen. Alle sinnhaften Fähigkeiten des menschlichen Leibes sind ein Ausdruck und ein Werkzeug der Seele, darum ist auch der Leib ohne die Seele „tot“ und unfähig für irgendwelche Ausdrücke. Die Belebtheit des Leibes durch die Seele bewirkt anderseits, dass auch im Leibe irgendwie die Eigenheiten der Seele wiedergegeben werden. Die Beeindruckbarkeit des Leibes und seiner Sinne durch äußere Einflüsse ist wiederum eine Äußerung von Seelenfähigkeiten, die sich aber mittels der Kräfte des Leibes betätigen. Anderseits haften auch dem Leibe bestimmte Vererbungen an, die, gleichsam „außerhalb der Seele“ stehend, wie stumme Reaktionen, des Leibes wirken und zugleich eine Einflussquelle auf die Seele werden. Eine solche, auf das psychische Vererbungsprinzip zurückgehende Anlage findet sich auch in der vernunftlosen Tier- und Pflanzenwelt. Beim Menschen aber geht das physische Vererbungsprinzip mit der geistig-seelischen Hand in Hand.

4056 |        Der Mensch ist derart mit der gesamten Schöpfung verbunden, dass er sich nicht einen Augenblick „außerhalb“ einer sichtbaren, fühlbaren und darum beeinflussenden Umgebung bewegen kann. Gott hat den Menschen mit der gesamten Schöpfung verbunden und ihn deren Einflüssen oder Auswirkungen unterstellt. So erlebt der Mensch eine Vielfalt von Einflüssen, die seine Existenz ermöglichen, beleben und erhalten. Grundprinzip für die Lebensmöglichkeiten des Menschen ist aber die göttliche Lebensgabe oder der gottgegebene „Lebensodem“, der ein direkter, immerwährender Ausfluss der Schöpfermacht Gottes ist, eine uns unbewusste spontane Bewegung oder Funktion, welche das „Leben“ hervorbringt.

4057 |        Die einstige volle Ordnung des Menschen ruhte einzig in Gott. Man konnte damals eigentlich nicht in dem Sinne wie heute von „sittlichen Gegebenheiten“ sprechen, sondern es herrschte im Paradies ein Zustand der Ordnung, in dem alle Taten des Menschen „recht“ waren und von der Gottebenbildlichkeit beherrscht wurden. Die in Menschen herrschende volle Ordnung und Gottbezogenheit führte ihn wie naturgemäß hin zu Gott; Gott trat damit in das Bewusstsein des Menschen und es war ein Zustand einer bewussten Einheit mit Gott, wodurch die ganze Existenz des Menschen mit all ihren Kräften wie naturgemäß Gott anhing. Das war die glückliche Paradieseszeit, in der Gott und der Mensch zusammen „lustwandelten“, und wobei Gottes Wesen gleichsam in das des Menschen überstrahlte, denn „Bewusst-sein“ heißt: wissend sein, durchlebt sein, umschauend sein. „Bewusst-sein“ bedeutet eigentlich: das Lebensprinzip erfahren, die Eigenart seines Daseins erleben und verkosten; „Bewusst-sein“ ist also im gewissen Sinne ein unmittelbares Ziel des „Lebens“. Wie die Blume ihr Lebensziel im Blühen findet, so erfasst sich der Mensch im Ziele seiner Existenz in Gott; der Mensch hat als göttliches Erschaffungsprinzip nur sein Ziel in Gott, sein volles Sein in Gott, und zwar ist dies sein wesentliches Ziel, die letzte Zielursache seines Bewusstseins und damit eigentliche Zielursache seiner Erschaffung. Wenn Gott der Urheber der Schöpfung des Menschen ist, so hat Gott mit der Erschaffung des Menschen auch sich selbst als Ziel gesetzt, als Ziel des menschlichen Bewusstseins und als dessen Erstursache.

4058 |        Gott war den Paradiesesmenschen bewusstseinsmäßige Zielursache. Im Bewusstsein des Menschen strahlte mittels der wohlgeordneten Existenzkräfte wie naturgemäß das Bewusstsein der Existenz Gottes als die wesentlichen Ziel- und Wirkursache auf, und zwar als dauernder Zustand, als ein gegebenes Gnadengeschenk Gottes. Damit erfuhr sich der Mensch in seiner Geschöpflichkeit als von einer höher stehenden Macht abhängig. Sobald der Mensch sich zum Bewusstsein kam, stand zugleich Gottes Wesen irgendwie vor seinem Geiste, bzw. „in“ und vor seiner Existenz, jenes Wesens, das lange vor dem menschlichen Dasein existierte. Es war dies ein menschlich-wesentliches Abhängigkeitsbewusstsein des Menschen Gott gegenüber, das ihm zum Dasein oder Zielprinzip wurde.

4059 |        Mit der vollen Ordnung aller geistig physischen Existenzkräfte im ersten Menschen war auch seine sittliche Ordnung oder seine Heiligkeit gegeben. Die Hinordnung und Einordnung aller menschlichen Kräfte im Gott bringt ja naturgemäß auch die sittliche Ordnung und Heiligkeit mit sich. Moralische Unordnung geht immer auch zusammen mit existenziellen Unordnungen und Unfähigkeiten. Es sind Zersplitterungen der Kräfte im Menschen, die gleichsam aus dem Gleis einer göttlichen Ordnung gesprungen sind. Ursprünglich war der Mensch in voller Harmonie mit seinem Schöpfer geschaffen worden und sein Wesen lief wie auf einem göttlichen Schienenstrang. Dieser göttliche Schienenstrang war die Heiligkeit und Reinheit Gottes, die dem Bewusstsein des Menschen „Urvorbild“, Ziel und Beweggrund war. Dadurch war Gott der Herr über den Menschen und der Mensch war bewusstseinsmäßig Gott untergeordnet. Gott war sein bewusstes Vorbild und zugleich sein Richter. Das Wissen um die Heiligkeit Gottes war des Menschen ständiger Richt- und Richterspruch. Diesem göttlichen Richtspruch folgte als Bejahung die freiwillige Einordnung des Menschen in das göttliche Gesetz der Heiligkeit. Der Zustand des ersten Menschen war kein Zwangszustand, sondern eine freiwillige Bejahung des ihm bewussten göttlichen Sittengesetzes und der existenziellen Ordnung.

4060 |        Gemäß göttlichen Planes sollte der Mensch nach einer bestimmten Bewährungsfrist zu einem unverhüllten Schauen und Besitzen Gottes eingehen. Es sollte ein glücklicher Übergang aus dem „Jenseits“ des göttlichen Besitzes in das „Diesseits“ eines wesentlichen, unmittelbaren Besitzes erfolgen. Der Mensch sollte in einem Zustand eines noch weit höheren Teilhabens, ja, eines unumschränkten Besitzes Gottes gelangen. Im „ersten“ Besitz im Paradies war gewiss schon Gott das bewusste Gesetz und Ziel des Menschen, dem er freiwillig seine Zustimmung und Einwilligung zu geben hatte. Es war zwar ein schmerzloser Zustand, aber doch ein freiwilliges Abhängigkeitsverhältnis, während das „diesseitige“, unmittelbare schauen und besitzen Gottes die Freiwilligkeit im Menschen aufhebt oder vielmehr einen Zustand einer existenziellen Freiheit in Gott gibt, d. h., die letzte Vollendung der Freiheit, die ein weit höheres Besitzen und Ergehen in Gott möglich macht. Mit dem unmittelbaren Besitz Gottes wären bei den ersten Menschen die natürlichen Schranken des menschlichen Willens gleichsam gefallen, und dies hätte eine sozusagen schrankenlose und nimmer endende Beseligung ihrer gesamten Existenz zur Folge gehabt. Der Mensch hätte damit in Gott ein schrankenloses Ziel und Glück gefunden, eine Art von „Gott-gleich-sein“, wenn auch in geschöpflicher Form. Und dieses Ziel spiegelte die Schlange in falscher und verführerischer Weise den ersten Menschen vor; und es kam ihr Fall. Die ersten Menschen mussten in etwa von diesem ihrem letzten Ziel der Gottähnlichkeit gewusst haben, aber die verführerische Schlange zauberte ihnen mit ihrer Verführungskunst dieses Ziel „zu früh“ unter falschem Wege vor, denn es sollte tatsächlich der Siegelpreis ihrer freiwilligen Bejahung jenes göttlichen Zieles sein, nicht aber konnte der Mensch sich selbst diese letzte Gottähnlichkeit geben, noch sie aus eigener Kraft erreichen.

4061 |        In Maria war diese Bresche zwischen Gott und ihrem eigenen Wesen nie entstanden. Sie hat bewahrt, was ihr Gott als „zweitem Geschöpf“ und als der neuen Eva gegeben hatte. Sie hat das göttliche Geistesgesetz treu bewahrt. Auch sie hatte vom ersten Augenblick ihrer Existenz an das Bewusstsein von Gott, und die göttliche Heiligkeit war das Gesetz, auf dem sie wandelte. Diese göttliche Gesetzhaftigkeit wurde in Maria nie unterbrochen. Es war aber auch in ihr wie beim ersten Menschen, eine freiwillige Gesetzhaftigkeit, und diese machte sie schließlich fähig, der zweiten göttlichen Person selbst das menschliche Leben zu bieten und ihr gleichsam als „Leben“ zu dienen. Maria hat das göttliche Erbgesetz bewahrt. – Sie wurde vom Gesetz des leiblichen Todes nicht ausgenommen – so wenig wie Christus und wie niemals ein mit dem menschlichen Fleische bekleidetes Geschöpf; denn durch die Sünde ist das Fleisch entstellt und sterblich geworden. Der Leib des Menschen muss erst umgewandelt und herrlich gemacht werden, da er durch die Sünde so viel an Schönheit und Wohlgestalt verloren hat. Durch die Sünde des Stammvaters verunstaltet, kann der menschliche Leib im Zustand der gefallenen Natur niemals Gott vollkommen schauen und muss er erst durch die Pforte des Todes gereinigt und gleichsam neu gestaltet werden in Unsterblichkeit, wie ihn Gott einst geschaffen hatte. Und alle psycho-physischen Fähigkeiten des Menschen müssen für den endlichen Besitz Gottes neu gestaltet und verherrlicht werden. Vom Paradies her gilt das göttliche Gesetz, das der Mensch mittels seiner eigenen Existenz Gott schaue und genieße und nicht etwa nur geistig. So war auch der Leib Mariens zwar sterblich, aber ihr Tod brachte nicht den Schrecken vor einem Richter mit sich, sondern ihr Tod war eine bewusste Erfüllung ihres Lebens. Ihre leibliche Verklärung vollzog sich bald nach ihrem Hinscheiden. Ihren Leib erhielt damit mehr als die volle Schönheit des Paradieseszustandes und in dieser Herrlichkeit ging sie ein in das Reich ihres Sohnes, wo auch ihr Leib teilnimmt an ihrer Vergöttlichung und an ihrem geschöpflichen „Gott-gleich-sein“.

4062 |        Die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel ist eine gleichsam selbstverständliche Folge ihres, im Wesentlichen bewahrten Paradieseszustandes, und Maria bildete für immer das unversehrte Vorbild, und das wirkliche Ziel unseres Menschenlebens, wofür Gott sie zum Beispiel gab.

4063 |        In der inneren Freiheit des ersten Menschen und in seiner Freiheit für Gott und in Gott zeigte sich uns ferner der Sinn und das Ziel der jetzt für uns notwendigen Aszese: Dass der Mensch nämlich frei werde von allen ungeordneten Bindungen an das Geschöpfliche, an sich selbst und auch von allem inneren Wohlgefallen an sich selbst und an allen Befriedigungen. Darin liegt auch das Geheimnis der vollkommenen Ordnung der Kräfte, auch der verborgenen Kräfte, die sich dann alle Gott, dem unsichtbaren Geiste, zuwenden.

4064 |        (Ich weihte mein Innenleben dem Herzen Maria und ich bekam das Versprechen: „In Maria werde ich mein Ziel erreichen. Der Zustand Mariens wird mir bewusstseinsmäßig klar werden und daraus wird sich mein inneres Ziel vollenden“.)

 

Unbekannt

XX.XX.1948

4065 |        Wie könnte ich die Gelöstheit meines Wesens von „meiner Person“ erklären? Mein Wesen als Mensch existiert „impulsiv“, dem inneren Sein selbst folgend, ohne dass mein Ich dabei eine bewusste Antriebsfähigkeit besäße. – Das deutet aber für mein Bewusstsein und mein Erleben1713, das ich in die schwerste Nacht der persönlichen Betätigungs-Unmöglichkeit hinunter gedrückt bin, wie ein „Nichts“, ohne Willen, ohne Eindrücke d. h., es sind wohl augenblickliche Eindrücke da, aber keine zu verarbeitenden, keine sich aufspeichernden, keine „sich selbst“, d. h., dem eigenen ich zugehörigen. So ist mein Wesen gelöst von der Ich-Form des Selbstregierens; es ist „unpersönlich“ geworden. Es gibt für mich jetzt keinen Genuss der Ich-Form und ich bin wie ein ständig Hungernder und Dürstender nach einer „Neuen Ich-Form“, die mein Leben erst einer weiteren neuen Befähigung zuführen wird.

4066 |        Es ist in mir ein Loslösen vom gewöhnlichen Denken, ein „Sterben“ der gewohnten Art des Denkens, Sehnens usw. – Es werden dann die „Sinne der Seele“, – unabhängig von den gewöhnlichen „Sinnen“, aber anlässlich der Eindrücke der gewöhnlichen äußeren Sinne – in Tätigkeit treten. Das „Licht“ wird sich dann in mir mit der Finsternis verbinden. Die „Sinne der Seele“ werden dann auch das „gewöhnliche Leben“ mitnehmen und mitbesorgen müssen.

4067 |        Ich erlebe, wie Gott die höchste Einfachheit ist, Sein und Tun zugleich. In Gott ist alles schon „getan“; es braucht keine Überlegung; und es ist alles vollkommen getan, ein für alle Mal vollkommen und immer vollkommen. Auch wenn er etwas „wiederholt“, so ist es immer ein für alle Mal und ewig vollkommen. – Auch in Christus mussten sich die menschlichen Funktionen dieser unverlierbaren göttlichen Vollkommenheit anpassen.

4068 |        Aus dem Wesen der Vollkommenheit Gottes in Christus folgt, das er nichts unvollkommen machte und dass uns darum durch ihn alle Gnaden verdient sind, die es braucht, um den ganzen Abgrund und Abstand zwischen unserem Sündenelend und der Höhe der sittlichen Vollkommenheit zu überbrücken. Und tatsächlich liegt in der Erlösung die Überbrückung der ganzen Spannung zwischen tiefstem Sündenelend und höchster Heiligkeit. Die tiefere und vollere Ausschöpfung dieser Gnaden wird heute angeboten und gegeben, weil die Not der Zeit es verlangt. Durch tiefere Kenntnis dieser in der Erlösung liegenden Gnaden soll und wird ein neuer Eifer in der Christenheit, und damit neue Frucht geweckt werden.

4069 |        „Sprich mit 'niemand' über 'jemand', über den du nicht mit 'jemand' sprechen musst! Achte jeden Menschen, denn du weißt nicht, ob er dir nicht eines Tages als 'Werkzeug' dient! – 'Den Menschen achten', das sollte als erstes Gebot im Zusammenleben gelten. Der 'Persönlichkeit' ihre Freiheit lassen und sie 'freistellen'!“

4070 |        (In Tre Fontane:) Die liebe Muttergottes ließ wissen: „Man soll mehr um die Befestigung im Glauben beten; denn deswegen bin ich gekommen“.

4071 |        In einer echten Privatoffenbarung ist niemals etwas, das der Ehre Gottes widerspricht. Die Privatoffenbarungen sollen Hilfe sein für das Volk, um leichter den Weg zu Gott zu finden. Sie sind ein Herabsteigen Gottes in Zeiten großer Not.

4072 |        Als ich (am 31.03.1948) in der Grotte von „Tre Fontane“, ganz nahe bei der Statue der Madonna war, trug ich als besonderes Anliegen vor, dass all meine Angehörigen den wahren Glauben bewahren möchten. Dabei wurde ich innerlich erhoben und es wurde mir gesagt (und die Worte wurden mir gleichzeitig beleuchtet): „Man möge mehr um die Wiedererlangung, Stärkung und Bewahrung des Glaubens beten (– und nicht nur so sehr um äußere Wunder –); denn dazu (– zu diesem Zweck —) bin ich gekommen. — Man möge diesen Wunsch Mariens 'anonym' an jener Stelle kundtun und man möge immer sehr dringend darauf hinweisen. Dies gehöre zu den Werken der Barmherzigkeit (Mariens) an dieser Stätte“.

 

XX.XX.1948

4073 |        Der Mensch hat zwei Zugänge zu Gott: den Weg über das Sichtbare, über die Schöpfung und den Weg über die Taufgnade, das Unsichtbare. Beide Zugänge lassen sich aber nicht voneinander1714 trennen, sondern ergänzen sich in philosophischer und theologischer Hinsicht.

4074 |        Die ganze sichtbare Schöpfung ist wie ein Buch, das von etwas Unsichtbaren, Unnennbaren kündet, von einem verborgenen Mittelpunkt, den man vernünftigere Weise nicht leugnen und dem doch auch niemand auf die letzte Spur kommen kann. Darin sind sich alle Naturforscher einig, dass kein Suchender und Forschender jemals ein restlos Findender wurde, ja nicht einmal ein vollends Ahnender. Der allerletzten Wurzel des Sichtbaren kann niemand auf die sichtbare Spur kommen. Die sichtbare Schöpfung nämlich lässt auf unsichtbar Kräfte und auf einen Letzten unsichtbaren Antrieb schließen, dem der ganze Kosmos unterworfen ist und in dem er seinen Ausgang hat. Das sehen wir schon im Kleinen und Alltäglichen: Dass z. B. ein Licht brennt und leuchtet, hat seine Ursache in brennbaren Stoffen, also in verborgenen Kräften, die wir in sich selbst nicht ergründen, sondern nur durch die Wirkung feststellen können. So wirken in der gesamten Natur viele Kräfte, die in sich unsichtbar sind und darum nicht vorhanden oder wie „tot“ scheinen, die aber in bestimmten Umständen, Reaktionen oder Verbindungen ihre verborgene Wirkkraft zeigen und offenbaren. Insofern lebt die gesamte Natur neben, mit und gleichsam hinter dem Sichtbaren auch ein unsichtbares Dasein, das aber angefüllt ist mit übervollem Wirken und Leben und ungezählten Entfaltungsmöglichkeiten. Die ganze Natur führt uns zu unsichtbar und wunderbar weise und kraftvoll wirkenden Kräften, also zu Kräften eines Geistes, die der sichtbaren Natur als Antrieb dienen.

4075 |        Wie kann man den Zugang zu diesen geheimnisvollen Kräften finden? Wie den Spuren dieses Unsichtbaren nachgehen? Wir können die im ganzen Kosmos geheimnisvoll wirkenden Kräfte aufteilen in zwei große Gruppen, die als Grundordnungen den ganzen Kosmos beherrschen: Licht und Bewegung, wobei beides nicht bloß im materiellen Sinne zu verstehen ist, sondern auch im geistigen Sinne des Lichtes der Zielhaftigkeit der Geschöpfe und der „Bewegung“ alles Lebendigen. In jedem Sinne ist „Licht“ eine Grundlage jeglichen Daseins, denn ohne Licht und ohne Zielhaftigkeit gibt es keine Bewegung; und ohne Bewegung ist unser Kosmos nicht denkbar. Die Zielhaftigkeit in den verschiedenen „Bewegungen“ kann freilich größer oder geringer sein; immer und überall ist dabei eine Antriebskraft und Ordnungskraft tätig, die wir aber nur in ihren Wirkungen sehen, obwohl sie all die unermessliche Vielfalt und Masse von Bewegungen im Universum verursacht und leitet.

4076 |        All diese, nach bestimmten einheitlichen Gesetzen und Zielen geleiteten Bewegungen können nur von einem Geist-Antrieb ausgehen – so ähnlich wie auch in materieller Hinsicht die großen Wohltaten des Lichtes und die lebensermöglichende Wärme von der Sonne ausgehen. So führen auch all die treibenden und geordneten Kräfte im Kosmos den denkenden Menschen, zu einem verborgenen aber unleugbaren und wunderbaren Prinzip und Mittelpunkt aller Kräfte und Bewegungen, gleichsam zu einer Geist-Sonne, von der alles Licht und alle Bewegung ausstrahlt. – Wollte jemand diese treibenden Kräfte als bloße „Naturkräfte“ bezeichnen, so bliebe doch bestehen, dass diesen Naturkräften etwas Unsichtbares, Unfassbares, Geistiges, Ordnendes zugrunde liegt, das sich nicht vollends abmessen und abwägen, aber auch nicht ausschalten lässt. Das Naturgeschehen lässt sich niemals ganz auf „greifbare Quellen“ zurückführen, denn alle Bewegungen werden von einem Unsichtbaren, geistigen Antrieb und Zielprinzip in eine geordnete Richtung und auf einen bestimmten Endpunkt hingelenkt; und trotz der Vielfalt und Mannigfaltigkeit der Bewegungen sind doch die im Kosmos verborgenen und wirkenden Kräfte und ihre Wirkungen nicht voneinander isoliert und nicht voneinander zu trennen, sondern sie entspringen alle einem einheitlichen Quell und ihre verschiedenen Auswirkungen laufen immer wieder auf das eine Ziel der „Ordnung im Kosmos“ zusammen; all die unaufhörliche Bewegung ist geleitet vom Licht einer großen Zielhaftigkeit.

4077 |        Die gesunde, denkende Vernunft zeigt dem Menschen auch die Tatsache, dass im ganzen Weltenraum eine unerschöpfliche Fülle von Wertvollem, von Gutem und Schönem, von Wohltuendem und Beglückendem enthalten ist. Ja, wenn diese Fülle des Guten und Schönen und Erhebenden usw. jeweils auch dauernden Bestand hätte, so würde es sich lohnen, sich auf dieser Erde ein bleibendes Heim zu schaffen. Auch der Mensch selbst trägt in sich nicht nur Ungutes, sondern auch viel Gutes, Liebenswertes, Gefälliges, Anziehendes, für den Geist Begehrenswertes und Genießenswertes, sodass ein Zusammenleben mit guten Menschen wirklich ein lohnenswertes Dasein bieten kann. Und der Mensch kann mit seiner gesunden Vernunft sich diese Vorzüge der Schöpfung vor Augen führen, sie als gut bewerten und beurteilen, und er soll auch die Mitmenschen in ihren guten Anlagen als liebenswert und erfreuend bejahen. Er fühlt und findet sich ja auch innerlich irgendwie „verwandt“ mit all dem Schönen und Guten in der sichtbaren Schöpfung und mit dem unsichtbaren und geheimnisvollen Walten so vieler Kräfte, die für sein Dasein notwendig sind und es angenehm machen. Er findet in der Natur und in den Mitmenschen gleichsam eine Ergänzung, die seinem eigenen Wesen zusagt, und sein Leben wirklich „lebenswert“ machen kann. Er sieht sich einbezogen in die allgemeine Ordnung im Kosmos und steht in einem gewissen Einklang und in Harmonie zur Umwelt. Wäre diese Ordnung vollendet und von Dauer, so wäre der Kosmos wie in ein Paradies verwandelt. Freilich ist das Wesen des Menschen auf Dauerhaftigkeit angelegt und kann nur in der Dauerhaftigkeit des Guten usw. wahre Befriedigung finden.

4078 |        Die Fülle des Lichtes und der Bewegung, des Guten und Schönen bringt in dem Kosmos auch eine gewisse Daseinsfreudigkeit und Befriedigung. In etwa sehen wir das schon in der leblosen und in der vernunftlosen Schöpfung, wie z. B. in der wunderbaren Ordnung, Kraft und Schönheit der Bewegung der Sterne und der Atome oder in den Pflanzen, die bei guter Pflege und geeigneter Witterung üppig gedeihen und erblühen oder auch in der Tierwelt, die bei entsprechenden Bedingungen prächtiger heranwächst; dadurch bietet schon die gesamte Natur gleichsam ein Bild der Daseinsfreudigkeit und Befriedigung, wenn auch einer „vernunftlosen Befriedigung“, die sich im guten Gedeihen offenbart. – Würde der Mensch alles Gute und alle Vorzüge, die sich in seiner Umgebung, in den Mitmenschen und auch in der vernunftlosen Schöpfung, finden, richtig bewerten und verwerten, so würde sich sein Leben mit einem Schlage um vieles verschönen und veredeln. Im rechten Erleben und Verwerten dieser Vorzüge würde das Wesen des Menschen wachsen, sich emporheben, sich mit vielem Gutem verbinden, und es würden Mensch und Schöpfung oder Natur zu einer volleren Harmonie zusammenklingen. Der Mensch würde sich von einer Harmonie des Guten umgeben fühlen, die sein Leben schöner, begehrenswerter und köstlicher gestalten würde. Eine solche Harmonie des Guten wäre ein gewisser Endzweck der gesamten Schöpfung und auch des Menschen, soweit es den natürlichen Bereich betrifft. In dieser Harmonie des Guten und Wertvollen wäre das Rätsel des Lebens und der Schöpfung im Bereich der natürlichen Ordnung gelöst; es wäre ein gewisser natürlicher Endzweck der Schöpfung erreicht, nämlich die sichtbare, geschaffene Verwirklichung und Offenbarung des Geistes und der Art ihres Urhebers.

4079 |        Kann die Summe des Guten, Schönen und Wertvollen in der Schöpfung ein Zufall sein? Nein, denn es ist alles, bis ins Kleinste, organisiert, einheitlich bei aller Vielfalt, und alles trägt irgendwie die Verwandtschaft mit seinem Ursprung an sich. Oder finden wir nicht in allem einen verborgenen Mittelpunkt und Ausgangspunkt, der allem einen Anfang gibt und zugleich ein Ziel steckt? Und ist nicht alles Gute und Wertvolle auch ein gewisses Beglücken und Erfreuen anderer Wesen, ein Mitteilen und Anteilgeben vom eigenen Guten, und ist nicht dies ein großes, einheitliches Gesetz, das sich auf die Vielheit der ganzen Schöpfung erstreckt? In allem Guten und Wertvollen ist wiederum eine große Geist-Kraft tätig, wodurch die Vielheit sich zur Einheit eines Ganzen sich zusammenschließt, das zum Zweck hat, zu erfreuen und zu beglücken. Und was ist das geistige Grundgesetz dieser Beglückung in der natürlichen Ordnung? Ist es nicht die Zusammengehörigkeit zu einer harmonischen Ergänzung und Einheit, die sich gleichsam in einem gemeinsamen Mittelpunkt trifft? Ist es nicht das, was man in einem allgemeinen Sinne die Liebe nennt, durch die gerade Einheit und Harmonie ausgelöst wird? Ja, das geistige Grundgesetz all der einzelnen Daseinszwecke ist die Beglückung, Bereicherung, Erfreuung, die aus dem Grundprinzip der Liebe erwächst. Wie hell und klar würde auch das Leben der vernunftbegabten Geschöpfe erscheinen, wenn auch sie sich ganz auf dieses geistige Grundprinzip der Schöpfung ausrichten würden! Und wie klar würde darin das Dasein und der Geist des Schöpfers aufleuchten, der die verborgene, aber wirklich Zentral-Sonne alles Bestehenden ist! Alle Kräfte führen und finden wieder zurück zu ihrem Ausgangs- und Mittelpunkt, alle Werte und alles Gute ist zusammengefasst und organisiert von der einen verborgenen Mitte, von der alles ausgeht, – so ähnlich wie die Strahlen und die Wärme letztlich Eigentum der Sonne sind und nicht ihres Lichtes, das uns bescheint. So steht Gott hinter und inmitten seiner Schöpfung als ihre Antriebs- und Grundkraft, als Ausgangs- und Mittelpunkt alles Guten, Schönen, Begehrens- und Liebenswerten, von dem und auf den hin alles geordnet ist; denn Gott ist alles und in ihm ist alles.

4080 |        Wenn der Mensch mit seinem denkenden Verstand all die Fülle des Lichtes, des Lebens, Liebens und Erfreuen, des Belebens und Werdens, kurz, alles Wertvolle, das sich im ganzen Kosmos findet, in einer Persönlichkeit vereinigen würde, wenn er sich vorstellen würde, dass all die belebenden, erhebenden1715, bewegenden, ergötzenden Werte und Eigenschaften aus der ganzen Schöpfung und Menschheit herausgeholt und in einem Wesen zusammengefasst und davon ausstrahlen würden, das damit die Umwelt bewegen, beglücken und erhalten würde, so würde damit die Ahnung eines allerhöchsten Wesens aufleuchten, das alles Geschaffene, das Sichtbare und Unsichtbare, weit übertrifft und in den Schatten stellt. Müssen aber nicht all die Kräfte, die im Weltall und in der Menschheit wirksam sind, ein solches Herkunftsprinzip, einen solchen Ausgangspunkt haben? Und könnten wir alles, was wir an Möglichkeiten des Guten und Wertvollen in Menschen finden, alle Geistes- und Verstandeskraft, alle edle Freiheit und alles „Schöpferische“ vereinen in einem sichtbaren Wesen, so könnten wir nicht an einem sichtbaren, höchsten Wesen zweifeln, denn wir haben ja im Kleinen und im Einzelnen all die herrlichen Fähigkeiten schon an Menschen erfahren und wir zweifeln nicht an den grundsätzlichen Fähigkeiten des Menschen, vorausgesetzt, dass er die Macht haben könnte, alles gute Wollen auch zu vollbringen. Freilich wissen wir vom Menschen im Voraus, dass er auch beim besten Wollen in seinem Können beschränkt ist. Und doch besteht eine unermessliche Fülle des Guten, besteht alles Gute, das wir nur erdenken können, sind wir davon umgeben. Muss daher nicht hinter all dem ein Wesen, von unbeschränkter Macht und unerschöpflicher Fülle stehen, ein Wesen, von dem alles kommt und alles ausgeht? Wir sehen es zwar nicht, aber wir sehen die Werke seiner Allmacht und Weisheit und unerschöpflich mitteilenden Fülle. – Schon das einfache, natürliche Denken führt uns also zu einem Wesen und bringt uns mit einem Wesen in Verbindung, indem wir zweifelsohne den Schöpfer und Herren, den Alleinherrn, anerkennen müssen. Würde dieses Wesen sich irgendwo als sichtbarer Herrscher immer als sichtbares göttliches Wesen zeigen, so würden wir ihm sicher alles zutrauen, würden wir glauben, dass er alles, auch die Schöpfung und Leitung des Kosmos, kann und vermag. Warum glaubt aber die Menschheit so vielfach nicht an den unsichtbaren Gott? Vielfach auch deshalb, weil der Mensch so sehr an das Sichtbare gebunden und so sehr dem Körperhaften verhaftet ist. Und doch ist die Macht und Güte des unsichtbaren Gottes nicht weniger unumschränkt und allbeherrschend, als es die eines gewiss möglichen „sichtbaren Gottes“ wäre. Nun lässt es sich aber einwandfrei feststellen, dass der ganze sichtbare Kosmos von unsichtbaren Kräften getragen und reguliert wird, dass die sichtbaren Bewegungen auf den Spuren einer unsichtbaren, tragenden Kraft ruhen, dass der Bestand des gesamten Weltalls auf unsichtbare nicht zu „erfassende“ Kräfte ausgerichtet ist. Mag man auch alle irgendwie feststellbaren Kräfte erforscht haben, ihre eigentliche und notwendige Urkraft und erste Ausgangsquelle kann man nie „greifen“; man kann wohl eine bestimmte Aufteilung der unsichtbaren Kräfte vornehmen, aber man kann nicht ihr eigentliches Urprinzip fassen, und doch kann man dieses unsichtbare Urprinzip ebenso wenig leugnen wie die unsichtbaren Kräfte, deren Auswirkungen wir in der Schöpfung sehen. Ja, Gott lässt sich finden in seiner Schöpfung, wenn man nur die Grundkräfte alles Guten, Schönen und begehrenswerten bedenkt, zusammenfasst und auf ihren Ursprung zurückführt, auf Gott, indem alles und der alles ist.

4081 |        Der Urquell alles Guten, Schönen, Großen und Mächtigen und Belebenden ist tatsächlich auch zum „sichtbaren Gott“ geworden, im menschgewordenen Logos. In Christus sind ja alle göttlich-wesentlichen Eigenschaften und alle Kräfte vereint, welche die gesamte Schöpfung tragen und in ihm ist Gott gleichsam zum „Nutznießer“ seiner eigenen Werke geworden. Was aber Gott wirklich groß, erhaben und allmächtig macht, das ist nicht erst die Schöpfung, sondern lange vorher seine ewigen, schöpferischen Eigenschaften und noch vor diesen Eigenschaften ist es – menschlich ausgedrückt – sein makelloses göttliches Geistesgesetz, und mehr noch als diese seine Ordnung des Geistes ist es seine persönliche göttliche Heiligkeit. Diese könnte man ja – mit menschlichen Worten und Begriffen – gleichsam in drei Stufen aufteilen:

1. die Harmonie und Heiligkeit (in seiner göttlichen Geist-Struktur);

2. die Ordnung aller Geister und aller bestehenden Vollkommenheiten als Herrscher über alles Sichtbare und Unsichtbare, in dem alles in göttlicher Vollkommenheit vereinigt ist, was außer ihm besteht;

3. endlich die göttlich-wesentliche Heiligkeit als die höchstmögliche Seins- und Tatvollkommenheit.

4082 |        In Christus ist diese göttliche Seinsvollkommenheit wirklich menschliche Tat geworden und damit ist seine Lebens- und Geistesart für uns zum Geistes-Gesetz geworden. Wie Gott in der sichtbaren Schöpfung gleichsam seine göttlichen Vollkommenheiten nicht für sich alleine behalten, sondern sie in der Schöpfung irgendwie sichtbar zeigen will, so ist mit dem Erscheinen des Gottmenschen gleichsam ein gelebtes, vollkommenes Geistesgesetz sichtbar geworden, denn er hat uns ein Beispiel gegeben, damit wir tun sollen, wie er getan hat. Diese äußere, sichtbare Tat des Gottmenschen hat aber ihre unsichtbare Grundlage im göttlichen Sein als einer vollkommenen Ordnung des Geistes. Und dazu ist Christus gekommen, um uns zu dieser Ordnung des Geistes zu führen.

4083 |        Das Gute ist tatsächlich in der Schöpfung vorhanden und tätig, aber es wirken auch andere Kräfte, die das Gute hemmen, bemängeln, hindern nicht aufkommen lassen, zerstören. Ein „anderes Gesetz“ ist ebenso Tatsache, wie das Gesetz des Guten. Und die eine Kraft kann nur überwunden werden, wenn ein noch Stärkerer kommt. – Ist Gott die Quelle und Mitte alles Bestehenden, so ist der Mensch gleichsam der Anfang alles Missbrauches des Bestehenden und damit alles Übels1716, weil er durch Übertretung des Gesetzes des Guten das Böse aufkommen ließ, sodass das Böse wie zum Gegensatz des Guten wurde.

4084 |        Der Mensch besteht nicht „für sich allein“ und nicht als unumschränktes Selbst, das sein Gesetz und seine Daseinsprinzipien aus sich selbst nähme; er ist nicht sein eigener Gesetzgeber und ist nicht sich allein verantwortlich. Das in ihn hineingelegte und in sein Wesen hinein geschriebene Gesetz ist für ihn richtungsgebend. Und es gibt für die ganze geschaffene Menschheit nur ein Gesetz und nur eine große Gesetzgebung, nur eine Richtung des „Guten“, nämlich das göttliche Gute, das Geistesgesetz des einen Gottes, das infolge der „göttlichen Herkunft“ und Gottebenbildlichkeit des Menschen auch für die gesamte Menschheit verpflichtend geworden ist. Oder ist es nicht so? Trägt nicht die Menschheit aller Farben und Zonen eine Möglichkeit und ein allgemeines Gesetz des Gutseins in sich, wodurch zugleich die einzelnen Herzen wie durch einen gemeinsamen Mittelpunkt verbunden sind und sich als zusammengehörig finden? Die Menschen jeder Rasse verlangen doch von jeder anderen Rasse wesentlich dasselbe, was sie in sich selbst als Gesetz vorfinden und was ihnen selbst als recht und gut erscheint. Wie aber das eine unumstößliche Gesetz die gesamte Menschheit verbindet und gleichsam „ein Herz“ aus ihr macht, indem dieses göttliche Lebensgesetz als Forderung gilt, so wurde dieses göttliche Gesetz des Guten von „einem Herzen“, dem Herzen Christi, gelebt und strömt von diesem Herzen auch wieder als Frucht und neue Möglichkeit auf alle Menschen aus. – so steht die ganze Menschheit unter „einem Gesetz des Geistes“, von dem sich kein Mensch ausschließen kann, auch wenn er es wollte; die gesamte Menschheit ist wesentlich einbezogen in das allumfassende Geistsystem einer wesentlichen Abhängigkeit von Gott und eines einzigen Sittengesetzes, das dem Geist und Wesen Gottes entspringt und das darum auch das Grundgesetz der Menschheit ist, ihr Ur- und Endgesetzt und zugleich ihr Ur- und Endgericht. Jeder Mensch wird nach „Gott beurteilt“. Gottes Wesen ist jedem Menschen zum Gericht und zur Belohnung – je nach der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit mit diesem Urbild.

4085 |        Was wir Erlösung nennen, ist zutiefst etwas Geistiges, ist eine Befreiung oder vielmehr die Möglichkeit der Befreiung von den Banden jenes1717 Geistes, der dem eigentlichen und wahren Geistesgesetz, dem göttlichen Gesetz des Guten im Menschen widerstreitet. – Das gottgegebene Geistesgesetz des Menschen hat ein doppeltes Ziel: Das natürliche Ziel der Zusammenfassung aller Seinskräfte zu einer, im innersten Wesen des Menschen selbst „erahnten Ordnung“, die ihm zugleich wahre Befriedigung verspricht, nämlich eine gewisse Harmonie und Erfüllung aller Sehnsüchte, die das Menschenherz bewegen. Dies ist zugleich die beste Voraussetzung für das Erreichen des höheren, übernatürlichen Zieles durch die endgültige und endlose Erfüllung aller edlen Wünsche im Besitz des höchsten Gutes selbst.

4086 |        Der Mensch erahnt auch den Weg zu diesem Ziel: Es ist der Weg des Kampfes gegen eine andere Richtung, die ihn gleichsam in ihrem Banne gefangen halten will. Auch diese Richtung verheißt dem Menschen ein anderes „trügerisches Ziel“, eine falsche „Erlösung“ oder Befreiung von einem Geistesgesetz, dessen Fesseln sie sprengen will, und sie sucht den Menschen zum Genuss des Materiellen und zum Auskosten der vergänglichen und irdischen Güter zu verleiten, will ihn hineinführen in das Reich der Sinne und alles dessen, was in diesem Leben genießbar wäre. Auch diese Richtung bietet dem Menschen für die Dauer der Lust eine Art Befriedigung, und deshalb folgen auch so viele den niederen Lockungen.

4087 |        So lebt der Mensch in einer gewissen Doppelseitigkeit seines Geistes zwischen Antrieben von zwei entgegengesetzten Seiten. Er kann sich von dem einen Trieb nicht freimachen, ohne sich gleichzeitig auf dem entgegengesetzten Antrieb umzustellen. Entscheidet er sich für das höhere Ziel, so muss er die Fesseln des Niederen sprengen, sich davon „lösen“ und freimachen. Für jeden Menschen besteht das unausweichliche, schon mit seiner Existenz gegebene Gesetz, persönlich sich für die eine oder andere Richtung zu entscheiden und Stellung zu nehmen, ein unbedingtes Bekenntnis der Tat abzulegen, eine persönliche Entscheidung zu treffen. Kein Mensch kann sich dieser Entscheidung für eine der beiden entgegengesetzten Richtungen entziehen. – Mit dieser persönlichen Richtungsgebung nimmt aber der Mensch tatsächlich Stellung gegenüber bestimmten Gewalten, die in jedem Menschen irgendwie auftauchen und sich geltend machen wollen. Nennen wir dies einmal die „Doppelseitigkeit“ des menschlichen Geistes oder die Fähigkeit, gewissen auftauchenden Möglichkeiten sich hinzugeben und Antrieben zu folgen, die gleichsam aus einem Hintergrund kommen, dessen selbst der Mensch niemals ganz „habhaft“ werden kann. Der konkrete Mensch steht gleichsam zwischen zwei hintergründigen Geistsphären, die beide sich ihm „anbieten“. Die Entscheidung hat der von der persönlichen Vernunft und Einsicht beratende Wille. Diese Entscheidung betrifft das übersinnliche Reich, dass der Mensch irgendwie ahnt, und dieses Ahnungsvermögen verbindet ihn mit jener anderen, höheren Geistesmacht. Es ist die Entscheidung für das Gebiet des Übersinnlichen oder für das andere, von der Materie beherrschte Gebiet, die Entscheidung für eine gute oder weniger gute oder böse Tat. Diese Entscheidungen aber wiederum sind nicht etwas Zufälliges, gleichsam in der Luft Schwebendes, sondern gehen letztlich zurück auf die Geistesmacht und Persönlichkeit des Guten bzw. des Widersachers alles Guten; Sie weisen also wiederum hin auf dich Hintergründigkeit des menschlichen Daseins. (Darüber hinaus sieht sich auch die führende Vernunft des Menschen Entscheidungen gegenüber einer Geistesmacht überantwortet, die sich ganz außerhalb ihres eigenen Wesens bewegt, die ihr den unmittelbaren Zugang verwehrt, sodass sie nicht „direkte“ Fühlung mit ihr nehmen kann. Doch von diesem übernatürlichen Zugang zu Gott durch die Gnade des Glaubens wollen wir hier noch nicht reden.)

4088 |        Wie man schon in physikalischen Sinn von „positiven und negativen Polen“ und Kräften spricht, so wird auch der gesamte Kosmos gleichsam von der Zustimmung und Hinwendung oder von der Abkehr und Verneinung gegenüber einer bestimmten „Mitte“ beherrscht. Schon das physikalische Naturgesetz ist wie eine gewisse Mitte oder Achse, um die sich alles dreht. Der Mensch ist aber nicht bloß Materie, und sein Lebensprinzip hat eine übersinnliche Grundlage und Herkunft und diese ist einer höheren Macht verhaftet und verantwortlich, von der er sich niemals ganz loslösen kann. Diese dem menschlichen Wesen anhaftende Verkettung an eine höhere Geistesmacht vollzieht sich in ähnlicher Weise, wie beim Naturgesetz, dass dem Weltall eine gewisse Ordnung auferlegt, eine Ordnung, die wie ein immerwährender ruhender Pol ist, um den der Kosmos und seine ungezählten Kräfte sich drehen. Wird diese Ordnung durch irgendwelche Umstände gestört, so gibt es Abweichungen, Verluste, Schäden und Mängel in den Dingen des Kosmos. So braucht, z. B., das Pflanzenleben zu seinem Gedeihen den Wechsel von Sonne und Feuchtigkeit. Fehlt das eine oder das andere, so verliert sich der Ertrag der Zielhaftigkeit des Pflanzenlebens.

4089 |        Mit der Verkettung und Verhaftung des menschlichen Geistes an eine höhere Geistesmacht ist der Mensch zu einer Art des Daseins und der Lebensführung verpflichtet, die einer bestimmten sittlichen Richtung entspricht. Diese moralische Richtungsgebung ist so eng und1718 wesentlich mit dem erahnten „außer ihm“ bestehenden Geistesprinzip verbunden, dass der Mensch sich niemals ganz von der für ihn gültigen Gesetzgebung und deren Gesetzgeber lösen kann. So lebt auch der Mensch angesichts und im Bann einer nicht auszutilgenden Mitte – des in ihn hineingelegten sittlichen Naturgesetzes –, und diese Mitte ist wiederum einer noch höheren, unausweichlichen „Mitte“, einer unerbittlichen Geistesmacht, einem Gesetzgeber und Richter verhaftet und verbunden. Die Menschheit hat auch äußere Gesetze, Staatsgesetze usw., aber bei aller Bestimmtheit dieser Gesetze bleibt doch unauslöschlich und vordringlich im Menschen das Bewusstsein oder wenigstens die Ahnung der Verantwortlichkeit vor jener höchsten sittlichen Geistesmacht und Gerichtsbarkeit, der jeder Mensch durch die innerste Mitte seiner persönlichen Existenz verpflichtet und verhaftet ist.

4090 |        Jeder Mensch erlebt auch in sich eine Vielheit von Widersprüchen und Auflehnungen gegen jene verborgene Mitte seines Wesens und dadurch ist der Mensch in einen fast beständigen Kampf und in eine gewisse Abwehrstellung versetzt. In dieser Lage befindet sich nun mehr irgendwie jeder Mensch, denn niemand ist mit dem Erwachen seiner Vernunft weder ganz schlecht, noch ganz gut. Die Entwicklung und Entscheidung zum Guten oder zum Bösen vollzieht sich persönlich im Inneren des Menschen. Wenn auch äußere Einflüsse, Umgebung, Verhältnisse mitspielen, so hat die Person selbst doch den regsten Anteil und die Entscheidung. Übrigens kann auch bei moralischem Versagen ein Mensch doch ein hohes und auch sehr hohes Verantwortungsbewusstsein gegenüber seinem persönlichen Einsehen des Guten bewahren; es kann aber auch sein, dass die Bindung an die persönliche Verantwortung gegenüber dem erkannten, oder wenigsten erahnten Guten schwächer wird und im Bewusstsein verblasst. – So hat Gott jeden Menschen nicht nur das sittliche Naturgesetz, die Bindung an ein höheres Gesetz und das Ahnen eines höchsten Wesens gegeben; er hat jeder menschlichen Person auch ein bestimmtes, scharf umrissenes Gebiet des Kampfes und der Abwehr im Inneren zugewiesen, entsprechend dem „anderen Gesetz“, das in jedem Menschen ebenso Tatsache ist wie das Gesetz des Guten. Die Gegenseite des Guten organisiert auch ihre Kräfte, um das Gute zu überwinden. Das Starke kann aber nur durch einen Stärkeren, die eine Kraft nur durch eine Überkraft überwunden werden. – Wenn aber der unsichtbare Gott sich durch die Schöpfung irgendwie kundgab, so ist Gott selbst sichtbar geworden, um „durch sich“ das Gesetz des Bösen im Menschen zu überwinden und uns die Kraft zur Überwindung zu vermitteln. In Gott gibt es nur einen Antriebsgeist und das ist er selbst. Dieser göttliche Antriebsgeist kam selbst, um sein Gesetz wiederherzustellen. – Wer hätte es denn sonst wiederherstellen können? – Es sollte gleichsam zu einer Neuschaffung der Menschheit kommen, in dem „durch Gott“ sich die göttlichen Schöpfungsabsichten erneut verwirklichen sollten. Im Gesetz des Fleisches, das das Wort Gottes auf sich nahm – da vom Fleisch das verderben gekommen war – wurde das Gute wieder zum Gesetz des Menschen. Gott selbst nahm im Gottmenschen Jesus Christus das göttliche Gesetz als Mensch auf sich und lebte mit menschlichen Kräften Gottes Vollkommenheit und Heiligkeit. So hat sich in der zweiten, menschgewordenen Person Gottes das göttliche Sittengesetz für die Menschen übervoll verwirklicht, das im Paradies gleichsam gebrochen und zersprengt worden war. Dadurch, dass er das Gesetz des Guten als Gottmensch vollkommen lebte, wurde Christus zum Überwinder des Bösen. Es gibt ja auch ein Gesetz des Überwindens, des Besiegens, des Wiederherstellens, und diese Wiederherstellung muss geschehen durch eine persönliche Mehrleistung, durch ein Mehr-Tun oder eine Überleistung, durch einen persönlichen Ersatz. Gott, der Ausgang und die Mitte aller Dinge und des Gesetzes des Guten, er ist selbst gekommen, um sein Gesetz wiederherzustellen durch die Erlösung.

4091 |        Gibt es nun ein Fortwirken des göttlich Guten, das der Gottmensch verwirklicht hat? Gibt es ein Fortwirken des Gesetzes des Guten in der Menschheit? So wahr Gott wirklich Gott ist, er Selbst das Gesetz des Guten und dessen Ausgangspunkt für alles Geschaffene, so wahr wurde durch die Menschwerdung der zweiten göttlichen Person eine tatsächliche Verwirklichung und erneute Ermöglichung des Gesetzes des Guten geschaffen, jenes Gesetz, das für den Menschen unverrückbar damit gegeben ist, dass sein ganzes Geistsystem restlos von Gott als von seinem Ursprung und Urbild abhängig ist.

4092 |                

4093 |        

 

 

 

 

Das Jahr 1949

 

 

 

 

 

 

 

Januar

XX.01.1949

4094 |        Der erste Anfang eines menschlichen Daseins liegt in einer Grundzelle, in die gleichsam die Möglichkeit einer menschlichen Existenz eingebaut ist. Diese Zelle entwickelt sich nach den in ihr liegenden Prinzipien. Für gewöhnlich wird nichts „Artfremdes“ in sie hineingelegt, sondern sie fängt an zu leben nach ihren Grundmethoden oder Grundprinzipien, die zunächst solche der physischen Erzeugung sind.

4095 |        Der Mensch ist nicht etwas rein Physisches, – wie das Tierleben es ist –, sondern steht auf der höchsten Stufe der Lebewesen, die wir im Kosmos finden. Die menschliche Existenz ist eine Ziel-Existenz oder eine Idee-Existenz, denn im bewusstseinsfähigen Alter formt der Mensch sein Leben auch nach Ideen seines Intellekts. Das menschliche Leben und Werden verläuft nicht bloß nach Instinkten wie das Tierleben, das sozusagen nur einen unbewussten Zellenaufbau [sic!] und Zellenverbrauch [sic!] darstellt. Im menschlichen Leben und Dasein kreist alles irgendwie um die vernunftmäßige Auffassung des Daseins. Der vernunftbegabte Mensch formt sich seine Ideenwelt zu einem Bilde seines Daseins zusammen, zu einem bewussten Kreislauf seiner Fähigkeiten, zu einer Einheit seines Daseins.

4096 |        In der Anfangszelle des Menschen ballen sich die in sein physisches Wesen gleichsam „hineingelegten“ Grundideen wie in einem einzigen Punkt zusammen. Der tatsächliche und erste „Lebensakt“ wird erzeugt durch das Einströmen einer Lebens-Bewegung, die auch etwas Geistiges an sich hat. Diese erstmals in Umlauf gesetzte „Bewegung“ trifft sich mit den entsprechenden Möglichkeiten oder Fähigkeiten, die in der Grundzelle liegen, löst – als seelisch vitales Grundelement – die vorhandenen, zusammengeballten Lebensmöglichkeiten in den Zellen aus, und setzt sie in Umlauf, und zwar nach den Grundprinzipien und Grundmethoden, nach denen sich das Menschenleben aus den vorhandenen Grundzellen zu formen beginnt.

4097 |        Der Kernpunkt der Grundzelle ist befähigt, das seelisch-vitale Zentrum, die gesamte „Bewegungsfähigkeit“ des menschlichen Lebewesens, aufzunehmen; hierin unterscheidet sich das menschliche „Leben“ wesentlich von dem des Tieres. Bei Menschen ist das seelische Zentrum der eigentliche Mittelpunkt, um den sich die beginnenden Lebensbezeugungen gleichsam konzentrieren; beim Tier dagegen besteht das animalische Anfangsleben in einem gewissen Allgemeinleben, das – ohne ausgesprochene Bewusstseinszentren – von einem Allgemeinpunkt ausgeht. – Gerade im Kernpunkt der ersten Lebenszelle des Menschen liegt auch das menschliche Bewusstseinszentrum, das zum Lebenskernpunkt geformt wird. Darum erhält der physische Kernpunkt schon im ersten Augenblick des Menschenlebens höchste Bedeutung für das gesamte Menschsein. Von hier aus lösen sich die keimhaft vorhandenen Kräfte und bilden gleichsam einen Kreis-Mittelpunkt, der sich immer mehr erweitert, und mehr und mehr seine Fähigkeiten entfaltet. Im physischen Kernpunkt der ersten Lebenszelle betätigt und entfaltet sich die geistige Seele als „Lebensprinzip“, nimmt die ihr zu Gebote stehenden Mittel auf und formt sie zu ihrem „Leben“.

4098 |        Ein Grundprinzip in dieser Lebensformung bildet das Vererbungssystem. Die Anlagen des Vaters und der Mutter spielen im Allgemeinen eine Hauptrolle im menschlichen „Leben“. Könnte man im Geiste all diese gegebenen Anlagen und Möglichkeiten zusammennehmen und zu einem möglichen Ganzen als geistiges Bild des neuen Menschen zusammenordnen, so hätte man eine bestimmte Summe von Fähigkeiten, die bestimmt wären, in einen neuen menschlichen Leib eingebaut zu werden. Diese Summe von Fähigkeiten, die im elterlichen Umsatz bereitgestellt und in der ersten Lebenszelle gleichsam aufgestapelt sind, bilden das erste Kapital, womit die Geistseele als Lebensprinzip schafft. [sic!] Der Schöpfergott als Schöpfer und Herr der Seele kann aber auch hier schon besondere Anlagen der Seele einleben lassen, oder die Vererbung kann einen anderen als den „normalen“ Verlauf nehmen, sei es zum Guten, sei es zum weniger Guten des neuen Menschen. Immer aber arbeitet und wirkt jenes „Fleisch“ und „Blut“, von dem der Mensch das erste Leben erhält. – Die erste lebensfähige Grundzelle enthält schon in einem wahren Sinne das Gesamtbild des künftigen Menschen, das sich durch die belebende Seele vom physischen Zentrum aus formt. In sekundärer Weise sind – auch schon von Anfang an – die entsprechenden Lebens- und Daseinsverhältnisse (auch wenn sie nicht ins Bewusstsein gelangen) mitbestimmend für die Formung des fertigen Menschen; sie formen und bilden mit am künftigen Menschen, und zwar schon bevor das Kind das Licht der Welt erblickt.

4099 |        Das gesamte neue Leben bildet sich von den Gehirnzellen aus weiter. Nicht, als ob das Gehirn als erste Zelle allein vorhanden gewesen wäre, sondern die Formung des menschlichen Leibes geschieht von jenen Zellen aus, die in erster Linie und hauptsächlich Träger des Geistes oder Hauptbrücken des leib-seelischen menschlichen Lebens sind. Das Gehirn ist in gewissem Sinne der „Sitz“ des menschlichen Geistes und auch des menschlichen Empfindungslebens, insofern die intellektuelle Betätigung sowie das gesamte Empfindungsleben und auch jede körperliche Bewegungsmöglichkeit dort gleichsam konzentriert ist. Selbst wenn in manchen Menschen der Geist weniger entwickelt ist, so gibt es doch keinen wahren Menschen, der nicht den Schmerz und die Wohltat des Leibes empfinden würde. – Das Geist- und Gehirnzentrum arbeitet aber sozusagen unbewusst und kann auch Anlagen einbauen, die dem betreffenden Menschenleben eine neue bestimmte und entscheidende Wendung geben können. Obwohl die Eltern immer eine entsprechende Verantwortung tragen, ist doch auch jedes Menschenleben von Gott irgendwie vorgesehen. Doch auch solche – durch eine besondere Vorsehung Gottes bedingte oder auch erworbene – Fähigkeiten passen sich immer den jeweils gegebenen, ersten Grundlagen an und erhalten damit eine entsprechende menschlich-persönliche Abrundung.

4100 |        Wie kann sich das göttliche Wesen in einen menschlichen Leib einformen, und wie kann der menschliche Leib Träger von göttlichen Funktionen werden?

4101 |        Damit man sich ein annäherndes, schwaches Bild vom Gott-Menschen machen kann1719, muss man zuerst das „Bild Gottes in sich“, d. h. die Art seines göttlichen Wesens oder sozusagen die „Form-Gottes“ vergegenwärtigen. – Gottes Wesen ist Geist, reiner Geist, und doch hat auch der „Geist“ eine gewisse Struktur oder – um es mit menschlichen Worten auszudrücken – einen gewissen der eigenen Form oder Art entsprechenden „Aufbau“. Jede Bewegung, auch wenn es eine geistige Bewegung ist, setzt ja „etwas“ voraus, das sich bewegt, sagen wir einen „Stoff“, auch wenn dieser „Stoff“ rein geistig ist. Und jedes Wesen, das überhaupt existiert, besteht aus „etwas“, denn „ohne etwas“ oder aus nichts kann nichts bestehen. So hat auch der Geist „etwas“, nennen wir es einmal „Geist-Stoff“ oder „Geistmaterie“, d. h., eine Summe von Fähigkeiten, Kräften und Möglichkeiten, die seinem Wesen entsprechen. – Die Engel zum Beispiel sind reine Geister, die aber zu ihrer Existenz und Betätigung gewisse Fähigkeiten, Kräfte und Möglichkeiten als Voraussetzung haben. Der „Geist-Stoff“ des Engels sind also Anlagen und Fähigkeiten, die zugleich – entsprechend der Stufenordnung unter den Engeln – auch die Möglichkeit zur Entfaltung von höheren Geistfähigkeiten in sich schließen können. Obwohl der Engel rein geistig ist, hat er doch zum Beispiel einen, und zwar hervorragenden Intellekt, hat er ein fein ausgeprägtes geistiges Empfindungsleben und hat er freie Bewegungsmöglichkeit. All diese Eigenschaften haben jedoch als Bedingung und Voraussetzung für ihre Betätigung und Entfaltung einen gewissen „Aufbau“, ein Nacheinander von Fähigkeiten, die zu einem geordneten Auswirken des Geistes der Engel notwendig sind und die dem Wesen des Engels entsprechen. Die Betätigung, und das Wesen des Engels bedarf also gewisser Zeiträume, auch wenn diese unmittelbar aufeinanderfolgen und an Geschwindigkeit und Schnelligkeit alles menschliche Begreifen übersteigen; und die geistigen Tätigkeiten des Engels sind doch irgendwie in ein Nacheinander eingeordnet, auch wenn die Engel infolge der Unmittelbarkeit ihres Wesens eine Vielheit von Tätigkeiten zur gleichen Zeit ausüben und ausdrücken können, was für uns ganz unmöglich wäre. – Und wenn ein Engel Mensch würde, so wäre das ein Engel-Mensch, der die Anlagen und Fähigkeiten eines Engels hätte, die sich durch den menschlichen Leib zum Ausdruck bringen würden. Er hätte zum Beispiel einen scharfen, unmittelbar eindringenden Verstand, der sich aber infolge des „Umsatzes der menschlichen Funktionsweise“ doch etwas verlangsamen, d. h. sich der menschlichen Funktionsart anpassen müsste.

4102 |        Gottes Wesen ist ein „unbedingtes“ Wesen, das heißt, an keine Bedingungen, Umstände, Voraussetzungen, Möglichkeiten und an kein Nacheinander seiner göttlichen Eigenschaften gebunden. Er ist eine schrankenlose Existenz, die aus und durch sich selbst alles besitzt. – Was dies bedeutet, mag folgender Vergleich ein wenig ahnen lassen. Ein Samenkorn, das man in die Erde legt, trägt in sich den Keim und die „Möglichkeiten“ bis zur Ähre oder bis zum künftigen Baum; um aber dieses in seinem Wesen liegende Ziel zu erreichen, ist das Samenkorn von vielen Bedingungen und Voraussetzungen abhängig, wie zum Beispiel von der rechten Beschaffenheit des Erdreiches, von Regen, Sonnenschein usw. Die Pflanze ist also in ihrem Leben und Dasein bedingt, obwohl sie in sich den Keim und die „Möglichkeit“ des Gedeihens hat. – Entsprechende Bedingungen vorausgesetzt, wächst die Pflanze heran, aber sie wächst nur in bestimmten Zeitabständen, d. h. in einem Nacheinander, das ihre Zeitbedingung ist. Würde aus einem Samenkorn in einem Augenblick ein fertiger Baum ersprießen, so käme dieses Wegfallen der zeitlichen Entwicklung nahe an eine „Unbedingtheit“ hinsichtlich der Zeit heran. Es war aber auf alle Fälle das Samenkorn schon „da“, und es musste da sein, damit eine andere notwendige Bedingung, die eines schon bestehenden Anfangs, erfüllt sei. – Wenn nun aber ein Baum nicht bloß in einem Augenblick erstehen [sic!], sondern auch ununterbrochen seine köstlichen Früchte spenden würde, so wäre dies wohl noch eine höhere Stufe der Unbedingtheit, aber doch keine vollkommene Unbedingtheit, denn auch dieser Baum müsste doch mit seiner Wurzel im Erdreich stecken und daraus die Lebensstoffe holen, d. h., die Erde würde sein Dasein erst voll ermöglichen und würde somit eine notwendige Bedingung und Voraussetzung für den Baum sein. – Wenn aber ein Baum selbst freischwebend uns die herrlichen Früchte spenden würde, so schiene das wohl die denkbar höchste Stufe der Unbedingtheit, aber auch in diesem Falle hätte der Baum noch einen, wenn auch kleinsten Zeitraum zwischen Frucht und Frucht als Bedingung nötig, um die Früchte, die man wegnimmt, durch neue zu ersetzen; es wäre also immer noch eine Zeitbedingung da, und wäre es nur ein Augenblick, um neue Früchte hervorbringen zu können. – Würde ein Baum jedoch Früchte spenden, ohne dass diese jemals weniger würden, auch wenn man sie in Massen wegnehme, und ohne dass man dadurch auch nur den leisesten Mangel am Baum verursachen oder feststellen würde, so wäre dies eine vollkommene Unbedingtheit oder eine Wesensvollkommenheit, weil zu jeder Zeit und unter allen Umständen und immer wieder alles da wäre, was zum Baum gehört, und zwar ohne irgendwelche Voraussetzung oder Bedingung.

4103 |        Eines der größten natürlichen „Geheimnisse“ ist die Empfindungstätigkeit. Schon im Tierleben herrscht eine gewisse feine „Empfindsamkeit“, die mehr oder weniger ausgeprägt sein kann, d. h. ein instinktives „Empfindungsleben“, das eigentlich das Beherrschende und Hervorstehende im Tierkörper ist. Selbst das Pflanzenleben weist eine entsprechende Eigenschaft auf, insofern die Pflanze jene Stoffe und Werte sucht, auswählt und an sich zieht, die sie zum Gedeihen bzw. zur Entwicklung und Entfaltung brauchen kann und nötig hat; es ist also gewissermaßen ein „suchendes“ Empfindungsleben. – Am wunderbarsten ist aber das menschliche Empfindungsleben. Wenn auch in sich einfach, ist es doch in seinen Wirkungen zweifach. Diese Zweifachheit gründet und stützt sich auf den leibseelischen Bestand des Menschen und damit auf eine doppelte Empfindungsmöglichkeit, nämlich die der Seele und des Leibes.

4104 |        Im Grunde ist das Empfinden eine „Art des Seins“, oder des Seinsbefindens. Die „Art des Seins“ ist aber in jedem Wesen eine vielfache, den jeweiligen Verhältnissen, Umständen und Zuständen entsprechend. Dabei hat jedes Wesen in sich eine „abrundende“ oder zusammenfassende Art, die sich aus der Vielheit der Umstände und Möglichkeiten eines Wesens gleichsam als letzte, abschließende Art des Seins herausschält. Aufgrund dieser verschiedenen „Art des Seins“ lassen sich auch in der Pflanzen- und Tierwelt verschiedene Gruppen als Gattungen und „Arten“ zusammenfassen. All diese Gattungen haben voneinander irgendwie verschiedene Systeme der Lebens- und Daseinsbedingungen und Bedürfnisse, die man bei jeder Pflanzen- oder Tiergattung im Voraus ungefähr beschreiben kann und die deren Dasein ermöglichen. So können wir schließlich auch eine gewisse Übersicht über die allgemeinen, geschöpflichen Daseinsbedingungen aufstellen, sowie eine Überschau über die Bedingungen, die für die gesamte Lebenswelt, für das vegetative, das animalische und für das menschliche Leben gemeinsam gelten. Diese Gesamtheit der Daseinsbedingungen aller Lebewesen macht eigentlich die Natur und das Geheimnis des Kosmos aus.

4105 |        Zum größten Teil vollzieht die Natur selbst die Ordnung im Kosmos dadurch, dass die einzelnen Wesen (gemäß der vom Schöpfer in sie hineingelegten Anlagen) die für sie lebensnotwendigen Stoffe selbst für sich in Anspruch nehmen und durch unbewusste (oder beim Tier auch irgendwie bewusste) Triebe und Instinkte sich gleichsam in den Besitz ihrer lebenswichtigen Aufbau- und Existenzstoffe setzen. Ferner hat auch der vernunftbegabte Mensch zum Teil die Aufgabe, den ihm unterstellten und zugleich zu seinem eigenen Dasein notwendigen Geschöpfen die ihnen zukommenden Lebensbedingungen zu schaffen. – In jedem Lebewesen bildet sich ein gewisser „Umsatz“, eine Zusammenordnung von Lebensnotwendigkeiten aus, wie sie jenem Wesen gerade entsprechen, und worauf sich dessen Bestand, und dessen Existenz stützt.

4106 |        (All das vorstehende Gesagte ist von Bedeutung zur Erklärung der Zuordnung menschlicher Lebensnotwendigkeiten zur göttlichen Natur des ewigen Wortes zum Zweck der Bestandsmöglichkeit als Gottmensch.)

4107 |        Gott besteht, „Kraft der vollkommenen Ordnung seines Wesens“, aus sich. – Jedes Lebewesen kann nur bestehen, wenn sich seine „Grundprinzipien“ so zusammenordnen, dass sie einen gemeinsamen Weg zur Ermöglichung des Bestandes bilden. Jedes Dasein verläuft in Linien und Richtungen, die für sein Wesen maßgebend sind und gleichsam die Seins- und Bestandsgrundlage ausmachen. Dabei kann man in jedem Lebewesen einen materiellen oder organischen Bestand und einen zielhaften oder zielhaft sich auswirkenden Bestand unterscheiden. Dieser zielstrebige Bestand ist gleichsam vorausgeschaltet vor dem materiellen Bestand, obwohl dieser seinerseits die Grundlage ist. Der zielhafte Bestand ist gleichsam das geistige Element in jedem Wesen, auch wenn es sich um das Tier- oder Pflanzenleben handelt. Die zielhafte Seinsgrundlage ist auch bestimmend für die Seinswertung1722a, die im Menschen zugleich eine moralische oder sittliche Seinswertung ist. [sic!]

4108 |        Für jedes Lebewesen muss „etwas da sein“, das ihm den Anfang gibt und ihm die Wege der Existenz eröffnet. Es ist dies das erste lebendige Gebilde dieses Wesens, die „Keimzelle“. In jeder Keimzelle ist geheimnisvoll grundgelegt und enthalten: 1. die Art und Gattung des Lebewesens mit den entsprechenden Anlagen und Vorzügen; 2. die erste materielle Unterlage als erste Lebensfähigkeit. Mit anderen Worten: Es liegt in der Keimzelle das zielhafte-geistige und das materielle Anfangsprinzip enthalten. – Die Menschen schenken meist dem materiellen Anfang und dem schon existierenden konkreten Leben die größere Aufmerksamkeit. Tatsächlich ist aber weit wichtiger das andere, höhere Prinzip, das schon vor dem konkret existierenden Leben das „Wie“ dieser Existenz bestimmt. Dieses „Wie“, d. h., das zielhafte Prinzip beherrscht und leitet auch die gesamte Entwicklung, das Werden der Pflanze und des Tieres; es ist gleichsam das geistig Treibende im ganzen Anfangs- und Werdegang jedes Lebewesens, auch wenn es sich um die unvernünftigen Tiere und Pflanzen handelt. Durch diese Richtung auf das Ziel hin vollendet sich die Bestimmung jedes Lebewesens; danach bemisst sich, was Nutzen oder Schaden, Vorzug oder Nachteil für dieses Wesen ist. Die Menschen missachten nur allzu sehr dies eigentlich Gestaltende in den Geschöpfen und ziehen zu Unrecht in ihrer Wertschätzung das bloß materielle dem geistig-zielhaften Element in den Dingen vor.

4109 |        Auch bei Menschen ist der erste Anfang „aus dem Wesen des Menschen genommen“ und gleichsam ausgesondert, um einen neuen Menschenbestand zu dienen. In der Keimzelle schlummern all jene Anlagen und Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, wie sie dem menschlichen Werden und Leben eigen sind, nämlich einerseits die grundlegende gestaltende Kraft, die das Wesen des Menschen bildet, und anderseits die individuellen, subjektiven Fähigkeiten und Anlagen. Auch in der menschlichen Keimzelle ist das geistig-gestaltende oder zielhafte Prinzip weitaus wichtiger als die ebenfalls notwendigen und wichtigen materiellen Anfangsgegebenheiten. Der Mensch als geistbegabtes Wesen überträgt auf seine Nachkommenschaft nicht nur – wie andere Lebewesen – eine „bloße“ Materie (die freilich auch schon von Wichtigkeit ist), sondern zugleich ein gestaltendes Zielprinzip, das sich schon in der Materie zum Ausdruck bringt und das Wichtigste in der Keimzelle ist. Dieses Zielprinzip bildet den Antrieb im Werden und Sich-entwickeln der Materie oder in der Bildung des menschlichen Leibes. Im ersten Augenblick nach der Belebung der Keimzelle durch die Verbindung von Eizelle und Samen beginnt der Ausbau des „Lebens“ unter Leitung des gestaltenden Zielprinzips. Die Keimzelle nährt sich, wächst und zerteilt sich immer weiter in einer wunderbaren Ordnung und Zielhaftigkeit in immer neue Zellen auf, die aber alle die erste Hauptzelle gleichsam umkreisen. Die ersten sich bildenden Zellen sind Gehirnzellen, die vom ersten Augenblick der Belebung an auch der Hauptsitz der belebenden Seele sind. Sie üben einen ständigen Einfluss auf die wie umkreisenden übrigen Zellen aus und es beginnt jener wunderbare Kreislauf von Wirkung und Rückwirkung, worin das Wesen und Geheimnis der Funktionen des menschlichen Organismus und „Lebens“ besteht.

4110 |        Mittels der Gehirnzellen übt die gleichsam über allem stehende Seele jene Funktionen aus, die zur Bildung des Gesamtorganismus führen. Die Gehirnzellen sind auch das Hauptmittel, das die Seele benützt zur Formung des geistigen Bildes eines Menschen. Dieses „geistige Bild“, d. h. das innere Gesamtbild eines Menschen umfasst:

1. das normale Wesensbild des Menschen als Einheit von Leib und Seele;

2. diesen individuell-persönlich sich bildenden Menschen;

3. diesen individuellen Gesinnungsmenschen nach seiner moralisch-zielhaften Art und Werthaftigkeit.

4111 |        Können die Eltern mit ihren eigenen Kräften und nach ihrem Willen sich ein bestimmtes geistiges Menschenbild als Nachkommen schaffen und gestalten? – Der einzelne Mensch wurzelt nicht bloß in seiner eigenen persönlich ererbten „Materie“ und deren Anlagen, sondern bildet auch einen Teil des unabsehbar weitverzweigten Verwandtschaftsbildes der Menschheit mit unbegrenzt vielen Möglichkeiten des Ausfallens, Zufallens und Einfallens von Vererbungen und Anlagen. Kein Mensch kann seine Kräfte so in sich behalten, konzentrieren und weitergeben, dass keine „fremden“ Kräfte oder Anlagen – auch nicht solche rein physischer Art – einfallen oder auftauchen könnten. Zudem liegen das Hauptgewicht und die entscheidende Arbeit bei der Bildung des neuen Menschen dann bei den Funktionstätigkeiten der Seele. Diese als die belebende Urkraft oder das „Lebensprinzip“ im Menschen wirkt in doppelter Richtung und prägt gleichsam zweierlei Symptome aus: Sie gestaltet die substanzielle, allgemeine und gleichsam „neutrale“ Lebenskraft im Menschen als einem „vernunftbegabten Lebewesen“ – (womit nicht gesagt sein soll, dass die Seelen alle von Gott als ganz gleich geschaffen würden) – und sie gestaltet zugleich die individuelle und persönliche Lebenskraft, also nicht bloß die allgemeinen Lebensbewegungen und Funktionen, sondern auch dessen individuelle und persönliche Eigenheiten und Besonderheiten. Dabei gehören aber Seele und Keimzelle an sich zwei verschiedenen Ordnungen an, d. h., die Seele ist eine Geisteskraft, die sich mit den materienhaften Anlagen der Keimzelle verbindet. Nun sind zwar durch den Schöpfer Seele und Leib aufs Innigste verbunden und aufeinander abgestimmt, aber indem die Seele ihre Funktionen auf die Masse der menschlichen Zelle ausübt, kann sie auch Veränderungen der menschlichen Erbanlage hervorrufen. Darum ist dem Elternpaar der Einblick bzw. der bestimmende Eingriff in die Bildung ihrer Leibesfrucht entzogen und es können auch bei den idealsten Anlagen der Eltern sich unerwartete Abweichungen und Veränderungen ergeben. Der Mensch ist eben nicht derart auf sich gestellt, dass er eine beliebige Macht über sein „Leben“ ausüben könnte. Die Lebensvorgänge und deren Entwicklung sind ja dem Menschen selbst ein Geheimnis und auch die „unverfälschte“ Vererbung und Weitergabe seines Lebens kann der Mensch nicht selbst bestimmen; sie bleibt immer „Zufälligkeiten“ und möglichen Überraschungen unterworfen.

4112 |        Jedes Lebewesen, das sich im Kosmos bewegt, unterliegt auch früher oder später der Auflösung, d. h. eine Veränderung dadurch, dass das Leben ausscheidet und die Materie in den nicht-belebten Zustand verfällt, aus dem sie gekommen ist. Auch der Leib des Menschen ist nur ein zeitliches Gebilde, das aber von einem überzeitlichen Wesen belebt wird, das keiner Zerstörung anheimfällt. Die Seele „fängt an“, indem sie den noch toten Stoff, der vom Lebenden bereitgestellt wird, mit ihrer Geistigkeit belebt und mittels ihrer Lebenskraft „fruchtbar macht“ an Werten, die ihresgleichen sind, nicht an materiellen Werten. Es gibt für den Menschen keinen ausschließlich materiellen Lebenszweck, wie etwa für Pflanzen und Tiere, die als Nahrung dienen, sondern alle Lebenswerke des Menschen sollen sich als geistige Werte in der Seele aufspalten und ihr Gehalt und Fülle und immer größeren Wert geben. Alles, was der Mensch hat und tut und ist, das ist und schafft er nicht als bloße Materie, sondern durch und mittels seiner immer tätigen Seele, auch wenn es sich scheinbar nur um das materielle Dasein handelt. Die Seele aber hat das Leben „aus sich“, d. h. nicht vom Leibe und, einmal ins Dasein getreten, hört sie nicht mehr auf zu existieren, sondern untersteht vielmehr einer fortgesetzten „Entwicklung“ – bis zum Verfall des Leibes, – ob sich nun diese „Entwicklung“ zum Besseren oder zum weniger Guten – auch für den Menschen selbst – gestaltet. Auch was die Seele in ihrem irdischen Dasein mittels des Leibes tut und schafft, wird zu „persönlichen Gütern“ der Seele und niemals mehr wird sich die Seele trennen können von dieser „Fruchtbarkeit“ an Verdiensten oder Missverdiensten mittels des Leibes. Die Seele kann sich auch nicht mehr in den Nicht-Zustand versetzen, so wenig, wie sie aus sich selbst ins Dasein treten konnte.

4113 |        Die Seele tritt ins Dasein aus drei Ursachen:

1. Aufgrund eines gottgeschaffenen Naturgesetzes, vermögen des Zusammenkommens von zwei Lebensmöglichkeiten mit geeigneten lebensnotwendigen Fähigkeiten.

2. Vermöge [Aufgrund!] ihrer Bestimmung als „Geist vom Geiste Gottes“, d. h. jenes Geistes, der die Erde schuf und erhält und sie den Menschen „zum Bewohnen und Beleben übergibt“.

3. Vermöge [Aufgrund!] des höchsten Zieles der Seele: Dass sie als „Ebenbild Gottes“ die Züge des göttlichen Wesens in geschaffener Weise in sich trage und sie entfalte und als deren letzte Frucht Gott besitze für alle Ewigkeit.

4114 |        Auch wenn die Seele unbewusst ins Dasein tritt, so ist sie doch Gott, ihrem letzten Ziele, zugeordnet durch die Art ihrer Anlagen, durch ihre zielhafte Selbstentwicklung und durch ihre letzte Bestimmung. Die Seele kann sich auch nie mehr auflösen oder in den Nicht-Zustand zurücktreten. Sie ist durch ihre Existenz in Gott, ihrem Schöpfer, verankert. Durch die Art ihrer Existenz beweist sie auch ihre ewige Fortdauer, nämlich durch ihre Verbindungsmöglichkeit mit anderen Seelen bzw. durch die Verbindungsmöglichkeit der Menschen untereinander; sie wollen sich für immer verbinden und von sich aus sich nie voneinander trennen, sondern ein ewiges Dasein führen, weil sie sich dessen Wert und fähig fühlen. Ja, die gesunde Seele fühlt sich wert und fähig, vermöge ihrer immerwährend sich selbst entquellenden Lebenskraft ihre Existenz auf ewig auszudehnen. Sie erschließt sich fortwährend den Selbstwerten und den Gütern, denen sie sich zuwenden kann. So kann zum Beispiel eine Mutter, die ihre Kinder wahrhaft liebt, eigentlich niemals wollen, dass ihr persönlicher Bestand für ihre Kinder aufhöre; sie sucht vielmehr einen „Dauerbestand“ für ihre Liebe usw. – Dem Menschen mit seinen Werten genügt auch nicht ein Ende mit einem „völligen Zerfall“, sondern er will sich selbst bewahren und festhalten. – So schließt schon das natürliche Unsterblichkeitsverlangen genug Begründung in sich für den Fortbestand des geistigen Teiles der menschlichen Existenz, d. h. der Seele, die ihre errungenen, mit der Existenz verbundenen Werte niemals weggeben, sondern mit sich verbunden haben will.

4115 |        Um dem Geheimnis der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person einigermaßen nahekommen zu können, muss man in erster Linie die „Form“ oder Art Gottes in einen für uns Menschen möglichen, geistigen Begriff zu fassen suchen. – Unsere vollkommenere Gotteserkenntnis geht über den Weg des Glaubens an Gott. An Gott glauben bedeutet aber auch: Eine Idee mit ihren Forderungen annehmen, wie sie uns vorgelegt wird. Die menschliche Vernunft formt sich nun die Idee von Gott nach ihren menschlichen Begriffen. Das materiengebundene menschliche Sein kann ja in gewissem Sinne immer nur auf dem Weg über die Materie auf Gott schließen und sich so gleichsam einen Menschen-Gott vorstellen. Der Mensch muss sich mit Andeutungen über Gott begnügen und diese Andeutungen sind und bleiben immer aufs Engste verbunden mit der Art des Menschseins, die wir selbst führen. Es fehlt dem Menschen ein eigentlicher Begriff von Gott, denn Gott ist Geist und darum kann sein Wesen niemals unmittelbar und ganz von der Materie und dem materiengebundenen Denken erfasst werden. – Unser vervollkommneter Begriff von Gott geht daher über die Taufgnade, durch die unserer geistigen Seele gleichsam die Idee Gottes eingegossen wird. Mittels der Taufgnade, die den Glauben an Gott ermöglicht und fordert, wird unser Menschsein mehr vergeistigt und gleichsam „über die Materie gestellt“. Die Idee Gottes wird uns dann weiter aufgezeigt durch die Offenbarungen, die wir über Gott und seine Wesensart besitzen. Aber auch hierin bleibt unsere Vorstellung von Gott an den Auslegungen unserer Vernunft haften und wir müssen mithilfe der Vernunft zu einer möglichst vollkommenen Idee von Gott gelangen. Auch Gott hat sich in den überlieferten Offenbarungen an die vernunftbegrifflichen Andeutungen gehalten, um uns das Suchen nach Gott zu erleichtern. Doch dem eigentlichen Wesen Gottes kommen wir mittels dieser vernunftmäßigen Vorstellungen nicht näher, wiewohl unser Glaube dadurch gestärkt werden kann. Die höchste und letzte Kunde über Gott hat uns Christus gebracht: „Wer mich sieht, der sieht auch den Vater!“

4116 |        Damit sind wir aber der letzten Frage nicht wesentlich nähergekommen, der Frage nämlich, wie wir über das Wesen Gottes selbst näheren Aufschluss haben können. – In diesem Leben gibt es – die Offenbarungen und Überlieferungen vorausgesetzt – nur einen Weg, um zu einem annähernden „Begriff“ von Gott zu kommen (– soweit man hierin von Begriffen reden kann): Es ist der Weg über eine intensive Glaubensübung Christus gegenüber, um „Gott“ kennenzulernen. Gott ist Geist, und nur die sich immer mehr vergeistigende Seele geht ein in Christus und steigt in Christus irgendwie zum Wesen Gottes näher empor. Der Weg zu Gott geht über die Menschheit Christi; diese ist uns Weg und Vorbild, aber auch eine „Annäherung unserer Begriffswelt an Gott“. Die menschliche Natur im Allgemeinen mit ihren wunderbaren Geheimnissen wurde in Christus zum „Hilfsmittel“, um die göttliche Natur des Gottmenschen zu einem menschlichen Ausdruck zu bringen. Darum muss die menschliche Natur Christi für sich allein schon ein beachtenswerter Weg sein, um im Gottmenschen eine gewisse Spur oder Ahnung „vom Wesen Gottes“ erfahren zu können. Die göttliche Natur in Christus hat sich der menschlichen Natur „eingelebt“, hat sich als „Mittel“ zum Bestand des Gott-Menschen gebraucht. Die Leib-Natur Christi ist gleich unserer Leib-Natur und hat im Wesentlichen die gleichen Funktionen wie die unsere. Christus war Mensch wie wir, aber wenn in ihm auch die gleichen, wesentlichen seelisch-leiblichen Funktionen vorhanden waren, so war die Art und Weise dieser Funktionen doch in vielem anders wie bei uns, denn diese seelisch-leiblichen Funktionen werden in erster Linie von der Art der Person geleitet und beherrscht und waren darum in Christus von der göttlichen Person und darum von der göttlichen Natur geleitet und von ihr abhängig. Doch hier gerade liegt das größte Geheimnis des Gott-Menschentums: in der besonderen seelisch-leiblichen Funktionsart, die geleitet und getragen ist von der göttlichen Natur des göttlichen Wortes.

4117 |        Über die „göttliche Natur“ gibt uns die katholische Gnadenlehre einigen Aufschluss. Wir können „zwei Bereiche“ der göttlichen Natur unterscheiden (um ein menschliches Wort zu gebrauchen, obwohl es sehr ungenügend ist): die Natur Gottes im Allgemeinen und das eigentliche, dreipersönliche Wesen Gottes selbst. In den ersten Bereich der göttlichen Natur wird jede Seele versetzt, welche die Taufgnade empfängt. Mittels der Taufgnade wird die Seele „in den Adelsstand Gottes versetzt“; sie erhält durch die Teilnahme an der Erlösung Christi „Anteil an Gott“; sie gehört von nun an zu den „seinen“, zu den mit Gottes Siegel Bezeichneten, zu den von Christus durch die Erlösung Erworbenen, zu den für Gott Bereiteten und zu den für den göttlichen Liebeskreis Geöffneten. Jede getaufte Seele geht mit der Taufe gleichsam ein „in den Bereich Gottes“, hat einen gewissen Anteil an ihm und tritt ein in den offenen Stromkreis eines göttlichen Lebens. Dieses Eingehen in den göttlichen Stromkreis ist die Frucht der heiligenden Akte der Erlösung Christi, die uns durch die Taufe zugewendet wird und uns „für Gott befähigt“; es ist zugleich die offene Pforte, um zu persönlicher Gotteserkenntnis gelangen zu können.

4118 |        Der zweite, sozusagen mehr innere Bereich der göttlichen Natur ist das Wesen Gottes selbst, sein dreipersönliches Wesen, an das kein Geschöpf aus sich heran kann und das für uns niemals ganz geklärt wird; denn Gott ist der „ganz Andere“, der sein Wesen mit niemanden teilt, noch jemals ein Geschöpf ganz an sich heranlässt, noch heranlassen kann. Gottes Wesen ist Gottes Selbst, und dieses, sein persönliches Wesen kann Gott keinem Geschöpf mitteilen, denn damit würde er aufhören. Gott, das ist, der Alleinherrscher zu sein. Durch die Taufgnade werden wir der „göttlichen Natur“ bzw. der göttlichen Art teilhaftig, aber niemals der göttlichen Person-Art. Auch die getaufte Seele geht niemals in den göttlichen Personkreis selbst ein; denn dies würde eine Teilnahme an der Göttlichkeit selbst bedeuten. Aber auch das höchste „Teilhaben an der göttlichen Natur“ durch die höchste Erhebung in den göttlichen Gnadenstand lässt uns niemals an der Göttlichkeit teilnehmen. Auch Maria blieb ein Mensch, obwohl sie die zweite göttliche Person „leibhaftig“ in ihrem Schoße getragen hat. Was wir die heiligmachende Gnade nennen, ist ein Umgeben- und Durchdrungenwerden von Gott, ein „Gott zum Gegenüber haben“, ja, die Erlösung Christi bringt uns ein wirkliches Teilhaben an der Heiligkeit Gottes und Kraft dieser Heiligung (durch die Teilnahme an Gottes Heiligkeit) ist der Mensch fähig gemacht zur unmittelbaren Erkenntnis und Anschauung Gottes, wenn er, frei von persönlicher Schuld, durch den Tod das Materiell-Leibliche abstreift.

4119 |        Kein Mensch kann sich von Gott, von der Art seines Wesens, eine richtige Vorstellung oder einen richtigen Begriff machen; jede allenfallsige Vorstellung, auch die „begriffliche“ Vorstellung wäre immer eine „materienhafte“, ähnlich dem materiengebundenen Bestand des Menschen. Gottes Wesen, das reinster Geist ist, ist der Materie nicht erfassbar und nur dem Geiste zugänglich. Wenn auch Theologen und Wortbegabte eine gewisse Beschreibung Gottes versuchen wollten, so wäre diese doch weit von der Wirklichkeit entfernt, weil das Bild Gottes nur mit materienhaften, d. h. aus dem Materiellen genommenen Begriffen geboten werden könnte. Der Mensch schließt eben aus seinem eigenen Wesen auf das Wesen Gottes und formt sich durch solche Schlüsse ein „Bild Gottes“. Auch der Gelehrte oder Theologe schildert Gott gleichsam als eine Art „Übermensch“, d. h. vergleicht Gottes Wesen mit dem eigenen und zieht daraus Schlüsse, sei es durch Verneinung, sei es durch Steigerung. Kein Menschenverstand kann aber je mit einem Worte das Wesen Gottes selbst sich oder anderen klar machen, wenn er nicht ein ganz besonderes Licht Gottes dazu hat. Gottes innerstes Wesen ist dem Menschen verborgen, wenn und solange Gott selbst nicht dieses Sein Geheimnis lüftet. Gottes Wesen lässt sich überhaupt nicht in Begriffen schauen oder in abgegrenzte und „abgerundete“ Begriffe einordnen. Gottes Wesen kann nur vom „Geiste“ erfasst und nur vom „Geist-Stoff“ in Erfahrung gebracht werden. Streif deine Materie ab, und du stehst Gott nahe!

4120 |        Die Materien-Gebundenheit des Menschen lässt den Anblick Gottes nicht zu. – Selbst wenn wir den Gottmenschen Christus vor unseren Augen hätten, würden wir nur den Menschen sehen und nicht Gott „in ihm“, denn unser Auge, auch unser geistiges, reicht nur an den Menschen heran. So sehen auch die Freunde und die Feinde Christi nur „den Menschen“ in ihm. Die Jünger und die Apostel Christi glaubten an die Gottheit Christi aufgrund der Wirkungen, die seinem Wesen entströmten, aufgrund seiner Rede, seiner Wunder und seiner Auferstehung nach dem Tode. Wohl wirken seine Worte und seine Überlegenheit gewaltig, sodass auch seine Feinde in ihm gleichsam einen Übermenschen anerkannten, einen, der ganz anders war als die anderen Menschen, aber sie sahen doch nur den Menschen und glaubten auch nicht an seine Gottheit.

4121 |        Wie konnte sich aber die Gottheit so sehr in einem Menschen verbergen, dass Christus ganz den Menschen gleich befunden wurde? Worin besteht das Wesen der Gottheit? – Das Wesen der Gottheit ist rein geistig und lässt sich nur in rein geistigen „Begriffen“ erfassen. Und doch muss das Wesen Gottes dem des Menschen irgendwie „nahe“ und gleichsam verwandt sein, wenn es sich so innig mit dem Menschen verbinden konnte, dass der Gottmensch uns Menschen gleich wurde. Wie geschah diese scheinbare „Umgestaltung der Gottheit“ (– um ein menschliches Wort zu gebrauchen –) in das Wesen eines Menschen, sodass nach außen eigentlich kein Unterscheidungsmerkmal gegeben war?

4122 |        Die Geschichte des Gottglaubens und dann des Götterglaubens ist so alt wie die Menschheit selbst. Vom Anfang her bestand der Glaube an einen Gott, an ein höchstes Wesen. Die Menschheit fühlte ja auch von jeher ihre Ohnmacht und vertraute sich deshalb einem höheren und stärkeren Wesen an, von dem es Schutz und Hilfe erwartete. Die Menschheit fühlte immer, dass sie nicht aus sich selbst bestehen konnten, und ordnete sich einem höheren Wesen gegenüber, dem sie ihre Huldigung darbrachte. Es gab kein Volk, das gar keinen „Gott“ gehabt und verehrt hätte, auch wenn dieser „Gott“ vielleicht nur in einem nutzbringenden Tier oder in sonst einer Vorstellung bestand. – Woher haben die Menschen ihren „Gottesbegriff“, und was wissen wir von „einem Gott“? Dieses Wissen wurde uns gebracht durch den Schöpfungsbericht, der auch den Anfang der Menschheit schildert. Unser Glaube an Gott hängt an jenem Schöpfungsbericht, nach dem alles Dasein den Anfang nahm, kraft eines höchsten Wesens, das schon immer da war. Was wir Menschen nach jenem Bericht von der Erschaffung der Welt usw. über Gott wissen, ist dies, dass er sprach: Lasst uns den Menschen machen, nach unserem Bild und Gleichnis! – Dass er dem Menschen eine unsterbliche Seele einhauchte. – Dass er den Menschen bildete vom Staub der Erde und ihm den Lebensodem einhauchte, und dass der Mensch zu leben anfing – (es war also Leben vom Leben Gottes, das den Menschen lebend machte). Dass Gott den zweiten Menschen schuf und ihnen im Paradies sein Gebot gab. – Unser Gottesglaube stützt sich also auf diesen Schöpfungsbericht, der uns sagt, dass die Seele des Menschen unmittelbar von Gott stammt, seinem göttlichen Wesen entstammt, dass der Mensch ein Ebenbild Gottes, seines Schöpfers, ist. Wenn diese Stütze fällt, dann fällt damit auch unser Glaube. – Wenn die ersten Menschen um Gott wussten und ihn anerkannten, so musste „etwas“ in ihnen sein, was sie Gott erkennen ließ, was sie zu unmittelbarer Gotteserkenntnis befähigte, und dieses „etwas“ konnte nur jene Seele gewesen sein, die Gott ihnen eingehaucht hatte und die gerade „zurück“ wollte zu ihrem Schöpfer. – Der Glaube an Gott beherrscht auch das ganze Alte Testament, und zwar der Glaube an den menschen-ähnlichen Gott, der die Menschen sich ähnlich geschaffen hat.

 

März

xx.03.1949

Fortsetzung

4123 |        Jedes Lebewesen ist eigentlich ein Geheimnis. Das Werden eines solchen Wesens ist immer sozusagen ein Ich-Vorgang, d. h. es konzentriert sich derartig auf das betreffende Wesen, dass es noch keinem Zuschauer gelungen ist, diesen Werdensvorgang ganz zu enträtseln. Jedes Werden eines Lebewesens ist ein konkretes Zusammentreffen von Möglichkeiten, welche die betreffende Art des Daseins bedingen und gewährleisten. Dabei sind diese zusammentreffenden Möglichkeiten und Bedingungen meist so weitverzweigt, dass es selbst dem Gelehrten nicht möglich ist, all diesen weitverzweigten Spuren nachzugehen. Die Gelehrten sprechen aber von einem Gesetz des Werdens eines Wesens und bezeichnen damit all die zusammenkommenden Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die zum Entstehen oder Werden eines neuen Wesens gehören. Dieses „Gesetz des Werdens“ fassen wohl die Grundnotwendigkeiten zusammen, die zur Entstehung und Entwicklung neuer Wesen mitbestimmend sind (ob es sich nun um Lebewesen der Tierwelt, oder um solche der Pflanzenwelt handelt). Es ist aber noch keinem Forscher gelungen, das eigentliche „Wachstum“ selbst zu erforschen, d. h., die Verwirklichung der „Geistidee“, die jedem Lebewesen zugrunde liegt, zu ergründen. Auch der Gelehrteste wird dabei immer Zuschauer bleiben, der nicht in das innerste Geschehen und Geheimnis eindringen kann, d. h. nicht ergründen kann, wie die Geistidee gleichsam übergeschaltet wird in das konkrete „Leben“.

4124 |        Das vorher „tote“ Wesen fängt an, sich „in sich“ zu regen, wenn entsprechende Bedingungen und Möglichkeiten gegeben sind. Das Geheimnis dieses „Sich-regens“ beruht in einer entsprechenden Fähigkeit der Keimzelle selbst, die ihrerseits eingebettet ist in die Nahrungszellen, welche der Keimzelle die ersten Lebensmöglichkeiten bieten. Bei der Pflanze ist es zum Beispiel das entsprechende Erdreich, das die äußere Hülle der Nährzellen aufweicht, bis dieses Aufweichen bis zur Keimzelle selbst vordringt. Dann entfaltet sich der „Lebensprozess“ dadurch, dass sich die Keimzelle sozusagen um ihre Existenz zu wehren beginnt, d. h., die Keimzelle sucht sich als „Selbstwesen“, als eigenständige Zelle zu behaupten und zu betätigen. Mit diesem „Selbstaufwachen“ der Keimzelle beginnen dann die wunderbaren Wechselbeziehungen zwischen ihrem Haben und ihrem Brauchen. Die aufgeweichten Nährzellen werden zum ersten Durchbruchsweg des „Lebens“ und die Keimzelle zerfällt erst, wenn die Pflanze so erstarkt ist, dass sie des schützenden Zwischenweges der Nährzellen nicht mehr bedarf. Diese sind nämlich auch wie schützend um die Keimzelle gelagert, um das Eindringen von „fremden“ und der Art der Pflanze schädlichen Stoffen zu verhindern und um nur Nährstoffe „ihresgleichen“ an den Keim gelangen zu lassen.

4125 |        Die Keimzelle ist das eigentliche gottgewirkte „Wunder“ im Lebewesen. In jede Keimzelle ist gleichsam das ganze Bild des betreffenden, werdenden Lebewesens „eingezeichnet“. Es kann aber auch jede neue Keimzelle, zum Beispiel jedes neue Samenkorn, erst lebensfähig werden durch einen geheimnisvollen Berührungsvorgang, bzw. durch Übertragung von ergänzenden Stoffen, die von der gleichen Pflanzengattung kommen (um bei obigem Beispiel zu bleiben). Um die Keimhaftigkeit des Samenkorns zu gewährleisten, bedarf es – mit anderen Worten gesagt – eines Befruchtungsprozesses, wobei durch irgendeines der vielen in der Natur sich findenden Verfahren sich bestimmte notwendige Stoffe mit der Mutterpflanze verbinden. Fast jede Pflanzenart hat sozusagen ihr eigenes Befruchtungsverfahren, womit sie ihre Keimhaftigkeit und damit ihren Fortbestand sichert. Durch den Befruchtungsvorgang werden gleichsam „neue Möglichkeiten“ in die Mutterzelle eingelagert. Im Allgemeinen wird keine Pflanze aus sich selbst, wenn sie nicht in einem bestimmten Augenblick ihres Daseins mit anderen, gleichartigen Pflanzen in Berührung kommt. Der ganze Kosmos „bevölkert sich“ nach diesem Grundgesetz. Eine gewisse Ausnahme bilden jene seltenen Lebewesen, in denen sich die Möglichkeit eines „neuen Lebens“ durch eine Teilung der „eigenen Zellen“, also durch selbstige Zellenteilung ergibt, sodass man sie „selbstige Zellenteiler“ nennen könnte.

4126 |        So beruht der gesamte Kosmos auf einer einheitlichen Ordnung, wenn auch diese grundlegende Ordnung infolge der unermesslichen Vielfalt der Gegebenheiten des Universums zu einer gewissen Vielheit der Ordnungen zu werden scheint. Das Leben und Dasein, das Werden und Vergehen aller Lebewesen verläuft nach einem im wesentlichen gleichen Grundgesetz. Gott hat einst die gesamte Schöpfung auf diese ihre eigene Ordnung gestellt. Seit dem ersten Schöpfungstag verläuft das Universum nach dem anfangs gegebenen Grundplan, auch wenn diese Ordnung nach dem Sündenfall an Harmonie verloren hat. Der gesamte Kosmos „erhält sich gleichsam selbst“ kraft der vom Schöpfer gegebenen Naturgesetze. So gibt sich auch die Menschheit weiterhin „selbst“ das Leben nach dem Auftrag und der Bestimmung des Schöpfers: Wachset und mehret euch!. – Aber jedes dieser einzelnen Menschenleben ist doch wieder ganz von Gott abhängig, weil jede menschliche Person in ihrer höchsten, menschlichen Fähigkeit, in ihrer „Geist-Betätigung“ das „Abbild Gottes“ ist oder mit anderen Worten: weil der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist. Kein Mensch kann sich also seiner Abhängigkeit und Verantwortung vor Gott entziehen, es sei denn, dass er wieder ins Nichtsein zurückfallen könnte. Gewiss tritt der Mensch ohne sein persönliches Zutun und Wollen ins Dasein, aber Gott hat für jedes, auch das ärmste Menschenleben als Ziel und Ende Großes geplant und bereitet. Und wenn ein Mensch, der vielleicht nie etwas von Gott hörte, das in ihn hineingelegte Naturgesetz des Guten befolgt, so hat der schon durch seine Erschaffung als Ebenbild Gottes die Zusicherung der Güte und Barmherzigkeit Gottes.

4127 |        „Gott erbarmt sich seines Geschöpfes“, weil er die Welt und die Menschen nach seinem Plan und nach seinen göttlichen Absichten erschaffen hat. So hat jeder, auch der primitivste Mensch, schon durch sein Bestehen eine gewisse Zusicherung der Vaterliebe und Barmherzigkeit Gottes, und jeder Mensch, auch der Ungetaufte, wenn er dem Naturgesetz folgend, gut lebt, wird nach Ablösung seiner Fehler in einen ewigen Ruhestand eingehen, in dem das Ahnen Gottes, seines Schöpfers, ihn irgendwie überstrahlt wie eine Sonne und ihn für immer glücklich macht, obwohl Ungetaufte nicht zur unmittelbaren und beseligenden Anschauung Gottes gelangen. Darum ist jedes gute Menschenleben wert, gelebt zu werden, und zwar infolge der göttlich-ewigen Schöpferliebe Gottes und seines ewigen Liebesplanes, den er bei der Erschaffung des Menschengeschlechtes bzw. bei der Aufstellung des Fortpflanzungsgebotes hatte, kraft dessen jeder einzelne Mensch ins Dasein tritt.

4128 |        Inwiefern kann sich der Mensch „eine Idee“ von Gott bilden? – Die Mehrheit, auch der gläubigen Christen, kommt eigentlich nie zu einer richtigen Ideenbildung in Bezug auf Gott. Der gewöhnliche Christ glaubt an den Gott der Überlieferungen als das höchste Wesen, das alles erschuf, erhält und reagiert, das Gute belohnt und das Böse bestraft. Wenn er ferner auch an die drei göttlichen Personen und an die Wirksamkeit der Sakramente glaubt, so kommt der meist doch nicht zu einem „persönlichen Verhältnis“ zu Gott. Er glaubt einfach, ohne sich viel Gedanken zu machen und ohne nach den Folgerungen zu fragen, an das, was ihm zu glauben geboten wird, und er betet zu dem, den er „Gott“ nennt. Die Mehrzahl der Christen bleibt bei diesem primitiven Gottesbegriff stehen. – Der Gelehrte sucht das Geheimnis Gottes aufzuhellen durch die Beziehungen zur Wissenschaft. Er sucht das Dasein Gottes „außerbiblisch“, rein von der Wissenschaft her, zu beweisen; er sucht und findet Vergleiche, um zum Beispiel das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit irgendwie zugänglich zu machen, und er nimmt dabei sogar Begriffe der heidnischen Philosophien zu Hilfe, um das Dasein Gottes zu beweisen und die Art des Wesens Gottes einigermaßen zu erklären. Aber mit all diesen Forschungen findet er keinen persönlichen, nahen und erlebten Gott; er sucht sich nur irgendeine Idee von Gott zu formen, aber von einem sozusagen den Menschen fernen Gott. Auch der Masse der Menschen, selbst wenn sie an Gott glauben, bleibt ihr Gott doch wie ein „unzugängliches“ Wesen.

4129 |        Gibt es überhaupt für die Menschen einen „Zugang zu Gott“ und können Sie sich einen „persönlichen Begriff“ von Gott machen? – Durch die Taufgnade und die damit gegebene Gnade des Glaubens wird dem Menschen die Befähigung zu einer persönlichen Erkenntnis Gottes eingegossen. Aber wie Wenige dringen wirklich durch die Übung und Betätigung dieser Befähigung zu einem ihnen persönlich nahen Gott und so zu einem persönlichen Begriff von Gott vor! Der Glaube an den persönlichen Gott, zu dem jeder Getaufte persönlich-unmittelbare Beziehungen hat, ist unter den Christen vielfach verblasst und – man möchte fast sagen – erloschen. Die Masse der Christen begnügt sich mit dem Glauben an den „gemeinsamen Gott“, ohne dass sie in eine persönliche Beziehung zu einem persönlich nahen Gott kommen. Was man heute die „Kultur“ nennt, hat das ihrige dazu beigetragen, dass die einzelnen Menschen vielfach gar nicht mehr das Bedürfnis in sich aufkommen lassen, gute Menschen vor Gott und im Sinne Gottes zu werden. Die ganze Erziehung geht heute weithin nur auf „Kultur und reine Bildung“ aus, statt dass sie vom geistigen Gnadenleben ihren Ausgangspunkt und ihre Entwicklung nehme. Jedes Kind will man heute vielfach mehr zu einem „Weltmenschen“ erziehen als zu einem Gotteskind. Man zieht die äußere Bildung dem Wirken der göttlichen Gnadenhilfe vor und man begnügt sich mit bloßer Kultur und macht diese gleichsam zum Ersatz für die fehlende Religion; und selbst wenn die religiöse Erziehung noch hereinbezogen wird, liegt das Hauptgewicht doch auf der herrschenden Richtung, nämlich der vorherrschenden Rücksicht auf Ansehen, Erwerb, Gleichberechtigung und gesellschaftlichen Aufstieg, Mode usw. Da aber eine solche einseitige und übertriebene Kulturbildung – auch wenn sie in sich Berechtigtes hat – das Leben aus dem Glauben und damit das Wachstum des Glaubens und das Gnadenwirken Gottes hindert, entfernt sich die Menschheit damit immer mehr von Gott und lässt ihre höchsten Anlagen, ihre Geistanlagen und im Besonderen ihre Anlagen und Befähigung für Gott verkümmern.

4130 |        Eine fortlaufend geübte Aszese und Selbstüberwindung aber intensiviert und fördert die Entfaltung der höchsten Geistesanlagen des Menschen. – Das ganze menschliche Dasein mit all seinen Betätigungen ist ja einem bestimmten geistigen Daseinszweck untergeordnet und hat nicht nur einen materiellen Daseinszweck wie das Tier. Jedes Tier „dient zu irgendeinem Zweck“ und ist für den Gebrauch eines höheren Wesens da; es wird nur gebraucht, hat keine Bestimmung über sein Dasein zu treffen, und wenn es seinen Zweck erfüllt hat, ist es dem dauernden Untergang überliefert. Auch die höchststehenden Tiere haben keine Eigenbestimmung über sich selbst, sondern unterliegen während der ganzen Lebensdauer „einem Daseinszweck“. – Der Mensch aber, der sich durch den Geist von den Tieren unterscheidet, bestimmt über sich selbst. Schon am Anfang seines Lebens erhellt diese „Selbstbestimmung“ der menschlichen Existenz eine Möglichkeit, die dem Tiere vollständig fehlt, denn der sich bewusstwerdende Mensch „findet in sich selbst zurück“. Durch das Bewusstwerden seiner selbst „bettet sich der Mensch in sich selbst ein“, geht er auf sich selbst zurück und findet er in sich gleichsam den Halt, der ihn über sich selbst bestimmen lässt. Dieses Eingebettet-sein in sich selbst wird für den Menschen wie zu einer ständig fließenden goldenen Ader seiner Existenz. Er erwirbt sich alle Daseinskraft aus der „Selbstverarbeitung“, die sich in seinem Wesen vollzieht. Diese Selbstverarbeitung seiner Existenzqualitäten und Gegebenheiten führt den Menschen auch zu seinem selbstigen Ziel, das immer ein zweifaches ist:

1. das geistige Ziel, das sich der Menschen auftut, und

2. das Ziel des materiellen Fortkommens.

4131 |        Bevor der Mensch sich auf das Ziel des materiellen Fortkommens konzentriert, muss in ihm schon jenes geistige Erwachen gegeben sein, das über der ganzen materiellen Existenz steht. Die einseitige und vorherrschende Erziehung auf das materielle Ziel verunstaltet und verderbt sozusagen das ganze Menschenleben. Das Erwachen des Geistes und seine Hinordnung auf das geistige Lebensziel aber erschließt erst dem Menschen selbst seine höchsten Werte, nämlich seine obersten Geist-Fähigkeiten, die ihm ein klares Urteil geben über den Sinn seines Daseins und über die Erfüllung seiner besten und tiefsten Anlagen. Auch eine nur wissenschaftliche Ausbildung des jungen Menschen zum Zweck der materiellen Auswertung lässt seine höheren Geistanlagen verkümmern; denn Wissenschaft ist nicht dasselbe wie die volle Geistentfaltung, die allein dem Menschen die rechte Ordnung bringt in der richtigen Auffassung seines Lebens und in der Selbsthandhabung seiner Beziehungen zur Umgebung. Durch eine reine Diesseitskultur, die dem jungen Menschen nur die Werte des diesseitigen Daseins zeigt, werden die wichtigsten und entscheidenden Lebensfragen beiseitegeschoben. Was aber für die Menschen von höchstem Wert ist, das ist die rechte Geistentfaltung oder die Hinordnung seines ganzen Daseins auf das wahre und höchste Lebensziel. Damit geht dann Hand in Hand auch die rechte Gemütsbildung, die für das moralische Leben des Menschen von größter Bedeutung ist. Beides zusammen, die rechte Geistes- und Gemütsbildung, ergibt das rechte Mensch-sein mit all den großen Werten, Folgerungen und Forderungen, die darin liegen.

4132 |        Die ganze Entwicklung und Entfaltung des Menschen soll „zielhaft“ sein und sich hinordnen auf die letzte Erfüllung seines Daseinszweckes, dass er nämlich, besonders in seinem Geistsein, die durch den Schöpfer in ihm grundgelegte Ebenbildlichkeit Gottes zur Ausprägung bringe. Die Ur- und Grundanlagen des Menschen sind nicht „diesseitig“, sondern streben nach der Geist-Erfüllung und nach den „jenseitigen“ Werten. Bei allem bloß materiellen Tun empfindet der Mensch immer einen gewissen Mangel, ein Nicht-erfüllt-sein des letzten Daseinszweckes; in all seinen Diesseitserfüllungen findet er doch eine Forderung von endlosen Gütern, von Geisteswerten, die sich mit seinem innersten Wesen verbinden und darin verankern sollen; solange dies nicht der Fall ist, bleibt im Menschen eine Leere, die nichts ausfüllen kann. Die rechte Bildung und Entfaltung der Geist-Werte aber gibt dann auch den materiellen Obliegenheiten jene „Ausfüllung durch den Geist“, die einer reinen Diesseitskultur mangelt. Bei allen Notwendigkeiten, die das materielle Fortkommen mit sich bringt, ist das Menschenleben so reich an Geist-Werten für den aufgeschlossenen Menschen, dass es sich lohnt, zu leben, schon wegen dieser Werte. Das menschliche Leben sollte aber eine ständig wachsende Erschließung der in ihm angelegten und ermöglichten Werte sein, und gerade eine solche Geist-Entfaltung macht das Leben hier schon wahrhaft wertvoll und auch reich für die Umgebung. Den heutigen Menschen ist aber dieser persönliche, geistige Eigenwert weithin verloren gegangen; daher die Geistlosigkeit der heutigen Kultur, das massenhafte Sich-entfernen von den bleibenden, ewigen Gütern, die Gottferne, da ja Gottes Gnade meist auf der rechten natürlichen Ordnung aufbaut. Die Menschheit hat zu sehr den Sinn für die bleibenden Werte verloren, die sie zutiefst glücklich machen können und die der Anfang und die Voraussetzung der restlosen Erfüllung ihrer Hoffnungen sind und sein sollen. Der Mensch kann sich nun einmal nicht von den ewigen Forderungen des Geistes lossagen, ohne mit seinem Schöpfer in „Konflikt“ und Widerspruch zu kommen. Er ist eben in seiner ganzen Anlage nicht ein reines Zweckwesen (wie die niederen Geschöpfe), das nur einem Daseinszweck dient, sondern er ist ein Zielwesen, auf ein geistiges, gottgegebenes Ziel hingeordnet. Jeder Mensch trägt auch in und mit der Einstellung zu diesem Ziel schon sein Gericht in sich. Und ein Mensch, der so sehr und so ausschließlich materialistisch eingestellt ist, dass er alles andere zum Schweigen bringt und dass ihm dieses materielle Leben allein genügt, richtet damit sich selbst. Auch die heutige „reine Diesseitskultur“ spricht sich selbst das Urteil in ihren Folgen und Auswirkungen, in der Auflehnung und Zwietracht der Geister untereinander und in ihrer Fried- und Ruhelosigkeit. Die Menschheit hat nur eine Bürgschaft für ihr eigenes Glück, und das ist die Bindung an ihren Schöpfer, wie auch das Glück, der Wert und der Fortschritt des Einzelmenschen in seiner immer lebendigeren, tieferen und innigeren Bindung an Gott besteht.

4133 |        Die Bindung der Menschheit an Gott ist aber vor allem eine Geist-Bindung. Die höchste und edelste Anlage des menschlichen Geistes ist die, dass er „gott-fähig“ ist, d. h., die Seele mit ihren Ur- und Grundanlagen ist schon durch das Gesetz ihrer Erschaffung in Gott verankert und die rechte Entfaltung dieser ihrer höchsten Geistanlage führt den Menschen gleichsam unmittelbar zur Bindung an Gott und zu einer gewissen, wachsenden Verbundenheit mit Gott. Oder lässt nicht schon zum Beispiel die Schönheit der rechten und edlen Liebe, das Glück des Zusammenseins mit aufrichtigen, befreundeten Menschen, die Entdeckungsfreude in der Wissenschaft etwas von den Geheimnissen Gottes ahnen? Der Sinn für die Schönheiten der Natur, die Freude über den Reichtum der sich immer wieder erneuernden und neu gestalteten Schöpfung usw. ist tiefster Ausdruck unseres Geistes und steht weit über dem materiell-sinnhaften Empfindungsleben, mit dem es eigentlich wenig zu tun hat; denn die Genüsse des Geistes stehen weit höher und haben in ihren Wirkungen etwas Geisterfüllendes und den Geist Sättigendes. Eine nach dem gottgewollten Ideal gelebte Verbindung von Mann und Frau, eine Nachkommenschaft mit dem Gott geschaffenen edlen Anlagen und Vorzügen zum Beispiel kann in sich schon ein Glückserlebnis bedeuten, dem kein materieller Genuss gleichkommt, und die Erfüllung, die solche an sich natürliche Bindungen dem menschlichen Geiste geben, können so tief und unzerreißbar sein, dass der Mensch sozusagen schon deshalb eine Ewigkeit braucht, um sie fortgesetzt genießen und sich daran sättigen zu können. Das sind die wahren Genüsse des Lebens, welche die tieferen Quellen der menschlichen Existenz zum Fließen bringen und die nach Ewigkeit verlangen, damit sich der Mensch daran sättigen könne. Aber auch die edelsten, geistigen Genüsse sind nur „Herkünfte“ von Gott und sind nicht Gott selbst; es sind nur Wege hin zu Gott und sind Güter, die Gott seinen Geschöpfen bereitet hat. Und alle wahren Güter dieses Lebens haben schließlich und endlich wieder Gott zum Ziele, zu dem sie führen sollen; denn alles Gute ist von Gott, der die Güter der Menschen wegen geschaffen hat. Nicht ein leeres Dasein wollte Gott seinen Geschöpfen bereiten, sondern eine Fülle des Lebens, deren Ausgangspunkt und Endpunkt aber er selber ist und bleibt.

4134 |        Die wahre Befriedigung dieses Lebens bringt nicht das Aufgehen im Genuss und das Ausgehen auf den Lebensgenuss; die wahre Befriedigung bringen die „hintergründigen Güter“, d. h. jene, die „jenseits des Genusses“ liegen. Nicht die irdische Liebe als solche ist zum Beispiel der wahre Genuss, sondern die geistige Geborgenheit in dieser Liebe und die Abwehr all dessen, was die Liebesgüter zerstören würde. – Der Mensch mit seiner Geist-Leib-Anlage steht sozusagen in einer zweifachen Daseinssphäre und er soll die rechte Mitte und Ordnung finden. Das kann er aber nur, wenn er den gesamten Ablauf seines Daseins auf ein letztes Ziel hinrichtet, das gleichsam als Gesamtordner sein Leben reguliert. Nicht das schrankenlose Ausleben der Sinnen- und Lebensgenüsse lässt die Menschen das wahre Glück finden, sondern jenes weise Maßhalten, das sozusagen eine immerwährende Selbstbeschränkung und Selbstbeherrschung ist. Nicht der Genuss an sich beglückt in Wahrheit und zutiefst den Menschen, sondern jener letzte und bewusste Akt, mit dem die Seele in sich zurückgekehrt und in der bewussten Beherrschung und Beschränkung sich selbst erlebt. Jede bewusste Beschränkung im Genießen der Daseinsgüter führt die Seele gleichsam in sich selbst hinein, führt sie zur Spitze des Geistes empor und dort baut sich der Mensch erst eine gewisse Befestigung seines irdisch-geistigen Glückes. Das schrankenlose Ausgießen des eigenen Wesens in das Genießen verhindert aber den wahren Herzensfrieden und damit das wahre Glück.

4135 |        Jede wirkliche und vernünftig geübte Aszese ist darum ein Beschneiden der persönlichen, natürlichen Neigungen, um das innerste und beste Wesen erstarken zu lassen. So wie ein Baum alle unnützen Zweige abgeben muss, damit die Säfte dem Stamm zukommen und die Frucht gefördert werde, so ähnlich soll das Menschenleben ein ständiges Abgeben, Abstreifen und Beschneiden alles Störenden und Unnützen sein, damit – um beim Bilde zu bleiben – alle Kräfte im Stamm oder im innersten Wesen aufgespaltet werden, um im gegebenen Augenblick reiche Früchte zu bringen. Jeder vernünftig zurückgedrängte und beherrschte Genuss gibt der Seele gleichsam einen wertvollen Ertrag zurück, und alles, was der Mensch an Äußerem abgibt, bekommt er als Befriedigung und Bereicherung im Inneren mehrfach wieder. Auch dies ist eine große Irrung und Täuschung bei der Masse der heutigen Menschen, dass sie sich mit ihrem ganzen Wesen nach außen ergießen und sich ausleben und dass sie sich damit das Glück zu erringen hoffen.

4136 |        Der Mensch kommt in diesem Leben zu Gott nur durch den Glauben an Gott. – Infolge seines geist-leiblichen Wesens kann sich der Mensch nicht zu einer reinen Geist-Idee emporschwingen, sondern alle seine Begriffe sind zunächst aus dem Materiellen genommen. Unsere „religiöse“ Idee von Gott haftet an den konkreten Offenbarungen der Bibel und der ersten Menschheitsgeschichte; sie geht von der Geschichte des Sündenfalles zur „Erlöser-Hoffnung“ und zum Glauben an das Kommen des Erlösers, an seine Geburt, sein Erlöserleiden, sein Sterben und seine Auferstehung usw. In diesen Glaubenswahrheiten tritt den Christen das „Gottesproblem“ entgegen. Doch diese Glaubenswahrheiten sind für die meisten Christen wie zu einem „allgemeinen Gut“ geworden, ohne dass sich die Einzelnen damit auseinandersetzen und sich Rechenschaft geben, was sie für jeden Einzelnen persönlich bedeuten. Darum werden diese Wahrheiten auch für die Einzelnen zu wenig „aktuell“ und wirksam. Wie viele Menschen erwägen es denn ernstlich, was die Grundwahrheiten vom Zweck der Schöpfung, vom Verlust der erstverliehenen Güter, vom Bruch des Menschen mit Gott durch die Sünde und von der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person für sie bedeuten? Wer bedauert eigentlich, dass den ersten Menschen durch die Sünde der Begriff von Gottes Wesen und eine gewisse unmittelbare Erkenntnis Gottes abhandengekommen ist? Wer leidet eigentlich unter der durch die persönliche Sünde entstandenen oder entstehenden Trennung oder Entfernung von Gott? Wer betrauert den im Paradiese erfolgten Verlust der himmlischen Güter? Wer hat wirklich Sehnsucht nach dem damals „verlorenen“ Gott, d. h. nach der innigen und erlebten Nähe Gottes? Wer sucht ihn wirklich wieder zu erringen dadurch, dass er jenen Geistesweg einschlägt, der uns alle Hindernisse auf dem Wege zu Gott wegräumen lässt? Wer leidet wirklich unter der persönlichen Sünde? Wird nicht vielmehr von allzu vielen das Gesetz Gottes wie eine lästige Beschränkung oder Wegnahme der persönlichen Freiheit angesehen, worunter man gleichsam seufzt? Wer freut sich wirklich über die Menschwerdung Gottes, weil uns die Verdienste des Erlöses die Kraft verschaffen, die persönlichen ungeordneten Neigungen zu überwinden und zu jener Seelenfreiheit zu gelangen, die uns „Gott nahe bringt“. Seufzen nicht die Menschen unter dem „Joch der Gebote Gottes“ statt sich mit positiver, vertrauender Gesinnung zu Gott hinzuwenden, von dem die Erlösung, das Heil und die Befreiung vom Joch der Sünde kommen? Wie viele möchten geradezu sich „wohlfühlen“ im schrecklichen Zustand der „Befreiung von Gott“, und wie wenige beklagen das Joch der Sünde und Leidenschaft, in das sie geraten sind! Ja, wenn Gott die Pforten des Paradieses wieder öffnen würde und die Menschen wieder dorthin und in den ersten Zustand vor der Sünde zurückkehren ließe, falls sie nur alle Anhänglichkeiten an sich und an die Welt und an die Sünde aufgeben und das „erste Gesetz“ ganz beobachten wollten: Wie viele würden es wohl sein, die darauf eingehen würden, und wie klein wäre vielleicht die Schar der konsequenten Christen, die alles hingeben würden, um sich ganz unter das erste Gesetz Gottes zu beugen! Ja, so lieb ist vielen heutigen Menschen die Sünde und die Welt mit ihren Gütern! Es ist leider wahr, dass die Menschen heute zum großen Teil auch kein Bedürfnis nach Gott mehr zu haben scheinen, weil sie so viele Dinge nicht lassen und nicht wegräumen wollen, die sie von Gott trennen und fernhalten. Und doch gab es auch im Paradies alles das, was es auch jetzt noch im Menschenleben gibt, es gab auch dort Mann und Weib, Aussaat und Ernte, Mahlzeit und Ruhe, Blumen und Tiere und alle Schönheiten und Reichtümer der Natur, die ein Menschenherz erfreuen können. Was hat sich geändert? Nicht Gott, sondern der Mensch, der die wahren Güter seines Daseins nun beiseitesetzt. Das Menschenherz hat sich geändert; es hat Gott, sein wahres, oberstes Gesetz verlassen, ist von Gott abgefallen, und darum schaut der Mensch nun alle Dinge mit anderen, getrübten Augen an; er sieht sozusagen nicht mehr die Blume, sondern nur die „Dornen und Disteln“. Der Mensch hat den rechten Gebrauch der gottgeschaffenen Güter verloren, und insofern hat sich mit dem Abfall von Gott die ganze Schöpfung geändert. Die erste Sünde bestand darin, dass der Mensch Geschaffenes praktisch höher schätzte, als den Schöpfer selbst, und so sind ihm die geschaffenen Dinge zum Verhängnis geworden. Der Mensch ist nun der sichtbaren Natur der Dinge verfallen, hat sich gleichsam an die Dinge verloren, statt auf die den Dingen zugrunde liegende Geistidee einzugehen und von den Dingen auf Gott zu schließen. Was müsste denn zum Beispiel Mann und Frau hindern, ein wirkliches glückliches Leben zu führen? Bei rechter Liebe müsste ihnen das Tor zum Glück offen stehen – wenn sie sich nicht so an die Dinge verlieren, dass sie mehr den Genuss suchen und lieben als sich gegenseitig selbst, d. h. ihr innerstes geistiges Sein und Wesen. Sie selbst, ihre geistige Persönlichkeit soll Gegenstand der Liebe und Achtung sein, und sie dürfen nicht vergessen, dass alle menschlichen „Selbstgüter“ Gottes Eigentum sind und bleiben, die nicht verletzt oder missbraucht werden dürfen. Das bloße Genießen, in welcher Hinsicht es sei, zieht aber den Menschen herab zu einer gewissen Unterjochung durch die Dinge, womit das wahre Glück verloren geht. –

4137 |        Wie reich an Gütern wäre auch jetzt noch die Erde, um den Menschen zu beglücken, zu erfreuen und zu bereichern! Wie könnte der Mensch seine Ernte gebrauchen, um zu verwenden, was für ihn nötig ist, und um anderen, die nichts haben, davon mitzuteilen, damit alle das Notwendigste haben! Wie könnten die Schönheiten der Natur und die Reichtümer des Herzens die Menschen erfreuen, sodass sie auf die „Dornen und Disteln“ wenig zu achten brauchten! Aber leider wollen die Menschen so vielfach nur beim „Genuss“ der Dinge stehen bleiben, statt alle Dinge – wie es ihrer Wahrheit und Wirklichkeit entspricht – von Gott abzuleiten und in allem und über allem den einen „Herrn und Gott“ anzuerkennen. In Wahrheit vernichten die Menschen selbst das Paradies, das die Erde in einem gewissen Sinne auch jetzt noch sein könnte; denn der Mensch sieht nun alle Dinge gleichsam mit sündigen Augen und mit einem begehrlichen Herzen. Woher kommt denn all die Verkehrtheit im Handeln, im Urteilen und Genießen? Der Mensch hat die rechte Ordnung im Gebrauch der Dinge aufgegeben und vor allem „im Gebrauch seiner selbst“. Es gibt aber für den Menschen nur eine Ordnung und nur ein großes, allumfassendes Gesetz, und dieses Gesetz ist Gott selbst, nach dessen geistigem Bild der Mensch geschaffen ist.

4138 |        In Gott ist vollkommenste Ordnung durch sein eigenes Wesen, vollkommenste wesentliche Ordnung. Darum ist Gott auch durch sich selbst und wegen seiner selbst das wesentlich glücklichste Wesen. Wegen dieser vollkommensten Ordnung seines Wesens ist Gott sich selbst der Gegenstand seiner unendlichen Seligkeit. – Gottes Wesen ist – um ein menschliches Wort zu gebrauchen – vollkommenste Harmonie in seiner göttlichen Geist-Struktur; alle göttlichen Vollkommenheiten und „Funktionen“ sind in vollkommenster Ordnung, Einheit und Einfachheit durch sein Wesen selbst, und doch ist Gott das unendliche Wesen, in dem alles, was besteht, in göttliche Weise „ist“. „In ihm ist“ die ganze Schöpfung, und wegen der vollkommensten Ordnung und Einheit seines göttlichen Wesens ist jedes Atom der Schöpfung immer wesentlich ihm gegenwärtig; nichts, auch kein Seufzer, und kein Fehltritt irgendeines Geschöpfes entgeht ihm. – Wenn wir dieses göttliche Wesen mit ganz einfachen menschlichen Bildern und Worten uns nahe bringen versuchen wollten, so könnten wir diese göttliche Ordnung, dieses einfache und doch unendliche Wesen vielleicht vergleichen mit einer wunderbar feinen und mächtigen Maschine, die nach allen Seiten und in jeder Hinsicht gleichzeitig wirkt und arbeitet. Unsere menschlichen Begriffe sind geneigt, sich vorzustellen, dass Gott einmal dahin und dann wieder dorthin sehen und horchen müsse, dass ihm nichts entgehe, doch in Wirklichkeit „ist“ in Gott alles, Wissen und Tun, durch sein Wesen selbst; und durch sein göttliches Wesen regiert und erhält er die ganze Schöpfung und Welt. So wie bestimmte Eigenschaften jedes Ding zu dem machen, was es ist, so macht das göttliche Wesen und die damit gegebenen göttlichen Vollkommenheiten Gott „zum ewigen Gott“.

4139 |        Wenn wir die Stellung Gottes zum Menschen und die Beziehungen des Menschen zu Gott betrachten, so sind auch diese eigentlich einfach und einheitlich: Dass nämlich Gott alles geschaffen, und dass der Mensch alles „verdorben“ hat; – dass Gottes Sohn sich zum Erlöser und Wiedergutmacher vor der göttlichen Gerechtigkeit gemacht und uns Gottes Erbarmen und Wohlwollen wieder erworben hat; – dass auch wir [von] nun an und in uns wieder gutmachen sollen, was von der ersten Schöpfungsordnung in uns verloren ging; – dass wir jenen „persönlichen“ Gott uns selbst wieder erringen sollen, denn wir bzw. unsere Stammeltern verloren haben; – dass wir die Erde sozusagen wieder bewohnbar und wohnlich machen als „neue, erlöste Menschen“ und dass wir dadurch dem gesamten Menschengeschlecht dienen sollen. Jedes Übel kommt letztlich von etwas persönlich Bösem, das irgendein Mensch getan hat. Wenn nun aber viele Menschen das Böse nicht mehr tun und wenn die Masse der Menschen die üble Tat nicht begeht, dann erneuert sich damit das Angesicht der Erde; dann werden die einzelnen Menschen die Dinge dieses Lebens mit neuen Augen anschauen und dann wären damit die größten Leiden der Menschheit beseitigt. Alles Böse auf Erden kommt letztlich aus dem Menschenherz und wird zur bösen Tat; und wenn das Böse aus vielen Herzen kommt, dann liegt die gesamte Menschheit in Schmerzen. Und weil das Böse in der Mehrheit der Menschen zur bösen Welt wird, darum machte es sich der Heiland zur Aufgabe, die Seelen der Menschen zu erlösen, aus der alles Böse kommt. – Die Erlöserabsichten Christi waren darum rein geistige: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt!“ Die Abkehr der Menschen von Gott war eine geistige; und diese geistige Abkehr hat alles Unheil gebracht. Darum ist das Notwendigste die geistige Hinkehr des Menschen zu Gott. Im Grunde kommen auch alle Güter dieses Lebens aus dem Geistigen, aus dem Reich des unsichtbaren, und auch wenn sie sichtbar werden, bleiben sie doch letztlich aus dem Geiste (des Schöpfers) geboren. So ist auch das Reich der Erlösung Christi ein geistiges Reich, eine geistige Erneuerung der Menschheit, die aber durch die äußere Erneuerung durch gute und bessere Taten der Menschen sichtbar werden muss. Das ist der Sinn der Erlösung Christi. Die Erlösungsgnaden sind ihrem Ursprung und ihrer Wirksamkeit nach dem Anfang der Sünde entgegengesetzt, nämlich der Tatsache, dass die unmittelbaren Beziehungen des Menschen zu Gott durch die Sünde gleichsam entzweigeschnitten und zerbrochen wurden, d. h., dass der Mensch abgeschnitten wurde vom Zentrum alles Guten und dass er sich auf minder gute, weil von der göttlichen Quelle des Guten getrennte Taten verlegte. Wahrhaft, d. h. Gott gewollt gut ist ja nur die aus Gott geborene und in Gott gewirkte Tat. – Von Gott der ewigen Wahrheit abgeschnitten verfiel der Mensch nun den vielen menschlichen Irrtümern, denn nur im Lichte Gottes kann der Mensch wahre, aus Gott geborene Werke tun. Von der Kraft Gottes abgeschnitten, nahm der Mensch die Kraft „aus sich selber“ und versagte immer wieder.

4140 |        Gibt es eine persönliche Rückkehr des Menschen zur ursprünglichen Vertrautheit mit Gott? – Seit dem Sündenfall hat sich Gott für dieses Leben unwiderruflich von der Menschheit zurückgezogen, sodass in diesem Leben kein Mensch mehr Gott „schauen“, ganz unmittelbar erkennen und jenen vertrauten Umgang mit Gott pflegen kann, wie er im Paradies stattfand. Der Mensch kann jetzt nur durch den Glauben Gott „nahekommen“, indem er die Werke tut, welche die Seele mit Gott verbinden. Das Ziel des Menschen ist auch jetzt noch das Gleiche, wie es für die Menschen im Paradies war, aber der Weg geht jetzt durch das Dunkel des Glaubens und über die harte Aszese, d. h. das Ablassen und Loslösen von allem, was von Gott fernhält oder trennt. Wenn auf diese Weise ein gewisser Umfang von Hindernissen zwischen Gott und Seele weggeräumt ist, wenn damit eine gewisse Vergeistigung die materielle Gebundenheit und Schwere der einzelnen Seele abgelöst hat, dann lässt Gott zuweilen ein Licht in die Seele fallen, womit diese tiefer und unmittelbarer jenen Gott erkennen kann, an den sie glaubt, auf den sie hofft und den sie liebt. – Eine solche „unmittelbare“ Erkenntnis Gottes in diesem Leben geht über die Nachfolge Christi, d. h., in dem wir mehr und mehr sein Leben in uns aufnehmen. Gott zeigt dann „sein Angesicht“ in gewissen Stufenfolgen jener Seele, die in Vereinigung mit Christus steht. Diese „unmittelbare“ Art der Gotteserkenntnis ist als einziger und kostbarer Akt von dem vertrauten Umgang mit Gott im Paradiese uns geblieben, aber auch auf diese Weise zeigt sich Gott nur jenen, denen der Sohn sich offenbart. Es gibt jedoch diesen inneren, von ständiger Läuterung begleiteten Aufstieg der Seele, auf dem die Gotteserkenntnis ständig wachsend sich vertieft und vervollkommnet und auf dem durch das einströmende göttliche Licht sich eine geistige „Begrifflichkeit“ vom Gott in der Seele zu formen beginnt. Je mehr die Seele sich von allen selbstigen Hemmungen und von denen der materiellen Welt gelöst hat, desto mehr wird sie damit befähigt, das eingegossene Licht aufzunehmen und zu verstehen. Gott offenbart damit der Seele sich selbst und seine Dinge, d. h. die Dinge, die Gott betreffen. Die Erkenntnis Gottes, bzw. eine gewisse Begrifflichkeit von Gott wächst in dem Grade, als der materielle Mensch an die Geistsphäre Gottes herangetragen wird bzw. in dem Grade, als des Menschen Taten eins mit dem Geiste Gottes werden oder als der Mensch „gott-geist-fähig“ geworden ist. Der Mensch kann sich aber dabei in diesem Leben nicht von seinem geist-leiblichen Sein als solchen trennen; alles, was der Mensch tut und ist, das ist und tut er mit Seele und Leib. Die volle Harmonie und Verschmelzung der geist-leiblichen Kräfte im Menschen zu einer vollkommenen, menschlichen Geisttat, im Einklang mit dem göttlichen Sittengesetz, die ausgeglichene Ordnung und Beherrschung der Kräfte im Menschen durch den Geist beginnt aber im Menschen mehr und mehr jenes einst (im Paradies) von Gott geschaffene Gleichgewicht wieder herzustellen. Damit „ebnet sich der Weg des Menschen zu Gott“, aber Gott lässt auch dann „sein Angesicht nur schauen“, wann er will. Dennoch wächst damit die Erkenntnis Gottes im Allgemeinen und wächst die gelebte Bindung an Gott und die bewusste Abhängigkeit von Gott. Die Gnade Gottes in der Seele ist niemals untätig und wirkt fortgesetzt, ob sich dies nun in guten und vollkommenen Taten oder durch ein allumfassendes Glaubensleben oder in einer besonderen und bewusst werdenden Erhebung zu Gott äußert. – Niemals aber kann der Mensch durch eigenes Wollen diese Höhen des Geistes hinansteigen, wenn nicht Gottes Gnade die Seele zieht. Anderseits richtet sich aber die Gnade Gottes in ihrem Entgegenkommen gegenüber der Seele im Allgemeinen nach deren Wollen und Verlangen. Das Verlangen nach Gott, der Glaube und die lebendige Liebe, die bereit ist, alles zu verlassen, um Gott allein zu finden und zu besitzen: Dies ist etwas Ausschlaggebendes. – Von sich allein aus ist aber der Mensch unfähig, die sich ihm entgegenstellenden Hindernisse auf dem Wege zur Gottesnähe wegzuräumen, und zwar schon deshalb, weil ihm vielfach die Erkenntnis und Einsicht dieser Hindernisse fehlt und weil diese Hindernisse zum großen Teil im geheimnisvollen, mehr oder weniger unbewussten Grunde der Seele selbst verlagert sind. Eine vollkommene und letzte Reinigung der Seele kann darum nur das reinigende Feuer Gottes selbst bewirken, weil nur dieses die letzten Tiefen und Abgründe der Seele aufdecken kann. Niemand erkennt sich selbst ganz, wenn nicht Gott ihm die große Gnade der vollen Selbsterkenntnis gibt.

4141 |        Ein langer, geistiger Weg der Reinigung und des Aufstieges, begleitet von entsprechendem göttlichen Licht, erhöht zugleich den Vereinigungszustand mit Gott, sodass die Seele „ihn als ihren Gott erfährt“. Dieses zunächst vorübergehende Erfahren „ihres Gottes“ durch die Seele geht sodann in einen erlebten Gottesbesitz in diesem Leben über. Die Tore des Gottesbesitzes öffnen sich schon in diesem Leben, während das Licht der Erkenntnis Gottes, d. h. der unmittelbaren und lebendigen Erkenntnis wohl immer nur wie durch Gethsemani und Golgotha-Nächte hindurch leuchtet; denn es gibt im Allgemeinen kein derartiges göttliches Licht in der Seele, wenn nicht deren Dasein „im Dunkeln liegt“, so wie man auch die Sterne am Himmel nur im Dunkel der Nacht leuchten sieht. Die wahre und vollkommene „Gerechtigkeit“ vor Gott hat zur Voraussetzung auch die rechte Ordnung im Gebrauch aller lebensnotwendigen Dinge und Verhältnisse. Die vollendete sittliche Vollkommenheit liegt nicht bloß in der Erfüllung der ausdrücklichen moralischen Gesetze, sondern schließt auch die rechte Ordnung in den physischen Dingen ein.

4142 |        Jedem Ding kommt ein bestimmter „Wert“ zu, und es gehört zur Grundlage der geistig sittlichen Vollkommenheit, den Wert der einzelnen Dinge richtig abzuschätzen, zu unterscheiden und danach ihren Gebrauch und die Art des Gebrauches zu bemessen. Viele, wenn nicht die meisten moralischen Unordnungen haben ihren Grund auch in der falschen Wertung der Dinge dieses Lebens. Anderseits bringt der religiös-sittliche Aufstieg auch eine größere Wahrheit und Klarheit in den Wertanschauungen des betreffenden Menschen. Die wahre Tugend zeigt sich auch in der habituellen rechten Wertung der Dinge. –

4143 |        In Christus konnte es keine Fälschung in der Bewertung oder im Gebrauch der Dinge dieses Lebens geben. In ihm standen alle Genussempfindungen und Affekte unter der göttlich wesentlichen Ordnung und Vollkommenheit seiner Person. Die göttlich-wesentliche Geist-Struktur der zweiten göttlichen Person lebte sich gleichsam als göttliches Ordnungsprinzip in die menschliche Natur Jesu ein und es herrschte vollkommenste Ordnung im Schlafen und Wachen Jesu, in seinem Arbeiten und Ruhen, im Maße und in der Art seines Essens und Nicht-Essens, seines Betens, seines Lehrens usw.

4144 |        Zur wahren und ganzen Vollkommenheit eines Menschen gehört notwendig auch die Befreiung vom falschen und irrigen Gebrauch der Dinge, die zum täglichen Leben mehr oder weniger notwendig sind wie Kleidung, Speise, Erholung usw. – Sport, Mode, Erholung, Genuss, auch ästhetischer Genuss usw. sind im gefallenen Menschen tatsächlich eine Gefahr für den Fortschritt der Seele bzw. für eine höhere Vollkommenheit; denn infolge des sittlichen Falles durch die Erbsünde kam der Mensch auch in eine falsche Richtung und Einstellung gegenüber den lebenswichtigen Dingen und deren Gebrauch. Wer sich unbeherrscht dem Genuss eines Dinges hingibt, sodass er die innere Freiheit diesem Ding gegenüber verliert, der wird nie zu einer höheren Vollkommenheit gelangen, mag er noch so viele Übungen der Frömmigkeit verrichten. Solange der Mensch sich nicht trennen kann von gewissen Dingen, die in sich zwar nicht sündhaft sind, die ihn aber doch gebunden halten, solange wird er auch im Guten nicht standhaft sein. Damit ist nicht gesagt, dass der Mensch den lebensnotwendigen Genuss in Speise, Trank, Erholung und Ruhe usw. entbehren soll, aber bei unserer gefallenen Natur braucht es eine große Achtsamkeit und lange Übung, um zur rechten Ordnung im Gebrauch alles dessen zu kommen. Das Übermaß in Gebrauch dieser Dinge und das Suchen des Genusses als solches und um seiner selbst willen verkehrt die rechte Ordnung.

4145 |        Zu wahrer sittlicher Vollkommenheit gehört darum auch die Beherrschtheit im Gebrauch der lebensnotwendigen Dinge und Genüsse. Diese Selbstbeherrschung bedeutet praktisch eine gewisse Loslösung des Gegenstandes des Genusses vom Genuss selbst; man gebraucht die Dinge, ohne den Genuss dabei zu suchen. Das verlangt aber eine entsprechende Vergeistigung des psychologisch-physischen1720 Lebensumsatzes, insofern nicht der Genuss der Sinne usw., sondern der Geist und die Vernunft dem Menschen beim Gebrauch der lebensnotwendigen Dinge leiten. Es ist das Ziel der Aszese, dass alle Kräfte und Regungen im Menschen unter die Herrschaft und Ordnung des Geistes gestellt und von dort aus „reguliert“ werden. Die letzte Vollendung hierin kann aber nicht durch eigenes Bemühen allein erreicht werden, sondern durch eine entsprechende Gnade Gottes, durch die es zu einer passiven Unterbindung aller Genussaffekte und schließlich zu einer habituellen Lösung und inneren Freiheit gegenüber den Gegenständen des Genusses kommt.

4146 |        Gesetzt den Fall, dass Jemand schon die volle Ordnung und den rechten Gebrauch in allen lebensnotwendigen Dingen und „Genüssen“ errungen hätte, so wäre – unter diesem Gesichtspunkt – das Abwehren und Abstoßen unnötig und gegenstandslos geworden, aber es blieben immer noch die anderen Gründe (der Nachfolge Christi, der Liebe Christi, der Sühne usw.) bestehen.

 

Mai

07.05.1949

4147 |        Damit die zweite göttliche Person „Mensch sein“ konnte, waren ständig auch die beiden anderen göttlichen Personen mittätig. Die heiligste Dreifaltigkeit ist das Geheimnis der göttlich-wesentlichen Beziehungen. Das ewige Wort ist auch nach seiner Menschwerdung das göttliche Wesen, das vom Vater ausgeht in der Kraft und Seinsart der Liebe, die der Heilige Geist ist. Dies Geheimnis göttlicher Zeugung war jeden Augenblick auch im Gottmenschen Jesus Christus tätig. In Gott und ebenso in der zweiten göttlichen Person ist (um mich irgendwie in menschlichen Worten auszudrücken) kein „Vorratssystem“, sondern die zweite göttliche Person geht jeden Augenblick aus dem Vater hervor in der Kraft der Liebe, die – als die dritte göttliche Person – gleichsam Gottes Vollendung und sozusagen Wirkkraft ist. Gott besteht aus sich selbst, aus seinem dreipersönlichen Wesen. Gott drückt sich, sein Wesen, sein Geheimnis, die Art seines Wesens aus in der persönlichen Zeugung des Sohnes und im Hervorgehen des Heiligen Geistes. Im Gottmenschen war bewusstseinsmäßig immer seine persönliche Zeugung aus dem Vater im Heiligen Geist tätig, wobei er selbst – im göttlichen immerwährenden Jetzt – der Gezeugte ist. Diese göttliche Zeugung vollzog sich sozusagen in seine menschliche Natur hinein, die jeden Augenblick das „Produkt“ der göttlichen Zeugung aufnahm und es jeden Augenblick in gottmenschlicher Weise auslebte nach der Art der göttlichen Zeugung und der Liebe des Heiligen Geistes. Der Gottmensch kam sich selbst göttlich seinshaft zum Bewusstsein kraft dieses göttlichen Zeugungsaktes und unter Mittätigkeit seiner menschlichen Natur. Die menschliche Natur Christi war das Mittel oder der Befehl, um ein gott-menschliches Bewusstsein zu ermöglichen, d. h., ein Bewusstsein, das auch die gesamte menschliche Natur umfasste und sich auf diese erstreckte, insofern auch Seele und Leib Christi in ihrer Art des göttlichen Wesens der Person des Wortes erlebten, und zwar immerwährend. Dabei blieb aber das Höchste und Grundlegende im Bewusstsein des menschgewordenen Wortes immer das wesentliche Gott-sein, zu dem die Auswirkung oder das Lebensprodukt des angenommenen Mensch-seins – und dann noch das menschliche Erfahrungswissen – hinzukam. Die göttliche Person des menschgewordenen Wortes war der Träger dieses Bewusstseins.

4148 |        Dieser gottmenschliche Bewusstseinsakt war aber von göttlicher Einfachheit. Darum musste die Lebensgrundlage des Gottmenschen „höchste Geistigkeit“ sein, denn sonst wäre dieser einfachste Bewusstseinsakt nicht möglich gewesen. Dieser gottmenschliche Bewusstseinsakt vollzog sich sozusagen wie atmungsgemäß, wie lebensnotwendig und gleichsam jeden Augenblick Leben beziehend; er vollzog sich in seinem ganzen Umfang kraft der Substanz der Seele; denn diese geistige Substanz hat die Fähigkeit, die Wesensart der göttlichen Person mit all deren Vollkommenheiten jeden Augenblick wie in einem Durchgangspunkt aufzunehmen und sie der göttlichen Person als „menschlich erlebt“ ins Bewusstsein treten zu lassen. Die geistige Substanz der Seele Jesu empfing also jeden Augenblick den Ausgang vom Vater in der Kraft und Liebe des Heiligen Geistes und gab diese göttliche Seinsart gleichsam weiter an alle Kräfte der menschlichen Natur Christi.

4149 |        Durch den gottmenschlichen Bewusstseinsakt Christi wurde seine ganze menschliche Natur gleichsam mit der göttlichen Substanz wie mit einem göttlichen Lebensodem durchlebt und so vergöttlicht, dass auch der Leib Christi anbetungswürdig war. Die göttliche Person mit ihren Vollkommenheiten durchlebte auf diese Weise ihre menschliche Natur, und diese war im Augenblick dafür befähigt und tragfähig. Diese Tragfähigkeit der menschlichen Natur Christi gegenüber den göttlichen Vollkommenheiten ist eine Höchstleistung, die nur deshalb möglich war, weil die menschliche Natur Christi in jener Vergeistigung war, die Gottes rein geistiges Wesen vom menschlichen Umsatz-Befehl forderte, um damit ein immer werdendes gottmenschliches Bewusstsein und Lebensprodukt hervorbringen zu können.

4150 |        In Christus war nichts Planendes oder Vorsehendes in seinen Entschlüssen usw., sondern – entsprechend dem göttlichen „Actus purus“ – war alles aus dem göttlichen Sein selbst kommend, ohne Abhängigkeit oder Bezugnahme nach außen. Gottes Wesen existiert auch nicht durch Wiederholung seines göttlichen Seinsaktes, sondern aus sich selbst und unbezogen auf Vorhergehendes oder Zukünftiges. – Eine Beziehung erhielt aber der göttliche Wesensakt des Sohnes „in Hinsicht auf seine menschliche Natur“, vermittelst derer die zweite göttliche Person auch als Mensch „eine der drei göttlichen Personen“ war und ist. Und immerwährend ist Christus eine der drei göttlichen Personen. So war die Menschwerdung die wunderbarste „Tat“ der drei göttlichen Personen der heiligsten Dreifaltigkeit, und so hat die zweite göttliche Person durch die Menschwerdung eine wunderbare Seinsweise angenommen.

4151 |        (Was in Vorstehendem im Hinblick auf den Bewusstseinsakt Christi gesagt ist, gilt selbstverständlich auch von dessen Voraussetzung, der hypostatischen Vereinigung selbst.)

4152 |        Zwar sind es immer wieder die gleichen Worte, die man gebrauchen muss, aber tatsächlich hatte ich bei Obigem doch eine so klare geistige Unterscheidung wie noch nie über folgende Punkte:

1. Die persönliche Verschiedenheit und die gegenseitigen Beziehungen der drei göttlichen Personen untereinander.

2. Ihr Zusammenwirken im Akte der Menschwerdung.

3. Ihr Zusammenwirken mit dem menschgewordenen Wort während und nach der Menschwerdung, um die gottmenschliche Existenz zu erhalten und das innertrinitarische Verhältnis weiter bestehen zu lassen.

4. Über den letzten Ursprung der Erlösung im Vater – über die immerwährende augenblickliche Zeugung des Erlösers aus dem Vater – über die Abhängigkeit des Erlösers vom Vater und dennoch die Gleichheit seines Wesens mit dem Vater – wie dies dem Heiland immerwährend bewusst war.

5. Über die Eigenart der Wirksamkeit und Reaktionen der menschlichen Natur Christi, um dieses göttliche Geheimnis des ewigen Wortes voll zu wahren und sich entsprechend auswirken zu lassen.

4153 |        Es handelt sich bei diesen Erkenntnissen nicht um eine mystische Schauung, sondern um eine Erhebung meines ganzen Wesens in eine Höhe, auf der es möglich ist, dieses Geheimnis geistig unterscheiden und sich geistige Begriffe davon zu formen, dadurch, dass man die Geheimnisse im eigenen Bewusstsein und wie in eigener Person erlebt und erkennt. – Das „Schauen“ und das geistig-begriffliche Erkennen sind zwei verschiedene Arten der übernatürlichen Erkenntnisweise. Während das Schauen sich sozusagen auch „außerhalb“ des eigenen tiefsten Wesens, wenn auch mittels des eigenen Intellekts, vollziehen kann, werden bei der anderen, höheren Erkenntnisweise die eigenen geistigen Begriffe verwendet, um die Geheimnisse zu unterscheiden und in klarere Begriffe zu fassen, und zwar vermittelst eines inneren Erhoben-werdens in eine geistige „Selbstverwirklichung“ des betreffenden Geheimnisses, d. h., in ein persönliches, bewusstseinsmäßiges Nacherleben desselben. – Dazu muss aber der eigene Erkenntnis- und Bewusstseinsakt über eine entsprechende Unmittelbarkeit und „Kürze“ verfügen können, um die Geheimnisse auf solche Weise d. h. geistbegrifflich, erfassen zu können. Solches Erkennen geht über die Substanz der Seele und wird durch die „nackte Geistigkeit“ hervorgerufen. Es ist die Frucht einer menschlich seinshaften Entblößung oder Leermachung von allen irdischen, sinnfälligen und genusserfüllten Eindrücken, eine Entblößung, die noch hinausgeht über eine „habituelle“ innere Loslösung von den irdischen Dingen und die das tiefste und innerste Sein und Wesen der Seelensubstanz erreicht hat und betrifft. Die Begriffe des Menschen vertiefen sich ja nur durch die eigene Tiefe; der Mensch kann nur das ausdrücken, was in ihm ist, und er kann auch in seinen verstandesmäßigen Ausdrücken und Gedanken nicht aus seinem Sein heraus. – Um zu jener seinshaften oder substanziellen Befähigung zu gelangen, müssen aber vorher auch die moralischen Widersprüche und Unordnungen überwunden und ausgeschaltet werden, d. h., muss der Grund der Seele für das Wirken Gottes bereitet sein, nicht bloß die Fähigkeiten, sondern auch das tiefste innere Sein und Wesen oder die ganze geistige Existenz. – Dazu führt aber nur ein langer und weiter Weg einer fortschreitenden Entblößung und Befreiung von den sinnen- und gefühlshaften Erlebnissen, eine gewisse Unterbindung aller Genussempfindungen, bis schließlich nur die lebensnotwendigen Erlebnisse und Eindrücke bleiben und ein gleichsam nackter, sich auf das Lebensnotwendige beschränkender Weg offen steht, der über die geistige Substanz der Seele geht. Es ist mit anderen Worten gleichsam ein stufenweises Hinabsteigen und Hinuntertauchen in die Finsternis des „bloßen Lebensaktes“. Dieses Hinabgleiten ist ein passiver Vorgang, der bezweckt jene Leere zu schaffen, durch die Gottes Gnade die Seele für solche übernatürliche Erlebnisse befähigen will, die als geistige und gnadenvolle „Selbsterlebnisse“ ins Bewusstsein gelangen können. Diese „begrifflichen“ und bewusstseinsmäßigen Gotteserlebnisse werden mit der Hilfe des eigenen tiefsten und geläuterten Wesens produziert.

 

xx.05.1949

4154 |        Es besteht ein theologischer Unterschied zwischen der Andacht zum göttlichen Herzen Jesu und jener zum reinsten Herzens Mariens. Die Erstere bezweckt vor allem die Anerkennung der Erlöserliebe Jesu. Sie hat ihren tiefsten Ursprung im Geheimnis der Menschwerdung der zweiten göttlichen Person und ist eine Andacht zur fleischgewordenen Liebe Gottes. Gott in sich selbst hat keine Organe und Geistbehelfe, wie es das „Herz“ für das menschgewordene Wort Gottes ist. Gottes wesenhafte Liebe besteht „aus sich“ und braucht in sich keine Behelfe. Gott ist Liebe von Ewigkeit her, und im Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit genügten sich die drei göttlichen Personen vollkommen in rein geistige Weise im wunderbaren Kreislauf der göttlich-wesentlichen Liebe.

4155 |        In Liebe schuf der Vater die Menschen nach dem Bilde seines Sohnes, der selbst sein wesenhaftes Abbild ist. In den Menschenkindern sollten ebenso viele Gotteskinder ihm begegnen, ihn lieben, in ihm sein und leben. Die Bewahrung dieses paradiesischen Seins und Lebens war aber für die Menschenkinder an bestimmte Bedingungen geknüpft … Nach dem Bruch des Menschen mit Gott und nach einem langen Irrweg der Menschheit stieg die zweite göttliche Person zu dieser armen Menschheit hernieder, nahm Fleisch und Blut an und vollzog mit dem Werkzeug des menschlichen Daseins das Werk der Erlösung. Das göttliche Wesen des ewigen Wortes verband sich mit einer leidensfähigen Menschheit. Die göttliche Natur der zweiten göttlichen Person umfing sich bewusstseinsmäßig als Mensch, d. h., das Menschsein wurde der zweiten göttlichen Person dadurch bewusstseinsmäßig eigen, dass diese all ihre Lebensumstände als Mensch erfuhr, obwohl sie –1721 auch ihrem Bewusstsein nach – immer Gott blieb. Diese scheinbare Doppelfähigkeit (sich der Gottheit und des Menschseins bewusst zu sein) war aber infolge der Vollkommenheit des Gottmenschentums Christi nur EINE Fähigkeit, deren psychologisches Geheimnis in der wunderbaren Funktionsfähigkeit der menschlichen Natur Jesu lag. Die göttliche Person leitete und „vollzog“ als „wahre Person“ den Lebensumlauf in der menschlichen Natur, und zwar vom ersten Augenblick an in Hinordnung auf den Zweck der Menschwerdung und des Menschenlebens Christi. Dieser Zweck, nämlich die Erlösung, wurde sozusagen zum tiefsten Ordnungs- und Daseinsprinzip seines gottmenschlichen Lebens.

4156 |        In dem Worte „Erlösung“ liegt ein doppelter Sinn oder eine doppelte Wirksamkeit der göttlichen Liebe zu den Menschen ausgedrückt. Dadurch, dass der Mensch von Gott abgefallen war und sich von ihm gelöst hatte, begab er sich in die Gewalt des Gegenspielers oder der Gegenmacht Gottes, des Satans. Seit dem ersten Gericht, das Gott beim Engelsturz gehalten hatte, teilte sich gleichsam der Einfluss des „Geistes“: Auf der einen Seite blieb die Macht und der Einfluss des Guten, des ewigen Gesetzgebers, auf der anderen stand die Macht und der Einfluss des bösen Geistes. Diese Macht des Bösen erhielt im Paradies durch den Sündenfall gewissermaßen die Oberhand, und die Menschheit, die sich von Gott getrennt hatte, war gleichsam dem bösen Geiste verschrieben. Durch die Menschwerdung und Erlösung aber entriss Gott dem Geist der Finsternis wiederum die Beute und wandte er sich von Neuem der Menschheit zu. Die Mittlerschaft der zweiten göttlichen Person (kraft der Verbindung ihrer göttlichen Natur mit der menschlichen und dadurch mit der Menschheit) entriss die Menschheit wieder der Herrschaft des Bösen. Der Akt der Menschwerdung bedeutete und bewirkte ein Wiederherausholen der Menschheit aus der Macht des Bösen, eine Lösung und Erlösung von Geistesfesseln, in denen die Menschheit lag.

4157 |        Die Sünde hatte ja eine geistige Ursache, nämlich das Begehren des menschlichen Geistes, in falschem Sinne „frei“ zu sein, das heißt, nur sich selbst anzugehören, keiner Bindung und keinem Gebot zu unterstehen. Die Begierde nach der verbotenen Frucht allein, die zwar das erste Lockmittel von außen war, hätte den Fall des Menschen nicht zuwege gebracht, wenn nicht schließlich das Begehren des Geistes im Sinne der Zusicherung der Schlange gesiegt hätte („Ihr werdet Gott gleich sein“). Es liegt nun einmal im Wesen des Menschen, in Abhängigkeit von einer Geistesmacht, von einer höheren geistigen Antriebskraft, zu stehen. Auch in sich selbst untersteht der Mensch einer gewissen Triebhaftigkeit, der vitalen Antriebskraft oder jener Auslösungsfähigkeit der Bewegung, die sein „Leben“ ausmacht und darstellt. So untersteht der Mensch einer doppelten Antriebskraft, der des Geistes und jener des Leibes; diese doppelte Triebhaftigkeit steht aber in gegenseitiger Beziehung und notwendiger Ergänzung, denn der menschliche Geist tut nichts ohne den Leib, und umgekehrt. Aus diesem Wesen des Menschen ergeben sich aber auch Spannungen und „Widersprüche“, die er sein Leben lang in sich trägt.

4158 |        Es gibt für den Menschen ein allgemeines, großes Ordnungsgesetz, nämlich das Gesetz Gottes, und dieses Gesetz ist im Grunde die göttliche Ordnung des Wesens Gottes in sich selbst, durch den und nach dessen Bild der Mensch geschaffen wurde. Nur das vollkommene Gute ist wahre, vollendete Ordnung, und Gott kann wegen der Vollkommenheit seines göttlichen Wesens nur Gutes hervorbringen.

4159 |        Jedes geschaffene Wesen hat auch einen besonderen Zweck in sich, nämlich das Verwirklichen und Ausleben seines eigenen Wesens oder – mit anderen Worten – den tatsächlichen Verlauf seines Daseins. In und neben dem tatsächlichen Daseinsverlauf waltet in jedem Wesen auch ein gewisser „moralischer Wert“, der durch das „Wie“ dieses Daseins bestimmt wird. Auch der Mensch erlebt in sich dieses grundlegende, vom Schöpfer aufgestellte Doppelgesetz seiner Existenz. Selbst der geistgewaltigste Mensch erlebt sich in einer gewissen unbezwinglichen Ohnmacht gegenüber einer höheren Macht und auch schon dem Kosmos gegenüber. Er trägt in sich einen Komplex der Verantwortung, dem er nicht entrinnen kann; er muss Rechenschaft geben über das „Wie“ seines Daseins und Lebens. Diese Verantwortlichkeit ist aber nicht bloß eine allgemeine, unbestimmte oder wie zufällige, sondern trägt die Prägung eines ganz bestimmten Gesetzes, das mit der Menschennatur mitgegeben wurde. Diese Verantwortlichkeit des Menschen gegenüber einem bestimmten Geistesgesetz setzt den Verlauf des Daseins voraus und bezieht sich auf das Wie des Auslebens und Verwirklichens der Wesensidee des Menschen. Schon das menschliche Dasein in sich stellt Forderungen und Bedingungen, deren Erfüllung sich der Mensch teils von außen, teils von innen, teils aus sich selbst, teils bei seiner Umgebung holen muss. Der Mensch sondert sich das geistige Lebensmaterial aus und ermöglicht oder begründet damit seine Existenz. Er setzt das ihm zur Verfügung stehende Lebensmaterial in einer geistigen Verbrauchsweise in geistige Taten um. Dennoch geschieht aber in der Seele des Menschen nichts ohne Beteiligung und „Zustimmung“ des Leibes. Der Hauptfaktor im Leben des Menschen ist sicher der Geistantrieb, aber dieser formt sich auch nach den Kräften und Bedürfnissen des Leibes. In gewissem Sinne „erzeugt und erneuert“ der Mensch fortwährend die geistige Eigenart seiner Seele durch die Art seiner Taten und durch die Verantwortung des ihm gebotenen Lebensmaterials in seinem psycho-physischen Lebensumsatz. Dabei gibt es keinen Geistesakt im Menschenleben, der nicht mithilfe leiblicher Kräfte erzeugt würde, und man könnte sagen: Im menschlichen Lebensumsatz wird der Geist gleichsam zum Fleisch und wird das Fleisch zum Geist. Die ständig verarbeiteten „Lebensresultate“ werden für den Menschen auch zu einer Verwertungs- und Entscheidungsmöglichkeit zum Guten oder zum weniger Guten. Der Mensch stapelt dadurch auch eine gewisse Fertigkeit und ein Können in sich auf, und zwar nicht bloß geistiger, sondern auch leiblicher Art. Er lebt sich und behält sich gleichsam in seinen „Taten“ oder in der Umbildung von Seinswerten in Daseinswerte. Dies bildet gleichsam das Lebensproblem jedes Menschen und vollzieht sich in einer gewissen „Staffelung“ von Umarbeitungen, durch die er hindurch muss. So bildet sich zum Beispiel in jedem Menschen im reiferen Alter ein bestimmtes Lebensziel aus, dass er in sich trägt und um das er ringt; dieses persönliche Lebensziel entstammt wohl in erster Linie den Anlagen des betreffenden Menschen, aber es muss auch in Einklang mit den äußeren Umständen gebracht werden. Als höchstes, unmittelbares Ziel trägt aber der Mensch die „Ordnung mit sich selbst“ in sich, und diese wird bewusstseinsmäßig erreicht durch ein harmonisches Ausleben der Wesensidee seiner Existenz, die nach bestimmten Geistbegriffen orientiert ist. So weiß jeder Mensch um das moralische Ziel seines Lebens; er spürt in sich, wie er zur rechten Ordnung in sich selber käme und was er tun müsste, um an Seele und Leib „glücklich“ zu sein. Jeder Mensch ringt mit diesem seinem geistig-moralischen Lebensziel – vorausgesetzt, dass er nicht schon das Verantwortlichkeitsbewusstsein vor sich selbst erstickt und damit das Schlimmste begangen hat, was er tun konnte.

4160 |        Jeder Mensch bewegt sich als Einzelner in der Masse der Menschen um bestimmte Geistformen und Geistgesetze, die nun einmal bewusstseinsmäßig in ihm auftauchen und die ihn so umfangen, dass er von ihnen nicht loskommt. In der vollkommenen Erfüllung dieser geistigen Lebensformen winkt dem Menschen ein gewisses dauerndes Glück. Dennoch gelingt es wohl kaum einem Menschen, in diesem Sinne zu einer vollendeten Harmonie zu kommen. Der Mensch hat eben in sich einen Riss oder einen Bruch erlitten, den er nie mehr ganz vollkommen ausheilen kann; selbst wenn es dem Einzelnen gelänge, zu einem gänzlichen, harmonischen Ausgleich in sich selbst zu kommen, stößt er bei den Mitmenschen auf Gegensätze und Schwierigkeiten, die ihn hindern, diesen Ausgleich voll auszuleben. So leidet auch die gesamte Menschheit an seinem Übel, an dem eigentlich auch jeder einzelne Mensch für sich selbst leidet. In manchen Generationen verschärft sich diese oder jene Seite der Gegensätze und der allgemeinen Übel, so wie auch die große Mehrheit der einzelnen Menschen mehr in dieser oder jener Hinsicht krankt.

4161 |        In gewissem Sinne lebt der Mensch tatsächlich vom Kampf um seine Existenz und um sein persönliches Lebensziel und durch diesen Kampf erneuert er sich ständig selbst. Der Mensch ist auf das „Dasein“, auf seine Lebenstätigkeit angelegt und diese Lebenstätigkeit erneuert sich im gleichen Maße, als er dafür sein „Sein“ verausgabt. Schon im ersten Lebensalter bilden die seinshaft vorhandenen Grundprinzipien die Antriebsquellen, durch die sich das Dasein entwickelt. Dazu kommt mit wachsendem Alter die Berufsentwicklung: Ein bestimmtes Lebensziel zieht den Menschen an und formt sein Leben. – Der Mensch lebt sich selbst aus, um in erster Linie sich selbst zu dienen; auch wenn der Mensch sich in den Dienst von Mitmenschen stellt, so lebt er doch damit auch sich selbst aus und dient damit seiner eigenen Person und Existenz, weil jedem Menschen auch der Dienst am anderen Menschen als Erfüllung seines eigenen Wesens eigen ist. – So trägt der Mensch mit seinem Leben eine Last und Aufgabe mit sich, die seine Lebens- und Daseinskraft ständig anspornt und zugleich verbraucht. Freilich kann der Mensch auch abgleiten von seinem zielhaft vollkommenen Menschsein. –

 

11.05.1949

4162 |        Der Zweck der Menschwerdung war ein rein geistiger. – Gewiss schien im Alten Bund die Verheißung des Erlösers mehr auf eine äußere Aufrichtung des Messias-Reiches hingerichtet zu sein, aber im Alten Bund fehlte auch der tiefere Begriff der Sünde; er war beherrscht vom Gesetz, das Gott gegeben hatte, und man hielt sich für mehr oder weniger gottgefällig, je nach dem Maße, als man dieses Gesetz einhielt. Es fehlte dem Alten Bund die tiefere Erkenntnis der Trennung von Gott, eine Erkenntnis, die erst Christus gebracht hat. Man suchte vielmehr die Gottgefälligkeit in der Masse des Volkes. Man erkannte die Erlösungsbedürftigkeit des Volkes als Solchen und man betrachtete die Größe und Geschlossenheit des Volkes als die „Erlösung“. Man erwartete die Erlösung oder den Messias als Jenen, der das Volk Israel aufrichtete und zur Herrschaft erhebe über alle Völker der Erde. Das war die Erlösungsidee der Masse des Volkes. In einzelnen erleuchteten Männern war wohl die Idee einer „geistigen Erlösung“ als Zweck des Kommens des Messias klar, aber auch sie konnten diese Idee nicht so ganz auf sich selbst anwenden, weil sie das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit, und daher auch der Person des Erlösers nicht konkret unterscheiden konnten. Die Propheten des Alten Bundes glaubten an den Messias als den Verheißenen, dessen Kommen das Gleichgewicht in der zerfahrenen Menschheit wieder herstellen, die Sünden hinwegnehmen und das Reich Israels wieder aufrichten werde. Obwohl sie dem Messias in seinen Erlösungstaten schauten, fehlte ihnen doch die klare Einsicht in das Geheimnis des Messias selbst. Sie sprachen ihre Geschichte aus, ohne sie ganz deuten zu können; sie erfassten nicht den wirklichen Zusammenhang mit der Zukunft, d. h., mit der Zeit des Messias; sie konnten nicht ganz Eindringen in den geistigen Sinn der Erlösung. – Dazu fehlte dem Alten Bund auch das Verständnis für das erlösende Leiden und für den Zusammenhang dieses Leidens mit der Tilgung der Schuld der Menschen. Daher wurde es den Juden auch so schwer, ihre Messias-Idee mit dem tatsächlichen Messias, wie er vor ihnen stand, zusammenzureimen. Sie begriffen nicht, dass die Erlösung (ihres Volkes) sich durch die geistige Erneuerung vollziehen solle, durch die Umkehr und Besserung der Einzelnen, und dass sich dann die Heilung der innerlich kranken Menschheit auch nach außen als Erstarkung und Erneuerung zeigen müsse und zeigen werde. Die Erlösung der Menschheit vollzieht sich von innen heraus und geht vom Selbst des Einzelnen aus, um durch diese innere Besserung der Einzelnen dann die geistige Erneuerung der Gesamtheit als Folge zu zeitigen.

4163 |        Der Zweck der Erlösung umfasste die ganze Spannweite der Entfernung und Trennung der Menschheit von Gott. Diese Spannweite umfasste das ganze Gesetz, das Gott den Menschen im Paradies gegeben hatte und dass er selbst als Ursprungsgabe unwiderruflich in das Wesen des Menschen eingegraben hatte; es war also die Spannweite eines Geistesgesetzes, das Gott selbst zum Ausgangspunkt, zum Mittelpunkt und zum Zielpunkt der Rückkehr des Menschen machte. Gott selbst ist der Menschheit Ursprung und Ziel und es gibt keine „Zwischenlösung“ zwischen Gott und der Menschheit. Der Mensch gehört und geht entweder hin zu Gott oder er entfernt sich von ihm, verliert ihn damit und verfällt seinem Gericht. Er kann sich nicht vom Gesetz Gottes und von der Abhängigkeit von Gott lösen. Er ist darum das Höchste der sichtbaren Geschöpfe und hat nicht seinesgleichen, denn sein Wesen „reicht so an Gott heran“, dass er mit ihm „Kontakt haben“ kann. Der Mensch ist die „Mitte der Schöpfung“ und ist die Mitte zwischen Gott und der Schöpfung. ihm ist es gegeben, die Welt zu verwalten und in Händen zu tragen. Vom Anfang der Schöpfung an hat Gott dieses Gesetz aufgestellt und er fordert auch von der Menschheit die Verwaltung der Schöpfung nach bestimmten Geistesgesetzen, die dem göttlichen Wesen entsprechen.

4164 |        Das ganze Wesen des Menschen entstammt und entwickelt sich nach Geistesgesetzen, die der Mensch selbst sich nicht geben konnte. Er muss das ausführen, was er als Gesetz und Richtschnur in seinem Wesen trägt. So soll er das Geistesgesetz zur „Tat“ und Verwirklichung werden lassen und somit dazu beitragen, dass der gesamten Menschheit und der ganzen Schöpfung ein diesem Geistesgesetz entsprechendes Gepräge gegeben werde – mit anderen Worten –, dass die gesamte Menschheit und Schöpfung in ihrer Art das Bild des Schöpfers auspräge. Der Mensch ist der verantwortliche Hüter und Verwalter dieses Bildes in der Schöpfung. Dazu hat er auch die entsprechenden Mittel erhalten, und zwar in sich, in seinem eigenen Wesen selbst. Auch der ungebildetste und primitivste Mensch kann irgendwie das Urgesetz Gottes gleichsam auf die Schöpfung übertragen und ausstrahlen lassen, denn es ist so einfach und so allgemein, dass es im Wesen jedes Menschen, auch des primitivsten, verankert ist.

4165 |        Die Abkehr des ersten Menschen von Gott hat die verschiedensten Verirrungen und Verkehrtheiten im Menschen selbst zur Folge gehabt. Es war ja nicht ein einfacher „Fall“, sondern die Ursünde, die sich infolge der Vielheit der Anlagen des Menschen in eine Vielfalt von Unordnung, Ungeheuerlichkeit und Abgründigkeit verzweigt und auswirkt, für die es so oft keine Benennung mehr gibt. Diese Vielfalt von Verkehrtheiten der Anlagen zeigt sich nicht bloß im eigenen Wesen des gefallenen Menschen, sondern auch in den Auswirkungen und Taten gegenüber der Umwelt, wie zum Beispiel Kain seinen Bruder Abel erschlug. Die Sünde bleibt nicht im Inneren des Menschen haften, sondern überträgt sich als Tat auf die Umgebung und entstellt auch nach außen das Bild der Schöpfung. Durch diese Übertragung der Verkehrtheiten auf die Umgebung und auch auf die Nachkommenschaft veränderte sich das Bild der gesamten Schöpfung. Diese, die nach dem Plan des Schöpfers sein Bild widerspiegeln soll, zeigt nun im Gegenteil vielfach ein Bild des Bösen, also einen Gegensatz zum Wesen Gottes.

4166 |        Die Veränderung der geistigen Lebensformen des Menschen brachte auch vielfache Verkehrtheiten und ungeordnet vermehrte Ansprüche und Bedürfnisse in Bezug auf lebensnotwendige Dinge wie Nahrung, Kleidung, Entspannung, Erholung usw. Durch die Befolgung des Geistesgesetzes Gottes wäre für den Menschen auch die Gebrauchsweise der Dinge der Schöpfung in rechter Weise geordnet.

 

15.05.1949

4167 |        Jede Abkehr von der Natur-Ordnung bringt den Menschen auch in eine moralische Unordnung in sich selbst. Jede wahre moralische Ordnung ist zugleich die Befolgung der von Gott gesetzten Naturordnung. – Die wahre Gerechtigkeit vor Gott geht von der Ordnung im Gebrauch aller Dinge aus, die dem Menschen zur Verfügung stehen. Die sittliche Vollkommenheit ist nicht nur an die moralischen Gesetze gebunden, sondern auch an die Gesetze der physischen Ordnung. Jedem Ding kommt ein bestimmter Wert zu; und es ist der Anfang des „Guten“, den Wert der Dinge recht einzuschätzen und zu unterscheiden. Viele, wenn nicht die meisten moralischen Unordnungen gehen aus von falscher Wertung der Dinge dieses Lebens. Umgekehrt bringt auch das religiöse Aufsteigen eine stufenweise Berichtigung der Wert-Anschauungen des Menschen. Wahre Tugend offenbart sich auch in der habituell rechten Wertung der Dinge.

 

20.05.1949

4168 |        Auch dem Heiland war das Mensch-sein etwas „Neues“, noch nicht Erfahrenes, weil Gott noch nie „Mensch“ gewesen war. Wenn auch die zweite göttliche Person als allwissendes, göttliches Wesen um alle Akte eines Menschen und des Menschseins wusste, so war das Menschsein doch nicht sein „persönliches Erfahren“ und gott-persönliches Erleben gewesen. Das wurde es aber durch die Menschwerdung. Die zweite göttliche Person ließ zudem alle Momente des Menschseins in einer viel tieferen und vollkommeneren Form auf sich wirken als wir Menschen dies können, denn Jesus stand schon vom ersten Augenblick an im Besitz der vollen Personkraft, was beim gewöhnlichen Menschen nicht der Fall ist.

4169 |        Schon der Akt der Menschwerdung Christi umfasste einen unausdenkbaren Kontrast: die von Ewigkeit her seiende und herrschende Person des Wortes als fertige Person – und die werdende menschliche Seele Jesu. Gott-Vater „machte sozusagen keine Ausnahme“ bei der Erschaffung der Seele Jesu, sondern schuf sie in einen sich entwickelnden Leib hinein und darum als „werdende“, sich mit dem körperlichen Wachstum allmählich entfaltende Seele. Nur die erste Menschenseele im Paradies wurde in einen fertigen Leib hinein geschaffen als „Gottes Odem“, etwas Gott-Ähnliches und von Gott Kommendes, wie es jede Seele ist. Seitdem geben die Menschen sozusagen sich selbst das Leben weiter nach dem von Gott gegebenen Naturgesetz, wenn auch Gott immer der unmittelbare Ausgangspunkt der Seele des Menschen bleibt. Zum gottgegebenen Naturgesetz gehört aber auch, dass die Seele sich entfalte gemäß den Gesetzen des menschlichen Werdens. Man könnte sagen: Die Seele ist der „erste Zunder“, der, wenn die entsprechenden Bedingungen gegeben sind, das Leben entfacht und nach dessen Gesetzen des Werdens leitet. Es ist wie das Aufleuchten und Aufflammen eines Lichtes, wenn eine brennbare Masse vorhanden ist, wobei das Feuer die Eigenschaft hat, dass es sich immer weiter Nahrung sucht zu seinem Bestehen und zum Sich-ausbreiten (– und so tut auch die Seele in Hinblick auf das „Leben“). Jener „erste Zunder“ sucht eine Entfaltung und Entwicklung, und er sucht sich die „Stoffe“ zusammen, die sein Bestehen und Wachsen ermöglichen. Und dies war auch das grundlegende Lebensgeheimnis in Christus: Die göttliche Person als fertiges, vollerlebendes Wesen – und die Seele wie ein aufleuchtendes Lichtlein gleich jeder in einen werdenden Leib bestimmten und geschaffenen Menschenseele…1722

4170 |        War Maria sich dieses heiligsten, geheimnisvollen Vorganges im Akte der Menschwerdung bewusst? – Maria erlebte als „weibliches, mütterliches Element“ die Menschwerdung des Erlösers. Sie war die bewusste Spenderin des zum menschlichen Leben Notwendigen, aber sie erlebte alles „von Gott her“. Es war ja auch kein „menschlicher Akt“ vorhanden, der den Anfang des neuen Lebens herbeigeführt hätte. Das göttliche Wort ging viel mehr „über die Seele“ Mariens in ihren Leib ein (– wie übrigens später das menschgewordene Wort als wahres Menschenkind den Mutterschoß wieder verließ). Gott ist reiner Geist, und durch die Überfülle des Geistes in ihr war Maria fähig, das geistige sein (den „Geist-Stoff“) Gottes in sich aufzunehmen; dieser Geist-Stoff Gottes wurde durch den Akt des Heiligen Geistes in Maria zum „menschlichen Leben“. Maria hat aber auf diese göttlich-geistige Wirklichkeit nicht in leiblicher Weise erwidert, sondern nur in einem rein geistigen Akt der Hinnahme und Aufnahme. Es war also keine leibliche Vaterschaft da, sondern die Gnadenfülle Mariens war das Übertragende. Dies göttliche Gnadenwunder der Gnadenfülle war in Maria das Eingangstor für das Geheimnis der Menschwerdung Christi. Das Leben Gottes durch die Gnade steigert sich in der Seele Mariens zu solcher Fülle, dass es die Aufnahmepforte Gottes selbst wurde. Diese Fülle des Gnadenstandes in Maria hatte ihrerseits zur Voraussetzung die wunderbare Einheit und psycho-physische Ordnung und Harmonie des Lebens Mariens. Durch diese Gnadenfülle und harmonische Lebenseinheit war Maria befähigt, das göttliche Gefäß zu werden.

4171 |        Die Seele Mariens war fähig, göttliche Vorgänge – und im Besonderen die göttlichen Vorgänge bei der Menschwerdung – irgendwie unmittelbar zu erfassen, sie aufzunehmen und zu verwerten. Sie besaß das paradiesische, d. h. das geistgebundene Bewusstsein. Während unser Bewusstsein „leibgebunden“ ist, insofern wir uns zuerst des Leibes und durch diesen erst schlussfolgernd des Geistes bewusst werden, war Maria zuerst geistbewusst und durch den Geist dann leibbewusst. (Diese Vorherrschaft des Geistes als bewusster Geistumsatz ist uns verloren gegangen). In ihrem unmittelbaren Geist-Bewusstsein konnte Maria auch rein geistige Vorgänge unterscheiden und war sie (im Gegensatz zu uns) rein geistige Begriffe fähig; sie war geistbegrifflich. Auch die göttliche Person des Wortes war eine geistige Wirklichkeit, die Maria bewusst in sich aufnahm, und der sie das „menschliche Leben“ bot. – Mariens „Seelenstruktur“ (um sich menschlich auszudrücken) hatte den – von Gott aus gesehen – „normalen“, d. h., der Norm und dem Schöpfungsplan Gottes entsprechenden Aufbau, wie die Paradiesesseele ihn hatte, während unsere jetzige Seelenstruktur durch den Sündenfall sozusagen einen „Riss von oben bis unten“ bekommen hat und – von Gott aus gesehen – „abnormal“ geworden ist.

4172 |        Mariens Seele besaß seit ihrem Lebensanfang einen bewussten Kontakt mit Gott. Sie war nach dem Sündenfall das einzige Wesen, das „Gottes bewusst“ war. In Maria war auch volle Harmonie zwischen Seele und Leib, eine heiligste Durchlebtheit durch den „göttlichen Odem“. Ihre Seele drückt sich im Leibe aus, und dieser war ein Spiegel ihrer Seele. Seele und Leib Mariens waren aufeinander eingestellt wie eine voll einheitliche Struktur zweier verschiedener Elemente: Was das eine empfand und erfuhr, gab das andere in seiner Art vollkommen wieder. Es war ein harmonischer Gleichklang des Erlebens heiligster Art. Es waren keine Widersprüche und Störungen in ihrem ganzen Seelen- und Gemütsleben. Wie ihre Vernunft nur auf Gott hingeordnet war, so stand auch ihr Gemüts- und Empfindungsleben in voller Unterordnung und im Einklang mit der Vernunft, ohne störende, ungeordnete Regungen, wie sie unser Seelenleben zu einem ständigen Kämpfen machen. – (Heiligkeit ist nur dort, wo volle Ordnung ist. Und wenn die Menschen achten würden auf das, was der Geist und das Höhere in ihnen verlangt, so würden sie auch innewerden, was die wahre Vollkommenheit und die rechte Ordnung fordert). – Seele und Leib Mariens waren bereit für das Gotteserlebnis der Menschwerdung des ewigen Wortes, und die Botschaft des Engels war der Anfang dazu. Dennoch war die Botschaft des Engels für Maria etwas ganz Neues.

4173 |        Der Leib Mariens war fähig, jene Einwirkungen des Heiligen Geistes aufzunehmen, die eine wahre Mutterschaft mit den entsprechenden Veränderungen in ihm bewirkten; er war das Gefäß göttlicher Auserwählung. Auch in Maria fand – zum Zweck der Menschwerdung des Wortes – eine Berührung statt, aber eine solche geistiger Art. Ein sinnlicher Akt (wie bei gewöhnlichen Menschen) war in Maria nicht möglich, den bei ihr war alles „im Geiste“, auch wenn der Leib beteiligt war. – So war es bei den ersten Menschen im Paradies gewesen: Sie besaßen sich im Geiste, auch bezüglich dessen, was den Leib betraf. Durch die Sünde kam das Abgleiten vom Geistigen in das rein Leibliche, wovon der Mensch nunmehr in so hohem Maße beherrscht wird und woraus er sich nicht mehr erheben kann. So wie der erste Mensch „vom Geiste“ ausging und damit das Leben erhielt, so sollte nach dem Plan des Schöpfers auch die Nachkommenschaft des Menschen dem Geiste entspringen, wenn auch durch Vermittlung des Leibes. So groß war aber der Fall des Menschen und so viel hat er mit dem Paradiese verloren, dass der Geist nun dem Menschen wie „fremd“ geworden ist und dass er dem Sichtbaren und Sinnenhaften verfallen ist und mehr oder weniger nur „dem Leibe lebt“. – Maria hat auch nie eine moralische „Erniedrigung“ in sich gefühlt, sondern nur die allgemein geschöpflichen gegenüber dem unendlichen Gott – und das wäre schon eine ganz große Erniedrigung für den, der Gottes Unendlichkeit und die eigene Geschöpflichkeit ganz verstünde! Auch hierin herrschte in Maria die Wahrheit. Dennoch hielt sie sich nicht für mehr als die anderen; denn ihre Seele war so sehr in sich „gehalten“ und auf Gott allein hingerichtet, demgegenüber sie immer die Niedrigkeit des Geschöpfes und der Magd Gottes wusste und fühlte.

4174 |        Der Gleichklang von Seele und Leib, sowie die Gnadenfülle in Maria ermöglichte die Menschwerdung des Sohnes Gottes. Gott-Sohn ging aber vom Gesetz des Werdens eines Menschen nicht ab. Er wollte ein Menschensohn sein. Alles aber, was er dazu brauchte und was eine Mutter geben konnte, wollte er aus Maria nehmen. Gott-Sohn war sich dieses Aktes voll bewusst und tat ihn selbst. Er stieg herab, weil er es wollte. Sein göttlicher Wille bestimmte diesen Akt und vollzog ihn – im Heiligen Geist – in Maria. Maria aber nahm ihn auf. Dieses Aufnehmen Mariens brachte die Menschwerdung des Erlösers zustande. Es war ein wirklicher Akt der Annahme, der seine Folgen in den leiblichen Veränderungen der wirklichen Mutterschaft zeigte. – Ob Maria dies erlebt hat? Es war in Maria ein bewusster Akt der Annahme, eine geistige Hingabe und Bereitstellung in bewusster Form. Nicht nur Gott-Sohn ging in Maria ein, sondern auch Maria ging in den Geist des Sohnes Gottes ein. Bei ihrer wunderbaren seelisch-leiblichen Harmonie, und bei der harmonischen Einheit ihres ganzen Wesens war es nicht anders möglich. So wurde Mariens ganzes Sein gleichsam ein Untertauchen in das Geheimnis des göttlichen Seins, das sie in sich trug. – Dieses Erleben Mariens war ein stufenweises sich steigerndes. Sie war wahre Mutter, die immer mehr sich ihres Kindes, der Frucht ihres Leibes, bewusst wurde. Auch sie musste ihren Sohn „kennenlernen“, und es war ein ständig fortschreitendes, aufsteigendes Erkennen. Die letzte und höchste Erkenntnis der Frucht ihres Leibes wurde ihr erst im Himmel zuteil, als ihr Sohn sie – über die Nacht des Todes – herausführte aus dem irdischen Leben, sie einführte in die ewige Glorie und sie zu seiner Rechten setzte. Maria war eine vollerlebende Mutter. Sie gab ihrem Sohn Fleisch und Blut, und zwar in voller Harmonie mit ihm. Mariens Wesen wurde durch ihre göttliche Mutterschaft in das geistige Höchste emporgehoben, in die Harmonie mit Gott selbst. In ihr wohnte und wirkte – wie niemals und nirgendwo sonst – die heiligste Dreifaltigkeit, weil alle drei göttlichen Personen bei der Menschwerdung tätig waren. Sie war fürwahr die Tochter des himmlischen Vaters, die fortwährend „göttlich Gezeugtes“ in sich aufnahm und so zum „menschlichen Leben“ brachte. Sie erlebte das Wirken des Heiligen Geistes, denn er war es, der in ihr „lebend machte“; und was in ihr wurde, das war Gott-Sohn, der Menschgewordene, ihr Sohn. In Maria war die heiligste Mutterfreude, die Gott, der Heilige Geist, in ihr bewirkte. Der Name Jesu, den der Engel ihr genannt hatte, war ihre Offenbarung über die Frucht ihres Leibes. In diesem Namen erkannte sie die Geheimnisse der Propheten; mit diesem Namen fiel die Hülle vom Alten Bund. So war in Maria die Erlösung beschlossen; in ihr nahm sie den Anfang. Maria verstand auch wie niemand den Sinn der Erlösung. Im Augenblick der Menschwerdung verstand sie deren Zweck, den Zweck der Erlösung. Sie wusste um die ganze Gottferne der Menschheit, aus der Gott-Sohn, ihr Sohn geworden, die Menschheit wieder heimholen wollte. Und sie war in gewissem Sinne das Zentrum dieser Heimholung. In ihr hatte die Gnade Gottes ein Idealziel und Vorbild aufgestellt, wie der Mensch sein sollte. Alles Abweichen von diesem Vorbild und Idealbild war der Erlösung bedürftig. – Gewiss stand auch Maria an sich als Nachkomme Adams unter dem Gesetz der Sünde und war insofern „erlösungsbedürftig“, aber in ihr wirkte die Erlösung so voraus, dass sie vom allgemeinen Gesetz nicht betroffen wurde, weil Gott durch sie, durch ihre Mittlerschaft, durch ihre persönliche Zugabe und Mithilfe, die Erlösung vollziehen wollte. – Durch ihre göttliche Mutterschaft wurde Maria das Mittel zur Erlösung. Die zweite göttliche Person fand in der Seele Mariens die vollste Harmonie für sein göttliches Wesen. Das „Erleben“ dessen war für die göttliche Person gleichsam „neu“, denn es war das erste gottmenschliche Erfahren: Hier war volle Harmonie zwischen Gott und einem Menschen. Und durch Maria wurde die Menschheit wieder zu Gott emporgehoben. Das Leben der Gnade in der Seele des Menschen ist für Gott das Höchste und Wunderbarste, was es in seinen Augen gibt, außer dem Wesen Gottes selbst. Und in Maria hat Gott die Fülle dieser Gnade gefunden. An dieser Fülle konnte sich Gott gleichsam „sättigen“, und so hat Gott in Maria das Paradies wiedergefunden.

4175 |        In Gott gibt es nur „geistige Güter“, und er ist Inbegriff, Quelle und Richtschnur aller Vollkommenheit und Heiligkeit. Was vor ihm einzig entscheidet und Bedeutung hat, das ist die Annäherung oder die Entfernung von ihm; und vor ihm unterscheidet, gilt und wiegt nur das Heilige und das Nicht-Heilige. Gott „duldet“ das weniger Vollkommene nur, weil er barmherzig ist. Jeder Mensch aber wird gemessen und gerichtet nach dem Maße der Heiligkeit Gottes selbst. Er ist das Maß seines Gerichtes. – In Maria nun hielt Gott ein wunderbares herrliches und beglückendes „Gericht“ dadurch, dass er sich ihr anheimgab, dass er, von ihr, menschliches Leben annahm und das er sie als menschliche Voraussetzung und Bedingung für „Leben“ in seinen Erlöserplan aufnahm.

4176 |        In Maria wird auch ein wunderbares Gesetz der menschlichen Lebenseinheit aufgezeigt: Dass nämlich auch der Leib „heilig“ und „gottfähig“ ist, wenn die Seele heilig ist. Die Heiligkeit der Seele beherrscht und adelt auch den Leib infolge des Naturgesetzes vom psycho-physischen Lebensumsatz. Die Seele tut nichts ohne den Leib und der Leib nichts ohne die Seele; beide zusammen in einheitlicher Ergänzung und Vollendung vollbringen die sittliche Harmonie und Vollkommenheit. In Maria hat die wunderbare Erhebung und das Erhobensein ihres Leibes die Gottesmutterschaft mitbewirkt. Sie ist der vollendetste Beweis dafür, dass und wie sehr Göttliches und Menschliches aufeinander Bezug haben, da doch Gott in der hypostatischen Union sich herabließ zum Fleisch des Menschen, und da er den Menschen, einschließlich des Leibes für ihn befähigte.

4177 |        Gottes Finger berührte einst sozusagen den Kosmos und brachte das Weltall zum „Leben“; Gottes Wesen selbst ließ sich zu Maria herab und bediente sich ihres Wesens zu seinem gottmenschlichen Bestand. Das zweite Wunder ist das größere von beiden.

4178 |        Für Maria war Gott – und wurde Jesus als Gott – eine geistige, in Begriffen erfasste Wirklichkeit, etwas „Begreifliches“ und geistig Begriffenes. – Dieses Erfassen der geistigen Wirklichkeit Gottes als eines „realen Objektes“ wird bei uns ersetzt durch den Akt des Glaubens, durch den wir jene geistige Wirklichkeit annehmen und bejahen, auch wenn wir uns von ihr keine geist-begriffliche Vorstellung machen können, sondern unsere Vorstellung von ihr aus der biblischen Offenbarung und der kirchlichen Lehre nehmen. Wir beziehen unser Leben auf jene, durch den Glauben angenommene geistige Wirklichkeit und wir suchen unser Tun und Sein durch Hinordnung auf jene geistige Wirklichkeit zu vervollkommnen. Und je mehr sich unser Leben mit dieser (durch den Glauben gezeigten) Wirklichkeit zu verbinden und sich ihr anzugleichen sucht, desto lebendiger, aufgeschlossener, empfänglicher und empfangender werden wir dem Wesen Gottes gegenüber. Mit der fortschreitenden Glaubensübung und dem wachsenden und vertieften Glaubensleben lösen wir uns irgendwie von unserem bloß menschlichen Wesen ab und wenden wir uns mehr und mehr der göttlichen Wirklichkeit zu, nehmen mehr und mehr auf sie Bezug. – Mit diesem geistigen Vorgang wächst aber auch unsere „Begrifflichkeit“ gegenüber Gott, wenn wir ihn damit auch noch nicht unmittelbar als „reales Objekt“ zu erfassen vermögen. Zu einem solchen „realen“, d. h. irgendwie unmittelbar erfassten Objekt wird Gott für uns Menschen in der jetzigen Ordnung erst vermittelst eines persönlichen Erlebens und Erfahrens Gottes, sei es durch ausgesprochenes und klares „mystisches“ Erleben, sei es durch die lebendige Bindung an Gott durch hohes Glaubensleben unter dem Einfluss der Gabe des Heiligen Geistes. Durch den Akt eines persönlich erlebten Erfahrens Gottes kann sich auch eine gewisse geistige Begrifflichkeit vom Gott bilden; denn die Seele erfährt dabei etwas Wirkliches und Objektives, etwas Erfassbares und Unfassbares, etwas, das für sie da ist und irgendwie erkennbar ist; sie fühlt und erfährt eine gewisse Ähnlichkeit, die sich dem eigenen Wesen anpasst, bzw. dem sie sich anpassen kann. – Dieses „objektive Gotterfahren“ ist aber dennoch ein rein geistiger Zustand, der sich in der Seele nur formen und bilden kann aufgrund einer eigenen geistigen Fähigkeit, zu der die Seele herangereift ist. In diesem Leben kann aber die Seele Gott nicht dauernd, sondern nur jeweils für kurze Zeit als „reale Wirklichkeit“ festhalten – es sei denn, dass eine ganz außergewöhnliche Gnade in der Seele wirksam ist. An sich ist dieses Leben hienieden die Zeit der Glaubensübung und alles wirkliche Gotterkennen formt sich auf dem Weg über die göttlichen Offenbarungen und mittels eines geistigen Emporgenommenwerdens zu Gott.

4179 |        Maria als Mutter des Erlösers war das einzige Geschöpf hienieden, das eine wirkliche „geistige Begrifflichkeit“ für Gott erfuhr. Wenn auch Maria immer Geschöpf blieb, vollzog sich in ihrem Wesen doch die höchst-mögliche „unmittelbare Teilnahme an Gott“. In ihr nahm ja Gott „Gestalt“ an, und sie hat – über die menschliche Gestalt ihres Kindes hinweg und hindurch – immer mehr die Heiligkeit und das Wesen Gottes kennengelernt und das Gotterkennen, das sie schon vorher hatte, immer mehr vervollkommnet und vertieft. – Zwar bietet auch ein intensiv geübtes Glaubensleben eine gewisse „Teilnahme an Gott“, aber dieses ist „gnadenhafter Natur“, etwas, das im Menschen vorgeht, das ihn zu Gott hin erhebt und das eigene Wesen durch sittliche Vervollkommnung Gott näher bringt. In Maria jedoch geschah ein viel größeres Wunder: Gott bediente sich ihres Wesens zu seinem Bestehen als Gott-Mensch. Die zweite göttliche Person musste auch in und nach ihrer Menschwerdung Gott sein (und konnte ihr göttliches Wesen nicht aufgeben noch verlieren); sie wollte aber Gott „als Mensch“ sein und wollte als Gott ein wahres Menschenleben führen, um dem himmlischen Vater das Erlösungsopfer darbringen zu können. Ein wahres Menschenleben ist aber an bestimmte Bedingungen gebunden, die keine Ausnahme kennen. Daher „nahm das ewige Wort Mariens Fleisch an“ und nahm es an „auf göttliche Art“. Maria empfing das göttliche Wort aus dem Vater auf göttliche Art, nicht nach menschlicher Zeugungsart. Das Ausschlaggebende in ihr war die Gnade, und zwar die Fülle der Gnade vor Gott und in Gott. – Was ist unter dieser „Fülle der Gnade vor Gott“ zu verstehen? Wir können nur sagen: Es ist und war ihr „Sein in Gott“, obwohl sie Mensch war. Die Huld Gottes, seine Liebe, sein göttliches Wohlgefallen war in ihr in Fülle.

4180 |        Auch jede getaufte Seele ist ein Gegenstand der Huld, des Wohlgefallens und der Liebe Gottes. Und dieses Wohlgefallen Gottes wächst in dem Maße, als sich die betreffende Seele mit ihrem ganzen Wesen Gott überantwortet, ganz sein Eigentum wird und sich Gott als ihrem höchsten Ziel und Mittelpunkt anheimgibt, um sich ihm gleichförmig zu machen. Es gibt ja auch im natürlichen Leben kein gegenseitiges menschliches Wohlgefallen ohne gegenseitige sittliche Gleichförmigkeit; und je mehr die Menschen in Ihrem persönlichen, sittlichen Streben einiggehen bzw. ineinander aufgehen, desto mehr wachsen das gegenseitige Wohlgefallen und die wahre gegenseitige Liebe. Nur die Liebe eint die Menschen. Die Liebe, reine und vollkommene Liebe ist aber auch das Grundprinzip des göttlichen Wesens von Ewigkeit her, schon bevor er die Menschen nach seinem Bild und Wesen schuf. Maria war nun „voll der Gnade“, d. h. Gegenstand der Fülle der Liebe vonseiten Gottes. In ihrem ganzen seelisch-leiblichen Wesen gab es keinerlei Abweichen vom göttlichen Geistesgesetz, das die Heiligkeit Gottes ist. – Deshalb konnte Maria sozusagen auch Gegenstand der göttlichen Wahl und Willkür werden; denn er vergab sich nichts damit. Es gibt nur eine Bedingung für die größte göttliche Herablassung – und das ist die sittliche Gleichförmigkeit der betreffenden Person mit Gott. Auch im ärmsten Menschen kann Gott herrschen, wenn Gottes Leben und Heiligkeit in ihm vorhanden ist; dann vergibt sich Gott nicht, wenn er sich zu ihm herablässt.

4181 |        Die Gleichförmigkeit mit Gott ist die Brücke zwischen Gott und den Menschen. In Maria war aber eine vollkommene Gleichförmigkeit sowohl im subjektiven wie im objektiven Sinne. Dadurch war sie zur Vollreife ihrer Auserwählung und Befähigung für die Mitwirkung am Erlöserwerk herangereift.

 

Juni

10.06.1949

4182 |        Die menschliche Natur Jesu „zeugte das gottmenschliche Dasein der göttlichen Person“. – Wollte Christus wahrer Mensch sein, so musste ein menschlicher Organismus das stützende Element für den gottmenschlichen Bestand der göttlichen Person sein. Es musste aber auch die ganze Ordnung des Kräfteaufbaus der menschlichen Natur Jesu tragfähig sein für die göttliche Person. Man müsste diesbezüglich den ganzen, geheimnisvollen Umsatz der menschlichen Kräfte durchforschen und durchdringen können, um zusammenfassend die Aufgabe darstellen zu können, die der menschliche Organismus für den Aufbau des menschlichen Seelen- bzw. Geisteslebens hat. Der menschliche Organismus ist sozusagen das „Getrage“ des menschlichen Geisteslebens. Er umgibt das Geistesleben mit der Eigenart seines Umsatzes und bettet es gleichsam darin ein. Die Art des Umsatzes entspricht wiederum der Art der Person, wie umgekehrt auch die Person durch den Umsatz der Kräfte beeinflusst wird – wobei unter „Person“ hier die führende Kraft oder „Regentschaft“ im Menschen verstanden wird.

4183 |        In Christus war diese „Regentschaft“ eine immer „schon vorhandene“, fertige, sich auslebende, während sie im Menschen eine beginnende und allmählich sich aufbauende ist. Im Gottmenschen übernahm die vollkommene „Wirklichkeit“ der göttlichen Person die Stellung des „Ausübenden“ und Auslebenden hinsichtlich der menschlichen Natur; der menschliche Organismus aber ordnete und richtete sich auf die göttliche Person hin und formte sich im Hinblick auf diese. Dies bedeutet aber für den Aufbau der menschlichen Lebenskräfte Jesu eine ganze Umordnung und Umstellung der Funktionen seines menschlichen Organismus, die darum verschieden waren von den Funktionen des gewöhnlichen Menschen, nicht dem Wesen dieser Funktionen nach, aber in ihrer Art und Weise.

4184 |        Das entscheidende Zentrum im Menschen ist sein Geist. Aus dem Geist entspringt eine ganze Fülle von Lebenstätigkeiten, die sogleich vom menschlichen Organismus übernommen und durch diesen Umsatz zu „menschlichen Akten“ und zu einem Gegenüber für das Geisteszentrum werden. Die Wechselbeziehung zwischen Geist und Leib ist die grundlegende Tatsache in der menschlichen Natur bei der konkreten Gestaltung des menschlichen „Daseins“. Das Dasein des Menschen erzeugt sich in gewissem Sinne stetig und ständig selbst aufgrund der Kräfte, die das menschliche Sein bietet. (Über die Grundlagen des menschlichen Seins und Daseins vergleiche die früheren Erklärungen). – In Christus aber war das entscheidende Seinsprinzip ganz göttlicher Art. Er war in sich ein ewig Seiender, nicht ein Werdender, wie die gewöhnlichen Menschen, die einen Anfang nehmen und sich verändern. Gottes Wesen ist ewig und unveränderlich, und auf dieses unveränderliche Seinsprinzip der göttlichen Person des Wortes war die menschliche Natur Jesu und waren die Funktionen des menschlichen Organismus Jesu hingeordnet. – Der Beginn eines Menschenlebens ist immer ein vom Schöpfer kommender Anhauch des Geistes. Dieser Anhauch bedeutet Wirklichkeiten und Kräfte, die das „Leben“ wie in einem rhythmischen Kreislauf in Bewegung bringen. Dieser geistige Anhauch als erstes Lebensprinzip bleibt auch das Grundprinzip des Lebens für dessen ganze Dauer. Auch wenn die verschiedenen Aufbaukräfte des Lebens sich ändern, entwickeln, vergrößern, erweitern, so vollzieht sich dieser ständige Umsatz doch immer aufgrund der im geistigen Seinsprinzip gleichsam aufgespalteten Anlagen und Seinskräfte, die nach außen sich als Umsatz-, Aufbau- und Antriebskräfte offenbaren. Diese Antriebskräfte sind in ihrer Eigenart und individuellen Umsatzmöglichkeit von Mensch zu Mensch verschieden. Mit der Vollentwicklung eines Menschen ist auch eine gewisse Vollreserve von Seinskräften in ihm vorhanden, die dann als Verbrauchsreserven das Leben endgültig formen helfen. Das geistige Seinsprinzip im Menschen bzw. die Seinskräfte im Menschen sind aber auch veränderungsfähig und beeinflussbar durch all die vielen Erlebnisse, die das Menschenleben berühren. Ja, der Mensch kann sich in seiner personalen Seinskraft mehr oder weniger umstellen, aber nicht in seinem wesentlichen Menschsein. – In Christus nun war die grundlegende Seinskraft, nämlich die ewig göttliche Natur seiner Person, auch die personhafte Seinsart. Darin unterscheidet sich der Gottmensch vom gewöhnlichen Menschen. Dennoch hat aber das Menschsein und die Art des Umsatzes in der menschlichen Natur die göttliche Personart Christi in gewissem Sinne verändert, gewiss nicht ihrer göttlichen Natur nach, aber insofern sich der göttlichen Person des Wortes wahre menschliche Erlebnisse boten.

4185 |        Gott ist seiner Natur nach unveränderlich, aber er hat doch auch einen gewissen geistigen „Erlebnis- und Betätigungsraum“ gegenüber dem, was an sein Wesen herangetragen wird, zum Beispiel durch das Tun und Wollen der Menschen. Es ist Gott nicht „gleichgültig“, ob zum Beispiel vonseiten der Menschen Fluchen oder Gebete, Lobpreis oder Lästerungen oder Abfall an ihn herangetragen wird. Er ist „beeindruckbar“, insofern er zur Milde und Barmherzigkeit gestimmt oder herausgefordert werden kann zum Gerichte, zur Bestrafung und zur Offenbarung seiner göttlichen Gerechtigkeit. Dazu ist aber ein gewisser „göttlicher Erlebnisraum“ nötig, der aber rein geistiger Art und der göttliche „Seinsraum“ selbst ist, unbeschadet der „Einfachheit“ des göttlichen Wesens. Es handelt sich dabei – um es menschlich auszudrücken – um einen gewissen „Abstand von der Personenspitze“ oder um einen geistigen Raum vom geistigen Erleben des von den Geschöpfen Kommenden bis zur „Reaktion“. Gott „erlebt“ und genießt ja auch sich selbst in seinen göttlichen Vollkommenheiten und Eigenschaften, in seiner eigenen ewigen Glückseligkeit unbeschadet seines göttlich einfachen Seins. – Das menschliche Wesen hingegen braucht einen geweiteten „Erlebnisraum“, denn seine Erlebnisse sind „zeitlicher Natur“ und haben infolge der seelisch-leiblichen Wesensverbindung einen längeren Umsatz bis zur Personspitze nötig.

4186 |        Die menschlichen Erlebnisse können von innen, d. h. vom eigenen Geistesleben, vom eigenen physischen Erleben oder von außen, von der Umwelt kommen. Der Mensch trägt in sich sowohl seine eigenen „Umwelterlebnisse“, d. h. jene, die seinen Personenkern umkreisen, wie die Erlebnisse aus seiner äußeren Umwelt. Um aber all diese Erlebnisse gleichsam „handhaben“, festhalten und überschauen zu können, muss der Mensch einen geistig-realen Lebensraum haben, wo alles dies „ausgetragen“ und verarbeitet wird. Beim geistig normalen Menschen hat jedes Erlebnis eine geistige Sicht und Beurteilung, einen Wert (sei er nun gut oder weniger gut), den der Mensch an sich heranbringt und gleichsam mit sich verbindet, oder aber abstößt. Aus allen Erlebnissen zieht der Mensch irgendeinen Gehalt, den er sich aneignet und der vielleicht das erste oder entscheidende Glied in einer Kette des „Eigenlebens“ werden kann. – Auch im Gottmenschen begann mit der Menschwerdung eine ähnliche Reaktion. Mit der Menschwerdung nahm Jesus auch den menschlichen „Lebensraum“ an. Die menschliche Seele ist nun einmal ein Wesen, das etwas Zugeordnetes, eine umfassende Sicht, einen „Raum“ braucht, eine Entfaltung nötig hat und einer Reife fähig ist, wie wir sie an wirklich großen Menschen sehen. Die Menschenseele als solche ist ein wunderbares Getrage von Fähigkeiten und Möglichkeiten für Geistesinhalte und Geistesstärke. Im Plan Gottes lag es an sich nicht, dass die Menschen stümperhaft, geistig beschränkt und körperlich behindert seien, wie wir sie heute sehen. Gott hatte freie, glückliche Seelen geschaffen, die, mit dem Leib zu einem gemeinsamen Leben verbunden, herrliche Menschen gewesen wären.

4187 |        Der menschliche Leib im ersten Zustand war für Unsterblichkeit bestimmt und trug nicht das Zeichen des Verfalls und der Erniedrigung an sich. Er hatte keine „Ausscheidungen“, und der Gebrauch der Speise war wohl geordnet und diente nur dem Wohlsein und der Ergötzung1723 des Menschen. Die Ausscheidungen und die andere Art des Essens bildeten sich erst aufgrund seines leiblichen Verfalls infolge der Sünde. Durch die Übertretung des göttlichen Gesetzes verlor der menschliche Leib seine hohen Vorzüge und verfiel der Zerstörung.

4188 |        Durch die Ursünde wurde der Geist des Menschen getrübt, sein Leib verunstaltet, seine Erlebnisse krüppelhaft. In seinem heutigen Gesamtsein ist der Mensch gleichsam eine „Mangelware“, ein „Torso“, dem bald dieses, bald jenes fehlt. Die Seele in sich hätte – gemäß ihrer Bestimmung, ein Menschenleben zum Ausleben zu bringen – fast unbeschränkte Lebensmöglichkeiten, sodass sie in allen Lagen eine Lösung oder einen Ausweg finden könnte. Die höchsten Fähigkeiten hatte die Seele Jesu, die bestimmt war, dem Sohn Gottes die Möglichkeit des Menschseins zu geben, und die daher von wunderbarster Geistigkeit, vornehmste Feinheit und Harmonie mit dem göttlichen Geiste, sowie von stärkster und zartester Beeindruckbarkeit war. Sie war aber auch für einen „sich entfaltenden und entwickelnden“ Leib geschaffen, und war daher auch eine „sich entfaltende“ Seele. Gewiss zielt jede Seele, auch die des kleinen Kindes, immer schon auf das letzte fertige Ziel, weil sie die Bestimmung hat, einen fertigen Menschen zu bilden, aber zugleich entfaltet sie sich auch allmählich mit dem Wachstum des Leibes und „empfängt“ sich sozusagen selbst mit dem Wachstum, das sie (unbewusst) leitet, sodass man sagen könnte: „Die Seele wird dem Leib entnommen“. Dies ist ein großes Geheimnis im Menschen, dass er sich selbst, ja auch seine eigene Seele bildet und formt. Der erste Anhauch des Geistes bringt die Materie in Bewegung und [es] beginnt damit das „Leben“, das sich gemäß dem der eigenen Seele entsprechenden Umsatz bildet. Daraus folgt aber nicht, dass das „Leben“ nur ein Umsatzprozess sei. Die Seele ist vielmehr das „Tragende“ und Bewegende in diesem Prozess. Sie ist zudem das Lichtlein, das den Lebensprozess erhält und ordnet. Nur wenn das Lichtlein oder der Geistesfunke der Seele angezündet ist, kann der Umsatzprozess sich abwickeln. – Auch das Pflanzen- und Tierleben hat einen Lebensprozess, d. h. „es bildet sich selbst“ aus dem Samen, aber es fehlt dabei das Geistbeherrschtsein, und jeder Mensch (auch der ungläubige) weiß ganz gut, dass er sich durch sein Geist-Wesen vom Tier unterscheidet.

4189 |        Die Seele beginnt ihre Lebenstätigkeit mit dem göttlichen Anhauch oder dem Ersten geistigen Lebensfunken (der an ein obwaltendes Naturgesetz gebunden ist). Mit diesem Anhauch beginnt sie „sich umzusetzen“ und das Leben zu formen und zu entfalten; die menschliche Materie bietet den Stoff zu diesem Umsatz, um das Ziel des göttlichen Anhauches in die Wege zu leiten. In der ersten Materie ist schon die Fähigkeit zu dem durch das geistige Lebensprinzip zu bewirkenden Umsatz gegeben. Dieser vollzieht sich nach dem Gesetz des ersten Lebensfunkens, der damit zu herrschen beginnt und seine Art beibehält. Das Gesetz des ersten Lebensfunkens ordnet den ganzen Umsatz auf das „Lebensziel“ hin, und dieses Ziel ist der Mensch in seiner geistig-leiblichen Harmonie, in der Vollkraft und im Selbstbesitz eines Wesens, seines Menschentums. Der zur Bildung dieses Menschentums befähigte und notwendige Stoff ist die Materie des Menschen selbst, auch in ihrer allerkleinsten Masse. Aber nicht nur im Anfang des Lebens „ermöglicht“ die Materie die Entfaltung des geistigen Lebensfunkens; der harmonisch geistig-leibliche Umsatz und die entsprechende Wechselbeziehung bleibt vielmehr das Grundgesetz im ganzen Verlauf des menschlichen Lebensprozesses. Nach diesem Grundgesetz seiner Seele, nach dem geistig-materiellen Umsatz, formt sich der Mensch sein Dasein selbst.

4190 |        In Christus herrschte ein ähnlicher Lebensprozess, aber mit dem Unterschied, dass er von der göttlichen Person und deren göttliche Natur beherrscht war. Weil aber der Leib Jesu ein „werdender“, sich entwickelnder Leib war, gleich dem unseren, so war auch die Seele Jesu eine „werdende“ Seele, die sich im Lebensumsatz mit der Materie entfaltete. Diese Materie hatte das göttliche Wort aus Maria angenommen, und sie trug im wahren Sinne zum „Leben“ der Seele Jesu bei. Die göttliche Person, die in dieser Materie sozusagen Wohnung genommen hatte, war die Erleberin dieses geistig-leiblichen Umsatzes oder Lebensprozesses, der den „Gottmenschen zeugte“. Die göttliche Person „begnügte sich“ mit dieser Materie, weil der Sohn Gottes werden wollte wie ein Mensch, ohne seine Göttlichkeit aufzugeben. Der Umsatz des menschlichen Lebensprozesses „umkreiste“ gleichsam diese Göttlichkeit (der Person des Wortes), die das Grundlegende wurde in diesem „neuen“ einzigartigen Menschen. Das Grundlegende bei jedem Lebewesen ist ja „die Natur“ des betreffenden Wesens, und der gesamte Lebensprozess richtet sich aus nach dieser Natur.

4191 |        In Maria vollzog sich wohl das größte Wunder, nämlich ein Lebensprozess, in dem „Gott Fleisch wurde“ und Fleisch annahm, und zwar aufgrund eines für die Menschen und auch für Maria geltenden Naturgesetzes. In Maria fand die göttliche Person den „Stoff“ und die Nahrung zur Bildung „ihres“ Leibes und damit in etwa auch ihrer Seele. Nicht die göttliche Person selbst bildete ihren Leib und ihre Seele in Maria, das heißt, sie tat es nicht bloß durch ihre göttliche Allmacht, sondern sie passte sich dem menschlichen Naturgeschehen an und gab sich gleichsam diesem Geschehen hin. So geschah in Maria dieses Lebenswunder, das aber vom Träger dieses Lebens selbst, von der göttlichen Person bewusst erlebt war, denn sie nahm diesen Lebensprozess auf als persönliches Erlebnis. Dieses Menschenerlebnis war der göttlichen Person eigen, weil es „ihr“ Leben, ihr persönliches Eigentum, Sein und Dasein wurde. Damit begann auch das „Dasein“ der göttlichen Person als zeitlich-räumliches gottmenschliches Dasein. Und die göttliche Person antwortete oder reagierte auch mit einer entsprechenden Rückwirkung auf diesen Lebensprozess, weil es sich ja dabei um „ihr“ Menschenleben handelte. So empfand zum Beispiel das menschgewordene Wort das Beglückende und Süße der Mutterliebe Mariens, aber auch das Bittere und Verdemütigende des Opfers im bewussten Erleben der Gebundenheit und Beschränkung des Menschseins usw.

4192 |        Das Geheimnis des Gottmenschen ist zu gleicher Zeit das Geheimnis des Wesens Gottes bzw. der göttlichen Natur und das Geheimnis des „Menschen“ in seiner leib-seelischen Funktionsart. Beide Seins- und Lebensweisen müssen zur Geltung kommen, wenn man sich das Geheimnis des Erlösers einigermaßen in seiner Doppelnatur, der göttlichen und der menschlichen, nahebringen will. Man darf Christus nicht bloß als einen, wenn auch besten oder überdurchschnittlichen Menschen erklären, und man darf seine gottmenschliche Existenz auch nicht als etwas Erdfernes, einseitig göttliches nehmen. Die beiden Naturen in Christus waren „lebenstätig“, real und in Wechselbeziehung zueinander und doch war es eine wunderbare Einheit als der Ausfluss der einen Persontätigkeit. Doch wie könnte unser Denken herankommen an diese wunderbare Doppeltätigkeit in der Einheit einer Person?

4193 |        Der Mensch kann hienieden nur auf dem Weg über das eigene Menschsein „zu Gott emporsteigen“. In diesem Leben gibt es keinen anderen Weg. Der menschliche Verstand, auch der schärfste, kann wohl Vergleiche anstellen, kann in die Geheimnisse des Geistes einzudringen suchen, kann die grundlegenden Erkenntnisse alter und neuster Wissenschaft heranziehen, aber er wird letztlich immer wieder zu dem Ergebnis kommen, dass Gott im verborgenen, undurchdringlichen Licht wohnt, in das kein Sterblicher eindringen kann. Gegenüber dem Wesen Gottes ist der menschliche Intellekt gleichsam nur wie eine brüchige Glasscheibe.

4194 |        Der Mensch kann nur über „sein eigenes Wesen“ zu Gott emporsteigen, und zwar auf dem Weg der Vergeistigung oder Geistbefähigung seiner Materie, und damit der eigenen geistigen Entblößung und Freimachung, sowie durch die Weckung und Anforderung der tiefsten und geheimsten, in ihm schlummernden Geistkräfte. – Der Mensch ist sich selbst die „Leiter zu Gott“. Wenn man den Gipfel eines hohen Berges besteigen will, so darf man nicht seine ganze Habe mitschleppen wollen, denn diese Last würde den Wanderer auf dem Wege ermüden und erdrücken, und er müsste, von der Anstrengung ermattet, den Aufstieg aufgeben. Will der Wanderer hoch hinaufsteigen, so nimmt er nur das Lebensnotwendige mit und lässt jede unnötige Beschwer unten. Dann wird ihm die immer noch bleibende Mühe des Aufstieges gelohnt werden, nicht bloß durch die herrliche Aussicht und den Ausblick, den er oben genießt, sondern auch durch die Tatsache, dass er frei von vielem unnötigen Ballast ist, vom Druck des Alltags, und dass er so vielen übersteigerten Lebensbedürfnissen entflohen ist. Er wird aufatmen und froh sein darüber, dass er nun endlich einmal mit dem Nötigsten allein auskommen kann. Hierin wäre die menschliche Natur eine weise Lehrmeisterin. Gott hat tatsächlich so viele erhabene und tiefe Anlagen und Triebe in sie hineingelegt; aber die heutige moderne Zivilisation wird vielfach zu einer Feindin der Menschheit, denn sie bepackt den Menschen mit so viel unnützem Gepäck, das der Mensch kaum zu schleppen, geschweige denn recht zu verwerten vermag, das aber seinen Ausblick und seinen Aufstieg zu Gott hindert. Täuschen wir uns nicht! Es wird keinem „vollbepackten Menschen“ gelingen, zum Berge Gottes hinanzuklimmen. Wenn Gott einen Menschen aufwärts führen will – oder wenn ein Mensch wirklich aufwärts strebt, so ist das Erste, dass Gott ihm die Überfülle seines irdischen Gepäcks abnimmt oder es ihm abgeben oder wenigstens innerlich aufgeben heißt. Der Mensch muss zuerst so manche irdischen Sorgen und Mühen um Irdisches verlassen und muss gar mannigfache Entblößung und Losschälung sich gefallen lassen. Das Gepäck des Menschen ist ja so mannigfach nach außen und nach innen. Gott aber ist reiner Geist, und nur jene, die im Geiste wandeln, können sein Angesicht schauen. Dabei kann der Mensch selbst seine eigene Losschälung, Entblößung und Freiheit nicht messen, sondern das kann in Wahrheit nur Gott allein, der nimmt und gibt. Gott selbst ist der Maßstab für den Menschen, der zu ihm „emporreichen“ können soll. Und die geistige Selbstentblößung und Befreiung ist die erste Notwendigkeit und Voraussetzung für eine tiefere Erkenntnis Gottes und seiner göttlichen Geheimnisse. Das Auge des gefallenen Menschen ist wie verstaubt und getrübt von Erdenschwere, und nur im Lichte Gottes wird der Blick wieder geläutert und geklärt.

4195 |        Dennoch ist der Mensch sich selbst die „Leiter zu Gott“. Er findet in sich Angleichungsmöglichkeiten an Gott, Parallelen zum Wesen Gottes. Seine Geisteskräfte tragen mehr oder weniger verborgene Spuren von und hin zu Gott. Es gilt nur, diese im eigenen Wesen zu entdecken. Auch die Geheimnisse des Menschenlebens selbst und der menschlichen Natur bieten manche Gesichtspunkte, die mit den Geheimnissen Gottes bzw. der göttlichen Natur in Verbindung gebracht werden können und die uns erlauben, dem Geheimnis der hypostatischen Union näherzukommen. Für den bloßen „Gelehrten“ gibt es nur diesen Weg, aber er reicht nicht aus, denn das Geheimnis der göttlichen Natur kann man nicht „in Worte einfangen“. Das Geheimnis und die Tätigkeit der göttlichen Natur war aber das Haupt- und Grundgeheimnis im Gottmenschen und der Hauptunterschied gegenüber dem gewöhnlichen Menschen.

4196 |        „Christus sah in sich hinein“. Das innerste Geheimnis seines Wesens, seiner Existenz lag in ihm selbst. Die Machtüberfülle seiner persönlichen Existenz war so gewaltig, dass er sich selbst genügte. Er war nicht abhängig von dem, was ihm geboten wurde, während wir immer von unseren „Produkten“ abhängig sind. Schon der Blick Christi muss darum etwas von der großen Herrlichkeit, Unabhängigkeit und dem Selbstgenügen seines Wesens gehabt haben und muss von einem eigenen Ausdruck gewesen sein. Die persönliche Unabhängigkeit ist ein Hauptmerkmal des Wesens des Gottmenschen. Doch welchen Weg der eigenen geistigen Entblößung und Befreiung muss die Seele gehen, um einigermaßen an dieses Geheimnis Christi heranzukommen, um für dieses Geheimnis empfänglich zu werden und um – auch nur wie in leiser Ahnung – die persönliche Unabhängigkeit Christi zu erfassen! Gewiss kann auch der trockene und bloße menschliche Verstand zu theoretischen Erklärungen darüber kommen, aber es fehlt dabei doch die Salbung und Sicherheit des Selbsterlebten, des Selbstempfundenen. Um dies erleben zu können, braucht es eine gewisse Geistbegrifflichkeit, die von der Materie nicht mehr so sehr abhängig ist. Diese Geistbegrifflichkeit wird aber behindert durch die Verstricktheit in die Materie, den Übergenuss des Lebens, durch den ungeordneten Selbstbesitz und durch die Selbst-verherrlichung des Menschen. – Gottes Wesen steht weit über dem Menschlichen; und doch, wenn wir den Spuren des Geistes nachgehen, lassen sich Vergleiche zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen finden. Nur die „Geistigkeit“ legt den Weg frei zu Gott, und der Aufstieg beginnt im eigenen Wesen. Darum ist Gottes erste Sorge für seine Erwählten, dass sie von allem Überflüssigen und Hindernden befreit werden. Später, in der ewigen Glorie, wenn wir befreit sind vom irdischen Leibe, sehen wir Gott von Angesicht zu Angesicht; hienieden zwängen wir uns gleichsam durch unser eigenes Sein zu Gott empor.

4197 |        Auch der Gelehrte würde in seinen Studien mehr Fortschritte machen, wenn er mehr in sich eindringen und nach größerer Geistfreiheit streben würde und wenn er so von tieferem Erkennen und Erforschen des eigenen Wesens und vom Vergleich mit dem eigenen geistigen Sein ausgehen könnte. Die wahre Gotteswissenschaft müsste den Menschen zuerst mehr von sich selbst freimachen und dem wahren Ziele zuordnen; denn dadurch würde der Geist sich schärfen. Der Mensch in seinem selbstischen Gefunkel und in seinem Kreisen um das ungeordnete Ich ist sich selbst ein Hindernis für die Annäherung an den Geist Gottes, weil infolge der Selbstverstrickung die wahren, tieferen Geisteskräfte nicht erloschen werden. Große Gottesgelehrte müssten auch Geistesmenschen sein, und der Gelehrte sollte den Spuren des eigenen Geistes nachgehen und zum tieferen Verstehen der eigenen Lebensgeheimnisse kommen, um zu einem tieferen Eindringen in das Geheimnis Christi zu gelangen; den in Christus bewahrten beiden Naturen, die menschliche und die göttliche, ihre Rechte und ihre Ausdrücke.

4198 |        Das Lebensgeheimnis des Menschen ist gleichsam ein ständiger Rundlauf von Kräften, die sein eigenes Wesen ausmachen und formen. Es ist im Menschen nichts „Artfremdes“, d. h. nichts, was nicht seinem Wesen entspräche. Der Mensch „nimmt alles aus sich selbst“, erzeugt alles so, wie er es braucht, und bildet so sich selbst zu Höhe des Lebens empor. Auch die Lebensfunktionen sind dabei Ausdruck der Geist-Struktur, von der er beherrscht wird. Und beide Elemente und Betätigungen bilden ein Ergebnis, das den Menschen als sein eigenes Leben zum Bewusstsein kommt. Der Mensch kann in sich zu Niederem herabsteigen oder zu Höherem aufsteigen; er kann sich in seinem Wesen „vereinfachen“ und vergeistigen, aber dies geschieht nur durch eine geistige Beschneidung. Er kann sich höheren Werten zuwenden, die ihm über die eigene „Menschlichkeit“ emporhelfen, aber er muss dabei immer „etwas“ verlassen, um sich ein höheres geistiges Gut zu sichern und zu erringen. – So baut und bedingt der Mensch seinen eigenen Aufstieg und seinen eigenen Niedergang. Wie viel würde der Mensch an geistigen Werten gewinnen, wenn er für seine geistige Ertüchtigung ebenso viel Mühe und Zeit verwenden würde, wie er es für einseitige Leibespflege tut. Gewiss hat Gott jedem Menschen das Recht zu Leibespflege gegeben, denn über den gesunden Leib geht man zum Geiste; aber auch die Leibespflege muss sich in die Ordnung des Geistes einfügen. Die Ertüchtigung des Geistes müsste in Wahrheit auch ein „Sport“ für die Menschheit sein. Die sinnliche Leibespflege jedoch macht Stümper des Geistes. Wie es ein Training des Körpers gibt, so müsste auch die Schärfe des Intellekts geübt werden, wie viel würde die Menschheit an Werten gewinnen, wenn sie sich auf tiefere Geistpflege besinnen würde. Doch wahre Schärfe des Geistes ist nicht der aufgeblähte Verstand, sondern das Wissen, das der Mensch, mit den entsprechenden Folgerungen auf sich selbst anwendet, also lebendiges Wissen, das dann vom Selbsterlebten auf andere Wissenszweige und auf die Erkenntnis Gottes angewendet werden kann. Ware „Geistespflege“ ist auch die Erziehung des Menschen zur Herrschaft des Geistes über den Leib. – Das Studium des Materiellen ist gewiss von großem Nutzen, aber darüber hinaus gilt es, auch in das grundlegende geistige Element einzudringen; das führt dann den intellektuellen Arbeiter auf die Spur Gottes in seiner Schöpfung. Alle Fäden des Geistes münden letztlich in dem großen Geist, von dem der gesamte Kosmos getragen, und von dem jeder geschaffene Geist gleichsam nur ein „Anhauch“ ist.

 

16.06.1949

4199 |        „Die göttliche Person des Wortes erschloss sich im Akte der Menschwerdung den Erlebnissen des Menschseins.“

4200 |        Es war dies vonseiten der göttlichen Person des Wortes ein Akt der Hinwendung, der Anteilnahme, ein Akt seines göttlichen Willens. Aber diese persönliche Hinwendung war nicht ein „leerer, gehaltsloser“ oder auf etwas rein Geistiges hingerichteter Akt, sondern hatte einen Zweck: Dieser Akt der Hinwendung zum Menschsein war zugleich das Übernehmen einer ganz bestimmten Aufgabe. Das göttliche Wort umfing damit einen umfassenden Wirklichkeitszustand, der für die göttliche Person selbst bedeutende „Folgen“ hatte. Man kann den Akt der Menschwerdung nicht vom Zweck der Menschwerdung selbst trennen.

4201 |        Jesus nahm mit der Menschwerdung auch die „Rückwirkung des Menschseins gegenüber seiner göttlichen Person“ auf. Diese Phase der Rückwirkung des Menschseins begann für den Erlöser schon im Akte der Menschwerdung selbst. Der gewöhnliche Mensch erhebt sich selbst, d. h., er nimmt die Rückwirkung seines Menschseins erst auf, wenn er zum Selbstbewusstsein erwacht, also im reiferen Kindesalter. Mit dem Erwachen seiner Geisteskräfte, die der menschlichen Person die eigene Tätigkeit zuführen, wird der Mensch erst zu diesem selbstständigen Bewusstseinsakt fähig. Für Jesus aber wurde das Menschsein schon im Augenblick der Menschwerdung selbst gleichsam zu einer „ihm gegenüberstehenden Tatsache“. Für jedes Menschenwesen ist die Grundlage des Bewusstseins die Gleiche, nämlich eine gewisse geistige Spannweite zwischen Personspitze und Erlebnis. Diese Spannweite zwischen Personspitze und Erlebnis geht gleichsam über Höhen und Abgründe des eigenen Seins. In Christus umspannte sie die Höhe seines göttlichen Wesens und den Abgrund der menschlichen Gebrechlichkeit, d. h., die Tatsache der Beschränktheit des Menschseins selbst. Die göttliche Person konnte das „Gottsein“ nicht aufgeben und musste es mit dem Menschsein verbinden. So wurde das Gottsein zum grundlegenden Seinsprinzip im Gottmenschen. Diesem grundlegenden Seinsprinzip entsprach aber als erste Folge das „Ausleben der göttlichen Natur“, die ein rein geistiges Seinsprinzip ist. – Für dieses göttliche Seinsprinzip der Person des Wortes begann nun aber mit der Menschwerdung auch das menschliche Daseinsprinzip; und damit begann die Tatsache des großen Abstandes, ja des unüberbrückbar scheinenden Gegensatzes der beiden Naturen dieser einen göttlichen Person.

4202 |        Die menschliche Natur als solche (d. h. bei den gewöhnlichen Menschen) hat gewiss schon von Anfang an das zu ihrem Bestand notwendige Seinsprinzip, doch ihr Bestand ist zunächst – bewusstseinsmäßig gesehen – ein „persönlicher Leerlauf“, insofern er sich im Unbewussten abspielt. Aus dem Unbewussten ringt sich dann das Bewusste empor und wird zum „Gegenüber“ der Person. Die Grundlage bilden die schon vorhandenen Kräfte des Seins oder die Tatsache des Seins: dass nämlich etwas da ist, was existiert, was sich entfalten kann, was „anfängt“ und wovon etwas ausgeht. Dieses zunächst „unbewusste“ – und insofern gleichsam „tote“ – Sein bildet sich allmählich zum bewussten Sein empor. Die Substanz der Seele ist die Wurzel der Seinskräfte, in ihr bilden sich diese Kräfte empor von der Empfängnis bis zum Ende des Lebens. – Über das „Wie“ wurde mir zur Erklärung folgender Vergleich gezeigt: Legen wir in ein Glas Wasser eine Wasserpflanze, sagen wir eine Seerose bzw. ein Würzelchen einer Seerose. Man kann dann beobachten, wie das Würzelchen sich verdichtet und ein „Knötchen“ als Verdichtung bildet, während ein „Stillstand“ im Wachstum eintritt. Tatsächlich sammeln sich in diesem Knötchen „neue Zellen“ als Ausgangspforten für das kommende Wachstum. So braucht jeder lebende Organismus gleichsam Sammelpunkte, Aufstauungen von Kräften, die als „existenzielle Lebensvorschüsse“ (das Wort wurde mir innerlich gegeben) die weitere sichtbare Entwicklung speisen. Das Sein oder die seinshaften Unterlagen des Lebewesens selbst sind der existenzielle Lebensvorschuss. – Auch das geistige Leben entfaltet sich durch solche Kraftanstauungen oder geistige „Knotenpunkte“. Nehmen wir zum Beispiel einen Schüler, der sich bemüht, in irgendeinem Zweig des Wissens voranzukommen. Wenn er sich eine gewisse Grundlage geistiger Bildung so gleichsam eingebaut hat, dass er daraus nehmen kann, so ist sein Wissen auf der betreffenden Höhe „seinshaft“ und wertbeständig geworden. Im vernunftgemäßen, geistigen Leben des Menschen geht diese seinshafte Vorwärtsbildung im Einklang mit „der Person“ vor sich, und der geistige Aufbau verbindet sich mit dem physischen Wachstumskomplex. Es liegt ja im Wesen des Menschen, dass weder der Leib noch die Seele etwas „allein“, d. h. ohne Beteiligung des anderen Teiles schaffen kann. Es herrscht vielmehr eine dauernde und organische geistig-leibliche Wechselbeziehung und gegenseitige Unterstützung. – Der leibliche „existenzielle Lebensvorschuss“ bildet in immer neuer „Umlebung“ Ausgangspunkte oder Kraftknötchen für immer weiteren Lebensumsatz. All diese Lebenssammelstellen greifen aber irgendwie immer auf die allererste Samen- oder Eizelle zurück, und der ganze Lebensprozess ordnet sich nach der Art dieser ersten Lebenszelle, welche die Art des betreffenden Lebewesens bestimmt. Es liegt also in jeder ersten Lebenszelle gleichsam etwas „Geistiges“, ein geistiges Bild dessen, was hervorgebracht werden soll und worauf der betreffende Lebensprozess hinzielt, sowie ein entsprechender geistiger Antrieb. Die erste Lebenszelle ist tatsächlich die Gesamtsammelstelle, von der die gesamte Ordnung des Lebensprozesses ausgeht und die, sozusagen deren Zustand ist. Das ganze Wachstum mit seinen Veränderungen wird von der Art der ersten Lebenszelle bestimmt. Jedes Lebewesen steht darum unter einer artgemäßen Lebensordnung oder organischen Aufbauordnung, die zum Ziele hat, die betreffende Art des Lebewesens hervorzubringen. Der Lebensprozess selbst aber verläuft in gewissen (von der Art-Idee des Lebewesens bestimmten) Knotenpunkten, die wie Glieder eines Ganzen ineinandergreifen. Ist ein gewisser geistig-organischer Lebensvorschuss erreicht, so baut sich als Folge davon gleichsam ein „neuer physischer Knotenpunkt“ ein, der wiederum geistige oder bestimmte Lebensvorschüsse von der ersten grundlegenden Zelle anheischt und beansprucht, sodass auch die weitere Entwicklung nach der Art und nach den Gesetzen des betreffenden Lebewesens sich vollzieht. – Der erste Anfang des Lebens in der physischen Ei- bzw. Samenzelle trägt schon, gleichsam geistig eingezeichnet, das Bild des ganzen Menschen in sich. Die Belebung selbst ist an sich ein „geistiger“ Vorgang, wodurch der erste organische Umsatz in Bewegung gesetzt wird. Niemand kann sich selbst das Leben geben, sondern es muss der Lebensprozess „eingeschaltet“ werden. Die geistige Leitung des Lebensumsatzes vollzieht sich nach der Art und nach dem Gesetz des betreffenden Wesens, also nach dem Gesetz der betreffenden Seele mit ihren Voraussetzungen. Ihre erblichen Veranlagungen oder Belastungen sind schon zum Teil in den Eizellen vorgesehen oder vorgezeichnet; es handelt sich dann aber darum, wie sie in das werdende Leben eingebaut werden und welche Veränderungen in diesem Aufbau-Prozess eintreten können.

 

18.06.1949

4203 |        Kann der Mensch hienieden irgendwie in das Wesen der göttlichen Natur eindringen?

4204 |        Mit dem Empfang der heiligen Taufe erhält die Seele eine erste „Anteilnahme“ an der göttlichen Natur. Dies ist zwar eine wirkliche empfangene Anteilnahme, aber keine erlebte, sondern eine unbewusste, gnadenhaft wirksame. – Ein frommes, gottinniges Leben bringt dann die Seele zuweilen in einen Zustand erlebter Gottverbundenheit, wobei der religiöse Intellekt der Seele geschärft wird und sie sich mit Gott verbunden und geeint fühlt; auf diesem Weg empfängt die Seele ein leises Ahnen von der Unendlichkeit und Heiligkeit Gottes und auch ein Ahnen davon, was es Großes ist, mit Gott vereinigt zu sein. Die wahrhaft getreue Seele schreitet dann vorwärts auf diesem Weg der Gotteserkenntnis. Gott macht sie begierig nach seinem Besitz, und es beginnt eine lebende Wechselbeziehung zwischen Jesus und der Seele. Diese erwidert die Herablassung Gottes mit immer erneuter, großmütiger Hingabe. Wie ein liebender Mensch, je nach der Erwiderung, die seine Liebe findet, seinem Partner immer mehr seine Gesinnung und Geheimnisse, seine Art, kurz sich selber zeigt, so macht es ähnlich auch Gott. Ist die Seele ihrem Heiland gegenüber wahrhaft liebeverlangend, so lässt er auch ab und zu die Strahlen seines Wesens sozusagen auf sie fallen, und die Seele, von der Sonne bestrahlt, empfängt auch etwas von der Sonne. Der Mensch weiß ja vom Wesen der Sonne: Wie sie leuchtet, erwärmt, erfreut und fruchtbar macht. So „empfängt“ und „weiß“ auch die mit Christus geeinte Seele etwas von der Art Gottes; sie nimmt ja teil an ihm, sie erlebt die Fruchtbarkeit seiner Liebe, sie erkennt immer mehr den „Eifer“ seiner Liebe, sie kennt seine göttlichen Liebesgesetze, die für seine Vereinigung mit der Seele gelten. Die Liebe zu Jesus ist immer eine „fruchtbare“ Liebe, eine erkennende Liebe, wenn sie nur dem göttlichen Gesetz der Treue folgt. Ja, es kann ein wirklich erlebtes Liebesverhältnis zwischen Christus und einer Seele bestehen, wodurch diese mit vielen Erkenntnissen Gottes bereichert wird. Auch die edle irdische Liebe eröffnet sich ja gegenseitig, teilt sich gegenseitig mit und empfängt sich damit immer neu. – In diesem Lebensverhältnis zu Gott wird die Seele wahrhaft in Gott aufgenommen, und keine gottliebende Seele, die Solches erlebt hat, kann an der Wirklichkeit einer solchen Anteilnahme an Gott zweifeln. In solchen Gnadenerweisen teilt sich Gott in seinem Wesen in einem wahren Sinne der Seele mit; diese erkennt und erschaut sein Wesen in einer aufsteigenden und immer intimeren Weise. Sie fängt zu wissen an und weiß wirklich um den Unterschied zwischen Gott und der armen Menschlichkeit; sie erkennt den Abstand und schaut den Weg hin zu Gott; sie weiß, was sie hindert und was sie fördert hin zu Gott. Die auf solche Weise von Gott geführte Seele kann auch auf einem speziellen Weg zu Gott emporsteigen, aber es ist dann immer ein besonderes Geheimnis, durch das er sich zur Seele herablässt. – Eine geraume Zeit der Übung des Aufstieges zu Gott macht es möglich, dass die Seele sich auch einen reichen Umsatz von Erkenntnissen aneignet. Gott ist der Seele dann kein „Fremder“ mehr, sondern ein liebender Freund, um den sie weiß.

4205 |        Wem Gott das Geheimnis seines Wesens in größerer Fülle mitteilen will, dem kann er dies auch zu einem speziellen Geistesweg machen. Dann dringt die Seele immer mehr in die Fülle des göttlichen Wesens ein, das sie erleuchtet und durchwärmt. Und Christus kann dieses Geheimnis Gottes, das er der Seele zu erkennen und zu erleben gibt, auch auf sein persönliches Gottmenschentum anwenden. Er kann einer Seele „sein großes Geheimnis“ mitteilen, das in seiner Menschwerdung in der göttlichen Natur (in der hypostatischen Vereinigung) bestand.

4206 |        Was versteht man unter der „göttlichen Natur“ oder der „Natur Gottes“? „Natur“ zeigt den Wesensbestand, die „Art des Wesens“ an, die Art und Weise zu sein und zu existieren. Jedes Lebewesen hat seine Art zu entstehen, zu bestehen, zu existieren. Es besitzt seine eigene Lebensart. Jedes Wesen hat auch eine Form, eine Aufbauart, die ihm eigen ist und woraus man es erkennt und woraus man auf seine Eigenschaften und seine „Natur“ schließen kann. – So hat auch Gott eine ganz „eigene Lebens- bzw. Existenzart“, aus der man auf „sein Wesen“ schließen kann.

4207 |        Gott ist Geist und besteht aus „Geist-Stoff“. Aber auch dieser Geist-Stoff ist eine Wirklichkeit, hat eine Aufbauart und besitzt gewisse Eigenschaften. Jede Eigenschaft hat aber ihr Gesetz (sonst wäre es keine Eigenschaft), verläuft gleichsam nach „Grundlinien“ und hat Merkmale. Eine Fülle von Eigenschaften besitzt auch eine Fülle von Merkmalen und Auswirkungen. Jedes Merkmal aber erlaubt wieder Rückschlüsse auf den Inhaber der Eigenschaften.

4208 |        Die Fülle der Eigenschaften Gottes braucht auch einen „Existenzraum“, um sie zu besitzen. Gott hat aber keine zeitlich-räumliche Ausdehnung, wie etwa ein Punkt zum anderen oder zu einer Linie, die sich verbinden müssten, um eine Existenz zu ermöglichen. Gottes Wesen ist vielmehr zeit-raumlos. Die Existenz Gottes ist gesichert durch sein Wesen selbst. Gott kommt von nirgendsher und hängt von niemand ab. Er hat alles aus sich. Mit seiner Existenz sind auch all seine Eigenschaften und Vollkommenheiten vorhanden. Er existiert durch seine Existenz. Dennoch hat er einen geistigen „Raum“, einen „Existenz-Raum“, der aber rein geistig und ganz auf den Geist gestellt ist.

4209 |        Gottes Wesen, obwohl Rein-Geist-Wesen, hat auch eine „Struktur“ eine Art des Aufbaus seiner Vollkommenheiten, weil jede Eigenschaft aus einer bestimmten Ordnung folgt und hervorgeht. So ist in Gott eine Geist-Struktur und eine Geist-Ordnung, aber nicht eine Ordnung durch ein „nacheinander“, sondern im „ineinander“, eine unmittelbare, wesentliche, logische Ordnung. Je höher ein Wesen steht, desto größer ist der „Existenzraum“, den es nötig hat, um seine Eigenschaften „ausleben“ zu können; denn es braucht für jede Eigenschaft eine gewisse Zeit, einen Raum und ein Merkmal, um sie auszuleben und auszudrücken. Dafür ist bei den Geschöpfen eine vielfache Möglichkeit gefordert. In Gott aber ist nur eine „Möglichkeit“, jedoch eine allumfassende, nämlich seine göttliche Allmacht. Diese ist gleichbedeutend mit der Vielfalt seiner göttlichen Eigenschaften und ist nur von seinem göttlichen Willen abhängig.

4210 |        Wie kann sich aber ein solches Wesen selbst besitzen, regieren, überschauen? Gott überschaut sich mit EINEM göttlichen Akt, der seine göttliche Existenz selbst ist. Die göttliche Existenz „bietet“ ihm all seine Eigenschaften und Vollkommenheiten. – Gottes Wesen ist also ganz „einheitlich“ und einfach, eine Einheit von vielen „Möglichkeiten“, die aber alle seiner göttlichen Existenz eigen sind; in Gott kommt alles aus „Einem“ heraus und hält sich alles in „Einem“ zusammen, und dieses Eine ist er selbst.

4211 |        Gottes Wesen hat also eine „Form“, eine Struktur, eine Aufbauart, denn er ist nicht bloß ein Scheinwesen, sondern ein lebendiges Wesen; nicht etwa nur ein Licht oder Blitz oder einer Sonne – Gott hat ein geistig-strukturelles Wesen.1724 Wie umfasst sich dieses geistig-strukturelle Wesen? Es umfasst sich durch seine göttliche Seinsart, durch seine göttliche Natur, die eben „so“ ist und sich dadurch von allen anderen Wesen unterscheidet. Gottes Wesen umfasst sich kraft seiner göttlichen Natur. In der göttlichen Natur sind alle göttlichen Eigenschaften und Vollkommenheiten enthalten, und diese Eigenschaften und Vollkommenheiten sind seine göttliche Natur – die Art seines Wesens, die Voraussetzungen und Gegebenheiten seiner göttlichen Existenz.

 

Verschiedene kleine Nachträge

4212 |        Das „Sein“ ist sozusagen das „Urelement“ (oder gleichsam der „Urstoff“) jeder Existenz. Damit etwas existieren kann, muss „etwas“ da sein. Das Sein ist der Uranfang jeder Tatmöglichkeit, jedes Geschehens, der erste Akt jeder Tatmöglichkeit. „Sein“ ist gleichsam das, was ein Samenkorn für die Pflanze oder für den Baum ist.

4213 |        Bei der Taufe werden – zugleich mit der Wiederherstellung einer durch die Erbsünde verlorenen Verbindung mit Gott oder mit der Wiederaufnahme der Seele in den Liebeskreis der Heiligen Dreifaltigkeit kraft der Zuwendung der Erlöserverdienste – der Seele selbst die drei „göttlichen Tugenden“ eingegossen. Das will heißen: Vermöge [aufgrund] dieser Eingießung oder Mitteilung kann die Seele, wenn sie zum Gebrauch der Vernunft gelangt, diese theologischen Tugenden üben; es ist dir möglich, diese göttlichen Tugenden praktisch zu üben, und zwar „im Lebenskreis Gottes“, in jener „Einheit mit Gott“, in die sie mittels der Taufe erhoben wurde. – Mit dem Erwachen der Vernunft beginnt aber für die Seele auch die Pflicht, sich in der dreifachen Art (der theologischen Tugenden) Gott gegenüber zu betätigen, d. h., die eingegossenen Möglichkeiten, Gnaden oder Hilfsmittel in praktischer Betätigung auszuüben.

4214 |        Glauben heißt: Eine Idee annehmen, die dem menschlichen Verstande vorgelegt wird. Dieses Glauben oder Annehmen ist Sache des Verstandes und zugleich Sache der Moral oder der sittlichen Willenshaltung. Unter beiden Rücksichten werden daher Bedingungen für die Möglichkeit der Annahme oder die „Annehmbarkeit“ der betreffenden Idee gestellt: die Annahme muss nämlich begründet oder „vernünftig“ sein, und es müssen ferner die (sich aus der Annahme ergebenden) moralischen Konsequenzen bejaht und auf sich genommen werden; denn die Annahme durch den Verstand bringt mit sich die Konsequenz der Moral oder der Ausführung. Wer also das Vorgelegte annehmen will, sucht in sich zu einem Ausgleich zu kommen zwischen Wollen und Können. Wohl ist der Glaubensakt ein Akt des Verstandes, aber diesem Akt des Verstandes geht voraus die „Sympathie“ für das Vorgelegte, was einem Liebesakt gleichkommt; daher gibt der menschliche Wille (zusammen mit der Gnade) die entscheidende Antwort oder setzt den ersten Akt gegenüber der vorgelegten Idee. Dieser Liebesakt des Willens kann sogar den Verstandesakt überbieten. Deshalb ist ein Akt des Glaubens an Gott die größte Huldigung an Gott; denn dieser Akt ist eine Anerkennung seines göttlichen Wesens.

4215 |        Vergeistigung ist eine gewisse Mitbefähigung des gesamten Menschseins für die Betätigungsart der geistigen Seele. – Neben der mehr physischen, d. h. mündlichen Gebetsart gibt es zum Beispiel eine höhere, mehr unmittelbare und geistige Gebetsart der Seele, nämlich das „innere“ Gebet. Hierin kann man wieder die „gewöhnliche“ Gebetsart des inneren Gebetes (die Betrachtung, die persönliche, geistige Hinwendung zu Gott, das persönliche Bemühen um das Festhalten der Vereinigung mit Gott) – und das Gebet der „Beschauung“ unterscheiden.

4216 |        Gerade das Erlösungsgeheimnis will Gott für unsere Zeit tiefer beachtet wissen. Aus dieser vertieften Erkenntnis des Erlösungsgeheimnisses wird ein neuer Strom von Gnaden für die Gesamtkirche zu fließen beginnen. Das Erlösungsgeheimnis führt aber naturgemäß zurück ins Paradies, wo die Ursache für die Notwendigkeit der Erlösung lag. Es fehlt ein Kernpunkt des Christentums oder des christlichen Lebens, wenn nicht ein lebendig geübter Glaube auf diese erste Ausgangsquelle des Menschen als eines reinen Ebenbildes Gottes zurückgeht.

4217 |        Gott ist reiner Geist; Maria aber war durch die Überfülle des Geistes befähigt, den „Geiststoff“ Gottes in sich aufzunehmen. Durch den Akt des Heiligen Geistes wurde das menschliche Leben Jesu in ihr gebildet. Maria hat auf diesen geistigen Akt nicht in ihrer leiblichen Reaktion erwidert, sondern nur in einem rein geistigen Akt der Annahme. Es war also keine leibliche Vaterschaft vorhanden, sondern das Tragende und Ermöglichende war die Gnadenfülle in Maria.

4218 |        Die Fülle dieses Gnadenzustandes in Maria bedeutete auch eine wunderbare Einheit ihres geistig-physisch-psychischen Lebens; und diese Einheit machte es möglich, dass sie das „göttliche Gefäß“ wurde.

4219 |        Maria hat nie eine moralische Erniedrigung in sich gefühlt, sondern nur die allgemein geschöpfliche. Auch hierin herrschte in ihr die Wahrheit. Trotzdem hielt sie sich aber nicht für mehr als die anderen Menschen; so sehr war ihre Seele in sich „gehalten“ und auf Gott allein hingerichtet, dem gegenüber sie sich in der Niedrigkeit des Geschöpfes und der Magd Gottes wusste und fühlte.

4220 |        War nun Mariens Leben verdienstlos, weil sie keine Schwierigkeiten hatte? – Gewiss wären die seinshaft gegebenen Anlagen Mariens verdienstlos und wertlos gewesen, wenn Maria sie nicht für das praktische Leben ausgenützt und verwertet hätte. Wie die hohen, von Gott geschenkten Gnaden für die ersten Menschen wertlos blieben, weil diese nicht mitgewirkt haben, so wäre es auch bei Maria gewesen, wenn sie nicht mitgewirkt hätte. – Maria aber hat vom ersten Augenblick ihres Bewusstwerdens an alles unbefleckt bewahrt und treu benützt, was ihr Gott als Gnadengeschenk mitgegeben hatte. Die praktische geübte Tugend aber machte das von Gott Erhaltene erst vollends wertvoll und verdienstlich. Dieses vollkommene Mitwirken mit der jeweiligen Gnade war aber für Maria trotz ihrer hohen Anlage nicht mühelos. Sie hat die Gegensätze von außen und von der Umwelt sowie die Erschwernisse der leidensfähigen Natur empfunden und dennoch hat sie alle Gnaden folgerichtig und vollkommen verwertet und verarbeitet und hat dadurch die von den jeweiligen Verhältnissen und Lagen geforderten Tugenden vollkommen geübt und ihnen dadurch vollen Wert und Verdienst gegeben. Das war ihre große Leistung und daraus kommt die hohe Vollendung ihres Daseins und Lebens. Dass sie durch treues, vollkommenes Mitwirken mit der Gnade Gottes das war und blieb, was Gott von ihr wollte und wünschte; das erst machte sie vollends zur höchsterhobenen Frau.

4221 |        Die Betrachtung der Gnadenherrlichkeit Mariens ist für uns nicht ohne Bedeutung. Ihr hoher Gnadenzustand soll in uns das Bedauern wecken über den eigenen gefallenen Zustand; und jeder Christ soll in Maria das vollendete Vorbild und Ideal sehen, an dem und nach dem er sich bilden kann und soll, um das Wohlgefallen Gottes wieder ganz zu erwerben. – Darin liegt auch der tiefe und wahre Sinn der Andacht und der Verehrung zum reinsten Herzen Mariens.

4222 |        (Als ich mich wunderte, dass die Mitteilungen nicht bloß ganz unerwartet, sondern auch scheinbar ohne Zusammenhang mit dem unmittelbar Vorhergehenden gegeben werden, wurde mir zu wissen getan: Es sollen die Offenbarungen nicht als ein System oder als Theorie erscheinen, sondern als lose Offenbarungen, die nicht verstandesmäßig geordnet sind. Die Theorie soll und wird dann von Außenstehenden aus dem logischen Zusammenhang der einzelnen fortlaufenden Offenbarungen herausgeholt werden.)

 

August

07.08.1949

4223 |        Ein großes Geheimnis im Gottmenschen war auch dieses: Wie wurden in der menschlichen Natur Jesu jene Energien erzeugt, die notwendig waren, um dem Sein und den Anforderungen der göttlichen Natur des Wortes zu genügen? Auch in der menschlichen Natur Jesu musste eine entsprechende physische Elastizität und Tragkraft geschaffen werden, um der Eigenart des Wesens und Daseins der göttlichen Person das bieten zu können, was zu einem wahren gottmenschlichen Leben nötig war.

4224 |        Mit dem „beginnenden“ Menschenleben fängt jener, dem „Leben“ eigener Kreislauf und Rhythmus zwischen den beiden „Lebenselementen“, dem seelischen und dem leiblichen, an, den wir den „Lebensumsatz“ nennen. Das Entscheidende, und der tragende „Lebensodem“, ist dabei immer die geistige Seele. Die „Lebendigmachung“ der ersten Keimzelle ist ein Zusammenkommen dieser zwei Lebenselemente oder Lebensmöglichkeiten, deren jede, ihre besonderen Eigenheiten in sich trägt. Sie verbinden sich zu Einem und beginnen ein „Leben“ mit einheitlichem Gepräge. Dabei schließt Lebensanfang als Akt der geistigen Seele in sich die unbedingte Abhängigkeit vom göttlichen Höchst- und Allein-Wesen, das jedem neuen menschlichen Wesen Ziel und Richtschnur ist. Mit dem Akt seines Anfanges verfällt der Mensch „wesensnotwendig“ einer Unterordnung unter eine höhere Ordnung, die gleichsam zu seinem Gesetz oder zu seiner Gesetzgebung wird. Diese Geist-Ordnung wird in das beginnende Leben eingebaut und wird zu dessen moralisch-sittlichem Gesetz. Ähnlich, wie schon Pflanzen und Tiere an ihr „Triebziel“ und damit an ihre Art- und Gattungsordnung gebunden sind, nach denen ihr Dasein verlaufen wird, so sind im Menschen auch höhere, sittliche Gesetze als Daseinsordnung eingebaut, und damit sind auch die entsprechenden Fähigkeiten oder Potenzen grundgelegt. Über diese seine Fähigkeiten und Wertanlagen muss der Mensch einmal selbst verfügen und ist über ihre Verwertung verantwortlich. Das menschliche Dasein ist keine improvisierte1725, sondern eine zielbewusste, selbstverantwortliche Existenz.

4225 |        Dieses verantwortliche „über sich selbst verfügen“ oder – mit anderen Worten – diese moralische Konzentration, die das gesamte Wesen des Menschen im Hinblick auf das eigentliche, höchste Lebensziel umfasst und im Auge behält, hat ihren Sitz in der „Personspitze“ (oder im „Personkern“). Diese „moralische Konzentration“ ist eine geistige Fähigkeit, über die nur der Mensch allein – im Gegensatz zu den anderen Lebewesen – verfügt; sie gipfelt im persönlichen Verantwortungsgefühl oder Verantwortungsbewusstsein, das wiederum einen entsprechenden geistig-leiblichen Umsatz voraussetzt. Jeder normale Mensch ist mit dieser Geistgabe ausgestattet, die ihn über die anderen Geschöpfe erhebt. Diese Geistgabe steht aber doch nicht isoliert in der Geiststruktur der Seele allein, sondern nimmt ständig auf das gesamte Menschsein Bezug und auch auf das physische Geschehen im Menschen. – Dieser verantwortliche Bewusstseinsakt erwacht schon im verhältnismäßig kleinen Kinde, wird in das werdende Menschsein aufgenommen und eingebaut, und vollzieht sich während des ganzen Lebens.

4226 |        Obwohl nun dieser Bewusstseinsakt der Selbstverantwortlichkeit an sich ein Geistesakt ist, stellt er doch auch einen ständigen Verbrauch von physischen Energien dar, die aus den physischen Kräften geholt werden. Jedes Geistgeschehen im Menschen, auch das höchste und feinste und vielleicht gar nicht mehr empfundene, holt sich ja entsprechende Kräfte aus der physischen Struktur, die aus dem Leib genommen und für den geist-leiblichen Umsatz verwertet werden. Man kann sagen, dass das ganze menschliche Dasein einen unaufhörlichen Umwandlungsprozess darstellt, durch den gleichsam Geistiges zum Leiblichem und Leibliches zum Geistigem wird.

4227 |        Auch im Gottmenschen vollzog sich ein ähnlicher psycho-physischer Umwandlungsprozess. Als die göttliche Person in den Schoß Mariens herniederstieg, lebte sie sich dem jungfräulichen Fleische Mariens ein und gebrauchte das Fleisch zu göttlichen Funktionen. So vollzog sich schon im zarten Dasein Jesu jene gottmenschliche Funktionsart, die den Leib Jesu anbetungswürdig machte. Der Leib Jesu stand ständig in einer gewissen Bezugnahme auf die göttliche Person selbst und ermöglichte gleichsam den Übergang des göttlichen Seins. Diese Tatsache kann uns eine Ahnung geben von der hohen Geistigkeit und Befähigung der menschlichen Natur Jesu. Auch in Christus tat die Person selbst nichts ohne den Leib und der Leib nichts ohne die göttliche Person. Die göttliche Persontätigkeit übernahm den „Zusammenschluss“ und die Zusammenarbeit zweier in sich ganz verschiedener Elemente, deren Kernpunkte einerseits das göttliche Wollen, anderseits die Erfahrung des menschlichen Daseins Jesu waren. Diese beiden Tatsachen waren sozusagen der Schlüsselpunkt, um den das gottmenschliche Dasein Christi kreiste. Obwohl Jesus als göttliche Person reiner Geist war, blieb dieses Geistsein in Christus nicht isoliert und allein stehen, sondern verband sich mit leiblichen Energien zu einem Lebensumsatz; sonst wäre Christus kein wahrer Mensch gewesen. „Mensch sein“ heißt: Den ersten göttlichen Anhauch vorausgesetzt, „sich selbst bilden“ erzeugen und ausleben. Auch im Gottmenschen wurde dieses „Sich-selbst-ausleben“ eine wirkliche und wahre Tatsache, und so nahm das ewige Wort Gottes, durch das alles geschaffen wurde, Anteil am Werk seiner Schöpfermacht.

4228 |        In jedem Menschen ist auch das „Ziel“ seines lebendigen Daseins eingeprägt und diese Hinordnung auf das „Ziel“ hat wiederum Einfluss auf die individuelle Art des Lebensumsatzes und auf die Anforderung entsprechender Energien. Das Bewusstsein des Menschen aber umkreist sozusagen seinen eigenen Werdegang bis zu dessen Vollendung. Ein Mensch, zum Beispiel der geistig viel leisten soll, hat einen anderen Energieverbrauch als ein Arbeiter mit der Hand. – Energien sind Reserven des Geistes, die sich auch aus den Tiefen des Physischen erheben. Aber wo entspringen diese Energien und wo knüpfen sie an? In erster Linie im persönlichen Verantwortungsgefühl. Ein Kind im zartesten Alter trägt seine Energien im Unterbewusstsein, wo sie gleichsam vorgebaut und aufgespeichert sind. Die Art und Weise der physischen Behandlung, die dem Kinde zuteilwird, trägt auch mehr oder weniger bei zum Vorrat oder Überschuss an Energiebildung. Auch die Vererbung spielt eine große Rolle.

4229 |        Bei Christus nun war der Zweck seines Daseins das „Gott-Menschentum“, in das sich die Erlöseraufgabe einbaute. Dieses Ziel des „Gottmenschentums“ gab dem Heiland eine unaussprechliche1726 „Breite und Weite seines Wesens“. Ein König, der sein Land zu regieren hat, muss eine der Größe seines Landes entsprechende Sicht seines Wesens haben; sonst ist er unfähig, König zu sein. Bei Christus aber stand die göttliche Person vom Augenblick der Menschwerdung an in der Sicht seines Wesens als Gottmensch. Diese Sicht wurde in das „Menschentum“ selbst eingefasst und eingebaut. Damit wurden alle göttlichen Eigenschaften sozusagen auch menschliche Eigenschaften; denn die göttliche Person konnte ihre göttlichen Vollkommenheiten, zur Zeit ihres Menschseins nicht beiseite tun. Christus wurde somit zu einem Menschen, wie es vorher und nachher keinen gab, zu einem „Pracht-Menschen“, wenn das Wort erlaubt ist. Seine psycho-physische Funktionsart stellte eine ungeheure Arbeitsleistung des Lebensumsatzes oder der vitalen Umsatzbefähigung dar. Sein leibliches Dasein schloss eine unvorstellbare Leistungselastizität in sich. Man muss das Ziel dieser Leistung im Auge behalten: Gottes Wesen als reines Sein ist vollkommen einfach; die aus Gottes Wesen folgenden Eigenschaften wurden aber auf das menschliche Leben oder Gebiet übertragen, sodass die göttlichen Vollkommenheiten auch mit menschlichen Fähigkeiten ausgelebt wurden. Schon der erste gottmenschliche Lebensumsatz durch die göttliche Person mit menschlicher Funktionsart war eine Riesenleistung in der Keimzelle Mariens. Die göttliche Person nahm das menschliche Dasein entsprechend den physischen Gegebenheiten in Maria und entsprechend den Gesetzen des Wachstums und der Entwicklung, also schrittweise, in sein gottmenschliches Bewusstsein auf. Mit dem Anfang des gottmenschlichen Lebens bildeten die fortschreitenden Entwicklungsstufen die ersten menschlichen Erlebnisse für die göttliche Person. Durch die Übertragung des göttlichen Seins auf die Tragfähigkeit der menschlichen Natur bildete sich ein wundervoller Kreislauf aus. Infolge der Zielbewusstheit der ewig und ständig sich selbst bewussten göttlichen Person erhielt die menschliche Natur Jesu eine ganz andere (als beim gewöhnlichen Menschen) erweiterte Funktionsart. Die menschliche Persontätigkeit bleibt lange Zeit im Unterbewusstsein und entwickelt sich ins Bewusste auf einer Grundlage, die verschiedenen unsicheren und wie zufälligen Möglichkeiten unterworfen ist. – Ganz anders beim Gott-Menschen; denn die göttliche Person ist wahrste und vollste Wirklichkeit, und höchste Zielbewusstheit, ohne eine irgendwie bloße „Möglichkeit“ oder Zufälligkeit, so wie es bei unserem Menschsein der Fall ist. Auch der beste Mensch kann seine Eigenschaften nicht in dem Maße ausleben wie er möchte, weil seine Anlagen beschränkt und vielerlei Zufälligkeiten und Möglichkeiten ausgesetzt sind. Die menschliche Natur Christi aber war von den göttlichen Eigenschaften gleichsam „durchpulst“ und besaß hierfür auch entsprechend „unbegrenzte Fähigkeiten“, denn sie war ja hierfür geschaffen und in besonderer Weise ausgestattet worden. Gewiss lebten sich nicht alle göttlichen Eigenschaften in vollem Maße in der menschlichen Natur Christi aus, aber sie waren doch untrennbar mit dem göttlichen Wesen der Person Christi verbunden und Christus hätte an sich in jedem Augenblick der Gewaltige sein können, als der er einmal kommen wird, um die Menschen zu richten. Als Erlöser zog es aber Jesus vor, wie ein beschränkter Mensch zu erscheinen, doch seinem gottmenschlichen Wesen nach war er deshalb nicht weniger machtvoll und groß.

 

xx.08.1949

4230 |        Kann Gott „Mensch“ werden? – Ja, dadurch, dass sich die menschliche Natur der göttlichen Natur anpasst bzw. dadurch, dass die entsprechenden Fähigkeiten und Eigenschaften der menschlichen Natur in den Dienst der göttlichen gestellt werden.

4231 |        Gibt es für uns „konkrete“ Gotteserkenntnisse? – Es gibt für uns keine allgemeinen oder universellen Gotteserkenntnisse, denn Gottes Wesen lässt sich in keinem „System“ erfassen. – Es gibt zwar konkrete menschliche Begriffe, womit man zum Beispiel das Wesen „Mensch“ gleichsam zerlegen und irgendwie erklären kann. Aber schon das Wesen der Seele bleibt dabei immer irgendwie im Dunkel gehüllt und kann von uns nicht so erklärt werden, wie wir den Funktionen des Leibes nachgehen und sie erforschen können. Und doch ist der Leib gleichsam der Träger der Seele, der sich immer den Anforderungen des Geistes fügt.

4232 |        Wir Menschen haben keine anderen Möglichkeiten, uns selbst zu erforschen als den Weg über „uns selbst“, indem wir uns selbst zum Mittel der Forschung nehmen. Der Mensch kann seine eigenen Funktionen nicht unmittelbar und auf einmal überschauen, er kann ihnen aber „nachgehen“ und kann sie durch Folgerungen, Anwendungen und Herstellung von Beziehungen erforschen. Jede Erforschung und Kenntnis des Menschen ist noch über diesen Weg gegangen, der fruchtreicher und sicherer ist als der Weg über den „äußeren Anschauungsunterricht“. – Auch ein gelehrter Mediziner muss zur Erforschung des „Menschen“ vor allem eifriges Selbst-Studium betreiben, und dazu sollte er vor allem selbst eine gesunde und geordnete Lebensweise führen und den „Eigenwirkungen“ nachspüren. Ein Mediziner, der selbst ein ungesundes, anormales und amoralisches Leben führt, kann kaum zu einer psychologisch-medizinischen Kenntnis des Menschen gelangen, weil ihm die Selbstanwendung eines gesunden Eigenlebens fehlt. Medizinstudium sollte zugleich Studium der Psyche sein. Die materialistische Lebensanschauung will törichterweise im menschlichen Körper nur einen „Stoff“ sehen, über den man nach menschlichen Begriffen verfügen kann. Tatsächlich liegt aber den Erkrankungen des Körpers meist ein „Symptom“ des menschlichen Geisteslebens mit zugrunde, das nicht zu ignorieren ist. Die Eigenart der Seele eines Menschen bedingt auch entsprechende physische Anlagen und Schwächen, denen der Mensch zum Opfer fällt. Und wie das Seelenleben selbst einen großen Einfluss auf die körperliche Funktionsweise ausübt, so verursacht umgekehrt eine fehlerhafte physische Funktionsweise seelische Unstimmigkeiten und Unarten. Ähnlich wie schon Tier und Pflanze ihre Eigenfunktionen besitzen, die auch bestimmte Zuflüsse von außen zu ihrer Existenzmöglichkeit erheischen, so ist noch mehr der Mensch selbst nicht bloß „Stoff“ der auf gewaltsame Einwirkung des Mediziners nach bestimmten Gesetzen reagiert, sondern er ist auch „Geist“, dem sich der Mediziner unterordnen muss.

4233 |        Die besagte Selbsterforschung und Eigenanwendung würde dem Mediziner vielleicht ungeahnte Erfolge in der Behandlung kranker Menschen sichern. Die Erhaltung und Wiedererlangung der Gesundheit setzt jedenfalls eine geistig gesunde Lebensweise voraus, in [der] das „Naturrecht“ beobachtet wird.

4234 |        Das gottgegebene Naturrecht und Naturgesetz enthält tatsächlich auch entsprechende Normen zur Gesunderhaltung des Körpers. Freilich ist der Einzelne immer auch von seiner Umgebung und seinen Lebensverhältnissen abhängig, aber nach den Absichten und Plänen des Schöpfers sollte die menschliche Gesellschaft sich auch um die gegenseitige Gesundheit und Gesundung bemühen.

4235 |        Im Menschen werden die Wege des Geistes auch zu Wegen des Leibes, und somit sind die Funktionen des Leibes im Menschen ausnahmslos auch „Geisttätigkeiten“. Der Geist des Menschen baut – als „Leibseele“ – den Körper auf. Schon die Anfänge des Menschen werden ausgelöst durch einen Akt des Geistes, der ein Doppeltes bewirkt: Die treibenden Leibfunktionen und die beherrschende Geistfunktion, die den Ersteren ihr Ziel anweist. Schon der erste Lebensumsatz vollzieht sich in Hinordnung auf das Ziel, dem dieser Umsatz gilt. Die letzte „Ursache des Zieles“ ist aber eine höhere Abhängigkeit, der dieses Ziel zugeordnet ist. Diese Zu-Ordnung ist aber keine „zufällige“, belanglose, sondern eine planmäßige und verpflichtende. Das Wesen des Menschen und dessen Auswirkungen weisen Spuren auf, die den Menschen deutlich von den anderen Wesen unterscheiden, von denen übrigens er selbst sich auch klar [zu] unterschieden wissen will. – Die Geistrichtung des Menschen ist nicht „selbstproduzierend“, sondern eine als Zielrichtung gegebene. Der gesamte psycho-physische Lebensumsatz im Menschen ist ein zusammenfassend konzentrierter und hat zum Ergebnis das „Person-sein“ oder – mit anderen Worten – das „Sich-selbst-regieren“. Der gesamte Umfang dieses Selbstregierens muss aber im Menschen notwendig zu einer „Leistung“ führen. So gibt es für jeden Menschen eine pflichtgemäße Leistung, für die der Einzelne so verantwortlich ist, dass er sich dieser Verantwortung nicht entziehen kann. So ist der Mensch, seinem Wesen nach, kein zufälliges Gebilde, und er steht nicht in einer „Zufalls-Ordnung“, sondern in einer Pflicht-Ordnung. Eine solche gibt es aber nicht ohne Gesetz-Ordnung und Gesetzgebung.

4236 |        Der Mensch ist also in den Rahmen einer Gesetz-Ordnung hineingestellt, der gegenüber er sozusagen „positiv“ und „negativ“ verantwortlich ist, denn er ist in sich selbst einer Belohnung oder einer Strafe überantwortet. Er kann weder sein positives Verhältnis zu sich selbst leugnen wie – und dies vielleicht noch weniger – sein negatives Verhältnis der Gewissensbisse usw.. Keinem Menschen wird es je gelingen, diesem „seinem Rahmen“ zu entfliehen.

4237 |        Wo aber ein Gesetz ist, da ist auch ein Gesetzgeber. Und je unmittelbarer, d. h., auf den Menschen selbst konzentriert, sich dieses Gesetz auslöst, desto näher, unmittelbarer und unausweichlicher tritt damit der Gesetzgeber hervor und macht er sich geltend. Diese Gesetz-Ordnung betrifft nicht bloß das Verhältnis des Menschen zu seinem Nebenmenschen, sondern auch und vor allem seine inneren Verhältnisse „in sich selbst“. Diese Gesetzordnung ist in das eigene Wesen des Menschen hineingeschrieben, und so ist ihm sein eigenes Wesen der Weg und das Mittel zur Erfüllung des Gesetzes.

4238 |        Die Wege aller Menschen münden ihrer Bestimmung nach in einem gemeinsamen Ziel. Wenn sie recht und gut begangen werden, bringen sie dem Menschen eine allgemeine Auslösung des Guten und die Sättigung seiner Wünsche. Im anderen Fall, d. h., wenn der Mensch unrechte oder weniger gute Wege geht, ist das Ergebnis eine Verschlimmerung der inneren Lage des Menschen, allgemeine Verwirrung, Unfriede und Verzweiflung. Während die anderen Wesen ein unbewusstes Ende ihres Weges haben, steht der Mensch am Ende seines Lebens tatsächlich „am Anfang seines Zieles“. Wenn auch der Materialismus sich bemüht, die Eigenart des menschlichen Daseins ein „zufälliges“ Zusammentreffen von Ereignissen und Gesetzen zu nennen, wodurch [sich] das Dasein des Menschen ohne tiefere Zielhaftigkeit so oder anders gestalten würde, so kann sich doch der einzelne Mensch dem Gesetz und damit dem Schicksal nicht entziehen, dem er in sich verhaftet ist. Der Mensch findet Ruhe im Gutsein. Dieses Gutsein bringt ihm in sich schon eine Anerkennung, vor der alle Güter der Erde mit ihren Genüssen verblassen und zurücktreten müssen. Darum gibt es ja auch keine allgemeine oder allen gleiche Eigenwertung, sondern nur eine individuelle und persönlich verantwortliche. Wäre jedoch der Mensch ein bloßes Zufallswesen, der von mechanischen Gesetzen geleitet wird, dann gebe es auch nicht den individuellen persönlichen Verantwortungs-“Instinkt“; es gebe nicht diese tatsächliche persönliche Unentrinnbarkeit, die wie eine mit dem eigenen, persönlichen Wesen verbundene „Schicksalsverhaftung“ ist. Der Mensch ist sich selbst und dem in sein Wesen hineingeschriebenen Gesetz so unmittelbar verhaftet und verantwortlich, dass er sich selbst nur in der Anerkennung eines höchsten Wesens ganz zurechtfindet. Die Idee dieses höchsten Wesens muss sich der Mensch aus Begriffen formen, denen er selbst verhaftet und überantwortet ist. – Die große Menschheitsfrage war immer die nach der Herkunft oder nach dem Ursprung der Menschen. Nun ist aber die Menschheit nicht von einer allerhöchsten Ordnung zu trennen; und diese oberste Ordnung ist in sich eine Hinleitung zu „allem Guten“, die dann in die höchste Befriedigung und Glücksauslösung mündet. Ist in einem Menschenleben wirklich alles sittlich gut und vollkommen, so ist damit das höchste Glücksempfinden gewonnen. Weil aber der Mensch nicht als Alleinwesen konkret im Guten existieren kann, bzw. weil das Gute nicht von einem bestimmten Verantwortungsgesetz auch anderen gegenüber gelöst werden kann, so gibt es für den Menschen einen Mittelpunkt, um den seine Taten kreisen und in dem er auch die volle und letzte Erfüllung des Gutseins und für sein Gut-sein-wollen findet.

4239 |        Der Mensch ist sich selbst „Mittel“ zum Gutsein und zugleich auch Erfüllung des Gutseins und schließlich auch Objekt der Belohnung des Gutseins. So ist der Mensch sich selbst Mittel zum Zweck und es gibt im Menschen nichts, was außerhalb seines Lebens erfüllbar wäre. Auch die Wege der Vernunft münden in die Anerkennung eines höchsten Wesens ein, sodass der Mensch im Glauben jenes höchsten Wesens festhält, die Wege des von ihm gegebenen Gesetzes geht und von ihm seine Erfüllung erwartet.

4240 |        Wenn zwei Menschen auch zusammen einen Weg des vollkommenen Guten gehen würden und damit für dieses Leben zur Auslösung des vollen Glücks und der Befriedigung kämen, so wäre dies doch immer nur ein mangelhaftes Glück, weil es mit dem Tode aus wäre. Um also an den Fortbestand ihres Glückes zu glauben, müssten sie an ein ewiges Leben und somit an Gott glauben. – Gott ist der unumstößliche Mittel- und Wendepunkt.

4241 |        Wie der Geist des Menschen die ganze Schöpfung erforschen will und erforscht und wie sein Geist sozusagen rastlos arbeitet, um den Geschehnissen der sichtbaren Schöpfung und deren geahnten Geheimnissen nachzugehen, so hat der Mensch auch seine „innergeistigen Anlagen“, durch Begrifflichkeiten seinem Schöpfer und Gott näherzukommen. Wie der Geist des Menschen in der Erforschung des Kosmos dessen inneren Gesetzen nachgeht, so sollte er auch keine Mühe scheuen, um dem Wesen Gottes nachzuspüren, von dem er doch ein Ahnen in seinem Herzen trägt.

4242 |        Die Wiedergeburt im Heiligen Geiste geht über den Tod des alten Menschen. – Was Gott gleichsam zu Gott macht, das ist seine Heiligkeit, sein Geist, sein Heiliger Geist. Der Mensch kann – infolge des innigen Verhältnisses zwischen Geist und Leib – nichts im Geiste vollbringen, was nicht der Leib gleichsam mit vollbrächte und wozu er nicht zustimmen würde. Je mehr sich aber der Mensch an Gott kettet, desto mehr wird er Gott ähnlich und wird die Art des Geistes Gottes in ihm wirksam und fließend. Diese Ankettung an Gott vollzieht sich zuerst in den höchsten Fähigkeiten des Geistes, muss aber allmählich den ganzen Menschen durchdringen, sodass auch die leiblichen Funktionsweisen in ihrer Art dem geistig-religiösen Wollen angeglichen und angepasst werden. Es muss der durch die Erbsünde in den Menschen hineingetragene Spalt zwischen Seele und Leib wieder in etwa überbrückt werden. An sich müsste der Mensch danach streben, eine Einheit wiederherzustellen, die jener ähnlich ist, in der Gott die Menschen einmal geschaffen hatte.

4243 |        Wenn man die geistige Harmonie zwischen Leib und Seele bis zur höchsten Stufe erleben könnte, dann würde man eingeführt in das Wesen Christi, der in dieser Einheit geboren wurde und der als Menschenkind mit dieser Vollkommenheit in die Welt eingetreten ist. Wenn man sich dieses Geistesweges bewusst würde, so könnte man von da aus einigermaßen den Gottmenschen erfassen.

4244 |        Das war auch der Zustand in Maria, deren Wesen wie naturhaft auf Gott hingerichtet war, da in ihr die Harmonie der Funktionen zwischen Seele und Leib vollkommen war. – Im Paradies war dies ein selbstverständlicher, innerhalb der Übernatur gleichsam natürlicher Zustand.

4245 |        Der Heiland hat gesagt: „Wenn ihr nicht wiedergeboren werdet aus dem Wasser und dem Heiligen Geist, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen“. Eine volle „Wiedergeburt“ des Menschen, wie Gott ihn erschaffen hatte, müsste über die Seele und den Leib gehen. In Maria ist diese Wiedergeburt kraft ihrer besonderen Auserwählung neu geschaffen worden. In ihr war die neue Wiedergeburt dessen, was im Paradies verloren gegangen ist. Und diese Wiedergeburt ist in ihrer Vollendung auch eine wahre Neugeburt des Fleisches. Nicht die Seele allein, sondern auch der Leib ist ja sündig; und weil die Seele nichts tut ohne den Leib und eine beständige gegenseitige Ergänzung herrscht in allen Taten und moralischen Vollkommenheiten, so muss auch der Leib entsprechend der Seele umgebildet werden, denn er ist das Werkzeug der Seele. Das gegenseitige Harmonieren zwischen Seele und Leib im Menschen ist nach dem Plan Gottes etwas so Wunderbares, dass gleichsam eine Neuschöpfung des Leibes notwendig ist, um eine volle Wiedergeburt in Christus, eine völlige Neugestaltung zu erzielen, soweit dies in der jetzigen Ordnung möglich ist.

4246 |        Jede Aszese und jeder Abbruch, der dem Leib angetan wird, trägt bei zur Wiedergeburt des Leibes im Geiste des höheren Willens der Seele. Es muss ja auch der Leib umgebildet werden nach dem Geist der Seele, die umgewandelt werden soll in das Leben Christi. – In Maria war diese volle Herrschaft des Leibes gegenüber der Seele schon das Wunderwerk des Vaters bei der Erschaffung, insofern der Leib schon der Vollkommenheit der Seele angepasst war.

4247 |        Die Aszese ist der Anfang der Umbildung, die in unzähligen Stufen sich aufbaut, bis die Herrschaft der Seele nach dem Geiste Christi auch zu vollen Herrschaft über den Leib gelangt. Dieser Zustand ist dann freilich einem Tode ähnlich und die Leiden dabei sind sehr groß, weil die Widersprüche des Leibes gegen den höheren Willen der Seele und die Zersplitterung der einander entgegengesetzten Fähigkeiten gefühlt werden.

4248 |        Der aszetische Weg ist ein Aufbau zu dieser physischen Neugeburt, die in Maria in vollem Umfang bestanden hat. Dieser Weg Marias lag aber im Plane, den Gott bei der Erschaffung hatte. Maria war insofern kein Ausnahmewesen, sondern ein Mensch wie andere Menschen.

 

September

XX.09.1949

4249 |        Alle Vollkommenheiten Gottes sind „Äußerungen“ seines göttlichen Wesens; im Menschen hingegen sind die Funktionsarten die Äußerungen seines Wesens. In Christus, dem Gottmenschen, wurden die göttlichen Vollkommenheiten auf menschliche Funktionsarten übergeschaltet. Dies bedeutet aber, dass in den Funktionsarten Christi etwas „ganz Anderes“ war als beim gewöhnlichen Menschen. Gott ist reiner Geist und die göttlichen Vollkommenheiten sind sozusagen „sein Wesen“. Das Wesen Gottes „hört“, sieht, empfindet und reagiert, aber alle diese „Empfindungen“ und Vollkommenheiten sind in Gott „seinshafter oder wesenshafter“ Natur.

4250 |        Hätte sich der Gottmensch mit einem sich nur auf die menschlichen Eigenschaften beschränkenden Empfindungsleben begnügt, so wäre er als Mensch nicht wahrer Gott geblieben – was undenkbar ist. Zudem sind die Eigenschaften und Anlagen eines Menschen Eigenschaften der „Person“, die in Christus die göttliche war. Wenn also die göttliche Person Mensch geworden ist, so müssen sich die göttlichen Eigenschaften seiner Person auch irgendwie auf seine physische, menschliche Natur übertragen. Christus war Gott auch in und mit seiner menschlichen Natur, durch die sich seine göttliche Natur in menschlicher Weise äußerte. Das ist das größte psychologische Geheimnis im Gottmenschen.

4251 |        Nehmen wir einmal an, es gebe eine Seele ohne einen Leib (sowie sie sich in der Ewigkeit befinden). Diese hätte die gleichen Anlagen des Sehens, Hörens, Empfindens wie die mit einem Leib verbundenen Seelen. In ihren Funktionen des reinen Geist-seins würde ihr nichts fehlen, aber es wären doch keine wahrhaft „menschlichen Funktionen“. Im normalen Menschen leben sich die physischen Werkzeuge und Sinne den seelischen Funktionen und Anlagen ein, wenn die Seele am Anfang ihres Daseins mit der Materie verbunden wird. Die Seele mit ihren Geistanlagen ist ihrerseits ein „Prinzip“, das sich zielgemäß auslebt und das diesem Sich-ausleben zustrebt. Nicht minder „zielstrebend“, um ein menschliches Wort zu gebrauchen, ist Gottes Wesen. In Gott aber sind seine Vollkommenheiten und Eigenschaften (die dem entsprechen, was wir „Anlagen“ nennen) mit seinem Wesen selbst gegeben. Gott sieht, hört, empfindet usw. – durch sein Wesen und seinem Wesen entsprechend – nicht weniger wie – [als] – wir Menschen, die wir dazu durch die Anlagen unserer Seele und unserer Sinne fähig sind. – Eine Seele, die einmal zu einer entsprechenden Vereinigung mit Gott und zum Erleben seines göttlichen Wesens emporgehoben und emporgenommen wurde, kann bezeugen, dass sie sich von ihm verstanden, empfunden, gehört und gesehen erlebt hat; dass ihr diese persönlichen Wahrnehmungen zur absoluten Gewissheit wurden; dass sie aus diesen Wahrnehmungen mit mehr oder weniger großer Sicherheit auf die Art des göttlichen Wesens schließen kann; dass sie Gott bzw. Jesus als „menschenähnlich“ empfindet und sich von ihm in menschenähnlicher Weise verstanden glaubt. Gewiss sind diese Empfindungen der betreffenden Seele zugleich auch auf eine unendliche Weite und Entfernung gestimmt und eingestellt, und gewiss ist immer nur ein Lichtstrahl des Wissens über und von Gott in die Seele gefallen; aber dieses Wissen gibt doch der Seele eine ganz große Sicherheit über Gott.

4252 |        Die göttlichen Eigenschaften oder Vollkommenheiten blieben auch die Wesens- und Empfindungsart des Gottmenschen. Nehmen wir einmal an, die göttliche Natur mit ihren Eigenschaften wäre in Christus mit der Seele allein – in einer rein geistigen Verbindung, also nicht auch mit dem Leib – verbunden gewesen, so hätte dies schon eine ganz veränderte Struktur des Geistes dieser Seele bedeutet, weil ja die göttlichen Eigenschaften mittels einer geschaffenen Seele zum „geistigen Ausdruck“ gekommen wären; die Seele wäre dabei nur ihrer Substanz nach als „Betätigungs- oder Bewegungsfeld göttlicher Seinshaftigkeit“ in Funktion getreten, weil das innerste Wesen Christi immer „Gott bleibt“. „Gott bleiben“ setzt aber voraus, dass im jeweiligen Fall die Möglichkeit besteht, dass sich die Wesensart Gottes – wie in einer anderen Gestaltung – auf dem Weg über eine andere Funktionsart ausdrücken „kann“, d. h., dass entsprechende Faktoren und Fähigkeiten als Dienstbarkeit hierzu bereitgestellt werden. Immerhin wäre in diesem Fall (das heißt, wenn die göttliche Person nur die Seele allein, ohne einen Leib, angenommen hätte) Christus doch kein wahrer Mensch gewesen, denn die Seele ist zwar das „Prinzipielle“ im Menschen, aber es ist notwendig, dass die Materie des Leibes die Funktionen der geistigen Seele aufnehme. Zwischen Seele und Leib vollzieht sich eine gewisse gegenseitige Übertragung von Funktionseigenheiten und damit eine gegenseitige Ergänzung. Diese Ergänzung geschieht aufgrund einer gewissen Zusammengehörigkeit, die der Natur der beiden Faktoren entspricht. Dabei ist der erste und wichtigste Faktor die Seele, die ja das „Leben“ bzw. die Belebung gibt. Die Materie stellt dazu lebensnotwendige Kräfte zur Verfügung, wodurch sich ein „Eigenleben“ entwickeln kann. Alles, was „Leben“ ist, hat ja seine besondere Eigenheit und Eigenart. – Die Materie des Leibes übt dabei eine ständige Rückwirkung auf die belebende Kraft der Seele aus. Ähnlich, wie übrigens schon der Erdboden, der in sich ein „toter“ Stoff ist, dennoch eine nicht unwichtige, gleichsam „lebendige“ Wirkung auf das Samenkorn ausübt, so sind auch die Samenzellen des menschlichen Leibes keine tote Masse, sondern „lebendige“ Faktoren, die ihre Eigenheiten und Eigenschaften sich auswirken lassen und denen sogar die Seele sich anpassen muss.

4253 |        Jeder menschlichen Sinnestätigkeit, die wir kennen, kann man ein dem Sinnesorgan entsprechendes geistiges Grundprinzip der Seele gegenüberstellen. Nehmen wir zum Beispiel einen Blinden. ihm ist die Sicht der Augen genommen, aber anstelle des Sehens tritt bei ihm eine höhere, geistige Tätigkeit ein, die wir als geistiges Ertasten oder „Empfinden“ bezeichnen können; damit meinen wir aber nicht so sehr das Gemütsempfinden, sondern vielmehr einen gewissen substanziellen Tastsinn der Seele. Dieser ist eine Grundeigentümlichkeit der geistigen Seele und geht sozusagen zurück bis auf deren Wurzel oder tiefstem Grund, in dem sich alle ihre Fähigkeiten treffen und kreuzen. Die Seele ist einfach, aber die geistige Substanz oder Grundlage der Seele hat doch ein Vielfaches oder ein Vielerlei von Anlagen, die in ihr gleichsam verwurzelt sind. Und in jeder Grundwurzel der verschiedenen Anlagen sind wieder gleichsam „Nebenschösslinge“ enthalten, die nur die rechte Gelegenheit und Zeit brauchen, um zur Entfaltung zu kommen. So sind in den geistigen Tiefen der Seele wurzelhaft grundsätzlich alle den Sinnestätigkeiten entsprechenden geistigen Betätigungsanlagen vorhanden. Und in diesen Tiefen des Geistes unserer Seele liegen auch jene wertvollsten Kräfte und Fähigkeiten der Seele verankert, die, voll entfaltet, entsprechende Schlüsse auf Gottes Wesen zulassen; denn es gibt keine Eigenschaft Gottes, die nicht irgendeine Spur in der Menschenseele ausgeprägt hätte, und es gibt keine menschliche Anlage, die nicht ein entsprechendes, göttliches „Gegenstück“ im Wesen Gottes fände.

4254 |        Nehmen wir beispielsweise einen Gelehrten. Wenn er nach langem Studium und Praktizieren schließlich „aus dem Vollen schöpfen“, lehren und erklären kann, so ist dies dadurch möglich, dass er aus der Tiefe seines Wesens und Wissens gleichsam Schätze hervorholt, die den Anderen wie fremd sind. Er ist bis zu den Wurzeln und Tiefen seines Geistes hinabgestiegen und hat dort tief eindringende geistige Begriffe über das betreffende Wissensgebiet sich gebildet und angeeignet. Ohne diese tief geistige Begrifflichkeit gibt es keinen wahren Gelehrten und Geistesarbeiter, ja nicht einmal einen Fachmann und Facharbeiter auf irgendeinem Gebiet. Ohne dieses tief geistige Begreifen bleibt der Mensch gewissermaßen hohl und leer und ohne ein wirkliches angeeignetes Erkennen oder Wissen. Ein Mensch, der nie zu tief greifenden Begriffen von sich selbst gekommen und herangereift ist, der ist eigentlich auch nicht zu einem wahren Menschentum erwacht. Durch eifriges Selbststudium aber und durch tieferes Erkennen des eigenen Wesens könnte der Mensch sehr viel an Weisheit gewinnen und auf diesem Weg dem Erkennen des Wesens Gottes viel näher kommen.

4255 |        Was hier mit dieser tiefgeistigen, in der Substanz der Seele verankerten „Begrifflichkeit“ oder Intuitivität der Seele gemeint ist, ist an sich eine Summe von Anlagen, um die sich das ganze Intellektleben der Seele dreht und die schließlich das Grundprinzip des Geistes ausmachen, nämlich das tiefe Begreifen oder Innewerden, das als wahre „Weisheit“ alle Lebenskunst und überhaupt das Beste, Wertvollste und Schönste unseres Lebens in sich schließt, und wovon ausgehend wir auf Gott schließen können. Nach diesem tiefen Begreifen richtet sich auch der Wert unseres Handelns und darin entscheiden sich unsere Entschlüsse. In dieser tiefen Begrifflichkeit liegt der Adel unserer Seele und ist unser Dasein zutiefst verankert. Einen Menschen, dem man nichts „begreiflich“ machen kann, ist an sich ein unbrauchbarer Mensch. Hohe und wertvolle Persönlichkeiten hingegen sind zugleich Menschen von tiefer und eindringlicher Begrifflichkeit. Ja, man kann sagen: Der Mensch wächst innerlich durch den Wert und die Tiefe seiner geistigen Begriffe. Alle Weisheit und alle edlen und höheren Gemütsempfindungen sind an hohe Begriffe gebunden.

4256 |        Die Tiefe der Begrifflichkeit ist auch Frucht der Selbstarbeit; sie liegt nicht an der Oberfläche unseres Wesens, sondern in der Tiefe, und nur wer in sich selbst hinabsteigt, wird zu ihr gelangen. – Alles, was von unseren Fähigkeiten nach außen geht und alles was wir an Erlebtem in uns tragen, hat einmal die Schwelle unseres Bewusstseins und unserer Begrifflichkeit gestreift. Jedes Erleben, das in unser Bewusstsein tritt und zu dem wir irgendwie Stellung nehmen müssen, löst als Rückwirkung einen mehr oder weniger tiefen „Begriff“ in uns aus. Alle tieferen Begriffe aber bleiben gleichsam in unserem Wesen aufgespeichert und sind Werte, die niemals vergehen. Sie schlummern in unserem Inneren weiter wie ein Kapital, aus dem wir für unser Leben entnehmen und abheben können. Darum schätzen wir auch so sehr einen weisen, lebenserfahrenen Menschen, der seine Lehre schon erprobt hat. – Um diese tiefere Begrifflichkeit in den verschiedenen Zweigen und Anforderungen des Daseins, zu erlangen, muss aber auch das Vorstellungsvermögen in der rechten Weise geweckt und gelenkt werden, denn unsere Begriffe können sich nur auf dem Weg und durch Kreuzung mit dem Vorstellungsvermögen zu einer festen inneren „Überzeugung“ formen. Man kommt im Allgemeinen auch nicht zu einem solchen tieferen Begriff, wenn nicht verschiedene Schwierigkeiten und Gegensätze die Notwendigkeit einer festen Überzeugung oder eines tieferen geistigen Begriffes gleichsam erzwingen.

4257 |        Tiefes Begreifen ist im Grunde ein gleichsam intuitives Erfassen von Werten, die wir uns im Schoß unseres Geistes aneignen. Das Begreifen als Solches ist also ein Aufschwingen des Persönlichen in uns zu den höchsten Geistesgesetzen unserer Seele. Als Ebenbilder Gottes können wir irgendwie von diesen tief erfassten oder begriffenen Werten oder von diesem „Wertempfinden“ auf den höchsten und unendlichen Wert, auf Gott Schlüsse ziehen.

4258 |        In uns ist das Begreifen ein Akt, ein Unterscheiden, womit wir etwas Konkretes herausheben. Die Begriffe werden hervorgerufen vom Dasein, das zu einer konkreten Handlung zwingt. – In Gott ist „Sein“ als Grundprinzip. Im Sein Gottes ist alles vorhanden. Gott wird nie vor die Notwendigkeit einer begrifflichen Unterscheidung gestellt; er braucht sich keine Wertbegrifflichkeit aneignen, wie wir Menschen es nötig haben. In ihm regiert seine göttlich wesenhafte Weisheit.

4259 |        Weisheit ist die Auswirkung und Auslösung eines tiefen Begreifens. Was den Wert eines Menschen ausmacht, ist nicht bloß das intellektuelle Wissen, sondern die Weisheit als Ansammlung wertempfindender Begriffe. Der Mensch ist so viel wert, als er Weisheit hat. Da das Grundprinzip aller Weisheit das tiefe Begreifen ist, so ist in gewissem Sinne das Göttlichste in Gott seine göttliche Weisheit, das Wissen um alle Geheimnisse und Werte und vor allem um sich selbst.

4260 |        Eine hohe Begrifflichkeit ist das Zeichen einer vielseitigen geistigen Durchlebtheit. Eine hohe Geistdurchlebtheit führt den Menschen zu einer hohen Begrifflichkeit; denn die Eigenart des Geistes ist ja gerade die Fähigkeit des Begreifens oder Innewerdens. Auch das gesamte Empfindungsleben kann von einer hohen vielseitigen Begrifflichkeit getragen sein. Eine gewisse Wertempfindung oder Wertbegrifflichkeit tritt an die Stelle der bloßen Empfindungsfähigkeit, wenn die Schwere der Materie zurückgedrängt wird. Die Wertbegrifflichkeit als Geistdurchlebtheit oder Vergeistigung kann schließlich den ganzen Menschen mehr oder weniger erfassen. Der Mensch steigt über „seinen eigenen Schutt“ zu den höchsten Werten empor.

4261 |        Gottes Wesen ist ganz Geist und damit ganz durchlässig und durchsichtig, ganz Begriff und ganz Wissen, höchstes Wissen; ganz „empfindend“ d. h. wertempfindend und höchste Weisheit. Geist sein heißt durchlässig sein, nicht materienbehindert, dem Begreifen kein Hindernis entgegensetzen, ganz beweglich sein. Die sittliche Folge dieses vollkommensten Geistseins und dieses vollkommensten Wesens ist Gottes Gerecht-sein, weil er alle Umstände und Verhältnisse jeder Lage vollkommen kennt und durchschaut.

 

26.09.1949

4262 |        In letzter Zeit erlebte ich oftmals das bewusste Verlieren der gewöhnlichen Sinnestätigkeit, – was in einem wahren Sinne einem physischen Sterben gleichkommt. Damit erlebte ich den lebenswichtigen Wert der physischen Sinnestätigkeit, aber auch die Existenz und Tatsache einer geistigen Sinnestätigkeit. Viele Menschen steigen geistig nie hinab in die Tiefen der eigentlichen Werte ihres „Lebens“, sondern erleben sich sozusagen nur wie „instinktmäßig“. Wenn man aber in die angedeutete Art des mystischen Sterbens der Sinnestätigkeit eingeht, so wird man sich des großen Wertes und der Wichtigkeit und Aufgabe der physischen Sinnestätigkeit bewusst, die im Tode aufhört, während die Existenz des Menschen in die rein geistige Sinnestätigkeit übergeht. Es ist aber ein ganz großer (und eigentlich unaussprechlicher) Schmerz, wenn auf diese Weise die gewöhnliche Sinnestätigkeit „zurückgeschraubt wird“ (– so kommt es einem vor –) auf die (rein) geistige Sinnestätigkeit (die aber tatsächlich [einen] höheren Wert hat), und wenn man mit dieser geistigen Sinnestätigkeit existieren muss. Man erlebt dabei in einer konkreten Weise etwas wie eine augenblickliche Abstumpfung oder Auflösung des gewöhnlichen Seins: das Physische, in das wir hineingeboren und das wir gewohnt sind, geht in eine andere Lebensform über. Zunächst empfindet man das als einen unerträglichen Verlust. Wenn aber die rein geistige oder – mit anderen Worten – die substanzielle Sinnestätigkeit sich erschlossen und mit dem Bewusstsein verbunden hat, dann entsteht ein neues bewusstes Wertleben, und auch ein entsprechendes Bewusstsein des (neuen) Umsatzes aller Kräfte, die mit dem Geist der Seele verbunden sind. Man fängt dann an, das Licht Gottes im eigenen Geiste und Wesen zu erleben; die eigene Abbildlichkeit gegenüber Gott kommt der Seele unmittelbar zum Bewusstsein und bestimmt das eigene Wertleben. So beginnt eine neue geistig-menschliche Existenz.

4263 |        Das Zweite, was ich dabei erlebte, ist dieses: Man wird konkret mit den physischen Kräften in das neue, substanzielle Wertempfinden eingespannt, und das physische muss mit diesem erlebten Akt mitgehen. Es ist aber wiederum ein ganz großer Schmerz, in das neue, ganz ungewohnte Wertleben eingespannt zu werden.

4264 |        Wenn man aber in diese konkreten Geist-Begriffe eingeführt wird und eingeht, kann man auch die verschiedenen Eigenschaften Gottes in einer geistigen Bewertung erkennen und damit wird die Seele hingeführt zum tieferen Erfassen der Vollkommenheit Gottes, weil sie sich nun schon eigene geistig-konkrete Begriffe angeeignet hat.

4265 |        Der Mensch kann Gott nur nahekommen auf dem Wege über eine sittliche Bindung und Angleichung an ihn.

4266 |        Auch Christus lebte sein göttliches Leben durch und auf dem Wege über seine menschliche Existenz. Er hatte die göttliche Schau des himmlischen Vaters auch mittels seiner menschlichen Existenz. In Christus vollzog sich alles Göttliche auch kraft seiner menschlichen Existenz.

4267 |        Mein inneres Leben verläuft ständig in zwei sich kreuzenden Richtungen oder Bahnen: Die eine ist das Eindringen in die „Form Gottes“, in die Wesensart Gottes, in die Geiststruktur des göttlichen Wesens. Die andere ist das Erfassen und ein gewisses konkretes Innewerden der Geheimnisse des Menschen, der Geiststruktur der Seele, ihrer Geisttätigkeit, der Tätigkeit der Leibseele, der Ansprüche der Materie gegenüber der Seele als dem Lebensprinzip, deren Anforderungen an die leiblichen Kräfte usw. – Aus diesem doppelten Erleben, das gleichsam aus meiner eigenen Seele genommen wird, formen sich in einer gewissen Abrundung und Geschlossenheit die geistig-konkreten Begriffe über das Geheimnis des Menschen überhaupt, über seine Beziehung zu Gott und über seine „Gottfähigkeit“. Es sind ständig sich kreuzende und aus meinem eigenen Sein genommene Erlebnisse und Begriffe zu den Fragen: Wie kann Gott „Mensch“ werden? Wie wohnte das göttliche Wort der menschlichen Natur ein? Welches sind die Anforderungen der göttlichen Person Christi gegenüber seiner menschlichen Natur? Welches waren die Befähigungen der menschlichen Natur, um der göttlichen dienstbar sein zu können?

4268 |        Dieses immer tiefere Eindringen bzw. dieses ständige Vordringen im Erleben der „Form Gottes“ wird zu einer immer höheren geistigen Begriffsfähigkeit und wirklichen Begrifflichkeit oder zu einem konkret geformten und schon in Begriffe eingefassten und sich immer mehr vervollkommnenden Wissens über die Wesensart Gottes. Anderseits erklären mir die immer tieferen Selbsterlebnisse und Selbsterfahrungen auch immer mehr die Eigenart der menschlichen Natur und die Möglichkeit der Verbindung der göttlichen Natur mit der menschlichen, wie es sich in der Menschwerdung Christi vollzogen hat.

4269 |        Auch wenn die Erlebnisse und Erklärungen noch so weit auszuholen scheinen, so führt schließlich doch alles hin zum Geheimnis der Menschwerdung und führt immer tiefer in dasselbe hinein, und zwar so, dass ich immer selbst wieder (gleichsam wie zur Probe) in dasselbe hineingestellt und hineingefasst werde, wie wenn ich selbst, sei es das Objekt, sei es zuweilen auch das Subjekt, wäre, sodass ich persönlich mit meinen Kräften daran teilnehme und dieses Geheimnis immer tiefer und näher erlebe. Es ist, wie wenn dieses Geheimnis sich in mir selbst erneuern oder vollziehen würde.

4270 |        Christus hatte als Mensch auch kein anderes Lebensprinzip Gott gegenüber als wir Menschen. Er hatte nicht eine rein geistige Verbindung zum himmlischen Vater, sondern die unserer menschlichen ähnliche Verbindung kraft seiner sittlichen Vollkommenheit. Man darf Christus nicht einseitig als „Gott“ nehmen; er war vielmehr Gott immer auch mittels seiner menschlichen Natur, gerade darin kommen die hohen Fähigkeiten der menschlichen Natur zum Ausdruck. Wäre die menschliche Natur in sich nicht gottfähig, so hätte sie niemals die göttliche (in Christus) tragen und dessen Leben zu einem gottmenschlichen Leben machen, ja sogar mit seinen göttlichen Vollkommenheiten als Mensch existieren lassen können. Hierin zeigen sich wohl die erhabensten und zugleich verborgensten Fähigkeiten der menschlichen Natur.

4271 |        Deshalb muss auch die Abstammung des Menschen wohl unbedingt eine von Gott gegebene Sein. Wenn die Fähigkeiten der Seele und auch ihr Zusammenwirken mit dem Leib sich in einer so hohen Weise ausgewirkt haben, wie es in der zweiten göttlichen Person der Fall war, dann musste doch der ganze Mensch unmittelbar von Gott ausgehen, denn sonst wäre ein solches Zusammenwirken der menschlichen Natur mit der göttlichen in Christus nicht möglich gewesen.

4272 |        Man muss den Menschen aus seinem Geist heraus und vor allem aus dem Geistgeheimnis seiner Seele und deren Beziehungen zu Gott nehmen und zu verstehen suchen. – Die Gelehrten dringend vielfach nur bis zum Intellekt des menschlichen Geistes vor, aber nicht bis zu dessen Quelle und Wurzel, nämlich zur Geistquelle selbst. Der Geist aber steht gleichsam in einer unmittelbaren Beziehung zu Gott. Und wenn das sittliche Sein eines Menschen bis zur Geistquelle der Seele eindringt, dann findet der Mensch auch irgendwie den Weg zu Gott; denn der sittliche Aufstieg, der in einer parallelen Richtung mit dem Wesen Gottes liegt, eröffnet unserem Geist auch eine unmittelbare Bezugnahme hin zu Gott. – Jeder Mensch, der sich um seine sittliche Vervollkommnung bemüht, wird damit zugleich ein edler, guter, geistiger Mensch. Und dies sollte die Grundlage des Erziehungsprogramms für wahres Menschentum sein. Das sittliche Gute und Vollkommene erhebt der Menschen in geistiger Hinsicht und macht ihn fähig, die übernatürlichen Güter in einer Sicht auf Gott hin zu erfassen.

 

Oktober

02.10.1949

4273 |        Der Gott-Mensch ging „über seine menschliche Natur“ zum Vater. – Das heißt: Die menschliche Natur war das Werkzeug, um die wesentliche göttliche Harmonie des Geheimnisses der Heiligen Dreifaltigkeit ohne Unterbrechung auch während des Erdenlebens Christi beizubehalten. – Das heißt aber auch: Die menschliche Natur Jesu war befähigt, „am göttlichen Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit teilzunehmen“. In der menschlichen Natur Jesu waren alle Grundkräfte vorhanden und erschlossen, die nötig waren, um gleichsam der objektive Faktor zu sein, der hineingenommen wurde in das Geheimnis Gottes selbst und der zum gottmenschlichen Erleben gebraucht wurde.

4274 |        Die Fähigkeiten unserer (gewöhnlichen) menschlichen Natur betätigen sich in der Hauptsache über die Sinnestätigkeiten, womit wir unser Leben konkret empfinden und leben. Die tieferen, geistig substanziellen Antriebe und Faktoren bleiben uns unbewusst und verborgen, und wir nehmen das Leben vor allem als sichtbare Tatsache. Bei uns sieht das Auge, hört das Ohr, empfindet das Herz usw. Unser Dasein wird uns konkret bewusst über die Tatsache der Funktionen unserer Sinnestätigkeit. – Es fällt dem (gewöhnlichen) Menschen sehr schwer, bis zu den unbewussten, geistigen Wurzeln und Tatsachen unserer Seele hinabzusteigen, die – uns unbewusst – unser Dasein eigentlich und zutiefst regeln und ermöglichen. Die eigentlichste und tiefste Antriebsquelle unseres Lebens und auch unserer Sinnestätigkeit ist zwar aber in Wirklichkeit die Geiststruktur unserer Seele. Im tiefsten und entschiedensten Grunde ist es nicht die Zunge zum Beispiel, die schmeckt, oder den Wohlgeschmack der Speise wahrnimmt, sondern das Geistinstrument (nämlich unsere Seele als geistiges Lebensprinzip), das die Zunge leitet. Unser gesamtes Empfindungs- und Gefühlsleben ist tatsächlich geist-informiert, geistabhängig und auf den Geist als auf seine tiefste Wurzel zurückgehend. Die Fähigkeit, etwas zu empfinden, ist in erster Linie eine Geistanlage, wenn auch die Sinne zu deren Betätigung und zur Auslösung der endlichen Empfindungen und Wahrnehmungen, unumgänglich notwendig sind.

4275 |        Die Geiststruktur unserer Seele ist jenes lebensfördernde Element, das die Gesamtheit unseres Daseins durchzieht und auslöst. Die große Vielfalt unserer Empfindungsfähigkeiten zeigt auch den Reichtum der Geiststruktur unserer Seele an. Eine voll entfaltete Seele, d. h. eine Seele, die vom ersten Lichtstrahl des erwachenden Kindesalters bis zur Höhe der Lebensreife und umfangreicher Ausbildung des Geistes gelangt ist, weist alle Grundzüge der Geist- Struktur der Seele auf. Unsere Seele wächst aber zu dieser Höhe ihres Daseins nur empor „kraft oder vermittelts ihres Leibes“, der sie erst zu dieser konkreten Emporbildung befähigt. Sobald die Seele als Lebensprinzip dem Leib einzuwohnen beginnt, fängt auch ihre „Versetzung in den Leib“ an.

4276 |        Die Geist-Konstitution der Seele, die eigentlich den Menschen bildet, bringt einen zielhaften und zielstrebenden Aufbau mit sich, der sich nach bestimmten Geistgesetzen vollzieht, wenn die notwendigen materiellen Voraussetzungen gegeben sind. Schon der erste Akt des „Lebens“ oder der Funke des Lebensprinzips der Seele, der in die betreffenden Gegebenheiten fällt, hat zum Ziel: den Menschen zu bilden. Die vorhandene Materie bildet die Grundlage für das Einfallen des Geistes, der dann, zusammen mit der Materie, eine abgerundete, selbstständige Lebensfunktion ausbildet mit dem Ziel, das konkrete und individuelle Menschendasein zu formen. Als Vollreife des Menschenlebens kann man in einem besonderen Sinne die volle Entfaltung des gesamten Empfindungslebens bezeichnen, weil unser „Leben“ sich im wahrsten Sinne mittels der zum Bewusstsein gebildeten Empfindungen und deren Auswirkungen auslöst. Mit anderen Worten: Mein Dasein wird mir „so und so“ (durch meine Empfindungen) bewusst und dementsprechend ist meine Lebensrichtung. Alles, was der Mensch von innen oder von außen empfindet, beeinflusst im nächsten Augenblick irgendwie sein Empfinden. In der Art des Empfindens und Reagierens äußerst sich aber die Art der Person. Dabei ist aber auch der Leib ein unmittelbarer Faktor unseres Empfindungslebens, so wie es in unser Bewusstsein tritt. Das Wunderbare im Geistaufbau unserer Seele liegt gerade darin, dass sie sich ihr volles Dasein mittels des Leibes gibt. Was wäre es mit einer in ihrer Geiststruktur voll entwickelten Seele, die ein fertiges Empfindungsleben auslösen könnte, die aber keinen mitwirkenden Leib hätte? Auf Erden könnte die Seele in einem toten Leib oder ohne Leid nicht existieren, denn es ist eine Grundlage der Menschenseele, sich mit dem Leib zusammen aufzubauen. Die Seele wird hienieden „in den Leib versetzt“ und löst sich erst im Tode vom Leib. Dann empfindet sie mit der in diesem Leben und mit ihrem Leib errungenen Fähigkeiten und Art des Empfindens, die das Maß und den Charakter ihrer Empfindungsfähigkeit in ihrem Fortleben als reiner Geist bestimmen wird. Alle Empfindungsfähigkeiten sind dann fertig in der Seele, und nach dem Tode tritt diese sich selbst als reiner Geist ins Bewusstsein, und zwar so, wie sie sich im Leben mittels des Leibes geformt hat. – Diese Art der Empfindungsfähigkeit – wie sie beim gewöhnlichen Menschen erst nach dem Tode eintritt – muss man für die Seele Christi annehmen. Um aber dieses Empfindungsleben Jesu nachempfinden zu können, wie es meine Aufgabe ist, dazu gibt es nur den Weg über einen gewissen mystischen Tod des gewöhnlichen Empfindungslebens, d. h. der gewöhnlichen Betätigung der Sinne.

4277 |        Darum ging und geht in den letzten Zeiten der Antrieb meines ganzen Innenlebens darauf aus, von den sichtbaren Erlebnissen weg hinabzusteigen in die unsichtbaren Geistsinne und Geistkräfte und diese sich als ein Ganzes betätigen zu lassen. Wenn man – nach jahrelangen, schmerzlichen Übungen und Erfahrungen – das Äußere entsprechend verlassen und aufgegeben hat, dann findet man dort ein abgerundetes geistiges Dasein und Betätigungsfeld, das dem Menschen die (gewöhnliche) äußere Sinnestätigkeit voll ersetzt. Ein großer und aufbauender aszetischer Verzicht führt zu dieser Geistquelle zu dieser substanziellen Geistbetätigung hinab. Gewiss geht die gewöhnliche äußere Sinnestätigkeit noch irgendwie mit oder bietet vielmehr den Ausgangspunkt, aber die substanziellen Geistkräfte lösen sich gleichsam von den äußeren Sinnen und betätigen sich auf dem kürzeren, unmittelbaren Weg in geistig-substanziellem Ertasten. Durch lange Übung des Verzichtes kommt man zu diesem von den äußeren Sinnen gleichsam losgelösten geistigen Lebensprozess, der sich selbst zur Antriebsquelle wird, während die äußere Sinnestätigkeit sozusagen nur mitläuft. Man erfasst sich dabei gleichsam in der tiefsten geistigen Wurzel des eigenen Lebens und man lebt von dieser Wurzel aus, die ins Bewusstsein eintritt. Der Verstand kann diesen Umsatz nicht leisten, weil das geistige Organ des Verstandes sich nicht selbstbewusst werden kann. Um diesen inneren Lebensprozess in einem Vergleich anzudeuten: Wenn ich durch einen Tunnel gehe, so wird es finster und ich sehe das Äußere nicht mehr. Aber ICH bin noch da und es werden meine eigenen Kräfte ausgelöst, wo das „Leben“ und das Äußere in Finsternis verfällt. So ähnlich wird die äußere Sinnestätigkeit, die noch irgendwie mitläuft, ausgeschaltet, und es treten die tiefsten substanziellen Kräfte in Tätigkeit. Mit der Auslösung dieser tieferen Kräfte gehe ich zugleich den kürzesten Weg – im Vergleich zu dem, dass der gewöhnliche Weg der Sinnesbetätigung ein „Umweg“ ist.

4278 |        Mittels dieser Möglichkeiten und Fähigkeiten, die man in sich gewonnen hat, erfasst man sich an der Wurzel des Geistes oder erfasst man gleichsam den Punkt, wo sich der Leib von der Seele abhebt und von wo gleichsam das „Leben“ ausgeht. – Ist man zu dieser Wurzel des Geistes hinabgestiegen, dann ist damit die Möglichkeit gegeben zu dem Erfahren und Erleben über die „Form“ Gottes. Die Seele ist in sich, in ihrer Geiststruktur, so reich, dass sie vieles erfassen und behalten kann, wozu der Verstand nicht hinreicht. Der Verstand ist zu beschränkt, um gewisse Geistbegriffe auf einmal aufzunehmen, die sich aber in der „Wurzel“ oder Substanz der Seele gleichsam auflagern können. So ist die Seele in der Wurzel ihrer Geiststruktur gleichsam ein Stapelplatz von Geistbegriffen, d. h. von Objekten, die in der Seele zu wirklich erlebten und damit lebendigen Tatsachen geworden sind. Mit diesen schon vorhandenen geistigen Gegebenheiten, in die man hinabsteigt, wirken anderseits zusammen die schon erfassten und erlebten und darum auch schon in der Tiefe des Geistes aufgelagerten Begriffe über Gott. So bildet sich dort auch das Wissen über die Fähigkeiten der menschlichen Natur Jesu, wiederum ausgehend von dem schon gewonnenen Gottesbegriff, der in meinem Fall vom eigenen Erleben aus gebildet wurde.

4279 |        Von diesem Erleben aus wird nicht bloß der Gottesbegriff selbst gleichsam „aktuell“ und lebendig, sondern auch das Wissen um die Art, wie die göttliche Person Christi „kraft ihrer menschlichen Natur“ zu Gott gegangen ist. – Christus war und blieb Gott; weil er aber als Mensch der Erlöser war und sich dem Vater untergeordnet hat, ging er den „menschlichen Weg“ zum Wesen des Vatergottes. Es ist dies ein großes und wunderbares Geheimnis, wie sich die Kontinuität der Einheit mit dem Vater ohne Unterbrechung ausgewirkt hat. Die Möglichkeit dazu ist begründet in der Geisteinheit, die zwischen Gott und dem Geist der Seele besteht. In dieser Geistbeziehung der Seele zum Geist Gottes, von dem sie kommt, liegt auch die Erklärung, wie die Seele – kraft des Glaubens an Gott – auch zu diesen Begriffen von Gott kommen kann. – Meine persönliche Geistbegrifflichkeit, die ich als meinen Umsatz in mein Wesen erfasse, verbindet sich gleichsam mit dem Geiste Gottes: Ein Licht strahlt gleichsam in das andere hinein. Es ist die Verbindung der höchsten Seelenfähigkeiten mit der Geiststruktur Gottes.

 

04.10.1949

4280 |        Wie konnte ich aber in die eigene Geist-Struktur der Seele so eindringen, dass sie mir selbst zum Erlebnis wird? – Der Weg dazu war und ist schrittweise geistige Entblößung und Loslösung von der Verhaftung und Gebundenheit an die Materie und an die sinnenhaften Erlebnisse, das Aufgeben jeder Genusshaftigkeit und das Begnügen mit den allernotwendigsten Lebensbedürfnissen, das Aufgeben jedes natürlichen Festhaltens an bestimmte Daseinsbedingungen. Der Weg zum eigenen Geist-Erfahren ist das restlose Heraustreten aus dem Eigenen und das Entwerden gegenüber dem sinnenhaften Selbsterleben, dem man gleichsam „entgehen“ muss. Der Materie ist es eigen, ihre Opfer sozusagen an sich zu fesseln; sie nährt sich von ständigen Zugaben und sie wehrt sich gegen jede Abgabe von dem, womit sie ihre Existenz gleichsam mästet. – Die Ablösung von dieser Gebundenheit an die Materie setzt zunächst ein Licht der Gnade Gottes voraus, das die eigenen Tücken, von denen man (vielleicht unbewusst) gefangen ist, beleuchtet. Dieses Licht der Gnade zeigt aber nicht bloß jene Folgen der Erbsünde, sondern auch die Möglichkeit einer Befreiung von diesen Fesseln; es zeigt der Seele die Kraft einer wunderbaren Freiheit, welche die Seele emporzutragen vermag in den Schoß Gottes; es zeigt ihr die Möglichkeit einer geistigen Vereinigung mit Gott, die aber nur möglich ist durch die Überwindung des alten Menschen und durch die geistige Umgestaltung in den neuen Menschen, der da ist in Christus Jesus. – All diese Erkenntnisse nützen aber schließlich der Seele doch nicht viel, wenn sie nicht auch mit der Kraft der Gnade zugleich „Hand anlegt an das Werk der Zerstörung“ der sündhaften Gegensätzlichkeiten gegen die Art Gottes. Die Gnade Gottes eignet [sich] darum nicht bloß [als] beleuchtendes Licht, sondern auch sozusagen eine wahre Zerstörungswut gegenüber den Annehmlichkeiten der menschlichen Natur an ihre eigene Befriedigung. – Dabei geht unser Weg zu Gott „über Christus“, und mein besonderer Weg ist der des Aufgebens alles Eigenen bis zur Wurzel des Seins, um so eindringen zu können bis in jene Tatbestände, in denen die göttliche Natur des ewigen Wortes sich traf mit der geschaffenen, aus dem Fleische genommenen Natur.

4281 |        Christus zieht unser armes Sein nur in dem Maße in sein göttliches Sein hinein, als wir unseres Eigenen „entwerden“. Selbstverständlich bleiben wir immer im Fleische, aber unser geistiges Wesen muss immer mehr das Wesen Christi anziehen und annehmen und damit etwas von jener Harmonie mit dem Vater, die der göttlichen Natur des Gottmenschen entspricht. Wenn auch nach außen keine Veränderung eintritt, das geistige Wesen „zieht Christus an“. In dieser Um-werdung erlebt man die eigentlich wahren Werte und vollzieht man eine gewisse Um-wertung der gesamten Existenz.[sic!] Das Gnadenleben, das in fast ununterbrochener Wirksamkeit in Leiden mannigfacher Art tätig ist, erschließt mir im eigenen Erleben immer mehr die göttliche Natur des Wortes, getragen von menschlichen Daseinskräften.

4282 |        Die Hauptsache in diesem inneren Erleben ist immer das Lebendigmachen des Wirkens der führenden Gnade; diese zeigt der eigenen Seele immer wieder die Möglichkeiten und Gelegenheiten zu ihrer Verbesserung und Vervollkommnung, weist auf neue, praktische Übungen und Anwendungen der Tugenden hin, beleuchtet die Rückfälle und die Fortschritte im göttlichen Licht, lässt den noch bestehenden Abstand vom gesteckten Ziel erkennen, zeigt ein andermal den schon gewonnenen Abstand vom Eigenen und lässt den bereits gemachten Weg zu Gott hin erfahren, lässt die zu durchmessenden Abgründe in ihrem Gegensatz zum hohen Ziel begreifen; und wenn man auf der einen Seite im Abgrund der Unmöglichkeit wie begraben liegt, muss man sich anderseits in einem unaussprechlichen Sehnsuchtsleiden wieder zur Höhe hinauf arbeiten. Es ist wie ein mühsames Aufsteigen bei einer Bergtour, wo man abstürzt und an der eigenen Unmöglichkeit im Hinblick auf das zu erreichende Ziel schier zugrunde geht, während man ein andermal wieder mit emporgenommen wird und schon erlebend in das zu erreichende Ziel hineinversetzt wird.

4283 |        Dies ist die wunderbare Lebendigkeit der göttlichen Führung, viel wunderbarer als jedes andere lebendige Wachstum, weil es eben ganz geistiges Leben ist. Und das Ziel ist nichts Geringeres als die Fülle und Vollreife des göttlichen Lebens Jesu in uns. Man wird immer wieder hineinversetzt in das Leben Christi, der Gott war, und in all die sittlichen Forderungen und psychologischen Notwendigkeiten, die einem wie ein lebendiger Aufbau greifbar werden, indem man alles tatsächlich in Christus durch die Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur in ihm aufgebaut sieht.

 

November

12.11.1949

4284 |        Die Gerechtigkeit Gottes ist in einem gewissen Sinne anders als die der Menschen, ja sie erscheint dem Menschen geradezu als „Härte“. – Die ursprüngliche oder grundsätzliche Gerechtigkeit Gottes gegenüber dem Menschen wirkt sich darin aus, dass die Menschen tagtäglich seufzen unter der Last der Irrtumsfähigkeit in ihrem Tun, ihres Versagens und ihrer Widersprüche mit sich selbst. Jeder Mensch steht unter dieser Gerichtsbarkeit Gottes, die Gott für keinen Menschen aufhebt.

4285 |        Durch den Bruch des Menschen mit Gott (im Paradies) ist das ganze Wesen des Menschen auf eine andere, gottgetrennte Basis gestellt worden. Alles, was an Gegensätzen zwischen dem einstigen und dem heutigen Zustand des Menschen festgestellt werden kann, all das Suchen und Tragen, das Fragen, Bemühen und Klagen, war im ersten Zustand der Menschen durch ihre Vereinigung mit Gott behoben und gelöst; ihre „Ebene zu Gott hin“ gab den ersten Menschen einen entsprechend erleuchteten Verstand und gab ihnen die Fähigkeit sich immer zurechtzufinden und das Rechte zu tun. Im heutigen Zustand der Menschen äußert sich die Gerichtsbarkeit, und die Gerechtigkeit Gottes gegenüber der Menschheit, und zwar dadurch, dass Gott nun den Menschen ausschließt von jenem Strom des Heiligen Geistes, der, von der Heiligen Dreifaltigkeit ausgehend, jederzeit die Seele befruchtend erfüllen könnte, wenn das Wesen des Menschen dazu bereitet wäre; Gott teilt sich nämlich der Menschen nur so weit mit, als dessen Sein und Wesen für Gott offen steht, bzw. für die göttliche Natur zugänglich ist; nur so weit lässt Gott den Menschen auch teilhaben an seinem Licht und gibt er ihm Verständnis, um in den sittlichen Belangen immer das Rechte zu erkennen und zu tun. – Gott ist so gerecht, dass er niemals eine Ausnahme macht von dieser Maßnahme, die er infolge der Sünde der Stammeltern getroffen hat, dass nämlich der Mensch von ihm getrennt sei und nur mühsam sich ihm wieder nähern könne; in dieser Trennung liegt ein ständiger Akt der Gerechtigkeit, den Gott über jeden einzelnen Menschen verhängt; und diese Trennung geht bei vielen so weit, dass sie kaum mehr ein Bedürfnis nach Höherem haben und ihren Zustand der Trennung wie „natürlich“ finden. – Gott steht wohl gleichsam an der Schwelle des Menschen, aber infolge seiner Gerechtigkeit lässt er den Menschen „Mensch“ sein, weil das Menschengeschlecht in seinem Stammvater sich bewusst von ihm entfernt hat. In seiner Gerechtigkeit ist Gott gleichsam „hart“ zu den Menschen. Es gilt darum, dass man im Geist der Buße diese „Härte“ trage, dass man sich zum Opfer der Buße vor Gott und damit wohlgefällig und angenehm vor ihm mache, indem man sich bewusst bleibt, dass man ein gefallenes Geschöpf ist, das unter den Folgen der Gerichtsbarkeit Gottes steht.

4286 |        Wenn der Mensch seinem Mitmenschen gegenüber diese göttliche Gerechtigkeit hätte oder haben könnte, so wäre das Zusammensein unter den Menschen wie unerträglich; die „Härte“ wäre zu groß. Und wenn nicht Gottes Barmherzigkeit ebenso vollkommen und unendlich wäre wie seine Gerechtigkeit, so müsste tatsächlich die Welt vergehen. – Die Barmherzigkeit Gottes äußert sich aber darin, dass er vieles in das Menschengeschlecht hineingelegt hat, was die Menschen erfreut und tröstet. In seiner Barmherzigkeit gibt Gott für gewöhnlich dem Menschen auch viel mehr, als dem Menschen zusteht oder als ihm notwendig ist. Dem Menschen nur das zu geben, was ihm notwendig ist, das ist aber vor Gott „gerecht“, während die Menschen unberechtigt oft meinen, sie müssten mehr haben als notwendig ist. Gott lässt aber sozusagen lieber seine Barmherzigkeit vorwalten als seine Gerechtigkeit.

4287 |        Als menschgewordene göttliche Barmherzigkeit hat nun Christus mit seinem gottmenschlichen Dasein auch jenes Gericht Gottes über die Menschheit oder jene Scheidewand des Heiligsten gegenüber den Unheiligen auf sich genommen. Diese große Scheidewand oder Trennung zwischen Gott und den Menschen war die ständige, göttliche Gerichtsbarkeit, die sein gottmenschliches Wesen erlitten hat. Seine göttlich-wesentliche Heiligkeit war gleichsam selbst die Scheidewand, wo das Göttliche sich vom Menschlichen (des gefallenen Zustandes) trennt: Und durch seine heiligste Menschheit hat er ständig jenen trennenden Abgrund überbrückt, nämlich dadurch, dass er in gott-menschlicher Weise das ausgeführt hat, was sittlich vollkommen und vollendet war und was die Menschheit Gott gegenüber schuldig gewesen wäre. Dadurch hat er der göttlichen Gerechtigkeit in vollkommenster Weise das dargebracht, was diese verlangte, und hat er immerwährend jenen Abgrund überbrückt und jene Scheidewand niedergelegt. Er hat den ganzen Abstand von der tiefsten Tiefe menschlichen Falles bis hin zur Höhe der gottgewollten Vollkommenheit überbrückt kraft seiner gottmenschlichen Heiligkeit. Er erlitt diesen Abgrund mittels seiner menschlichen Natur, welche die Fähigkeit hatte, diesen Abstand durchzuleiden. Jede Schuld und jede schuldhafte Neigung des Menschen umkreist ihn gleichsam ständig und begleitet ihn in seinem ganzen Leben; gleich nach dem Tode flammt sie dann auf und wird zu seinem Gericht vor Gott. Der Mensch trägt die Schuld mit sich bis zu seiner Todesstunde, wenn es sie nicht gut macht, innerlich bereut, verabscheut und dadurch sie überwindet und sich von ihr freimacht, – womit dann auch das Schuldbewusstsein schwindet. Alles, was der Mensch hienieden nicht durch den Geist der Buße überwunden hat, wird ihm zum Gericht – wenn Gott ihm nicht vielleicht wegen anderer guter Werke diese Schuld durch einen besonderen Akt seiner Barmherzigkeit gleichsam auslöscht.

4288 |        Die Vorbereitung für das Glorienlicht (nach dem Tode) ist die eigene (vom Glauben erleuchtete) Verstandestätigkeit. Man kann den Verstand kurzweg ein „Licht“ nennen, denn die Verstandestätigkeit bedeutet ein Beleuchten und Bewusstmachen der verschiedenen Tatsachen und Wahrheiten. So, wie das physische Licht die Gegenstände „sichtbar“ macht, so gibt der Verstand die Fähigkeit, die Wahrheiten und Wirklichkeiten zu erkennen. – Wenn nun das Materielle mehr und mehr aus dem menschlichen Bewusstsein verdrängt wird, sodass es schließlich kaum mehr zum Bewusstsein kommt – außer soweit es eben lebensnotwendig ist –, wenn also der Geist das Tragende und Beherrschende geworden ist, so tritt jene höchste Verstandesfähigkeit in Tätigkeit, die das ganze innere Wesen des Menschen erfasst, es als Geisttätigkeit ins Bewusstsein kommen lässt und von diesem Nachbild auf das göttliche Urbild schließen und überleiten lässt.

4289 |        Es handelt sich dabei um ein Entwerden und Loslösen von allem Materiellen – das dann nur mehr zum Lebensnotwendigen dient, insofern uns in diesem Leben alles zunächst durch das Materielle bewusst wird. Wenn der Geist sich so losgelöst hat, so ist er wie ein wesenhaftes Licht, in dem die Fülle des Erfassens und Durchdringens oder Eindringens zum Ausdruck kommt. Die Erkenntnisweise ist dann sozusagen wie eine Kugel, die ganz Licht ist, wobei die Substanz der Seele selbst zum Licht zu werden scheint. Wenn man in diesen Zustand kommt (den man vielleicht eine geistige Ekstase nennen könnte), dann kann man sich einen Begriff machen vom Glorienlicht, von dem die Seele im Jenseits durchdrungen, und für das Übernatürliche aufgeschlossen wird, wobei alle „Sinne“ des Geistes in Bewegung kommen aber nicht durch die Bemühungen des Verstandes, sondern durch ihr Wesen selbst (unter dem Einfluss des Glorienlichtes); es ist so ähnlich, wie wenn eine Flamme ins Feuer gelegt wird, wobei das Feuer die Flamme noch mehr durchleuchtet und aufleuchten lässt. Das Glorienlicht ist wie das Überstrahlen eines höchsten Lichtes auf das Flämmlein oder das Lichtlein des Verstandes; oder, anders gesagt, es ist ein Übergehen der Flamme in das Feuer selbst, wobei aber die Flamme sich nicht verliert; es verbindet sich vielmehr die Tätigkeit des Feuers und der Flamme; das Feuer geht ins Bewusstsein der Flamme ein, obwohl beide weiter bestehen.

4290 |        Auch der Verdammte empfindet dieses „Feuer“, aber als Aufdeckung seines Wesens. Diese höhere Beleuchtung wird sozusagen zum Verdammungslicht, wodurch ihm das eigene Wesen und Sein Zustand zum Bewusstsein kommt.

4291 |        Auch in Christus war jene göttliche Gerechtigkeit, die uns geradezu als „hart“ erscheinen möchte; in ihm war auch das lebendige Gericht über die Sünde und in ihm war die Scheidewand des Heiligsten vom Unheiligen. Wenn Christus auch die Kranken heilte, so enthielt er ihnen doch nichts vor bezüglich der inneren Gerichtsbarkeit, der diese unterstanden.

4292 |        In diesem Leben gibt es nur einen Weg zu einer wirklich persönlichen, lebendigen Gotteserkenntnis: Wenn nämlich Gott sich dem Menschen (auf der Grundlage des Glaubens) irgendwie persönlich offenbart, also auf dem Weg der mystischen Gotteserkenntnis oder des persönlichen „Gotterlebens“. Dazu ist aber notwendig eine gewisse Vergeistigung des Menschen, d. h. eine gewisse Loslösung des menschlichen Geistes vom Materiellen – außer dem Lebensnotwendigen –, sodass das Materielle kaum mehr ins Bewusstsein zu kommen scheint, durch dies[es] „Entwerden“ der Seele erlebt sie sich selbst mehr in ihren geistigen Eigenschaften, die ihr dann die Vollkommenheiten Gottes als etwas „Bekanntes“ oder Verwandtes aufflackern lassen. Und so kann sie vom „Bild Gottes“ irgendwie auf das Wesen Gottes überschließen.

4293 |                

4294 |        

 

 

 

 

 

 

Das Jahr 1950

 

 

Grundlage: M1

 

 

 

 

Januar

XX.01.1950

4295 |        Im gewöhnlichen Menschen sind es die Lebensbedürfnisse selbst, welche die Aktivität des Lebens anregen; ja, man kann sagen: Sie machen in einem gewissen Sinne das aus, was man das „Leben“ nennt. Der „Lebensdrang“ ist so vielseitig, mannigfach und reichhaltig, dass er eigentlich den größten Lebensdienst und das Leben selbst ausmacht. Schon im Unterbewusstsein des Kindes bringt der erste Lebensfunke oder Lebensstrom das Bedürfnis nach dem „Leben“ mit sich, und dies bewirkt den Lebensumsatz. Das noch unbewusste Leben strebt nach dem bewussten Leben, und auf dieser Lebensgrundlage entwickelt sich allmählich das Bewusstsein. Dann wird das Ich-Bewusstsein der Antrieb für die selbstige Lebenstätigkeit. Die unbewussten Lebensbedürfnisse haben eigentlich den gleichen Sinn wie jene, die in unser Bewusstsein kommen. Die intellektuelle Aufnahmefähigkeit und damit die Intensität des Bewusstseins ist aber bei den einzelnen Menschen verschieden. Je stärker nun das Ich-Bewusstsein entwickelt ist, desto stärker wird auch der selbstige Lebensdienst vom Ich-Bewusstsein angefordert. Dieser Kreislauf: – Lebensbedürfnisse, selbstige Anforderungen des Ich-Bewusstseins und Zuführung der Bedürfnisse – bedeutet im eigentlichen Sinn das, was wir „Leben“ nennen. Dadurch wird der psycho-physische Lebensumsatz angeregt, der wiederum zurückwirkt auf die geistigen Empfindungsfähigkeiten. – Die Abnahme der materiellen Lebensbedürfnisse beschränkt irgendwie denn selbstigen Lebensdienst, sodass dann die geistige Vernunft mehr die Oberhand gewinnt und die selbstigen Lebensbedürfnisse in Ordnung bringt. Darin liegt auch der Sinn der Aszese, deren Ziel und Ergebnis eine gewisse größere Angleichung des geistigen Lebensprinzips an das Geistige sich selbst genügende Sein und Wesen Gottes ist.

4296 |        In Gott ist das „Leben“ ganz anders als im Menschen. (Freilich kann das Erleben desselben nicht in Worten ausgesprochen und niemanden mitgeteilt werden). Gott ist wesenhaftes Leben. Er bedarf nicht des „Umsatzes“, wie der Mensch. Er ist vielmehr sich selbst Zustand und Existenz in einem. – Auch Christus, insofern er göttlich-unveränderliches Wesen war, hatte in sich keine Bedürfnisse. Er war insofern immer ein „fertiges“, vollkommenes Wesen, während wir Menschen niemals „fertig“ werden, da der Mensch sein Existieren ständig erarbeiten oder schaffen muss.

4297 |        Wenn nämlich die menschlichen Lebensfähigkeiten nicht angeregt werden und nicht mehr arbeiten, stirbt der Mensch. Der Selbstantrieb ist für den Menschen ein notwendiges Lebenselement.

4298 |        Man möchte nun annehmen, dass infolge der hypostatischen Vereinigung in Christus die menschlichen Fähigkeiten in einem Ruhezustand gewesen wären, weil das fertige göttliche Wesen der Person Christi keiner Zuhilfe bedarf. Alles, was sich der gewöhnliche Mensch erst mittels seines psychologisch-physischen Lebensumsatzes für seine Existenz erringen muss, war ja in Christus schon wesenhaft vorhanden; denn in ihm waren die Vollkommenheiten der göttlichen Existenz vorhanden. – Tatsache ist aber diesbezüglich nur dies: Ein Großteil der lebensnotwendigen Fähigkeiten in der menschlichen Natur trat in Christus nicht in der gleichen Art und Weise in Tätigkeit, wie bei dem gewöhnlichen Menschen. Warum? Weil diese Fähigkeiten in Christus der göttlichen Person des Wortes nur dienstbar waren, nicht aber diese Person erst existieren lassen oder erhalten mussten. Dienstbarkeit ist aber nicht Selbstigkeit, wie sie einer menschlichen Person zukommt und notwendig ist. – Man muss dabei den ganzen Umfang und die Vielfalt von psycho-physischen Tätigkeiten bedenken, die notwendig sind, um eine menschliche Person als selbstständige Existenz bestehen zu lassen.

4299 |        Das große Geheimnis und Wunder im Gottmenschen lag in der „seinshaften“ (d. h. bis in die Tiefe des menschlichen Seins gehenden) Angleichung der psycho-physischen Tätigkeiten seiner menschlichen Natur an seine fertige göttliche Person und in der dadurch ermöglichten Lebenseinigung der beiden Elemente in Christus. Dies wirkte sich aus und stellte sich dar als Anforderungen der göttlichen Person an die Menschheit Christi und als ständige Dienstbereitschaft und Einigung der fortschreitend wachsenden menschlichen Kräfte gegenüber den Forderungen dieser göttlichen Person. Es war ein Zustand einer sich entwickelnden und den Verhältnissen sich anpassenden Einigung der beiden Elemente; die Art dieser Einigung entsprach einerseits dem Wesen der göttlichen Persönlichkeit und zugleich anderseits der sich entwickelnden menschlichen Natur Christi, die bis zur letzten Höhe und Fülle ihrer Lebenstätigkeit sich entfaltete und emporstieg.

4300 |        Wollte man versuchen (oder sich vielmehr den Versuch vorstellen) die Tätigkeit der göttlichen Person in einer gewöhnlichen menschlichen Natur wirksam werden zu lassen, so müsste diese göttliche Tätigkeit eine Vernichtung oder Auflösung der gewöhnlichen menschlichen Kräfte hervorrufen oder bewirken – so ähnlich wie ein Feuer, das den Brennstoff verzerrt oder in einem Augenblick auflöst. Das göttliche Sein und Leben, d. h. die Vollkommenheit und Lebendigkeit des göttlichen Lebensrhythmus ist derart, dass eine gewöhnliche menschliche Natur nicht darunter bestehen könnte. – Die Geistigkeit an sich schon ist wie ein Feuer. Wenn man aber selbst den menschlichen Geist ein „Feuer“ nennen kann, das die physischen Elemente der menschlichen Existenz in die Fähigkeit einer lebendigen Aktivität versetzt, so ist die göttlich-wesenhafte Geistigkeit und Existenz gleichsam eine glutverzehrende Atmosphäre und sie müsste durch die Überfülle des Lebendigen, des Geistigen, des Wirklichen, das ihr eigen ist, eine Lahmlegung der menschlichen Tätigkeit bewirken. – Die im Menschenleben sich umsetzenden psycho-physischen Tätigkeiten wurden aber in Christus tatsächlich nicht in der Art und Weise eingesetzt, wie in einem gewöhnlichen Menschenleben, weil sie nämlich infolge der vorhandenen Vollkommenheiten der göttlichen Person in Christus nicht notwendig waren. Der göttliche Lebenseinfluss auf die menschliche Natur Christi war eigentlich nur ein regulierender und einigender, nicht ein hervorbringender. Dieser regulierende göttliche Lebenseinfluss wirkte sich anders aus wie beim gewöhnlichen Menschen, der durch sein menschliches Bewusstsein den Lebensumsatz mit hervorbringt. Es war ein eigener Lebenseinfluss in jedem Augenblick des gottmenschlichen Daseins.

4301 |        Hierin liegt wiederum ein großer Unterschied zwischen dem gottmenschlichen und dem gewöhnlichen menschlichen Dasein. Wir Menschen kommen infolge der inneren Widersprüche der gefallenen Natur eigentlich nie zu einer vollen Einigung in uns selbst. Die erste Stufe des eingehenden Person-Einflusses wird aber in uns durch die Aszese vollzogen, durch die das Niedere dem Hören in uns unter- und eingeordnet wird. Dieser aufsteigende Weg der Aszese könnte wohl auch zu einem gewissen Verstehen des vollkommen einigenden Einflusses des göttlichen Elementes in Christus helfen. Wahre Aszese ist ja eine hohe, geistige Stufenleiter, wobei es keinen Unterbruch, und kein erreichtes Ende gibt. Man müsste das ganze System der Aszese fortlaufend verfolgen, um den (durch das Zusammenwirken von Gnade und Aszese zu erreichenden) einigenden Weg zu zeichnen, der von den Tiefen der gefallenen Natur bis zu den höchsten Stufen der gnadenhaften Einigung mit der göttlichen Natur führt. Wenn man das Ergebnis dieses ganzen aszetischen Aufstieges im Auge behält, könnte man von da aus zu einem gewissen strahlenden Einsehen des Göttlichen als des einigenden Elementes kommen. Im Menschen ist die Aszese das Mittel der Einigung zwischen dem tatsächlichen Zustand des gefallenen Menschen und den sittlichen Anforderungen und Voraussetzungen einer Vereinigung mit Gott. In Christus war das Göttliche, d. h. die göttliche Persontätigkeit, das einigende Element. In der menschlichen Natur Christi bedurfte es keines aufbauenden sittlichen Aufstieges wie bei uns, sondern nur eines mit der Gottheit einigenden Vorganges. Was der Mensch durch die Aszese sich irgendwie mühsam erringt, das war in der göttlichen Person schon immer und vollendet vorhanden. All die vielen und unannehmbaren psycho-physischen Tätigkeiten, die für den Menschen Naturgesetz sind, waren infolge der hypostatischen Union in Christus zu einem einheitlichen Tätigkeitsprinzip geworden. Das war die Folge der entsprechenden Vollkommenheiten der göttlichen und der menschlichen Natur in Christus, d. h. der bis ins tiefste Sein gehenden und vollkommenen Angleichung der menschlichen Natur in Christus an seine göttliche.

4302 |        Von meinem Innenleben muss ich nun sagen: Der Einigungsprozess ist so stark, dass ich sozusagen das Eigene nicht mehr empfinde. Man erlebt dabei etwas wie eine Erschlaffung der menschlichen Fähigkeiten, weil diese in gewissem Sinne nicht mehr – oder nicht mehr in der Art wie früher gewohnt – in Tätigkeit gesetzt werden. Es ist in mir gleichsam ein Ausschalten vieler Tätigkeiten, die sonst lebensnotwendig sind; nun bedarf man dieser Lebensnotwendigkeiten nicht mehr. Weil also viele sonst lebensnotwendigen Forderungen ausfallen, bin ich in einen ganzen Lebensraum von Untätigkeiten versetzt – was für die Natur aber einem sehr schmerzlichen Sterben gleichkommt. Es ist also ein merkwürdiger Einigungsprozess und eine unaussprechliche Bedürfnislosigkeit in mir, die einem aber wie ein ständiges Sterben erscheint. Alles Geschaffene rückt weg und entfällt. – Es sind auch viele sittliche Kämpfe nicht mehr nötig, die sonst irgendwie störend auf die Lebenstätigkeit einzuwirken pflegen. – Die vorhergehende Einigung bildet sich immer mehr um in eine Einigung im Sein.

4303 |        In Christus war eben vollkommene, seinshafte Einigung seiner menschlichen Natur mit den Forderungen der göttlichen Person. Sein Innenleben war wie ein blendendes Ruhebild trotz seines ständigen Erlöserleidens.

4304 |        Was wir „Herrlichkeiten Gottes“ nennen, ist ein Ausdruck für etwas Unbeschreibliches. – Die Herrlichkeiten Gottes können nur vom Geiste wahrgenommen werden, weil es eben geistige Herrlichkeiten sind. Trotzdem kann man sich aber in etwa eine Vorstellung davon machen – auf dem Wege über den schier unermesslichen Reichtum geistiger Empfindungsmöglichkeiten der Menschenseele, d. h., wenn man diese geistigen Empfindungsfähigkeiten einsetzt und anwendet, um die Herrlichkeiten Gottes zu erkennen.

4305 |        Wenn wir vom Schönen und vom Guten reden, so sind das Einsichten des Geistes in geistige Güter, geistige Lebensbegriffe, die sich in einem entsprechenden Wohlsein und Gefallen auswirken. Alles, was wir „schön“ nennen, strahlt gleichsam eine Sphäre aus, die wir als schön empfinden; alles, was man gut nennt, strahlt eine solche Fülle und Vielfalt von Liebenswürdigkeiten aus, dass die Menschenseele eigentlich viel zu beschränkt ist, um alles auszukosten, um all das in sich aufzunehmen und auf sich wirken zu lassen. Jede Tugend hat einen solchen Glanz von Schönheit und von Entzückendem an sich, dass sie damit gleichsam einen gewissen Umkreis erhellt. Ein tugendhafter Mensch schafft einen solchen Umkreis von angenehmen, geistigem Wohlsein, dass man es gar nicht ganz auskosten kann. Und wenn Dichter die Schönheit der Natur preisen, so ist auch dies eine Fähigkeit, um zu jener höchsten Herrlichkeit und Schönheit des einen, vollkommenen Gottes emporzusteigen. Erst von dieser Geistbefähigung des Erfassens von allem, was gut, edel, schön und vollkommen ist, kann man emporsteigen zur Herrlichkeit Gottes, die sonst in menschlichen Worten nicht erfassbar ist. Von der Sphäre des Guten und Schönen aber kann man vordringen zu geistigen Wertbegriffen, und von da kann man aufsteigen zur höchsten und unendlichen Schönheit und Herrlichkeit, zur geistigen „Atmosphäre Gottes“. Die geistigen Wertgüter strahlen eine reichere Genussmöglichkeit von Schönem und Erhabenem aus, weil sie das Grund- und Lebensprinzip aller geschaffenen Schönheiten sind. Auch jedes wahre und edle Zueinander der Menschen liegt nicht im Äußeren, sondern im Erfassen der geistigen Wertelemente, wodurch es zu einer gewissen Verehrung des anderen Menschen wird. Ein Mensch dringt in die Verehrungswürdigkeit der im anderen vorhandenen Güter ein, oder vielmehr des in ihm vorhandenen Gutseins. Von diesem Element des Guten ist aber Gott infolge der unendlichen Vollkommenheit seines Wesens gleichsam ganz umgeben. – Von dieser uns zum Genuss gebotenen „Herrlichkeit“ Gottes wird die Seele in der Ewigkeit erfüllt, weil sie dann, außerhalb des Leibes, imstande ist, die geistigen Güter voll zu bewerten und auszukosten – woran sie jetzt das Leben im Leibe noch hindert.

 

März

xx.03.1950

4306 |        Der geistig und körperlich gesunde Mensch „lebt“ und existiert nur, wenn er „Objekte“ hat. Das menschliche „Leben“ stellt eine unabsehbare Zahl von Betätigungen dar, die vom Lebensprinzip, vom Subjekt, teils bewusst, teils „unbewusst“ geleitet werden. Die bewusste Leitung findet eigentlich nur bei einem verhältnismäßig geringen Teil der Lebensbetätigungen statt, denn wenige Tatsachen im Lebensgeschehen werden in das klare Bewusstsein des Menschen gerückt. Der Mensch lebt zum großen Teil ein „dunkles Dasein“, weil er sich im Allgemeinen nur wenig um den Zweck seines Daseins kümmert und interessiert. Die Mehrheit der Menschen lässt sich mehr oder fast nur von einem gewissen „Instinkt“ oder Triebleben leiten, das nie zu einer wahren Selbstprüfung in das volle Licht des Bewusstseins gerückt wird. Schlagworte, Phrasen und Mode-Ideen dienen der Masse der Menschen als Lebensgrundsatz, und zwar sind es meist blind übernommene Phrasen und Ideen, die ganz des persönlichen Charakters entbehren. Je mehr aber der Mensch vom persönlichen Denken abrückt und den Massen-Ideen huldigt, desto ärmer an persönlicher Aktivität und Gestaltungskraft wird sein Leben. Die volle Entfaltung und Größe eines Menschenlebens liegt aber in dessen „Selbstgestaltung“.

4307 |        Durch den Selbstgestaltungstrieb beginnt schon das Kind sein Dasein zu formen, und das geistig gesunde Kind ist eigentlich schwer zugänglich für Phrasen, denn der gesunde Naturtrieb drängt es zur Selbstgestaltung. Freilich spielt auch hierin die Vererbung und das Übernehmen der in der Familie herrschenden „Ideen“ eine große Rolle. Der natürlich gesunde Mensch ist aber ein Selbstbereiter, Selbstgestalter und Selbstverantwortlicher seiner eigenen Lebensart, und diese Selbstgestaltung erfüllt sein ganzes Leben. Sie macht das Leben wirklich lebenswert und interessant, während jenes Leben eintönig, leer und hohl und träge ist, indem man nur Phrasen oder Mode-Ideen folgt. Eine gesunde Selbstgestaltung und Selbstverantwortung des Lebens mit der dazugehörigen Selbstprüfung und Selbstkontrolle gibt dem Menschen wahre Lebensfreude.

4308 |        Zu dieser „Selbstgestaltung“ des eigenen Lebens ist auch ein gewisser „Lebensraum“ notwendig, und zwar nicht so sehr in materieller Hinsicht als vielmehr ein geistiger Lebensraum, der die Freiheit des Handelns ermöglicht und gewährleistet. Dieser geistig-freie Lebensraum wird aber heute weithin eingeschränkt durch die unberechtigte Macht der Massenideen und des unbeherrschten Trieb- und Instinktlebens. Wer nur seinem Trieb und Instinkt folgt und lebt, der schaltet die freien Selbstgestaltungskräfte aus. Der Trieb-Mensch entbehrt der gesunden Selbstkontrolle und Selbstprüfung.

4309 |        Die Gesamtheit und Fülle der Lebensbetätigungen bestimmt den Wert und die Eigenart eines Lebens. Ein Rückgang der Lebensaktivitäten bedeutet auch einen Rückgang oder Verlust der Lebensrentabilität; „Es lohnt sich dann nicht mehr, zu leben“. Bei einem moralischen Zusammenbruch oder Scheitern scheint es dem Betreffenden, als rentiere oder lohne sich das Leben nicht mehr; das bringt einen dann eigentlich zum Selbstmord. Bestimmte Aktivitäten werden dann nicht mehr angeregt, weil sie sich dem „nicht Lohnenden, nicht Rentablen“ gegenübergestellt glauben. Damit sind auch ein wenig meine großen inneren Leiden der letzten Zeit angedeutet: Das Ausschalten der gewohnten Lebensaktivitäten scheint einen unerträglichen Zustand der inneren Betätigungslosigkeit zu bringen.

 

25.03.1950

4310 |        Gott kann nur mit den geistigen Sinnen wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmung Gottes vonseiten der Seele vollzieht sich auf der höchsten Spitze ihres Seins. Dieses Emporgetragenwerden zur höchsten Spitze ist immer verbunden mit einem zeitweiligen „Verlieren“ der persönlich-materiellen Schwerkraft, das heißt, nicht der natürlichen Schwerkraft des materiellen Leibes, sondern der Verhaftung des Geistes an das Sinnlich-Materielle, das in jenem Zustand nicht mehr ins Bewusstsein tritt.

4311 |        Die Erhebung zu dieser Spitze des Seins ist ein Werk der Gnade bei Mitwirkung der menschlichen Hingabefähigkeit. Das gewöhnliche „Ahnen“ Gottes, dass die Seele hat, wird dann zu einem „Erfassen“ seines Wesens, zu einer erlebten Wirklichkeit seines Besitzes. Die Seele umfasst dabei eine „Wirklichkeit“, eine sicher bestehende Existenz und Kraft, die sich mit der Seele „messen“ sie berühren und sich mit ihr vereinigen „kann“, d. h. dazu in der Lage ist. Die Seele misst sich mit einem überragenden, geistigen Wesen, das ihrem eigenen Wesen „ähnlich“ ist und in ähnlicher Weise erfassbar, wie sie sich selbst mit ihren eigenen Kräften erfährt.

4312 |        Ein solches Wahrnehmen Gottes bedeutet für die Seele selbst eine ungeahnte Kraftentfaltung, ein nie vorher erlebtes Erkennen ihres eigenen Seins. – Die eigentliche, geistige Entfaltung des Menschen kommt dadurch zustande, dass er den in seiner Seele angelegten geistigen Begriffsfähigkeiten Raum und Verwirklichung gibt. Es gibt aber nicht wenige Menschen, die sich eigentlich nur als ein „materielles“ Wesen entdecken, das mit seiner eigenen Existenz „genug“ hat und einseitig dem vitalen Lebenselement verfällt; und doch soll der Mensch sich selbst emportragen und emporheben in die ihm eigenen Höhen und Bereiche des Geistes, wo ihm besondere Güter zur eigenen Vollendung und Befestigung geboten werden. Ein Mensch des Geistes ist in einem gewissen Sinne immer auch ein Gott naher Mensch, selbst wenn er ungetauft ist und nicht im Schoße der heiligen Kirche lebt; die Gnade Gottes ist einem solchen Menschen nahe; denn Gott ist Geist. Der Mensch kann auch nur mittels seines eigenen Wesens zur Wahrnehmung Gottes gelangen; das unumgänglich notwendige Mittel hierzu ist die eigene menschliche Existenz. Gott „baut sich“ sozusagen in dieser menschlichen Existenz auf, d. h., er vereinigt sich mit dem Menschen durch eine fortwährend sich steigernde Erhöhung des Vereinigungsgrades. Insofern wird der Mensch gleichsam Gottes „Ziel“; denn infolge der dem Menschen gegebenen Uranlage und Bestimmung und infolge der hierzu geschaffenen geistig-seelischen Fähigkeiten hat Gott sich das zum Ziel gesetzt, dass das menschliche Eigenleben in einer aufbauenden Vereinigungsstruktur umgeformt werde nach der Existenz Gottes. Dies wäre das „gerade“ Ziel des Menschen, das sich aus der Ebenmäßigkeit seiner Anlagen mit dem Wesen Gottes ergibt. Das Hindernis gegen das Erreichen dieses Zieles ist immer ein psychologisch-moralisches. Der Mensch ist bestimmt, mit seinen eigen-persönlichen Seelenfähigkeiten in der Ewigkeit Gott irgendwie zu erkennen und wahrzunehmen, sei es nun zum Lohn, sei es zur Strafe. Er verändert sich mit dem Tode nicht in seinen Uranlagen, sondern bleibt, seinem Wesen nach der gleiche. Der Leib „lebt“ ja nur mittels der Seele, und alle sichtbaren Tätigkeiten und Fähigkeiten des Leibes sind im Grunde und in erster Linie Fähigkeiten der geistigen Seele. Der Mensch findet sich im Wesentlichen nach der Trennung seiner Seele vom Leib genauso wieder, wie er persönlich zu Lebzeiten zu sich selbst gestanden ist; die Art seiner Persönlichkeit verändert sich mit dem Akt des Todes nicht. Er verliert mit dem Tode nur das Licht der sichtbaren Augen für diese Welt und bekommt dafür das Licht des Geistes – das im Grunde auch schon das Licht der Augen erst ermöglicht und erhellt hat; denn was würde das bloße Augenlicht allein helfen, wenn nicht der erkennende Geist das Tragende und Verwertende des Augenlichtes wäre? Was das Licht für das leibliche Auge und dessen „Sehen“ bedeutet, das ist für die Seele das Erkenntnisvermögen des Geistes. Und so ist es mit allen Anlagen, die zunächst nur solche des Leibes scheinen; sie sind Ausdrucksmittel für die Seele. – Auch nach dem Tode bleibt und erfährt sich der Mensch in einem wahren Sinne als sinnhaft-geistig empfindend, d. h., als gegenständlich-begrifflich, wie hienieden sein Dasein sich immer um „Objekte“ dreht. Er wird auch im anderen, jenseitigen Leben sich in dem Kreis von Objekten und gegenständlichen Begriffen befinden, dem hienieden sein Wesen verhaftet ist. Ein anderes Lebensprinzip haben, das hieße: Die Persönlichkeit bzw. das Menschseinsprinzip verändern. Das ist aber nicht möglich, weil der Mensch ein geistig-individuelles Lebewesen ist.

4313 |        Wir Menschen nehmen und betrachten aber unser Dasein zu wenig in seiner Tiefe und Wurzel, d. h. beachten zu wenig dessen Größe und Schwungkraft seines geistig-materiellen Aufbaues. Wir sehen das Große und Gewaltige fast nur in den „Taten“ eines Menschen – ob diese nun gute oder böse Kreise ziehen –, aber wir bedenken zu wenig die Macht des Geistes, die jene Kreise der äußeren Taten ermöglicht. Gut oder weniger gut oder böse ist der Mensch eigentlich nur in seinem Inneren; denn seine äußeren Taten sind der Ausdruck seiner inneren Lebensmächte. – Im Reinigungszustand im Jenseits wird der Mensch in ähnlicher Weise wie hienieden mit seinen ungeordneten und unbeherrschten Leidenschaften „zu tun haben“, denn diese sind die Eigenart seiner Seele, die geläutert werden muss; dazu kommt noch die Strafe Gottes dafür, dass der Mensch es darauf ankommen ließ oder es sozusagen gewagt hat, in solchem Zustand vor Gottes Richterstuhl zu erscheinen. Die eigentliche Strafe des Menschen wird in seinem „Abstand von Gott“ infolge der eigenen, unheiligen Beflecktheit und infolge des Behaftetseins mit Eigenheiten, die der Art Gottes widersprechen, bestehen.

4314 |        So ist der Mensch sich selbst gleichsam Ziel und Weg und Mittel, nämlich hin zu Gott; denn niemals kann er aus seinem eigenen, tiefsten Wesen als Nachbild Gottes heraus.

 

Juni

02.06.1950

4315 |        Als Gottmensch hatte Christus eine „existenzielle“ Gotteschau, d. h. mittels und kraft seiner gottmenschlichen Existenz. Darum konnte er in Wahrheit sagen: „Wer mich sieht, der sieht auch den Vater“. –

4316 |        Dieses Geheimnis schließt viele Tatsachen und Voraussetzungen in sich:

1. Die selbstige Gottesschau in Christus infolge des göttlichen Wesens seiner Person. Eigentlich müsste man besser sagen: Sein Wissen um die göttliche Wirklichkeit seiner Person und um die Einheit seines Wesens mit dem Vater; doch kann man dieses, sein Bewusstsein und Wissen um sein eigenes göttliches Wesen, um seine göttliche Person als Wort des Vaters auch „Gottesschau“ nennen; es ist aber wesenhaftes Selbsterkennen und göttliches Selbst-Schauen.

2. Die göttlich wesentlichen Beziehungen dieser Person zum Vater und zum Heiligen Geist im Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit und des göttlichen Selbsterkennens.

3. Das Geheimnis des Erlösers, indem sich die zweite göttliche Person „erniedrigte“ und – als Mensch – in ein Verhältnis des Abstandes gegenüber dem Vater trat, aber doch das göttlich-wesentliche Selbstschauen immer bewahrte.

4. In seiner „Unterwerfung“ als Erlöser gegenüber dem Vater richtete sich Jesus immerwährend auf den Vater hin.

5. Das ganze gottmenschliche Sein Christi war voll einbezogen in diese Schau des Vaters und Hinordnung auf ihn: seine göttliche Natur durch ihr Wesen selbst; seine menschliche Natur daran teilnehmend.

6. Dieses Teilnehmen der menschlichen Natur an der göttlichen Selbstschau (oder „Gottesschau“) setzte eine Fülle von Befähigungen in der gesamten menschlichen Existenz Christi voraus:

a) Die „Belebung“ der menschlichen Natur Christi war ein ständiger göttlicher Akt. Infolge dieses göttlichen „Lebensaktes“ waren die Akte der menschlichen Natur Christi göttliche Akte. Konkret genommen gab es dabei keinen „Abstand“ zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen, denn es war EIN Lebensakt. Infolge dieses Lebensaktes war die gottmenschliche Existenz Jesu jeden Augenblick von den göttlich-wesentlichen Vollkommenheiten durchlebt, aber auch davon belebt wie von einem göttlichen Lebensprinzip, das einen entsprechenden geistigen Lebensstandard bewirkte. Durch dieses göttliche Lebensprinzip war die gesamte gottmenschliche Existenz Christi gleichsam in den göttlich-drei-persönlichen Lebensrhythmus einbezogen, doch mit dem Unterschied, dass die zweite göttliche Person Mensch und Erlöser geworden war. Dieser Umstand bewirkte eine tatsächliche „Gegenüberstellung“ gegenüber dem Vater und eine gewisse „Erniedrigung“, obwohl die göttlichen Beziehungen wie vorher bestehen blieben.

b) Es müsste nun dargelegt werden, welche moralischen Befähigungen jener menschlichen Natur eigen sein mussten, um eine dauernde „Gottesschau“ zu ermöglichen. Es müsste die Kraft jener menschlichen Natur erklärt werden, die dem göttlichen Wesen in der Einheit des gottmenschlichen Lebens standhalten konnte, ohne von ihm verzehrt zu werden. – Es müsste jener Zustand der Losschälung und Freiheit von aller menschlichen Genusshaftigkeit beschrieben werden, der notwendig ist, um ganz vom göttlichen Wesen erfüllt werden zu können, jene Leere, die für die Fülle Gottes notwendig ist; es ist dies ein Zustand, der einer Hochleistung der Aszese ähnlich ist, aber nicht als Übung, sondern als dauernde Sättigung durch das göttliche Wesen.

7. Aus dem Gesagten ergibt sich: Die existenzielle Gottesschau im Gottmenschen war von göttlicher Naturhaftigkeit, aber sie war auch:

a) ein „menschlicher“ Zustand, der sich auf eine menschliche Existenz stützte, wie sie Christus als „Mensch“ eigen war.

b) Es war kein Genuss-Zustand, wie er der göttlichen Person vor der Menschwerdung in der Herrlichkeit eigen war.

c) Es war auch kein Verklärungszustand, gleich jenem, den die menschliche Natur Jesu hatte, als er zum Vater und in seine göttliche Herrlichkeit ging.

d) Es war auch ein wesentlich „menschlicher“ Zustand (nicht bloß ein wesenhaft göttlicher), d. h., er stützte sich auf menschliche Fähigkeiten und war von diesen „bewerkstelligt“, bzw. getragen und in ihrer Art mitvollzogen.

4317 |        Im menschlichen Erdendasein gibt es keine rein göttliche Gottesschau, sondern hier vollzieht sich alles in „menschlichen Akten“, auch wenn diese „Akte“ zuständliche und existenzielle, d. h., mit dem Zustand und der Existenz gegebene sind. – So war es auch in Christus. In IHM, d. h., in seiner menschlichen Natur waren die entsprechenden psychischen, physischen und moralischen Voraussetzungen vorhanden, die als „selbsterlebend“ der Gottesschau dienstbar sein konnten. Es war aber keine „mittelbare“, sondern eine „unmittelbar“ miterlebte und selbst getragene Gottesschau, denn die Substanz der Seele Jesu war fähig, unmittelbar das Göttliche mitzuerleben. – (Um dies nacherleben zu können, wird in der Seele eine substanzielle Erlebnisfähigkeit geschaffen. Der gewöhnliche Mensch erlebt auf dem Weg über den Verstand, der immer eine Mittelbarkeit und eine gewisse Trennung vom Seelenkern bedeutet. Durch ein gewisses schmerzliches „Verfinstern“ der Verstandestätigkeit bewirkt aber Gott allmählich, dass das Erleben unmittelbar durch die Zentrale des Seelenlebens, d. h., durch die Substanz der Seele geht. Der ganze Mensch wird zu Gott hin erlebnisfähig gemacht, ähnlich wie es im Paradiese war. Durch eine gewisse Loslösung der Substanz – in der ja auch alle Anlagen sind – von den Fähigkeiten wird die Möglichkeit der Unmittelbarkeit (ohne die Trennung auf dem Weg der Verstandesfähigkeiten) gegeben. Durch diese Loslösung der Substanz wird die ganze Seele erlebnisfähig gemacht, und zwar sowohl negativ im leidenden Zustand wie auch positiv im erlebenden Zustand. – Die Gottesschau im Gottmenschen war eine zum Vater hinführende und einen gewissen Abstand erlebende, und doch wahrte sie die Einheit mit dem Vater in einem Wesen. Christus was sich (als Erlöser) eines gewissen Abstandes vom Vater bewusst und doch blieb zugleich die Einheit mit dem Vater in einem Wesen bestehen (es gibt hierin eine Menge von Unterscheidungen, die kein Mensch in Worten aussprechen kann; es sind Geistesbegrifflichkeiten und Selbstunterscheidungen, die nicht mitgeteilt werden können).

4318 |        Eine „Schau“ muss nicht immer „Genuss“ sein im menschlichen Sinne. Sie kann auch ein zuständliches und existenzielles Wissen sein. So hatte Christus auch in seinem Leiden die Gottesschau, d. h., das Bewusstsein der göttlichen Wirklichkeit seiner Person; aber diese Gottesschau war kein Genuss. – Als Erlöser hat Jesus auf den göttlichen Genuss der Herrlichkeit und Freude verzichtet und sich den menschlichen Erlebnisfähigkeiten überantwortet, vermittels derer er auch sein göttliches Wesen „lebte“. Er erlebte sich als Gott mittels seiner menschlichen Existenz und Kraft seiner menschlichen Fähigkeiten; auch sein Hin-zum-Vater erlebte er auf dem Weg über die menschlichen Fähigkeiten.

 

08.06.1950

4319 |        Nachdem Gott selbst der Schöpfer der Menschheit ist und nachdem die Menschheit als etwas unmittelbar von Gott „Gedachtes“ aus Gottes Allmacht hervorgegangen ist, hat der Mensch auch einen Zweck „auf Gott hin“, einen gottgegebenen Zweck und er ist unmittelbar abhängig von Gott. – Diese Abhängigkeit kann aber nicht rein physischer Natur sein; denn:

1. ist Gott reiner Geist; und

2. wäre ein Menschenleib ohne belebenden Geist in Wirklichkeit ein totes Ding.

Darum bestehen Geistbeziehungen und Geistzusammenhänge zwischen Gott und den Menschen, und soll der Mensch geistig bewusst immer und in allem von Gott abhängig sein.

4320 |        Die Beziehungen des Menschen zu Gott wurzeln in Geistbedingungen, insofern sich der Mensch auf einem geistigen Weg zu Gott hin bewegen muss. Das unvernünftige Tier hat auch „Beziehungen“ zu seinem Herren; es erkennt ihn als seinen Wohltäter, Ernährer usw. Auch untereinander haben die Tiere „Beziehungen“, aber alles dies gestaltet sich instinktmäßig, in einer, nach bestimmten Gesetzen festgelegten Zuordnung. Der menschliche Intellekt hingegen wählt sich selbst und frei seinen Partner und seine Beziehungen, nicht nur in instinktmäßiger Zuordnung. Das gesamte menschliche Wesen ruht auf einer selbstigen Ordnung, auf freien Entscheidungen, auf Geistesbeziehungen. Gewiss sind die physischen Kräfte des Menschen zu diesen seinen Geistesbeziehungen notwendig, aber sie sind nur die Träger dieser Betätigungen, deren tiefste und entscheidenste Wurzel im Geiste, in den seelischen Akten und Affekten, liegt. – Wie geschieht aber die Überleitung aus diesen innersten Geistbezirken in das sichtbare Dasein des Menschen? Das Geistwesen des Menschen braucht eine Äußerung oder einen Ausdruck in einer sichtbaren Existenz. Diese Überleitung der quellhaften Existenz in das sichtbare Dasein verwirklicht sich aber in Formen und Umsatzgebieten, die der Quelle entsprechend und sozusagen „gleichfließend“ sind. So äußert sich das Geistwesen der Seele im menschlichen Leib.

4321 |        Trotz der unübersehbaren Vielfalt, die das Menschengeschlecht darstellt, gibt es doch bei all den vielen Unterschieden unter den Einzelnen doch nichts Artfremdes. Trotz der Mannigfaltigkeit ihrer Anlagen unterstehen doch alle Menschen einem gleichen Gesetz, das alles Wesentliche umgreift. Darum hat sich auch das Menschengeschlecht seit seinem Bestande im Grunde nicht verändert, obwohl es sich in Rassen aufgeteilt hat. Die Menschen können sich durch gegenseitige Hilfe intellektuell und kulturell höher führen und sich zu Größerem befähigen, aber das Grundgesetz der Menschheit bleibt das gleiche, was die gegenseitige Zuordnung, die gegenseitigen Beziehungen und Bedürfnisse betrifft. Unter allen geschöpflichen Existenzen gibt es kein dem menschlichen, gleichgeartetes Einheitsgesetz. Die Grundlage und Wurzel dieses menschlichen Einheitsgesetzes aber liegt in den Geistgeschehnissen und in der Geistordnung des Menschen. Daraus kommen die Bindungen des Menschen und dort finden sie ihr unverrückbares Gesetz, sowohl für das persönliche Leben wie für das Leben innerhalb der menschlichen Gemeinschaft. Für alle Menschen – ohne Ausnahme – gelten diese eine Geistrichtung und dieses zentrale Gesetz, das ihnen Mittelpunkt ist, sie zu einer Einheit zusammenschließt und ihnen ihr Ziel angibt. Aus dem innersten Wesen des Menschen kommt das Ideal, das dem Menschen einen bestimmten Abschluss und einen alles umfassenden Mittelpunkt gibt. Der Mensch ist seiner Uranlage nach ein Ziel- und Strebewesen und unterscheidet sich dadurch von allen übrigen Wesen. Verliert der Mensch jenen bewussten Mittelpunkt seines Strebens, so wird er herren- und ziellos, zerfahren und haltlos, denn er verliert in sich selbst sein Grundgesetz. Das mit seiner tiefsten Uranlage gegebene Ziel gibt jedem Menschen eine bestimmte Einheit und Zentralität, die ihm als Daseinsgesetz geboten ist und von der er sich führen lassen soll. Der Mensch ist durch sein geistiges Wesen auf ein gewisses Vorbild und Ideal hingeordnet. Je mehr diese „Vorbildlichkeit“ sein Leben gestaltet, desto höher werden das Streben und der Wert des betreffenden Menschen.

4322 |        Das Wesen des Menschen ist also ganz „geistgebunden“, und er kann aus dem Rahmen dieses gestaltenden Geistes nicht heraus. Er soll sein Leben in diese Richtung gestalten und seine innere Wesensanlage verwirklichen und ausnützen. Der dem Naturgesetz folgende Mensch will „leben“ und will sein Leben im Naturrecht befestigen und es nicht verlieren. Er verliert es nur, weil es ihm im Tode genommen wird. Von sich allein aus will der Mensch nicht sterben, sondern will existieren; jeder Mensch scheidet schwer aus diesem Leben, und es erfüllt ihn mit Trauer, wenn er an sein Ende denkt. Der Mensch ist sozusagen kein „Zeit-Wesen“, sondern ein „Immer-Wesen“, das seine Existenz ausdehnen will, soweit es möglich ist.

4323 |        All die verschiedenen Uranlagen des Menschen streben in ihrem Ausleben einem über der eigenen Natur stehenden Mittel- und Zielpunkt zu einer höchsten Zentralität, der all diese Anlagen in vollkommenster Weise eigen sind.

 

25.06.1950

4324 |        Die höchste Fähigkeit der menschlichen Person ist die bewusste Konzentration und Handhabung all ihrer Kräfte und Anlagen. Die höchste Vollkommenheit einer menschlichen Person besteht darin, dass sie diese bewusste Konzentration ihrer Kräfte in sittlich vollkommener Weise vollziehe und handhabe.

4325 |        Die höchste Fähigkeit der menschlichen Person ist die Kraft und die Art ihrer Bewusstheits-Konzentration, d. h., die Zusammenfassung ihres gesamten Daseins und ihrer Daseinsbestätigungen in den Akt des Bewusstwerdens. Dieses einigende Zusammenfassen der verschiedenen Erlebnisse in den einen Bewusstseinskern, verbunden mit deren Rückwirkungen als „selbsttätige Erlebnisse“: Das ist die Höchstleistung des individuellen Menschenbildes. Der sich selbstbewusste Mensch stellt sich damit sozusagen „selbst“ in den Mittelpunkt seines Daseins, „schart sich“ um sich selbst. Diese bewusste Herrschaft über sein eigenes Wesen erhebt den Menschen über die anderen Geschöpfe. Der Inhalt, oder das Ergebnis dieser Bewusstheits-Konzentration gibt die Art und Eigentümlichkeit des einzelnen Menschen an.

4326 |        Der Mensch „kreist“ sozusagen „in seinen Ideen und Bestrebungen“, d. h., in jenen, die ihm am vertrautesten und geläufigsten sind. An erster Stelle ist da zu nennen der Selbsterhaltungstrieb und Selbstentfaltungstrieb, d. h., die Sucht und das Streben, „sich selbst“ oder die Art des eigenen Wesens in das gelebte Dasein umzusetzen, sich der eigenen Art entsprechend auszuleben, die seinshaften Anlagen in der entsprechenden Daseinsart zu entfalten und zu verwirklichen. Das endliche Lebensergebnis oder die Summe der verwirklichten und damit gleichsam wiedergeernteten Seinsanlagen bewirkt dann als „Lebenserfolg“ eine entsprechende Sättigung und Befriedigung des persönlichen Daseins.

4327 |        So befindet sich der Mensch in einem gewissen ständigen Umkreisen seiner Daseinsanlagen, deren mehr oder minder vollkommene Verwirklichung ihm das Leben als erfreuend und lebenswert oder aber als unbefriedigend und unwert erscheinen lässt. Der Mensch sucht in seinem „Leben“ als solchem ein Ziel, das ihm sein Dasein lebenswert machen soll, und dieses Ziel ist ein immer größeres und volleres Ausweiten, Entfalten und Befestigen seiner Existenz. Jeder Mensch sucht von Natur aus sein Leben zu befestigen, nicht nur physisch und materiell, sondern vor allem in seiner seelisch-geistigen Lebensform. Der Mensch sucht seiner Natur gemäß ein „geistiges Ziel“, nämlich die Möglichkeit, sein Leben als Geist-Ergebnis sicherzustellen, gleichsam sich selbst zum Erben seiner Existenz zu machen und damit sich selbst bzw. Sein Lebensresultat zu genießen. Durch den Tod verliert der Mensch sich zwar als „physisches Lebensresultat“, aber er findet sich nach dem Tod als geistiges Lebensresultat, und danach bemisst und richtet sich sein Fortleben nach dem Tode, seine Ewigkeit. Die Vollkommenheit oder Werthöhe eines Menschen entspricht der Art und dem Inhalt seiner Bewusstseinsakte, d. h. der Art und Weise, WIE er seine Anlagen und Fähigkeiten auslebt, verwertet und wieder als „Lebensergebnis“ genießt. Diese Art und Weise oder dieses „Wie“ ist gleichsam der moralische oder sittliche Spürsinn eines Menschen.

4328 |        Die Kunst, sein Dasein in vollkommenster Weise zu leben, es sittlich zu gestalten, einen möglichst hohen Punkt und Grad des Bewusstwerdens oder der Selbstkonzentration und Selbstkontrolle zu erringen, um sich selbst, d. h. all seine Anlagen und Kräfte in möglichst hohem Maße umschauen oder überblicken zu können: Das ist die höchste Fähigkeit und Leistung eines Menschen. Das verlangt aber ein hohes sittliches Bewusstsein und eine große Aufmerksamkeit auf die persönlichen Lebens-Motive. Der Mensch sollte immer auf der Spitze seines Seins und Daseins stehen; er sollte lernen, in allem, selbst im Kleinsten, sich selbst zu kontrollieren, über sich selbst zu Gericht zu sitzen und seiner sittlichen Aufgabe sich stets bewusst zu sein. – Um auf diese Weise auf die Spitze seines Daseins zu kommen, braucht es keine besonderen Studien, kein philosophisches Wissen, sondern der natürliche, mit der gesunden Vernunft gepaarte Lebenssinn kann den Menschen – immer die Gnade vorausgesetzt – zu dieser Lebenshöhe führen. Das große Hindernis gegenüber diesem erhabenen Lebensziel ist die mehr oder weniger große moralische Unfähigkeit oder Unordnung, das Gebunden- und Gehemmtsein durch Anlagen, die den Menschen zersplittern und ihm die Kraft zur Selbstkonzentration und zum bewussten Selbstumschauen nehmen. Die Art und die Kraft der Bewusstheit und die selbstige Zielstrebigkeit bestimmen den Wert und die Größe eines Menschen.

4329 |        Worin besteht aber letztlich die Fähigkeit des selbstigen Zusammenfassens? Sie besteht in der Vollkommenheit der Struktur der betreffenden Existenz, in ihrer Durchlässigkeit für den Geist, in der Hindernislosigkeit gegenüber dem Geist. – Auch Gottes Wesen hat sozusagen eine „Struktur“, nicht eine solche materieller Art, sondern geistiger Art, einen Geist-Aufbau. Alles, was Eigenschaften aufweist, ist ein geistiges Gebilde, man möchte sagen: eine Zusammensetzung dieser Eigenschaften. So ist in gewissem Sinne auch in Gott eine Zusammensetzung von Eigenschaften und Vollkommenheiten, und zwar die großartigste Zusammensetzung von Vollkommenheiten in der einfachsten Art. – Auch die Sonne hat die mannigfachsten Eigenschaften, die von größter Wichtigkeit für unsere Welt sind, und doch bewirkt sie alles nur dadurch, dass sie scheint, als „mit einem Strahl“. In Gott, der großartigsten Geist-Struktur, ist alles mit seiner göttlichen Existenz selbst gegeben und darin enthalten. Die Vollkommenheit des Aufbaues der göttlichen Geist-Struktur ist die Voraussetzung für das existenzielle (mit seiner Existenz gegebene) göttliche Bewusstsein. – Wenn ein Mensch in seiner geistig-leiblichen Gliederung so harmonisch geordnet wäre, dass sich die in ihm befindlichen Anlagen in keiner Weise behindern, sondern im Gegenteil sich gegenseitig nur harmonisch unterstützen würden, und wenn dazu auch eine vollkommene Art der Selbstbespiegelung, Selbsterkenntnis und Selbstdurchschauung in Tätigkeit wäre, so könnte dies in etwa eine Ahnung vom göttlich-existenziellen Bewusstsein geben. In Gott sind alle Vollkommenheiten seiner göttlichen Struktur mit seiner Existenz gegeben, und durch seine Existenz ist Gott sich bewusst.

4330 |        Die zweite göttliche Person als Gottmensch bewahrte als unveränderliches göttliches Wesen diese Art von göttlichem Bewusstsein. Wie war aber dies in einer menschlichen Natur möglich, die doch den Bewusstwerdens-Akt als Anlage hat? Musste da nicht eine Aufteilung in zwei Wesen, also in ein göttliches und menschliches Bewusstsein erfolgen? Kommt nicht auch noch eine zweifache Existenzart in Christus, nämlich die göttliche und die menschliche, dazu? – Und doch war in Christus nur ein Bewusstseinsakt, nämlich der gottmenschliche; denn in Christus waren die beiden Naturen zu einem einzigen Leben und Lebensakt verbunden. Dennoch war das Selbstumfassen als Bewusstseinsakt in Christus nicht nur göttlicher, sondern auch menschlicher Art. Wie ist dieser eine Bewusstseinsakt bei zwei in sich so verschiedenen Naturen und „Lebenselementen“ möglich?

4331 |        Das göttliche, ewige Wesen der zweiten göttlichen Person war zuerst vor der menschlichen Natur da. Im Akt der Menschwerdung lebte sich die göttliche Person der menschlichen Natur ein. Die göttliche Person „umlebte“ die werdende menschliche Natur und fasste sie in einem „Lebensakt“ zusammen, sodass Gott Mensch wurde. Dies war das Erlebnis der göttlichen Person, das persönliche Erlebnis des ewigen Wortes. Das eigenpersönliche Erleben und Erfahren des Menschseins (vonseiten des ewigen Wortes) war zugleich ein Akt des Durchlebens der menschlichen Natur, war wie ein Lebenskeim, der die gottmenschliche Existenz durchpulste. Die vollkommene Ordnung und Harmonie der menschlichen Natur und Existenz Christi, ihre Hindernislosigkeit gegenüber dem Geiste machte die Einheit des gottmenschlichen Bewusstseins möglich. Wo Harmonie und Ordnung ist, da ist Vollkommenheit; und da ist auch „Lebenszügigkeit“ und Geschmeidigkeit, Durchgeistigung und Mitnahme ins Geistige möglich. Durchgeistigung ist Auflockerung und Auflösung einer starren Ordnung, ist Teilnahme an der Geschmeidigkeit des Geistes.

4332 |        Man muss sich dabei immer wieder das Wesen des Geistes vor Augen halten, wenn man sich das gottmenschliche Bewusstsein nahebringen will. Der göttliche Bewusstseinsakt als der einer geistigen, göttlichen Person ist „wesentlich“, d. h., die göttliche Existenz ist zugleich göttliches Bewusstsein. Dieser göttlich-wesentlich-existenzielle Bewusstseinsakt ist möglich aufgrund der Vollkommenheit der göttlichen Geist-Struktur. Die höchste Fähigkeit einer Existenz besteht darin, sich selbst zu erkennen, zu umfassen und zu durchdringen, sodass alle Eigenschaften der Existenz im selbstigen Blickfeld zusammentreffen. – Nun besaß aber auch die zum Zweck der Menschwerdung und Erlösung geschaffene und ausgestattete menschliche Natur Christi eine höchste Erlebnisfähigkeit zur göttlichen Person und damit zu Gott hin und diese vollkommene Ordnung und Harmonie wurde zur Befähigung für das Mitgehen oder Mitgenommenwerden mit dem göttlich-existenziellen Bewusstsein. Die in der menschlichen Natur grundgelegte Erhabenheit und Leichtigkeit ergab die Möglichkeit des gottmenschlichen Bewusstseins oder des einen Lebensaktes in den zwei Naturen in Christus.

4333 |        Für die göttliche Person Christi als Gott blieb die göttliche Heiligkeit das Wesenselement und das immerwährend erreichte göttliche Ziel. Das menschliche Ziel Christi war — infolge der hypostatischen Vereinigung der göttlichen Natur mit der menschlichen – die allseitige sittliche Vollkommenheit, d. h., das menschliche Ausleben göttlicher Eigenschaften und Vollkommenheiten in gottmenschlichen Akten und Taten.

4334 |        Die Befähigung der menschlichen Natur Jesu zum Mitvollziehen des existenziellen gottmenschlichen Bewusstseinsaktes hatte ihren Grund in der Substanz der Seele. Wie schon früher erklärt, ist durch eine „Rückbildung“ der Lebensakte in die Substanz der Seele eine „Verkürzung“ oder Vereinfachung des Lebensumsatzes möglich und gegeben. Alle Fähigkeiten der Seele, die sich zu ihrer Betätigung mit den Sinneswerkzeugen verbinden müssen, haben doch ihren Sitz in der „Substanz“ oder im Zentralpunkt der Seele. Die Substanz ist das Getrage der Fähigkeiten, die von da in die Sinne übergeleitet werden. Wir hören zum Beispiel mit den Ohren, aber die Ohren allein würden nichts nützen, wenn nicht in der Seele die Fähigkeit wäre, fremde Eindrücke aufzunehmen, uns mit anderen Wesen zu verständigen und zu verstehen, also eine geistig-substanzielle Verständigungsfähigkeit. Nach dem Tode werden wir „ohne Ohren“ sein und werden doch andere „hören“ und verstehen können. – So geht zwar all unsere Betätigung auch über die Sinne, aber alles, was man sich durch diese Betätigung und Übung wirklich erworben hat, das bleibt in der Substanz der Seele aufgespeichert als Besitz. Das gilt auch auf dem moralischen Gebiet: Alles, was man durchkämpft hat bis zum vollen Sieg über die Unordnung in der Natur, alles, was man schon kann, das bleibt der Seele erworben. Auch das fest und unverlierbar erworbene Wissen wird zur unverlierbaren Weisheit, die in der Substanz der Seele aufgespeichert ist und sich wie natürlich betätigt. Alle durch das Leiden erworbenen Energien werden zur Gewohnheit oder zur zweiten Natur.

4335 |        Während aber wir alles auf dem Weg über unsere Fähigkeiten erwerben und schließlich zum existenziellen Besitz der Substanz der Seele machen müssen, waren die göttlichen Eigenschaften in Christus eine „fertige Sache“ und hat sich Christus nicht so sehr auf dem Weg über die Fähigkeiten, als vielmehr durch die Substanz der Seele betätigt. Während bei der Unvollkommenheit unseres Intelligenzlebens die Fantasie viel und unnötig arbeitet, herrschten in Christus die seelisch-wesentlichen Betätigungen.

 

Dezember

28.12.19501727

Erklärung

4336 |        Ich habe die klare innere Anregung, folgende persönliche Erklärung abzugeben, d. h. meine „erlebte, übernatürliche Berufung zum Opfersein für das Priesterwerk“ darzulegen.

4337 |        Meine erlebte Berufung zu diesem Opfersein geht bis in meine Kindheit, bis auf die Zeit des ersten Gebrauches meiner Vernunft, zurück. Soweit meine Erinnerung reicht, d. h. schon in den allerersten Schuljahren wurde mir durch eine bewusste innere Führung vom Heiland mein Lebensziel gegeben. Der Heiland gab sich mir dabei als „er“ zu erkennen, und infolgedessen konzentrierte sich mein ganzes Wesen, mein Suchen und Finden auf ihn. Das mir gegebene Lebensziel war ein „geistiges Programm“, das sich schon von Anfang an mit der vollkommenen Hingabe an Gott verband, der mir ein bestimmtes geistiges Ziel versprach. Mit den Jahren wuchs dieses mir gezeigte geistige Ziel an Klarheit und Unbedingtheit, und mein gesamtes Menschsein schloss sich gleichsam mit diesem Ziel zu einer Einheit zusammen. So war ich von Jugend auf in einer bewussten Bindung und Verpflichtung gegenüber einer Aufgabe, „die mein ganzes Leben ausfüllen“ würde. War ich bis zum Alter von etwa 20 Jahren in einer erlebten und gefühlten Lebens- und Liebeseinheit mit dem Heiland, so begann von da an eine andere Form der Vereinigung; das Ziel wurde klarer umrissen und ich wurde deutlicher angesprochen und dafür beansprucht. Es war eine klare, ausgesprochene Forderung Jesu, dass ich ihm Opfer sein solle für seine Absichten – weil er „ein großes Werk für seine Kirche gegründet haben“ wolle.

4338 |        Ich habe alle jene inneren Ansprachen bei Gelegenheit gelehrten Priestern (Weltpriestern, Jesuiten und Dominikanern) schon damals unterbreitet, um Klarheit zu bekommen in der mich quälenden Frage, ob ich diesen mit außergewöhnlichen Liebesbeweisen verbundenen Ansprachen trauen könne. Nachdem ich die von den Priestern verlangten Aufschlüsse über mein Innenleben gegeben hatte, wurde mir vonseiten dieser Priester versichert, dass diese Ansprachen und Forderungen als vom Heiland kommend und mit dem Geiste Gottes identisch zu halten seien, und ich wurde aufgefordert und ermutigt zu rückhaltloser Hingabe an ihn.

4339 |        Mit meiner Hingabe an Jesus wuchs auch die Klarheit über seine Absichten. Er ließ mich die Not der Kirche schauen, den drohenden Unglauben, die Angriffe der Hölle gegen die Kirche, die Seelennot der Menschheit, das Überhandnehmen des satanischen Geistes. Er zeigte mir aber auch, wie er dem gegenüber die Liebe seines Herzens ausgießen wolle in einem zu gründenden Werk. Dieses Werk sei ein Zusammenschluss von Priestern, die in einem vertieften Geiste leben und damit ein neues Apostolat ausüben sollen, um schließlich alle Priester in diesem vertieften Geiste zu vereinen. Jahrelang wurde mir über dieses Apostolat für die Priester immer größeres Licht und Klarheit gegeben, und unentwegt stand dieser Wille Jesu zum Heil seiner Kirche vor meinem Geiste. – Ich habe alle jene geistigen Erlebnisse meinen Seelenführern dargelegt und erhielt immer wieder die Anweisung zur Treue gegenüber den göttlichen Forderungen. Der Heiland versprach immer wieder für seine Priester „neue Gnaden“, die den jetzigen Zeiten der Kirche angepasst seien: Er wolle eine Vertiefung des Priestertums herbeiführen und dieses dem verderblichen Zeitgeist entgegenstellen. Ich erhielt im Einzelnen viel Klarheit über das „Priester-Werk“ selbst. Der Heiland nannte es „das größte Anliegen seines Herzens“, weil dadurch seine Kirche zu einer geistigen Erneuerung geführt werde. (Diese Führung dauerte etwa drei Jahrzehnte und war mit inneren und äußeren Leiden verbunden, die mein Leben wirklich für jenen Zweck geopfert sein ließen.)

4340 |        Es wurden mir auch nähere Umstände bezüglich der Gründung des Priesterwerkes gezeigt: ein Priester, dem Jesus die geistige Ausbildung des zu gründenden Priester-Apostolats übergeben wolle und den er dazu berufen habe. – Es kam dann die Stellungnahme gegen diese Forderungen und für mich das schmerzliche Geopfert-sein und Gekreuzigt-Werden für geistige Ideen, die von vornherein abgewiesen wurden. Es kamen aber auch jene geistigen Stützen für die Absichten Gottes, die meinem gekreuzigten Leben jenen Halt gaben, dessen ich in meiner bedrängten Lage bedurfte. – Eine entscheidende Hilfe war zunächst S. Ex. Bischof Tschann von Feldkirch, der von Erzbischof Waitz (von Salzburg) die Weisung bekam, den Fall eingehend zu prüfen. Bischof Tschann ermutigte mich: Kein Kreuz und kein Opfer dürfen mir zu schwer sein, um dem Herrn in dieser wichtigen und für seine Kirche so nützlichen Sache zu dienen; ja, gerade das Kreuz sei die Hoffnung – wie immer in diesen Dingen. – Auf seinen Rat hin, nahm ich eine Einladung (eines Dominikanerpaters) nach Rom an, womit mir die Möglichkeit einer Hilfe in Aussicht gestellt wurde. In Rom legte ich die ganze Sache dem bekannten Theologen P. Garrigou-Lagrange O.P. vor. Sein Urteil war eine Aufforderung und Ermutigung, den Forderungen Jesu und meinem geistigen Ziele treu zu bleiben, trotz des Widerspruchs der Gegner. P. G.-Lagrange sagte mir auch: Verschiedene andere Seelen sprechen ihm vom gleichen Werke, das der Heiland gegründet haben wolle, und er erkenne darin die Stimme des Heiligen Geistes. Er hat den ganzen Fall eingehend und jahrelang geprüft, mit anderen Dominikanern Rücksprache genommen und meine Aufzeichnungen examiniert. – Eine weitere Bestätigung wurde mir gegeben durch die jahrelange Seelenführung des bekannten Professors am Bibelinstitut P. Merk S.J., der mein Innenleben und meine geistigen Erlebnisse einer sorgfältigen Prüfung unterwarf und mir wiederholt feierlich als Priester die Versicherung gab, er habe nicht den geringsten Zweifel gegen das echte Wirken der Gnade Gottes in meiner Seele oder an der Übernatürlichkeit meines Innenlebens; an der göttlichen Herkunft des Priesterwerkes sei nicht zu zweifeln. P. Garrigou-Lagrange hat dann persönlich Rücksprache genommen mit P. Merk, und er könnte darum jederzeit über seine Aussprache mit P. Merk gefragt werden. Nicht von mir aus, sondern auf Gottes Anregung hin musste ich zu S.Ex. Bischof Hudal gehen, der sich ebenfalls ein Gutachten von P. Merk S.J. geben ließ.

4341 |        Was der Heiland wünscht, ist dies:

1. Schon von Anfang an erkannte ich im Priesterwerk einen Zusammenschluss, eine Organisation von Priestern, die vermittels jenes vom Heiland bezeichneten Priesters, P.B., in einen vertieften Geist eingeführt werden und die aus dem vertieften Glaubensgeist jene „neuen Gnaden“ schöpfen, die der Heiland als Heilmittel für die heutige Zeit verspricht. Das Dogma soll zu einer persönlichen Anwendung und zu folgerichtiger Betätigung gelangen; dadurch sollen jene Gnaden zum Fließen gebracht werden, die das heutige oberflächliche Glaubensleben entbehrt. Die Mitglieder des Priester-Apostolats sollen „persönlich“ von einem vertieften Glaubensgeist erfasst sein und sollen diesen zum Ausgangspunkt nehmen für ein fruchtbares Apostolat an der Gesamtheit der Priester.

2. Der Herr will als geistige Grundlage des Priesterwerkes die ignatianische Organisation und Arbeitsmethode, damit das Apostolat fruchtbar durchgeführt werde. Deshalb hat der Heiland einen Jesuiten erwählt, um dem Priesterwerk diese Grundlage zu geben; denn der Zweck und das Ziel des PW verlangt eine entsprechende Grundlage, um die gottgewollte Fruchtbarkeit zu ermöglichen. Das PW ist ein geschlossenes Apostolat von Priestern, die eine bestimmte geistige Schulung haben und die auf ignatianischer Grundlage es sich zur Aufgabe machen, ein umfassendes, gottgewolltes Apostolat an den Priestern gemäß den Absichten des Herzens Jesu auszuüben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Jahr 1951

Grundlage: M1

 

 

 

 

 

 

xx.xx.1951

4342 |        Wie kommt es zu der verschiedenen Empfindungsfähigkeit der einzelnen Personen?

4343 |        Die menschliche Person ist gleichsam in einem Kreis psycho-physischer Betätigungen eingeschlossen, die sozusagen sein individuelles Dasein ausmachen. Der Mensch ist ja in gewissem Sinne ein Augenblicks-Individuum, d. h., sein Dasein setzt sich aus ungezählten Augenblickserlebnissen zusammen, ähnlich wie sein physisches Dasein sich auf der Grundlage gegenseitiger Antriebskräfte vollzieht, wie dies allem „Lebendigen“ eigen ist. Das Wunderbarste bei allem Lebenden ist ja gerade die Tatsache dieses „Lebensantriebes“, wodurch die verschiedenen Daseinskräfte sich in Verbindung und in Bewegung setzen.

4344 |        Diese Antriebskraft stützt sich aber auf die schon vorhandenen Lebensfähigkeiten, die in sich schon die Anlage und Fähigkeit besitzen müssen, nach den ihnen eigenen Gesetzen zu existieren. Da nun aber diese Fähigkeiten bei den Einzelnen verschieden sind, weist jedes Individuum seine eigene persönliche Gesetzmäßigkeit auf, in deren Ablauf und Ordnung der Mensch im Allgemeinen nicht eingreifen kann, d. h., er kann nicht „von unten“ oder durch Änderung der physischen Antriebskraft eingreifen.

4345 |        Der Mensch ist aber zugleich ein „selbstiges Individuum“, das sich „von oben her“, d. h. durch seine höheren Anlagen und Kräfte weitgehend „beherrschen“ kann. Er kann zwar den naturgegebenen Gesetzen des psychophysischen Umlaufes nicht entgegentreten, aber er kann doch der Art der Einwirkungen auf seine höhere Empfindungsanlage ein geordnetes „Halt!“ entgegensetzen. Dieses „Halt“ nennt man im profanen Leben „Selbsterziehung“, im religiösen Sinne „Aszese“. Die Aszese oder Selbsterziehung bildet erst den „geordneten“ oder selbstbeherrschten Menschen, der sich gerade durch die Selbstbeherrschung von jedem bloß animalischen Lebewesen unterscheidet. – Von der Selbstbeherrschung aus kann es der Mensch bis zur Selbstbezwingung und von da zum vollkommenen selbstbezwungenen oder selbstbeherrschten Menschen bringen. Auch bei einem solchen vollkommenen, „geordneten“ Menschen bestehen wohl die gleichen Reize und Reaktionsmöglichkeiten wie vorher; was sich aber geändert hat, ist die tatsächliche Reaktion und die „Zeitspanne“, in der die unwillkürliche Reaktion gleichsam „aufgehalten“ und vom Willen als der höchsten und wichtigsten Stütze der Personkraft bestimmt wird. – Bei dieser „Zeitspanne“ handelt es sich aber immer nur um Augenblicke; denn wenn auch unsere „Reaktion“ auf die jeweiligen Reize und Eindrücke sich praktisch „in einem Augenblick“ (wie man sagt) vollziehen, so brauchen sie tatsächlich doch eine gewisse, wenn auch sehr kurze und bei den einzelnen Menschen verschiedene „Zeitspanne“. Beim „rasch“ empfindenden Menschen sind die Reaktionen schneller da als beim langsam empfindenden.

4346 |        Die Reize oder Eindrücke werden durch die Sinne aufgenommen und an das Gehirn weitergeleitet. Dort werden sie bewusst, und ihrem Bewusstwerden folgt unmittelbar die Stellungnahme der höchsten Personkraft, nämlich des „Ich“, dessen Reaktionen wenigstens bei wichtigen Entscheidungen und Leiden ungefähr in der Herzmitte lokalisiert empfunden werden. (Man erlebt wohl nur bei der „Rückbildung“ der seelischen Betätigungen auf die Seelensubstanz den eigentlichen Sitz des Empfindungslebens).

4347 |        Der Mensch erlebt sich kraft seiner „Empfindungen“, die ihm auch seine eigene Existenz anzeigen. Ein Mensch, der nicht empfinden würde, wäre kein wahrer Mensch, d. h. kein normaler Mensch. Die Wege und Linien aber, welche ein Reiz oder Eindruck durchläuft, bis er zur persönlichen Empfindung wird, gehen gleichsam „unterirdisch“, d. h. naturgegeben und im verborgenen oder sozusagen „mechanisch“. Sie sind aber verschieden je nach der Eigenart und Stellungnahme der betreffenden Person. Alle Empfindungen, Erlebnisse gehen den Weg der Bewertung durch die Person, weil der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, das sich selbst bestimmt. Alle Reaktionen werden dem selbstigen Erleben zugeführt, bzw. als entsprechendes Erlebnis bewertet. Jede Empfindung wird vom Personträger „bewertet“, und so richtet sich die „Bewertung“ nach dem Wert, dessen die Person sich selbst für würdig erachtet. In der Bewertung der Erlebnisse und Empfindungen kommt die persönliche Urteilskraft zum Ausdruck. Ein Mensch mit starker Selbstachtung, zum Beispiel, bewertet alle Erlebnisse als starken „Selbstwert“, das heißt, er misst jedem Eindruck einen großen Wert zu. Die übergroße Selbstbewertung übt einen ständigen Einfluss auf das Empfindungsvermögen aus. Ein minder bewertetes Erlebnis muss nicht immer einer „minderwertigen“ Person entstammen, sondern kann gerade von einer in sich selbst geordneten Personkraft kommen. – Die Überbewertung der Empfindungen kann eine angeborene Anlage oder eine anerzogene Gewohnheit sein, die zu krankhaften, bzw. eingebildeten Empfindungen führen kann. – Auch bei den physischen Empfindungen spielt die Selbstbeherrschung eine große Rolle. Als „Tugend“ nennen wir die Selbstbeherrschung „Geduld“.

4348 |        Wie waren nun die Empfindungen bzw. die Empfindungsbewertung im Gottmenschen Jesus Christus? – Er konnte aus seinem göttlichen Wert nicht heraus, denn dieser war ihm göttlich-wesentlich eigen. Jedoch der Abstand zwischen dem göttlichen Wert seiner Person und zwischen dem Erleben seines menschlichen Daseins schien unüberbrückbar. Wie wurde er aber dennoch überbrückt? Das Geheimnis lag in der „göttlichen Herablassung“, die gleichsam die Vermittlung zwischen der Würde der göttlichen Person und dem menschlichen Dasein war (auch bei Menschen mit hoher Selbstbewertung liegt in dieser Richtung die Lösung bei Empfindungen und Erlebnissen, die der Person widerstreben). Mittels seiner göttlichen Herablassung nahm Christus das Menschendasein auf sich. Diese Herablassung wurde für die göttliche Person Christi zu einer tatsächlichen, praktischen „Übung“, zu einem Akt des Auslebens der göttlichen Person, wovon sein gesamtes, gottmenschliches Leben betroffen wurde, bzw. woran es teilnahm. Bestimmend für dieses Teilnehmen war sein göttlicher Wille, nachdem die göttliche Person selbst es so gewollt hatte. Freilich sind in Gott Person und Wille wesenhaft verbunden, während sie im Menschen aufeinander angewiesene Lebenselemente sind. – Das göttliche Wesen der zweiten göttlichen Person „ließ sich herab“; sein göttlicher Wille bestimmte die „Herablassung“ und führte im gottmenschlichen Dasein das aus, was die göttliche Person „wollte“. So „könnten“ wir im Gottmenschen den göttlichen Willen klarer unterscheiden, weil der Wille des göttlichen Wortes sich im Akt der Menschwerdung tatsächlich und in außergewöhnlicher Weise betätigt hat. Mit diesem göttlichen Willen, Mensch zu werden, nahm Jesus Christus das Menschsein auf sich. Es war aber in Christus jeder Akt seines Lebens bewusste Selbstentäußerung und Herablassung; denn wegen der Vollkommenheit seiner Person als eines göttlichen Wesens gab es in seinem Leben keine bloß allgemeine Gesamtentscheidung, sondern jeder Augenblick und Akt seines göttlichen Lebens in Menschengestalt war faktisch (vollendet und vollkommen) vollbracht, bewusst auf eine göttliche Absicht hin. Jeder gottmenschliche Lebensakt in Christus war in sich eine göttliche Herablassung, weil er damit immer etwas vollbrachte, was ihm und seinem göttlichen Wesen nicht zustand.

4349 |        Der Mensch erlebt sich selbst vermittels seines selbstigen psychophysischen Umsatzes. Dieser vollzieht sich aber nicht bewusstseinsmäßig, sondern organisch, kraft des Lebensprinzips. Der organische Umsatz ist eine wechselseitige, sich unterstützende Betätigung der leib-seelischen Kräfte, kommt aber dem Menschen nicht unmittelbar ins Bewusstsein. Das menschliche Lebensprinzip kann nicht bestehen oder sich betätigen ohne Bindung an Organe oder an den psychophysischen Lebensumsatz, der erst zum vollen Lebensprozess und seinen Empfindungen führt.

4350 |        Die Hauptfaktoren zur Auslösung des Empfindungsvermögens sind die Sinneswerkzeuge, mittels derer ein Reiz sich der menschlichen Existenz mitteilt. Diese Mitteilung beruht auf eine Reizwirkung oder auf einem Antrieb zur Reizmitteilung. Man kann sagen: Der ganze Körper ist eingestellt auf die Reizmitteilung und reagiert auf die Reize oder Eindrücke. Neben den äußeren, sinnenhaften Reizen gibt es auch geistig-gemütshafte Reizwirkungen oder Eindrücke. Die sinnenhaften und die geistig-gemütshaften Eindrücke verbinden sich und bilden die bewusstseinsmäßigen, persönlichen, einheitlichen Empfindungen. Weil das Ich durch jeden Reiz oder Eindruck persönlich angesprochen wird, so löst die Reizmitteilung immer eine persönliche Reaktion oder Rückwirkung aus. Diese Reaktion ist nicht zu trennen vom Gemütsleben, denn jeder Eindruck ruft eine positiv oder negativ wertende Reaktion hervor.

4351 |        Das Zentrum des Empfindungslebens liegt gleichsam im Gehirn, weil dort das Zentrum des Bewusstwerdens ist. Der Mensch erlebt sich durch das Bewusstwerden der Geschehnisse in ihm selbst. Auch Empfindungen „lokaler Natur“ werden vermittelst des Gehirns hervorgebracht; es ist aber nicht so, dass das Gehirn selbst empfindsam wäre, sondern die Reize und Eindrücke werden dort bewusst.

4352 |        All die einzelnen Reizeinflüsse rufen auch ständig eine entsprechende Reaktion im Menschen hervor und machen sein Gesamtbild bzw. sein Allgemeinbefinden aus. Der Mensch fühlt sich so, wie seine Empfindungen es ihm ausdrücken. Im Allgemeinen kann der Mensch nicht absehen oder abstrahieren von seinem „Allgemeinbefinden“. Es kommt aber entscheiden darauf an, in welcher Weise diese Empfindungen verarbeitet werden, d. h., wie die menschliche Person darauf antwortet. Die Art und Weise dieser Verarbeitung oder Bewertung richtet sich nach der Art und Weise der individuellen Person und ist daher von Mensch zu Mensch verschieden.

 

Januar

xx.01.1951

 Über die Rückbildung der Lebensfunktionen auf die Substanz der Seele.

4353 |        Man kann in der menschlichen Existenz zwei bildende Faktoren unterscheiden: Jene, welche der individuellen Persönlichkeit aus ihren ererbten Anlagen zukommt; und jenen, den der Mensch sich gleichsam „einlebt“ infolge der Verhältnisse und der Umwelt, worin er sein Leben verbringt. Die ererbten Anlagen verbinden sich unbewusst mit dem bewussten, durch die Umwelt bestimmten Leben.

4354 |        Sobald der Mensch in das bewusste Leben eintritt, nimmt er alle sichtbaren und empfindbaren Eindrücke, die Eigenart der Erziehung und der Schule und überhaupt die Gegenstände seiner täglichen Erfahrung in sich auf und lebt sie dem substanziellen Wesen seiner Seele ein. Der Mensch ist so geschaffen, dass seine Seele ständig nach Objekten greift und sucht und sich mit ihnen verbindet, um seine Existenz zu schützen. Im unbewussten Tiefgang der Seele verschmelzen und verhärten sich diese Erfahrungen mit dem individuellen, durch die geerbten Anlagen gegebenen Grundstock, und so bildet sich allmählich die individuelle „Lebensart“. Diese individuelle Lebensart wird schließlich im aufwachsenden und reifen Menschen so mit seiner Person verbunden, wie wenn zum Beispiel Harz sich mit Eisen verbinden und vermengen würde. Es wird sozusagen sein individueller Lebensstamm, aus dessen Lebensart alle individuellen Erlebnisse herauskommen, und der Mensch formt sich gleichsam ein persönliches Recht, so und so zu sein.

4355 |        In Christus war dies anders. In ihm war nicht ein vererbter Grundstock, und seine Seele war nicht mit den einem menschlichen Individuum eigenen Anlagen verbunden. In seiner Menschheit war darum eine ganz andere Gelöstheit, in die wir grundstamm-mäßig geformte Menschen niemals ganz eindringen können, weil bei uns immer schon die individuellen Anlagen und Erlebnisse mitsprechen. Deshalb war auch die Kindheit und Jugendzeit Jesu nicht in der Form gebildet, wie im gewöhnlichen Menschen, nämlich nicht in der Form des individuellen Verausgabens und Hereinnehmens. Er lebte sein göttliches Wesen als Persongrundlage. Die menschliche Natur, die er von Maria annahm, war durch ihre geistige Erhebung und infolge der Reinheit Mariens nicht so sehr mit Individuellem verbunden. In Maria war schon alles „in Gott gebildet“ und so bildete das Vererbungsgut in Maria eine gottgemäße „menschliche Ebene“ zur göttlichen Person; es war das „reine“, objektive Menschsein. — Was Christus aus dem Erfahrungsleben genommen hat, das bildete sich nicht grundstockmäßig aus, sondern seine Person blieb unverändert auf der göttlichen Grundlage. Sein Leben hat sich nicht so sehr „verändert“ wie bei uns, die wir immer den jeweiligen Einflüssen unterworfen sind. Er hat die Erlebnisse auf der „göttlichen Ebene“ verarbeitet und in den Dienst seines Erlöser-Seins gestellt. Sein „Leben“ lag auf einer anderen menschlichen Höhe, als das unsere, kraft dessen Verbindung mit seiner göttlichen Natur. Es blieb immer die göttliche „Beweglichkeit“ in ihm.

4356 |        Die großen Leiden der letzten Zeit bezweckten die Auflösung meines Lebensgrundstammes, die Rückbildung jener „Verhärtungen“, die der Mensch strukturmäßig in sich trägt. Das „Wesen“ des Menschen ist eben so angelegt, dass jeder gezwungen ist, das Grundstockmäßige des Individuums „Mensch“ auszuleben. Wenn das aufgelöst oder gleichsam „weggenommen“ wird, so scheint das einmal wirklich wie die Hölle zu sein. Warum?

4357 |        Im Gegensatz zu Gott verdient eben der Mensch eigentlich die „Hölle“, d. h., jeder Mensch, der durch die erbsündlichen Anlagen im Gegensatz zu Gott steht, ist durch seine eigene Unordnung eine solche Entehrung des Schöpfers, dass dies der denkbar furchtbarste Gegensatz ist. Um vollständig geläutert zu werden, müsste eigentlich jeder Mensch in eine „Hölle“. So sind also jene Leiden gleichsam das göttliche Gericht über den „Menschen“; und man erlebt bei dieser Umstellung erst, bis in welche Tiefe die menschlichen Anlagen gehen.

4358 |        Die Hölle ist ja das Erleben des Bösen im Menschen. Und die „Ewigkeit“ ist der fortwährende1728 Augenblick des tiefsten Getrenntseins oder gleichsam das Eingeschlossen-sein in einen Raum, wo man keinen Augenblick „vorwärts“ sieht, also das Eingeschlossen-sein in den jeweiligen Augenblick der Existenz, wobei man vom vorhergehenden oder vom nächsten Augenblick „abgeschnitten“ ist. Die Ewigkeit ist also der Abschluss der „beginnenden und sich aufrollenden Zeit“, womit das Voraussehen oder das Zurücksehen aufhört; sie ist also für den Menschen das Aufhören der Zeit, ein gewisser „Zeitpunkt“, der immer der gleiche bleibt. Wenn zum Beispiel der Mensch nur die nackte Substanz leben würde, ohne dass ihm der Intellekt sagt, es ist nur ein Augenblick, dann könnte man dies als „Ewigkeit“ bezeichnen. Der Mensch ist aber ein voraussehendes und zurückschauendes Wesen; die nackte Existenz nützt ihm sozusagen nichts, sondern der Intellekt muss der Substanz der Seele das Licht geben, um das Leben schrittweise auszuleben. Der Mensch ist von einem Augenblick auf den Anderen angewiesen, und dass der eine Augenblick das Leben dem anderen bietet, das ist die große Befriedigung für den Menschen und ist der menschliche Lebensrhythmus. Wo aber das Einsehen der „Zeit“ aufhört, dort beginnt die Ewigkeit, wo der Intellekt die „Zeit“ nicht mehr angibt. In ähnlicher Weise hat auch das Tier keine beginnende Zeit, sondern hat ein Augenblicks-Dasein, nur dem augenblicklichen Instinkt hingegeben.

4359 |        In diesen Leiden der Rückführung auf die Substanz der Seele ist man dem nackten Lebensprozess ausgeliefert, den eigenen Anlagen ausgeliefert und kann nicht das tun, was einem für gewöhnlich mit Gott verbindet. Es scheint darum ein „Bruch“ in dem Verhältnis zu Gott zu sein, denn die „nackte Existenz“ reicht nicht hin, um zu einem Akt der Ruhe in Gott zu kommen. Deshalb fragt sich und klagt die Seele unwillkürlich: Was habe ich denn angestellt? Und es scheint ihr: Aus dieser Hölle komme ich nicht mehr heraus. Der ärmste Mensch ist der Verdammte, der sein „Leben“ nicht beenden kann. Und doch „lebe“ ich noch, d. h., habe noch Fleisch und Blut; aber ich bin dabei derart vergeistigt, dass mir dabei irgendwelches „Genießen“ nichts mehr als Lebensstütze bietet und dass es mir vorkommt, als habe ich keinen Leib mehr und alles Geist sei. Man erlebt sich dabei wie „leblos“, wie „im Geiste“. — Da kann man sich auch in etwa eine Vorstellung davon machen, wie das Leben der Seele nach dem Tode ist. Man begreift, wie der Verstand, der das Lebenslicht bedeutet, auch allein existieren kann. Im Jenseits ist der Mensch wahrhaftig1729 „Person“ auch ohne Leib; und sie hat gar keinen „Mangel“, auch wenn der Leib weg ist. Die eigentliche Existenz des Menschen liegt ja im Geiste des Menschen.

4360 |        Ähnliches erlebte ich jede Nacht, indem ich wie tot war für das physische Erleben. Ich war dabei dem eigenen Leib erstorben, gleichsam entleibt, und konnte doch vollständig „leben“ und empfand gar keinen wesentlichen Mangel. Ich erlebte mich nur Kraft des physischen Lebensumsatzes, der sonst im Unterbewusstsein bleibt und nicht bewusst erlebt wird. Freilich setzt das ein Höchstmaß von Ablösung und Aszese voraus, wobei die Natur wie entleibt wird, um im Geiste zu leben, der gleichsam alle Bedürfnisse in sich auflöst.

4361 |        Bei diesem Erleben hört sozusagen die „Zeit“ auf; denn die Zeit misst sich nach fühlbarem, genießendem Erleben.

4362 |        Die Zeit gehört dem „sinnenhaften Leben“ an, die abläuft im Raume von Essen, Trinken, Arbeiten, Schlafen, Licht und Finsternis, also der Abwechslung des sinnenhaften Lebens. Wenn dieses überwunden ist, kommt ein Ewigkeitserleben, das man auch (im obigen Sinne) ein „Augenblickserleben“ nennen kann. Die „Übungen“ und Erfahrungen bei diesem Erleben sind sowohl negativ wie auch positiv. Negativ ist man – den Empfindungen nach – wie tot für den Leib. Das sinnenhafte Wesen hört auf, und es betätigen sich positiv die geistigen Grundlagen der Seele, wie zum Beispiel Hören, Empfinden usw. Die Seele „beruhigt sich“ in gewissem Sinne, wenn sie von dem sinnenhaften Umsatz gelöst wird. Sie verliert aber nichts Wesentliches dabei, sondern sie kommt im Gegenteil durch diese ihre größere „Geistigkeit“ dem Geiste Gottes näher und bekommt eine höhere Geist-Begrifflichkeit. So ist dieses Erleben ein „Tiefgang“ hinein in die Wesensmitte der Seele und zugleich ein Hochgang, indem man irgendwie in die „Unmittelbarkeit“ Gottes eindringen kann.

4363 |        In meinem Falle handelt es sich um eine „natürliche“ (d. h. in meiner Natur bewirkte) Loslösung, um ein wirkliches Herausgehen aus dem sinnenfälligen und sinnenhaften Leben, um gleichsam in ein reines Geist-System einzutreten. Oft schien mir bei diesem Erleben: Im nächsten Augenblick bin ich überhaupt nicht mehr auf der Welt. Dann kommt aber die Angst der Natur: In diesem Zustand, in dieser Leere bin ich ja wie in der Hölle. Und wenn Schwester Josepha Menendez sinnenhaft „in der Hölle war“, so muss ich sagen, dass ich in anderer Weise „in der Hölle“ war. Es war nämlich das Erleben des „Bruches mit Gott“, wie ihn der Mensch in seiner gefallenen Natur eigentlich verdiente, nämlich getrennt zu sein von Gott. In diesem gefallenen Zustand hat der Mensch eigentlich „nichts mehr mit Gott zu tun“. Man kann sich aber bei diesem geheimnisvollen und unsagbar schmerzlichen Leben auch an nichts klammern; man kann keine „Hoffnung“ haben, und wenn der Mensch keine Hoffnung hat, so ist das in einem wahren Sinne die Hölle. Wo keine Hoffnung mehr ist, da gibt der Mensch sich auf. Dies ist aber das Leben der Verdammten in der Hölle: Der Mensch gibt sich auf, und kann doch seine Existenz nicht beenden.

4364 |        Dem göttlichen Heiland war immer das Wesen und die Tatsache der „Existenz“ in vollster Klarheit und Geistigkeit gegenwärtig, nicht schleierhaft, wie es bei uns ist. Die physischen und psychologischen Erlebnisse formen aber im Laufe der Zeit, gleichsam durch die dauernde „Pressung“, das Physische. Die geistigen Erlebnisse werden gleichsam „abgedruckt“ und abgebildet, und der Leib wird auf die bloße Seele hin, auf den Geist und auf das Ziel des Geistes hin geformt.

 

Verschiedenes

4365 |        Es gibt nur einen „Zugang zu Gott“, d. h., zu einer persönlich lebendigen Erkenntnis Gottes, und dieser Weg geht über Christus. Es gibt aber wiederum nur einen Zugang zu Christus, d. h. zu einer tiefen und lebendigen Erkenntnis Christi, und dieser Weg geht über das eigene, von der Gnade getragene Menschsein, d. h. das persönliche Erleben und Erfahren „innergöttlicher Geheimnisse“. Von diesem persönlichen Erfahren aus bildet sich eine lebendige Idee und Kenntnis von Gott. Nur das persönliche Erleben mithilfe der Gnade gibt einen wirklichen „Zugang zu Gott“, alles andere ist Spekulation und Theorie. Die bloße Verstandeserkenntnis gibt sozusagen nur ein „Gemälde“ von Gott; die persönliche, lebendige Erkenntnis aber erfasst den göttlichen Gegenstand selbst, und so ist der Mensch sich in sich selbst der „Weg zu Gott“.

4366 |        Im Heiland war jeder Akt infolge seiner göttlichen Natur „seinshaft“, und doch auch wieder infolge seines menschlichen Erfahrungslebens „daseinshaft“, d. h. seinem menschlichen Erfahrungsleben folgend. Dieses daseinsmäßige Aufgenommene verband sich in ihm stets mit dem göttlichen Wesenhaften und immer Vorhandenen.

4367 |        Zum „Person-sein“ gehört das Sich-selbst-erleben, das Konzentriert-sein in der Ich-Form. Wenn die Seele nach dem Tode nicht „Person“ wäre, so hätte sie keinen Bezug auf sich selbst und sie könnte sich auch nicht mit Bezug auf sich selbst erleben; damit wäre ihr aber das Wesen der Vernunft oder der Vernünftigkeit genommen. – Auch die drei göttlichen Personen haben die „Ich-Form“, aber diese gesonderten Ichformen sind in ihrer Wesenheit Gott, der eine Gott.

4368 |        Als Cham seinen Vater Noe verspottet hatte, bekam er die schwarze Hautfarbe infolge der Verfluchung durch Gott bzw. durch Noe. Auch nachdem Gott die Menschen aus dem Paradiese vertrieben hatte, „sprach“ er immer noch zu Ihnen und bewahrte im Menschengeschlecht ein gewisses unmittelbares Andenken an ihn und Wissen um ihn. – Ursprünglich hatten alle Menschen die weiße Hautfarbe; denn Gott hatte die Menschen schön von Angesicht und Gestalt geschaffen. Gleich nach dem Sündenfall veränderte sich das Aussehen der Menschen; denn Gott entzog ihnen die ersten besonderen Vererbungsanlagen und überließ sie den bloß natürlichen Anlagen. Weitere Verschiedenheiten und die Abänderung der verschiedenen Rassen waren dann bedingt durch die verschiedenen harten Lebensbedingungen.

4369 |        Der Leib ist die „Ausdrucksform der Seele“, und die Seele bildet sich in Abhängigkeit von den Gegebenheiten des Leibes.

 

01.01.19511730

4370 |        Das Priesterwerk soll ein Apostolat an den Priestern sein, das der Herr als Heilmittel unserer Zeit der Glaubensverflachung und des Unglaubens entgegenstellen will. Von den Priestern, den bevorzugten Dienern Christi, will er ein neues, vertieftes Glaubensleben auf das Volk, bzw. in der ganzen Kirche ausströmen lassen. Der Priester als Vermittler Christi soll die Quelle zum neuen Glaubensleben werden.

4371 |        Unser ganzes Glaubensleben ist begründet im Dogma. Die Lebensgestaltung der Lehre in praktischer Anwendung und Übung derselben soll im Priester vorbildlich vorgelebt werden. Damit erschließt sich dann neu eine schon bestehende Gnadenquelle; denn es wird nichts in der Kirche gelehrt, was Christus nicht auch zugleich fruchtbar machen will in den Seelen. Das Priesterwerk ist ein Hineingreifen und Herausschöpfen der Schätze der Offenbarung, der großen, unermesslichen Güter, die Christus uns in den Erlösungsgnaden darbietet. Im Priester sollen diese unermesslichen Güter zuerst angewendet und verwendet werden. Der Priester soll vorangehen in einer neuen, vertieften, geistigen Lebendigmachung des Gesamtorganismus der Kirche.

4372 |        Welches ist die äußere Betätigung des Priesterwerkes?

1. Nebst der persönlichen Verinnerlichung der Mitglieder des Priesterwerkes in dem von Christus gewollten Geist, hat das Priesterwerk die Aufgabe der praktischen Seelsorge an den Priestern, und zwar:

a) durch Veranstaltung von theologischen Nachschulungskursen;

b) durch Kurse, in denen den Priestern entsprechende Anleitungen geboten werden über die Verbindung von theologischer Lehre und praktischer Übung im persönlichen Seelenleben und der persönlichen Betätigung;

c) durch Priesterexerzitien im genannten Geiste sowie durch Kurse und Zusammenkünfte mit Aussprachen über zeitgemäße Seelsorgefragen.

2. Das Priesterwerk dient vor allem dazu, den Priestern durch entsprechende Anregungen und Schulungen auf die Höhe der Zeit und seiner Aufgabe in der Zeit zu bringen, damit er das Apostolat unter dem Volk fruchtbringender und zeitgemäßer gestalten könne. Das Priesterwerk soll zu einer Zentrale werden, wo die Priester geschult werden zum Zweck einer fruchtbaren Seelsorgetätigkeit und größeren Selbstheiligung, damit sie sich dem heutigen verderblichen Zeitgeist erfolgreich entgegenstellen können.

4373 |        Meist fehlen den Theologiestudierenden und den Neupriestern die Zeit und die Gelegenheit, um das durch das Studium in den Verstand Aufgenommene wirklich und praktisch zu verarbeiten und anzuwenden. Das Priesterwerk soll all diesen Schwierigkeiten und Mängeln Rechnung tragen durch entsprechende Nachschulungskurse, worin der erforderliche Ausgleich geboten werden soll.

4374 |        Christus will, dass man alle Mittel anwende und benütze, um seinem Reich zu dienen und seiner göttlichen Herrschaft zum Siege zu verhelfen. Und Christus will dieses Ziel erreichen durch entsprechend geschulte Priester, die fähig sind, sich auch persönlich ganz einzusetzen für seine göttlichen Absichten und für seine Herrschaft auf Erden.

 

Februar

xx.02.19511731

4375 |        Die Hauptaufgabe des Priesterwerkes ist die Übertragung der Dogmatik in die praktische Übung. – Das praktische Christenleben soll wieder in den Mittelpunkt der Theologie rücken und damit soll der ganze Mensch wirksam auf das Ziel hingeordnet werden. Die Theologie soll zu einem praktischen System werden. Auch das Philosophiestudium sollte in die moralischen Forderungen der Theologie eingebaut werden, und soll den ganzen Menschen erfassen. Der Priester muss von seinem Pflichtstudium „erfasst“ werden und in diesem Geiste selbst gebildet und geformt werden, bevor er den Gläubigen den Katechismus lehrt.

4376 |        Da das Theologiestudium gewöhnlich nur als ein „Intellektsstudium“ behandelt wird, sollen entsprechende Kurse diese moralische Umbildung nachzuholen suchen.

4377 |        Der Heiland verspricht entsprechende Gnaden, um dieses Bestreben fruchtbar zu machen. Der Priester soll zur unmittelbaren Anlehnung an die Berufsgnade des Priesterseins gebracht werden.

4378 |        Das Priesterwerk ist ein kirchliches Werk, aber es braucht als notwendige Unterlage die jesuitische Arbeitsmethode. Der Herr selbst hat in jahrzehntelanger Bestätigung Pater Baumann als den geistigen Organisator bezeichnet und durch alle Leiden und Verdemütigungen mit dem Geiste erfüllt, den Christus in Priesterwerk als Frucht erstehen lassen will.

 

20.02.19511732

4379 |        Es bedarf einer Überleitung und Überschulung von der theologischen Lehre in das „Practicum morale“, d. h., man muss die praktisch-sittlichen Folgerungen und Forderungen aus den dogmatischen Wahrheiten ziehen. Diese Forderungen müssen wiederum durch die Philosophie unterbaut werden, sodass das gesamte philosophisch-theologische Studium in einer für das sittliche Verhalten bedeutsamen Lebensformen verwertet und zu einer persönlichen Anwendung gebracht wird.

4380 |        Dadurch muss der Priester zu einer bestimmten, sittlichen Reife, Festigkeit und Mannhaftigkeit, mit einem Worte, zu einer wahrhaft priesterlichen Persönlichkeit heranwachsen. Er muss fähig und gewöhnt sein, das selbst zu üben, was er andere lehrt, und er muss damit zu einer gewissen sittlichen Vollkommenheit und Überlegenheit kommen. – Das religiöse Leben darf nicht auf den bloßen „Kult“ allein beschränkt bleiben, sondern muss auch innere Früchte der Vervollkommnung tragen und muss zu einer Vertiefung des christlichen Lebens im Volk führen.

4381 |        Es ist aber wichtig, dass man einheitlich vorgeht und dass nicht jede Diözese sozusagen ihre eigene Methode einführt. Deshalb ist eine Zentrale notwendig, worin die geistlichen Lehrer eingeschult und gebildet werden. Von diesen werden dann die Einzelnen wie in einem Noviziat geschult, damit die kommenden Priester in ihrem sittlichen Leben sich ganz im Geist, und sozusagen im Mittelpunkt des Dogmas sich bewegen. Durch eine solche Erziehung werden dann in den einzelnen Priestern bisher ungeahnte, persönliche Kräfte geweckt. Und die Frucht dieser Erziehung wird sein eine „Entfaltung zu Christus hin“, eine größere Verähnlichung und Vereinigung mit Christus. Von da aus wird dann auch die konkrete Seelsorge sich neu beleben und entfalten.

 

März

22.04.19511733

4382 |        Es soll ein gewisses System geschaffen werden, um die theologische Lehre mit der gelebten Praxis zu verbinden.

4383 |        Unsere heutige Zeit krankt an einem Mangel des „konkret“ Verwirklichten. Die Trennung von Theorie und Wirklichkeit hat auch im Religiösen eine große Lücke und Lehre geschaffen. – Um aber die theologische Lehre wirksam mit dem Leben zu verbinden, muss wohl eine entsprechende Schulung, ein „Übergangssystem“ bereitgestellt werden, wodurch die Überleitung der Theologie zur religiösen Übung der Tat gelehrt und gefördert werden soll. Die unter der Leitung des Heiligen Geistes in der Kirche gelehrte Theologie verbürgt ja auch die Möglichkeit einer praktischen Verwertung der religiösen Wahrheiten. Ein solches Überleitungssystem muss zwei Grundlinien aufweisen: Es muss zunächst die tatsächliche Verwertung und Verwirklichung der theologischen Lehre vorgelebt zeigen und so die Möglichkeit erweisen. Dazu bedarf es aber einer entsprechenden Vorschulung von geeigneten und fähigen Priestern, die sich zuerst – ähnlich wie die Ordensleute in einem Noviziat – in der praktischen Verbindung von Theologie und Leben üben, um dann auch das andere zu lehren, was sie sich selbst zuerst zur Lebensaufgabe gemacht haben. Es bedarf also einer Gemeinschaft von Priestern, die eine entsprechende Vorschulung für sich persönlich annehmen und üben, an sich selbst erproben, um sie dann als etwas Mögliches anderen mitzuteilen.

4384 |        Wen betrifft dieses Überleitungssystem? Es geht die Theologiestudenten und alle theologisch gebildeten Priestern an. – Meist kommt der junge Mann mit verhältnismäßig wenig aszetisch-praktischen Voraussetzungen zum Priestertum. Das vorausgehende Studium verhilft ihm wohl zum Verständnis der Theologie und macht ihn fähig, den wissenschaftlichen Fragen seiner Umgebung zu folgen. Das Priestertum aber verlangt mehr. Es macht den jungen Mann zum Lehrer und Vertreter der Religion Christi, zum Beauftragten und Vertreter Christi selbst und damit zum Hüter und Wächter des Geistes und zum berufenen Nachahmer Christi. Durch seine Berufung ist er zur engsten Nachfolge Christi und zur Befolgung und Verwirklichung der Lehren Christi verpflichtet. An die Priester vor allem ergeht der Ruf Christi: „Wer mir nachfolgen will …“. So haben die Apostel das Lehrsystem Jesu für sich selbst zu einem Lebenssystem gemacht, und zwar ganz und ohne Abstriche. Die Lehre Christi ist ja dazu gegeben worden, dass sie befolgt und im Leben verwirklicht werde; sie soll zu einer totalen Lebenshingabe an Gott und Christus werden. Das Leben des Priesters als des zur nächsten und unmittelbaren Nachfolge Christi Berufenen verlangt eine totale Hingabe an Christus und seine Lehre.

4385 |        Das von Christus selbst gegebene Lehrsystem wurde zu einem Schulsystem (und musste auch zu einem solchen werden), das sich die künftigen Priester als Vorbereitung auf ihre hohe Stellung aneignen müssen. Dieses Schulsystem bleibt aber sachlich immer das unmittelbare Lehrsystem, das von Christus gegeben und vom Heiligen Geist der Kirche als der Verwalterin der Lehre Jesu übertragen wurde. Und es verpflichtet zur Verwirklichung und zur Nachfolge Jesu: „Lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe!“ Die Lehre Christi, schulmäßig zusammengefasst und ausgebaut bringt auch lebendige und unbedingte Verpflichtung für die engsten Nachfolger Christi und die Ausspender seiner Geheimnisse mit sich. Die Lehre Christi darf nicht ausschließlich Schulsystem oder Lehrgegenstand bleiben. Was in der Kirche mit einer durch das Wirken des Heiligen Geistes und durch die Unfehlbarkeit der Kirche verbürgten Sicherheit gelehrt wird, das ist zugleich eine wahre Gnadenquelle, die Christus bereithält, vornehmlich und zuerst für die Menschen seiner engsten Nachfolge, die durch ihr „Berufsstudium“ tiefere Kenntnis davon erhalten. Diese Kenntnisnahme ist auch eine Pflicht der Verantwortung. Eine persönliche, individuelle Pflicht, nicht bloß eine allgemeine Pflicht dem  Lehrsystem gegenüber. Ein bloßes Lehrsystem ohne entsprechende Auswirkung auf das persönliche Leben des Lernenden und Lehrenden wäre wie eine leere Schale, die des fruchtbaren oder befruchtenden Saftes entbehrt, oder wie ein Licht ohne Wärme, ein Feuer ohne Hitze. Die Wärme aber ist das Belebende und Befruchtende. So muss die Wärmekraft der Lehre den einzelnen Priester ergreifen und sein Leben befruchten. Die Theologie bringt die Verpflichtung mit sich, in eine entsprechende praktische Übung umgesetzt zu werden im Hinblick auf das hohe christliche Ideal, das der Priester selbst zuerst in sich verwirklichen und nach außen Gestalt gewinnen lassen soll. Bloße Wissenschaft als Vorbereitung auf das hohe Ziel des Priestertums brächte mehr oder weniger die Gefahr einer Fruchtlosigkeit des Priestertums mit sich. Die größere oder geringere Lebendigkeit und Tiefe des Berufsgeistes zeigt sich darin, wie weit der Theologe von seinem Studium persönlich ergriffen wird, oder nicht. Wenn diese persönliche und praktische verwertende Aufnahme des theologischen Studiums fehlen würde, so wäre damit eine Lücke geblieben, die sich kaum mehr ganz ausgleichen ließe. Gewiss kann das persönliche Glaubensleben weiter bestehen und irgendwie fruchtbar werden, aber es fehlt doch die durch die Natur des theologischen Studiums geforderte Auswirkung, wenn das Studium keine tieferen, die Seele selbst bereichernden und vervollkommnenden Wurzeln schlägt. Der Priester soll doch zuerst selbst das wahrhaft sein, was er andere zu sein lehrt; und die theologischen Wahrheiten sollen ihn ergriffen und in ihm Wurzeln geschlagen haben, damit er überzeugend und erwärmend sie weitergeben kann.

4386 |        Der Studiengang als theologisches Schulsystem kann im Wesentlichen kaum geändert werden, denn auch das Wissen ist eine notwendige Forderung für den Priester und sein Wirken in der Welt. Zu einem guten Priester gehört als notwendige Voraussetzung auch ein gründliches Studium, das ihm die geistigen Waffen im Wirken und Umgang unter den Menschen sichert.

4387 |        Das Priesterwerk will aber gleichsam ein „Zwischensystem“ schaffen, um die Theologen in die praktische Verwertung und persönliche Anwendung des gelehrten Schulsystems einzuführen.

4388 |        Die Mitglieder des Priesterwerkes sollen befähigt werden, in allen an den Priester herankommenden Fragen und Schwierigkeiten aufklärend zu wirken. Auch der Priester hat seine Schwierigkeiten, und je mehr diese aus dem Zentrum der theologischen Lehre herausgelöst werden, desto ungehinderter und gesegneter wird die äußere Seelsorge verlaufen. Die Mitglieder haben sozusagen einen „Lehrberuf“ ihren Mitbrüdern gegenüber und bedürfen darum einer hohen aszetischen Schulung. Vor allem muss ihnen die Umsetzung der theologischen Lehre in das praktische Leben geläufig sein, denn dies ist ein hervorstechendes Merkmal des Priesterwerkes. Es soll gleichsam in einem zentralen System zusammenfassen und zeigen, wie gewisse Grundelemente der Schultheologie aktiv verwertet und verwirklicht werden können. Der Glaube an Christus darf ja nicht bloß eine Lehre bleiben, sondern muss ein aktives, alles durchdringendes Element des christlich-priesterlichen Lebens sein.

4389 |        In diesem Sinne sollen:

1. in das theologische Studium entsprechende Kurse eingeschaltet werden, die das gesamte Gebiet der Theologie in ihrer praktischen, persönlichen Anwendung und Verwertung behandeln. Die Zeitdauer der Kurse hängt von den Verhältnissen ab. Sie dürfen das Studium nicht hemmen, sondern sollen es fördern, indem sie es persönlich anregend gestalten. Der einzelne Theologe soll gleichsam mit seiner Person in das Studium eingeschaltet und seiner persönlichen, aus dem Studium der Theologie erwachsenden Verpflichtungen sich bewusst werden.

2. Für die schon in der Seelsorge stehenden Priester sollen Nachschulungskurse gehalten werden, in denen sie ihre schon gemachten Erfahrungen vertiefen, ihr einstiges Schulstudium aufholen und persönlich verwerten lernen. Der Priester soll immer das Verlangen haben, der Erste und Nächste bei Christus zu sein; das kann er aber nur, wenn er auch der Erste in der Befolgung seiner Lehre ist. Er soll darum einen heiligen Eifer haben, das Wissen mit dem Tun, d. h. mit dem Ausüben zu verbinden. Im Priesterwerk sollen alle auftretenden Fragen und Schwierigkeiten ihren Ausgleich und ihre Lösung finden.

4390 |        Das Priesterwerk ist tatsächlich zeitgemäß und zeitnotwendig. Wohl gibt es verschiedene priesterliche Vereinigungen und Organisationen, welche die äußere Tätigkeit befruchten und regeln wollen; wichtiger aber ist das, woraus sowohl die äußere Tätigkeit wie das persönliche Innenleben des Priesters kommt und seine Kraft zieht, ähnlich wie gutes Wasser ständig aus der Quelle strömt. Die rechte Schulung des Geistes auf den Grundlagen des Dogmas und der Theologie ist die Quelle, aus der alle äußeren und inneren Taten des Priesters fließen sollen. Durch das Priesterwerk soll diese verborgene persönliche Quelle des priesterlichen Lebens und Wirkens aufgezeigt und erneuert werden und es soll deren Bedeutung für alle priesterlichen Fragen und Schwierigkeiten aufgezeigt werden. Daraus soll eine neue, priesterliche Wirkkraft kommen und soll in der heutigen glaubensschwachen Welt gleichsam ein neues Licht zu wirken beginnen.

4391 |        Letztlich geht es im Priesterwerk um das Eine: Christi Leben im Priester neu aufzuzeigen und neu zu entfachen. Dies muss aber der Priester vor allem wollen und er soll den Mut haben, als Erster und Nächster bei Christus zu stehen und sein Leben ganz nach der göttlichen Lehre Christi zu gestalten. Ein Mittel hierzu soll das Priesterwerk sein, d. h. eine Organisation von Priestern, die dafür besonders geschult und gebildet werden, dass sie aus der Kraft des gelebten Glaubens und Dogmas der heutigen Zeit Bedürfnissen wirksam entsprechen und genügen können. Es soll ein besonderes Priester-Seelsorge-Institut werden, dass den Forderungen und Mängel der heutigen Zeit Rechnung trägt. – Diesen vielfachen Forderungen gegenüber gilt die Losung1734: Das eigene Lager stärken! Das von Christus den Aposteln anvertraute Werk den heutigen Zeitnotwendigkeiten entgegenstellen! – Das Priesterwerk darf darum auch nichts Starres sein, sondern muss sich allen Verhältnissen und auch den jeweiligen Lagen und Pflichten der Priester anpassen. Als ein geistiges System soll es für alle Verhältnisse und für alle Rangstufen gelten.

4392 |        Das Priesterwerk soll ein aktives, zentrales, – ich möchte sagen – dynamisches Werk sein, das aufrütteln und vorantreiben will. Es soll ein geistiger Aufbruch sein, der sich gleichsam berufen weiß, um voranzugehen, die Zeitfragen in die Hand zu nehmen und zu klären. An die Stelle der vielfachen herrschenden, ungeklärten Passivität soll eine tatsächliche Aktion treten.

4393 |        Der Schwere des drohenden Verhängnisses bewusst, will das Priesterwerk gleichsam bahnbrechend vorangehen und wirklich einstehen für die geistige Erneuerung des Reiches Christi.

4394 |        Die Überleitung des Dogmas in das praktische Leben soll in Form von aszetischen Kursen gestaltet werden und das ganze Dogma soll zur Selbstanwendung gebracht werden, d. h., durch das Priesterwerk soll die Anleitung dazu gegeben werden. Die einzelnen Abschnitte des Dogmas werden in diesem Sinne bearbeitet, in ihren verpflichtenden persönlichen Konsequenzen dargestellt, verwertet und ausgenützt.

4395 |        So soll das Priesterwerk als ein zentraler Mittelpunkt wirken, aktiv anregend und die Probleme der Seelsorge sowohl wie die zuständigen Fragen priesterlicher Selbstheiligung aufgreifend, um die Anforderungen der Zeit im Lichte und in der Kraft der überreichen Gnade des Erlösers zur Klärung und zum Ausgleich zu bringen.

 

24.04.19511735

4396 |        Alle Einsichtigen geben zu, dass heute eine gewisse Kluft zwischen dem Studium der Theologie und der praktischen Anwendung derselben auf das persönliche Leben und Wirken besteht. Man studiert intellektuell und im Hinblick auf die Examina, aber man übersieht, dass die Lehre des Dogmas und der Theologie auch für das praktische Leben und Verhalten verpflichtend und von Bedeutung sind. Die geoffenbarte Lehre Christi musste gewiss – unter dem Einfluss des Heiligen Geistes – zu einem Schulsystem werden, aber sie bleibt doch immer, und in erster Linie für den Priester ein Lebenssystem, ein für das tatsächliche Leben verpflichtender Geist: Lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe!

4397 |        Der Priester ist zur engsten Nachfolge Christi berufen, denn er ist Christi Vertreter und auch Ausspender seiner Geheimnisse. Er hat durch sein Studium eine tiefere Kenntnis der Lehre Christi; aber diese tiefere Kenntnis ist auch eine Verpflichtung und Verantwortung. Der Theologiestudent und der Priester soll zuerst für sich all die unermesslichen Schätze ausschöpfen und verwerten, die in der Erlösung enthalten sind. Es gibt keine in der Kirche vorgetragene Lehre, die nicht zugleich für das geistig-sittliche Leben fruchtbar und wertvoll werden soll. Die Priester sollen vor allem selbst immer tiefer in den Geist und die Gesinnung Christi eindringen, um als „zweiter Christus“ und Vertreter des ewigen Hohenpriesters sein Leben und Wirken fortsetzen zu können. — Ein bloß theoretisches und/oder rein intellektuelles Studium wäre wie eine Schale ohne befruchteten Saft, wie ein Licht ohne Wärme. Der Priester muss aber selbst zuerst für sich verwerten und verwirklichen und das sein, was er anderen lehrt und von anderen verlangt. Die Wahrheiten der Theologie müssen tiefe Wurzeln in seinem Wesen geschlagen haben, damit er Sie mit der nötigen Überzeugung und Wärme weitergeben und lehren kann. Er muss selbst das Vorbild für die lebendige und konkrete Verwirklichung der Lehre im praktischen Leben sein.

4398 |        Zu diesem Zweck soll ein „Zwischensystem“ oder Überleitungssystem geschaffen werden, um eine lebendigere Verbindung zwischen Lehre und Leben, zwischen der Theorie und der Praxis herzustellen. Es soll gezeigt werden, wie die Grundelemente der Schultheologie im praktischen Leben zu verwerten und zu verwirklichen sind. Der Glaube an Christus darf ja nicht eine bloß unfruchtbare Lehre bleiben, sondern muss ein aktives, alles durchdringendes Element des christlich-priesterlichen Lebens sein.

4399 |        Diese Umsetzung der theologischen Lehre in das praktische Leben soll ein hervorstechendes Merkmal des Priesterwerkes sein. Dieses ist eine Vereinigung oder eine Organisation von Priestern, die in besonderer Weise geschult und gebildet werden, um die Theologen und Priester in die vollständige und praktische Verwertung und persönliche Anwendung des gelehrten Schulsystems einzuführen. Aus der Kraft des gelebten Glaubens und Dogmas sollen sie wirksam den heutigen Schwierigkeiten entgegentreten und den heutigen Zeitbedürfnissen entsprechen und genügen. Zu diesem Zweck dient Folgendes:

1. In das philosophisch-theologische Studium sollen entsprechende Überleitungskurse eingeschaltet werden, die das gesamte Lehrgebiet in seiner praktischen persönlichen Anwendung und Verwertung behandeln. Das Studium soll dadurch nicht gehemmt, sondern im Gegenteil gefördert werden, indem es persönlich anregend gestaltet wird. Der einzelne Theologe soll gleichsam mit seiner Person in das Studium eingeschaltet und sich seiner persönlichen aus dem Studium erwachsenden Verpflichtungen und Verantwortung bewusst werden.

2. Für die schon in der Seelsorge stehenden Priester sollen Nachschulungskurse gehalten werden, in denen sie ihre schon gemachten Erfahrungen vertiefen, ihr einstiges Schulstudium aufholen, für alle aufgetretenen Fragen und Schwierigkeiten Ausgleich und Lösung finden sollen. Der Priester soll ja immer das Verlangen haben, der Erste und Nächste bei Christus zu sein; das kann aber nur sein, wenn er auch der Erste in der Befolgung seiner Lehre ist, d. h., wenn er einen heiligen Eifer hat, das Wissen mit dem Üben, die Lehre mit dem praktischen Leben zu verbinden.

4400 |        Wie sehr das Bedürfnis einer solchen Überleitung empfunden wird, geht daraus hervor, dass schon einige Bischöfe in Deutschland daran sind, entsprechende Versuche zu machen; und Papst Pius XII schrieb dazu am 01.03.1951:

4401 |        „Nicht nur in ihren Ländern, überall in der katholischen Welt macht sich die Forderung, dass der Priester auf der Höhe seiner Aufgabe stehe, heute besonders nachdrücklich geltend. Wir wollten dieser Forderung durch die Adhoratio 'Menti Nostrae' und das Weltrundschreiben 'Humani Generis' entgegenkommen. Wie wir hören, denkt der eine oder andere der deutschen Bischöfe daran, in Sache der religiösen Erziehung des Klerus gleich von Beginn der philosophisch-theologischen Studien an neue Wege zu gehen. Wir können Sie nur ermutigen, den geplanten Versuch zu wagen“.

4402 |        Das Priesterwerk will die Priester auf die Höhe ihrer großen Aufgabe und der übergroßen Anforderungen der heutigen Zeit erheben, damit sie ihr Apostolat unter dem Volk fruchtbarer und entsprechender gestalten können.

4403 |        Was ein Blick auf die wirkliche Lage als gut und notwendig erweist, das hat auch der Herr selbst immer wieder gefordert und alle, die sich damit beschäftigt haben, erklärten, es könne kein Zweifel an der Echtheit, Übernatürlichkeit und Sicherheit der Absichten Gottes bestehen.

 

Juli

18.06.19511736

4404 |        Der Unterschied des Priesterwerkes von anderen Priestervereinigungen besteht darin, dass es

1. ein Apostolat an den Priestern ist. Es setzt sich zusammen aus Priestern, die in einem vertieften, den heutigen religiösen Anforderungen entsprechendem Geiste Leben, nämlich durch die Verwirklichung des Dogmas in Ihrem Leben bzw. in der praktischen Anwendung der theologischen Lehre auf ihr eigenes Leben.

2. Die Mitglieder des Priesterwerkes machen es sich zur Lebensaufgabe, Apostel der Priester zu sein. Das Priesterwerk ist darum keine Bruderschaft und keine Vereinigung gleich manchen anderen, sondern eine Gesellschaft von Priestern, die sich zu einem tatsächlichen Apostolat zusammenschließen, um das Priestertum zu einer möglichst großen sittlichen Höhe empor zu führen. (So ähnlich wie sich zum Beispiel verschiedene Kongregationen den Heidenmissionen widmen, so widmen sich die Mitglieder des Priesterwerkes dem Apostolat der Heiligung des Priesterstandes.)

3. Dem inneren Geist nach will das Priesterwerk die theologische Lehre gleichsam als geistiges Lebensprinzip in die Tat umsetzen und will damit die Verflachung und den unchristlichen Zugeständnissen des heutigen Lebens (auch der Christen) entgegenwirken. – Dieses geistige Lebensprinzip bedeutet vor allem eine tiefere Verankerung in Gott als dem bewussten Zentrum und Ziel des Lebens. Damit soll die ganze Höhe des Priesterideals erfasst und seine Verwirklichung angestrebt werden. Die Mitglieder werden in diesem Geiste geschult, damit sie geistige Führer, Apostel und Vorbilder des Priesterstandes seien!

4. Die Ausübung dieses Apostolats an den Priestern umfasst alle Formen der Seelsorge für die Priester: vor allem die Einführung der Priester und Priesteramtskandidaten in die praktische Verbindung und Vereinigung von Theologie und konkretem Priesterleben, durch praktische Einführungskurse in die Einheit von Lehre und Lebenswirklichkeit, durch Priesterexerzitien in diesem Sinne, durch theologische Nachschulungskurse, Vorträge und Besprechungen, in denen priesterlich-aktuelle Fragen vorgelegt und geklärt werden, durch Seelsorge an irregegangenen Priestern, durch Versorgung von alten und pflegebedürftigen Priestern. Vornehmlich soll das Priesterwerk wirken als eine Art „Terziat“ (ähnlich wie es sich bei den Jesuiten findet), oder Einführung und Vertiefung im geistlichen Leben. Die Zeitdauer solcher Terziate für priesterliche Schulung wird sich den Verhältnissen der einzelnen Diözese anpassen müssen. Es sollen jedoch alle Priester durch eine solche konkrete, religiös-aszetische Schulung gehen. Das gesamte Priesterwirken hat ja zum Ziel, Seelen für Gott zu gewinnen und näher zu Gott zu führen. Meist kann aber der Priester diese Aufgabe nur auf dem Weg „über sich selbst“, d. h. auf dem Weg über die eigene persönliche Heiligung durchführen; in diesem Sinne wird auch er die „Tür zu den Schafen“. Der Priester soll sich eine möglichst hohe Fülle des Lebens Jesu aneignen, um als zweiter Christus zu wirken; die eigene Heiligung ist ja die beste Befähigung, um erfolgreich am Heil der Seelen zu arbeiten.

4405 |        Das Priesterwerk soll also eine priesterliche Führerschaft bilden, um die Heiligung des Priesterstandes mit allen Mitteln zu verwirklichen, nämlich erstens durch entsprechende, persönliche Heiligung und zweitens durch alle Mittel des Apostolats.

4406 |        Das Priesterwerk ist ein geistiges Bildungsinstitut, das die geistigen Zeitprobleme für den Priesterstand aufhellen und nicht bloß im Allgemeinen der Masse, sondern auch den Einzelnen in allen heutigen priesterlichen Anforderungen behilflich sein soll. Es ist ein Seelsorgedienst für den Priesterstand, ein Vorangehen und ein konkretes Drangehen, um dem Herrn würdige Priester zu bereiten. – Noch gibt es kein solches Institut, dessen Notwendigkeit jedoch kaum geleugnet werden kann.

 

xx.06.1951

Pro Memoria1737

4407 |        Wenn der Seminarist an den Weihealtar tritt, um mit der Handauflegung des Bischofs die Teilnahme am Priestertum Jesu Christi zu erlangen, dann sollte er sittlich, soweit das möglich ist, schon in Christus umgewandelt sein, um nicht bloß amtlich oder äußerlich, sondern auch innerlich wahrhaft als „zweiter Christus“ zu handeln; der künftige Priester wird auch so viel für das Reich Gottes leisten als er ein mit Christus verbundenes und gottgefälliges Instrument geworden ist, d. h., soweit er „den Sinn Christi hat“ (1 Kor 2,16) und die „Gesinnung hegt, die auch in Christus Jesus ist“ (Phil 2,5). Der Herr hat auch dies als Grundgesetz des priesterlichen Apostolates angegeben: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt viel Frucht“ (Joh 15,5). – Wer „den Sinn Christi“ und die Vertrautheit mit ihm besitzt, der ist auch sozusagen mehr immun (oder gereift) gegen gewisse Verirrungen wie jene, die durch die Enzyklika „Humani Generis“ verurteilt werden mussten.

4408 |        Eines der Hauptmittel aber, um dieses hohe Ziel der Vorbereitung auf das Priestertum zu erreichen, könnte und sollte das philosophisch-theologische Studium des Seminaristen sein – und wird es auch sein, wenn es sich nicht auf das spekulativ-scholastische Studium als Vorbereitung auf die Examina (Prüfungen) beschränkt, sondern verbunden ist mit der praktischen Anwendung der Lehre und ihre Folgerungen auf die eigene, persönliche Vervollkommnung, auf die eigene Frömmigkeit, auf die Anforderungen des heutigen Lebens. Es ist klar, dass der künftige Priester zuerst selbst das üben und tun soll, was er dann andere zu halten und zu tun lehrt (Mt 28,20). Das philosophisch-theologische Studium soll zugleich eine Schule geistlichen Lebens und der Vereinigung mit Jenem sein, der das Leben und der Weg seines Vertreters und seines bewussten Werkzeuges, des Priesters, sein will.

4409 |        Wie die Erfahrung lehrt, werden die Seminaristen, wenn sie sich selbst überlassen sind (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen), diese praktische Verwertung des Dogmas und der theologischen Lehre für ihr eigenes Leben und ihren geistlichen Fortschritt nicht durchzuführen wissen. Die Schule hat genug zu tun mit der spekulativen und scholastischen Darlegung der Lehre; wenn also die Studien, die ihrer Natur nach fruchtbar sein sollen, nicht unfruchtbar bleiben sollen, müssen Sie ergänzt werden durch ein System aszetisch-praktischer Anwendung.

4410 |        Zu diesem Zweck wird vorgeschlagen – vielleicht „auf Probe“:

I. Die Errichtung von Einführungskursen in die Verbindung von theologischer Lehre und praktischer Übung dessen, was sich als praktische Folgerung auf den geoffenbarten Wahrheiten ergibt.

II. Eine geistliche Führung, die fortlaufend in obigem Sinne die philosophisch-theologischen Studien begleitet.

4411 |        Diese Verwertungskurse hindern die Studien nicht, sondern fördern sie, weil sie ihnen ein persönliches, größeres Interesse geben und zu einer konkreten Verarbeitung und Aneignung der Wahrheiten führen.

Zu I: Jeder Seminarist sollte einen solchen Einführungskurs während der philosophischen Studien und einen anderen während der theologischen Studien machen. Die Dauer des Kurses richtet sich nach den Verhältnissen und kann etwa 3-6 Wochen sich ausdehnen. Man könnte einen Teil der Ferien zu diesen Kursen benützen.

Kennzeichnende Bestimmungen dieser Kurse sind:

A. Eine entsprechende, tägliche Instruktion.

B. Eine zweite halbe Stunde der Betrachtung am Abend – außer jener am Morgen.

C. Geist der Sammlung und intensiven geistlichen Lebens, ähnlich wie in einem Noviziat.

4412 |        Der Hauptgegenstand dieser Kurse wird sein (in kurzen Andeutungen):

1. In den Jahren der Philosophie: Wertschätzung und Entfaltung der höchsten Seelenfähigkeit, nämlich zu einer immer tieferen und persönlichen Erkenntnis der wesenhaften Wahrheit und Liebe (nämlich Gottes), des ungeschaffenen und unendlichen Seins, gelangen zu können. –

Verwirklichung der vollständigen und liebenden Abhängigkeit der Seele von Gott, dem Schöpfer.

Herausholen der praktischen Folgerungen aus dem Begriff und der Wahrheit vom „Bild und Gleichnis Gottes“; dass es nämlich keine göttliche Vollkommenheit gibt, die nicht irgendwie sich widerspiegeln sollte im geschaffenen Nachbild oder die nicht eine entsprechende Auswirkung und Antwort in der Seele hervorrufen sollte (wie zum Beispiel Ehrfurcht und Demut gegenüber der göttlichen Majestät, Hingabe und Vertrauen gegenüber seiner Allmacht, Weisheit und Güte); anders findet jede gute menschliche Anlage ihr höchstes Vorbild in den göttlichen Vollkommenheiten. Daher die Übung, von den geschaffenen Schönheiten und Dingen aufzusteigen zum höchsten und unendlichen Gut – Erfassen der Hässlichkeit und Torheit alles dessen, was dem göttlichen Urbild und Vorbild entgegen oder widersprechend ist.

Aus der Psychologie sollen die Studierenden tiefer und praktischer die Wirkungen der Erbsünde in der eigenen Seele kennenlernen, die Verzweigungen der Leidenschaften, die gefährlichen Anlagen, sowie den notwendigen Kampf und Sieg; – außerdem soll man sich des psychologischen Mechanismus für das Gebet zu bedienen lernen, und dies geschieht auch nur durch die von der Gnade unterstützte Übung. Und wer den Habitus des Gebetes nicht im Seminar erworben hat, der wird ihn später schwerlich erlernen.

Es gelten, mit einem Worte, die Fehlanlagen und die guten Anlagen und Möglichkeiten der eigenen Natur praktisch kennenzulernen, denn die Gnade setzt die Natur voraus, erhebt, heilt und vervollkommnet sie.

2. Während der Theologie sind im Einführungskurs folgende unerschöpfliche Wahrheiten zu verwerten:

Ich bin Kind Gottes durch die Gnade, teilhaftig einer Mitteilung göttlichen Lebens, bestimmt um „vollkommen zu sein, wie unser Vater vollkommen ist“ – als übernatürliches Bild Gottes.

Tatsächlich bin ich aber ein gefallenes Kind; deshalb muss ich den Habitus aufrichtiger Demut erwerben, denn aus mir selbst bin ich nicht bloß ein „Nichts“, sondern auch sündhaft. – Ich bin aber auch ein erlöstes Kind Gottes durch die unendlichen Verdienste des Erlösers; er hat mich erlöst mit einer „überreichen“ Erlösung, die objektiv vollständig ist; wenn jemand, dann muss wenigstens der künftige Priester auch nach der „subjektiven“ Vollerlösung streben, das heißt, nach der Ausmerzung aller moralischen Folgen der Erbsünde, nicht bloß der Sünden, sondern auch der Wurzeln der Sünden; ich muss mich bemühen, um den vollkommenen Sieg über alles, was Unordnung oder nicht dem Geist DESSEN gemäß wäre, der gekommen ist und immer neu kommt, um mir sein Leben mitzuteilen. Durch ihn und mit ihm und in ihm muss ich wieder ein vollkommenes Kind Gottes werden, indem nicht ich mehr lebe, sondern Christus in mir und indem ich nicht meine „menschlichen Gesinnungen“, sondern das Herz Jesu lebe. Und das muss Wirklichkeit werden durch eine ständige Übung. Es gilt also, das göttliche Vorbild zu studieren, um sein Leben wieder zu leben, und das auch deshalb, weil ich als kommender Priester berufen bin, sein Leben, sein Opfer, seine Hinopferung für die Ehre Gottes und das Wohl der Seelen fortzusetzen. Auch für die Fortführung des Werkes Christi und in der Zuwendung seiner Verdienste an die Seelen gelten die gleichen Gesetze der Erlösung: „pro eis sanctifico meipsum“ – ich heilige mich für sie, dass auch sie in Wahrheit geheiligt seien. Und wie das Leben Jesu eine ständige Hinopferung oder Selbstentäußerung war bis zum Höhepunkt des Kreuzes, so soll auch der Mittelpunkt und das innerste Geheimnis des Priesteramtskandidaten das heilige Messopfer sein, wo ich mich selbst zu einem Opfer zusammen mit dem göttlichen Opfer mache, sodass mein ganzes Tagewerk und mein ganzes Leben eine gelebte und ständige Messe sei. Und analog gilt es von den anderen Sakramenten und Quellen der Gnade.

Zu II. Damit jene Kurse eine dauernde Wirkung haben, müssen sie während der Studien durch die gewöhnliche, geistliche Leitung fortgesetzt werden. Der Spiritual der Seminaristen, oder ein eigens beauftragter Priester soll die Kurse und die Seminaristen unter dem Gesichtspunkt der vollen und praktischen Verwirklichung und Verwertung der geoffenbarten Wahrheiten begleiten. Die geistliche Leitung soll den Einzelnen helfen, die konkrete und praktische Geistesschätze, die in den geoffenbarten Wahrheiten enthalten sind, auf ihre eigene Seele anzuwenden. Außerdem sollen die gewöhnlichen Vorträge von dem obigen Ziel befruchtet werden.

Es gilt auch heute wieder, was Pius XI sagte: Man dürfe in Zeiten wie den unsrigen nicht mittelmäßig sein; keiner habe das Recht, sich mit einer Mittelmäßigkeit zufriedenzugeben. Oder was Pius XII sagte: Dass die erschwerte Lage der heutigen Gesellschaft von den Priestern auch eine höhere Vollkommenheit verlange.

 

Dezember

13.12.1951

 Vor der Statue der schmerzhaften Mutter in Santa Maria della Fornaci.

4413 |        Maria wusste zunächst vom Erlöser nur, was in der Heiligen Schrift des Alten Testamentes stand. Sie kannte am Anfang den Messias nicht so, wie wir ihn jetzt kennen, sondern nur aus den dunklen Andeutungen der Propheten. Sie hat dann aus eigenem Miterleben mehr und mehr verstanden und es „sich erklärt“, wie der Messias tatsächlich „Erlöser“ war. Dadurch entfaltete sich auch ihr Seelenleben in einem beständigen Wachsen und Mitgehen mit ihrem göttlichen Sohn und seinem Erlöserleben. Ihr Kind, das sie auf so wunderbare Weise empfangen hatte, war ihr zunächst geheimnisvoll. Indem aber der Messias sich selbst mehr und mehr offenbarte und erklärte, lebte auch Maria sich in ihn hinein und so ist sie selbst geistig gleichsam in Jesus „groß geworden“. Es waren darum auch ihre persönlichen Verdienste, dass sie ganz zur vollen „Erlösermutter“ wurde und sich selbst mit hingegeben hat für das Werk der Erlösung. Deshalb waren auch ihre Leiden so groß, wie niemand ahnen kann.

4414 |        Was ihr von Gott als Gnadenvorzug geschenkt wurde, das musste durch ihr Mitwirken zu wirklich geübter Tugend werden. Sie steht deshalb an Verdiensten über allen Heiligen, weil sie all ihre Gnadenvorzüge tatsächlich als wahre Erlösermutter angewandt und in entsprechenden Tugenden verwertet hat, indem sie sich selbst gleichsam auflöste und ganz hingab für die Aufgabe ihres Kindes, des göttlichen Erlösers. Und sie hatte bei jedem Schritt ihres Lebens das Verdienst des Glaubens.

 

16.12.1951

4415 |        Maria wurde erst durch das mütterliche, geistige Mitleben mit ihrem göttlichen Kind allmählich in das verstehen der „neuen“, d. h. der wahren Heilsordnung der Erlösung eingeführt. Sie kannte zunächst nur die alttestamentliche Heilslehre in der Auffassung der Juden, die vom Heilsplan als von einem äußeren, materiellen Umschwung für ihr Volk sprachen. Dieser Auffassung stand aber der neutestamentliche Heilsplan des Erlösers fremd gegenüber. Maria wurde erst durch die ganze Art ihres Kindes inne, wessen Geistes und Wesen er sei. Aus der „gelebten“ und durch sie miterlebten Art des Messias ergab sich für sie durch ein geistiges Innewerden das Begreifen der wahren Heilslehre.

4416 |        Maria war vom ersten Augenblick ihrer Existenz an durch eine besondere Gnade unmittelbar sich Gottes bewusst, aber es war eine Erkenntnis des „Gottes der Propheten“, d. h. dem Alten Testament entsprechend. Diese ihre unmittelbare Gotteserkenntnis wurde dann sozusagen hineinversetzt in die Erkenntnis des dreipersönlichen Gottes und in das allmähliche Begreifen des neuen Heilsplanes. Maria war gewiss durch den Heiligen Geist schon etwas tiefer als die übrigen Juden in den Heilsplan des Messias eingeführt worden; doch auch sie stand zunächst dem Erfassen der eigentlichen Erlösertätigkeit des Messias fern. Niemand konnte damals die diesbezüglichen Schriften des Alten Testamentes voll verstehen, denn es handelte sich doch nur um Andeutungen über die Art des Messias. Und so war Maria der erste Mensch, der in Wahrheit im „Messias“ den „Erlöser der Welt“ erkennen konnte.

4417 |        Maria war ein ganz bescheidenes, sehr demütiges Mädchen, dass immer und in jedem Augenblick nur das ausführte, was sie als gut und recht erkannte, und wartete, bis ihr Weiteres befohlen wurde. So war Maria weit davon entfernt, sich auf eine besondere Aufgabe hinzuordnen. Das sieht man auch aus ihren Worten: „Wie soll das geschehen …?“ Sie nahm die Botschaft des Engels sozusagen nüchtern entgegen, ohne eine besondere Begnadung zu erwarten. – Man kann diesbezüglich eine gewisse Parallele zu der tiefen Selbstentäußerung, Losschälung, ja geradezu Selbstverachtung, die Gott von wahrhaft mystisch begnadeten Seelen fordert, ziehen, wenn er sich zu Ihnen in besonders vertrauter Weise herablässt. Gewiss war Maria unbefleckt empfangen, ohne Anlage oder Hinneigung zur Sünde geboren, und war das Negative, Gottwidrige in ihr nicht vorhanden. Es musste aber alles sittlich1738 Positive und Gute in ihr zur höchsten, für die Gottesmutterwürde geforderten Entfaltung und Vollkommenheit kommen. Die erste Voraussetzung für diese höchst entfaltete Tugend war aber die Demut, die tatsächlich die Grundhaltung jedes gottgefälligen Menschenlebens gegenüber dem unendlichen Gott sein muss. So war Maria ganz demütige Magd des Herrn, die, für sich selbst wunschlos, auf die jeweilige Äußerung des Willens Gottes wartete. In ihr gab es keinen Vorwitz und kein vorlautes Eindringen-wollen in die Geheimnisse der Gnade Gottes. In ihr war alles Entäußerung, Selbstlosigkeit, Warten, wenn auch ohne Verneinung und in voller Bereitschaft für jeden Willen Gottes. – Erst als Mutter des Erlösers wurde sie tiefer in den neutestamentlichen Heilsplan eingeführt, und zwar unmittelbar durch den Messias selbst. Sicher hatte sie gewisse Erkenntnisse über die Art des Messias, wie ihn der Prophet Jesaja als Schmerzensmann schilderte, aber sie war zu sehr von einer edlen Bescheidenheit und zart zurückhaltenden Vornehmheit erfüllt, als dass sie sich persönlich den Zutritt zu diesen großen Geheimnissen hätte verschaffen wollen. So sind die Wege der wahren Demut. – Dabei war aber Maria doch ein voll entwickeltes und auch frühreifes Mädchen, das um alles wusste, was die Lebensfragen des Menschen, bzw. einer Frau und ihrer tiefsten Anlagen, nämlich die der Mütterlichkeit, angeht. Ihr Gemüt war mit außergewöhnlichen Gaben ausgestattet, welche die Voraussetzung für wahre Mütterlichkeit sind; Sie war im besten Sinne ganz fraulich, „weiblich“ oder fähig für die Mutterschaft. Maria war in jeder Hinsicht eine hoch angelegte Seele, auch voll weiblicher Vorzüge. Ihre geistig-seelisch-moralische Entfaltung vollzog sich in normaler Weise, und sie war fraulich im höchsten Sinne vollendet und abgerundet, ohne Mängel des Charakters, wenn auch ihre ganze Haltung wie mit einem Mantel der Bescheidenheit bekleidet war.

4418 |        Schon bei der Verkündigung des Engels hörte Maria etwas „Neues“ über den Messias, dass er nämlich ohne Mitwirkung eines Mannes ins Dasein treten werde. Die Antwort des Engels auf ihre Frage war etwas Neues für Maria, ebenso wie dessen Ankündigung vom Herabkommen des Heiligen Geistes und der Machtstellung des Messias und seines Reiches ohne Ende, wie auch das, was sie dann von Ihrer verwandten Elisabeth hörte. Maria war durch die Verkündigung in eine ganz neue Lage und Verfassung hineinversetzt worden. Auf ihr Ja-Wort folgte dann die Empfängnis der zweiten göttlichen Person. Das war ein unbeschreiblich geistiges Erlebnis für Maria, ein Einswerden mit Gott in einer Weise, wie es nie ein Menschenkind erlebt hat, noch erleben wird. Sie hat dabei eine unmittelbare, geistige Vereinigung mit dem ewigen Wort Gottes erhalten, das ihr ganzes Wesen gleichsam erneuert und durchleuchtet hat. Dieses tatsächliche Innewerden der zweiten göttlichen Person in ihr, diese geistige, unmittelbare Empfängnis ergriff auch ihr physisches Sein, und ihre ganze Fraulichkeit antwortete mit unaussprechlicher, geistiger Empfängnisfreudigkeit und Hingabebereitschaft. — Keine gewöhnliche Mutter hat in persönlich geistiger Weise eine unmittelbare Verbindung mit ihrem Kind; diese bildet sich gleichsam in einer von der Mutter unabhängige Weise, nämlich nach Gesetzen, in die sie nicht eingreifen kann. In Maria aber war das Mutterwerden in erster Linie ein persönlich erlebter, geistiger Akt, weil der Sohn Gottes in Sie herniederstieg durch eine geistige Türe, die ihre offene, heilige Seele war. Es war der Gleichklang ihrer sittlichen Vollkommenheit mit der Heiligkeit Gottes selbst, wodurch die Menschwerdung Gottes in ihr ermöglicht wurde. Es fand ein physisches „Ineinander“ von Göttlichem und Menschlichem statt und die physischen Gegebenheiten in Maria mussten gleichsam auf der Vollkommenheitshöhe einer „Vererbungsfähigkeit für Gott“ liegen, um nämlich einen Leib bilden zu können, der für die göttliche Heiligkeit selbst tragbar war. Im psycho-physischen Sein des Gottmenschen Jesus bestand ja kein Bruch oder Missklang, sondern in seiner menschlich-physischen Natur, in seinem Leibe, musste die wunderbare Fähigkeit vorhanden sein, dass Göttliches in Menschliches umgesetzt und Menschliches in eine Lebenseinheit mit dem Göttlichen einbezogen werde und ein wahres gottmenschliches Leben ermögliche – nicht, als ob die menschliche Natur die göttliche Person vervollkommne, und ihr „etwas“ hinzufügen hätte können, aber doch entsprechend dem menschlichen Naturgesetz, dass alle geistigen Anlagen der Person von physisch-materiellen Kräften gestützt und getragen und damit als wahrhaft menschliche Erlebnisse wieder der Person zugeführt werden müssen. Dieses menschliche Gesetz des psycho-physischen Umsatzes galt auch für den Gottmenschen – sonst wäre er kein wahrer Mensch gewesen. Darum musste aber auch in Maria die Möglichkeit und Fähigkeit vorhanden gewesen sein, den menschwerdenden Sohn Gottes die entsprechende, für seine Heiligkeit tragbare menschliche Natur zu „vererben“, denn sonst wäre sie keine wahre Mutter gewesen, oder wäre ihre göttliche Mutterschaft nicht nach den wahren menschlichen Gesetzen verlaufen, wie es aber tatsächlich doch der Fall war.

4419 |        Die Empfängnis Mariens in der Menschwerdung war in erste Linie eine „rein geistige“, nämlich eine Vereinigung mit der zweiten göttlichen Person durch die Einwirkung des Heiligen Geistes. Dadurch wurde das göttliche Wort „Fleisch“, d. h., es fand durch die Einwirkung des Heiligen Geistes eine geheimnisvolle Belebung der leiblich-mütterlichen Gegebenheiten in Maria statt und verband sich das ewige Wort nach den göttlichen Plänen mit der Mütterlichkeit Mariens.

4420 |        Für Maria bedeutet dies ein unaussprechliches „neues Dasein“; ein Einswerden mit Gott, ein Einfühlen in Gott und eine Erkenntnis Gottes, die für sie wirklich ein „neues Leben“ brachte. Bei aller Bescheidenheit antwortete Maria mit all ihrer Hingabefähigkeit und all den hohen Anlagen ihres Geistes und Herzens auf das neue Dasein in ihr; und ihre ganze geistige Mütterlichkeit entfaltete sich gleichsam schrankenlos gegenüber dem neuen Geschehen in ihr. Sie war durch die Empfängnis in eine ganz neue Phase ihres Lebens eingetreten. Eine erlebte Verbindung mit Gott war ihr ständiger Anteil. Nun entquollen ihrem Wesen unaufhörlich die Ergüsse ihrer geistigen Mütterlichkeit gegenüber dem geheimnisvollen Geschehen in ihr. Sie war versenkt in das Geheimnis dessen, was ihr zuteilgeworden war und es war ein unaufhörliches staunendes Fragen in ihr, wie das wohl geschehen sei. Ihre vollständige, persönliche Umwandlung bezeugte ihr aber fortwährend, dass ihr Ja-Wort dies hervorgebracht habe und dass der Engel „wahr“ gesprochen habe. – Nicht weniger wunderbar als ihre leibliche Umwandlung war aber die Umwandlung ihrer Seele.

4421 |        Ihr dem Alten Testament entsprechendes Glaubensleben erlebte eine ungeahnte Erhöhung. Ihr alttestamentlicher Gottesbegriff ging über in einen persönlich erlebten, durch die Beziehung zu einem unmittelbaren Gegenüber, das sich ihr offenbarte. Jesus hat alle Äußerungen der Mütterlichkeit und Hingabebereitschaft seiner heiligen Mutter vom ersten Augenblick ihrer Mutterschaft an mit ebensolcher Kindesliebe erwidert. Und Maria fühlte sich von ihrem werdenden Kinde „geliebt“, gleichsam in ihn aufgenommen und durch ihn neu geformt. Dies war die Reaktion oder Antwort des göttlichen Kindes gegenüber seiner Mutter. Und diese geistige Neuformung Mariens auf Jesus hinmachte aus der Mutter Jesu die erste „Christin“, das erste und vollkommenste Abbild Christi. Ihr persönliches Leben wurde auf ihn „hingeformt“. In Jesus und Maria war nur eine Liebe, nämlich die „Liebe zu Gott“. Liebe zu Gott war die Liebe Mariens zu Jesus, der, Gott bleibend, doch ihr Kind geworden war, und die fleischgewordene Liebe Jesu zum Vater blieb als Gott eines Wesens mit ihm.

4422 |        Wir können in Maria das ganze Wesen des Christentums kennenlernen und erfahren, weil sie die erste und vollkommenste Christin ist, die Christi Leben ganz in sich aufgenommen hat. Die gesamte Heilsordnung des Neuen Testamentes geht „über“ Maria. Vor Gott hat letztlich nur die geistig-sittliche Ähnlichkeit mit ihm (nämlich mit Gott) Bedeutung.

4423 |        In der Heiligen Dreifaltigkeit begegnen sich in unaufhörlicher Weise die göttlichen Personen in einem göttlich liebenden Lebenskreis, der die göttlich-wesentliche Heiligkeit der drei göttlichen Personen ist. Ohne eine gewisse Gleichförmigkeit oder Gleichheit der sittlichen Haltung gibt es keinen Zutritt zu Gott, unter dessen drei Personen vollkommenste Gleichheit des Wesens herrscht. Maria aber hat unter allen Menschenkindern denn höchsten und vertrautesten Zutritt zu den drei göttlichen Personen. Sie ist in allernächste Beziehung zur Heiligen Dreifaltigkeit getreten:

1. durch die Art ihrer Erschaffung, wobei Gott Vater sie vor allen anderen Geschöpfen insofern auszeichnete, als sie allein ohne sündhafte Anlage, ganz rein in den Augen Gottes, ins irdische Dasein1739 eintrat. Ihre Gleichförmigkeit mit Gott, ohne jeglichen persönlichen Widerspruch oder Unordnung, ließ ihr Leben gleichsam immerfort in einer ungehinderten, geistigen Lebenseinheit mit Gott zusammenfließen. Maria – und sie allein – entsprach vollkommen jener göttlichen Gnadenordnung, mit der sie Gott Vater in ihrem ersten Anbeginn sozusagen bekleidet oder in die er sie hineingestellt hatte. Ihre persönliche Mitwirkung und Selbsttätigkeit hat die gottgeschenkte Gnadenanlage hundertfältige Frucht bringen lassen, d. h. hat alle Anlagen in wirklich geübte und gelebte Tugenden verwandelt. Ein Samenkorn, eine Blume oder eine Pflanze, die in ein Erdreich verpflanzt wird, ist etwas Lebensfähiges, d. h., das Samenkorn kann seine Anlagen verwirklichen, kann wachsen, blühen, Frucht bringen, mit einem Worte: „lebendig sein“ im Sinne des Samens der Pflanze. Maria hat das „Lebendig-sein“ im besten und höchsten Sinne an sich selbst vollbracht; ihr vollkommenes Mitwirken hat ihre Anlagen zur vollen Entfaltung gebracht. Es war eine Arbeit und Leistung, die sie selbst an sich vollbracht hat. — Das göttliche Wesen in Gott ist sozusagen nicht Selbstzweck, sondern ist vollkommen den drei göttlichen Personen zugeordnet. Der Vater „sieht“ in sich den Sohn, das Abbild seines göttlichen Wesens, und ist verherrlicht im Sohn, der durch seine göttlichen Vollkommenheiten ihm höchste Ehre erweist. Es dient aber jedes Abbild Gottes, auch ein geschaffenes, zur Verherrlichung Gottes, je nach dem Grade der Ähnlichkeit mit Gott. Maria ist aber dem göttlichen Abbild des Vaters so ähnlich wie sonst kein Geschöpf; sie ist ganz in den Spiegel seiner göttlichen Heiligkeit aufgenommen; sie ist die wunderbarste Tochter des himmlischen Vaters, aber auch das vollkommenste Abbild der zweiten göttlichen Person, in der sich der Vater am vollkommensten ausgeprägt sieht. – Diese göttliche Abbildlichkeit hat Maria auch zur Mutter der mensch-gewordenen zweiten göttlichen Person gemacht; mit ihr konnte sich Gott-Sohn vermählen, weil alles in ihr gottähnlich war. Der Heilige Geist konnte in ihr jene Großtat göttlicher Allmacht vollbringen und das Geheimnis der Menschwerdung wirken, da ihr Fleisch aufnahmefähig war für das göttliche Wort. Der Heilige Geist ist die göttliche Gleichförmigkeit als Ausdruck vollkommenster Liebe und Einigung in der Heiligen Dreifaltigkeit. In Maria war jene psycho-physische Einigungsmöglichkeit, die für das Geheimnis der Menschwerdung gefordert war. Obwohl Mensch, war sie doch Gott so „gleichförmig“, dass der Heilige Geist nichts Ungeziemendes tat (sozusagen sich nicht „vertan“ hat), sondern eine gottwürdige Einigung der zweiten göttlichen Person mit Maria wirken konnte. Damals hatte Maria durch ihr treues Mitwirken mit der Gnade Gottes jene Würdigkeit erreicht, die der Engel als „voll der Gnade“ bezeichnet hat. Und wenn er fortfuhr: der Herr ist mit dir, so war damit vor allem gemeint: Du bist ganz gotteswürdig, nämlich im Hinblick auf jenes Geheimnis, dass Gott in ihr zu wirken im Begriff stand. So steht Maria der Heiligen Dreifaltigkeit am nächsten infolge des einzigartigen Ausmaßes an Gnade, das Gott über sie ausgegossen hat und wegen der wunderbaren Dienste, zu denen die Heilige Dreifaltigkeit sie herangezogen hat und die Maria wirklich geleistet hat.

2. Damit ist Maria auch in höchster Weise einbezogen worden in den göttlichen Heilsplan der Erlösung. Ja, man kann sagen, der göttliche Heilsplan der Erlösung geht „über“ Maria. Er wurde zuerst auf sie als Vorerlöste angewendet, insofern sie im Hinblick auf die Erlösung und in deren vorauswirkender Kraft im Vorhinein von der Sünde bewahrt bzw. im Wesentlichen nach dem „ersten“ göttlichen Plan der Erschaffung der Menschen neu geschaffen wurde. Gott will sich immer der Menschen bedienen, um sein göttliches Heil den Menschen zuzuwenden, ähnlich wie das göttliche Wort sich der Menschheit bedient hat, um auf Erden zu erscheinen. Das erste Geschöpf aber, dessen sich Gott zum Heil aller Menschen bedient, ist Maria, weil niemand ihm so nahe steht. Kein Geschöpf ist der Gnade des Erlösers so sehr innegeworden wie Maria. An sich hätte das, was ihr der Engel verkündete, sie in Widerspruch mit sich selbst bringen können. Ihre Demut aber, die in allem Gott allein die Ehre gab, konnte diesen scheinbaren Widerspruch überbrücken. Wenn auch der Engel vom Königsthron sprach, so blieb sie doch die bescheidene „Frau des Zimmermanns Josef“, als die sie galt; und alles Eigene blieb in ihren Augen klein, arm und unansehnlich. Welche Enttäuschung musste für sie in gewissem Sinne die Armut bei der Geburt in Bethlehem sein, aber sie „ging mit Jesus mit“ und wollte „so sein“, wie er es war und wählte. Jesus formte sie ganz für sich und nach seinem geistigen Bild. Wie groß musste die Mutterfreude Mariens gewesen sein, als sie zum ersten Mal dieses geheimnisvolle Kind, ihr Kind, sah. Doch sie merkte bald: Das war nicht „ihr Kind“. Schon mit der Geburt fing dieses Leiden für Maria an, das sie gewahrte: Dieses Kind ist nicht ganz „mein Kind“; es lebt nicht ganz „der Mutter zu“, wie andere Kinder; es lebt eine andere Eigenart; es kehrt sich „einem Vater zu“, dem es zugehört. Auch ihre zärtlichste Liebe konnte ihr dieses Kind nicht ganz gewinnen. Dieses Kind, das sie so mütterlich liebte, lebte ein Eigenleben, „weit ab von dieser Welt“. Maria forschte in der Heiligen Schrift über die Eigenart des Messias und stellte Vergleiche an mit Ihrem Kind. So wurde sie tiefer eingeführt in den Sinn der Heiligen Schrift, und doch schien dieses Kind auch wieder in einem gewissen Widerspruch mit manchen Andeutungen der Heiligen Schrift zu stehen. Viel hat da ihre Mutterliebe gelitten bei der bangen Frage, wie denn dieses ihr Kind der Messias sein könne. Und gerade die unaussprechliche Einigung der Liebe mit ihm, die sie immer erlebte, erhöhte noch ihren Schmerz. Und je größer dieses Kind wurde, desto geheimnisvoller wurde es für Maria. Es wandte sich, wie die Mutter mit Sicherheit fühlte, einer inneren Aufgabe zu, die eigentlich sein tiefstes Wesen ausmachte. Dieses Kind war ganz seinem eigenen Wesen hingegeben, dem die Mutter im Grunde nicht nahe kommen konnte, und wovon sie es nicht lösen konnte. Dieses Kind war ihr „persönlich“ oder seiner Person nach nicht verwandt, sondern existierte in einer anderen Wesensart, der die Mutter nicht folgen konnte. Maria lernte dabei zutiefst das Wesen Gottes Selbst verstehen, die Unnahbarkeit und Unbegreiflichkeit Gottes, dessen Wesen noch keinem Menschen vollen Zutritt gewährte. Und dieses ihr Kind war selbst Gott. So kam Maria in die „Nähe Gottes“. Je mehr sie aber die Gottheit ihres Kindes im Glauben erfasste, desto mehr litt sie mit ihrem Kind wegen seiner Bestimmung als „Menschenkind“. Maria war ihrer Natur nach ein Mensch, eine Frau, die allen fraulich-mütterlichen Sorgen und natürlichen Beängstigungen ausgesetzt war. Je mehr sie aber in das tiefste Wesen ihres Kindes eindringen und es verstehen konnte, desto mehr und inniger ging sie mit ihm und lebte sie seine Eigenart mit, so wie jede Mutter ihrem Kind im Geiste folgt. Infolge der höchsten und gemüthaften Empfänglichkeit und Feinfühligkeit für das Leben ihres Kindes, wie sie ihr eigen war, wurde die seelisch-sittliche und auch menschliche Entfaltung Mariens als Mutter in höchster Weise gesteigert. Wenn auch Jesus sich ihr allmählich als Gott geoffenbart hat, so blieb sie doch seine leibliche Mutter und sie konnte sich ihrer Muttergefühle nicht entäußern, auch nicht angesichts seiner göttlichen Hoheit. Sie sah doch diesen Gott als Menschen, als hilfsbedürftigen, leidenden Menschen, dem sie irgendwie Erleichterung, Hilfe und Trost verschaffen wollte. So kamen in Maria die höchsten und heiligsten Gefühle miteinander in Widerstreit, und in diesem Sinne durchbohrte ein Schwert immerdar ihre Seele, und es bohrte sich mit dem Heranwachsen ihres Kindes immer tiefer in ihr Herz. So wurde Maria als Mutter ständig mitgeopfert und hat sich selbst mitgeopfert, wie es eben die liebendste und feinfühligste Mutter tun konnte. Sie ging damit vollends ein in das Reich des Geistes, dass der Erlöser in der Welt aufrichten wollte, bzw. nach den Worten der Propheten aufrichten sollte und das der Messias als Erlöser der Menschheit zu bringen im Begriff war. Dieses Reich des Geistes in seiner Vollendung tat sich vor ihrem Mutterauge auf. Aber es tat sich damit auch ihr eigenes Wesen vor ihr auf. Sie erkannte nunmehr das „vorerlösende“ Wirken des Erlösers in ihr, sie fühlte sich tief in das Reich des Geistes ihres Sohnes einbezogen und es taten sich die göttlichen Werte seiner Menschwerdung vor ihr auf. So wurde Maria durch ihre Stellung als Mutter einbezogen in das geheimnisvolle Erlöserleben Christi. Sie erlebte die göttliche Heiligkeit Jesu, sein Einssein mit dem Vater, und sie ging innerlich mit ihm mit.

Wenn Maria heute auf ihr unbeflecktes Herz hinweist, so ist das nicht, um sich selbst Ehre und Anerkennung zu verschaffen, sondern sie verherrlicht damit Jesus selbst, der an alle Menschen die Forderungen höchstmöglicher Reinheit und Gottähnlichkeit stellt. Maria weist der Menschheit den Weg zu Christus, und Christus selbst gibt seiner Mutter das Vorrecht, diesen „ihren“ Weg anzugeben, der ihn am meisten verherrlicht. Sie zeigt den Weg an und weist hin auf die höchsten Werte, auf jene, die vor Gott gelten, und die allein vor ihm gelten. Damit wird Maria zum höchsten Vorbild für jeden Menschen, zum Vorbild wahrer Gottgefälligkeit. Es gilt, die höchsten Werte der Seele Mariens herauszustellen und zu beleuchten, um der Menschheit den Weg zu Christus zu zeigen. Die inneren Herrlichkeiten Mariens müssen für alle Menschen als höchst begehrenswerte Güter herausgestellt werden, damit sie wieder zum Ideal für jeden Christen werden. Es ist nicht so, als ob Maria damit die Weltherrschaft oder das Reich ihres Sohnes an sich reißen will. Christus selbst will vielmehr, dass ihre Heiligkeit als Vorbild aufleuchte und dass die Menschheit durch sie wieder ihm zugeführt werde.

 

21.12.1951

In große Geistessammlung versetzt, wurde ich innerlich eingeführt in das folgende Geheimnis.

4424 |        Die Freude Mariens während der ersten neun Monate ihrer Mutterschaft war unbeschreiblich. Sie verkostete ununterbrochen die süße Gegenwart des göttlichen Wortes, das sie in sich trug. Sie war geistig ganz in Jesus aufgenommen und von ihm „getragen“, sowie sie ihn physisch trug. Ihr Herz war voll süßen Jubels in seinem heiligsten Namen „Jesus“ versenkt.

4425 |        Maria hatte auch die naturgegebenen Beschwerden der Mutterschaft. Sie fühlte die süße Last in ihr wachsen, aber dies erfüllte sie mit großer Freude. Sie war nicht versehrt oder „verunreinigt“ wie gewöhnliche Mütter. Sie war rein und keusch wie ein Kind, das „nichts“ weiß. Ihr ganzes psychophysisches Wesen war nur auf Gott hingeordnet. In ihr war kein Wissen um eine leibliche Erregung, und ihre göttliche Mutterschaft war ohne irgendein Symptom oder Anzeichen einer fleischlichen Verletzung. Durch die wunderbare Unverletztheit ihres heiligen Leibes war sie jeder Möglichkeit einer Erregung entrückt, die an eine gewöhnliche Mutterschaft hätte erinnern können. Weil sie „im Geiste“ empfangen und geboren hat, so kannte sie auch nicht jene Verunreinigungen, die sonst Folgen einer natürlichen Empfängnis und Geburt sind. Ihr heiliger Leib wurde vielmehr durch ihre Mutterschaft gegenüber dem göttlichen Kind ganz umgewandelt und vergeistigt und blieb für immer ein Gefäß des Allerhöchsten.

4426 |        Gewiss wurde ihre Mutterschaft mit ihrem Fleische vollzogen, das sie dem Sohn Gottes zu eigen gab, bestand aber dennoch ganz „im Geiste“ und wurde ständig „im Geiste“ weiter geführt. Maria war in fortwährender Vereinigung mit der Heiligen Dreifaltigkeit, wenn auch das Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit ihr noch nicht ganz klar war. Da diese ständig an der Menschwerdung des Erlösers wirksam war, so wurde auch Maria eingetaucht in jenes göttliche Wunder, das der Allmächtige in ihr wirkte. Sie wurde sich in jenem gesegneten Zustand „Gottes bewusst“, d. h., sie wusste um die allerhöchste, göttliche Wirksamkeit in ihr. Es war freilich ein Wissen nach alttestamentlichem Gottesbegriff, aber es war für sie doch der Weg des allmählichen Übergehens und Eingehens in den Neuen Bund, der sich ihr selbst zuerst erschloss, weil sie die Trägerin dieses neuen Anfangs war.

4427 |        Je näher die Zeit kam, dass sie ihr Kind in den Armen halten sollte, desto größer wurde auch die Innigkeit ihrer Liebe und Sehnsucht. Maria war dabei wahre Mutter und es breiteten sich auch alle Symptome vor, die das Wachsen ihres Kindes mit sich brachte, auch jene der mütterlichen Ernährung des Kindes. Aber auch diese Anzeichen waren „vom Fleische getrennt“, bzw. in eine so geistig-leibliche Art erhoben, dass sie in keiner Weise mit einer gewöhnlichen Mutterschaft identisch waren. Maria war in gewissem Sinne noch ein zartes (fünfzehnjähriges) Mädchen, wenn sie auch das reife Wissen um eine Mutterschaft hatte; sie wurde jedoch vom Heiligen Geiste belehrt über das Werden ihres Kindes und über ihr Verhalten in jener Zeit der ersten neun Monate. Sie war ja ganz Gottes Eigentum geworden und war darum ganz vom Heiligen Geiste geführt. Wohl konnte sie Sorge haben um ihr zu erwartendes Kind, aber auch diese Sorge hatte nichts Unvollkommenes an sich, sondern war ganz beherrscht von ihrer Liebe und Demut und vom vollständigen Aufgeben ihrer selbst, um Jesus in ihrem Geiste Raum zu geben. Gewiss standen die Andeutungen der Propheten über den kommenden Messias immer vor ihren geistigen Augen, aber ihre Liebe zu Gott, ihre vollkommene Tugend, ihre Hingabe und Bereitschaft, mit allem, was einer Mutter zusteht, mitzugehen und sich mit zu opfern mit ihrem Kinde, beherrschte und überwand all ihre mütterliche Sorge.

4428 |        Als Maria mit dem hl. Josef die Reise nach Bethlehem antreten musste, litt sie unterwegs größtes Leid und Sorge, weil sie bei ihrer ohnmächtigen Lage fürchten musste, dass ihr Kindlein in die Not der Armut komme und dabei Schaden nehmen könne. Maria und Joseph waren aber auch ganz losgeschält von den irdischen Gütern. Wie hätte es auch anders sein können, da doch keine Unvollkommenheit diese heiligen, Gott so nahen Seelen beflecken durfte. Sie erwarteten sie auch trotz der naturgegebenen Sorge mit festem Vertrauen, dass die göttliche Vorsehung ihnen stets das Notwendige zukommen lassen werde. Zudem vertraute sich Maria in ihrer Lage ganz dem hl. Josef an; wusste sie doch, dass der hl. Josef unmittelbar von Gott selbst das Amt eines Pflegevaters bekommen hatte und über ihre heilige Mutterschaft Bescheid wusste. Als sie dann in Bethlehem keine Herberge fanden, war Maria wohl betrübt in der Sorge um ihr Kind, das am Kommen war, aber soweit es sie selbst betraf, war sie sehr zufrieden, dass sie ganz allein sein konnte.

4429 |        Maria erlebte nicht jene Vorboten und Anzeichen der Geburt, wie gewöhnliche Mütter sie erfahren. Die Geburt ihres Kindes hatte nichts mit fleischlichen Erregungen zu tun, sondern bereitete sich im Geiste vor. In Maria steigerte sich so sehr das liebende Verlangen, das Kind, dessen Zeit gekommen war, zu sehen, dass sie von diesem Verlangen ganz überwältigt wurde. Sie wusste, die Zeit für das Erscheinen des Messias ist da. Weil aber die Empfängnis ihres Kindes so wunderbar gewesen war, erwartete sie, dass ihr Kind in gleicher Weise auch wunderbar erscheinen werde. In ihrer jungfräulichen Zartheit und Reinheit vermochte sie nicht, mit dem hl. Josef darüber zu sprechen. Auch dieser selbst war in solcher Ehrfurcht Maria gegenüber1740, dass er in zarter Rücksicht das heilige Geheimnis in keiner Weise berührte. Beide waren ja ganz in Gott verbunden, und Josef fühlte sich als der Diener Mariens.

4430 |        Ähnlich wie Maria bei der Empfängnis ihres Kindes der innigsten Verbindung mit dem göttlichen Worte innegeworden war, so erlebte sie in Bethlehem in unaussprechlich intimer Weise ihre Verbindung mit dem göttlichen Kinde. Das Erleben der wirklichen Gegenwart der Frucht ihres Leibes brachte sie ganz außer sich, sodass sie gleichsam ganz von ihrem eigenen Wesen zurücktrat und sich geistig ganz eröffnete in der Hingabe an ihr Kind. Diese Hingabe und zugleich dieses Zurücktreten ihres eigenen Seins wurden so stark, dass sich Maria für Augenblicke ganz verlor. Und diese Hingabe in höchster Geistigkeit brachte der Welt das „Licht der Welt“, ähnlich, wie der Herr später bei verschlossenen Türen vor seine Apostel hintrat oder wie er sich, kraft seiner Allmacht, einmal seinen Feinden entzog. Das, was Maria so ersehnte und liebte, dessen Leben für sie selbst das eigentliche Leben war, jenes Wesen trat aus Liebe zur Mutter in dieses Erdenleben ein und zeigte sich vor ihr als hilfloses Kindlein.

4431 |        Maria war in gewissem Sinne nicht überrascht über diese übernatürliche Weise der Geburt ihres Kindes. Sie war so rein und keusch, dass die Möglichkeit einer gewöhnlichen Geburt niemals ihr mütterliches Wesen berührt hat. Sie war auch durch den hl. Geist irgendwie über die Art ihres Kindes unterrichtet worden. – Wie die Empfängnis ihres Kindes im Geiste geschehen war, so geschah auch dessen Heraustreten als ein Akt der Liebe der zweiten göttlichen Person, als ein Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit. Als die Zeit der Mutterschaft zu Ende war, hat Maria ihr Kind in einem Akt der Liebe geboren, und ihr Kind hat diesen Akt der Liebe erwidert.

4432 |        Als Maria ihr Kind sehen konnte, war ihr liebendes Gemüt gleichsam „entlastet“. Nun konnte sie ihm dienen, wie sie es so heiß herbeigesehnt hatte. Und Jesus war das reinste, das heiligste Kind. Maria wärmte es an ihrem mütterlichen Herzen und tat ihm jene Dienste, die irdische Mütter ihren Kindern leisten können. Jesus war ja dem Leibe nach ganz „ihr“ Kind und sie fühlte sich verantwortlich für das Leben ihres Kindes. Sie betreute es also in der zärtlichsten Weise. Jesus war doch so hilflos, wie andere Kinder sind. Ihre Herzen waren aber eins, denn die Vereinigung mit dem ewigen Wort, die Maria bei der wunderbaren Empfängnis erhalten hatte, war wie ein Siegel, das sie für immer mit Gott verband. Aber auch die Liebe Mariens zu ihrem Kind war nicht fleischlich berührend, sondern blieb ganz in der hohen Geistigkeit und war von solcher Ehrfurcht durchdrungen, dass Maria kaum wagte, ihr Kind anzurühren. Sie wusste, dass sie nur „Mutter“ sein durfte.

4433 |        Auch als Mutter betrachtete sich Maria ganz als Dienerin des Herrn. Dennoch hat diese geistige, ehrfürchtige Liebe ihrem wahren Muttersein und ihren mütterlichen Gefühlen keinen Eintrag getan. Maria betrachtete das Mutter-sein als ihre Stellung dem göttlichen Kinde gegenüber. Dementsprechend wandte sie sich auch ganz dem Erlöser-sein des Messias zu. Schließlich ist darin ihre ganze Mutterliebe zu Jesus aufgegangen. Das lässt auch die wunderbare Größe ihrer Selbstlosigkeit ahnen, die sie als Frau und in ihren Mutterrechten ganz zurücktreten und sich ganz ihrem göttlichen Sohn in seiner Erlöseraufgabe zur Verfügung stellen ließ.

4434 |        Ich war gleichsam in einem ständigen Fragen, welches Alter wohl Maria im Augenblick der Verkündigung gehabt habe. Nach meinem geistigen Erleben und Empfinden ihres kindlichen Wesens musste ich annehmen, dass Maria etwa 15 Jahre alt gewesen sei, als sie Muttergottes wurde, und doch schien es mir wiederum fast unmöglich, dass sie bei der Empfängnis ihres göttlichen Kindes nicht in einem etwas reiferen Alter gestanden wäre. Als ich nun in diesen Tagen in der Kirche „Al Gesu“ vor dem Bild der „Madonna della Strada“ war, stand plötzlich einen Augenblick lang das geistige Bild des Gesichtes bzw. des Aussehens Mariens vor mir. Danach hatte Maria ein orientalisches Aussehen, ein rundes Gesicht, ungemein ausdrucksvoll und lebendig. Es war ein volles Gesicht mit breiten Schläfen und spitzem Kinn, jugendlich geschwellt und voll Liebreiz. Es hatte den Ausdruck eines etwa fünfzehnjährigen Mädchens, dessen Antlitz noch in der Reifung begriffen ist.

4435 |        Der Rasse nach war es ganz anders, mit anderer Gesichts- und Knochenbildung als man es etwa in Deutschland oder Italien findet; auch die Tönung der Hautfarbe war eine andere als die deutsche oder italienische; ich persönlich habe nie ein ähnliches Gesicht gesehen. Das Andersartige erhöhte aber noch dessen Liebreiz. Gleichzeitig wurde mir dabei in einem augenblicklichen inneren Lichte bedeutet: Wird Gott nicht „ihr“ Alter so gewählt haben – oder: Ist Gott nicht so vernünftig, ihr Alter so zu wählen, dass ihr Körper, ihr Geist und ihr Gemüt die für die Mutterschaft erforderliche Reife und Befähigung erlangt hatte? Besonders ihr Gemüt brauchte ja eine entsprechende Reife und Spannkraft, um alles in sich aufnehmen zu können, was ihr Mutterberuf dem göttlichen Kinde gegenüber verlangte.

4436 |        Aus dieser Erklärung muss ich schließen, dass Maria doch schon 17-18 Jahre alt war, als sie Mutter des göttlichen Kindes wurde. Ihr wunderbarer Liebreiz, ihre Unschuld und Kindlichkeit ließ jedoch zunächst ein Alter von etwa 15 Jahren vermuten. Das Erleben ihrer Psyche zeigte etwas wunderbar Jugendliches, Kindliches, in sich Konzentriertes und doch wieder eine gewisse Abrundung und persönliche Mündigkeit – was sich auch im Gesichtsausdruck widerspiegelte.

4437 |        (Ich habe übrigens schon früher einmal das Angesicht Mariens im Geiste gesehen. Es hatte das gleiche Aussehen wie diesmal.)

4438 |                

4439 |        

 

 

 

 

 

 

 

 

Schriften über Maria Sieler
Verschiedene Zusammenfassungen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Leben

 

„Kindheit und Jugend“ ist eine gute und wichtige Übersicht
über die Mystikerin in ihrem Werdegang.
Autor unbekannt.

 

 

 

 

 

 

Lebenslauf in Kurzform

Januar 1909: erster Bericht (von da an jeden zweiten Sonntag – ausnahmsweise)

18.4.1909: erste heilige Kommunion.

1.6.1909: Heilige Firmung.

Ab 14 Jahren jeden Sonntag heilige Kommunion / Kaplan Leopold Barta: „das brave Mietzerl“ – im Advent: Montag und Dienstag / im Winter jeden Tag – vorher Kühe füttern –

Mit 16-17 Jahren Tröstungen, stundenlanges Beten, schaute die Geheimnisse des Rosenkranz

1912: ein eigenes Stübchen im Elternhaus, Altärchen, IHN als Existenz gefunden, Abkehr von der irdischen Dinge, Hinkehr zu IHM.

Mit 16 Jahre Bitte um Aufnahme ins Herz Jesu Kloster, Graz; müsse mindestens 20 Jahre sein.

1917: die ersten Exerzitien im Herz Jesu Kloster, Graz; bei den Jesuiten für immer „geopfert“; das Leben der kleinen Theresia gelesen, „nichts Besonderes“

17.2.1918: (durch Pater Dornhofer S.J.) Nach Stockerau ins Styler Missionskloster, vorstellen; Aufnahme für den 24. Oktober 1918.

August 1918: Exerzitien bei Pater Werner S.J. In Graz, unterbrechen wegen des Sterbegottesdienstes für den einzigen Bruder, der bei Asiago +

Vor Weihnachten 1918 Schüttelfrost und Fieber, rechtzeitige Lungenentzündung; Sterbesakramente durch Koop. Markowa; morgens gesund gefühlt, nach acht Wochen.

1919: Wieder Exerzitien bei Pater Werner, stundenlang betrachten können, zum Beispiel über die Worte „O Herr, ich bin nicht würdig …“

1919: das ganze Jahr krank – „nervöses Fieber“, Lungenspitzenkatarrh, Herzmuskelschwäche, bis Herbst 1919 Arsenikkuren.

1920: Landesheilstätte für Lungenkranke Hörgas, 100 km nördlich von Graz, vier Monate bis Oktober 1920; Kaplan Pater Camillus Seebacher OSB, im Herbst nach Hause aber nur mehr Hausarbeit

1921: Rippenfellentzündung (trocken), keine Exerzitien, aber „Aufgabe“ erkannt.

1992:… Nur ihm leben, ihn mit seiner Liebe lieben.

1922: Exerzitien bei Pater Karlberer S.J. Mein Leben zu einem bestimmten Zweck opfern – am Fest Maria Himmelfahrt Aufopferung; am Fest Maria Empfängnis Gelübde ewiger Jungfräulichkeit, meine Seele verwenden, das Erlösungsopfer fortsetzen. „Blinde Opferhostie“: Aufopferung durch den Priester; „Kreuzesbraut“

1923: Pater Michael Lenz O. P. (Dominikaner) Opferakt; Beleuchtungen über SEINE Heiligkeit und Nachleben; Menschwerdung, auch Zustände und Erkenntnis über die Muttergottes, – Versprechen, die Folgen der Erbsünde zu überwinden, „Schlachtopfer“, „ich schenke dir mein leidendes Herz“ …

1924: Qual und Zweifel; Doktor Hohenwarter: „In Ordnung“; Exerzitien bei den Armen Seelen Schwestern in Graz; Karmeliterpater schickt mich zu Pater Michel Lenz und Pater Victor Kolb S.J.

30.8.1924 in Graz: Gelübde v. Schwester Klara Fietz und einer Mitschülerin von Maria Sieler.

September 1924: Offenbarungen – Ekstase; H. H. Kickenwaitz Vinz. Nach St. Rupprecht

November 1924: „Für die Erneuerung des Priestertums“

Nach Ostern 1925: Menschwerdung… (Seite. 44)

1925 Kloster suchen

1939:

Ende Januar habe ich zum ersten Mal auf Anregung des Heilandes an P. Garr.-Lagr. geschrieben.

23.2. schrieb ich neuerdings an Pater Garr.L.

5.3. antwortete er mir und lud mich ein, zu kommen. Die Antwort erhielt ich am 7. März, Fest des heiligen Thomas von Aquin.

23. März kam ich in Rom an – mit zehn Reichsmark.

24. März besuchte ich Pater Behler und Pater Garr.-L.

27. bei Pater Ambrosius O. Carm. Gewesen.

29. auf Rat von Pater Behler in Sankt Anselmo bei Pater Benno Gut und Pater Anselm stolz gewesen.

Am 1. April durch Pater Stolz – und Abt Stauber einen Brief an den Heiligen Vater abgegeben.

Bei Monsignore Hudal gewesen, der mich an Pater Krämer verwies. Pater Krämer ging zu Kardinal di Belmonte.

29. April umgezogen nach Via Nicolò V.

6. Mai Enttäuschung durch Pater Walz O. P.

7. Mai eine ganz große Gnade!

Pater Rösch in Rom (9. Mai).

18. Mai lief an Kardinal Jorio geschrieben und an Kardinal Merchetti Selv.

Anfang Juni bei Bischof Hudal gewesen. Am 9. Juni war ich bei Pater Krämer und bei Pater van Laak.

10. Juni war ich bei Pater Timotheus Schäfer O. F. min. Cap.

16. Juni (Herz Jesu Fest nochmals bei Pater Timotheus)

22. Juni war ich bei Kardinal Marchetti.

(Am 21 Juni ist Mar. Mayr weggefahren).

23. Februar das Versprechen vom Heiland: Es wird einmal sehr schnell gehen (in einigen Tagen die Prüfung erledigt), nicht durch das Offizium. B. wird wieder Führer werden und meine Aufgabe wird dann erst beginnen.

27. Juni in St. Lorenzo Al Verano: Licht über das neue Leben und Mitopfern, wie in der Kirche alles immer mehr zur Vollendung kommt.

1. Juli: „du ruhst in meinen Armen; was fürchtest du?“ Sagte mir der Heiland.

2. Juli: Pater General S.J. wird angetrieben, sich doch mit der Sache zu beschäftigen. Die Vorgänge im Noviziat in Feldkirch geben ihm zu denken.

5. Juli: Eindruck: einer von der Gregoriana werde nach Schluss seiner Arbeiten die Sache nachzuprüfen haben. (Pater Hurth?)

7. Juli: Pater Krämer traf auf offensichtlich Gott gefügte Weise mit Pater Baumann zusammen. Am 8. Juli hatten sie eine lange Unterredung.

9. Juli war ich wieder bei Pater Krämer.

10. Juli Eindruck: Kardinal Marchetti werde vorschlagen, dass die Jesuiten die Sache prüfen lassen. – der Heiland wolle der Gesellschaft Jesu nicht die öffentliche Schande antun, dass es gegen oder ohne sie würde.

12. Juli: Pater Schnyder in Rom.

17. Juli: Pater Krämer ging zu Kardinal di Belmonte – der wollte nichts mit der Sache zu tun haben.

18. Juli: Pater Krämer sprach mit Pater Burkhard Winzen.

19. Juli: Pater Winzen sprach mit Pater Baumann.

Ende Juli (Pater Baumann war in Frascati) ging Pater Krämer zu Kardinal Marchetti. Im August hat Pater Baumann mit Pater Dugré (englischen Assistent) gesprochen.

24. September sagte Pater Winzen: „die Überzeugung können Sie mitnehmen, dass ich mich ganz dafür einsetzen werde“.

2. Oktober: innere Verbindung und Wissen von Pius XI, Pius X, K. Merry del Val.

11. Oktober: Mutterschaft Mariens: Aufopferung an Maria.

15. Oktober sprach Pater Krämer mit Pater Grisar S.J.

23. Oktober sprach Pater Grisar mit Pater Baumann

1. November sprach Pater Krämer mit Pater Merk

6. November sprach Pater Baumann mit Pater Merk

16. November sprach Herr Hopfen mit Monsignore Pasetto; diese dann mit Pater Pini, der dann Pater Baumann auffordern ließ zu Monsignore Pasetto zukommen.

15. November war ich (zum ersten Mal) bei Pater Merk.

18. November Monsignore Pasetto hat vertraulich Pater Baum angerufen und ihm den Auftrag gegeben, niederzuschreiben.

3. Dezember ich bin – mit Herrn Hopfen – bei Monsignore Pasetto gewesen.

21. Dezember sagte mir Pater Merk: ich bin entschlossen, alles dem Pater General S.J. vorzulegen. Ich habe keine Angst mehr; ich werde es jedenfalls schriftlich machen. – Er wolle mit Monsignore Pasetto darüber reden.

1940:

3. Januar war Pater Merk bei Monsignore Pasetto; dieser meint: zunächst mit einem Gutachten zu Kardinal Marchetti gehen; Pater Merk soll mit Pater Winzen darüber verhandeln. Nicht zu Pater General S.J. (Vermutlich, weil er meint, dass mit diesem doch nicht zur verhandeln sei).

4. Januar: Pater Winzen sagte mir: Er werde sein Gutachten nicht abgeben, bis er nicht von kirchlicher Seite dazu aufgefordert werde.

13. Januar ich sprach mit Pater Merk über einen Weg, um mit dem Bischof von Basel in Verbindung zu kommen. (Über Pater Schnyder).

12. Februar schickte ich selbst einen Brief an Pater Schnyder ab, mit der Bitte, die Sache dem Bischof von Basel vorzulegen.

21. Februar Eindruck: Es wird einmal eine Entscheidung des Offiziums kommen, wodurch mit einem Schlage alle Schwierigkeiten beseitigt werden.

23. Februar Pater Schnyder antwortete mir sehr freundlich, aber ausweichend.

26. Februar: Wiederum: Mit einem Schlage wird eine Änderung der Lage kommen.

27. März: Pater Schnyder hier in Rom. Eindruck: Ich komme mit einer Frauenseele zusammen, die mir eine große Stütze sein wird. Deren Beichtvater kennt einen Kirchenfürsten, durch den es dann einen anderen Weg gehen wird.

31. März merkwürdige Fügung, dass ich mit Pater Schnyder nicht reden konnte (weil Pater Merk ein falsches Telefon angab). Er verabschiedete sich vom Pater Baumann mit dem Versprechen, er wolle mit dem Bischof von Basel reden.

21. April: zum letzten Mal bei Pater Winzen.

10. Mai: Begegnung mit der Frau, die Herr Hopfen kennt.

15. Mai Eindruck: Der Heiland macht es allein; er braucht keine Menschen dazu; es wird sich vollziehen „ohne uns, gleichsam hinter unserem Rücken“.

16. Mai: Ich sprach mit Pater Behler.

19. Mai: Pater Baumann sprach wieder mit Monsignore Pasetto.

23. Mai: Eindruck: durch eine Person, die ich – vielleicht in St. Brigitta – treffen werde, werde ich in Verbindung mit dem Kirchenfürsten kommen; der so gut zu mir sein wird, dass er auch um ein Plätzchen für mich schauen wird. Die Sache ist schon von anderer Seite vorbereitet; man wartet eigentlich nur auf uns.

29. Mai: Ich war bei Pater Merk enttäuscht, weil er nicht tun will. Mir kam vor: ein Kardinal (Kirchenfürst) ist von anderer Seite vorbereitet. Die Sache ist auch schon zum Heiligen Vater gekommen.

3. Juni: Ich musste Pater Merk bitten, dass er sich endlich entschließe, mit Kardinal Bizzardo zu reden.

8. Juni: Pater Merk war bei Pater Winzen und hört auf dessen Rat, zu Kardinal La Puma zu gehen.

10. Juni: Kriegseintritt Italiens: „wo wir sind, kommt kein Krieg hin“.

2. Juli ich habe einen Brief an Bischof von Basel und Pater Schnyder abgeschickt.

6. Juli: Pater Merk ging zu Kardinal La Puma (nicht zu Pizzardo), ohne aber von der Sache Näheres zu sagen.

7. Juli: In ruhiger Klarheit sagte ich Pater Merk, dass er ein überzeugendes Gutachten ausarbeiten müsse für Pater General. – Was er versprach.

11. Juli: Eindruck: Wenn ich soweit bin, dass ich in dem neuen sein bleiben kann, dann wird der Herr zu wissen tun, was wir machen müssen. Es kommt noch eine Frauenseele und es wird jemand zu einem Kirchenfürsten gehen.

24. Juli: ich hatte den Eindruck, dass der Bischof von Basel an Pater General geschrieben habe. Ich war gedrängt, zu beten, dass Pater General umgestimmt werde und dass er doch prüfen lasse.

26. Juli Pater Krämer ging zu Kardinal Pizzardo, der sehr für die Sache zu sein schien…

27. Juli: Pater Baumann musste im Auftrag des Pater General hier in Rom bleiben, während die Kurie nach Frascati ging.

28. Juli: Ich werde viel schreiben müssen und Pater Garr-L. wird es durcharbeiten.

31. Juli: Kardinal Pizzardo denkt daran, prüfen zu lassen. Später wird Pater Garr.L. den wissenschaftlichen Weg zusammenstellen. (Wenn Pizzardo nicht den inneren Geist hat, wird er nicht den Mut haben, es auszuführen).

8. August: umgezogen nach Viale Gianicolense 77. Wissen: das sich nicht lange oben bleiben werde. Ich werde mich an Pater Hauer wenden müssen.

25. August ich werde mit einer Frauenperson zusammenkommen, die mir viel behilflich sein wird. Den inneren Geist aber darf ich nicht aus der Hand geben. – abends große Gnade: „wir wollen ein geheimnisvolles Brautfest feiern“.

28. August Eindrücke: Einer wird das Ganze schützen, bis es sichergestellt ist; dann wird er sterben. Ein anderer, niederer Gestellter, wird daran arbeiten.

3. September: Der Monsignore, der das Bild des Heiligen Vaters gezeichnet hat, wird unsere Sache zu ihm bringen.

26. September ich musste Pater Hauer bitten, dass er die Prüfung übernehme; der Heiland wird dann weiter zeigen. – Er sagte zu.

1. Oktober der Plan des Heilandes gezeigt: Pater Hauer – Pater Merk – Pater General der Herz Jesu Priester und der Jesuiten, und der Heilige Vater.

19. Pater General der Herz-Jesu-Priester (Govaard) sprach mit den Jesuiten – und die Sache scheint wieder erledigt.

26. Oktober ich sprach mit Bischof Hilarin Felder OFM.Cap.

27. Oktober Pater Merk kam übelwollend von Deutschland zurück.

4. November Pater Hauser ließ sich von Pater Schrjvers abreden.

7. November ich musste meine Schriften von Pater Hauer zurückfordern.

22. November Erkennen: Pater Hauer hat versagt und einen Plan des Herrn vereitelt. Ich werde mein Innenleben neu unter einem besonderen Gesichtspunkt schreiben müssen.

8. Dezember Aufopferung an Marie.

10. Dezember Pattern Baumann besuchte die Oberin von Quisisana. Ich hatte den Eindruck, dass sich einmal dorthin kommen werde

1941:

6. Januar: Es wurde mir die Gnade einer gewissen inneren „Vollendung“ gegeben, und es wurde mir angekündigt eine kommende Gnade der „Besiegelung“ oder Beschlagnahme für meine besondere Aufgabe.

Ende Januar ließ mich der Heiland wissen: Ich habe Stützen gesucht für mein Werk, habe aber keine gefunden; dafür will ich dir eine Überfülle von Gnaden geben, um Meine Sache zu beweisen.

Pater Merk redete sich mir gegenüber aus: Pater General S.J. tue es ja doch nicht und deshalb wolle er (= Pater Merk) auch kein Gutachten schreiben.

26. Januar: Der Beichtvater von Herrn Hopfen hält ihn ab von weiterer Unterstützung.

29. Januar: Baumann spricht mit Schwester Buchstabiermodus Diomira, Oberin von Quisisana.

2. Februar in der Basilika von Sankt Paolo erhielt ich die Gnade neuen Mutes und das Vertrauen, dass der heilige Paulus ein besonderer Patron des Werkes sei.

8. Februar: Baumann spricht mit Pater Bonaventura Zec T.O.R.

11. Februar ich ging nach Quisisana und wurde von der Oberin eingeladen, bald zu kommen.

13. Februar bin nach Quisisana umgezogen.

23. Februar: Maria zu mir: glaube mir, dass du mein Liebling bist!

25. Februar: Als sich für Baumann betete: „immer sehe ich euch zusammen, vereint“

26. Februar Pater Merk machte unter anderem die hässliche Bemerkung: „Ich bin ja froh, wenn sie zu einem guten Seelenführer kommen.“ – Schwester Diomira sprach mit dem Kaplan Bruin (?); dieser sprach sehr abfällig.

28. Februar ich fühle, dass auch Schwester Diomira mir nicht mehr so gut ist.

2. März: Neue innere Gewissheit, dass der Heiland alles bis ins Kleinste wahrmachen wird.

13. März: Meinen Tod bin ich schon gestorben; ich werde nur noch den Tod Jesu sterben.

17. März: Monsignore Ossola besuchte Pater Baumann – auf Bitten der Oberin von Bethanien. Ich war angeregt, für Monsignore Ossola zu beten.

19. März: Als sich in der Herz-Jesu-Kirche der Salisianer bedauerte, nicht beten zu können: „Jedes Gebet von dir hat großen Wert, weil ich noch nie solche Gnaden gegeben habe“. – Durch die Bemühung um die Verwirklichung der Gnaden und der Absichten Jesu wird Baumann den Märtyrern gleich werden.

30. März: Ich musste an Bischof Hudal schreiben.

1. April: Gnade der Unsündlichkeit.

6. März: Baumann gibt Exerzitien für die Priester in der Anima.

10. März: Es wurde mir innerlich der Wunsch und Plan Gottes gezeigt: Hudal sei ganz gerührt gewesen, als er las. Er und noch einer sollen prüfen und es dem Pater General vorlegen; diese werde erklären: Wenn es wirklich Gottes Wille ist, muss es auf alle Fälle gemacht werden.

13. April: Als ich mich wunderte, dass sich trotz allem immer wieder zu Pater Merk gehen muss: Der Heiland will, dass jemand vom Orden S.J. Zeuge sei, wie man sich tatsächlich verhalten habe und wie man gegen die Sache gekämpft habe. Der Heiland behauptete sich.

21. April: Baumann sprach mit B. Hudal: Er könne wegen des S. Officium nichts tun (gab Hudal als Grund seines Nichtstun an).

22. April: Pater Krämer sprach mit Pater Baumann auch über Pater General S. V. D.

6. Mai: Hatte die Anregung, einen Brief an Pater General aufzusetzen.

10. Mai: Ich besuchte wieder Pater Anselm stolz OSB (er könne nichts machen). – der Heiland: „Wo bliebe meine Verherrlichung, wenn keine Schwierigkeiten wären“?

12. Mai: Doktor Schnyder fuhr in die Schweiz Ingenbohl.

16. Mai: Gnade der Liebe.

25. Mai: Musste dem Brief an Partei Grendel abgeben.

1. Juni: Pfingsten: große Gnaden vom Heiligen Geist. – Pater Merk ist nun Beichtvater des Papstes – anstelle des Kranken Pater van Laak.

3. Juni: mein erster Besuch bei Pater Grendel.

19. Juni: Ich habe den jetzigen Plan des Heilandes geschaut: Dass es Pater Grendel an Kardinal Fumasoni weitergebe, diese den Pater Baumann ins Propagandaseminar rufe und dann Pater General alles ordne und regele.

[…]

22. Juni: Angriff auf Russland.

23. Juni: Besuch bei Pater Grendel. – Später wurde ich gemahnt, dass er nicht zu Pater Grendel gehen solle, wenn er nicht zuerst mein Innenleben geprüft habe.

25. Juni: Baumann sprach mit Pater Grendel.

30. Juni: Baumann musste zu Pater Matteo Quatember S. Ord. Cist. gehen, und kam mit ihm zu sprechen – später zeigte der Herr seinen Plan: Durch Pater Quatember soll die Sache an Kardinal Fumasoni kommen.

5. Juli: In der Kapelle der Heimsuchung: Mit dem inneren Leben Jesu in mir wird auch die äußere Verwirklichung werden. – Ich war sehr mit der verstorbenen M. Agnes Schenk verbunden. – Endgültige Berufung: dem Herrn als Menschheit zu dienen. – Neues Ziel: dem Herrn als seine Menschheit zu dienen.

15. Juli: Auf die Darstellung meiner Leiden sagte Pater Merk sehr lieblos: „Sie leben doch noch!“

18. Juli: Ich musste an die Oberin von Bethanien schreiben.

26. Juli: inneres Wissen: Einmal wird es so herauskommen: Das S. Officium wünscht, dass Pater Baumann sich mit der Sache beschäftige. Mit einem Schlage ist dann die Lage geändert. Später wird das Werk sich des Schutzes des S. Officiums erfreuen.

19. Juli: Ich musste einige Zeilen an S. Reintraud in Ingenbohl schreiben.

20. Juli: Übernahme der Erlöseraufgabe als der meinigen.

28. Juli: Ich musste an Pater Merk schreiben: wenn fest überzeugt, solle er mit Pater Hürth reden.

31. Juli: Einladung von Bethanien, dorthin zu kommen.

10. August: Pater Merk schrieb ein Zeugnis.

14. August: über Mailand nach Bethanien gefahren.

13. September: Musste nach Bozen fahren.

20. September: kurzer Besuch in Meran. – Brief an Pater Venturini in Trento und an Pater Quatember, an den auch die Oberin von Bethanien geschrieben hat. Ich sah den Plan des Heilandes: das Pater Venturini B. übernehme und dieser einmal sein Nachfolger werde.

26. September: wieder in Quisisana.

6. Oktober: meine erste Unterredung mit Pater Quatember. – Den Plan gesehen: Das Pater Venturini und der Bischof von Trento es machen werden/oder sollten.

13. Oktober: Pater Venturini kam nach Quisisana. Am folgenden Tag Unterredung mit ihm.

15. Oktober: In einer Audienz eines kleinen Kreises war Pius XII freundlich zu mir.

19. Oktober: den Plan gesehen, dass ich nach Via dei Villini komme. M. Maria von Jesus meine geistige Mutter.

23. Oktober: Ich musste an die Generalsoberin Herz-Jesu-Töchter schreiben.

20. Oktober: Musste an Pater Venturini schreiben; er antwortete am 29. Oktober.

31. Oktober: Pater Merk hat mit Pius XII gesprochen („die Idee sei recht; aber es gebe Leute, die sagen, es sei alles Einbildung“). – Wissen: Baumann wird einmal in ein päpstliches Seminar kommen.

13. November: Baumann kam mit Pater Schurmans zu sprechen.

17. November: den Plan des Heilandes gesehen: dass die Generalsoberin der Töchter des Herz-Jesu, ein Priester und Pater Venturini zusammenarbeiten werden.

24. November: Baumann hatte eine lange Unterredung mit Pater Schurmans.

2. Dezember: Pater Merk erklärte mir jetzt: Pater General habe recht gehandelt; es sei gegen das Institut und damit erledigt. Ich könne die Leiden ja aushalten; was ich denn wolle!

15. Dezember: den Wunsch Gottes gesehen: das Pater Merk mit Pater Schurmans rede und in dessen Auftrag dann die Sache dem Pater General vorlege.

18. Dezember: Eindruck: Ich werde einmal – durch ein Fräulein – nach Trinità dei Monti kommen.

1942:

1. Januar: neue Aufopferung. Versicherung, dass wir sein Herz Leben in inniger Einheit

3. Januar: Ich musste mich wieder freuen auf den, der kommt und dem ich glauben und vertrauen soll; ferner auf das Fräulein, mit dem ich mich sehr gut verstehen werde. – In einem Herz-Jesu-Kloster wird alles in Ordnung kommen.

6. Januar: schwere Leiden wegen Pater Merk.

15. Januar: Baumann fuhr nach Bozen.

18. Januar: War wieder bei Pater Merk; er schien umgestellt. Erkenntnis: Dort, wo der erste Fehler gemacht wurde bzw. wo der erste Kampf begann (S.J.), dort muss der Wille Gottes anerkannt und eingesehen werden. Dann wird sich alles Andere geben.

27. Januar: Baumann kehrt über Trient zurück. Erkenntnis: Venrutini und seine Leute werden das Werk in Italien bekannt machen.

3. Februar: Bei Pater Merk gewesen, der sehr lieblos war.

12. Februar: Wissen des Planes Gottes, dass ich mich mit Pater General S.J. zu reden komme.

23. Februar: War sehr mit M. Maria von Jesus (Deluil-Martiny) verbunden.

25. Februar: Brief an Pater Venturini abgesandt: Er dürfe die Sache nicht für sich verwerten wollen.

28. Februar Wissen des Planes Jesu: das Pater General die Sache prüfen lasse und gut zu machen suche. – Pater Merk hat mit Pater Vikar gesprochen (Schurmans).

1. April: Ich musste an H. Prälat Kaas schreiben.

3. April: Erkenntnis: Die Oberin eines Herz-Jesu-Klosters hat ähnliche Offenbarungen über das Priesterinstitut. In diesen Tagen und Wochen ist das letzte Angebot an die S.J., da doch Pater Schurmanns und Pater Merk einsehen, dass die S.J. die Sache gut machen könne.

8. April: Brief an Monsignore Kaas abgegeben. – 21. Antwort von M. Kaas.

23. April: Brief an Pater Merk, er müsse die Sache dem Pater General darlegen.

4. Mai: Pater General rief Baumann (Plan Jesu: dass er von Pater Merk eine schriftliche Darlegung verlange, in sich gehe, sich an den Heiligen Vaterwände und „alles mache“).

15. Mai: Pater Merk sagte mir: Pater General hat alles als Täuschung erklärt, obwohl er zugibt, dass der Orden es machen könne. Es liege aber in der Luft und sei alles Täuschung.

3. Juni: Musste wiederum an Pater Merk schreiben wegen eines Gutachtens für Pater General.

16. Juni: Schwester Diomira wird zur Generaloberin gewählt.

29. Juni: in Sankt Peter dem Kreis der heiligen Apostel zugeteilt.

7. August: Musste an Pater General Pfeiffer schreiben. – 11. August die Antwort.

14. August: Habe den Pater Pfeiffer persönlich gebeten, einen Pater mit der Prüfung zu betrauen.

20. August: Brief an Monsignore Pasetto abgegeben, der dem Haus Exerzitien gibt.

23. August: Unterredung mit Monsignore Pasetto.

29. September: Ich wurde wieder erinnert an die Consolate-Missionare (als ob nach Gottes Plan Pate Quatember doch etwas tun sollte).

4. Oktober: Ich war bei der Prozession in Castell Gandolfo.

21. Oktober: Bei Pater Merk, der grässlich war. – „Die Assistenten sind dagegen“.

26. Oktober: Pater General kam zu Operation nach Quisisiana.

29. Oktober: Brief an Pater General geschrieben.

4. November: den Brief an Pater General abgegeben.

10. November: Die Generalsoberin der Sacré-Coeur-Damen ist vorbereitet und ich komme mit ihr in Verbindung. – Als Eindruck.

13. November: Unterredung mit Gräfin Meurner.

28. November: Musste noch mal zu Pater Merk gehen, damit er es dem Pater General vorlege; er schien unbestimmt.

11. Dezember: Musste zu Pater Merk und erfuhr, dass er wieder nichts getan habe; ich musste ihm dann die Wahrheit sagen.

13. Dezember: Pater Leochovski gestorben.

20. Dezember: Frau Gräfin Meurner ließ sich von Pater Brust erzählen: Pater General hat auf dem Sterbebett hinterlassen: die S.J. tut nichts in der Sache. Wenn eine höhere Autorität es verlange, werde Pater Baumann freigestellt. Die Lage von Pater Baumann ändere sich nicht. Pater General habe vor gebaut, dass kein General, und auch kein Papst etwas ändern könne. Es sei eben gegen das Institut.

21. Dezember: Musste an Pater Schurmans schreiben.

23. Dezember: Brief abgegeben – Baumann hat mit Pater Garr.-L. gesprochen.

31. Dezember: Brief an Pater Venturini abgeschickt.

 

Schrift 1

4440 |       Ich überschaue in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Hauptabschnitte in meinem bisherigen Leben. So wie alle Leiden und Prüfungen und Läuterungen vor dem Verlassen meiner Heimat (1937) und dann der weitere Kreuzweg mit der scheinbaren Erfolglosigkeit der Absichten Jesu mir die Möglichkeit bieten sollte, in das Innere Christi einzugehen, so bietet mir die nunmehr erreichte solide Tugend die Kraft, um die kommenden Leiden des Erlösers ertragen zu können.

4441 |        Schon lange (11 Jahre) zuvor hatte ich die äußere Umänderung in meinem Leben (nämlich den Weggang aus meiner Heimat) voraus­gesehen, und zwar mit allen Opfern, soweit ich diese damals begreifen konnte. Durch die ständige Erhöhung des Vereinigungszustandes in Jesus wurde ich befähigt, diese meine schwere Lage ertragen zu können.

4442 |        Es ist auch alles Vorausgeschaute buchstäblich in Erfüllung gegangen, soweit ich es mit meinem menschlichen Verstande hatte im Voraus erfassen können. Gewiss erfüllte sich manches unter Bedingungen, die ich Jahre voraus für unmöglich hielt. Wir Menschen kennen eben nur die jeweiligen Verhältnisse, von denen wir umgeben sind, als Voraussetzung für die Erfüllung der Pläne und Absichten Gottes, während Gott mit der Zukunft und den darin gegebenen Um­ständen rechnet, die uns verborgen sind. Darum ist es leicht mög­lich, ja fast notwendig, manche Jahre voraus anders zu deuten, weil wir Menschen infolge unseres beschränkten Verstandes nur mit den Verhältnissen der Gegenwart rechnen können, auch wenn die Seele durch Gottes besondere Gnade „schauend“ um Jahre voraus­geführt wird. Das in Gott Geschaute vollzieht sich eben in anderen Verhältnissen und unter anderen Umständen, die der menschliche Verstand nicht zu durchdringen vermag.

4443 |        Zudem verbirgt auch Jesus manches von seinen Absichten und Plänen, während die Seele meint, sie habe mit dem Geschauten – das für sie vielleicht eine erdrückende Fülle ist – vielleicht den ganzen Umfang der göttlichen Pläne mit allen Begleitumstän­den der Durchführung schon erfasst. Gott lässt eben bei all seinen Absichten den mit freiem Willen begabten Menschen als Werkzeug einen weiten Spielraum in unwesentlichen Bedingungen. In diesem Sinne scheint hinsichtlich der Begleitumstände, aber nicht bezüglich der Sache und der Offenbarung selbst, manches anders gekommen zu sein, als ich es im Voraus verstehen und deuten konnte.

4444 |        Alle Gnaden und Offenbarungen vor dem Jahre 1937 boten mir zum Teil die Unterlage für die letztvergangenen sechs Jahre, d. h., seitdem ich auf Antrieb des Heilandes von meiner Heimat fortgega­ngen bin. Waren die Leiden dieser sechs Jahre auch so schwer, dass kein Menschenverstand vorher sie hätte ermessen können, so war ich doch durch den damals schon errungenen Vereinigungszustand mit Gott in die seelische Verfassung gebracht, dass ich diese Leiden tragen konnte, ohne zu unterliegen. Mit der Vereinigung mit Christus war mir zugleich auch die sittliche Kraft gegeben, um durchhalten zu können, um im Vertrauen trotz allem nicht zu wanken und um mich mittels all der Leiden von Jesus auf weit Höheres vorbereiten zu lassen, was noch der Erfüllung harrt.

(14.7.1943)

 

4445 |       Während des Alarms in der Nacht – ich wollte den Vater bitten für alle, die in Todesgefahr sind – war ich in Christus, in seine Stellung zum Vater als Fürbittender eingeführt ... (Mystik)

(17.8.1943)

4446 |       Heute sind es 7 Jahre, seit ich um der Sache Jesu willen meine Heimat verlassen habe. Was liegt alles in diesen 7 Jahren! Welche Summe von Gnaden, Opfern und Leiden! Welch wunderbare Vor­sehung Gottes hat mich geführt! Ich kann die gleiche Antwort geben wie die Jünger, als sie vom Heiland gefragt wurden: „Als ich euch aussandte ohne Beutel, ohne Tasche, ohne Schuhe, hat euch da et­was gefehlt?“ – „Nein“, gaben sie zur Antwort (Luk 22,35). Jesus war getreu, wunderbar und göttlich getreu, trotz aller Verzöge­rungen seiner Absichten und trotz aller scheinbaren Enttäuschun­gen. Wie wunderbar stark ist seine Gnade, die eine schwache See­le zu einem solchen Wege, weitab vom Gewöhnlichen, befähigen kann! Und dabei hat der Heiland in mir alles „nur im Geistigen“, ohne „Visionen“ oder anderes Auffälliges, mittels einer unaus­sprechlichen Gnade der Vereinigung mit ihm vollbracht. Welche wunderbare Führung! Dafür sei ihm ewiger Dank und die Versicherung meiner Treue weiterhin!

(5.7.1944)

4447 |       Der heutige Tag ruft mir auch den 12. Februar 1923 in Erinne­rung, der auch ein Faschingsmontag war. Damals schickte mich der Heiland, wie er mir vorher versprochen hatte, anlässlich unseres Fastnacht–Triduums zu P. Michael Lenz O.P. – Als P. Lenz, der zur Aushilfe in unsere Pfarrei kam, am Sonntag, den 11.2. um 7 Uhr, und zur heiligen Messe an den Altar ging – ich hatte ihn vorher nie gekannt noch gesehen –, sagte mir Jesus ganz deutlich und sicher: „Geh zu diesem Priester und sage ihm alles; er wird dich verstehen.“

4448 |       Ich tat dies, indem ich eine Wiederholungsbeichte machte. Groß war meine Angst, über meine seelischen Unklarheiten zu sprechen, die anderseits wieder lichte Klarheiten waren; doch Jesus war getreu und erfüllte, was ich von ihm verlangt hatte: Er müsste es selbst fügen, dass ich zum Sprechen komme. Der Pater fragte mich nämlich, ob ich etwas auf dem Herzen habe, und so fiel es mir nicht mehr so schwer, das Weitere zu sagen, was ich nach Jesu Willen sagen sollte; im Gegenteil; es war mir eine Erleichterung, endlich Sicherheit darüber bekommen zu können, ob es wohl Jesus sei, der immer zu mir spreche und beständig seine Forderungen stelle: mich mitzuopfern mit ihm, ein Opfer sein zu wollen mit ihm, wie eine Hostie täglich mit dem Heiland geopfert und in ihn umgewandelt zu werden.

4449 |       Es schien mir unbegreiflich, dass der Pater auf alles einging und alles so bestätigte, wie ich es als den Willen Jesu erkannte. Er versprach mir auch, mich am nächsten Morgen mitzuopfern und diesen Opferakt dann täglich zu wiederholen. Ich konnte nicht genug staunen darüber, dass er mir das glauben und bestätigen konnte, dass der Heiland wirklich mit mir spreche. Ich war ganz von der inneren Gegenwart Jesu und von unaussprechlichem Trost erfüllt.

4450 |       Endlich, endlich war ich in der tiefen Befriedigung, mit ihm ein OPFER sein zu können. Ich wusste auch mit Sicherheit voraus: Jesus selbst wird den Opferakt und die Umwandlung in ihn vollziehen. Ich wusste um seine göttliche Treue und wusste damit, eines Tages werde ich 'sein Leben' leben, mich ihm leihen und ihm Werkzeug sein, um seine Absichten in der Kirche zu vollziehen. Ich wusste auch um die Leiden, die in dieser Hinopferung eingeschlos­sen waren. In unaussprechlicher Liebesvereinigung sagte mir Jesus am Montagabend die für mich unauslöschlichen Worte: „Ich will dich zu meiner Kreuzesbraut machen!“ Ja, er hat sein Versprechen wahr gemacht!

4451 |       Doch das Verlangen, mit ihm vereinigt zu werden, ließ keine Opferscheu in mir aufkommen. Ich kannte vielmehr nur ein unaufhaltsames Weiterstreben dem Ziele zu: sein Leben zu leben! – Nur die Scheu vor etwaigen außergewöhnlichen Gnaden hielt mich zuwei­len zurück; dafür verdoppelte ich dann aber mein Streben nach dem gewöhnlichen geistigen Fortschritt, nach der Liebesvereinigung mit ihm. Ich kann wohl mit ruhigem Gewissen sagen: wie ein Geizi­ger nach Geld und Besitz strebt, in gleicher Weise strebte ich seit meiner Kindheit nach dem Heiland, nach der Vereinigung mit ihm, nach Heiligung. – Aber wie viel würde ich erreicht haben, wenn mein Streben von größerem Opfergeist und größerem Leidensmut gewesen wäre!

(12.2.1945)

 

 

Kindheit und Jugend

4452 |        Etwa 30 km östlich von Graz, der Hauptstadt der Steiermark, liegt der kleine Ort Winterdorf, der um die Jahrhundertwende nur ungefähr 200 Einwohner zählte. Hier erblickte Maria Sieler am 3. Februar 1899 das Licht der Welt. Schon am folgenden Tag wurde sie in der eine halbe Stunde entfernten Pfarrkirche zu St. Ruprecht an der Raab getauft. Ihre Eltern sind der Landwirt Ferdinand Sieler und Maria, geborene Strasser. Als diese im Jahre 1897 die Ehe schlossen, war der Vater bereits 50 Jahre alt; die Mutter war um 21 Jahre jünger. Das erste Kind war ein Bub, Hans; das zweite Kind ist unsere Maria, dann folgten noch drei Mädchen: Anna, Aloisia und Rosa.

4453 |        Aus der Zeit ihrer ersten Kindheit erinnert sich Maria, wie der Vater ihren Bruder Hans das erste Gebet lehrte. Dabei nahm er beide, sie und ihren Bruder, auf die Knie. Der Vater starb im Jahre 1905 an einer Lungenentzündung, als Maria erst sechs Jahre alt war. Nun stand die Mutter mit ihren fünf Kindern allein da.

4454 |        Maria beginnt den Bericht über ihr Leben mit der Feststellung:

4455 |       „Eigentlich auffällig wurde mir die besondere Gnade des Herrn erst im Jahre 1921, als ich 22 Jahre alt war. Früher war ich immer der Meinung, alle Seelen seien innerlich so geführt, und ich hielt alles für Selbstverständlichkeit. Wenn ich aber jetzt zurückschaue auf meine Kinder- und Jugendjahre, so empfinde ich alles anders. Ich sehe, dass Jesus schon in meiner Kindheit in mir den Grund gelegt hat zu den späteren Gnaden und dass er mich seit dem Erwachen der Vernunft besonders begnadet hat.“

4456 |        Sie wurde schon früh mit dem Leid vertraut. Ein Jahr nach dem Tod des Vaters ging die Mutter eine zweite Ehe ein, die aber nicht glücklich war. Die Mutter fand die erwartete Stütze in ihrem zweiten Mann nicht, und den Kindern war er kein guter Vater. Er hat die Familie bereits nach einem Jahr wieder verlassen. Die nächst älteste Schwester Marias weiß zu erzählen, dass Maria ihre Geschwister oft gemahnt habe, sie sollten alles Schwere für die Mutter aufopfern. Maria hat also schon als Kind bewusst das Leid angenommen und „aufgeopfert“.

 

Erster Anruf

4457 |        Ihr erstes mystisches Erlebnis hatte Maria mit sechs Jahren.

4458 |        Sie soll es uns selbst erzählen: „Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich ein sehr schüchternes Kind war, als ich, sechs Jahre alt, zur Schule kam … Die Lehrerin, eine Schulschwester, mahnte uns Kinder, besonders beim Schulgebet recht andächtig zu sein. Das wollte ich auch. Ich schaute auf das Kreuz an der Wand, und – merkwürdig – es ist mir heute noch in so lebhafter Erinnerung: Jesus schien mir vom Kreuz her zu sagen – ich war in einem unbegreiflichen Bann; es war mir so lebhaft klar, dass Jesus es war, der vom Kreuze her sagte: – 'Schau her zu mir und bete andächtig; von dieser Art des Gebetes wirst du zu jener Art gelangen, dass du mit mir reden kannst, wie Menschen unter sich reden.' – Ich konnte mir in meiner kindlichen Art nicht erklären, woher diese innere Stimme vom Kreuze her war. Aber die Wirkung dieser Worte, die mir so deutlich gesagt wurden, war entscheidend. Mir schienen diese Worte von Jesus, und ich wollte diese Art des Gebetes erreichen; das wurde in jenem Augenblick mein kindlicher Vorsatz. Und welche Freude fühlte ich in mir über das Gehörte! Ich hatte nur ein Streben: Das muss ich erreichen! Beim Schulgebet wandte ich keinen Blick vom Kreuze ab. Die früheren Worte zogen meine Blicke dorthin; ich wollte ja mit Jesus reden lernen. Ich hatte die innere Freude der Gnade, die mir freilich unbegreiflich war, damit gehorsam zu sein [sic!]. Von einem Jahr auf das andere war ich schon neugierig: Wann kann ich mit Jesus reden? Alles andere schien mir nichtig.“

4459 |        Vielleicht ist jemand geneigt, dieses Erlebnis als kindliche Einbildung abzutun. Aber auffallend ist, dass Maria aus ihrer Kindheit nur noch ein einziges ähnliches Erlebnis erwähnt, das sie aber erst Jahre später hatte. „Einbildungen“ können sich oder besser gesagt „kann man“ beliebig oft wiederholen. Aber Maria war sich bewusst, dass sich dieses, ihr kindliches Erlebnis nie mehr wiederholt hat, dass sie es auch gar nicht hätte selber herbeiführen können. Ferner zeigt die ganze weitere innere Entwicklung Marias, dass jenes Erlebnis keine Einbildung war, sondern der erste Schritt auf ihrem langen und leidvollen Weg ihrer Umgestaltung in Christus. Dieses Erlebnis ist auch charakteristisch für die Art, wie Maria vom Herrn selbst geführt wurde: Immer zeigte er ihr ein Ziel, das sie einmal, oft erst nach Jahren, erreichen sollte, weckte die Sehnsucht nach diesem Ziel in ihrem Herzen und ließ sie für Augenblicke verkosten, was erst viel später ihr dauernder Besitz werden sollte.

4460 |        Wahre Mystik beginnt mit einer tief gehenden schmerzlichen Läuterung. Zuerst muss der Mensch sich selber anstrengen, die Sünde zu meiden und seine Fehler abzulegen; das ist die „aktive Reinigung“. Der Herr begnügt sich, in dieser ersten Phase der inneren Entwicklung auf die Fehler aufmerksam zu machen; dann erwartet er, dass der Mensch selber alles tue, um sich zu „reinigen“, wobei der Herr mit seiner Gnade hilft. In einer zweiten Phase, der „passiven Reinigung“, wird der Mensch durch zahlreiche innere und äußere Leiden von jenen Fehlern und ungeordneten Anhänglichkeiten gereinigt, an die er durch eigenes Bemühen gar nicht herankommt, ja, die er überhaupt erst erkennt, wenn sie ihm gleichsam wie durch Feuer ausgebrannt wurden. Erst in dem neuen Zustand, in welchem er sich dann befindet, merkt er, wo und wie weit es noch gefehlt hat. Wenn jemand lange Zeit sich in der aktiven Reinigung geübt hat, setzt früher oder später die passive Reinigung ein. Das will aber nicht heißen, dass jetzt die aktive Reinigung endgültig abgeschlossen sei, sondern beide Phasen durchdringen sich jetzt; während der Mensch oft heroisch gegen seine Fehler ankämpft, befindet er sich gleichzeitig im Feuer der Leiden.

4461 |        Maria Sieler hat schon sehr früh begonnen, gegen ihre kindlichen Fehler zu kämpfen. Sie schreibt: „Ich wollte in allem das Beste tun, doch erreichte ich es nicht so, wie ich wollte. Ich betrübte mich so sehr über meine kindlichen Schwachheiten, dass ich oft darüber weinte. Etwas, wovon ich nicht wusste, ob es so recht war, machte mich immer wieder auf meine Fehler aufmerksam. Ich hatte in mir den bestimmten Eindruck, der inneren Stimme folgen zu müssen, was ich auch tat … Hatte ich unversehens einen Fehler gemacht, so bereute ich ihn, ohne dass mir jemand etwas sagte. Eine innere Stimme regte mich dazu an.“

4462 |        Aber es war nicht so, als ob ihr dauernd jemand mit dem Finger gedroht hätte, sondern Jesus zog sie einfach an sich und schenkte ihr ein großes inneres Glück, sodass sie unmittelbar fühlte, was dieses Glück zerstören könnte: „Etwas zog mich innerlich an, woran ich so viel inneres Glück und herzliche Freude fand. Ich war im Alter von sieben bis acht Jahren so innerlich eingestellt, dass ich nach außen an allem keine Freude fand, was sonst Kinder erfreut. Zuweilen litt ich sehr unter meiner großen Schüchternheit; ich war ja auch heiter und wollte mittun, aber fürchtete, durch kindliche Ausgelassenheit das Glück zu verlieren, das ich in meinem Herzen trug.“

 

Erste heilige Kommunion

4463 |        In die Zeit der Vorbereitung auf die erste heilige Kommunion fällt das zweite mystische Erlebnis ihrer Kindheit. Maria erzählt: „Einmal unterhielt ich mich mit einem Nachbarskind auch über die erste heilige Kommunion. Ich sprach von meinem Verlangen, recht bald zur heiligen Kommunion gehen zu dürfen. Da sagte mir eine deutliche innere Stimme – (Mein Denken und mein Verstand waren in diesem Augenblick nach innen gerichtet; ich musste darauf hören) -:'Ich werde von den Menschen im heiligen Sakrament so verkannt; sie glauben nicht an mich; sie wollen mich nicht empfangen. Ich möchte doch viel Liebe von den Menschen, und ich erwarte sie von dir für andere.'„

4464 |        Maria fährt in ihrem Bericht fort: „Ich war fast erschrocken, sagte aber dem Kinde nichts und dachte immer über diese mir stets lebhaft in der Erinnerung gebliebenen Worte nach. Ich konnte nicht begreifen, dass man nicht an Jesus glaube und ihn nicht liebe und ihn nicht empfangen wolle.“

4465 |        Zur ersten heiligen Beichte ging Maria im Januar 1909, zur ersten heiligen Kommunion am folgenden 18. April. Sie schreibt: „Endlich kam der große Tag; ich war zehn Jahre alt. So lebhaft ist mir heute noch meine damalige Gesinnung in Erinnerung. Ich betete andächtig mein Morgengebet. Ich war in diesem Alter schon ein reifes Kind mit ziemlich selbstständiger Denkart. Ich kannte nur eine Sehnsucht: JESUS! … Nach der heiligen Kommunion hatte ich Jesus fühlbar in meinem Herzen … Ich vergaß alles um mich. Alle Kinder um mich standen, ich allein kniete. Ich sagte zu Jesus: Mein ganzes Leben will ich dir weihen! Und ich fühlte, Jesus nahm das Opfer seines Kindes an. Ich verlor mich so in ihm, dass ich von mir gar nichts mehr fühlte. Es war ein Ruhen und ein Sein in Jesus. Nie schien mir die Sonne so klar; die Erde war so schön, in meiner Seele war es selig, wie nie zuvor.“

4466 |        Von da ab ging Maria jeden zweiten Sonntag zur heiligen Kommunion, was im Jahre 1909 noch lange keine Selbstverständlichkeit war. Maria schreibt: „Obwohl ich sehr schüchtern war, hatte ich hierin doch großen Mut und ging um 5 Uhr früh, in der finsteren Nacht, eine gute halbe Stunde zur Kirche und kommunizierte vor der Frühmesse. Meine Freude und mein Glück bei der Vereinigung mit Jesus in der heiligen Kommunion waren unbeschreiblich und unaussprechlich groß waren meine Sehnsucht und meine Freude auf diesen Sonntag.“

4467 |        Als Maria 14 Jahre alt war, ging sie jeden Sonntag zur heiligen Kommunion, im Advent, wo sie ohnedies jeden Tag zur heiligen Messe ging, dreimal in der Woche, und schließlich jeden Tag: „Im Winter kommunizierte ich jeden Tag (und fütterte vorher die Kühe), im Sommer, sooft ich Gelegenheit hatte, nach St. Ruprecht zu kommen. Mein Herz sollte nur meinem Jesus allein gehören. Bei der heiligen Kommunion gab er mir oft fühlbare Gnaden seiner Gegenwart, dass es mich immer wieder zu ihm hinzog.“

4468 |        Niemand wird sich wundern, dass Maria schon mit zwölf Jahren daran dachte, ins Kloster zu gehen. Sie glaubte, sonst nirgends in der Welt Frieden finden zu können. Aber die Mutter brauchte sie ja zur Arbeit! „Ich betete viel“, schreibt Maria: „Jesus möge mir den Weg ins Kloster zeigen; aber so viel er mir auch an Liebe und fühlbarer Freude bei ihm gab, hierin zeigte er sich zurückhaltend.“ Mit 16 Jahren schrieb sie an die Herz-Jesu-Schwestern (Sacre Coeur) in Graz und bat um Aufnahme, aber man antwortete ihr, sie müsse erst 20 Jahre alt sein, ehe man sie nehmen könne.

4469 |        Warum dieses Verlangen nach dem Kloster, das nie in Erfüllung gehen sollte? Wir glauben oft, wenn wir einen „guten Gedanken“ oder gar „apostolische Pläne“ haben, müssten sie von Gott kommen. Das muss durchaus nicht der Fall sein. Es kann sich immer noch um eigene Gedanken und eigene Pläne handeln. Der Herr wollte Maria für seine Pläne vorbereiten, das bedeutete aber, dass sie in einem schmerzlichen Verzicht, der sich über viele Jahre hinziehen sollte, alle eigenen Gedanken und Pläne aufgeben musste, auch ihre Sehnsucht nach dem Kloster.

4470 |        Rückschauend hat sie die Absichten des Herrn begriffen: „Heute sehe ich diese kleinen Leiden meiner Kindheit mit anderen Augen an. Jesus allein wollte sich zum Besitzer meines Herzens machen; darum flößte er mir dieses ungestüme Verlangen nach dem Klosterleben ein, um mir die Freuden der Welt zu verbittern. Nirgends sollte ich Freude finden als bei ihm. Er führte mich schon in meiner frühesten Jugend den Kreuzweg, dass meine Seele ihm sicher sei, und er lehrte mich, in allen Leiden nur bei ihm Trost zu suchen.“

4471 |        Das sind Erkenntnisse, die andere, auch religiöse Menschen, meist erst in einem späteren Alter erreichen. Maria hatte in diesen Jahren noch keinen Seelenführer, der sie über die gewöhnliche Gnadenführung unterrichtet hätte, sondern sie musste sich diese Erkenntnisse in der Schule der gewiss noch kindlichen, aber für sie doch sehr fühlbaren Leiden aneignen.

 

„Der Vertraute meines Herzens“

4472 |        Zu welcher Vertrautheit mit Jesus Maria in diesen Jahren bereits gelangt war, kann nur sie selber uns erzählen: „Der Sonntag war der Tag meines Glückes; die Woche schien mir öde und leer; doch wollte ich auch diese benützen, um mich recht gut auf die heilige Kommunion am Sonntag vorzubereiten. Mein damaliger Beichtvater lehrte mich, das heiligste Herz Jesu zu verehren. Ich wollte dieses Herz nicht nur verehren, ich wollte es auch ganz besitzen und mir zu eigen machen. So viele Gnaden und Tröstungen gab mir der Herr! Er zog mein Herz ganz ab von der Welt. Nichts sollte meine Liebe zu ihm stören. Irdisch gesehen war ich ja nie glücklich; ein unbekanntes Sehnen erfüllte meine jugendliche Seele; ich fühlte ein unbestimmtes Verlangen in mir, sodass nichts mir Befriedigung bringen konnte. Heute noch danke ich dem Herrn, dass er mein Herz vor eitler Weltlust bewahrte und sein Eigentum vor Verführung schützte. Ich konnte nicht erreichen, in ein Kloster zu gehen, aber mein Leben, mein HERZ SOLLTE TROTZDEM IHM GEHÖREN …

4473 |        Ich kannte ihn schon mit 14 bis 15 Jahren. Er war der Vertraute meines Herzens. Wenn alle schliefen, wachte mein Herz bei ihm. Ich freute mich abends, dass ich doch wieder bei ihm sein durfte. Und was tat er, wenn er bei mir war? Er gab sich mir als der Führer meiner Seele zu erkennen. Er ließ mich seine unendliche Liebe zu den Menschen und zu mir, seinem kleinsten Kind, schauen. Ich wollte ganz sein Eigentum sein. Er ließ mich an seinem Herzen die Ströme seiner Süßigkeit und Tröstungen kosten. Ja, ohne alles Verdienst hat sich dein Herz schon in meinen Jugendjahren zu mir herabgelassen und mich erbarmend an dich gezogen. Meine erste junge Liebe sollte darum nur ihm allein gehören …

4474 |        Äußerlich hatte ich eine schwere Lage; ich war anscheinend unentbehrlich geworden. Es war ein beständiges Kreuz, das mich drückte, doch gerade der Kreuzweg führte mich immer mehr in Gottes Nähe.“

4475 |        Wenn man diese Zeilen liest, möchte man fast meinen, Maria hätte nichts anderes getan als gebetet. Das stimmt aber nicht. Als Maria im Jahre 1913 aus der Schule kam, musste sie daheim fleißig in der Landwirtschaft mithelfen. Zum Gebet blieben ihr nur die Stunden der Nacht. Maria hat später einer Freundin in Rom gestanden, dass sie in jenen Jahren oft viele Stunden in der Nacht gebetet hat, nicht selten mit ausgebreiteten Armen. Sie war so froh, dass sie seit dem Tod ihrer Tante im Jahre 1912 eine eigene Kammer hatte, wo sie ungestört beten konnte. Von all dem aber ahnten ihre Mutter und ihre Geschwister nichts. Sie muss sich den Arbeiten in der Landwirtschaft so hingegeben haben, dass sie bald unabkömmlich war.

4476 |        Wenn Maria Sieler, wie wir oben gesehen haben, schreibt: „Mein Herz soll ihm allein gehören“, so dürfen wir über dieses Wort nicht einfach hinweglesen. Denn in diesem kurzen Wort kommt die entscheidende Hinwendung zu Gott zum Ausdruck. Als sie diese einfachen Worte in ihrem Lebensbericht niederschrieb, ahnte sie nicht, dass sie sich damit selbst „verraten“ hat. Jetzt brauchen wir uns nicht mehr zu wundern, dass Gott sie innerlich immer höher geführt hat. Äußerlich hat Maria die Arbeiten im Stall und auf dem Feld verrichtet, wie eben eine Bauerntochter sie verrichten muss. Ihr Herz aber gehörte Gott allein. Kein Wunder, dass eine Frau aus St. Ruprecht, die Maria gut gekannt hat, weil Maria bei der Mutter der Betreffenden immer zu frühstücken pflegte, wenn sie morgens in die Kirche kam und dann noch Einkäufe im Ort zu besorgen hatte, sagte: „Maria Sieler stach von den anderen Mädchen ab; sie hatte etwas so Feines und Edles an sich.“ Rückschauend auf ihr Leben, schrieb Maria unter dem 4. Juni 1942 in ihr Tagebuch: „Ich habe nie etwas anderes gesucht als dich allein, o Jesus!“

 

Die ersten Exerzitien

4477 |        Vor dem Fest Mariä Himmelfahrt 1917 machte Maria Sieler ihre ersten Exerzitien im Herz-Jesu-Kloster in Graz, die sie als einen „Wendepunkt“ in ihrem inneren Leben bezeichnete: „Wie in einem Spiegel schaute ich die Unvollkommenheiten und Fehler meines Lebens im Einzelnen“, schreibt sie. Gleichzeitig wurde in ihr das Verlangen nach höchster Vollkommenheit wach. Sie war sicher, dass der Herr selber das von ihr verlangte.

4478 |        Man hält heute nicht mehr viel vom „Streben nach Vollkommenheit“, weil man dahinter nur Ichbefangenheit und Ichbezogenheit vermutet. Genau das Gegenteil ist der Fall: Es ist ein Weggehen von sich selbst und ein Hingehen zu Christus, dessen Ruf man vernommen hat und dessen Liebe man erwidern möchte. Darum schreibt Maria: „Wie gern folgte ich seiner Stimme!“ Und sie gesteht: „In gewissem Sinn war ich nie ein Weltkind. Jesus hat sein Kind vor jeder irdischen Liebe und vor allen Torheiten der Jugend bewahrt und meine Herzensreinheit mit Sorgfalt behütet. In jenen Gnadentagen aber wurde mir ein viel höheres Ziel gesteckt: Ich sollte es zur höchsten Gottesliebe bringen.“

4479 |        Die Schlussmesse der Exerzitien war im Garten. Maria war so glücklich, ihm zu gehören, dass sie nichts mehr sah und hörte. „Als ich wieder zu mir kam und 'erwachte', sah ich, dass alle fort waren und ich allein dort kniete, worüber ich mich sehr schämte.“ Sie begab sich in die Hauskapelle, um weiter zu beten, bis ihr eine Schwester bedeutete, sie müsse jetzt die Kapelle reinigen. Maria fährt in ihrem Bericht fort: „Ich ging dann noch in die Stiegenkirche, kniete vor dem Herz-Jesu-Altar nieder und opferte mich ihm auf.“ Dann legte sie noch, zum Zeichen ihrer Aufopferung die Astern, die ihr die Schwester im Herz-Jesu-Kloster geschenkt hatte, auf den Altar.

4480 |        Dann verließ sie die Kirche. Der Menschenstrom nahm sie auf und trug sie weiter. Es war ein Tag wie jeder andere – und doch nicht; denn vor wenigen Augenblicken hatte sich ein junges Menschenkind aus innerstem Herzen zum Opfer gebracht, und Gott hatte dieses Opfer angenommen. Der Gott der Liebe versteht die Sprache der Liebe. Nach Hause zurückgekehrt, ging das Leben weiter. Aber das Glück der Vereinigung mit Jesus begleitete Maria noch wochenlang: „Auch bei der Arbeit auf der Wiese war ich noch in dem großen Glück und gelöst von allem.“

4481 |        Dem Exerzitienleiter, P. Dornhofer S.J., hatte Maria gestanden, dass sie ins Kloster gehen möchte. Der wies sie auf die Steyler Missionsschwestern hin. So fuhr Maria am 17. Februar 1918 nach Wien – die Mutter gab ihr 25 Gulden mit auf die Reise, wovon aber ihre drei Schwestern nichts wissen durften. Sie blieb eine Woche im Kloster in Stockerau und erhielt tatsächlich die Aufnahme. Als Eintrittstag wurde der 24. Oktober festgesetzt. Es sollte ganz anders kommen.

 

Schwere Erkrankung

4482 |        Lassen wir Maria wieder selbst erzählen: „Zu Hause warteten wieder die schweren Arbeiten auf mich, die an sich Sache der Männer gewesen wären – (ihr einziger Bruder Hans hatte schon im Jahre 1916 einrücken müssen). Ich war an sich kräftig und arbeitsam und konnte gut mähen, sodass mich auch kein Mann 'versetzen' konnte. In den Sommermonaten 1918 tat ich mich aber schon sehr schwer, und man sagte mir oft, dass ich schlecht ausschaue. Und doch musste ich alle Garben und alles Heu auf den Wagen auf- und in der Scheune wieder abladen … Im Traume sah ich meinen Bruder im Wald gefallen und hatte oft den Eindruck: Er kommt nicht wieder. Ich aber betete und wollte es gleichsam erzwingen. Er musste kommen, denn am 24. Oktober will ich ins Kloster gehen, und wenn er nicht käme, könnte ich nicht gehen! Abends betete ich noch in dieser Meinung den Rosenkranz, und doch war ich so müde, dass ich dabei, am Stuhl kniend, einschlief.“

4483 |        Im August 1918 machte Maria wieder Exerzitien in Graz. Schon am ersten Tag erhielt sie einen Brief von daheim mit der Nachricht, dass ihr Bruder am 6. August bei Asiago in Südtirol[1] gefallen sei. Sie ging nur noch zur Beichte und fuhr dann nach Hause. Den Gedanken, ins Kloster zu gehen, musste Maria aufgeben – vorläufig, wie sie meinte.

4484 |        Gesundheitlich fühlte sie sich immer schwächer. Am Samstag vor Weihnachten hatte sie Schüttelfrost, der Arzt stellte rechtsseitige Lungenentzündung fest, die am Mittwoch darauf schon beiderseitig war. Am Sonntag zwischen Weihnachten und Neujahr wurde sie versehen, war aber dabei so schwach, dass sie mehrmals das Bewusstsein verlor. Am nächsten Morgen fühlte sie sich wohler. Dennoch musste sie volle acht Wochen das Bett hüten. Hier steht in den Lebenserinnerungen ein Satz, über den wir nicht hinweglesen dürfen: „Schon bevor ich krank wurde, hatte mir der Herr gesagt, er wolle mich abseits führen und ganz an sich ziehen.“ Das war der Lebensplan, den der Herr für sie gemacht hatte. Zunächst führte er sie ihre eigene Kammer. Die lag zwar neben der Küche, dennoch war Maria viele Stunden des Tages allein, denn Mutter und Schwestern mussten der Arbeit nachgehen. So konnte sie ungestört beten.

4485 |        Einmal hatte Maria einen lebhaften Traum – sie kann sich nicht mehr genau erinnern, wann das war, sie meint aber, es müsse um diese Zeit gewesen sein: „Ich war krank und konnte nicht arbeiten. Heute ist mir noch alles, der halbdunkle Raum usw., in Erinnerung. Da kam das Jesuskind im Alter von fünf bis sechs Jahren auf mich zu, lächelte mich an und bot mir die Dornenkrone, die es in Händen trug. Sein freundliches Benehmen schien mir zu sagen: Willst du das? Ich nahm die Dornenkrone aus der Hand des Kindes, das mich freundlich ansah. Ich erwachte mit einem seligen Gefühl und meinte, das Kind und die Dornenkrone noch in Armen zu halten. Ich glaubte, das müsse mehr sein als ein Traum. Tagelang blieb das selige Empfinden, das der Traum in mir hervorgerufen hatte. Ja, Jesus hatte mich zur Kreuzesbraut erwählt. Im Leiden lernt man wahrhaft Gott lieben.“

4486 |        Maria gesteht, dass das Kreuz ihrer jahrelangen Krankheit, und die dadurch erzwungene Untätigkeit sie niedergedrückt habe. Nach acht Wochen durfte sie endlich das Bett verlassen, bekam aber bald von Neuem Fieber. Sie war das ganze Jahr 1919 krank. Sie zog mehrere Ärzte zurate. Der eine stellte große Herzmuskelschwäche fest, ein anderer beiderseitigen Lungenspitzenkatarrh. Im Herbst war sie zehn Tage im Spital der Elisabethinen in Graz. Schließlich erklärte ihr ein Arzt rundheraus: „Es steht nicht gut. Die Krankheit geht tief hinunter in den dicken Lungenflügel.“ Im Frühjahr 1920 schickte dieser Arzt sie in die Lungenheilstätte Hörgaß, da er es nicht mehr verantworten könne, sie länger zu Hause zu lassen, wo sie doch immer wieder arbeiten müsse. Das Blutspucken hörte auf, nicht aber das Fieber. Nach dem Urteil des dortigen Primarius würde sie nie mehr ganz gesund werden; auch wenn sie sich ausheile, könne sie keine schweren Arbeiten mehr verrichten, ihre Kraft sei gebrochen; den Gedanken, ins Kloster zu gehen, müsse sie endgültig aufgeben.

4487 |        Der Herr hatte sie in die Schule des Leidens genommen: „Auch in diesen Jahren war mir Jesus Führer und Tröster. Er lehrte mich leiden in Vereinigung mit seinem göttlichen Willen. Er lehrte mich, ihn am Kreuze zu lieben. Obwohl mein Hauptfehler Ungeduld und Unwille auch in kleinen Vorkommnissen war, lehrte er mich Geduld und Ergebung. Ich trug mein Kreuz gerne und war eigentlich gerne krank, konnte ich doch viel mehr bei ihm sein, dem ich mein Herz geschenkt hatte. Schwer ertrug ich die immer noch andauernden Seelenleiden. Finsternis und Trockenheit erfüllten wochen- und monatelang meine Seele. Ich meinte, in meiner Seele einen ständigen Ölberg zu haben. Doch wusste ich mir keinen Rat, woher das komme. Ich fragte wohl einmal einen Priester; der sagte mir, das sei ein Zeichen, dass Gott mich zu besonderer Vollkommenheit führen wolle.“

 

Das Lebensopfer

4488 |        Die Erfahrung, die Maria in diesen Jahren gemacht hat, fasst sie in die Worte zusammen: „In Leiden lernt man, seinen eigenen Willen aufgeben. Wenn man es auch selbst nicht fühlt, wie es vor sich geht, unmerklich wird man doch für die Gnade Gottes bereiter.“

4489 |        So wird es ihr ganzes Leben bleiben: Die Leiden sind die Vorbereitung und die Vorboten neuer Gnaden. Und ohne vorausgehende Leiden wird sie nie eine außergewöhnliche Gnade erhalten.

4490 |        Das erfuhr Maria zum ersten Mal in auffallender Weise am Allerheiligenfest 1921. Nach der heiligen Kommunion fühlte sie die Gegenwart Jesu wie noch nie: „Ich war ganz in ihn versenkt und für mich wie nicht vorhanden.“ Dann hatte sie den sicheren Eindruck, dass Jesus ihr sage: „Lass alles bei mir zurück, deine Unvollkommenheiten, dein eigenes Ich. Ich will dich einen neuen Weg der Vereinigung mit mir lehren … Ich werde dich dir ganz wegnehmen und dir ein neues Leben, Mich selbst, geben. Aber dein Streben muss es sein, mit meiner Gnade mitzuwirken.“

4491 |        In den folgenden Monaten wurde sie sich immer mehr bewusst, dass Jesus etwas Besonderes von ihr verlange und ihr eine besondere Aufgabe zugedacht habe: „Es war mir das so fühlbar, dass ich an dieser besonderen Führung und Stimme nicht zweifeln konnte. Ich fragte daraufhin meinen Beichtvater. Der verstand mich nicht und meinte, ich solle nur meine Pflicht gut erfüllen, alles geduldig tragen; dies sei das Besondere, das Gott von mir verlange.“

4492 |        Das Wort des Priesters beruhigte sie nur für kurze Zeit:

4493 |       „Wieder warb jene Stimme um meine besondere Hingabe und Treue.“ Sie konnte nicht länger zweifeln: „Ich wusste, es war Jesus, der zu mir sprach. Ja, jetzt konnte ich mit ihm reden, wie er es mir in meiner Kindheit schon versprochen hatte.“

4494 |        Was der Herr von ihr verlangte? „Ich solle ihm das Opfer meines Lebens anbieten. Tagelang stand diese Forderung Jesu klar und bestimmt vor meiner Seele. Einbildung schien mir ausgeschlossen. Ich musste es als den Willen Gottes annehmen.“

4495 |        Das Opfer ihres Lebens – darum ging es also.

4496 |        Zuerst glaubte sie, sie werde bald sterben, erkannte aber bald, dass sie das Opfer ihres Lebens in einem anderen Sinne bringen solle.

4497 |        Stunden reinsten Glückes wechselten wieder mit Stunden der Finsternis und der Unsicherheit: „Ich ruhte in der Hand dessen, der in seiner Liebe und Herablassung ein Menschenkind zum höchsten Opfern befähigen kann … Oft bangte und kämpfte und litt ich unter der so sicheren Führung der Gnade. Ich unterlag zeitweise dem inneren Zweifel und der Furcht, getäuscht zu werden.“

4498 |        Der Herr drängte: „Wann wirst du dich ganz zum Opfer bringen? Wie lange zögerst du noch?“

4499 |        Endlich war sie dazu entschlossen: „Jesus, seine unendliche Liebe hatte alle meine Angst und Unsicherheit und Opferscheu überwunden.“

4500 |        Inzwischen war ihr der Wille Gottes immer klarer geworden: „Der Herr braucht mein Leben für irgendeinen Zweck, und er lebt dann mein Leben. Ich muss ihm mein Leben zur Verfügung stellen, weil er nicht mehr eine menschliche Natur annehmen kann, wie er es einmal und nur einmal getan hat. Die Hingabe – so ließ er mich verstehen – muss jedoch so vollkommen und absolut sein, wie wenn ich in diesem Augenblick sterben würde. So wurde ich monatelang geübt, ob ich den Heroismus aufbringe, dass ich ihm mein Leben so ganz zur Verfügung stelle. Ich habe genau Bescheid gewusst, weil er es mich oft im Vorausschauen und erleben ließ. Ich erlebte voraus, wie ich ganz sein Leben geworden bin, mit dem er sich nochmals zum Opfer bringt.“

4501 |        Vor dem Fest Mariä Himmelfahrt 1922 machte sie wieder im Herz-Jesu-Kloster in Graz Exerzitien. Nach der Beichte gestand sie dem Exerzitienleiter, dass sie sich angetrieben fühle, sich selbst ganz zum Opfer darzubringen. Dann fügte sie hinzu: „Ich fürchte immer wieder, dass ich mir das einbilde, aber heute nach der heiligen Kommunion war es mir ganz klar. Ich bin mir ganz sicher, dass Jesus es ist, der will, ich solle ihm das Opfer meines Lebens anbieten.“ Zuerst sagte der Pater, das könne er fast nicht erlauben, fragte, wie oft sie zu den Sakramenten gehe, überlegte lange und erklärte dann: „Ja, du kannst das schon machen, auf mein Wort hin.“

4502 |        Am nächsten Morgen, dem Fest Mariä Himmelfahrt, betete Maria nach der heiligen Kommunion: „Jesus, ich biete dir das Opfer meines Lebens an, so wie du es willst und wie ich es erkenne. Ich will es nie mehr zurücknehmen. Du kannst mein Leben verwenden, wie du willst.“ Darauf wurde sie von großer Freude erfüllt: „Ich war so unendlich glücklich und hatte das Bewusstsein, wirklich Jesu Willen erfüllt zu haben. Mein körperliches Leben wurde mir nicht genommen, aber du, mein Jesus, nahmst in geheimnisvoller, fühlbarer Weise von mir Besitz. Ich gehörte nicht mehr mir an; mein Leben sollte ganz deinen heiligsten Absichten geweiht sein, und ich sollte mir ganz absterben.“ – „Mit diesem Jubel im Herzen fuhr ich heim und war noch tagelang wie außer mir. Ich war ganz sicher, dass ich mich nicht getäuscht habe.“

4503 |        Bald wurde sie innerlich wieder weitergedrängt. Es war ihr, als verlange der Herr von ihr, dass ein Priester sie aufopfern solle, „sodass es ein wirklicher, gleichsam besiegelter Akt für immer sei“.

4504 |        Jetzt aber stellte sich ihr ihre Schüchternheit in den Weg: „Ich wollte Jesus schon lieben und mich ihm aufopfern und ihm treu sein bis zum Letzten, aber alles in mir wehrte sich gegen Außergewöhnliches. Solches wollte ich weder mir selbst eingestehen und noch weniger jemandem sagen; ich hatte ja immer schon Furcht davor, dass etwas kommen könne, was bekannt würde. So habe ich lange mit Jesus gerungen und mich gleichsam mit ihm herumgestritten. Auf der einen Seite stand seine Forderung, die ich selbstverständlich erfüllen wollte, aber auf der anderen Seite hatte ich auch Furcht und wehrte ich mich vor seinem außergewöhnlichen Weg und davor, dass ich mich darüber aussprechen müsse. So schwankte ich zwischen festem Vorsatz und schier unüberwindlicher Furcht. Zwischendrin hatte ich auch immer wieder ein gewisses Vorauserleben des Friedens, den ich dann haben werde, wenn ich auf den Wunsch Jesu eingehe. Damals war es, wo er mir das Versprechen gab: 'Wenn du dich Mir ganz hingibst, will ich dich meine Leiden verstehen lehren.' Es waren dies wieder unbeschreibliche Gnadenstunden, wo man Christus erfasst und versteht.“

4505 |        Mit ihrem Beichtvater darüber zu sprechen, fand Maria nicht den Mut. Aber in den Faschingstagen 1923 hielt P. Michael Lenz O.P. aus Graz in der Pfarrkirche zu St. Ruprecht das eucharistische Triduum. Zu ihm fasste sie Vertrauen, gab ihm Rechenschaft über ihr inneres Leben und erzählte ihm, was der Herr ihr nach der heiligen Kommunion und beim nächtlichen Gebet in ihrer Kammer versprochen habe: Er werde ihr die Geheimnisse seines Herzens mitteilen; er werde sie zu seiner Kreuzesbraut machen; wo große Liebe ist, da gehe man gleichsam ineinander über, und so werde er ihr die Geheimnisse der Erlösung mitteilen; ferner solle sie sich ihm als Opferhostie hingeben: „Wie die Hostie die äußere Gestalt bewahrt, aber in Wirklichkeit er ist, so wolle er mich sozusagen als äußere Gestalt gebrauchen, wolle mich in ihn umwandeln und mich zu einem wirklichen Opfer für seine Absichten machen.“

4506 |        Es war eine sehr lange Aussprache, in deren Verlauf sich P. Lenz – er wurde von da ab ihr Seelenführer – von der Echtheit ihrer Gnaden überzeugte. Als Maria ihn dann bat, er möge sie am nächsten Morgen bei der heiligen Messe „aufopfern“, ging er auf ihren Wunsch ein. Mit dieser Aufopferung durch den Priester war für Maria ein langer Weg abgeschlossen, eine innere Entwicklung, die mit dem Allerheiligenfest 1921 begonnen hatte.

 

Ernstes Streben nach Vollkommenheit

Kaum hatte Maria Sieler sich dem Herrn ganz aufgeopfert, drängte die Gnade sie weiter: „Auch wenn man im gewöhnlichen und selbst ganz frommen Leben mit aller Kraft sich bemüht, in allem Gottes Willen zu tun, so verlangt doch Gott von seinen Auserwählten ungleich mehr. Er duldet nichts an der Seele, auch wenn es dieser gefiele und sie meint, es nötig zu haben. Jesus ist da unerbittlich.“

Es gilt als Kennzeichen echter mystischer Vereinigung, dass sie „oft von einem recht wahrnehmbaren Drängen zur Übung der verschiedensten Tugenden begleitet ist!“[2] Dieses „Drängen“ wurde in Maria in jenen Wochen immer spürbarer: „Dann fingen die Erkenntnisse über die Vervollkommnung meiner Seele an: über das Nachleben seiner Heiligkeit und Vollkommenheit. Ich stand unter dem unsagbaren Eindruck seiner Nähe; wo immer ich war, da war er bei mir. Ich war wie in seine Nähe gebannt und hatte viele Erleuchtungen über seine Heiligkeit und über jede einzelne Tugend, wie z. B. über die Geduld als den beharrlichen Willen, alles für Leib oder Seele Unangenehme zu tragen. Das Wesen und die Eigenheit jeder Tugend wurden mir erklärt im Lichte der gottmenschlichen Vollkommenheit des Heilandes. Es war ein seliger Umgang mit ihm, wobei er wirklich der Lehrer meiner Seele war. Er ließ mich erkennen, wie ich ihm gefallen könne, und es wurde mir alles an seinem eigenen Beispiel gezeigt: die Reinheit, die Loslösung von allem, seine Demut, die geduldige Hinnahme aller Schwierigkeiten. Und es wurde mir bei den einzelnen Handlungen erklärt: Dies ist weniger gut und dies ist vollkommener. Es war also eine persönliche Unterweisung durch das Licht und das erlebte Beispiel des Gottmenschen.“

Im Jahre 1923 konnte Maria Sieler keine Exerzitien machen, aber sie hatte in diesem Sommer große Erkenntnisse über die Reinheit und Vollkommenheit Mariens, „die von einer ähnlichen Reinheit war wie der Erlöser selbst“ – „Es wurde nun von mir gefordert, immer der Reinheit und Vollkommenheit Mariens nachzustreben, um mich mit ihrer Gesinnung dem Heiland hinzugeben. Ich sollte Maria als das besondere Vorbild für mein Leben betrachten.“

An dieser Stelle ihres Lebensberichtes erwähnt Maria zum ersten Mal etwas, worauf sie später immer wieder zu sprechen kommt: „Schon in meinen Kinderjahren war immer der Antrieb in mir: Ich muss zurück zu jener Reinheit, zu jenem Zustand, in welchem die ersten Menschen vor der Sünde waren.“ Sie fügt hinzu, das sei wohl die erste übernatürliche Forderung an sie gewesen. Wie das geschehen könne, darüber wurde sie erst im Laufe der Jahre belehrt.

Von dem hohen Grad der Reinheit, den der Herr von ihr verlangte, erhalten wir einen kleinen Begriff, wenn wir folgende Zeilen lesen: „Bei der heiligen Beichte musste ich mich über jeden kleinsten Fehler und jeden kleinsten Gedanken, der nicht ganz selbstlos war, anklagen. Auch Freude über meine Frömmigkeit oder eine natürliche Freude über das, was mir Jesus gab, musste ich bereuen. Die innere Läuterung zielte dahin, jedem selbstgefälligen Gedanken ganz abzusterben. Jedes Wohlgefallen an mir selber, auch in religiösen Dingen, musste ich beichten. In jeder Weise von mir loszukommen, das war die innere Forderung der Gnade, und diese Forderung war sehr streng und intensiv bis zur vollen Reinigung der Fantasie und von jeder Beschäftigung mit mir selbst. Wenn ich mich dabei ertappte, wurde mir das innerlich schon als Fehler angerechnet.“

Natürlich konnte Maria Sieler der Forderung nach solcher Reinheit und so hoher Tugend nicht an einem Tage entsprechen. Dazu waren viele Jahre harten Ringens mit sich selbst notwendig. Und schließlich musste durch äußere und innere Leiden jene Läuterung vollendet werden, die sie durch eigenes Bemühen niemals hätte erreichen können.

 

Kreuzesbraut

All innerer Fortschritt ist letzten Endes ein Aufstieg auf Kalvaria. Das hat auch Maria Sieler erfahren: „Jesus zeigte sich oft meiner Seele als der leidende und gekreuzigte Heiland, in den ich nach und nach umgewandelt würde. O, wie ist die Seele zitternd und schwach, wenn Jesus von Leiden spricht. Das ganze menschliche Gefühl lehnt sich dagegen auf. Es kommen Stunden, in denen man sich deshalb wünschen möchte, dass die früher erkannte übernatürliche Führung Täuschung und Einbildung sei, gerade weil man schwere Leiden voraussieht.“

Der Herr verlangte von ihr eine neuerliche, gänzliche Hingabe und klärte sie auch über deren Sinn auf: „er wolle sich aus mir eine Opferseele bilden, in der er seine Leiden erneuern wolle. Er wolle sich nochmals seinem himmlischen Vater in mir zum Opfer bringen, in mir gleichsam nochmals leiden und sterben. Ich solle ihm dazu meine leidensfähige Menschheit bieten … er wolle mir besondere Gnaden der Vereinigung mit ihm geben … er wolle mir die Leiden seines Herzens offenbaren … Oft zog er mich in das Innerste seines Herzens hinein, zeigte mir so viel Verkennung und Undank von Seiten der Menschen und dass er keine Seele finde, die dem Verlangen seines Herzens entspreche … Ich WILL dich zu meiner Kreuzesbraut machen, sagte mir der Herr. Du wirst ganz Opfer werden für Mich. Mein Leben wird dein Leben werden, voll Leiden, die dir jetzt noch verborgen sind.“

Im Laufe des Jahres 1923 wurde sich Maria immer mehr bewusst, dass der Herr ein zweifaches Gelübde von ihr verlange: Das Gelübde der JUNGFRÄULICHKEIT und das Gelübde, sich ihm als SCHLACHTOPFER darzubringen, „sodass er“, schreibt sie, „über mich verfügen könne wie über ein Opfer, das nicht mehr zurückgenommen werden darf und dessen Hingabe besiegelt ist“.

Wieder zögerte Maria, wieder kostete es sie einen harten Kampf. Diesmal schien es, als würde sie den Mut zu dem neuen Opfer nicht aufbringen. Der Herr ließ ihr Zeit, sich alles gut zu überlegen. Dann aber drängte er zur Entscheidung. Maria erzählt: „Ich ging am 7. Dezember 1923 zur heiligen Kommunion, und wie ich von der Kommunionbank aufstehen wollte, hatte ich einen ganz ungewöhnlich starken Eindruck von der Gegenwart des Herrn, und er sagte mir die scharfen Worte: 'Wenn du dich nicht überwinden willst, so suche ich mir eine andere Seele. Tausend andere stehen mir zur Verfügung, denen ich meine Gnaden geben kann.' Diese Worte waren so überwältigend und überzeugend gesprochen, dass kein Zweifel möglich war, dass er es sei, der so redet.“

Endlich war sie bereit: „Ich verbrachte jenen 7. Dezember in unaussprechlicher Freude und am folgenden Tag, dem 8. Dezember 1923, opferte ich mich Jesus auf: 'So; wie du willst.'„ – Auch das Gelübde der Jungfräulichkeit machte sie an diesem Tag. Als das alles geschehen war, sagte ihr der Herr: „Ich schenke dir mein leidendes Herz.“

 

Dunkelheit und neues Licht

4507 |        Wenn wir eine Bergwanderung unternehmen, können wir nur kurze Zeit auf einem Berggipfel verweilen, um uns am blauen Himmel, der reinen Luft und der Fernsicht zu erfreuen. Dann müssen wir wieder hinab ins Tal. Nicht auf erhabenen Höhen, sondern in den Niederungen der Erde, wo die großen Städte mit ihren Fabriken und den engen Wohnungen und den vielen Menschen sind – dort müssen wir arbeiten, leben und sterben. Von den Bergen und Gletschern, von Edelweiß und Alpenglühn bleibt nur die Erinnerung. Das ist das Leben. Darüber klagen wir nicht.

4508 |        Im inneren Leben ist es nicht anders. Es gibt Stunden der Freude, in denen uns nur ein dünner Schleier von Gott zu trennen scheint. Dann kommt wieder der Alltag mit seiner Dunkelheit, Leere und Eintönigkeit.

4509 |        Das hat auch Maria Sieler erfahren. Nachdem sie sich zu letzter Hingabe durchgerungen hatte, erfüllte sie eine große Freude: „Unzählige Male sagte ich dem Herrn: Lass mich nicht scheiden von dir! In dir ist die Ruhe, in dir ist die Heiligkeit.“

4510 |        Doch dieser Zustand des Beglücktseins währte nicht lange: „Im Winter 1923/24 kam wieder die große Finsternis, die wieder zweifeln ließ, ob die große Vertrautheit mit Jesus nicht doch Täuschung war … Immer wieder kommen die Zweifel, ob man auf dem rechten Wege sei, ob man nicht vielleicht einem Irrlicht nachlaufe, ob man sich nicht Illusionen mache und alles von der eigenen Natur komme. Vor lauter Angst, getäuscht zu werden, wagte ich mich nicht mehr so recht an die Hingabe heran.“

4511 |        Allein die Angst, sich in Bezug auf außergewöhnliche innere Erlebnisse zu täuschen, gilt geradezu als Kennzeichen echter Mystik. P. Poulain schreibt: „Der Zweifel über die Wirklichkeit der empfangenen Gnaden ist so allgemein, wenigstens am Anfang des mystischen Lebens, dass man erstaunen müsste, wenn eine Seele ihn nicht zu fühlen hätte. Diese Tatsache hat meist natürliche Ursachen: das Gefühl seiner Unwürdigkeit, Unkenntnis der wahren Natur dieser außergewöhnlichen Gnaden, Mangel an Leitung“[3].

4512 |        Jede mystische Gnade stellt an den, der sie empfängt, harte Forderungen, sodass es ihm oft lieber wäre, er hätte diese Gnade nicht erhalten. Maria Sieler schreibt: „Es tun sich da gleichsam Abgründe im eigenen Innern auf, man wird in die Finsternis hineingeworfen und man meint, es sei unmöglich, das zu leisten, was die Gnade fordert. Die schwache Natur möchte am liebsten alles Vorherige aufgeben und gleichsam davonlaufen, um sich der inneren Verantwortung entziehen zu können, die sie damit übernommen hat. Dieser Kampf zwischen dem erkannten Ziel und der eigenen Leistungsunfähigkeit ist ein Leiden, das man erfahren haben muss, um es einigermaßen verstehen zu können.“

4513 |        In diesen, für Maria Sieler so dunklen Wochen bis in die Fastenzeit 1924 trat ihr eigentliches Ziel immer mehr hervor: „Mich aufgeben und ihn in mir leben lassen.“ Das neue Licht ließ sie Christus besser erkennen: „Das innerste Wesen des Herrn ist seine reinste Hingabe an den himmlischen Vater; und seine Heiligkeit besteht darin, dass er sich selbst getreu ist und dass er diese seine Hingabe auch in seiner Menschheit seinem göttlichen Wesen entsprechend geübt hat.“

4514 |        Das neue Licht fiel aber auch in ihr eigenes Herz: „Wenn man so weit im Guten befestigt ist, dass die Sünde durch die Gnade Gottes praktisch überwunden ist, kommt als nächstes Ziel das Streben nach Vollkommenheit, die Überwindung der Eigenliebe, das heißt, dass man sich losmacht von den vielen Anhänglichkeiten an sich selbst. Diese empfindet man auf jener Stufe als eine viel größere Hässlichkeit als früher die Neigung zur Sünde. Es handelt sich nun mehr um die Neigung, vor sich selbst gut dazustehen, um die Eigenliebe in all ihren Formen wie Selbstgefälligkeit, Eitelkeit und Lobsucht, die das ganze Frömmigkeitsleben wie mit einem Spinngewebe umziehen. Davon sich freizumachen, ist das Ziel der inneren Läuterung, die nach der Reinigung von der bewussten Sünde einsetzt. Man sieht dann erst ein, wie wenig man mit dem bis dahin Errungenem geleistet hat, und es kommt einem vor, als beginne erst die Hauptarbeit: die Wurzeln der Sünde auszurotten. Durch das Licht der Gnade schaut man hinein in den eigenen Abgrund der gefallenen Natur … So wird man mehr und mehr geheilt von jener geistigen Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, durch die man der erste Betrüger seiner selbst ist.“

4515 |        Solche Erkenntnisse wurden Maria Sieler auch in Rücksicht auf die besondere Aufgabe geschenkt, die sie den Priestern gegenüber haben sollte, die ihr aber zu dieser Zeit noch nicht bekannt war. Es handelt sich um die Grundhaltung, die jeder Priester haben soll und zu der Ignatius schon im Fundament seiner Exerzitien führen will: Gott muss der Mittelpunkt des Lebens sein, das Ziel aller Handlungen, allen Apostolates. Durch Maria Sieler sollte eine Wahrheit ins Gedächtnis zurückgerufen werden, die heute in einer Zeit äußerster „apostolischer (?)[4] Tätigkeit“ weithin in Vergessenheit geraten zu sein scheint: Es gibt kein wahres, fruchtbares Apostolat, das nicht Hand in Hand geht mit der Reinigung des eigenen Herzens, mit persönlicher Hingabe an Christus, mit dem steten Ringen um letzte Selbstlosigkeit.

 

„Für die Erneuerung des Priestertums“

4516 |        Im September 1924 begann für Maria Sieler eine neue Gnadenzeit. In einer Ekstase am Herz-Jesu-Freitag, den 1. September, klagte der Herr über die gegenwärtige Situation der Kirche: Die Menschen lieben ihn nicht mehr; er wolle wieder das Leben der Seelen werden; er wolle sich zur Erreichung dieses Zieles ihrer – Marias – als Werkzeug bedienen; an ihr wolle er wie an einem Beispiel zeigen, was er mit allen Menschen vorhabe, und sie solle es ihm durch ihr verborgenes Opferleben ermöglichen, neue Gnaden den Menschen zu schenken.

4517 |        Sonntag, den 24. September, wiederholte sich die Gnade des Herz-Jesu-Freitags. Wiederum stellte der Herr die Forderung an Maria: „du sollst mir ein Opfer sein. Ich habe große Absichten für die Kirche. Ich will den Geist meines Herzens neu in der Kirche ausgießen, und du sollst mir das Werkzeug sein.“

4518 |        Maria fürchtete, dass es eine Täuschung sei. Daher wandte sie sich ab, und versuchte mündlich zu beten. Da sagte ihr der Herr: „Willst du dich nicht opfern? Niemand will es tun. Wenn ich Opfer verlange, dann will man umkehren.“

4519 |        Maria fährt in ihrem Bericht fort: „Dies war so klagend und so durchdringend gesagt, wie wenn der Herr wirklich auf mich angewiesen wäre und wie wenn er als Bettler vor mir stünde. Diese Worte haben mich so ergriffen und erschüttert, dass ich zum Weinen kam in Anbetracht des Schmerzes, mit dem dies der Herr gesagt hatte. Und sofort erklärte ich: Ich will es gerne, aber ich bin ein schwaches Mädchen, bin unfähig und kann doch nichts tun. Und ich fürchte mich vor diesen Dingen; ich fürchte, dass du Außerordentliches mit mir machen wirst. Da wiederholte der Herr seine Absichten und Forderungen: 'Ich will neue Gnaden über die Kirche ausgießen, und du sollst mir Opfer sein.' Der Herr versprach mir aber auch, wie er mich zu besonderer Vereinigung mit ihm führen werde und ich ihm alle diese, irgendwie vorausgesehenen Opfer bringen könne. Diese Aufgabe würde aber mein ganzes Leben beanspruchen. Ich müsse mich ganz auf sein Leben, auf die Vereinigung mit ihm und auf seine Absichten einstellen. So wie er in der heiligen Hostie wirklich mit Gottheit und Menschheit lebt und Opfer ist und dies alles den unendlichen Wert der Erlösung hat, so soll ich dies fruchtbar werden lassen und zu verwirklichen suchen durch sein Leben in mir. – Selbstverständlich war ich da wieder ganz bereit. – Nachher ging ich zum Muttergottesaltar, habe Maria alles anempfohlen und um ihre Hilfe gebeten, dass ich durch sie befähigt werde, die Hingabe recht zu machen. Ich weiß noch sehr gut, wie ich alles, was ich innerlich erlebt hatte, ihr empfohlen habe.“

4520 |        Am 6. November besuchte Maria wieder P. Lenz und erzählte ihm von der Forderung des Herrn: „du sollst mir Opfer sein!“ P. Michael trug ihr auf, den Herrn zu fragen, zu welchem Zweck sie Opfer sein solle. Darauf ließ sie der Herr „in verschiedener Weise und in verschiedenen Graden der Klarheit die Antwort verstehen“: „Für meine Kirche, für die ERNEUERUNG DES PRIESTERTUMS.“

4521 |        Hier ist zum ersten Mal klar ausgesprochen, warum ihr der Herr so viel Gnaden geschenkt, warum er sie seit den Tagen ihrer Kindheit so geheimnisvoll geführt und warum er ihr Lebensopfer verlangte: Es geht um die Erneuerung des Priestertums.

4522 |        Die Bedeutung des Gebetes und des verborgenen Opfers wird heute weithin nicht mehr gesehen. Und doch bleibt es wahr, was Kardinal Bengsch in einer Predigt gesagt hat: „Die wahren Liebhaber des Kreuzes werden die Kirche tragen.“

4523 |        Einst hat der Herr sich am Jakobsbrunnen zu einer Frau aus Sichar in Samaria gesetzt und hat sie in einem geduldigen Gespräch bis zu der Erkenntnis geführt, dass er der verheißene Messias sei. Warum sollte der Herr nicht heute in einer über Jahre sich erstreckenden außergewöhnlichen Gnadenführung ein einfaches Bauernmädchen davon überzeugen, dass er seine Kirche erneuern wolle und dazu Menschen suche, die sich ihm ganz zum Opfer bringen? Vielleicht dass uns Maria Sieler, die außer der Volksschule ihres Ortes keine Schulen besucht hat, mit ihren einfachen Worten eine Wahrheit nahe bringt, die wir fast schon vergessen haben: Die Erneuerung der Kirche kann nur durch Menschen geschehen, die sich selbst ganz zum Opfer bringen.

 

Erziehung durch Gott

4524 |        Im Anschluss an die Ekstase vom Herz-Jesu-Freitag im September 1924 beschreibt Maria Sieler, auf wie viele verschiedene Arten Gott zur Seele spricht: „Die eine Art ist eine gewisse, unsagbare und schier unglaubliche Vereinigung mit ihm oder das Ruhen in ihm. Es ist so innig, dass man meint, man löse sich auf in ihm. Es ist, wie wenn man ins Feuer gelegt würde. In dieser unaussprechlichen Vereinigung schaut man (ohne Worte) seinen Willen. Durch ihn selbst wurde mir gezeigt, was er von mir verlangt und wie er mich haben will. Es ist ein gewisses Innewerden, ein Schauen und Hineingezogenwerden in den Zustand, den man in ihm erlebt. Wenn es nachher zu Worten kommt, so ist das wieder ein anderer Zustand. Dann hat sich die höchste Spannung der Vereinigung schon etwas gelöst. Es herrscht dann bereits ein gewisser 'Abstand' wie bei einem Ich-und-du-Verhältnis zwischen Menschen. Man erlebt dann seinen Willen auch in Worten und Sätzen ausgedrückt. Jesus erwidert den Affekt der Seele wie in menschlich gesprochenen Worten.

4525 |        Diese Worte können wieder doppelter Art sein: klar und geistig vernommen wie wirkliche Worte, oder aber wie in einem geistigen Innewerden und doch als bestimmte Antwort erfasst.

4526 |        Ich schaute z. B. zuerst in der Vereinigung mit ihm, wie verzehrt von ihm und gleichsam ausgelöscht für mich, den Zustand und die Nöte der Kirche, die Kälte der Seelen gegen ihn. Dann folgte, sozusagen im zweiten Stadium, die in Worten ausgedrückte Klage des Herrn: 'Man hört nicht auf Mich und meine Liebe; man anerkennt und erwidert meine Liebe nicht.'„

4527 |        Die Gnaden des Septembers wirkten noch lange nach und klangen erst allmählich wieder ab: „In den Tagen nach jenem vierten Sonntag im September herrschte in mir wieder ein volles Hineingenommensein in ihn, sodass ich mich davon nicht losmachen konnte. Oftmals hat der Herr nach der heiligen Kommunion die Aufforderung zur Hingabe an seine Absichten wiederholt: 'du sollst mir Opfer sein!' Ich schaute dabei seine Absichten und musste in der Gewalt der Liebe mich ihm so ganz überlassen, dass ich mich gar nicht dagegen wehren konnte; denn die Gründe, die er mir vorhielt, waren so zwingend, dass ich mich wie selbstverständlich ganz dafür opferte.“

4528 |        Dann brach von Neuem die große Dunkelheit über sie herein: „Ich war wieder wochenlang in Finsternis und Trockenheit und war geplagt von entsetzlichen Zweifeln, ob nicht alles Täuschung sei. Es war ein furchtbar harter Winter 1924/25. Da ich noch wenig Erfahrung hatte, meinte ich, immer in dem Zustand bleiben zu können, der mir einen Augenblick lang im Voraus geschenkt worden war. Ich verstand nicht, wie ich nachher wieder in einem ganz anderen, inneren Zustand sein könne, in dem alles vorher Geschaute und Erlebte unmöglich erschien. – Es ist merkwürdig, dass man nach Zeiten wunderbaren Lichtes wieder in furchtbare Finsternis versenkt werden kann, wo man den Eindruck hat, man könne nie mehr zum Licht kommen.“

4529 |        Gerade solche Zeiten innerer Verlassenheit können jemand Gott näher bringen: „Die Seele fängt da umso mehr an, zu ringen und zu arbeiten, und es kommt ein neuer und größerer Antrieb zur Vollkommenheit. Ich meinte dann, alles mit Gebet erreichen zu sollen. Und wenn ich auch beinahe an allem zweifeln zu müssen glaubte, so nahm ich gleichsam als Ersatz das Gebet, und in ganz großer Trockenheit vor allem das mündliche Gebet.“

4530 |        Nachdem sich Maria in langen Wochen innerer Verlassenheit als treu erwiesen hatte, kam wieder eine bessere Zeit: „Es gab eine bestimmte Art von Verdemütigung, für die man keine Worte hat und die – wie mir meine oftmalige Erfahrung zeigte – ein Anzeichen dafür war, dass das Licht nicht mehr weit entfernt sei. Dann wird man aus der Tiefe des Abgrundes wieder mit hinaufgenommen zur Höhe; und dann ist er wieder da, und mit ihm ist wieder da das Licht und all seine frühere Liebe, seine ganze Herablassung und Liebenswürdigkeit. Und ich selbst war dann selbstverständlich wieder allen vorherigen Vorsätzen, nicht mehr an solche Dinge zu glauben, untreu; denn seine Gegenwart war so unvorhergesehen und überwältigend, dass man kein Nein sagen konnte. Das tiefste Verlangen des eigenen Wesens ging doch immer dahin, bei ihm zu sein und von ihm geliebt zu werden, wie auch er kein anderes Verlangen zu haben schien, wenn es auch merkwürdig scheinen mag, dass Gott so viel Liebe den Menschen gegenüber aufbringt.“

4531 |        Kurz nach Ostern 1925 notiert Maria: „Wie eine neue Welle von Gnaden kamen neue Erkenntnisse über die Menschwerdung der zweiten göttlichen Person … Ich schaute, wie Maria ihr Fleisch und Blut zur Verfügung gestellt hat.“

4532 |        Wiederum wurde von ihr gefordert, sich dem Herrn in ähnlicher Weise wie Maria zur Verfügung zu stellen; sie solle ihm eine leidende Menschheit bieten: „er werde mich dann zu einem besonderen Grad der Vereinigung führen, sodass diese meine Menschheit gebraucht werde,- um das Geheimnis seines Erlöser-Seins wiederzugeben.“ Der Herr wollte also in ihr in einem gewissen Sinn das Erlösungsgeheimnis wiederholen.

4533 |        Wir spüren, wie sie nach Worten ringt, da ihr selber noch nicht klar war, was der Herr mit ihr vorhatte. Aber so viel ist bereits deutlich, dass der Herr sie einem ganz bestimmten Ziel zuführt und für eine bestimmte Aufgabe vorbereitet. Eines Tages wird sie die Absichten des Herrn klar erkennen. Aber zuvor musste sie noch einmal ganz tief in Leid und Dunkelheit hinabsteigen. Denn für die Absichten Gottes wird sie erst dann ganz vorbereitet sein, wenn sie alle eigenen Gedanken und Pläne aufgegeben hat.

 

Umwege?

4534 |        Auf Maria Sieler wartete jetzt eine Prüfung, die weit über das hinausging, was der gewöhnliche Wechsel von „Trost“ und „Mißtrost“ – um die bekannten Ausdrücke des heiligen Ignatius zu gebrauchen – an Dunkelheit und innerer Not mit sich zu bringen pflegt.

4535 |        Das kam so: Schon lange litt Maria unter dem Widerspruch zwischen ihrem Innenleben und ihrer äußeren Lage: „Ich meinte immer, es müsse etwas anderes kommen, wo ich mich ganz dem Innenleben hingeben könne. So war ich eigentlich immer auf der Suche nach einem 'Beruf'. Es fiel mir schwer, in der Welt zu leben; ich konnte nicht jeden Tag zur heiligen Kommunion gehen, und es war mir infolge der inneren Beanspruchung schwer, unter den Menschen zu sein. Die Natur suchte daher nach einer Möglichkeit, auch das auferlegte Innenleben vollkommen zur Entfaltung bringen zu können. Ich meinte, im Kloster, in der Abgeschiedenheit könne man es besser machen; denn in der Welt war es ein wirkliches Opferleben, zumal ich immer noch lungenkrank war.“

4536 |        Beachten wir die Ausdrücke „Die Natur suchte nach einer Möglichkeit“ und „Ich meinte“. Nirgends sagt Maria, dass der Gedanke, ins Kloster zu gehen, ihr in einer Stunde mystischer Begnadung eingegeben worden sei, sondern es handelt sich um eine eigene Überlegung. Auch Mystikern sagt der Herr nicht jeden Tag, was sie tun sollen. Auch sie müssen ihren natürlichen Verstand gebrauchen, müssen persönliche Entscheidungen treffen und damit das Risiko eingehen, in bester Absicht etwas zu tun, wovon sich später herausstellt, dass es doch nicht der Wille Gottes gewesen ist. Die peinlichen Folgen einer in keiner Weise schuldbaren „Fehlentscheidung“ müssen sie als Kreuz tragen. Der Herr kommt schon an sein Ziel, vielleicht sogar gerade durch das Kreuz, das sich jemand selber aufgeladen hat.

4537 |        Im August 1925 machte Maria wieder Exerzitien im Herz-Jesu-Kloster in Graz. Der Exerzitienleiter, P. Lamprecht S.J., mit dem sie über ihre Klostergedanken und ihren Gesundheitszustand sprach, riet ihr, eine Novene zur heiligen Theresia vom Kinde Jesu zu machen, die kurz vorher heiliggesprochen worden war.

4538 |        Nach den Exerzitien fragte Maria den Arzt Dr. Thaler, ob er glaube, dass sie die Kraft habe, ins Kloster zu gehen. Nach gründlicher Untersuchung erklärte er, daran sei überhaupt nicht zu denken, denn beide Lungenflügel seien voll Katarrh und solange dieser vorhanden sei, bestehe keine Aussicht auf Heilung. Auch der Zustand ihres Herzens sei besorgniserregend.

4539 |        Jetzt begann sie die Novene, wie sie es dem Exerzitienleiter versprochen hatte. Als sie sich nach einigen Wochen wieder untersuchen ließ, erklärte Dr. Thaler, es stehe merkwürdigerweise bedeutend besser. Er riet ihr, einmal eine richtige Kur mit Lebertran zu machen. Als sie sich im Frühjahr 1926 wieder dem Arzt stellte, sagte er: „Eigentlich können Sie es jetzt versuchen, denn der Katarrh ist weg, und damit besteht Aussicht, dass sich die Lunge verkalke; auch das Herz hat sich gebessert.“

4540 |        So bewarb sich Maria um die Aufnahme bei den Guten Hirtinnen, die sie auch erhielt, allerdings nur „probeweise“. Nach einem „furchtbaren Abschied“ von Mutter und Schwestern fuhr Maria am 9. April nach Graz und von hier nach Theresienfeld bei Baden bei Wien, wo sich noch ein Teil des Noviziates befand. Die Hausoberin empfing sie mit den Worten: „Schwächlich sind Sie schon!“ Nach zehn Tagen übersiedelte Maria mit dem Rest des Noviziates nach Neudorf bei Mödling.

4541 |        Die innere Ruhe, die sich Maria vom Kloster erhofft hatte, fand sie nicht: „Nach außen hat es mir gut gefallen. Das Essen war gut, und das Haus war wunderbar eingerichtet. Das Leben dort aber ging nicht zusammen mit der inneren Führung, der ich mich nicht entziehen konnte. Auch dort war ich bald unglaublich mit Gott vereinigt, bald wieder in großer Trockenheit … Obwohl ich entsetzlich litt, hatte ich aber den festen Vorsatz: Ich gehe nicht weg, und wenn ich sterben muss! Ich war ja froh, dass ich jetzt im Kloster war. Es fiel mir aber auf, dass ich mit viel größerer Gewissenhaftigkeit und Weltabgeschiedenheit ins Kloster gekommen war als die anderen. Ich konnte aber mit jenem Ordensleben nicht mittun, ich wurde nicht warm dabei.“

4542 |        Offen erzählte Maria der Novizenmeisterin, wie es ihr gehe. Diese erklärte, dass sie gar keine Klage gegen sie habe und niemals ihre Entlassung veranlassen werde. Aber dann verschlimmerte sich ihr Gesundheitszustand wieder; sie hatte so starke Herzschmerzen, dass sie kaum den Arm bewegen konnte. Daher riet ihr die Novizenmeisterin, es in einem anderen Kloster zu versuchen.

4543 |        Sie erhielt die Aufnahme bei den Kreuzschwestern in Graz. Aber auch hier ging es ihr nicht viel besser: „Gleichsam tödlich verwundet kam ich bei den Kreuzschwestern an. Ich hatte mit so gutem Willen alles getan. War ich nun irregeführt worden?“

4544 |        Trotz äußerster Anstrengung konnte sie es auf Dauer nicht verbergen, wie krank sie war. Eines Tages sagte ihr die Kandidatenmeisterin: „Sie sind totenblass. Sind Sie krank? Schon als Sie kamen, waren Sie bleich, aber jetzt sind Sie noch viel blasser.“

4545 |        In Graz hatte sie Gelegenheit, P. Lenz alles zu erzählen. Er tröstete sie: „Das ist eine der größten Prüfungen, die der Herr über eine Seele verhängen kann. Selbst wenn sie auch hier entlassen werden, so ist das kein Grund, an der inneren Führung zu zweifeln. Das sind eben die Wege Gottes, dass das ganze Leben scheinbar zerschlagen wird. Das Kreuz beherrscht auf diesen mystischen Wegen das ganze Leben.“

4546 |        Schließlich riet ihr die Novizenmeisterin, für einige Wochen nach Hause zu fahren und sich gründlich zu erholen, das Gepäck könne sie ja im Kloster lassen. Maria nahm aber dann doch alles mit Heim, denn sie wusste, dass sie nicht mehr wiederkehren werde. Sie fuhr noch einmal zu Pater Michael und weinte sich bei ihm aus.

4547 |        Am Abend des 29. Juli 1926 kam sie zu Hause an. Die Mutter war zwar im Herzen froh, dass sie wieder daheim war, aber alle erschraken wegen ihres schlechten Aussehens. Sie war wirklich wieder krank; der Zustand der Lunge hatte sich verschlechtert.

4548 |        Viel schlimmer war das seelische Leid: „Es war eine große Beschämung für mich, in zwei Klöstern gewesen und wieder ausgetreten zu sein.“

4549 |        Die größte Verdemütigung bereitete ihr der Kaplan[5], bei dem sie zu beichten pflegte. Er erklärte, er glaube ihr überhaupt nichts mehr, sie dürfe ihm nichts mehr sagen, denn solche Leute kämen ins Irrenhaus oder würden den Glauben verlieren. Wenn sie etwas sagen wollte, schnitt er ihr sofort das Wort ab: „Mit diesen Sachen fangen Sie mir nicht mehr an!“ – Zur Entschuldigung dieses Kaplans muss gesagt werden, dass er noch sehr jung war, – er war erst ein Jahr zuvor zum Priester geweiht worden –, und in mystischen Dingen wirklich keine Erfahrung hatte. Er hat sein Urteil zugunsten Maria später wieder geändert. Aber in diesen ersten Wochen nach ihrer Rückkehr stand sie in ihrer Not und ihren Zweifeln allein. Es kam wieder die große Finsternis über sie, in der sie meinte, es sei überhaupt alles Täuschung gewesen. So hart das auf der einen Seite war, war Maria doch auch wieder froh darüber und wandte sich „innerlich von allem ab“.

4550 |        Warum hat der Herr Maria nicht von Anfang an erkennen lassen, dass er sie nicht im Kloster haben wollte? Wo er ihr so viele außergewöhnliche Gnaden geschenkt hatte, hätte er ihr nicht noch diese eine Gnade schenken können, um ihr „Umwege“ zu ersparen?

4551 |        In Wirklichkeit waren es keine Umwege. Maria hatte sich längst dem Herrn als Opfer dargebracht. Was sie noch lernen musste, war, es ihm zu überlassen, wie und wann und unter welchen Umständen er das Opfer von ihr verlangen werde.

4552 |        Im Allgemeinen kann und soll der Apostel eigene Pläne machen und dann nach seinen selbstentworfenen Plänen Apostolat üben. Von jenen aber, denen der Herr wie Maria Sieler eine spezielle Aufgabe zugedacht hat, erwartet und verlangt er, dass sie auch auf die bestgemeinten eigenen Pläne verzichten, um unter Hintansetzung aller eigenen Pläne und Wünsche nur noch die Aufgabe zu erfüllen, die er ihnen zugedacht hat. Das bedeutet, dass ein solcher Mensch die eigenen Pläne, einen nach dem anderen, scheitern sieht oder dass er Jahre hindurch warten muss, Jahre, in denen er sich so unnütz vorkommt und das Gefühl hat, seine Kräfte nicht entsprechend einsetzen zu können, bis ihm der Wille Gottes klar wird. Inzwischen unterzieht ihn Gott einer langwierigen Vorbereitung auf jene Aufgabe, die er im Augenblick noch gar nicht kennt. Erst dann, wenn er völlig geläutert ist, und auf alle unmittelbaren, in die Augen springenden Erfolge verzichtet hat, um nur noch die Pläne Gottes auszuführen, wird ihm eines Tages seine eigentliche Aufgabe klar. Jetzt erkennt er auch, dass die Wege Gottes niemals „Umwege“ sind und dass alles Harte und Unverständliche seines Lebens nichts anderes war, als die notwendige äußere und innere Vorbereitung auf die von Gott ihm zugedachte Lebensaufgabe.

4553 |        Wir haben gesehen, dass es für Maria eine große Beschämung bedeutete, in zwei Klöstern gewesen zu sein und nicht „durchgehalten“ zu haben. Aber das auszuhalten musste sie lernen. Denn sie wird in ihrem Leben noch viele Wege gehen müssen, die andere nicht verstehen werden und wo sie sich nur auf das Zeugnis des eigenen Gewissens und vielleicht auf die Zustimmung eines Seelenführers wird verlassen können.

4554 |        Nach diesen bitteren Wochen leuchtete plötzlich ihre eigentliche Lebensaufgabe auf: „Im Herbst 1926 kam wieder eine neue Stufe in meinem Innenleben, wo Jesus anfing, näher über die Erneuerung des Priestertums zu sprechen: Ich bereite eine allgemeine Erneuerung des Priestertum vor, und dazu sollst du mir Opfer sein!“

 

Mit-leiden mit dem Herrn

4555 |        Obwohl gesundheitlich geschwächt, begann Maria daheim wieder ihr gewohntes Leben: Sie besorgte den Haushalt, die Einkäufe, den kleinen Garten, nur bei der Feldarbeit konnte sie in diesen Jahren kaum helfen. Es wird gut sein, sich einen Augenblick dieses unscheinbare Leben vor Augen zu führen, das sich in Winterdorf und im Pfarrort St. Ruprecht abspielte und nach außen so gar nichts Außergewöhnliches aufwies. Maria lebte zusammen mit ihrer Mutter und ihren drei jüngeren Schwestern. Ein Tag verging wie der andere, ein Jahr wie das andere. Aber welch reiches Innenleben verbarg sich hinter dieser Alltäglichkeit.

4556 |        Nachdem Maria wieder viele Wochen in Dunkelheit und Verlassenheit verbracht hatte, begann sich deutlich eine neue Phase in ihrer inneren Entwicklung abzuzeichnen. Auf den „Trümmern ihres Nichts“, wie sie schreibt, errichtete der Herr einen neuen Bau. Bisher hatte sie ihr eigenes Kreuz, ihre eigenen körperlichen und seelischen Leiden getragen. Jetzt aber fing der Herr an, sie in geheimnisvoller Weise SEIN Leiden mit-leiden zu lassen. Es handelt sich nicht um ein bloßes Mitleid-Haben mit ihm ob seiner großen Leiden, sondern um ein wirkliches Mit-leiden. Maria schreibt: „Die Eigenheit meiner inneren Führung bestand in jener Zeit darin, dass mich Jesus auf das Mit-leiden mit ihm vorbereitete. Seine Leiden standen ständig vor meinem geistigen Auge. Ich hatte so ein besonderes Mitgefühl mit seinem Leiden, dass ich immer darin versenkt war. Der Herr sagte oft: 'Ich will mich dir in meinem Leiden schenken. In dem Maß, wie ich mich dir ganz gebe, wirst du MEIN Leiden mitempfinden.'

4557 |        Der eigentliche Sinn dieser Worte war mir freilich noch dunkel. Ich dachte immer nur an ein körperliches Mit-leiden, und er gab mir auch in dieser Beziehung viele besondere Gnaden. Oft, wenn ich ein Kreuz ansah, durchzuckte mich ein besonderer Schmerz, und ich fühlte mich in einer leidenden Art mit Jesus vereinigt.“

4558 |        – „Es waren unsagbare Leiden und zugleich Belehrungen und Schauungen über das innere Leiden des Erlösers; doch das kann in Worten nicht ausgesprochen oder erklärt werden. Immer wieder schaute ich das äußere und innere Leiden Christi von seiner Menschwerdung bis zu seinem Tode, und das Miterleben dieser seiner Leiden hat mich damals immer begleitet.“

4559 |        Maria durfte teilnehmen an den KÖRPERLICHEN Leiden des Herrn: „Nach der heiligen Kommunion litt ich oft die Wundmale des Heilandes, sodass ich ganz steif wurde und die Schmerzen fühlte … Ich fühlte in körperlicher Art seine Herzenswunde, die Dornenkrone. Es war ein körperlich wahrnehmbarer Schmerz, aber noch mehr ein geistiges Empfinden. Jesus gab mir damit seine Gegenwart und ließ mich, wie er mich belehrte, den Schmerz leiblich mitfühlen als Beweis der inneren Gnade, 'damit du glaubst, wie ich in dir leben will'. „ –

4560 |        „In jener Zeit war ich halbe Nächte lang mit Jesus vereinigt und mit ihm mitleidend, und einmal war ich wirklich mit ihm gekreuzigt, wie wenn ich sterben würde. Die Wundmale habe ich oft tagelang gespürt. Wenn ich den schmerzhaften Rosenkranz betete, wurde ich so in ihn hineinversetzt, dass ich ein wirkliches Miterleiden hatte. Ich spürte die Dornenkrone und wurde ganz steif. Ich habe mich vor mir selbst geschämt. Wenn das Stübchen zu Hause reden könnte, was sich dort alles vollzogen hat an Leiden, Liebe und Vertrautheit mit Jesus!“

4561 |        Maria Sieler gehört zu jenen „Stigmatisierten“, welche die Wundmale Christi nicht sichtbar an ihrem Leibe trugen, wohl aber die den Wunden entsprechenden körperlichen Schmerzen nachempfunden haben. Während Maria in ihren späteren Tagebüchern sehr oft von den inneren Leiden spricht, kommt sie auf die körperlichen Schmerzen der Wundmale nicht mehr zu sprechen, sodass man den Eindruck hat, sie habe nicht dauernd diese Schmerzen empfunden, sondern nur zeitweise, und das vor allem in den Jahren der großen Erkenntnisse über die Priester und das Priestertum.

4562 |        Es war für Maria eine sehr harte Zeit: „Ich konnte nicht essen, nicht schlafen, ein unbeschreibliches geistiges Leiden war in mir. Ich war so todmüde und konnte nicht zur Ruhe kommen, weder körperlich noch seelisch. Tief in meinem Innern glühte die Sehnsucht, Jesus ganz im Leiden umfangen zu können, und doch wurde ich von der Furcht geplagt, Jesus könnte etwas Außergewöhnliches wollen, dazu die fühlbare Einheit mit ihm, die mir zur unerträglichen Qual wurde. Nichts war in mir, was nicht gelitten hätte. In den Augen der anderen war ich eben krank, und niemand merkte, dass mein Kranksein von meinen vielen Seelenleiden kam. Und doch war ich so unsagbar glücklich.“

4563 |        Vor allem aber ließ der Herr Maria an seinen inneren Leiden teilnehmen. Er belehrte sie: „'Ich schenkte dir mein leidendes Herz … Es soll eine bleibende Gnade für dich sein.' Nach der heiligen Kommunion ließ er mich dann gleichsam sein Herz fühlen. Es ging ein unaussprechlicher Schmerz von seinem Herzen aus, sodass ich darunter vergehen zu müssen glaubte.“

4564 |        „Ich erlebte mit, wie sein Herz vom Augenblick der Menschwerdung an voll Verlangen war, dass die Früchte der Erlösung voll ausgewertet würden und dass sich die Absichten der göttlichen Liebe verwirklichen möchten. Er sah aber voraus, dass die Dinge vielfach gegen die Rechnung der Liebe Gottes gehen würden, insofern Gott so verkannt und missachtet wird. Und doch war die Menschwerdung die größte Liebestat Gottes …

4565 |        Ich schaute, wie freigebig der Herr die Gnaden den Menschen mitteilt, wie sie dann aber abgewiesen werden und wie der Herr sozusagen wie ein Enttäuschter, Geschmähter, gleichsam Blamierter vor den Menschen steht, wie vor einem Ruin seines Erlöserlebens, das so wenig Früchte getragen hat, wie er voraussah. Und die Kirche bilde im Vergleich zu dem, was sie sein sollte, gleichsam eine armselige Figur, die 'streitende' Kirche, die in sich zerfallen und zerrissen ist, weil die Gnade Gottes nicht ausgelebt und verwertet wird. In wenigen Seelen kommen die Früchte der Erlösung ganz zur Entfaltung, und doch stellt sich der Herr allen mit dem ganzen Reichtum der erworbenen Gnaden zur Verfügung. Ich schaute den Heiland, wie er in seinem Erdenleben gelitten hat unter dem Vorauswissen, dass es nicht zur Fülle der Verwirklichung seiner Absichten kommen werde. Ich wurde so in dieses innere Leiden Christi hineingezogen, dass ich meinte, selbst ganz von dieser Ohnmacht verzehrt zu werden, indem ich sah, wie Jesus in seinem Erdenleben gelitten hat, weil er die Wirklichkeit der verschiedenen Jahrhunderte vorausgesehen hat: Dass nämlich die Mängel in den Seelen der Erlösten und der Kirche weitergehen würden.“

4566 |        Noch ein anderes Leid ließ der Herr Maria mitleiden: „er hat mir oft gezeigt, wie er im heiligen Sakrament verlassen sei, nicht geehrt werde, dass man achtlos vorübergehe und er wie ein Nichts behandelt werde. Ich hatte so viel Mitleid mit ihm. Wie tat mir Jesus leid! Ich bemühte mich, ihm noch treuer zu sein, und wollte ihn wirklich für andere herzlich lieb haben. Er zeigte sich mir oft traurig, sodass es mich ganz niederdrückte. Er verlangte dann immer Sühne, erneute Hingabe. So zeigte er mir die Leiden seines Herzens und ließ sie mich mitfühlen und miterleben.“

4567 |        Wenn der Herr Maria so in sein inneres Leiden mit hineinzog, hatte er seine bestimmten Absichten. Eines Tages ließ er sie erkennen: „Ich will eine Seele finden, in der ich den Reichtum meiner Liebe ganz auswerten kann. Sei du diese Seele, die meine Gnaden so ganz annimmt, dass es zu einer inneren Vollendung komme und die Absichten meiner Erlösung sich voll verwirklichen.“

4568 |        Natürlich war Maria dazu bereit. Das Verlangen nach den Gnaden, die der Herr bereit hält, wurde ihr geradezu zu einer „Seelenqual“. Sie schreibt: „Eine besondere Welle von Gnaden erlebte ich in den Faschingstagen 1927, in denen ich in St. Ruprecht blieb. Am Faschingsdienstag erlebte ich wieder den Reichtum seiner Erlösung und wie dieser verkannt wird, weil man die Gnaden nicht ausschöpft und weil sein 'Leben' in den Seelen vor den Feinden Christi wie ein Fiasko ist. Und dann kam wieder dieses tödliche Verlangen und Betteln über mich, dass ich doch selbst dem großen Verlangen seines Herzens entsprechen möchte. Die Leute waren schon alle aus der Kirche fort, und ich konnte mich von dieser Schau nicht losreißen, von diesen Erkenntnissen, von dem Verlangen, dass er erkannt werde, von diesem Hineingenommen-sein in ihn, von diesem Angenommen-sein für seine Absichten, von dieser Hingabe an ihn.“

4569 |        Wenn man die Schriften von Mystikern liest, hat man zunächst den Eindruck, dass sie die Welt um sich vergessen, um ganz in ihrer liebenden Gottverbundenheit aufzugehen. In Wirklichkeit aber verhält es sich ganz anders. Viele Lehrer des geistlichen Lebens vertreten die Meinung, dass Gott den Mystikern diese außergewöhnlichen Gnaden nicht schenkt, damit sie jetzt schon gleichsam die Freuden des Himmels genießen können und sich keine Sorgen mehr um die „Welt“ zu machen brauchen, sondern er schenkt sie ihnen als Vorbereitung für eine besondere Aufgabe, die er ihnen zum Wohl vieler anderer, ja vielleicht der ganzen Kirche zugedacht hat. So haben die „klassischen“ Mystiker, eine heilige Theresia von Avila, ein heiliger Ignatius, Johannes vom Kreuz, Philipp Neri und viele andere, eine so intensive apostolische Tätigkeit entfaltet, dass ganze Jahrhunderte von den Früchten ihrer Arbeit zehren konnten.

4570 |        Wir wollen Maria Sieler durchaus nicht auf die gleiche Stufe mit den genannten großen Heiligen stellen. Aber auch bei ihr fällt auf, wie der Herr in diesen Monaten ihre Aufmerksamkeit auf die Kirche lenkt. Sie schreibt: „Es wurden mir in einer unbeschreiblichen inneren Schau auch die Früchte seiner Erlösung gezeigt: Wie die Kirche einerseits mit reichen Gnaden ausgestattet wird, wie aber andererseits doch Mängel und Fehler herrschen. Und ich wurde innerlich von ihm angetrieben zu einer freiwilligen Teilnahme an seinem Erlöserleiden; ich solle mein Leben annehmen und gleichsam in seine Eigenschaften eintreten, um in der Kirche bei der Verwirklichung ihres Ideales zu helfen. Gewiss hat Christus alles in reichster Fülle für die Menschheit getan; aber seine göttliche Gerechtigkeit will, dass die Menschen das Ihrige tun und dass dabei ein überreicher Ersatz geboten werde durch das Mittun von Seelen, die er dazu befähigt. In unzähligen Gnadenstunden ließ er mich die Mängel der Kirche schauen.“

4571 |        Maria Sieler hat nicht einfach Kritik an der Kirche und ihren Priestern geübt, wie es so häufig geschieht, sondern sie hat unter den Mängeln der Kirche gelitten, ja, sie hat das Leid Christi über das „Fiasko“ seiner Kirche mitgelitten, und war bereit, Sühne zu leisten.

 So war Maria vorbereitet, dass der Herr ihr gegenüber von seiner großen Sorge sprechen konnte: von der Sorge um seine Priester.

 

Aus Briefen an Domvikar Kickenweitz

4572 |        Was wir bisher über Maria Sieler erzählt haben, stützt sich zum großen Teil auf ihren Lebensbericht, den sie im Jahre 1937 aus der Erinnerung niedergeschrieben hat. Wir besitzen aber auch ein unmittelbares Zeugnis, und zwar in den Briefen, die Maria ihrem langjährigen Beichtvater, Kaplan Kickenweitz, geschrieben hat, der am l. Juli 1928 als Domvikar nach Graz versetzt worden war. Diese Briefe haben insofern eine besondere Bedeutung, als sie voll und ganz das bestätigen, was sie in ihrem Lebensbericht schreibt. Außerdem erfahren wir aus diesen Briefen, dass sie um diese Zeit um Aufnahme in das Herz-Jesu-Kloster in Graz nachgesucht hatte, aber vergeblich auf eine Antwort wartete. Sie hat die so ersehnte Aufnahme nicht erhalten. Außerdem kam sie immer mehr zu der Überzeugung, dass sie jenes Innenleben, zu dem der Herr sie anleitete, auf die Dauer daheim bei Mutter und Schwestern unmöglich führen könne. Daher war es für sie ein großer Trost, dass der Herr ihr immer wieder versicherte, er habe ihr ein „Plätzchen“ bereitet. Kein Wunder, dass sie dauernd auf der Suche nach diesem „Plätzchen“ war und glaubte, dieses „Plätzchen“ müsse im Kloster Sacre Coeur in Graz sein. Aber sie sollte noch zehn Jahre daheim ausharren müssen.

4573 |        Zunächst war Maria wieder einmal ganz mutlos und verzagt: „ … kein Leiden, kein Opfer, keine Überwindung schienen mir groß genug, so stark war die innere Führung und der fühlbare Eifer. Aber mit der Zeit verschwand alles, es blieb nichts als Finsternis, ja ich kann nicht einmal denken an die ganze Sache, so unbegreiflich scheint mir alles und unerreichbar; es ist mir alles genommen! Das erzeugt entsetzliche Zweifel und Mutlosigkeit. Natürlich findet der böse Feind reichlich Gelegenheit für so quälende Versuchungen, es ist mir so entsetzlich zumute; ich weiß nicht, woran ich mich halten soll. Die vergangene Woche habe ich infolge innerer Zweifel überhaupt alles aufgegeben, das Ziel schien mir so unerreichbar, die Aussicht wurde mir gänzlich genommen, auf meine Vernunft kann ich mich nicht stützen, weil alles über sie hinausgeht, und so verzichtete ich halt vor mir auf alles und gab mich zufrieden, dass alles Täuschung war. Wenn mir das einerseits Ruhe brachte, so verursachte es doch in mir eine solche Teilnahmslosigkeit gegen Inneres und Äußeres, ich fühlte mich wieder so unglücklich, dass die Freude am Leben ganz verschwindet. Sie können sich kaum einen Begriff machen, was ich jetzt durchmache. Heute, nach der heiligen Kommunion gab mir Jesus wohl wieder lichte Augenblicke; die inneren Einsprechungen und Anregungen schienen mir wieder klar und glaubwürdig, ja alles war mir klar, ich konnte nicht anders als glauben, ich fühlte mich so von fühlbarer Liebe und Vertrauen erfüllt, auch bezüglich des Herz-Jesu-Klosters, aber jetzt ist alles wieder weg …“. (15.7.1928)

4574 |        Im folgenden Brief kommt sie auf das Opfer zu sprechen, das der Herr von ihr verlangte: „Wenn ich der inneren Führung folge, kann ich nicht zweifeln, dass in meiner äußeren Lage bald eine Änderung eintritt. Jesus fordert täglich mehr mein Leben als sein Eigentum, wie seine erste Forderung an mich war, ihm das Opfer meines Lebens zu schenken, damit er nochmals in der von seinem unwürdigen Kinde hingegebenen Menschheit leiden könne.“(11.9.28)

4575 |        Sie sehnt sich nach innerer Führung, die sie nach dem Weggang von Kaplan Kickenweitz so schmerzlich entbehrte: „Gewiss ersetzt mir der liebe Heiland die äußere fehlende Führung durch eine stärkere innere, aber wir Menschen in unserer Schwäche suchen doch immer das, was ein Mensch zum anderen spricht, weil es doch unserer Armseligkeit mehr angepasst ist. Ich fühle so sehr dies gänzliche Alleinsein in so dunklen, gefahrvollen Seelenwegen …“

4576 |        Im gleichen Brief berichtet sie von ihrer innigen Verbindung mit Christus: „Jesus fährt fort, sich immer mehr zu meiner Armseligkeit herabzulassen. Ich fühle mich ganz herausgenommen aus diesem Leben, und er lebt in mir und ich in ihm, und alle meine Leiden, sind sie noch so schmerzlich, sind mir gleichsam ein Feuer, in dem ich gereinigt werde, um Jesus mehr und mehr zu gefallen, darum liebe ich diese Leiden so sehr. Zu Zeiten fallen alle Schranken, die den Schöpfer von seinem Geschöpf trennen, und die Liebe ist die Brücke, die mich zu einem entzückenden Genießen und Schauen Gottes führt. Aber alles dient ja nur dazu, mich leidensfähiger zu machen, ja man könnte ohne zu leiden gar nicht leben …“

4577 |        Und plötzlich sind die Rollen vertauscht: Nicht mehr sie ist es, die Trost sucht, sondern sie tröstet und möchte dem Domvikar Stütze· sein; gleichzeitig verrät sie schon hier ihre Auffassung vom Priester: Er soll Opfer sein mit Christus: Dass Sie in Ihrer jetzigen Lage schwer zu tragen haben, verstehe ich wohl; ich halte es für das größte Opfer für ein seeleneifriges Priesterherz. Und doch ist es der für Sie bestimmte Weg, um zur vollkommenen Losschälung und Hingabe an Jesus zu gelangen. Zeitweise erlebe ich Ihr inneres Leben mit, Ihre Kämpfe und Schwierigkeiten fühle ich in mir und bitte den lieben Heiland immer, Ihnen, hochwürdiger Vater, Ihr Kreuz tragen helfen zu dürfen. Es wäre mir die größte Freude, wenn Ihnen dadurch geholfen wäre. Jesus will ja, dass wir uns gegenseitig unterstützen, er zeigt mir immer die Einheit des Opfers. Er hat große Absichten mit Ihnen, darum verlangt er auch so große Opfer und die dunkle Nacht und die damit verbundenen äußeren Leiden bleiben niemandem erspart, den er zu seiner besonderen Freundschaft berufen hat. Nachdem ich verschiedene Male Ihre inneren Schwierigkeiten schaute, fiel mir auf, warum Ihnen manche Opfer schwerer ankommen als anderen Seelen in ähnlicher Lage. Es wurde mir angedeutet, es läge in Ihrer geistigen Veranlagung, um Ihnen mehr Gelegenheit zum Leiden zu geben. Sie sollten Priester und Opfer zugleich sein sowie Jesus am Altare … Glauben Sie ja nicht, Ihre jetzige Stellung sei unnütz. Verborgen wie Jesus am Altare soll Ihr Opferleben sein. Die Seelsorge tritt zurück und lässt der Selbstheiligung Platz, gewiss in anderer Weise, als wir glauben, ich habe so vieles dieses betreffend gesehen. Mein hochwürdiger Vater, seien Sie versichert, Ihre Anliegen und Leiden sind die meinen beim Herzen Jesu …“ (l.lo.1928)

4578 |        Sie wird immer mehr in das Leiden und in das Opfer Jesu hineingezogen: „Am Samstag Früh forderte der Heiland folgendes: Er zeigte sich innerlich, wie er in seinem Leben, bei seinem Leiden und jetzt im heiligen Sakramente alle Sünden der Menschen auf sich nahm, wie ihn die ganze Last fast erdrückte, wie er sich seinem göttlichen Vater durch Leiden erbot, die Schuld der Menschen abzutragen. Jesus verlangte dann, ich solle mich ihm in dieser Weise opfern, diese innere Last ·auf mich zu nehmen und mich in diesen Zustand des Opfers einzuleben. Durch eine innere Vereinigung fühlte ich, wie dies erdrückende Gefühl in mich teilweise überging. Doch ich ließ dann die Vernunft mitsprechen. Ich erklärte mich dem Herzen Jesu bereit, ihm ganz Opfer zu sein …“ (21.10.1928)

4579 |        Zwischendurch wieder die Versuchung zur Mutlosigkeit: „Mit Tränen und mit wehem Herzen schreibe ich, ich fühle mich so verlassen und mutlos. Ach, so viele Versuchungen zur Mutlosigkeit; ich wäre froh, wenn alles Täuschung wäre, dann würde doch alles aufhören. Es ist mir leichter, wenn ich durch das Schreiben mein Herz ausschütte, Hochwürden haben ja ein so verstehendes Herz … „ (16.11.1928)

4580 |        Aber das waren nur Wolken, die bald vorüberzogen: „Jesus gab mir die Gnade, die inneren Leiden so fühlen zu können, wie er sie in seinem Herzen empfunden, ich fühlte gleichsam das heiligste Herz Jesu in mir, wie wenn ich mit seinem Herzen fühlte und litt … Am Sonntag gab mir Jesus wieder viele Gnaden bei der heiligen Kommunion, auch die Aussicht, dass ich nach Graz komme und dass er mir dort ein Plätzchen bereitet. Dieses ständige Weggezogensein von zu Hause gehört zu den größten inneren Leiden, das macht mich immer am meisten bedrückt …“ (19.12.1928)

4581 |        Immer mehr wird sie dazu geführt, die Leiden Jesu wie die eigenen zu empfinden: „Jesus sagte mir in lichten Augenblicken, dass er mir die Gnade gebe, die Leiden seines heiligsten Herzens in meinem Herzen mitzufühlen.“ (12.3.1929)

4582 |        „Nach der heiligen Kommunion zeigte mir Jesus, wie er sich mit mir vereinige und wie ich stets mehr sein eigenes Leben und Sein in mir aufnehmen und durch eine geheimnisvolle Umwandlung in ihn übergehen müsse, dass stets sein Leben und Leiden in mir erneuert werde. Ich fühlte dann, wie die Gefühle und Regungen Jesu in mich übergingen und gleichsam die meinen wurden. Er zeigte mir dann, wie ich mich selbst verlieren und ihn meinen Platz einnehmen lassen solle, und wie er das durch alle inneren Prüfungen bewerkstelligen wolle. Dann sagte mir der Heiland, dass er sich in mir dem himmlischen Vater noch einmal aufzuopfern gedenke durch die Erneuerung seiner Leiden … Ich fühlte mich reich entschädigt für alles wochenlange Schwere; ja, es ist wahr, wenn Jesus mich nur innerlich berührt, so lebe ich neu auf, wenn's früher auch noch so finster war.“ (30.3.1929)

 


Aus Briefen an P. Michael Lenz OP

4583 |        Kann man das alles glauben, wovon Maria Sieler behauptet, Jesus habe ihr das „gesagt“? Aber bei diesem „Sagen“ handelt es sich nicht um Worte, die Maria mit ihren leiblichen Ohren gehört hätte, sondern um geistige Erkenntnisse, die sie dann mit eigenen Worten wiedergibt. Nur wo es sich um ganz kurze Sätze handelt, nimmt man im Allgemeinen an, dass den Mystikern nicht nur die geistige Erkenntnis, sondern auch die knappe Formulierung auf außergewöhnliche Weise geschenkt wurde.

4584 |        Die Frage nach der Echtheit ist umso begründeter, wenn es sich nicht nur um mystische Erlebnisse handelt, welche ausschließlich der persönlichen Vervollkommnung dessen diene, dem sie geschenkt werde, sondern um eine „Botschaft“, mit der sich jemand „belehrend, fordernd, warnend, die Zukunft voraussagend an seine Umwelt, letztlich an die Kirche wendet“[6]. Eine solche Botschaft glaubte Maria Sieler den Priestern, und durch sie der ganzen Kirche bringen zu sollen.

4585 |        Der sicherste Beweis für die Echtheit einer Erscheinung oder Botschaft ist das Wunder, z. B. die Entstehung der Quelle in Lourdes und die bald erfolgten Krankenheilungen. An zweiter Stelle kommen Prophezeiungen, allerdings erst dann – was nicht unwichtig ist zu betonen – , wenn sie bereits in Erfüllung gegangen sind und vor ihrer Erfüllung zuverlässig aufgezeichnet wurden.

4586 |        Wenn aber weder Wunder noch Prophezeiungen vorliegen, gibt es noch eine ganze Reihe anderer Kennzeichen, welche für die Echtheit einer Erscheinung, einer Botschaft oder irgendeines mystischen Erlebnisses sprechen: große äußere und innere Leiden; ständige Sorge, sich selbst und andere zu täuschen; demütige Bereitschaft, alles überprüfen zu lassen und sich dem Urteil eines Beichtvaters oder Seelenführers oder anderer erfahrener Berater zu unterwerfen; überhaupt die Angst vor allem Außergewöhnlichen.

4587 |        Gerade diesen Kennzeichen begegnen wir in den Briefen Marias an P. Lenz. Wir erinnern uns, dass ihr Beichtvater, Kaplan Kickenweitz, nach ihrer Rückkehr aus dem Kloster Ende Juni 1926 nichts mehr von ihren „inneren Erlebnissen“ hören wollte.

4588 |        Die innere Unsicherheit war ein großes Kreuz für sie. Sie schreibt: „Was soll ich tun? Soll ich meinen Beichtvater nochmals demütig bitten, dass ich mich ihm seelisch eröffnen darf? Oder soll ich mich ganz der inneren Führung des Herrn hingeben? Ich habe so sehr Furcht, so ganz allein zu sein und vielleicht doch getäuscht zu werden. Jesus gibt mir immerfort so viele Gnaden, doch mit diesen wächst auch meine Ratlosigkeit. Zudem fühle ich mich auch körperlich dadurch geschwächt. Ich nähme ja alle Opfer und Leiden, und mögen sie noch so groß sein, herzlich gerne auf mich, wenn ich nur weiß, dass es gut ist und dass ich doch auf dem rechten Weg bin. Deshalb sehe ich ein, dass ich der Leitung so sehr bedarf. Oder ist es der Wille Gottes, dass ich ganz allein bin und mich ganz dem Herzen Jesu anheimstelle? Ich bitte Sie daher auf den Knien um Antwort. Wohin soll ich mich sonst wenden? Ich habe niemanden, dem ich etwas sagen könnte. Die Geschichte mit meinem Beichtvater ist mir so schwer; früher war er immer so gut zu mir, und jetzt können wir uns nicht verstehen“(Brief vom 17.10.1926).

4589 |        Was Maria von ihrem Beichtvater, Kaplan Kickenweitz, erwartete, war nicht nur ein tröstendes Wort, sondern die Versicherung, dass ihre inneren Erlebnisse echt seien. Und gerade diese Zusicherung glaubte er, ihr nicht geben zu können: „Mein Beichtvater sagt mir immer“, schreibt Maria am 9.1.1927 an P. Lenz, „er hätte keinen Beweis für die Wirklichkeit meines Seelenlebens; er dürfe daher auch nicht die absolute Echtheit annehmen; die Möglichkeit spreche er nicht ab … Ich kann nicht anders als weitervertrauen; manchmal kommen mir wohl schwere Zweifel, aber das Vertrauen darf ich nicht verlieren. Jetzt hat mir mein Beichtvater befohlen, weniger innerlich zu beten und dafür mehr aus dem Gebetbuch; er müsse doch etwas 'bremsen'. Sonst verstehe ich mich jetzt recht gut mit ihm.“

4590 |        Maria hat in diesem Punkt ohne Zweifel zu viel von ihrem Beichtvater erwartet – woher hätte er die absolute Sicherheit über die Echtheit ihrer inneren Erlebnisse nehmen sollen? Nur die Zeit konnte Klarheit bringen. Für Maria aber war diese Ungewissheit über ihr eigenes Seelenleben ein schweres Kreuz, das ihr aber im Augenblick niemand abnehmen konnte, weder Kaplan Kickenweitz noch P. Lenz.

4591 |        Wir haben bereits gesehen, wie der Herr ihr verheißen hat, er werde sie in besonderer Weise an seinen Leiden teilnehmen lassen. Das muss in den ersten Wochen das Jahres 1927 gewesen sein, wie wir aus ihrem Brief vom 22. März 1927 erfahren, in welchem sie u.a. schreibt: „Jesus ließ mich wiederholt auch die äußeren Umstände dieses Mitleidens erkennen. Euer Hochwürden können sich meine Angst und Furcht erklären: Das ist ja etwas Außerordentliches. Ich suchte mir alles auszuschlagen und betete immer, Jesus möge doch diese Dinge von mir wegnehmen. Umsonst.“

4592 |        Der Kaplan hatte ihr geraten, alles nur natürlich aufzufassen. Sie versuchte es ehrlich, aber es gelang nicht, sie kam dadurch „an den Rand der Verzweiflung“. Auch einfach aus dem Gebetbuch zu beten gelang nicht, das schien ihr überhaupt kein Gebet zu sein. Endlich erlaubte ihr der Beichtvater, diesen Anregungen zu glauben und sich Jesus hinzugeben, wenn sie den Opfergeist dazu aufbringe. Maria tat es, und sofort wurde sie ruhiger. Sie solle sich an P. Michael halten, erklärte ihr der Kaplan, aber ER werde NIE beistimmen.

4593 |        Aber bald kann Maria P. Michael berichten, dass ihr Beichtvater endlich nachgegeben habe: „er sagte wiederholt zu mir, er sei fest überzeugt – nicht nur mit Worten, sondern innerlich -, dass alles in mir Gnaden Gottes seien. Er hätte alles zur Genüge beobachtet und könne jetzt nicht mehr widerstehen. Er müsse mir recht geben und werde nie mehr versuchen, mir diese 'Einbildungen', wie er gern alles nannte, auszureden“. (6.6.1927).

4594 |        Und im folgenden Brief kann sie berichten: „Mit meinem Beichtvater verstehe ich mich jetzt ganz gut. Jesus hat ihn mir jetzt ganz neu als Führer und Hilfe gegeben. Er hat mir auch das Geheimnis verraten: Er habe diesen Priester besonders lieb. Habe ich früher auch manches durch ihn zu leiden gehabt, jetzt ist alles gut; im Herzen Jesu haben wir uns gefunden“ (14.7.1927).

4595 |        Obwohl ihr der Beichtvater die Versicherung gegeben hatte, es handle sich bei ihren inneren Erlebnissen um Gnaden Gottes, wurde Maria die Angst sich zu täuschen nicht los. Diese ständige Furcht wird ganz allgemein als ein Kennzeichen echter Mystik gewertet, während die Selbstsicherheit, mit der manche Personen, die an sich sehr fromm sein mögen, Botschaften der Gottesmutter oder auch des Herrn entgegennehmen und verbreiten, ein ziemlich sicheres Zeichen ist, dass es sich um eigene Einbildungen handelt. Diese Angst ist während der mystischen Erlebnisse selbst nicht vorhanden, stellt sich aber sofort ein, sobald diese Erlebnisse vorüber sind. Jetzt sind solche Menschen meist nicht mehr imstande, selber ein Urteil über das Erlebte abzugeben, da die Möglichkeit, dass sich die eigene Fantasie entweder beim mystischen Erleben selbst oder unmittelbar danach eingeschlichen habe, nicht absolut ausgeschlossen werden kann. Die heilige Gemma Galgani beendete die Briefe, in denen sie ihrem Seelenführer ihre Visionen und andere Gunsterweise berichtete, häufig mit Sätzen wie folgendem: „Ich habe Ihnen das gesagt, weil es mir Jesus befohlen hat; glauben Sie aber nichts davon; denn es ist ja doch nur mein toller Kopf.“[7] Oft wäre den echten Mystikern nichts lieber, als wenn man ihnen sagte, dass alles Täuschung sei. Dann, so hoffen sie, würden sie endlich zur Ruhe kommen.

4596 |        Diese Angst kommt in den Briefen Marias an P. Michael Lenz wiederholt zum Ausdruck: „Ich überlasse alles, was ich geschrieben habe, Ihrem Urteil und werde mich sofort bemühen, es mir auszuschlagen, wenn Sie es nicht für gut finden …“ (22.3.1927). – „Hochwürdiger Pater, soll und darf ich all diesen Dingen ganz trauen? Ach, es gibt bei alledem noch Stunden des Zweifels und banger Furcht … Mein tägliches Gebet ist, dass mich Gott vor Täuschungen bewahre. Ich bitte Hochwürden, darf ich ruhig sein?“ (11.12.1927) – „Aus der tiefsten Trostlosigkeit meines Herzens schreibe ich diese Zeilen. Ich weiß mir gar nicht mehr zu helfen. Ich glaube, es ist doch alles Täuschung; ich kann der inneren Führung nicht mehr glauben. Vielleicht steckt doch der Teufel dahinter oder kommt es von meiner eigenen Fantasie.“ (17.7.1928). – „… Ich wollte nie einen Priester betrügen und ich will jetzt doppelt vorsichtig sein. Vielleicht bin ich seelisch so unglücklich veranlagt oder durch das Kranksein usw. Das bereitet mir zuzeiten schwere Leiden. Doch wie immer es sei, es ist doch ein von Gott auferlegtes Kreuz, und einmal wird auch mein Kreuzweg vorüber sein“ (31.8.1928).

4597 |        Wir glauben Maria gern, wenn sie versichert: „Ich habe immer aufrichtigen Willen gehabt. Besser habe ich es nicht verstanden (17.7.1928).“ Und: „Dies und alles habe ich gesagt, so gut ich es verstanden habe, indem ich gewiss immer hinzufügte: Es kommt mir so vor, ich weiß nicht, ob es wahr ist“ (31.8.1928).

4598 |        Diese Angst, sich zu täuschen war für Maria ein ständiges Kreuz, ist aber zugleich ein ziemlich sicheres Zeichen für die Echtheit ihrer inneren Erlebnisse.

4599 |        Aus ihren Briefen an P. Michael erfahren wir auch, wie der Herr sie immer mehr in sein Leiden hineinzog: „Der Herr hat mir wiederholt zu verstehen gegeben, diese Leiden seien ein ständiges Mit-leiden mit ihm … er habe mich als Opfer auserwählt; er wolle nochmals seine Leiden in mir erneuern; ich müsse ihm meine Seele und meinen Leib dazu leihen … er habe mich zur 'Miterlöserin' erwählt und stelle mich beständig seinem Vater in Vereinigung mit ihm als stellvertretendes Opfer vor“ (3.10.1926).

4600 |        „Miterlöserin“ ist hier so zu verstehen, wie es die Kirche versteht: Wir können und sollen unsere Leiden mit den Leiden Christi vereinigen, und in Vereinigung mit ihm können wir für unsere eigenen und für die Sünden anderer mit-sühnen.

4601 |        Ähnlich im folgenden Brief:. „Jesus hat mich eingeladen, 'seine Gefährtin zu sein über den Ölberg nach Kalvaria', und er versprach mir dazu die Kraft und Stärke seines heiligsten Herzens. Er lässt mich sehen die Liebe, aber auch die Leiden seines Herzens, alles, was er in seinem Erdenleben gelitten hat, seine inneren Qualen und Bitterkeiten, aber auch den brennenden Durst, alle Seelen zu retten, und wie er sich danach sehne, dass sein Leiden in seinen erwählten Seelen fortgesetzt werde, um Gnade und Barmherzigkeit von seinem Vater zu erlangen.“ (9.1.1927).

4602 |        Einerseits hat sie Angst vor den kommenden Leiden, andererseits freut sie sich: „Meine ganze Natur schauderte zusammen, aber die alles überwindende Liebe gab mir Kraft in diesem Kampfe zwischen Natur und Gnade. Und es jubelt meine Seele auf bei dem Gedanken, Jesu Leiden in mir erneuern zu dürfen, und ich kann vor Sehnsucht kaum die Stunde erwarten, wo ich mit Jesus vom Ölberg nach Kalvaria gehen darf.“ (14.7.1927).

4603 |        Was der Herr von ihr erwartete, war, dass sie ihm als leidensfähige Menschheit diene: „Jesus wolle mich also so in Anspruch nehmen, als wäre ich sein Leib und seine Seele.“ (11.12.1927)

4604 |        Während sie selber litt, erhielt sie gleichzeitig Einblick in die inneren Leiden des Herrn und was sie so schwer machte: das zarte Empfinden seines Gemütes: „Ich hatte in den letzten Wochen unaussprechliche Erkenntnisse über die heilige Menschheit Jesu, über seine Leidensfähigkeit und seinen Leidenswillen. Ich erlebte in mir teilweise die menschlichen Gefühle Jesu den Sünden der Menschen gegenüber sowie das unendlich zarte Empfinden seines Gemütes und seines heiligsten Herzens und somit seine allerhöchste Leidensfähigkeit.“ (10.3.1930)

4605 |                

4606 |        

 

 

 

 

 

 

Gutachten über Maria Sieler

 

 

Beinhaltet eine schriftliche Übersicht von Maria Sielers Leben, einige Briefe und Textabschnitte aus dem Tagebuch betreffend des Priesterwerkes.

 

 

 

Teil I

4607 |        Im Januar 1909 beichtete ich zum ersten Mal.

4608 |        Am 18. April 1909 empfing ich die erste hl. Kommunion,

4609 |        Gefirmt wurde ich am 1. Juni 1909.

4610 |        Als ich anfing zur hl. Kommunion zu gehen, bat ich die Schulschwestern, dass ich von da an jeden zweiten Sonntag gehen dürfe, denn ich hatte ein so großes Verlangen nach der hl. Kommunion. Die Schwester meinte, ich könne es nicht allein. Obwohl ich sehr schüchtern war, hatte ich hierin doch großen Mut und ging um 5 Uhr früh in der finsteren Nacht, eine gute halbe Stunde zur Kirche und kommunizierte vor der Frühmesse. Meine Freude und mein Glück bei der Vereinigung mit dem Heiland in der hl. Kommunion war unbeschreiblich, und unaussprechlich groß war meine Sehnsucht und Freude auf diesen Sonntag. Im Alter von 14 Jahren, als ich nicht mehr zur Schule gehen brauchte, hatte ich das große Verlangen: Ich muss jetzt jeden Sonntag zur hl. Kommunion gehen, ich fragte den Kaplan Leopold Barta um die Erlaubnis und der erlaubte es mir gern: „Ja, freilich kannst du gehen und es freut mich, dass du so brav bist“ (er nannte mich immer das brave Mietzerl). Ich war über diese sonntägliche Kommunion so glücklich, dass es mir schien, der Himmel wäre über mich gekommen. Doch nun war mir der Sonntag nicht mehr genug: Ich wollte jeden Tag zur hl. Kommunion gehen. Und so begann ich im Advent (wo man ohnehin zur hl. Messe ging) am Montag und Dienstag auch die hl. Kommunion zu empfangen. An den folgenden Tagen hielt ich mich nicht mehr für würdig. Schließlich bin ich aber doch vor lauter Ver­langen jeden Tag zur hl. Kommunion gegangen. Unsagbar groß war jeden Abend die Freude auf den nächsten Tag, und vor Freude auf die hl. Kommunion konnte ich nicht einschlafen. Im Winter kommunizierte ich dann jeden Tag (und fütterte vorher die Kühe); im Sommer so oft ich Gelegenheit hatte, nach St. Ruprecht zu kommen. Kaplan Barta, der viel für die
Herz–Jesu–Verehrung tat, musste dann weg, und es wurde der neue Kaplan, Mrakowa, mein ständiger Beichtvater; er war nicht sehr freundlich, aber ein guter Priester.

4611 |        Mit 16 und 17 Jahren hatte ich so viele Tröstungen, dass ich stundenlang im Gebet kniete. Ich schaute die Geheimnisse des Rosenkranzes und war ganz mit den Geheimnissen vereinigt. Als die Schwester des Vaters starb (1912), be­kam ich ein eigenes Stübchen; so war ich allein und konnte abends ungestört beten. Ich hatte mir ein schönes Altärchen gemacht und ich war wie im Paradies. Ich bekam ein großes Verlangen nach Vollkommenheit und hatte nur noch die eine Sehnsucht, ins Kloster zu gehen und eine Braut des Heilandes zu werden und mich ihm ganz hinzugeben, ihn hatte ich als wirkliche Existenz und als be­wussten Gegenstand gefunden. Abkehr von den irdischen Dingen und Einkehr zu ihm. Das war mein Alles!

4612 |        Ich sagte es der Mutter, und diese war bereit mich nach dem Kriege gehen zu lassen. Mit 16 Jahren schon schrieb ich an die Herz–Jesu–Damen, aber diese erklärten, ich müsste wenigstens 20 Jahre alt sein, um ins Kloster aufgenommen zu werden. Meine Sehnsucht aber, nur dem Heiland anzugehören und mit ihm vereinigt zu sein, wurde immer größer. Dabei war ich aber nach außen lustig und heiter und die Buben hatten mich gern.

4613 |        Im Jahre 1917, vor dem Fest Maria Himmelfahrt, machte ich meine ersten Exerzitien in Graz, im Herz–Jesu–Kloster, wohnte aber bei meinem Onkel. Bei diesen Exerzitien hatte ich unglaublich viel Licht über meine Anlagen und Sünden und war so verbunden mit dem Heiland, dass ich nicht mehr wusste, wo ich war. Es lässt sich nicht in Worten ausdrücken. Die Schlussmesse mit hl. Kommunion war im Garten. Ich spürte eine solche Vereinigung mit dem Heiland und ein solches Glück ihm anzugehören, dass ich nichts mehr sah und hörte. Als ich wieder zu mir kam und „erwachte“, sah ich, dass alle fort waren und ich allein dort kniete, worüber ich mich sehr schämte. Ich weinte, dass ich aus dem Kloster wieder fortgehen musste, und konnte mich schier nicht trennen. Ich ging in die Kapelle und blieb wieder knien, bis die Schwester sagte, sie müssten die Ka­pelle aufräumen. Weinend sagte ich dem Heiland, dass ich nur ihn allein liebe, dass ich nur mit ihm vereinigt sein will und dass ich sonst nichts mehr will und habe. Ich ging dann noch in die „Stiegenkirche“ der Jesuiten, kniete wieder vor dem Herz–Jesu–Altar und opferte mich ihm für immer auf. Ich kniete dort bis Mittag und legte dann, zum Zeichen meiner Aufopferung, die Astern auf den Altar, die mir die Schwester im Herz–Jesu–Kloster gegeben hatte. Dieses Glück der Vereinigung mit dem Heiland hat mich wochenlang begleitet; auch zu Hause bei der Arbeit, auf der Wiese war ich noch in dem großen Glück und gelöst von allem. Ich musste aber alle schwere Arbeit machen, weil mein einziger Bruder (Hansl) im Jahre 1916 hatte einrücken müssen. – Dem Exerzitienmeister, Jesuitenpater Dornhofer, hatte ich gesagt, dass ich Missionsschwester werden wolle, und er wies mich auf die Steyler–Missionsschwestern hin. So fuhr ich dorthin nach Wien. Meine Mutter gab mir 25 Gulden mit auf die Reise (was aber meine Schwestern nicht wissen durften). Um 6 Uhr früh fuhr ich von Graz weg, es war eine beschwerliche Reise, sehr viele Soldaten auf der Bahn, einer von ihnen machte mir dann doch Platz zum Sitzen; und dazu war es sehr kalt. Ich stieg am Südbahnhof in Wien aus und fragte mich durch nach der Alzingerstrasse 6, wo ich übernachtete. Das Abendessen war der hungrigen Kriegszeit entsprechend. Mit zwei Schwestern fuhr ich dann hinaus in das Kloster Stockerau, wo ich eine ganze Woche blieb. Den Pater Giehr sah ich oftmals in der Kapelle. Ich bekam die Aufnahme ins Kloster für den 24. Oktober. Die Reise nach Wien hatte ich angetreten am 17.II.1918. Auf der Rückreise suchte und fand ich schließlich allein den Westbahnhof und fuhr wieder zurück nach Graz. Das Verlangen nach dem Kloster hatte mir einen für meine Schüchternheit fast unglaublichen Mut gegeben.

4614 |        Zu Hause warteten wieder die schweren Arbeiten auf mich, die an sich Sache der Männer gewesen wären. Ich war an sich kräftig und arbeitsam und konnte gut mähen, sodass mich auch kein Mann „versetzen“ konnte. In den Sommermonaten 1918 tat ich mich aber schon sehr schwer, und man sagte mir oft, dass ich schlecht ausschaue. Und doch musste ich alle Garben und alles Heu auf den Wagen und dann in die Scheune auf- und abladen. Im August und September hatten meine Mutter und Schwestern die Grippe. Im Traume sah ich meinen Bruder in einem Wald gefallen und hatte oft den Eindruck, er kommt wirklich nicht wieder. Ich aber betete und wollte es gleichsam erzwingen: Er muss kommen, denn am 24. Okt. will ich ins Kloster gehen; und wenn er nicht käme, könnte ich nicht gehen. Abends betete ich noch in dieser Meinung einen Rosenkranz, und doch war ich so müde, dass ich dabei am Stuhl kniend, einschlief. Im August machte ich wieder Exerzitien in Graz, die Jesuitenpater Werner gab. Übernachten konnte ich wieder bei meinem Onkel. Beim 1. Vortrag sagte P. Werner, dass die Exerzitien vielleicht für manche eine Entscheidung für das ganze Leben brin­gen würden. Und ich fühlte mich sehr von diesem Wort betroffen. Tatsächlich sagte mir am folgenden Tag die Tante, es sei ein Brief für mich angekommen. Darin wurde mir mitgeteilt, dass mein Bruder am 6. August in Südtirol gefallen sei, am nächsten Tag werde der Totengottesdienst abgehalten, ich solle nach Hause kommen. Abends ging ich noch beichten und fuhr dann heim. Nachher schrieb ich dann dem Pater Werner nach Rom und er antwortete mir sofort. Im Jahre 1919 machte ich nochmals Exerzitien bei P. Werner.

4615 |        Besonders nach der hl. Kommunion hatte ich immer noch eine unbeschreibliche Vereinigung mit dem Heiland. Die Sonntage waren Gnadenzeiten. Während des Hochamtes kniete ich am Kommuniongitter in unaussprechlicher Vereinigung. Alle Worte vermögen die Wirklichkeit nicht auszudrücken und sind trocken und kalt im Vergleich zum Erfahrenen. Es war mir sicher: Niemand kann den Heiland so lieben, wie ich ihn liebe, und es liebt ihn auch niemand so, denn es kann ihn niemand mehr lieben, wie ich ihn liebe. Und in diesem Zustand war ich auch seiner Liebe unbedingt sicher, war ich ganz sicher, von ihm geliebt zu werden. Lieben und geliebt werden von ihm, das war mir alles. Die Liebe (seine Liebe und die meine) war sozusagen zusammengeflossen in eins. – Ich konnte auch betrachten; z. B. stundenlang über jedes Wort des Gebetes „Herr ich bin nicht würdig“, oder über den „Wein, der jungfräuliche Seelen sprossen lässt“. Die Geschichte jener Jahre war eine „Liebesgeschichte“ mit dem Heiland. Und ich hatte den festen Entschluss und den glühenden Eifer: Ich muss heilig werden; und wann niemand es würde, müsste ich heilig werden. Immer und immer wieder wurde mir als Ziel vorgestellt, zur höchsten Vollkommenheit zu kommen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich bei einer Volksmission den Dominikanerpater fragte, wie ich zur Vollkommenheit gelangen könne. – Der Heiland belehrte mich auch in verschiedener Weise, wie ich z. B. beichten und dabei alle Vorsätze in sein Herz hineinlegen sollte. ihm alles übergeben und überlassen und von ihm die Gnade erwarten, besser zu werden.

4616 |        Um das Jahr 1917 herum las ich das Leben der hl. Theresia vom Kinde Jesu und fand darin gar nichts „Besonderes“; ich meinte, mit gleichem Großmut genauso alle Opfer zu bringen. Infolge der jahrelangen, schweren Arbeit fühlte ich mich aber immer schwächer, und an einem Samstag vor Weihnachten 1918 schüttelte es mich abends vor Frost und Fieber. In der Nacht fror ich dann so und hatte solche Schmerzen am ganzen Körper, dass ich nicht glaubte, sie überstehen zu können. Ich sagte aber meiner Mutter nichts, sondern erst am anderen Morgen. Nachmittags um 3 Uhr kam der Doktor und stellte eine rechtsseitige Lungenentzündung fest, die am Mittwoch darauf schon beiderseitig war. Ich durfte und konnte mich nicht rühren. Am Sonntag zwischen Weihnachten und Neujahr kam Kaplan Mrakowz, um mich zu versehen. Vor Elend und Schwäche verlor ich zuweilen das Bewusstsein. Ich betete zum Heiland: „Lieber Heiland lasse mich noch nicht sterben“, denn ich wollte und will doch Großes für dich tun und ich habe noch gar nichts für dich getan; jetzt müsste ich mit leeren Händen vor dir erscheinen! – Ich erinnere mich noch, wie ich an dem Abend, als ich versehen wurde, sehr schwach und elend war; am folgenden Morgen aber fühlte ich mich wie gesund. – Schon bevor ich krank wurde, hatte mir der Heiland gesagt, er wolle mich abseits führen und ganz an sich ziehen. Während der Krankheit erinnerte ich mich daran. Acht Wochen musste ich das Bett hüten; dann durfte ich aufstehen, bekam aber wieder Fieber und das ganze Jahr 1919 war ich krank. Mein Gewicht sank von 64 kg auf 51 kg. Der Arzt von Ruprecht sprach von „nervösem Fieber“, der von St. Margarethen stellte große Herzmuskelschwäche fest und verordnete mir Stärkungsmittel und Bestrahlung. Schließlich ging ich zu Dr. Matzold und der erklärte: Die ganze Haltung verrät, dass sie auf der Lunge etwas haben. Er stellte beiderseitigen Lungenspitzenkatarrh fest und behandelte mich bis zum Herbst 1919 mit Arsenikkuren. Im Herbst war ich 10 Tage im Elisabethenhospital, wo man mir Dampfwickel gab. Schließlich kam ein Arzt nach St. Ruprecht. Er erklärte: Es steht nicht gut; die Krankheit geht tief hinunter in den dicken Lungenflügel. Im Frühjahr 1920 sagte er, dass er nicht mehr verantworten könne, mich zu Hause zu lassen, wo ich doch immer arbeiten müsse. Durch seine Bemühung kam ich in die Landesheilstätte Hörgass, 10 km nördlich von Graz. Dort war ich 4 Monate, vom 13. Juni bis zum Oktober 1920. Das Blutspucken hörte dort auf, aber nicht das Fieber. Der Primararzt der Anstalt sagte, ich würde nie mehr ganz gesund werden und schwere Arbeit würde ich nie mehr verrichten können, auch wenn ich mich ausheile, sei doch die Kraft gebrochen und ich würde nicht mehr die Kraft bekommen, ins Kloster zu gehen. – Viel verdanke ich in der Heilanstalt dem Kaplan P. Camillus Seebacher O.S.B, der mich gut verstand. Schon seit 1916/17 wechselte in meinem Innenleben große Trockenheit und Finsternis mit dem klaren und lockenden Erkennen des Zieles, ganz mit dem Heiland vereinigt zu werden; und immer noch meinte ich, ins Kloster gehen zu müssen. P. Camillus sagte mir, er meine schon, dass ich eine Berufung zur Vollkommenheit habe. Das verstand ich zunächst nicht ganz und wunderte mich darüber, denn ich meinte, wenn man so vollkommen mit dem Heiland vereinigt sei, wie er sich mir oftmals erleben ließ, wenn man keine bewussten Fehler begehe und keine Sünden zu beichten habe, so müsse das schon die Vollkommenheit sein. – Auch in der Zeit meines Krankseins habe ich niemals die sonntägliche hl. Beichte und Kommunion ausgelassen, auch wenn ich mich kaum in die Kirche schleppen konnte; und ich ging immer nüchtern in die Kirche. Die Mutter war in meiner Krankheit gut zu mir. Meine Schwestern ärgerten sich, weil ich nicht arbeiten konnte. Auch einige Leute sagten, ich bilde mir vielleicht die Krankheit ein. – Im Jahre 1919 machte ich nochmals Exerzitien bei P. Werner. In der Heilanstalt hatte ich die große Freude und den Vorteil, dass ich täglich die hl. Kommunion empfangen durfte; die Schwester ließ mich immer zur hl. Kommunion aufstehen, wenn auch nicht zur hl. Messe. Am Anfang litt ich sehr, unter den schlechten reden der Frauen im Saale. Durch Vermittlung des H.H. Kaplan kam ich dann in ein anderes Zimmer. Frau Rück und Frl. Kofler (diese erst 24 Jahre alt) schenkten mir ihr Vertrauen und erzählten mir ihr ganzes Leben. Schließlich war ich sehr gern in der Heilanstalt, schon wegen der schönen Kapelle. Auch mit der Ingenbohler Kreuzschwester und eini­gen Dienstmädchen verstand ich mich sehr gut. – Im Herbst 1920 kam ich wieder heim. – In der Heilanstalt hatte ich 2,70 kg zugenommen und hatte nunmehr 53,5kg Gewicht. Ich machte nun die Hausarbeit, denn die Feldarbeit konnte ich nicht mehr verrichten.

4617 |        Das Jahr 1921 war wohl ein besonderes Vorbereitungsjahr für das Kommende, eine Vorstufe für das Folgende. War bis dahin mein geistiges Leben mehr aktiv, so begann nun noch mehr die Läuterung; es wurde mir mehr bewusst; gewiss tat ich immer, was ich konnte; aber die Erkenntnis Gottes steigerte sich, die Liebenswürdigkeit Jesu ging mir mehr ins Bewusstsein ein. Ich kannte den Hei­land mehr und lebte ein Liebesleben in bräutlicher Hingabe. – Ich hatte eine außerordentliche Sucht, mich geistig zu reinigen. Ich sah immer, wie in einem geistigen Lichte meine Fehler; vor allem eine große Empfindlichkeit, die dann mit anderen nichts mehr zu tun haben wollte, dann auch Verzagtheit und Mutlosigkeit in der Trockenheit – doch habe ich niemals eine praktische religiöse Übung (hl. Kommunion oder Gebet) ausgelassen. Dazu die Neigungen, die mit dem vollbewussten Person–Werden verbunden sind: Ich war sehr selbstständig im Urteil und wollte mir nichts sagen lassen. Tatsächlich lag darin wohl auch eine gewisse Vorbereitung für die Zukunft, wo ich doch einen ganz anderen Weg als den gewöhnlichen gehen musste und eine gewisse Unabhängigkeit brauchte. So hatte ich einen besonderen Selbstständigkeitsdrang und dazu auch ein über das gewöhnliche hinausgehende Maß von praktischem Sinn und Klugheit. – Ich seufzte aber und litt darunter, dass ich nicht immer das tun konnte, was ich innerlich als Ziel erkannte, dass ich nicht die Sanftmut Jesu hatte, sondern zuweilen etwas Schnippisches und Abweisendes; ich litt auch darunter, dass ich in der Läuterung und Trockenheit „nicht beten“ konnte. – Dabei war ich aber heiter und lustig und hatte Sympathie zu den Burschen, und diese zu mir. Doch wollte ich nie jemanden gefallen und hatte auch immer den Zug, alle Eitel­keiten abzulegen, weshalb ich mich auch immer schwarz kleidete.

4618 |        Im Jahre 1921 kam Dr. Fauster als Kaplan nach St. Ruprecht. Während ich in der Heilanstalt war, hatten wir den Kaplan Leitinger gehabt. Zu den Exerzitien konnte ich im Jahre 1921 wegen Krankheit (einer trockenen Rippfellentzündung) nicht gehen, weder bei den Herz–Jesu–Damen noch bei den Barmherzigen Schwestern. An Allerheiligen 1921 gab mir aber Gott in ganz großen Gnaden gleichsam einen Ersatz für die Exerzitien, während ich vorher krank und in großer Trockenheit war, wurde es an Allerheiligen ganz licht in mir und wurde mir eine besondere Aufgabe gezeigt und bewusst gemacht (ich konnte damals schon „erfassen“, was man geistig berührt, während früher die Erkenntnisse gleichsam „weiter weg“ waren). Ich erkannte klar meine besondere Aufgabe: ihn ganz zu leben, ganz in IHM aufzugehen. Dabei hatte ich eine große Erkenntnis von der Heiligkeit Gottes und wusste: Ich solle ihn so lieben, wie ich ihn jetzt fühlbar in unbeschreibli­cher Heiligkeit und Vollkommenheit vor mir hatte. – Ich erfasste die Liebe, die er zu mir hatte, und ich wusste, ich muss ihn mit solcher Liebe lieben, wie er mich liebt und ich muss mich ihm so überlassen, dass er meine Stelle einnimmt oder, anders gesagt, dass ich gleichsam seine Stelle einnehme. Ich lasse mich ganz in ihm zurück und er nimmt mich in sich auf, sodass ich mich nur in ihm wiederfinde oder vielmehr ihn in mir finde. Und ich lebe mein Leben in und mit ihm, lebe sein heiliges, vollkommenes Leben. – Zugleich hatte ich eine hohe Erkenntnis über die Heiligkeit Jesu und über meine Fehler, d. h. über das, was ich noch aufgeben müsse. Darum bettelte ich immer wieder: Du musst dich mir schenken, ich kann es ja nicht. Nur wenn du dich mir schenkst, kann ich dich mit deiner Liebe lieben; nur dann habe ich Ruhe! Ich lasse mich in ihm zurück und berühre mich nicht mehr, weil ich zu verabscheuungswürdig bin. Du aber musst mir dein Leben geben, dass ich dir wohlgefällig sein kann!

4619 |        Es war aber auch für mich persönlich wie ein ganz neuer Anfang. Und das Jahr 1922 begann ich mit dem Entschluss: In diesem Jahr lebe ich nicht mehr mir, sondern nur mehr ein Leben mit ihm und in ihm. Es soll ein ganz vollkommenes Jahr sein. – Ich betete und betrachtete noch mehr und übte die innere Vereinigung mit ihm. Die schönsten Stunden waren abends, die Stunden der Vereinigung mit ihm. Da konnte ich mich ihm ganz hingeben, ihn recht lieb haben und ihn mit seiner Liebe lieben. Der Heiland war mir nahe. Ich war damals immer mit ihm in bewusster Unterhaltung und Liebesvereinigung und konnte mit ihm allerhand besprechen und reden.

4620 |        Im Jahre 1921 begann dieses bewusste Innenleben, wobei der Heiland mir eine persönliche Vollkommenheitsaufgabe gestellt und sich mir als Vorbild gezeigt hatte. Im Jahre 1922 stand innerlich die Forderung vor mir: Ich muss mich ihm ganz opfern. Der Heiland wollte, dass ich ihm das Opfer meines Lebens anbiete. Ich sollte aber dazu einen Priester um Erlaubnis fragen. Doch bei meinem gewöhnlichen Beichtvater war mir das ganz unmöglich. Auch wenn ich sonst kleine Fehler beichtete (dass ich mich z. B. mit mir selbst beschäftigt habe), erwiderte er mir ungnädig, das sei keine Sünde usw. Und wenn ich das anders andeutend meinte, ich müsse etwas Großes für den Heiland tun, erwiderte er: Ich brauche nichts anderes tun, als recht sein. Und das war auch mir das Liebste, weshalb ich mich mit der Antwort gern zufriedengab. Der Heiland aber bestand immer wieder darauf, dass ich ihm das Opfer des Lebens anbieten solle. So machte ich im Jahre 1922, vor dem Fest Maria Himmelfahrt, wieder Exerzitien, in der Hoffnung, dass ich es dem Exerzitienmeister sagen könne. Die Exerzitien gab Jesuitenpater Kalberer. Von Anfang der Exerzitien an fürchtete und zitterte ich im Gedanken an das, was ich sagen sollte. Schon seit dem Frühjahr 1922 hatte ich ja immer wieder die Forderung gespürt: ihm das Opfer meines Lebens anzubieten! Und ich hatte dabei verstanden: Er braucht es für irgendeinen Zweck, und er lebt dann mein Leben. Ich muss ihm mein Leben zur Verfügung stellen, weil er nicht mehr eine menschliche Natur annehmen kann (wie er es einmal, und nur einmal getan hat). Er will mein Leben zu einem bestimmten Zweck benützen und er will dazu mein Leben haben. Die Hingabe (so ließ er mich wissen) muss jedoch so vollkommen und absolut sein, wie wenn ich in diesem Augenblick sterben würde. So wurde ich monatelang geübt, ob ich den Heroismus aufbringe, dass ich ihm mein Leben so ganz zur Verfügung stelle. Ich habe genau Bescheid gewusst, weil er es mich oft im Vorausschauen erleben ließ. Ich lebte Voraus, wie ich ganz sein Leben lebe, sein Eigen geworden bin und sein Leben wurde, mit dem er sich nochmals zum Opfer bringt. Es wurde erlebend eine unaussprechlich intime Vereinigung vorausgezeigt, und es wurde mir erklärt: Das ist tatsächlich möglich, und dann bist du wirklich vollkommen; dann hast du alle bösen Neigungen überwunden und bist wirklich in jener Vollkommenheit, die du mit so viel Schmerzen herbeisehnst. So erlebte ich im Voraus das Ziel in einer vorweggenommenen und damit geübten Hingabe, und dieses Vorausleben hat mich unglaublich gelockt und getrieben. Die Liebe zum Heiland wurde durch dieses Vorausleben so in mir gesteigert, dass ich mich mit Jubel und Freuden zu allem bereit erklärte. Die Lockungen waren so groß und sicher, dass ich mich ganz hingegeben habe, und ich habe dann auch im Voraus die Vereinigung erlebt, die auf diese Hingabe folgen werde. Und ich sagte dann dem Heiland immer wieder, dass ich es gerne mache. Doch dann kam wieder die Trockenheit und kam wieder die Furcht und die Scheu und meine Verzagtheit. – So wollte ich auch in den Exerzitien des Jahres 1922 schon am Samstag, den 13. August, beichten und fragen, ob es nicht Täuschung sei, zum Teil, weil ich nicht wusste, wie ich mich ausdrücken solle, aber ich schob die Beichte wieder auf z.T. aus Angst und Bangigkeit. Vielleicht, so sagte ich mir, bilde ich es mir nur ein. – Doch am Sonntag, den 14. August nach der hl. Kommunion hatte ich auf einmal eine solche Gegenwart des Heilandes in mir, dass es keinen Zweifel daran gab, und er sagte mir ganz klar und entschieden: Wann wirst du dich Mir zum Opfer bringen? Wie lange zögerst du noch? Und im gleichen Augenblick war ich innerlich umgestellt und habe ihm sofort versprochen, ich tue es ja so gern: Ich liebe dich doch über alles. Ich fürchte nur, dass es eine Täuschung sei. – Und der Heiland hat mir wieder so unbeschreiblich seine Liebe bezeigt. Ich bereitete mich also auf eine Wiederholungsbeichte vor und sagte dann dem Pater ungefähr so: „Ich möchte noch etwas sagen und weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. (Ja, sag es nur!) – Es kommt mir immer vor, ich soll dem Heiland das Opfer meines Lebens anbieten. Wofür? Das weiß ich noch nicht. Es ist aber bestimmt und klar, dass er es Will. Ich bin mir klar, der Heiland redet zu mir und er verlangt das von mir.“ – Der Pater fragte: „Bist du krank?“ – „Ja, ich bin schon länger krank, aber es handelt sich nicht ums Sterben. Gewiss, wenn ich aber sterben würde, macht es mir auch nichts; aber ich werde jetzt nicht sterben. Ich muss mich so aufopfern, als ob ich sterben würde, aber der Heiland braucht mein Leben für irgendetwas. Ich fürchtete immer wieder, dass ich das mir einbilde, aber heute bei der hl. Kommunion war es mir wieder ganz klar. Ich bin mir ganz sicher, dass es der Heiland ist, der will: Ich solle ihm das Opfer meines Lebens anbieten.“

4621 |        Zuerst meinte der Pater: „Das kann ich fast nicht erlauben.“ Dann fragte er mich, wie oft ich zu den Sakramenten gehe und Verschiedenes. – Hierauf sagte er lange nichts – und auf einmal erklärte er: „Ja, du kannst das schon machen. Auf mein Wort hin. Und du musst es bald machen. Morgen ist Generalkommunion, dann machst du es so, wie du es erkennst.“

4622 |        Und ich war dann innerlich in einem unglaublichen Jubel und Glück. Am Fest Maria Himmelfahrt, nach der hl. Kommunion sagte ich dem lieben Heiland un­gefähr so: „Ich biete dir das Opfer meines Lebens an, so wie du es willst und wie ich es erkenne. Ich will es nie mehr zurücknehmen. Du kannst mein Leben verwenden, wie du willst.“ Und ich war unglaublich fühlbar mit ihm vereinigt, so eins mit ihm, wie ich es vorher niemals war. Es war wieder eine höhere Art der Vereinigung. Mit diesem Jubel im Herzen fuhr ich heim und war noch einige Tage wie außer mir und in diesem sicheren geopfert sein. Ich war ganz sicher, dass ich mich nicht getäuscht habe und dass er es verlangt habe und dass wirklich er es war. Ich war glücklich darüber und es war ein großer Frieden in meiner Seele. Ich war wie ein ruhiges Meer voll Frieden.

4623 |        Doch nicht lange ließ mich der Heiland in diesem „Meer des Friedens“. Als Bild meines Innenlebens war mir immer wieder gezeigt worden ein volles „ihm zur Verfügung gestellt sein“. Die nächste Stufe, oder das neue Ziel, das er mir nunmehr im inneren Erleben seiner Absichten zu erkennen gab, war dies: Dass ich das Gelübde ewiger Jungfräulichkeit ablege und damit für immer ihm angehöre. Das wollte ich zwar schon von Jugend an, aber der Heiland wollte es auch durch ein Gelübde besiegelt haben und mein Leben damit in eine feste Ordnung bringen. Am 8. Dezember 1922 legte ich also das Gelübde ewiger Jungfräulichkeit ab. Dies war ein neuer Gipfel in der Hingabe an Gott und löste in mir eine große Freude aus. Es war die Erfüllung eines lebenslangen Wunsches und persönlichen Bedürfnisses meinerseits, und es war die Erfüllung seines Wunsches. Damit wurden die bräutliche Liebe und das Brautverhältnis zum Heiland noch mehr erhöht und durch das Gelübde besiegelt.

4624 |        Doch kaum war dieses Glück ausgekostet, wurde wieder ein weiteres, ungleich höheres Ziel gezeigt. Mein ganzes Innenleben führte ja in einem beständigen Aufstieg einem bestimmten Ziele zu und dieses Ziel war, dass sein Opferleben in mir nochmals vollbracht und gelebt werde. In dem fortwährenden Wechsel zwischen Trockenheit und Trost fingen damals die Erkenntnisse und Erleuchtungen über die Menschwerdung Christi, über sein Erlöserleben und sein eucharistisches Weiteropfern in der hl. Messe an: Er will sein beständiges Geopfertsein in meiner Seele weiterführen. Wie er einst die menschliche Natur angenommen hat, um die Erlösungstat zu vollbringen, so will er jetzt meine Seele dazu verwenden, dass sie in ihm oder vielmehr, dass er mit und in ihr dieses Opfer fortsetze. Ich hatte damals besonders viele Erkenntnisse über den Opfercharakter und den Opfersinn der hl. Messe: wie er dabei jedes Mal seinem himmlischen Vater und der göttlichen Gerechtigkeit in der Gestalt der hl. Hostie aufopfert und so die Erlösung gleichsam „fortführt“; denn dieses hl. Opfer ist vor dem himmlischen Vater und der Gerechtigkeit Gottes immer entsühnend wirksam. Es war damals ein ständiges Erkennen darüber in mir, das meinen geistigen Begriffen und meinen Fähigkeiten mit zu opfern, angepasst war.

4625 |        Sehr viel Anregung gab mir damals auch das Leben der Dienerin Gottes Mutter Maria von Jesus (Deluil–Martiny). Ich war angetrieben zu diesem Ideal als „Opferhostie“, ihn in mir leben zu lassen, dem himmlischen Vater so ein Opfer zu sein und damit zur Erneuerung der Kirche beizutragen. Es lässt sich aber in Worten nicht ausdrücken, wie ich in diesen Opfercharakter eingeführt wurde durch ein fortwährendes Erkennen der gottmenschlichen Hinopferung in seinem Erlöserleben und in der hl. Messe. Aufgrund dieses mitgeteilten Erkennens stellte der Heiland die Forderung: Dass ich mich ihm opfere, so wie er sich immer bei dar hl. Messe aufopfert. Weil er sich jetzt nicht mehr leidend mitopfern kann, sondern nur in der Gestalt des eucharistischen Brotes und Opfers, so sucht er eine „lebende Opferhostie“, in der er sich nochmals seinem himmlischen Vater opfern könne. Er zeigte mir auch den Geist, den diese lebendige Opferhostie haben soll: Die Reinheit, Losgeschältheit, Hingabefreudigkeit, wobei der Mensch von sich selbst loskommt und sich nicht mehr sucht. Hand in Hand gingen damit Hinweise und Erkenntnisse, wie der Heiland „alles“, d. h. den Himmel verlassen hat, um wirklich Opfer zu sein. So wurde ich belehrt über den Zustand einer „Opferhostie“, mit der man tun kann, was man will, weil sie sich ganz und gar zur Verfügung gestellt hat. So solle ich mich ihm vornhinein als lebendige Opferhostie anbieten.

4626 |        Der Heiland wollte aber dieses Opfer nicht nur in meiner persönlichen Hingabe, sondern er verlangte auch: Ein Priester solle mich ihm aufopfern, sodass es ein wirklicher, gleichsam besiegelter Akt für immer sei. Doch da kam ich wieder mit meiner Schüchternheit in Widerspruch. Ich kann das doch nicht auch noch einem Priester sagen. Ich will es schon tun, aber mit jemanden darüber zu reden: „Nein!“ Doch der Heiland drängte weiter und ich konnte der Forderung nicht widerstehen. So verhandelte ich gleichsam mit ihm: „Wenn du das willst, musst du mir einen Priester schicken. Dem Beichtvater kann ich das unmöglich sagen.“ Und ich hatte schließlich das Vertrauen, dass er mir jemand schicken werde. – Ich wollte ihn schon lieben und mich ihm aufopfern und treu sein bis zum Letzten, wie kein anderer Mensch, aber alles in mir wehrte sich gegen Außergewöhnliches. Solches wollte ich weder mir selbst eingestehen und noch weniger jemanden sagen; ich hatte ja immer schon Furcht davor, dass etwas kommen könne, was bekannt würde. – So habe ich lange mit dem Heiland gerungen und mich gleichsam mit ihm herumgestritten, auf der einen Seite stand seine Forderung, die ich selbstverständlich als seinen Wunsch erfüllen wollte; aber auf der anderen Seite hatte ich Furcht und wehrte ich mich vor einem außergewöhnlichen Weg und davor, dass ich mich darüber aussprechen müsse. So schwankte ich zwischen festem Vorsatz und schier unüberwindlicher Furcht. Zwischen hinein hatte ich auch immer wieder ein gewisses Vorauserleben des Friedens, den ich dann haben werde, wenn ich auf den Wunsch des Heilandes eingehe. Es war damals, wo er mir z. B. sagte: „Ich will dich zu Meiner Kreuzesbraut machen.“, und wo er mir das Versprechen gab: „Wenn du dich Mir ganz hingibst, will ich dich meine Leiden verstehen lehren.“ Es waren dies wieder unbeschreibliche Gnadenstunden, wo man Christus erfasst und versteht.

4627 |        Ich hatte schon längere Zeit gehofft, dass ich vielleicht gelegentlich des Faschingstriduums in unserer Pfarrei mit einem zur Aushilfe kommenden Priester sprechen könne. Am Faschingssonntag kam dann ein Dominikanerpater aus Graz, und es war in mir schon eine gewisse Spannung und Forderung: Jetzt musst du es tun; jetzt ist die Zeit gekommen! Als dann jener Priester (Pater Michael Lenz O.P.) am Sonntag um 7 Uhr zur hl. Messe ging, sagte mir der Heiland innerlich: Diesem Priester musst du dich eröffnen – (übrigens waren die Faschingstage gewöhnlich Gnadenzeiten für mich; ich blieb dabei über Mittag in St. Ruprecht, um die Anbetung ganz auskosten zu können). In jenem Jahr 1923 wollte ich mich auf eine gute Wiederholungsbeichte vorbereiten. Am Faschingssonntag nach dem Hochamt legte ich dann bei jenem Dominikanerpater (dessen Name ich damals nicht wusste) die Beichte ab. Er fragte mich dann, ob ich noch etwas auf dem Herzen habe. Das war schon ein guter Anfang. So konnte ich erwidern: „Ja schon, aber ich kann es nicht recht sagen. Ist es wohl möglich, dass man so mit dem Heiland vereinigt ist, dass man ihn spürt? Ich bin immer so mit ihm verbunden, und er ist so gut zu mir; ich bin so unglaublich mit ihm vereinigt und er will etwas von mir. Ich kann mich seiner Forderung nicht länger entziehen. Schon seit einigen Monaten will er, dass ich mich ihm so aufopfere, wie er sich in der hl. Messe opfert. Wie er sich mit Fleisch und Blut in der hl. Hostie aufopfert und nochmals der göttlichen Ge­rechtigkeit darbringt, so will er, dass ich mich ihm als Opferhostie hingebe. So wie er in der hl. Hostie lebt, so will er in mir gleichsam lebend werden. Wie die Hostie die äußere Gestalt bewahrt, aber in Wirklichkeit er ist, so will er mich sozusagen als äußere Gestalt gebrauchen, will mich in ihn umwandeln und mich zu einem wirklichen Opfer für seine Absichten machen. Er will aber meine Aufopferung so haben, dass ein Priester mich bei der hl. Messe mit aufopfert mit einem rechtlichen Akt. Und es kommt mir vor, ich solle den Priester bitten, dass er mich so aufopfere“. Der Pater sagte mir: Das wolle er gerne machen. Am folgenden Morgen wolle er diesen Opferakt vollziehen. Die von mir geschilderten Zustände seien schon möglich. Er glaube, dass es der Heiland sei, der diese Forderungen an mich stelle. Ich solle ganz ruhig sein und mich ganz dem Heiland hingeben. Er glaube, es sei nichts zu fürchten bei dem Verhältnis, das ich zum Heiland habe. – Ich beschrieb ihm näher die innere Forderung des Heilandes, dass er ganz in mir zum Leben komme und dass ich verschwinden und ganz für mich aufhören müsse. – Der Pater sagte mir darauf das Wort des hl. Johannes des Täufers, das ich vorher nicht verstanden hatte: „Ich muss abnehmen, er muss wachsen.“ – Auf seine Worte hin, dass dies wohl möglich sei, war eine große Erleichterung und ein großer Jubel in mir. Ich war so glücklich, und der Heiland hat mir (abends beim Gebet) so viel versprochen, wie z. B.: Er werde mir die Geheimnisse seines Herzens mitteilen; und wiederum: Er werde mich zu seiner Kreuzesbraut ma­chen; wo große Liebe ist, da gehe man gleichsam ineinander über, und so werde er mir die Geheimnisse der Erlösung mitteilen. – Es gibt aber kein Wort für die unbeschreibliche Freude und Befriedigung, die ich empfand.

4628 |        Pater Michael hatte mich eingeladen, und ich hatte den Mut, wieder zu ihm zu kommen. Ich erzählte ihm von der Absicht des Heilandes, mir die Geheimnisse der Erlösung mitzuteilen, aber auch von der zeitweisen großen Trockenheit, in der die gehabten Erkenntnisse weiterleben. Der Pater sagte mir, ich könne ruhig diesem Geiste folgen und ich solle wieder von mir hören lassen. So lebte ich in jener Fastenzeit in der von ihm geforderte Hinopferung und in der großen Freude, dass er in mir lebend werde. Immer waren dieser Zug und dieses Verlangen in mir: Endlich einmal ihn leben, endlich einmal er werden!

4629 |        Dann fingen die Erkenntnisse über die Vervollkommnung oder Vollendung meiner Seele an: über das Nachleben seiner Heiligkeit und Vollkommenheit. Ich war in einem unsagbaren Eindruck seiner Nähe; wo immer ich war, da war er bei mir. Ich war wie in seine Nähe gebannt und hatte viele Er­leuchtungen über seine Heiligkeit und über jede einzelne Tugend, wie z. B. über die Geduld als „den beharrlichen Willen, alles für Leib oder Seele Unangenehme zu tragen“. Das Wesen und die Eigenheit jeder Tugend wurden mir erklärt im Lichte der gottmenschlichen Vollkommenheit des Heilandes. Es war ein seliger Umgang mit ihm, wobei er wirklich der Lehrer meiner Seele war. Er gab mir Erkenntnisse, wie ich ihm gefallen könne, und es wurde mir alles an seinem eigenen Beispiel gezeigt: Die Reinheit, die Loslösung von allem, seine Demut, die geduldige Hinnahme aller Schwierigkeiten; und es werde mir bei den einzelnen Handlungen erklärt: Dies ist weniger gut, und dies ist vollkommener; so muss man es machen. Auf diese Weise wurde ich hingeführt zur Unterscheidung des weniger Guten vom Vollkommenen. Es war also eine persönliche Unterweisung durch das Licht und das erlebte Beispiel des Gottmenschen.

4630 |        Es fingen dann auch die vielen und besonderen Erkenntnisse über die Mensch­werdung des Sohnes Gottes an. Sie knüpften an das Wort des Erlösers an: Einen Leib hast du mir bereitet: Sieh, ich komme, um deinen Willen zu tun! – Ich erkannte die göttliche Person des Wortes beim Vater in der hl. Dreifaltigkeit. – Dann schaute ich die Menschheit in ihrem gefallenen Zustand von Gott getrennt. Sie sollte nach dem Plan der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit wieder mit der Liebe Gottes verbunden werden, und die zweite göttliche Person bot sich dem Vater als Bindeglied an. – Dieses wieder verbindende „Mittel“ sollte um des Charakters und der Lage der verworfenen Menschheit willen etwas Göttliches und Menschliches zugleich sein. Gott und die zweite göttliche Person als Gott konnten nicht leiden. Sie wollten also eine menschliche Natur annehmen, um wirklich mit menschlichen Mitteln der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung zu leisten. Der himmlische Vater wollte seinem Sohn einen Leib bereiten, mittels dessen er die Menschen erlösen solle. So wollten es der Vater und der Sohn. – Ich sah dann den menschlichen Leib Christi: Leidensfähig, menschlich fühlend, empfindsam, wie eben ein Mensch ist. Besonders sah ich, wie Leib und Seele Christi der göttlichen Person gegenüber dienstbar und dienst­fähig waren. Ich konnte die Dienstfähigkeit und Dienstbarkeit der menschlichen Natur Christi gegenüber der göttlichen Person erkennen, bzw. die Art und Weise dieser Dienstbarkeit. Ich sah die Bereitschaft der göttlichen Person, diesen Leib anzunehmen, und diesen heiligen, wunderbaren Menschenleib in die Dienstbarkeit der göttlichen Person zu stellen. Es lässt sich nicht in Worten ausdrücken, was ich damals an Erkenntnissen über das Geheimnis der Menschwerdung hatte und wie dieses Erkennen mein Leben begleitete. Mein ganzes Innenleben war in Anspruch genommen durch dieses Erleben der gottmenschlichen Erlösungsbereitschaft und des Erlösungsopfers. Ich erkannte, wie Jesus durch diese „Mittel“ die göttliche Gerechtigkeit wieder versöhnen wollte. Diese Erkenntnisse gingen all die Jahre noch höher und intensiver weiter, obwohl ich damals noch nicht die klaren psychologischen Unterscheidungen der „Person“ usw. hatte. – Dann sah ich innerlich immer wieder, wie der Heiland, der vom Vater ausgeht, diese menschliche Natur wirklich annimmt; wie er kraft seiner menschlichen Natur wirklich Erlöser ist, und wie er im Augenblick der Annahme der menschlichen Natur sich auch seines Erlösercharakters voll bewusst war. Im gleichen Augenblick war er wirklich Mensch mit allem Empfinden und Erleiden, wie ein Mensch empfindet und erleidet; und er wusste um die ganze Tragweite seines Erlöserzustandes. Diesbezüglich wurde mir gleichsam als Motto des Erlöserlebens das Wort immer wieder vor Augen gestellt: „Mein Schmerz ist mir immer vor Augen.“ Schon im Mutterschoß und im Zustand des kleinen Kindes war im Heiland der Erlösungsplan liebend verwirklicht und er hat alle Menschen gleichsam in sich aufge­nommen und sie im ganzen Ausmaß des Erlösungsplanes in sich als Schmerz empfunden.

4631 |        Ich wurde immer wieder hineinversetzt in diesen Schmerz des Erlösers, in den Gegensatz zwischen dem, was ihm zukam als Gott und dem, was er als Mensch empfand und erfuhr. In diesen seinen Schmerz wurde ich hineingezogen und dies wurde auch mit seiner eucharistischen Gegenwart verbunden. Wie er da sein Opfer fortsetzt, ohne aber einen Leib zu haben, in dem er leidet und der für ihn leidet, so kam seine Forderung an mich zum Mitopfern und Mitsühnen mit ihm in meiner leidensfähigen Natur. – Ich schaute, wie seine Erlösung – trotz seiner unendlichen Verdienste – so wenig Frucht trage, und ich schaute, wie er immer Seelen sucht, die Genugtuung leisten, damit er wieder neue Gnaden über die Menschenseelen ausgießen kann, die sich mit ihm opfern und so sein Erlösungsopfer gleichsam vervollständigen.

4632 |        So war das Jahr 1923 ein großes Gnadenjahr. Ich erhielt nicht bloß Belehrungen, sondern hatte auch Zustände des Hineinversetztseins in meine kommende Aufgabe. Dabei wurde mir erklärt und gezeigt: So musst du werden, so musst du sein, und dies ist der Weg, der zu dieser deiner Aufgabe hinführt: die dazu notwendige Demut, Reinheit, Hingabe. Dabei wurde ich belehrt über den ganzen Weg, angefangen von der gewöhnlichen „guten Meinung“ bis zur höchsten Selbstlosigkeit. Das Aufgeben und Auflassen des Eigenen fängt ja an in der gewöhnlichen guten Meinung und soll schließlich dazu führen, dass die Seele sich ganz losmacht von sich, und sich ganz hingibt, ohne noch irgendwie an sich selbst gebunden zu bleiben.

4633 |        In jenem Jahre konnte ich keine Exerzitien machen wie früher vor dem 15. August. Ich hatte aber große Erkenntnisse von der Reinheit und Vollkommenheit Mariens. Sie hat Jesus diesen Leib gegeben; sie war das Werkzeug für diesen Leib Jesu, welcher der Opferleib der göttlichen Person wurde. Dieser ist vom Fleisch und Blut Mariens genommen, die von einer ähnlichen Reinheit war, wie der Erlöser selbst. Ich hatte besondere Erkenntnisse über diese leibliche Reinheit Mariens, die die Befähigung in sich hatte, der göttlich vollkommenen Person Christi den Erlöserleib zu bieten. – Es wurde nun von mir gefordert, immer der Reinheit und Vollkommenheit Mariens nachzustreben, um mich mit ihrer Gesinnung dem Heiland hinzugeben. Ich sollte Maria als besonderes Vorbild für mein Leben betrachten. Es wurde mir versprochen: Wenn ich in einem bestimmten Zustand der Hingabe an Jesus bleibe, so bewahrt er mich vor jeder Sünde, d. h.: Wenn ich in einer Gefahr der Sünde bin, mich aber loslöse von mir selbst und gleichsam hinein fliehe, so bietet Jesus sich mir an wie ein Schild. Es war ein Angebot vom Heiland, wenn ich mich in ihn hineinbegebe, so bewahrt er mich vor jeder Sünde. Dieser Zustand sollte durch praktische Übung zu einem Dauerzustand werden, wodurch die Folgen der Erbsünde überwunden werden. Wenn ich mich von mir loslöse und den Glauben und das Vertrauen auf seine Absichten erneuere, seine Gegenwart und sein Leben im Glauben annehme, dann wird – so versprach er mir – durch seine Gnade das Menschlich–Persönliche in mir unwirksam gemacht. – Schon in meinen Kinderjahren waren immer der Antrieb und die Anregung in mir: Ich muss zurück zu der Reinheit, wie der Mensch einstens war, zurück zu dem (wesentlichen) Zustand, in dem die ersten Menschen vor der Sünde waren. Das war wohl die erste übernatürliche Forderung an mich. Ich hatte auch viele Erkenntnisse über die ersten Menschen und im Zusammenhang damit über Maria. Diese Erkenntnisse waren verbunden mit meiner Aufgabe, in jenen Zustand der Reinheit zurückzukehren und zurückzukommen. Bei der hl. Beichte musste ich mich über jeden kleinsten Fehler und jeden kleinsten Gedanken, der nicht ganz selbstlos war, anklagen. Auch Freude über meine Frömmigkeit oder eine natürliche Freude über das, was mir der Heiland gab, musste ich bereuen. Die innere Läuterung ging dahin: jedem selbstgefälligen Gedanken ganz abzusterben. Jedes Wohlgefallen an mir selbst, auch in religiösen Dingen, musste ich beichten. In jeder Weise, von mir loszukommen, das war die innere Forderung der Gnade und diese Forderung war sehr streng und intensiv bis zur vollen Reinigung der Fantasie von jeder Beschäftigung mit sich selbst. Wenn ich mich dabei ertappte, wurde mir das innerlich schon als Fehler angerechnet.

4634 |        Mein ganzes Innenleben verlief in einer einheitlichen, fortlaufenden und aufsteigenden Linie. Es bewegte sich in einem gewissen Rahmen, aus dem ich nicht herauskonnte, und es war geleitet von einer Führung, der ich mich nicht entziehen konnte. Die „Hingabe“, die dabei von mir gefordert wurde, ging immer tiefer und wurde immer umfassender. Als Hingabe bezeichne ich die Zusammenfassung jener Forderungen und Pflichten, die aus den erhaltenen Gnaden und Erleuchtungen sich für mich ergaben. Die Erkenntnisse, die Gott gewährt, tragen ja auch Folgen und Folgerungen in sich, auf die man verpflichtet wird, und jeder neue Grad der Vereinigung, die Gott der Seele schenkt, verlangt eine entsprechende Gegenhingabe. So hat man zwar immer nur das eine Wort „Hingabe“, aber es bezeichnet bei Weitem nicht immer das Gleiche, wenigstens nicht die gleiche Tiefe und Fülle. Jeder Grad der Aufopferung und Hingabe, die von mir verlangt wurde, war zugleich immer wieder die Hinführung und Vorbereitung zu einer neueren, noch höheren Hingabe, zu einem neuen „Ziel“. Dieses Ziel erlebte ich gewöhnlich in Gnadenstunden irgendwie voraus und musste mich dann in entsprechenden inneren Akten üben, die mir das Erreichen jenes einmal gezeigten Zieles ermöglichen sollten.

4635 |        So wurde ich in der zweiten Hälfte des Jahres 1923 dahin geführt, dem Heiland meine Hingabe als „Schlachtopfer“, anbieten zu können. Was damit durch die innere Führung von mir verlangt wurde, das wurde mir am Vorbild des Heilandes gezeigt und erklärt. Dabei wurde alles früher schon über das innere Geheimnis Christi Erlebte in die Erklärung hineingenommen und verwertet. Ich wurde in Christus hineinversetzt, um mit ihm und wie er nach seinem Vorbild Opfer sein zu wollen und zu können. All diese Hingabe an ihn hatte zum Ziel, ihn und sein Opfer in mir auszuprägen und allmählich eine gewisse Umwandlung in ihn herbeizuführen. Zwischen hinein kamen immer wieder längere Zeiten der Trockenheit und Finsternis; dann wurde mir wieder in lichtvollen Stunden die neue Art der von mir geforderten Hingabe gezeigt, die von mir geübt und verwirklicht werden sollte. Damals, Ende 1923, wurde ich immer wieder darauf hingewiesen, mich dem Heiland als Schlachtopfer zu weihen, und zwar ging die innere Führung dahin, mich ihm durch ein Gelübde dafür aufzuopfern, sodass er über mich verfügen könne, wie über ein Opfer, das nicht mehr zurückgenommen werden darf und dessen Hingabe besiegelt ist. – Ich wurde aber zugleich angeregt, die Erlaubnis eines Priesters dazu einzuholen, um diese Hingabe gleichsam „rechtsgültig“ zu machen. Und da fing meine große Schwierigkeit an. Es schien mir ganz unmöglich, darüber mit jemandem zu sprechen. Ich hätte ja auch Ziel und Zweck dieser Hingabe angeben müssen, und ich erkannte doch, dass der Heiland damit etwas verlangte, was mein ganzes Leben umfassen und beanspruchen würde, etwas Entscheidendes, sehr Wichtiges, was einen vollen Verzicht auf mein weiteres Leben bedeutete. Damit schien aber mein Leben etwas Außergewöhnliches anzunehmen und das wollte ich niemals und wollte es nicht wahrhaben. Ich wollte es mir selbst nicht eingestehen und noch weniger mit jemandem darüber reden, was meinem Leben den Anstrich von Außergewöhnlichem geben könnte. Deshalb schien mir, ich werde es nie über die Lippen bringen, dass der Heiland etwas von mir wolle. Immer war dies mein geistiger Grundsatz, den ich unzählige Male dem Heiland wiederholte. Ich will dich lieben, wie du noch niemals geliebt worden bist, wie dich noch niemand geliebt hat, aber du darfst nichts Außergewöhnliches mit mir machen. Die Furcht vor dem Außergewöhnlichen hätte mich alles verneinen lassen wollen.

4636 |        Und dennoch konnte ich die klare Forderung des Heilandes nicht leugnen und nicht verneinen. Es lässt sich ja nicht in Worten beschreiben, wie man in Gnadenzeiten der Vereinigung mit dem Heiland ganz in ihn hineingezogen ist, wie man ihn erlebt und spürt und ihn als den Urheber des ganzen Innenlebens erfährt. Wenn man so von ihm durchdrungen ist und ihn so erlebt, kann man über­haupt nicht zweifeln, denn dieses Erleben der Gegenwart Jesu ist etwas so Übernatürliches, Umstürzendes, dass es mit keinem anderen Erlebnis, auch nicht mit dem Erhabensten verglichen werden kann. Wenn Christus gegenwärtig ist, dann ist etwas und dann geschieht etwas, dann ist es eine unumstößliche Wirk­lichkeit, dass er da ist und die Seele voll bewegt; und dann – das ist das Große – stürzt sich die Seele gleichsam auf ihn. Er ist da. Das ist dann eine Tatsache, an der 100 ungläubige Theologen nicht rütteln, und die sie nicht erschüttern können. Und diese Gegenwart ist wie das Gericht Gottes. Christus fordert die Seele auf zum Glauben, zur Hingabe. Vielleicht werden viele erst am Ende ihres Lebens, wenn sie vor dem Gericht Gottes stehen, etwas Ähnliches erleben, dass nämlich Gott da ist und seine Forderungen an den Menschen stellt. Eine solche Anforderung durch Gott tritt dem Menschen hienieden entgegen in den wahren, mystischen Erlebnissen. Da will die Seele auch unbedingt zu ihm und will ihm alles geben. Es sind diese wunderbaren Erlebnisse, die mit nichts verglichen werden können und worin zwei zu einem werden, weil beide sich einander erkennen und Auffordern zum Einswerden. Die Anforderung Christi an die Seele ist immer eine Forderung der Ganzhingabe, d. h. aller Hingabe, deren die Seele in jenem Zustand oder Augenblick fähig ist, weil ja die Hingabefähigkeit der Seele immer mehr wachsen kann. Man möchte bei dieser Anforderung der Seele meinen, der Heiland habe keinen anderen Gegenstand der Liebe als diese Seele, mit der er sich vereinigt, oder als ob er nur für diese da wäre und in Ihr sein Genügen finden würde. Als Grund seiner Hingabe gibt der Heiland immer seine unendliche Liebe zur Seele an. Es ist, als hätte er kein anderes Bedürfnis, als seine Liebe zu schenken, sich selbst der Seele mitzuteilen und Ihre Gegenliebe zu fordern. Die Seele ihrerseits hat auch nur ein Verlangen, ihn als das höchste Gut wieder zu lieben. Es ist ein wunderbares Liebesverhältnis. Der Heiland gibt der Seele zu erkennen, dass er sich aus Liebe der Seele schenkt: sein ganzes Wesen ist Liebe, und weil er die Menschen liebt, verschenkt er sich und gibt er sich hin, um die Seele mit ihm zu vereinigen, weil ja in ihm das höchste Glück und das höchste Ziel ist. Dieses gegenseitige Liebesverhältnis kann niemals ausgeschöpft werden. Es ist eine gegenseitige Hingabe, wo die Seele sich erschöpft und Christus sich zu erschöpfen scheint, um der Seele sich mitzuteilen.

4637 |        Christus will aber auch von anderen Seelen geliebt werden, und er braucht Werkzeuge, die ihm dies ermöglichen. Dazu erwählt er sich Seelen, Opferseelen, die für ihn bis zum Letzten und Höchsten gehen, um ihm die Werte anderer Seelen zuzuführen; denn er ist der Herr der ganzen Schöpfung, und das göttliche Erlösungswerk ging nur darauf aus, sich alle Menschen zu unterwerfen und gleichsam dienstbar zu machen. Weil er jetzt nicht mehr leidensfähig ist, sucht er sich leidensfähige Seelen, die gleichsam nochmals leiden, um ihm seine leidende Menschheit zu ersetzen und ihm damit bestimmte Absichten seiner Liebe erreichen zu lassen. Er ließ mich wissen: Er habe mich auserwählt, ihm eine leidensfähige Menschheit zu bieten und ihm Schlachtopfer zu sein in einem Leben, das für ihn in einer bestimmten Weise fruchtbar werde – ohne dass ich aber damals genauer wusste, worauf das ausgehe. Über die große Tragweite der verlangten Hingabe war ich mir aber klar, wenn auch die letzten Absichten, die dahinter standen, noch verschleiert waren.

4638 |        Nun kam aber die große Angst meiner Natur und damit der große Kampf in der Seele. Die Natur hatte Angst vor den Konsequenzen und fürchtete, dass mein Leben anders geformt und auf einem anderen Weg geführt werden könnte, als der gewöhnliche der Menschen ist. Es kamen Tage und Wochen, wo ich meinte, soweit könne und dürfe man sich nicht vorwagen, und doch erlebte ich irgendwie, dass die Dinge einen anderen als den gewöhnlichen Lauf nehmen würden. Und dazu kam die Furcht, ich würde das Geforderte nicht fertigbringen. Diese Entscheidung ließ mich tage– und wochenlang zögern. Die Liebe treibt zwar zum Ja, aber die Natur will nicht. Man will schon, aber man will auch nicht zu weit gehen und man will die eigene Leitung seiner selbst nicht ganz ver­lieren. Es waren Zeiten furchtbarer Seelenschmerzen in diesem Kampfe zwischen Ja und Nein. Dabei konnte ich mich dem, was von mir gefordert worden war, nicht entziehen. Die Forderung des Heilandes stand immer vor mir.

4639 |        Es kamen noch weitere Erkenntnisse über diese vom Heiland verlangte Hingabe und deren Folgen. Ich empfand im Voraus, dass es dann kein zurück mehr geben würde, weil es sich um eine volle Hingabe, um ein unwiderrufliches volles Ja handle. Und wieder kam die Angst vor der großen Entscheidung. Ich spürte, dass der Heiland das Opfer am Feste Maria Empfängnis gemacht wissen wollte. Immer näher kam das Fest heran und ich konnte mich nicht entschließen, mich um die Erlaubnis zu bemühen. Immer wieder hatte ich eine Ausrede: Heute sind zu viele Leute, die beichten wollen. Ich kann den Beichtvater (Dr. Fauster) nicht aufhalten. Auch am Vorabend vor Maria Empfängnis beichtete ich und brachte nicht den Mut auf, um zu fragen. Ich fand den Mut nicht, obwohl ich in unsagbarer Qual und Bedrängnis war. Einerseits hat mich die Hingabe an Christus und seine Vertrautheit sehr gelockt; denn er hat mir immer versprochen, er werde sich mir ganz mitteilen mit all seinen Geheimnissen (wenn ich mich ihm als Schlachtopfer gelobe); andererseits brachte ich es nicht fertig, darüber zu reden. Ich ging also am 7. Dezember 1923 zur hl. Kommunion, und wie ich von der Kommunionbank aufstehen wollte, hatte ich einen ganz ungewöhnlich starken Eindruck der Gegenwart des Heilandes und er sagte mir die scharfen Worte: „Wenn du dich nicht überwinden willst, suche ich mir eine andere Seele. Tausende andere stehen mir zur Verfügung, denen ich meine Gnaden geben kann.“ Diese Worte waren so überwältigend und überzeugend gesprochen, dass kein Zweifel möglich war, ob er es wirklich sei, der so rede! (Freilich, wenn diese Erlebnisse vorbei sind, dann kommen auch wieder die Zweifel: Kann denn das von Gott gewesen sein? Und es plagt einen wieder die Furcht: Vielleicht bilde ich mir das nur ein oder ist es nur ein Wahn von mir). Unter jenem unbeschreiblichen Eindruck stand ich von der Kommunionbank auf und ging sofort zum Beichtstuhl (vorne aus der Kirche hinaus und rückwärts wieder herein). Und, obwohl ich mich sehr schämte und es mir war, als ob ich dabei gesteinigt werde, stotterte ich es doch heraus. Ich müsste noch etwas fragen: Darf ich mich dem Heiland als Schlachtopfer hingeben und dies mit einem Gelübde bekräftigen? Mir kommt immer vor, ich solle es tun, damit ich in besonderer Weise Eigentum des Heilandes werde und er mich ganz als sein Eigentum gebraucht und damit so mein Leben eine bestimmte Richtung bekommt, was man in Worten nicht so sagen kann – (ich schämte mich unsagbar, als ich das sagte; zum Glück war es finster, sodass der Priester – so meinte ich – mein dummes Gesicht nicht sehen konnte). Der Heiland will, dass ich bereit sei, ganz Opfer zu sein und mich für alles zur Verfügung zu stellen, was er wolle, ganz in ihm aufzugehen und ihm ganz als Opfer zu dienen. Das soll und möchte ich mit einem Opfer (Gelübde?) bekräftigen. Ob ich das tun dürfe? Der Priester sagte: Soweit ich sie verstanden habe, ist das der heldenmütige Liebesakt; das können sie schon machen. Ich erwiderte: Es ist nicht gerade so wie der heldenmütige Liebesakt, sondern ich soll mich ganz als Schlachtopfer zur Verfügung stellen. – Er sagte: Das können sie schon machen. – Und ich war unglaublich befriedigt, dass ich das Wort schon herausgebracht hatte, zumal ich das Bewusstsein der großen Entscheidung dieses Gelübdes für mein Innenleben hatte. Groß war daher meine Freude darüber, dass ich dem Heiland noch mehr angehören werde. ihm angehörig sein, ganz von ihm beherrscht werden, von ihm geliebt werden und ihn vollkommen lieben, das waren ja die großen Sehnsüchte, die mein Herz verzehrten. Ich war ja täglich von ihm belehrt worden, dass er das höchste und einzige Gut ist, und ich hatte das persönlich erlebt und wusste mich von ihm verstanden. Niemand weiß um die Stunden der Vereinigung mit dem Heiland abends und nachts in meinem Zimmer. So verbrachte ich auch jenen 7. Dezember in unaussprechlicher Freude und am folgenden Tag – den 8. Dezember 1923 – opferte ich mich dem Heiland auf, „so wie du willst“. Und er war wieder da. Seine erlebte Gegenwart war so sicher, ebenso wie seine Forderung an mich, dass es sich nicht ableugnen ließ. Der Heiland stürzt sich dabei sozusagen auf die Seele, um sie zu „umfassen“ und die Seele geht gleichsam ganz in ihm auf, schenkt sich ihm ganz und weiß sich von ihm umfangen und geliebt. Man kennt nur mehr eines: In höchstem Sinne mit ihm vereinigt und nie von ihm geschieden werden.

4640 |        Als ich meine Aufopferung gemacht hatte, sagte der Heiland mir in Worten: „Und ich schenke dir mein leidendes Herz“. – Es war wieder eine neue Stufe erreicht, auf die ich durch viele Leiden hingeführt worden war. Aber nachdem eine Stufe, ein vorher gezeigtes Ziel, erreicht war, folgte immer wieder eine neue, höhere Aufforderung. Der Heiland ließ immer wieder von Neuem erkennen oder ahnen, dass es noch ein weiteres höheres Ziel gebe.

4641 |        er fordert damit zu Dingen auf, die er früher nicht von der Seele gefordert hat. Und die Seele sagt dann, von der Liebe getrieben: Gern, alles und mein Leben noch dazu! – Und unzählige Male sagte ich ihm: Herr, lass mich nicht scheiden von dir! Nur mit dir vereinigt sein! Ich will ganz in dir sein und ich hasse und verabscheue alles andere und mich selbst. In dir ist die Ruhe, in dir ist die Heiligkeit, in dir ist man „aufgenommen“. Dieses „Aufgenommensein“ und „nicht mehr geschieden werden“ war das Um und Auf meines ganzen Lebens.

4642 |        Im Winter 1923/24 kam wieder die große Finsternis, die wieder zweifeln ließ, ob die großen Vertrautheiten mit dem Heiland nicht doch Täuschung waren. Es kam wieder das große Ringen zwischen den innerlich erkannten Forderungen der Gnade und der Schwäche der Natur. Dabei ist es furchtbar, sich vor eine scheinbar unmögliche Aufgabe gestellt zu sehen und die eigene Niederlage zu erleben. Durch die Gnade wird man mit dem ganzen Wesen angefordert, um jenes geistige Ziel zu verwirklichen, dem die vorhergehende Aufopferung gegolten hat. Die Möglichkeit zu dieser Verwirklichung wird aber vor allem durch passive Leiden und Läuterungen geschaffen. Es tun sich da gleichsam Abgründe im eigenen Innern auf, man wird in die Finsternis hineingeworfen und man meint, es sei unmöglich, das zu leisten und zustande zu bringen, was die Gnade fordert. Die schwache Natur möchte am liebsten alles Vorherige aufgeben und gleichsam davon laufen, um sich der inneren Verantwortung entziehen zu können, die sich damit übernommen hat. Dieser Kampf zwischen dem erkannten Ziel und der eigenen Leistungsfähigkeit ist ein Leiden, das man erfahren haben muss, um es einigermaßen zu verstehen. Dazu kommen dann immer wieder auch die Zweifel, ob man doch auf dem rechten Weg sei, ob man nicht vielleicht einem Irrlicht nachlaufe, ob man auch nicht Illusionen mache und alles von der eigenen Natur komme. Vor lauter Angst, getäuscht zu werden, wagte ich mich nicht mehr so recht an die Hingabe heran, aber das Beten wenigstens wollte ich schon recht machen und wollte möglichst viel beten, innerlich und mit dem Rosenkranz. – In der Fastenzeit 1924 war die innere Qual schier unerträglich, sodass ich schon meinte, alles lassen zu müssen und „davon zu laufen“. Da fuhr der Herr Kaplan Dr. Fauster für drei Wochen um Ostern nach Rom und es vertrat ihn ein gewisser Dr. Hohenwarter aus Salzburg, der in Graz studierte. Ich ging nun bei ihm beichten und machte dabei Andeutungen: „Ich fühle mich zum Heiland so hingezogen; er redet mit mir und ich kann mich dem nicht entziehen. Er will meine Hingabe, will mich ganz mit seinem Sein erfüllen. Nachher kommt dann wieder eine große Finsternis, in der ich meine, es sei alles eine Täuschung. Und dann ist er mir wieder so nahe, dass ich mich ihm nicht entziehen kann; es ist mir dann wieder so klar, dass ich nicht zweifeln kann: Es ist der Heiland, mit dem ich so vertraut verkehren kann, der mir Antwort gibt und mit dem ich mich gleichsam unterhalten kann, viel sicherer als mit einem 'natürlichen' Menschen. Ich habe mich dem Heiland auch als 'Schlachtopfer' hingegeben.“ – Der Priester fragte mich dann, wie das angefangen habe und was ich dazu getan hätte. Ich sagte ihm: Ich wollte schon von Kindheit an ins Kloster gehen, aber es war nicht möglich. Ich habe so eine große Liebe zum Heiland und ich bin mit ihm vereinigt. Ich tue nichts weiter dazu, aber ich kann mich ihm nicht entziehen. Ich habe so ein großes Verlangen. Ich muss ganz vollkommen werden, muss mich aufgeben, damit er ganz in mir lebe. Darum dreht sich alles, was der Heiland mir immer wieder sagt. – Dr. Hohenwarter erklärte dann, es sei schon in Ordnung und ich brauchte keine Angst zu haben. Was ich sage, sei gut möglich. Er habe bestimmte Studien über dieses Gebiet gemacht. Er gab mir dann einige Punkte an, woran ich mich halten solle. Nicht nach außergewöhnlichen Dingen verlangen und nichts tun, um sich auffällig zu machen, also keine Extravaganzen machen! Die innere Abtötung üben, und sich bemühen, vollkommen zu sein und so zu leben, wie man sich ihm hingeben will. – Mit niemand darüber reden, außer mit dem Seelenführer. Viel zur Muttergottes beten und recht den hl. Geist verehren! Recht demütig sein und nie von sich etwas Gutes denken, bzw. sich bei solchen Gedanken aufhalten. Sobald man eitel wird, mischt sich der böse Feind ein. An diese Punkte solle ich mich halten; dann brauche ich nichts zu fürchten. Ich ging dann nochmals zu ihm zum Beichten und sagte auch, dass ich mir dem Beichtvater gegenüber nichts zu sagen getraue, weil er sofort ganz abwesend sei. Dr. H. sagte dann, ich solle nicht verzagt sein; der liebe Gott werde sicher einen Priester schicken, mit dem ich mich aussprechen könne.

4643 |        So war ich wieder beruhigt, aber es steigerten sich noch die inneren Anforderungen. Der ganze Umfang, und die Tragweite einer Aufopferung als „Schlachtopfer“ schlossen ja Verpflichtungen in sich, zu denen ich mehr und mehr herangezogen wurde. Mit diesen größeren Anforderungen steigerte sich aber auch wieder die Angst, ob ich auf dem rechten Weg sei; denn ich spürte, dass ich meinen Weg mit der Vernunft nicht mehr erklären könne. Es waren tiefe, tief ergreifende und einschneidende Entscheidungen und es kamen mir Zweifel, ob man da auch ganz mitgehen könne. Es steigerte sich auch immer mehr die Forderung nach vollkommener Reinheit. Von Anfang an hatte mich ja die innere Führung angeleitet zur inneren sittlichen Vervollkommnung dadurch, dass ich mich selbst aufgebe und die Vereinigung mit Gott in mir wirksam werden lasse! Die Hauptforderung war ja von Anfang an: „Mich aufgeben und ihn in mir leben lassen!“ Es wurde mir dann auch fortlaufend erklärt, wie sich das praktisch vollziehen müsse, um das gesteckte Ziel, das Leben Jesu, zu erreichen: Immer wurde mir hierzu das Vorbild Jesu gezeigt. Diesem Vorbild gegenüber erkannte ich auch immer mehr die eigenen Hindernisse in mir. Es wurde mir erklärt: Die erste Bedingung, um Jesus zu leben, ist die vollkommene Reinheit. Das innerste Wesen des Heilandes ist ja geradezu seine wunderbare, reinste Hingabe an den himmlischen Vater; und seine innere Heiligkeit besteht darin, dass er sich selbst getreu ist und dass er diese Hingabe auch in seiner Menschheit dem göttlichen Wesen entsprechend geübt hat. Diese Erkenntnisse weckten in mir ein ganz großes Verlangen, dies nachleben zu können. Ich war sozusagen in die Lebendigkeit dieser Anforderungen hineingestellt, und es verband sich mit dem „passiven“ Empfangen der Erleuchtungen ein ganz großes aktives Verlangen.

4644 |        Wenn man so weit im Guten gefestigt ist, dass die Sünde durch die Gnade Gottes praktisch überwunden ist, dann kommt als nächstes Ziel im Streben nach Vollkommenheit die Überwindung der Eigenliebe, d. h., dass man sich losmacht von vielen Anhänglichkeiten an sich selbst. Diese empfindet man auf jener Stufe als eine viel größere Hässlichkeit oder als eine hässliche Unordnung als früher die Neigung zur Sünde. Es handelt sich nunmehr um die Neigung, vor sich selbst gut dazustehen, um die Eigenliebe in all ihren Formen (die Selbstgefälligkeit, Eitelkeit und Lobsucht), die das ganze Frömmigkeitsleben wie mit einem bösen Netz oder wie mit einem Spinnengewebe umziehen. Davon sich frei zu machen, ist das Ziel der inneren Läuterung, die nach der Reinigung von der bewussten Sünde einsetzt. Man sieht dann erst ein, wie wenig man mit dem bis dahin Errungenen geleistet hat und es kommt einem vor, als sei man erst am Anfang oder es beginne erst die Hauptarbeit: die Wurzeln der Sünde auszurotten. Durch das Licht der Gnade schaut man da hinein in den eigenen, gräulichen Abgrund der gefallenen Natur und man wälzt sich mit großem Seelenschmerz sozusagen wie im eigenen Schmutz. So wird man mehr und mehr geheilt von jener geistigen Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, durch die man der erste Betrüger seiner selbst und der größte Feind der eigenen Seele ist; gerade die Selbstbeschönigung schadet der Seele sehr.

4645 |        In den Zeiten der Vereinigung mit Gott wurden mir alle diese erbsündlichen Folgen und Anlagen wie in einem großen Lichte gezeigt, in dem alle Einzelheiten hervortreten, und ich bekam einen großen Ekel vor mir selbst. Wenn Gott einem das so erkennen lässt, dann bettelt und bittet man: Nimm das weg und mach mich rein! Es ist ja ein furchtbarer Abgrund zwischen mir und dir, zwischen meiner Sündhaftigkeit und deiner Reinheit! Dieser Abgrund hält einen vom Ziel ab; aber das Erleben dieses Abgrundes weckt auch ein großes Verlangen und Bemühen zur Liebe, um zu einer großen Reinheit zu gelangen: Denn nur die Reinheit macht jene Vereinigung möglich, die der Heiland als Ziel vor Augen gestellt hat. – Ich musste in jener Zeit auch all meine kleinen Fehler wieder beichten, auch das, was man nicht in Worten sagen kann; alle selbstgefälligen Regungen, alles gedankliche Beschäftigen mit mir selbst, die Freude an meiner Frömmigkeit oder am Gutes–Tun, Mangel an reiner Absicht oder Suchen seiner selbst. Der Beichtvater erwiderte immer, das sei keine Sünde usw., und so wurde mir das Beichten eine große Last und Qual; ich habe sie aber doch nie ausgelassen, obwohl ich mich sehr vor dem Beichtvater geschämt habe, wenn ich ihm z. B. sagen musste, es komme mir vor, dass ich mich in keinem Gedanken mit mir selbst beschäftigen dürfe.

4646 |        Im Juli 1924 konnte ich Exerzitien machen im Vinzentinum in Graz bei den Arm–Seelen–Schwestern, die ich damals zum 1. Mal kennenlernte. Die Exerzitien hielt ein junger Karmeliterpater, und ich meinte, ich könne mich einmal ordentlich aussprechen. Hatte ich doch immer wieder die Angst, man könne doch nicht so weit gehen, wie es von mir gefordert wurde. Der Pater rief mich auf sein Zimmer, und ich sagte ihm: Der Heiland sei mir oft so nahe, wie kein Mensch einem nahe sein kann, so fühlbar nahe: Ich bin dann ganz sicher, dass es der Heiland ist. Er fordert immer eine große Reinheit und Hingabe von mir. Er verspricht mir, er würde mir dann sein Leben geben. Ich müsse ganz in ihn umgewandelt werden, so wie die Hostie. Der Pater fragte mich aus, ob ich Skrupulantin sei und anderes. Schließlich sagte er: „Ich bin viel zu bescheiden, um Ihnen einen Rat zu geben, aber das eine kann ich sagen: Sie sind auf dem richtigen Weg; es ist bestimmt in Ordnung; ich kann Ihnen garantieren. Aber zur Sicherheit können sie zu jenem Dominikanerpater zurückgehen, mit dem sie schon gesprochen haben.“ Ich meinte: „Nein, ich getraue mich nicht; denn dieser weiß doch sicher nichts mehr davon.“ Dann nannte mir der Pater noch den Jesuitenpater Victor Kolb, an den sich viele in außergewöhnlichen Seelenangelegenheiten wenden. – Und ich ging nach Schluss der Exerzitien wirklich zu den Jesuiten und wartete klopfenden Herzens auf den P. Kolb. Dieser kam und fragte mich: „Ja, was willst du liebes Kind? Was hat dich hierher geführt?“ Und ich erzählte ihm stotternd, dass ich die fühlbare Vereinigung mit dem Heiland nicht wegbringe. Auch wenn ich den Rosenkranz bete, ist der Heiland vor mir; und selbst, wenn ich nicht daran denken will, ist die Vereinigung da. Er ist mir so nahe, dass mir kein Mensch so nahe sein kann; er redet mit mir. „Siehst du ihn?“ Nein, ich sehe ihn nicht; ich habe ihn noch nie gesehen. Ich höre auch nichts mit den Ohren; es ist alles innerlich, aber es ist doch viel klarer, als wenn jemand mit dem Munde sprechen würde, oder wenn ich jemand sprechen hörte wie gewöhnlich. – „Was sagt dir denn der Hei­land?“ Dass ich mich ihm ganz hingeben solle. Er will in mir ganz lebendig werden. Ich soll ganz in ihn umgewandelt werden. Er will sich in mir nochmals seinem Vater zum Opfer bringen und er will, dass ich mich für die Erneuerung der Kirche opfern soll. Die Menschen sind nicht gut und ich soll dafür Opfer sein. Schließlich sagte Pater Kolb: „du glückliches Kind! Mit dem Heiland fühlbar vereinigt zu sein! Du brauchst gar keine Angst zu haben. Du bist bestimmt auf dem rechten Weg. Glaub es mir! Und wenn du auch den Heiland sehen würdest, brauchtest du gar keine Angst zu haben; du bist bestimmt auf dem rechten Weg. Ich habe auch solche Beichtkinder, die den Heiland sehen.“ „Ich fürchte mich vor ihm, fürchte, er fordert etwas von mir, was ich nicht tun kann.“ – „du sollst dem Heiland danken und musst dich ihm ganz hingeben, schrankenlos! Du brauchst dich nicht zu fürchten. Und wenn du wieder nach Graz kommst, dann komme wieder zu mir! Aber noch besser ist es, wenn du wieder zu dem Dominikanerpater zurückkehrst.“ er gab mir noch den Segen und ich war wunderbar glücklich und getröstet. Ich hielt es nicht für nötig, noch zu Pater Michael Lenz O. P. zu gehen und ich fuhr heiter und glücklich wieder heim.

4647 |        Es dauerte aber nicht lange, und es kamen wieder innere Erfahrungen, die ich früher nicht hatte. Wieder kamen da die Zweifel: Vielleicht ist doch alles Täuschung, und wieder sah ich mich am Ende meines Mutes. Da hatte ich Gelegenheit nach Graz zu fahren, zur Profess einer Schulschwester, die mit mir in die Schule ging (am gleichen Tag, den 30. August 1924 legte auch Schwester Klara Fietz ihre Gelübde ab). Ich war zusammen mit meiner Freundin Luise N. dazu eingeladen. So nahm ich mir doch den Mut, zu Pater Michael Lenz zu gehen, während meine Freundin in der Kirche blieb. Pater Lenz empfing mich mit den Worten: „Solange hast du nichts hören lassen! Wie geht es dir denn?“ Wir gingen in ein anderes Sprechzimmer, und ich erzählte ihm in dem Sinne: Der Heiland ist mir noch mehr nahe, wie früher, und dann bin ich wieder in tiefer Finsternis. Er will mich als sein Eigentum haben und will in mir lebend werden; und ich weiß mir nicht zu helfen. – Auch Pater Lenz hat mich beruhigt und lud mich ein, wiederzukommen. Er gab mir seine Adresse.

4648 |       Der September 1924 war dann eine große Gnadenzeit. Schon am ersten September, einem Freitag, also Herz–Jesu–Freitag, erlebte ich wohl die größte Anforderung, die ich bis dahin hatte. Schon in den vorhergehenden Tagen war ich in jener großen Sammlung, die gewöhnlich auf besondere Nähe und Vereinigung vorbereitete (man ist dann ganz in sich selbst hineingezogen und meint, man könne sich gar nicht zerstreuen und könne nicht mehr aus der Sammlung und seiner Nähe heraus). Nach der hl. Kommunion, am 1. September war ich in dem höchsten Zustand, den ich bis dahin erlebt hatte. Ich war ganz von mir weg, wusste gar nichts mehr von mir. Auch die Kirche und die Umgebung waren mir ganz entschwunden. Nur der Heiland und seine „Umgebung“ war mir fühlbar. Er hielt dann etwa folgende Ansprache an mich: „Ich habe große Absichten mit dir. Du musst mir ganz Opfer sein. Ich will in dir lebend werden, und du sollst mir Werkzeug sein für große Absichten, die ich für die Seelen habe. Ich will in den Seelen wieder lebend werden, und du sollst mir Werkzeug werden“. – Dann ließ er mich schauen, wie er in der Kirche Gottes gleichsam ausgeschaltet wird: Die Menschen lieben ihn nicht mehr; es ist eine große Kälte gegen ihn und eine große Finsternis in der Kirche. Er aber will wieder das Leben der Seelen werden und will wieder ein Feuer in den Seelen entzünden, das er selber ist. – „Ich will wieder Leben der Seelen werden, aber ich will zuvor in dir zum Leben kommen, und in der Kraft des Lebens, das ich in dir bin, wirst du große Opfer bringen müssen für mich. Du wirst wie die Sendbotin meiner Liebe werden. Ich will meine Liebe neu ausgießen über die Menschen, wie einst zu Zeiten der Apostel. Du sollst mir das Werkzeug sein, um diese Liebe in den Menschen wieder zu ermöglichen. Ich will die Kirche und die Welt wieder umgestalten, wie damals, wo sie zum Siege kam durch die Apostel“.

4649 |        Es ist aber nicht in Worten auszudrücken oder zu wiederholen, was ich in jener Ekstase erlebte, der Zustand muss lange gedauert haben. Denn als ich wieder zu mir kam, waren die Leute schon alle fort. – Selbstverständlich erwiderte ich dem Heiland: „Wie soll ich das machen?“ – Er antwortete mir, ich solle sein Leben annehmen; dies werde mich für alles befähigen. Und Jesus nannte mich bei dieser Gelegenheit: „du mein auserwähltes Herzenskleinod!“ Ich sagte: „Ich will alles tun, gib nur, dass ich dich vollkommen lieben kann. Etwas anderes kann ich nicht. Du siehst, wie schwach ich bin.“

4650 |        Nachher war ich noch lange in einer unglaublichen Sammlung und konnte mich nicht von den Armen Jesu losreißen. Und wenn man dann meint, wieder im gewöhnlichen Zustand zu sein, fällt man immer wieder in seine Arme. Der Heiland war immer da und immer stand die Forderung vor mir: Mich aufgeben, sodass mein Ich gleichsam ausgelöscht werde! Es war eine Forderung, die mein ganzes Wesen beanspruchte. Unmittelbar nach der Ekstase war ich aber doch erschöpft von jener Zwiesprache und musste mich hinsetzen. Die natürlichen Funktionen waren während der Ekstase unterbrochen und der Geist war in einem anderen Zustand als dem gewöhnlichen.

4651 |        Größeren Gnadenstunden und lichtvollen, fühlbaren Erlebnissen gingen in meinem Innenleben jedenfalls innere Verdemütigungen voraus. Ich war dann gleichsam in einen Abgrund der Verdemütigung begraben, war ganz durchleuchtet von den eigenen Unmöglichkeiten und musste mein Leben verabscheuen und bereuen. Durch gute Vorsätze und intensive Akte des Verlangens musste ich mich sozusagen hinaufringen zu dem erkannten Guten, und es wurde immer ein großer Buß- und Gebetsgeist geweckt und ein großes Läuterungsbedürfnis hervorgerufen, das die Seele sozusagen ganz aufzehrte. Wenn der Wille sich so nachhaltig und kraftvoll anstrengte, zu dem erkannten Guten oder zu dem gezeigten Ziel emporzusteigen, so war dies meistens das Zeichen, dass der Heiland wieder „in der Nähe ist“. Und wenn er da ist, dann ist Jubel und Freude da. Das vorhergehende Erleben der eigenen Sündhaftigkeit ließ den Willen sich aufraffen, um sich loszumachen und um emporzusteigen und sich dem Heiland anzugleichen. Damit kam wieder eine gewisse Gleichmütigkeit und Angleichung an ihn – und dann war er wieder da. Diese Art des Abstieges und Aufstieges gehört zum Grundaufbau und zur Grundlinie meines Innenlebens. Nach jenem „Sich-Emporarbeiten“ durch einen unglaublich intensiven Willen zur Betätigung des Guten zeigte Jesus gewöhnlich seine unendliche Liebenswürdigkeit, doch diese inneren Erleuchtungen sind so persönlich, dass jedes Wort und jeder Ausdruck dafür etwa so wäre, wie eine Kerze im Vergleich zur Sonne. Zuweilen war ich wochenlang unter dem Einfluss des göttlichen Lichtes, wo seine Nähe unverrückbar vor einem steht und wo man jeden Augenblick weiß, wie vollkommen der Heiland die Seele haben will und wie wenig man dem entspricht; und gerade dadurch wird das Verlangen und Streben nach eigener Besserung und Aszese geweckt. Der Heiland zeigt sich als die unendliche Liebenswürdigkeit. Er bietet sich der Seele an, und man muss sich gleichsam durch das Gestrüpp der eigenen Unvollkommenheiten hindurch in Affekten und Akten der Hingabe zu ihm hinarbeiten. Durch die Erkenntnis seiner unendlichen Liebenswürdigkeit und der eigenen Hässlichkeit wird der Wille zur letzten Bereitschaft und Hingabe angetrieben.

4652 |        Am Sonntag, den 24. September 1924 ließ mich der Heiland schon vor der hl. Kommunion seine lebendige Gegenwart erfassen und ließ mich verstehen: So bin ich hier gegenwärtig, so nimmt man mich auf in der hl. Kommunion, und so will ich in den Seelen leben, wie ich bin, in solcher Heiligkeit und Vollkommenheit, um mir sozusagen ein neues, ein zweites Leben zu schaffen, in dem ich mich verherrliche. – Nach der hl. Kommunion war er wieder da, in unglaublicher Vereinigung mit mir. Und er stellte wiederum seine Forderungen, ähnlich wie am 1. Freitag jenes Monates: „du sollst mir ein Opfer sein. Ich habe große Absichten für die Kirche. Ich will den Geist meines Herzens neu in der Kirche ausgießen, und du sollst Mir das Werkzeug sein“. Es war wiederum eine Anforderung an mich selber. In meiner Furchtsamkeit und Angst dachte ich, es sei vielleicht Täuschung. Ich wandte mich daher ab und wollte mündlich beten. Da sagte mir aber der Heiland: „Willst du dich nicht opfern? Niemand will es tun. Wenn ich Opfer verlange, dann will man umkehren“. Und dies war so klagend und durchdringend gesagt, wie wenn der Heiland wirklich auf mich angewiesen gewesen wäre, und wie wenn er als Bettler vor mir gestanden hätte. Diese seine Worte haben mich auch so ergriffen und erschüttert, dass ich zum Weinen kam, in Anbetracht des Schmerzes, mit dem der Heiland dies gesagt hatte. Und sofort erklärte ich: Ich will es gerne, aber ich bin ein schwaches Mädchen, bin unfähig und kann doch nichts tun. Und ich fürchte mich vor diesen Dingen; ich fürchte, dass du Außergewöhnliches mit mir machen wirst. Da wiederholte der Heiland seine Absichten und seine Forderungen: „Ich will neue Gnaden über die Kirche ausgießen und du sollst mir dazu Opfer sein“(die umfassende Reichhaltigkeit der im Lichte der Gnade erkannten Anforderungen lässt sich aber nicht in Worten ausdrücken). Der Heiland versprach mir aber auch, wie er mich zu besonderer Vereinigung mit ihm führen werde und welch große Gnade er für mich bereithalte. Er wolle mich ganz in sich umgestalten, und kraft seines Lebens in mir würde ich ihm all diese (irgendwie vorausgesehenen) Opfer bringen können. Diese Aufgabe würde aber mein ganzes Leben beanspruchen. Ich müsse mich ganz auf sein Leben, auf die Vereinigung mit ihm, und auf seine Absichten einstellen. So wie er in der hl. Hostie wirklich mit Gottheit und Menschheit lebt und Opfer ist und dies alles den unendlichen Wert der Erlösung hat, so soll ich dies fruchtbar werden lassen und zu verwirklichen suchen durch sein Leben in mir. Dabei ließ er mich den Grad der Vereinigung voraus erleben, den er mir geben wolle und in den er mich im Voraus, aber vorübergehend, hineinversetzte. – Selbstverständlich war ich da wieder ganz bereit. Ich war wieder mit ihm vereinigt und die Liebe war ganz innig. Man kann sich dann nicht losreißen von dieser Vereinigung und kann sich nicht lösen von dieser unglaublichen Sammlung. Ich war wohl bei der hl. Messe; war aber doch „nicht dabei“. – Nachher ging ich zurück zum Muttergottesaltar, habe ihr alles anempfohlen und um ihre Hilfe gebeten, dass ich durch sie befähigt werde, die Hingabe recht zu machen. Ich weiß noch sehr gut, wie ich alles, was ich innerlich erlebt hatte, ihr empfohlen habe. – Doch die hl. Messe war aus, und ich musste aufstehen und gehen. Man meint nach solchen Erlebnissen, irgendwo gewesen zu sein, aber man war einfach bei ihm. Freilich fühlte ich auch damals wieder die Erschöpfung und Ermüdung, weil ja die natürlichen Funktionen ganz abgeschnitten gewesen waren.

4653 |        Man kann aber bei diesem unmittelbaren Verkehr mit dem Heiland eine gewisse Vielfalt oder verschiedene Arten und Stufen unterscheiden. Die eine Art ist eine gewisse, unsagbare und schier unglaubliche Vereinigung mit ihm oder das Ruhen in ihm. Es ist so innig, dass man meint, man löst sich auf in ihm. Es ist, wie wenn man ins Feuer gelegt würde. In dieser unaussprechlichen Vereinigung schaut man (ohne Worte) seinen Willen. Durch ihn selbst wurde mir gezeigt, was er von mir verlangt, was er und wie er mich haben will. Es ist ein gewisses Innewerden, ein Schauen und zugleich ein persönliches Ergriffensein und Hingezogenwerden in den Akt oder in den Zustand, den man in ihm erlebt. – Wenn es nachher zu Worten kommt, so ist das wieder ein anderer Zustand und ist damit die höchste Spannung der Vereinigung schon etwas abgeflaut. Es herrscht dann schon ein gewisser „Abstand“, wie in einem Ich und du Verhältnis zwischen Menschen. Man erlebt dann seinen Willen auch in Worten und Sätzen ausgedrückt. Der Heiland erwidert den eigenen Effekt der Seele wie in menschlich gesprochenen Worten. Diese „Worte“ können wiederum doppelter Art sein: klar und geistig vernommen wie wirkliche „Worte“ oder aber wie in einem geistigen Innewerden und doch als bestimmte Antwort erfasst. Ich schaute z. B. in der Vereinigung mit ihm, wie verzehrt von ihm und gleichsam ausgelöscht für mich, den Zustand der Kirche, die Nöte der Kirche, die Kälte der Seelen gegen ihn. Dann folgte, sozusagen im zweiten Stadium, die in Worten ausgedrückte Klage des Heilandes: „Man achtet nicht auf Mich und Meine Liebe; man anerkennt und erwidert meine Liebe nicht“. Der Heiland lässt sich damit herab zu einer Ansprache und hört auf meine Worte und gibt auf meine Fragen eine entsprechende Antwort, die wiederum auf verschiedene Weise erfasst werden kann. – Auch in gewöhnlichem Zustand erkennt man in einem einfachen Blick seine Absichten. Freilich merkt man auch in diesem „gewöhnlichen“ Zustand immer etwas Außergewöhnliches, wenn der Heiland seine Absichten mitteilen will; es tritt dann doch immer ein gewisses Gehobensein, das einem sofort auffällt und das man sich selbst nicht geben könnte, ein. Es ist immer etwas Einmaliges, das sich kein Mensch geben kann und es ist immer etwas anderes gegenüber dem gewöhnlichen menschlichen Dasein, wenn Gott sich so der Seele mitteilt.

4654 |        In den Tagen nach jenem vierten Sonntag im September herrschte in mir wieder ein volles Hineingenommensein in ihn, sodass ich mich nicht losmachen konnte und die große Sammlung tagelang blieb. Oftmals hat dann der Heiland nach der hl. Kommunion die Aufforderung der Hingabe an seine Absichten wiederholt: „du sollst mir Opfer sein!“ Ich wurde dabei hineingezogen in ihn, …1741 seine Absichten und musste in der Gewalt der Liebe mich ihm so ganz überlassen, dass ich mich gar nicht dagegen wehren konnte; denn die Gründe, die er mir vorhielt und zeigte, waren so zwingend, dass ich mich wie selbstverständ­lich ganz und gar opferte und hingab.

4655 |        Im September 1924 kam Herr Vinzenz Kickenwaitz als Kaplan nach St. Ruprecht. Es war sein erster Posten. Am 4. 0ktober sprach ich zum 1. Mal mit ihm im Beichtstuhl. Anfangs November rief er mich in sein Zimmer und ich erzählte ihm einiges von meinem Innenleben. Am 6. November kam ich wieder nach Graz zum Fest des hl. Leonhard. Ich berichtete dann wieder dem Pater Michael von den Forderungen des Heilandes: „du sollst mir Opfer sein!“ Der Pater sagte, ich solle den Heiland fragen, zu welchem Zweck ich Opfer sein solle. Der Heiland ließ mich in verschiedener Weise und in verschiedenen Graden der Klarheit die Antwort verstehen: „Für meine Kirche. Für die Erneuerung meiner Kirche, für die Erneuerung des Priestertums.“ er bereite eine allgemeine Erneuerung des Priestertums vor. –

4656 |        Dann war ich wieder wochenlang in Finsternis und Trockenheit und war geplagt von entsetzlichen Zweifeln, ob nicht alles nur eine Täuschung sei. Es war ein furchtbar harter Winter 1924–25. Da ich noch wenig Erfahrung hatte, so meinte ich, immer in dem Zustand bleiben zu können, der mir einen Augenblick lang im Voraus geschenkt und gezeigt worden war. Ich verstand nicht, wie ich nachher wieder in einem ganz anderen, inneren Zustand sein könne, in dem alles vorher Geschaute und Erlebte unmöglich schien. Die Seele fängt aber da umso mehr an zu ringen, zu arbeiten und es kommt ein neuer und größerer Antrieb zur Vollkommenheit. Ich meinte dann, dennoch alles mit Gebet erreichen zu wollen! Und wenn ich auch an allem beinahe zweifeln zu müssen glaubte, so nahm ich gleichsam als Ersatz das Gebet und in der ganz großen Trockenheit vor allem das mündliche Gebet. Eine gewisse Erleichterung war es auch, dass ich damals vom Beichtvater, H.H. Kickenwaitz doch besser verstanden wurde.

4657 |        Um den ersten Sonntag nach Ostern 1925 herum wurde es wieder licht in meiner Seele. Wie eine neue Welle oder Wallung von Gnaden kamen wieder neue Erkenntnisse über die Menschwerdung der zweiten göttlichen Person: Wie Jesus in Maria die Menschheit angenommen hat. Die früheren Erkenntnisse wurden mit hineingenommen und vertieft. Ich schaute, wie Maria ihr Fleisch und Blut zur Verfügung gestellt hat, und wie Jesus mit dieser Menschheit sich seinem himmlischen Vater zum Opfer gebracht hat. Dies habe ich damals in viel höherer Weise als vorher erkannt und ich sagte dies im Beichtstuhl dem H.H. Kickenwaitz. Es wurde wiederum an mich die Forderung gestellt, dass ich mich dem Heiland in ähnlicher Weise wie Maria zur Verfügung stelle. Wie Maria der zweiten göttlichen Person zum menschlichen Leben „verholfen“ hat, oder ihm das leibliche Leben gegeben hat, so solle ich mich als „leidende Menschheit“ zur Verfügung stellen. Ich war ganz erfüllt und eingenommen von diesem Erleben, in das ich hineinversetzt war und wofür ich gebraucht wurde. Ich solle – so wollte der Heiland – mit der Hingabe Mariens ihm eine leidende Menschheit bieten wollen. Er werde mich dann zu einem besonderen Grad der Vereinigung führen, sodass diese meine Menschheit gebraucht werde, um das Geheimnis seines Erlöserseins wiederzugeben. Dieses Geheimnis seiner Menschwerdung in Maria stand in einer unsagbaren Klarheit vor mir. Ich schaute ganz klar, wie Maria sozusagen ihr Leben und ihren Leib zur Verfügung gestellt hat, dass Gott das Geheimnis des Erlösers in ihr bewirken könnte. Dann wurde ich hineinversetzt in eine ähnliche Möglichkeit, nämlich ihm sozusagen mit Leib und Seele zur Verfügung zu stehen, damit dieses Geheimnis seines Erlöserseins irgendwie nachgelebt und erklärbar werde. Dies wurde mir in einer unaussprechlichen Geistigkeit und Erfassungsmöglichkeit Wochen hindurch gezeigt, immer wieder unterbrochen durch Zeiten innerer Finsternis und Verdemütigung. – Es ist ja merkwürdig, aber es ist eine Tatsache, dass man nach Zeiten wunderbaren Lichtes wieder in furchtbare Finsternis versenkt werden kann, wo man den Eindruck hat, man könne nie mehr zum Licht kommen, und wo man sich gleichsam schmerzlichste in der eigenen Menschlichkeit und Unvollkommenheit wälzt. Es gab aber eine bestimmte Art der Verdemütigung, für die man keine Worte hat und die (wie mir wenigstens oftmalige Erfahrung zeigte) ein Anzeichen dafür war, dass das Licht nicht mehr weit entfernt sei. Dann wird man von der Tiefe des Abgrundes wieder mit hinausgenommen in die Höhe und dann ist er wieder da. Und mit ihm ist wieder das Licht da und all seine frühere Liebe und seine ganze Herablassung und Liebenswürdigkeit. Und ich selbst war dann selbstverständlich wieder allen vorherigen „guten Vorsätzen“ (nicht mehr an solche Dinge zu glauben) oder Gedanken, untreu; denn seine Gegenwart war so unvorhergesehen und so überwältigend, dass man kein Nein sagen konnte. Das tiefste Verlangen des eigenen Wesens ging doch immer dahin, bei ihm zu sein und von ihm geliebt zu werden. Wie auch er kein anderes Verlangen zu haben schien, wenn es auch merkwürdig scheinen mag, dass Gott den Menschen gegenüber so viel Liebe aufbringt. – Doch wenn der Heiland wieder „da ist“, kommt er auch wieder mit seinen Forderungen. Ich war dann wieder in jenem Zustand der Vereinigung mit ihm im Voraus hineinversetzt, wie er ihn als nächstes Ziel für die Seele zeigt. Er fordert die Seele in noch höherer Weise an und lässt sie in einem höheren Licht seine Forderungen und deren Ausmaß mehr noch verstehen, sodass man immer von Neuem meint: So innig mit ihm verbunden wie jetzt war ich vorher noch nie. Es steigert sich eben die innere Einsicht in seine göttlichen Absichten.

4658 |        Am zweiten Sonntag nach Ostern 1925 ging ich zum Beichtvater, Kaplan Kickenwaitz und erzählte ihm von jenen Erkenntnissen. Er meinte, das sei nicht möglich, denn Christus sei nur einmal Mensch geworden. Ich erwiderte: Es handelt sich nicht um eine „Menschwerdung“ (darauf hat mich der Heiland ausdrücklich aufmerksam gemacht), aber es ist ein Nacherleben des Erlösungsgeheimnisses Christi. Es ist so ähnlich, wie wenn ich meine Menschheit, Leib und Seele, dem Heiland zur Verfügung stelle, und er vereinigt sich mit mir, dass ich es nacherleben kann, wie das Geheimnis der hypostatischen Vereinigung der zwei Naturen in ihm möglich und wirklich war. – Ich hatte damals die Erkenntnis jener übernatürlichen Wirklichkeit, obwohl ich nicht die philosophischen Begriffe von „Natur“ und „Person“ kannte, wie heute. Als ich die Sache, zum zweiten Mal, dem H.H. Kickenwaitz auf seinem Zimmer erklärte, gab er zu, dass es wohl möglich sei. Der Heiland hatte mir auch erklärt, es werde keine wirkliche Menschwerdung sein, keine Annahme, sondern eine Übernahme von Funktionen Christi: Der Heiland werde mich so gebrauchen, wie wenn ich mein leiblich geistiges Leben ihm zur Verfügung stelle, um das Erlösungsgeheimnis in mir in gewissem Sinne zu wiederholen. Da H.H. Kickenwaitz in diesen Dingen keine Erfahrung hatte, riet er mir, immer noch dem Pater Michael zu schreiben und von Zeit zu Zeit zu ihm nach Graz zu fahren. Dann kamen wieder die Finsternis und die gesteigerte Sehnsucht und das Verlangen, doch in den Zustand hineinzukommen, in dem der Heiland mich haben wollte, gleichzeitig aber auch das Erleben der eigenen Hindernisse und, daraus erwachsend, großer Buß- und Gebetseifer. Und tatsächlich hat man schon viel zu tun, wenn man die Eigenliebe und Selbstgefälligkeit ganz überwinden will und wenn man immer in der reinen und vollen Hingabe und reinsten Meinung bleibt, wo die eigne Selbstsucht, die Gefühlsfrömmigkeit usw. ausgeschaltet ist.

4659 |        Im August 1925 konnte ich wieder Exerzitien machen im Herz–Jesu–Kloster in Graz. Pater Lamprecht S.J. hielt sie. – Nun war aber meine innere Lage so, dass ich immer einen Widerspruch fühlte zwischen meinem Innenleben und der äußeren Lage. Ich meinte immer, es müsse etwas anderes kommen, wo ich mich ganz dem Innenleben hingeben könne. So war ich eigentlich immer auf der Suche nach einem „Beruf“. Es fiel mir schwer, in der Welt zu leben; ich konnte nicht jeden Tag zur hl. Kommunion, und es war mir infolge der inneren Beanspruchung schwer, unter den Menschen zu leben. Die Natur suchte daher nach einer Möglichkeit, auch das auferlegte Innenleben vollkommen ausleben zu können. Ich meinte, im Kloster, in der Abgeschiedenheit könne man es besser machen; denn in der Welt war es ein wirkliches Opferleben, zumal ich immer noch lungenkrank war. Bei der Beichte sagte ich nun dem Exerzitienmeister auf seine Frage: Ich wollte eigentlich immer ins Kloster gehen, aber ich war immer krank; und trotzdem kommt es mir vor, ich könne nicht in der Welt bleiben. P. Lamprecht ermutigte mich, ins Kloster zu gehen. Ich hätte sicher Berufung. Ich sagte ihm auch: Persönlich habe ich mich schon darein ergeben, dass ich mich meiner schwachen Gesundheit wegen nicht ins Kloster begeben könne; es sei nur meines Innenlebens wegen, weil ich im Kloster täglich zur hl. Kommunion gehen und das religiöse Leben mehr ausleben könne. Der Arzt hat mir gesagt, es stünde schlecht mit meinem Herzen und meiner Lunge. P. Lamprecht fragte mich, ob ich noch nie gebetet habe um meine Gesundheit. – „Nein, ich habe in den 6 Jahren meiner Krankheit nie um meine Gesundheit gebetet.“ – „Warum nicht?“ – „Ich habe so ein merkwürdiges Verlangen nach Leiden und ich will der Krankheit und dem Leiden nicht entfliehen.“ „Wollen Sie nicht eine Novene zur hl. Theresia vom Kinde Jesu machen?“ „Ich habe kein rechtes Vertrauen, gesund zu werden. Ich habe auch im Kranksein und Leiden eine gewisse Zufriedenheit“. – Der Pater sagte mir, ich solle ihm versprechen, eine Novene zur hl. Theresia von Lisieux zu machen; ich hätte bestimmt Ordensberuf. Er gab mir auch verschiedene Klöster an. Im Übrigen hatte ich in jenen Exerzitien wieder viel Gnaden der Vereinigung mit dem Heiland, sowie der Hingabe und des Verlangens, mich ganz aufzugeben und der eigenen Befriedigung ganz abzusterben, um sein Leben anzunehmen.

4660 |        Von den Exerzitien zurückgekehrt, fuhr ich nach Gleisdorf zu dem frommen Arzt Dr. Thaler und fragte ihn, ob er meine, dass ich die Kräfte habe, um ins Kloster zu gehen. Er untersuchte mich und sagte: Es ist gar nicht daran zu denken, denn beide Lungenflügel sind voll Katarrh, und solange dieser da ist, besteht keine Aussicht auf Heilung. Auch wegen des Herzens sei mein Befinden besorgniserregend (vorher war ich schon bei dem religionslosen Arzt Dr. Blumauer in Ruprecht gewesen). Ich machte dann trotzdem die Novene, wie ich dem Pater Lamprecht versprochen hatte, und ging nach mehreren Wochen wieder zu Dr. Thaler, um mich untersuchen zu lassen. Er sagte: Merkwürdigerweise stehe es tatsächlich bedeutend besser. Ich solle einmal eine richtige Kur mit Lebertran machen, und solle Mut haben, dass sich die Sache vielleicht doch bessere. Ich habe dann viele Flaschen Lebertran eingenommen und habe tatsächlich mit dieser Kur ungefähr 6 kg zugenommen (und hatte damit 58 kg). Im Frühjahr 1926 untersuchte er mich wieder und sagte: Eigentlich können Sie es jetzt versuchen, denn der Katarrh ist weg und damit ist Aussicht, dass sich die Lunge verkalke; auch das Herz hat sich gebessert. – Nachher ging ich wieder zu P. Lamprecht. Er gab mir den Prospekt der Gut–Hirten–Schwestern. – Ich hatte nun immer ein ganz großes Verlangen nach dem Grad der Vereinigung mit ihm, den der Heiland mir als Ziel setzte, ganz ihn zu leben und von ihm zu leben. Und darum betete ich immer, er solle mich einen kürzeren, wenn auch schwereren Weg der Vereinigung führen; und ich habe immer wieder ein anderes Kloster (Herz–Jesu–Kloster) vorauserlebt. Ich hatte wohl die Idee von einem Kloster, konnte aber nicht unter­scheiden, ob damals die Zeit gekommen wäre oder nicht. Ich meinte, im Kloster würde sich mein Innenleben lösen: Denn in der Welt konnte ich doch auf die Dauer mit diesen außergewöhnlichen Dingen nicht leben. Und ich wollte jeden Tag kommunizieren. Ich nahm das Ordensleben als eine Möglichkeit des Vereinigungslebens mit dem Heiland, und so ging ich auf den Weg ein, der sich mir öffne­te. Ich wollte mein Leben mit Gott vollziehen, und deshalb bin ich jene äußeren Wege gegangen, die mir P. Lamprecht vorgeschlagen hatte, und habe seinem Rat gefolgt.

4661 |        Ich bewarb mich also wirklich um die Aufnahme bei den Gut–Hirten–Schwestern in Graz und stellte mich bei der dortigen Hausoberin vor und bekam probeweise die Aufnahme. Freilich war mir die Entscheidung schwer, weil ich nicht sicher war, ob Gott es wolle, sondern im Herzen spürte, es würde vielleicht doch nichts werden; darum fürchtete ich, es werde nur ein neues, größeres Kreuz sein. Das ließ mich auch die folgende Tatsache vermuten: Am 10. April 1926 sollte ich bei den Gut–Hirtinnen eintreten. Am 25. März war ich aber innerlich angeregt, auf jede natürliche Befriedigung zu verzichten. Ich habe es mit der Gnade Gottes auch getan. Man ist eben auf diesem Wege wie ein Gefangener des Herrn und seiner Liebe, und aus Liebe zu Gott tut man alles.

4662 |        Nach einem furchtbaren Abschied fuhr ich am 9. April nach Graz. Meine Schwestern und meine Mutter hatten am Vortage bei Tisch arg geweint. Auch ich habe sehr gelitten, aber ich meinte, vielleicht bin ich nun am Ziel des Wunsches, den ich seit 11 Jahren hatte, Gott im Kloster vollkommen zu dienen. Im Provinzhaus der Gut–Hirtinnen in Graz übernachtete ich und fuhr dann mit der Wiener Linie zuerst nach Theresienfeld (bei Baden bei Wien), wo noch ein Teil des Noviziats war. Die dortige Hausoberin empfing mich mit den Worten: „Schwächlich sind sie schon!“ Ich hatte aber so einen guten Willen, dass ich meinte, Berge versetzen zu können. Die Oberin übergab mich einer anderen Kandidatin. Es war eine große Anstalt mit Landwirtschaft, und es ging mir an sich gut dort. Das Noviziat blieb aber nur mehr 10 Tage dort und siedelte dann über nach Neudorf bei Mödling (bei Wien), wohin die Novizenmeisterin, und ein Teil der Novizinnen schon vorausgegangen war. Mit dem Rest ging auch ich nach Neudorf. Man muss von der Bahn aus 1/2 Stunde zu Fuß gehen bis ins Kloster. Und auf dem Weg sieht man das Kloster der Steyler Patres in Mödling. Die Schwestern betreuten eine Frauenstrafanstalt. Nach außen hat es mir gut gefallen. Das Essen war gut, und das Haus war wunderbar eingerichtet. Das Leben dort ging aber nicht zusammen mit der inneren Führung, der ich mich nicht entziehen konnte. Auch dort war ich bald unglaublich mit Gott vereinigt, bald wieder in großer Trockenheit. Die Führung ging geradeaus ihren Weg und verhinderte damit, dass ich mit der Gemeinschaft der anderen verschmolz. Man musste mit dem großen Haufen mitlaufen und kein Mensch hat sich um einen angenommen. Trotzdem ich entsetzlich litt, hatte ich aber den festen Vorsatz: Ich gehe nicht weg, und wenn ich sterben muss. Ich war ja froh, dass ich jetzt im Kloster war. Es fiel mir aber auf, dass ich mit viel größerer Gewissenhaftigkeit und Weltabgeschiedenheit ins Kloster gekommen war wie die anderen. Ich konnte aber mit jenem Ordensleben nicht mittun, bzw. wurde nicht „warm“ dabei. Schließlich ging ich zur Novizenmeisterin und erzählte ihr von meiner inneren Lage. Aber welche Qual war es davon zu reden! Die Meisterin war mir gutgesinnt und hat mir merkwürdigerweise alles geglaubt. Sie versprach mir einen außergewöhnlichen Beichtvater zu suchen, mit dem ich reden könne. Mit diesem sprach ich dann von meinem inneren Konflikt. Er sagte mir: „Halten sie aus! Sie haben bestimmt Ordensberuf. Vielleicht für ein anderes Kloster, aber Beruf haben sie bestimmt.“ Ich solle mich bemühen, dort mitzumachen. Die Novizenmeisterin sagte mir: „Sie sind mir sehr sympathisch. Wir haben gar keine Klage gegen sie, und ich werde niemals ihre Entlassung veranlassen.“ Ich versuchte es noch 10 Wochen. Ich kam aber so herunter und hatte solche Herzschmerzen, dass ich kaum den Arm erheben konnte, um mich zu kämmen. Schließlich ging ich wieder zur Novizenmeisterin und sagte ihr, wie es gehe, erklärte aber auch: „Ich gehe nicht fort, und wenn ich sterbe; denn ich fürchte, dass der böse Feind mich plagt.“ Die Meisterin meinte: „Dass sie offen gegenüber den Oberen sind, zeigt, dass sie den guten Geist haben und nicht verschlagen sind.“ Sie schlug dann vor, zu anderen Schwestern zu gehen: Da ich die Schwester Odilo von den Kreuzschwestern in der Lungenheilanstalt gut kennengelernt hatte, einigten wir uns auf diese. Ich bekam die Aufnahme. Die Provinzoberin gab mir noch eine gute Empfehlung. Ich litt furchtbar, und trotzdem war es mir eine Erlösung, als ich aus dem Hause heraus kam. Eine Schwester machte die gleiche Reise nach Graz.

4663 |        Gleichsam tödlich verwundet kam ich bei den Kreuzschwestern an. Ich hatte mit so gutem Willen alles getan. War ich nun irregeführt worden? Auch bei den Kreuzschwestern wurde ich gut und gerne aufgenommen, und ich habe mit dem guten Willen angefangen: Es mag kommen, was will, ich geh nicht fort und wenn ich sterbe! Die äußere Lebensweise hat mir dort an sich weniger gefallen als bei den Guthirtinnen. Ich habe in meinem ganzen Leben immer mit allem guten Willen recht sein wollen und es recht machen wollen. In den ersten Tagen im Kloster der Kreuzschwestern in Graz (Kreuzgasse) hatte ich sehr viele Tröstungen der Vereinigung mit dem Heiland, aber er fragte mich auch immer wieder, ob ich für jedes Opfer bereit sei, und ob ich alles wolle, was er will. – „Freilich“, erwiderte ich immer wieder, „ich will doch alles, was du willst, und ich sag schon im Vorhinein Ja“. Am 10. Tag meines Dortseins (es war an einem Sonntagvormittag) kniete ich rückwärts in der Kirche vor einem Kreuze eines Seitenaltares. Da fragte mich der Heiland: „Willst du wirklich alles, was ich will? Bist du wirklich zu jedem Opfer bereit?“ – „Freilich, ich habe dich doch lieb. Ich bin zu jedem Opfer bereit.“ Und er darauf: „Dies ist nicht der Ort, wo ich dich haben will. Du musst von hier wieder weggehen. In einem Herz–Jesu–Kloster (das noch vom Schleier der Zu­kunft verborgen ist), dort sollst du mir ein Opfer sein. Du wirst aber noch viel leiden müssen bis dorthin. Du wirst hier wieder austreten und nach vielen Leiden wirst du dort eintreten; dein ganzes Leben wird der Weg dahin sein.“ Es war mir schauderhaft. Ich sagte dem Heiland: „Was fällt dir denn ein? Jetzt bin ich von daheim fortgegangen; bin dorthin gegangen, hab es recht gemeint, bin hierher gegangen; und jetzt sagst du wieder: Es ist nicht das Rechte. Wie kann ich dir noch etwas glauben? Was soll ich denn jetzt machen? Wie kann ich das denn sagen?“ – Er: „Geh zu Pater Michael und sag ihm alles!“ – „Was wird der zu mir sagen! Er glaubt mir doch sicher nichts mehr.“ – „Doch, sag ihm alles! Er wird dir glauben, und du wirst an ihm eine Stütze haben.“ – „Aber, wie kann ich wieder aus dem Kloster herauskommen. Denn von der inneren Führung werde ich nichts sagen!“ – Der Heiland: „du wirst krankheitshalber hinausgeschickt werden.“

4664 |        Damit war ich wieder auch von jenen Schwestern abgeschnitten. Ich wusste, dass ich wieder nicht am gottgewollten Platze war. Doch niemand weiß, was ich dabei gelitten habe. Ich war aber entschlossen, nichts zu sagen, dass ich krank sei, weil ich fürchtete, der böse Feind verführe mich. So wollte ich Tag für Tag alles mitmachen. Da rief mich einmal die Kandidatinnenmeisterin: „Sie sind totenblass. Sind sie krank? Schon als sie kamen, waren sie bleich, aber jetzt sind sie noch viel blasser.“ Einige Tage darauf begegnete mir Schwester Odilo und fragte mich ebenfalls, ob ich krank sei. „Nein, krank bin ich nicht“ (freilich konnte ich mich vor inneren Leiden kaum auf den Füßen halten). Dann rief mich die Novizenmeisterin und sagte: Ich könne in der Frühe länger schlafen und auch nachmittags könne ich mich hinlegen. Man gab mir kräftigeres Essen und Pillen (Eisen) zum Einnehmen. Man wollte mich behalten. Nach drei Wochen sprach die Novizenmeisterin mit der Provinzoberin, man wollte mich in eines ihrer Erholungshäuser schicken. – Ich bat noch, meinen Seelenführer besuchen zu dürfen. Auch er ist sehr erschrocken, glaubte mir aber alles. Er sagte: „Das ist eine der größten Prüfungen, die der Heiland über eine Seele verhängen kann. Selbst wenn Sie auch hier entlassen werden, so ist das kein Grund, an der inneren Führung zu zweifeln. Das sind eben die Wege Gottes, dass das ganze Leben scheinbar zerschlagen wird. Das Kreuz beherrscht auf diesen mystischen Wegen das ganze Menschenleben.“ – Er hatte großes Mitleid mit mir und riet mir, weiterzumachen und alles Übrige der Vorsehung zu überlassen. Das, was kommt, ist dann der Wille Gottes. Ich schrieb nach Hause, und die Mutter besuchte mich in Graz. Nachher rief mich die Novizenmeisterin wieder und sagte: „Vielleicht gehen sie für einige Wochen nach Hause, dass sie sich dort erholen; Lassen sie ihr ganzes Gepäck da; sie kommen ja wieder, wir nehmen sie sofort wieder auf.“ Da war ich in Verlegenheit und dachte, wie ich dann meine Koffer herausbringe. Es gab sich aber dann doch, dass ich sie mitnahm. Ich fuhr zu Pater Michael und weinte. Er tröstete mich: Ich solle den Mut nicht verlieren. – Es war freilich eine sehr große Beschämung für mich: in zwei Klöstern gewesen und wieder heraus. Und ich hörte später auch sehr gehässige Bemerkungen. Am Abend des 29. Juni 1926 kam ich heim. Alle sind erschrocken. Die Mutter war im Herzen froh, dass ich wieder daheim war. Ich war physisch wieder krank; die Lunge wurde wieder schlimmer. Die größten Verdemütigungen bereitete mir der Beichtvater, H.H. Kichw. Er erklärte, er glaube mir nicht mehr; ich dürfe ihm nichts mehr sagen, solche Leute kommen ins Irrenhaus oder verlieren den Glauben. Wenn ich beichtete und auf seine Fragen antwortete, entgegnete er sofort: Nein, mit diesen Sachen fangen sie mir nicht mehr an. Und so stand ich mit meiner furchtbaren Not und meinen Zweifeln allein. Zudem war ich in den nächsten Monaten in entsetzlicher Finsternis. Ich meinte, alles sei Täuschung gewesen, und ich war froh darüber und wandte mich inner­lich von allem ab. Trotzdem wurde ich dann immer wieder von einer noch höheren Gegenwart Christi überwältigt. Eine höhere Gewalt nahm mich einfach weg. Wo ich nicht mehr wollte, wurde die Seele sozusagen vergewaltigt durch die Gnade Gottes. Und dann, im Herbst 1926, kam wieder eine neue Stufe in meinem Innenleben, wo der Heiland anfing, näher über die Erneuerung des Priestertums zu sprechen. „Ich bereite eine allgemeine Erneuerung des Priestertums vor, und dazu sollst du mir Opfer sein. – Ich werde dir das Geheimnis der Erlösung mitteilen und dich meine inneren Leiden verstehen lassen.“ – Es waren unsagbare innere Leiden und zugleich Belehrungen und innere Schauungen über das innere Leiden des Erlösers, doch das kann in Worten nicht ausgesprochen werden oder erklärt werden. Immer wieder schaute ich das äußere und innere Leiden Christi von seiner Menschwerdung bis zu seinem Tode, und das Miterleben dieser seiner inneren Leiden hat mich damals immer begleitet.

4665 |        Nachdem ich vom Kloster zurückgekommen war, begann gleichsam ein neuer Abschnitt meines Innenlebens. Die Hoffnung meiner Kindheit, Gott im Kloster zu dienen, hatte sich zerschlagen. Praktisch stand ich wie vor einem Ruin all meiner Pläne und Hoffnungen. Ich meinte immer, im Kloster müsse auch mein Innenleben zur Entwicklung kommen, denn in der Welt könne ich das nicht erreichen, weil die Abgeschiedenheit fehlt und man so vielen Ablenkungen ausgesetzt ist. Nun war aber sozusagen ein innerer und äußerer Zusammenbruch da. Aber auf diesen Trümmern meines Nichts zeigte mir der Heiland wieder neue Aspekte jenes Zieles, dem mein ganzes Leben gelten soll. Ich wurde von ihm noch mehr in die Kreuzesschule eingeführt. Er versprach mir immer wieder, er werde mich seine inneren Leiden und die Geheimnisse seiner Erlöserleiden lehren; und immer wieder wurde ich in Gnadenstunden hineinversetzt in seine Stellung und seinen Zustand als Erlöser und wurde innerlich mit emporgenommen in ihn, wie teilnehmend an seinem Leben. Es wurde mir in einer unbeschreiblichen, inneren Schau auch die Früchte seiner Erlösung gezeigt: Wie die Kirche einerseits mit reichen Gnaden ausgestattet wird, wie aber andererseits doch Mängel und Fehler herrschen. Und ich wurde innerlich von ihm angetrieben zu einer freiwilligen Teilnahme an seinen Erlöserleiden; ich solle sein Leben annehmen und gleichsam in seine Eigenschaften eintreten, um die Kirche zur Verwirklichung ihres Ideales hinführen zu helfen. Gewiss hat Christus alles in reichster Fülle für die Menschheit getan; aber seine göttliche Gerechtigkeit will, dass die Menschen das ihrige tun, und dass dabei ein überreicher Ersatz durch das Mittun von Seelen geboten werde, die er dafür befähigt. In unzähligen Gnadenstunden ließ er mich die Mängel der Kirche schauen. Einmal, bei der hl. Messe hatte ich wieder diese innere Schau, und der Heiland sagte dabei: „Es ist eine große Kluft entstanden zwischen Priester und Volk, ich will das durch neue Gnaden überbrücken, damit sie eins seien; das Geheimnis der Erlösung soll vom Priester vorgelebt werden und vom Volk dann übernommen werden, damit auch die äußere Kluft sich zusammenschließt und die Einheit gelebt werde.“ – Ich wurde dann zurückgeführt in die Zeiten der Apostel: Was diese von Christus überkommen haben, das haben sie erfüllt und verwirklicht: Lehrt sie alles halten! Sie haben ihn und sein Leben weitergetragen; damit waren sie mit den Gläubigen verbunden, weil sie ihnen zum Vorbild waren. Sie haben alles weitergegeben in der inneren Kraft des Lebens Jesu, das sie von Christus übernommen haben und das auch die Brücke wurde zum Volk und zu den Gläubigen. – Nebenher ging das empor– und hineingehoben werden in die Geheimnisse seiner inneren Leiden. Ich erlebte mit, wie sein Herz vom Augenblick der Menschwerdung an voll Verlangen war, dass die Früchte der Erlösung voll ausgewertet würden, dass sich damit die Absichten der göttlichen Liebe verwirklichen möchten. Er sah aber voraus, dass die Dinge vielfach gegen die Rechnung der Liebe Gottes gehen würden, insofern Gott so viel verkannt und missachtet wird. – Und es war doch die Menschwerdung die größte Liebestat Gottes; Christus hat darin mit seiner menschlichen Natur sich zum Eigentum der Menschen gemacht und hat sich mit ihnen so verbunden, dass er Mensch wurde, gleich den anderen Menschen (es ist aber nicht in Worten auszudrücken, welches der Reichtum der inneren Erkenntnisse darüber war, welche Schauungen ich hatte, welche Belehrungen über seine Menschwerdung, über die Pläne der Erlösung, welche Verbindung mit ihm). Ich schaute, wie weit und freigebig der Heiland die Gnaden den Menschen mitteilt, wie sie dann aber abgewiesen werden und wie der Heiland sozusagen wie ein Enttäuschter, Geschmähter, gleichsam Blamierter vor den Menschen steht, wie vor einem Ruin seines Erlöserlebens, das so wenig Früchte getragen hat (wie er voraussah). Und die Kirche bilde im Vergleich zu dem, was sie sein sollte, gleichsam eine armselige Figur, die „streitende Kirche“ die in sich zerfallen und zerrissen ist, weil die Gnade Gottes nicht ausgelebt und verwertet wird. In wenigen Seelen kommen die Früchte der Erlösung ganz zur Anwendung und doch stellt sich der Heiland mit dem ganzen Reichtum der erworbenen Gnaden allen zur Verfügung. – Und ich schaute den Heiland, wie er ganz verzehrt war vor Verlangen; wie er in seinem Erdenleben gelitten hat unter dem Vorauswissen, dass es nicht zur Fülle der Verwirklichung seiner Absichten kommen wird. Ich wurde so hineingezogene in dieses innere Leiden Christi, dass ich meinte, selbst ganz verzehrt zu werden von dieser Ohnmacht, indem ich sah, was der Heiland in seinem Erdenleben gelitten hat, weil er die Wirklichkeit der verschiedenen Jahrhunderte vorausgesehen hat: dass nämlich die Mängel in den Seelen der Erlösten und der Kirche weitergehen würden. – Dann versprach mir der Heiland: „Ich will eine Seele finden, in der ich den Reichtum meiner Liebe ganz auswerten will. Sei du diese Seele, die seine Gnaden so ganz annimmt, dass es zu einer inneren Vollendung komme und die Absichten seiner Erlösung sich voll verwirklichen“. Dadurch wurde in mir das Verlangen nach den Gnaden, die der Heiland bereithält, zu einer furchtbaren, unbeschreiblichen Seelenqual, zu einer Sterbensqual. Eine besondere Welle von Gnaden erlebte ich in den Fasching­stagen 1927, in denen ich in St. Ruprecht blieb. Am Faschingsdienstag erlebte ich wieder den Reichtum seiner Erlösung, und wie dieser verkannt wird, weil man die Gnaden nicht ausschöpft und weil sein „Leben“ in den Seelen wie ein Fiasko ist vor den Feinden Christi. – Und dann kam wieder dieses tödliche Verlangen und betteln über mich, dass ich doch selbst dem großen Verlangen seines Herzens entspreche. – Die Leute waren schon alle fort aus der Kirche und ich konnte mich nicht losreißen von dieser Schauung, diesen Erkenntnissen, von dem Verlangen, dass er erkannt würde, von diesem Hineingenommensein in ihn, von diesem Angenommensein für seine Absichten, von dieser Hingabe an ihn. –

4666 |        Im Jahre 1927 fing auch eine Vertiefung und Intensivierung der Erkenntnis über die Priester an. Jesus hat sie als wahre Nachfolger seines Lebens gestellt. Sie sollen die Absichten seiner Liebe in der Kirche vollführen. Für so viele Mängel in der Kirche ist das Versagen der Priester verantwortlich. Der Priester ist aber der Kanal seines göttlichen Lebens, das durch sie in die Seelen überströmen soll. Wenn er in den Priestern nicht lebt, ist meist auch das Leben in den Seelen tot. Die Apostel haben nicht nur seine Lehre weitergegeben, sondern auch das, was er ihnen zu tun empfohlen hatte. Es wurde mir immer wieder erklärt, wie der Heiland sich die Priester nach den Absichten seines Herzens wünscht. Wie sie losgelöst sein sollen von der Anhänglichkeit an irdischen Dingen und Gütern, oder an Menschen, die ihnen eine Kette werden könnten, die ihre Hingabe hindert oder mindert. Die Priester sind für ihn da, um sein Leben den Menschen zu vermitteln. Es wurde mir auch erklärt, wie der Heiland sie liebt, wie sie gleich Wachs in seiner Hand sein sollen, in steter Abhängigkeit und Vereinigung mit ihm; zu welcher Vertrautheit und Vereinigung mit ihm er sie bestimmt hat und wie er sie zu sich empor führen will. Immer wieder sah ich die Sehnsucht des Herzens Jesu nach der Vervollkommnung seiner Priester und nach der Liebe seiner Priester. Er verzehrt sich sozusagen vor lauter Verlangen nach Liebe, oder dass die Priester ihn wirklich als ihren Meister ehren und anerkennen, von ihm alles nehmen und annehmen, für ihn alles geben und hingeben, ihm zum Mittelpunkt ihres Lebens machen und ihn den Menschen geben.

4667 |        Im Juni 1927 wurde mir am Beispiel meines Beichtvaters in vielfacher Weise gezeigt, wie der Heiland seine Priester wünscht, was sie aufgeben und was sie annehmen sollen, um wirklich dem Heiland wohlgefällige Priester zu sein. Damals hatte ich auch öfters Perioden, wo sein Leben in mir so stark war, dass ich einige Tage lang kein Bedürfnis zu essen hatte. Sein Leben in mir war dann so stark, dass es mir das Essen ersetzte (meine Schwestern sagten: Jetzt fängt sie an, wie Therese Neumann). Ich habe getan, als ob ich esse, und habe es weggeschüttet. Am Dreifaltigkeitsfest 1927 ging ich zu P. Michael. Er sagte mir, ich solle es als Unvollkommenheit betrachten, wenn ich nicht auf die Gnade Gottes höre. Vom Jahre 1927 an wurde ich auch zuweilen von der Gnade mit emporgenommen, um auch die körperlichen Leiden Christi innerlich zu erleben. Ich war sozusagen immer in das äußere und innere Leiden Christi in einem inneren Miterleben hineingezogen. Ich war dabei so mit ihm vereinigt, wie wenn ich ER wäre. Und es wurde mir gezeigt (und er ließ es mich im Voraus erfahren, dass ich sein Leiden von innen heraus, d. h., von seiner Stellung aus, erleben würde.) Es wurde mir gezeigt, dass Therese Neumann mehr als das schauende Mitleiden hatte, ein Miterleiden wie ein Zuschauer, und ich erkannte innerlich, auf welche Weise die Gnade bewirkt, dass sich das vollzieht, dass sie als zuschauend, als Mitgeherin in das Leiden Christi hineingeführt wird.

4668 |        Anna Katharina Emmerich hatte einen höheren Grad des Mitleidens. Das Entscheidende dabei ist auch die wesentliche Vereinigung mit Gott. Bei Therese Neumann fehlten die vorbereitenden aktiven und passiven Leiden. Sie sollte Mitgeherin sein. A.K. Emmerich war in einem höheren Grad des Erlebens Christi, sie war persönlich hineingezogen als Sühne „Vertreterin“ Christi. Im Anschluss daran wurde mir mein Innenleben erklärt: Der Heiland will sein inneres Leben und Leiden in mir erneuern. Das vollzieht sich aber nicht „von außen“, als beschauendes Erleben, sondern von innen her, persönlich erlebend, sodass man kraft der gnadenvollen Vereinigung mit ihm wie in seine Person hineinversetzt ist (es lässt sich im Grunde aber nicht in Worten ausdrücken). Man ist dabei in der Eigenschaft einer Stellvertretung. Und es wurden mir die Wege und Grade bis zu dieser Stellung oder Stellvertretung erklärt. Und immer wurde ich im Voraus hineinversetzt in jene Stellung, die das Ziel meiner inneren Entwicklung ist. Es war dies eine vorübergehende Vorwegnahme und eine Zielerklärung meiner Aufgabe, dieses Hineinversetztwerdens in die Person Christi (es lässt sich aber mit keinem Wort ganz erklären). – Der Heiland war sozusagen immer „offen“ oder offenstehend für mich. Es genügte ein Blick und ich war in ihn hineingezogen und erlebte seine inneren Geheimnisse und seine Leiden.

4669 |        In den Jahren 1928/29 wurde ich vom Geheimnis der Erlösung aus hingeführt zu den Absichten Jesu über das Priestertum im eigentlichen Sinne (in meinem Innenleben herrschte ja immer ein sozusagen organisches langsames Wachsen des Erlebens, ein fortwährend steigendes Erkennen der Absichten für die Kirche). – Mein ganzes Innenleben hat nur das eine Ziel, ihm Opfer zu sein für die Erneuerung der Kirche, für die er Erlöser geworden ist. Das Ganze dient dem inneren Wachstum der Kirche und den Absichten, die er für das Priestertum und für die Kirche hat.

4670 |        In jener Zeit war ich halbe Nächte lang mit dem Heiland vereinigt und mitleidend, und einmal war ich wirklich mit ihm gekreuzigt, wie wenn ich sterben würde. Die Wundmale habe ich oft und tagelang gespürt. Wenn ich den schmerzhaften Rosenkranz betete, wurde ich so in ihn hineinversetzt, dass ich ein wirkliches Miterleiden hatte. Ich spürte die Dornenkrone und wurde ganz steif. Ich habe mich vor mir selbst geschämt. Wenn das Stübchen zu Hause reden könnte, was sich dort alles vollzogen hat an Leiden, Liebe und Vertrautheit mit dem Heiland! – Und dann kam wieder die große Trockenheit, Wochen und Monate lang, wo ich wieder alles angezweifelt habe. Weil jene Vereinigung nicht immer geblieben ist, meinte ich, es sei alles Täuschungen gewesen, denn da ich noch wenig Erfahrung hatte, meinte ich, jene einmal gehabte Vereinigung müsse immer bleiben. Um es aber doch recht zu machen, betete ich – gleichsam zur Vorsorge – viele Gebete und Rosenkränze; auch in der größten Trockenheit habe ich das Gebet niemals ausgelassen, sondern immer nur eifriger gebetet. Die fühlbare Gnade habe ich nie gesucht; durch mündliches Gebet wollte ich aber meinen „Unglauben“ ausgleichen, falls der nicht in Ordnung gewesen wäre. Ich sagte dem Heiland: „Ich glaube nichts mehr von dem; ich will aber fleißig beten, das kann mich nicht täuschen.“

4671 |        Das Hauptziel meines Innenlebens war immer die wesentliche Reinigung der Seele. Nach außen war alles ein gewöhnliches Christenleben. Die Beichte und gute Vorbereitung auf die hl. Kommunion war immer das Wichtigste; sehr gerne habe ich immer den freudenreichen Rosenkranz als Vorbereitung auf die hl. Kommunion gebetet. – Und dann kam immer wieder er. Und er zeigte mir und ließ mich verstehen: So bin ich in der hl. Hostie gegenwärtig (ich erkannte dabei sein Wesen, seine ganze abgerundete Persönlichkeit) und so komme ich zu dir. Und in dieser Form war er bei mir. Zwei Leute von unserer Pfarrei haben sich gefragt, wieso ich denn so versenkt sei; ich sei ganz unbeweglich nach der hl. Kommunion. – Tatsächlich hatte ich den Gebrauch meiner Sinne, aber ich war vollständig von allem abgeschlossen in diesem Erleben. Psychologisch und irgendwie auch physisch vollzieht sich dabei eine Veränderung; es bleibt gleichsam im Kopf etwas stehen. Die Fantasie oder bestimmte Tätigkeiten wurden ausgeschaltet und es war nur der Geist da. Man wird in den Geist hineingehoben, und in diesem Zustand, wie in einem reinen Geistsein, kann man den Heiland erleben. Es ist wie ein Überwallen des Geistes oder der Geistseele. Oft meinte ich: Jetzt will ich aufpassen, wie das vor sich geht, und immer wieder war ich drinnen, ohne zu wissen, wie es gekommen war; man kann dem Vorgang nicht folgen. Man wird in die Liebe hineingenommen und durch die Liebe wird man eingeführt in diesen Zustand. Und wenn ich mich immer wieder nachher fragte: „Wie kam das?“, hatte ich keine Erklärung. Zudem ist dieser Zustand jedes Mal wie neu, es gibt da keine Wiederholung. Man kann nicht sagen: In dieser Vereinigung bin ich schon gewesen; jedes Erleben ist wieder neues Erleben, das das Vorhergehende überbietet. Christus ist immer wieder neu erlebenswert, so wie wenn man ihn noch niemals derart erlebt hätte. Es gibt keine wirkliche Wiederholung, sondern jeder Augenblick des Erlebens ist eine Wirklichkeit, und die Wirklichkeit dieses Erlebens ist für die Seele das auffallende. Pater Michael Lenz O.P. nannte es halb–ekstatische Zustände, wo zwar nicht die physische Natur entrückt ist, wo aber der Geist entrückt und in ihm gebunden ist. Es gibt zwischen Menschen kein Zusammensein und keine Vereinigung, die jener Vereinigung mit Christus ähnlich wäre, denn es ist ein Teilnehmen am Objekt Christi und Gottes, das man erlebt. Man kann in keinen Menschen so eingehen, wie man in Christus eingeht, deshalb ist auch eine immerwährende Steigerung möglich. Man erlebt auch, wie man sich immer mehr von allem losmacht durch das eigene Verlangen und durch das Hineingezogenwerden von der anderen Seite.

4672 |        Die Grundtatsache in jenen Jahren war die Entwicklung, Intensivierung und Entfaltung meines Innenlebens in verschiedenen Formen, und zwar als Vorbereitung für meine geistige Aufgabe. Man kann Folgendes herausheben:

1.)  Ein intensives Streben nach Selbstheiligung. Man erfasst als die höchste Aufgabe: Vollkommen werden! Dieses sittliche Vollkommenheitsstreben ist das Um und Auf oder der Kern der Pflichten, die man durch die Vereinigung mit dem Heiland übernommen hat und die einem in diesem Vereinigungsleben vor Augen gestellt wurden. Dieses Streben nach Selbstheiligung war die Triebfeder von allem.

2.) Es war ein Opfersein für bestimmte Absichten und Zwecke, die er hatte und die mir noch in etwa verborgen waren. Ich sollte ihm hingeopfert sein, um ihm ein Mittel und Werkzeug zu sein für Absichten, die er damit erreichen will. Hierfür wurde ich zur größeren Opferbereitschaft und Opferfähigkeit, zur letzten Hingabe an ihn angeregt.

3.) Dazu kam das Innewerden und Erleben der Geheimnisse der Erlösung und seines Erlöserseins, das Hineingenommensein in das Geheimnis seiner Menschwerdung und in die Absichten seiner Erlösung; das Erleben der Früchte der Erlösung, wie sie in den Seelen wirksam werden sollen; das Hineingenommenwerden in seine inneren und äußeren Erlöserleiden, die er gleichsam mir übertragen hat, indem er mich tage– und wochenlang in diesen Zustand hinein versetzte.

4.) Das Ganze hatte aber ein bestimmtes Ziel und einen Zweck, nämlich die Erneuerung der Kirche. Alles soll gebraucht werden für die geistige Erneuerung der Priester, die die Werkzeuge des sich in ihnen fortsetzenden Christus sind. In den Priestern soll auch die Erlösung gleichsam fließend werden.

4673 |        Bis zum Jahre 1929 war das Innenleben so weit, dass alles in dem letzten Ziele gipfelte und darin zusammengefasst war. Darum die Schauungen über seine Kirche, über deren Mängel, und wie diese ausgebessert und behoben werden sollen durch innerliche Priester, die den Geist Christi in sich tragen. Jesus will den Geist seines Herzens nochmals ausgießen über seine Kirche, wie einst in den Zeiten der Apostel, die mit seinem Leben hinausgezogen sind und die Welt für ihn gewonnen haben. – Im Jahre 1929/30 hat sich zielhaft alles auf die Priestererneuerung hingeordnet. Von da an hat der Heiland klar ausgesprochen: Dies ist das Ziel aller Gnaden, die er mir gegeben hat und gibt: eine allgemeine Erneuerung des Priestertums herbeizuführen. – Ich hatte damals viele Erleuchtungen darüber, wie der Heiland so bereit war, alle Priester mit sich selbst auszustatten und ihnen sein Leben zu schenken. Mit diesem seinem Leben gehen sie dann hinaus und machen die Welt wieder von Neuem christlich. Dies liegt in den Absichten seines Herzens.

4674 |        Einmal sah ich dies klar in einer geistigen Vision: Der Heiland ausgesetzt in der Monstranz; es war er, und es gingen unzählige Strahlen von ihm aus, deren jeder wiederum er war. Und diese unzähligen Strahlen, die er waren, trafen die Priester der Kirche. Es war, wie wenn eine Sonne alle bescheint, und in jedem Strahl der Sonne war sein Leben, und die Priester der Kirche wurden von diesen Strahlen getroffen; und jeder, der davon getroffen wird, steht auf und ruht in diesem Leben. „So will er in den Priestern leben“.

4675 |        Bei jedem Vereinigungserleben im Jahre 1929 wurde ich in diese Absichten Jesu für seine Priester hineinversetzt; und immer wieder kam die Forderung: Dazu sollst du Mir Opfer sein! Dies ist ja das größte Anliegen seines Herzens, und die Erneuerung der Kirche hängt davon ab, dass die Prie­ster sich innerlich erneuern und sein Leben leben. Was den Heiland gleichsam verzehrt? Das ist das Verlangen nach der Fruchtbarkeit seines Lebens in den Priestern. Es verlangt ihn danach, es mitteilen zu können, aber die Priester müssen es annehmen. Sie sind die Vertrauten seines Herzens und sie stehen ihm am nächsten. Niemand steht an sich dem Heiland so nahe wie die Priester, weil sie doch bestimmt sind, seine Erlösung in der Kirche gleichsam fortzusetzen und seine Werke in der Kirche sichtbar zu vollführen. Deshalb stehen sie ihm am nächsten. So wurde das Ziel im Jahre 1930 immer wieder zusammengefasst: „Ich will neue Gnaden über das Priestertum ausgießen. Ich bereite eine allgemeine Erneuerung des Priestertums vor, und diese Erneuerung wird, von den Priestern ausgehend, auch die Gläubigen erfassen“. So wechselte mit dem Schauen seiner Absichten auch immer wieder die Erkenntnis der Schäden, der Lauheit und des Versagens in der Kirche.

4676 |        Im Jahre 1927 wurde H.H. Kickenwaitz nach Graz versetzt. Nach St. Ruprecht kam H. Dr. Drexler, der mir viel zu leiden gab. Pater Michel wurde im Jahre 1930 nach Eppan bei Bozen, versetzt. Er führte mich dem H.H. Dr. List zu. Ich musste wochenlang alles aufschreiben. Dr. List schrieb mir dann, ich solle nach Graz kommen. Er fragte mich lange aus und hieß alles gut. Besonders das, was ich über das Priestertum geschrieben habe, sei so zeitgemäß und wahr, dass er sofort mit diesen Ideen mitgehe.

4677 |                

4678 |        

Teil II

Ende 1937

4679 |        „du sollst mir das Opfer sein für meine Absichten der Erneuerung meines Priestertums.“ – Schon im Jahre 1925 sprach der Heiland wiederholt ganz klar darüber zu mir, obwohl mir der Weg, und die Art und Weise unbekannt war. Im Jahre 1926/27 zeigte mir Jesus näher an einem mir bekannten Priester, wie er seine Priester nach seinem Herzen bilden wolle. Die meisten Offenbarungen über Jesus „innigste Herzenswünsche und größtes Anliegen“ – wie er sich immer ausdrückte, folgten in den Jahren 1929–1931. Wochenlang stand Jesus mit seinen diesbezüglichen Plänen vor meiner Seele. Trotz meiner beständigen Furcht, mich einem Irrtum hinzugeben, war ich nicht imstande auszuweichen. Jesus sagte mir alles so klar und bestimmt. Zudem gab er mir in jener Zeit Seelenführer, die einmütig die Übernatürlichkeit meines Seelenlebens bestätigten und die zugleich mit der Echtheit der betreffenden Einsprechungen auch die vorhandenen Mängel der Priester zugaben. Die Forderung Jesu entspreche also – so erklärten sie – den Zeitnotwendigkeiten und den Bedürfnissen der hl. Kirche. Ich könne und müsse mich rückhaltlos dem Zuge der außerordentlichen Gnade des Herrn überlassen.

4680 |        er zeigte mir damals seine Pläne im Allgemeinen: Er will, der Not der Zeit entsprechend, neue Gnaden geben, die ausgehen von seinem Herzen. Er will den Priestern sein Herz schenken und damit sein innerstes Leben. Alle Priester sollen bei der hl. Messe mit ihm zu einem Opfer auf dem Altare vereint sein. Aufgrund dieses beständigen Mitopferns gebe er den Priestern jene Gemeinschaft und Einheit mit ihm, worin die neuen Gnaden liegen, durch die das Wirken und Arbeiten der Priester in ihm neue Früchte für die Seelen bringen. „In dieser Weise will ich mir neue Priester und neue Hirten schaffen, die das Angesicht meiner Kirche und die heutige glaubenslose Welt erneuern.“ Die Gnaden, die er mir gebe, würden von der Kirche geprüft werden. Dadurch werde eine vertiefte Art der Priestererziehung veranlasst werden. – Im Jahre 1930 wurde mir vom Heiland auch gesagt, der Hl. Vater werde ein Rundschreiben über das Priestertum herausgeben usw. Später werde eine Kirchenversammlung einberufen, die hauptsächlich auch eine Neuordnung in den Fragen der Priestererziehung bezwecke; doch dürfe dieses Wissen sehr weit der Zeit der Verwirklichung vorausgehen.

4681 |        Immer wieder zeigte mir also der Heiland klar seinen bestimmten Willen: „Ich will meine Kirche durch neue Priester erneuern, durch Priester, die von seinem Herzen ausgehen, deren Glaube so stark und unüberwindlich sein wird, wie in den Zeiten der Apostel.“ Ich musste mich dem Heiland bereit erklären, ihm als Opfer für diese seine Absichten zu dienen, ihm zu diesem Zwecke Schlachtopfer zu sein. – In jenen Jahren vollzog sich mein Innenleben in einer erlebten Einheit mit dem Heiland, der sich mir in vielfacher Weise mitteilte und klagte über die Untreue der Priester seiner Kirche. Seine diesbezüglichen Wünsche standen immerfort vor meiner Seele und trieben mich an, ihm als vollkommenes Opfer in gänzlicher Selbstvernichtung zu allen Leiden und Opfern bereit zu sein und seinem Herzen in diesem seinem größten Anliegen zum Siege zu verhelfen.

4682 |        In den Jahren 1932–1934 traten in meinem Seelenleben jene Offenbarungen mehr in den Hintergrund. Es galt, wie mir Jesus erklärte, mich ganz als Opfer für seine Absichten vorzubereiten. Darum traten n jenen Jahren wieder die Leiden der passiven Reinigung in den Vordergrund. In diesen großen seelischen Leiden schien die vorher so klar erkannte Lebensaufgabe wie ausgelöscht. Es schien mir unglaublich, dass Gott einem Geschöpfe, das er so sehr vor den Menschen und vor dem eigenen Inneren vernichtete, wirklich eine bestimmte Arbeit und Aufgabe in seiner Kirche zugewiesen habe, zumal Jesus in jenen Jahren wenig über seine Absichten mitteilte.

4683 |        Im Jahre 19351742 kam eine neue Wendung in meinem Seelenleben. Nachdem ich am 8. Dezember 1934 das Fest der geistigen Vermählung mit dem lieben Heiland hatte feiern dürfen, stand nun wieder öfter vor meiner Seele jenes schon vor Jahren gezeigte: „ihm ein Opfer sein für das Priestertum!“

4684 |        Merkwürdig war, dass schon in den ersten Jahren der diesbezüglichen Gnaden mir geistig immer ein Priester bekannt war, der mit den Plänen des Herzens Jesu mitarbeiten und mich darin unterstützen werde. Es wurde mir oft die Seele dieses Priesters gezeigt, an der der Heiland ständig arbeitete und den er für die Ausführung seiner Absichten gebrauchen und bereiten wolle. Einmal sagte mir Jesus über diesen mir seelisch bekannten Priester: „er ist eine Johannesseele, der ständig in meinem Herzen lebt.“ Es war mir aber doch dunkel und unbegreiflich, was Jesus damit wolle. Ich wandte die Andeutungen des lb. Heilandes auf meinen Seelenführer an und glaubte, der Heiland meine diesen bei jenen Andeutungen. Doch Jesus sagte mir dann öfters, die damaligen Seelenführer seien nur beispielsweise zum Verständnis der Mitteilungen erwähnt, und wieder stand dann jener „Priester nach seinem Herzen“ vor meiner Seele. Dieser würde sich um die Absichten Gottes annehmen und sich dafür opfern; er werde alles vor die kirchliche Obrigkeit bringen.

4685 |        So vieles stand vor meinem schauenden Geist, was ich damals nicht begriff, was aber in letzter Zeit in merkwürdiger Weise bis ins Kleinste eingetroffen ist, und zwar unter Umständen, die vorher, menschlich gesehen, unmöglich schienen. So wurde mir Jahre zuvor schon immer ein „stilles Plätzchen“, ein stilles Nazareth, wie Jesus sich ausdrückte, gezeigt, nebenan bei Schwestern, wo ich mich in aller Stille auf meine Tätigkeit vorbereiten könne. In besonderen, großen Leiden – ich lebte mitten in der Welt und hatte in der Heimatpfarrei nicht die rechte Führung –, wenn ich in meiner Mutlosigkeit und Verzagtheit schon fast seelisch zusammenbrechen wollte, zeigte mir der Heiland immer wieder „das stille Nazareth, das er für mich bereitet habe“. Einmal – es dürfte im Jahre 1926 gewesen sein, hatte ich eine merkwürdige geistige Erklärung oder Vision. Heute noch weiß ich genau den Platz in unserer Pfarrkirche, wo ich gerade kniete. Da war mir innerlich oder sah ich es – ich weiß nicht recht, wie es auszudrücken – wie Jesus im Himmel vor Heiligen erklärte, er habe besondere Absichten mit mir und er brauche zu diesem Zweck ein stilles Plätzchen für mich, wo ich mich in Stille und Abgeschiedenheit dafür vorbereiten und wo er allein zu meinem Herzen sprechen könne. Ich sah innerlich, wie hierauf eine Ordensstifterin vortrat, sich vor Jesus niederwarf und zu ihm die mir geistig vernehmbaren Worte sprach: „Ich bitte dich, übergib sie der Obhut meiner Töchter!“ Der liebe Heiland willigte ein. Ich vermutete unter der Ordensstifterin die hl. Sophie Barat, doch schien sie es nicht gewesen zu sein. Ich hatte keine weitere Erklärung, wer jene war, doch dürfte es aus den jetzigen Umständen zu entnehmen sein.1743

4686 |        Seit dem Jahre 1935 trat wieder von Neuem „eine bestimmte Lebensaufgabe“ deutlich vor meine Seele und Jesus warb oft um meine volle Zustimmung dafür. Ich solle mich aus freiem Willen dafür entscheiden und solle aus reiner Liebe für meine ganze Lebenszeit ein Opferleben für die Erhöhung und Erneuerung seiner Kirche auf mich nehmen. – Wie ist Jesus doch so herablassend und – ich möchte beinahe sagen – „fein“ und rücksichtsvoll gegenüber seinen geringsten Geschöpfen. Er zwingt niemanden. Er zeigt das tiefe, glühende Verlangen seines Herzens nach den Seelen; er zeigt das Ziel und den Nutzen für die Seelen, zeigt seine Sehnsucht, eine Seele zu finden, die ganz und vorbehaltlos für seine Pläne im Voraus „Ja“ sagt. Er sucht eine Seele, mit der er einen heiligen Tausch eingehen könne, indem er sie nämlich für ihr eigenes Selbst vernichtet, aber ihr dafür eine besondere Mitteilung seines göttlichen Lebens schenken möchte, und die er dann kraft seines Lebens in ihr restlos für seine Liebespläne benützen könne. – So ließ er mich wissen: Er wolle eine Seele heranbilden, die ganz rein, und treu an seiner statt die Absichten seines Herzens weitergeben wolle. Wie sehr spricht der Heiland immer nur eine Sprache der Liebe! Ein Opfer aus reiner Liebe ist die Freude seines Herzens. – Er zeigte mir aber auch all die vielen Leiden, die auf solchen Seelen warten, und er fragte mich: „Willst du meine Gefährtin sein über den Ölberg nach Kalvaria?“ er selbst hat ja sein Leben an einem Kreuz verhaucht; Leiden, Kreuzigung jeder Art werde auch der Anteil jenes Opfers sein, wozu er mich ausersehen habe, ob ich trotzdem Ja sagen könne?

4687 |        Jesus zeigte mir auch das Bild seiner Kirche durch die Jahrhunderte herauf. Er lebt in seiner Kirche weiter. In den Seelen, die er sich erwählt, spendet er ihr immer wieder neue Gnaden. Die Kirche soll ganz Anteil haben an ihm. Er will seine Liebe und die Schätze seiner Gnaden wiederum neu ausströmen lassen in der Kirche. Er sucht – so ließ er mich wissen – eine Seele, deren er sich dazu bedienen will, die aber auch bereit sein muss, mit ihm gekreuzigt zu werden.

4688 |        Der Heiland ließ mich auch – gewiss in weiter Ferne – das Ziel und die Früchte jener vollkommenen Opfergabe schauen: Priester, die ganz nach seinem Herzen gebildet seien, und die er ganz in seiner Liebesgewalt habe; reine Kanäle der Gnade für die Seelen, sodass diese mit neuem Eifer die Liebe des Herzens Jesu aufnehmen werden; seine Kirche geschmückt wie eine Braut, deren wertvollste Geschmeide heilige Priester sind. – Ich sah das Ansehen der Kirche steigen oder sinken durch gute oder schlechte Priester, die sein Leben und von seinem Leben leben. Jesus versprach: Seine Kirche zum höchsten Triumphe zu führen, durch Priester, die sein Leben und von seinem Leben leben.1744

4689 |        Ich sah das Ziel und die Früchte, aber es lag im Dunkel, welcher Weg im Einzelnen zum Ziele führen werde. Der Herr ließ mich zunächst nur verstehen: Er habe einen außergewöhnlichen Weg der Gnade für mich bereitet, etwas das mein ganzes Leben in Anspruch nehmen würde. Er wolle unumschränkt und ohne Vorbehalt in mir herrschen. Man möchte meinen, die Seele, begeistert von so großer Liebe vonseiten Jesu, müsse sich rückhaltlos in seine göttlichen Arme stürzen und sich ganz seiner Liebe ausliefern. Dazu war ich aber immer zu furchtsam und ängstlich. Ich fürchtete ständig, das Opfer einer Täuschung meiner Fantasie oder des bösen Feindes zu sein. So klar mir auch die göttlichen Anregungen – z. B. bei der Hl. Kommunion oder selbst bei den gleichgültigsten Beschäftigungen – waren, rang ich doch immer wieder schwer mit dem Gedanken, vielleicht einen ganz außergewöhnlichen Weg gehen zu müssen. Ich wollte doch nie etwas Besonderes sein, sondern immer nur die Letzte im Hause des Herrn. Aber die göttliche Gnade ließ mich nicht los. Mein wiederholter Vorsatz, nicht auf diese besonderen Absichten und Wege zu hören, die Jesus mich zum Heil der Kirche führen wollte, dieser mein Vorsatz ist immer wieder in volle Hingabe an sein heiligstes Herz zerflossen bei jenen göttlichen Berührungen, die er in grenzenloser Herablassung seinen Kindern gewährt. Von außen hatte ich fast keine Seelenführung; mein Seelenführer meinte damals immer: Das, was ich tue, sei genug um ein verborgenes Opferleben zu führen. Jesus erwiderte mir aber darauf immer wieder: „Ich habe etwas Besonderes für dich bestimmt, du sollst Mir Werkzeug sein zu einem großen Werke“. – Dadurch kam es oft zu großer Ratlosigkeit in meiner Seele. Ich wollte nichts anderes sein als andere Menschen.1745

4690 |        Im Frühjahr 1936 sagte mir Jesus einmal beim Abendgebet: „Bemühe dich um die Adresse des Gründers des Priestersamstages!“ Wie konnte ich diese erreichen? Ich hatte schon vom „Priestersamstag“ gehört und hielt ihn auch, wie ich meine. Wie zufällig bekam ich dann bald darauf eine Zeitschrift in die Hand, wo der Name des Gründers stand; so kam ich in den Besitz seiner Anschrift. Aber nun wollte Jesus so klar, dass ich an diesen schreibe. Aber nein, ich wollte nicht noch weiter gehen. Zu meiner Beschämung muss ich eben gestehen: Ich brachte dem lieben Heiland nur Widerstand statt Liebe entgegen. Ich kämpfte gegen seine besondere Gnade immer bis zum Letzten, aber schließlich blieb er immer der Sieger. Auch damals.

4691 |        Ich sollte also diesem Priester, der mir fremd war, über meine Seelenangelegenheit schreiben, über meine ständig und tief erfasste Berufung, dem Herzen Jesu Schlachtopfer sein zu wollen für seine Absichten der Erneuerung des Priestertums. Mein Inneres sträubte sich dagegen; ich wollte es nicht. Aber Jesu unendliche Liebe besiegte mein Widerstreben. Er versprach mir wieder neu seine ganze Liebe: „Ich werde dir so meine Liebe schenken, wie ich es noch keinem Menschenkind gegenüber getan habe. Tu es Meinem Herzen zuliebe. Oder habe Ich dich bis jetzt nicht immer nur in Meinem Herzen getragen und dir Meine besondere Liebe erwiesen?“ O, wie ist Jesus so gütig gegen die seinen! Und er bittet die Kleinsten der Seelen, dass sie sich von ihm als Werkzeug gebrauchen lassen. – Er versprach mir auch, dass er mir immer weiter den Weg zeige, und mich vor Irrtümern und Täuschungen bewahren werde.

4692 |        So schrieb ich denn dem Gründer des Priestersamstages über mein Seelenleben und über die beständigen Forderungen der Gnade, sowie auch über meine Ratlosigkeit. Es war am Fest Christi Himmelfahrt 1936. Nach einem Monat schickte mir P. Paschalis Schmid C.SS.Salv. verschiedene Schriften eines gewissen P. Ferdinand Baumann S.J. Diese handelten vom Priesterwerk der Dienerin Gottes M. Luise Margareta in Italien. P. Paschalis meinte, ob das nicht mein Weg sei, dort einmal mein Wirkungsfeld zu finden. Ich wollte nicht und dachte doch nicht mehr an ein Kloster. Enttäuscht legte ich die Schriften beiseite. Bald darauf schickte ich die Drucksachen an meinen Seelenführer, denn trotz meines beständigen Widerstrebens zeigte mir Jesus Folgendes: Er wünsche eine deutsche Niederlassung jener Schwesterngenossenschaft. Er wolle das Werk für die Priester, das er in Luise Margareta begonnen habe, durch meine Mitwirkung weiter ausbauen und vollenden. Das sagte mir Jesus wiederholt und so klar, dass ich nicht an der Übernatürlichkeit zweifeln konnte. Zugleich mit der Sendung der Drucksachen an P. Baumann schrieb ich dies auch meinem Seelenführer, Dr. List, in Graz. Dieser nahm zunächst wenig Notiz von der Sache. Doch die Gnade Gottes wirkte damals so stark in mir, dass ich ihr nicht widerstehen konnte. Es stand mir unerschütterlich fest: Irgendwie werde ich einmal zu diesem Werk Stellung nehmen müssen und es auszubauen berufen sein. Im August jenes Jahres machte ich dann Exerzitien bei einem geistigen Führer in Graz. Da wurde mir merkwürdig klar: Jesus will das Werk, das Maria Luise Margareta immer im Plane Gottes sah, in der ganzen Kirche verbreiten, es mit neuen Gnaden bereichern und zu einer Quelle neuer Gnaden für alle Priester machen. Ich sollte mich um die Aufnahme in jenes Kloster bewerben. Nach langem Überlegen willigte mein Seelenführer ein und befahl mir, mit jenem P. Ferdinand Baumann in Verbindung zu treten; denn wenn er von diesem Werke schreibe, werde er wohl auch weitere Beziehungen dazu haben.

4693 |        Durch den Gründer des Priestersamstages hatte ich die Adresse von P. Baumann erhalten. Mit Erlaubnis meines Seelenführers schrieb ich dann an jenen Jesuitenpater über mein Seelenleben. Dieser antwortete, er habe keinen Zweifel, dass mein Seelenleben übernatürlich und echt sei; er werde mir die Aufnahme in jenes Kloster erlangen. Vorsichtig und Zweiflerin, wie ich immer war, sagte ich aber wiederholt zum Heiland: „Wenn du wirklich einen so entscheidenden schweren Schritt von mir willst, musst du mir Gelegenheit geben, jenen Jesuiten persönlich kennenzulernen, damit ich nicht planlos meine Heimat verlassen muss“. Im Laufe der Jahre hatte ich ja verschiedene Erfahrungen gemacht, dass auch Priester nicht immer urteilsfähig sind, weder im persönlichen, noch im schriftlichen Verkehr. Mein Seelenführer war der gleichen Ansicht; doch schien ein Zusammentreffen mit dem Pater wegen der weiten Entfernung unmöglich. Gelegentlich von Exerzitien aber, die P. Baumann im April 1937 im Antoniushaus in Feldkirch hielt, lud er mich ein, daran teilzunehmen. Zugleich wurde mir die Möglichkeit gegeben, die weite Reise zu machen.

4694 |        Offen gesagt war ich wegen der Jugend des Paters etwas enttäuscht. Nach seinen Briefen meinte ich, es müsse ein überaus kluger, älterer, erfahrener Priester sein. Wir kannten uns ja nur aus dem wiederholten Briefwechsel. – Beim ersten Vortrag der Exerzitien – der Pater saß auf dem Stuhl vor der Herz–Jesus–Statue – war es merkwürdig, wie klar mir Jesus sagte: „Auf solchem ruht das Geschick meiner Kirche.“ Dabei schien der Heiland auf den mir noch fremden Priester hinzuweisen. Während jener Tage der inneren Einkehr zeigte mir Jesus ganz klar und bestimmt diesen Priester, den ich im Geiste schon immer geschaut hatte, für den ich eigentlich schon seit vielen Jahren betete und opferte, betreffs dessen sich Jesus immer als Ziel gesetzt hatte, dass er ein Priester nach seinem Herzen werde. – Vorsichtig aber, wie ich war, ließ ich nicht viel davon merken. Es war mir im Gegenteil eine wahre Qual, mich über mein Seelenleben auszusprechen. Aber der liebe Heiland verlangte, dass ich ihm alles sage. Er sei der Sohn seines Herzens, den er für seine Absichten vorbereitet habe.

4695 |        Ich habe dort in jenen Tagen viele Gnaden vom Heiland erhalten, auch viele Beweise dafür, dass jener Pater wirklich der von ihm gemeinte Priester sei. Um keiner Täuschung zu unterliegen, verlangte ich einen Beweis nach dem anderen, aber Jesus – das kann und muss ich offen und sicher feststellen – hat es mir immer aufs Neue bestätigt. – Allem Anschein nach prüfte auch der Pater mich bezüglich der Echtheit meines Innenlebens. Er erklärte schließlich: Auf seine Verantwortung könne ich vollständig dem inneren Zuge der Gnade folgen. In kindlichem Gehorsam unterwarf ich mich seinen priesterlichen Worten. Nun stand mein späterer Beruf klar vor meinem Geistesauge: Irgendwie hatte ich einmal bei jenem Priesterwerk in Italien mitzuarbeiten. Die Hauptsache war mir aber doch noch verborgen.

4696 |        Der liebe Heiland befahl mir, dem Pater zu sagen, er möge sich ganz dem Herzen Jesu für die Erneuerung des Priestertums nach den Absichten seines Herzens opfern und sich ganz als Opfer für dieses große Anliegen betrachten. Schon längere Zeit vom Heiland in dieser Richtung geführt, tat es der P. P. {Paschalis?} Und opferte sich ganz dem Herzen Jesu für die Erreichung jenes Zieles.

4697 |        Nach drei Wochen seelischer Einkehr reiste ich tief befriedigt in meine Heimat zurück. Aber es war erst ein kleiner Anfang dessen, was Jesus wollte. Ende Mai 1937 sagte mir der Heiland wiederholt nach der hl. Kommunion, er habe den P. Baumann erwählt zur Gründung einer Genossenschaft von Priestern in jesuitischer Form, die es sich ganz zur Aufgabe machen, alle Priester der Kirche zu sammeln und sie in den Absichten Jesu entsprechenden Geistes zu erneuern. In diesem Sinne soll das Werk, das Jesus in M. Luise Margareta begonnen hat, ausgebaut und vollendet werden. M. Luise Margareta war nur Wegbereiterin in diesem Geiste. Es soll ein neuer Zweig der Gesellschaft Jesu Sein, dem diese besondere Aufgabe gegeben wurde. Es werde – so teilte mir der Heiland mit – viele Opfer und Leiden deswegen über uns, besonders über den Pater, kommen, aber seine Gnade wird stärker sein und wird alle Schwierigkeiten und Hindernisse überwinden. – Trotz meines inneren Widerstrebens, eine solche Botschaft weiterzugeben, stand der Wille Jesu ganz klar vor mir. Ich konnte keinesfalls zweifeln, dass Jesus es war, der mir dies deutlich sagte und zugleich verschiedene Einzelheiten angab. Ich sah das größte Verlangen des Herzens Jesu: Die Erneuerung und Heiligung seiner Priester, um dadurch eine Erhöhung der hl. Kirche herbeizuführen. – Kein Menschenmund könnte einem etwas klarer vor den Augen führen. Bei solchen göttlichen Mitteilungen versteht und begreift man zugleich den Sinn des Mitgeteilten. Es ist wahrlich ein göttliches Licht, das die Seele in solchen Stunden der Gnade überflutet.

4698 |        Ich schrieb schließlich alles dem Pater. Von verschiedenen anderen Seiten wurde ihm wiederholt das Gleiche mitgeteilt, obwohl eine Verbindung der betreffenden Seelen untereinander ausgeschlossen war. Das war mir gewiss eine große Beruhigung.

4699 |        Bald zeigte Jesus nähere Einzelheiten über die Gründung. Der Pater solle alles seinem Oberen, dem Provinzial, mitteilen. Dieser verlangte, mich zu sprechen. Gerade hatte Gott die Wege geebnet, dass ich abermals nach Feldkirch kommen konnte, und Ende Juli 1937 reiste ich auf Verlangen des H.H. P. Provinzial nach München, damit dieser, mein Seelenleben einer Prüfung unterziehen könne. Er zog einen älteren, erfahrenen Pater hinzu, um mein Seelenleben zu prüfen. Dieser (P. A. Pummerer) versicherte mir: Mein Innenleben ist sicher; es sind echte mystische Gnaden; an der Übernatürlichkeit kann kein Zweifel sein. P. Provinzial hat nachher das Urteil des P. Pummerer schriftlich bestätigt. Der Heiland wollte aber dann, dass auch der Schweizer Vizeprovinzial prüfe und das danach beide für seine Absichten einträten. Diese Prüfung durch den Schweizer Vizeprovinzial lehnte aber P. Baumann1746 ab.

4700 |        Damit schienen irgendwie die ersten Pläne Jesu durch menschliches Eingreifen zum Scheitern gebracht. Es kam ein schwerer Leidensweg. Nur mit der Gnade Gottes ist es möglich, trotz alldem festzuhalten an den Absichten Jesu. Nach dem Willen des Heilandes machte P. Baumann eine Eingabe an seinen höchsten Oberen in Rom. Dieser erklärte von vornherein alles für Täuschung. An die Ausführung des Vorschlages sei gar nicht zu denken. – Er verbot dem Pater meine Seelenführung und jeden persönlichen Kontakt mit mir. Das war ein furchtbarer Schlag, eine Leidenszeit, nicht zu beschrieben.1747

4701 |        Trotzdem schwieg Jesus nicht in meiner Seele. Immer weiter führte und zeigte er, als ob ihn dieser äußere Misserfolg gar nichts anginge, und er gab zugleich die fortwährende innere Gewissheit: „Es wird doch; meine Absichten werden doch durchdringen“. Mit menschlichen Kräften allein wäre es unmöglich gewesen, trotz allem die innere Ruhe und Zuversicht nicht zu verlieren. Und auch dies war mir immer wieder ein Beweis: Die Sache muss halt doch von Gott und Gottes Wille sein; denn andernfalls könnte man ein solches Leidensübermaß nicht ertragen.

4702 |        Unterdessen aber stand ich allein in der weiten Welt, ganz auf die Güte barmherziger Menschen angewiesen. Ich konnte ja niemanden von meiner trostlosen Lage etwas mitteilen. Aber der liebe Heiland hat doch sein Versprechen wahr gemacht und hat mir äußerlich wie durch ein Wunder ein liebes Heim in einem Hause gegeben, was mir die Schwere der Prüfung erträglich macht.

4703 |        Im März 1938 erlaubte P. General dem P. Baumann eine Eingabe an das heilige Offizium in Rom, dass dort der Fall kirchlich geprüft und entschieden werde. Es ist von dort noch keine Antwort eingelangt. Anfang Mai verlangte der liebe Heiland, ich solle an den Heiligen Vater nach Rom schreiben, und ihn in seinem Namen bitten, er möge entscheiden und das letzte Jawort geben. Vorher war ich öfter vom Heiligen Vaters Pius X. dazu ermuntert worden.1748

4704 |        Der Hl. Vater PIUS X hat sich mir wiederholt als besonderer Führsprecher und Patron des zu gründenden Werkes gezeigt und mir innerlich öfter seinen besonderen Schutz und Beistand versichert.

 

4705 |       Anmerkungen vom Digitalisierer:

1. Louise–Marguerite Claret de la Touche ist hier gemeint. Sie gründete in der Nähe von Turin den Orden „Bethanien des Herzen Jesu“ mit dem Ziel, sich für die Heiligung der Kirche und der Priester darzubringen.

2. Ende Juli 1937 war laut Provinzkatalog P. Augustin Rösch SJ Provinzial der Oberdeutschen Provinz.

3. P. Joseph Maria Schnyder SJ war Vizeprovinzial „pro parte Provinciae Germ. Sup. extra Germaniam“. In der Helvetia Sacra 7, S. 605, steht dazu: „Unter Beibehaltung seiner Ämter in Basel wird P. Joseph am 1.9.1936–8.9.1940 Oberer der Missio Helvetica. Am 1.7.1937 erfolgt die Rangerhöhung zum 'Viceprovincialis pro parte Provinciae Germ. Sup. extra Germaniam', da die Verhältnisse im Dritten Reich die faktische Trennung der Schweiz von der Provinzleitung in München nötig machen“.

4. Wladimir Ledóchowski SJ (* 7. Oktober 1868 in Loosdorf bei St. Pölten; † 13. Dezember 1942 in Rom) war ein polnischer Adliger und der 26. General der Societas Jesu.

 

 

Teil III

4706 |        Eigentlich augenfällig wurde mir die besondere Gnade des Heilandes erst im Jahre 1921, als ich 22 Jahre alt war. Früher war ich immer der Meinung, alle Seelen seien innerlich so geführt, und ich hielt alles für Selbstverständlichkeit. Wenn ich jetzt aber zurückschaue auf meine Kinder– und Jugendjahre, so empfinde ich alles anders. Ich sehe, dass Jesus schon in meiner Kindheit in mir den Grund gelegt hat zu den späteren Gnaden, und dass er mich seit dem Erwachen meiner Vernunft besonders begnadet hat.

4707 |        Schon früh muss ich zum Gebrauch meiner Vernunft gelangt sein, da ich mich noch sehr gut gewisser Vorkommnisse meiner ersten Kindeszeit erinnere. So kann ich mich z. B. noch erinnern, wie ich im Alter von einem Jahr das Gehen lernte und meine ersten Schritte zum Vater machte. Viele andere kindliche Dinge mit meinen Geschwistern sind mir noch gut im Gedächtnis aus meinem Alter von 2–6 Jahren, so z. B., wie mein Vater meinem um ein Jahr älteren Bruder das erste Gebet lehrte und uns dabei auf seinen Schoß nahm, und wie mein Bruder, vor seinem Schulanfang, sich ein paar Strümpfe strickte usw.

4708 |        Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich ein sehr schüchternes Kind war, als ich, 6 Jahre alt, zur Schule kam. Ich fürchtete mich vor allem, selbst vor der Lehrerin, einer Schulschwester. Diese mahnte uns Kinder, besonders beim Schulgebet, recht andächtig zu sein. Das wollte ich auch; ich schaute auf das Kreuz an der Wand und, merkwürdig, es ist mir noch heute in so lebhafter Erinnerung: Der Heiland schien mir vom Kreuze her zu sagen – ich war in einem unbegreiflichen Bann; es war mir so lebhaft klar, dass Jesus es war, der vom Kreuze her sagte: – „Schau her zu mir und bete andächtig; von dieser Art des Gebetes wirst du zu jener Art gelangen, dass du mit mir reden kannst, wie Menschen unter sich reden.“

4709 |        Ich konnte mir in meiner kindlichen Art nicht erklären, woher diese innere Stimme vom Kreuze her war. Aber die Wirkung dieser Worte, die mir so deutlich gesagt wurden, war entscheidend. Mir schienen diese Worte vom Heiland, und ich wollte diese Art des Gebetes erreichen; das wurde in jenem Augenblick mein kindlicher Vorsatz. Und welche Freude fühlte ich in mir über das Gehörte! Ich hatte nur ein Streben: Das MUSS ich erreichen. Beim Schulgebet wandte ich keinen Blick vom Kreuze ab. Die früheren Worte zogen meine Blicke dorthin, ich wollte ja mit Jesus reden lernen. Ich hatte die innere Freude der Gnade – die mir freilich unbegreiflich war – damit gehorsam zu sein. Von einem Jahr auf das andere war ich schon neugierig: Wann kann ich mit dem Heiland reden? Alles andere schien mir nichtig.

4710 |        (Schon freute ich mich im Voraus und malte es mir in innigster Freude aus: Wann werde ich das erreichen? Werde ich es im nächsten Jahr erreichen? usw. Voll Neugierde war ich bezüglich der Art dieses Gebetes, wie es eben Kinder sind. Und welche Sorge wandtest du, mein Heiland auf, um meine Seele rein zu bewahren! Du gabst mir die Gnade, mit Tränen der Reue meine Seele zu waschen, und flößtest meiner Seele so große Abscheu und solch eine Furcht vor der Sünde ein! Nein, alles. Nur keine Sünde! Das senktest du mit ernstem Vorsatz in mein Herz.)

4711 |        Jesus zog schon im frühsten Alter meine Seele an sich. Ich selbst war in mir unbefriedigt, ich fühlte mich so voller Fehler. Ich wollte in allem das Beste tun, doch erreichte ich es nicht so, wie ich wollte. Ich betrübe mich so sehr über meine kindlichen Schwachheiten, dass ich oft darüber weinte. Etwas – wovon ich nicht wusste, was es so recht war – machte mich immer wieder auf meine Fehler aufmerksam. Ich hatte in mir den bestimmten Eindruck, der inneren Stimme folgen zu müssen, was ich auch tat. Ich wollte diesen bestimmten Regungen entsprechen. Etwas zog mich innerlich an, woran ich so viel inneres Glück und herzliche Freude fand.

4712 |        Ich war im Alter von 7–8 Jahren so innerlich eingestellt, dass ich nach außen an allem keine Freude fand, was sonst Kinder erfreut. Zuweilen litt ich sehr unter meiner großen Schüchternheit. Andere Kinder waren so lustig; ich war ja auch heiter und wollte mittun, aber ich fürchtete, durch kindliche Ausgelassenheit das süße Glück verlieren zu müssen, das ich in meinem Herzen trug. Hatte ich unversehens einen Fehler gemacht, so bereute ich ihn, ohne dass mir jemand etwas sagte. Eine innere Stimme regte mich dazu an.

4713 |        Wie freute ich mich, wenn in der Schule von der ersten hl. Beichte und der ersten hl. Kommunion gesprochen wurde! Ich konnte es fast nicht erwarten. Ich hatte einen lebhaften Begriff, dass Jesus in der hl. Hostie zugegen sei. Ich hatte das Gefühl, das ich ihn schon lange kenne. Etwas wie Freundschaft fühlte ich mit dem Heiland. Ich meinte eben, es sei allen Kindern so. Der liebe Heiland und die hl. Kommunion war jahrelang vorher der Gegenstand meiner kindlichen Freude und meines Verlangens. Ich hatte so fühlbare Sehnsucht nach Jesus. – Einmal unterhielt ich mich mit einem Nachbarkinde auch über die erste hl. Kommunion. Ich sprach von meinem Verlangen, recht bald zur hl. Kommunion gehen zu dürfen. Da sagte mir eine deutliche, innere Stimme – mein Denken und mein Verstand war in dem Augenblick nach innen gerichtet; ich musste darauf hören –: „Ich werde von den Menschen im hl. Sakrament so verkannt; sie glauben nicht an mich; sie wollen mich nicht empfangen. Ich möchte doch viel Liebe von den Menschen, und ich erwarte sie von dir für andere.“ Ich war fast erschrocken, sagte aber dem Kinde nichts und dachte immer über diese, mir immer lebhaft in Erinnerung gebliebene Worte nach. Ich konnte nicht begreifen, dass man nicht an Jesus glaube und ihn nicht liebe und nicht empfangen wolle. Ich zähle schon die Wochen und Tagen, bis ich ihn das erste Mal empfangen dürfte. Armer Heiland, musste ich immer denken, wie tust du mir leid; du erbarmst mich. – Ich hatte so ein kindliches Mitleid mit ihm. – Aber du wirst sehen: Wen ich darf, werde ich dich gern empfangen und so oft ich darf; und vor allem werde ich dich recht lieb haben, schon deshalb, weil andere dich nicht lieb haben. Ich will es für andere tun, um dir damit Freude zu machen. Von da an war meine Liebe noch inniger. „Ich will Jesus auch für andere lieben“ war immer mein Vorsatz, und dazu: Rein werde ich meine Seele machen, dass du viel Freude an mir hast!

4714 |        (Und wie zogst du mich, O Jesus, an dein hl. Herz in der hl. Hostie (Kommunion). Wie glühte ich, dich in meine Seele aufzunehmen. Ja, ohne alles Verdienst hast du erbarmend mich an dich gezogen. – Wie wird das sein, wenn Jesus in der hl. Kommunion zu mir kommt? Heute noch steht die innere Stimmung von damals vor meinem Geiste. So unfassbar war es meinem kindlichen Geiste, und so traurig machte es mich, als du mich innerlich sehen und begreifen ließest, wie du im hl. Sakrament, in der hl. Hostie, so verachtet und nicht geschätzt und nicht geliebt wirst; man schätze dich nicht, wie es dir gebühre. Aber lieber Heiland, du wirst sehen, wenn ich einmal zur hl. Kommunion gehen darf, ich werde dich recht lieb haben und dich recht gerne empfangen und wie werde ich mich freuen bei dir, und wie freue ich mich jetzt schon darauf; und wie werde ich dir treu sein!

4715 |        Und endlich, als ich 9 oder 10 Jahre alt war, wurde mir dieses ersehnte Glück zuteil. Also recht rein sein, auf jeden Fehler aufpassen, denn Jesus sollte in meinem Herzen wirklich Freude haben! Und welche Freude hast du mir gebracht! So fühlbar war ich bei Jesus. Ich war gleichsam nicht mehr da. Alles in mir war Jesus. „Immer will ich dir treu sein; mein Herz schenke ich dir für immer; ich will dir mein ganzes Leben weihen.“ So betete ich und fühlte, er nahm meine Hingabe an. – Der Weg war also frei, und sooft ich konnte, holte ich mir den Heiland in der hl. Hostie, denn er zog mich mächtig an.)

4716 |        Endlich kam der große Tag: Ich war 10 Jahre alt. So lebhaft ist mir heute noch meine damalige Gesinnung in Erinnerung. Ich betete andächtig mein Morgengebet. – Ich war in diesem Alter schon ein reifes Kind mit ziemlich selbstständiger Denkart. Ich kannte nur eine Sehnsucht: JESUS. Ich hatte ein lebhaftes, fühlbares Verlangen nach ihm.

4717 |        Nach der hl. Kommunion hatte ich Jesus auch fühlbar in meinem Herzen; nach ihm hatte ich mich so lange und so sehr gesehnt, dass ich darunter litt – ich übertreibe nicht, wenn ich mich so ausdrücke. Ja, der liebe Heiland gab sich mir fühlbar. Ich vergaß alles um mich. Alle Kinder um mich standen, ich allein kniete. Ich sagte zum Heiland: Mein ganzes Leben will ich dir weihen; ich will immer dir gehören; mach nur, dass ich dich nie mit einer Sünde beleidige! Mein Herz soll nur dir allein gehörend sein. – Und ich fühlte, Jesus nahm das Opfer seines Kindes an. Ich verlor mich so in ihn, dass ich von mir gar nichts mehr fühlte. Es war ein Ruhen und ein „sein“ in Jesus. Nie schien mir die Sonne so klar; die Erde war so schön, in meiner Seele war es so selig wie nie zuvor. – Nachmittags war eine kleine Unterhaltung bei den Schulschwestern; ich konnte mich aber schwer entschließen, mit den anderen Kindern zu spielen. Ich fürchtete, zerstreut zu werden. Ich wollte ja immer Jesus in mir festhalten. Von da ab strebte ich, sooft mir möglich war, zur hl. Kommunion zu gehen. Jesus zog mich so an sich. Ich hatte eine so fühlbare Liebe zu ihm. Ich betete pünktlich meine täglichen Gebete und wollte meine Seele vor jeder Sünde bewahren. Mein Herz sollte nur meinem Jesus allein gehören. Bei der hl. Kommunion gab er mir oft fühlbare Gnaden seiner Gegenwart, dass es mich wieder zu ihm hinzog. Meine Freude war es immer, mich geistig zu beschäftigen.

4718 |        (Das Lernen machte mir nie Beschwerde; so leicht ging alles und ich hatte großen Wissensdurst. Ich wollte wirklich ein gescheites Mädchen sein, dachte ich immer.)

4719 |        Ich las gern und sehr viel; ich hatte einen großen Wissensdurst, eigentlich eine besondere Anlage für geistige Arbeit. Anstatt mit den Kindern zu spielen, las ich Bücher, die ich mir ausborgte.

4720 |        Schon als ich 12 Jahre alt war, erwachte in mir das Verlangen, ins Kloster zu gehen. Ich hatte ja dem lieben Heiland mein Herz geweiht; anders meinte ich damals, könnte ich nicht treu sein. Von da an begann für mich eine besondere Leidenszeit: Ich meinte, nirgends könnte ich Befriedigung finden; ich fühlte mich unverstanden und allein, und viele Tränen habe ich geweint; ich meinte, dass ich in der Welt nicht glücklich sein könne. In einem Kloster meinte ich, in der Nähe des eucharistischen Heilandes allein könnte ich Frieden finden. Ich betete viel, der Heiland möge mir den Weg ins Kloster zeigen; aber so viel er mir auch an Liebe und fühlbarer Freude bei ihm gab, hierin zeigte er sich zurückhaltend.

4721 |        Am 1. Juni 1909 wurde ich gefirmt. Ich hatte schon als Kind eine besondere Andacht zum Hl. Geist. Ich betete viel zum Hl. Geist um Licht in meiner Berufsfrage, doch der Familienverhältnisse wegen konnte ich mein ersehntes Ziel nicht erreichen (mein Vater war gestorben, als ich 6 Jahre alt war; ich war das zweitälteste Kind). Meine Mutter brauchte mich zur Arbeit; sie sagte, man könne auch in der Welt brav und tugendhaft sein. Ich litt so darunter, dass ich fast traurig und verzagt wurde unter meinem kindlichen Leid.

4722 |        Heute sehe ich diese kleinen Leiden meiner Kindheit mit anderen Augen an: Jesus allein wollte sich zum Besitzer meines Herzens machen; darum flößte er mir dieses ungestüme Verlangen nach dem Klosterleben ein, um mir die Freude der Welt zu verbittern. Nirgends sollte ich Freude finden als bei ihm. Er führte mich schon in meiner frühsten Jugend den Kreuzweg, dass meine Seele ihm sicher sei, und er lehrte mich, in allen Leiden nur bei ihm Trost zu suchen.

4723 |        er tröstete mich oft in fühlbarer Weise. Schon der süße Name „Jesus“ konnte mich von Freude erfüllt machen.

4724 |        (Welche Wonne und Freude erweckte es schon in mir, deinen lb. Namen zu nennen; ja ich war in der Zeit, als ich 13-14 Jahre alt war, schon ganz verliebt in dich; nein, du gibst mir die Gnade, dich lieben zu dürfen. Du zogst mich immer mehr in deinen eucharistischen Kreis, gewiss, um mich mehr zu beschützen und mir mehr Heiland zu sein. – Eigentlich war ich in großer Gefahr, an meiner Unschuld Schaden zu leiden, aber Jesus bewachte mich ... In diesen Jahren war es, dass du mir das heiße Verlangen eingabst, nach Heiligkeit zu streben; „ich muss um jeden Preis heilig werden“, das sollte mein Lebensgrundsatz sein. Und welches Glück, welche Befriedigung fand ich schon in diesem Streben! In Stunden der Nacht ließ mich Jesus die Fülle seiner süßen Gegenwart fühlen und zeigte er mir sein Verlangen, mich ganz an sich zu ziehen ... Wenn ich auch, dank der Gnade Gottes, mich niemals der Weltlust ergab in meinen Jugendjahren, so war ich doch ein lustiges und heiteres Mädchen, und auch das hätte meiner Seele Gefahr bringen können. Aber du, mein Heiland, ließest ein tiefes Unbefriedigtsein in meiner Seele aufkommen; ich fand in der Natürlichkeit meines äußeren Lebens keine Ruhe mehr. Nach Höherem sollte mein Streben gehen ... Ein Verlangen, nur für Gott zu leben, erfüllte mich. Keine Freude dieses Lebens wollte ich mehr genießen. „O Jesus, verwandle mir jede irdische Freude in Bitterkeit“, diese Bitte legtest du mir so oft ins Herz. Nichts, was mein Herz in irdischer Weise erfreuen konnte, wolltest du meiner Seele bieten; nein, du wolltest mich ganz emporziehen zu dir auf dem Kreuzweg. Und das Kreuz wurde mein Anteil. Während man sich sonst in diesen jungen Jahren des Lebens freut, senkte sich die Nacht des Leidens in meine Seele … Jesus verbarg sich vor mir, vor den Blicken meiner Seele.)

4725 |        Ich hatte schon als Kind ein bestimmtes Innenleben geführt und Jesus war mein Lehrer. Er lehrte mich die Sünde fürchten, meine täglichen Pflichten gut erfüllen. Ich konnte mir eigentlich gar nichts anderes denken, als dass ich genau alles tat, was meine Pflicht in der Schule war. Aber immer wieder schwebten mir die Worte vom Kreuze her vor Augen: „Von dieser Art des Gebetes wirst du zu jener gelangen, dass du mit mir reden kannst“. Wann werde ich das erreichen? Dieses Jahr noch, oder im nächsten? Wie weit werde ich in dieser oder jener Zeit sein? Dies war das Ziel meines Gebetes, dass ich ihn dadurch in besonderer Weise finden könne. Ich betete kindlich zu ihm nach der hl. Kommunion, und er gab sich mir zu verstehen. Ich meine, ich hatte von Kindheit an eine bestimmte innere Gnadenführung, die mich leitete und beschützte und zurechtwies; doch hatte ich in mir das Bewusstsein, es sei immer noch nicht das, was mir versprochen war.

4726 |        Doch die Zeit sollte einmal kommen, nach langem Kreuzweggehen. Ja, man kommt nur durch Kreuz und Leiden in die Nähe des Heilandes, und alle, die ihn auf einem anderen Weg suchen, irren sich. Ich war noch ein Kind und trug schwer an meinem kindlichen Kreuze des Unverstandenseins und Verzagtseins. Ich fühlte mich allein und mein Ziel schien mir ganz in unbegrenzte Ferne gerückt, als ich die Schule verlassen musste. Hinaus ins Leben, in die kalte Welt; mir bangte davor; ich fürchtete mich. In der Schule war ich immer mehr für mich allein gewesen. Wie viel habe ich im Stillen geweint, als ich aus der Schule kam! Eines war mir aber doch zum Glück: Ich war selbstständiger und konnte öfter zur Kommunion gehen.

4727 |        So ging ich alle Sonntage zur hl. Beichte und Kommunion. Was hat mir Jesus in diesen Jahren an Tröstungen bei der hl. Kommunion geschenkt! Er war so fühlbar in mir und zog mich jedes Mal mit Liebe an sich. Ich wollte ihm so treu sein, wie es ihm noch niemand gewesen sei, so sagte ich ihm immer wieder in meiner kindlichen Art. Er lehrte mich auch, ihm ganz treu zu sein, und flößte mir in jenem Alter das Verlangen ein: Ich muss heilig werden, ich will heilig werden, ich will das Höchste anstreben, mich mit keiner Mittelstufe zufriedengeben.

4728 |        Der Sonntag war der Tag meines Glückes; die Woche schien mir öde und leer; doch wollte ich auch diese benützen, um mich recht gut auf die hl. Kommunion am Sonntag vorzubereiten. Mein damaliger Beichtvater lehrte mich, dass hl. Herz Jesu zu verehre. Ich wollte dieses Herz nicht nur verehren, ich wollte es auch ganz besitzen und mir zu eigen machen. So viele Tröstungen und Gnaden gab mir der Heiland! Er zog mein Herz ganz ab von der Welt. Nichts sollte meine Liebe zu ihm stören. Irdisch gesagt war ich ja nie glücklich; ein unbekanntes Sehnen erfüllte meine jugendliche Seele; ich fühlte ein unbestimmtes Verlangen in mir, sodass nichts mir Befriedigung bringen konnte. Heute danke ich noch dem Heiland, dass er mein Herz vor eitler Weltlust bewahrte und sein Eigentum vor der Verführung schützte. Ich konnte nicht erreichen, in ein Kloster zu gehen, aber mein Leben, mein Herz sollte trotzdem ihm allein gehören. Er sollte mein Bräutigam sein. Es waltete schon ein süßes Geheimnis in meiner jungen Seele. Du, mein Heiland, und ich, wir wollen uns für immer gehören. War es bei der gnadenreichen Stunde der hl. Kommunion: Er warb um meine Seele, er zeigte sich mir als der Reichste, der Liebenswürdigste; er gab sich mir zu erkennen, dass ich ihn gleich kannte, wenn er sich zu meiner Armseligkeit herabließ. Ich wusste, es war Jesus, dessen Nähe mich so beglückte.

4729 |        Ich kannte ihn schon mit 14–15 Jahren. Er war der Vertraute meines Herzens. Wenn alle schliefen, wachte mein Herz bei ihm. Ich freute mich abends, dass ich doch wieder bei ihm sein durfte. Und was tat er, wenn er bei mir war? Er gab sich mir zu erkennen als der Führer meiner Seele. Er ließ mich seine unendliche Liebe zu den Menschen und zu mir schauen, seinem kleinsten Kinde. Ich wollte ganz sein Eigentum sein. Er ließ mich an seinem Herzen die Ströme seiner Süßigkeit und Tröstungen kosten. Ja, ohne alles Verdienst hat sich dein Herz schon in meinen Jugendjahren zu mir herabgelassen und mich erbarmend an dich gezogen. Meine erste junge Liebe sollte darum nur ihm allein gehören. Ich wollte ihm treu sein, wollte heilig werden. Er sollte mein Alles sein. Sooft es mir möglich war, empfing ich die hl. Kommunion, auch wenn es mir schwere Opfer kostete. Mein Herz sehnte sich nach ihm, der mir alles war. Wie viele Gnaden gab mir Gott in diesen Jugendjahren, als andere in Weltlust lebten und nicht ahnten, wo das größte Glück zu finden sei. Er zog mich ganz ab von der Welt. Alles erschien mir flüchtig und eitel. Nur die Liebe zu Jesus schien mir begehrenswert.

4730 |        Äußerlich hatte ich eine schwere Lage; ich war anscheinend unentbehrlich geworden. Es war ein beständiges Kreuz, das mich drückte, doch gerade der Kreuzweg führte mich immer in Gottes Nähe. Ich sollte noch tiefer in das Geheimnis des Kreuzes eingeweiht werden.

4731 |        Im Verkehr mit Jesus hatte ich so unaussprechliche Freude gefunden. Er gab sich mir zu erkennen und ich kannte ihn schon in seiner ganzen Liebenswürdigkeit. Ich weiß nicht, ob alle Seelen so geführt werden. Ich meinte damals so, und fand es für selbstverständlich, dass Gott alle Seelen mit seiner Gegenwart begnade, und ich meinte, er sei allen so gut.

4732 |        Wenn aber Gott zu jemand gut war, so war er es zu mir. ihm sei ewiger Dank dafür. Ich schreibe im Gehorsam, was mir mit der Gnade Gottes in Erinnerung kommt über die Gnade, die ich vom Heiland empfangen habe. Trotz meines Bemühens ist es doch nur ein wenig, was ich schreiben kann; denn niemals kann man ermessen und begreiflich machen, was Jesus schon in meinen Jugendjahren in meiner Seele gewirkt hat. Vielleicht hat mir Jesus damals schon Gnaden geschenkt, die ein langes Leben voll Eifer und Tugend voraussetzen würden.

4733 |        Bisher hatte ich nur Eifer und Liebe im Dienste des Heilandes verspürt. Als ich 16 oder 17 Jahre alt war, fühlte ich die spürbare Liebe zu ihm in mir erkalten. Seine Liebe zu mir, die mir bis dahin so viel Freude war, machte einer gewissen Kälte gegen mich Platz, wenigstens meinte ich, dass es so sei. Ich wusste eben nicht, warum mich Jesus nicht mehr so in reichem Maße seine Gegenwart fühlen ließ. Zugleich war ich von öfteren, inneren Vorwürfen geplagt, meine Liebe zu Gott müsse vollkommener werden. Alles was ich bis dahin getan, schien mir Untreue und Nachlässigkeit. Ich bemühte mich noch mehr, mich allen jugendlichen Zerstreuungen und jeder Weltlichkeit zu entziehen und mehr dem Zuge der Gnade zu folgen. Ich litt sehr darunter, dass meine Seele wochenlang in tiefster Finsternis blieb und Jesus sein Kind scheinbar allein ließ. Nach Wochen kam wohl wieder für kurze Zeit Licht in meine Seele. Der Heiland, seine fühlbare Gnade, verlangte größere Treue, vollkommenen Anschluss an ihn. Meine Fehler und Sünden standen zu scharf vor meiner Seele. Ich wollte so rein sein und brachte es so wenig fertig.

4734 |        In jener Zeit war es, dass Jesus in den Zwischenpausen der Prüfung Lehrer meiner Seele war. Er lehrte mich, dass ich mich ihm im Kleinsten ganz überlasse. Wenn ich zur hl. Beichte ging, hatte ich fast jedes Mal die fühlbare Mahnung, dies oder jenes entschieden abzulegen, einen bestimmten Vorsatz ihm zu übergeben. Er würde mich in diesen Punkten mahnen und schützen. Jahrelang war mir diese Gnade so fühlbar, dass ich gar nicht anders konnte, als der inneren Stimme folgen. Gott lässt seinen Kindern oft in allem den freien Willen; wenn man meint, dass Gott begnadeten Seelen diese Freiheit nehme, so irrt man sich. Durch beständige Kämpfe und erneute Rückfälle muss jede Seele sich emporarbeiten aus der angeborenen Menschlichkeit und Schwäche. Man lernt sich selbst erkennen, sich ganz auf die Gnade stützen und sich in allem von ihr leiten lassen.

4735 |        Gott nahm mich früh in seine Leidensschule. Die Zeit, wo ich ganz in seelischer Finsternis war, dauerte jeweils mehrere Monate. Ich schrieb alles meiner Untreue gegen den Heiland zu. Damals hatte ich Gelegenheit meine ersten Exerzitien zu machen; ich war 17 Jahre alt. Das war ein Wendepunkt in meinem inneren Leben. Wie in einem Spiegel schaute ich alle Unvollkommenheiten und Fehler meines Lebens im Einzelnen. Ich hatte ganz fühlbare Gnaden und Licht, wie ich alles verbessern und vollkommen machen könnte. Ich wollte nach höchster Vollkommenheit streben. Es war mir innerlich sicher, dass der Heiland dies von mir verlangte. Wie gerne folgte ich seiner Stimme! In gewissem Sinne war ich nie ein Weltkind. Jesus hat sein Kind vor jeder irdischen Liebe und vor allen Torheiten der Jugend bewahrt und meine Herzensreinheit mit Sorgfalt beschützt. In jenen Gnadentagen wurde mir aber ein viel höheres Ziel gesteckt, ich sollte es zur höchsten Gottesliebe bringen.

4736 |        Obwohl es mir unmöglich schien, erwachte in mir wieder das heftige Verlangen, ins Kloster zu gehen und mich dort ganz Gott zu weihen. Ich hatte in mir das sichere Bewusstsein, dass ich Gott allein angehören müsse.

4737 |        Neu gestärkt, begann ich wieder die tägliche Arbeit mit all seinen Opfern und Entsagungen, wie es eben die damalige Kriegszeit mit sich brachte. Der Leiden waren viele. Meine innere Finsternis nahm immer mehr zu. Ich litt sehr darunter, da ich nicht wusste, woher es kam. Ich fühlte mich so von Gott verlassen. Ich suchte den Heiland und fand ihn nicht. Ich bemühte mich um Aufnahme im Kloster, doch auch dieser Versuch scheiterte. Mit meinen 18 Jahren war ich schon eine wahre Kreuzträgerin. Ja, nur auf dem Weg des Kreuzes kann man Gott wahrhaft finden.

4738 |        Das Leben der kl. Hl. Theresia, das ich damals las, gab mir viel Trost und Aufmunterung. Ich wollte auch den kleinen Weg der Kinder Gottes gehen. Wenn sie ihr Leben mit einer angenehm scheinenden Medizin verglich, die nur Bitterkeit enthalte, so meinte ich, da könne ich ihr in Betreff meines Lebens beistimmen. Oft bat ich sie um ihre besondere Hilfe, und wie oft hat sie mir schon geholfen! Sie sollte für immer meine Freundin bleiben.

4739 |        Infolge schwerer körperlicher Arbeit, (der einzige Bruder fiel im Krieg) und nicht zuletzt wegen vieler Seelenleiden wurde ich schwer krank. Da wurde Jesus erst recht mein Lehrmeister. Ich weiß nicht mehr genau, wann es war, doch muss es um jene Zeit gewesen sein, da hatte ich einen lebhaften Traum, der mir nie mehr aus dem Gedächtnis entschwand. Ich war krank und konnte nicht arbeiten. Heute ist mir noch alles, der halbdunkle Raum usw., in Erinnerung. Da kam das Jesuskind im Alter von 5-6 Jahren auf mich zu, lächelte mich an und bot mir die Dornenkrone, die es in den Händen trug. Sein freundliches Benehmen schien mir zu sagen: Willst du das? Ich nahm die Dornenkrone aus der Hand des Kindes, das mich freundlich ansah. Ich erwachte mit einem seligen Gefühl und meinte, das Kindlein doch in meinem Arme zu halten und die Dornenkrone. Ich meinte, das muss mehr als ein Traum sein. Tagelang blieb das selige Empfinden, das dieser Traum in mir hervorgerufen hatte. Ja, Jesus hatte mich zur Kreuzesbraut auserwählt. In Leiden lernt man wahrhaft Gott lieben: „Wer nicht gelitten hat, was weiß der?“

4740 |        Das Kreuz meiner jahrelangen Krankheit und die dadurch aufgezwungene Untätigkeit drückten mich nieder. Doch auch in diesen Jahren war mir Jesus Führer und Tröster. Er lehrte mich leiden in Vereinigung mit seinem göttlichen Willen. Er lehrte mich, ihn am Kreuze zu lieben. Obwohl mein Hauptfehler Ungeduld und Unwille auch in kleinen Vorkommnissen war, lehrte er mich Geduld und Ergebung. Ich trug mein Kreuz gerne und war eigentlich gerne krank; konnte ich doch viel mehr bei ihm sein, dem ich mein Herz geschenkt hatte.

4741 |        Schwer ertrug ich die immer noch andauernden Seelenleiden. Finsternis und Trockenheit erfüllten wochen- und monatelang meine Seele. Ich meinte, in meiner Seele einen beständigen Ölberg zu haben. Doch wusste ich mir keinen Rat, woher das komme. Ich fragte wohl einmal einen Priester, der sagte mir, das sei ein Zeichen, dass Gott mich zu besonderer Vollkommenheit führen wolle.

4742 |        Mit Gottes Gnade hatte ich erreicht, dass ich mich für gewöhnlich bei der hl. Beichte über nichts anzuklagen hatte. Ich war immer überaus ängstlich, meinte, es immer recht gut machen zu müssen. Ein Priester, dem ich mich offenbarte, sagte mir: „Ich sei sicher zur Vollkommenheit berufen.“ Ich war enttäuscht, denn in meiner kindlichen Anschauungsweise meinte ich, dass man damit, – dass man nichts anzuklagen habe, – vollkommen sei. Ja, was lag noch dazwischen?

4743 |        Wie viele Mängel und Schwächen und Unvollkommenheiten entdeckt man erst nach und nach in der Seele. Vielleicht hatte mich Jesus durch viele Leiden damals von dem gröbsten Unrat gereinigt, der jeder Menschenseele anhaftet. Vielleicht hatte er mich freigemacht von jeder Anhänglichkeit an Sündhaftes. Nun kam die große Kleinarbeit, das eigene Ich zu unterdrücken, sich selbst zu besiegen, von der guten Meinung bis zur höchsten, reinsten Absicht, Gott gegenüber zu gelangen. Jesus zeigte mir so oft meine Unvollkommenheiten. Wie wirst du mich von mir selbst befreien, um dein Herz anstelle des meinen zu setzen? Doch der Heiland ist der beste Seelenbildner. In seiner Hand sollte meine Seele für seine Absichten bereit gemacht werden. Er wollte mich mir selbst wegnehmen und in besonderer Weise wollte er die Leitung meines Herzens übernehmen.

4744 |        In der Gesinnung war ich immer eins mit dem Willen Gottes: Ich wollte das Höchste erreichen. Ich litt unter dem Verlangen nach Heiligkeit und Vollkommenheit. Es war Jesus, der mir dies einflößte. Es wurde mir oft zur ständigen Qual; doch wenn ich wieder so viel Menschliches und Fehlerhaftes entdeckte, sank ich zurück in Mutlosigkeit und Verzagtheit, und meinte, mein heiß ersehntes Ziel nicht erreichen zu können. Das war in den Jahren 1920–21. Ich war noch immer sehr krank. Meine Pläne sollten dadurch durchkreuzt werden: Ich wollte zu Exerzitien nach Graz und konnte nicht.

4745 |        Allerheiligen 1921, nach der hl. Kommunion. Wie viele Gnaden gab mir Jesus, als er in meiner Seele weilte. Er ließ mich seine Gegenwart in besonderer Weise wie noch nie fühlen. Ich war ganz in ihm versenkt und für mich wie nicht vorhanden. Es war mir so klar, wie wenn Jesus mir sagen würde: Lass alles bei mir zurück, deine Unvollkommenheit, dein eigenes Ich. Ich will dich einen neuen Weg der Vereinigung mit mir lehren. Du sollst wie nicht vorhanden sein. Ich werde dich dir ganz wegnehmen und dir ein neues Leben, mich selbst, geben. Aber dein Streben muss sein, mit meiner Gnade mitzuwirken. Ich will dir noch viele Gnaden geben und in besonderer Weise dein Führer sein. – Mir war so lebhaft und klar, dass es von Jesus kam, der solches von mir verlangte.

4746 |        Dieser innere Eindruck blieb in meiner Seele haften und trieb mich zu einem noch vollkommeneren Leben an. Ich wollte dem Heiland alles geben, was er verlangte. Inzwischen war wieder Leiden, Finsternis und Verlassenheit, das tägliche Brot meiner Seele. In Leiden lernt man seinen eigenen Willen aufgeben. Wenn man es auch selbst nicht fühlt, wie es vor sich geht, unmerklich wird man doch für die göttliche Gnade bereiter. – Eine geheimnisvolle Führung fühlte ich von da ab in meiner Seele. Jemand leitete mich zu Besserem an, jemand belehrte mich über meine täglichen Unvollkommenheiten. Es war alles so tief in meiner Seele verborgen.

4747 |        In jener Zeit (1922) war es auch, dass mir deutlich wurde, der Heiland verlangte etwas Besonderes von mir; er hätte mich zu Höherem berufen als andere Menschen; eine besondere Aufgabe sei mir zugeteilt. Es war mir dies so fühlbar, dass ich an dieser besonderen Führung und Stimme nicht mehr zweifeln konnte. Ich fragte daraufhin meinen Beichtvater. Der verstand mich nicht und meinte, ich solle nur meine Pflicht recht gut erfüllen, alles geduldig tragen; dies sei das Besondere, was Gott von mir verlange. Für kurze Zeit war ich zufrieden; aber wieder warb jene innere Stimme um meine besondere Hingabe und Treue. Ich wollte mich noch mehr eines eifrigen Lebens befleißen, um dem Heiland damit meine Bereitschaft zu beweisen. Doch Jesus sollte noch deutlicher seinen Willen offenbaren. In der gnadenreichen Stunde der hl. Kommunion – und auch sonst so oft – sagte er mir innerlich so klar, dass ich in meinem Innern schon ganz sicher war. Ich wusste, es war Jesus, der zu mir sprach. Ja, jetzt konnte ich mit ihm reden, wie er es mir in meiner Kindheit schon versprochen hatte. Ich solle mich ihm in besonderer Weise zum Opfer bringen; ich solle ihm das Opfer meines Lebens geben und anbieten. Tagelang stand diese Forderung Jesu klar und bestimmt vor meiner Seele. Einbildung schien mir ausgeschlossen. Ich musste es als den Willen Gottes annehmen.

4748 |        Ich kam in meinem Innern in allerhand Zweifel und Schwierigkeiten: Das Licht der Gnade wechselte in mir mit unaussprechlicher Finsternis. Ich stand allein, bedurfte eines geistigen Führers und fand keinen.

4749 |        Doch er war mein Führer, dessen Hand das Weltall lenkt. Er ließ sich zu seinem ärmsten und kleinsten Kinde herab und ließ es oft an meinem {sic! Seinem!} Herzen ruhen und liebkoste es. Ja, der liebe Heiland hat an mir wahr gemacht: „Wie ein Vater sein Kind liebkost, will ich euch trösten; an meinem Herzen will ich euch tragen und auf meinen Knien euch wiegen.“

4750 |        Ich ruhte in der Hand dessen, der in seiner Liebe und Herablassung ein Menschenkind zu höchsten Opfern befähigen kann, dessen Stimme so süß und so ermunternd ist. – Oft bangte und kämpfte und litt ich unter der mir so sicheren Führung der Gnade. Ich unterlag zeitweise dem inneren Zweifel und der Furcht, getäuscht zu werden. – Ich glaubte damals, Gott wolle das leibliche Leben und ich müsse dann bald sterben. Ich wollte auch dafür bereit sein.

4751 |        (Ich wollte zu einer solchen Aufopferung die Erlaubnis eines Priesters einholen. Lange zögerte ich. Jesus mahnte mich. Ich wagte wieder nicht, zu glauben. Im Geiste sah ich voraus, wie viele Opfer und Leiden mir dieser Akt der Hingabe bringen werde. Ich bangte davor. – Einmal nach der hl. Kommunion, als ich wieder mit mir kämpfte, sagte Jesus, dessen Gegenwart mir fühlbar war: „Wann wirst du dich Mir ganz zum Opfer bringen? Wie lange zögerst du noch?“ – Der Heiland, seine unendliche Liebe, hatte all meine Angst, Unsicherheit und meine Opfer schon überwunden.)

4752 |        Ich überwand meine Schüchternheit und Scheu und befragte einen Priester, ob man so etwas tun dürfe; so klar stand es vor meiner Seele, Gott will es von mir. – Nein, mein Heiland, ich will nicht mehr zögern. Mein Leben, ich selbst, will ganz dir gehören. Und dein Diener gab mir zum Zeichen deines Willens auch die Erlaubnis.

4753 |        Am 15. August 1922 bot ich mich dem Heiland als Opfer dar. Ich war so unendlich glücklich und hatte das Bewusstsein, wirklich Jesu Willen erfüllt zu haben. Mein körperliches Leben wurde mir nicht genommen, aber du, mein Heiland, nahmst in geheimnisvoller, fühlbarer Weise von mir Besitz. Ich gehörte nicht mehr mir an; mein Leben sollte ganz deinen hl. Absichten geweiht sein und ich sollte mir ganz absterben. Sterben ist schwer, auch das Absterben seiner selbst tut dem Menschen weh.

4754 |        Jetzt war wieder tiefer Friede in meinem Herzen. Ich hatte das sichere Bewusstsein, den Willen des Heilandes getan zu haben. Indessen hellte sich meine seelische Finsternis mehr auf, wenn auch zeitweise meine Seele im Feuer der inneren Leiden lag.

4755 |        Auch wenn man im gewöhnlichen und selbst ganz frommen Leben mit aller Kraft sich bemüht, in allem Gottes Willen zu tun, so verlangt doch Gott von seinen Auserwählten ungleich mehr. Er duldet nichts an der Seele, auch wenn es dieser gefiele und sie meint, es brauchen zu müssen. Jesus ist da unerbittlich. – Nach und nach gab mir Jesus zu erkennen, dass er nicht das leibliche Leben von mir wolle (dass ich also nicht bald sterben müsse), sondern mein Leben, mich selbst soll ich ihm ganz schenken. Mein Leben solle ihm zu einem besonderen Zwecke ganz aufgeopfert sein. Mein Leben gehöre eigentlich nicht mir. Er wolle es ganz zu seinem Dienste gebrauchen, und zwar in besonderer Art, die er mir noch verborgen halte. Gut, ich war auch damit zufrieden. Jesus mochte mit mir tun, was er wolle. Meine Bitte war immer: „Alles, nur keine Sünde! Davor bewahre mich!“

4756 |        Noch weiter führte Jesus: Dieses Leben, das ihm ganz geweiht sein soll, müsse zu diesem Zwecke auch ganz in ihn umgewandelt werden. – Ich solle einen Priester bitten, dass er mich selbst – was aber sein Leben werden soll – IHM aufopfere, damit ich ganz in Jesus umgewandelt werde. Wie der Priester Brot in Jesu Leib verwandle, so müsse auch ich ganz „ER“ werden, sodass ich mit der Zeit nicht mehr vorhanden sei.

4757 |        (Mit ihm sollte ich ein Opfer werden auf dem Altare. So klar und sicher zeigte mir das der Heiland: Ein Opfer sein mit IHM, in IHN ganz umgewandelt werden; so wie das Brot, das der Priester opfert, nach der hl. Wandlung nicht mehr Brot ist, sondern Jesus selbst, so wolle er mich in sich umwandeln, damit ich in ihm ganz für seine Absichten bereit sei. Monatelang zögerte ich wieder. Jesu Wille schien mir ganz klar; ich glühte vor Verlangen, in allem dem Willen Jesu zu entsprechen und diese Vereinigung zu erlangen, die er mir dadurch versprach. Und er war so gut und kam seinem zaghaften Kinde entgegen und zeigte mir einen Priester, der mich gleich ihm auf dem Altare als Opfer darbringen solle. Es war in den Faschingstagen 1923 (P. Michael Lenz O.P.).)

4758 |        Oft enthüllte mir Jesus diese seine Absichten und zeigte mir den Weg dahin, ganz wie Jesus zu werden, ihn selbst in mich aufzunehmen. Ja, Jesus musste das seinem Kinde oft sagen und erklären, bis es verstand. Das Wort Jesu ist sicher und bestimmt. Kein Mensch könnte so sicher zum anderen reden, wie Jesu Stimme der Seele gewiss und vernehmlich ist. In dem Augenblick, wo er zur Seele spricht, scheint der menschliche Verstand, alles Denken, jede Sinnestätigkeit ausgeschaltet zu sein. Man hat das sichere Bewusstsein, dass diese Worte Worte Gottes sind. Man fühlt sich unaussprechlich eins mit ihm. Man ist für sich nicht mehr vorhanden. Und so klar prägen sich diese Worte der Seele ein! Die Wirkung dauert fort und gibt zugleich Kraft und Gnade zur Ausführung.

4759 |        In gewissen Zeitabständen, wo ich in geistiger Nacht war, schien alles wieder ausgelöscht. – Gott nimmt scheinbar die erkannte Gnade zurück, um sie mit umso größerer Klarheit wiederum zu geben.

4760 |        Es war mir ganz sicher, Jesus wollte diese Art der Hinopferung. Er zeigte mir einen Priester, dem ich meine Seele eröffnen sollte. Lange hielt mich aber die Furcht vor etwa dadurch kommenden Leiden ab. Der Heiland zeigte sich oft meiner Seele als der leidende und gekreuzigte Heiland, in den ich nach und nach umgewandelt würde. O, wie ist die Seele zitternd und schwach, wenn Jesus von Leiden spricht. Das ganze menschliche Gefühl regt sich dagegen. Es kommen Stunden, in denen man deshalb wünschen möchte, dass die früher erkannte übernatürliche Führung Täuschung und Einbildung sei, gerade weil man schwere Leiden voraussieht.

4761 |        Gott zeigte meiner Seele auch den Zweck der gänzlichen Hinopferung: Er wolle sich aus mir eine Opferseele bilden, in der er seine Leiden erneuern wolle. Er wolle sich nochmals seinem himmlischen Vater in mir zum Opfer bringen, in mir gleichsam nochmals leiden und sterben. Ich solle ihm dazu meine leidensfähige Menschheit bieten. – Ja, ich wollte. Jesu Liebe, seine unendliche Herablassung zog meine Seele an. – Er wolle mir besondere Gnaden der Vereinigung mit ihm geben, wie er sie noch niemand gegeben habe, und er wolle mich zu einer besonderen Stufe des Einsseins mit ihm führen. Er wolle mir die Leiden seines Herzens offenbaren, mir seine Leiden begreiflich machen, sich mir innerlich mitteilen und mir die Gesinnungen seines Herzens zeigen. „Wenn du dich Mir in dieser Weise opferst, will Ich dich die Leiden meines Herzens verstehen lehren.“ Und oft zog er mich ganz in das Innerste seines Herzens hinein, zeigte mir so viel Verkennung und Undank vonseiten der Menschen, und dass er keine Seele finde, die dem Verlangen seines Herzens entspräche. Ich würde eine Opfergabe in der Hand eines Priesters, gleich Jesus. Ich wolle nicht mehr mir gehören, sondern mich ganz seiner Umwandlung überlassen.

4762 |        Meine Seele war voll Frieden. Jesus war zufrieden mit meiner Hingabe. „Ich will dich zu Meiner Kreuzesbraut machen. Du wirst ganz Opfer werden für Mich. Mein Leben wird dein Leben werden, voll Leiden, die dir jetzt noch verborgen sind.“ Mit diesen Worten eröffnete er mir am Abend jenes Tages seine Absichten. – O, damals stand ich erst am Anfang meines Kreuzweges. Das Wort „Kreuzesbraut“ hatte etwas Verlockendes für mich. Das wollte ich dem Heiland auch sein von ganzem Herzen. Jesus war mir damals so nahe mit seiner Gnade, und das größte Leiden schien mir nur Süßigkeit und Freude sein zu müssen.

4763 |        Es kommen aber so dunkle Stunden, wo man ganz Schwachheit und Mutlosigkeit ist, wo die Gnade Gottes zu schwach erscheint, um das auferlegte Kreuz zu tragen. Jesus ließ mich in meinem Leben gar oft meine menschliche Armseligkeit fühlen, sei es auch durch meinen Mangel an Vertrauen auf seine Gnade.

4764 |        Ich solle ganz ein Opfer mit Jesus am Altare sein, solle ganz in ihn umgewandelt werden, ihn mein Leben bieten, damit er nochmals in mir leiden könne. Das waren seine Absichten, die er mir so oft enthüllte. Ich sollte aber diesen meinen Willen dafür durch ein GELÜBDE bestätigen. Er wollte mich für immer als seine Braut haben. Durch das Gelübde der Jungfräulichkeit solle ich ihm ganz gehören und sein Eigentum sein. Ferner solle ich ihm ganz Schlachtopfer werden für seine Absichten. Sein Wille stand mir klar vor der Seele: Durch diese zwei Gelübde solle ich mich für immer mit ihm verbinden. Er zeigte sich mir oft als der liebenswürdigste Bräutigam meiner Seele, in dem ich alles finden und besitzen werde, was je ein Menschenherz beglücken könnte. Das war ja immer mein Sinnen und Trachten gewesen, dass Jesus der einzige Geliebte meines Herzens sei. – Aber viele Opfer kündigte mir das zweite Gelübde. Ich hatte zeitweise eine unaussprechliche Furcht vor den Leiden, und vor allem fühlte ich die Angst, mich selbst verlieren zu müssen. Das brachte mir Ölbergstunden inneren Kampfes. So feige war ich, wenn es hieß, mit Jesus den Kreuzweg zu gehen. Ich wollte schon, aber ich fürchtete mich vor den Leiden. Jesus ließ mich ja vorausschauen, was es heißt „Schlachtopfer“ zu sein. Sein Herz war ein beständiges Schlachtopfer für uns Sünder. Er zeigte mir die Leiden seines Herzens, die einmal auch meine Leiden sein werden. Er wolle mich nur zum Leiden heranziehen, eine Opferseele aus mir bilden, die er für einen bestimmten Zweck als Werkzeug gebrauche.

4765 |        Doch seine Gnade war stärker als meine Opferscheu. Oft widerstand ich seiner Gnade und seiner liebevollen Stimme. O, wie hatte Jesus mit mir Geduld! Er hat sich das kleinste Kind erwählt; darum musste er auch alles durch seine Gnade in jenen Zustand bringen. – Mein Widerstand und meine Furcht, mit meiner mir so auffälligen inneren Führung ein Opfer einer Täuschung zu werden, fand ein Ende, als mir Jesus ernst und beleidigt sagte: „Wenn du dich nicht überwinden willst, suche ich Mir eine andere Seele; tausend andere stehen mir zu Verfügung, denen ich meine Gnade geben kann.“ Voll Reue warf ich mich Jesus zu Füßen und bat ihn um Verzeihung wegen meines schwachen Vertrauens, und versprach ihm Treue gegen seine Gnade. Ja, Jesus hatte viele Gnaden an mich verschwendet. Viele andere wären ihm viel treuer gewesen.

4766 |        Am 8. Dezember 1923 opferte ich mich dem Heiland durch die zwei Gelübde, so wie er wollte. Als Gegengabe schenkte mir Jesus damals sein leidendes Herz. Bei diesen Akten der Aufopferung sagte mir Jesus: sein leidendes Herz werde für immer mein Anteil sein.

4767 |        Zwischen den größten Gnaden der Vereinigung mit Gott und vielen fühlbaren Ansprachen vonseiten Jesu kam wieder die Nacht vieler Leiden der inneren Verlassenheit und meines Krankseins. Ja, Jesus hatte mir sein leidendes Herz geschenkt. Seelische Finsternis verwirrte mich zuweilen. Ich hatte keinen Führer, um mich auszusprechen; ich litt unter meiner verzagten Natur. – Jesus zog mich aber oft an sein Herz und zeigte mir, dass ich mich doch vor ihm nicht fürchten solle, da er doch mein bester Freund und Heiland sei. Ich musste ihm wieder glauben. Er war ja so unendlich gut zu mir. Was wissen die Weltkinder an Güte von Menschen zu erzählen! All deren Liebe ist nichts im Vergleich zu einem Augenblick, den man bei Jesus sein darf, seinen lb. Worten zu lauschen, von ihm getröstet zu werden. Darum zieht es die Seele immer wieder zum Herzen des Heilandes zurück.

4768 |        Ich fühlte schon in mir, dass ich außergewöhnliche Seelenwege ging, aber an besonderen Gnaden wagte ich nicht, recht zu glauben. Ich fühlte mich ja so klein und unfähig. Dadurch kam ich in tiefe seelische Verwirrung und Zweifel. Der Herr gab dann wieder auffallend Hilfe, dass ich doch wieder Gelegenheit fand, bei einem Priester mich auszusprechen, der mich im Glauben an die besondere Herablassung Gottes bestärkte.

4769 |        In neue Zweifel kam ich, als Jesus sich längere Zeit mir fühlbar mitteilte. Ich lebte in Jesus. Er war mir beständig gegenwärtig. Ich konnte den sicheren Eindruck seiner Gegenwart nicht wegbringen. Der liebe Heiland war mir gegenwärtig durch einen wahrnehmbaren sicheren Eindruck – den ich nicht beschrieben kann –, ich mochte glauben oder nicht. Er wollte fühlbar der Lehrer und Führer meiner Seele sein. Ich habe mich oft vor dem lieben Heiland gefürchtet. Ich wusste bestimmt, dass er es war. Seine Gegenwart war mir aber auch wieder unendlich süß und erfreuend. War ich ihm treu, so war mir seine Nähe Lohn und Freude, aber wenn ich seiner Gnade nicht entsprach, wurde mir seine Nähe fast unerträglich und erdrückend.

4770 |        Jesus wollte mein Führer und Erzieher sein, er zeigte mir alles, was ich tun oder lassen solle und was ihm missfiel. Das bezog sich mehr darauf, dass ich innerlich ganz frei werde von mir, denn von den gröberen Unvollkommenheiten und Sünden, meine ich, hatte mich damals seine Gnade schon gereinigt. Der Blick meines Geistes sollte beständig auf ihn gerichtet sein. Keine freiwillige Zerstreuung sollte in meiner Seele aufkommen.

4771 |        er lehrte mich die einzelnen Tugenden üben. Er zeigte mir seine Demut, ließ mich diese erleben und zeigte mir, wie ich mich in den sich bietenden Gelegenheiten verhalten solle. Und so ließ er mich alle seine Vollkommenheiten erleben; Ich war in seiner unaussprechlichen Geduld und Sanftmut; er zeigte mir meine Menschlichkeit in dieser Beziehung und lehrte mich, wie ich mir diese Tugenden aneignen solle. Wochenlang stand ich so unter der fühlbaren Leitung meines Meisters. Seine Liebe und Barmherzigkeit erfüllte meine Seele. Wer kann so lieben, wie Jesus liebt? Wessen Güte und Barmherzigkeit ist so grenzenlos wie die seine? – Seine göttliche Reinheit ist ein Freisein gegenüber allem Geschaffenen; frei und unberührt solle meine Seele sein. – Sein Gehorsam gegen seinen Vater war ein volles Aufgehen im Willen seines Vaters. – Seine Heiligkeit, auch in der menschlichen Natur, bekleidet mit dem reinsten Leibe Mariens, war ein Gegenstand beständigen Wohlgefallens vor seinem eigenen Vater. – Seine Hingabe an die Seelen war ein ganzes Sich–den–Seelen schenken. – Seine Opfergesinnung ging bis zum Tode am Kreuze und setzt sich fort im hl. Sakrament als immerwährendes Schlachtopfer.

4772 |        er zeigte mir im Voraus, zu welch hoher Vereinigung er meine arme1749 Seele auserwählt habe und welche schweren Leiden gerade aus diesem Einssein mit ihm für mich entstehen werde. Aber noch war selige Brautzeit. Noch gab mir Jesus so reichlich zu trinken aus der übervollen Glut seines Herzens. Er ließ sich in besonderer Art zu mir herab, um mir in beseligender Weise Lehrer, Führer und Bräutigam zu sein. Er war mir Führer und Heiland und zeigte sich mir in seiner gottmenschlichen Vollkommenheit. Rein und heilig wollte er auch mich machen. Er lehrte mich, wie ich meine Seele mit Tugenden bekleiden könne und ihm dadurch wohlgefällig sein würde …

4773 |        Mit so viel Geduld unterwies er mich, war er in mir und passte sich meiner Schwäche in so unfassbarer Weise an. Er zeigte sich mir als die Quelle aller Vollkommenheit und Vollendung. Rein sein hieße in jungfräulicher Liebe nur ihm gehören. – Sich die Demut seines Herzens aneignen hieße: ein Nichts sein, stets seiner Armseligkeit gedenkend. – Mich freimachen von den Geschöpfen und im Umgang mit Ihnen ruhig und gelassen bleiben. – Das Kreuz lieben, das ja der Weg der Vereinigung ist. Mit beharrlichem Willen alles für Seele und Leib Unangenehme ertragen und somit ein GEDULDIGES Opferlamm seines Herzens zu werden. – Ständige Selbstverleugnung und Abtötung üben, um mich so immer mehr selbst zu verlieren, und in seiner Gnade und Vereinigung zu wachsen. – Sterben, ja sterben müsse ich, um mit ihm leben zu können … Es wurde zur Wahrheit, was er mir in sittlicher Vertraulichkeit versprochen hatte: „Ich will dir die Geheimnisse meines Herzens offenbaren“. Er offenbarte mir wirklich das Innerste seines anbetungswürdigen Herzens. O seliger Umgang, o glückliches Beisammensein mit dem einzigen Freunde meines Herzens! Ja, voll Erbarmen hast du mich unverdient an dich gezogen, o Heiland. Deine Güte will ich in Ewigkeit preisen. Heute noch steht diese Gnadenzeit so lebhaft vor meiner Seele, und in diesem Gedenken erneuerten sich meine Hingabe und mein Vertrauen auf Jesus.

4774 |        Über alle Tugenden aber, die er lehrte, zeigte er mir als Vollendung die LIEBE. „Ja, hätte ich alles, aber die Liebe nicht, so nütze mir alles nichts“. Jesus lieben, ihn über alles lieben, aus Liebe leben, aus Liebe leiden und opfern, das sollte mein Lebensgrundsatz sein. Der Heiland ließ mich die unergründlichen Reichtümer seiner Liebe und Barmherzigkeit schauen und mich sozusagen hineinfühlen. Die unbegreiflichste all seiner göttlichen Vollkommenheiten ist ja seine unendliche Liebe und Barmherzigkeit und Langmut. Und alles dies lehrte Jesus so still und unauffällig und doch so klar und in fester Überzeugung. Seine Stimme war so traut und nahm meine Seele vollends gefangen. Es war sein stilles Werben um meine arme Liebe, die ich ihm bieten solle. Jesus bat mich sozusagen um das Opfer meiner vollen Hingabe an ihn. Wie oft bot er mir alle Reichtümer und Schätze und Vollkommenheiten seines hl. Herzens an! All das, was er mir gezeigt habe, wolle er mir zu eigen geben. Er wolle sich mir ganz zur Verfügung stellen, wolle mir ganz gehören. In der undenkbarsten Weise würde er sich mir schenken, wenn ich mich ihm ganz opfere und weihe und hingebe nach den Absichten seines hl. Herzens.)

4775 |        Diese Seelenzustände dauerten in größerer oder geringerer Klarheit 2–3 Jahre. Im Allgemeinen wurde mir vom Heiland gezeigt, welche Absichten er mit mir vorhabe. Am ersten Freitag im September 1924 sagte er mir das klarer. Nach der hl. Kommunion war Jesus fühlbar in mir. Sähe ich ihn mit leiblichen Augen, könnte der Eindruck nicht sicherer sein. Alles Äußere entschwand für eine Zeit lang meinem Empfinden. Ich war ganz bei ihm und in diesem Einssein sagte mir Jesus so bestimmt: „Ich will in dir wieder wie lebend werden. Mein Leben will ich in dir erneuern. Du musst dich mir dazu überlassen. Ich will in den Seelen vieler lebend werden und mich in den Seelen vervielfältigen. In dir will ich das vorbildlich vollbringen, dass du lebst, als lebe Ich ganz in dir. Du sollst mir als Werkzeug dienen, dass ich das auch in anderen Seelen erreichen kann.“ – Und ich sah eine Unzahl von Seelen, in denen er diese Gnade vollbringen wolle. Es war mir so sicher, dass es keine Täuschung sei. Ich war ganz ins Herz Jesu versenkt.

4776 |        Ich solle ihm als Werkzeug dienen, dass er in vielen Seelen leben könne. Ich verstand das nicht, was damit gesagt sei, doch ich opferte mich ganz den Absichten des Herzens Jesu. Ich fühlte das Leben Jesu in mir und wollte bereit sein, mit zu opfern, dass Gott auch vielen anderen Seelen diese Gnade geben könne. – Jesus war wieder einen Schritt weiter gegangen. Freilich kam nachher wieder die Furcht, dass ich doch keiner Täuschung unterliege. Aber die Wirkung der göttlichen Worte war meiner Seele so tief eingeprägt, dass kein Zweifel sie berühren konnte.

4777 |        An einem der darauf folgenden Sonntage fühlte ich mich wieder in solch besonderer Art mit dem Heiland vereinigt. Meine Umgebung entschwand mir nach der hl. Kommunion. Ich war ganz bei Jesus, der mir wieder sagte: „Ich will mein Leben in dir fortsetzen. Du musst mir so gefügig sein, wie es das menschliche Leben war, das ich aus Maria annahm. Ich will in den Seelen wieder lebend sein und will diese Gnaden durch dich den Seelen geben. Du sollst wie nicht vorhanden sein, für alle Leiden hierzu bereit und sollst dich Mir dafür opfern.“ Die Worte waren so klar, doch ich fürchtete sehr von meiner Fantasie getäuscht zu werden und dazu fürchtete ich die vielen Leiden und Opfer, die mir damit gezeigt wurden; ich hatte auch immer eine besondere Angst, irgendwie aufzufallen. So wandte ich mich vom Heiland ab, und suchte mündlich zu beten. Da sagte aber Jesus mit trauriger Stimme: „Niemand will für mich Opfer bringen. Wenn ich ein Opfer verlange, dann will man umkehren.“ Diese Worte gingen mir tief zu Herzen. In meinem ganzen Leben kann ich deren Wirkung nicht mehr vergessen. Wenn mein Herz sich sehr vor Leiden fürchtete, stellte ich mir diese Worte vor die Seele. Ich fühlte den ganzen Schmerz des Heilandes, so viele Treulosigkeiten und Opferscheuen, und wie Jesus darunter leide. Mit Tränen bat ich das hl. Herz Jesu um Verzeihung wegen meines unwürdigen Benehmens und meines Mistrauens. Jesus war wieder gut und sagte mir: „Ich erwarte von dir, dass du Meine Absichten ganz entsprichst. Ich will dir dafür meine ganz besondere Liebe schenken und damit Gnaden, die ich noch niemand gegeben habe. Ich will dir das Innerste meines Herzens zeigen. Fürchte dich nicht, ich werde immer bei dir sein, aber du musst glauben, was ich dir sage. Du musst mir geopfert sein, dass ich in dir meine Absichten vollbringen kann.“ Jesus war so lieb und ganz Herablassung gegen sein reuevolles Kind. Ich versprach alles von ganzem Herzen und hatte auch den festen Entschluss, mich ganz den Absichten Jesu zu opfern.

4778 |        Ich sollte mich auch im Kleinsten von seiner Gnade führen lassen. Er wolle mich ganz in sich umgestalten. Mein eigenes Ich müsse aufhören, ich selbst müsse zerstört werden. Jesus selbst wolle diese Umwandlung in ihn vornehmen.

4779 |        Es war wohl ein Wendepunkt in meinem inneren Leben. Ich hatte dann noch die Möglichkeit, mich einem Priester zu eröffnen, den der Heiland zeigte und der mich darüber beruhigte, dass doch alles vom Heiland sei und ich nichts zu fürchten habe. Da Jesus mir wiederholt sagte, ich solle ihm ein Opfer sein, trug mir der Pater (OP) auf, den Heiland das nächste Mal zu fragen, zu welchem Zweck ich ihm ein Opfer sein solle. Ich tat es, und der Heiland erklärte: „du sollst mir ein Opfer sein für meine Kirche.“; später dann öfter: „Für die Erneuerung meiner Kirche.“ –

4780 |        Ich hatte in der folgenden Zeit (von Oktober 1924 an) die Gnade, einen Beichtvater zu haben, der sich bemühte, mein Seelenleben zu verstehen.

4781 |        Jesus führte mich Höhenwege und begann tägliche Kleinarbeit in meiner Seele. „er muss herrschen, ich muss abnehmen“, nach diesem Grundsatz führte mich der Herr. Ich muss aufhören, verschwinden, zerstört werden. – Jesus nimmt der Seele alles, was ihr gefällt, wovon sie glaubt, es habe zu müssen, und ohne das sie nicht sein zu können glaubt. Er denkt anders. Da kann man bitten und schreien, der Heiland kennt da kein Erbarmen. Die Seele wird freigemacht von jeder natürlichen Anhänglichkeit, von jedem persönlichen Wollen. Rein muss die Absicht sein, frei der Wille, um nur Gottes Willen auch im Kleinsten zu tun. Die Fantasie, das Gedächtnis, der Verstand darf nur auf Gott gerichtet sein. Das ist nicht das Werk einer Woche, sondern jahrelange Arbeit. Gott führt die Seele zugleich einen geheimnisvollen Leidensweg. – Jesus hatte mit seinem Kinde, menschlich gesagt, eine Geduldsarbeit. Die Seele muss freigemacht werden von jeder Beschäftigung mit sich selbst, um für die Gnade ganz frei und zugänglich zu sein. Ich brauchte ein Jahr, um in Einzelnem Übung zu haben in dem: Keine Selbstbefriedigung, keine Anhänglichkeit an irgendein Geschöpf; du hast unser Herz ganz für dich geschaffen! – Das tut der Seele weh und sie kann es kaum glauben, dass Jesus so unerbittlich sei.

4782 |        In der Vereinigung mit ihm zeigte er mir aber dann nur seine besondere Liebe darin. Die menschliche, sündhafte Natur kann neben seiner allerreinsten Gottheit nicht bestehen. Da bittet man Jesus: „Achte nicht auf das Widerstreben meiner Natur, vernichte, zerstöre mich und alles, was in mir deiner Gnade Widerstand leistet! Lass mich in dir gereinigt werden wie in einem Feuerofen!“ Jesus ließ mich oft innerlich sein Herz schauen als einen Reinigungsort für mich. Dort wolle er mich hineinwerfen, bis ich ihm ganz gefügig sei und ganz rein werde. Ich war zufrieden. Je näher seinem Herzen, desto lieber war es mir. O, dass man Jesus nie verlieren könnte! So schmerzlich seufzt man nach ihm, wenn er sich den Blicken der Seele scheinbar entzieht.

4783 |        Schon in früheren Jahren war immer wieder die Bitte an Jesus in meinem Herzen: „O Jesus, verwandle jeden irdischen Trost in Bitterkeit für mich.“ er hat mich da wohl sehr beim Wort genommen, und wie ganz entmutigt sank ich unter schweren Leiden, die über mich kamen, in meine menschliche Armseligkeit zurück. Jesus aber lud mich wieder ein: „Komm, mein Kind, komm an mein Herz! Hier findest du allen Trost und die Kraft, die du brauchst, um in den Prüfungen zu bestehen, die ich dir auferlege!“ Oft war ich wie in einem inneren Feuer und ganz durchdrungen von Jesus. Ich litt unter dem Übermaß der inneren Gnaden und des Trostes, den mir der Heiland gab. Ich meinte, vergehen zu müssen unter der Last der inneren Gnaden und des Gefühles seiner Gegenwart. Er machte mich gleichsam trunken und voll von seinen geistlichen Tröstungen und seiner Liebe. Zeitweise kam dann ein heftiges Verlangen nach Leiden, sodass man nur nachsinnt, wie man sich selbst überwinden kann, sich selbst gleichsam kreuzigen kann, um dieses glühende Verlangen nach Leiden in sich zu kühlen. Niemals fühlte ich mich aber angetrieben, äußere Bußwerke zu üben, wodurch ich vielleicht hätte auffällig werden können. Was Jesus wollte, das war mein ganzes Herz, ich selbst als Opfer – immer meint man dann, man liebe Gott nicht, oder zu wenig. Dieses Verlangen, ihn vollkommen zu lieben und seine große Herablassung und Liebe zu vergelten, brachte mich zeitweise in einen Zustand inneren Martyriums. Ich hätte mich auflösen, zerstören mögen, dass jede Faser des Herzens nur Jesus allein liebe. Und gerade dann wird man oft zurückgeworfen in einen Zustand geistiger Finsternis und seelischer Unfähigkeit, wo man von seinen anhaftenden Unvollkommenheiten fast erdrückt wird und man die wahre Demut lernen und üben kann. – Viel prüft der Heiland durch das beständige Verlangen, vollkommen zu sein, und dadurch, dass man keinen Fortschritt zu machen glaubt; denn je näher man ihm kommt, desto mehr lässt er die Seele die kleinsten Fehler erkennen. Er führt sie zur vollen Selbsterkenntnis und dadurch zu wahrer Demut und zum Begreifen, dass man ganz von seiner Gnade abhängig ist.

4784 |        (Vergleiche hierzu Tagebuch 1925, 9 Seiten)

4785 |        Wenn ich morgens erwachte, stand Jesus oft innerlich wahrnehmbar bei mir und bot sich mir an als der beständige Begleiter des kommenden Tages. Er bereitete mich auf die hl. Kommunion vor, wenn ich die Gelegenheit dazu hatte – und in jenen Jahren konnte ich fast täglich kommunizieren. „Ich will mich in dir wiederfinden. Du sollst dich ganz aufgeben, nicht mehr sein, sollst mich in dir wirken und leben lassen; in diesem Zustand der Vorbereitung wirst du mich am besten in dich aufnehmen können.“ So belehrte er mich oft vor der hl. Kommunion. Mich seiner Führung ganz überlassen, für mich tot sein, ihn alles, was er wolle, in mir tun lassen: Das war seine ständige innere Mahnung an mich. – Wie oft nahm Jesus mich mir ganz weg und dazu mein eigenes Bemühen zur Vorbereitung auf die hl. Kommunion! Er tat alles in mir und ich war der Zuschauer. Ja, Jesus hat mir in dieser Beziehung Gnaden gegeben, die keines Menschen Herz erfassen kann. – Oder auch, er machte mich so leer von mir, dass ich mir selbst ganz fremd wurde und nichts mehr von mir vorhanden schien. Ich konnte keine der Vorbereitung fassen, so sehr ließ er mich auf seine Gnade angewiesen sein. „Ich will diese deine Leere mit mir selbst ausfüllen und mich ganz zum Herrn und Besitzer deines Herzens machen; nichts soll mir in deinem Herzen Widerstand leisten; du musst ganz 'Ich' werden.“ er wolle sich so mit mir vereinigen, wie Seele und Leib verbunden sind.

4786 |        (Jesus war so gut und kam meiner zaghaften Seele immer wieder zuvor mit seiner Herablassung und Güte. Die Liebe zu ihm drängte mich, in voller Opferbereitschaft mich seinem hl. Herzen zur Verfügung zu stellen. Ein stellvertretendes Opfer solle mein Leben sein. Wie sei Jesus verkannt und missachtet im hl. Sakrament! Er wolle aus mir eine Seele gestalten, die in lebendigem Glauben an seine Gegenwart sein Leben, das er im Sakrament der Liebe lebe, vollkommen in sich aufnehme. – Man glaube viel zu wenig an seine wirkliche Gegenwart, darum könne er den Seelen auch nicht vollends die Gnaden seiner Erlösung zuwenden. Aus mir wolle er eine Seele machen, deren er sich bediene, um den Glauben an seine Liebe wieder neu zu beleben. Er wolle seine Absichten, die er bei der Einsetzung der hl. Eucharistie hatte, erreichen durch neue Gnaden, die er auszugießen im Begriff sei. – Jesus zeigte mir, wie er sich uns im hl. Sakrament gegeben habe als Band der Liebe und des Friedens, als Quelle übernatürlicher Liebe, die Priester und Volk in hl. Einheit verbinden soll. Es sei eine Kluft entstanden zwischen Priester und Volk. Er habe mich erwählt, um diesen Abgrund zu überbrücken, um so die Absichten seines hl. Herzens zu erreichen. – Jesus würdigte sich, seinem ärmsten Kinde so oft die Undankbarkeit und Lieblosigkeit so vieler Seelen zu zeigen und was sein hl. Herz darunter leide; sein Verlangen nach der Liebe des Menschen: „Ich glühe, ich vergehe nach der Liebe des Menschen und danach, dass sie meine Gnade anerkennen. Ich will in den Seelen lebend sein; das ist ja der Hauptzweck meiner sakramentalen Gegenwart, den Seelen das Leben meiner Liebe mitzuteilen. Sie aber verachten mich. Ich will neue Gnaden ausgießen über die Welt, um dieses, mein Leben den Menschen zu vermitteln. Du sollst mir ein Werkzeug sein. Ich will der Welt zeigen, welche Gnade ich bereithalte und wie ich eine Seele damit überfluten kann nach meinem Wohlgefallen.“ – „Ich will dich die Leiden meines Herzens verstehen lehren, meine Sorge um die Seelen und um die Kirche. Du sollst mir ein Opfer sein für die Erhöhung meiner Kirche. Ich bin daran, neue Gnaden auszugießen über sie. Ich will mich dazu deiner bedienen; wie ein Strom von Gnaden werde ich die ganze Welt überfluten.“)

4787 |        Doch zunächst zeigte mir Jesus die Leiden seines Herzens. Er ließ mich dieselben von Zeit zu Zeit innerlich begreifen und probeweise miterleben. In der Glut der Liebe seines Herzens ließ er sich zu uns Menschen herab, sich erbarmend unseres Sündenlebens.

4788 |        Der liebe Heiland ließ mich das Geheimnis seiner hl. Menschwerdung schauen, wie er vor den Vater trat mit den Worten: „Einen Leib hast du mir bereitet, siehe ich komme, deinen Willen zu tun.“ Einen Leib zum Leben aus Maria; sie sollte ihm durch ihre Eingabe die Möglichkeit bieten zur Erlösung der Menschen. Einen Leib zum Lieben; ein freiwilliges Liebesopfer war seine Menschwerdung. Einen Leib zum Leiden; er wollte ein Schlachtopfer werden für die Sünder, Jesus, die zweite Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit in Menschengestalt, wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich, war bereit, die Schuld der ersten Menschen und somit der ganzen Menschheit zu tilgen. Sein Leben sollte ein Sühneleben werden, womit der ewige Vater der gefallenen Menschheit die äußerste Liebe bezeige.

4789 |        Jesus, gehorsam dem Willen des Vaters, bot sich für die Absichten des Vaters an und wurde Mensch wie wir, die Sünde ausgenommen. Jesus, in Ewigkeit herrschend auf dem ewigen Throne, herabgesandt in diese so elende Welt, die vom Fluch der Sünde beladen ist, eingeengt in eine arme Menschennatur, zwar aus der reinsten Jungfrau genommen – doch was konnte auch die reinste Sterbliche einem Gott bieten im Vergleich mit seiner Herrlichkeit! Maria bot der zweiten göttlichen Person die Möglichkeit eines Lebens, damit Jesus vor seinem ewigen Vater das Sühnopfer für das Menschengeschlecht werde. Jesus fühlte im ersten Augenblick die große Verdemütigung, die in seiner Menschwerdung lag. Er fühlte sich versetzt aus dem Reiche der Herrlichkeit in dieses Tal der Tränen; er fühlte Begrenztheit der menschlichen Natur, deren Armut und Kleinheit. Maria bot ihm alles, was eben die reinste Mutter einem Gottessohn bieten und geben konnte. Aber er war ja zur Erlösungsaufgabe gekommen, um die Menschheit zu entsündigen. Er sollte vor dem Vater das stellvertretende Opfer sein, das Bindeglied zwischen Himmel und Erde. War er auch vor dem Vater immer der viel geliebte Sohn, so sollte er nach göttlichem Ratschluss auch die stellvertretende Genugtuung sein durch sein Leiden und Sterben. Die Sünde der Menschen forderte Sühne. Jesus nahm freiwillig diese Sühnearbeit auf sich. Er wollte freiwillig als Sünder gelten vor seinem Vater. Dieser nahm jenen Akt der stellvertretenden Sühne von seinem Sohne an. Nach Gottes ewigem Rat wurde Jesus auch als Opfer der Sünde betrachtet von seinem Vater, der auf ihn gleichsam seinen göttlichen Zorn legte. Sühne, Entschädigung verlangte Gottes Gerechtigkeit, und Jesus wurde ein Opfer der göttlichen Gerechtigkeit. Die Sünde der Menschen lastete auf dem reinsten Gottessohn. Er fühlte sich ausgestoßen wie einer, der alles verbrochen hat und alles gutmachen musste.

4790 |        Jesus hatte im ersten Augenblick seines Erdenlebens diese Erlöserarbeit vor Augen und mit dem Propheten klagte er: „Mein Schmerz ist mir immer vor Augen.“ Welche Qualen mag Jesus beim Anblick der ungeheuren Schuld empfunden haben, die er auch sich genommen hat, um sie abzutragen! Welchen Ekel musste sein reinstes Herz empfinden, wenn er in die Abgründe menschlicher Bosheit und aller Gräuel der Sünde sah! „Mein Schmerz ist mir immer vor Augen.“ Und niemand hatte Erbarmen: sein Vater war Gerechtigkeit, die Sühne verlangte; die Hölle war voll Ingrimm, denn der Teufel sah sich im Begriff, besiegt zu werden. „Und ich suchte einen, der mit mir meine Schmerzen teilen wolle und der mich tröste, und keiner fand sich.“

4791 |        Jesus war allein in seinem Erlöserleiden, allein vor seinem Vater. Wir stellen uns Jesus immer zu wenig menschlich und auch zu wenig göttlich vor. Jesus war ganz Mensch in all seinen Empfindungen und Regungen. Er litt, wie eben Menschen leiden können, in gewissem Sinne auf die gegebene Menschlichkeit angewiesen, ganz als Mensch, leidensfähig bis in die kleinste Möglichkeit und zugleich bis zur höchsten Möglichkeit. Aus dem reinsten Leibe Mariens hatte er die höchste Empfindsamkeit und Leidensmöglichkeit wie kein gewöhnlicher Mensch. Sein Herz fühlte alles Schmerzliche in höchstmöglicher Weise, vermöge der Vollkommenheit und Harmonie, die seinem an sich menschlichen Leibe gegeben war, womit auch alle menschliche Vollkommenheit inbegriffen war. Schon seiner göttlichen Seele nach hatte Jesus als Mensch eine für gewöhnlich nicht mögliche Feinfühligkeit und Leidensmöglichkeit. Als Gott war er nicht leidensfähig, aber seine Gottheit war in ihm so verborgen und den Leiden gegenüber nicht wirksam, weil Jesus eben ganz Mensch sein wollte, um die Menschen zu erlösen. In seinen Wundern zeigte sich seine Gottheit, zum Leiden hatte er die Menschheit angenommen, doch war die Gottheit so innig wie in einem Wesen mit der Menschheit verbunden. Über diese Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur hatte ich nicht wiederzugebende Erkenntnisse. Jesus ließ mich, diese Geheimnisse bis ins Tiefste innerlich schauen und begreifen – wochen- und monatelang lebte ich in diesem inneren Erkennen und Schauen, doch kann man das in menschlichen Worten nicht wiedergeben. – Dies gehört zu den größten Gnaden meines Innenlebens. Oft nach der hl. Kommunion war ich ganz versenkt in die Geheimnisse der gottmenschlichen Natur Jesu Christi und fortlaufend schlossen sich diese Erkenntnisse an mein Innenleben an, sodass ich nicht nur sah, sondern auch innerlich begriff und mir dies eine bestimmte (erlebte?) Tatsache wurde. Ich meine, für gewöhnlich wird die göttliche Liebe des Heilandes in diesem Geheimnis der Menschwerdung Jesu zu wenig verehrt. Man denkt sich Jesus in gewissem Sinne als zu selbstverständlich. Man denkt zu wenig nach über die unendliche Liebe Jesu, besonders über die Liebe seines hl. Herzens, d. h. die gottmenschliche Liebe – das, was seine göttliche Liebe durch ein menschliches Herz gewirkt hat.

4792 |        Jesus hat ein menschlich liebendes Herz, das menschliche Gefühle und Empfindungen kennt wie wir Menschen, gewiss in einer höchst entwickelten und vollkommenen Art, weil sich ihnen dann in der an sich schon vollkommenen Menschheit göttliche Vorzüge anschlossen. Die Menschen glauben zu oberflächlich an die gottmenschliche Liebe Jesu, die eigentlich in der Verehrung des hl. Herzens Jesu ihren Gegenstand findet. Vom Herzen Jesu kam alles Gute, das der Heiland den Menschen gibt; in seinem Herzen wurde die Erlösung der Menschen beschlossen; das innerste „sein“ Jesu, sein Herz, war zuerst einverstanden und hat sich freiwillig gebeugt unter die Absichten seines Vaters, in ihm den Menschen einen Erlöser zu senden. So sieht man gleichsam im Herzen Jesu die Liebe des Vaters, der seinen Sohn in die Welt sandte, um den Menschen die Geheimnisse der Liebe Gottes zu verkünden.

4793 |        Was ich im Einzelnen über das Geheimnis der Menschwerdung Jesu schaute, ist nicht zu beschreiben. Jesus fühlte sich vom ersten Augenblick seines Erdenlebens an als Erlöser der Menschen. Die ihm beständig vor Augen schwebende Erlöserarbeit wurde seinem Herzen dadurch zu beständiger Qual. Sein Herz empfand wie jedes menschliche Herz die Furcht vor dem Leiden. Er sah die Verkennung, die Missachtung seiner Liebe. War sein Wille auch höchst vollkommen mit dem Willen des Vaters vereinigt, der Heiland fühlte den Widerwillen der menschlichen Natur gegen das Leiden infolge seiner menschlichen Vollkommenheit in einer viel höheren Art, da infolge der innigen Vereinigung seiner göttlichen und menschlichen Natur und seiner gottmenschlichen Seele das Leiden in ihm auch gegen das Gesetz der Gottheit war. Seine Liebe trug aber den Sieg davon. Seine Menschheit unterwarf sich der Liebe seines Herzens.

4794 |        Seine Liebe drängte ihn noch zu Größerem: „Ich muss mit einer Taufe getauft werden (mit Blut), und wie sehnt sich mein Herz, dass es erfüllt sei.“ In diesen Worten erklärte mir der Heiland die ganze dringende Glut der Liebe seines Herzens. Es sollte kein gezwungenes Opfer sein, sondern ein freiwilliges, für das Größte und Schwerste aus Liebe bereit. Jesus konnte die Zeit seines Opfers am Kreuze nicht mehr erwarten. Seine Liebe eilte gleichsam voraus und er war durch seine glühende Opferbereitschaft schon beständig Sühnopfer vor dem Vater. Wie könnte man die Liebe des Herzens Jesu für die Menschen beschreiben? sein Herz war der Thron der Liebe und der Ort des gänzlichen Sichhinopferns für die Sünden der Menschen. Schon dem Verlangen nach war er ein beständiges Schlachtopfer.

4795 |        Jesus hat mir versprochen: „Ich will dir die Geheimnisse meines Herzens offenbaren; ich will dich in den Abgrund der Liebe meines Herzens hineinschauen lassen, und die Abgründe meiner Liebe schauen lassen.“ Wie oft hat er mich dieses Herz schauen und die Liebe seines Herzens begreifen lassen! – Wollen wir das heiligste Herz Jesu und seine Liebe ganz begreifen lernen, müssen wir zu seiner hl. Menschheit gehen und dort seine Liebe betrachten lernen; denn seine Liebe hat sich zuerst und vornehmlich in seiner Menschwerdung und in seinem Menschsein gezeigt.

4796 |        Mit einem menschlichen Leibe, angenommen aus der reinsten Jungfrau, mit einem menschlich fühlenden Herzen wollte Jesus unser Erlöser werden. Was lag alles an Liebe und Leid in dieser Art der Verdemütigung bei seiner Menschwerdung.

4797 |        er litt eben, wie Kinder leiden, doch in dem Maße, als die Sünden der Menschen Genugtuung verlangen: „er ist uns in allem gleich geworden, die Sünde ausgenommen“.

4798 |        Als Erlöser der Menschen war er gekommen. Seine Erlöserarbeit stand ihm ständig vor Augen. Was die ersten Menschen uns verloren, das sollte er uns wieder zurückerkämpfen. Er sollte den Kampf aufnehmen mit der Gewalt des bösen Feindes, mit der durch die Sünde der Menschen verdorbenen Natur. Aus dem Herzen, aus dem Innern kam die Sünde; im Herzen des Gottmenschen sollte sie wieder gutgemacht und gesühnt werden.

4799 |        Der ewige Vater verlangte Sühne und legte alle Sünden in der Wurzel, im Anfang, in das Herz seines Sohnes. Jesus nahm sie auf sich. „er trug unsere Sünden und nahm auf sich all unsere Missetaten.“ Jesus, an sich so rein, als Gott so unendlich vollkommen, und so heilig als Mensch, was litt er an Ekel und Abscheu unter einer solchen Last! sein Herz ist dadurch zu einem ständigen Schlachtopfer geworden. „Mein Schmerz ist mir immer vor Augen.“ Jesus sah ständig die Sünden und Verbrechen der Menschen vor sich. Sein Herz krampfte sich zusammen ob einer solchen Last. Er sollte sühnen, gutmachen, seinen Vater versöhnen, und in der Liebe seines Herzens tat er es.

4800 |        In dieser umfassenden Liebe kämpfte er mit der Sünde, wie es eben Menschen tun. Seine Gottheit zog sich mehr in die hl. Dreifaltigkeit zurück, damit er die Leiden umso mehr als Mensch empfinde. Gewiss blieb er immer Gott, aber seiner menschlichen Natur nach kämpfte er mit den menschlichen Leidenschaften … Jesus hatte sich angeboten als Sühnopfer und ist es auch geblieben.

4801 |        Diese Art der Sühne war die Erlöserarbeit in seinem verborgenen Leben in Nazareth. Hier rang er mit den Sünden der Menschen und mit dem ewigen Vater. Ohne dass wir seine körperlichen Leiden unterschätzen dürfen, sollte doch jenes, seine vornehmste Erlöserarbeit sein. Er kämpfte und rang mit der Sünde, so wie eben wir Menschen mit der Gnade Gottes uns vom Bösen zum Guten wenden. In dieser Weise verdiente uns Jesus auch die innere Möglichkeit, die durch die Sünde Adams verdorbene Natur freizumachen von der Sünde und so der Erlösung des Gottmenschen teilhaft zu werden.

4802 |        Jesus wollte den Preis zahlen, den der Vater bestimmt hatte, nicht nur sein Herz zermalmen lassen unter der Last unserer Sünden, auch seinen hl. Leib wollte er als Opfer darbringen und für uns sterben den schwersten, schmerzhaftesten und verdemütigendsten Tod, wie es eben ein Herz ersinnen konnte, das überfließende Genugtuung leisten wollte.

4803 |        Die Liebe seines Herzens drängte den Heiland, wirklich alles zu tun, um uns für sich zu erkaufen – doch würden die Leiden der Erlösung auch würdig geschätzt und benützt werden? Im Voraussehen, dass die Leiden und seine Liebe zu den Menschen nicht gewertet, ja verachtet und unnütz gelassen würde und denn trotzdem viele Seelen verloren gehen werden, ergab sich für ihn ein neuer Schmerz. Er sah die Hölle triumphieren, sah die Erfolge des bösen Feindes. Die unendlichen Opfer seines Herzens schienen nicht zu genügen. Da wollte sich Jesus Seelen heranbilden, in denen er sein Leiden fortsetze, die er teilnehmen ließe an seinem Erlösungswerk …)

4804 |        „Meiner Dienerin Margareta Maria habe ich mein Herz gezeigt; dich will ich es erleben lassen.“ Das hat mir der liebe Heiland oft versprochen; freilich war mir dies noch dunkel und unverständlich. – Jesus sagte oft nur einen Teil seiner Absichten, vieles lässt er verborgen. Ich erlebte innerlich gleichsam seine hl. Menschheit; was man davon beschreiben kann, ist nur der kleinste Teil. Jesus wollte, ich solle mit ihm auf dem Altare ein beständiges Opfer sein, um ganz in ihn umgewandelt zu werden. Meine Umwandelung konnte nur im Feuer der Leiden geschehen. „Mein Herz soll der ständige Reinigungsort für deine Seele sein.“ Ich sagte oft zum lieben Heiland: Wirf mich hinein in dein Herz und mach mich so, wie du mich haben willst, zu einem ganz wohlgefälligen Opfer für dich. Ich meine, das tat er sehr gerne. Er nahm mir jede innere und äußere Befriedigung; alles eigene Wollen wurde zerstört. Man wird in den eigenen Augen und in denen der Menschen so vernichtet, dass ich oft dachte: Es ist schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Da kann Jesus, menschlich gesprochen, grausam sein gegen die Seinen.

4805 |        Ich sagte immer zum lieben Heiland: Ich bitte dich, führe mich einen schweren, aber dafür kürzeren Weg der Vereinigung mit dir! Und ich meine, er hat mich da erhört. Eile Jesus, eile, vollende, was du in mir angefangen hast! Achte nicht auf das Widerstreben meiner schenkenden Natur! Eile, und vollende dein Werk in mir! Tue, was du willst, aber mach, dass ich dich nie mit einer Sünde beleidige! Das war immer meine Bitte an ihn.

4806 |        er zeigte mir dann wieder, welche Absichten er mit mir habe: „Ich will dich erziehen, zu einem Opfer für Mich, für meine Absichten. Du bist meine Auserwählte. Ich habe besondere Absichten mit dir. Wenn du meiner Gnade treu bist, will ich dich vor jeder Sünde bewahren. Ja, ich gebe dir diese Gnaden, wenn du dich bemühst, nach dieser Art der Vereinigung zu streben, die ich dich lehren will.“ Diese und ähnliche Worte wiederholte der Heiland oft. Ob ich wollte? „Mein Jesus, mach mich zu einem beständigen und immerwährenden Schlachtopfer für dich!“ – Und Jesus fragte mich: „Weißt du, was ein Schlachtopfer ist?“ Dabei zeigte er mir innerlich sein Herz, die Leiden seiner Menschheit, die Qualen seines Herzens, sodass ich erschauderte und bangte. Jesus sagte mir: „Ich will mich selbst dir geben, wie ich bin. Du sollst mir deine leidensfähige Menschheit bieten, so wie Maria es getan hat. Einen Leib zum Leiden und leidensfähige Geisteskräfte brauche ich wieder. Ich will mich in dir nochmals meinem Vater zum Opfer bringen. Du sollst dich mir ganz leihen. Ich will mich mit dir vereinigen wie Seele und Leib vereinigt und nur eines sind. Du sollst dich mir opfern und zur Verfügung stellen mit jener Bereitwilligkeit, mit der es Maria, meine Mutter getan hat. Ich will dich zu jener Art der Reinheit führen, wie die ersten Menschen im Paradies waren, und will dir alles Austilgen, was mich hindern könnte, mich in dieser Weise mit dir zu vereinigen.“ Jesus hat mich im Einzelnen belehrt, bis ich ganz begriff, was er damit wolle, und wie er diese Hingabe an ihn von mir wolle. Er wiederholte diese Einsprechungen in meiner Seele, wie er es eben gewöhnlich tut. Er zeigt seine Absichten wiederholt, erklärt sie und macht sie der Seele begreiflich. Die erste betreffende Anregung möchte ich vergleichen mit dem Titel eines Buches. Langsam enthüllt er dann die Einzelheiten. Fast immer zeigt er zuerst das Ziel, das letzte Erreichen, dann mit der Zeit Einzelheiten, und das gesteckte Ziel und die diesbezüglichen Erkenntnisse rücken wieder in die Ferne. Alle Worte Jesu aber sind gewöhnlich – in der Gegenwart gesprochen – sodass man meint, jetzt augenblicklich müsse das so sein. Meist unterscheidet Jesus keine Zeit – hie und da lässt er diese oder jene Zeit verstehen – darum kann man sich in den Offenbarungen, die eine bestimmte Zeit betreffen, leicht irren.

4807 |        Jesus erklärte mir die oben erwähnten Worte: Du musst so frei werden von dir, dass ich dich selbst wie meinen Leib gebrauchen kann für meine Absichten. Dein Verstand, Gedächtnis, Wille soll so rein und dir selbst abgestorben sein, dass sie mir dienen können. – Vieles war mir freilich geheimnisvoll, aber man glaubt und muss den Worten Jesu glauben; man wirft sich ganz vertrauensvoll in die Arme der Gnade, voll Verlangen, ganz in Jesus aufgehen zu können.

4808 |        Jesus sagte mir oft: „du bist jetzt eine für mich zubereitete Opferhostie. Jetzt musst du durch meine Gnade ganz in mich umgewandelt werden.“ Also, in mir das Werden, was er ist! Durch Jahre hindurch hatte er mir viele Belehrungen gegeben, sodass mir dies ganz klar und geläufig war:

1. Dass ich seiner Gnade nicht den geringsten Widerstand leiste und auch im Kleinsten sein Wille der meine sei, und mein Wille ganz in dem seinen aufgehe.

2. Dass der Verstand sich an nichts erinnern solle, was der Seele irgendwelche Befriedigung oder Genuss bringe; dass ich ganz mir abgestorben sei.

3. Dass das Gedächtnis sich mit nichts beschäftige, was nicht die führende Gnade oder meine tägliche Arbeit beträfe. All meinen menschlichen Gefühlen müsse ich abgestorben sein, um ganz frei zu sein für diese seine Gnaden.

4809 |        Um das in mir zu erreichen, bediente sich der Heiland in meiner Seele vieler innerer und äußerer Leiden und Prüfungen. Es war damals jene Zeit, als ich ins Kloster ging und wieder austreten musste.

4810 |        Jesus nahm mir jede Befriedigung, sodass ich meinte, nicht mehr leben zu können. Aber man gewöhnt sich nach und nach an die Gnade, ganz von ihm abhängig zu sein. Die geistige Gefühlstätigkeit ist unterbunden; man wird kalt und leer wie ein Stein. Durch diese Prüfungen stirbt man sich ab und gibt der Gnade vollen Raum. – Jesus erklärte mir diese Umwandlung: Auch sein Leben müsse in mein Leben übergehen, und gerade bei der hl. Kommunion machte er den Anfang damit. Vorher machte er mich ganz leer, dass ich nicht einen Akt des Glaubens oder der Liebe usw. erwecken konnte; jede Selbsttätigkeit war in mir wie ausgeschaltet; ich war für mich wie nicht vorhanden, in einem geistigen Lähmungszustand, unfähig irgendetwas zu denken. Darunter litt ich sehr und das ging dann auch in mein tägliches Leben über. Er erklärte mir: Du musst leer werden, Ich werde dich erfüllen – und zugleich hatte ich auch den inneren Begriff, wie er es meinte. Nach der hl. Kommunion gab sich mir Jesus fühlbar, wenn auch nicht in fühlbaren Tröstungen, aber doch wie unter einer Last, die meine innere Leere ausfüllte; dies oft mit einer solchen Schwere, dass ich davon fast erdrückt zu werden schien. Oder auch: Ich fühlte mein Herz so sehr in dem seinen, dass es mich wie ein unaussprechlicher Schmerz durchdrang, dass mir fast die Sinne schwanden. Es war ein innerer Schmerz, der mich wie vernichtete. Ich gestehe, ich fürchtete mich oft vor der hl. Kommunion, da mir vieles unerklärlich war.

4811 |        Dieses schmerzliche Gefühl oder vielmehr das erdrückende Gefühl seines Einsseins mit mir blieb tagelang mehr oder minder fühlbar. Freilich gab mir Jesus dann wieder die beglückende Einheit mit ihm, aber er führte mich eben auf diesem Wege der Umwandlung in ihn. Oft ließ er mich auch den beseligenden Zustand des Einsseins mit ihm fühlen. Ich sollte ihn in seinen Leiden und seinen Freuden ertragen lernen. Er nahm mich gleichsam mit auf Tabor, und ich sagte zum Heiland: „Hier ist gut sein, hier will ich mir eine Hütte bauen“; aber dann zeigte er mir wieder sein Herz, das ich mir ganz zu eigen machen müsse, als Wohnung. Wenn mir Jesus so sein Herz schenkte und ich mich ganz in ihm, im Herzen Jesus, wusste, sagte ich oft zu ihm: „Lass mich immer in diesem spürbaren Zustand des Einsseins; so möchte ich mein Leben verbringen.“ Da – es war um das Jahr 1927 – erklärte er mir: „In diesem Zustand könntest du mich nicht ständig ertragen. Ich will dir meine leidende Gegenwart geben. Du wirst meine Leiden als die deine fühlen. Meine Gegenwart wird dir zu einem beständigen Kreuze werden, an dem du angenagelt wirst. Ich habe dich zur Kreuzesbraut erwählt.“

4812 |        In der zweiten Hälfte des Jahres 1926 kam ein neuer Abschnitt meines Innenlebens. Der liebe Heiland sagte mir oft deutlich, er habe mich erwählt als Opfer für die Kirche. Er wolle seine Kirche innerlich erneuern. Ich solle ihm dazu als Werkzeug dienen. – „Meine Leiden, die Erlösertat meines Herzens, schienen nicht zu genügen, ich will in dir nochmals leiden und sterben. Ich will dadurch meiner Kirche neue Gnaden geben.“

4813 |        Die Eigenheit meiner inneren Führung bestand in jener Zeit darin, dass mich Jesus auf das Mitleiden mit ihm vorbereitete. Seine Leiden standen ständig vor meinem geistigen Auge. Ich hatte so ein besonderes Mitgefühl mit seinen Leiden, dass ich immer darein versenkt war. Alles strebte in mir, Jesus Leiden mitzuerleben. Der Heiland sagte oft so ähnlich: „Ich will mich dir in meinem Leiden schenken. So wie ich mich dir ganz gebe, in dem Maße wirst du meine Leiden mitempfinden.“ Der eigentliche Sinn dieser Worte war mir freilich noch dunkel. Ich dachte immer nur an ein körperliches Mitleiden und er gab mir auch in dieser Beziehung viele besonderen Gnaden. Oft, wenn ich ein Kreuz ansah, durchzuckte mich ein besonderer Schmerz und ich fühlte mich in einer leidenden Art mit Jesus vereinigt. Auch nach der hl. Kommunion fühlte und litt ich oft in etwa die Wundmale des Heilandes, sodass ich ganz steif wurde und die Schmerzen fühlte. Jesus erklärte mir dann: Ich will dich meine leidende Gegenwart fühlen lassen. So will ich dir mich einmal geben samt meinen Leiden. Ich fühlte in körperlicher Art seine Herzenswunde, die Dornenkrone. Es war ein körperlich wahrnehmbarer Schmerz, aber mehr noch ein geistig fühlbares Empfinden. Jesus gab mir damit vielmehr seine Gegenwart und ließ mich, wie er mich belehrte, den Schmerz leiblich mitfühlen als Beweis der inneren Gnade, „damit du glaubst, wie ich in dir leben will“.

4814 |        Ich kam in dieser Zeit in viele seelische Zweifel und Kämpfe. Ich fürchtete mich vor etwas Außergewöhnlichem. Ja, ich hatte den Mut, dem lieben Heiland oft diese Bedingung zu stellen: Lieber Heiland, ich opfere mich dir ganz, aber unter der Bedingung, dass nichts Besonderes mit mir geschieht – das haben mir meine Seelenführer aber dann streng verboten. Sie gaben mir den Auftrag, mich dem Heiland rückhaltlos zu opfern. Zuweilen war ich in ständiger Furcht davor. Und doch sehnte ich mich danach, weil ich glaubte, doch dadurch den Heiland ganz zu besitzen. Das waren damals schwere Zeiten. Was habe ich da seelisch gelitten!

4815 |        Ich konnte nicht essen, nicht schlafen, ein unbeschreibliches geistiges Leiden war in mir. Ich war so todmüde und konnte nicht zur Ruhe kommen, weder körperlich noch seelisch. Tief in meinem Innern glühte die Sehnsucht, Jesus ganz im Leiden umfangen zu können, und doch wieder die Furcht, Jesus könnte etwas Außergewöhnliches wollen, dazu die fühlbare Einheit mit ihm, die mir zur unerträglichen Qual wurde. Nichts war in mir, was nicht gelitten hätte. In den Augen der anderen war ich eben krank, und niemand merkte, dass mein Kranksein von meinen vielen Seelenleiden kam. Und doch war ich in mir so unsagbar glücklich.

4816 |        Jesus zeigte mir auch den Weg des schauenden Mitleidens, wie z. B. bei Katharina Emmerich oder bei Therese Neumann. Ich sah, wie die Gnade in diesem Zustand in ihnen wirkte, wie sie das erlebten usw. Mich wolle der Heiland – so erklärte er mir – führen auf dem Weg des Leidens „als er“ an seiner Stelle, von innen heraus seine Leiden empfindend. Er ließ mich vorausschauen die Art meiner inneren Empfindungen, die später einmal kommen werden. Für mich war das damals vielmehr Vorbereitung, Erklärung und Erleben des Heilandes. Er ließ mich ihn erleben. Öfter vor der hl. Kommunion machte er mich darauf aufmerksam und sagte mir: „Durch so viele Leiden will ich in deine Seele eingehen. Mein Leben ist Leiden und gänzliche Hinopferung an den Willen des Vaters“. Nachher ließ er mich dann seine leidende Gegenwart fühlen: „Das ist mein Leben. So will ich in dir lebend werden.“ er ließ mich nach der hl. Kommunion auch seine inneren Leiden schauen und nachfühlen. „Ich will dir die Leiden meines Herzens zeigen“, versprach er mir oft, und wie viele Belehrungen hat er mir darüber gegeben! Ich sollte sein Herz innerlich erleben, er wollte mir zu diesem Zweck sein Herz gleichsam überlassen. Wie oft ließ er mich in sein Herz schauen, als in einen Abgrund aller Arten von Leiden, Verkennung, Missachtung, voll Bitternis, weil man nicht an seine Liebe glaube.

4817 |        er hat mir oft gezeigt, wie er im hl. Sakrament verlassen sei, nicht geehrt, dass man achtlos vorübergehe und er wie ein Nichts behandelt werde. Ich hatte so sehr Mitleid mit ihm. Wie tat mir Jesus Leid! Ich bemühte mich, ihm noch treuer zu sein, und wollte ihn wirklich für andere herzlich lieb haben. Er zeigte sich mir oft ganz traurig und gekränkt, dass es mich ganz niederdrückte. Er verlangte dann immer Sühne, erneute Hingabe. So zeigte er mir die Leiden seines Herzens und ließ mich das mitfühlen und erleben.

4818 |        Vor der hl. Kommunion war Jesus oft in meiner Seele fühlbar tätig. Er wollte mich selbst auf ihn vorbereiten, sodass ich mich in keiner Weise bemühen konnte. Er belehrte mich: „Ich schenke dir mein leidendes Herz. Du musst dich bemühen, mich weiter behalten zu können. Es soll eine bleibende Gnade für dich sein.“ Nach der hl. Kommunion ließ er dann gleichsam sein Herz mich fühlen. Es ging ein unaussprechlicher Schmerz von seinem Herzen aus, sodass ich darunter vergehen zu müssen meinte.

4819 |        Jesus ist mit mir umgegangen wie mit einem Kinde. Er hat mich belehrt im Kleinsten und Einfachsten wie im Höchsten. Er wollte mich für das vorbereiten, was eben seine Absicht war. Er hatte mir versprochen, er wolle mich als Werkzeug dafür gebrauchen, dass er in den Seelen wieder lebend werde. Sein Leben wolle er den Seelen besonders mitteilen im hl. Sakrament des Altares. Dort wolle er das Leben der Seelen werden. Dadurch wolle er auch das geistige Band werden, das alle Seelen umschlinge und gleichsam eins mache. Er habe besondere Absichten, wie er die Einheit wieder herstelle und besonders seine Kirche zu einer besonderen Einheit in den einzelnen Gliedern führe.

4820 |        Einmal sah ich bei der hl. Messe, wie Jesus die Einheit in seiner Kirche wünsche. Er erklärte mir dies mit seinem hohepriesterlichen Gebet: „Vater, ich bitte dich, dass sie eins seien wie du und ich eins sind.“ Zugleich sah ich eine Kluft zwischen Priester und Volk; die Einheit in der Kirche habe darunter gelitten. Ich sah einen scheinbar unüberbrückbaren Abgrund, und Jesus erklärte mir: „Ich habe dich erwählt, dass dieser Abgrund wieder überbrückt und verbunden werde. Du wirst mir dazu als Werkzeug dienen. Ich will meine Kirche innerlich wieder so einig machen, wie ich sie gegründet habe zu Apostelzeiten, wo sie innerlich ganz eins war. Die Uneinigkeit bringt meiner Kirche den größten Schaden. Ich will neue Gnaden ausgießen auf meine Kirche und sie innerlich erneuern.“ Ich sagte freilich zum Heiland: „Wirst du das machen mit mir schwachen Menschen?“ er: „Ich will dir viele besondere Gnaden geben, die ich noch nie gegeben habe. Ich will dir den Weg zeigen und ganz dein Führer sein. Meine Gnade wird in dir besonders wirksam sein. Ich will die Kirche durch die PRIESTER erneuern und ihr dadurch neue Gnaden geben. Ich will zeigen, welche Einheit ich in der Kirche wünsche, dadurch, dass ich dir, einem Kind aus dem Volke, dies sage und dich innerlich befähige für alle Opfer, zum Zeichen der Verbindung der Priester mit dem Volke. Und zum Beweis, dass meine Gnade keinen Unterschied kennt, habe ich mir das Kleinste erwählt, um Großes zum Wohl meiner Kirche zu tun.“

4821 |        Von da ab (1929) zeigte mir der liebe Heiland näher seine Absichten, und zwar sehr oft: Er wiederholte mir oft: „Ich will meiner Kirche neue Priester und neue Hirten geben. Ich gebe meiner Kirche zu jeder Zeit jene Gnaden, die sie gerade für die betreffende Zeit braucht. Meine Liebe soll wieder in den Priestern lebend werden. Ich will jene Gnaden neu ausgießen, wie ich es bei meinen Aposteln getan habe, als ich sie zu meinen Priestern bestellte, und ich will diese Gnaden noch erweitern, der Jetztzeit angepasst.“

4822 |        Das dürfte zum ersten Mal in den Jahren 1929/30 versprochen worden sein.

4823 |        Ähnliches hatte mir Jesus schon früher gesagt, doch verstand ich nicht, was er damit meine. Ich war immer furchtsam und schüchtern gegenüber den vielen Gnaden Gottes. Ich konnte es mir gar nie erklären, dass er wirklich etwas Besonderes von mir wolle. Ich wagte aber auch nie, irgendwie die Worte Jesu weiter zu denken; ich fürchtete immer, meine Gedanken beizumengen. Auch hatte ich, wie mir scheint, stets eine doppelte innere Führung: die Eine, durch die mir so viele besondere fühlbare Gnaden geschenkt wurden, und dazu die Zweite, die mich anleitete, diese Gnaden richtig zu verwerten. Das mag Jesus wohl deshalb getan haben, weil ich nie eine regelmäßige, geistliche Leitung hatte. Das gehörte zu meinem größten Leiden: in meinem Innenleben ganz auf meine Vernunft und eigene Entscheidung angewiesen zu sein. Ich fühlte mich so mutterseelenallein und konnte mich mit keinem Priester aussprechen; wenn ich schrieb, bekam ich meist keine Antwort, und meine Zweifel und meine innere Verwirrung wurde größer als zuvor.

4824 |        Jeder Priester aber, den mir Gott zur Gelegenheit einer persönlichen Aussprache zuführte, versicherte mir, dass meine seelischen Gnaden ganz sicher von Gott seien. Mein inneres Erleben könne nur das Werk des Heilandes sein. Das brachte mir dann wieder Mut und Vertrauen. – Jesus ließ mich damals viel über das Innenleben anderer erkennen. Jesus Führung ließ mich zwei Ziele seiner Gnade sehen: Ich solle ein Opfer sein für die Erneuerung des PRIESTERTUMS, und damit für die Erneuerung der KIRCHE. Einmal, am Fest der hl. Theresia (15. Oktober) wurde mir diese gezeigt, als die Erneuerin des Karmeliterordens. Es wurde mir dann innerlich erklärt, durch mich würde die Kirche erneuert werden. – Wie konnte ich Solches verstehen, auch wenn die Worte Gottes noch so klar und bestimmt waren, wie es in diesen Fällen ist! Ich wagte auch, in keiner Weise darüber nachzudenken.

4825 |        Das ZWEITE Ziel sei: Ich würde den lieben Heiland in mir erleben, oder vielmehr er würde sein LEBEN, LEIDEN in MIR ERNEUERN. Ich solle dem Herzen Jesu durch diese Leiden eine stellvertretende Genugtuung sein für all die neuen Gnaden, die es für die Priester und die Kirche auszugießen im Begriff sei. Wie oft musste mir das der Heiland erklären! Seine Absichten standen mir so scharf vor der Seele, dass ich nicht zweifeln konnte. Ich konnte sie aber nie mit meiner seelischen Kleinheit und Armut zusammenreimen. Zugleich war ich zeitweise fast erdrückt von meiner geistigen Unfähigkeit und meinen beständigen inneren Prüfungsleiden. Was konnte ich schwaches Kind dazu tun? Ich hatte überhaupt sehr mit Mutlosigkeit und Verzagtheit zu kämpfen. Dies war ein besonderer Kreuzweg meines Innenlebens. In mir nichts als Unfähigkeit, gänzliches Alleinsein; dazu das scheinbar unerreichbare Ziel; und doch wurde ich dahin von der Gnade gedrängt.

4826 |        Ich hatte in den Jahren 1930–32 viele Offenbarungen über die Erneuerung des Priestertums, die mir die führende Gnade immer als Ziel vor Augen stellte. Der liebe Heiland zeigte mir den Kampf der streitenden Kirche mit den Mächten der Hölle, die Not der Seelen, die um Hilfe und Führer rufen. Jesus sprach dann zu mir: „Ich habe Erbarmen mit dem Volke und den Seelen, die mich um Hilfe anflehen. Die Gnaden des Priestertums scheinen nicht zu genügen. Ich will Gnaden der Erneuerung über sie ausgießen. Ich selbst will in den Priestern wieder lebend sein. Du sollst mir ein Opfer sein für die Priester. Durch dich will ich neue Gnaden ausströmen lassen für das Priestertum und somit für die Seelen.“ „Aber mein Heiland, ich bin ein schwaches Mädchen, was wirst du mit meiner Armseligkeit erreichen?“ „Den Kleinen will ich mich offenbaren, dass man daraus erkennen kann, dass es von mir kommt. Ich will dich zu einem Opfer für mein Priestertum.“

4827 |        Und er ließ mich sehen den Kampf der Geister, in dem das Gute zu erliegen droht. Priesterliche Feuerseelen wolle er sich erwecken, die, ganz vom Geiste Jesu erfüllt, dem heutigen verderbten und ungläubigen Zeitgeist entgegentreten. Zwölf Männer, seine Apostel, haben das Angesicht der damaligen Welt erneuert; auch heute wolle er den Geist seiner Apostel in den Priestern erneuern. „Ich will in meinen Priestern wieder lebend werden. Ich will den ersten Geist in meiner Kirche erneuern. Ich will meiner Kirche neue Priester und neue Hirten geben, in denen sich mein Leben erneuert und gleichsam wieder gelebt wird. Der Priester soll mich den Seelen wieder geben können; wie kann er es aber, wenn er nicht mit mir verbunden ist? Der Priester soll eins sein mit mir in der Gesinnung, in der Absicht, im Seeleneifer, im Opfern und Leiden. Er soll ein zweiter Christus sein. Das war meine Absicht, als ich das Priestertum einsetzte, dass ich in meinen Priestern weiter lebe, da doch der Priester meine Stelle vertritt bei den Seelen. Ich will einen neuen Geist ausgießen über meine Priester. Ich will sie wieder zur vollen Einheit mit mir führen.“

4828 |        Der liebe Heiland würdigte sich oft, mich schauen zu lassen, wie die Priester von heute dem Geiste seines Herzens und seinen Absichten vielfach nicht entsprechen, wie er von Ihnen verleugnet, verraten werde und wie sie ihre persönlichen Interessen an erste Stelle setzen und die Würde ihres hl. Standes missbrauchen.

4829 |        „Der Priester ist bestimmt, mein Erlöserleben für die Seelen weiter zu führen. Er soll sich seiner hohen Würde wieder bewusst werden. Er soll vor sich selber Ehrfurcht haben. Wie sehr liebe ich meine Priester! Wie sehr wünsche ich, mein Leben in ihnen wiedergelebt zu sehen! Sie sollen die Freude meines Herzens sein, aber wie sehr werde ich von Ihnen entehrt und beleidigt! – Sie werden mir eine Schmach meines Herzens und gereichen meiner Kirche zur Schande“ – Wie leidet sein Herz darunter! Wie viele Seelen gingen durch die Nachlässigkeit der Priester verloren!

4830 |        Und Jesus sagte mir: „Ich bin daran, Strafgerichte über die Priester zu senden. Die Guten will ich in meinem Herzen bergen, die bösen werden in ihren Sünden dahinsterben.“ er ließ mich begreifen, wie sehr er beleidigt sei. – „Aber, mein Heiland, das darfst du nicht tun; das würde der Güte des Herzens nicht entsprechen. Sei wieder barmherzig!“ „du sollst dich für meine Absichten opfern und das Werkzeug sein, um den Geist meiner Priester zu erneuern.“ – „O Jesus, ich bin zu allem bereit, was du von mir willst; aber wer wird mir das glauben, dass du mich erwählt hast?“ – „Man soll dein Innenleben prüfen. Ich werde mit dir sein. Dein Innenleben wird der Beweis sein für die Echtheit meines Auftrages. Es werden viele Leiden deshalb über dich kommen; die Hölle wird sich mit schlechten Priestern verbinden und es wird ein großer Kampf entstehen, aber ich werde mit dir sein. Ich will die Echtheit meiner Worte immer wieder beweisen.“

4831 |        So und ähnlich sagte der liebe Heiland wiederholt Jahre hindurch. In inneren Bildern ließ er mich das Leid seines Herzens über das Versagen seiner Priester schauen, wie die Hölle und die Feinde der Kirche darüber jubeln und sich schon den Sieg versprechen. Ich sah und begriff vieles innerlich. So sehr mir aber alles klar war, was der Heiland wollte, so war doch auch eine beständige Angst in meinem Herzen, dass es Täuschung und Einbildung wäre. Zur rechten Zeit aber gab Jesus mir wieder einen Führer, der wiederholt bestätigte, dass ich den Worten Jesu voll glauben könne, wenn ich es auch nicht begreifen könne, weshalb er mich in meiner Schwäche erwählt habe.

4832 |        Der Priester sei nach den Absichten des hl. Herzens bestimmt, die Erlösungsgnaden den Seelen zu vermitteln, aber er solle auch das Erlöserleben Jesu in sich fortsetzen, Jesu Leben in sich verwirklichen, auf dem Altare ein Opfer sein mit Jesus, durch die hl. Wandlung immer mehr an ihm teilnehmen, und in seinem priesterlichen Leben Jesus leben. Vor allem soll er eins sein mit Jesus in der Opfergesinnung, und in der Hingabe an Jesu Interessen soll er das Höchste suchen. Durch die beständige Opfergesinnung des Priesters am Altare, wo er doch in erster Linie die Stelle Jesu vertritt, sollen dem Priester jene besonderen Gnaden zufließen, die Jesus im Begriff sei auszugießen.

4833 |        Wenn Jesus mich gleichsam beständig auf dem Altare als Opfer wollte, wenn er mir so oft versprach, durch dieses immerwährende Mit–Opfern, mich immer mehr sein göttliches Leben in mich aufnehmen zu lassen, so wollte er dadurch zeigen, welcher Art sein „Leben“ sein werde, das er den Priestern mitteilen wolle. Er wolle mir vorbildlich jene inneren Gnaden geben, die er den Priestern geben will in priesterlicher Art.

4834 |        Eigentlich stand dies nun immer als Lebensaufgabe vor mir: Jesus wolle wieder das Leben der Priester sein. Oft sagte er mir darüber: „Ich will die Gnaden für die Priester vorbildlich in deine Seele legen zum Beweis, dass ich diese Gnaden ihnen geben werde. Ich will damit zeigen, was ich in einer Seele hervorbringen kann, die mir keinen Widerstand leistet. Von wem erwarte ich mehr Hingabe als von den Priestern, die ich gleichsam mit meiner Würde ausgestattet habe, dass sie meine Stelle bei den Menschen vertreten?“

4835 |        Der Priester soll, wie mir Jesus so oft erklärte, die innersten Gefühle und Gesinnung im Herzen seines Meisters verstehen und zu den seinigen zu machen suchen. Mit dem Herzen Jesu soll er den Seelen nachgehen, soll herausgehen aus sich selber, soll sich aufgeben und das Herz Jesu an seiner Stelle leben lassen. Er sei der Erstberufene, um die inneren Leiden seines Meisters zu teilen, und er solle sein Herz zu einem beständigen Schlachtopfer zu gestalten suchen.

4836 |        Damit meinte der Heiland aber nicht, dass der Priester sich von der Welt zurückziehe; er soll vielmehr der Welt bzw. den Seelen nähertreten, wie er und seine Apostel es getan haben. Wenn der Priester irgendwelche Möglichkeit zu wirken hätte, so entspringe diese seinem Innenleben. „Die Kraft der Wirksamkeit des Priesters liegt in seinem Innenleben“, sagte er mir. Der Priester sei bestimmt, das Leben Jesu den Seelen durch Wort und Beispiel mitzuteilen. Wie könne er es aber, wenn er selbst Jesus nicht lebendig genug in sich trage?

4837 |        Vom Altare soll die Kraft des Priesters ausgehen. Jesus ließ mich das einmal in einem inneren Gesichte schauen. Vom ausgesetzten Allerheiligsten gingen viele Strahlen der Gnaden und gleichsam neuen Lebens aus, welche die Priester der Kirche trafen. Diese wurden mit neuem Mut und Begeisterung erfüllt, und das Leben Jesu wurde in Ihnen tätig: „Von meinem Herzen soll die Tätigkeit der Priester ausgehen. Insoweit sie mein Leben in sich tragen, werden sie die Seelen zu mir führen können“, so erklärte mir Jesus dieses innere Bild.

4838 |        Ich hatte viele Erleuchtungen über die Würde des Priestertums und darüber, wie Jesus seine Priester wünsche. Einmal sagte ich zum Heiland, als er mir wieder zeigte, wie er den Priester wünsche: „Wenn du, lieber Heiland, von den Priestern etwas menschlich scheinbar so Unerreichbares verlangst, eine so große Heiligkeit und Selbstentsagung, dann wird niemand wagen, Priester zu werden, da du das Priestertum fast als ein zu hohes geistiges Ziel hinstellst“. – Er antwortete: „Ich vergesse nicht ihre Menschlichkeit und weiß, dass sie trotz ihrer hohen Würde immer Menschen bleiben. Aber ich will sie zu Höherem befähigen und ihre Würde höher stellen. Dadurch werden ungleich mehr diesem höheren Ziele zustreben, weil dadurch auch viele, die Persönliches und ein irdisches Fortkommen in Berufe suchen, abgehalten werden.“

4839 |        Der Priester soll das Leben Jesu in sich tragen, die Gesinnung seines Herzens. Er soll ein Opfer sein für die Sünden der Menschheit, Jesus will den Priestern die Leiden seines Herzens offenbaren, sein beständiges Schlachtopfer-sein vor seinem ewigen Vater. Der Priester soll Jesus Zweites Ich sein. Darum soll er in allem die Interessen Jesu vertreten, auch in seinem Innenleben. Er soll seinem Meister ähnlich sein und die Leiden seines Meisters zu den seinigen machen wollen.

4840 |        Mein Leben wolle der liebe Heiland zu einem Opferleben für die Priester gestalten. Sein Leiden wolle er in mir nochmals erneuern, um jene Gnaden zu verdienen, die er mir geben will; denn so verlange es seine Gerechtigkeit. Jesus werde mich zu diesem Zwecke ganz in sich umgestalten, um mir „sein Leben“ mitteilen zu können. Ganz solle ich mich freimachen von mir selbst, dass ich für mich nicht mehr vorhanden wäre. Ich bot mich sooft dem Heiland ganz als Opfer an für ihn, aber welche inneren Leiden warteten auf mich! „du bedarfst noch sehr der Reinigung“, hörte ich ihn in mir sagen. Wer könnte rein genug werden, um die allerhöchste Reinheit in sich aufnehmen zu können? Man könnte ihn ja gar nicht ertragen. Oft, wenn Jesus sich mir anbot, ganz mein Leben zu werden, und wenn er so in mir war, meinte ich vergehen zu müssen durch das Wissen und Begreifen seiner Heiligkeit.

4841 |        Jesus lehrte mich da einen besonderen geistigen Weg; besonders vor der hl. Kommunion unterrichtete er mich darüber etwa so: Ich bin das Leben, das ich dir geben will, mein wirkliches Leben, nicht Gefühlssache, sondern so, wie ich im hl. Sakrament bin mit allem, wie ich bin. Dieses Leben gebe ich dir jetzt und will, dass es in dir in einer besonderen Weise weiterlebe. Glaube an diese Gnade! – Diese Worte waren mir so klar und mein Glaube war so unaussprechlich lebendig, wie ich eben immer, ausgenommen in schweren seelischen Prüfungsleiden, in der hl. Hostie einen allerliebsten Freund und Bekannten, nie etwas Fremdes, Unnahbares wusste. In dieser fühlbaren Art gab sich dann mir der Heiland mit der Mahnung, ihn so in mir weiterleben zu lassen.

4842 |        In Zeiten fühlbarer Gnaden brachte mir dieses „Erleben Jesu“ unaussprechlichen Trost, fühlbares Innewerden Gottes und damit besondere Gnade der Einsprechung. Ich unterhielt mich mit ihm, wie man eben mit guten Freunden redet; er war mein bester Freund und Einziggeliebter. Ja, ich hatte mit Gott reden gelernt, wie er es schon in meiner Kindheit versprochen hatte. Hätte ich alles, alle fühlbare Ansprachen Jesu aufgeschrieben, fürwahr, es wäre ein großes Buch entstanden.

4843 |        Anders war die Wirkung, wenn ich in seelischer Finsternis war. Die Gnade seines Lebens war mir dann vielleicht mehr fühlbar – zu meiner großen Qual. In meiner Herzensnot sagte ich oft zum Heiland: Ich bitte dich, geh weg von mir; ich fürchte mich vor dir. – Wie oft aber war dann Jesus ganz Güte gegen mich und sagte: „Fürchte dich nicht, mein Kind, ich bin es“ – wie er mich oft sein Kind nannte. „Ich, dein Heiland bin ich, der dich so sehr liebt, dass er ganz in dir leben möchte und dir 'sein Leben' schenken will.“ Ja, ich habe mich oft vor dem Heiland gefürchtet, vielleicht aus Opferscheu, weil ich wusste, dass er stets neue Opfer verlangte, und ich oft so leidensmüde war, oft auch vor lauter innerer Verwirrung, da ich die große Herablassung Jesu zu seinem kleinsten Kinde nicht begreifen konnte. Doch Jesus gab nicht nach. Ob ich „sein Leben“ fürchtete oder mich danach sehnte, er ließ sich nicht abbringen durch den Widerstand seines schwächsten Kindes. Vor lauter Furcht vor Außergewöhnlichem habe ich der Gnade Jesu oft tapfer widerstanden. Doch immer wieder musste ich als die Besiegte gelten. Jesu Liebe war unendlich größer und mächtiger als die menschliche Ohnmacht.

4844 |        Ich meine, in jenen Jahren (von 1932 ab) kamen die Leiden der passiven Reinigung, die mir mein Seelenführer (Dr. List) erklärte. Die Nacht des Geistes senkte sich über meine Seele herab und umgab mich mit undurchdringlicher Finsternis. Man kann da schreien und weinen, niemand hört. So weit fühlt man sich von Gott entfernt. Wie in einer endlos weiten Wüste wähnt man sich, die noch keines Menschen Fuß betreten habe, so wenig wie irgendwelche Gesellschaft oder Trost zu finden ist. Ach, dieses schreckliche Alleinsein in dieser inneren Nacht! Wer es erfahren hat, der kann es begreifen; anderen kann es nie geschildert werden. Ja, wer nicht gelitten hat, was weiß der! Wer nicht durch dieses dunkle Tal gewandert ist, was weiß der von Seelenleiden! Mit Feuer wird aus der Seele ausgebrannt, was irgendwie menschlich ist. Das ist ein schreckliches Fegefeuer, aus dem man nie mehr herauszukommen meint. Man fühlt sich von Gott verworfen, verstoßen. Man meint, nie mehr könne man das Angesicht Gottes schauen. Endlos dehnt sich die Qual vor der Seele aus. Gewiss, hie und da durchbricht ein Lichtstrahl der Gnade das Dunkel der Seele, die dann aber von noch größer scheinender Finsternis umgeben wird. – Zu dieser inneren Finsternis und Verlassenheit kommen nicht so schwere Versuchungen. Alle Möglichkeiten zur Sünde, die durch die Sünde Adams in die Seele gekommen sind, erstehen mit schrecklicher Gewalt in der Seele. Wie habe ich darunter gelitten, die hl. Reinheit ausgenommen. Glaubenszweifel quälten mich. Alles erschien mir als Torheit, was die Glaubensgeheimnisse anbelangt. Man scheint zu zweifeln an Gottes Barmherzigkeit und Güte, an seiner Liebe. Diese erscheint als Tyrannei, da er Menschen leiden lasse. Man ist zu Ungeduld und Unwillen gereizt. Ein Hass gegen die Menschen schien mich zu erfüllen und dazu diese unaussprechliche Mutlosigkeit und Verzagtheit! Alles stürmt ein auf die arme, gequälte Seele, peinigt sie in entsetzlicher Art. Ja, man meint, eine Unmenge von Teufeln hätte man in seinem Inneren, und man ist wie ganz deren Gewalt ausgeliefert und dazu ist man in einem tiefen schwarzen Abgrund begraben, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt und keine Aussicht auf Befreiung. – Wie lange ist ein Tag in solchem Kampfe, eine Woche und monatelang blieb dieser Zustand. Alle früheren Gnaden scheinen da ausgelöscht, wie nie gewesen. Man wird sich selber fremd und meint, auf einmal ein anderer geworden zu sein. Manchmal standen frühere Gnaden der Vereinigung wie zum Hohn vor meiner Seele, um meine innere Qual zu steigern, und es schien, als sagte jemand zu mir: Schau, früher warst du so begnadet, jetzt bist du in den Abgrund des Verstoßenseins von Gott hinabgesunken. Es war gar keine Gnade; alles war Einbildung. Jetzt bist du in dem Zustand, den du verdienst. – Wer kann die Marter des Herzens beschrieben, wenn der Teufel vielleicht wochenlang so vor der Seele steht und sie mit diesen Worten in Verzweiflung bringen will! Lange Zeit kämpft man dagegen. Man will jede einzelne Versuchung durch entgegengesetztes, inneres gutes Wollen beseitigen, aber allmählich erlahmt die innere Kraft zur Abwehr. Man sinkt kraftlos in sich zusammen, und alles stürmt wie mit größter Wut auf die arme Seele ein, dass man darunter wie begraben ist. Oft wird man vor innerem Schmerz wie betäubt und unsinnig; man rennt – um mich irgendwie auszudrücken – an die Wand des Kerkers, in dem man sich wähnt. Man möchte sich blutig rennen und möchte sich aus den schweren Leiden herausarbeiten, davon wegkommen, aber je mehr man sich wehrt, desto mehr fühlt man das Leiden. Langsam tobt der innere Kampf ab. Man wird ruhiger, ergebener, und allmählich lichtet sich wieder das Dunkle der Seele. Jesus ist wieder da!

4845 |        Oft war es auch in den ärgsten seelischen Leiden, dass er mich innerlich berührte. Man ist wie erneuert und mit ihm vereinigt. Man wirft sich an sein Herz und kann nicht begreifen, wo man vorher gewesen ist, woher die rasche Umwandlung von der Finsternis zum geistigen Lichte komme. Wie oft hat mich der Heiland auf diese Weise innerlich berührt und im selben Augenblick war ich in höchster Art mit ihm vereinigt! Eigentümlich, man kann dann für gewöhnlich den soeben verlassenen Zustand der geistigen Verwirrung nicht begreifen, ebenso wie in Zeiten der Finsternis das Genießen des Einsseins mit Jesus wie ausgelöscht ist.

4846 |        Die Leidenschaft dauerte in mir mit größter Heftigkeit vom Jahre 1932–1937 (geschrieben wurde dies Ende Juli 1937). Ganz unterbrochen waren die Leiden der Reinigung nie. Zwischen der ersten und zweiten Reinigung waren immer, auch in der höchsten Gnadenzeit, Wochen und Monate voll seelischer Finsternis eingeschaltet. Gerade in den letzten Jahren gab mir Jesus auch zwischen hinein viele Gnaden der Vereinigung. Immer wieder lehrte mich seine Führung, „sein Leben“ ganz in mich aufzunehmen. Das sei der Zweck meiner so tiefen seelischen Reinigung, durch die er eine besondere Stufe „seines Lebens“ in mir vorbereite. Alles Menschliche wolle er ausschalten, geradezu herausbrennen, damit er sich mir ganz mitteilen könne.

4847 |        Jesus zeigte mir alle Möglichkeiten zur Sünde in der Seele des Menschen. Er habe diese Sünden beständig geschaut während seines Erdenlebens, und wie hätte sie ihn mit Ekel und Schauder erfüllt! sein Herz war der Opferaltar, wo sie gesühnt würden. Obwohl er ganz rein war, fühlte er sich doch mit einer solchen Last beladen, und in der unbegreiflichen Liebe seines Herzens trug er diese Last der Menschheit, als wäre es die eigene und wollte dafür büßen, als wäre er der Sünder. Sein Vater nahm die Liebestat des Sohnes an und strafte an seinem viel geliebten Sohne die Sünden der Menschheit, als wären es die seinigen. Noch bevor der Kreuzestod und alles vorausgehende Leiden kamen, war das Herz Jesu schon das beständige Schlachtopfer für die Sünden der Menschen. – Ich hatte darüber viele innere Erkenntnisse und in meiner tiefsten Verlassenheit schaute ich dieses innere Sühneleben des Heilandes von Zeit zu Zeit. Meine inneren Leiden sollten ein Mitleiden und ein Mitsühnen sein.

4848 |        Jesus erklärte mir das so: Mein Leben solle ein Opferleben sein für die Erneuerung der Kirche. Seine Gerechtigkeit verlange Entschädigung für alle neuen Gnaden, die zu geben er daran sei. Ich müsse ihm dafür Schlachtopfer sein. Meine Leiden kämen anderen Seelen zugute, besonders den Priestern, da mein Leben ein Opferleben für die Priester sei, damit er auf diese, neue Gnaden ausströmen lassen könne.

4849 |        Fortlaufend sah ich innerlich die in den Menschenherzen herrschenden Möglichkeiten und Wurzeln der Sünde und aller bösen Eigenschaften, die durch die Erbsünde kamen. Ich fühlte in meinem Leiden den Gegensatz und die Aufgabe, das gut machen zu müssen. Ich war in mir beständig im Kampf mit allen bösen Leidenschaften und fühlte mich beladen mit allen Sünden der Menschen. Innerlich sollte und musste ich gegen all das kämpfen, wie wenn alles Böse mein Vergehen wäre. – Jesus gab sich mir fühlbar als Sühneopfer für die Sünden, wie er mir das erklärte. Ich solle an seiner Stelle gutmachen, den Kampf mit diesen Sünden aufnehmen, da er nicht mehr leidensfähig sei.

4850 |        Das sei eigentlich meine Lebensaufgabe: Mich dem Heiland leihen, geben, dass sein Leben und Leiden in mir fortgesetzt werden. Zu diesem Zwecke hat er mir auch einen besonderen Zustand des Einsseins versprochen. Ich würde nach und nach in einen übernatürlichen, ekstaseähnlichen Zustand der Vereinigung mit ihm gelangen, dass er in vollkommener Weise in mir weiterleiden könne.

4851 |        Im Jahre 1934, vor dem Feste Maria Empfängnis, sagte mir Jesus oft, er wolle mich zur geistigen Vermählung vorbereiten. Ich wusste nicht, was das sei, und folgte in allem dem Antrieb der Gnade. Ich wollte mich in allem seiner Gnade überlassen, um ganz rein und vor dem Heiland wohlgefällig zu werden. Am genannten Festtag, vor der hl. Kommunion, war mir fühlbar, als ob alles von mir wegfiele, wie wenn man alte Kleider mit neuen vertauscht. Ich sah mich innerlich frei werden von mir und erneuert. So leicht und froh war ich, dass ich mich selbst gar nicht kannte. – Nach der hl. Kommunion war ich in einem derart tiefen Zustand der Vereinigung, wie ich ihn nie gefühlt hatte. Es war etwas ganz Neues, worin ich war.

4852 |        Jesus sagte mir dann: „Von jetzt ab bist du ganz meine Auserwählte. Nichts soll uns mehr trennen. Wenn viele Leiden über dich kommen, so sollen sie dir ein Beweis sein, dass sie von meiner Gegenwart kommen. Ich schenke mich dir mit allem, wie ich bin, mit all meinen Vollkommenheiten und mit all meinen Leiden; denn du wirst meine Kreuzesbraut sein. Es werden viele Leiden über dich kommen, aber es werden meine Leiden sein, die ich in dir fortsetze. Glaube an meine Gnade! Der Glaube wird dich zu Allem stark machen. Mit mir gebe ich auch meine göttliche Kraft. Ich habe dich in jenen Zustand der Reinheit geführt, dass du im Augenblick mit mir im Himmel vereinigt wärest, wenn du jetzt sterben würdest. Du wirst aber jetzt nicht sterben, sondern noch viel leiden müssen und wirst einmal in meinem Leiden sterben, aber dein Tod wird ein Übergehen in meine ewige Vereinigung sein. Ich will dich so rein machen, wie die Menschen im Paradies waren. Ich will dich zu so hoher Vereinigung führen, wie ich sie bis jetzt noch nie gegeben habe.“ Ich war so in Jesus versenkt, dass ich nichts um mich her wusste. Jesus sagte mir noch vieles. Ich schrieb alles meinem Seelenführer Dr. List, 4 Seiten in Großformat, aber es ist alles verloren gegangen. – Damals hat mir der Heiland ganz außergewöhnliche Gnaden gegeben. Und diese Gnaden wirkten merkwürdig weiter. Ich blieb seither in einem bestimmten Zustand des „Seins in Jesus“. Nichts konnte mich von ihm trennen, kein Leiden und kein Kreuz. Das war mir oft unbegreiflich. Ich musste an seine Gegenwart glauben.

4853 |        Jesus hatte mir damals gesagt: Ich habe mich dir geschenkt mit all meinen Leiden und Vollkommenheiten. Er führte mich nachher noch mehr in seine Leiden ein, er zeigte sich mir oft mit Sünden der Menschen beladen und legte sie gleichsam in mein Herz. Ich solle „Miterlöserin“ sein. Ich litt darunter, als wären es meine eigenen. Mein inneres Leben wurde zu einem beständigen Kampf mit den Sünden. Und in welch furchtbaren Zweifel und Verwirrung kam ich dadurch! Ich fühlte mich als die Schuldige und meinte, es sei meine Schuld. Ich wagte mich in diesem Zustand nie zur hl. Kommunion und zur hl. Beichte zu gehen, bis ich wieder in den gewöhnlichen Seelenzustand kam. Das dauerte etwa zwei Jahre und ich habe darunter unaussprechlich gelitten. Ich hatte auch keine Möglichkeit zur Aussprache mit einem Priester, vielleicht nur einmal im Jahr. Ich war ständig in meinem Leidenszustand, den ich nicht beschreiben kann. Ich fühlte mich ob der auf mir lastenden Sündenschuld von Gott verstoßen, zur Hölle bestimmt, unrettbar verloren. Anderseits wurde ich in mir zu höchstmöglicher Seelenreinheit angetrieben. Es war ein Widerspruch zweier Seelenzustände, durch den ich in eine Art Todeskampf kam. Ich meinte, Sterben könne nicht schwerer sein als das, was ich fortgesetzt innerlich litt. Es quälte mich dann der Gedanke: Wenn du in diesem Zustand sterben würdest? Das brachte mich, meine ich, in eine wirkliche Todesangst.

4854 |        In jenen Jahren zeigte mir Jesus öfters so lebhaft, er habe mich für etwas ganz Besonderes bestimmt. Ich solle mich ihm ganz opfern. Ich müsste einen besonderen Weg gehen. Ich würde einen Priester finden, der würde das Werkzeug zur Ausführung jenes Werkes sein, für das ich mich opfern solle. – Mir war so klar, was Jesus wollte.

4855 |        Mein Seelenführer, dem ich davon schrieb, und dem ich erzählte von den beständigen Forderungen der Gnade, maß diesen Einsprechungen keine Bedeutung zu. Doch sehr klar sagte Jesus immer wieder, ich hätte noch eine besondere Aufgabe bezüglich der Erneuerung der Kirche, und er verlangte meine Hingabe. Da ich den klaren Worten des Heilandes glauben musste, erklärte ich mich bereit zu dem, was mir im Jahre 1936 als Aufgabe gestellt wurde bezüglich der Erneuerung der Priester.

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Teil IV

Umwandlung in Jesus

4858 |        Schon Ende 1922 hatte ich die beständige, innere Mahnung, ich müsse mich dem lieben Heiland in der Art opfern, wie er sich ständig seinem himmlischen Vater opfere. Wie Brot und Wein als Opfergaben in der hl. Messe in seinen hl. Leib und sein hl. Blut verwandelt werden, so müssen und würde ich in ihn umgewandelt werden und dadurch ein brauchbares Werkzeug für seine Absichten [sein]. Oft nach der hl. Kommunion zeigte mir Jesus diese Art der Umgestaltung in ihn …

4859 |        Durch den Begriff seiner Menschwerdung wurde mir diese innere geistige Umwandlung begreiflich gemacht; wie er als Gott eine menschliche Natur annahm, so wolle er in mir wiederum eine menschliche Natur annehmen. – Maria bot ihm die Möglichkeit einer leidensfähigen Menschheit. Was durch menschliche Seele und Leib gefehlt wurde, das sollte durch das Werkzeug der hl. Menschheit Christi wieder gutgemacht werden. – Jesus, Gott mit göttlichen Eigenschaften, ließ sich herab in diese arme menschliche Hülle um dadurch – das menschliche, mit der göttlichen verbundenen Natur – das gefallene Menschengeschlecht wieder zu Gott zu erheben und zu vergöttlichen. Der erste Zweck des menschlichen Lebens Jesu war Sühne; dann aber die Einsetzung und Umgestaltung der Menschheit in göttliches, übernatürliches Leben. Jesu Leben, Leiden und Sterben war der göttliche Preis und Einsatz, um den Menschen wieder dieses übernatürliche Teilhaben an seinem Leben mitzuteilen, damit der Mensch wieder werde, wie er im Paradies war. Der ewige Vater nahm diese Liebestat Jesu an und schenkte allen Menschen durch die Verdienste des Leidens und Sterbens Christi dieses göttliche Teilhaben (Teilnehmen) als Frucht der Erlösung (diese, durch die Verdienste Jesu erworbene Einbeziehung der Menschen in das höhere, göttliche Leben der Gnade wurde mir durch Wochen und Monate hindurch erklärt durch führende Gnaden).

4860 |        Wie er mir versprochen hatte, sandte mir Jesus einen Priester, den ich bitten sollte, dass er mich bei der hl. Messe opfere wie Brot und Wein geopfert werden. Durch dieses beständige Mitopfern und diese fortwährende Opfergesinnung, die nach und nach in mein tägliches Leben überging, sollte sich diese geheimnisvolle Umwandlung und Einbeziehung meiner armseligen Menschheit in sein göttliches Leben vollziehen. Jeden Tag eine Opferhostie, die bestimmt ist, mit Jesus auf dem Altare ER zu werden, das war die ständige Forderung Jesu an meine Seele. Was anfangs vielleicht nur Willenssache und Gewohnheit war, sollte in wirkliches Leben im Heiland übergehen. – Freilich kann er in das Wesen eines anderen erst dann vollends und dauernd eingehen, wenn vom Ersten nichts mehr vorhanden ist; so erklärte mir der Heiland oft. Darum heißt es: Den alten Menschen auszuziehen und ein neues Leben annehmen, sich selbst sterben, Jesu Leben annehmen … Nach ein paar Jahren sagte mir der liebe Heiland: „du bist jetzt eine zubereitete Hostie, um mein göttliches Leben in dich aufzunehmen.“ er ließ mir das fühlbar werden, und gab mir Einsicht in sein fortschreitendes Leben in mir. Bei der Opferung gab ich mich dem lieben Heiland hin, d. h., ich vereinigte mich jeden Tag mit der hl. Messe jenes Priesters, dass Jesus in mir das Wunder der Umwandlung in ihm vollziehe. Wie nach der hl. Wandlung Brot nicht mehr Brot, sondern Jesu Leib ist, so wolle er über das Opfer meiner selbst die Worte sprechen: Das ist mein Leib, mein Leben, das ich für meine Absichten gebrauchen will. Das wurde mir zum inneren, so sicheren Erlebnis, und dies war im Allgemeinen der Grundgedanke der göttlichen Führung in meiner Seele.

4861 |        Jesu sagte mir aber oft auch dies: „du sollst mir ein Opfer sein für die Erneuerung meines Priestertums. Ich will mir neue Priester schaffen, die mein Leben leben, die ganz in mich umgewandelt werden. Der Mittelpunkt der priesterlichen Tätigkeit soll und muss mein beständiges Hinopfern an meinen himmlischen Vater für die Sünden der Menschen sein. Jeder Priester soll teilhaben an dieser täglichen Hingabe an meinen Vater. Ich will jeden Priester in eine solche Opferhostie umgestalten. Mein Leben wird dann in ihnen leben und sie werden mir eine wahre Versöhnungsgabe sein. Jeder Priester ein Opfer mit mir, ein Opfer in seinem ganzen sein und Wesen und besonders bei der hl. Messe. Da, wo er unmittelbar Meine Stelle vertritt, soll er eins sein mit mir als Opfergabe. Da soll er eintreten in diese geheimnisvolle Umwandlung seines Wesens in mein Leben. Das Leben des Priesters soll sich auf dem Altare vollziehen. Die Zentrale des göttlichen Lebens an die neuen Priester ist der Altar. Ich werde ihre tägliche Mitopferung, jene geheimnisvolle Verbindung mit ihnen bewerkstelligen, die nach und nach ihr ganzes Priesterleben durchdringen wird und sie in mich umgestaltet. Ich werde in diesen eucharistischen Opfern ihre Seele mit mir selbst erfüllen, dass sie in ihren täglichen Pflichten mein Leben wiedergeben können. Von diesem Opfersein mit mir auf dem Altare wird neues Leben ausgehen auf die einzelnen Priester. Sie werden eine lebendige Quelle der Gnaden für die Seelen werden. Soviel Ich im einzelnen Priester lebe, soviel wird er den Seelen mein Leben vermitteln können. – Allen Priestern, die sich mit mir auf dem Altare opfern und diese Opfergesinnung in ihr priesterliches Leben hineinzutragen sich bemühen, werden mein Leben in sich verwirklicht sehen. Ich will damit allen Priestern einen ganz neuen Strom ganz neuen Lebens eröffnen, der ich selbst bin und sie werden neues, geistiges Leben in den Seelen wecken. Ich stelle mich allen Priestern sozusagen zur Verfügung, dass sie am Altare von mir nehmen, d. h., ich nehme sie durch ihre Mitopferung in mich auf und gebe mich ihnen zurück. Dieser Strom meines Lebens wird meine ganze Kirche überfluten.“ Alle angehenden Priester sollen in dieser Opfergesinnung erzogen werden. Sie sollen in der Ausbildungszeit innerlich für dieses Ziel geformt werden, dass Jesus zur Zeit ihrer Weihe sie für diese Gnaden bereit finde. In diesem Sinne werden die zum Priesterberuf Erwählten neues Licht bekommen, dass sie sich mit Eifer dieser Gnade fähig machen. – Durch eine bestimmte entsprechende Aufopferung sollen sie sich ganz dem Herzen Jesu für diese Annahme seines Lebens bereit und zur Verfügung stellen. Diese Art der Priesterbeziehung wird im Priesterwerke ernstlich gepflegt werden und wird einst eine Grundidee der allgemeinen Priestererziehung der hl. Kirche werden.

4862 |        Das hat Jesus in den Jahren 1929–1931 oft gesagt und versprochen.

4863 |                

4864 |        

Teil V1750

Über das Priesterwerk
4.10.1943

4865 |        I. Zum Verständnis muss ich wohl einen kurzen Überblick über meine innere Gnadenführung vorausschicken. – Schon von frühester Kindheit an kam mir der Heiland mit besonderen Gnaden entgegen, die mich zu einem Leben inniger Frömmigkeit anleiteten. Mit meinen Jugendjahren wuchsen auch diese außergewöhnlichen, göttlichen Antriebe in meiner Seele, die mich zu immer vollkommenerer Hingabe und Vereinigung mit Jesus führten. – Vom Jahre 1921 an würdigte mich der Herr, sich meiner Seele in einer außergewöhnlichen Weise zu offenbaren und mir seine besonderen Absichten mitzuteilen. Wie er es wollte, opferte ich mich (im Jahre 1922) mit Erlaubnis eines Jesuitenpaters anlässlich hl. Exerzitien ganz auf, in dem ich ihm das „Opfer meines Lebens“ brachte, um ihn gleichsam zum Vollbringer meines Lebens zu machen. Im Jahre 1924 legte ich zugleich mit dem Gelübde ewiger Jungfräulichkeit auch jenes ab, „ihm Schlacht­opfer zu sein“ für die besonderen Absichten, die er mit mir vorhabe, die mir aber zum Teil noch verborgen waren. „ihm Opfer zu sein“: Dies wurde die tägliche, immer drängendere Forderung des Herzens Jesu an meine arme Seele, die er in großen inneren und äußeren Leiden für seine Absichten erzog.

4866 |        Als letztes Ziel seiner besonderen Gnaden ließ er mich von den Jahren 1924/25 an immer klarer schauen: „Das Werk einer Erneuerung des Priestertums, das eine allgemeine Erneuerung der Kirche zur Folge haben soll“. In unzähligen Gnadenstunden ließ er mich schauen: Einerseits die heutigen Zeitübel des Unglaubens, des Materialismus usw., und dem gegenüber andererseits sein von Liebe erfülltes Herz, das seiner Kirche neue, den Nöten und Bedürfnissen der Zeit entsprechende Gnaden geben wolle, die in erster Linie den Priestern zukommen sollten, und durch die er ein neues, vertieftes Glaubensleben und damit jene „Erneuerung der Kirche“ herbeiführen wolle. Die Priester, als die Bevorzugten seines Herzens, sollten in besonderer Weise „teilhaben“ an ihm und durch ihn und sein Leben in den Priestern solle neues, tieferes Glaubensleben in den Seelen entfacht werden. Jesus selbst wolle in den Priestern das Heilmittel gegen die heutigen Zeitübel werden. In jenem Werke sollten die Priester alle in einem Geiste und Streben vereint und dem heutigen Geiste des Unglaubens entgegengestellt werden.

4867 |        II. – Zur Erreichung dieses seines Zieles zeigte der Herr von Anfang an zwei miteinander verbundene und ineinandergreifende Mittel:

A.) eine tiefere Kenntnis der innersten Geheimnisse des Erlöserherzens;

B.) daraus erwachsend eine Gesellschaft von Priestern, die in einem ver­tieften Glauben an die im Erlöserleben Christi eingeschlossenen Verdienste und Gnaden diese voll zu verwerten und sich anzueignen suchen und dadurch zu einer stufenweisen Befreiung von den moralischen Folgen der Erbsünde zu gelangen und damit „Christus anziehen“, wie der hl. Paulus sagt.

Als Beweis der Wahrheit der versprochenen Gnaden der Lebensverbundenheit mit Christus hat der Herr von Anfang an und immer wieder das Erleben des inneren Erlösungsgeheimnisses, gleichsam der Psychologie des Gottmenschen und Erlösers angegeben, zu dem er mich in lebenslanger Vorbereitung und Läuterung geführt hat. – Schon seit Jahren offenbart sich mir darum der Heiland im Geheimnis der hypostatischen Vereinigung in einem besonderen Erleben und Erfahren seines inneren Erlösungsgeheimnisses und der inneren Leiden seines Herzens. Dieses erlebte und erfahrene Geheimnis der Hypostatischen Union, das mir fortlaufend geoffenbart und erklärt wird, bildet nach dem Willen des Herrn, den Grundbeweis für seine Wünsche an die Priester. Aus diesem Miterleben seines gottmenschlichen Geheimnisses bildet sich in mir nach den Absichten des göttlichen Herzens ein Miterleben und Miterleiden seiner inneren Erlöserleiden aus. – Diese Offenbarungen sind aber in erster Linie für die Priester bestimmt, denen auf diese Weise der Herr tiefer sein Herz zeigen und offenbaren will. Die mir gegebenen Gnaden des Einsseins mit Christus und des Erlebens seines Herzens sind zugleich das Vorbild und der Beweis für die Gnaden, die der Heiland den Priestern anbietet, die bereit sind, daran zu glauben, dass diese Gnaden einer Vollerlösung wirklich in seinem Erlöserleben eingeschlossen sind, und die sie darum anstreben und für sich verwerten. Der Priester soll ja in einer intimen Weise teilhaben am Leben seines göttlichen Meisters und die diesbezüglichen Offenbarungen sollen ihn tiefer in das Herz des göttlichen Hohepriesters einführen, das sein ewiges und höchstes Vorbild und seine Gnadenquelle ist.

Es wäre unmöglich, in einem kurzen Umriss vom Heiland jenen versprochenen und angegebenen Beweis für die göttliche Herkunft des Priesterwerkes näher zu erklären; das ist im Einzelnen in den schriftlichen Aufzeichnungen dargelegt, die sich auch bei P. Merk befinden, der mir ebenso, wie alle früheren Seelenführer, immer wieder versicherte: Das könne kein Mensch erfinden und an der Richtigkeit und göttlichen Herkunft könne kein Zweifel sein. Ebendort ist auch bis ins Einzelne, die von Christus geforderte Glaubensvertiefung für das zu gründende Priesterwerk angegeben, die der Herr vermittelst dieses Werkes den Priestern allgemein übermitteln will.

Natürlich werden nicht die Offenbarungen als solche zur Grundlage ge­nommen, sondern der darin enthaltene theologisch–dogmatische Glaubensgehalt soll herausgeholt, kirchlich geprüft und dann zur Grundlage der vom Heiland gewollten Glaubenserneuerung und Glaubensvertiefung gemacht werden. Die Frucht wird sein eine tiefere Kenntnis der innersten Geheimnisse der göttlichen Liebe und des unermesslichen Reichtums der uns erworbenen Erlöserverdienste, sodass die Früchte der Erlösung voll und wirklich anerkannt und angestrebt werden.

C.) Im Priesterwerk sollen zunächst berufene Priester in das Innere des Erlöserherzens eingeführt werden und damit zugleich eine Bestätigung für die Art der Glaubensvertiefung zu haben, die Jesus von seinen Priestern wünscht und aufgrund deren er ihnen jene „neuen Gnaden“ verspricht.

Welcher Art sind diese Gnaden? Es sind Gnaden einer fortschreitenden und aufsteigenden Entsündigung, einer sittlichen Erhebung des „alten Menschen“ in einen neuen, erlösten Menschen, der kraft dieser sittlichen Erhebung einer inneren Umwandlung in Christus nahekommt, Gnaden also, die schon in den Erlöserverdiensten Christi eingeschlossen sind, aber bisher noch nicht allgemein verwertet und eröffnet wurden. – Die Mitglieder sollen damit das Leben Christi in sich aufnehmen und in allem Christi Stelle einnehmen wollen, sollen in einem vertieften Glauben an ihr Priestersein Jesu Erlöserleben und Erlösersorgen um die Seelen in sich fortsetzen, Christi Interessen und Anliegen ganz und ausschließlich zu den ihren machen, sodass wirklich wahr werde: Der Priester, ein zweiter Christus!

Diese neuen Gnaden der Vereinigung mit Christus und der neuen Fruchtbarkeit des priesterlichen Wirkens werden – nach dem Versprechen und Willen des Heilandes – den Priestern zufließen durch das beständige Mitopfern mit der Hl. Messe. Durch ihre tägliche Mitopferung will der Heiland jene geheimnisvolle Verbindung mit seinen Priestern herstellen, die nach und nach ihr ganzes Priesterleben durchdringen und sie in ihn umgestalten wird. Alle Priester, die sich mit Christus auf dem Altare opfern und diese Gesinnung in ihr Priesterleben und Tagewerk hineinzutragen bemühen, werden das Leben Jesu in sich verwirklicht sehen. „Ich will damit“, so verspricht der Heiland „allen Priestern einen Strom neuen Lebens eröffnen, der Ich selbst bin, und sie werden neues geistiges Leben in den Seelen wecken; Ich nehme sie durch ihre Mitopferung in mich auf und gebe MICH ihnen zurück. Dieser Strom Meines Lebens wird Meine ganze Kirche überfluten“. – Es handelt sich dabei nicht um Außergewöhnliches, sondern es braucht nur einen folgerichtigen Glauben. Im Priesterinstitut soll dieser Glaube vorbildlich geübt und vorgelebt werden.

4868 |        III. Äußerlich ist das von Gott gewollte Priesterwerk ein Zusammenschluss, eine Gesellschaft von Priestern, die jene durchgreifende Glaubensvertiefung im Einzelnen bei sich durchführen und den Seelen, bzw. dem Volke vorleben und vermitteln wollen. Diese Gesellschaft soll sich zur besonderen Aufgabe machen, alle Priester der Kirche in den gottgewollten Erneuerungsgeist einzuführen und in einer allgemeinen Priestererneuerung zusammenzuschließen und damit auch Priester und Volk in einem neuen Glaubensleben zu größerer Einheit zusammenzuschließen. Zugleich mit dem Priesterwerk ließ mich Jesus seit Jahren im Geist jenen Priester schauen, den er sich für die Absichten seiner Liebe vorbereite und den er selbst erziehe und bilde zur Ausführung bzw. zur Gründung dieses Werkes. Im Jahre 1936 führte mich der Herr mit ihm persönlich zusammen, nachdem ich ihn mehr als 10 Jahre lang im Herzen Jesu gekannt hatte. (P. Ferdinand Baumann, S.J.) er soll unter dem Protektorat eines Kirchenfürsten die Gründung und Leitung jener Gesellschaft von Priestern in dem von Jesus gewollten Geiste der Erneuerung übernehmen, weil er vom Herrn dafür vorbereitet ist.

4869 |       Grundlinien, die theologisch ausgearbeitet werden müssten:

1. Letzter besonderer Zweck der Gründung ist Priesterseelsorge im Geiste jener gottgewollten Glaubensvertiefung. Alle Priester sollen in diesem Geiste zu einer Einheit zusammengeschlossen werden.

2. Geistige Grundlage des Institutes: Jene, vom Heiland geoffenbarte Glaubensvertiefung, die sich die einzelnen Mitglieder zur Aufgabe und Pflicht machen, und wofür der Heiland jene „neuen Gnaden“ verspricht, die aber dogmatisch–theologisch schon im allgemeinen, überlieferten Glaubensgut begründet und enthalten sind. – Es handelt sich um eine „Vertiefung gegenüber der heutigen religiösen Verflachung“, um ein tieferes Heranholen und Verwerten der uns vom Erlöser erworbenen Verdienste und der Reichtümer, die in seiner hl. Menschwerdung und in seinem Erlöserleben enthalten sind. – Der Heiland gibt diese Gnaden als „neue Gnaden“, insofern sie bisher nicht so allgemein gewertet und ausgewertet wurden. Er gibt sie JETZT, weil die heutigen Zeitverhältnisse und Nöte es erfordern. Die Priester aber, als die Gott am nächsten Stehenden, sollen als Erste diesen versprochenen Anteil am Erlöser und seinen Gnaden in sich erfahren.

3. Zur Beleuchtung und Erklärung der schon im allgemeinen Glaubensgut eingeschlossenen Reichtümer führte mich der Heiland ein in jene theologische Vertiefung des Glaubens, wie in den Aufzeichnungen angeführt ist.

4. Als Beweis des gottgewollten Werkes lässt mich Jesus das innere Erlösungsgeheimnis erleben, das Geheimnis der Hypostatischen Union Christi und seiner inneren Erlöserleiden.

5. Das Werk selbst soll jetzt nur in seiner geistigen Grundlage und Grundform vorgelegt werden: eine Gesellschaft von Priestern zum Zwecke und mit der Aufgabe jener angegebenen Glaubensvertiefung, unter der Leitung von H.H. P. B. – Alles andere wird der göttliche Gründer durch seine Vorsehung fügen und sich ergeben lassen.

6. Das Werk „wird eine Entwicklung erleiden“, wie alle derartigen Institute. Es wird einen Anfang, eine Entwicklung und einen letzten Ausbau haben. – Es wäre nur zum Schaden des Werkes, wollte man jetzt sich auf eine bestimmte äußere Form festlegen; das würde nur Widerspruch und Verwirrung hervorrufen.

 

1947

4870 |        I. Das Priesterwerk ist eine Vereinigung von Priestern, die nach einem vertieften Glaubensgeiste leben, der im Dogma begründet ist. Die theoretischen Lehren der Theologie sollen in Tat und Leben umgesetzt werden, indem man auch im praktischen und konkreten Leben das verwertet, was Christus in seiner Lehre niedergelegt hat und was er auch gelebt, getan und verwirklicht sehen will. – Zu diesem Zweck sollen auch die Schäden der heutigen Zeit in Betracht gezogen werden und soll die Dogmatik auf die heutigen Zeitverhältnisse angewendet werden. So sollen in einem vertieften Glaubensleben theologische Lehre und praktische Ausübung ihrer Forderungen vereinigt werden. Die Mitglieder des P.W. sollen in diesem Geiste geschult und zu Aposteln des Priestertums herangebildet werden.

4871 |        II. Die praktische Arbeit des P.W. besteht in der Veranstaltung von Exerzitienkursen in diesem Geiste, in theologischen Nach– und Überschulungskursen von der Theologie als Wissenschaft auf die praktisch–aszetische Selbstanwendung. Das aszetische Leben des Priesters wird im Hinblick auf dessen Vorzugsstellung als Mittler zwischen Christus und dem gläubigen Volk ins rechte und notwendige Licht gerückt. Damit soll ein System geistiger Erneuerung und seelischer Vertiefung angeregt werden, was im Laufe des Studiums vielfach mangelt und was dem Priester oft erst in der Zeit seiner Seelsorgetätigkeit zum Bedürfnis wird. Die heutige Zeit der Gottlosigkeit und der Abwendung von Gott erfordert auf der anderen Seite eine große Fülle in Gott, die sich in erster Linie im Priester finden soll, sodass dieser sie kraft seines apostolischen Amtes ausströmen lassen kann.

4872 |        III. Das P.W. soll eine Organisation darstellen, in der alle apostolischen Tätigkeiten aus einer entsprechenden geistig–sittlichen Ordnung und Befähigung fließen können. Das große und hohe Ziel des P.W. verlangt eine entsprechende Grundlage und einen Unterbau, auf dem sich die vom Herrn gewollten und gebotenen Früchte entfalten können. Der Herr hat als Grundlage dafür jesuitische Schulungsform und als Hilfsmittel zum Aufbau die ignatianische Arbeitsmethode gewählt. Der Studiengang des P.W. muss Rücksicht nehmen auf die Betätigung seiner Mitglieder unter geistig hochstehenden Persönlichkeiten; die Arbeitsweise muss jenen apostolischen Anforderungen angepasst sein. Dazu muss vor allem auch das eigene persönliche Streben nach sittlicher Vervollkommnung als praktisches Selbstideal und als geistige Ausgangspforte im Innern des P.W. vorhanden sein. Deshalb hat der Herr auch von Anfang an seine Absichten auf eine bestimmte Priesterpersönlichkeit gelegt und beabsichtigt damit, dass seine göttlichen Pläne, die nur Liebespläne für seine Kirche und zum Nutzen der Menschheit sind, in einer einheitlichen, gelebten Form zur Ausführung kommen und in einer entsprechend vorbereiteten Persönlichkeit zu einer konzentrierten Zusammenfassung und Verwirklichung kommen. Es muss eine organische Hinordnung auf das Ziel geschaffen werden, damit die entsprechenden Voraussetzungen, die notwendige Zielhaftigkeit und die objektive Leistungsfähigkeit des Priesterwerkes gewährleistet werden.

 

Brief

 

Rom, den 11. Oktober 1948

 

Hochwürdiger Herr Professor!

4873 |        Der Herr hat mir wiederholt zu verstehen gegeben, er lasse durch meine Wenigkeit die geistigen Grundlagen und die äußeren Hauptpfeiler des Werkes angeben, die gewahrt werden müssen, damit das Werk seinen göttlichen Zielen und Absichten diene. Die Grundlinien dieser übernatürlichen Erkenntnisse waren von Anfang an, d. h. seit mehr als 20 Jahren diese: Ein Zusammenschluss von Priestern, die nach jesuitischer Arbeitsmethode „Apostel für das Priestertum“ werden, um möglichst alle Priester in EINEM Geiste zusammenzufassen, und zwar auf der Grundlage eines vertieften Glaubenslebens bzw. einer ver­tieften Theologie, aus der in praktischer Anwendung jene Gnaden herauszuholen sind, die Jesus unserer bedrängten Zeit vorbehalten hat, die aber im Grunde schon immer in der allgemeinen Offenbarung enthalten waren und sind. Dass der Herr einen Jesuiten dazu erwählt habe, diene eben dem Ziele des Werkes. – Wie sich das Werk konkret im Einzelnen entwickeln werde, das wird wohl weitgehend das erste Komitee jener Priester zu beraten haben, die sich die Absichten und Anliegen des Herrn zu ihrem eigenen Herzensanliegen machen, um sie in möglichst vollkommener Weise zum Heil der Priester und der Kirche zu verwirklichen.

4874 |        Der Widerstand der S.J. liegt heute, wie vor 10 Jahren, immer noch in der Unkenntnis oder in den Vorurteilen über die Sache selbst, die von P. Gen. Lodoch [- Ledóchowski -] von vornherein als Überspanntheit einer Frau usw. abgetan wurde. Und bis heute hat sich niemand von der S.J. die Mühe genommen, der Sache oder den betreffenden Personen auch nur ein Mindestmaß von Glaubwürdigkeit entgegenzubringen, um wenigstens einmal mit ihnen zu reden (dem P.B. wurde von vornherein untersagt, sich mit der Sache zu befassen). Man hat auch vonseiten der S.J. niemals mit maßgeblichen Persönlichkeiten gesprochen, welche die ganze Angelegenheit geprüft und als sehr gut und notwendig befunden haben. Das sind Tatsachen! – Und wäre nicht in meiner armen Seele eine ganz besondere Gnade, eine Art Befestigungsgnade wirksam, so wäre es mir – und wohl jeder schwachen Frauenseele – unmöglich gewesen, eine solche jahrelange Prüfung des Glaubens und ein solches, wohl kaum von jemand geahntes Maß von Leiden zu tragen. Ich stütze mich heute nur mehr auf die Größe des Kreuzes, das meine ganze Hoffnung ist.

4875 |        Im Übrigen ist mit dem Werk alles einfacher, als es aussehen mag. Man muss nur einsehen wollen, dass heute eine Vertiefung und Erneuerung tatsächlich notwendig ist, und dass sich alles sehr vernünftig und zweckmäßig in die Forderungen und Notwendigkeiten der Zeit einbauen lässt. Bei all den genauesten privaten Untersuchungen durch Sachverständige ist noch kein dogmatisch–theologischer Widerspruch oder Schwierigkeit gefunden worden. Wenn man nur die Schriften allein nimmt und mit vorgefasster Meinung liest, wird man freilich manches als unrichtig oder anders deuten und auslegen können, als es in Wirklichkeit gemeint ist.

4876 |        Gewiss könnte beispielsweise ein Bischof die Sache an sich ziehen und den P.B. von der S.J. zur Ausführung verlangen, sodass es dann zunächst ein bischöfliches Werk würde; es wäre aber dann bei ihm nicht bloß eine ungewöhnlich große Energie, Umsicht und Tatkraft, sondern auch eine ganz übernatürliche Einstellung und der ernste Wille zur Ausführung vorausgesetzt, der sich etwa so sagt: Wir stellen die Erziehung und Erneuerung unserer Priester auf „diese Grundlage“; und es müssten dann mit der Überzeugung von der Güte und Notwendigkeit der Sache die entsprechenden notwendigen Schritte bei der S.J. usw. gemacht werden.

4877 |        

Gr.

Dezember 1951

4878 |        Es kommen auch von Deutschland Berichte, dass dort Bischöfe gewillt sind, etwas für die Erneuerung und Vertiefung des Priestertums zu tun. Was aber der Heiland immer wieder betont, das ist eine gewisse Vereinheitlichung der Priestererneuerung. Wenn jede Diözese etwas anderes versucht, so fehlt eine bestimmte Beständigkeit und Dauerhaftigkeit, die wohl nur durch eine Zentrale gewährleistet werden kann. Der Herr hat sicher auch nicht ohne bestimmte Gründe und Absichten schon seit 30 Jahren wieder seine Absichten erklärt und das Versprechen gegeben, „neue“, der Not der heutigen Zeit entsprechende Gnaden zu schenken, wenn man auf seine Absichten eingeht. So wird es auch zu einer gewissen Vereinheitlichung kommen müssen. Das Priesterwerk soll von besonders geschulten Priestern geleitet werden und es soll darin jene priesterliche Vertiefung vorbereitet und geübt werden, aufgrund deren das priesterliche Apostolat fruchtbringender werden soll. Es handelt sich dabei nicht so sehr um eine theoretische Methode, sondern um ein persönliches Eingehen auf die Absichten Jesu. Der Zweck des Priesterwerkes ist nicht so sehr verstandesmäßiges Erfassen als vielmehr persönliche Vertiefung, und der Heiland hat es nicht ohne Grund mit großen Leiden unterbaut und auf eine Zentrale hingewiesen, in der es durchgeführt werden soll. Zum Zwecke der Vertiefung soll:

I. das Philosophie- und Theologiestudium mit entsprechenden Kursen unterbaut werden, um das theoretische Studium mit dem praktischen Leben und der persönlichen Anwendung der Lehre auf sie selbst zu verbinden, sodass der Stoff des Pflichtstudiums persönlicher erfasst und verwertet werde.

II. Es sollen Nachschulungskurse und auch praktische Seelsorgekurse gehalten werden. – Über allem aber steht das persönliche Verhältnis zu Gott, die „gelebte Theologie“, die den Priester zuerst selbst das tun lässt, was er andere lehrt.

4879 |        Der Heiland verspricht seine besonderen Gnaden der Durchführung seiner Forderungen in einer Zentrale, und er hat seine Absichten auf bestimmte Menschen gelegt. Freilich scheint dies menschlich schwer zu glauben, aber warum arbeitet der Heiland jahrzehntelang darauf hin? Er verspricht seine Gnaden aufgrund der von ihm gewünschten Glaubensvertiefung.

4880 |        Ich habe schon in früheren Briefen darauf hingewiesen. Schließlich werden die göttliche Allmacht und die Liebe Jesu zu seiner Kirche und den Priestern über alle Widerstände siegen und zur Herrschaft kommen. An Gottes Gnade fehlt es nicht. Andererseits müssen wir seine Gnaden auch anfordern. Und wenn es in der Welt manche Missstände gibt, so ist es nicht aus Mangel an Gottes Gnade und Liebe. Er will immer das Gute. So empfehle ich, Ew. Hochwürden, weiterhin dieses große Anliegen in ihrem priesterlichen Gebet und Opfer.

 

28.12.1950

4881 |        Ich habe die klare innere Anregung, folgende persönliche Erklärung abzugeben, d. h. meine „erlebte, übernatürliche Berufung zum Opfersein für das Priesterwerk“ darzulegen.

4882 |        Meine erlebte Berufung zu diesem Opfersein geht bis in meine Kindheit, bis auf die Zeit des ersten Gebrauches meiner Vernunft, zurück. Soweit meine Erinnerung reicht, d. h. schon in den allerersten Schuljahren, wurde mir durch eine bewusste innere Führung vom Heiland mein Lebensziel gegeben. Der Heiland gab sich mir dabei als „ER“ zu erkennen, und infolgedessen konzentrierte sich mein ganzes Wesen, mein Suchen und Finden auf IHN. Das mir gegebene Lebensziel war ein „geistiges Programm“, das sich schon von Anfang an mit der vollkommenen Hingabe an Gott verband, der mir ein bestimmtes geistiges Ziel versprach. Mit den Jahren wuchs dieses mir gezeigte geistige Ziel an Klarheit und Unbedingtheit, und mein gesamtes Menschsein schloss sich gleichsam mit diesem Ziel zu einer Einheit zusammen. So war ich von Jugend auf in einer bewussten Bindung und Verpflichtung gegenüber einer Aufgabe, „die mein ganzes Leben ausfüllen“ würde. War ich bis zum Alter von etwa 20 Jahren in einer erlebten und gefühlten Lebens– und Liebeseinheit mit dem Heiland, so begann von da an eine andere Form der Vereinigung; das Ziel wurde klarer umrissen, und ich wurde deutlicher angesprochen und dafür beansprucht. Es war eine klare ausgesprochene Forderung Jesu, dass ich ihm Opfer sein sollte für seine Absichten – weil er ein großes Werk für seine Kirche gegründet haben wolle.

4883 |        Ich habe all jene inneren Ansprachen bei Gelegenheit gelehrten Priestern (Weltpriestern, Jesuiten und Dominikanern) schon damals unterbreitet, um Klarheit zu bekommen in der mich quälenden Frage, ob ich diesen mit außergewöhnlichen Liebesbeweisen verbundenen Ansprachen trauen könne. Nachdem ich die von den Priestern verlangten Aufschlüsse über mein Innenleben gegeben hatte, wurde mir vonseiten dieser Priester versichert, dass diese Ansprachen und Forderungen als vom Heiland kommend und mit dem Geiste Gottes identisch zu halten seien, und ich wurde aufgefordert und ermutigt zu rückhaltloser Hingabe an ihn.

4884 |        Mit meiner Hingabe an Jesus wuchs auch die Klarheit über seine Absichten. Er ließ mich die Not der Kirche schauen, den drohenden Unglauben, die Angriffe der Hölle gegen die Kirche, die Seelennot der Menschheit, das Überhandnehmen des satanischen Geistes. Er zeigte mir auch, wie er demgegenüber die Liebe seines Herzens ausgießen wolle in einem zu gründenden Werke. DIESES Werk sei ein Zusammenschluss von Priestern, die in einem vertieften Geist leben und damit ein neues Apostolat ausüben sollen, um schließlich alle Priester in diesem vertieften Geiste zu vereinen. Jahrelang wurden mir über dieses Apostolat für die Priester immer größeres Licht und Klarheit gegeben, und unentwegt stand dieser Wille Jesu zum Heil seiner Kirche vor meinem Geiste ... – Ich habe alle jene geistigen Erlebnisse meinen Seelenführern dargelegt und erhielt immer die Anweisung zur Treue gegenüber den göttlichen Forderungen. Der Heiland versprach immer wieder für seine Priester „neue Gnaden“, die den jetzigen Zeiten der Kirche angepasst seien: Er wolle eine Vertiefung des Priestertums herbeiführen und dieses dem verderblichen Zeitgeist entgegenstellen. Ich erhielt im Einzelnen viel Klarheit über das „Priester–Werk“ selbst. Der Heiland nannte es „das größte Anliegen seines Herzens“, weil dadurch seine Kirche zu einer geistigen Erneuerung geführt werde. Diese Führung dauerte etwa drei Jahrzehnte und war mit inneren und äußeren Leiden verbunden, die mein Leben wirklich für jenen Zweck geopfert sein ließen.

4885 |        Es wurden mir auch nähere Umstände bezüglich der Gründung des Priester–Werkes gezeigt; ein Priester, dem Jesus die geistige Ausbildung des zu gründenden Priester–Apostolates, übergeben wolle und den er dazu berufen habe. Es kam dann die Stellungnahme gegen diese Forderungen und für mich das schmerzliche Geopfertsein und Gekreuzigtwerden für geistige Ideen, die von vornherein abgewiesen wurden. Es kamen auch jene geistigen Stützen für die Absichten Gottes, die meinem gekreuzigten Leben jenen Halt gaben, dessen ich in meiner bedrängten Lage bedurfte. – Eine entscheidende Hilfe war zunächst S.Ex. Bischof Tschann von Feldkirch, der von Erzbischof Waitz von Salzburg die Weisung bekam, den Fall eingehend zu prüfen. Bischof Tschann ermutigte mich: Kein Kreuz und kein Opfer dürfen zu schwer sein, um dem Herrn in dieser wichtigen und für seine Kirche so nützlichen Sache zu dienen, ja, gerade das Kreuz sei die Hoffnung – wie immer in diesen Dingen. Auf seinen Rat nahm ich eine Einladung (eines Dominikanerpaters) nach Rom an, womit mir die Möglichkeit einer Hilfe in Aussicht gestellt wurde. In Rom legte ich die ganze Sache dem bekannten Theologen P. Garrigou–Lagrange O.P. vor. Sein Urteil war eine Aufforderung und Ermutigung, den Forderungen Jesu und meinem geistigen Ziele treu zu bleiben, trotz des Widerspruchs der Gegner. Pater G.–Lagrange sagte mir auch: Verschiedene andere Seelen sprechen ihm vom gleichen Werk, das der Heiland gegründet haben wolle, und er anerkenne darin die Stimme des Hl. Geistes. Er hat den ganzen Fall eingehend und jahrelang geprüft, mit anderen Dominikanern Rücksprache genommen und meine Aufzeichnungen examiniert. – Eine weitere Bestätigung wurde mir gegeben durch die jahrelange Seelenführung des bekannten Professors: P. Merk S.J. vom Bibelinstitut, der mein Innenleben und meine geistigen Erlebnisse einer sorgfältigen Prüfung unterwarf und mir wiederholt feierlich als Priester die Versicherung gab, er habe nicht den geringsten Zweifel gegen das echte Wirken der Gnade Gottes in meiner Seele oder an der Übernatürlichkeit meines Innenlebens; an der göttlichen Herkunft des Priesterwerkes sei nicht zu zweifeln. Pater Garrigou–Lagrange hat dann persönlich Rücksprache genommen mit P. Merk und er könne darum jederzeit über eine Aussprache mit P. Merk gefragt werden. Nicht von mir aus, sondern auf Gottes Anregung hin musste ich zu S.Exc. Bischof Hudal gehen, der sich ebenfalls ein Gutachten von P. Merk S.J. geben ließ.

4886 |        Was der Heiland wünscht, ist dies:

1. Schon von Anfang an erkannte ich im Priester–Werk einen Zusammenschluss, eine Organisation von Priestern, die vermittels jenes vom Heiland bezeichneten Priesters, P.B., in einen vertieften Geist eingeführt werden, und die aus dem vertieften Glaubensgeist jene „neuen Gnaden“ schöpfen, die der Heiland als Heilmittel1751 für die heutige Zeit verspricht. Das Dogma soll zu einer persönlichen Anwendung und zu folgerichtiger Betätigung gelangen; dadurch sollen jene Gnaden zum Fließen gebracht werden, die das heutige oberflächliche Glaubensleben entbehrt. Die Mitglieder des Priesterapostolates sollen „persönlich“ von einem vertieften Glaubensgeist erfasst sein, und sollen diesen zum Ausgangspunkt nehmen für ein fruchtbareres Apostolat an der Gesamtheit der Priester.

2.  Der Herr will als geistige Grundlage des Priesterwerkes die ignatianische Organisation und Arbeitsweise, damit das Apostolat fruchtbar durchgeführt werde. Deshalb hat der Heiland einen Jesuiten erwählt, um dem Priesterwerk diese Grundlage zu geben; denn der Zweck und das Ziel des PW verlangt eine entsprechende Grundlage um die gottgewollte Fruchtbarkeit zu ermöglichen. Das PW ist ein geschlossenes Apostolat von Priestern, die eine bestimmte geistige Schulung haben und die auf ignatianischer Grundlage es sich zur Aufgabe machen, ein umfassendes, gottgewolltes Apostolat an den Priestern gemäß den Absichten des Herzens Jesu auszuüben.

 M. S.

 

1.1.1951

4887 |        Das Priesterwerk soll ein Apostolat an den Priestern sein, das der Herr als Heilmittel unserer Zeit der Glaubensverflachung und des Unglaubens entgegenstellen will. Von den Priestern, den bevorzugten Dienern Gottes, will er ein neues vertieftes Glaubensleben auf das Volk, bzw. in der ganzen Kirche ausströmen lassen. Der Priester als Vermittler Christi soll die Quelle zu neuem Glaubensleben werden.

4888 |        Unser ganzes Glaubensleben ist begründet im Dogma. Die Lebensgestaltung der Lehre in praktischer Anwendung und Übung derselben soll im Priester vorbildlich vorgelebt werden. Damit erschließt sich dann neu eine schon bestehende Gnadenquelle; denn es wird nichts in der Kirche gelehrt, was Christus nicht auch zugleich fruchtbar machen will in den Seelen. Das Priesterwerk ist ein Hineingreifen und Herausschöpfen der Schätze der Offenbarung, der großen unermesslichen Güter, die Christus uns in den Erlösungsgnaden darbietet. Im Priester sollen diese unermesslichen Güter zuerst angewendet und verwertet werden. Der Priester soll vorangehen in einer neuen, vertieften, geistigen Lebendigmachung des Gesamtorganismus der Kirche.

4889 |        Welches ist die äußere Betätigung des PW?

1.) Nebst der persönlichen Verinnerlichung der Mitglieder des PW in dem von Christus gewollten Geiste hat das PW die Aufgabe der praktischen Seelsorge an den Priestern, und zwar:

a) durch Veranstaltung von theologischen Nachschulungskursen;

b) durch Kurse, in denen den Priestern entsprechende Anleitungen geboten werden über die Verbindung von theologischer Lehre und praktischer Übung im persönlichen Seelenleben und der persönlichen Betätigung;

c) durch Priester–Exerzitien im genannten Geiste sowie durch Kurse und Zusammenkünfte mit Aussprachen über zeitgemäße Seelsorgefragen.

2.) Das PW dient vor allem dazu, den Priestern durch entsprechende Anregungen und Schulungen auf die Höhe der Zeit und seiner Aufgabe in der Zeit zu bringen, damit er das Apostolat unter dem Volke fruchtbringender und zeitgemäßer gestalten könne. Das PW soll zu einer Zentrale werden, wo die Priester geschult werden zum Zwecke einer fruchtbareren Seelsorgetätigkeit und größerer Selbstheiligung, damit sie sich dem heutigen, verderblichen Zeitgeist erfolgreich entgegenstellen können. Meist fehlten den Theologiestudierenden und den Neupriestern die Zeit und die Gelegenheit, um das durch Studium in den Verstand Aufgenommene wirklich und praktisch zu verarbeiten und anzuwenden. Das PW soll all diesen Schwierigkeiten und Mängeln Rechnung tragen durch entsprechende Nachschulungskurse, worin der erforderliche Ausgleich geboten werden soll. Christus will, dass man alle Mittel anwende und benütze, um seinem Reich zu dienen und seiner göttlichen Herrschaft zum Siege zu verhelfen. Und Christus will dieses Ziel durch entsprechend geschulte Priestern erreichen, die fähig sind, sich auch persönlich ganz einzusetzen für seine göttlichen Absichten und für seine Herrschaft auf Erden.

 

Februar 1951

4890 |        Die Hauptaufgabe des PW ist die Übertragung der Dogmatik in die praktische Übung. – Das praktische Christenleben soll wieder in den Mittelpunkt der Theologie rücken und damit soll der ganze Mensch wirksam auf das Ziel hingeordnet werden. Die Theologie soll zu einem praktischen System werden. Auch das philosophische Studium soll in die moralischen Forderungen der Theologie eingebaut werden und soll den ganzen Menschen erfassen. Der Pries­ter muss von seinem Pflichtstudium „erfasst“ werden und in diesem Geiste selbst gebildet und geformt werden, bevor er den Gläubigen den Katechismus lehrt.

4891 |        Da das Theologiestudium gewöhnlich nur als „Intellekt–Studium“ behandelt wird, sollen entsprechende Kurse diese moralische Umbildung nachzuholen suchen.

4892 |        Der Heiland verspricht entsprechende Gnaden, um dieses Bestreben fruchtbar zu machen. Der Priester soll zur unmittelbaren Anlehnung an die Berufsgnade des Priesterseins gebracht werden.

4893 |        Das PW ist ein kirchliches Werk, aber es braucht als notwendige Unterlage die jesuitische Arbeitsmethode. Der Herr selbst hat in jahrzehntelanger Bestätigung den P.B., als den geistigen Organisator bezeichnet und durch alle Leiden und Verdemütigungen mit dem Geiste erfüllt, den Christus im PW als Frucht erstehen lassen will.

 

20.02.1951

4894 |        Es bedarf einer Überleitung und Überschulung von der theologischen Lehre in das „practicum morale“, d. h., man muss die praktisch–sittlichen Folgerungen und Forderungen aus den dogmatischen Wahrheiten ziehen. Diese Forderungen müssen wiederum durch die Philosophie unterbaut werden, sodass das gesamte philosophisch–theologische Studium in einer für das sittliche Verhalten bedeutsamen Lebensform verwertet und zu einer persönlichen Anwendung gebracht wird.

4895 |        Dadurch muss der Priester zu einer bestimmten, sittlichen Reife, Festigkeit und Mannhaftigkeit, mit einem Worte zu einer wahrhaft priesterlichen Persönlichkeit heranwachsen. Er muss fähig und gewöhnt sein, das selbst zu üben, was er andere lehrt, und er muss damit zu einer gewissen sittlichen Vollkommenheit und Überlegenheit kommen. – Das religiöse Leben darf nicht auf den bloßen religiösen „Kult“ allein beschränkt bleiben, sondern muss auch innere Früchte der Vervollkommnung tragen und muss zu einer Vertiefung des christlichen Lebens im Volke führen. Es ist aber wichtig, dass man einheitlich vorgeht, und dass nicht jede Diöze­se sozusagen ihre eigene Methode einführt. Deshalb ist eine Zentrale notwendig, worin die geistlichen Leiter eingeschult und gebildet werden. Von diesen werden dann die Einzelnen wie in einem Noviziat geschult, damit die kommenden Priester in ihrem sittlichen Leben sich ganz im Geist und sozusagen im Mittelpunkt des Dogmas bewegen. Durch eine solche Erziehung werden dann in den einzelnen Priestern bisher ungeahnte, persönliche Kräfte geweckt. Und die Frucht dieser Erziehung wird sein eine „Entfaltung zu Christus hin“. Eine größere Verähnlichung und Vereinigung mit Christus. Von da aus wird dann auch die konkrete Seelsorge sich neu beleben und entfalten.

 

Brief

Im Namen Jesu!       19.02.1951

Hochwürdiger Herr Prälat!

4896 |        Wir müssen die übernatürliche Linie beibehalten und dürfen uns nicht durch menschliche Schwierigkeiten davon abhalten lassen. Sicher hätten alle von Pater G.–L. aufgeführten Wege zum Ziele führen können und hat sich der Hochw. H.P. viel Mühe gegeben, aber bis jetzt ist jenes Ereignis noch nicht eingetreten, das ich als letzten Weg geschaut habe und das zum Ziele führen wird – und warum ist in der Frage selbst kein Fortschritt zu verzeichnen, obwohl man den H.H.P.B ausgeschaltet hat? Ist nicht vielmehr dieser Umstand ein Warten des Herrn, bis sich diese scheinbaren Hindernisse wie auf natürliche Weise lösen? Ich kann nichts anderes sagen als das, was der Heiland mir 14 Jahre hindurch bestätigt und auf eine unaussprechliche Weise bewiesen hat. Schon 10 Jahre, bevor ich H.H. P. B. persönlich kannte, bzw. durch eine besondere Vorsehung Gottes mit ihm zusammengeführt wurde, war ich geistig mit diesem Priester bekannt und verbunden und wurde ich da­rauf hingewiesen, dass der Heiland diesen Priester für seine Absichten vorbereite.

4897 |        Ich erlaube mir, in aller Einfachheit den Weg anzugeben, auf dem – wie ich voraussehe – wir zum Ziele kommen und auch die Schwierigkeit (in Betreff des P.B.) behoben wird: Ein einflussreicher Kirchenfürst wird „dafür“ (d. h. für die Sache) eintreten, wird alles an sich ziehen und den P.E. von der S.J. verlangen. Ob nicht jetzt diese Zeit gekommen ist, nachdem Kardinal Micara Wohlwollen für das PW zeigt. Ob nicht E.H. dem Kardinal nahelegen könnten, diesen Weg zu gehen? Gewiss, es müsste der Kardinal sich bereit erklären, mit seiner Autorität alle bestehenden Hindernisse zu lösen. Ich habe immer eine solche Lösung vorausgeschaut.

4898 |        Eine solche „Möglichkeit“ hat mir auch der Hochw. H. P. General. Janssens SJ erklärt, als ich vor einigen Jahren an ihn schrieb. Er antwortete mir ungefähr in dem Sinne: Die Gesellschaft Jesu ist auch bereit neue Wege in Sachen einer Erneuerung der Priester zu gehen, wenn eine kirchliche Behörde dies empfiehlt. – Und ähnlich erklärte mir auch der verstorbene Pater Brust: Es müsste eine kirchliche Persönlichkeit bei uns bezüglich des P.B. einsetzen; denn die „kirchliche Persönlichkeit“ steht über uns.

4899 |        Bitte, Monsignore, denken Sie einmal an diese Möglichkeit, da nun doch an einen Kardinal angeknüpft ist. Und als Kardinalvikar hätte er auch die Vollmacht und entsprechende Autorität. In diesem Falle wäre auch der Hl. Vater einverstanden, denn gegen das PW selbst liegt ja nichts vor. Das PW liegt „zwischen“ der S.J. und der „kirchlichen Behörde“; es geht aber seine eigenen Wege.

4900 |        Ich kann niemals andere Wege angeben; es wäre gegen mein Gewissen. Schließlich sind die Schwierigkeiten, welche die S.J. aufgerichtet hat, rein menschlicher Natur, aber keine wirklichen Hindernisse vor Gott. Andererseits hat die S.J. vor Gott gar nicht so weitgehende Rechte, zumal es sich um ein allgemein nützliches Werk für die Kirche handelt. Wollte man aber in einer Richtung ohne P.B. vorgehen, so kann ich prophezeien, dass nichts wird, oder alles in sich zerfällt. Schließlich ist das einzig Ausschlaggebende die Gnade Gottes. Und Jesus will das PW auf seiner Gnade aufgebaut haben.

 

22.04.1951

Pi [sic!]

4901 |        Es soll ein gewisses System geschaffen werden, um die theologi­sche Lehre mit der gelebten Praxis zu verbinden.

4902 |        Unsere heutige Zeit krankt an einem Mangel des „konkret“ Verwirklichten. Die Trennung von Theorie und Wirklichkeit hat auch im Religiösen eine große Lücke und Leere geschaffen. – Um aber die theologische Lehre wirksam mit dem Leben zu verbinden, muss wohl eine entsprechende Schulung, ein „Übergangssystem“ bereitgestellt werden, wodurch die Überleitung der Theologie zur religiösen Übung und Tat gelehrt und gefördert werden soll. Die unter Leitung des Hl. Geistes in der Kirche gelehrte Theologie verbürgt ja die Möglichkeit einer praktischen Verwertung der religiösen Wahrheiten.

4903 |        Ein solches Überleitungssystem muss zwei Grundlinien aufweisen: Es muss zunächst die tatsächliche Verwertung und Verwirklichung der theologischen Lehre vorgelebt zeigen und so die Möglichkeit erweisen. Dazu bedarf es aber einer entsprechenden Vorschulung von geeigneten und fähigen Priestern, die sich zuerst, ähnlich wie die Ordensleute, in einem Noviziat in der praktischen Verbindung von Theologie und Leben üben, um das dann auch andere zu lehren, was sie sich selbst zur Lebensaufgabe gemacht haben. Es bedarf also einer Gemeinschaft von Priestern, die eine entsprechende Vorschulung für sich persönlich annehmen und üben, an sich selbst erproben, um die dann als etwas Mögliches anderen mitzuteilen.

4904 |        Wen betrifft dieses Überleitungssystem? Es geht die Theologiestudenten und alle theologisch gebildeten Priester an. – Meist kommt der junge Mann mit verhältnismäßig wenig aszetisch–praktischen Voraussetzungen zum Priestertum. Das vorausgehende Studium verhilft ihm wohl zum Verständnis der Theologie und macht ihn fähig, den wissenschaftlichen Fragen seiner Umgebung zu folgen. Das Priestertum aber verlangt mehr. Es macht den jungen Mann zum Lehrer und Vertreter der Religion Christi, zum Beauftragten und Vertreter Christi selbst und damit zum Hüter und Wächter des Geistes und zum berufenen Nachahmer Christi. Durch seine Berufung ist er zur engsten Nachfolge Christi und zur Befolgung und Verwirklichung der Lehren Christi verpflichtet. An den Priestern vor allem ergeht der Ruf Gottes „Wer mir nachfolgen will ...“. So haben die Apostel das Lehrsystem Jesu für sich selbst zu einem Lebenssystem gemacht, und zwar ganz ohne Abstriche. Die Lehre Christi ist ja dazugegeben worden, dass sie befolgt und im Leben verwirklicht werde; sie soll zu einer totalen Lebenshingabe an Gott und Christus werden. Das Leben des Priesters als des zur nächsten und unmittelbarsten Nachfolge Christi Berufenen, verlangt eine totale Hingabe an Christus und seine Lehre.

4905 |        Das von Christus selbst gegebene Lehrsystem wurde zu einem Schulsystem (und musste auch zu einem solchen werden), das sich die künftigen Priester in Vorbereitung auf ihre hohe Stellung aneignen müssen. Dieses Schulsystem bleibt aber sachlich immer das unmittelbare Lehrsystem, das von Christus gegeben und vom hl. Geiste der Kirche, als die Verwalterin der Lehre Christi, übertragen wurde. Und es verpflichtet zur Verwirklichung und zur Nachfolge Jesu: „Lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe!“ Die Lehre Christi, schulmäßig zusammengefasst und ausgebaut, bringt auch ohne eine lebendige und unbedingte Verpflichtung für die engsten Nachfolger Christi und die Ausspender seiner Geheimnisse mit sich. [sic!] Die Lehre Christi darf nicht ausschließlich Schulsystem oder Lehrgegenstand bleiben. Was in der Kirche mit einer, durch das Wirken des Hl. Geistes und durch die Unfehlbarkeit der Kirche verbürgten Sicherheit gelehrt wird, das ist zugleich eine wahre Gnadenquelle, die Christus bereithält, vornehmlich und zuerst für die Menschen seiner engsten Nachfolge, die durch ihr „Berufsstudium“ tiefere Kenntnis davon erhalten. Diese Kenntnisnahme ist auch eine Pflicht der Verantwortung. Eine persönliche, individuelle Pflicht, nicht bloß eine allgemeine Pflicht dem Lehrsystem gegenüber. Ein bloßes Lehrsystem ohne entsprechende Auswirkungen auf das persönliche Leben des Lernenden wäre wie eine leere Schale, die des fruchtbaren oder befruchtenden Saftes entbehrt oder wie ein Licht ohne Wärme, ein Feuer ohne Hitze. Die Wärme ist aber das Belebende und Befruchtende. So muss die Wärmekraft der Lehre den einzelnen Priester ergreifen und sein Leben befruchten. Die Theologie bringt die Verpflichtung mit sich, in eine entsprechende praktische Übung umgesetzt zu werden im Hinblick auf das hohe christliche Ideal, das der Priester selbst zuerst in sich verwirklichen und nach außen Gestalt gewinnen lassen soll. Bloße Wissenschaft als Vorbereitung auf das hohe Ziel des Priestertums brächte mehr oder weniger die Gefahr einer Fruchtlosigkeit des Priestertums mit sich. Die größere oder geringere Lebendigkeit und Tiefe des Berufsgeistes zeigt sich darin, wie weit der Theologe von seinem Studium persönlich ergriffen wird oder nicht. Wenn diese persönliche und praktisch zu verwertende Aufnahme des theologischen Studiums fehlen würde, so wäre damit eine Lücke geblieben, die sich kaum mehr ganz ausgleichen ließe. Gewiss kann das persönliche Glaubensleben weiter bestehen und irgendwie fruchtbar werden, aber es fehlt doch die durch die Natur des theologischen Studiums geforderte Auswirkung, wenn das Studium keine tieferen, die Seele selbst bereichernden und vervollkommnenden Wurzeln schlägt. Der Priester soll doch zuerst selbst das wahrhaft sein, was er andere zu sein lehrt; und die theologischen Wahrheiten sollen ihn ergriffen und in ihm Wurzeln geschlagen haben, damit er überzeugend und erwärmend sie weitergeben kann. Der Studiengang als theologisches Schulsystem kann im Wesentlichen kaum geändert werden, denn auch das Wissen ist eine notwendige Forderung für den Priester und sein Wirken in der Welt. Zu einem guten Priester gehört als notwendige Voraussetzung auch ein gründliches Studium, das ihm die geistigen Waffen im Wirken und Umgang unter den Menschen sichert.

4906 |        Das PW will aber gleichsam ein „Zwischensystem“ schaffen, um die Theologen in die praktische Verwertung und persönliche Anwendung des gelehrten Schulsystemes einzuführen.

4907 |        Die Mitglieder des PW sollen befähigt werden, in allen an die Priester herankommenden Fragen und Schwierigkeiten aufklärend zu wirken. Auch der Priester hat seine Schwierigkeiten, und je mehr diese aus dem Zentrum der theologischen Lehre heraus gelöst werden, desto ungehinderter und gesegneter wird die äußere Seelsorge verlaufen. Die Mitglieder haben sozusagen einen „Lehrberuf“ ihren Mitbrüdern gegenüber und bedürfen darum einer hohen aszetischen Schulung. Vor allem muss ihnen die Umsetzung der theologischen Lehre in das praktische Leben geläufig sein, denn dies ist ein hervorstechendes Merkmal des PW. Es soll gleichsam in einem zentralen System zusammenfassen und zeigen, wie gewisse Grundelemente der Schultheologie aktiv verwertet und verwirklicht werden können. Der Glaube an Christus darf ja nicht bloß eine Lehre bleiben, sondern muss ein aktives, alles durchdringendes Element des christlich–priesterlichen Lebens sein.

4908 |        In diesem Sinne sollen:

1. in das theologische Studium entsprechende Kurse eingeschaltet werden, die das gesamte Gebiet der Theologie in ihrer praktischen, persönlichen Anwendung und Verwertung behandeln. Die Zeitdauer der Kurse hängt von den Verhältnissen ab. Sie dürfen das Studium nicht hemmen, sondern sollen es fördern, indem sie es persönlich anregend gestalten. Der einzelne Theologe soll gleichsam mit seiner Person in das Studium eingeschaltet und seiner persönlichen, aus dem Studium der Theologie erwachsenden Verpflichtungen sich bewusst werden.

2. Für die schon in der Seelsorge stehenden Priester sollen Nachschulungskurse gehalten werden, in denen sie ihre schon gemachten Erfahrungen vertiefen, ihr einstiges Schul-Studium aufholen und persönlich verwerten lernen. Der Priester soll immer das Verlangen haben, der Erste und Nächste bei Christus zu sein; das kann er aber nur, wenn er auch der Erste in der Befolgung seiner Lehre ist. Er soll darum einen heiligen Eifer haben, das Wissen mit dem Tun, d. h. mit dem Ausüben zu verbinden. Im PW sollen alle auftretenden Fragen und Schwierigkeiten ihren Ausgleich und ihre Lösung finden.

4909 |        Das PW ist tatsächlich zeitgemäß und zeitnotwendig. Wohl gibt es verschiedene priesterliche Vereinigungen und Organisationen, welche die äußere Tätigkeit befruchten und regeln wollen; wichtiger aber ist das, woraus sowohl die äußere Tätigkeit wie das persönliche Innenleben des Priesters kommt und seine Kraft zieht, ähnlich wie gutes Wasser ständig aus der Quelle strömt. Die rechte Schulung des Geistes auf den Grundlagen des Dogmas und der Theologie ist die Quelle, aus der alle äußeren und inneren Taten des Priesters fließen sollen. Durch das PW soll diese verborgene persönliche Quelle des priesterlichen Lebens und Wirkens aufgezeigt und erneuert werden und es soll deren Bedeutung für alle priesterlichen Fragen und Schwierigkeiten aufgezeigt werden. Daraus soll eine neue, priesterliche Wirkkraft kommen und soll in der heutigen glaubensschwachen Zeit und Welt gleichsam ein neues Licht zu wirken beginnen.

4910 |        Letztlich geht es im PW um das Eine: Christi Leben im Priester neu aufzuzeigen und neu zu entfachen. Dies muss aber der Priester vor allem wollen und er soll den Mut haben, als Erster und Nächster bei Christus zu stehen und sein Leben ganz nach der göttlichen Lehre Christi zu gestalten. Ein Mittel hierzu soll das PW sein, d. h. eine Organisation von Priestern, die dafür besonders geschult und gebildet werden, dass sie aus der Kraft des gelebten Glaubens und Dogmas den heutigen Zeitbedürfnissen wirksam entsprechen und genügen können. Es soll ein besonderes Priester–Seelsorge–Institut werden, das den Forderungen und Mängeln der heutigen Zeit Rechnung trägt. – Diesen vielfachen Forderungen gegenüber gilt die Losung: Das eigene Lager stärken! Das von Christus den Aposteln anvertraute Werk den heutigen Zeitnotwendigkeiten entgegenstellen! – Das PW darf darum auch nichts Starres sein, sondern muss sich allen Verhältnissen und auch den jeweiligen Lagen und Pflichten der Priester anpassen. Als ein geistiges System soll es für alle Verhältnisse und für alle Rangstufen gelten.

4911 |        Das PW soll ein aktives, zentrales, ich möchte sagen, „dynamisches Werk“ sein, das aufrütteln und vorantreiben will. Es soll ein geistiger Aufbruch sein, der sich gleichsam berufen weiß, um voranzugehen, die Zeitfragen in die Hand zu nehmen und zu klären. An die Stelle der vielfach herrschenden ungeklärten Passivität soll eine tatsächliche Aktion treten.

4912 |        Der Schwere des drohenden Verhängnisses bewusst, will das PW gleichsam bahnbrechend vorangehen und wirklich einstehen für die geistige Erneuerung des Reiches Christi.

4913 |        Die Überleitung des Dogmas in das praktische Leben soll in Form von aszetischen Kursen gestaltet werden und das ganze Dogma soll zur Selbstanwendung gebracht werden; d. h. durch das PW soll die Anleitung dazugegeben werden. Die einzelnen Abschnitte des Dogmas werden in diesem Sinne bearbeitet, in ihren verpflichtenden, persönlichen Konsequenzen dargestellt, verwertet und ausgenützt.

4914 |        So soll das PW als ein zentraler Mittelpunkt wirken, aktiv, anregend und die Probleme der Seelsorge, sowohl wie die zuständigen Fragen priesterlicher Selbstheiligung aufgreifend, um die Anforderungen der Zeit im Lichte und in der Kraft der überreichen Gnade des Erlösers zur Klärung und zum Ausgleich zu bringen.

24. IV. 1951

4915 |        Alle Einsichtigen geben zu, dass heute eine gewisse Kluft zwischen dem Studium der Theologie und der praktischen Anwendung derselben auf das persönliche Leben und Wirken herrscht. Man studiert intellektuell und im Hinblick auf die Examina, aber man übersieht, dass die Lehren des Dogmas und der Theologie auch für das praktische Leben und Verhalten verpflichtend und von Bedeutung sind. Die geoffenbarte Lehre Christi musste gewiss unter dem Einfluss des hl. Geistes zu einem Schulsystem werden, aber sie bleibt doch immer, und in erster Linie für den Priester, ein Lebenssystem, ein für das tatsächliche Leben verpflichtender Geist: Lehrt sie alles halten, was Ich euch geboten habe!

4916 |        Der Priester ist zur engsten Nachfolge Christi berufen, denn er ist Christi Vertreter und Ausspender seiner Geheimnisse. Er hat durch sein Studium eine tiefere Kenntnis der Lehre Christi; aber diese tiefere Kenntnis ist auch eine Verpflichtung und Verantwortung. Der Theologiestudent und der Priester sollen zuerst für sich all die unermesslichen Schätze ausschöpfen und verwerten, die in der Erlösung enthalten sind. Es gibt keine in der Kirche vorgetragene Lehre, die nicht zugleich für das geistig sittliche Leben fruchtbar und wertvoll werden soll. Die Priester sollen vor allem selbst immer tiefer in den Geist und die Gesinnung Christi eindringen, um als „zweiter Christus“ und Vertreter des ewigen Hohenpriesters sein Leben und Wirken fortsetzen zu können. Ein bloß theoretisches und/oder rein intellektuelles Studium wäre wie eine Schale ohne befruchtenden Saft, wie ein Licht ohne Wärme. Der Priester muss aber selbst zuerst für sich verwerten und verwirklichen und das sein, was er andere lehrt und von anderen verlangt. Die Wahrheiten der Theologie müssen tiefe Wurzeln in seinem Wesen geschlagen haben, damit er sie mit der nötigen Überzeugung und Wärme weitergeben und lehren kann.

4917 |        er muss selbst das Vorbild für die lebendige und konkrete Verwirklichung der Lehre im praktischen Leben sein.

4918 |        Zu diesem Zweck soll ein „Zwischensystem“ oder „Überleitungssystem“ geschaffen werden, um eine lebendigere Verbindung zwischen Lehre und Leben zwischen der Theorie und der Praxis herzustellen. Es soll gezeigt werden, wie die Grundelemente der Schultheologie im praktischen Leben zu verwerten und zu verwirklichen sind. Der Glaube darf ja nicht bloß unfruchtbare Lehre bleiben, sondern muss ein aktives, alles durchdringendes Element des christlich priesterlichen Lebens sein. Diese Umsetzung der theologischen Lehre in das praktische Leben soll ein hervorstechendes Merkmal des Priesterwerkes sein. Dieses ist eine Vereinigung oder Organisation von Priestern, die in besonderer Weise geschult und gebildet werden, um die Theologen und Priester in die vollständige und praktische Verwertung und persönliche Anwendung des gelehrten Schulsystems einzuführen. Aus der Kraft des gelebten Glaubens und Dogmas sollen sie wirksam den heutigen Schwierigkeiten entgegentreten und den heutigen Zeitbedürfnissen entsprechen und genügen. Zu diesem Zweck dient Folgendes:

1. In das philosophisch–theologische Studium sollen entsprechende Überleitungskurse eingeschaltet werden, die das gesamte Lehrgebiet in seiner praktischen, persönlichen Anwendung und Verwertung behandeln. Das Studium soll dadurch nicht gehemmt, sondern, im Gegenteil, gefördert werden, indem es persönlich anregend gestaltet wird. Der einzelne Theologe soll gleichsam mit seiner Person in das Studium eingeschaltet und sich seiner persönlichen aus dem Studium erwachsenden Verpflichtung und Verantwortung bewusst werden.

2. Für die schon in der Seelsorge stehenden Priester sollen Nachschulungskurse gehalten werden, in denen sie ihre schon gemachten Erfahrungen vertiefen, ihr eigenes Schulstudium aufholen, für alle aufgetretenen Fragen und Schwierigkeiten Ausgleich und Lösung finden sollen. Der Priester soll ja immer das Verlangen haben, der Erste und Nächste bei Christus zu sein, das kann aber nur sein, wenn er auch der Erste in der Befolgung seiner Lehre ist, d. h., wenn er einen heiligen Eifer hat, das Wissen mit dem Üben, die Lehre mit dem praktischen Leben zu verbinden.

4919 |        Wie sehr das Bedürfnis einer solchen Überleitung empfunden wird, geht daraus hervor, dass schon einige Bischöfe in Deutschland daran sind, entsprechende Versuche zu machen; und Papst Pius XII. schrieb dazu am 01.03.51: „Nicht nur in ihren Ländern, überall in der katholischen Welt macht sich die Forderung, dass der Priester auf der Höhe seiner Aufgabe stehe, heute besonders ausdrücklich geltend. Wir wollen dieser Forderung durch die Adhortatio 'Menti Nostrae' und das Weltrundschreiben 'Humani Generis' entgegenkommen. Wie wir hören, denkt der eine oder andere der deutschen Bischöfe daran, in Sachen der religiösen Erziehung des Klerus gleich von Beginn der philosophisch–theologischen Studien an, neue Wege zu gehen. Wir können sie nur ermutigen, den geplanten Versuch zu wagen.“

4920 |        Das Priesterwerk will die Priester auf die Höhe ihrer großen Aufgabe und der übergroßen Anforderungen der heutigen Zeit erheben, damit sie ihr Apostolat unter dem Volk fruchtbarer und entsprechender gestalten können. Was im Blick auf die wirkliche Lage als gut und notwendig sich erweist, das hat auch der Herr selbst immer wieder gefordert und alle, die sich damit beschäftigt haben, erklärten, es könne kein Zweifel an der Echtheit, Übernatürlichkeit und Sicherheit der Absichten Gottes bestehen.

 

18.06.1951

4921 |        Der Unterschied des Priesterwerkes von anderen „Priestervereinigungen“ besteht darin, dass es

1. ein Apostolat an den Priestern ist. Es setzt sich zusammen aus Priestern, die in einem vertieften, den heutigen religiösen Anforderungen entsprechenden Geiste leben, nämlich durch die Verwirklichung des Dogmas in ihrem Leben bzw. in der praktischen Anwendung der theologischen Lehre auf ihr eigenes Leben.

2. Die Mitglieder des PW machen es sich zur Lebensaufgabe Apostel der Priester zu sein. Das PW ist darum keine Bruderschaft und keine Vereinigung gleich manchen anderen, sondern eine Gesellschaft von Priestern, die sich zu einem tatsächlichen Apostolat zusammenschließen, um das Priestertum zu einer möglichst großen sittlichen Höhe empor zuführen (so ähnlich, wie sich z. B. verschiedene Kongregationen den Heidenmissionen widmen, so widmen sich die Mitglieder des PW dem Apostolat der Heiligung des Priesterstandes).

3. Dem inneren Geiste nach will das PW die theologische Lehre gleichsam als geistiges Lebensprinzip in die Tat umsetzen und will damit die Verflachung und den unchristlichen Zugeständnissen des heutigen Lebens (auch der Christen) entgegenwirken. – Dieses geistige Lebensprinzip bedeutet vor allem eine tiefere Verankerung in Gott als dem bewussten Zentrum und Ziel des Lebens. Damit soll die ganze Höhe des Priesterideals erfasst, und seine Verwirklichung angestrebt werden. Die Mitglieder werden in diesem Geiste geschult, damit sie geistige Führer, Apostel und Vorbilder des Priesterstandes seien!

4. Die Ausübung dieses Apostolates an den Priestern umfasst alle Formen der Seelsorge für die Priester; vor allem die Einführung der Priester und Priesteramtskandidaten in die praktische Verbindung und Vereinigung von Theologie und konkretem Priesterleben, durch praktische Einführungskurse in die Einheit von Lehre und Lebenswirklichkeit, durch Priesterexerzitien in diesem Sinne, durch theologische Nachschulungskurse, Vorträge und Besprechungen, in denen priesterlich aktuelle Fragen vorgelegt und geklärt werden, durch Seelsorge an irregegangenen Priestern, durch Versorgung von alten und pflegebedürftigen Priestern. Vornehmlich soll das PW wirken als eine Art „Terziat“, (ähnlich wie es sich bei den Jesuiten findet) oder Einführung und Vertiefung im geistlichen Leben. Die Zeitdauer solcher Terziate für priesterliche Schulung wird sich den Verhältnissen der einzelnen Diözesen anpassen müssen. Es sollen jedoch alle Priester durch eine solche konkrete, religiös–aszetische Schulung gehen. Das gesamte Priesterwirken hat ja zum Ziele, Seelen für Gott zu gewinnen und näher zu Gott zu führen. Meist kann aber der Priester diese Aufgabe nur auf dem Wege über „sich selbst“, d. h. auf dem Wege über die eigene persönliche Heiligung durchführen; in diesem Sinne wird er auch die „Türe“ zu den Schafen.

4922 |        Der Priester soll sich eine möglichst hohe Fülle des Lebens Jesu aneignen, um als „zweiter Christus“ zu wirken; die eigene Heiligung ist ja die beste Befähigung, um erfolgreich am Heil der Seelen zu arbeiten.

4923 |        Das PW soll also eine priesterliche Führerschaft bilden, um die Heiligung des Priesterstandes mit allen Mitteln zu verwirklichen, nämlich:

4924 |        1. durch entsprechende, persönliche Heiligung

4925 |        2. durch alle Mittel des Apostolates

4926 |        Das PW ist ein geistiges Bildungsinstitut, das die geistigen Zeitprobleme für den Priesterstand aufhellen soll und nicht bloß im Allgemeinen der Masse, sondern auch den Einzelnen in allen heutigen priesterlichen Anforderungen behilflich zu sein. Es ist ein Seelsorgedienst für den Priesterstand, ein Vorangehen und ein konkretes Drangehen, um dem Herrn würdige Priester zu bereiten. Noch gibt es kein solches Institut, dessen Notwendigkeit wohl kaum geleugnet werden kann.

4927 |                

4928 |        

 

 

 

 

Allgemeines

 

 

Die Skripten unterscheiden sich im Aufbau, in der Satzbildung und Absatzverschiebungen – auch innerhalb eines Gesamttextes (z. B. ist ein Absatz, der in einer Version zu einem anderen Textzusammenhang gehörte, in der anderen Version an anderer Stelle zu finden. Die Unterschiede sind dermaßen viel, dass ich darauf verzichtet habe, in Endnoten es aufzuführen, und kurzerhand beide digitalisierte).

 

 

 

 

Allgemeines V1

4929 |        I. Der Heiland will das Werk. Er will die Anerkennung seiner Absichten, damit er als Urheber des Werkes und als Erneuerer des Priestertums anerkannt werde. Das Werk soll nach seinen Absichten durchgeführt werden, weil Christus selbst bereit ist, die neuen Gnaden auszugießen, die eine allgemeine Erneuerung möglich machen. – Dieses Werk ist seine „Barmherzigkeit“ an die heutige gottlose und glaubensschwache Menschheit. Es enthält jene Glaubenserneuerung, die eine höhere Stufe der Zuteilung des unerschöpflichen Reichtums der für die Menschheit verdienten Erlösungsfrüchte bedeutet und die das gesamte religiöse Leben in der Kirche einem neuen Aufstiege zuführen wird. – - Das Werk selbst ist in sich nichts „Neues“, sondern die Erfüllung dessen, was im Glaubensgute enthalten ist: Was Gottes ewige, unendliche Liebe für die Menschheit plante, das soll in den Seelen voll verwirklicht werden. Damit aber dieses „Geglaubte“ an den Seelen in Erfüllung gehe, müssen diese selbst darauf eingehen und sich die Folgerungen und Folgen des Glaubensinhaltes mit eigener Bemühung zuzuwenden suchen.

4930 |        II. Der Herr will seine Absichten in den Priestern grundlegen, und zwar als „neue Gnaden“, die er, den Zeitverhältnissen und Zeitnöten entsprechend, als seine Barmherzigkeit an die Gesamtkirche weiterleiten will. Es sind „neue Gnaden“ – d. h. „neu“ nicht ihrem Ursprung oder ihrem Charakter als Gnaden nach, denn sie liegen schon seit der Menschwerdung Christi „bereit“, aber – insofern sie eine neue Erfüllung und Verwirklichung der ewigen und unendlichen Liebe Gottes zur armen, gefallenen Menschheit sind – die Gnaden sind eine neue Zuwendung der Erlösungsfrüchte Christi im Rahmen der im Laufe der Zeiten sich steigernden Zuteilung der Erlöserverdienste. Schon vor Jahren hat mir der Herr oft wiederholt: „Ich gebe meiner Kirche immer jene Gnaden, die der jeweiligen Notwendigkeit der Zeitverhältnisse entsprechen.“

4931 |        Der Herr will ein eigenes Institut, einen Zusammenschluss von Priestern gegründet haben, die zuerst auf jene tiefsten Absichten der unendlichen Liebe Gottes eingehen und sich diese „neuen Gnaden“ selbst aneignen wollen; sie sollen ferner diese Gnaden theologisch begründen, verteidigen und dem gesamten Priestertum zuzuwenden suchen. Die „Erneuerung“ muss auf ein geistig-religiöses Fundament gestellt werden, das übernational und dem Welt-, wie dem Ordensklerus in gleicher Weise möglich und durchführbar ist. Es ist eine allgemeine Glaubensvertiefung, und aufgrund der Annahme derselben gibt der Herr die neuen, den Bedürfnissen der Zeit entsprechenden Gnaden.

4932 |        Der Heiland will eine systematische Einführung in den Erneuerungsgeist, nicht einen willkürlichen, nur allgemein gehaltenen Plan. Er will für die Ausführung seiner Absichten den H. P. F. B. S.J.1752, „weil er ihn dafür vorbereite und in ihm das geeignete und notwendige Fundament bilde, um die geistige Furchtbarkeit des Werkes selbst zu gewährleisten“. So soll sich ein Zusammenschluss von Priestern bilden, die unter der geistigen Leitung von Pater Baumann jenen Erneuerungsgeist zu ihrer priesterlichen Lebensgrundlage machen und somit ein geistiges Zentrum bilden, von dem eine allgemeine Erneuerung ausgehen kann, und alle Priester erfasst werden können. Eine willkürliche Zusammenfassung der Priester würde – so ließ der Heiland mich wissen – seine grundlegenden Absichten zerstören. Nämlich den Zusammenschluss aller Priester in demselben Geiste.

4933 |        Jene neuen Gnaden werden, in Kraft der Vereinigung mit Christus, die Überwindung des heutigen, gottlosen und glaubensschwachen Zeitgeistes gewährleisten; in der Kraft Christi wird sie ein in sich erneuertes Priestertum, eine allgemeine Glaubenserneuerung in der Gesamtkirche herbeiführen. Das Werk soll nicht so sehr als Privatoffenbarung betrachtet werden, sondern von seiner theologischen Grundlage aus, denn es enthält in sich nichts Neues, sondern ist nur eine neue Betätigung und Auswirkung der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit des Erlöserherzens gegenüber seiner Kirche.

4934 |        III. Der Heiland will, dass diese Erneuerung in einem Orden ihren Anfang nehme, der sich bereit erkläre zur Annahme seiner Gnaden und der die Übernatürlichkeit des Werkes und der Absichten Gottes klarstelle. – „Das Werk wird jeder Prüfung standhalten, weil es dogmatisch begründet ist“. – Jesus will, dass man auf das Ziel und den Zweck seiner Absichten schaue, nämlich auf die große, unendliche Liebe, die darin enthalten ist, und auf das allgemeine Wohl (Heil) seiner Kirche. Es ist mir immer ein freies Angebot des Heilandes gezeigt worden, das es der menschlichen Freiheit überlässt, welcher Orden als Erster den liebevollen Absichten Jesu anzunehmen bereit ist; es komme auf die freiwillige Bereitschaft des betreffenden Ordens an, der dann bereit {sein} müsse, sich um die Beseitigung der bestehenden Schwierigkeiten zu bemühen. Aufgrund dieser Bereitschaft möge dann der Orden sich an den Heiligen Vater wenden mit der Bitte, dass er durch ein Wort seiner höchsten Autorität die Gründung des Werkes erlaube, d. h. dass P. FB. sich damit beschäftigen könne und in diesem Sinne das Werk vom hl. Offizium freigegeben werde.

4935 |        Um Gott allein alle Ehre zu geben und im Hinblick auf die Not und das Heil der Gesamtkirche, und um die Gründung des Werkes zu ermöglichen, mögen sich die Dominikaner aber nochmals mit der S.J. in Verbindung setzen und sie veranlassen, dass sie sich dem Hl. Vater gegenüber bereit erkläre, „zum Heil und im Interesse der Gesamtkirche“ den P.B. für das Werk zur Verfügung zu stellen. Der Heiland will also, dass beide Orden (jener der Dominikaner und der, der Jesuiten) sich bemühen, die Gründung zu ermöglichen, wobei einer – um der Ehre Gottes und des Willens Gottes wegen – die ersten Schritte macht und unternimmt, um die gottgewollte Erneuerung durchzuführen und die Wege für die Verwirklichung des Werkes zu ebnen. Der Herr will also zunächst eine gewisse Zusammenarbeit oder wenigstens ein Einvernehmen zwischen den beiden Orden und dann sollte jeder beider Orden, aber unabhängig voneinander, der kirchlichen Behörde bzw. dem HI. Vater, ein entsprechendes Gutachten vorlegen.

 

Antwort auf drei vorgelegte Fragen

I. Beziehungen zu den Schriften von Luise Marg. Claret da la Touche?

4936 |        Die erste Berührung mit den Schriften und dem Werk von M. Luise Marg. hatte ich gegen Ende 1936 und im Jahre 1937; Ich habe dann gelesen „das Büchlein von der unendlichen Liebe“ und „Herz Jesu und Priestertum“ (beide Büchlein deutsch herausgegeben von Pater Baumann; andere Schriften hierüber gibt es im Deutschen nicht.)

4937 |        Tatsache ist aber das Folgende, was sich beweisen lässt aus meinen Aufzeichnungen und aus dem, was ich mehrmals meinen damaligen Seelenführern sagte: Schon im Jahre 1923, am 8. Dez., verlangte der Herr von mir ein besonderes Gelübde „ihm Schlachtopfer sein zu wollen zur Ausführung seiner besonderen Absichten, die er bezüglich der Kirche und des Priestertums habe“. – Im Advent des Jahres 1924 verlangte der Heiland von mir eine spezielle Aufopferung: ihm Opfer sein zu wollen für die Erneuerung des Priestertums und der Kirche, welche Erneuerung er vorbereite. In dieser sich wiederholenden geistigen Forderung Jesu schaute ich immer wieder den „Plan des Herrn bezüglich einer allgemeinen Erneuerung der Kirche durch das Priestertum“ – (wie der Heiland sich immer ausdrückte) diesen Plan wolle er ausführen und ich solle ihm dazu als Werkzeug dienen. Ich fühlte ein großes Widerstreben wegen des „Außergewöhnlichen“, das der Heiland damit von mir verlangte und weil ich mit einem geistigen Licht erkannte, dass Weittragendes in diesem Schritt verborgen war. Es würde zu weit führen, denn ich hier erklären wollte, wie mich Jesus schließlich dahin brachte, mich seinen göttlichen, klar erkannten Absichten zu fügen. Mit Erlaubnis meines damaligen Beichtvaters (Spirituals) (des H. P. Michael Lenz O. P.) legte ich dann das von ihm verlangte Gelübde ab um der großen Sache der Kirche willen, wie ich in tiefer und klarer Einsicht die Absichten Jesu erkannte {, und} zugleich legte ich das Gelübde ewiger Jungfräulichkeit ab.

4938 |        Von dieser Zeit (also von 1924) an gab mir der Herr immer mehr und im Einzelnen Licht über seine Absichten, für die ich „ihm Opfer sein sollte“: „Ich bereite eine allgemeine Erneuerung des Priestertums vor. – Ich will 'neue Gnaden' über das Priestertum ausgießen, weil die gegenwärtige Not der Kirche es verlangt. – Alle Priester werden sich in einem Geiste zusammenschließen durch ein bestimmtes Werk, das Ich gegründet haben will; dieser Zusammenschluss aller Priester in einem Geist wird eine allgemeine Erneuerung der Kirche zur Folge haben. Es wird eine Zeit einer allgemeinen Glaubensvertiefung in der Kirche kommen und dies wird das Gegenmittel sein gegen den Unglauben und den geistigen Verfall und gegen die modernen Zeitströmungen in der Welt bzw. in der Kirche. Es wird ein großer Kampf gegen Gott, eine Zeit der Gottlosigkeit kommen; dieses Werk wird dem entgegenwirken und wird eine geistige Erneuerung herbeiführen ...“

4939 |        In jenen Jahren sagte mir der Heiland wiederholt: „Ich will meinen Priestern mein Herz schenken. – Ich will ihnen mein Herz öffnen und die Fülle meiner Erlösungsgnaden über sie ausgießen. – In Mir und mit Mir werden sie die heutigen Zeitübel überwinden in Kraft der neuen Gnaden, die Ich über sie ausströmen lassen will.“

4940 |        Der Höhepunkt dieser sich ständig wiederholenden Offenbarungen war in den Jahren 1928 – 1932; trotz meines Widerstrebens konnte ich mich ihnen nicht entziehen. Es wäre zu lang und geradezu unmöglich, die wiederholten Beteuerungen und Versprechen Jesu, betreff seiner liebevollen Absichten mit den Priestern der kommenden Zeit anzuführen. Es ist sicher, dass sich alles dies schon vor dem Jahre 1932 zutrug. Wiederholt betonte aber der Heiland, dass diese seine Absichten von anderer Seite vorbereitet seien.

4941 |        Als ich darum im Jahre 1936/37 mit den Schriften von M. Luise Marg. in Berührung kam, waren mir ihre ähnlichen Offenbarungen nichts Neues, sondern vielmehr eine Bestätigung, dass der Herr wirklich schon von anderer Seite her seine Absichten kundgegeben und vorbereitet hatte.

4942 |        In jenen Jahren 1936/37 sagte mir der Heiland mehrmals mit großer Klarheit „Ich will das Werk in dir fortsetzen, das ich in M. L. Marg. begonnen habe. – Ich will diese meine schon begonnene Aktion (die Priester zu erneuern) mit neuen Gnaden ausstatten. – Ich will dieses Werk ausbauen, es mit neuen Gnaden ausstatten und es allen Priestern anbieten und zugänglich machen.“

4943 |        Beim Lesen des Büchleins von der unendlichen Liebe bekam ich wunderbares Licht über die „Einheit der Absichten, die der Heiland schon begonnen habe und nun fortsetzen und in erhöhter Form verwirklichen wolle“. – In besonderer Weise erklärte mir der Heiland das hell-dunkle und vielsagende Wort, das er auch mir seit Jahren gesagt und versprochen hatte: „Ich will meinen Priestern mein Herz schenken.“ – er erklärte es mir mit den Hinweisen: Er wolle eine spezielle Offenbarung seines Herzens – seines Innenlebens geben, die er in mir für die Priester vorbereite; er biete die Fülle seiner Erlösungsgnaden und damit eine ganz hohe Vereinigung mit ihm an, zu der er die Priester führen wolle. Da mir vieles von dem, was mich der Heiland hatte wissen lassen über seine Absichten bezüglich des Priestertums, noch geheimnisvoll und unverständlich geblieben war, brachte es mir Jesus in Zusammenhang mit dem, was er durch die Sendung von M. Luise Marg. schon vorgesehen und angedeutet hatte. Jetzt handle es sich um den „Ausbau seines Werkes“ und um die Ausführung seiner Absichten.

 

II. Ein rein geistiges Werk?

4944 |        Diese Frage kann ich kurz beantworten. Darüber hat mir der Heiland mehrmals erklärt: Jene rein geistige Organisation des „Allgemeinen Priesterbundes der Freunde des Herzens Jesu“ sei nur ein Anfang und eine Vorbereitung auf noch größere Liebesbeweise, die er seinen Priestern zu geben vorhabe. Tief in seinen Absichten verborgen sei noch ein auch äußerlich tätiges Werk für die Priester.

4945 |        Außerdem habe ich (innerlich) immer ein geschlossenes Institut mit entsprechender Tätigkeit und einer für die Mitglieder verpflichtenden inneren Organisation gesehen, niemals aber ein Werk, das einem „dritten Orden“ ähnlich wäre noch eine bloß geistige Organisation.

4946 |        Die erste klare Offenbarung über das „Wie“ oder über die äußere Form des Werkes der Erneuerung des Priestertums wurde mir gegeben im Jahre 1936 – auch schon im Jahre 1932 (noch bevor ich etwas von M. L. M. wusste); die Erkenntnisse über das Werk selbst haben sich immer mehr geklärt und verdichtet. Damals begann Jesus zu mir zu sprechen – was er oft wiederholte – von einem „Zusammenschluss von Priestern, die auf seine Absichten eingehen wollen, so wie er sie wünsche und anbiete; diese Priester, in geschlossener Form zusammengefasst, werden es sich dann zur Aufgabe machen, alle Priester für den gleichen Geist zu gewinnen.“ – - Im Jahre 1937 zeigte mir der Heiland bestimmte Umrisse des von ihm gewollten und geplanten Werkes zugleich mit einer klareren Grundlage (vgl. darüber die getrennt geschriebenen „Mitteilungen vom August 1937“).

4947 |        In den letzten Jahren offenbarte der Herr die tiefere geistige Grundlage, nämlich: Die besagte Glaubensvertiefung, die Zuwendung der Fülle der Erlösungsgnaden, die Christus als „neue Gnaden“ für die Priester bereithält. Immer habe ich das zu gründende Priesterwerk als einen Zusammenschluss von Priestern gesehen, die unter Leitung eines vom Herrn vorbereiteten Priesters in dem vom Heiland angegebenen Geist der Erneuerung eingeführt werden; diese Priester machen jenen Geist zur inneren Grundlage ihres Priesterlebens und sie arbeiten in einer geschlossenen, einheitlichen Form an der Erneuerung der Priester und bemühen sich, alle Priester in die gottgewollte Erneuerung einzuführen. – Organisatorisch schaue ich das Werk ähnlich einem Ordensinstitut, worin jene gottgewollte Erneuerung als Pflichtgrundlage der Gemeinschaft gilt, und wo vom Leiter des Werkes nur jene zur Ausübung der „Priesterseelsorge“ verwendet werden, die selbst in diesem Geiste befestigt sind, um auf dieser Weise eine einheitliche Durchführung der Absichten Gottes zu sichern. – Dies wurde mir immer klar und bestimmt gezeigt.

4948 |        Was die praktische und konkrete Ausführung betrifft, schaute ich immer als den Herzenswunsch Jesu, dass das Werk an ein schon bestehendes Ordensinstitut angeschlossen werde, „weil es vielen Stürmen und Anfeindungen ausgesetzt sein wird und deshalb einen bestimmten Schutz brauchen wird“. – Das Werk in sich selbst hat eine gewisse Selbstständigkeit nötig – so schaute ich es -, um sich geschlossen und unabhängig seinen Aufgaben widmen zu können. Bei den verschiedenen, in sich möglichen und vom Heiland angegebenen Wegen, die er aber auch vom freien Willen oder vom Mittun von Menschen abhängig machte, suchte daher der Heiland in diesen letzten Jahren immer die Unterstützung und Mithilfe bestimmter Orden, die das zu gründende Werk unter ihr Protektorat hätte nehmen können, ohne ihm dabei jene Unabhängigkeit zu entziehen, die notwendig ist für die Erfüllung seiner Aufgabe gemäß den Absichten des Herrn. – Der Heiland gab mir diesbezüglich immer diesen Weg und diese Richtung an: „Die Anerkennung meines Willens bezüglich Meines Werkes wird den betreffenden Stellen den Weg weisen, zur Ausführung Meiner Absichten.“ Hat man einmal anerkannt, dass das Werk von Gott kommt und gottgewollt ist, dass es übergroße Gnaden sind, die er den Priestern und damit der Kirche anbietet, und will man folglich alles tun, um das große Liebesgeschenk Gottes verwerten zu können, dann wird – von diesem Punkte aus und nur von diesem Punkte aus – sich ein wirksamer und fruchtbarer Weg eröffnen zur äußeren Ausführung (Durchführung) des Werkes. Das Erste und Wichtigste ist also: das Werk als von Gott kommend und als gottgewollt anzuerkennen; dann werden sich die Wege wie von selbst ebnen zur Ausführung der Absichten Gottes.

4949 |        Wohl hat der Herr schon von 1937 an eine zweite grundsätzliche Möglichkeit der Ausführung gezeigt, nämlich ein selbstständiges Institut; es waren also von Anfang an zwei allgemeine Möglichkeiten der Ausführung angegeben, aber immer mit der vom Herrn kundgegebenen und gewünschten Bevorzugung des ersten Planes, nämlich des Anschlusses an einem schon bestehenden Ordensinstitut.

 

III. Ein Priester schon bestimmt?

4950 |        Schon seit dem Jahre 1924 ließ mich der Heiland im Geiste immer wieder einen Priester schauen, für den ich opfern und beten sollte. Dann wieder zeigte er mir jene Priesterseele, der meine Gebete und Opfer zugutekämen, und den er zu einer besonderen Vereinigung mit ihm berufen habe. Wiederholt ließ mich der Heiland jenen Priester schauen in seinem Herzen. Jesus sagte mir: „er ist eine Johannesseele, die immer in meinem Herzen lebt“; ein andermal sagte mir der Heiland, indem er mir ein bestimmtes geistiges Gesicht (von einem reifenden Ährenfeld) erklärte: „er ist mit Mir ein Weizenkorn, das in Mir viele Frucht bringen wird“. – Schon im Jahre 1929 wusste ich innerlich, dass es ein Ordenspriester sei. Und immer wieder versprach mir der Heiland, mich mit diesem Priester, den er für seine Absichten vorbereite, zusammenzuführen.

4951 |        Ich begriff zwar nicht ganz, was für eine besondere Bewandtnis es eigentlich mit diesem Priester habe, den ich so oft im Herzen Jesu schaute und mit dem ich im Geiste verbunden war; denn ich konnte in jenen Jahren die wiederholten diesbezüglichen Hinweise und Andeutungen Jesus noch nicht ganz verstehen und erfassen. Weit klarer wurden mir diese Andeutungen Jesu vom Jahre 1930 an. Da waren es dann schon sichere Begriffe betreffs jenes Priesters. Ich wusste, z. B., unter welchen Umständen ich ihn einmal treffen werde. (Dass ich ihm z. B. schreiben werde und er mir als erste Antwort ein Buch schicken wird usw.) – ferner wusste ich um seine ganz besondere Aufgabe, zu der ihn der Herr vorbereite; ferner wusste ich, welch große geistige Anforderungen an ihn gestellt seien und welche besondere Vorbereitung daher für ihn notwendig sei, damit er ausführen könne, was Gott mit ihm bezwecke. – Merkwürdigerweise schaute ich auch den Leidensweg jenes Priesters voraus: Wie er nämlich um dessentwegen, was Gott von ihm will, von seinen Vorgesetzten seines Amtes enthoben werde, wie sehr große Verdemütigungen und Leiden über ihn kommen werden; wie man ihm die Ausübung der Seelsorge verbieten wird; wie er verdemütigt und unter alle seine Mitbrüder gestellt werden wird; und das werde ihm widerfahren vonseiten seiner Oberen dort, wohin er gerufen werden wird usw. -

4952 |        Im September 1936 hatte ich die Anregung an H. P. Ferd. Baumann S.J. zu schreiben und er schickte mir als erste Antwort ein Buch (weil er in jenem Augenblick nicht gleich Zeit hatte zu einer ausführlichen Antwort). Dann lud er mich ein zur Teilnahme an Exerzitien, die er in jenen Tagen zu geben hatte. Obwohl dies aus mehreren Gründen ganz unmöglich schien, konnte ich doch die 650 km lange Reise (von Graz nach Feldkirch) machen, wie mir übrigens vom Heiland mit Sicherheit vorhergesagt worden war. (Es gäbe da noch viele Einzelheiten anzugeben, was mir Jesus über die Reise und die Umstände jenes Hauses, wo die Exerzitien stattfinden sollten, vorausschauen ließ, schon wochenlang vorher, sodass ich darüber zu meinen Angehörigen sprach, „dass ich diese Reise in der kommenden Zeit machen werde“, worüber ich natürlich tüchtig ausgelacht wurde, wegen der Unmöglichkeit usw.)

4953 |        Beim ersten Vortrag des Paters, den ich anhörte, sagte mir der Heiland ganz klar und sicher (am 24.4.1937): „Auf diesem und auf solchen ruht das Geschick meiner Kirche.“ (In diesen Worten war klar der geistige Sinn enthalten: Auf solchen Priestern mit diesem Geiste, von denen dieser hier der Erste ist und dem viele andere folgen werden, ruht das Geschick meiner Kirche.) – am Abend des gleichen Tages sagte mir Jesus beim Hl. Segen: „Dies ist der 'Sohn meines Herzens', den ich für meine Absichten vorbereitet habe. Eröffne ihm alle Gnaden, die ich dir gegeben habe.“ Dies war aber für mich eine große Überwindung, weil ich die Absichten Jesu und seine diesbezüglichen Pläne für die Zukunft immer noch nicht ganz begriff. Unter anderen Gnadenerweisen, die auch den Pater betrafen, sagte mir der Heiland: „Diesen habe ich zur Ausführung meiner Absichten und zur Gründung meines Werkes vorbereitet; er wird meinen Priestern die Frohbotschaft meiner Liebe verkünden. – - – Aber es wird ein großes geistiges Martyrium über ihn kommen; er braucht Märtyrergeist, um alles überwinden zu können“. – - Außerdem gab der Heiland uns noch viele außergewöhnliche, beiden gemeinschaftliche Gnaden. – Ich sollte diesen Priester veranlassen, dass er sich ganz dem Herzen Jesu als Schlachtopfer hingebe. – „er wird die großen Beweise meiner Liebe zu den Priestern entgegennehmen“, sagte mir der Heiland bezüglich dieses Priesters.

4954 |        Es kam der große Kampf gegen die Absichten Jesu bzw. gegen das Priesterwerk. Der Heiland hatte mich vieles darüber schon vorher wissen lassen. So wusste ich z. B. schon ein Jahr vorher, unter welchen Umständen dieser Priester nach Rom gehen werde, wohin er gerufen würde usw. Heute sehe ich, wie alles genau in Erfüllung gegangen ist, was der Heiland bezüglich dieses Priesters schon mehr als 10 Jahre vorher mich hatte wissen lassen. Und ich könnte alles, was ich hier nieder geschrieben habe mit einem Eide bestätigen. Ich habe übrigens nur einen Teil meiner Beweise geschrieben, weil ich sonst zu viel schreiben müsste. – Außerdem gab mir der Heiland noch viele Beweise, die nicht mitteilbar sind für andere und die mir zeigten, dass jener Pater wirklich der Priester sei, den der Herr selbst zur Ausführung seiner Absichten vorbereite.

4955 |        Kurz gesagt, ich würde mich einer großen Untreue vor Gott schuldig machen, wenn ich wegen der bestehenden Schwierigkeiten an diesem Punkte zweifeln würde. Nachdem der Herr alles Übrige, Diesbezügliche wahr gemacht hat, will ich weiter beten und opfern, bis auch diese Mauern und Hindernisse fallen werden; denn Gott ist getreu und macht nichts halb. Wenn Pater Baumann nicht der von Herrn Bestimmte wäre, so würde ein großer, untrennbarer Teil und wesentlicher Teil meines Innenlebens zu Fall kommen und müsste dann auch an vielem anderen zu zweifeln beginnen. Dieser Punkt ist ein wesentlicher Teil meines Innenlebens, weil er sich schon seit 20 Jahren wie ein notwendiger Faden durch das Ganze hindurchzog. Darum scheint er mir ebenso sicher Gottes Wille zu sein wie das zu gründende Werk selbst.

4956 |        Der Heiland hat auch wiederholt die Gründe angegeben, warum er gerade einen bestimmten Priester wolle: Die Erneuerung der Priester – so erklärte er mir – ist an einen bestimmten inneren Geist gebunden, den er selbst in einem Priester grundlege, indem er diesen durch viele Leiden befähige, seine Absichten mit Erfolg und fruchtbar auszuführen. Die Erneuerung der Priester bzw. die Gründung des Werkes ist ja nicht eine Sache, die sich nur auf Grund eines – wenn auch noch so gründlichen – Studiums ausführen und übertragen ließe, sondern dieses Werk beruht auf einer eigen-persönlichen, religiösen Vertiefung und Selbstanwendung des betreffenden Geistes und Sinnes. Wer den gottgewollten Geist der Erneuerung weitergeben soll, der muss zuerst selbst im Besitz der versprochenen, neuen Gnaden sich vertiefen und befestigen; nur auf diese Weise kann das Werk selbst zu jener geistigen Fruchtbarkeit heranreifen, die der Herr damit erreichen will. Wenn sich der dem Werke eigentümliche Geist nur auf einem vertieften Studium aufbauen sollte, so wäre das ganze Werk wie ein auf Sand gebautes Haus. Deshalb gibt Gott selbst seinem Werke die gewollte Vertiefung und die fruchtbare Grundlage.

4957 |        Man könnte fragen – und ich selbst habe mich oft gefragt! – warum der Herr einen Jesuiten dafür berufen habe, nachdem doch manche Jesuiten behaupten, dass die Sache mit den Satzungen der S.J. nicht vereinbar sei. -

4958 |        Auf diese Frage hat mir der Heiland folgende Antwort und Erklärung gegeben: Das Werk braucht eine entsprechende Grundlage nicht nur auf geistig-religiöse Gebiete, sondern auch auf dem Gebiete der wissen­schaftlichen theologischen Studien. Es braucht eine lange Vorbereitung und theologische Ausbildung, um in erster Linie nicht unter dem gewöhnlichen Volk, sondern bei Priestern zu wirken, die selbst theologisch gebildet sind. Deshalb will der Herr die Art der jesuitischen Ausbildung zur Grundlage des Werkes nehmen, damit auch diesbezüglich eine solide Basis geschaffen sei. Zudem wird das Werk auch auf literarischem Gebiet und besonders durch geistliche Übungen (Exerzitien und Konferenzen) viel zu leisten haben. Zu all dem braucht es aber eine lange und solide Ausbildung, denn nur dann werden die Priester des Werkes auf andere Priester Einfluss gewinnen können. Es braucht einen gewissen geistlichen und geistig-wissenschaftlichen Vorsprung, um theologisch geschulte Priester für diese geistigen und religiösen Interessen zu gewinnen. Deshalb betonte der Heiland immer wieder, dass sich das Werk auf „jesuitische Grundlage stellen solle“, um diesen geistig-wissenschaftlichen Vorsprung zu sichern.

4959 |        Damit ist aber nicht gesagt, dass das zu gründende Institut „neue Jesuiten bilden wolle“ (wie man befürchtet), die dann eine Gefahr würden für die S.J. Es soll nur die Art der jesuitischen Ausbildung als Grundlage genommen werden, auf der sich der eigene Zweck und die geistige Fruchtbarkeit des Werkes aufbauen.

4960 |        Deshalb habe ich es von Anfang an als einen Herzenswunsch des Heilandes angesehen, dass das Werk selbst mit der S.J. verbunden bleibe; aber auch jetzt (nachdem die S.J. es endgültig abgelehnt zu haben scheint) wird der Herr seine Absichten und Pläne zum Siege führen, wenn wir alles seiner allmächtigen Hand überlassen und anvertrauen.

4961 |        Aus all diesen Gründen will der Heiland, „dass man hinweg sehe über die scheinbaren oder tatsächlichen Schwierigkeiten, um in erster Linie auf den allgemeinen Zweck des Werkes zu schauen, nur das Heil der Seelen und das Wohl der Kirche im Auge zu haben, und somit das Ganze auf ein ganz übernatürliches Geleise zu rücken“. – - -

 

Weitere Erklärungen

I. Warum geht der Heiland in der Ausführung seiner Absichten so „langsam“ (nach menschlichen Begriffen) vor?

4950 |        Antwort: Das Priesterwerk in sich selbst ist nicht wie eine andere gewöhnliche Privatoffenbarung, sondern es braucht schon vor seinem tat­sächlichen Zustandekommen eine theologische Fundamentierung und Begründung dessen, was dann als geistige Frucht aus dem Priesterwerk erwachsen soll. Die theologisch-praktische Glaubensvertiefung in ihrer Notwendigkeit für die heutige Zeitlage muss als primäre Tatsache klargestellt und hervorgehoben werden. – (Damit wird die Privatoffenbarung in eine nebensächliche, sekundäre Stellung gerückt, wenn auch die vom Heiland als Plan angegebene Grundform beibehalten werden muss, weil davon das Gelingen der Absichten Christi abhängt). – Damit das Werk sich als ein allgemeines für die ganze Kirche bewähren kann, muss zuerst der „Geist des Werkes“ sichergestellt und die Notwendigkeit der angegebenen Glaubensvertiefung anerkannt werden. Das Erste ist also die Darlegung des theologischen Fundamentes und der theologischen Begründung. Damit bekommt das Priesterwerk schon vor der äußeren Gründung ein festes Fundament und wird der „Geist“ des Werkes langsam vorbereitet, während im anderen Falle nach der Gründung erst die theologischen Widerstände überwunden werden müssten.

4951 |        Das Werk ist ja im Grunde nichts anderes als eine theologische Vertiefung mit dem Ziel einer allgemeinen Glaubensvertiefung, die tatsächlich im allgemeinen kirchlichen Glaubensgut begründet ist. Die vertiefte Theologie muss gleichzeitig in ihrer praktischen Anwendung gezeigt, Theorie und Praxis also verbunden, und damit jene Trennung beseitigt werde, die sich vielfach – zum Schaden des Glaubenslebens – zwischen theologischer Lehre und praktischer Betätigung gebildet hat. – Die vertiefte Theologie führt zunächst die einzelnen Priester ein in die Fülle und den Reichtum der Erlösungsgnaden, die uns Christus verdient hat und die er nun als „neue Gnaden“ – die durch die Not der Zeit und der Kirche gefordert werden – nämlich als Gnaden einer subjektiven Ausschöpfung seiner Erlösung jeden Priester anbieten. Durch diese Gnaden einer subjektiven Ausschöpfung der Erlösungsgnaden sollen und werden die in der Erlösung gelegenen Absichten der unendlichen Liebe Gottes voll zur Verwirklichung gebracht werden. Der tiefste Zweck und die wesentliche Absicht Gottes beim Erlösungswerk war im Grunde immer eins: „Vollerlösung“. Und es lag daher in Gottes Erlösungsplan immer schon eingeschlossen die Möglichkeit auch einer subjektiven Vollerlösung für den Einzelnen. Aber diese Gnaden konnten die einzelnen Seelen bisher nur als spezielle Gnaden aus den Schätzen der Erlösung herausholen. Nun jedoch will Christus die Fülle der uns verdienten Gnaden allgemein – und zwar vorerst den Priestern – eröffnen, und zwar auf dem Wege einer praktischen Betätigung eines vertieften Glaubens; er will und wünscht, dass alle Priester sich dieser „neuen Gnaden“ teilhaftig machen, weil diese der heutigen Not und den Bedürfnissen der Kirche entsprechen; auf diesem Wege will er seine Erlösungsgnade gleichsam „neu ausgießen“, und diese werden wirksam sein „wie eine neue Erlösung“. Bis zum Ende der Zeiten will Christus seiner Kirche alle Erlösungsgnaden mit ihren verschiedenen Formen in voller Fülle zugeteilt haben. Es soll nichts von dem unbenützt oder unfruchtbar bleiben, was Christus der Menschheit durch seine Menschwerdung an Gnaden und Früchten verdient und erworben und der Gemeinschaft der Kirche übergeben und in ihr hinterlegt hat. Christus teilt sich seiner Kirche „ganz“ mit, d. h. mit all dem göttlichen Reichtum und den Verdiensten seines Erlöserlebens. Ich wurde dabei hingewiesen auf die Worte Jesu: „Wer an mich glaubt, wird die Werke tun, die ich tue; ja er wird noch größere als diese tun“(Joh. 14.12)

4952 |        Durch die theologische Begründung des Werkes verliert dieses den Charakter einer Privatoffenbarung und tritt seine theologische Bedeutung hervor. Als gewöhnliche Privatoffenbarung würde das Werk nicht in dem Sinne und Ausmaß durchdringen können, wie es tatsächlich im Plane des Heilandes liegt.

 

II. Was den nächsten, praktischen Weg betrifft, so wünscht der Heiland eine Verbindung der theologischen Richtung der Dominikaner und der Ausbildungsmethoden der Jesuiten.

4953 |        Durch das Werk soll es zu dieser Einigung und zu einem gegenseitigen Zusammenarbeiten in einer Sache kommen, die nur der größeren Ehre Gottes dient; die Notwendigkeit einer solchen Zusammenarbeit ergibt sich ja auch aus der heutigen allgemeinen Zeitlage. Der Herr will eine friedliche Einigung, weil es einen rascheren Weg gehen wird, wenn auch die Jesuiten dazu beitragen. Der Ausgangspunkt soll der Gedanke sein: Wenn und weil Gott tatsächlich das Werk will, müssen wir einen praktischen Weg suchen, der die Ausführung möglich macht (bevor man zur kirchlichen Behörde geht).

4954 |        Im Einzelnen – so lässt der Heiland mich wissen – wird jetzt noch kein Licht gegeben, weil die Entscheidung darüber den zuständigen Persönlichkeiten überlassen wird {werde}. Das geistige Gerippe ist aber jetzt schon so weit klar, dass man darüber beraten und entscheiden kann. Der Heiland hat aber versprochen, dass er auch noch einzelne wichtige Punkte über die innere Ausgestaltung zur rechten Zeit angeben wird. Zuerst müsse aber das Werk selbst klargestellt und ausgearbeitet werden; dann erst komme die Frage der konkreten Ausführung zur Entscheidung.

 

29.08.1944

4955 |        Ich habe heute in „überraschender Einfachheit“ das Priesterwerk geschaut und bin seiner geistigen Ausgestaltung innegeworden (bei der „Madonna del Divino Amore“ in S. Ignazio).

4956 |        Es ist ganz einfach: Das Priesterwerk fängt an mit einem Zusammenschluss von einigen Theologen, vorläufig aus verschiedenen Orden. Diese holen im Verein mit Pater Baumann, die tiefsten Schätze aus der Theologie nach dominikanischer Richtung hervor. Zugleich werden praktische Anwendungen zur Betätigung der Glaubenswahrheiten und nach der theologischen Grundlehre ausgearbeitete. – Die Teilnehmer dieser Gruppe beraten zusammen und suchen Theorie und Praxis miteinander in Einklang zu bringen. Diese Einheit zwischen Theorie und Praxis führt tatsächlich zum tiefsten Herausholen und zur praktischen Anwendung der Glaubensschätze, die uns durch Gottes Wahrheit verbürgt sind. Auf diesem Wege des unbedingten und gelebten Glaubens an Gottes ewig-wesenhafte Wahrheit gelangt der Mensch zu einem unmittelbaren Verhältnis und zu einer gelebten Abhängigkeit Gott gegenüber.

4957 |        Der Mensch erkennt sich dann als ein gefallenes Wesen, das durch Gottes Barmherzigkeit hingeführt wird zu den Quellen des Heiles, zu den Erlöserverdiensten Christi. In diesen überreichen Verdiensten schaut er die Quelle der Gnaden, die ihn befähigen, sich die überreiche Barmherzigkeit Gottes zuzuwenden. Er findet darin den für ihn notwendigen Ersatz, vorausgesetzt, dass er selbst mittätig ist mit der Gnade des Erlösers, der nur deshalb „Erlöser“ geworden ist, um all seine Brüder durch den von ihm geleisteten Ersatz zurückzuführen zur Möglichkeit der Wiedergewinnung dessen, was dem Menschen durch die Sünde verloren ging. – Der tatsächliche und gelebte Glauben an Gottes Offenbarung und Erlösung gibt dem Menschen die Gewähr einer stufenweise aufsteigend sich immer mehr vervollkommnende Wiedereroberung der Kindschaft Gottes, die der Mensch im Paradies einst als höchste Gabe besessen hatte. In der Kraft der Erlöserverdienste sieht der wahrhaft gläubige Mensch nun das unumgängliche Mittel, um wieder in die Nähe des Vaters zu kommen, in eine „Nähe“, die dem Menschen nur „in Christus“, d. h. durch und nach dem Maße der Vereinigung mit Christus möglich wird. Denn nur durch und in Christus ist der Menschheit alles Heil geworden, das uns tatsächlich in die Nähe Gottes zurückführt und uns all jene göttlichen Kindschaftsgnaden wieder erwerben lässt, die eine wahre „göttliche Sohnschaft in Christus“ beinhaltet und in sich schließt. Christus ist ja das Vorbild dieser „göttlichen Sohnschaft“, das wir in allem nachahmen sollen. Der Glaube aber und die tätige Mitarbeit ist der einzige Weg, um uns jene göttlichen Güter in immer höherer Weise teilhaftig zu machen.

4958 |        Es müssen nun „geistige Brücken“ gebaut werden zwischen Theorie und Praxis, d. h. zwischen der diesbezüglichen theologischen Lehre, die ja im Allgemeinen angenommen war, und zwischen ihrem Gehalt und ihrer Anwendung für das praktische Leben, die zu wenig beachtet wird – weshalb dann die Glaubenslehren zu wenig Frucht bringen. (Gott ist heute ebenso reich und groß wie vor 2000 Jahren und doch bringt der Glaube an ihn nicht mehr die seinem göttlichen Liebesreichtum entsprechenden Früchte hervor – weil dieser Glaube eben zu wenig lebendig und konsequent ist. Diese von Gott beabsichtigten Früchte sind „er selbst“, d. h. seine Nähe, unsere höchstmögliche Annäherung an ihn und Vereinigung mit ihm. – Nur in dieser Vereinigung erfüllt sich auch der eigentliche und höchste Zweck unseres Lebens und Daseins. Gott wird für die Seele zum Mittelpunkt ihres Daseins; er wird ihr zum höchsten und einzigen Ideal für dieses Leben, das damit zu einer wahren Vorbereitung für die Ewigkeit wird; denn die wahre und höchste Aufgabe jedes einzelnen Menschenlebens besteht darin, sich hienieden durch höchstmögliche Vereinigung mit Gott den höchstmöglichen Besitz Gottes im jenseitigen Leben zu sichern und vorzubereiten für die ganze Ewigkeit.

4959 |        Unter diesem Gesichtspunkt erklärt sich unser Leben hienieden und es bekommt eine wunderbar hohe Stellung im Lichte unseres Daseinszweckes; Gott hat letztlich nur dazu geschaffen, dass wir „seiner teilhaftig werden“. Wir sind durch die hl. Taufe in einem wahren Sinne aufgenommen worden in den ewig-göttlichen Liebeskreis der heiligsten Dreifaltigkeit, und damit ist unsere höchste Lebensaufgabe und einziges, letztes Ziel unseres Strebens und unser Daseinszweck geworden: dass wir durch und in Christus und durch unsere eifrige Mitarbeit mit seiner Gnade uns in möglichst hohem Maße uns diesem göttlichen Lebens- und Liebeskreise nähern. Auch unser ganzes äußeres Leben wird in diesen geistigen Kreis und in jenen Daseinszweck hineingezogen, der unser Leben so groß und schön, so erhaben und frei macht. Alle äußeren, „zufälligen“ Ereignisse sind, recht verstanden, nur Mittel, um uns rascher und erdgelöster unserem hohen Ziel entgegenzuführen. Es gibt kein Missgeschick und kein „Unglück“ (im menschlichen Sinne des Wortes), das nicht diesem einen Daseinszwecke dienen könnte und sollte, nämlich uns Gott zu sichern und zu unserem ewigen Eigentum zu machen. Die Seele wird veranlasst, alles zu lassen und zu verlassen, und sich nur auf das eigentliche, letzte Ziel ihres Lebens hinzurichten und dafür sich zu bereiten.

4960 |        Unter diesem Gesichtspunkt soll vor allem der Priester sein Leben betrachten; es wird ihm dann wertvoll nur durch den Besitz Christi, dessen Stelle und Eigenheit in der Kirche der Priester einnimmt. Der Priester hat überhaupt kein anderes Ziel für sich selbst und keinen anderen Daseinszweck als den: sich selbst immer mehr mit Gott zu vereinigen und möglichst alle Seele zu diesem höchsten Ruzweck {sic!} jeder einzelnen Seele befähigen zu helfen und hinzuführen. – Das Priesterwerk enthält im Grunde und in seinem Wesen nichts „Neues“, sondern nur ein klares und konsequenteres Festhalten des Zieles: den Menschen das Ewige und Göttliche, das durch die Strömungen des modernen Zeitgeistes in so großem Ausmaße ihnen verloren gegangen zu sein scheint, wieder näher zu bringen. – Christus rückt aber dieses Ziel wieder höher hinauf und spornt zu einem höheren Streben danach an. Er stellt sich selbst wieder deutlicher in den Mittelpunkt des Priesterlebens und aus ihm als der klar erkannten Quelle fließt zunächst die eigene Heiligung des Priesters. Es ist keine Vereinigung mit Christus so hoch und keine Gnade zu erhaben, dass der Priester nicht das Vertrauen haben sollte, sie sich anzueignen und den Mut, sie anzustreben. Christus versagt dem Priester nichts, wenn dieser, sein ganzes Leben in ihm hineinstellt und auf ihn hinordnet. Der Priester soll in allem das höchste Ziel auf dem Wege zu Gott und im Leben in Gott anstreben. Er soll zuerst selbst das tun und das werden, was er andere lehrt. Nur auf diesem Wege macht er sich fähig für den Zweck seiner Berufung. Ohne tatsächliche, entschiedene Selbstheiligung, und zwar schon vor der Heiligung anderer Seelen, sind für gewöhnlich alle Bemühung des Priesters unnütz und eitler Schein. Nur in dem Maße bringt der Priester Frucht in anderen Seelen hervor, als er selbst schon eine göttliche Frucht in einer gewissen Einheit mit Gott geworden ist.

4961 |        Es sollen also gewisse Grund- und Verbindungslinien zwischen Theorie und Praxis festgelegt werden, die in einem unbedingten, konsequenten Glauben wurzeln und die dann das ganze Leben so beherrschen, dass es dabei keinen Unterschied gibt zwischen äußerem Tun und innerem Sollen, sondern nur eine Linie, die zu Gott hinstrebt. – In diesem Sinne hat das Priesterwerk in seinem Verhältnis Gott gegenüber nichts gemein mit einer „Privatoffenbarung“, sondern es lebt die Wahrheiten der göttlichen Offenbarung und schöpft die Gnaden des Erlösers in größtmöglicher Fülle aus. Diese Grundlinien und Grundsätze sollen zuerst im eigenen Leben des Priesters zur Anwendung kommen, nur jene, die sie theoretisch und praktisch vollkommen beherrschen und anzuwenden wissen werden fähig sein, diese vertieften Linien anderen priesterlichen Mitbrüdern mitzuteilen. Darum müssen gleich von Anfang an Theorie und Praxis zusammengehen, und zwar ohne Halbheit und Kompromiss, sondern in eigener, persönlicher, höherer Zielsetzung.

4962 |        Es ist also höchst einfach, wie ich den ersten Anfang oder die Vorbereitung des Priesterwerkes schaue: Ein Kreis von Theologen bereitet den Plan der Grundlinien, verbunden mit den praktischen Anwendungen und Übungen vor. Diese Theorie und Praxis wird begründet mit den Worten Christi, den Evangelien, den Briefen der Apostel, den Lehren der Kirchenväter, den Übungen der Urkirche, der alten Überlieferung. Man wird dabei die Kluft sehen, die sich zwischen Theorie und Praxis im Laufe der Zeiten gebildet hat. Man „lehrt“ auch heute Gottes Vollkommenheiten, preist ihn als allmächtig, weise, getreu, barmherzig und voll Liebe zu den Menschen, aber es bleibt allzu oft bei der nackten und kalten Lehre. Die praktische Anwendung und Übung der Konsequenzen dieser Lehre hält nicht Schritt mit der theoretischen Huldigung, die man Gott durch die Lehre darbringt. In der Praxis handeln die Menschen meist nur so, wie es ihrer Vernunft vorteilhafter scheint, aber nicht so, wie ein lebendiger Glaube an Gottes Eigenschaften fordern würde.

4963 |        Ebenso werden die Gnaden der Erlösung praktisch zu wenig geschätzt. Man „glaubt“ zwar daran und man lehrt sie. Aber man wendet sie nur so weit an, als es sich mit den Forderungen eines „zeitgemäßen Lebens“ vereinbaren lässt. Man meint, nicht anders leben zu können als es die heutige „Zeit“ verlangt; man meint unbedingt „modern“ und dem Zeitgeist entsprechend leben zu müssen. Auch bei Priestern ist vielfach in der Praxis der Grundsatz herrschend geworden: man könne nicht mehr wirken, wenn man nicht „Zeitgemäß“ erscheine und handle. So ist es die große Täuschung geworden, dass man meint, man könne die eigene Heiligung mit den Forderungen des Zeitgeistes zusammenbringen und vereinen. Und doch gibt es bei Gott diesbezüglich keine „Zeit“, und die Forderungen des Zeitgeistes bilden vor ihm keine Entschuldigung und Enthebung gegenüber dem, was seine göttlichen Forderungen und seine Gebote betrifft. Gott wird beim Gericht einmal seine göttlichen Forderungen an die erste Stelle rücken, während die Menschen heute nur allzu oft an erster Stelle „mit der Zeit gehen“ zu müssen meinen, und die Forderungen Gottes praktisch erst an zweiter Stelle setzen und von den Forderungen des Zeitgeistes abhängig machen. Und dieser Forderungen und Gepflogenheiten eines modernen Lebens wegen begnügt man sich mit einer mittelmäßigen Vollkommenheit, ohne dass der Grund der Seele davon berührt würde, d. h. ohne das es zu einer tatsächlichen Überwindung des gefallenen Zustandes käme. Denn dazu müsste man entschieden mit dem Zeitgeiste brechen. – Ferner ist die ernste Wirklichkeit der „Sünden“ heute ein „seichter“ Begriff geworden. Man achtet zu wenig den wahren Begriff der Sünde; dass sie nämlich ein „Widerspruch“ gegen Gott ist, und man entschuldigt die Sünde nur zu leicht damit, dass man eben heute nicht anders leben und handeln könne. Tatsächlich hat sich der Mensch von heute in nur zu vielen Beziehungen und Hinsichten „frei“ gemacht von den Wahrheiten über Gott und die Sünde; obwohl er daran glaubt, ist es doch praktisch zu einer klaffenden Trennung zwischen Glauben und Tat oder Leben nach dem Glauben gekommen.

4964 |        Wenn die theologische Lehre, und die ihr entsprechende praktische Anwendung aus der Überlieferung begründet ist, so ist damit auch die „erneuerte Grundlage“ eines christlichen Lebens klargestellt. – In diesem erneuerten Geiste wird sich dann ein Kreis von Priestern, die sich berufen fühlen und bereit erklären, in diesem Sinne ihr Leben gestalten zu wollen, zu jenem gemeinsamen Leben zusammenschließen. Sie werden das Zentrum sein, von dem aus alle Priester in den erneuerten Geist eingeführt werden, und dazu werden sie ihren priesterlichen Mitbrüdern durch Wort und Schrift und durch ihr eigenes Beispiel dienen. Durch Konferenzen und Exerzitien in diesem Geiste, sowie durch literarische Arbeiten und Werke werden sie alle Priester zu gewinnen suchen. Es werden entsprechende Kurse veranstaltet, um den einzelnen Priestern die Möglichkeit der Vertiefung zu bieten; ebenso werden Priesterheime errichtet werden, in denen längere Schulungskurse abgehalten werden. – Neben dieser theologisch-praktischen Vertiefung werden dann im gemeinsamen Leben der Mitglieder des Werkes auch noch weitere Mittel und Übungen eingeführt und gebraucht, die dem Ziele der theologisch­-praktischen Vertiefung dienen werden.

4965 |        Ich schaue aber, dass die Regularpriester in verhältnismäßig kurzer Zeit in diesen erneuerten Geist eingehen werden: „Das Priesterwerk wird einen Siegeszug in der gesamten Kirche antreten“ –

 

III. Ein theologisches Werk
I. Allgemeines

4966 |        Das Priesterwerk soll erstehen als rein theologisches „Werk“, das den Bedürfnissen der jetzigen Zeit entspricht. Je näher und begriffsklarer das Werk vor meinem geistigen Erkennen steht, desto einfacher, begründeter und sicherer erscheint es mir im Lichte und auf der Grundlage der allgemeinen göttlichen Offenbarung. Es handelt sich um ein tieferes Hineingreifen und Herausholen der fruchtbaren Schätze der Theologie, die keine „leeren“ Schätze sind; sondern begründet und verbürgt durch die göttliche Wahrhaftigkeit und Treue. Der Herr selbst will das „wahr machen“, was man gläubig von ihm erwartet und wofür seine göttliche Wahrhaftigkeit vollkommenste Bürgschaft ist.

4967 |        Der erste Anlass zur Gründung ist freilich eine spezielle Offenbarung des Willens Gottes, der dadurch beweisen will: ER ist es, der das Werk will, und ER ist es, der aufgrund eines tieferen Glaubens „neue Gnaden“ geben will. Diese neuen Gnaden werden die greifbaren Früchte eines unbedingten, tieferen Glaubens an ihn und seine Erlöserverdienste sein, welcher Glaube mit dem Werke von ihm selbst verlangt wird. Die objektiv unerschöpfliche Fülle der Erlöserverdienste, und der erneute und vertiefte Glaube daran, geben der tief gesunkenen Welt die Gewähr einer sittlich-religiösen Hebung und Heilung. Nur seine göttliche Barmherzigkeit ist der Urantrieb dafür, dass er diese Gnaden besonders verkünden lässt.

4968 |        Diese „neuen“ Gnaden sind Gnaden einer subjektiven „Vollerlösung“, die, an sich durch das allgemeine Glaubensgut verbürgt sind. Bisher wurden diese Gnaden aber tatsächlich nur wenigen als „besondere Gnaden“ gegeben. Jetzt aber werden diese Gnaden, der Not der Kirche und den Forderungen der Zeit entsprechend, grundsätzlich „allgemein“ jedem Priester gegeben, der an die göttlichen Offenbarungen und an den göttlichen Reichtum der Erlöserverdienste glaubt und diese Gnaden anstrebt.

4969 |        Christus bietet den Priestern diese Gnaden einer subjektiven Vollerlösung in Form einer aufsteigenden Entsündigung und Befreiung von den moralischen Folgen der Erbsünde bis zur höchsten moralisch-religiösen Erhebung aus dem gefallenen Zustand in der Kraft der vollen Zuwendung der Erlösungsgnaden. Diese „Subjektive Vollerlösung“ ist durch die objektive unerschöpfliche Fülle der Erlösungsgnaden begründet und verbürgt – selbstverständlich wird sich aber das konkrete Maß der Erreichung dieses an sich allgemeinen Zieles nach dem persönlichen Verhältnis der einzelnen Seele zu Christus bzw. nach dem Streben und Eifer des Einzelnen richten. – Ebenso selbstverständlich ist es, dass man diese Gnaden nicht bekommt „ohne eigene Bemühung“. Aber Christus bietet diese Gnaden jedem an, der danach strebt und sein Leben danach einrichtet, und er kommt dem tatkräftigen Streben, mit seiner Gnade entgegen, getreu seinem Versprechen. Er will, dass diese Gnaden allgemein von den Priestern angestrebt werden und er gibt diese aufsteigende subjektive Vollerlösung an sich „allgemein“, d. h. grundsätzlich allen Priestern. Dabei wird in der konkreten Ausschöpfung dieser Gnaden immer eine gewisse Spannweite oder ein Spielraum bleiben, dessen verschiedene Maße und Stufen abhängen von der Art und dem Grade der eigenen, persönlichen Bemühung des Einzelnen.

4970 |        Diese subjektive Vollerlösung ist an sich auch eingeschlossen – nach dem Masse {Maße}, wie der Herr sie verteilen will – alle Schätze oder Gnadengaben oder Charismen, welche Begleiterscheinungen des Strebens nach der subjektiven Vollerlösung sind und immer eine gewisse Vollkommenheit der subjektiven Vollerlösung zur Grundlage und Voraussetzung haben. – (Damit ist nicht gesagt, dass nun tatsächlich alle Priester besondere Gnadengaben empfangen werden, aber es wurde mir geistig zu wissen getan: Alle Gnaden der Gnadengaben sind an sich in der subjektiven Vollerlösung eingeschlossen für all jene Priester, die auf die gottgewollte Glaubensvertiefung eingehen und sich bemühen, in die Fülle der Erlösungsgnaden einzudringen.) Es gibt keine sichere, übernatürliche Gnadengabe, die nicht als erste und wichtigste Voraussetzung einen hohen Grad der Reinigung der Seele und damit eine hohe moralische Vollkommenheit und Vereinigung mit Gott als Voraussetzung und Grundlage hätte. – Jede persönliche Vollkommenheit und Heiligkeit und alle besonderen Gnadengaben setzen aber eine mehr oder minder hohe Stufe der Inanspruchnahme und Zuwendung der Erlöserverdienste voraus.

4971 |        Nach außen braucht man sich nicht auf eine „Privatoffenbarung“ zu stützen, weil das Werk in sich selbst eine nur zu große Notwendigkeit in unserer Zeit bedeutet. Gewiss behält sich der Herr bezüglich der Art der Ausführung seiner Absichten die letzte Entscheidung seines göttlich freien Willens vor.

4972 |        Der Heiland wünscht, dass das Werk vor allem unter dem theologischen Gesichtspunkt als eine theologische Frage erörtert und vorgelegt werde, soweit möglich absehend von der Privatoffenbarung. Er wünscht eine Mitarbeit der S.J., insofern sich diese, ebenfalls mit einer entsprechenden Bitte um Gutheißung des Werkes an den hl. Vater wenden soll. Zudem soll sich die S.J. bereit erklären, den H. Pater Baumann freiwillig zur Gründung zur Verfügung zu stellen. – Falls ein nochmaliger Versuch einer gegenseitigen Übereinstimmung mit der S.J. nicht gelingen sollte, dann bleibt als nächster Weg der über den hl. Vater offen. – Der Heiland wünscht aber, dass die S.J. selbst am Werk mitarbeite, und dass sie auf theologischem Gebiet die gottgewollten Grundlinien annehme, damit es umso rascher zu wirklichen Früchten in den Priestern selbst komme; denn, je umfangreicher der Wille Gottes in der Priesterschaft selbst durchdringt, desto rascher werden sich die geistigen Früchte zeigen; dabei kommen unter den Priestern in erster Linie die Orden in Betracht infolge ihrer Organisation in einem Gemeinschaftsleben.

4973 |        Bevor das Werk zur kirchlichen Behörde kommt, soll es schon so weit geklärt sein, dass es in seinem festgelegten, geistigen Bestande ein unumstößliches, an sich unangreifbares theologisches Werk ist. Wenn das Werk schon eine abgemachte, konkrete Grundlage hat, dann wird auch die kirchliche Behörde zustimmen.

4974 |        Ich fasse nun nochmals in den folgenden Punkten in Kürze alles so zusammen, wie es mir klar als der Wille Gottes (Christi) erscheint:

1. – Es ist ein theologisches Werk, in dem sich die Lehre der Theologie mit der Anwendung auf das praktische Leben verbindet.

2. – Durch diese Vereinigung von theologischer Lehre und lebendiger Praxis wird sich die heute unüberbrückbar scheinende Lücke schließen, die sich zwischen christlicher Lehre und tatsächlichem Leben der Christen gebildet hat, und die großenteils die heutige Glaubensverflachung verursacht hat.

3. – Der Herr ist bereit – seinem Versprechen gemäß und im Einklang mit der allgemeinen göttlichen Offenbarung – im Hinblick auf die Not der Zeit die Gnaden einer subjektiven Vollerlösung als „neue“ Gnaden nun allen Priestern zu gewähren, die eingehen auf jene von ihm gewollte Glaubensvertiefung. Diese subjektive Vollerlösung gründet und stützt sich auf die persönliche Anwendung des objektiv unerschöpflichen Reichtums der Erlösergnaden.

4. – Aus den angegebenen Gründen wünscht der Herr, dass man alles tue, um zum Ziele zu kommen mit dem Werke, und er wünscht, dass man keine Zeit verliere und unnütz vergehen lasse, denn dies würde einem geistigen Entzug der den Priestern zugedachten Gnaden gleichkommen. „Die gesunkene Welt wartet auf erneuerte Priester“ und die wahre Erneuerung kommt nur auf dem Wege über IHN, über Christus, der sich seinen Priestern in der Fülle seiner Erlöserverdienste neu mitteilen will, kraft einer neuen Vereinigung mit ihm, die in der vollen Annahme, Zuwendung und Ausnutzung der Erlösungsgnaden ihren Ursprung hat.

5. – Das konkrete Werk ist zunächst eine Vereinigung von Priestern mit entsprechender Schulung, die Theorie und Praxis zu verbinden suchen und diese Art des christlich-priesterlichen Lebens allen Priestern zu erklären und alle darin einzuführen sich bemühen. Das Priesterinstitut in sich ist gleichsam „farblos“, d. h., es hat nur Christus, den Hohenpriester, zum Vorbild und zur Grundlage der geistigen Gemeinschaft und Einheit, und es hat als gemeinsames Ziel der Mitglieder einen möglichst hohen Grad der Zuwendung der Erlösungsgnaden oder – mit anderen Worten – einen möglichst hohen Grad der subjektiven Vollerlösung.

6. – Die geistige Leitung und praktische Einführung in den erneuerten Geist, soweit die innere Organisation des Werkes und dessen Arbeit für die Priesterseelsorge, soll dem H. P. B. obliegen.

4975 |        

II. Einzelfragen

4976 |        a). – Zunächst zur genauen Festlegung des Begriffes der „subjektiven Vollerlösung“:

4977 |        Ich habe die Anregung auf Folgendes hinzuweisen, damit das Wort „subjektive Vollerlösung“ theologisch-dogmatisch unangreifbar sei. – Der Ausdruck „subjektive Vollerlösung“ will besagen: Die Gnaden und Früchte der Erlösung sind so reichlich, dass an sich alle Menschen und jeder einzelne Mensch bei voller persönlicher Zuwendung dieser Gnaden und entsprechender persönlicher Bemühung die moralische Vollkommenheit des Paradieseszustandes in einem allmählichen Aufstieg zurückerobern könnte. – Selbstverständlich bleibt dabei immer der „gefallene Zustand“ bestehen, weil der Mensch niemals mehr die ursprüngliche moralisch-psychologische Unversehrtheit erreichen kann. Es vollzieht sich eine mühevolle, stufenweise Erhebung, die jenem ersten gnadenvollen Zustand „nahekommt“; aber die volle Fülle jenes ersten gnadenvollen Zustandes mit all seinen Gnadenausstattungen, die Gott den ersten Menschen gab, ist für immer verloren.

4978 |        Der Ausdruck „subjektive Vollerlösung“ schließt ferner in sich eine mehrfache Rücksicht {ein}, nämlich das Ziel in sich selbst, aber auch das persönliche Streben des einzelnen Menschen nach diesem Ziel und das Entgegenkommen Christi und seiner Gnade für jeden, der nach diesem Ziele ehrlich und eifrig strebt. Christus will das Streben nach diesem Ziel und ER, der Gnadengeber, kommt {1753} dem Streben nach diesem hohen Ziele mit seiner Gnade entgegen. Der Weg, der zu diesem Ziel führt, ist kein anderer als das vom Heiland gewollte, vertiefte Glaubensleben, das in diesem Ziel gipfelt. – Damit das Wort nicht falsch aufgefasst werde, muss also immer der doppelte Gesichtspunkt im Auge behalten werden: Christus, der das Streben nach diesem Ziele will – und die Seele, die selbst auf dieses Ziel der subjektiven Vollerlösung hinsteuern soll.

4979 |        Es geht bei diesem Ausdruck wie bei vielen anderen: Die Seele schaut in einem gottgegebenen Begriff oder Ausdruck vieles zusammengefasst, was für andere mühsam mit vielen Worten umschrieben werden muss. Der Ausdruck hat darum für die schauende Seele einen tieferen umfassenderen Sinn als einen Außenstehenden, dem das Wort vielleicht befremdlich, jedenfalls nicht in seinem Inhalt verständlich klingt.

4980 |        b). – Warum ein eigenes Institut? Würde nicht auch eine langsame und allgemeine (in allen theologischen Schulen durchgeführte) Lehrvertiefung und Lehrverwertung zum gleichen Erfolg, oder wenigstens zu ähnlichen Früchten führen?

4981 |        Antwort: Gewiss könnte an sich eine solch langsame Vertiefung des Glaubens schließlich die gleichen Früchte hervorbringen; aber:

4982 |       I. – würde das einen langen Zeitraum beanspruchen, sodass sich erst in späteren Generationen des Priestertums die Früchte und Auswirkungen einer tatsächlichen Glaubensvertiefung zeigen würden, während die Masse der Priester der heutigen Zeit davon nicht berührt würden;

4983 |       II. – Zudem wäre eine solche langsame und allgemeine Glaubensvertiefung wieder weitgehend der persönlichen Willkür in der Auslegung und Anwendung der allgemeinen Offenbarung von der überreichen Erlösung anheimgegeben und darum wurde die vom Heiland gewünschte geistige Einheit des Strebens im ganzen Priestertum auf diesem Wege nicht erreicht werden. Tatsächlich besteht ja immer schon die Lehre der allgemeinen Offenbarung von der unerschöpflichen Fülle der Erlösungsgnaden – und doch wird praktisch die ganze Tiefe und Fruchtbarkeit dieser im allgemeinen Glaubensgut begründeten Lehre nicht im Sinne des Strebens nach der subjektiven Vollerlösung ausgenützt und zur Anwendung gebracht.

4984 |        Christus will aber eine allgemeine, nach seinen göttlichen Absichten durchgeführte Priestererneuerung für die heutige Zeit – und er will diese Erneuerung nach einer Methode durchgeführt sehen, bei der die Auslegung und Anwendung des göttlich verbürgten Glaubensgutes nicht wieder einer gewissen persönlichen Willkür überlassen bleibt, sondern nach einer Methode, die einer Zuwendung von neuen Gnaden an das gesamte Priestertum entspricht. – Christus will eine allgemeine, volle Zuwendung der Erlösungsgnaden durchführen nach bestimmten Grundlinien, die von einem Zentrum ausgehen, dort von einem Kreis von Priestern zuerst praktisch gelebt und geübt werden, und von dort mit theoretisch-praktischer Begründung auf die anderen Priester übertragen werden. Auf diese Weise will Christus einen soliden Unterbau für eine allgemeine Erneuerung des Priestertums schaffen; er will einen Kernpunkt bilden, der eine sichere Fruchtbarkeit und Einheitlichkeit seiner göttlichen Aktion verbürgt und von dem bestimmte Grundlinien und Segensströmen ausstrahlen.1754 Und Christus will diese Priestererneuerung jetzt durchgeführt haben (sehen), weil die Wellen des Unglaubens und einer gewissen allgemeinen Glaubensschwäche die ganze Welt erfasst haben, und weil infolgedessen große Zeitirrtürmer zum großen Teil die heutige Generation beherrschen. Dieser Glaubensschwäche und diesen Zeitirrtürmern will aber der Herr heute erneuerte Priester entgegenstellen, um den verderblichen Einfluss der Hölle und der bösen Geister einzudämmen durch Priester, die ganz vom Geiste Gottes, von Christus selbst, beherrscht sind. Der Heiland will das Priesterwerk als das Werk seiner Barmherzigkeit für die heutige Zeit einem göttlichen Herzen entströmen lassen. Er will alle Priester gewinnen für seine Liebesabsichten; darum soll das Werk in seiner inneren Ausgestaltung von einem Zentrum ausgehen, das die Gewähr bietet, dass alle Priester einheitlich erfasst werden können; deshalb soll das Werk Mitglieder heranbilden, welche die geistig-wissenschaftliche Befähigung und die moralische Höhe besitzen für diese weittragende Aktion im Geiste Christi.

4985 |        c). – Warum eine Erneuerung in der Form „neuer Gnaden“, nachdem doch die Fülle der Erlösungsgnaden seit Christi Tod am Kreuz besteht?

4986 |        Antwort: I. – Der Heiland als Kenner des Menschenherzens will sich der psychologischen Tatsache bedienen, dass „das Neue anzieht“, mehr Interesse weckt und darum mehr Früchte hervorbringt als das, was in althergebrachter Weise vorgetragen und „aufgetischt“ wird.

4987 |        II. – Und vor allem will der Heiland damit seine besondere Liebe zu den Priestern beweisen, die seinem göttlichen Herzen am nächsten stehen und die er mit dem göttlichen Liebesgeschenk seines Erlöserlebens erfüllen will und ausstatten will. Er will darum seine göttliche Aktion durchführen als allgemeines Liebesgeschenk an das gesamte Priestertum. Er selbst will gleichsam diese Gabe seines Herzens „organisieren“, um den Feinden der Seelen, den bösen Geistern, tatkräftig entgegenzutreten. Christus selbst will diese göttliche Kraft sein in der Form einer Erneuerung, die er hervorbringt durch neue Gnaden, deren Früchte und Wirkungen die einzelnen Priester befähigen werden, dem heutigen Zeitgeist gleichsam mit göttlicher Kraft zu begegnen, – - das „Neue“ am gesamten Priesterwerk liegt darum an sich nur in dem allgemeinen Aufruf an alle und an jeden einzelnen Priester, sich die überreichen Früchte der Erlösung Christi in möglichst hohem Maße zuzuwenden und dieses Streben zur geistigen Grundlage und zum selbstverständlichen Ziele ihres ganzen Lebens zu machen. Das „Neue“ liegt also im Grunde nur darin, dass diese allgemeine Aktion zugunsten jedes einzelnen Priesters in einer einheitlichen Linie und von einem Zentrum aus in theologisch-praktischer Einführung geschehen soll. Das Ziel, das bisher gleichsam nur als „Ausnahme“ oder als ein besonderes Privileg einzelner „Begnadigter“ erreichbar schien, nämlich die Überwindung der moralischen Folge der Erbsünde oder die Erhebung der Seele aus den Gebundenheiten der erbsündlichen Folgen zu einer dem Paradieseszustand ähnlichen Reinheit, dieses Ziel – und die damit ermöglichte hohe Vereinigung mit Gott – soll nun den Priestern allgemein zugänglich gemacht und als konsequent und mit Vertrauen {als} anzustrebendes Ziel vorgelegt werden.

4988 |        Darum lässt Christus mit neuem Nachdruck hinweisen auf den Zweck seiner Menschwerdung und seines ganzen Erlöserlebens und seines Kreuzestodes und er lässt das erschütternde Geheimnis seiner gottmenschlichen Liebe tiefer erwägen, die sich darin offenbart. Der Zweck und die Folge dieses Wunders der unendlichen Liebe bestehen darin, dass alle (auf den Namen Christi) Getauften dieses höchste Ziel einer subjektiven Vollerlösung oder einer vollen Zuwendung der Erlösungsfrüchte an ihre Seelen wie eine selbstverständliche Sache anstreben sollen. – Gerade der Priester aber soll vor allen anderen Seelen voraus sein in dieser Betätigung des Glaubenslebens und er soll infolgedessen eine höchstmögliche Entsündigung und damit eine höchstmögliche „Teilnahme“ an Gott mittels höchst inniger Vereinigung mit Christus anstreben – wozu die Voraussetzung ist, die Überwindung der moralischen Folgen der Erbsünde.

4989 |        Auf diese Weise tritt der Priester ein in die praktische Übung dessen, was er andere lehrt, und er setzt sich selbst ein konsequentes Ziel seiner religiösen Betätigung. Was früher als außergewöhnliches Privileg betrachtet wurde, das macht Christus nun, dem allgemeinen Zweck der Erlösung und der Not der Kirche in unserer Zeit entsprechend, in einem neuen liebenden Ausströmen der Fülle seiner Gnade der Masse der Priester zugänglich; so will er aus ihnen „wahre Erlöste“ machen, die in vorzüglicher Weise befähigt seien, in ihm und mit ihm „seine Werke“ in der Kirche zu vollbringen.

4990 |        Das Priesterwerk ist also in sich selbst kein Werk, das sich in seiner geistigen Ausgestaltung auf eine Privatoffenbarung oder auf eine „neue Andacht“ usw. stützen müsste, sondern es ist an sich nur ein theologisches Werk, das in der Praxis nur zum Ausdruck kommt im Anstreben der vollen Früchte der Erlösung für die eigene Seele jedes Einzelnen. Was der theoretische Gehalt der Theologie in sich schließt, das soll mit allen geeigneten praktischen Mitteln angestrebt werden. Das Priesterwerk sucht also in der Praxis die Lehren der theologischen Grundlage zu leben und zu üben. In diesem Sinne hat das Werk selbst mit einer Privatoffenbarung nichts gemein, sondern gründet sich nur auf die theologisch-praktische Glaubenslehre.

4991 |        d). – Welchen Beweis und welche Bestätigung gibt der Herr dafür, dass er diese Aufforderung an alle Priester richtet und dass er das Priesterwerk tatsächlich, und zwar in der angegebenen Form gegründet haben will?

4992 |        Antwort: Schon vom Anfang meines besonderen Innenlebens an, seitdem der der Herr begann seine Absichten einer allgemeinen Priestererneuerung zu offenbaren (um das Jahr 1920 also), hat er immer wieder „mein Innenleben“ als Beweis für seine Absichten angegeben. Besonders aber sollte dieser Beweis, und diese Bestätigung für seine Absichten darin bestehen, dass „er mich in besonderer Weise einführt in das Geheimnis der Erlösung“. Stufenweise ließ er mich daher den Zweck seiner Menschwerdung erleben, die im Sündenfall der Menschen ihren Grund hat. Und seit mehr als 20 Jahren ist der Hauptinhalt all meiner besonderen Gnaden und Offenbarungen das Geheimnis: Christus als Erlösern und das Geheimnis der Erlösung überhaupt.

4993 |        Als tiefste Bestätigung seines Willens gab mir der Heiland aber immer wieder an „das Erleben und die Erklärung des Geheimnisses der hypostatischen Vereinigung und der Psychologie Christi in meinem Innenleben“. – Wiederholt sagte Jesus: „Dies soll zum Beweis sein, dass Ich das Priesterwerk gegründet haben will, und dies soll zugleich die Bestätigung und Gewähr für die neuen Gnaden sein, die Ich 'jetzt' allgemein über die Priester ausgießen will“. – Zum Beweis seiner Absichten und zugleich zur Erklärung, welcher Art die versprochenen „neuen Gnaden“ sind, führte mich der Herr zugleich mit der Erklärung des Erlösergeheimnisses tief in die Gnadenquellen des Erlösers ein und wandte meiner Seele die unerschöpflichen Schätze der Erlösung in einem außergewöhnlich hohen Maße zu (dies sagte und versprach mir der Heiland schon am Anfang meines besonderen Innenlebens – was ich aber lange Zeit nicht verstehen konnte – „Ich will dir die Fülle meiner Erlösungsgnaden zuwenden, diese werden in deiner Seele in einem außergewöhnlichen Maße wirksam sein“ usw.). In vielen Offenbarungen hat er mich systematisch eingeführt in diese Geheimnisse. In diesem Sinne – und als Beweis und Beispiel für die Wirksamkeit der Erlösergnaden – bewegte sich mein ganzes Innenleben bis zu den höchsten Stufen der Vereinigung mit Gott immer auch als „aktive Betätigung des Glaubens „, die sich von Anfang an – unter dem besonderen Einfluss der Gnade – eine möglichst hohe Stufe der Befreiung von den Folgen der Erbsünde, also eine möglichst hohe Stufe der subjektiven Vollerlösung zum Ziel gesetzt hatte. Zu diesem Ziele wurde ich schon seit dem Erwachen meiner Vernunft durch den Antrieb einer besonderen Gnade hingeleitet. – Besonders in den letzten Jahren wurde ich dann eingeführt in das Erleben der Grundlagen der Psychologie Christi, was der Herr zugleich als Hauptbeweis für seine Absichten bezüglich des Priesterwerkes bezeichnete. Immer wieder wurde ich von Heiland veranlasst, „dies als Zeichen seiner Absichten betreffs des Priesterwerkes darzulegen“. – (Ich will hierüber nicht unnötig wiederholen, was sich des Öfteren in meinen Schriften findet.)

4994 |        Der Heiland will das Erlösungsgeheimnis in seiner tiefen Bedeutung „neu hervorheben“, und zwar nicht bloß die Bedeutung der Früchte der Erlösung als feststehende Tatsache des allgemeinen Glaubenslebens, sondern auch die Bedeutung der Tatsache der „vollen Einzelerlösung“ unter der Voraussetzung vertrauenden Bemühens und die volle Zuwendung der Erlösungsfrüchte und zugleich eigener Mitbetätigung mit denselben. – Damit wird sich das gesamte religiöse Leben und Streben vereinfachen, weil sich alles auf dieses eine Ziel hinordnet und diesem Ziele einordnet, nämlich eine möglichst hohe und vollkommene Hülle der Erlösungsgnaden sich zuzuwenden und anzueignen und damit möglichst (nahe) zu jener Harmonie und Vollkommenheit zurückzukehren, in der Gott die Menschen gedacht und ursprünglich geschaffen hat. – Zugleich wird das Geheimnis des menschgewordenen Wortes, das der Heiland die Priester tiefer erfassen und verstehen lassen will, auf einer vertieften Grundlage zur Anerkennung kommen; durch das tiefere Eindringen in dieses ergreifende Geheimnis sowie in das Geheimnis des Erlöserlebens und besonders der Erlöserleiden wird auch die Liebe zum Gottmenschen wachsen und lebendiger werden; die Priester werden dadurch auch die Gnaden der Erlösung und den Preis, den sie gekostet haben, mehr begreifen und schätzen, und sie werden mit größerem Eifer und lebendigen Glauben ihr Vorbild und Haupt, den ewigen Hohenpriester nachzuleben und als seine wahren Vertreter seine Aufgabe fortzusetzen suchen (fortzuführen suchen).

 

Bezüglich des praktischen Weges zur Verwirklichung des Priesterwerkes

4995 |        Schon von Anfang an schaute ich als bevorzugten – an erster Stelle vom Herrn gewünschten – Weg zur Gründung des Werkes den über die S.J. – Ich schaute dabei immer: „Ein Teil der S.J.“ sollte unter Leitung von P.B. in den Geist der Erneuerung eingeführt werden und die Mitglieder dieses Teiles der S.J. sollten sich dann in der praktischen Priesterseelsorge im neuen Geiste betätigen. Auf diese Weise sollte die Gründung eines neuen Institutes vermieden werden. Das habe ich immer als den an sich einfachsten Weg gesehen. Selbstverständlich hätte in diesem Falle auch die S.J. selbst die Erneuerung annehmen und innerhalb des Ordens einführen müssen, da es sonst zu einer gewissen Zersplitterung im Orden gekommen wäre.

4996 |        Als zweite Möglichkeit – falls der erstgewünschte Weg von den Menschen nicht angenommen würde – schaute ich ebenfalls von Anfang an ein „selbstständiges Institut“ unter dem Schutz einer schon bestehenden Ordensgenossenschaft. Der Herr ließ mich aber wissen: „Es bleibt der Entscheidung der zuständigen Persönlichkeiten überlassen“, welcher der möglichen Wege zur endgültigen Ausführung kommen wird. Wie jedes ähnliche Werk, wird übrigens auch das P.W. einen Anfang, eine gewisse Entwicklung und schließlich eine endgültige Gestalt haben. Ich „weiß“ das Ziel und die letzte innere Ausgestaltung des Werkes, aber es ist mir nicht im Einzelnen der Weg bekannt, der tatsächlich zu diesem Ziele führen wird. – „Der praktische Weg muss von jenen Persönlichkeiten in persönlichen Einvernehmen und Beraten gesucht und gefunden werden, aber unter Wahrung des Eigenzieles des Werkes, bzw. unter Sicherstellung der Aufgabe und des Zieles des ganzen Werkes.“

4997 |        Der Heiland will, dass man „seine Gnaden schätze“, die er den Priestern zu geben bereit ist, und aus dieser Anerkennung und Hochschätzung seiner Absichten heraus soll man den praktischen Weg selbst suchen. Er will – und dies schreibe ich in seinem Auftrag und Namen: „Man soll es sich zu einer persönlichen Angelegenheit und Bemühung machen, einen Weg zur Ausführung des Werkes zu suchen“. -

4998 |        Ganz abgesehen von den früheren Jahren des Opfers und Leidens für die Absichten des Herrn, sind für mich besonders die letzten sieben Jahre zu einer erdrückenden Last geworden, weil ich selbst dabei der Gegenstand und das Opfer eines ausgesprochenen Widerspruches geworden bin.

4999 |        Wenn es mir erlaubt ist, dies um der Wahrheit willen zu sagen: Alle Priester, die, wie es scheint, durch besondere Fügungen der Vorsehung, Einblick in die Sache nahmen, lobten das Werk und gaben seinen übernatürlichen Ursprung zu, aber im Übrigen ging es immer so, dass ich an die Worte der Parabel vom barmherzigen Samariter erinnert wurde: Er sah ihn und ging vorüber (Luk. 10.32).-

5000 |        

Aus einer Darlegung des geplanten P-W. – 6.8.1945
Brief P. Garig.

1. – Der Herr will im Priesterwerke die Zusammenfassung von Lehre und Praxis; dies ist die Grundlage des mir jahrelang gezeigten und von ihm gewollten Priesterwerkes, das nach seinen göttlichen Absichten eine allgemeine Priesterneuerung in sich schließt.

2. – er will, dass die Initiative und der Ursprung des Werkes ausgehen von einer Lehrrichtung, die von der Kirche anerkannt und gutgeheißen ist, um die allgemeine theologisch-thomistische Lehrrichtung in der Priestererneuerung sicherzustellen.

3. – Es soll dem betreffenden Stellen oder Persönlichkeiten nicht „gleichgültig“ sein, ob und wann es zu einem Anfang des Werkes komme, oder ob sich dieser Anfang verzögere, sondern man soll alles daran setzen, um diese neue Quelle von Gnaden fließend zu machen und um alle Priester zu dieser Gnadenquelle (Quelle) hinzuführen.

4. – Der Herr ist bereit, alle der theologischen Lehre entsprechenden Gnaden auszugießen, und zwar nach dem Masse {Maße} des Glaubens an die Lehre selbst; denn dies soll das Merkmal einer kommenden „neuen Zeit“ in der Kirche sein, dass der Herr seine göttliche Wirkkraft in den Priestern offenbart und erblühen lässt nach dem Grade des Glaubens. Dadurch will der Herr die Einflüsse des materialistischen Geistes überwinden, dem die Welt heute verfallen ist; mittels dieser gelebten Glaubensvertiefung will er gleichsam eine religiöse Neuorientierung der Geister und einen neuen Geist der Abhängigkeit von Gott herbeiführen.

5. – Man würde sich täuschen, wollte man eine Glaubenserneuerung herbeiführen, die nicht ihren Ausgang nähme von einem zuerst gelehrten und ausgeübten Glauben derer, die Christus als Nachfolger seiner Apostel für die Kirche bestellt hat.

6. – Wollte man etwaige Mängel der thomistischen Lehre dem ganzen System zum Vorwurf machen, so wäre entgegenzuhalten: Auch ein von Gott erleuchteter Theologe kann in manche Teile der Lehre und der Glaubensgeheimnisse mehr oder weniger tief eindringen und sie mehr oder weniger glücklich ausdrücken, ohne dass man deshalb seine ganze Lehrrichtung verwerfen, oder in Zweifel ziehen kann. Man muss diesbezüglich ein ständiges Wachsen und Fortschreiten gelten lassen. – Ebenso herrscht auch im mystischen Gnadenleben eine beständige Steigerung im Schauen der Geheimnisse und Absichten Gottes; man kann z. B. das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit mehr oder weniger tief erfassen und immer tiefer eindringen, obwohl man das Wesen dieses Geheimnisses niemals ganz durchdringen kann.

7. – Man möge absehen von der Privatoffenbarung und diese nur als Ausgangspunkt und Zielrichtung betrachten, um dem Priesterwerke die richtunggebende Gestalt in der praktischen Ausführung zu geben. Das Wesentliche des Priesterwerkes ist die Zusammenfassung von Lehre und Praxis, zunächst in einem Kreis von Priestern mit guter theologischer Ausbildung; diese Priester sollen ihre besonderen Aufgabe darin sehen: allmählich alle Priester für diesen Geist theoretisch-praktischer Ausübung zu gewinnen; den allenfalls sich erhebenden Schwierigkeiten in theologisch geschulter Weise mit Wort und Schrift zu begegnen; in der Seelsorge besonders bei den Priestern für die Anerkennung und Vertiefung dieser Lehre und Praxis zu arbeiten.

8. – Das Priesterwerk „steht zwischen den alten Orden“ und es soll entspringen aus einer Vereinbarung zwischen Dominikanern und Jesuiten; denn die thomistische Lehre soll als geistiger Ausgangspunkt, die jesuitische Arbeitsmethode als praktische Grundlage genommen werden, um das Werk erfolgreich in einer bestimmten Linie ausführen zu können; (deshalb hat der Herr auch einen Jesuiten dafür vorbereitet und bestimmt).

9. – Es wird nicht zur Anerkennung des geplanten Werkes durch die kirchliche Autorität kommen, bevor nicht der Gesamtplan in seinen wesentlichen Zügen in eine objektive, praktische Form gefasst ist und die Bereitschaft zur tatsächlichen Ausführung ausgesprochen wird. Darum wünscht der Herr dringend, man möge eine entsprechende Verständigung zwischen Dominikaner und Jesuiten herbeiführen, um dadurch zur Klarheit über seine Absichten zu kommen. Der Geist Gottes „sagt“ nicht immer alle konkreten Einzelheiten, sondern überlässt es vielfach den Menschen, über seine Werke zu beraten; er liebt es, durch die liebevolle Anerkennung seiner göttlichen Pläne verherrlicht zu werden, und er gibt dann diesen Bemühungen seinen göttlichen Segen und lässt sie zu seiner Ehre gedeihen.

10. – Ob man nun für oder gegen das Priesterwerk eingestellt ist: Niemand kann im Ernste behaupten, dass es dogmatisch nicht gut oder nicht zeitgemäß sei. Schon aus diesem Grunde scheint also der Wille Gottes Ausführung des Werkes durch die heutigen Zeitumstände notwendig und geboten. – Man möge also von dieser Mindest-Begründung ausgehen und die durch Privatoffenbarung gegebenen Mitteilungen der göttlichen Absichten an zweite Stelle rücken. Der Herr wies mich hin auf seine Mahnung im Evangelium: „die Zeichen der Zeit zu verstehen“ (Mt.16.4).

 

 

Allgemeines V2

A – Allgemeines V2

5001 |        1. Der Heiland will das Werk. Er will die Anerkennung seiner Absichten, damit er als Urheber des Werkes und als Erneuerer des Priestertums anerkannt werde. Das Werk soll nach seinen Absichten durchgeführt werden, weil Christus selbst bereit ist, die neuen Gnaden auszugießen, die eine allgemeine Erneuerung möglich machen. – Dieses Werk ist seine „Barmherzigkeit“ an die heutige gottlose und glaubensschwache Menschheit. Es enthält jene Glaubenserneuerung, die eine höhere Stufe der Zuteilung des unerschöpflichen Reichtums der für die Menschheit verdienten Erlösungsfrüchte bedeutet und die das gesamte religiöse Leben in der Kirche einem neuen Aufstieg zuführen wird. – Das Werk selbst ist in sich nichts „Neues“, sondern die Erfüllung dessen, was im Glaubensgut Enthalten ist: Was Gottes ewige, unendliche Liebe für die Menschheit plante, das soll in den Seelen voll verwirklicht werden. Damit aber dies „Geglaubte“ an den Seelen in Erfüllung gehe, müssen diese selbst darauf eingehen und sich die Folgerungen und Folgen des Glaubensinhalts mit eigener Mitbemühung auf sich anzuwenden und sich zuzuwenden suchen.

5002 |        2. Der Herr will seine Absichten in den Priestern grundlegen, und zwar als „neue Gnaden“, die er, denn Zeitverhältnissen und Zeitnöten entsprechend, als seine Barmherzigkeit an die Gesamtkirche weiterleiten will. Es sind „neue Gnaden“, d. h. „neu“ nicht ihrem Ursprung oder ihrem Charakter als Gnaden nach, – denn sie liegen schon seit der Menschwerdung Christi „bereit“, aber – insofern sie eine neue Erfüllung und Verwirklichung der ewigen und unendlichen Liebe Gottes zur armen, gefallenen Menschheit sind; die Gnaden sind eine neue Zuwendung der Erlösungsfrüchte Christi im Rahmen der sich im Laufe der Zeiten steigernden Zuteilung der Erlösungsverdienste. Schon vor Jahren hat der Herr wiederholt versichert: „Ich gebe meiner Kirche immer jene Gnaden, die der jeweiligen Notwendigkeit der Zeitverhältnisse entsprechen“.

5003 |        Der Herr will ein eigenes Institut, einen Zusammenschluss von Priestern, gegründet haben, die zuerst auf jene tiefsten Absichten der unendlichen Liebe Gottes eingehen und sich diese „neue Gnaden“ selbst aneignen wollen; sie sollen ferner diese Gnaden theologisch begründen, verteidigen und dem gesamten Priestertum zuwenden suchen. Die „Erneuerung“ muss auf ein geistig-religiöses Fundament gestellt werden, das übernational und dem Welt- wie dem Ordensklerus in gleicher Weise möglich und durchführbar ist. Es ist eine allgemeine Glaubensvertiefung, und aufgrund der Annahme dieser Glaubensvertiefung gibt der Herr die neuen, den Bedürfnissen der Zeit entsprechenden Gnaden.

5004 |        Der Heiland will eine systematische Einführung in den Erneuerungsgeist, nicht einen willkürlichen, nur allgemein gehaltenen Plan. Er will für die Ausführung seiner Absichten den P.F.B. S.J., „weil er ihn dafür vorbereite und in ihm das notwendige und geeignete Fundament bilde, um die geistige Fruchtbarkeit des Werkes selbst zu gewährleisten“. So soll sich ein Zusammenschluss von Priestern bilden, die unter der geistigen Leitung von P.B. jenen Erneuerungsgeist zu ihrer priesterlichen Lebensgrundlage machen und somit ein geistiges Zentrum bilden, von dem eine allgemeine Erneuerung ausgehen kann, und alle Priester erfasst werden können. Eine willkürliche Zusammenfassung der Priester würde – so ließ der Heiland mich wissen – seine grundlegenden Absichten zerstören, nämlich den Zusammenschluss aller Priester in demselben Geiste.

5005 |        Jene neuen Gnaden werden – in Kraft der Vereinigung mit Christus – die Überwindung des heutigen gottlosen und glaubensschwachen Zeitgeistes gewährleisten; in der Kraft Christi wird ein in sich erneuertes Priestertum eine allgemeine Glaubenserneuerung in der Gesamtkirche herbeiführen. Das Werk soll nicht so sehr als Privatoffenbarung betrachtet werden, sondern von seiner theologischen Grundlage aus, denn es enthält in sich nichts Neues, sondern ist nur eine neue Betätigung und Auswirkung der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit des Erlöserherzens gegenüber seiner Kirche.

5006 |        3. Der Heiland will, dass diese Erneuerung in einem Orden ihren Anfang nehme, der sich bereit erkläre zur Annahme seiner Gnaden und zur Klarstellung der Übernatürlichkeit des Werkes und der Absichten Gottes. – „Das Werk wird jeder Prüfung standhalten, weil es dogmatisch begründet ist“. –

5007 |        Der Herr will, dass man auf das Ziel und den Zweck seiner Absichten schaue, nämlich auf die große, unendliche Liebe, die darin enthalten ist, und auf das allgemeine Heil seiner Kirche. Es wurde immer ein freies Angebot des Heilands gezeigt, das es der menschlichen Freiheit zur Entscheidung, wer als Erster die liebvollen Absichten Jesu anzunehmen bereit ist; es komme auf die freiwillige Bereitschaft der betreffenden Orden an, die dann bereit sein müssen, sich um die Beseitigung der bestehenden Schwierigkeiten zu bemühen.

5008 |        4. das Priesterwerk soll erstehen als rein „theologisches Werk“, das den Bedürfnissen der jetzigen Zeit entspricht. Es handelt sich um ein tieferes Hineingreifen und Herausholen der fruchtbaren Schätze der Theologie, die keine „leeren“ Schätze sind, sondern begründet und verbürgt durch die göttliche Wahrhaftigkeit und Treue. Der Herr selbst will das „wahr machen“, dass man gläubig von ihm erwartet und wofür seine göttliche Wahrhaftigkeit vollkommenste Bürgschaft ist.

5009 |        Der erste Anlass zur Gründung ist freilich eine spezielle Offenbarung des Willens Gottes, der dadurch beweisen will: Er ist es, der das Werk will, und R ist es, der aufgrund eines tieferen Glaubens „neue Gnaden“ geben will. Diese neuen Gnaden werden die greifbaren Früchte eines unbedingten, tieferen Glaubens an ihn und an seine Erlösungsverdienste sein, eines Glaubens, der mit dem Werk von ihm selbst verlangt wird.

5010 |        Die objektiv unerschöpfliche Fülle der Erlösungsverdienste und der erneute und vertiefte Glaube daran geben der tiefgesunkenen Welt die Gewähr einer sittlichen religiösen Hebung und Heilung. Nur seine göttliche Barmherzigkeit ist der Uhr Antrieb dafür, dass er diese Gnaden besonders verkünden lässt. Diese „neue Gnaden“ sind Gnaden einer subjektiven „Vollerlösung“, die an sich, durch das allgemeine Glaubensgut, verbürgt sind. Bisher wurden diese Gnaden jedoch tatsächlich nur wenig als „besondere“ Gnaden gegeben. Jetzt aber werden diese Gnaden, entsprechend der Not der Kirche und den Forderungen der Zeit, grundsätzlich „allgemein“ jedem Priester gegeben, der an die göttliche Offenbarung und an den göttlichen Reichtum der Erlöserverdienste glaubt und diese Gnaden anstrebt. Christus bietet den Priestern dieser Gnaden einer subjektiven Vollerlösung an, in Form einer aufsteigenden Entsündigung und Befreiung von den moralischen Folgen der Erbsünde bis zur höchsten moralisch religiösen Erhebung aus dem gefallenen Zustand, in der Kraft der vollen Zuwendung der Erlösungsgnaden an die Einzelseele.

5011 |        Diese subjektive Vollerlösung ist durch die objektiv unerschöpfliche Fülle der Erlösungsgnaden begründet und verbürgt. – Selbstverständlich wird sich das konkrete Maß der Erreichung dieses an sich allgemeinen Zieles nach dem persönlichen Verhältnis der einzelnen Seele zu Christus, d. h. nach dem Streben und Eifer des Einzelnen richten. – Ebenso selbstverständlich ist es, dass man diese Knaben nicht bekommt „ohne eigene Bemühung“. – Aber Christus bietet nun diese Gnaden jedem an, der danach strebt und sein Leben danach einrichtet; er kommt, getreu seinem Versprechen, dem tatkräftigen Streben der Seele mit seiner Gnade entgegen. Er will, dass diese Gnaden allgemein in erster Linie von den Priestern angestrebt werden und er gibt diese aufsteigende subjektive Vollerlösung an sich „allgemein“, d. h. grundsätzlich allen Priestern, die sich durch tätigen Glauben darum bemühen. – Dabei wird in der konkreten Ausschöpfung dieser Gnaden immer eine gewisse Spannweite oder ein „Spielraum“ bleiben, dessen verschiedene Maße und Stufen abhängig von der Art und dem Grad der eigenen, persönlichen Bemühung des Einzelnen (ist).

5012 |        In diese subjektive Vollerlösung sind an sich auch eingeschlossen – nach dem Maße, wie der Herr sie verteilen will – alle Schätze der Gnadengaben oder Charismen, welche Begleiterscheinungen der Vollerlösung sind und eine gewisse Vollkommenheit der subjektiven Erlösung zur Grundlage und Voraussetzung haben. (Damit ist nicht gesagt, dass nun tatsächlich alle Priester besondere Gnadengaben empfangen werden, aber es wurde mir geistig zu wissen getan: Alle Gnaden und Gnadengaben sind an sich in der subjektiven Vollerlösung eingeschlossen für all jene Priester, die auf die göttliche Glaubensvertiefung eingehen und sich bemühen, in die Fülle der Erlösungsgnaden einzudringen.) Es gibt keine sichere, übernatürliche Gnadengabe, die nicht als erste und wichtigste Voraussetzung einen gewissen, hohen Grad der Reinigung der Seele, und damit eine hohe moralische Vollkommenheit und Vereinigung mit Gott als Voraussetzung und Grundlage hätte. – Jede persönliche Vollkommenheit und Heiligkeit und alle besonderen und dauernden Gnadengaben setzen aber auch eine mehr oder minder hohe Stufe der Zuwendung und Inanspruchnahme der Erlöserverdienste voraus.

5013 |        Nach außen braucht man sich nicht auf eine „Privatoffenbarung“ stützen, weil das Werk in sich selbst eine nur zu große Notwendigkeit in unserer Zeit bedeutet. Gewiss behält sich der Herr bezüglich der Art der Ausführung seiner Absichten die letzte Entscheidung seines göttlichen freien und weißen Willens vor, aber er wünscht, dass das Werk unter dem theologischen Gesichtspunkt erörtert und vorgelegt werde, absehend, soweit möglich, von der Privatoffenbarung.

5014 |        5. Der Ausdruck „subjektive Vollerlösung“ will besagen: Die Gnaden und Früchte der Erlösung sind so reichlich, dass an sich alle Menschen und jeder einzelne Mensch bei voller persönlicher Zuwendung die moralische Vollkommenheit des Paradieseszustandes in einem allmählichen Aufstieg zurückerobern könnte. – Selbstverständlich bleibt dabei der „gefallene Zustand“ immer bestehen, weil der Mensch niemals mehr die ursprüngliche, moralisch-psychologische Unversehrtheit des Paradieses erreichen kann. Es vollzieht sich eine mühevolle, stufenweise Erhebung, die jenem ersten gnadenvollen Zustand „nahekommt“. Jedoch die volle Fülle jenes ersten Zustandes mit all seinen Gnadenausstattungen, die Gott den ersten Menschen gab, ist für immer verloren.

5015 |        Der Ausdruck „subjektive Vollerlösung“ schließt ferner in sich eine mehrfache Rücksicht, nämlich: Einerseits das Ziel in sich selbst, dann aber auch das persönliche Streben des Einzelnen nach dem Ziel, und endlich das Entgegenkommen Christi und seiner Gnade für jeden, der eifrig und ehrlich nach diesem Ziel strebt. – damit das Wort nicht falsch aufgefasst werde, muss immer der doppelte Gesichtspunkt im Auge behalten werden: Christus, der das Streben nach diesem Ziel (der subjektiven Vollerlösung) will – und die Seele, die selbst auf dieses Ziel hinsteuern und hinarbeiten soll. Christus, der Gnadentaler, kommt dem Streben nach diesem von ihm gewollten hohen Ziel mit seiner Gnade entgegen. Der Weg, der zu diesem Ziel führt, ist kein anderer als das von ihm gewollte, vertiefte Glaubensleben, dass in jenem Ziele gipfelt.

 

Antworten auf verschiedene Fragen

a. Warum geht daher in der Ausführung seiner Absichten – nach menschlichem Ermessen – „so langsam“ voran?

5016 |        Das Priester wecken sich selbst ist nicht wie eine andere, gewöhnliche Privatoffenbarung, sondern es braucht schon vor seinem tatsächlichen Zustandekommen eine theologische Fundamentierung und Begründung dessen, was dann als geistige Frucht aus dem Priesterwerk erwachsen soll. Die theologisch-praktische Glaubensvertiefung in ihrer Notwendigkeit für die heutige Zeitlage muss als primäre Tatsache klargestellt und hervorgehoben werden. Damit das Werk sich als ein allgemeines für die ganze Kirche bewähren kann, muss zuerst der Geist des Werkes sichergestellt und die Notwendigkeit der angegebenen Glaubensvertiefung anerkannt werden. Mit der Darlegung der theologischen Grundlage und Begründung bekommt das Priesterwerk schon vor seiner äußeren Gestaltung ein festes Fundament; und der „Geist“ des Werkes wird langsam vorbereitet, während im anderen Fall nach der Gründung erst die theologischen Widerstände und Schwierigkeiten überwunden werden müssten.

5017 |        Das Werk ist ja im Grunde nichts anderes als eine theologische Vertiefung mit dem Ziel einer allgemeinen Glaubensvertiefung, die tatsächlich im allgemeinen kirchlichen Glaubensgut begründet ist. Die vertiefte Theologie führt zunächst die einzelnen Priester in die Fülle und den Reichtum der Erlösungsgnaden ein, die uns Christus verdient hat und die er nun als „neue Gnaden“ einer subjektiven Ausschöpfung seiner Erlösung jedem Priester anbietet – weil dies durch die Not der Zeit und der Kirche gefordert wird. Durch diese Gnaden einer subjektiven Ausschöpfung der Erlösungsfrüchte sollen und werden die in der Erlösung gelegenen Absichten der unendlichen Liebe Gottes zur vollen Verwirklichung gebracht werden. Der tiefste Zweck und die eigentliche Absicht Gottes beim Erlösungswerk war ja im Grunde immer eine „Vollerlösung“ und es lag daher in Gottes Erlösungsplan immer schon eingeschlossen die Möglichkeit auch einer subjektiven Vollerlösung für den Einzelnen. Aber diese Gnaden einer subjektiven Vollerlösung konnten die einzelnen Seelen bisher nur als spezielle Gnaden aus den Schätzen der Erlösung herausholen. Jetzt aber will Christus die Fülle der uns verdienten Gnaden allgemein – und zwar vorerst den Priestern – eröffnen, und zwar auf dem Weg einer praktischen Betätigung eines vertieften Glaubens. Er will und wünscht, dass alle Priester sich dieser „neuen Gnaden“ (durch Glauben und eigene Mitarbeit) ein heftig machen, weil diese der heutigen Not und den Bedürfnissen der Kirche entsprechen; auf diesem Weg will er seine Erlösungsgnade gleichsam „neu“ (d. h. in neuer Fülle) ausgießen, und diese neuen Gnaden werden wirksam sein gleichsam „wie eine neue Erlösung“. – Bis zum Ende der Zeiten will Christus er seiner Kirche alle Erlösungsgnaden mit ihren verschiedenen Formen in voller Fülle zugeteilt haben. Es soll nichts von dem unbenutzt oder unfruchtbar bleiben, was Christus der Menschheit durch seine Menschwerdung an Gnaden und Früchten verdient und für die Gemeinschaft der Kirche erworben und ihr übergeben und in ihr hinterlegt hat. Christus teilt sich seiner Kirche „ganz“ mit, d. h. mit all dem göttlichen Reichtum und den Verdiensten seines Erlöserlebens. Dabei wurde ich hingewiesen auf Jesu Wort: „wer an mich glaubt, wird die Werke tun, die ich tue; ja, er wird noch größere als diese tun“ (Joh. 14,12).

5018 |        Durch die theologische Begründung verliert das Werk den Charakter eine Privatoffenbarung oder tritt diese wenigstens zurück in eine nebensächliche sekundäre Stellung gegenüber der theologischen Bedeutung des Werkes – wenn auch die vom Heiland angegebene Grundform als Plan beibehalten werden muss, weil davon das Gelingen der Absichten Christi abhängt. Als gewöhnliche Privatoffenbarung würde das Werk nicht in dem Sinn und Ausmaß durchdringen können, wie es tatsächlich im Plan des Eilands liegt.

 

b. Über die geistige Ausgestaltung des Priesterwerkes

5019 |        Das Priesterwerk fängt an mit einem Zusammenschluss von einigen Theologen, vorläufig aus verschiedenen Orden. Diese holen, im Verein mit Pater Baumann die tiefsten Schätze aus der Theologie nach tomastischer Richtung hervor. Zugleich werden praktische Anwendungen zur Betätigung der Glaubenswahrheiten und der theologischen Grundlehre ausgearbeitet. – Die Teilnehmer dieser Gruppe beraten zusammen und suchen Theorie und Praxis miteinander in Einklang zu bringen. Diese Einheit zwischen Theorie und Praxis führt tatsächlich zum tiefsten Herausholen und zur praktischen Anwendung der Glaubenssätze, die uns durch Gottes Wahrheit verbürgt sind. Auf diesem Wege des unbedingten und gelebten Glaubens an Gottes ewig-wesenhafte Wahrheit gelangt der Mensch zu einem unmittelbaren Verhältnis und zu einer gelebten Abhängigkeit Gott gegenüber.

5020 |        Der Mensch erkennt sich dann als ein gefallenes Wesen, das durch Gottes Barmherzigkeit hingeführt wird zu den Quellen des Heiles, zu den Erlöserverdiensten Christi. In diesen überreichen Verdiensten schaut er die Quelle der Gnade, die ihn befähigen, sich die überreiche Barmherzigkeit Gottes zuzuwenden. Er findet darin den für ihn notwendigen Ersatz, vorausgesetzt dass er selbst mittätig ist mit der Gnade des Erlösers, der nur deshalb „Erlöser“ geworden ist, um all seine Brüder durch den von ihm geleisteten Ersatz zurückzuführen zur Möglichkeit der Wiedergewinnung dessen, was dem Menschen durch die Sünde verloren ging.

5021 |        Der tatsächliche und gelebte Glaube an Gottes Offenbarung und Erlösung gibt dem Menschen die Gewähr einer stufenweise aufsteigenden und sich immer mehr vervollkommnenden Wiedereroberung der Gotteskindschaft, die der Mensch einst im Paradiese als höchste Gnade besessen hatte. In der Kraft der Erlöserverdienste sieht der wahrhaft gläubige Mensch nun das unumgängliche Mittel, um wieder in der Nähe des Vaters zu kommen, in eine „Nähe“, die dem Menschen nur „in Christus“, d. h. durch und nach dem Maße der Vereinigung mit Christus möglich wird. Denn nur durch und in Christus ist der Menschheit alles heil geworden, dass uns tatsächlich in die Nähe Gottes zurückführt und uns all jene göttlichen Kindschaftsgnaden wieder erwerben lässt, die eine wahre „göttliche Sohnschaft in Christus“ beinhaltet und in sich schließt. Christus ist ja auch das Vorbild dieser „Sohnschaft“, dass wir in allem nachahmen sollen. Der Glaube aber und die tätige Mitarbeit ist der einzige Weg, um uns jener göttlichen Güter in immer höherer Weise teilhaftig zu machen.

5022 |        Es müssen nun „geistige Brücken“ gebaut werden zwischen Theorie und Praxis, d. h. zwischen der diesbezüglichen theologischen Lehre, die ja im Allgemeinen angenommen wird, und zwischen ihrem Gehalt und ihrer Anwendung für das praktische Leben; diese wird nämlich zu wenig beachtet und deshalb bringen dann die Glaubenslehren zu wenig Frucht. – Gott ist heute ebenso reich und groß wie vor 2000 Jahren und doch bringt der Glaube an ihn nicht mehr die seinem göttlichen Liebesreichtum entsprechenden Früchte hervor, weil dieser Glaube ebenso wenig lebendig und konsequent ist. Die von Gott beabsichtigten Früchte sind aber „er selbst“ in uns, d. h. seine Nähe, unsere höchstmögliche Annäherung an ihn und Vereinigung mit ihm.

5023 |        Nun mit dieser Vereinigung erfüllt sich auch der eigentliche und höchste Zweck unseres Lebens und Daseins. Gott wird für die Seele dann zum bewussten Mittelpunkt ihres Daseins; er wird ihr zum höchsten und einzigen ideal für dieses Leben, das damit zu einer wahren Vorbereitung für die Ewigkeit wird; denn die wahrste und höchste Aufgabe jedes einzelnen Menschenlebens besteht nur darin, sich hienieden durch höchstmögliche Vereinigung mit Gott den höchstmöglichen Besitz und Genuss Gottes im jenseitigen Leben zu sichern und vorzubereiten für die ganze Ewigkeit.

5024 |        Unter diesem Gesichtspunkt verklärt sich unser Leben hienieden und bekommt es eine wunderbare hohe Stellung und Bedeutung im Lichte unseres Daseinszwecks: Gott hat uns letztlich nur dazu geschaffen, dass wir „seiner teilhaftig werden“. Wir sind durch die heilige Taufe in einem wahren Sinne aufgenommen worden in den ewig-göttlichen Liebeskreislauf der Heiligen Dreifaltigkeit, und damit ist dies unsere höchste Lebensaufgabe und unser einziges letztes Ziel unseres Strebens und unser Daseinszweck geworden: dass wir durch und in Christus und durch unsere eifrige Mitarbeit mit seiner Gnade uns in möglichst hohem Maße diesem göttlichen Lebens- und Liebeskreis nähern und anschließen.

5025 |        Auch unser ganzes äußeres Leben wird dann in diesen geistigen Kreis und in jenen recht verstandenen Daseinszweck hineingezogen, der unser Leben so groß und schön, so erhaben und frei macht. Auch alle äußeren, „zufälligen“ Ereignisse sind, wenn recht verstanden, nur Mittel um uns rascher und erdgelöster unserem hohen Ziele entgegenzuführen. Es gibt kein Missgeschick und kein „Unglück“ (im menschlichen Sinne des Wortes), das nicht diesem einen Daseinszweck dienen könnte und sollte, nämlich uns Gott zu sichern und zu unserem ewigen Besitz und Eigentum zu machen. Die Seele wird veranlasst, alles zu lassen und zu verlassen und sich nur auf das eigentliche, letzte Ziel ihres Lebens hinzurichten und sich dafür zu bereiten.

5026 |        Unter diesem Gesichtspunkt soll vor allem der Priester sein Leben betrachten; es wird ihm dann wertvoll nur durch den Besitz Christi, dessen Stelle und Eigenheit in der Kirche doch der Priester einnimmt. Der Priester hat überhaupt kein anderes Ziel für sich selbst und keinen anderen Lebenszweck als den: sich selbst immer mehr mit Gott zu vereinigen und möglichst alle Seelen zu diesem höchsten Urzweck jeder einzelnen Seele befähigen zu helfen und hinzu führen.

5027 |        Das Priesterwerk enthält im Grunde und in seinem Wesen nichts „Neues“, sondern nur ein klareres und konsequenteres Festhalten des Zieles: den Menschen wieder das Ewige und Göttliche näherzubringen, dass ihnen durch die Strömungen des modernen Zeitgeistes in so großem Ausmaß verloren gegangen zu sein scheint. Christus rückt nun dieses Ziel wieder höher hinauf und spornt zu einem höheren Streben danach an. Er stellt sich selbst wieder deutlicher in den Mittelpunkt des Priesterlebens, und aus ihm als der klar erkannten göttlichen Quelle fließt zunächst reichlicher die eigene Heiligung des Priesters. Es ist keine Vereinigung mit Christus so hoch und keine Gnade so erhaben, dass der Priester nicht das Vertrauen haben sollte, sie sich anzueignen und den Mut, sie anzustreben. Christus versagt dem Priester nichts, wenn dieser, sein ganzes Leben in ihn hineinstellt und auf ihn hinordnet. Der Priester soll in allem das höchste Ziel auf dem Wege zu Gott und im Leben in Gott anstreben. Er soll zuerst selbst das tun und das werden, was er andere zu tun und zu werden lehrt. Nur auf diesem Wege macht er sich ganz fähig für den Sinn und Zweck seiner Berufung. Ohne die entschiedene, tatsächliche Selbstbeteiligung, und zwar vorausgehend von der Heiligung anderer Seelen, ist für gewöhnlich alle Bemühung des Priesters unnütz und eitler Schein. Nur in dem Maße bringt der Priester Frucht in anderen Seelen hervor, als er selbst schon eine göttliche Frucht in einer gewissen Einheit mit Gott geworden ist.

5028 |        Es sollen festgelegt werden gewisse Grund- und Verbindungslinien zwischen Theorie und Praxis, die in einem unbedingten, konsequenten Glauben wurzeln und die dann das ganze Leben so beherrschen, dass es dabei keinen Unterschied gebe zwischen innerem Wollen und Wissen und äußerem Tun, sondern nur eine Linie, die gerade zu Gott hin strebt. – Diese Verbindung von Theorie und Praxis wird begründet mit den Worten Christi, den Evangelien, den Briefen der Apostel, den Lehren der Kirchenväter, den Übungen der Urkirche und der alten Überlieferung. Man wird bei dieser Arbeit die Kluft feststellen können, die sich im Laufe der Zeit zwischen Theorie und Praxis gebildet hat.

5029 |        Man „lehrt“ zum Beispiel auch heute Gottes Vollkommenheiten, preist ihn als allmächtig, weiße, getreue, barmherzig und voll Liebe zu den Menschen, aber es bleibt nur allzu oft bei der nackten und kalten Lehre. Die praktische Anwendung und die Übung der Konsequenzen dieser Lehre hält nicht Schritt mit der theoretischen Huldigung, die man Gott durch die Lehre darbringt. In der Praxis handeln die Menschen meist nur so, wie es ihrer Vernunft vorteilhaft erscheint, aber nicht so, wie ein lebendiger Glaube an Gottes Eigenschaften verlangen würde.

5030 |        Ebenso werden die Gnaden der Erlösung praktisch zu wenig geschätzt. Man „glaubt“ zwar daran und lehrt sie. Aber man wendet sie nur so weit an, als er sich mit den Forderungen eines „zeitgemäßen“ Lebens vereinbaren lässt. Man meint, nicht anders leben zu können als es die „heutige Zeit“ verlangt; man meint, unbedingt „modern“ und dem Zeitgeist entsprechend leben zu müssen. Und der Gepflogenheiten und Forderungen eines „modernen“ Lebens wegen begnügt man sich mit einer mittelmäßigen Vollkommenheit, ohne dass der Grund der Seele davon berührt würde, d. h. ohne dass es zu einer tatsächlichen Überwindung des gefallenen Zustandes käme; denn dazu müsste man entschieden mit dem Zeitgeist brechen.

5031 |        Auch bei den Priestern ist vielfach in der Praxis der Grundsatz beherrschend geworden: Man könne nicht wirken, wenn man nicht „zeitgemäß“ erscheine und handle. So ist es die große Täuschung geworden, dass man meint, man könne die eigene Heiligung mit den Forderungen des (ungesunden) Zeitgeistes zusammenbringen und vereinen. Und doch gibt es vor Gott diesbezüglich keine „Zeit“, und die „Forderungen des Zeitgeistes“ bilden vor ihm keine Entschuldigung und Enthebung gegenüber dem, was seine Gebote und seine göttlichen Forderungen betrifft. Gott wird beim Gerichte einmal seine göttlichen Forderungen an die Seele an die erste Stelle rücken, während die Menschen heute nur allzu oft an erster Stelle „mit der Zeit gehen“ zu müssen meinen und die Forderungen Gottes praktisch nur an die zweite Stelle setzen und sie von den Forderungen des Zeitgeistes abhängig machen.

5032 |        Ferner ist die erste Wirklichkeit der „Sünde“ heute ein „seichter“ Begriff geworden. Man beachtet zu wenig den wahren Begriff der Sünde: Dass sie nämlich ein „Widerspruch“ gegen Gott ist, und man entschuldigt die Sünde nur zu leicht damit, dass man heute eben nicht anders leben und handeln könne. Tatsächlich hat sich der Mensch von heute in nur allzu vielen Beziehungen und Einsichten „frei“ gemacht von den Wahrheiten über Gott und die Sünde; obwohl man daran glaubt, ist es dennoch praktisch zu einer klaffenden Trennung zwischen Glauben und Tat oder Leben und dem Glauben gekommen.

5033 |        Wenn die theologische Lehre und die ihr entsprechende, praktische Anwendung aus der Überlieferung begründet ist, so ist damit auch die „erneuerte Grundlage“ eines christlichen Lebens klargestellt. – In diesem erneuerten Geiste wird sich dann ein Kreis von Priestern, die sich berufen fühlen und bereit erklären, in diesem Sinne ihr Leben gestalten zu wollen, zu einem gemeinsamen Leben zusammenschließen. Sie werden das Zentrum sein, von dem aus alle Priester in den erneuerten Geist eingeführt werden, und dazu werden sie ihren priesterlichen Mitbrüdern durch Wort und Schrift und durch ihr eigenes Beispiel dienen. Die aufgestellten Grundlinien und Grundsätze sollen zuerst im eigenen Leben des Priesters zur Anwendung kommen. Nur jene, die sie theoretisch und praktisch vollkommen beherrschen und anzuwenden wissen, werden fähig sein, diese vertieften Linien anderen priesterlichen Mitbrüdern mitzuteilen. Darum muss gleich von Anfang an Theorie und Praxis zusammengehen, und zwar ohne Halbheit oder Kompromiss, sondern in eigener, hoher, persönlicher Zielsetzung. – Durch Konferenzen und Exerzitien in diesem Geiste, sowie durch literarische Arbeiten und Werke werden diese dann alle Priester zu gewinnen suchen. Es werden entsprechende Kurse veranstaltet, um den einzelnen Priestern die Möglichkeit der Vertiefung zu bieten; ebenso werden Priesterheime errichtet werden, in denen längere Schulungskurse abgehalten werden. – Neben dieser theologisch-praktischen Vertiefung werden dann im gemeinsamen Leben der Mitglieder des Werkes auch noch weitere Mittel und Übungen eingeführt und gebraucht, die dem Ziele der theologisch-praktischen Vertiefung dienen werden.

5034 |        (Ich schaue aber, dass die Regula-Priester in verhältnismäßig kurzer Zeit in diesem erneuerten Geist eingehen werden: „das Priesterwerk wird einen Siegeszug in der gesamten Kirche antreten“.)

5035 |        Im obigen Sinne hat das Priesterwerk in seinem Verhältnis Gott gegenüber nichts gemein mit einer Privatoffenbarung, sondern es lebt die Wahrheiten der allgemeinen göttlichen Offenbarung und schöpft die Gnaden des Erlösers in größtmöglicher Fülle aus.

 

c. Warum ein allgemeines Institut?

5036 |        Würde nicht auch eine langsame und allgemeine (d. h. in allen theologischen Schulen durchgeführte) Lehrvertiefung und Lehrverwertung zum gleichen Erfolge oder wenigstens zu ähnlichen Früchten führen?

5037 |        Gewiss könnte an sich eine solche langsame Vertiefung des Glaubens schließlich die gleichen Früchte hervorbringen. Aber:

1. würde das einen langen Zeitraum beanspruchen, sodass sich die Früchte und Auswirkungen einer tatsächlichen Glaubensvertiefung erst in späteren Generationen des Priestertums zeigen würden, während die Masse der Priester der heutigen Zeit nicht davon berührt würde;

2. wäre überdies eine solche langsame und vielverzweigte Glaubensvertiefung wiederum weitgehend der persönlichen Willkür in der Auslegung und Anwendung der allgemeinen Offenbarung von der überreichen Erlösung anheimgegeben, und darum würde auf diesem Wege die vom Heiland gewünschte geistige Einheit des Strebens im ganzen Priestertum nicht erreicht werden. Tatsächlich besteht ja schon von jeher die Lehre der allgemeinen Offenbarung von der unerschöpflichen Fülle der Erlösungsgnaden. Und doch wird praktisch die ganze Tiefe und Fruchtbarkeit dieser im Glaubensgut begründeten Lehre nicht im Sinne des Strebens nach der subjektiven Vollerlösung ausgenützt und zur Anwendung gebracht.

5038 |        Christus will aber eine allgemeine, nach seinen göttlichen Absichten durchgeführte Priestererneuerung für die heutige Zeit, und er will diese Erneuerung nach einer Methode durchgeführt sehen, bei der die Auslegung und Anwendung des göttlich verbürgten Glaubensgutes nicht wieder einer gewissen persönlichen Willkür überlassen bleibt, sondern nach einer Methode, die eine, von ihm beabsichtigten Zuwendung von neuen Gnaden an das gesamte Priestertum entspricht. Er will eine allgemeine, volle Zuwendung der Erlösungsgnaden durchführen, und zwar nach bestimmten Grundlinien, die von einem Zentrum ausgehen, von einem Kreis von Priestern praktisch gelebt und geübt werden und von dort mit theoretisch-praktischer Begründung auf die anderen Priester übertragen werden. Auf diese Weise will der Herr einen soliden Unterbau für eine allgemeine Erneuerung des Priestertums schaffen; er will einen Mittel- und Kernpunkt bilden, der eine sichere Einheitlichkeit und Fruchtbarkeit seiner göttlichen Aktion verbürgt und bestimmte Grundlinien und Segenströme ausstrahlt.

5039 |        Und Christus will diese Priestererneuerung JETZT durchgeführt sehen, weil die Wellen des Unglaubens und einer gewissen allgemeinen Glaubensschwäche die ganze Welt erfasst haben, und weil infolgedessen große Zeitirrtümer einen großen Teil der heutigen Generation beherrschen. Dieser Glaubensschwäche und diesen Zeitirrtümern will der Herr darum heute erneuerte Priester entgegenstellen, um den verderblichen Einfluss der Hölle und der bösen Geister einzudämmen und durch Priester, die ganz vom Geiste Gottes, von Christus selbst, beherrscht sind. Der Heiland will das Priesterwerk als das Werk seiner Barmherzigkeit für die heutige Zeit seinem göttlichen Herzen entströmen lassen.

5040 |        er will alle Priester gewinnen für seine Liebesabsichten; darum soll das Werk in seiner inneren Ausgestaltung von einem Zentrum ausgehen, dass die Gewähr bietet, dass alle Priester einheitlich erfasst werden können. Deshalb soll das Werk Mitglieder heranbilden, welche die geistig-wissenschaftliche Befähigung und die moralische Höhe für diese weittragende Aktion im Geiste Christi besitzen.

 

d. Warum eine Erneuerung in Form von „neuen Gnaden“, nachdem doch die Fülle der Erlösungsgnaden schon seit Christi Tod am Kreuze besteht?

5041 |        1. Erstens will sich der Heiland als Kenner des Menschenherzens der psychologischen Tatsache bedienen, dass das „Neue anzieht“ mehr Interesse weckt und darum mehr Früchte zeigt als das, was in althergebrachter Weise vorgetragen und „aufgetischt“ wird.

5042 |        2. Zweitens – und vor allem – will der Heiland damit seine besondere Liebe zu den Priestern beweisen, die seinem göttlichen Herzen am nächsten stehen und die er mit dem göttlichen Liebesgeschenk seines Erlöserlebens ausstatten will. Er will darum seine göttliche Aktion durchführen als allgemeines liebes Geschenk an das gesamte Priestertum. Und er selbst will gleichsam diese Gabe seines Herzens „organisieren“, um den Frieden der Seelen, den bösen Geistern, tatkräftigen entgegenzutreten. Christus selbst will diese Kraft sein in der Form einer Erneuerung, die er hervorbringt durch neue Gnaden, deren Früchte und Wirkungen die einzelnen Priester befähigen werden, dem heutigen Zeitgeist gleichsam mit göttlicher Kraft zu begegnen.

5043 |        Das „Neue“ am Priesterwerk liegt darum im Grunde nur in dem allgemeinen Aufruf an alle und an jeden Priester, sich die überreichen Früchte der Erlösung Christi in möglichst hohem Maße zuzuwenden und dieses Streben zur geistigen Grundlage und zum selbstverständlichen Ziel ihres ganzen Lebens zu machen. Das „Neue“ liegt also im Grunde nur darin, dass diese allgemeine Aktion zugunsten jedes einzelnen Priesters (aus den oben genannten Gründen) in einer einheitlichen Linie und von einem Zentrum aus in theologisch-praktischer Einführung geschehen soll. Das Ziel, dass bisher gleichsam nur als „Ausnahme“ oder als besonderes Privileg einzelner „begnadeter“ erreichbar schien, nämlich die volle Überwindung der moralischen Folgen der Erbsünde oder die stufenweise Erhebung der Seele aus den Gebundenheiten der erbsündlichen Folgen zu einer dem Paradieseszustand ähnlichen Reinheit: Dieses Ziel und die damit ermöglichte, entsprechend hohe Vereinigung mit Gott soll nun den Priestern allgemein zugänglich gemacht und als Ziel vorgelegt werden, dass konsequent und mit Vertrauen angestrebt werden kann und soll. Was der theoretische Gehalt der Theologie in sich schließt, das soll mit allen geeigneten praktischen Mitteln angestrebt werden; die Lehren der theologischen Grundlage sollen in der Praxis angewandt, gelebt und geübt werden. Auf diese Weise tritt der Priester ein in die praktische Übung dessen, was er andere lehrt, und er setzt sich selbst ein konsequent das Ziel seiner religiösen Betätigung. Was früher als außergewöhnliches Privileg betrachtet wurde, das macht Christus nun, in einem neuen, liebenden Ausströmen der Fülle seiner Gnaden, der Masse der Priester zugänglich, entsprechend dem allgemeinen Zweck der Erlösung und der Not der Kirche in unserer Zeit. Christus will aus seinen Priestern „wahre Erlöste“ machen, die in vorzüglicher Weise befähigt seien, ihn ihm und mit ihm „seine Werke“ in der Kirche zu vollbringen.

5044 |        Darum lässt Christus mit neuem Nachdruck auf den Zweck seiner Menschwerdung und seines ganzen Erlöserlebens und seines Kreuzestodes hinweisen, und er will die Menschen veranlassen, dass erschütternde Geheimnis seiner sich darin offenbarenden gott-menschlichen Liebe tiefer zu bedenken. Das Ziel und die Folge dieses Wunders der unendlichen Liebe besteht vor allem darin, dass alle (auf den Namen Christi) Getauften das hohe Ideal einer subjektiven Vollerlösung oder einer vollen, persönlichen Zuwendung der Erlösungsfrüchte an ihre Seele wie eine selbstverständliche Aufgabe anstreben sollen. – Gerade der Priester soll vor allen anderen Seelen voraus sein in dieser Betätigung des Glaubenslebens und er soll infolgedessen eine höchstmögliche Entsündigung und damit eine größtmögliche „Teilnahme an Gott“ mittels innigster Vereinigung mit Christus anstreben-wozu Voraussetzung die Überwindung der moralischen Folgen der Sünde ist.

 

e. Welchen Beweis und welche Bestätigung gibt der Herr dafür, dass …

5045 |        dass er diese Aufforderung an alle Priester richtet und dass er das Priesterwerk tatsächlich – und zwar in der angestrebten Form – gegründet haben will?

5046 |        Seitdem der Herr begann, seine Absichten einer allgemeinen Priestererneuerung zu offenbaren (um das Jahr 1920), hat er immer wieder „mein Innenleben“ als Beweis für seine Absichten angegeben. Dieser Beweis und diese Bestätigung für seine Absichten sollten aber besonders darin bestehen, „dass er mich in besonderer Weise einführt in das Geheimnis der Erlösung“. Stufenweise ließ er mich daher den Zweck seiner Menschwerdung erleben, die im Sündenfall der Menschen ihren Grund hat. Und seit mehr als 20 Jahren ist der Hauptinhalt all meiner besonderen Gnaden und Offenbarungen das Geheimnis: „Christus als Erlöser“ und das Geheimnis der Erlösung überhaupt.

5047 |        Als tiefste Bestätigung seines Willens gab mir der Heiland aber immer wieder an „das Erleben und die Erklärung des Geheimnisses der Hypostatischen Vereinigung und der Psychologie Christi in meinem Innenleben. Wiederholt sagte dabei Jesus: „Dies soll zum Beweis sein, dass Ich das Priesterwerk gegründet haben will, und dies soll zugleich die Bestätigung und Gewähr für die neuen Gnaden sein, die Ich 'Jetzt' allgemein über die Priester ausgießen will“. – Zum Beweis seiner Absichten und zugleich zur Erklärung, welche Art die versprochenen „neuen Gnaden“ seien, führte mich der Herr gleich mit der Erklärung des Erlösungsgeheimnisses tief in die Gnadenquellen des Erlösers ein und wandte meiner Seele die unerschöpflichen Schätze der Erlösung in einem außergewöhnlichen hohen Maße zu. In diesem Sinne – und als Beweis und Beispiel für die Wirksamkeit der Erlösungsgnaden – bewegte sich mein ganzes Innenleben bis zu den höchsten Stufen der Vereinigung mit Gott immer auch als „aktive Betätigung des Glaubens“, die sich von Anfang an – unter dem besonderen Einfluss der Gnade – eine möglichst hohe Stufe der Befreiung von den Folgen der Erbsünde, also eine möglichst hohe Stufe der subjektiven Vollerlösung zum Ziele gesetzt hatte. Auf dieses Ziel wurde ich schon seit dem Erwachen der Vernunft durch den Antrieb einer besonderen Gnade hingeleitet. – Besonders in den letzten Jahren wurde ich dann eingeführt in das Erleben der Grundlagen der Psychologie Christi, was der Herr zugleich als Hauptbeweis für seine Absichten bezüglich des Priesterwerkes bezeichnete. Immer wieder wurde ich vom Heiland veranlasst, „dies als Zeichen seiner Absichten betreffs des Priesterwerkes darzulegen“. (Ich will hierüber nicht unnötig wiederholen, was sich des Öfteren in meinen Schriften findet.)

5048 |        Der Heiland will das Erlösungsgeheimnis in seiner tiefen Bedeutung „neu hervorheben“, und zwar nicht bloß die Bedeutung der Früchte der Erlösung als feststehende Tatsache des allgemeinen Glaubenslebens, sondern auch die Bedeutung der Tatsache der „vollen Einzelerlösung“ unter der Voraussetzung vertrauenden Bemühens um die volle persönliche Zuwendung der Erlösungsfrüchte und eigener Mietbetätigung. – Damit wird sich das gesamte religiöse Leben und Streben vereinfachen, weil sich alles auf dieses eine Ziel hin ordnet und diesem einen Ziel einordnet, nämlich: Eine möglichst hohe und vollkommene Fülle der Erlösungsgnaden sich zuzuwenden und anzueignen, und damit möglichst annähernd zu jener Harmonie und Vollkommenheit zurückzukehren, in der Gott die Menschen gedacht und ursprünglich geschaffen hat. – Zugleich wird das Geheimnis des menschgewordenen Wortes, dass der Heiland die Priester tiefer erfassen und verstehen lassen will, auf einer vertieften Grundlage zur Anerkennung kommen. Durch das tiefere Eindringen in dieses ergreifende Geheimnis sowie in das Geheimnis des Erlöserlebens und besonders des Erlöserleidens wird auch die Liebe zum Gottmenschen wachsen und lebendiger werden. Die Priester werden dadurch auch die Gnaden der Erlösung und den Preis, den sie gekostet haben, mehr begreifen und schätzen, und sie werden mit großem Eifer und lebendigerem Glauben Christus, den ewigen Hohenpriester, ihr Vorbild und Haupt, nachzuleben suchen und als seine wahren Vertreter seine Aufgaben fortzuführen sich bemühen.

 

f. Bezüglich des praktischen Weges zur Verwirklichung des Priesterwerkes

5049 |        schaute ich von Anfang an immer zwei Möglichkeiten:

5050 |        1. Ein Teil der S.J. sollte unter Leitung von Pater Baumann in den Geist der Erneuerung eingeführt werden, und die Mitglieder dieses Teiles der S.J. sollten sich dann in der praktischen Priesterseelsorge im neuen Geiste betätigen. Auf diese Weise sollte die Gründung eines neuen Institutes vermieden werden. Selbstverständlich sollte in diesem Falle auch die S.J. selbst die Erneuerung annehmen und innerhalb des Ordens durchführen, da es sonst zu einer gewissen Zersplitterung im Orden hätte kommen müssen.

5051 |        2. Die zweite Möglichkeit: Ein „selbstständiges Institut“. Der Herr ließ mich immer dabei wissen: „Es bleibt der Entscheidung der zuständigen Persönlichkeiten überlassen“, welcher der möglichen Wege schließlich zur Ausführung kommen wird. Wie jedes ähnliche Werk, wird übrigens auch das Priesterwerk einen Anfang, eine gewisse Entwicklung und schließlich eine endgültige Gestalt haben. – „Der praktische Weg muss von den infrage kommenden Persönlichkeiten in persönlichem Einvernehmen und Beraten gesucht und gefunden werden, aber unter Wahrung des Eigenzieles des Werkes, bzw. unter Sicherstellung der Aufgabe und des Zieles des ganzen Werkes. – Der Heiland sucht Priester, die sich die Absichten seines Herzens „zu ihrem eigenen, persönlichen Anliegen machen“ aus der übernatürlichen Überzeugung heraus, dass es Gott das Werk ist.

5052 |        Das Priesterwerk geht hervor aus den Notwendigkeiten der Zeit, deretwegen Christus seine Kirche mit neuen Gnaden ausstatten will.

5053 |        Die Absichten Christi sollen aufgefasst werden im Sinne des ganzen Umfangs und der Größe seiner Allmacht und seiner Liebe für die Kirche. Christus will den vollen Lauf und die ganze Ordnung der Erlösungsgnaden jetzt allgemein in der Kirche angestrebt sehen, unter Berücksichtigung des tiefsten Zweckes und Zieles, dass in der Erlösung selbst verborgen lag. Man soll dieses Ziel nicht als etwas „außergewöhnliches“ betrachten, sondern als den letzten und tiefsten Zweck, den Christus mit seiner Menschwerdung und mit der Erlösung verfolgte. Als Beweis für diesen seinen Willen und für diese höchste Zielsetzung seines Erlösungswerkes hat der Herr seine unüberbietbare Hinopferung am Kreuze gegeben, die ein ganzes und volles Werk seiner gottmenschlichen Erlöserliebe war. So sicher der Kreuzestod Christi ist, der höchste Ausdruck der Liebe des Gottmenschen, ebenso sicher liegt in den Absichten des Erlösers und in den Erlösungsgnaden als ihre letzte Zielrichtung die persönliche Ausschöpfung der Erlösungsgnaden durch die einzelnen Seelen enthalten.

5054 |        Seine Liebe ist es, die nun die Quellen seiner Erlösung für unsere Zeit in reicher und vertiefter Weise „fließend machen“ will. Darum soll es das Bestreben der Persönlichkeiten sein, denen die Entgegennahme seiner Absichten angeboten wird, dass sie die Gnade Christi mit breitem und dankbarem Herzen annehmen und der Allgemeinheit zuführen. „Es muss der Weg frei gemacht werden von den Hindernissen, die den Heiland abhalten, seine Erlöserliebe in neuer, vertiefter Fülle in der Kirche fließend zu machen“.

5055 |        Es möge auch keine Zeit verloren werden. Ebenso wie der Feind der Seelen unablässig tätig ist, der Kirche Christi zu schaden, ebenso interessiert und tätig sollen sich jene zeigen, die Christus als Vorboten seiner Liebe senden will.

 

Drei weitere Fragen

g. Welche Beziehung zu den Schriften von M. Luise Marg. Claret de la Touche?

5056 |        Die erste Berufung mit den Schriften dem Werk von M. Luisa Margaretha hatte ich gegen Ende 1936 und im Jahre 1937; da habe ich dann gelesen „Herz Jesu und Priestertum“ und „Büchlein von der unendlichen Liebe“ (beide Büchlein Deutsch herausgegeben von Pater Baumann. Andere Schriften von M. Luisa Margaretha gibt es im Deutschen nicht und kenne ich nicht).

5057 |        Tatsache ist aber das Folgende, was sich beweisen lässt aus meinen Aufzeichnungen und aus dem, was ich mehrmals meinen damaligen Seelenführern sagte:

5058 |        Schon am 8. Dezember 1923 verlangte der Herr von mir ein besonderes Gelübde, „ihm Schlachtopfer sein zu wollen für die Ausführungen seiner besonderen Absichten, die er bezüglich der Kirche und des Priestertums habe“. – Im Advent des Jahres 1924 verlangte der Heiland von mir eine spezielle Aufopferung: ihm Opfer zu sein für eine Erneuerung des Priestertums in der Kirche, welche Erneuerung er vorbereite [sic!]. Bei dieser sich wiederholenden geistigen Forderungen Jesu schaute ich immer wieder den „Plan des Herrn bezüglich einer allgemeinen Erneuerung der Kirche durch das Priestertum“ – wie der Heiland sich immer ausdrückte; diesen Plan wollte er ausführen und ich solle ihm dazu als Werkzeug dienen. – Ich fühlte ein großes Widerstreben dagegen wegen des „Außergewöhnlichen“, das der Heiland damit von mir verlangte und auch weil ich mit einem geistigen Lichte erkannte, dass in diesem Schritte noch manches Weittragende verborgen lag. Es würde aber zu weit führen, wenn ich hier darlegen wollte, auf welche Weise mich Jesus schließlich dahin brachte, dass ich mich seinen göttlichen, klar erkannten Absichten fügte. – Mit Erlaubnis meines damaligen Beichtvaters (des Pater Michael Lenz O. P.) legte ich dann das von mir verlangte Gelübde ab um der großen Sache der Kirche willen, so wie ich in tiefer und klarer Einsicht die Absichten Jesu erkannte. Zugleich legte ich das geliebte ewiger Jungfräulichkeit ab.

5059 |        Von dieser Zeit (also von 1924) an gab mir daher immer mehr und im einzelnen Licht über seine Absichten, für die „ihm Opfer sein solle“: „Ich bereite eine allgemeine Erneuerung des Priestertums vor ich will 'neue Gnaden' über das Priestertum ausgießen, weil die gegenwärtige Not der Kirche es verlangt. – Alle Priester werden sich in einem Geiste zusammenschließen durch ein bestimmtes Werk, dass Ich gegründet haben will. Dieser Zusammenschluss aller Priester in einem Geiste wird eine allgemeine Erneuerung der Kirche zur Folge haben. Es wird eine Zeit einer allgemeinen Glaubensvertiefung in der Kirche kommen, und dies wird das Gegenmittel gegen den Unglauben und den geistigen Verfall und die modernen Zeitströmungen in der Welt, bzw. in der Kirche sein. Es wird ein großer Kampf gegen Gott, eine Zeit der Gottlosigkeit kommen; jenes Werk wird dem entgegenwirken und eine geistige Erneuerung herbeiführen …“

5060 |        In jenen Jahren sagte mir der Heiland wiederholt: „Ich will meinen Priestern Mein Herz schenken. Ich will Ihnen Mein Herz öffnen und die Fülle meiner Erlösungsgnaden über sie ausgießen. In Mir und mit Mir werden Sie die heutigen Zeitübel überwinden Kraft der neuen Knaben, die Ich über sie ausströmen lassen will“. – Der Höhepunkt dieser sich ständig wiederholenden Offenbarungen war in den Jahren 1928-1932. Trotz meines Widerstrebens konnte ich mich ihnen nicht entziehen. Es wäre zu lang und geradezu unmöglich, die wiederholten Beteuerungen und Versprechen Jesu betreffs seiner liebevollen Absichten für die Priester der kommenden Zeiten anzuführen. Es ist sicher, dass sich alles dies schon vor dem Jahre 1932 zutrug. Wiederholt betonte mir aber damals der Heiland, dass diese seine Absichten von anderer Seite vorbereitet seien.

5061 |        Als ich darum im Jahre 1936/37 mit den Schriften von M. Luise Margaretha in Berührung kam, waren mir ihre ähnlichen Offenbarungen nichts Neues, sondern vielmehr eine Bestätigung, dass der Herr wirklich schon von anderer Seite her seine Absichten kundgegeben und vorbereitet hatte. In jener Zeit von 1936-1937 sagte mir der Heiland mehrmals mit großer Klarheit: „ich will das Werk in dir fortsetzen, dass sich in M. Luise Margaretha begonnen habe. Ich will diese Meine schon begonnene Aktion (die Priester zu erneuern) mit neuen Gnaden ausstatten. Ich will dieses Werk ausbauen, es mit neuen Gnaden ausstatten und es allen Priestern anbieten und zugänglich machen.“

5062 |        Beim Lesen des „Büchleins von der unendlichen Liebe“ bekam ich wunderbares Licht über die „Einheit der Absichten, die der Heiland schon begonnen habe und nun fortsetzen und in erhörte Form verwirklichen wolle“. – In besonderer Weise erklärte mir der Heiland das hell-dunkle und viel sagende Wort, dass er auch mir schon seit Jahren gesagt und versprochen hatte: „Ich will meinen Priestern mein Herz schenken“. Er erklärte es mir mit folgenden Hinweisen: Er wolle eine spezielle Offenbarung seines Innenlebens (seines Herzens) geben, die er in mir für die Priester vorbereite. Er biete die Fülle seiner Erlösungsgnaden, und damit eine ganz hohe Vereinigung mit ihm an, zu der er die Priester führen wolle. Da mir vieles von dem, was mich der Heiland hatte wissen lassen über seine Absichten bezüglich des Priestertums, noch geheimnisvoll und unverständlich geblieben war, brachte es mir Jesus in Zusammenhang mit dem, was er durch die Sendung von M. Luise Margaretha schon vorgesehen und angedeutet hatte. Jetzt handle es sich um den „Ausbau seines Werkes“ und um die Ausführung seiner Absichten.

 

h. Rein geistiges Werk oder auch äußere Organisation?

5063 |        Diese Frage kann ich kurz beantworten; denn mehrmals hat mir der Heiland hierüber erklärt: jene rein geistige Organisation des „Allgemeinen Priesterbundes der Freunde des Herzen Jesu“ sei nur ein Anfang und eine Vorbereitung auf noch größere Liebesbeweise, die er seinen Priestern zu geben vorhabe. Tief in seinen Absichten verborgen sein noch ein auch äußerlich tätiges Werk für die Priester.

5064 |        Außerdem habe ich innerlich immer ein geschlossenes Institut mit entsprechender Tätigkeit und mit einer für die Mitglieder verpflichtenden inneren Organisation geschaut, niemals aber ein Werk, das einem „Dritten Orden“ ähnlich wäre noch irgendeine bloß geistige Organisation.

5065 |        Die erste klare Offenbarung über das Werk „Wie“ oder über die äußere Form des Werkes der Erneuerung des Priestertums wurde mir gegeben im Jahre 1936 (noch bevor ich irgendetwas von M. Luise Margaretha wusste). Damals begann der Herr, mir zu sprechen [sic!] (was er dann oft wiederholte) von einem „Zusammenschluss von Priestern, die auf seine Absichten der Erneuerung eingehen wollen, so wie er sie wünsche und anbiete; diese Priester einer geschlossenen Form zusammengefasst, werden es sich dann zur Aufgabe machen, alle Priester für den gleichen Geist zu gewinnen“.

5066 |        Im Jahre 1937 zeigte mir der Heiland bestimmte Umrisse des von ihm gewollten und geplanten Werkes zugleich mit einer klaren Grundlage (Vergleich darüber die getrennte geschriebenen „Mitteilungen“ vom August 1937). In den letzten Jahren offenbarte der Herr die tiefere geistige Grundlage, nämlich: Die besagte Glaubensvertiefung, die Zuwendung der Fülle der Erlösungsgnaden, die Christus als „neue Gnaden“ für die Priester bereithält.

5067 |        Immer habe ich das zu gründende Priesterwerk als einen Zusammenschluss von Priestern gesehen, die unter Leitung eines vom Herrn vorbereiteten Priesters in den von ihm angegebenen Geist der Erneuerung eingeführt werden. Diese Priester machen jenen Geist zur inneren Grundlage ihres Priester Lebens und sie arbeiten in einer geschlossenen, einheitlichen Form an der Erneuerung der Priester und bemühen sich, alle Priester in die gottgewollte Erneuerung einzuführen. Organisatorisch schaute ich das Werk ähnlich einem Ordensinstitut, worin jene gottgewollte Erneuerung als Pflichtgrundlage der Gemeinschaft gilt, und wo vom Leiter des Werkes nur jene zur Ausübung der Priesterseelsorge verwendet werden, die selbst in diesem Geiste befestigt sind. Auf diese Weise soll eine einheitliche Durchführung der Absichten Gottes gesichert werden. Dies wurde mir immer klar und bestimmt gezeigt.

5068 |        Ferner schaute ich des Öfteren: „Das Werk wird vielen Anfeindungen ausgesetzt sein und wird deshalb einen bestimmten Schutz brauchen“. Das Werk in sich selbst hat aber eine gewisse Selbstständigkeit nötig, um sich geschlossen und ungehindert seiner Aufgabe widmen zu können. Bei den verschiedenen, in sich möglichen und vom Heiland angegebenen Wegen – die er aber vom freien Willen oder vom Mittun von Menschen abhängig machte – suchte der Heiland in diesen letzten Jahren immer die Unterstützung und Mithilfe von Orten oder Instituten, die das zu gründende Werk hätten unter ihr Protektorat nehmen können, ohne ihm aber jene Unabhängigkeit zu entziehen, die notwendig ist für die Erfüllung seiner Aufgabe gemäß den Absichten des Herrn.

5069 |        Der Heiland gab mir bezüglich der Verwirklichung seines Werkes immer folgendes an: „Die Anerkennung Meines Willens bezüglich des Werkes wird den betreffenden Stellen den Weg weisen zur Ausführung meiner Absichten“, d. h.: Hat man einmal erkannt und anerkannt, dass das Werk selbst von Gott kommt und Gott gewollt ist und dass es übergroße Gnaden sind, die er damit den Priestern und der Kirche anbietet, und will man folglich alles tun, um das große Liebesgeschenk Gottes zu verwerten, dann wird – von diesem Punkte aus und nur von diesem Punkte aus – sich ein wirksamer und fruchtbarer Weg eröffnen zur äußeren Durchführung des Werkes. Das Erste und Wichtigste ist also: Das Werk als von Gott kommend und als Gott gewollt – aufgrund einer Prüfung – anzuerkennen; dann werden sich die Wege zur Durchführung der Absichten Gottes wie von selbst zeigen und ebnen.

5070 |        

i. Ein bestimmter Priester für das Werk?

5071 |        Schon seit dem Jahr 1924 ließ mich der Heiland im Geiste immer wieder einen „Priester“ schauen, für den ich opfern und beten sollte. Dann wieder zeigte er mir jene Priesterseele, der meine Gebete und Opfer zugutekäme und die er zu einer besonderen Vereinigung mit ihm berufen habe. Wiederholt ließ mich der Heiland jenen Priester schauen in seinem Herzen. Jesus sagte mir: „er ist eine Johannesseele, die immer in meinem Herzen lebt“. Ein andermal sagte mir der Heiland, indem er mir ein bestimmtes geistiges Gesicht (von einem reifenden Ährenfeld) erklärte: „er ist Mir ein Weizenkorn, das in Mir viele Frucht bringen wird“. – Schon im Jahre 1929 wusste ich innerlich, dass es ein Ordenspriester sei. Und immer wieder versprach mir der Heiland, mich mit diesem Priester, den er für seine Absichten vorbereite, zusammenzuführen.

5072 |        Ich begriff aber noch nicht ganz, was für eine besondere Bewandtnis es eigentlich mit diesem Priester habe, den ich so oft im Herzen Jesu schaute und mit dem ich im Geiste verbunden war; denn ich konnte in jenen Jahren die wiederholten diesbezüglichen Hinweise und Andeutungen Jesu noch nicht ganz verstehen und erfassen. Klarer wurden mir diese Andeutungen Jesu vom Jahre 1930 an. Ich wusste zum Beispiel, unter welchen Umständen ich ihn einmal treffen würde (dass ich ihm schreiben werde und er mir als erste Antwort ein Buch schicken wird usw.); ferner wusste ich um seine besondere Aufgabe, zu der ihn der Herr vorbereitete; ich wusste, welch große geistige Anforderungen an ihn gestellt seien und welche besondere Vorbereitung daher für ihn notwendig sei, damit er ausführen könne, was Gott mit ihm bezwecke. Merkwürdigerweise schaute ich auch den Leidensweg jenes Priesters voraus: Wie er nämlich um dessentwegen, was Gott von ihm will, von seinen Vorgesetzten seines Amtes enthoben werde, wie sehr große Verdemütigungen und Leiden über ihn kommen werden; wie man ihm die Ausübung der Seelsorge verbieten wird und er darunter besonders leiden werde; wie er verdemütigt und unter alle seine Mitbrüder gestellt werden wird; das werde ihm widerfahren vonseiten seiner oberen dort, wohin er gerufen werden wird usw.

5073 |        Im September 1936 hatte ich die Anregung, an H. Pater Ferdinand Baumann S.J. zu schreiben und er schickte mir als erste Antwort ein Buch (weil er in jenem Augenblick nicht gleich Zeit hatte zu einer ausführlichen Antwort). Dann lud er mich ein zur Teilnahme an Exerzitien, die er in jenen Tagen zu geben hatte. Obwohl dies aus mehreren Gründen ganz unmöglich schien, konnte ich doch die 650 km weite Reise (von Graz nach Feldkirch) machen, wie mir übrigens vom Heiland mit Sicherheit vorhergesagt worden war.

5074 |        Beim ersten Vortrag des Partners, den ich anhörte, sagte mir der Heiland ganz klar und sicher (am 4.4.1937): „Auf diesem und auf solchen ruht das Geschick meiner Kirche“. (In diesen kurzen Worten war klar der geistige Sinn enthalten: Aus solchen Priestern mit diesem Geiste, von denen dieser hier der erste ist und von dem viele andere folgen werden, ruht das Geschick meiner Kirche.) Am Abend des gleichen Tages sagte mir Jesus beim heiligen Segen: „Dies ist der 'Sohn meines Herzens', den ich für meine Absichten vorbereitet habe. Eröffne ihm alle Gnaden, die Ich dir gegeben habe“. Dies war aber für mich eine große Überwindung, weil ich die Absichten Jesu und seine diesbezüglichen Pläne für die Zukunft immer noch nicht ganz begriffen. Unter anderen Gnadenerweisen, die auch den Pater betrafen, sagte mir der Heiland: „Diesen habe ich zur Ausführung meiner Absichten und zur Gründung meines Herzens vorbereitet. Er wird meinen Priestern die Frohe Botschaft meiner Liebe verkünden … Aber es wird ein großes, geistiges Martyrium über ihn kommen; er braucht Märtyrergeist, um alles überwinden zu können.“ Außerdem gab der Heiland uns noch viele außergewöhnliche, beiden gemeinschaftliche Gnaden. Ich sollte diesen Priester auch veranlassen, dass er sich ganz dem Herzen Jesu als Schlachtopfer hingebe. „er wird die großen Beweise meiner Liebe zu den Priestern entgegennehmen“, sagte mir der Heiland ferner bezüglich dieses Priesters.

5075 |        Es kam dann der große Kampf gegen die Absichten Jesu bzw. gegen das Priesterwerk. Der Heiland hatte mich vieles darüber schon vorher wissen lassen. So wusste ich zum Beispiel schon ein Jahr vorher, unter welchen Umständen dieser Priester nach Rom gehen werde, wohin er gerufen würde usw. Heute sehe ich, wie alles genau in Erfüllung gegangen ist, was mich der Heiland betreffs dieses Priesters schon mehr als zehn Jahre vorher hatte wissen lassen. Und ich könnte alles, was sich hier niedergeschrieben habe, mit einem Eid bestätigen. Ich habe übrigens nur einen Teil meiner Beweise geschrieben, weil ich sonst zu viel schreiben müsste. – Außerdem gab mir der Heiland noch viele Beweise, die nicht mitteilbar sind für andere, und die mir zeigten, dass jener Pater wirklich der Priester sei, denn der Herr selbst zur Ausführung seiner Absichten vorbereite.

5076 |        Kurz gesagt, ich würde mich einer großen Untreue vor Gott schuldig machen, wenn ich wegen der bestehenden Schwierigkeiten an diesem Punkte zweifeln würde. Nachdem der Herr alles Übrige, diesbezügliche wahr gemacht hat, will ich weiter beten und opfern, bis auch diese Mauern und Hindernisse fallen werden; denn Gott ist getreu und macht nichts halb. Wenn Pater Baumann nicht der vom Herrn Bestimmte wäre so würde ein großer, untrennbarer und wesentlicher Teil meines Innenlebens zu Fall kommen und müsste ich dann auch an vielen anderen zu zweifeln beginnen. Dieser Punkt ist ein wesentlicher Teil meines Innenlebens, weil er sich schon seit 20 Jahren wie ein notwendiger Faden durch das Ganze hindurch zog. Darum scheint er mir ebenso sicher Gotteswille zu sein wie das zu gründende Werk selbst.

5077 |        Der Heiland hat mir auch wiederholt die Gründe angegeben, warum er einen bestimmten Priester wolle: Die Erneuerung der Priester – so erklärte er mir – ist an einen bestimmten inneren Geist gebunden, den er selbst in einem Priester grundlege, indem er diesen durch viele Leiden bewege, seine Absichten mit Erfolg und fruchtbar auszuführen. Die Erneuerung der Priester bzw. die Gründung des Werkes ist ja nicht eine Sache, die sich aufgrund eines – wenn auch noch so gründlichen – Studiums durchführen und auf andere übertragen ließe, sondern dieses Werk beruht auf einer eigen-persönlichen, religiösen Vertiefung und Selbstanwendung des betreffenden Geistes und Sinnes. Wer den gottgewollten Geist der Erneuerung weitergeben soll, der muss zuerst selbst im Besitz der versprochenen, neuen Gnaden sich vertiefen und befestigen; nur auf diese Weise kann das Werk selbst zu jener geistigen Fruchtbarkeit heranreifen, die der Herr damit erreichen will. Wenn sich der dem Gott gewollten Werke eigentümliche Geist nur auf einem vertieften Studium aufbauen würde, so wäre das ganze Werk wie ein auf Sand gebautes Haus. Deshalb gibt Gott selbst seinem Werke Gott gewollte Vertiefung und die fruchtbare Grundlage.

5078 |        Man könnte ferner Fragen – und ich habe mich selbst oft gefragt –, warum der Herr einen Jesuiten dafür berufen habe, nachdem doch manche Jesuiten behaupten, dass die Sache mit den Satzungen der S.J. Nicht vereinbar sei. Auf diese Frage hat mir der Heiland folgende Antwort und Erklärung gegeben: Das Werk braucht eine entsprechende Grundlage nicht nur auf geistig-religiösen Gebiete, sondern auch auf dem Gebiete der wissenschaftlich-theologischen Studien und Ausbildung. Es braucht eine lange Vorbereitung und Schulung, um – nicht unter dem Volk in erster Linie, sondern – unter Priestern zu wirken, die selbst theologisch gebildet sind. Deshalb will daher die Art der Jesu britischen Ausbildung zur Grundlage des Werkes nehmen, damit auch diesbezüglich eine solide Basis geschaffen sei. Zudem wird das Werk auch auf literarischem Gebiet und besonders durch geistliche Übungen (Exerzitien und Konferenzen) viel zu leisten haben. Zu all dem braucht es aber eine lange und solide Ausbildung, denn nur dann werden die Priester des Werkes auf andere Priester Einfluss gewinnen können. Es braucht einen gewissen geistlichen und geistig-wissenschaftlichen Vorsprung, um theologisch geschulte Priester für diese geistigen und religiösen Interessen zu gewinnen. Deshalb betont der Heiland immer wieder, dass sich das Werk auf „Jesuitische Grundlage“ stellen solle, um diesen geistig-wissenschaftlichen Vorsprung zu sichern.

5079 |        Damit ist aber nicht gesagt, dass das zu gründende Institut „neue Jesuiten bilden“ wolle (wie man zu befürchten scheint), die dann eine Gefahr würden für die S.J. Es soll nur die Art der jesuitischen Ausbildung als Grundlage genommen werden, auf der sich der Eigenzweck und die geistige Fruchtbarkeit des Werkes aufbaut.

5080 |        Deshalb habe ich von Anfang an es als einen Herzenswunsch des Heilands angesehen, dass das Werk selbst mit der S.J. verbunden bleibe. Aber auch jetzt – nachdem die S.J. das Werk für den Orden abgelehnt zu haben scheint – wird der Herr seine Absichten und Pläne zum Siege führen, wenn man alles seiner allmächtigen Hand anvertraut und überlässt.

5081 |        Aus all diesen Gründen will der Heiland, „dass man hinwegsehen über die scheinbaren oder tatsächlichen äußeren Schwierigkeiten, um in erster Linie auf den allgemeinen Zweck des Werkes zu schauen, nur das Heil der Seelen und das Wohl der Kirche im Auge zu haben, und somit das Ganze auf ein ganz übernatürliches Geleise zu stellen“.

 

Kurze Zusammenfassung

1. Der Herr will im Priesterwerk die Zusammenfassung von Lehre und Praxis; dies ist die Grundlage des mir seit Jahren gezeigten und vom Herrn gewollten Priesterwerkes, das nach seinen göttlichen Absichten eine allgemeine Priestererneuerung in sich schließt. Es ist ein theologisches Werk, in dem sich die Lehre der Theologie mit der Anwendung auf das praktische Leben verbindet.

2. Durch diese Vereinigungen von theologischer Lehre und lebendiger Praxis wird sich die heute unüberbrückbar scheinende Lücke schließen, die sich zwischen christlicher Lehre und tatsächlichem Leben der Christen gebildet, und die großenteils die heutige Glaubensverflachung verursacht hat.

3. Der Herr ist bereit, im Hinblick auf die Not der Zeit – seinem Versprechen gemäß und im Einklang mit der allgemeinen göttlichen Offenbarung – die Gnaden einer subjektiven Vollerlösung als „neue“ Gnaden nun allen Priestern zu gewähren, die eingehen auf jene von ihm gewollte Glaubensvertiefung. Diese subjektive Vollerlösung gründet und stützt sich auf die persönliche Anwendung des objektiv unerschöpflichen Reichtums der Erlösungsgnaden. – Der Herr ist bereit, alle der theologischen Lehre entsprechend Gnaden auszugießen, und zwar nach dem Maße des Glaubens an die Offenbarungslehre selbst. Die soll das Merkmal einer kommenden „neuen Zeit“ in der Kirche sein, dass der Herr seine göttliche Wirkkraft in den Priestern offenbart und erblühen lässt nach dem gerade ihres Glaubens. Dadurch will der Herr die Einflüsse des materialistischen Geistes überwinden, indem die Welt heute verfallen ist. Mittels der gelebten Glaubensvertiefung will er gleichsam eine religiöse Neuorientierung der Geister und einen neuen Geist der bewussten Abhängigkeit von Gott herbeiführen.

4. Aus den angegebenen Gründen wünscht der Herr, dass man alles tue, um das Werk zur Verwirklichung zu führen; er wünscht, dass man keine Zeit unnütz vergehen lasse, denn dies würde einen geistigen Entzug der den Priestern zugedachten Gnaden gleichkommen. „Die gesunkene Welt wartet auf erneuerte Priester“, und die wahre Erneuerung kommt nur auf dem Wege über ihn, über Christus, der sich seinen Priestern neu mitteilen will in der Fülle seiner Erlösungsverdienste, kraft einer neuen Vereinigung mit ihm, die in der vollen Annahme, Zuwendung und Ausnutzung der Erlösungsgnaden ihren Ursprung hat. Es soll darum den betreffenden Stellen oder Söhnlein nicht „gleichgültig“ sein, ob und wann es zu einem Anfang des Werkes komme oder ob sich dieser Anfang verzögere, sondern man soll alles daran setzen, um diese neue Quelle von Gnaden fließend zu machen und um alle Priester zu dieser Quelle hinzuführen.

5. Das konkrete Werk ist zunächst eine Vereinigung von Priestern mit entsprechender Schulung, welche Theorie und Praxis zu verbinden und diese Art des christlich-priesterlichen Lebens allen Priestern zu erklären und alle darin einzuführen suchen. Das Priesterinstitut in sich selbst ist gleichsam „farblos“, d. h., es hat nur Christus, den Hohenpriester, zum Vorbild und zur Grundlage der geistigen Gemeinschaft und Einheit, und es hat als gemeinsames Ziel der Mitglieder einen möglichst hohen Grad der Zuwendung der Erlösungsgnaden oder, mit anderen Worten, einen möglichst hohen Grad der subjektiven Erlösung.

6. Man möge absehen von der „Privatoffenbarung“ und diese nur als Ausgangspunkt und Zielrichtung betrachten, um dem Priesterwerk die richtunggebende Gewalt in der praktischen Ausführung zu geben. (Das Wesentliche des Priesterwerkes ist die Zusammenfassung von Lehre und Leben, Theorie und Praxis, zunächst in einem Kreis von Priestern mit guter theologischer Ausbildung. Diese Priester sollen ihre Aufgabe darin sehen: allmählich alle Priester für diesen Geist theoretisch-praktischer Ausübung zu gewinnen; den sich erhebenden Schwierigkeiten in theologisch geschulter Weise mit Wort und Schrift zu begegnen; in der Seelsorge besonders bei den tristen für die Anerkennung und die Vertiefung dieser Lehre zu arbeiten.)

7. Das Priesterwerk „steht zwischen den alten Orden“. Die tomastische Lehre soll als geistiger Ausgangspunkt, die jesuitische Arbeitsmethode als praktische Grundlage genommen werden, um das Werk erfolgreich in einer bestimmten Linie ausführen zu können (deshalb hat der Herr auch einen Jesuiten dafür vorbereitet und bestimmt).

8. Man würde sich täuschen, wenn man eine Glaubenserneuerung herbeiführen wollte, die nicht ihren Ausgang nehme von einem zuerst gelebten und ausgeübten Glauben jener, die Christus als Nachfolger seiner Apostel für die Kirche bestellt hat. Die geistige Leitung und praktische Einführung in den erneuerten Geist sowie die innere Organisation des Werkes und dessen Arbeit für die Priesterseelsorge soll dem Pater Baumann S.J. obliegen.

9. Ob man nun für oder gegen das Priesterwerk eingestellt ist: Niemand kann im Ernste behaupten, dass es dogmatisch nicht gut oder nicht zeitgemäß und Zeit notwendig sei. Schon aus diesem Grunde scheint also der Wille zur Ausführung des Werkes durch die heutigen Zeitverhältnisse geboten. Man möge also von dieser Mindest-Begründung ausgehen und die durch Privatoffenbarung gegebenen Mitteilungen der göttlichen Absichten an zweite Stelle rücken. Der Herr wies mich hin auf seine Mahnung im Evangelium, „die Zeichen der Zeit zu verstehen“ (Matthäus 16,4).

Der Geist Gottes „sagt“ nicht immer alle konkreten Einzelheiten, sondern überlässt es vielfach den Menschen, über seine Werke zu beraten. Gott liebt es, durch die liebevolle Anerkennung seiner göttlichen Absichten und Pläne verherrlicht zu werden, und er gibt dann diesen Bemühungen seinen göttlichen Segen und lässt sie zu seiner Ehre gedeihen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Pro Memoria

 

ist als eine Zusammenfassung über das Priesterwerk zu betrachten.

einmal korrigiert

 

 

 

Teil 04.10.1943 (S. 1-7)

5082 |        1. Zum Verständnis muss ich wohl einen kurzen Überblick über meine innere Gnadenführung vorausschicken. – Schon von frühster Kindheit an kam mir der liebende Heiland mit besonderen Gnaden entgegen, die mich zu einem Leben inniger Frömmigkeit anleiteten. Mit meinen Jugendjahren wuchsen auch diese außergewöhnlichen, göttlichen Antriebe in meiner Seele, die mich zu immer vollkommenerer Hingabe und Vereinigung mit Jesus führten. – Vom Jahre 1921 an würdigte sich der Herr, sich meiner Seele in einer außergewöhnlichen Weise zu offenbaren und mir seine besonderen Absichten mitzuteilen. Wie er es wollte, opferte ich mich (im Jahre 1922) mit Erlaubnis eines Jesuitenpaters anlässlich heiliger Exerzitien ganz auf, indem ich ihm das „Opfer meines Lebens“ brachte, um ihn gleichsam zum Vollbringer meines Lebens zu machen. Im Jahre 1924 legte ich zugleich mit dem Gelübde ewiger Jungfräulichkeit auch jenes ab, „ihm Schlachtopfer zu sein“ für die besonderen Absichten, die er mit mir vorhabe, die mir aber zum Teil noch verborgen waren. „ihm Opfer zu sein“: Dies wurde die tägliche immer drängendere Forderung des Herzens Jesu an meine arme Seele, die er in großen inneren und äußeren Leiden für seine Absichten erzog.

5083 |        Als letztes Ziel seiner besonderen Gnaden ließ er mich von den Jahren 1924/25 an immer klarer schauen: „Das Werk einer Erneuerung des Priestertums, das eine allgemeine Erneuerung der Kirche zur Folge haben soll“. In unzähligen Gnadenstunden ließ er mich schauen: Einerseits die heutigen Zeitübel des Unglaubens, des Materialismus usw. und demgegenüber anderseits sein liebeerfülltes Herz, das seiner Kirchen neue, den Nöten und Bedürfnissen der Zeit entsprechende Gnaden geben wolle, die in erster Linie den Priestern zukommen sollten und durch die er ein neues, vertieftes Glaubensleben und damit jene „Erneuerung der Kirche“ herbeiführen wolle. Die Priester als die bevorzugten seines Herzens sollten in besonderer Weise teilhaben an ihm, und durch ihn und sein Leben in den Priestern soll neues, tieferes Glaubensleben in den Seelen entfacht werden. Jesus selbst wolle in den Priestern das Heilmittel gegen die heutigen Zeitübel werden. In jenem Werk sollten die Priester alle in einem Geiste und Sterben vereint und dem heutigen Geist des Unglaubens entgegengestellt werden.

5084 |        2. Zur Erreichung dieses seines Zieles zeigte der Herr von Anfang an zwei miteinander verbundene und ineinandergreifende Mittel:

A Eine tiefere Kenntnis der innersten Geheimnisse des Erlöserherzens.

B Daraus erwachsend eine Gesellschaft von Priestern, die in einem vertieften Glauben an die im Erlöserleben Christi eingeschlossene Verdienste und Gnaden dieses voll zu verwerten und sich anzueignen suchen und dadurch zu einer stufenweisen Befreiung von den moralischen Folgen der Erbsünde gelangen und damit „Christus anziehen“, wie der heilige Paulus sagt.

5085 |        Als Beweis für die Wahrheit der versprochenen Gnaden der Lebensverbundenheit mit Christus hat der Herr von Anfang an und immer wieder das Leben des inneren Erlösungsgeheimnisses, gleichsam der Psychologie des Gottmenschen und Erlösers, angegeben, zu dem er mich in lebenslanger Vorbereitung und Läuterung geführt hat. – Schon seit Jahren offenbart sich mir darum der Heiland im Geheimnis der hypostatischen Vereinigung in einem besonderen Erleben und Erfahren seines inneren Erlösungsgeheimnisses und der inneren Leiden seines Herzens. Dies erlebte und erfahrene Geheimnis der hypostatischen Union, das mir fortlaufend geoffenbart und erklärt wird, bildet nach dem Willen des Herrn den Grundbeweis für seine Wünsche an die Priester. Aus diesem Miterleben seines gottmenschlichen Geheimnisses bildet sich in mir nach den Absichten des göttlichen Herzens ein Miterleben und Miterleiden seiner inneren Erlöserleiden aus. – Diese Offenbarungen sind aber in erster Linie für die Priester bestimmt, denen der Herr auf diese Weise tiefer sein Herz zeigen und offenbaren will. Die mir gegebenen Gnaden des Einsseins mit Christus und des Erlebens seines Herzens sind zugleich das Vorbild und der Beweis für die Gnaden, die der Heiland den Priestern anbietet, die bereit sind, daran zu glauben, dass diese Gnaden einer Vollerlösung wirklich in seinem Erlöserleben eingeschlossen sind, und die sie darum anstreben und für sich verwerten. Der Priester soll ja in einer intimen Weise teilhaben am Leben seines göttlichen Meisters und die diesbezüglichen Offenbarungen sollen ihn tiefer einführen in das Herz des göttlichen Hohenpriesters, das sein ewiges und höchstes Vorbild und Gnadenquelle ist.

5086 |        Es wäre unmöglich, in einem kurzen Umriss jenen vom Heiland versprochen und angegebenen Beweis für die göttliche Herkunft des Priesterwerkes näher zu erklären; das ist im Einzelnen in den schriftlichen Aufzeichnungen dargelegt, die sich auch bei P. Merk befinden, der mir – ebenso wie all meine früheren Seelenführer – immer wieder versicherte: Das könne kein Mensch erfinden und an der Richtigkeit und göttlichen Herkunft könne keinen Zweifel sein. – Ebendort ist auch bis ins Einzelne die von Christus geforderte Glaubensvertiefung für das zu gründende Priesterwerk angegeben, die der Herr vermittels dieses Werkes den Priestern allgemein übermitteln will. – Natürlich werden nicht die Offenbarungen als solche zur Grundlage genommen, sondern der darin enthaltene theologisch-dogmatische Glaubensgehalt soll herausgeholt, kirchlich geprüft und dann zur Grundlage der vom Heiland gewollten Glaubenserneuerung und Glaubensvertiefung gemacht werden. Die Frucht wird sein eine tiefere Kenntnis der innersten Geheimnisse der göttlichen Liebe und des unermesslichen Reichtums der uns erworbenen Erlösungsverdienste, sodass die Früchte der Erlösung voll und wirklich anerkannt und angestrebt werden.

5087 |        Im Priesterwerk sollen zunächst berufene Priester in das Innere des Erlöserherzens eingeführt werden und damit zugleich eine Bestätigung haben für die Art der Glaubensvertiefung, die Jesus von seinen Priestern wünscht und aufgrund deren er ihnen jene neuen Gnaden verspricht. Welche Art sind diese neuen Gnaden? Es sind Gnaden einer fortschreitenden und aufsteigenden Entsündigung, einer sittlichen Erhebung des „alten Menschen“ in einen neuen, erlösten Menschen, der Kraft dieser sittlichen Erhebung einer inneren Umwandlung in Christus nahekommt, Gnaden also, die schon in den Erlöserverdiensten Christi eingeschlossen sind, aber die bisher noch nicht allgemein verwertet und eröffnet wurden. – Die Mitglieder sollen damit das Leben Christi in sich aufnehmen und in allem Christi Stelle einnehmen wollen, sollen in einem vertieften Glauben an ihr Priestersein Jesu Erlöserleben und Erlösersorge um die Seele in sich fortsetzen, Christi Interessen und Anliegen ganz und ausschließlich zu den ihren machen, sodass wirklich wahr werde: Der Priester, ein zweiter Christus!

5088 |        Diese neuen Gnaden der Vereinigung mit Christus und der neuen Fruchtbarkeit des priesterlichen Wirkens werden – nach dem Versprechen und Willen des Heilands – den Priestern zufließen durch das beständige Mitopfern mit der heiligen Messe. Durch ihre tägliche Mitopferung will der Heiland jene geheimnisvolle Verbindung mit seinen Priestern herstellen, die nach und nach ihr ganzes Priesterleben durchdringen und sie in ihn umgestalten wird. Alle Priester, die sich mit Christus auf dem Altar opfern und diese Gesinnung in ihr Priesterleben und Tagewerk hineinzutragen sich bemühen, werden das Leben Jesu in sich verwirklicht sehen. „Ich will damit“ – so verspricht der Heiland – „allen Priestern einen Strom neuen Lebens eröffnen, der ich selbst bin, und sie werden neues, geistiges Leben in den Seelen wecken; ich nehme sie durch ihre Mitopferung in mich auf und gebe mich ihnen zurück. Dieser Strom meines Lebens wird meine ganze Kirche überfluten.“ – Es handelt sich dabei nicht um Außergewöhnliches, sondern es braucht nur einen folgerichtigen Glauben. Im Priesterinstitut soll dieser Glaube vorbildlich geübt und vorgelebt werden.

5089 |        3. Äußerlich ist das von Gott gewollte Priesterwerk ein Zusammenschluss, eine Gesellschaft von Priestern, die jene durchgreifende Glaubensvertiefung im Einzelnen bei sich durchführen und den Seelen, bzw. dem Volke vorleben und vermitteln wollen. Diese Gesellschaft soll sich zur besonderen Aufgabe machen, alle Priester der Kirche in den gottgewollten Erneuerungsgeist einzuführen und in einer allgemeinen Priestererneuerung zusammenzuschließen und damit auch Priester und Volk in einem neuen Glaubensleben zu größerer Einheit zusammenzuschließen. – Zugleich mit dem Priesterwerk ließ mich Jesus seit Jahren im Geist jenen Priester schauen, den er sich für die Absichten seiner Liebe vorbereite, und den er selbst erziehe und bilde zur Ausführung bzw. zur Gründung dieses Werkes. Im Jahre 1936 führte mich der Herr mit ihm persönlich zusammen, nachdem ich ihn mehr als zehn Jahre lang im Herzen Jesu gekannt hatte (P. Ferdinand Baumann S.J.). Er soll unter dem Protektorat eines Kirchenfürsten die Gründung und Leitung jener Gesellschaft von Priestern in dem von Jesus gewollten Geist der Erneuerung übernehmen, weil er vom Herrn dafür vorbereitet ist.

5090 |       Grundlinien, die theologisch ausgearbeitet werden müssten:

1. Letzter besonderer Zweck der Gründung ist Priesterseelsorge im Geiste jener gottgewollten Glaubensvertiefung. Alle Priester sollen in diesem Geiste zu einer Einheit zusammengeschlossen werden.

2. Geistige Grundlage des Institutes: Jene vom Heiland geoffenbarte Glaubensvertiefung, die sich die einzelnen Mitglieder zur Aufgabe und Pflicht machen und wofür der Heiland jene „neuen Gnaden“ verspricht – die aber dogmatisch-theologisch schon im allgemeinen überlieferten Glaubensgut begründet und enthalten sind. – Es handelt sich um eine Vertiefung gegenüber der heutigen religiösen Verflachung, um ein tieferes Herausholen und Verwerten der uns vom Erlöser erworbenen Verdienste und der Reichtümer, die in seiner heiligen Menschwerdung und in seinem Erlöserleben enthalten sind. – Der Heiland gibt diese Gnaden als neue Gnaden, insofern sie bisher nicht so allgemein gewertet und ausgewertet wurden. Er gibt sie jetzt, weil die heutigen Zeitverhältnisse und Nöte es erfordern. Die Priester aber, als die Gott am nächsten Stehenden, sollen als Erste diesen versprochenen Anteil am Erlöser und seinen Gnaden in sich erfahren.

3. Zur Beleuchtung und Erklärung der schon im allgemeinen Glaubensgut angeschlossenen Reichtümer führte mich der Heiland in jene theologische Vertiefung des Glaubens ein, wie [es] in den Aufzeichnungen angeführt ist.

4. Als Beweis des gottgewollten Werkes lässt mich Jesus das innere Erlösungsgeheimnis erleben, das Geheimnis der hypostatischen Union Christi und seine inneren Erlöserleiden.

5. Das Werk selbst soll jetzt nur in seiner geistigen Grundlage und Grundform vorgelegt werden: Eine Gesellschaft von Priestern zum Zwecke und mit der Aufgabe jener angegebenen Glaubensvertiefung, unter der Leitung von H. P. F. B. – Alles andere wird der göttliche Gründer durch seine Vorsehung fügen und sich ergeben lassen.

6. Das Werk wird eine „Entwicklung erleiden“ wie alle derartigen Institute. Es wird einen Anfang, eine Entwicklung und einen letzten Ausbau haben. – Es wäre nur zum Schaden des Werkes, wollte man jetzt sich auf eine bestimmte äußere Form festlegen; das würde nur Widerspruch und Verwirrung hervorrufen.

 

Teil 1947 (S. 8-9)

5091 |        1. Das Priesterwerk ist eine Vereinigung von Priestern, die nach einem vertieften Glaubensgeiste leben, der im Dogma begründet ist. Die theoretischen Lehre der Theologie sollen in Tat und Leben umgesetzt werden, indem man auch im praktischen und konkreten Leben das verwertet, was Christus in seiner Lehre niedergelegt hat und was er auch gelebt, getan und verwirklicht sehen will. – Zu diesem Zwecke sollen auch die Schäden der heutigen Zeit in Betracht gezogen werden und soll die Dogmatik auf die heutigen Zeitverhältnisse angewendet werden. So soll in einem vertieften Glaubensleben die theologische Lehre und praktische Ausübung ihrer Folgerungen vereinigt werden. Die Mitglieder des Priesterwerkes sollen in diesem Geiste geschult und zu Aposteln des Priestertums herangebildet werden.

5092 |        2. Die praktische Arbeit des Priesterwerkes besteht in der Veranstaltung von Exerzitienkursen in diesem Geiste, in theologischen Nach- bzw. Schulungskursen1755 von der Theologie als Wissenschaft auf die praktisch-aszetische Selbstanwendung. Das aszetische Leben des Priesters wird – im Hinblick auf dessen Vorzugsstellung als Mittler zwischen Christus und dem gläubigen Volk – ins rechte und notwendige Licht gerückt. Damit soll ein System geistiger Erneuerung und seelischer Vertiefung angeregt werden – was im Laufe des Studiums vielfach mangelt und was den Priester oft erst in der Zeit seiner Seelsorgetätigkeit zum Bedürfnis wird. Die heutige Zeit der Gottlosigkeit und der Abwendung von Gott erfordert auf der anderen Seite eine große Fülle in Gott, die sich in erster Linie im Priester finden soll, sodass dieser sie kraft seines apostolischen Amtes Ausströmen lassen kann.

5093 |        3. Das Priesterwerk soll eine Organisation darstellen, in der alle apostolischen Tätigkeiten aus einer entsprechenden geistig-sittlichen Ordnung und Befähigung fließen können. Das große und hohe Ziel des Priesterwerkes verlangt eine entsprechende Grundlage und einen Unterbau, auf dem sich die vom Herrn gewollten und gebotenen Früchte entfalten können. Der Herr hat als Grundlage dafür die jesuitische Schulungsform und als Hilfsmittel zum Aufbau die ignatianische Arbeitsmethode gewählt. Der Studiengang des Priesterwerkes muss Rücksicht nehmen auf die Betätigung seiner Mitglieder unter geistig hochstehenden Persönlichkeiten; die Arbeitsweise muss jenen apostolischen Anforderungen angepasst sein. Dazu muss aber vor allem auch das eigene persönliche Streben nach sittlicher Vervollkommnung als praktisches Selbstideal und als geistige Ausgangspforte im Inneren des Priesterwerkes vorhanden sein. Deshalb hat der Herr auch von Anfang an seine Absichten auf eine bestimmte Priesterpersönlichkeit gelegt und beabsichtigt damit das seine göttliche Pläne, die nur Liebespläne für seine Kirche und zum Nutzen der Menschheit sind, in einer einheitlichen gelebten Form zur Ausführung kommen und in einer entsprechenden vorbereiteten Persönlichkeit zu einer konzentrischen Zusammenfassung und Verwirklichung kommen. Es muss eine organische Hinordnung auf das Ziel geschaffen werden, damit die entsprechenden Voraussetzungen, die notwendige Zielhaftigkeit und die objektive Leistungsfähigkeit des Priesterwerkes gewährleistet werden.

 

Zwei Briefe (S. 10-13)

Rom, den 11. Oktober 1948

Hochwürdiger Herr Professor!

5094 |       Der Herr hat mir wiederholt zu verstehen gegeben, er lasse durch meine Wenigkeit die geistigen Grundlagen und die äußeren Hauptpfeiler des Werkes angeben, die gewahrt werden müssen, damit das Werk seinen göttlichen Zielen und Absichten diene. Die Grundlinien dieser übernatürlichen Erkenntnisse waren von Anfang an, d. h. seit mehr als 20 Jahren, diese: Ein Zusammenschluss von Priestern, die nach „jesuitischen Arbeitsmethode“ Apostel für das Priestertum werden, um möglichst alle Priester in einem Geiste zusammenzufassen, und zwar auf der Grundlage eines vertieften Glaubenslebens bzw. einer vertieften Theologie, aus der in praktischer Anwendung jene Gnaden herauszuholen sind, die Jesus unserer bedrängten Zeit vorbehalten hat, die aber im Grunde schon immer in der allgemeinen Offenbarung enthalten waren und sind. Dass der Herr einen Jesuiten dazu erwählt habe, diene eben dem Ziele des Werkes. – Wie sich das Werk konkret im Einzelnen entwickeln werde, das wird wohl weitgehend das erste Komitee jener Priester zu beraten haben, die sich die Absichten und Anliegen des Herrn zu ihrem eigenen Herzensanliegen machen, um sie in möglichst vollkommener Weise zum Heil der Priester und der Kirche zu verwirklichen.

5095 |        Der Widerstand der S.J. liegt heute, wie vor zehn Jahren, immer noch in der Unkenntnis oder in den Vorurteilen über die Sache selbst, die von P. Gen. Lodock. von vornherein als Überspanntheit einer Frau usw. abgetan wurde. Und bis heute hat sich niemand von der S.J. die Mühe genommen, der Sache oder den betreffenden Personen auch nur ein Mindestmaß von Glaubenswürdigkeit entgegenzubringen, um wenigstens einmal mit ihnen zu reden. (Dem Pater Baumann wurde von vornherein untersagt, sich mit der Sache zu befassen.) Man hat auch vonseiten der S.J. niemals mit maßgeblichen Persönlichkeiten gesprochen, welche die ganze Angelegenheit geprüft und als sehr gut und notwendig befunden haben. Das sind Tatsachen. – Und wäre nicht in meiner armen Seele eine ganz besondere Gnade, eine Art Befestigungsgnade, wirksam, so wäre es mir – und wohl jeder schwachen Frauen Seele – unmöglich gewesen, eine solche jahrelange Prüfung des Glaubens und ein solches, wohl kaum von jemand geahntes Maß von Leiden zu tragen. Ich stütze mich heute nur mehr auf die Größe des Kreuzes, das meine ganze Hoffnung ist.

5096 |        Im Übrigen ist mit dem Werk alles einfacher, als es aussehen mag. Man muss nur einsehen wollen, dass heute eine Vertiefung und Erneuerung tatsächlich notwendig ist und dass sich alles sehr vernünftig und zweckmäßig in die Forderungen und Notwendigkeiten der Zeit einbauen lässt. Bei all den genausten privaten Untersuchungen durch Sachverständige ist noch kein dogmatisch-theologischer Widerspruch oder Schwierigkeit gefunden worden. Wenn man aber nur die Schriften allein nimmt und mit vorgefasster Meinung liest, wird man freilich manches unrichtig oder anders deuten und auslegen können, als es in Wirklichkeit gemeint ist.

5097 |        Gewiss könnte z. B. ein Bischof die Sache an sich ziehen und den Pater Baumann von der S.J. zur Ausführung verlangen, sodass es dann zunächst ein bischöfliches Werk würde; es wäre aber dann bei ihm nicht bloß eine ungewöhnliche große Energie, Umsicht und Tatkraft, sondern auch eine ganz übernatürliche Einstellung und der ernste Wille zur Ausführung vorausgesetzt, der sich etwa so sagt: Wir stellen die Erziehung und Erneuerung unserer Priester auf „diese Grundlage“; und es müssten dann mit der Überzeugung von der Güte und Notwendigkeit der Sache, die entsprechenden notwendigen Schritte bei der S.J. usw. gemacht werden.

 

Dez. 1951

5098 |        Es kommen auch von Deutschland Berichte, dass dort Bischöfe gewillt sind, etwas für die Erneuerung und Vertiefung des Priestertums zu tun. Was aber der Heiland immer wieder betont, ist eine gewisse Vereinheitlichung der Priestererneuerung. Wenn jede Diözese etwas anderes versucht, so fehlt eine bestimmte Beständigkeit und Dauerhaftigkeit, die wohl nur durch eine Zentrale gewährleistet werden kann. Der Herr hat sicher auch nicht ohne bestimmte Gründe und Absichten schon seit 30 Jahren immer wieder seine Absichten erklärt und das Versprechen gegeben, „neue“, der Not der heutigen Zeit entsprechende Gnaden zu schenken, wenn man auf seine Absichten eingeht. So wird es auch zu einer gewissen Vereinheitlichung kommen müssen. Das Priesterwerk soll von besonders geschulten Priestern geleitet werden und es soll darin jene priesterliche Vertiefung vorbereitet und geübt werden, aufgrund deren das priesterliche Apostolat fruchtbringende werden soll. Es handelt sich dabei nicht so sehr um eine theoretische Methode, sondern um ein persönliches Eingehen auf die Absichten Jesu. Der Zweck des Priesterwerkes ist nicht so sehr verstandesmäßiges Erfassen als vielmehr persönliche Vertiefung, und der Heiland hat es nicht ohne Grund mit großen Leiden unterbaut und auf eine Zentrale hingewiesen, in der es durchgeführt werden soll. Zum Zwecke der Vertiefung soll 1. das philosophische und theologische Studium mit entsprechenden Kursen unterbaut werden, um das theoretische Studium mit dem praktischen Leben und der persönlichen Anwendung der Lehre auf sich selbst zu verbinden, sodass der Stoff des Pflichtstudiums persönlicher erfasst und verwertet werde. – 2. Es sollen Nachschulungskurse und auch praktische Seelsorge Kurse gehalten werden. – Über allem aber steht das persönliche Verhältnis zu Gott, die „gelebte Theologie“, die den Priester zuerst selbst das tun lässt, was er andere lehrt.

5099 |        Der Heiland verspricht seine besonderen, neuen Gnaden der Durchführung seiner Forderungen in eine Zentrale, und er hat seine Absichten auf bestimmte Menschen gelegt. Freilich scheint dies menschlich schwer zu glauben, aber warum arbeitet der Heiland jahrzehntelang darauf hin? Er verspricht seine Gnaden aufgrund der von ihm gewünschten Glaubensvertiefung.

5100 |        Ich habe schon in früheren Briefen darauf hingewiesen. Schließlich wird die göttliche Allmacht, und die Liebe Jesu zu seiner Kirche und den Priestern, über alle Widerstände siegen und zur Herrschaft kommen. An Gottes Gnaden fehlt es nicht. Andererseits müssen wir seine Gnade auch anfordern. Und wenn es in der Welt manche Missstände gibt, so ist es nicht aus Mangel an Gottesgnaden und Liebe. Er will immer das Gute. So empfehle ich Ew. Hochwürden weiterhin dieses große Anliegen in ihrem priesterlichen Gebet und Opfer.

 

Erklärung 28.12.1950 (S. 14-16)

5101 |        Ich habe die klare innere Anregung, folgende persönliche Erklärung abzugeben, d. h. meine „erlebte, übernatürliche Berufung zum Opfersein für das Priesterwerk“ darzulegen.

5102 |        Meine erlebte Berufung zu diesem Opfersein geht bis in meine Kindheit, bis auf die Zeit des ersten Gebrauches meiner Vernunft, zurück. Soweit meine Erinnerung reicht, d. h. schon in den allerersten Schuljahren wurde mir durch eine bewusste innere Führung vom Heiland mein Lebensziel gegeben. Der Heiland gab sich mir dabei als „er“ zu erkennen, und infolgedessen konzentrierte sich mein ganzes Wesen, mein Suchen und Finden auf ihn. Das mir gegebene Lebensziel war ein „geistiges Programm“, das sich schon von Anfang an mit der vollkommenen Hingabe an Gott verband, der mir ein bestimmtes geistiges Ziel versprach. Mit den Jahren wuchs dieses mir gezeigte geistige Ziel an Klarheit und Unbedingtheit, und mein gesamtes Menschsein schloss sich gleichsam mit diesem Ziel zu einer Einheit zusammen. So war ich von Jugend auf in einer bewussten Bindung und Verpflichtung gegenüber einer Aufgabe, „die mein ganzes Leben ausfüllen“ würde. War ich bis zum Alter von etwa 20 Jahren in einer erlebten und gefühlten Lebens- und Liebeseinheit mit dem Heiland, so begann von da an eine andere Form der Vereinigung; das Ziel wurde klarer umrissen und ich wurde deutlicher angesprochen und dafür beansprucht. Es war eine klare, ausgesprochene Forderung Jesu, dass ich ihm Opfer sein solle für seine Absichten – weil er „ein großes Werk für seine Kirche gegründet haben“ wolle.

5103 |        Ich habe alle jene inneren Ansprachen bei Gelegenheit gelehrten Priestern (Weltpriestern, Jesuiten und Dominikanern) schon damals unterbreitet, um Klarheit zu bekommen in der mich quälenden Frage, ob ich diesen mit außergewöhnlichen Liebesbeweisen verbundenen Ansprachen trauen könne. Nachdem ich die von den Priestern verlangten Aufschlüsse über mein Innenleben gegeben hatte, wurde mir vonseiten dieser Priester versichert, dass diese Ansprachen und Forderungen als vom Heiland kommend und mit dem Geiste Gottes identisch zu halten seien, und ich wurde aufgefordert und ermutigt zu rückhaltloser Hingabe an ihn.

5104 |        Mit meiner Hingabe an Jesus wuchs auch die Klarheit über seine Absichten. Er ließ mich die Not der Kirche schauen, den drohenden Unglauben, die Angriffe der Hölle gegen die Kirche, die Seelennot der Menschheit, das Überhandnehmen des satanischen Geistes. Er zeigte mir aber auch, wie er dem gegenüber die Liebe seines Herzens ausgießen wolle in einem zu gründenden Werk. Dieses Werk sei ein Zusammenschluss von Priestern, die in einem vertieften Geiste leben und damit ein neues Apostolat ausüben sollen, um schließlich alle Priester in diesem vertieften Geiste zu vereinen. Jahrelang wurde mir über dieses Apostolat für die Priester immer größeres Licht und Klarheit gegeben, und unentwegt stand dieser Wille Jesu zum Heil seiner Kirche vor meinem Geiste. – Ich habe alle jene geistigen Erlebnisse meinen Seelenführern dargelegt und erhielt immer wieder die Anweisung zur Treue gegenüber den göttlichen Forderungen. Der Heiland versprach immer wieder für seine Priester „neue Gnaden“, die den jetzigen Zeiten der Kirche angepasst seien: Er wolle eine Vertiefung des Priestertums herbeiführen und dieses dem verderblichen Zeitgeist entgegenstellen. Ich erhielt im Einzelnen viel Klarheit über das „Priester-Werk“ selbst. Der Heiland nannte es „das größte Anliegen seines Herzens“, weil dadurch seine Kirche zu einer geistigen Erneuerung geführt werde. (Diese Führung dauerte etwa drei Jahrzehnte und war mit inneren und äußeren Leiden verbunden, die mein Leben wirklich für jenen Zweck geopfert sein ließen.)

5105 |        Es wurden mir auch nähere Umstände bezüglich der Gründung des Priesterwerkes gezeigt: ein Priester, dem Jesus die geistige Ausbildung des zu gründenden Priester-Apostolats übergeben wolle und den er dazu berufen habe. – Es kam dann die Stellungnahme gegen diese Forderungen und für mich das schmerzliche Geopfert-sein und Gekreuzigt-Werden für geistige Ideen, die von vornherein abgewiesen wurden. Es kamen aber auch jene geistigen Stützen für die Absichten Gottes, die meinem gekreuzigten Leben jenen Halt gaben, dessen ich in meiner bedrängten Lage bedurfte. – Eine entscheidende Hilfe war zunächst S.Exz. Bischof Tschann von Feldkirch, der von Erzbischof Waitz (von Salzburg) die Weisung bekam, den Fall eingehend zu prüfen. Bischof Tschann ermutigte mich: Kein Kreuz und kein Opfer dürfen mir zu schwer sein, um dem Herrn in dieser wichtigen und für seine Kirche so nützlichen Sache zu dienen; ja, gerade das Kreuz sei die Hoffnung – wie immer in diesen Dingen. – Auf seinen Rat hin nahm ich eine Einladung (eines Dominikanerpaters) nach Rom an, womit mir die Möglichkeit einer Hilfe in Aussicht gestellt wurde. In Rom legte ich die ganze Sache dem bekannten Theologen P. Garrigou-Lagrange O.P. vor. Sein Urteil war eine Aufforderung und Ermutigung, den Forderungen Jesu und meinem geistigen Ziele treu zu bleiben, trotz des Widerspruchs der Gegner. P. G.-Lagrange sagte mir auch: Verschiedene andere Seelen sprechen ihm vom gleichen Werke, das der Heiland gegründet haben wolle, und er erkenne darin die Stimme des Heiligen Geistes. Er hat den ganzen Fall eingehend und jahrelang geprüft, mit anderen Dominikanern Rücksprache genommen und meine Aufzeichnungen examiniert. – Eine weitere Bestätigung wurde mir gegeben durch die jahrelange Seelenführung des bekannten Professors am Bibelinstitut P. Merk S.J., der mein Innenleben und meine geistigen Erlebnisse einer sorgfältigen Prüfung unterwarf und mir wiederholt feierlich als Priester die Versicherung gab, er habe nicht den geringsten Zweifel gegen das echte Wirken der Gnade Gottes in meiner Seele oder an der Übernatürlichkeit meines Innenlebens; an der göttlichen Herkunft des Priesterwerkes sei nicht zu zweifeln P. Garrigou-Lagrange hat dann persönlich Rücksprache genommen mit P. Merk, und er könnte darum jederzeit über seine Aussprache mit P. Merk gefragt werden. Nicht von mir aus, sondern auf Gottes Anregung hin, musste ich zu S.Ex. Bischof Hudal gehen, der sich ebenfalls ein Gutachten von P. Merk S.J. gebe ließ.

5106 |       Was der Heiland wünscht, ist dies:

1. Schon von Anfang an erkannte ich im Priesterwerk einen Zusammenschluss, eine Organisation von Priestern, die vermittels jenes vom Heiland bezeichneten Priesters, P.B., in einen vertieften Geist eingeführt werden und die aus dem vertieften Glaubensgeist jene „neuen Gnaden“ schöpfen, die der Heiland als Heilmittel für die heutige Zeit verspricht. Das Dogma soll zu einer persönlichen Anwendung und zu folgerichtiger Betätigung gelangen; dadurch sollen jene Gnaden zum Fließen gebracht werden, die das heutige oberflächliche Glaubensleben entbehrt. Die Mitglieder des Priester-Apostolats sollen „persönlich“ von einem vertieften Glaubensgeist erfasst sein und sollen diesen zum Ausgangspunkt nehmen für ein fruchtbares Apostolat an der Gesamtheit der Priester.

2.Der Herr will als geistige Grundlage des Priesterwerkes die ignatianische Organisation und Arbeitsmethode, damit das Apostolat fruchtbar durchgeführt werde. Deshalb hat der Heiland einen Jesuiten erwählt, um dem Priesterwerk diese Grundlage zu geben; denn der Zweck und das Ziel des PW verlangt eine entsprechende Grundlage, um die gottgewollte Fruchtbarkeit zu ermöglichen. Das PW ist ein geschlossenes Apostolat von Priestern, die eine bestimmte geistige Schulung haben und die auf ignatianische Grundlage es sich zur Aufgabe machen, ein umfassendes, gottgewolltes Apostolat an den Priestern gemäß den Absichten des Herzens Jesu auszuüben.

M.S.

 

Teil 01.01.1951 (S. 17-19)

5107 |        Das Priesterwerk soll ein Apostolat an den Priestern sein, dass der Herr als Heilmittel unserer Zeit der Glaubensverflachung und des Unglaubens entgegenstellen will. Von den Priestern, den bevorzugten Dienern Christi, will er ein neues, vertieftes Glaubensleben auf das Volk, bzw. in der ganzen Kirche ausströmen lassen. Der Priester als Vermittler Christi soll die Quelle zum neuen Glaubensleben werden.

5108 |        Unser ganzes Glaubensleben ist begründet im Dogma. Die Lebensgestaltung der Lehre in praktischer Anwendung und Übung derselben soll im Priester vorbildlich vorgelebt werden. Damit erschließt sich dann neu eine schon bestehende Gnadenquelle; denn es wird nichts in der Kirche gelehrt, was Christus nicht auch zugleich fruchtbar machen will in den Seelen. Das Priesterwerk ist ein Hineingreifen und Herausschöpfen der Schätze der Offenbarung, der großen, unermesslichen Güter, die Christus uns in den Erlösungsgnaden darbietet. Im Priester sollen diese unermesslichen Güter zuerst angewendet und verwendet werden. Der Priester soll vorangehen in einer neuen, vertieften, geistigen Lebendigmachung des Gesamtorganismus der Kirche.

5109 |        Welches ist die äußere Betätigung des Priesterwerkes?

1. Nebst der persönlichen Verinnerlichung der Mitglieder des Priesterwerkes in dem von Christus gewollten Geist hat das Priesterwerk die Aufgabe der praktischen Seelsorge an den Priestern, und zwar

a) durch Veranstaltung von theologischen Nachschulungskursen;

b) durch Kurse, in denen den Priestern entsprechende Anleitungen geboten werden über die Verbindung von theologischer Lehre und praktische Übung im persönlichen Seelenleben und der persönlichen Betätigung;

c) durch Priesterexerzitien im genannten Geiste sowie durch Kurse und Zusammenkünfte mit Aussprachen über zeitgemäße Seelsorgefragen.

2. Das Priesterwerk dient vor allem dazu, den Priestern durch entsprechende Anregungen und Schulungen auf die Höhe der Zeit und seiner Aufgabe in der Zeit zu bringen, damit er das Apostolat unter dem Volk fruchtbringender und zeitgemäßer gestalten könne. Das Priesterwerk soll zu einer Zentrale werden, wo die Priester geschult werden zum Zweck einer fruchtbaren Seelsorgetätigkeit und größeren Selbstheiligung, damit sie sich dem heutigen verderblichen Zeitgeist erfolgreich entgegenstellen können.

5110 |        Meist fehlen den Theologiestudierenden und den Neupriestern die Zeit und die Gelegenheit, um das durch [das] Studium in den Verstand aufgenommene wirklich und praktisch zu verarbeiten und anzuwenden. Das Priesterwerk soll all diesen Schwierigkeiten und Mängeln Rechnung tragen durch entsprechende Nachschulungskurse, worin der erforderliche Ausgleich geboten werden soll.

5111 |        Christus will, dass man alle Mittel anwende und benütze, um seinem Reich zu dienen und seiner göttlichen Herrschaft zum Siege zu verhelfen. Und Christus will dieses Ziel erreichen durch entsprechende geschulte Priester, die fähig sind, sich auch persönlich ganz einzusetzen für seine göttlichen Absichten und für seine Herrschaft auf Erden.

 

Teil Februar 1951 (S. 20-21)

5112 |        Die Hauptaufgabe des Priesterwerkes ist die Übertragung der Dogmatik in die praktische Übung. – Das praktische Christenleben soll wieder in den Mittelpunkt der Theologie rücken und damit soll der ganze Mensch wirksam auf das Ziel hingeordnet werden. Die Theologie soll zu einem praktischen System werden. Auch das Philosophiestudium sollte in die moralischen Forderungen der Theologie eingebaut werden, und soll den ganzen Menschen erfassen. Der Priester muss von seinem Pflichtstudium „erfasst“ werden und in diesem Geiste selbst gebildet und geformt werden, bevor er den Gläubigen den Katechismus lehrt.

5113 |        Da das Theologiestudium gewöhnlich nur als ein „Intellektstudium“ behandelt wird, sollen entsprechende Kurse diese moralische Umbildung nachzuholen suchen.

5114 |        Der Heiland verspricht entsprechende Gnaden, um dieses Bestreben fruchtbar zu machen. Der Priester soll zur unmittelbaren Anlehnung an die Berufsgnade des Priesterseins gebracht werden.

5115 |        Das Priesterwerk ist ein kirchliches Werk, aber es braucht als notwendige Unterlage die jesuitische Arbeitsmethode. Der Herr selbst hat in jahrzehntelange Bestätigung Pater Baumann als den geistigen Organisator bezeichnet und durch alle Leiden und für Verdemütigungen mit dem Geiste erfüllt, den Christus in Priesterwerk als Frucht erstehen lassen will.

5116 |        Es bedarf einer Überleitung und Überschulung von der theologischen Lehre in das „Practicum morale“, d. h., man muss die praktisch-sittlichen Folgerungen und Forderungen aus den dogmatischen Wahrheiten ziehen. Diese Forderungen müssen wiederum durch die Philosophie unterbaut werden, sodass das gesamte philosophisch-theologische Studium in eine für das sittliche Verhalten bedeutsamen Lebensformen verwertet und zu einer persönlichen Anwendung gebracht wird.

5117 |        Dadurch muss der Priester zu einer bestimmten, sittlichen Reife, Festigkeit und Mannhaftigkeit, mit einem Worte, zu einer wahrhaft priesterlichen Persönlichkeit heranwachsen. Er muss fähig und gewöhnt sein, das selbst zu üben, was er andere lehrt, und er muss damit zu einer gewissen sittlichen Vollkommenheit und Überlegenheit kommen. – das religiöse Leben darf nicht auf den bloßen „Kult“ allein beschränkt bleiben, sondern muss auch innere Früchte der Vervollkommnung tragen und muss zu einer Vertiefung des christlichen Lebens im Volk führen.

5118 |        Es ist aber wichtig, dass man einheitlich vorgeht und dass nicht jede Diözese sozusagen ihre eigene Methode einführt. Deshalb ist eine Zentrale notwendig, worin die geistlichen Lehrer eingeschult und gebildet werden. Von diesen werden dann die Einzelnen wie in einem Noviziat geschult, damit die kommenden Priester in ihrem sittlichen Leben sich ganz im Geist, und sozusagen im Mittelpunkt des Dogmas sich bewegen. Durch eine solche Erziehung werden dann in den einzelnen Priestern bisher ungeahnte, persönliche Kräfte geweckt. Und die Frucht dieser Erziehung wird sein eine „Entfaltung zu Christus hin“, eine größere Verähnlichung und Vereinigung mit Christus. Von da aus wird dann auch die konkrete Seelsorge sich neu beleben und entfalten.

 

Brief (S. 22-23)

19.02.1951

Im Namen Jesu.

Hochwürdiger Herr Prälat!

5119 |        Wir müssen die übernatürliche Linie beibehalten und dürfen uns nicht durch menschliche Schwierigkeiten davon abhalten lassen. Sicher hätten alle von P. G-L aufgezählten Wege zum Ziel führen können, und [es] hat sich der H.H. P. viel Mühe gegeben, aber bis jetzt ist jenes Ereignis noch nicht eingetreten, dass ich als letzten Weg geschaut habe und das zum Ziel führen wird. – Und warum ist in der Frage selbst kein Fortschritt zu verzeichnen, obwohl man den H.H. Pater Baumann ausgeschaltet hat? Ist nicht viel mehr dieser Umstand ein Warten des Herrn, bis sich diese scheinbaren Hindernisse wie auf natürliche Weise lösen? Ich kann nichts anderes sagen als das, was der Heiland mir 14 Jahre hindurch bestätigt und auf eine unaussprechliche Weise bewiesen hat. Schon zehn Jahre bevor ich H.H. Pater Baumann persönlich kannte, bzw. durch eine besondere Vorsehung Gottes mit ihm zusammengeführt wurde, war ich geistig mit diesem Priester bekannt und verbunden und wurde ich darauf hingewiesen, dass der Heiland diesen Priester für seine Absichten vorbereitet.

5120 |        Ich erlaube mir, in aller Einfachheit den Weg anzugeben, auf dem – wie ich voraussehe – wir zum Ziele kommen und auch die Schwierigkeiten (in Betreff des Pater Baumann) behoben wird: Ein einflussreicher Kirchenfürst wird „dafür“ (d. h. für die Sache) eintreten, wird alles an sich ziehen uns denn Pater Baumann von der S.J. verlangen. – Ob nicht jetzt diese Zeit gekommen ist, nachdem Kardinal Micara Wohlwollen zeigt für das Priesterwerk? Ob nicht E. H. dem Kardinal nahe legen könnte, diesen Weg zu gehen? Gewiss müsste der Kardinal sich bereiterklären, mit seiner Autorität alle bestehenden Hindernisse zu lösen. Ich habe immer eine solche Lösung vorausgeschaut.

5121 |        Eine solche Möglichkeit hat mir auch der hochwertige Pater General Janssens S.J. erklärt, als ich vor einigen Jahren an ihn schrieb. Er antwortete mir ungefähr in dem Sinne: Die Gesellschaft Jesu ist auch bereit, neue Wege in Sachen einer Erneuerung der Priester zu gehen, wenn eine kirchliche Behörde uns dies empfiehlt. – Und ähnlich erklärte mir auch der verstorbene Pater Brust: Es müsste sich eine kirchliche Persönlichkeit bei uns bezüglich des Pater Baumann einsetzen; denn die kirchliche Persönlichkeit steht über uns.

5122 |        Bitte, Monsignore, denken Sie einmal an diese Möglichkeit, da nun doch an einen Kardinal angeknüpft ist. Und als Kardinal hätte er auch die Vollmacht und entsprechende Autorität. In diesem Fall wäre auch der Heilige Vater einverstanden, denn gegen das Priesterwerk selbst liegt ja nichts vor. Das Priesterwerk liegt zwischen der S.J. und der kirchlichen Behörde; es geht aber seinen eigenen Weg.

5123 |        Ich kann niemals andere Wege angeben; es wäre gegen mein Gewissen. Schließlich sind die Schwierigkeiten, welche die S.J. aufgerichtet hat, rein menschlicher Natur, aber keine wirklichen Hindernisse vor Gott. Andererseits hat die S.J. vor Gott gar nicht so weitgehende Rechte, zumal es sich um ein allgemein nützliches Werk für die Kirche handelt. Wollte man aber in eine Richtung ohne H. Pater Baumann vorgehen, so kann ich prophezeien, dass nichts wird, oder alles in sich zerfällt. Schließlich ist das einzige Ausschlaggebende die Gnade Gottes, und Jesus will das Priesterwerk auf seiner Gnade aufgebaut haben.

 

Teil 22.04.1951 (S. 24-30)

 22.04.1951

5124 |        Es soll ein gewisses System geschaffen werden, um die theologische Lehre mit der gelebten Praxis zu verbinden.

5125 |        Unsere heutige Zeit krankt an einem Mangel des „konkret“ Verwirklichten. Die Trennung von Theorie und Wirklichkeit hat auch im Religiösen eine große Lücke und Lehre geschaffen. – Um aber die theologische Lehre wirksam mit dem Leben zu verbinden, muss wohl eine entsprechende Schulung, ein „Übergangssystem“ bereitgestellt werden, wodurch die Überleitung der Theologie zur religiösen Übung der Tat gelehrt und gefördert werden soll. Die unter der Leitung des Heiligen Geistes in der Kirche gelehrte Theologie verbürgt ja auch die Möglichkeit einer praktischen Verwertung der religiösen Wahrheiten. Ein solches Überleitungssystem muss zwei Grundlinien aufweisen: Es muss zunächst die tatsächliche Verwertung und Verwirklichung der theologischen Lehre vorgelebt zeigen und so die Möglichkeit erweisen. Dazu bedarf es aber eine entsprechende Vorschulung von geeigneten und fähigen Priestern, die sich zuerst – ähnlich wie die Ordensleute in einem Noviziat – in der praktischen Verbindung von Theologie und Leben üben, um dann das auch andere zu lehren, was sie sich selbst zuerst zur Lebensaufgabe gemacht haben. Es bedarf also eine Gemeinschaft von Priestern, die eine entsprechende Vorschulung für sich persönlich annehmen und üben, an sich selbst erproben, um sie dann als etwas Mögliches anderen mitzuteilen.

5126 |        Wen betrifft dieses Überleitungssystem? Es geht die Theologiestudenten und allen theologisch gebildeten Priestern an. – Meist kommt der junge Mann mit verhältnismäßig wenig aszetisch-praktischen Voraussetzungen zum Priestertum. Das vorausgehende Studium verhilft ihm wohl zum Verständnis der Theologie und macht ihn fähig, den wissenschaftlichen Fragen seiner Umgebung zu folgen. Das Priestertum aber verlangt mehr. Es macht den jungen Mann zum Lehrer und Vertreter der Religion Christi, zum Beauftragten und Vertreter Christi selbst und damit zum Hüter und Wächter des Geistes und zum berufenen Nachahmer Christi. Durch seine Berufung ist er zur engsten Nachfolge Christi und zur Befolgung und Verwirklichung der Lehren Christi verpflichtet. An den Priestern vor allem ergeht der Ruf Christi: „Wer mir nachfolgen will…“. So haben die Apostel das Lehrsystem Jesu für sich selbst zu einem Lebenssystem gemacht, und zwar ganz und ohne Abstriche. Die Lehre Christi ist ja dazugegeben worden, dass sie befolgt und im Leben verwirklicht werde; sie soll zu einer totalen Lebenshingabe an Gott und Christus werden. Das Leben des Priesters als des zur nächsten und unmittelbaren Nachfolge Christi Berufenen verlangt eine totale Hingabe an Christus und seine Lehre.

5127 |        Das von Christus selbst gegebene Lehrsystem wurde zu einem Schulsystem (und musste auch zu einem solchen werden), das sich die künftigen Priester als Vorbereitung auf ihre hohe Stellung aneignen müssen. Dieses Schulsystem bleibt aber schließlich immer das unmittelbare Lehrsystem, das von Christus gegeben und vom Heiligen Geist der Kirche als der Verwalterin der Lehre Jesu übertragen wurde. Und es verpflichtet zur Verwirklichung und zur Nachfolge Jesu: „Lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe!“ Die Lehre Christi, schulmäßig zusammengefasst und ausgebaut, bringt auch lebendige und unbedingte Verpflichtung für die engsten Nachfolger Christi und die Ausspender seiner Geheimnisse mit sich. Die Lehre Christi darf nicht ausschließlich Schulsystem oder Lehrgegenstand bleiben. Was in der Kirche mit einer durch das Wirken des Heiligen Geistes und durch die Unfehlbarkeit der Kirche verbürgten Sicherheit gelehrt wird, das ist zugleich eine wahre Gnadenquelle, die Christus bereithält, vornehmlich und zuerst für die Menschen seiner engsten Nachfolge, die durch ihr „Berufsstudium“ tiefere Kenntnis davon erhalten. Diese Kenntnisnahme ist auch eine Pflicht der Verantwortung. Eine persönliche, individuelle Pflicht, nicht bloß eine allgemeine Pflicht dem  Lehrsystem gegenüber. Ein bloßes Lehrsystem ohne entsprechende Auswirkung auf das persönliche Leben des Lernenden und Lehrenden wäre wie eine leere Schale, die des fruchtbaren oder befruchtenden Saftes entbehrt, oder wie ein Licht ohne Wärme, ein Feuer ohne Hitze. Die Wärme aber ist das Belebende und Befruchtende. So muss die Wärmekraft der Lehre den einzelnen Priester ergreifen und sein Leben befruchten. Die Theologie bringt die Verpflichtung mit sich, in eine entsprechende praktische Übung umgesetzt zu werden im Hinblick auf das hohe christliche Ideal, dass der Priester selbst zuerst in sich verwirklichen und nach außen Gestalt gewinnen lassen soll. Bloße Wissenschaft als Vorbereitung auf das hohe Ziel des Priestertums brächte mehr oder weniger die Gefahr einer Fruchtlosigkeit des Priestertums mit sich. Die größere oder geringere Lebendigkeit und Tiefe des Berufsgeistes zeigt sich darin, wie weit der Theologe von seinem Studium persönlich ergriffen wird, oder nicht. Wenn diese persönliche und praktische verwertende Aufnahme des theologischen Studiums fehlen würde, so wäre damit eine Lücke geblieben, die sich kaum mehr ganz ausgleichen ließe. Gewiss kann das persönliche Glaubensleben weiter bestehen und irgendwie fruchtbar werden, aber es fehlt doch die durch die Natur des theologischen Studiums geforderte Auswirkung, wenn das Studium keine tieferen, die Seele selbst bereichernden und vervollkommnenden Wurzeln schlägt. Der Priester soll doch zuerst selbst das wahrhaft sein, was er andere zu sein lehrt; und die theologischen Wahrheiten sollen ihn ergriffen und in ihm Wurzeln geschlagen haben, damit er überzeugend und erwärmend sie weitergeben kann.

5128 |        Der Studiengang als theologisches Schulsystem kann im Wesentlichen kaum geändert werden, denn auch das Wissen ist eine notwendige Forderung für den Priester und sein Wirken in der Welt. Zu einem guten Priester gehört als notwendige Voraussetzung auch ein gründliches Studium, das ihm die geistigen Waffen im Wirken und Umgang unter den Menschen sichert.

5129 |        Das Priesterwerk will aber gleichsam ein „Zwischensystem“ schaffen, um die Theologen in die praktische Verwertung und persönliche Anwendung des gelehrten Schulsystems einzuführen.

5130 |        Die Mitglieder des Priesterwerkes sollen befähigt werden, in allen an den Priester herankommenden Fragen und Schwierigkeiten aufklärend zu wirken. Auch der Priester hat seine Schwierigkeiten, und je mehr diese aus dem Zentrum der theologischen Lehre herausgelöst werden, desto ungehinderter und gesegneter wird die äußere Seelsorge verlaufen. Die Mitglieder haben sozusagen einen „Lehrberuf“ ihren Mitbrüdern gegenüber und bedürfen darum einer hohen aszetischen Schulung. Vor allem muss ihnen die Umsetzung der theologischen Lehre in das praktische Leben geläufig sein, denn dies ist ein hervorstechendes Merkmal des Priesterwerkes. Es soll gleichsam in einem zentralen System zusammenfassen und zeigen, wie gewisse Grundelemente der Schultheologie aktiv verwertet und verwirklicht werden können. Der Glaube an Christus darf ja nicht bloß eine Lehre bleiben, sondern muss ein aktives, alles durchdringendes Element des christlich-priesterlichen Lebens sein.

5131 |        In diesem Sinne sollen:

1. In das theologische Studium entsprechende Kurse eingeschaltet werden, die das gesamte Gebiet der Theologie in ihrer praktischen, persönlichen Anwendung und Verwertung behandeln. Die Zeitdauer der Kurse hängt von den Verhältnissen ab. Sie dürfen das Studium nicht hemmen, sondern sollen es fördern, indem sie es persönlich anregend gestalten. Der einzelne Theologe soll gleichsam mit seiner Person in das Studium eingeschaltet und seiner persönlichen, aus dem Studium der Theologie erwachsenden Verpflichtungen sich bewusst werden.

2. Für die schon in der Seelsorge stehenden Priester sollen Nachschulungskurse gehalten werden, in denen sie ihre schon gemachten Erfahrungen vertiefen, ihr einstiges Schulstudium aufholen und persönlich verwerten lernen. Der Priester soll immer das Verlangen haben, der Erste und Nächste bei Christus zu sein; das kann er aber nur, wenn er auch der Erste in der Befolgung seiner Lehre ist. Er soll darum einen heiligen Eifer haben, das Wissen mit dem Tun, d. h. mit dem Ausüben zu verbinden. Im Priesterwerk sollen alle auftretenden Fragen und Schwierigkeiten ihren Ausgleich und ihre Lösung finden.

5132 |        Das Priesterwerk ist tatsächlich zeitgemäß und zeitnotwendig. Wohl gibt es verschiedene priesterliche Vereinigungen und Organisationen, welche die äußere Tätigkeit befruchten und regeln wollen; wichtiger aber ist das, woraus sowohl die äußere Tätigkeit wie das persönliche Innenleben des Priesters kommt und seine Kraft zieht, ähnlich wie gutes Wasser ständig aus der Quelle strömt. Die rechte Schulung des Geistes auf den Grundlagen des Dogmas und der Theologie ist die Quelle, aus der alle äußeren und inneren Taten des Priesters fließen sollen. Durch das Priesterwerk soll diese verborgene persönliche Quelle des priesterlichen Lebens und Wirkens aufgezeigt und erneuert werden und es soll deren Bedeutung für alle priesterlichen Fragen und Schwierigkeiten aufgezeigt werden. Daraus soll eine neue, priesterliche Wirkkraft kommen und soll in der heutigen glaubensschwachen Welt gleichsam ein neues Licht zu wirken beginnen.

5133 |        Letztlich geht es ihm Priesterwerk um das Eine: Christi Leben im Priester neu aufzuzeigen und neu zu entfachen. Dies muss aber der Priester vor allem wollen und er soll den Mut haben, als Erster und Nächster bei Christus zu stehen und sein Leben ganz nach der göttlichen Lehre Christi zu gestalten. Ein Mittel hierzu soll das Priesterwerk sein, d. h. eine Organisation von Priestern, die dafür besonders geschult und gebildet werden, dass sie aus der Kraft des gelebten Glaubens und Dogmas den heutigen Zeitbedürfnissen wirksam entsprechen und genügen können. Es soll ein besonderes Priester-Seelsorge-Institut werden, dass den Forderungen und Mängel der heutigen Zeit Rechnung trägt. – Diesen vielfachen Forderungen gegenüber gilt die Losung1756: Das eigene Lager stärken! Das von Christus den Aposteln anvertraute Werk den heutigen Zeitnotwendigkeiten entgegenstellen! – Das Priesterwerk darf darum auch nichts Starres sein, sondern muss sich allen Verhältnissen und auch den jeweiligen Lagen und Pflichten der Priester anpassen. Als ein geistiges System soll es für alle Verhältnisse und für alle Rangstufen gelten.

5134 |        Das Priesterwerk soll ein aktives, zentrales, – ich möchte sagen – dynamisches Werk sein, das aufrütteln und vorantreiben will. Es soll ein geistiger Aufbruch sein, der sich gleichsam berufen weiß, um voranzugehen, die Zeitfragen in die Hand zu nehmen und zu klären. An die Stelle der vielfach herrschenden ungeklärten Passivität soll eine tatsächliche Aktion treten.

5135 |        Der Schwere des drohenden Verhängnisses bewusst, will das Priesterwerk gleichsam bahnbrechend vorangehen und wirklich einstehen für die geistige Erneuerung des Reiches Christi.

5136 |        Die Überleitung des Dogmas in das praktische Leben soll in Form von aszetischen Kursen gestaltet werden und das ganze Dogma soll zur Selbstanwendung gebracht werden, d. h., durch das Priesterwerk soll die Anleitung dazugegeben werden. Die einzelnen Abschnitte des Dogmas werden in diesem Sinne bearbeitet, in ihren verpflichtenden persönlichen Konsequenzen dargestellt, verwertet und ausgenützt.

5137 |        So soll das Priesterwerk als ein zentraler Mittelpunkt wirken, aktiv anregend und die Probleme der Seelsorge sowohl wie die zuständigen Fragen priesterlicher Selbstheiligung aufgreifend, um die Anforderungen der Zeit im Lichte und in der Kraft der überreichen Gnade des Erlösers zur Klärung und zum Ausgleich zu bringen.

 

Teil 24.04.1951 (S. 31-34)

5138 |        Alle Einsichtigen geben zu, dass heute eine gewisse Kluft besteht zwischen dem Studium der Theologie und der praktischen Anwendung derselben auf das persönliche Leben und Wirken. Man studiert intellektuell und im Hinblick auf die Examina, aber man übersieht, dass die Lehre des Dogmas und der Theologie auch für das praktische Leben und Verhalten verpflichtend und von Bedeutung sind. Die geoffenbarte Lehre Christi musste gewiss – unter dem Einfluss des Heiligen Geistes – zu einem Schulsystem werden, aber sie bleibt doch immer, und in erster Linie für den Priester ein Lebenssystem, ein für das tatsächliche Leben verpflichtender Geist: Lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe!

5139 |        Der Priester ist zur engsten Nachfolge Christi berufen, denn er ist Christi Vertreter und auch Ausspender seiner Geheimnisse. Er hat durch sein Studium eine tiefere Kenntnis der Lehre Christi; aber diese tiefere Kenntnis ist auch eine Verpflichtung und Verantwortung. Der Theologiestudent und der Priester sollen zuerst für sich all die unermesslichen Schätze ausschöpfen und verwerten, die in der Erlösung enthalten sind. Es gibt keine in der Kirche vorgetragene Lehre, die nicht zugleich für das geistig sittliche Leben fruchtbar und wertvoll werden soll. Die Priester sollen vor allem selbst immer tiefer in den Geist und die Gesinnung Christi eindringen, um als „zweiter Christus“ und Vertreter des ewigen Hohepriesters sein Leben und Wirken fortsetzen zu können. — Ein bloß theoretisches oder rein intellektuelles Studium wäre wie eine Schale ohne befruchteten Saft, wie ein Licht ohne Wärme. Der Priester muss aber selbst zuerst für sich verwerten und verwirklichen und das sein, was er anderen lehrt und von anderen verlangt. Die Wahrheiten der Theologie müssen tiefe Wurzeln in seinem Wesen geschlagen haben, damit er sie mit der nötigen Überzeugung und Wärme weitergeben und lehren kann. Er muss selbst das Vorbild für die lebendige und konkrete Verwirklichung der Lehre im praktischen Leben sein.

5140 |        Zu diesem Zweck soll ein „Zwischensystem“ oder Überleitungssystem geschaffen werden, um eine lebendigere Verbindung zwischen Lehre und Leben, zwischen der Theorie und der Praxis herzustellen. Es soll gezeigt werden, wie die Grundelemente der Schultheologie im praktischen Leben zu verwerten, und zu verwirklichen sind. Der Glaube an Christus darf ja nicht eine bloße unfruchtbare Lehre bleiben, sondern muss ein aktives, alles durchdringendes Element des christlich-priesterlichen Lebens sein.

5141 |        Diese Umsetzung der theologischen Lehre in das praktische Leben soll ein hervorstechendes Merkmal des Priesterwerkes sein. Dieses ist eine Vereinigung oder eine Organisation von Priestern, die in besonderer Weise geschult und gebildet werden, um die Theologen und Priester in die vollständige und praktische Verwertung und persönliche Anwendung des gelernten Schulsystems einzuführen. Aus der Kraft des gelebten Glaubens und Dogmas sollen sie wirksam den heutigen Schwierigkeiten entgegentreten und den heutigen Zeitbedürfnissen entsprechen und genügen. Zu diesem Zwecke dient Folgendes:

1. In das philosophisch-theologische Studium sollen entsprechende Überleitungskurse eingeschaltet werden, die das gesamte Lehrgebiet in seiner praktischen persönlichen Anwendung und Verwertung behandeln. Das Studium soll dadurch nicht gehemmt, sondern im Gegenteil gefördert werden, indem es persönlich anregend gestaltet wird. Der einzelne Theologe soll gleichsam mit seiner Person in das Studium eingeschaltet und sich seine persönlichen aus dem Studium erwachsenden Verpflichtungen und Verantwortung bewusst werden.

2. Für die schon in der Seelsorge stehenden Priester sollen Nachschulungskurse gehalten werden, in denen sie ihre schon gemachten Erfahrungen vertiefen, ihr einstiges Schulstudium aufholen [und] für alle aufgetretenen Fragen und Schwierigkeiten Ausgleich und Lösung finden sollen. Der Priester soll ja immer das Verlangen haben, der Erste und Nächste bei Christus zu sein; das kann aber nur sein, wenn er auch der Erste in der Befolgung seiner Lehre ist, d. h., wenn er einen heiligen Eifer hat, das Wissen mit dem Üben, die Lehre mit dem praktischen Leben zu verbinden.

5142 |        Wie sehr das Bedürfnis einer solchen Überleitung empfunden wird, geht daraus hervor, dass schon einige Bischöfe in Deutschland daran sind, entsprechende Versuche zu machen; und Papst Pius XII schrieb dazu am 01.03.1951:

5143 |        „Nicht nur in ihren Ländern, überall in der katholischen Welt macht sich die Forderung, dass der Priester auf der Höhe seiner Aufgabe stehe, heute besonders nachdrücklich geltend. Wir wollten dieser Forderung durch die Adhoratio „Menti Nostrae“ und das Weltrundschreiben „Humani Generis“ entgegenkommen. Wie wir hören, denkt der eine oder andere der deutschen Bischöfe daran, in Sache der religiösen Erziehung des Klerus gleich von Beginn der philosophisch-theologischen Studien an neue Wege zu gehen. Wir können Sie nur ermutigen, den geplanten Versuch zu wagen“.

5144 |        Das Priesterwerk will die Priester auf die Höhe ihrer großen Aufgabe und der übergroßen Anforderungen der heutigen Zeit erheben, damit sie ihr Apostolat unter dem Volk fruchtbarer und entsprechender gestalten können.

5145 |        Was ein Blick auf die wirkliche Lage als gut und notwendig erweist, das hat auch der Herr selbst immer wieder gefordert und alle, die sich damit beschäftigt haben, erklärten, es könne keinen Zweifel an der Echtheit, Übernatürlichkeit und Sicherheit der Absichten Gottes bestehen.

 

Teil 18.06.1951 (S. 34-36)

5146 |        Der Unterschied des Priesterwerkes von anderen Priestervereinigungen besteht darin, dass es

1. ein Postulat an den Priestern ist. Es setzt sich zusammen aus Priestern, die in einem vertieften, den heutigen religiösen Anforderungen entsprechenden Geiste Leben, nämlich durch die Verwirklichung des Dogmas in ihrem Leben bzw. in der praktischen Anwendung der theologischen Lehre auf ihr eigenes Leben.

2. Die Mitglieder des Priesterwerkes machen es sich zur Lebensaufgabe, Apostel der Priester zu sein. Das Priesterwerk ist darum keine Bruderschaft und keine Vereinigung gleich manchen anderen, sondern eine Gesellschaft von Priestern, die sich zu einem tatsächlichen Apostolat zusammenschließen, um das Priestertum zu einer möglichst großen sittlichen Höhe empor zu führen. (So ähnlich wie sich zum Beispiel verschiedene Kongregationen den Heidenmissionen widmen, so widmen sich die Mitglieder des Priesterwerkes dem Apostolat der Heiligung des Priesterstandes.)

3. Dem inneren Geist nach will das Priesterwerk die theologische Lehre gleichsam als geistiges Lebensprinzip in die Tat umsetzen und will damit der Verflachung und den unchristlichen Zugeständnissen des heutigen Lebens (auch der Christen) entgegenwirken. – Dieses geistige Lebensprinzip bedeutet vor allem eine tiefere Verankerung in Gott als dem bewussten Zentrum und Ziel des Lebens. Damit sollen die ganze Höhe des Priesterideals erfasst und seine Verwirklichung angestrebt werden. Die Mitglieder werden in diesem Geiste geschult, damit sie geistige Führer, Apostel und Vorbilder des Priesterstandes seien!

4. Die Ausübung dieses Apostolats an den Priestern umfasst alle Formen der Seelsorge für die Priester: vor allem die Einführung der Priester und Priesteramtskandidaten in die praktische Verbindung und Vereinigung von Theologie und konkretem Priesterleben, durch praktische Einführungskurse in die Einheit von Lehre und Lebenswirklichkeit, durch Priesterexerzitien in diesem Sinne, durch theologische Nachschulungskurse, Vorträge und Besprechungen, in denen priesterlich-aktuelle Fragen vorgelegt und geklärt werden, durch Seelsorge an irregegangenen Priestern, durch Versorgung von alten und pflegebedürftigen Priestern. Vornehmlich soll das Priesterwerk wirken als eine Art der „Tertiat“ (ähnlich wie es sich bei den Jesuiten findet), oder Einführung und Vertiefung im geistlichen Leben. Die Zeitdauer solcher Tertiate für priesterliche Schulung wird sich den Verhältnissen der einzelnen Diözese anpassen müssen. Es sollen jedoch alle Priester durch eine solche konkrete, religiös-aszetische Schulung gehen. Das gesamte Priesterwirken hat ja zum Ziel, Seelen für Gott zu gewinnen und näher zu Gott zu führen. Meist kann aber der Priester diese Aufgabe nur auf dem Weg „über sich selbst“, d. h. auf dem Weg über die eigene persönliche Heiligung durchführen; in diesem Sinne wird auch er die „Tür zu den Schafen“. Der Priester soll sich eine möglichst hohe Fülle des Lebens Jesu aneignen, um als zweiter Christus zu wirken; die eigene Heiligung ist ja die beste Befähigung, um erfolgreich am Heil der Seelen zu arbeiten.

5147 |        Das Priesterwerk soll also eine priesterliche Führerschaft bilden, um die Heiligung des Priesterstandes mit allen Mitteln zu verwirklichen, nämlich erstens durch entsprechende, persönliche Heiligung und zweitens durch alle Mittel des Apostolats.

5148 |        Das Priesterwerk ist ein geistiges Bildungsinstitut, das die geistigen Zeitprobleme für den Priesterstand aufhellen und nicht bloß im Allgemeinen der Masse, sondern auch den Einzelnen in allen heutigen priesterlichen Anforderungen behilflich sein soll. Es ist ein Seelsorgedienst für den Priesterstand, ein Vorangehen und ein konkretes Drangehen, um dem Herrn würdige Priester zu bereiten. – Noch gibt es kein solches Institut, dessen Notwendigkeit jedoch kaum geleugnet werden kann.

Grundlegende Umrisse über das Priesterwerk

Schrift 1

1. Selbstbeteiligung. Umgestaltung der einzelnen Mitglieder in Christus dadurch, dass sie sein Leben in sich aufnehmen.

2. Einführung aller Priester der Kirche in diesen Geist und ihr Zusammenschluss in diesem Geist.

3. Zusammenschluss vom Priester und Volk zur Einheit in der Kirche.

5149 |        I. Das Werk soll ganz „jesuitisch“ sein, soll mit dem bestehenden Jesuitenorden zusammen unter einem Generaloberen stehen, doch in seinem Wirken und in seiner inneren Ausgestaltung selbstständig und den eigenen Bedürfnissen seiner Wirksamkeit angepasst sein.

5150 |        II. Alle Mitglieder des neuen Zweiges müssen im Noviziat des bestehenden Ordens mindestens ein Jahr nach dem Geiste des heiligen Ignatius ausgebildet werden. „Der Geist des heiligen Ignatius darf nicht verloren gehen“; denn das Werk soll in seinem ganzen Wesen „ignatianisch“ sein. Der Jesuitenorden muss die Grundlage des neuen Zweiges werden.

5151 |        III. Im „Werke des Hohenpriesters“ werden sich die Mitglieder einer neuen Schulung unterziehen, dem Geiste des Werkes und seiner apostolischen Tätigkeit entsprechend, ähnlich einem Noviziat. In voller Abgeschlossenheit von der Welt werden sie in den Geist ihrer priesterlichen Apostelarbeit eingeführt.

5152 |        IV. Selig werden sie gebildet nach dem Vorbild „Jesu, des ewigen Hohenpriesters“, sein Leben in sich aufnehmend. Sie sollen:

a) an alle neuen priesterlichen Gnaden glauben; denn Jesus will neue Gnaden des Lichtes und der Einsicht in die Bedürfnisse der heiligen Kirche und der Jetztzeit geben.

b) Sie sollen an die Macht und Würde des Priestertums glauben in einem neuen Glaubensleben bezüglich ihres heiligen Berufes. Sich stützend auf ihre göttliche Sendung sollen sie von ihren Würden und Gewalten ganz Gebrauch machen. Sie sollen sich als von Gott gesandt betrachten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“. Sie sollen in allem Christi Stelle einnehmen wollen: Der Priester ein zweiter Christus!

5153 |        „Ich habe das Werk erwählt zur Zentrale aller neuen Gnaden für mein Priestertum. Ich werde es mit meinem Lichte und meiner Kraft umgeben. Die Mitglieder des Werkes werden diesen Geist bis an die Grenzen der Erde tragen. Es wird ein neues Leben in meiner Kirche entstehen“.

5154 |        Jesu Leben soll des Priesters leben werden. Jesu Interessen und Anliegen müssen im Priester zur Tat und Verwirklichung werden. Der Priester soll tun, was Jesus getan, gleichsam als dessen zweite Persönlichkeit sein Wirken fortsetzend. „Ich werde in ihnen lebend sein. Sie werden nicht enttäuscht werden“.

5155 |        Die Priester sollen die Leiden des Herzens Jesu zu ihren eigenen machen, sollen Jesu Erlöserleben und Sorge um die Seelen in sich fortsetzen. Der Priester soll an Christi Statt und nach seinem Vorbild der große Büßer, der Versöhner der göttlichen Gerechtigkeit sein. Er soll Eindringen in Christi Herz, das ein beständiges Schlachtopfer für die Sünder war. In dem Maße als der Priester vor Gott der Versöhner an Jesu Statt ist, im gleichen Maße wird er den Seelen die Erlösungsgnaden Christi zuwenden und sie fruchtbar sehen in den Seelen. Alle Gnaden der Erlösung, der Heiligung für die Seelen müssen vom Priester sozusagen mitverdient werden durch ein beständiges opfern mit Christus. Nur ein priesterliches Opferleben wird die Erlösungsgnade Jesu für die Seelen zu ihrer vollen Frucht, Kraft und Wirksamkeit vollenden. Das ist ein Hauptübel, dass die Priester ihr Leben in dieser Beziehung als nicht maßgebend finden.

5156 |        „Alle Gnaden, die ich meinen Aposteln gegeben habe, werde ich neu ausgießen und dadurch neues Leben in den Seelen wirken. Die Schäden meiner Kirche brauchen ein neues Heilmittel und das werde ich sein. Mit dem Heiligen Geiste ausgerüstet sandte ich meine Apostel aus. Mein Leben in den Priestern dieser Zeit wird nicht weniger Frucht bringen. Aber man soll an dieses neue Leben glauben, das ich den Priestern vermitteln will. Aus dem Glauben wird die Kraft kommen, dass die Priester mein Erlöserleben in der Kirche fortsetzen vermögen. Meine Kraft, mein Leben wird sich in meiner Kirche neu entfalten, aber alle Gnaden sollen vom Priester mitverdient werden“.

5157 |        Die Tätigkeit der Priester des Werkes soll darin bestehen:

1. sich selbst in diesem Geiste zu bilden und zu vollenden;

2. dieses Leben in Christus allen Priestern zu vermitteln und in diesem Sinne apostolische zu wirken, Apostel ihrer Mitglieder zu werden zum Beispiel durch Priesterkonferenzen. Sie sollen alle Priester sammeln und für diesen Geist zu gewinnen suchen, wie eine Art Wanderapostel.

3. sie sollen die Kluft zwischen Priester und Volk zu überwinden suchen durch Vorträge, Priestertage, wo dem Volk die Bedeutung und das Wirken des Priesters an Christi statt veranschaulicht wird. Das Volk soll wieder Vertrauen zu seinen Priestern gewinnen.

5158 |        „Der Priester soll die Seelen an sich zu ziehen suchen und sie dann meinem Herzen zu führen“. Neben der Umgestaltung des priesterlichen Lebens in das Leben Jesu ist dies die Hauptaufgabe, dass die Priester das Volk wieder für sich und dadurch für Christi Reich gewinnen. Der Priester soll mehr in das Volk gehen, sich durch Liebe den Seelen anzupassen suchen, wie der Heiland es getan hat. Die Liebe, die zwischen Priester und Volk fast erstorben ist und vielfach dem Hasse weichen musste, soll durch Christi Liebe in den Priestern wieder neues Verstehen und aufrichtiges Zusammenarbeiten erwirken. So wie die Apostel es getan, so soll wieder eine neue Wirksamkeit zwischen Priester und Volk werden. Die Folge wird sein neues Vertrauen, neues Hinströmen der Seelen zu Christus.

5159 |        Eine besondere Tätigkeit im „Werk des Hohenpriesters“ wird sein das Apostolat der schriftlichen Aufklärung. Es wird auf diesem Wege viel gearbeitet werden, sowohl durch Drucksachen für die Priester, um diese alle zu gewinnen, als auch zur Aufklärung des Volkes.

Die Hauptaufgabe aber soll sein:

I. Der Priester, gebildet nach dem Herzen Jesu als sein zweites Ich in seinem Leben und Wirken.

II. Zusammenschluss von Priester und Volk, um alle Seelen für Christi Reich zu erfassen.

5160 |        Es ist wie ein neuer Kampf zwischen Himmel und Hölle. Wie die Hölle all ihre Vertreter schickt, so will Christus in seinen in ihn umgestalteten Priestern die Welt wieder für sein Reich gewinnen.

5161 |        Dem Werke des Hohenpriesters soll angeschlossen sein die Tätigkeit für die Erneuerung der Familie im christlichen Geiste. Von den Mitgliedern sollen Laienhelfer ausgebildet werden, und zwar:

1. die männlichen, die einen neuen Geist durch Aufklärung in die zu gründenden Familien tragen. Diese sollen besonders in Jugendvereinen in diesem Sinne arbeiten. Sie sollen auch aus gebildeten Reisen sein, die sich ganz dem Werke des Hohenpriesters als Mitarbeiter anschließen;

2. die weiblichen, die ebenso in Männervereinen gute christliche Mütter heranzubilden suchen und den heutigen unsittlichen Ehezuständen wirksam entgegenarbeiten durch Aufklärung, durch Schulung und diesbezügliche Tagungen und Kurse in den Jugendvereinen.

5162 |        Der Priester soll auch in dieser Aufgabe diskret für die Erneuerung der Familie, und damit für die Kirche arbeiten. Priesterarbeit – Volksarbeit.

5163 |        Man soll den ignatianischen Geist besonders pflegen durch Priesterexerzitien in diesem Geiste. Die Priester sollen im Werke ein Heim finden, wo sie die Möglichkeit haben, für kürzere oder längere Zeit sich in diesem Geiste auszubilden. Es sollen priesterliche Schulungskurse in dem vom Gott gewollten Geist gehalten werden, damit diese Priester sich wieder untereinander in diesem Sinne betätigen können. Es sollen Priesterheime, Ferienheime errichtet werden, wo der einzelne Priester einen guten Mitbruder findet, wo fehlende und wankende neu aufgerichtet werden. Alles im Geiste des Herzens Jesu, dessen Leben ein Leben der Liebe ist.

5164 |        Alles dies will Jesus voll Liebe getan wissen. Seine Liebe soll in diesem Werke neu erstehen… Jesus will der Menschheit wieder näher kommen, ähnlich, wie damals, als er auf Erden lebte. Jesus, in seinem menschlichen Leben den Menschen unserer Zeit greifbar nahe: Er will es werden durch ganz in IHN umgestaltete Priester.

 

Schrift 2

5165 |        Gott verspricht die Gnaden, die für diese besonderen, heutigen Verhältnisse und Schwierigkeiten und für die Nöte unserer Zeit erforderlich sind. Es sind Gnaden einer Glaubenserneuerung und Glaubensvertiefung auf dem Weg über die Vertiefung und Erneuerung des Geistes der Priester. Diese sollen tiefer eingeführt werden in das Geheimnis des Erlöses und seiner Erlösertätigkeit, damit sie – als „alter Christus“ und als Vertreter des göttlichen Hohepriesters – dessen Gesinnung nachleben und dessen Erlöserwirken fortsetzen in einer tieferen Einheit und Theologie und praktischem Leben. Unter dieser Voraussetzung verspricht der Herr dem priesterlichen Wirken eine größere Fruchtbarkeit.

5166 |        Zu diesem Zweck will der Herr ein Priesterinstitut in dem – nach seinem Willen – die von ihm versprochenen Gnaden gleichsam niedergelegt werden und von dem sie ausgehen sollen. Gott, der mit Vorliebe „das Schwache erwählt“, damit seine Ehre umso größer sei, hat immer wieder den Pater Baumann als Werkzeug hierfür angegeben.

5167 |        Die Sicherheit dieser Absichten Gottes und die Unnatürlichkeit dieses Versprechen haben jene Seelenführer immer wieder bestätigt, die sich mit der Sache befasst haben – in den letzten Jahren besonders Pater August Merk S.J. (jetzt gestorben) und Pater Reg. Garrigou-Lagrange OP (Kollegium Angelicum Rom).

5168 |        Andere (d. h. die Vorgesetzten des Pater Baumann) haben von vornherein, – ohne jemals mit den in Frage stehenden Personen gesprochen zu haben –, erklärt, es müsse alles Täuschung sein, und sie haben in diesem Sinne gehandelt.

5169 |        Praktisch gesehen müsste also in erster Linie eine Persönlichkeit beim R. P. General S.J. und beim S. Officium erwirken, dass Pater Baumann die Freiheit erhalte, sich der Sache anzunehmen. (Diese Persönlichkeit müsste wohl zuerst sich von der Gewissheit des göttlichen, diesbezüglichen Willens überzeugen, sei es durch Prüfung, sei es durch Besprechung mit R. P. Garrigou-Lagrange; und sie müsste dann – um der Ehre Gottes und um des allgemeinen Besten der Kirche willen – sich die Sache Gottes zu Herzen nehmen und alles tun, um deren Verwirklichung zu ermöglichen). Dann müsste wohl Pater Baumann – wenn das nicht schon vorher geschehen ist – ein Kardinal suchen, der die Sache als Protektor übernimmt.

5170 |        Unter diesem Protektorat und mit Erlaubnis seines Ordensgenerals wird dann Pater Baumann den theologisch-aszetischen Plan und Aufbau dem S. Officium und der Religionskongregation vorlegen müssen, um dann an der Gründung des Instituts und an der Schaffung einer Bewegung zur Verlebendigung des Glaubenslebens zu arbeiten.

 

Schrift 3

5171 |        Anmerkung: Ich muss mir alle Autoren-Rechte vorbehalten. Man darf aus diesen Schriften nichts herausnehmen und nichts für Privatgebrauch oder für private Studienzwecke verwenden. Es ist mein persönliches Eigentum bzw. Eigentum des Priesterwerkes.

5172 |        Alle theologischen Fragen, die darin behandelt werden, sollen nicht theologische Lehrmeinungen oder theologische Auseinandersetzungen sein, sondern sie sind ganz privaten Charakters, so wie ich sie in einfachste Weise in übernatürlichen Erkenntnissen und in mystischen durchleben empfangen habe. – All meine Schriften sollen keinen offiziellen Wert haben und dürfen deshalb nicht offiziell behandelt werden, sondern gelten nur dem Zwecke einer privaten Aufklärung über das Priesterwerk.

 

Wichtige Richtlinien

5173 |        Das Priesterwerk ist in seiner objektiven, geistigen Form eine „Neufassung“ der theoretischen Lehre, verbunden mit der Darlegung der logischen Konsequenzen für das praktische Sittenleben. Die Theorie mit ihren logischen Konsequenzen wird auf das Priesterwerk übertragen, wird von dessen Mitgliedern praktisch angewendet und geübt und wird dann durch entsprechende apostolische Tätigkeit durch Propaganda usw. dem gesamten Priestertum übermittelt.

5174 |        Das Priesterwerk kommt sowohl dem OP, wie der SJ zu, weil beide Orden einen ihnen entsprechenden Beitrag zu den Grundlagen des Werkes bieten sollen. Das Werk steht also zwischen OP und SJ und soll unter dem Schutz eines Ordens stehen, damit sein innerer und äußerer Ausbau entsprechend gewährleistet werde. Beide Orden sollen sich nach dem Willen des Herrn selbst um das Werk bemühen, weil sie damit in einheitlicher Form eine Neuordnung der Sittenlehre in der Kirche herbeiführen werden.

5175 |        Um der Einheitlichkeit willen soll die Lehre des heiligen Thomas als Ausgangspunkt, Grundlage und Mittelpunkt genommen werden, aber es sollen auch andere Lehrer der Theologie berücksichtigt werden. Der heilige Thomas soll aber die Hauptgrundlage für das praktische theologische Werk sein. Deshalb soll es auch dem OP vor allem angelegt sein, die Initiative zu ergreifen und zu dieser Gründung des Werkes gleichsam jene maßgebende Stelle aufzurufen und einzuladen, von denen das zu gründende Werk auch diskutiert und unterstützt werden soll, nämlich die Patria S.J..

5176 |        Man soll das Werk in seinem inneren Wesen und in seiner Zeitnotwendigkeit betrachten, und man soll nicht umgehen von dem, was der Herr als allgemeine Richtlinien privat wissen ließ. Es darf am Werk im Wesentlichen nichts geändert werden, sondern es muss auf jene übernatürlich mitgeteilten Normen gestellt und gestützt bleiben, wie sie vom Heiland geoffenbart wurden. Es soll bei allen maßgebenden Stellen nur die eine Frage entscheiden und gelten: Wie können wir dieses Werk ganz im übernatürlich angegebenen Sinne so ausgestalten, dass es jene Wirkung und Arbeitsmöglichkeit für die Kirche hervorbringen kann, wie sie ihm vom Herrn als Ziel und als Erfolg in Aussicht gestellt und versprochen wurde?

5177 |        Man soll die jetzigen Umstände und Gegebenheiten in Rom (die Generalskapitel der beiden Orten) benützen und erfassen, um eine Aufklärung hinsichtlich der bei der S.J. bestehenden Vorurteile und Schwierigkeiten und eine Entscheidung herbeizuführen. Doch soll diese Klärung gegenüber der S.J. Nur als brüderlich-privat angesehen werden. Man soll keinen offiziellen Schritt (d. h. bei den kirchlichen Behörden) unternehmen, bevor es nicht zu einer entsprechenden privaten Vereinigung zwischen den PP. OP und S.J. gekommen ist.

5178 |        Der Antrag des OP an die S.J. Soll eine Bitte und Aufforderung gleichen, die schon so lange schwebende Frage einer Klarstellung unterziehen zu wollen und den Pater Baumann für das Werk freigeben; alles, wie gesagt, als brüderlicher, nicht offizieller Antrag.

5179 |        In einem offiziellen Antrag kommt an die kirchliche Behörde erst das „objektiv theologische Werk“, nachdem es theologisch und dogmatisch unterbaut ist mit den (durch die Privatoffenbarungen) bekannten Grundlagen und Eigenheiten und nach dem es versehen ist mit der Zustimmung und der Begründung der beiden Orten, gestützt auf deren positiven Willen, dieses Werk durchsetzen zu wollen, weil es eine unbedingte Zeitnotwendigkeit ist für die Kirche.

 

Schrift 4

5180 |        Der Weg zum Anfang des Priesterwerkes soll mithilfe eines Bischofs beginnen.

5181 |        H. P. G. Vetur. soll sich, nachdem er eventuell entschlossen wäre, die Gesellschaft des Hohepriesters in seine schon bestehende Genossenschaft ein- und anzubauen an seinen Bischof oder Protektor wenden. Nachdem das ganze Werk, bzw. der Plan des Werkes durch einen Theologen auf die Grundlage des Glaubens gestellt und begründet [ist], möge man sich an den hochwürdigen Pater General S.J. Wenden, mit der Bitte um Freistellung des hochwürdigen Pater Baumann. Gleichzeitig soll sich auch H. P. M. an den P. General begeben.

5182 |        Es soll ein schlichter unauffälliger Weg gegangen werden. Später, nachdem H. P. General S.J. für die Sache zugänglich ist, soll der Plan des Werkes dem heiligen Officium, bzw. dem Heiligen Vater vorgelegt werden.

5183 |        Ich bin vollständig überzeugt, dass der Heiland zur Gründung des Werkes hochwürdiger Pater Baumann will; dieser Wille Gottes wurde mir durch viele Beweise bestätigt. Sollte man das Werk ohne Pater Baumann beginnen wollen, so würde ich sogleich alle Schriften zurückfordern und weiter dem Herrn vertrauen, dass er zu gegebener Zeit einen anderen Weg ermöglicht; ich vertraue auf die Treue des Herrn.

5184 |        Ich schaue dies in großen Umrissen den Weg zur Beseitigung der bestehenden Schwierigkeiten. Gewiss wird sich vieles an praktischen Erfahrungen einfügen lassen. Aber die Hauptsache ist das Vertrauen auf die Hilfe des Herrn und auf seinen Willen und seine göttliche Treue.

[Wahrscheinlich von Maria Sieler, Anm. des Bearbeiters]

 

 



[1] Südtirol wurde durchgestrichen. Unleserliches darüber geschrieben. Vgl. Leben_09.jpg

[2] Fußnote im Skript, S. LEBEN_15.jpg.: August Poulain S.J. Handbuch der Mystik, Freiburg, 1925, s. 160.

[3] Fußnote im Skript, S. LEBEN_18.jpg: August Poulain S.J. Handbuch der Mystik, Freiburg, 1925, s. 409.

[4] Fagezeichen steht so im Skript, S 19.

[5] Fußnote im Skript Seite 27a: Kaplan war damals der hochwürdige Herr Vinzenz Kickenweitz. Geboren am 8. Dezember 1892, studierte er im Knabenseminar in Graz. Unmittelbar nach der Matura musste er einrücken und geriet schon 1915 in russische Gefangenschaft, aus der er erst 1921 zurückkehrte. Am 2. Juli 1923 wurde er in Graz zum Priester geweiht und sofort als Kaplan in Sankt Ruprecht an der Raab angestellt. Von 1928-1933 war er Domvikar in Graz, wo er durch eifriges Beichthören sich auszeichnete und viele Beichtkinder aus allen Ständen hatte. Von 1933-1951 war er Pfarrer in Stallhofen, dann Seelsorger im Erholungsheim der Barmherzigen Schwestern in der Dult bei Graz. Am 4. November 1961 starb er in Graz an seinem Herzleiden, das eine Folge der Kriegsjahre gewesen sein dürfte. Maria Sieler hat ihm großes Vertrauen geschenkt und auch nach seiner Versetzung nach Graz und Stallhofen sich oft brieflich an ihn gewandt. Einige ihrer und seiner Briefe sind noch erhalten.

[6] Fußnote in Script Leben_38: Karl Rahner S.J., Visionen und Prophezeiungen, Freiburg 1958, S. 18.

[7] Zitat in Leben_41: Zitiert nach Karl Rahner S.J., a.a.O., S 12.